Protokoll:
15094

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 15

  • date_rangeSitzungsnummer: 94

  • date_rangeDatum: 4. März 2004

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  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 21:12 Uhr

  • account_circleMdBs dieser Rede
  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 15/94 in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 2: Antrag der Abgeordneten Cornelia Pieper, Ulrike Flach, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Jahr der Technik zur Stärkung der Forschungslandschaft und des Innovationsklimas in Deutsch- land nutzen (Drucksache 15/2594) . . . . . . . . . . . . . . . . Edelgard Bulmahn, Bundesministerin BMBF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hartmut Schauerte CDU/CSU . . . . . . . . . Dr. Christoph Bergner CDU/CSU . . . . . . . . . Dr. Gesine Lötzsch fraktionslos . . . . . . . . . . Dr. Carola Reimann SPD . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 5: a) Große Anfrage der Abgeordneten Dr. Peter Paziorek, Marie-Luise Dött, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion der CDU/CSU: Nationale Umset- zung des Emissionshandels (Drucksachen 15/1282, 15/2390) . . . . b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu dem Antrag 8332 B 8332 C 8335 B 8360 C 8361 A 8362 A 8363 B Deutscher B Stenografisc 94. Sit Berlin, Donnerstag I n h a Erweiterung und Abwicklung der Tagesord- nung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Absetzung der Tagesordnungspunkte 11 a und 22 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nachträgliche Ausschussüberweisung . . . . . . Glückwünsche zum Geburtstag der Bundes- ministerin für Bildung und Forschung, Frau Edelgard Bulmahn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 4: Unterrichtung durch die Bundesregierung: Innovationen und Zukunftstechnolo- gien im Mittelstand – Hightech-Master- plan (Drucksache 15/2551) . . . . . . . . . . . . . . . . 8331 A 8331 D 8332 A 8336 A 8332 A Dagmar Wöhrl CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . Fritz Kuhn BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8336 A 8338 C undestag her Bericht zung , den 4. März 2004 l t : Cornelia Pieper FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ulrich Kasparick SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Christoph Bergner CDU/CSU . . . . . . Hartmut Schauerte CDU/CSU . . . . . . . . . . . Hans-Josef Fell BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Heinz Riesenhuber CDU/CSU . . . . . . . . Dr. Ditmar Staffelt, Parl. Staatssekretär BMWA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Christoph Bergner CDU/CSU . . . . . . . . . Jörg Tauss SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Walter Hoffmann (Darmstadt) SPD . . . . . . . 8341 A 8344 A 8346 B 8347 A 8349 B 8350 C 8353 C 8355 C 8357 C 8358 C der Abgeordneten Dr. Peter Paziore Marie-Luise Dött, weiterer Abg ordneter und der Fraktion der CDU CSU: Nationalen Allokationsplan a k, e- / ls II Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 94. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2004 Parlamentsgesetz gestalten (Drucksachen 15/1791, 15/2533) . . . . Dr. Klaus W. Lippold (Offenbach) CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hans-Josef Fell BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jürgen Trittin, Bundesminister BMU . . . . . . . Birgit Homburger FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . Ulrich Kelber SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kurt-Dieter Grill CDU/CSU . . . . . . . . . . Dr. Peter Paziorek CDU/CSU . . . . . . . . . . . . Ulrich Kelber SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Reinhard Loske BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Peter Paziorek CDU/CSU . . . . . . . . . . . . Dr. Reinhard Loske BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Marie-Luise Dött CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . Jürgen Trittin BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Marie-Luise Dött CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . Dr. Ernst Ulrich von Weizsäcker SPD . . . . . . Petra Pau fraktionslos . . . . . . . . . . . . . . . . . . Franz Obermeier CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . Ulrich Kelber SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wilfried Schreck SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 23: a) Erste Beratung des von der Bundesre- gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Sicherung der nachhal- tigen Finanzierungsgrundlagen der gesetzlichen Rentenversicherung (RV-Nachhaltigkeitsgesetz) (Drucksachen 15/2562, 15/2591) . . . . b) Erste Beratung des von der Bundesre- gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuordnung der einkommensteuerrechtlichen Be- handlung von Altersvorsorgeauf- wendungen und Altersbezügen (Al- terseinkünftegesetz – AltEinkG) (Drucksachen 15/2563, 15/2592) . . . . c) Erste Beratung des von der Bundesre- gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung des Rechts der erneuerbaren Energien im Strombereich (Drucksachen 15/2539, 15/2593) . . . . 8363 B 8363 C 8365 A 8366 A 8367 D 8369 C 8370 A 8372 A 8374 A 8374 B 8376 B 8376 D 8377 B 8378 C 8379 B 8379 B 8380 C 8381 C 8382 C 8383 A 8384 B 8384 C 8384 C d) Erste Beratung des von der Bundesre- gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über den Handel mit Be- rechtigungen zur Emission von Treib- hausgasen (Treibhausgas-Emissions- handelsgesetz – TEHG) (Drucksache 15/2540) . . . . . . . . . . . . . e) Erste Beratung des von der Bundesre- gierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Vereinfachung der Wahl der Arbeitnehmervertre- ter in den Aufsichtsrat (Drucksache 15/2542) . . . . . . . . . . . . . f) Erste Beratung des von der Bundesre- gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Durchführung einer Repräsentativstatistik über die Be- völkerung und den Arbeitsmarkt so- wie die Wohnsituation der Haus- halte (Mikrozensusgesetz 2005 – MZG 2005) (Drucksache 15/2543) . . . . . . . . . . . . . g) Erste Beratung des von der Bundesre- gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu der in Rom am 17. No- vember 1997 angenommenen Fas- sung des Internationalen Pflanzen- schutzübereinkommens (Drucksache 15/2544) . . . . . . . . . . . . . h) Erste Beratung des von der Bundesre- gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 19. August 2002 zwischen den Vertragsstaaten des Übereinkom- mens zur Gründung einer Europäi- schen Weltraumorganisation und der Europäischen Weltraumorgani- sation über den Schutz und den Aus- tausch geheimhaltungsbedürftiger Informationen (Drucksache 15/2545) . . . . . . . . . . . . . i) Erste Beratung des von der Bundesre- gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung des Be- schlusses des Rates (2003/725/JI) vom 2. Oktober 2003 zur Änderung von Art. 40 Abs. 1 und 7 des Über- einkommens zur Durchführung des Schengener Übereinkommens vom 14. Juni 1985 betreffend den schritt- weisen Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen (Drucksache 15/2546) . . . . . . . . . . . . . j) Erste Beratung des von der Bundesre- gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Protokoll Nr. 13 vom 3. Mai 2002 zur Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die voll- 8384 D 8384 D 8384 D 8385 A 8385 A 8385 A Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 94. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2004 III ständige Abschaffung der Todes- strafe (Drucksache 15/2549) . . . . . . . . . . . . . k) Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschät- zung gemäß § 56 a der Geschäftsord- nung: Technikfolgenabschätzung – hier: TA-Projekt: Biometrische Identifikationssysteme – Sach- standsbericht (Drucksache 14/10005) . . . . . . . . . . . . Zusatztagesordnungspunkt 3: a) Erste Beratung des von der Bundesre- gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Durchführung von Verordnungen der Europäischen Gemeinschaft auf dem Gebiet der Gentechnik und zur Änderung der Neuartige Lebensmittel- und Le- bensmittelzutaten-Verordnung (Drucksache 15/2520) . . . . . . . . . . . . . b) Antrag der Abgeordneten Hans- Michael Goldmann, Horst Friedrich (Bayreuth), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Nationale Küs- tenwache schaffen (Drucksache 15/2581) . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 24: a) Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Finanzie- rung der Beseitigung von Rüstungs- altlasten in der Bundesrepublik Deutschland (Rüstungsaltlastenfinan- zierungsgesetz – RüstAltFG) (Drucksachen 15/1888, 15/2434) . . . . b) Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs ei- nes Investitionszulagengesetzes 2005 (InvZulG 2005) (Drucksachen 15/2249, 15/2605, 15/2606) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c–f) Beschlussempfehlungen des Petitions- ausschusses: Sammelübersichten 95, 96, 97 und 98 zu Petitionen (Drucksachen 15/2473, 15/2474, 15/2475, 15/2476) . . . . . . . . . . . . . . . . Zusatztagesordnungspunkt 4: Wahlvorschlag der Fraktionen der SPD, der CDU/CSU, des BÜNDNISSES 90/ 8385 B 8385 B 8385 C 8385 C 8385 D 8386 A 8386 C DIE GRÜNEN und der FDP: Wahl der Mitglieder des Parlamentarischen Bei- rates für nachhaltige Entwicklung (Drucksache 15/2586) . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 6: a) Antrag der Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Afrika auf dem Weg zu Eigenver- antwortung und Selbstbestimmung unterstützen (Drucksache 15/2478) . . . . . . . . . . . . . b) Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Hans Büttner (Ingolstadt), Reinhold Hemker, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abge- ordneten Thilo Hoppe, Hans-Christian Ströbele, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN: Unterstützung von Landreformen zur Bekämpfung der Armut und der Hungerkrise im süd- lichen Afrika (Drucksachen 15/1307, 15/1843) . . . . in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 5: Antrag der Abgeordneten Dr. Christian Ruck, Dr. Friedbert Pflüger, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion der CDU/ CSU: Eine neue Politik für Afrika süd- lich der Sahara – Afrika fordern und fördern (Drucksache 15/2574) . . . . . . . . . . . . . . . Heidemarie Wieczorek-Zeul, Bundesministerin BMZ . . . . . . . . . . . . . . . . . Markus Löning FDP . . . . . . . . . . . . . . . . Arnold Vaatz CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Uschi Eid, Parl. Staatssekretärin BMZ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ulrich Heinrich FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hans Büttner (Ingolstadt) SPD . . . . . . . . . . . Conny Mayer (Baiersbronn) CDU/CSU . . . . Karl-Theodor Freiherr von und zu Guttenberg CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 7: a) – Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Wolfgang 8386 D 8387 A 8387 A 8387 B 8387 C 8389 B 8389 D 8391 C 8393 D 8395 A 8397 B 8398 C IV Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 94. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2004 Bosbach, Dr. Norbert Röttgen, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der CDU/CSU einge- brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung der Rechte der Op- fer im Strafprozess (2. Opfer- schutzgesetz) (Drucksache 15/814) . . . . . . . . . . . – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ver- besserung der Rechte von Verletzten im Strafverfahren (Opferrechtsreformgesetz – OpferRRG) (Drucksache 15/2536) . . . . . . . . . . – Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Joachim Stünker, Hermann Bachmaier, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Ab- geordneten Jerzy Montag, Irmingard Schewe-Gerigk, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der Rechte von Verletzten im Strafverfahren (Opferrechts- reformgesetz – OpferRRG) (Drucksachen 15/1976, 15/2609) b) Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Jörg van Essen, Rainer Funke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Opferrechte stär- ken und verbessern (Drucksachen 15/936, 15/2609) . . . . . Brigitte Zypries, Bundesministerin BMJ . . . . Siegfried Kauder (Bad Dürrheim) CDU/CSU Irmingard Schewe-Gerigk BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jörg van Essen FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Joachim Stünker SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . Michaela Noll CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . Daniela Raab CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 8: Erste Beratung des vom Bundesrat ein- gebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Betreuungsrechts 8399 D 8400 A 8400 A 8400 B 8400 C 8401 C 8402 C 8404 A 8405 B 8406 D 8408 B (… Betreuungsrechtsänderungsgeset- zes – … BtÄndG) (Drucksache 15/2494) . . . . . . . . . . . . . . . Brigitte Zypries, Bundesministerin BMJ . . . . Ute Granold CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . Markus Kurth BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sibylle Laurischk FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . Sabine Bätzing SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Markus Grübel CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . Wolfgang Gerhards, Minister (Nordrhein- Westfalen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Norbert Röttgen CDU/CSU . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 9: a) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft zu dem Antrag der Abgeordneten Julia Klöckner, Uda Carmen Freia Heller, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion der CDU/CSU: Kennzeichnung allergener Stoffe in Lebensmitteln vernünftig regeln (Drucksachen 15/1227, 15/1597) . . . . b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft – zu dem Antrag der Abgeordneten Gabriele Hiller-Ohm, Sören Bartol, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abge- ordneten Ulrike Höfken, Volker Beck (Köln), weiterer Abge- ordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- NEN: Lebensmittelüberwachung effizienter gestalten – zu dem Antrag der Abgeordne- ten Ursula Heinen, Peter H. Carstensen (Nordstrand), wei- terer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Wirk- samere und breitere Lebensmit- telüberwachung und -kontrolle in Deutschland – zu dem Antrag der Abgeordneten Ursula Heinen, Julia Klöckner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Verbrau- cher aufklären und schützen – Innovation und Vielfalt in der 8409 D 8409 D 8411 A 8412 B 8413 C 8414 B 8415 D 8417 A 8418 D 8420 A Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 94. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2004 V Produktentwicklung und Wer- bung für Lebensmittel erhalten (Drucksachen 15/2339, 15/2386, 15/1789, 15/2595) . . . . . . . . . . . . . . . . in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 6: Antrag der Abgeordneten Gabriele Hiller- Ohm, Sören Bartol, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abge- ordneten Ulrike Höfken, Friedrich Ostendorff, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Nährwert- und gesundheits- bezogene Angaben auf Lebensmitteln europaweit einheitlich regeln – für mehr Verbraucherschutz und fairen Wettbewerb (Drucksache 15/2579) . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Gerald Thalheim, Parl. Staatssekretär BMVEL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ursula Heinen CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . Ulrike Höfken BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Peter H. Carstensen (Nordstrand) CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hans-Michael Goldmann FDP . . . . . . . . . . . Gabriele Hiller-Ohm SPD . . . . . . . . . . . . . . . Julia Klöckner CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . Peter H. Carstensen (Nordstrand) CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Thomas Silberhorn CDU/CSU . . . . . . . . . . . Ulrike Höfken BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 10: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Umwelt, Naturschutz und Re- aktorsicherheit zu dem Antrag der Abge- ordneten Gabriele Lösekrug-Möller, Ulrike Mehl, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion der SPD sowie der Abgeordneten Undine Kurth (Quedlinburg), Volker Beck (Köln), weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- NEN: Naturschutz geht alle an – Akzep- tanz und Integration des Naturschutzes in andere Politikfelder weiter stärken (Drucksachen 15/1318, 15/2053) . . . . . . . . Gabriele Lösekrug-Möller SPD . . . . . . . . . . . Cajus Caesar CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . 8420 A 8420 B 8420 C 8422 A 8423 B 8423 D 8425 A 8426 C 8428 C 8429 B 8430 B 8431 A 8432 B 8432 C 8434 C Undine Kurth (Quedlinburg) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Georg Schirmbeck CDU/CSU . . . . . . . . . Angelika Brunkhorst FDP . . . . . . . . . . . . . . . Gabriele Groneberg SPD . . . . . . . . . . . . . . . Josef Göppel CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 11: b) Antrag der Abgeordneten Dr. Dieter Thomae, Birgit Homburger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Abschaffung der Praxisgebüh- ren (Drucksache 15/2351) . . . . . . . . . . . . . Dr. Heinrich L. Kolb FDP . . . . . . . . . . . . . . . Erika Lotz SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wolfgang Zöller CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . Petra Selg BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . Dr. Gesine Lötzsch fraktionslos . . . . . . . . . . Klaus Kirschner SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . Michael Kauch FDP . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 12: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Errichtung des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (Drucksachen 15/2286, 15/2608) . . . . . . . Fritz Rudolf Körper, Parl. Staatssekretär BMI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beatrix Philipp CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . Silke Stokar von Neuforn BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gisela Piltz FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gerold Reichenbach SPD . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 13: a) Unterrichtung durch die Bundesre- gierung: Waldzustandsbericht 2003 – Ergebnisse des forstlichen Um- weltmonitorings – (Drucksache 15/2210) . . . . . . . . . . . . . b) Große Anfrage der Abgeordneten Georg Schirmbeck, Peter H. Carstensen (Nordstrand), weiterer Ab- geordneter und der Fraktion der CDU/ CSU: Zukunft der Forstwirtschaft (Drucksachen 15/1640, 15/2398) . . . . 8436 A 8436 D 8438 A 8439 B 8440 D 8441 D 8441 D 8443 A 8443 D 8445 D 8447 B 8448 A 8448 D 8449 D 8450 A 8450 D 8452 D 8453 C 8454 C 8456 A 8456 B VI Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 94. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2004 c) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Christel Happach-Kasan, Hans-Michael Goldmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Rahmenbedin- gungen für Waldbesitzer und mittel- ständische Holzwirtschaft verbes- sern – Eigentumsrechte stärken (Drucksachen 15/941, 15/2060) . . . . . Gabriele Hiller-Ohm SPD . . . . . . . . . . . . . . . Georg Schirmbeck CDU/CSU . . . . . . . . . . . . Matthias Berninger, Parl. Staatssekretär BMVEL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Christel Happach-Kasan FDP . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 14: Bericht des Ausschusses für Bildung, For- schung und Technikfolgenabschätzung gemäß § 56 a der Geschäftsordnung: Technikfolgenabschätzung – hier: Mo- nitoring – „Gesundheitliche und ökolo- gische Aspekte bei mobiler Telekom- munikation und Sendeanlagen – wissenschaftlicher Diskurs, regulatori- sche Erfordernisse und öffentliche Debatte“ (Drucksache 15/1403) . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 15: Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Elften Gesetzes zur Änderung des Außenwirt- schaftsgesetzes (AWG) und der Außen- wirtschaftsverordnung (AWV) (Drucksache 15/2537) . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 16: Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Begleitregelungen zur Einführung des digitalen Kontrollge- räts zur Kontrolle der Lenk- und Ruhe- zeiten (Kontrollgerätebegleitgesetz – KontrGerätBeglG) (Drucksache 15/2538) . . . . . . . . . . . . . . . . Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 8456 B 8456 C 8458 C 8461 A 8462 B 8463 D 8464 A 8464 C 8464 C 8465 A Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Rechte der Opfer im Strafprozess (2. Opferschutzgesetz) – Entwurf eines Gesetzes zur Verbesse- rung der Rechte von Verletzten im Strafverfahren (Opferrechtsreformge- setz – OpferRRG) – Bericht: Opferrechte stärken und ver- bessern (Tagesordnungspunkt 7 a und b) Petra Pau fraktionslos . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Berichts: Technikfolgenabschätzung; hier Monitoring „Gesundheitliche und ökologische Aspekte bei mobiler Telekom- munikation und Sendeanlagen – wissen- schaftlicher Diskurs, regulatorische Erfor- dernisse und öffentliche Debatte“ (Tagesordnungspunkt 14) Renate Jäger SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land) CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Holger Haibach CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . Dr. Antje Vogel-Sperl BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Michael Kauch FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Elften Gesetzes zur Änderung des Außenwirtschaftsgesetzes (AWG) und der Außenwirtschaftsverord- nung (AWV) (Tagesordnungspunkt 15) Christian Müller (Zittau) SPD . . . . . . . . . . . Erich G. Fritz CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . Christian Schmidt (Fürth) CDU/CSU . . . . . . Alexander Bonde BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gudrun Kopp FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Ditmar Staffelt, Parl. Staatssekretär BMWA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über Begleit- 8465 B 8466 A 8467 D 8468 D 8469 C 8471 A 8471 D 8472 B 8474 A 8475 A 8475 D 8476 B Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 94. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2004 VII regelungen zur Einführung des digitalen Kontrollgeräts zur Kontrolle der Lenk- und Ruhezeiten (Kontrollgerätebegleitge- setz – KontrGerätBeglG) (Tagesordnungs- punkt 16) Uwe Beckmeyer SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Volkmar Uwe Vogel CDU/CSU . . . . . . . . . . . Klaus Hofbauer CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . Peter Hettlich BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Horst Friedrich (Bayreuth) FDP . . . . . . . . . Angelika Mertens, Parl. Staatssekretärin BMVBW . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8477 B 8478 A 8479 A 8479 D 8480 D 8481 B Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 94. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2004 8331 (A) (C) (B) (D) 94. Sit Berlin, Donnerstag Beginn: 9
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    2) Anlage 5 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 94. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2004 8465 (A) (C) (B) (D) Während der Verletzte in der Vergangenheit als Zeuge oft nur Objekt des Strafverfahrens war, besteht heute keitsrechte des Opfers besteht. Die Bundesregierung hatte hier die Prüfung des Vorschlages zugesagt. Bundestag, dass wir heute zur Abstimmung kommen. nicht unerheblichen Beeinträchtigung der Persönlich- Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung: – Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Rechte der Opfer im Strafprozess (2. Opfer- schutzgesetz) – Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Rechte von Verletzten im Strafverfahren (Opferrechtsreformgesetz – OpferRRG) – Bericht: Opferrechte stärken und verbes- sern (Tagesordnungspunkte 7a und b) Petra Pau (fraktionslos): Zunächst: Obwohl die Stel- lung des Opfers im Strafverfahren in den letzten Jahren eine Aufwertung erfahren hat, gibt es weder in der Rechtspolitik, der Rechtspraxis noch in der Rechtswis- senschaft Zweifel daran, dass der Opferschutz weiter ausgebaut werden muss. Deshalb begrüßt die PDS im Abgeordnete(r) entschuldigt biseinschließlich Andres, Gerd SPD 04.03.2004 Beck (Bremen), Marieluise BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 04.03.2004 Deligöz, Ekin BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 04.03.2004 Flach, Ulrike FDP 04.03.2004 Hartnagel, Anke SPD 04.03.2004 Hoppe, Thilo BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 04.03.2004 Lanzinger, Barbara CDU/CSU 04.03.2004 Lehder, Christine SPD 04.03.2004 Röspel, René SPD 04.03.2004 Rupprecht (Weiden), Albert CDU/CSU 04.03.2004 Dr. Stadler, Max FDP 04.03.2004 Zapf, Uta SPD 04.03.2004 Anlagen zum Stenografischen Bericht weitgehend Einigkeit darüber, dass nicht zuletzt die Menschenwürde des Verletzten es gebietet, ihn einerseits vor zu großen Belastungen im Strafverfahren zu schüt- zen und ihn andererseits in die Lage zu versetzen, seine eigenen Interessen aktiv in das Prozessgeschehen einzu- bringen. Das Opferschutzgesetz von 1987 und das Zeugen- schutzgesetz von 1998 und die Regelungen zum Täter- Opfer-Ausgleich, TOA, waren erste Schritte in diese Richtung. Die Praxis hat allerdings gezeigt, dass die ent- sprechenden Vorschriften in vielen Fällen noch nicht ausreichen, sodass Verbesserungen und Ergänzungen er- forderlich sind, um dem gewollten Ziel näher zu kommen. Deshalb wird es Zeit, dass wir heute abstimmen und der in der Anhörung ausgebrochene Streit um Urheber- rechte, statt um Lösungen beendet wird. Auch der Weiße Ring, die Opferschutzorganisation, begrüßt diesen Gesetzentwurf und fordert eine schnelle Umsetzung der geplanten Maßnahmen. In ihrer Stellung- nahme dazu heißt es: Der Entwurf des Opferrechtsre- formgesetzes der Bundesregierung beinhaltet zahlreiche Forderungen des Weißen Rings, darunter auch die Aus- weitung der Inanspruchnahme des Opferanwaltes auf Staatskosten. Künftig kann er auch von den Angehöri- gen eines getöteten Opfers beantragt werden. Für Opfer von Straftaten ist eine zügige Schadenswiedergutma- chung als Teil der Verarbeitung des Geschehens beson- ders hilfreich. Wurden sie bislang fast immer auf den Zi- vilklageweg verwiesen und hatten damit nach dem Strafprozess ein zweites meist ebenso belastendes Ver- fahren durchzustehen, dürfte dies in vielen Fällen künf- tig nicht mehr nötig sein. Durch vermehrte Anwendung des so genannten Adhäsionsverfahrens können zivil- rechtliche Ansprüche aus der Straftat bereits im Rahmen des Strafverfahrens festgestellt und zugesprochen werden. Auch das vorgesehene Anwesenheitsrecht von Ver- trauenspersonen bei Zeugenvernehmungen, die Auf- zeichnung auf Tonträger zur Vermeidung wiederholter Vernehmungen sowie der vom Schutzgedanken für das Opfer geprägte Ausbau der Videovernehmung von Opferzeugen in der Hauptverhandlung sind eindeutige Fortschritte beim Opferschutz. Dazu zählt weiterhin die bessere Information des Verletzten über seine Rechte im Strafverfahren, auf die er künftig Anspruch hat und die ihm nicht wie bisher lediglich gegeben werden können. Insbesondere für Opfer von Sexual- und Gewaltstrafta- ten ist es von besonderem Interesse, etwas über Dauer der Haft, Entlassung oder Vollzugslockerungen zu erfah- ren, um sich auf eine eventuelle Begegnung mit dem Tä- ter einstellen zu können. Allerdings gibt es auch noch ei- nige Fragen, welche zügig geklärt werden müssen: Unklar ist noch, ob – wie die Länderkammer verlangt – überhaupt keine Kopien von audiovisuellen Aufzeich- nungen herausgegeben werden, da hier die Gefahr einer 8466 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 94. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2004 (A) (C) (B) (D) Das angestrebte Ziel, dass die Opfer von Straftaten nicht ein zweites Mal zu einem Opfer vor Gericht wer- den und eine schnelle Wiedergutmachung ihrer Schäden erhalten, ist ohne Abstriche begrüßenswert. Inwieweit die vorgeschlagenen Maßnahmen greifen, wird sich zei- gen müssen. Da sich zum Beispiel bei dem Gesetz von 1986 Um- setzungsprobleme gezeigt haben, sollte man eine Be- gleituntersuchung über die Wahrnehmung und tatsächli- che Wirkung der vorgeschlagenen Maßnahmen durchführen. Denn gut gemeint ist nicht immer gut ge- macht. Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Berichts: Technikfolgenab- schätzung; hier: Monitoring – „Gesundheitliche und ökologische Aspekte bei mobiler Telekom- munikation und Sendeanlagen – wissenschaftli- cher Diskurs, regulatorische Erfordernisse und öffentliche Debatte“ (Tagesordnungspunkt 14) Renate Jäger (SPD): Der heute zu diskutierende Bericht ist ein Beitrag zum gesellschaftlichen Diskurs über die elektromagnetische Verträglichkeit der Umwelt. Dieser Diskurs wird leider oft sehr emotionalisiert ge- führt. Er ist oft von Unwissenheit, Einseitigkeit und Wi- dersprüchlichkeiten geprägt. Manch ein Konflikt könnte durch bessere Information und Transparenz vermieden werden. Dieser Bericht ist dazu ein wesentlicher Beitrag. Er hat das Ziel, Politik, Netzbetreiber und regulierende Instanzen zu einem konstruktiven Umgang mit den po- tenziellen Risiken des Mobilfunks zusammenzuführen, und er liefert eine gute Grundlage für die weitere Befas- sung des Parlaments mit dieser Thematik. Lassen Sie mich kurz auf die wissenschaftlichen Grundlagen und Erkenntnisse eingehen: Mobilfunk funktioniert auf der Grundlage von so genannten hoch- frequenten elektromagnetischen Feldern. In unserem all- täglichen Umfeld – das wissen wir alle –, ob im Haus- halt, im Beruf oder im Freien, sind wir ständig elektromagnetischen Feldern, EMF, ausgesetzt, den na- türlichen wie Sonne, Gewittern oder Erdmagnetismus und den technisch erzeugten wie zum Beispiel durch Hochspannungsleitungen, diverse Elektrogeräte im Haushalt, medizinische Geräte und vieles andere mehr. Die vom Menschen erzeugten EMF werden auch oft als „Elektrosmog“ bezeichnet. Da die Zellregulationen beim Menschen zu großen Teilen auf elektromagne- tischen Impulsen basieren, können elektromagnetische Einwirkungen von außen auch Einfluss auf die Zell- regulationen haben. Diese Annahme führte zu circa 20 000 wissenschaftlichen Studien, die gemacht worden sind an Zellpopulationen, an Tieren sowie an Menschen und die die verschiedensten Aspekte betreffen wie zum Beispiel den Kalziumtransport, da Kalzium eine wich- tige Rolle bei der Funktion von Neuronen und anderen Zellen spielt, die Erkenntnisfunktionen des Gehirns, Ge- dächtnis- und Lernfähigkeit, Blut-Hirn-Schranke, Herz- Kreislauf-System, Fortpflanzung und Krebsgefährdung um nur einige zu nennen. Zwar konnten in der Mehrzahl der Studien messbare biologische Effekte nachgewiesen werden. Es wurde je- doch kein eindeutiger Nachweis auf negative gesund- heitliche Folgen erbracht. Leider wurden und werden diese beiden Sachverhal- te – der Nachweis biologischer Wirkungen einerseits und der nicht erbrachte Nachweis gesundheitlicher Aus- wirkungen andererseits – in der öffentlichen Debatte nicht getrennt. Sie werden ständig vermischt und aus der Vermischung von beidem resultiert ein Großteil der Ver- unsicherung. Ein gesundheitliches Risiko ist messbar nachgewie- sen: der so genannte thermische Effekt beim Handy bei einem SAR-Wert von 4 Watt pro Kilogramm. Zur Erläu- terung: Der SAR-Wert ist der Wert für die Energieab- sorption im Körper. Der thermische Effekt besagt, dass sich beim Telefonieren mit dem Handy das umliegende Gewebe erwärmt, gegebenenfalls auch die nahe am Ohr liegenden Teile des Gehirns. Auf diese nachgewiesenen thermischen Effekte bezog sich die Internationale Strahlenschutzkommission bei ih- rer Grenzwertempfehlung. Beim Handy beträgt dieser Wert 2 Watt pro Kilogramm, was zu einer Temperaturer- höhung von maximal 0,1 Grad Celsius im Gewebe führt. Bei dieser Temperaturerhöhung sind keinerlei schädi- gende Wirkungen nachgewiesen. Wissenschaftlich nicht geklärt sind die gesundheitli- chen Auswirkungen der so genannten athermischen Ef- fekte, die nicht zu einer Temperaturerhöhung im menschlichen Körper führen, aber messbare biologische Effekte zeigen. Inwieweit Migräne, Kopfschmerzen, Schlaf- und Konzentrationsstörungen in Zusammenhang mit den athermischen Effekten der EMF gebracht werden kön- nen, sagen die Forschungsergebnisse nicht eindeutig aus. Da die athermischen Effekte im Zusammenhang zu se- hen sind mit den elektromagnetischen Prozessen im menschlichen Körper, ist zu vermuten, dass manche Menschen sensibler als andere auf EMF reagieren kön- nen. In wissenschaftlichen Studien wird – zwar nicht nach- gewiesen – in Schweden „Elektrosensibilität“ als Krank- heit anerkannt und mit speziellen Gesundheitsvorsorge- maßnahmen verbunden. Insgesamt ist bezogen auf die Ergebnisse der Studien festzustellen, dass der derzeitige Wissensstand nicht zufriedenstellend ist und eine ein- heitliche Risikobewertung nicht vorgenommen werden kann. Insbesondere sind die Langzeitwirkungen nicht ausreichend erforscht. Das ist wahrscheinlich auch der Grund dafür, dass es hinsichtlich der Grenzwerte von EMF keine verbind- lichen Regelungen innerhalb der EU gibt. Es gibt emp- fohlene Grenzwerte und die Mitteilung der EU-Kommis- sion an die Mitgliedstaaten, nach dem Vorsorgeprinzip zu handeln. Solange keine wissenschaftliche Klarheit Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 94. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2004 8467 (A) (C) (B) (D) herrscht, können gesundheitliche Auswirkungen auch nicht ausgeschlossen werden. Da muss begründbare Vor- sorge stattfinden. Meine Betonung liegt hier auf begründbar. Demgemäß können die Mitgliedstaaten niedrigere Grenzwerte festlegen, was die meisten auch gemacht haben. Interessant sind in diesem Zusammenhang der im Be- richt enthaltene Ländervergleich und die unterschiedli- chen Herangehensweisen. Beispielsweise liegen in der Schweiz die Grenzwerte so niedrig, dass für das Telefo- nieren größere Empfangslücken bestehen, und trotzdem fordern Protestgruppen eine weitere Absenkung der Grenzwerte. Diese Erfahrung lehrt auch: Viel Vorsorge bedeutet nicht weniger Forderungen der Mobilfunkgegner. In Deutschland liegen die EMF im öffentlichen Raum weit unter den Grenzwertempfehlungen, auch die Emis- sionen der Mobilfunkgeräte. Bei Einhaltung der Sicher- heitsabstände von Mobilfunksendestationen sind auch thermische Wirkungen ausgeschlossen. Insgesamt sind nach derzeitigem Wissensstand bei Einhaltung der Grenzwerte keine gesundheitlichen Risiken zu erwarten. Uneinig ist man noch darüber, inwieweit bei dem Vor- sorgeprinzip die Langzeitexpositionen ausreichend be- rücksichtigt werden. Was die Risikobewertung in der öffentlichen Debatte angeht, gibt es ein großes Kuriosum: Das Mobiltelefon ist in der Bevölkerung voll akzeptiert, obwohl es in der Wissenschaft einen großen Konsens darüber gibt, dass die durch Mobiltelefone erzeugten EMF in ihrer Stärke und Auswirkung weit über denen von Sendeanlagen lie- gen, je nach Entfernung das Hundert- bis Zehntausend- fache über den Werten der Sendeanlagen. Die Proteste richten sich aber hauptsächlich gegen Sendeanlagen, die das mobile Telefonieren überhaupt erst ermöglichen. Davon ausgehend ist nicht zu erwarten, dass von Laien- protesten sachlich begründete Forderungen ausgehen. Gerade diese Tatsache erfordert von Netzbetreibern, Politik und regulierenden Instanzen, den Bürgern und den Kommunen weitestgehende Informationen zukom- men zu lassen. Sorgen und Ängste in der Bevölkerung müssen dabei ernst genommen werden und es muss ein offener Dialog auf sachlicher Basis geführt werden. Dazu benötigen alle Beteiligten Kenntnisse über den neuesten wissenschaftli- chen Sachstand als Grundlage für ihre eigene Risikobe- wertung. Insgesamt ist in Richtung Information und Vertrau- ensbildung einiges auf den Weg gebracht worden. Es gab zunächst die Vereinbarung der Betreiber mit den kom- munalen Spitzenverbänden zum Informationsaustausch und dann durch die Bundesregierung initiiert die Selbst- verpflichtung der Mobilfunknetzbetreiber zur Verbesse- rung von Sicherheit und Bürgerbeteiligung. Im Nach- gang existieren bereits zwei Monitoring-Berichte über die Erfüllung dieser Selbstverpflichtung. Die Bundesre- gierung hat über das Bundesamt für Strahlenschutz das Deutsche Forschungsprogramm Mobilfunk aufgelegt, in dem weitere Forschungsvorhaben aus den Bereichen Biologie, Dosimetrie, Epidemiologie, Elektrosensibili- tät und Risikokommunikation durchgeführt werden. Au- ßerdem ist durch die Regulierungsbehörde für Telekom- munikation und Post eine Standortdatenbank für die Kommunen eingerichtet worden. Das Bundesumweltministerium ist in Gesprächen mit Netzbetreibern und Herstellern über ein besonders um- weltfreundliches Handy – mit einem SAR-Wert von un- ter 0,6 Watt pro Kilogramm –, das das Label „Blauer En- gel“ erhalten soll. Bisher verweigern sich die Hersteller, weil sie für ein Qualitätssiegel auch andere Parameter berücksichtigt haben wollen. Vielleicht sollte man die Bewertungskriterien erneut diskutieren, um endlich zu einer Lösung zu kommen. Eine wesentliche vertrauensbildende Maßnahme sind die Messaktionen durch die Regulierungsbehörde für Te- lekommunikation und Post, bei denen keine Überschrei- tungen der Grenzwerte festgestellt wurden. Häufig wur- den die Grenzwerte um mehr als das Tausendfache unterschritten. Informationspolitik in diesem Bereich kann nicht nur einseitig betrieben werden. Auch die Kommunen müssen ihre Kompetenzen bezüglich der Mobilfunktechnik stär- ken, um einen sachgerechten Dialog führen zu können. Was könnte bzw. was müsste getan werden? Wenn die WHO in diesem Jahr ihre internationale Studie zu dieser Thematik vorlegt, könnte eine erneute Diskussion über Grenzwerte erforderlich werden. Das Parlament könnte in bestimmten Abständen einen Bericht über den Fort- gang der EMVU-Debatte initiieren. Eine koordinierte Forschungsplattform „Mobilfunk und Gesundheit“ könnte eingerichtet werden. Eine Reduzierung der Mo- bilfunkstandorte kann erreicht werden, indem ein Stand- ort durch mehrere Funkdienste genutzt wird. Die Mehr- fachnutzung sollte weiter forciert werden bei neu zu errichtenden Sendeanlagen für die UMTS-Technik. Abschließend sei gesagt: Ziel der Debatte um die Ver- träglichkeit der durch Mobilfunk geschaffenen EMF muss sein, zuallererst gesundheitliche Risiken für die Menschen auszuschließen. In diesem Prozess muss aber auch der Konflikt zwischen sachlicher Risikobewertung und dem empfundenen Risiko entschärft werden durch plausible und begründete Vorsorge auf der Basis weite- rer wissenschaftlicher Erkenntnisse sowie einer breiten Öffentlichkeitsarbeit. Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land) (CDU/CSU): Im- mer wieder erleben wir in unseren Wahlkreisen aufge- regte Debatten um die Risiken von Mobilfunk. Anlass ist zumeist die geplante Aufstellung eines Mobilfunkmas- tes. Wir nehmen diese Sorgen und Ängste der Bürgerin- nen und Bürger, die in den Debatten geäußert werden, sehr ernst. Deshalb hat der Deutsche Bundestag eine Studie beim Büro für Technikfolgenabschätzung zur nä- heren Untersuchung verschiedener Fragen im Zusam- menhang mit mobiler Telekommunikation in Auftrag ge- geben. Der Titel der Studie: „Gesundheitliche und ökologische Aspekte bei mobiler Telekommunikation und Sendeanlagen“ verspricht dann allerdings mehr, als die Studie tatsächlich enthält. 8468 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 94. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2004 (A) (C) (B) (D) Denn es geht in der Studie nicht etwa um eine ausge- wogene Betrachtung verschiedener positiver und negati- ver Aspekte der mobilen Telekommunikation. Nein, das Büro für Technikfolgenabschätzung beschränkt seine Untersuchung auf die umfassende Zusammenstellung der vorhandenen Information zu den gesundheitlichen und ökologischen Risiken mobiler Telekommunikation. Auf 100 Seiten werden die wissenschaftliche Suche nach Risiken des Mobilfunks, die Reaktion der Men- schen auf die Konfrontation mit vermeintlichen Risiken des Mobilfunks und einige gesundheitlich-ökologische Regelungen für mobile Telekommunikation dargestellt. Die Studie schließt mit einigen Schlussfolgerungen und Empfehlungen der Autoren für die Gestaltung einer wei- teren öffentlichen Diskussion über vermeintliche Risi- ken und notwendigen Regulierungen im Bereich mobiler Telekommunikation in Deutschland. In der Studie wird zum Beispiel darauf hingewiesen, dass Herzschrittmacher älterer Bauart Störungen aufwei- sen können, wenn ihm Handys näher als 25 Zentimeter kommen. Was nicht erwähnt wird, das sind zum Beispiel die ge- sundheitlich fördernde beruhigende Wirkung von intelli- genten Herzschrittmachern, die kontinuierlich Gesund- heitsdaten an den zuständigen Arzt übermitteln und im Notfall sogar selbstständig eine SMS an die Rettungs- stelle oder zum Arzt schicken. Das sind Innovationen. Das sind positive Auswirkungen, die nicht unter den Teppich gekehrt werden sollten. Auch auf andere Chancen und positive Auswirkungen mobiler Telekommunikation geht die Studie nicht näher ein. Ausgeblendet werden nicht nur positive gesundheit- liche Wirkungen des mobilen Telefonierens, etwa durch die Sicherheit ständiger Erreichbarkeit, durch vermehrte und deutlich weniger aufwendige Kommunikation. Ret- tungskräfte können einfacher und schneller gerufen wer- den und sind in der Regel früher vor Ort. Es wird auch nicht weiter eingegangen auf positive Strahlungsauswirkungen auf die Wahrnehmungsfähigkeit und Denkleistung des Menschen beim mobilen Telefonie- ren, die in Versuchen durch verbesserte Reaktionszeiten von strahlungsexponierten Menschen nachgewiesen wur- den. Dennoch erscheinen die Ergebnisse der Studie mit Blick auf die öffentliche Debatte über vermeintliche Ri- siken mobiler Telekommunikation sehr wertvoll. Sie las- sen sich einfach, kurz und bündig zusammenfassen: Erstens. Negative gesundheitliche Beeinträchtigungen – das heißt gesundheitliche Schädigungen – durch die Strahlungen bei mobilem Telefonieren mit heutigem Standard in Deutschland konnten nicht nachgewiesen werden. Zweitens. Die in diesem Zusammenhang bestehenden Grenzwerte sind unter gesundheitlichen Aspekten aus- reichend, es besteht kein gesetzgeberischer bzw. sonsti- ger Handlungsbedarf. Dies hat übrigens das Bundesver- fassungsgericht in seinem Urteil aus dem Jahr 2002 bereits festgehalten. Mit diesem eindeutigen Ergebnis, das die Erkennt- nisse aus über 20 000 Publikationen zu diesem Themen- bereich berücksichtigt, könnte das Kapitel Schädigungen durch Mobilfunkanlagen und Handys geschlossen wer- den. Allerdings ist es schon erkenntnistheoretisch un- möglich, potenzielle Gefährdungen völlig auszuschließen. Das gilt auch für die Strahlung von Handys und Sen- demasten und liegt einfach daran, dass niemals alle theo- retisch möglichen bzw. denkbaren Schadenswirkungen untersucht werden können. Wir müssen uns immer zwangsweise auf diejenigen Gefährdungen beschränken, die wir untersuchen und beobachten können. Dass bis- lang beim Mobilfunk keine solchen negativen Wirkun- gen beobachtet wurden, könnte seine Ursache darin ha- ben, dass bislang nur noch nicht richtig gesucht wurde, oder darin, dass solche Wirkungen nicht existieren. Auch wenn exzessive Mobilfunknutzer nicht scharen- weise in Krankenhäusern oder auf dem Sterbebett lie- gen, lässt sich eine Gefährdung niemals ausschließen, ebenso wenig wie es sich ausschließen lässt, dass Fern- sehen dumm macht, die Blähungen von Kühen die At- mosphäre erwärmen oder Mehrweg ökologisch besser sein könnte als Einweg. Solange keine neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse die derzeit in Deutschland bestehenden Grenzwerte und sonstigen Auflagen für die Strahlung von Mobilfunkan- tennen und Mobiltelefonen als unzureichend ausweisen, sollte die weitere Entwicklung mobiler Telekommunika- tion – wie derzeit zum Beispiel die Einführung der UMTS-Technik – nicht mit Debatten und öffentlichen Diskursen über Phantomrisiken belastet werden. Wir ha- ben mittlerweile so viele handfeste große Probleme in Deutschland, die dringend gelöst werden müssen, wie zum Beispiel die zunehmende Arbeitslosigkeit, das Ge- sundheits- und Rentenchaos. Der Bundestag sollte sich dann wieder mit dem Thema befassen, wenn neue wissenschaftliche Erkennt- nisse Schädigungen tatsächlich belegen können. Es ist unsere zentrale Aufgabe, die Entwicklung zukunftsfähi- ger Technologien und die Anwendung dieser Techniken zu fördern. Wir wollen Chancen ergreifen und damit den Wohlstand im Lande mehren und uns nicht durch Risi- kodiskussionen selbst blockieren. Ich schließe meine Rede mit einem Ausspruch von Erich Kästner: „Wird’s besser – wird’s schlimmer – fragt man alljährlich – seien wir ehrlich – leben ist immer – lebensgefährlich“. Holger Haibach (CDU/CSU): Der vorliegende Be- richt über das Mobilfunkmonitoring ist vor allem und zu allererst eine wissenschaftliche Fleißarbeit. Insofern ein herzlicher Dank an die Ersteller dieses Berichts. Betrachtet man nun allerdings den Inhalt des Berichts, so kommt man zu einer zugegebenermaßen überspitzt formulierten, nichtsdestoweniger erstaunlichen Er- kenntnis: Man weiß, dass man nichts weiß, zumindest nichts Genaues und Sicheres. Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 94. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2004 8469 (A) (C) (B) (D) Die Zahl von mehr als 20 000 Untersuchungen zu den Auswirkungen des Mobilfunks auf Menschen, Tiere und Umwelt belegt jedoch, wie groß das Interesse an Sicher- heit bei diesem Thema ist. Objektiv lässt sich allerdings feststellen, dass eine wie auch immer geartete Schädi- gung durch Mobiltelefone und Anlagen bisher nicht ein- wandfrei bewiesen werden kann. Dies soll allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass es ein subjektives Bedrohungsgefühl in Teilen der Bevölkerung gibt; auch dies zeigt der Bericht deutlich auf. Bemerkenswert ist hierbei, dass die subjektiv emp- fundene Bedrohung nicht etwa von den zumeist direkt am Körper getragenen Mobiltelefonen, sondern von den Mobilfunkmasten ausgeht. Die Schizophrenie der öffent- lichen Debatte wird spätestens dann deutlich, wenn man bedenkt, dass zwar niemand einen Mobilfunkmast direkt in seiner Nähe sehen will, andererseits die Zahl der Han- dybesitzer in Deutschland von Jahr zu Jahr steigt und in- zwischen die Zahl von 50 Millionen überschritten hat. Diese Ängste in der Bevölkerung sind vielfach auf Unwissenheit und mangelnde Aufklärung zurückzufüh- ren. Es ist somit auch unsere Aufgabe, die Debatte über mögliche Gefahren von Mobilfunkanlagen zu versachli- chen und die Menschen zu informieren. Dies ist für meine Fraktion ein wesentliches Ergebnis dieser Unter- suchung. Dem entspricht die Empfehlung des Berichts, dass gerade bei Mobilfunkanlagen eine „transparente Ri- siko-Nutzen-Analyse“ durchzuführen ist. Nochmals: Sachliche Diskussion und nicht das Schüren von Ängs- ten muss hier die Devise sein. Dies gilt auch für den Bereich der Diskussion um Re- gelungen und Grenzwerte, wenn es um die Frage der Abstrahlung von Mobilfunkanlagen geht. Wer geglaubt hätte, eine möglichst strenge Regulierung bis ins letzte Detail hinein führe automatisch zu einer Beruhigung der Gemüter und damit zu einem vernünftigen Umgang in der Mobilfunkdebatte, der sieht sich heute getäuscht. Denn der vorliegende Bericht stellt eindeutig fest, dass in den Ländern, in denen die höchste Regulierungsdichte beim Mobilfunk herrscht, die öffentliche Diskussion und die Emotionalisierung der Debatte am stärksten ist. Dies sollte uns allen – und im Besonderen der Bundesregie- rung – eine Warnung auch für andere Politikbereiche sein. Wesentlich vielversprechender sind da doch die frei- willigen Initiativen, die seitens der Kommunen und der Mobilfunkbetreiber unternommen wurden, um einen Wildwuchs von Masten und damit eine über das notwen- dige Maß hinausgehende Belastung der Bevölkerung durch Elektrosmog zu verhindern. Die Errichtung von Mobilfunkkatastern und der Versuch, über einen Mast mehrere Mobilfunknetze zu betreiben, haben gerade in städtischen Bereichen erste Erfolge gezeigt. Immerhin werden von etwa 35 Prozent aller Masten inzwischen zwei oder mehr Netze angesteuert; diesen Trend gilt es zu stärken und zu unterstützen. Wenn insgesamt bei den Netzbetreibern positive Zei- chen zu beobachten sind, so muss auch andererseits deutlich gemacht werden, dass die Handyhersteller mit ihrer Weigerung, Strahlungswerte auf ihren Handys an- zugeben, der Sache Mobilfunk keinen Gefallen tun. Anliegen der CDU/CSU-Fraktion ist es, die Debatte über den Mobilfunk zu entideologisieren. Es geht hier weder um die unkontrollierte Abstrahlung von Sende- leistung noch um das Verbot und die Rückkehr in die kommunikationstechnische Steinzeit. Vielmehr muss der Mittelweg gefunden werden, den der vorliegende Be- richt des TA-Büros wiederholt einfordert. Die Verfasser folgen damit einer Linie, die auch international von füh- renden Forschungsinstitutionen im In- und Ausland so gesehen wird. Aus diesem Grund müssen bestehende Risiken unter- sucht und abgewogen werden. Denn es ist so, wie der Bericht feststellt, dass die „wissenschaftlichen Kernfra- gen innerhalb der nächsten fünf bis zehn Jahre nicht hin- reichend beantwortet werden können.“ Aber eines ist auch richtig und wichtig und auch dies stellt der Bericht fest; zu warten, bis der absolute Beweis der Unschädlichkeit des Mobilfunks erbracht ist, kann nicht die Lösung sein. Denn Unschädlichkeit kann als negativer Tatbestand nun einmal nicht bewiesen werden. Dr. Antje Vogel-Sperl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Weltweit liegen heute mehr als 20 000 wissen- schaftliche Studien und einige Hundert Metastudien vor, die der Frage nach möglichen gesundheitlichen Auswir- kungen des Mobilfunks nachgehen. Eine klare und ein- deutige Antwort steht jedoch noch immer aus, was letzt- lich die Ursache für die Verunsicherung der Bevölkerung ist. Jeder dritte Deutsche ist besorgt wegen möglicher Gesundheitsrisiken laut einer Umfrage des Bundesum- weltministeriums. Vor diesem Hintergrund hat der Ausschuss für (Bil- dung, Forschung und Technikfolgenabschätzung im Herbst 2001 das nun vorliegende Gutachten beim Büro für Technikfolgenabschätzung in Auftrag gegeben. Ziel war es, mehr Licht in die Debatte zu bringen. Dies ist durchaus gelungen Der Bericht liegt nun vor und bietet – dafür gebührt dem TAB unser ausdrücklicher Dank – einen sehr gut strukturierten Überblick über den Stand der gesellschaftlichen Diskussion sowie über die For- schungsergebnisse und regulatorischen Ansätze auf na- tionaler und internationaler Ebene. Das Ergebnis der TAB-Wissenschaftler bezüglich der Forschungslage gibt uns leider noch keine wissenschaft- liche Klarheit. Trotz Hinweisen auf biologische Effekte durch Mobilfunkstrahlung ist eine tatsächliche Gefähr- dung der menschlichen Gesundheit bislang nicht beleg- bar. Ein Unbedenklichkeitsnachweis ist dies jedoch nicht. Die Schlussfolgerungen und Empfehlungen der TAB-Wissenschaftler sind jedoch eindeutig Sie fordern zwei grundlegende Strategien, breit angelegte Vorsorge- maßnahmen und die Anwendung des Minimierungsge- bots in allen Bereichen des Mobilfunks Durch diese Empfehlungen sehen wir Grüne uns eindeutig in unseren Forderungen unterstützt. Konkret heißt das: Wir brauchen mehr Forschung zu den gesundheitlichen Auswirkungen der Mobilfunkstrahlung, 8470 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 94. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2004 (A) (C) (B) (D) wir brauchen eine bessere Information und Aufklärung der Bevölkerung, wir brauchen mehr Bürgerbeteiligung beim Netzausbau und der Standortfindung, wir brauchen eine sachgerechte Kennzeichnung von strahlungsarmen Geräten und wir brauchen die Anwendung des Minimie- rungsgebots sowohl bei der Netzplanung, dem Gerätede- sign und bei der Nutzung der Technologie selbst. Mini- mierung heißt dabei: Wo immer Möglichkeiten bestehen, die Strahlenbelastung der Bevölkerung zu verringern, müssen diese genutzt werden! Was haben wir nun seit Abschluss der Selbstver- pflichtung im Jahr 2001 erreicht? Mit ihrem Vorsorge- programm hat die Bundesregierung ein ganzes Paket an Maßnahmen erfolgreich auf den Weg gebracht: Mit 20,5 Millionen Euro fördert derzeit die Bundesre- gierung im Zeitraum zwischen 2002 und 2005 die Erfor- schung der gesundheitlichen Auswirkungen des Mobil- funks sowie die Optimierungspotenziale bei der technischen Regulierung des Netzausbaus und die Ent- wicklung strahlungsarmer Sendemasten und Mobiltele- fone. Im vergangenen Jahr ist das Mobilfunkforschungs- programm des Umweltministeriums mit einem Volumen von 8,5 Millionen Euro zuzüglich eines Beitrags der Netzbetreiber in gleicher Höhe erfolgreich angelaufen. Auch die Information der Bevölkerung konnte durch Maßnahmen der Bundesregierung verbessert werden. Mit einer Informationskampagne bietet das Bundesamt für Strahlenschutz zielgruppenorientierte Informationen rund um das Thema Mobilfunk an, insbesondere für Kinder und Jugendliche. Gerade hier besteht auch drin- gender Handlungsbedarf, denn Kinder und Jugendliche telefonieren mehr und mehr mit Handys. Die Informa- tionsbroschüre „Mobilfunk: Wie funktioniert das eigent- lich?“, auf Initiative der grünen Bundestagsfraktion vom Bundesamt für Strahlenschutz herausgegeben, bringt verständliche Informationen über den Umgang mit Mo- biltelefonen speziell für diese Zielgruppe. Das heißt: vorsorgender Gesundheitsschutz gerade für Kinder und Jugendliche, die aufgrund ihres Alters eines besonderen Schutzes bedürfen. Genauso bietet die Infobroschüre „Deutsches Mobil- funkforschungsprogramm“ eine Fülle von Informationen über den Mobilfunk und die derzeitigen Forschungsakti- vitäten unter Leitung des BfS. Das bedeutet Zugang zu wissenschaftlichen Informationen, Transparenz und Klarheit für die Bürgerinnen. Seit Anfang dieses Jahres steht allen Bürgerinnen und Bürgern eine internetbasierte Standortdatenbank zur Verfügung gemäß der freiwillige Selbstverpflichtung und dem Koalitionsvertrag. Diese Datenbank bietet so- wohl Informationen zu allen Mobilfunksenderstandorten in Deutschland als auch zu den umfangreichen Strahlen- messprogrammen, die Bund und Länder in den vergan- genen Jahren durchgeführt haben. Das bedeutet einen weiteren wesentlichen Fortschritt zu mehr Transparenz. Angesichts der noch offenen Fragen und derzeit nicht endgültig ausgeräumten Bedenken bezüglich der ge- sundheitlichen Auswirkungen des Mobilfunks müssen wir diesen Kurs der Vorsorge und Strahlenminimierung konsequent weitergehen. Doch das heißt auch, dass die Netzbetreiber und Handyhersteller ihren Beitrag leisten müssen. Und da gibt uns sowohl der Bericht der TAB- Wissenschaftler als auch das seit dieser Woche vorlie- gende zweite Jahresgutachten zur Umsetzung der Selbst- verpflichtung deutliche Hinweise auf bestehende Defi- zite. Auch wenn sich die Kommunikation zwischen Netz- betreibern und den Kommunen erkennbar verbessert hat, die Information und Einbindung der Bürgerinnen und Bürger durch Netzbetreiber und Kommunen ist nach wie vor mangelhaft. Aber genau diese Einbeziehung ist not- wendig, um Akzeptanz in der Bevölkerung, Transparenz für die Betroffenen im Sinne des vorsorgenden Verbrau- cherschutzes und auch Planungssicherheit für die Netz- betreiber zu erzielen. Diese frühzeitige Einbindung ist unerlässlich zum Nutzen für alle Akteure. Betreiber und Kommunen müssen frühzeitig auf betroffene Bürger zu- gehen und nicht erst warten, bis das Kind in den Brun- nen gefallen ist und ein Konflikt um bestimmte Stand- orte ausgebrochen ist. Die Verfahren zur Standortfindung und auch zur Ein- bindung der Bürger sind zudem in jeder Kommune un- terschiedlich. Viele kleinere Gemeinden sind hier zudem überfordert. Hier vermeiden einheitliche Verfahren so- wohl gesellschaftliche Konflikte als auch Kosten und Aufwand der Betreiber. Notwendig ist also sowohl ein Leitfaden als auch ein Katalog mit Best-Practice-Bei- spielen, um den Kommunen nützliche Hilfestellungen anzubieten. Beides bringt Transparenz und Effizienz. Wir Grüne fordern dies seit Beginn dieser Legislaturpe- riode. Noch immer fehlt eine vorsorgeorientierte Kenn- zeichnung von Mobilfunkgeräten. Ein Warnhinweis für Jugendliche unter 16 Jahren ist dabei genauso erforder- lich wie die Kennzeichnung strahlungsarmer Geräte. Beides fordern wir mit Nachdruck im Sinne des Vorsor- geprinzips. Und wenn eine Anpassung der Kriterien des seit 2002 vorliegenden „Blauen Engels“ notwendig ist, dann sind die Hersteller aufgefordert, der Jury Umwelt- zeichen hierfür praktikable Vorschläge vorzulegen, an- statt sich der Anwendung des „Blauen Engels“ zu ver- weigern. Das Argument, das Bewerben von Handys aufgrund ihrer strahlungsarmen Eigenschaften – wie es zum Beispiel ein Schweizer Hersteller ganz offensiv be- treibt – stelle ein Handelshindernis auf einem globalen Markt dar, ist nicht überzeugend. Das zweite Jahresgutachten zur freiwilligen Selbst- verpflichtung hat zudem große Defizite hinsichtlich der Kenntnisse des Verkaufspersonals über den SAR-Wert der angebotenen Mobilfunktelefone und dessen Veröf- fentlichung in der jeweiligen Bedienungsanleitung offen gelegt. Weiterhin gibt es vielfältige Möglichkeiten, die Strah- lungsbelastung der Bevölkerung auf ein Minimum zu re- duzieren. Das betrifft sowohl die technische Gestaltung der Telefone und Sendemasten als auch planerische Maßnahmen bei der kommunalen Standortplanung. Her- steller, Betreiber und Kommunen müssen diese Mög- lichkeiten nur konsequent anwenden. Und das – so Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 94. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2004 8471 (A) (C) (B) (D) bestätigen es auch die Forschungsberichte – ist heute noch nicht der Fall. Im Übrigen ist gerade auch hier eine innovative Industrie gefragt, entsprechende Produkte ge- mäß dem Minimierungsprinzip zu entwickeln. Das ist gut für den Verbraucher und für die Erschließung neuer Märkte. Wir Grüne haben immer eine Absenkung der Grenz- werte und verbindliche Regeln im Bereich Mobilfunk angestrebt und wollen dies auch weiterhin. Klar ist, wenn der Weg der Selbstverpflichtung weiter begangen werden soll, muss der Ansatz der Vorsorge konsequent umgesetzt werden. Hier sind vor allem die Hersteller und Netzbetreiber aufgefordert, ihren Teil des Beitrags ernsthafter zu erfüllen. Sollte dies nicht erfolgen, müssen wir gemeinsam über dann notwendige gesetzgeberische Maßnahmen nachdenken. Michael Kauch (FDP): Wir Liberalen befürworten die Mobilfunktechnik als Teil der modernen Telekom- munikation und stehen grundsätzlich auch einer weiteren Verbreitung positiv gegenüber. Die FDP nimmt zugleich die Sorgen der Menschen sehr ernst. Wir brauchen eine sachliche, aber kritische Debatte darüber, wie diese Technologie ohne Gesundheitsgefahren eingesetzt wer- den kann. Der vorliegende TAB-Bericht kann nur der Anfang sein. Auch wenn die derzeitigen wissenschaftlichen Er- kenntnisse keinen Anlass für eine Veränderung der be- stehenden Grenzwerte geben, müssen die gesundheitli- chen und ökologischen Risiken aus Sorge um die Gesundheit der Bürgerinnen und Bürger weiter erforscht werden. Wir brauchen Klarheit! Insbesondere die Lang- zeitwirkungen gepulster elektromagnetischer Felder so- wie mögliche nicht thermische Effekte sind bislang nicht ausreichend untersucht worden. Ich möchte an dieser Stelle betonen, dass unsere Auf- merksamkeit nicht nur für die Mobilfunksendeanlagen, sondern gerade auch für die Handys gelten muss. Über die notwendige Forschung hinaus muss Transparenz über die Strahlungsintensität von Handys hergestellt werden. Wir brauchen eine Kennzeichnung, die den Konsumenten beim Kauf über die Strahlungswerte der Geräte aufklärt. Der mündige Verbraucher kann ent- scheiden, ob die Strahlungsintensität beim Kauf eine Rolle spielen soll oder nicht. Doch die derzeitige Situation sieht anders aus. Zwar besteht seit 2002 die Möglichkeit, für strahlungsarme Handys das Umweltzeichen „Blauer Engel“ zu beantra- gen. Jedoch wurde dies bislang von keinem Hersteller in Anspruch genommen. Ich fordere die Industrie auf, sich der Einführung eines solchen Labels nicht weiter zu ver- schließen und sich in dieser Frage zu bewegen. Ich fordere aber auch die Bundesregierung – allen voran Umweltminister Trittin – auf, politische Verant- wortung zu übernehmen, anstatt mit dem Finger auf die Industrie zu zeigen. Schaffen Sie die Voraussetzungen dafür, dass sich die Klassifizierung der Strahlungsinten- sität von Handys durchsetzt. Handeln Sie, Herr Trittin! Die laufende öffentliche Debatte über die gesundheit- lichen Gefahren der Sendemasten steht in einem Miss- verhältnis zum derzeitigen wissenschaftlichen Kenntnis- stand. Obwohl bislang unterhalb der geltenden Grenzwerte keine Gefahren festgestellt werden konnten, wächst vor Ort in den Kommunen der Unmut von Bür- gerinnen und Bürgern, die im Umkreis von Sendemasten wohnen. Wir als Politiker müssen diese Sorgen ernst nehmen, aber zugleich akzeptieren, dass eine Optimie- rung des Netzes und damit eine Minimierung der Strah- lung der Endgeräte nur durch den Ausbau der Sendean- lagen zu erreichen ist. Um die Akzeptanz der Mobilfunktechnologie nicht zu gefährden, müssen die Gemeinden frühzeitig und stärker als bisher bei der Suche nach geeigneten Standorten be- teiligt werden. Eine alternative Standortwahl kann in vielen Fällen schon im Vorfeld Konflikte verhindern. Ich appelliere an die Netzbetreiber, die geschlossene Selbstverpflichtung wieder ernster zu nehmen. Nur das Miteinander von Gemeinden und Mobilfunkbetreibern kann helfen, das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger vor Ort zu gewinnen. Dafür sollten wir uns gemeinsam einsetzen. Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Elften Geset- zes zur Änderung des Außenwirtschaftsgesetzes (AWG) und der Außenwirtschaftsverordnung (AWV) (Tagesordnungspunkt 15) Christian Müller (Zittau) (SPD): Die Bundesregie- rung hat heute ausführlich Notwendigkeit und Inhalt der vorgesehenen Änderung des Außenwirtschaftsgesetzes begründet. Eine politische Reaktionsmöglichkeit auf an- stehende Veräußerungen von rüstungspolitisch sensiblen Unternehmen, zu denen auch Hersteller von Anlagen zu ebenso sensibler Kommunikation gehören, an gebiets- fremde Erwerber ist angesichts der erwähnten jüngeren Erfahrungen ebenso sinnvoll wie notwendig. Insofern kann hier nur die von der Opposition vorge- tragene Kritik relativiert und zurückgewiesen werden. Vor allem muss erwähnt werden, dass es in wichtigen Partnerländern der Bundesrepublik wie Frankreich, Großbritannien und den USA aus wohlverstandenem Eigeninteresse vergleichbare Regelungen gibt, die zum Teil über die vorgesehene deutsche Regelung hinausrei- chen. Dies ist ein deutlicher Hinweis auf das zu jeder Zeit bestehende Spannungsverhältnis von wirtschaftli- cher Partnerschaft und Wettbewerb, das neben den sicherheitspolitischen Interessen ohne Zweifel zu beach- ten ist. Die vorgesehene Maßnahme der Bundesregie- rung zielt vielmehr auch auf die Garantierung der beste- henden Versorgungssicherheit der Bundeswehr. Daher muss die vorgetragene Kritik, dieser Eingriff in die Freiheit des Kapitalverkehrs passe nicht in den Kon- text der Globalisierung, an dieser Stelle fehlgehen. Dies gilt vor allem deshalb, weil der Anwendungsbereich der 8472 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 94. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2004 (A) (C) (B) (D) Regelung eng begrenzt bleiben wird und eine Versagung der Genehmigung nicht als Automatismus, sondern eher als letzte Eingriffsmöglichkeit zu betrachten ist, bei der auch die wirtschaftlichen Auswirkungen auf das zu ver- äußernde Unternehmen in die Bewertung eingehen. Der Zugang zum nationalen oder internationalen Kapital- markt ist grundsätzlich frei; das Verfahren fordert keine ausschließliche Eigenfinanzierung. Immerhin begrüßen die betroffenen Unternehmen bzw. Verbände unter Anerkennung des angestrebten Schutzes zumindest die vorgesehene Beschränkung auf Kriegswaffen produzierende Unternehmen. In jedem Fall sind Unternehmen, die Dual-Use-Güter herstellen, vom Gesetzentwurf nicht erfasst. Kryptosysteme sind nur zum Teil Dual-Use-Produkte. Die Opposition beklagt hier, dies alles passe außer- dem nicht zu den Beschlüssen der EU hinsichtlich der Einrichtung einer gemeinsamen Rüstungsagentur oder der Schaffung einer europäischen Rüstungsindustrie. Dem ist entgegenzuhalten, dass die vorgesehenen Ein- schränkungen nicht im Widerspruch dazu stehen. Die nationalen Rüstungsindustrien unterliegen außerdem laut EG-Vertrag nicht der gemeinsamen Handelspolitik. Somit fehlt für eine einheitliche europäische Export- richtlinie die dazugehörige Rechtsgrundlage. Das Ziel einer Konvergenz nationaler Rüstungs- exportentscheidungen im Zuge einer weiteren Europäi- sierung bei rechtlicher Verbindlichkeit im EU-Verhal- tenskodex wird von der Bundesregierung auch weiterhin verfolgt. Die Gründung von Gemeinschaftsunterneh- men wird von der Genehmigungspflicht nicht tangiert. Wenn Deutschland im europäischen oder auch atlanti- schen Kontext ernst genommen werden will, müssen wir über leistungsfähige und technologisch hochwertige in- dustrielle Kapazitäten verfügen können. Nur auf diese Weise ist es auch im Hinblick auf die transatlantische Partnerschaft darstellbar, dass wir in der Lage sind, et- was Substanzielles in die Rüstungszusammenarbeit ein- zubringen. Das halte ich für ein wesentliches Argument, über das in Frankreich vermutlich niemand diskutieren würde. Daher ist mit dieser Änderung des Außenwirt- schaftgesetzes das Signal verbunden, dass die deutsche wehrtechnische Industrie nicht zur Disposition steht. Erich G. Fritz (CDU/CSU): Die Bundesregierung kann es nicht lassen – wieder schafft sie mit dem nun vorgelegten Gesetzentwurf auf Drucksache 15/2537 zur Änderung des Außenwirtschaftsgesetzes (AWG) und der Außenwirtschaftsverordnung (AWV) und der damit ein- hergehenden Einführung eines Genehmigungsvorbehal- tes für den Erwerb von Anteilen deutscher wehrtechni- scher Unternehmen durch ausländische Interessenten zusätzliche Reglementierungen für die deutsche Rüs- tungsindustrie. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion lehnt den Gesetz- entwurf aus mehreren Gründen ab: Angesichts des seit 1990 dramatisch geschrumpften nationalen Rüstungsmarktes sind die deutschen wehr- technischen Unternehmen auf internationale Kooperatio- nen und Verflechtungen auch über internationale Kapi- talbeteiligungen angewiesen. Anders lassen sich keine leistungsfähigen wehrtechnischen Kapazitäten in Deutschland erhalten. Die Bundesregierung darf den Unternehmen den Weg zu internationalen Kooperatio- nen und Kapitalbeteiligungen daher nicht versperren. Gerade angesichts des knappen heimischen Budgets sind solche Kooperationen und die Suche nach neuen Märk- ten im Ausland das Gebot der Stunde. Erschwert würden zudem multinationale und trans- atlantische Joint Ventures, was zwangsläufig zu Be- schränkungen im Handels- und Investitionsbereich führt. Dies schadet der Attraktivität des Industriestandortes Deutschland. Wir alle wissen aber, dass transatlantische Zusammenarbeit aus europäischer Sicht nicht nur sicher- heitspolitisch, sondern auch wirtschaftlich bzw. indus- triepolitisch relevant ist. Schließlich handelt es sich bei den USA um den größten und in absehbarer Zeit wachs- tumsstärksten Rüstungsmarkt der Welt. Die Bundesre- gierung darf bei den Plänen nicht vergessen, dass die Firmen auch produzieren und verkaufen können müssen. Nur mit den Aufträgen des deutschen Staates kann dies nicht garantiert werden. Mit der Einführung eines Genehmigungsvorbehaltes entsteht – neben den aufgrund der restriktiven deutschen Rüstungsexportgenehmigungspolitik ohnehin schon be- stehenden Problemen – ein weiterer Abschreckungsfak- tor für die Einbeziehung deutscher Rüstungsunterneh- men in einen europäischen Rüstungsmarkt. Problematisch ist auch die Reichweite der geplanten Genehmigungspflicht; denn die jetzt vorgeschlagene ge- setzliche Regelung schließt nicht aus, dass der Kreis der betroffenen Unternehmen künftig erweitert wird und da- mit auch Zuliefererbetriebe und zivile Unternehmen um- fasst, die lediglich in geringem Umfang militärisch nutz- bare Produkte herstellen. Diese Gefahr hat auch der Bundesrat erkannt und in seiner Empfehlung auf der Bundesratsdrucksache 5/1/04 zu Recht empfohlen, die in Art. l Nr. l Buchstabe b § 7 Abs. 2 Nr. 5 aufgeführten Wörter „Kriegswaffen oder andere Rüstungsgüter“ durch die Wörter „Güter im Sinne von Teil B der Anlage zu § l Abs. l des Gesetzes über die Kontrolle von Kriegswaffen (Kriegswaffen- liste)“ zu ersetzen. Damit würde deutlicher, dass das Kriegswaffenkontrollgesetz und nicht das Außenwirt- schaftsgesetz Grundlage der Neuregelung sein wird. Wie Sie wissen, hat auch der Bundesrat Zweifel, ob das Ziel, wehrtechnische Kernfähigkeiten in Deutsch- land zu erhalten, mit dem vorliegenden Gesetzentwurf tatsächlich erreicht wird. Auch die Länderkammer sieht die Gefahr, dass dadurch die Kooperation deutscher und ausländischer Unternehmen bei europäischen und NATO-internen Rüstungskooperationen erschwert wird. Eine Kooperation, so der Bundesrat, sei oft nur bei ei- gentumsbedingter Verflechtung möglich, weil Unterneh- men sensibles technisches Know-how vorzugsweise in- nerhalb der eigenen Unternehmensgruppe weitergeben. Insofern könnten sich die von der Bundesregierung vor- gesehenen Maßnahmen zum Schutz gegen Übernahmen Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 94. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2004 8473 (A) (C) (B) (D) negativ auf die deutsche Industrie und den Erhalt von Arbeitsplätzen in Deutschland auswirken. Natürlich besteht auch das Ziel der Union darin, wehrtechnische Kernfähigkeiten in Deutschland zu er- halten. Darüber müssen wir nicht diskutieren. Die ge- plante Änderung des Außenwirtschaftsgesetzes und der Außenwirtschaftsverordnung ist jedoch das falsche In- strument. Was wir stattdessen brauchen, sind verbesserte Rahmenbedingungen für die deutsche Rüstungsindustrie und die Förderung von Forschung und Entwicklung. Nur so kann die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Rüs- tungsindustrie erhöht werden. Und genau da liegt das Problem; denn die deutschen Forschungs- und Entwicklungsmittel sind vergleichs- weise gering. Dies bemängeln ja inzwischen auch Ver- teidigungsexperten der SPD. Wie ich einem Artikel im „Handelsblatt“ vom Dezember letzten Jahres entnehmen konnte, vertreten selbst SPD-Wehrexperten wie unser Kollege Rainer Arnold die Auffassung, dass die For- schung der Schlüssel für die Bewahrung der technologi- schen Fähigkeiten der Rüstungsindustrie ist; vergleiche „Handelsblatt“ vom 12. Dezember 2003: ,,Militärische Forschung auf dem Abstellgleis“. Unser diesbezüglicher Nachholbedarf ist immens. 2004 stecken die USA rund 62,8 Milliarden Dollar in die militärische Forschung. Damit hat sich der Posten seit 2001 nahezu verdoppelt und schon im Jahre 2001 haben die USA mehr als viermal so viel Forschungsgelder aus- gegeben wie die EU zusammen; vergleiche „Handels- blatt“ vom 12. Dezember 2003: ,,Militärische Forschung auf dem Abstellgleis“. In Deutschland beliefen sich die Forschungsausgaben 2003 auf 220 Millionen Euro. Eine Erhöhung von 19 Millionen Euro wurde in den Etatbera- tungen für 2004 vereinbart. Damit nimmt Deutschland selbst im EU-Vergleich einen hinteren Platz ein. Die Wirtschaft hat gute Alternativen bei unerwünsch- ten Unternehmenskäufen im militärisch sensiblen Be- reich vorgeschlagen. So schlug sie neben einer Selbst- verpflichtung der betroffenen Unternehmen auch eine Meldepflicht für ausländische Interessenten vor – ohne Erfolg. Die Bundesregierung hat sich dagegen entschie- den, weil ihrer Ansicht nach erstens eine Selbstver- pflichtung der Unternehmen der Bundesregierung nicht die Möglichkeit gegeben hätte, im Einzelfall einen die wesentlichen deutschen Sicherheitsinteressen gefährden- den ausländischen Erwerb gegebenenfalls zu verhindern, und zweitens ihr Gesetzentwurf den betroffenen Unter- nehmen durch die Genehmigungsfrist von einem Monat ein größeres Maß an Rechtssicherheit gibt, während die Einführung einer gesetzlichen Meldepflicht verbunden mit der Möglichkeit, gegebenenfalls durch Einzeleingriff einen Erwerbsvorgang zu verbieten, die Notwendigkeit mit sich gebracht hätte, den Einzeleingriff spätestens nach sechs Monaten durch eine Verordnung zu bestäti- gen. Dass die Änderung mit der heißen Nadel gestrickt wurde, zeigt die Antwort der Bundesregierung auf meine Kleine Anfrage, Drucksache 15/2363. Einige Fragen konnten mangels vorhandener Erkenntnisse schlichtweg nicht beantwortet werden. So gibt es keine Erkenntnisse über mögliche Auswirkungen der Neuregelung auf kleine und mittlere Unternehmen der Zuliefererindustrie, keine Erkenntnisse über mögliche Auswirkungen auf den deutschen Arbeitsmarkt oder auch keine Erkennt- nisse über die Höhe der Kosten, die den Unternehmen bei der Beantragung einer Genehmigung entstehen kön- nen. Dies legt den Schluss nahe, dass sich die Bundes- regierung bei der Vorbereitung des Gesetzes ziemlich unreflektiert an den Regelungen der amerikanischen, britischen und französischen Partner orientiert hat. Wir fordern die Bundesregierung auf, den Gesetzent- wurf zurückzuziehen, weil dadurch nicht die Probleme der deutschen Rüstungsindustrie gelöst werden können. Vielmehr nimmt der Staat den verbliebenen Rüstungsun- ternehmen jeglichen Spielraum, sich in einem globalisie- renden und von Unternehmenszusammenschlüssen ge- prägten Umfeld zu positionieren. Festhalten möchte ich daher: Erstens. Auch die Union verfolgt das Ziel, wehrtech- nische Kernfähigkeiten in Deutschland zu erhalten. Wir halten dies aber nur durch verstärkten Rüstungsexport in Kooperation mit unseren europäischen Partnern für möglich. Leider ist auch dies dank einer weiteren Regle- mentierung der Bundesregierung, nämlich der Endver- bleibsklausel, nicht so einfach. Unsere Alternative zum Erhalt wehrtechnischer Kernfähigkeiten in Deutschland lautet daher: Europäisierung der Rüstungsexportrichtli- nien, Erhöhung des Verteidigungsetats und Erhöhung des Investitionsausgabenanteils am Wehretat. Zweitens. Planwirtschaft hilft der deutschen Rüs- tungsindustrie nicht. Wohin zu viel Einmischung führen kann, zeigt das Beispiel Frankreich, das etwa in der Wehrtechnik penibel darauf achtet, Kernkompetenzen national zu erhalten mit der Folge, dass sowohl im Mari- nebereich wie auch bei der Heerestechnik Unternehmen existieren, die weder wettbewerbsfähig noch rentabel sind. Wenn sich die Rahmenbedingungen für die Rüs- tungsindustrie nicht verbessern, kann auch das von der Bundesregierung geplante Gesetz einen Ausverkauf der deutschen wehrtechnischen Industrie nicht aufhalten. Die Situation der Rüstungsindustrie verbessern würde zum Beispiel eine Erhöhung der Forschungsmittel. For- schungs- und Entwicklungsmittel entscheiden nicht zu- letzt über unsere Partnerschaftsfähigkeit. In Frankreich und Großbritannien zielt die militärische Forschung viel stärker auch auf das Sichern von Exportchancen – da ha- ben wir in Deutschland noch großen Nachholbedarf. Drittens. Europäische Lösungen müssen Vorrang vor nationalen Regelungen haben. Prioritär muss die Schaf- fung einer europäischen Rüstungsindustrie bzw. eines europäischen Rüstungsmarktes sein. Dieses Ziel ist je- doch nicht zuletzt deshalb gefährdet, weil das von der Bundesregierung vorgesehene Einspruchsrecht auch bei Übernahmewünschen von Firmen aus EU-Staaten gelten soll. Wie sehr sich die Schaffung eines europäischen Rüs- tungsmarktes gerade in Zeiten knapper europäischer Haushalte lohnen würde, belegt die Studie des britischen Wirtschaftswissenschaftlers Keith Hartley, wonach ein 8474 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 94. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2004 (A) (C) (B) (D) liberalisierter Rüstungsmarkt mit einer europäischen Be- schaffungsagentur helfen könnte, Kosten von bis zu 15 Milliarden Euro im Jahr zu sparen; vergleiche „Han- delsblatt“ vom 5. Dezember 2004: „Rüstungskonzerne müssen umdenken“. Wir fordern die Bundesregierung nicht zuletzt deshalb auf, sich verstärkt für den Aufbau eines europäischen Rüstungsmarktes einzusetzen und aktiv in der Arbeitsgruppe zur Gründung der EU-Rüs- tungsagentur mitzuwirken. Dort werden Antworten auf die entscheidenden Herausforderungen der Zukunft erar- beitet, nämlich Antworten auf die Entwicklung gemein- samer Verteidigungsfähigkeiten, die Rüstungskoopera- tion und Stärkung der industriellen und technologischen Basis in Europa, die Schaffung eines wettbewerbsfähi- gen europäischen Marktes für die Verteidigungsindustrie und die Förderung von Forschung und Entwicklung. Nur EU-Lösungen bieten Europa sicherheitspoliti- sche Unabhängigkeit. Deshalb müssen nationale Allein- gänge vermieden werden. Natürlich werden dabei auch europäische Konsortien entstehen, die nicht mehr unter deutscher Leitung sind. Aber durch eine Konsolidierung auf dem europäischen Markt können mehr Arbeitsplätze in der deutschen Rüstungsindustrie erhalten werden, als dies durch nationale Alleingänge möglich wäre. Andere Lösungen als europäische würden über kurz oder lang zum Verlust europäischer Unternehmen an die USA füh- ren. Christian Schmidt (Führt) (CDU/CSU): Mit der ge- planten Änderung des Außenwirtschaftsgesetzes will die Bundesregierung offenbar einen Schutzwall für die deut- sche Rüstungsindustrie errichten. So hat jedenfalls die „FAZ“ vom 4. Februar 2004 das von der Bundesregie- rung vorgeschlagene Vetorecht beim Verkauf deutscher Rüstungsunternehmen bezeichnet. Die Frage, die sich damit aber aufdrängt, ist: Braucht die deutsche Rüs- tungsindustrie tatsächlich einen solchen Schutzwall und, falls ja, vor wem? Die deutsche Rüstungsindustrie hat vor allem in den letzten fünf Jahren Grund zum Klagen gehabt: Eine Bun- desregierung, die den Verteidigungshaushalt so zusam- menkürzt, dass der Posten für Forschung und Entwick- lung bald nur noch unter „ferner liefen“ zu finden ist, die in Kauf nimmt, dass die Bundeswehr mit Material aus- gestattet ist, das in der Regel älter als die Rekruten ist, und die immer wieder aus purer Finanznot die Rüstungs- planung zusammenstreicht, gibt zu solchen Klagen reichlich Anlass. Ein Ende der Streichungen ist auch heute nicht absehbar. Im Gegenteil: Erst vor einigen Ta- gen sind Hiobsbotschaften aus dem Finanzministerium bekannt geworden, die weitere erhebliche Einschnitte in den Verteidigungshaushalt bedeuten. Wenn man den Verteidigungsetat aber so beschneidet, dass die deutsche Rüstungsindustrie aus Aufträgen aus dem Inland kaum noch überleben kann, und die Mög- lichkeiten zum Rüstungsexport im nationalen Allein- gang so eng fasst, dass Unternehmen anderer Länder fle- xibler sind und erhebliche Wettbewerbsvorteile haben, dann darf man sich nicht wundern, dass die deutsche wehrtechnische Industrie schwächelt und zum gefunde- nen Fressen für ausländische Investoren wird. Wer diese Rahmenbedingungen setzt, der hilft dem einzelnen Un- ternehmen nicht dadurch, dass er es durch ein Vetorecht vor der Übernahme und Ausschlachtung durch ausländi- sche Investoren schützt. Im Übrigen verkennt die Bun- desregierung die Tatsache, dass viele Unternehmen der deutschen wehrtechnischen Industrie keine großen Ak- tiengesellschaften sind, sondern als mittlere und kleine Unternehmen im Forschungs- und Zulieferbereich tätig sind. Vor einem Ausverkauf ins Ausland werden gerade diese Unternehmen durch den neuen Gesetzentwurf nicht geschützt, obwohl sie im Kampf gegen die großen internationalen Wettbewerber eigentlich viel mehr un- sere Unterstützung nötig hätten. Wer die Kernfähigkeiten der deutschen wehrtechni- schen Industrie und damit die Spitzentechnologie in Deutschland erhalten will – und darauf scheint das Ge- setz der Bundesregierung ja abzuzielen –, der muss dem einzelnen Unternehmen die Möglichkeit zum Handeln und für fairen Wettbewerb am Markt geben. Am Erhalt dieser Kernfähigkeiten sollten wir nicht nur aus sicher- heits- und verteidigungspolitischen Gründen alle interes- siert sein, sondern wir haben hier noch eine Industrie, in der Deutschland international punkten kann und die ein Garant für hoch qualifizierte Arbeitsplätze ist. Das kön- nen auch die „Ideologen“ in der Regierungskoalition nicht leugnen, die ihrer Meinung nach lieber „politisch korrekte“ Industriezweige fördern wollen und damit in Kauf nehmen, dass die „Schmuddelkinder“ aus der wehrtechnischen Industrie weiter an Boden verlieren. Wieder einmal zäumt die Bundesregierung deshalb das Pferd von hinten auf: Statt weitere Reglementierun- gen zu schaffen, muss sich die Bundesregierung endlich für eine einheitliche europäische Exportrichtlinie einset- zen, um Chancengleichheit und Transparenz auf dem in- ternationalen Markt zu schaffen. Die Bundesregierung muss in Forschung und Entwicklung der wehrtechni- schen Industrie investieren, um Kernfähigkeiten weiter zu entwickeln und im Land zu halten. Es ist kaum nach- vollziehbar, wie man in Zeiten einer Globalisierung in einen solchen Protektionismus verfallen kann. Schon jetzt besteht die Gefahr, dass der amerikanische Rüs- tungsmarkt den europäischen Unternehmen weiter den Rang abläuft. Der Schlüssel zum Erfolg liegt deshalb in einer europäischen Harmonisierung der Rüstungsexport- vorschriften und einer internationalen Zusammenarbeit – und nicht in Nationaltümelei. Es ist auch wenig glaubwürdig, dass sich die Bundes- regierung in diesem speziellen Fall Gedanken um die Si- cherheitsinteressen unseres Landes macht. Wer die Bun- deswehr derart stiefmütterlich behandelt, wie es die rot- grüne Regierung macht, der ist hier wenig überzeugend. Um den Ausverkauf deutscher Industrie und Hochtech- nologie zu verhindern, wäre es sinnvoller, durch lang- fristige und verlässliche Auftragsvergabe Planungssi- cherheit für deutsche Unternehmen zu schaffen. Deshalb sagen wir Nein zu einer Änderung des Au- ßenwirtschaftsgesetzes, die nur darauf abzielt, der Indus- trie neue bürokratische Regelungen aufzubürden und ihr neue Stolpersteine in den Weg zu legen. Wir brauchen Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 94. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2004 8475 (A) (C) (B) (D) mehr Zusammenarbeit und Markt und weniger Staatsdi- rigismus. Wenn also die deutsche Rüstungsindustrie ei- nen Schutzwall braucht, dann einen, um sie vor der rot- grünen Regierung zu schützen. Mit diesem Schutz könnte sie sich ohne weitere Reglementierungen auf dem internationalen Markt sehr gut behaupten. Alexander Bonde (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir debattieren heute den Antrag zur Änderung des Au- ßenwirtschaftsgesetzes, und zwar zur Ermächtigung der Bundesregierung, Rechtsgeschäfte beim Erwerb von na- tionalen Rüstungsunternehmen zum Schutz unserer we- sentlichen Sicherheitsinteressen beschränken zu können. Ich könnte als bündnisgrüner Politiker eine Menge zum Außenwirtschaftsgesetz und zur Außenwirtschaftsver- ordnung beitragen und damit auch über die Problematik der Rüstungsexporte sprechen. Ich möchte mich aber auf genau diesen Teilaspekt beschränken, der heute unser Thema ist. Die Gewährleistung der Versorgungssicherheit der Bundesrepublik in Bezug auf die nationalen Kernfähig- keiten der Rüstungsindustrie liegt, da sind wir uns wohl alle einig, in unserem Sicherheitsinteresse. Bisher konnte der Erwerb wesentlicher Anteile unserer Rüs- tungsindustrie von ausländischen Firmen selbst in dem Falle, dass Sicherheitsinteressen gravierend betroffen wären, nicht verhindert werden. Die Übernahme unserer Industrie könnte jedoch deren Zerschlagung, Verlage- rung oder zumindest einen unerwünschten Technologie- transfer nach sich ziehen. Die Ermächtigung der Regie- rung zum Schutz unserer Interessen war daher überfällig und wurde richtigerweise bereits von der Vorgängerre- gierung 1998 in einem europäischen Letter-of-Intent- Prozess angestoßen. Im Übrigen fürchte ich, dass wir nicht alle Hintertüren verschlossen haben, die unsere Si- cherheitsinteressen in Bezug auf Kernfähigkeiten ge- fährden können – aber zumindest ist der Haupteingang jetzt mit einem Pförtner versehen. Dieser Pförtner, und das darf nicht übersehen werden, führt eine Einzelfallprüfung durch – es gibt also keinen Versagungsautomatismus. Vielmehr werden in einer Prüfung nach Maß unsere Sicherheitsinteressen gegen die wirtschaftlichen Interessen der Unternehmen abge- wogen. Deren wirtschaftliche Überlebensfähigkeit wird also ausreichend berücksichtigt. Der Vorwurf, die inter- nationale Kooperationsfähigkeit unserer Unternehmen sei beeinträchtigt, ist schlichtweg falsch. Zudem wird die Gründung von Joint Ventures zur Realisierung einzelner Projekte von ihr gar nicht erfasst – dies stellt aber die überwiegende Mehrzahl der Rüstungskooperationen dar. Stichwort: MEADS, Eurofighter, Tiger, für die alle mul- tinationale Firmen gegründet wurden. Wir befinden uns dabei international und europäisch in guter Gesellschaft. Die USA, Großbritannien und Frankreich haben viel weitgehendere Rechte zum Schutz ihrer Industrien eingerichtet. Italien, Schweden und Spa- nien sind auch am Letter-of-lntent-Verfahren beteiligt. Damit sind die Länder mit den größten Rüstungsindus- trien der NATO-Länder erfasst. Wir stellen also – wenn Sie das Wort erlauben – nur „Waffengleichheit“ her. Wieso vergleichbare Regelungen bei uns nun die wirt- schaftliche Kooperationsfähigkeit behindern sollen, er- schließt sich mir nicht. Die Änderung beweist Augenmaß. Nicht nur ist der Erwerb „nur“ unter einen Genehmigungsvorbehalt ge- stellt, der ja im Übrigen auch unter Auflagen erteilt wer- den kann und daher ausreichend flexibel ist. Zudem wird diese Genehmigung bereits nach der kurzen Frist von ei- nem Monat fingiert. Und nicht zuletzt: In der Änderung des AWG wird zwar ein weiterer Rechtsrahmen gesetzt, den die Verordnung aber nicht in Gänze ausschöpft. Zum Teil wurde im Vorfeld der Debatte versucht, ein Junktim zwischen der geplanten Änderung und einer Lo- ckerung der Exportrichtlinien herbeizureden, nach dem Motto: Wenn schon die Unternehmen nicht mehr ver- kauft werden sollen, dann aber wenigstens mehr Markt- öffnung für die Produkte. Als Grüner muss ich Ihnen sa- gen: Nicht mit uns! Klare Ausfuhrregelungen und eine restriktive Exportpolitik haben sich bewährt. Langfristig ist es wirtschaftlicher, die Verbreitung von Waffen zu verhindern, als staatlich finanzierte Technik leichtfertig zu verkaufen und dann ein paar Jahrzehnte später zu- gunsten derer zu intervenieren, die in die Mündungen dieser Technik blicken. Und im Übrigen, was die euro- päische Kooperation angeht: Als Haushälter vom Einzel- plan 14 habe ich miterlebt, wie intensiv bei uns bei den Triebwerken des Airbus A400M für eine europäische Lösung im Verbund von Rolls-Royce und MTU – Eigen- werbung: „Einzige europäische Endmontagelinie für das TP400-Triebwerk für das militärische Großraumflug- zeug Airbus A400M“ – geworben wurde, die nach lan- gen Verhandlungen und Einsatz weiterer Haushaltsmittel auch erreicht wurde. Wie Sie vermutlich wissen, hat das Ergebnis nicht lange getragen – MTU Aero Engines ge- hört jetzt dem US-Investment-Konzern KKR. Um es deutlich zu sagen: Eine amerikanische Triebwerkslösung wäre auch deutlich billiger zu haben gewesen. Damit ist sie aber immerhin noch innerhalb der NATO geblieben – das hätte aber auch ganz anders kommen können. Ich denke daher, es ist nur verantwortungsbewusst, der Bun- desregierung die notwendigen Instrumente an die Hand zu geben, um unsere Sicherheitsinteressen langfristig zu schützen. Und noch einmal deutlich: wenn das Gesetz noch dazu beiträgt, dass man uns als Parlament nicht wie bei A400M und MTU an der Nase herumführen kann: Umso besser! Gudrun Kopp (FDP): Das grundsätzliche Ziel der Bundesregierung, wehrtechnische Kernfähigkeiten und Kompetenzen in Deutschland zu erhalten, wird – so denke ich – von allen Fraktionen im Interesse unserer Si- cherheit und der damit verbundenen Arbeitsplätze im Rüstungssektor mitgetragen. Ob dies jedoch mit dem nun vorgelegten Gesetzentwurf erreicht werden kann, ist mehr als fraglich. Vielmehr hat sich die Bundesregie- rung wieder einmal für ein bürokratisches und eingriffs- intensives Instrumentarium entschieden, das geeignet ist, die Situation der betroffenen Unternehmen weiter zu er- schweren. 8476 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 94. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2004 (A) (C) (B) (D) Statt sich endlich auch auf europäischer Ebene mit Nachdruck für eine europäische Rüstungsexportrichtli- nie einzusetzen, die es deutschen Betrieben erlauben würde, auf Augenhöhe mit anderen europäischen Unter- nehmen zu konkurrieren, wird von der Bundesregierung hier noch einmal die schlechte Ausgangssituation deut- scher Anbieter zementiert. Dabei muss doch jedem klar sein, dass die von uns allen geforderte europäische Rüs- tungskompetenz und -kapazität eben auch die Beteili- gung ausländischer Unternehmen an deutschen Firmen beinhaltet. Gerade dies aber wird durch den vorliegen- den Entwurf weiter erschwert. Die wehrtechnische Industrie in der Bundesrepublik leidet – wie alle anderen Branchen auch – unter extrem ungünstigen ökonomischen Rahmenbedingungen. An- statt diese Rahmenbedingungen endlich zu verbessern und ebenso grundlegende wie durchgreifende Reformen in den Bereichen Steuern und Abgaben, Entbürokratisie- rung, Ausgestaltung der sozialen Sicherungssysteme so- wie Förderung von Bildung, Wissenschaft und For- schung voranzutreiben, fällt dieser Bundesregierung nichts weiter ein, als im Angesicht desaströser Wahler- gebnisse und Umfragen die ohnehin nur zaghaft und un- zureichend erfolgten Reformtrippelschritte wieder in- frage zu stellen. Die Stichworte Erbschaftsteuer und Vermögensteuer mögen hier genügen, um dies zu illus- trieren. Solange aber die Situation in Deutschland so ist wie sie ist – und sie ist wirklich dramatisch –, solange sind auch die wehrtechnischen Unternehmen in Deutsch- land, die durch unsere im europäischen Vergleich äu- ßerst restriktive Rüstungsexportpolitik und die langjäh- rige eklatante Unterfinanzierung der Bundeswehr ohnehin unter großem Druck stehen, dringend auf Inves- titionen auch aus dem Ausland angewiesen. Eben diese Investitionen aber werden durch den vor- liegenden Gesetzentwurf unnötig bürokratisiert und da- mit erschwert, was insbesondere vor dem Hintergrund der von uns allen geteilten Zielsetzung eines Auf- und Ausbaus europäischer Rüstungskapazitäten unverständ- lich ist. Die betroffenen Unternehmen hatten hierzu Vor- schläge unterbreitet, wie mit weniger eingriffsintensiven Instrumenten – wie einer Selbstverpflichtung der ent- sprechenden Betriebe oder einer Meldepflicht für aus- ländische Interessenten – dem gleichen Ziel, nämlich dem Erhalt wehrtechnischer Kompetenzen in Deutsch- land, hätte gedient werden können. Es ist schade, dass die Bundesregierung diese Vor- schläge ignoriert hat und stattdessen nahezu reflexhaft Zuflucht in staatlicher Bevormundung in Form des jetzt vorliegenden Genehmigungsvorbehalts sucht. Ich kann deshalb nur an die Bundesregierung appellieren, diese vermeintliche Lösung noch einmal zu überdenken und gegebenenfalls im Verlauf des parlamentarischen Ver- fahrens anderen Instrumenten den Vorzug zu geben. Dr. Ditmar Staffelt, Parlamentarischer Staatssekre- tär beim Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit: Mit dem vorliegenden Entwurf eines Elften Gesetzes zur Än- derung des Außenwirtschaftsgesetzes und der Außen- wirtschaftsverordnung verfolgt die Bundesregierung das Ziel, die nationalen Sicherheitsinteressen und die inter- nationale Handlungsfähigkeit Deutschlands im Rüs- tungsbereich zu stärken. Mit der Einführung der Genehmigungspflicht für den Erwerb von deutschen Unternehmen, die Kriegswaffen oder Kryptosysteme herstellen, wird sichergestellt, dass eine staatliche Einflussnahme besteht, wenn wesentliche Sicherheitsinteressen oder die militärische Sicherheits- vorsorge beeinträchtigt werden. Durch die Neuregelung werden die sicherheitspoliti- schen Ziele, insbesondere die sicherheits- und verteidi- gungspolitische Kooperationsfahigkeit Deutschlands im EG- und NATO-Bereich und die Versorgungssicherheit der Streitkräfte gestärkt. Zugleich wird die Koopera- tionsfähigkeit der deutschen wehrtechnischen Industrie unterstützt. Um auf sicherheitspolitischem Terrain eine Rolle spielen zu können, muss Deutschland in der Lage sein, eigenes wehrtechnisches Potenzial als „Mitgift“ einzu- bringen. Deutschland muss über quantitativ und qualita- tiv hochwertige Rüstungskapazitäten und technologische Fähigkeiten verfugen, um als gleichberechtigter Partner an der Gestaltung und Umsetzung einer Rüstungszusam- menarbeit im Rahmen der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik mitwirken zu können. Durch einen sonst möglichen Ausverkauf der deutschen wehr- technischen Industrie würde der internationale Stellen- wert Deutschlands im militärischen Bereich in hohem Maße beeinträchtigt. Mit der vorgesehenen Gesetzesänderung werden die Handlungs- und Konkurrenzfähigkeit der deutschen Rüstungs- und Kryptoindustrie einerseits und nationale Sicherheitsinteressen andererseits ausgewogen berück- sichtigt. Zudem wird ein Handlungsrahmen geschaffen, der in vielen anderen Ländern, etwa USA, Frankreich, Großbritannien und Spanien, bereits geltendes Recht ist. Es sind folgende Regelungen vorgesehen: Erweite- rung des Sicherheitsbegriffs im Außenwirtschaftsgesetz sowie Schaffung einer Ermächtigung zur Einführung ei- nes Genehmigungsvorbehalts für die Übernahme von deutschen Rüstungs- bzw. Kryptounternehmen durch Ausländer. Erfasst von der Regelung wird der Erwerb von in Deutschland ansässigen Unternehmen, die Kriegswaffen nach der Kriegswaffenliste oder Güter der sensitiven Regierungskommunikation, Kryptosysteme, entwickeln oder herstellen, durch im Ausland ansässige Unterneh- men. Eine Genehmigung ist erforderlich, wenn das aus- ländische Unternehmen nach dem Kauf mindestens 25 Prozent der Stimmrechte erhält. Um den beteiligten Unternehmen schnellstmöglich Rechtssicherheit zu geben, gilt der Erwerb als geneh- migt, wenn binnen eines Monats keine anderweitige Ent- scheidung getroffen wird. Die Genehmigung muss beim Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit beantragt werden. Das Ministerium entscheidet im Einvernehmen mit dem Auswärtigen Amt und dem BMVg. Für den Kryptobereich entscheidet zusätzlich das BMI. Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 94. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2004 8477 (A) (C) (B) (D) Zum Anwendungsbereich der Genehmigungspflicht möchte ich Folgendes klarstellen: Die gesetzliche Ermächtigungsgrundlage im Außenwirtschaftsgesetz er- fasst auch Unternehmen, die keine Kriegswaffen, son- dern sonstige Rüstungsgüter herstellen. Von dieser wei- tergehenden Ermächtigungsgrundlage wird in der Ausfüllungsvorschrift der Außenwirtschaftsverordnung nur für Unternehmen Gebrauch gemacht, die Kriegswaf- fen herstellen. Die weitergehende Ermächtigungsgrund- lage ist erforderlich, um in Zukunft gegebenenfalls mög- lichst rasch durch eine Änderung der Verordnung auf veränderte sicherheitspolitische Rahmenbedingungen re- agieren zu können. Eine mögliche Erweiterung des An- wendungsbereichs der Genehmigungspflicht wird jedoch nur zielgerichtet unter Berücksichtigung des Verhältnis- mäßigkeitsgrundsatzes und der Belange der Wirtschaft erfolgen. Unternehmen, die Dual-Use-Produkte herstel- len, sind von der Gesetzesänderung nicht betroffen. Mit dem Entwurf setzt sich die Bundesregierung da- für ein, eine konkurrenzfähige und starke deutsche Rüs- tungsindustrie zu erhalten, die den Kern einer eng ver- netzten europäischen Verteidigungsindustrie zusammen mit anderen europäischen Partnern bilden kann. Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über Begleitregelungen zur Einführung des digitalen Kontrollgerätes zur Kontrolle der Lenk- und Ruhezeiten (Kontrollgerätebegleitgesetz – Kontr GerätBeglG) (Tagesordnungspunkt 16) Uwe Beckmeyer (SPD): Wie wir gehört haben, wer- den durch den vorliegenden Entwurf eines Artikel-Ge- setzes das Fahrpersonalgesetz und das Gesetz zur Errich- tung eines Kraftfahrtbundesamts geändert. Damit setzt die Bundesregierung zwei Verordnungen der Europäi- schen Union zur Einführung eines digitalen Tachogra- phen in nationales Recht um. Die Tendenz, immer mehr Gütertransporte auf der Straße durchzuführen, ist noch immer ungebrochen und hat zu einem Anstieg der Verkehrsdichte geführt. Um im überaus starken Wettbewerb zwischen den Anbietern von Transportdienstleistungen zu bestehen, sind die Un- ternehmen bestrebt, ihre Personalkosten möglichst ge- ring zu halten. Deshalb ist die Kontrolle der Lenk- und Ruhezeiten der Beschäftigten im gewerblichen Güterkraft- und Om- nibusverkehr unerlässlich für die Sicherheit auf Deutsch- lands Straßen. Der Sekundenschlaf am Lenkrad durch Übermüdung stellt ein erhebliches Risiko für Leib und Leben aller Verkehrsteilnehmer dar. Das Unfallrisiko von Berufskraftfahrern ist, bezogen auf die hohen Fahr- leistungen und den Anteil des LKW-Verkehrs, zwar niedrig, aber Unfälle mir schweren LKW sind oft mit gravierenden Folgen für die Verkehrsteilnehmer verbun- den. Wir alle wollen nicht, dass Unternehmen des Trans- portgewerbes, die gegen die Sozialvorschriften ver- stoßen, auf unlauteren Wegen Wettbewerbsvorteile er- reichen gegenüber den Wettbewerbern, die sich gesetzestreu verhalten. Der Straßenkontrolldienst des Bundesamts für Güter- verkehr hat 2003 650 000 Fahrzeuge kontrolliert. Dabei wurden 139 000 Verstöße gegen die Fahrpersonalvor- schriften ermittelt. 65,8 Prozent der Verstöße betrafen die Überschreitung der Lenkzeit, die Nichteinhaltung von Ruhezeiten und den nicht ordnungsgemäßen Betrieb des Kontrollgeräts. Verglichen mit dem Jahre 2002 ist die Anzahl der Beanstandungen in diesem Bereich um fast 15 000 gestiegen. Es zeigt sich, dass es leider viele schwarze Schafe unter den Unternehmen gibt und wir auf umfassende Kontrollen zur Erhöhung der Verkehrs- sicherheit und für die Einhaltung gleicher Wettbewerbs- bedingungen nicht verzichten dürfen. Seit 1970 müssen Fahrzeuge mit über 3,5 Tonnen zu- lässigem Gesamtgewicht und Omnibusse mit mehr als acht Fahrgastplätzen in Deutschland und Europa mit me- chanischen Fahrtenschreibern ausgerüstet sein. Diese Kontrollgeräte bieten, wie unter anderem die Kontrollen des Bundesamts für Güterverkehr zutage fördern, leider nur einen geringen Widerstand gegen Manipulationen. Insofern ist die Initiative der EU zur Einführung des digitalen Tachographen folgerichtig, die Manipulations- sicherheit wird um ein Vielfaches erhöht, ganz auszu- schließen sind derartige Vergehen jedoch nie. So wird auch die Arbeit der Kontrollbehörden, einhergehend mit der fortschreitenden Verbreitung der neuen Generation von Fahrtenschreibern, bedeutend effizienter zu gestal- ten sein. Nun wissen wir, dass mit der EG-Verordnung 2135/98 festgelegt wurde, dass 24 Monate nach Veröffentlichung der technischen Spezifikationen des digitalen Kontroll- geräts alle Neufahrzeuge mit dem neuen Fahrtenschrei- ber ausgerüstet werden müssen. Die EG-Verordnung 1360/2002, in der die Anforderungen definiert sind, wurde am 5. August 2002 veröffentlicht. Ergo müssten ab dem 6. August dieses Jahres alle neu zugelassenen LKW und Omnibusse mit einem digitalen Fahrtenschreiber ausgerüstet sein. Aber zu diesem Ter- min wird kein Gerät die Praxisreife erreicht haben. Beim Joint Research Center der EU in Italien ist bis heute erst ein Antrag auf Erteilung einer Bauartgenehmigung für ein Kontrollgerät eingereicht worden. Die endgültige Genehmigung kann frühestens Ende Mai erteilt werden, daran anschließend muss der Tachograph von den LKW- Herstellern mindestens zwölf Monate im Alltagseinsatz auf seine Betriebstauglichkeit getestet werden. Die Ein- führung des neuen Kontrollgeräts wird sich also um circa ein Jahr verzögern. Warum diese ärgerliche und vermeidbare Panne? Die Kommission wäre nach der Verordnung 2135/98 ver- pflichtet gewesen, dem Rat einen neuen Vorschlag zur Verlängerung der Fristen vorzulegen, falls bis zum 5. August 2003 keine Bauartgenehmigung erteilt wurde. Die Kommission hätte schon vor sieben Monaten auf die 8478 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 94. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2004 (A) (C) (B) (D) Verzögerung der Entwicklung der digitalen Fahrten- schreiber reagieren müssen, sie ist dieser Pflicht aber bis heute nicht nachgekommen. Die Vermutung liegt nahe, dass die Kommission nicht an einer Wiederaufnahme der äußerst zäh und kontrovers verlaufenen Verhandlun- gen über die Verordnung gelegen ist. Die Bundesrepublik hat der Kommission dagegen schon im Dezember mitgeteilt, dass sie eine Änderung der Fristsetzung für gegeben hält. Die zu erwartenden technischen und organisatorischen Probleme haben wir hier in Deutschland am geringsten zu vertreten. Wir wissen mit großer Sicherheit, dass der von der EU vorgegebene Zeitrahmen nicht einzuhalten ist. Mit dieser Debatte zur Einbringung des Gesetzent- wurfs wird deutlich, dass von deutscher Seite alles getan wird, um die notwendigen Ausführungsregeln ohne Ver- zögerung in Kraft zu setzen. Wir sollten der EU-Kom- mission keine Möglichkeit geben, mit dem Hinweis auf eine unterlassene oder verspätete Umsetzung durch die Bundesrepublik von eigenen Versäumnissen und Unter- lassungen abzulenken. Volkmar Uwe Vogel (CDU/CSU): Bereits seit meh- reren Jahren gibt es Planungen, den herkömmlichen Fahrtenschreiber durch ein verbessertes elektronisches System zu ersetzen. Auf den ersten Blick erscheint dies auch sinnvoll: Wir alle wissen, dass Polizeikontrollen auf deutschen Autobahnen immer wieder erschreckende Überschreitungen der Lenkzeiten und Unterschreitungen der Ruhezeiten ans Tageslicht bringen. In den Nachrich- ten hören wir immer wieder von furchtbaren Unfällen mit Autobussen oder Lastwagen, die durch übermüdete oder eingeschlafene Fahrer verursacht wurden. Diese Unfälle fordern nicht selten viele Verletzte und zahlrei- che Todesopfer – und damit menschliches Leid, das sich verhindern ließe. Ich möchte an dieser Stelle betonen, dass die Arbeit der Bus- und LKW-Fahrer immer härter und komplizier- ter wird. Wir alle wissen, unter welchen enormen Belas- tungen gefahren werden muss. Wir wissen auch, dass Deutschland ein europäisches Transitland ist. Das Ver- kehrsaufkommen, das jetzt schon hoch ist, wird sich noch einmal durch den Beitritt der mittel- und osteuro- päischen Länder zur EU drastisch erhöhen. All dies kann aber keine Entschuldigung für die Ge- fährdung der Sicherheit auf unseren Straßen sein. Diese Gefährdung entsteht maßgeblich durch die eklatanten Verletzungen der Lenk- und Ruhezeiten. Ich denke, dass wir uns hier über alle Parteigrenzen hinweg einig sind. Ich verweise in diesem Zusammenhang auf unseren Antrag „Sicherheit im Busverkehr“, zu dem ich bereits am 29. Januar 2004 in diesem Hause redete. Die CDU/ CSU-Bundestagsfraktion hat damals mehrere Sofort- maßnahmen gefordert, um die Sicherheit auf deutschen Straßen signifikant zu erhöhen. Neben anderen wichti- gen Maßnahmen unterstützen wir im Zuge der europäi- schen Harmonisierung die Einführung von aktiven elek- tronischen Warnsystemen in LKWs und Bussen. Zu den von uns geforderten Maßnahmen gehört auch die Ein- führung eines digitalen Fahrtenschreibers. Auch wenn Rot-Grün unseren Antrag zur Sicherheit im Busverkehr abgelehnt hat, bleibt doch festzuhalten, wie wichtig diese Maßnahmen für die Sicherheit auf un- seren Straßen sind. Zu dem Zwischenruf des Parlamen- tarischen Geschäftsführers der SPD-Bundestagsfrak- tion, Herrn Kollegen Schmidt, all das sei doch „purer Aktionismus“, kann ich nur sagen, dass es besser wäre, der Kollege kümmerte sich um Dinge, von denen er et- was versteht. Neben diesen wichtigen Sicherheitsaspekten möchte ich einige Worte zu den „Schattenseiten“ dieses Gesetz- entwurfes sagen. Es zeichnet sich nämlich ab, dass die Einführung des digitalen Fahrtenschreibers in gleicher Art und Weise vonstatten oder besser gesagt schief geht wie die LKW-Maut. Darüber redet im Moment nur nie- mand, weil sich die Medien des Themas noch nicht an- genommen haben. Der Schaden ist nicht unmittelbar in Euro und Cent ausweisbar. Ich meine damit das mensch- liche Leid der Unfälle, die durch übermüdete Fahrer ver- ursacht werden und die hohen volkswirtschaftlichen Schäden durch diese Unglücke. Das neue Gerät kann im Wesentlichen das, was das alte auch konnte, nämlich die Überschreitung der Lenk- zeiten erfassen. Es bürdet den Unternehmen aber hohe Kosten auf. Der neue digitale Fahrtenschreiber, den es übrigens serienreif noch gar nicht gibt, muss kostspielig erworben und eingebaut werden. Unternehmen und Werkstätten müssen sich mit der notwendigen und teuren Software zur Auswertung der Daten versorgen. Zum Einlesen in den digitalen Fahrtenschreiber sind bislang vier verschiedene Chipkarten geplant: eine für den Fahrer, die dieser für circa 20 Euro selbst erwerben muss, eine für den Unternehmer, eine für die Werkstatt und natürlich eine für die Kontrollbeamten. Ohne pessimistisch klingen zu wollen: Hier zeichnet sich ein ähnliches Kompetenzwirrwarr und Chaos wie bei der Maut-Katastrophe von Minister Stolpe ab. Außerdem werden das alte und das neue System gut zehn Jahre nebeneinander existieren, da erst ab Einfüh- rungstag die Halter neuer Fahrzeuge verpflichtet sind, den digitalen Fahrtenschreiber einzubauen, und die alten Geräte Bestandsgarantie haben. Schließlich ist der Einführungstermin des neuen Ge- rätes offen: Ursprünglich sollte er am 5. August 2004 sein, doch nun wird die Einführung wohl eher Mitte des Jahres 2005 sein. Ein Schelm wer Böses dabei denkt: Und wer dächte hier nicht an die Mautpleite der rot-grünen Bundesregie- rung. Ich möchte zum Schluss noch einmal betonen: Auch uns liegt an der Erhöhung der Verkehrssicherheit und an effizienten Sicherheitskontrollen. Das darf aber die Kraftfahrer durch zusätzliche Bedienungsfunktionen nicht weiter belasten. Auch die Kosten für die Fuhrun- Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 94. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2004 8479 (A) (C) (B) (D) ternehmer bei Einbau und Betrieb der Geräte müssen an- gemessen bleiben. Die Fuhrunternehmer sind nämlich von der rot-grünen Bundesregierung schon genug gebeu- telt worden. Klaus Hofbauer (CDU/CSU): Die vorgeschriebenen Lenk- und Ruhezeiten von LKW- und Busfahrern sind sinnvoll und tragen in deutlichem Maße zur Verbesse- rung der Sicherheit im Straßenverkehr bei. Ohne diese Regelungen würde die Zahl der schweren Verkehrsun- fälle durch Übermüdung oder Erschöpfung von Fahrern erheblich höher liegen. Daher ist es notwendig, dass die Einhaltung dieser Vorgaben konsequent überwacht wird. Eine effektive Kontrolle setzt jedoch voraus, dass die technischen Einrichtungen zweckdienlich und benutzer- freundlich gestaltet sind. Einerseits ist es notwendig, dass die erforderlichen Kontrolldaten nachvollziehbar erfasst werden. Andererseits dürfen Fahrer, Speditionen und Werkstätten mit den Auflagen hinsichtlich der An- schaffung, Erfassung und Archivierung nicht über Ge- bühr belastet werden. Das vorliegende Gesetz setzt eine Vorordnung des Europäischen Rates vom September 1998 um. Das bis- her eingesetzte mechanische Kontrollgerät zur Überwa- chung der Lenk- und Ruhezeiten im gewerblichen Stra- ßenverkehr soll und muss durch ein digitales Gerät ersetzt werden. Die mechanische Erfassung hat sich in den letzten Jahren als stör- und manipulationsanfällig er- wiesen. Eine effektive Kontrolle im Sinne der Verkehrs- sicherheit und im Interesse des Arbeitsschutzes der Fah- rer war in vielen Fällen nicht möglich. Der vorliegende Gesetzentwurf trägt zu einer effizienten und deutlichen Verbesserung bei und ist daher im Grundsatz zu begrü- ßen. Was vom Grundsatz her eine gute Idee ist, droht in Deutschland jedoch wiederum zur Blamage zu werden. Die Terminvorstellungen des Vorhabens sind völlig un- realistisch. Unter diesen Voraussetzungen zeichnet sich heute schon ab, dass die Einführung der digitalen Kon- trollgeräte ein ähnliches Debakel wie die Maut werden könnte. Die EU-Verordnung sieht vor, dass bis zum 5. Sep- tember 2004 alle Nutzfahrzeuge mit dem neuen System auszurüsten sind. Nach Äußerungen der Baugeräteher- steller ist jedoch mit einem Vorliegen der Bauartgeneh- migung erst im zweiten Quartal 2004 zu rechnen. Es ist damit äußerst unwahrscheinlich, dass im August dieses Jahres praxistaugliche Kontrollgeräte zur Verfügung ste- hen. Rot-Grün hat es versäumt, mit allem Nachdruck be- reits frühzeitig auf realistische Umsetzungsfristen zu drängen. Sollte die Europäische Kommmission keine Fristverlängerung gewähren, ist mit massiven Proble- men für alle Beteiligten zu rechnen. Rechtsunsicherhei- ten, Defizite bei der Überwachung und zusätzliche Kos- ten für Fahrer, Speditionen und Werkstätten sind damit nicht auszuschließen. Ohne eine ausreichende Entwick- lung und Erprobung droht der gesamten neuen Kontroll- technik ein Imageschaden. Damit ist jedoch nur ein Punkt genannt. Beispielhaft möchte ich hier noch auf einige weitere Aspekte hinwei- sen. Vielen Unternehmen droht durch die nötige An- schaffung der Hard- und Software eine nicht unerhebli- che Kostenbelastung. Insbesondere kleinere Betriebe wären davon betroffen. Daher sollte das Gesetz den Un- ternehmen ausdrücklich die Möglichkeit zur Speiche- rung durch Dritte einräumen. Diese Auftragsspeicherung muss gerade für kleinere Betriebe einfach und unkompli- ziert zu vergeben sein. Des Weiteren sollten die Kosten der Regelungen für Fahrer, Werkstätten und Speditionsunternehmen genauer geprüft werden. Auch in der Gegenäußerung der Bun- desregierung zu den Einwänden des Bundesrates wurden die zusätzlichen Kosten der Speditionen und Werkstätten nicht genauer spezifiziert. Es darf keinesfalls sein, dass kleine und mittelständische Unternehmen des Kfz- und Transportgewerbes wiederum die Leidtragenden eines in kurzer Frist von Rot-Grün durchgepeitschten Gesetzent- wurfes sind. Nicht zuletzt möchte ich darauf hinweisen, dass die verpflichtende Einführung einer neuen Technologie durch die zuständige Bundesbehörde ausreichend beglei- tet werden muss. Die Unternehmen dürfen mit techni- schen Problemen nicht allein gelassen werden, so wie es bei der Maut geschehen ist. Das Kraftfahrt-Bundesamt muss ausreichende Informationen und Hilfestellungen anbieten, um Speditionen, Werkstätten und Fahrer bei der Einführung der neuen Geräte in jeder Form zu unter- stützen. Lassen Sie mich zusammenfassen: Nach Auffassung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion ist das Gesetz im Grundsatz richtig und notwendig. Durch die Vorschläge der Länder konnten im Entwurf bereits mehrere Verbes- serungen erreicht werden. Jedoch steht die Bundesregie- rung bei der Einführung dieser neuen Technologie in der Pflicht, der Industrie ausreichende Testzeiträume zur Verfügung zu stellen und den Prozess für die Unterneh- men kostenoptimal zu gestalten. Rot-Grün muss aus dem selbst verschuldeten Mautde- bakel lernen. Die Einführung der digitalen Kontrollge- räte darf keinesfalls wieder zu einer Blamage für den Standort Deutschland werden. Peter Hettlich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): „Was lange währt, scheint endlich gut zu werden!“ So könnte das Motto zur Einführung von digitalen Kontrollgeräten für die Überwachung von Lenk- und Ruhezeiten lauten. Die Meldungen und Berichte über Manipulationen an den bislang eingesetzten analogen Kontrollgeräten dürf- ten so alt sein wie diese Geräte selber. Auch wenn wir gelegentlich über verspeiste Tachoscheiben schmunzeln durften, so ist der Hintergrund doch ein ernster. Der enorme Druck im Transportgewerbe hat zunehmend dazu geführt, dass die zum Teil erheblichen Überschrei- tungen von Lenk- und Ruhezeiten immer häufiger durch Manipulationen an den Fahrtenschreibern verschleiert werden sollten. 8480 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 94. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2004 (A) (C) (B) (D) Insofern war die Forderung nach einem fälschungssi- cheren und effizienten System die logische Konsequenz, um Missbräuchen vorzubeugen und damit die Sicherheit im Straßenverkehr weiter zu verbessern. Denn es geht dabei nicht nur um den Schutz der Fahrer vor sich selbst, sondern insbesondere auch um den Schutz von unbetei- ligten Dritten, die im Falle eines Unfalls geschädigt wer- den könnten. Schon 1998 hatte der Rat der Europäischen Union die Einführung eines digitalen Kontrollgerätes beschlossen. Allerdings dauerte es noch bis zum August 2002, bis mit der Veröffentlichung des Technischen Anhangs IB eine technische Gerätespezifikation vorgegeben wurde. Bin- nen 24 Monaten, das heißt konkret ab dem 5. August dieses Jahres, müssten demnach alle betroffenen Neufahrzeuge ab 3,5 Tonnen zulässigem Gesamtgewicht mit diesen Geräten ausgestattet werden. Wir stehen aber heute vor dem konkreten Problem, dass es noch kein Mitgliedsland der EU gibt, das auf- grund der Komplexität eine Bauartgenehmigung für die- ses neue System erteilt hat. Somit ist schon jetzt abseh- bar, dass der Termin 5. August 2004 nicht zu halten sein wird. Ohne diese Genehmigung ist jedoch eine Einfüh- rung nicht möglich. Die Lösung kann daher nur in einer Fristverlängerung liegen. Ich halte es für dringend angeraten, schnellstmög- lich mit der EU-Kommission eine Klärung über eine an- gemessene Terminverschiebung herbeizuführen. Wenn wir diese neue Kontrolltechnik ohne den entsprechenden Vorlauf einführen, dann befürchten viele Fachleute er- hebliche Anlaufprobleme, die wiederum die Akzeptanz des Systems vom ersten Tag an beeinträchtigen. Wir soll- ten aus den Fehlern bei der Einführung der LKW-Maut lernen und daher zunächst noch befristet auf die vorhan- dene, aber weniger manipulationssichere Lenk- und Ru- hezeiterfassung zurückgreifen, bis das neue System tat- sächlich funktionsfähig zur Verfügung steht. Dennoch ist es richtig, diesen Gesetzentwurf zum jet- zigen Zeitpunkt vorzulegen und zu verabschieden, da wichtige Gesetzesänderungen zur Einführung des digita- len Kontrollgerätes Voraussetzung sind. Ohne eine Anpassung des Fahrpersonalgesetzes, FpersG, und des Gesetzes über die Errichtung eines Kraftfahrt-Bundes- amtes, KBA-Gesetz, wäre die Umsetzung der EG-Ver- ordnungen Makulatur. Schon der Einsatz verschiedener Chipkartentypen – Fahrerkarte, Unternehmenskarte, Werkstattkarte, Kon- trollkarte – führt zu einer Vielzahl von erforderlichen Regelungen. Diese Karten müssen personalisiert und re- gistriert sein, damit Manipulationen direkt ein Riegel vorgeschoben werden kann. Ohne die Registrierung ver- lorener oder defekt gemeldeter Karten könnten beispiels- weise die Sozialvorschriften umgangen werden. Mit ei- ner in falsche Hände gelangten Werkstattkarte könnten sogar Manipulationen der Erfassungsgeräte erfolgen. Al- lerdings würden die Kontrollgeräte diese Einflussnahme registrieren, sodass eine Rückverfolgung von Eingriffen möglich ist. Aber dazu ist auch eine entsprechende lü- ckenlose Kontrolle notwendig. Da die Karten sowohl biometrische als auch adminis- trative Daten enthalten, ist deren getrennte Verwendung insbesondere unter dem Aspekt des Datenschutzes zu gewährleisten. Auch die Frage der Speicherdauer, die je nach Kartentyp zwischen 31 Tagen und einem Jahr be- trägt, und des Speicherortes ist von großer Bedeutung für ein Funktionieren des Systems. Daher wird der Um- gang mit diesen Daten in einer entsprechenden neuen Fahrpersonalverordnung geregelt, wobei die Landesbe- hörden die Aufsicht über deren Ausführung haben. Das Kraftfahrt-Bundesamt spielt insbesondere bei der Führung des Zentralen Kontrollgerätkartenregisters eine wesentliche Rolle. Auch wird ihm die Aufgabe der Zertifizierungsstelle für die kryptologischen Schlüssel, deren Verwendung die Voraussetzung für eine Kommu- nikation zwischen Speicher- und Kontrollgeräten dar- stellt, zugeteilt. In seiner Komplexität ist dieses Schlüs- selmanagement weltweit einzigartig. Auch aus diesem Grunde sollten wir dafür Sorge tragen, dass die Klä- rung der Terminfrage – wie schon weiter oben darge- legt – von großer Bedeutung ist, bevor wir dieses Neu- land betreten. Die Frage der Kosten für die Einführung des Systems sei nur kurz gestreift. Sie liegen nach den bisherigen Er- kenntnissen je nach Kartentyp zwischen 40 und 50 Euro einschließlich der Gebühren des Kraftfahrt-Bundesamtes und erscheinen mir durchaus angemessen. Der zusätz- lich notwendige Personaleinsatz hält sich ebenfalls in Grenzen und kann über die vorgenannten Gebühren kos- tendeckend finanziert werden. Kurz und gut, die Voraussetzungen für die Einführung des Systems sind geschaffen. Wir müssen nur noch dafür sorgen, dass dieses innovative Kontrollsystem nicht durch übermäßigen Ehrgeiz an einem zu frühen Start scheitert. Gewähren wir ihm daher eine angemessene Startphase, um seine „Kinderkrankheiten“ auszukurie- ren; dann werden letztlich alle Beteiligten von den Vor- teilen der digitalen Kontrollgeräte profitieren. Getreu dem Motto: „Was lange währt, wird tatsächlich gut!“ Horst Friedrich (Bayreuth) (FDP): Für die FDP- Bundestagsfraktion ist die Einführung des digitalen Kontrollgerätes vor allem ein wichtiger Beitrag zur Ver- kehrssicherheit. Das digitale Kontrollgerät ist die längst fällige Reaktion auf die zunehmenden Unfallzahlen im Schwerlastverkehr und bei Bussen. Die Richtlinie wird für Fahrzeuge mit mehr als 3,5 Tonnen zulässigem Ge- samtgewicht gelten und für mehr Sicherheit im Straßen- verkehr sorgen. Nicht nur auf deutschen Straßen wird mit dem digitalen Kontrollgerät die Möglichkeit zur Fäl- schung der Daten für Lenk- und Ruhezeiten schwieriger, sondern auch auf europäischen Verkehrswegen. So kurz vor dem Beitritt der neuen EU-Mitgliedstaa- ten ist es höchste Zeit für einfachere und gleichzeitig ef- fektivere Kontrollmöglichkeiten des größten Unsicher- heitsfaktors im Straßenverkehr, nämlich des Menschen. Aber das Kontrollgerät kann nur der sicheren Dokumen- tation der Lenk- und Ruhezeiten dienen und nur mittel- bar der verbesserten Fahrweise des Fahrzeugführers. Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 94. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2004 8481 (A) (C) (B) (D) Daher muss der Gesetzgeber dafür sorgen, dass die Lenk- und Ruhezeiten eingehalten werden, und entspre- chend Personal zur Überprüfung zur Verfügung stellen. Straferhöhungen, wie gerade für telefonierende Autofah- rer ohne Freisprechanlage beschlossen, nützen gar nichts, solange es keine ausreichenden Kontrollen der entsprechenden Gesetze gibt. Die Konsequenzen der Einführung eines neuen Kon- trollgeräts dürfen aber nicht alleine in Deutschland zu spüren sein. Wo im Vergleich mit den Nachbarstaaten schon am meisten im Straßenverkehr kontrolliert wird, dürfen mit dem Einbau der Geräte keine Wettbewerbs- nachteile für das Güterkraftverkehrsgewerbe entstehen. Dafür muss die Bundesregierung sorgen. Dazu fällt mir ein, dass die Bundesregierung seit drei Jahren einen Be- richt über Wettbewerbsverzerrungen im europäischen Güterkraftverkehrsgewerbe unter anderem zu Sozial- standards vorlegen will. Wahrscheinlich wird das Parla- ment diesen Bericht erhalten, wenn die digitalen Kon- trollgeräte längst Alltag geworden sind. Das wird leider noch eine Weile dauern. Bisher gibt es wohl EU-weit kein normgerechtes digitales Gerät zur Kontrolle von Lenk- und Ruhezeiten. Aus diesem Grund möchte EU-Kommissarin de Palacio den Starttermin für die Einführung des elektronischen Fahrtenschreibers verschieben. Bei den europäischen Nachbarn geht die Angst um, sie könnten ein ähnliches Desaster mit dem Einbau des Kontrollgeräts erleben wie wir mit dem Ein- bau von nicht funktionierenden Mauterfassungsgeräten. Hilfreich war mit Sicherheit die Erkenntnis eines Spre- chers von Bundesverkehrsminister Stolpe: Was nützten uns Termine, wenn sie von vornherein nicht eingehalten werden könnten. Die FDP-Bundestagsfraktion begrüßt jedenfalls die europaweite Einführung des digitalen Fahrtenschrei- bers. Wichtig dabei ist eine verstärkte Kontrolle der Einhaltung der Lenk- und Ruhezeiten und dass für alle EU-Länder die gleichen Konsequenzen entstehen. Ich freue mich deshalb auf die Beratungen im Verkehrsaus- schuss. Angelika Mertens, Parlamentarische Staatssekre- tärin beim Bundesminister für Verkehr, Bau- und Woh- nungswesen: Was wir hier heute zu später Stunde mit- einander besprechen, ist ganz und gar undramatisch. Schade, denn zu so später Stunde wäre etwas Aufregung vielleicht ganz hilfreich. Mit dem Gesetzentwurf über Begleitregelungen zur Einführung des digitalen Kontrollgerätes erfüllen wir ei- nen Beschluss der Europäischen Union. Undramatisch, aber nicht unwichtig. Denn hier geht es um die Einfüh- rung eines neuen Kontrollsystems im Straßengüterver- kehr. Mit dem Gesetzentwurf schaffen wir die Vorausset- zungen für die erforderlichen Ausführungsregelungen. Das ist eine kleine Zeitenwende im Straßengüterver- kehr: Das digitale Kontrollgerät wird das bislang mecha- nische Kontrollgerät, den Fahrtenschreiber, ersetzen. Das ist gut, denn einen Fahrtenschreiber – das habe ich mir selbst demonstrieren lassen – kann beinahe jedes Kind manipulieren. Die Regelungen der betreffenden EG-Verordnung (Nr. 2135/98) reichen allerdings nicht aus, um das neue System zu realisieren. Deshalb müssen wir das Fahrper- sonalgesetz ergänzen. Da geht es einmal um die Kontrol- len durch die jeweiligen Behörden und um die Überwa- chung der Einhaltung der Sozialvorschriften durch den Unternehmer. Und es geht um die Einführung einer Mit- teilungspflicht der Bußgeldbehörden, die für die Sozial- vorschriften zuständig sind. Diese Regelungen werden mit dem vorliegenden Gesetz getroffen. Hinzu kommen technische Regelungen. Da geht es zum Beispiel um das so genannte Herunterladen der Da- ten aus dem Massespeicher des Kontrollgerätes oder der Fahrerkarte in die betriebliche Datenverarbeitung. Das ist notwendig, weil sonst Betriebsprüfungen nicht durch- führbar wären. Notwendig ist außerdem die deklaratorische Klarstel- lung der Zuständigkeit der Länder, wenn es um die Aus- gabe der Kontrollgerätekarten geht. Der Regelungsbereich des Gesetzes ist also unproble- matisch und, wie gesagt, wenig dramatisch. Voraussetzung für den Einsatz des digitalen Kontroll- gerätes ist allerdings das Vorliegen einer Bauartgeneh- migung. Ab August müssen nach den jetzt geltenden Fristen alle Neufahrzeuge mit einem entsprechenden Ge- rät ausgestattet werden. Und da gibt es dann doch ein kleines, aber nicht unbedeutendes Problem: Es ist un- wahrscheinlich, dass bis August genehmigte und praxis- taugliche Geräte existieren. Europaweit haben die Ge- rätehersteller erklärt, dass dieser Zeitplan nicht zu halten ist. Die deutschen Hersteller (Actia, Siemens-VDO) rechnen frühestens im zweiten Quartal 2004 mit einer Bauartgenehmigung. Die logische Konsequenz: Es wird zum 6. August 2004 in ganz Europa kein einziges praxis- taugliches digitales Kontrollgerät geben. Mit dieser Frist hätte die Industrie auch keine ausreichenden Testzeit- räume für das neue System. Es ist richtig, dass die EU Druck macht, was die Ein- führung des neuen Gerätes angeht. Allerdings brauchen wir einen neuen und realistischen Zeitplan. Behördli- cherseits sind die Fristen noch enger gesteckt. Nach der jetzigen Regelung müssen die Mitgliedstaaten schon ab Mai in der Lage sein, bauartgenehmigte Kontrollgeräte- karten auszugeben. Das ist zeitlich einfach nicht zu schaffen. Letztlich müssen auch die Techniker mit der neuen Technik an funktionsfähigen Geräten geschult werden. Und das ist kein rein behördliches Problem, denn auch das europäische Transportgewerbe fordert seit langem eine Verschiebung der Einführung. Auch der Bundesrat hat das Zeitproblem erkannt: In der Stellungnahme vom 13. Februar 2004 wird die Bun- desregierung gebeten, sich bei der EU-Kommission für eine Verschiebung des Starttermins einzusetzen. Bundes- minister Stolpe war schneller – er hatte schon im vergan- genen Dezember an die Verkehrskommissarin de Palacio geschrieben. Er hat auf die bestehenden Probleme hinge- 8482 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 94. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2004 (A) (C) (B) (D) wiesen und dringend um einen realistischeren Zeitplan gebeten. Eine solche Verschiebung wäre EU-rechtlich möglich, aber die Kommission lehnt sie bislang ab. Diese Situation ist nicht nur aus Sicht der Bundesregierung nicht akzeptabel. Ein Festhalten an den jetzt geltenden Fristen würde für alle Beteiligten massive Probleme bedeuten. Abgesehen von allen Terminschwierigkeiten der In- dustrie ist es aber wichtig, durch die rechtzeitige Verab- schiedung der gesetzlichen Grundlage den EU-Vorgaben Rechnung zu tragen. Das tun wir mit diesem Gesetzent- wurf. Der Bundesrat hat keine grundsätzlichen Ein- wände erhoben. Insofern sind wir im Zeitplan. sellschaft mbH, Amsterdamer Str. nd 91, 1 192, 50735 Köln, Telefon (02 21) 97 66 340, Telefax (02 21) 97 66 344 22 94. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 4. März 2004 Inhalt: Redetext Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Anlage 2 Anlage 3 Anlage 4 Anlage 5
Gesamtes Protokol
Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1509400000

Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die

Sitzung ist eröffnet.
Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene

Tagesordnung um die in einer Zusatzpunktliste aufge-
führten Punkte zu erweitern:

ZP 1 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der CDU/CSU
Haltung der Bundesregierung zur Erleichterung von Ein-
schleusungen und illegalen Einreisen aufgrund von Kon-
trolllücken an deutschen Flughäfen

(siehe 93. Sitzung)


ZP 2 Beratung des Antrags der Abgeordneten Cornelia Pieper,
Ulrike Flach, Christoph Hartmann (Homburg), weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion der FDP
Jahr der Technik zur Stärkung der Forschungslandschaft
und des Innovationsklimas in Deutschland nutzen
– Drucksache 15/2594 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Haushaltsausschuss

ZP 3 Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren

(Ergänzung zu TOP 23)

a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten

Entwurfs eines Gesetzes zur Durchführung von Verord-
nungen der Europäischen Gemeinschaft auf dem Ge-

Rede
biet der Gentechnik und zur Änderung der Neuartige
Lebensmittel- und Lebensmittelzutaten-Verordnung
– Drucksache 15/2520 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft (f)

Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Hans-Michael
Goldmann, Horst Friedrich (Bayreuth), Dr. Max Stadler,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Nationale Küstenwache schaffen
– Drucksache 15/2581 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnung
Innenausschuss
zung

, den 4. März 2004

.30 Uhr

ZP 4 Wahlvorschlag der Fraktionen der SPD, der CDU/CSU, des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP
Wahl der Mitglieder des Parlamentarischen Beirates für
nachhaltige Entwicklung
– Drucksache 15/2586 –

ZP 5 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Christian Ruck,
Dr. Friedbert Pflüger, Hermann Gröhe, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der CDU/CSU
Eine neue Politik für Afrika südlich der Sahara – Afrika
fordern und fördern
– Drucksache 15/2574 –
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

ZP 6 Beratung des Antrags der Abgeordneten Gabriele Hiller-Ohm,
Sören Bartol, Dr. Herta Däubler-Gmelin, weiterer Abgeordne-
ter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Ulrike
Höfken, Friedrich Ostendorff, Volker Beck (Köln), weiterer
Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN
Nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben auf Lebens-
mitteln europaweit einheitlich regeln – für mehr Verbrau-
cherschutz und fairen Wettbewerb

text
– Drucksache 15/2579 –
ZP 7 Beratung des Antrags der Abgeordneten Gudrun Kopp,

Rainer Brüderle, Angelika Brunkhorst, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der FDP
Beraterverträge auf den Prüfstand stellen – Transparenz
bei Kosten- und Qualitätskontrolle sichern
– Drucksache 15/2422 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit (f)

Rechtsausschuss
Haushaltsausschuss

Von der Frist für den Beginn der Beratung soll, soweit
erforderlich, abgewichen werden.

ren sollen die Tagesordnungspunkte 11 a
Kranken- und Pflegeversicherungsbei-
22 – Investitionen in Verkehrsinfrastruktur
swesen (f)


Des Weite
– Zusätzliche
träge – sowie

sicherstellen – abgesetzt werden.






(A) (C)



(B) (D)


Präsident Wolfgang Thierse

Außerdem mache ich auf eine nachträgliche Überwei-

sung im Anhang zur Zusatzpunktliste aufmerksam: Der
in der 91. Sitzung des Deutschen Bundestages überwie-
sene nachfolgende Antrag soll zusätzlich dem Ausschuss
für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe zur Mitbera-
tung überwiesen werden:


(Ingolstadt)

Dzembritzki, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten
Marianne Tritz, Claudia Roth (Augsburg), Volker
Beck (Köln), weiterer Abgeordneter und der
Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Den Stabilisierungsprozess in der Demokrati-
schen Republik Kongo nachhaltig unterstüt-
zen
– Drucksache 15/2479 –
überwiesen:
Auswärtiger Ausschuss (f)

Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung

Sind Sie mit diesen Vereinbarungen einverstanden? –
Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlos-
sen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 4 sowie Zusatzpunkt 2
auf:

4 Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre-
gierung
Innovationen und Zukunftstechnologien im
Mittelstand – Hightech-Masterplan
– Drucksache 15/2551 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit (f)

Finanzausschuss
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für Kultur und Medien

ZP 2 Beratung des Antrags der Abgeordneten Cornelia

(Homburg)

der FDP
Jahr der Technik zur Stärkung der For-
schungslandschaft und des Innovationsklimas
in Deutschland nutzen
– Drucksache 15/2594 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Haushaltsausschuss

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache zwei Stunden vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Parlamen-
tarischen Staatssekretär Dietmar Staffelt das Wort.

(Volker Kauder [CDU/CSU]: Der ist nicht da! – Wolfgang Gerhardt [FDP]: Ich habe ihn aber schon gesehen!)


– Immerhin.

(Heiterkeit und Beifall – Volker Kauder [CDU/ CSU]: Die Regierung will schon gar nicht mehr!)


Nach einer kurzen Phase der Verwirrung wird nun Frau
Bundesministerin Edelgard Bulmahn alles Notwendige
zur Klärung beitragen.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Zweite Wahl!)


Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildung
und Forschung:

Bundesministerinnen sind ja zu jeder Zeit einsetzbar.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten

Herren und Damen! Wissenschaft, Technik, Forschung
und Entwicklung sind die Disziplinen, in denen deutsche
Unternehmen ihre Medaillen gewinnen müssen. Nur
durch Vorsprünge bei der Innovation, der Entwicklung
und der Anwendung von hochwertigen Produkten,
Dienstleistungen und technischen Verfahren sichern wir
unsere wirtschaftliche Leistungsfähigkeit. Nur so
schaffen wir die Arbeitsplätze, die wir in unserem Land
brauchen, und erhalten damit die Grundlage für Wohl-
stand, Teilhabe und Gerechtigkeit.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Deshalb ist es für unsere Zukunft entscheidend, dass
wir in den genannten Disziplinen auch weiterhin schnell
und gut genug sind. Die rund 200 000 kleinen und mit-
telständischen Unternehmen in Deutschland, die jährlich
neue Produkte, Dienstleistungen und Verfahren auf den
Markt bringen, spielen dabei eine Schlüsselrolle. Sie
sind im wahrsten Sinne des Wortes das Rückgrat unserer
technologischen Leistungsfähigkeit.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ohne ihre Kompetenz und Innovationskraft hätten wir
unsere aktuelle Position als zweitgrößter Technologie-
exporteur der Welt nicht erreichen können.

Richtig ist aber auch: Die Wachstumsschwäche der
vergangenen drei Jahre hat auch im Innovationsverhal-
ten der deutschen Wirtschaft Spuren hinterlassen. Be-
troffen sind davon nicht nur Branchenriesen und Global
Players, sondern gerade auch die rund 35 000 kleinen
und mittleren Unternehmen, die regelmäßig in For-
schung und Entwicklung investieren. Vor allem die Pro-
bleme der Innovationsfinanzierung haben die Spiel-
räume dafür in den vergangenen Jahren zunehmend
begrenzt, und das vor dem Hintergrund, dass wir gerade
in wichtigen Bereichen wie zum Beispiel der Biotechno-
logie oder der Informations- und Kommunikationstech-
nologie wirklich erheblich dazugewonnen haben, unsere
Position erheblich verbessern konnten.






(A) (C)



(B) (D)


Bundesministerin Edelgard Bulmahn

Damit das, was wir an Exzellenz, an Leistungsfähig-

keit in der Forschung erreicht haben, auch zügig zu
neuen Unternehmungsgründungen, zu neuen Produkten
und zu Unternehmenserweiterungen führt, müssen wir
die Finanzknappheit stoppen, beenden und wieder um-
kehren.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Genau da setzt der Hightech-Masterplan an. Hier set-
zen wir den Hebel an, um Finanzierungshindernisse für
die Gründung und das Wachstum innovativer Unterneh-
men zu beseitigen. Das heißt im Klartext: Wir erschlie-
ßen jungen Innovationsunternehmen neue Finanzquel-
len. Gleichzeitig verbessern wir damit die Einbindung
von kleinen und mittleren Unternehmen in die For-
schungs- und Innovationsnetzwerke und unterstützen
den Transfer von Forschungsergebnissen durch die ge-
zielte Förderung von technologieorientierten Aus- und
Neugründungen.

Mit dem Hightech-Masterplan setzt die Bundesregie-
rung ihre Forschungs- und Innovationspolitik fort, die
seit Jahren an den besonderen Belangen von kleineren
und mittleren Unternehmen ausgerichtet ist. Die von uns
nach 1998 auf den Weg gebrachten Maßnahmen zur För-
derung junger Technologieunternehmen und innovativer
Gründungen haben sich bewährt und werden deshalb
auch weitergeführt. Gleichzeitig starten wir neue Initiati-
ven, haben wir neue Elemente geschaffen, die am aktuel-
len Bedarf ausgerichtet sind.

Einige wichtige Punkte möchte ich herausstellen. Wie
ich bereits gesagt habe, müssen Innovationen finanziert
werden; sonst werden sie nicht zu Innovationen. Wir ge-
ben deshalb dem Wagniskapitalmarkt einen neuen Im-
puls. Hierfür richten wir einen gemeinsamen Beteili-
gungsdachfonds des ERP-Sondervermögens und des
Europäischen Investitionsfonds ein.

Auch im Steuerrecht konnten wir Fortschritte erzielen.
Ich bin sicher: Die Besteuerung des Carried Interest nach
dem Halbeinkünfteverfahren sowie die sachgerechte Ab-
grenzung von vermögensverwaltenden und gewerblichen
Fonds werden die Wettbewerbsfähigkeit gerade kleiner
und mittelständischer innovativer Unternehmen deutlich
verbessern.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wissenschaft braucht Freiheit. In der Forschungspoli-
tik schaffen wir deshalb Freiräume für exzellente Wis-
senschaft. Gleichzeitig verbessern wir konkret und ge-
zielt die Rahmenbedingungen für die Zusammenarbeit
von Wirtschaft und Wissenschaft. Ein wichtiges Bei-
spiel: Wir setzen den Aufbau professioneller Strukturen
zur Patentverwertung von Forschungsergebnissen an den
Universitäten fort, damit das, was wir an Know-how, an
wirklich guten Forschungsergebnissen an den Hoch-
schulen erreicht haben, auch zügig, schnell und konse-
quent der Verwertung und damit der Anwendung zuge-
führt wird und damit in neue Produkte eingeht und
Arbeitsplätze schafft.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, kleine und mittlere
Unternehmen sind in einem ganz besonderen Maße auf
die Kooperation mit Forschungseinrichtungen, mit
Hochschulen angewiesen; denn sie können in ihrem ei-
genen Unternehmen nicht die große Zahl von Wissen-
schaftlerinnen, von Forschern vorhalten, die notwendig
sind, um wirklich Spitze zu sein, um im weltweiten
Wettbewerb auch mithalten zu können. Sie brauchen die
enge Zusammenarbeit, die Kooperation mit Forschungs-
einrichtungen, mit Universitäten und Fachhochschulen.
Deshalb gestalten wir die Forschungsförderung mittel-
standsgerecht und binden kleine und mittlere Unterneh-
men verstärkt in solche Netzwerke der Spitzenfor-
schung ein. In den letzten Jahren haben wir die Zahl der
geförderten kleinen und mittleren Unternehmen um
50 Prozent auf 1 700 Unternehmen erhöht. Dieses Er-
gebnis kann sich durchaus sehen lassen.

Wir brauchen Unternehmergeist, wir brauchen Unter-
nehmer, die bereit sind, Risiken einzugehen und ihre
Chancen zu nutzen. Deshalb forcieren und unterstützen
wir Ausgründungen innovativer Unternehmen aus der
öffentlich geförderten Forschung. Mit der Fördermaß-
nahme „Exist-Seed“ wurden in den ersten fünf „Exist“-
Regionen bislang über 100 Unternehmensgründungen
erfolgreich gefördert, wobei eine große Zahl von Ar-
beitsplätzen entstanden ist. Darüber hinaus werden wir
dieses Jahr für eine umfassende Bestandsaufnahme der
vielfältigen Maßnahmen im Bereich der Bildung zur
Selbstständigkeit nutzen.

Unser Ziel ist klar: ein konsistentes Konzept zur Stär-
kung der Gründungskultur in Deutschland, dessen Um-
setzung in der Schule anfängt und das bis in die Hoch-
schulen, in die berufliche Ausbildung und die
Unternehmen selbst hineinwirkt.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Innovationen sind ohne qualifiziertes Personal nicht
möglich. Innovation findet in Köpfen statt. Darum sind
Reformen in den Schulen, in der dualen Ausbildung und
in den Hochschulen eine zentrale Grundlage auch für
eine erfolgreiche Innovationspolitik. Wir werden des-
halb unsere Reformanstrengungen fortsetzen: Schaffung
von Ganztagsschulen für eine bessere Bildung, Moderni-
sierung und Verbesserung der Qualität der beruflichen
Bildung, Erhöhung der Studienanfängerzahlen. Wir
haben in diesem Jahr die höchsten Studienanfängerzah-
len in den Ingenieurwissenschaften und den Naturwis-
senschaften, die es in Deutschland jemals gab.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich habe die notwendigen Reformschritte genannt, die
wir angehen mussten und müssen, damit wir endlich
wieder das qualifizierte Personal, die qualifizierten Men-
schen in unserem Land haben, auf denen wirklich alles
ruht.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)







(A) (C)



(B) (D)


Bundesministerin Edelgard Bulmahn

Das Wichtigste ist mir aber, dass wir mit der vorlie-

genden Initiative für kleine und mittlere Unternehmen
die Kompetenzen – das, was wir an Initiativen gestartet
haben – bündeln. Mein Ministerium und das Wirt-
schaftsministerium führen ihre Programme zusammen,
um sicherzustellen, dass wir wirklich konsistent und
zielgerichtet kleine und mittlere innovative Unterneh-
men fördern.

Keine Frage: Wir können bei den im Hightech-Mas-
terplan gebündelten Maßnahmen nicht stehen bleiben,
sondern wir werden unsere Forschungspolitik für kleine
und mittlere Unternehmen weiterhin ausbauen. Ich will
noch einige Ansatzpunkte dafür nennen, die mir wichtig
sind.

Wir brauchen einen fokussierten Förderansatz. Wir
werden daher unter Einbeziehung von Wissenschaft und
Wirtschaft mit einer vorausschauenden Innovationspoli-
tik Forschungsfelder ermitteln, die eine große Chance
auf künftige Innovationen und das Potenzial zu Wachs-
tumstreibern haben. Ich möchte ein Beispiel nennen: die
Nanotechnologie. Die Automobilindustrie, die Medizin-
technik und die pharmazeutische Industrie werden in ei-
nem ganz starken Maße ihre wirtschaftliche Konkur-
renzfähigkeit auch darauf gründen müssen, dass diese
neue Technologie in ihren Unternehmen Einzug hält.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Deshalb müssen wir die Forschungsförderung auf genau
diese Felder fokussieren.

Eines ist klar: Wir müssen das Wissen in Hochschulen
und Unternehmen noch gezielter für Innovationen nut-
zen. Deshalb werden wir die Projektförderung stärker
auf eine solche Missionsorientierung ausrichten. Politik,
Wissenschaft und Wirtschaft verständigen sich dabei auf
ein Ziel und einen Umsetzungszeitraum. Entscheidend
ist dabei, dass die Wissenschaft über den besten Weg zur
Erreichung dieses Ziels wirklich selbst entscheidet.
Staatstechnologien wären der falsche Weg. Es geht viel-
mehr darum, dass strategische Ziele miteinander – von
Wissenschaft, Wirtschaft und Politik – vereinbart wer-
den und dann Wissenschaft und Wirtschaft selbst über
den besten Weg entscheiden, um diese Ziele zu errei-
chen.

Wir beobachten aktuell einen Rückzug der Unterneh-
men aus der Grundlagenforschung. Das ist übrigens eine
Entwicklung, die schon seit mehreren Jahrzehnten spür-
bar sukzessive fortgeschritten ist. Weil das weltweit so
ist, ist es umso entscheidender, dass wir einen funktio-
nierenden Wissens- und Technologietransfer aus der
Wissenschaft in die Wirtschaft erreichen; wir müssen ihn
unterstützen und organisieren. Das Ziel ist, Anreizsys-
teme zu entwickeln, damit kommerzialisierbare, also
verwertbare Potenziale neuer Forschungsergebnisse er-
kannt und genutzt werden. Dabei ist mir wichtig, noch
mehr Transparenz in Bezug auf wissenschaftliche Ergeb-
nisse zu erreichen.

In Deutschland ist die Zusammenarbeit der Hoch-
schulen mit der Wirtschaft noch immer sehr stark durch
die kurzfristig orientierte, zielgerichtete Auftragsfor-
schung gekennzeichnet. Wir brauchen in unserem Land
eine langfristige Partnerschaft, eine langfristige Koope-
ration – sie ist in anderen Ländern stärker ausgeprägt –
zwischen Hochschulen und Unternehmen. Das ist wich-
tig, damit eine Basis des Vertrauens entsteht, damit nicht
nur zufällig, sondern wirklich systematisch neue For-
schungsergebnisse zu Innovationen führen. Deshalb
versuchen wir, mit unseren Initiativen genau das zu er-
reichen, nämlich eine neue Innovationskultur zu ent-
wickeln und Innovationspartnerschaften zu etablieren.

Im Vergleich zu anderen OECD-Ländern bestehen in
Deutschland zu wenige gemeinschaftlich finanzierte
Forschungseinrichtungen, die anteilig von Staat und Un-
ternehmen getragen werden. Diese Forschungseinrich-
tungen können Themen bearbeiten, die zwar eine lang-
fristige und grundlagenorientierte Forschung erfordern,
gleichwohl aber ein hohes wirtschaftliches Anwen-
dungspotenzial besitzen. Ich will ausdrücklich sagen:
Ich begrüße es außerordentlich, dass zwei große Unter-
nehmen endlich auch in unserem Land Forschungsinsti-
tute in Universitäten gründen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Das eine Beispiel ist die TU Berlin, das andere Beispiel
ist die Universität in Potsdam. Wir brauchen aber mehr
solcher Initiativen.

Innovationen brauchen verlässliche Rahmenbedin-
gungen, die Freiraum für Neues lassen. Die innova-
tionsgerechte Gestaltung rechtlicher Rahmenbedin-
gungen ist daher eine zentrale Aufgabe der
Innovationspolitik, um sicherzustellen, dass Forschungs-
ergebnisse wirklich genutzt und umgesetzt werden kön-
nen. Als Beispiele für Gesetze, durch die Rahmenbedin-
gungen beschrieben und festgelegt werden, nenne ich
das Telekommunikationsgesetz und das Gentechnikge-
setz. Das Gleiche gilt für die Umsetzung der Biopatent-
richtlinie. Dadurch werden die notwendigen Rahmenbe-
dingungen geschaffen, die wir brauchen, damit sich
Innovationen wirklich entfalten können und zu Markter-
folgen werden.

Unstrittig ist zudem: Zu viel Bürokratie lähmt Inno-
vationen.


(Albrecht Feibel [CDU/CSU]: Woher kommt diese Bürokratie? Ihr habt sie fünf Jahre lang aufgebaut! – Jörg Tauss [SPD], zu Abg. Albrecht Feibel [CDU/CSU] gewandt: Das ist eure! Wir bauen sie ab!)


Wir werden die bürokratischen Hemmnisse im Bereich
der Forschung, der Technologie und der Innovation da-
her weiter abbauen. Ich sage Ihnen ausdrücklich: Wir
müssen das abbauen, was Sie über Jahrzehnte aufgebaut
haben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Diese Bundesregierung hat es erreicht, dass die
Forschungsorganisationen Globalhaushalte aufstellen.
Diese Bundesregierung hat es erreicht, dass die HGF, die
Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren,
nicht mehr jährlich in mühsame Haushaltsverhandlun-






(A) (C)



(B) (D)


Bundesministerin Edelgard Bulmahn

gen eintreten muss. Unter Ihrer Ägide musste hier alles
– von der Renovierung der Kanalisation bis hin zu den
einzelnen Forschungsprojekten – ausgehandelt werden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich habe den Forschungseinrichtungen die notwendige
Freiheit gegeben.

Ich würde mich freuen, wenn wir darin übereinstimm-
ten, dass wir weiterhin bürokratische Hemmnisse ab-
bauen müssen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Ja, die ihr aufgebaut habt!)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1509400100

Frau Ministerin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des

Kollegen Schauerte?
Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildung

und Forschung:
Ja, selbstverständlich.

Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1509400200

Frau Ministerin, zwischendurch will ich darauf hin-

weisen, dass Sie Ihre Redezeit schon deutlich überschrit-
ten haben. Sie erhalten jetzt aber die Chance, weiterzu-
sprechen. – Bitte schön, Herr Schauerte.


Hartmut Schauerte (CDU):
Rede ID: ID1509400300

Frau Ministerin, Sie haben gerade die Erfolge sozial-

demokratischer Innovationspolitik sehr nach vorne ge-
spielt.


(Beifall bei der SPD)

Können Sie mir beantworten, warum es zum Beispiel bei
den Zahlen der Patentanmeldungen pro 100 000 Men-
schen in bestimmten Regionen unseres Landes – sie sind
besonders relevant; ich könnte Ihnen viele nennen –
krasse Unterschiede gibt?

Auf 100 000 Bürger in Nordrhein-Westfalen kommen
50 Patentanmeldungen, auf 100 000 Bürger in Baden-
Württemberg kommen 112 Patentanmeldungen


(Beifall des Abg. Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])


und auf 100 000 Bürger in Bayern kommen
116 Patentanmeldungen. Die Zahl der Patentanmeldun-
gen in Nordrhein-Westfalen – lange Zeit sozialdemokra-
tisch regiert –


(Alfred Hartenbach, Parl. Staatssekretär: Immer noch!)


sinkt, während die der Patentanmeldungen in Baden-
Württemberg und Bayern steigt. Das nenne ich Innova-
tionspolitik!


(Beifall bei der CDU/CSU – Franz Müntefering [SPD]: Schauerlich! – Jörg Tauss [SPD]: Wir fördern in Bayern!)

Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildung
und Forschung:

Lieber Kollege, Ihr Beispiel zeigt eines sehr deutlich:
Es ist gerade in der Forschungspolitik, im Übrigen aber
auch in der Innovationspolitik, falsch, nur einen einzigen
Gesichtspunkt herauszupicken.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Ich könnte Ihnen viele nennen!)


Ich gehe davon aus, dass auch Sie wissen, welche Unter-
nehmen ihren Unternehmenssitz in den genannten Län-
dern haben.


(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Ja, warum denn nur? – Johannes Singhammer [CDU/ CSU]: Das ist eine gute Begründung!)


Ich gehe ferner davon aus, dass auch Sie wissen, wo die
Patentverwertungseinrichtungen der Forschungsorgani-
sationen ihren Sitz haben.


(Jörg Tauss [SPD]: Ja!)

Das hat im Übrigen überhaupt nichts mit den Rahmenbe-
dingungen zu tun.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Jörg Tauss [SPD]: Sondern damit, wer es bezahlt!)


– Ja, es hat damit zu tun, wer es bezahlt. – Die Mittel für
die Forschungseinrichtungen zahlt in erster Linie der
Bund. Bei der FhG sind das zum Beispiel 90 Prozent.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Wo kommen die Unterschiede her?)


Ich will ausdrücklich sagen, dass es wirklich falsch
ist, wenn man so argumentiert und vorgeht wie Sie.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass wir in unserem
Land – im Übrigen auch in diesem Bundestag – ein be-
stimmtes Bewusstsein und eine bestimmte Einstellung
brauchen, um unser gesamtes Land nach vorne zu brin-
gen.


(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Genau, sehr schön!)


Es gibt in allen Regionen insgesamt erheblichen Verbes-
serungsbedarf, um die Zahl der Patentanmeldungen
noch weiter zu erhöhen.

Kurz gesagt: Wir brauchen in unserem Land – das gilt
auch für die Opposition – eine Kultur für Innovationen,
die nicht kleinkariert agiert,


(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Genau!)

sondern die die Chancen sieht, die in Wissenschaft und
Forschung liegen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Wie lange wollt ihr noch regieren?)







(A) (C)



(B) (D)


Bundesministerin Edelgard Bulmahn

Wir brauchen Menschen, die bereit sind – das sage ich
ausdrücklich –, auch das Bekannte infrage zu stellen und
den Herausforderungen unserer Zeit mit Mut und Fanta-
sie zu begegnen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1509400400

Frau Ministerin, nicht Ditmar Staffelt, sondern Sie ha-

ben heute Geburtstag. Deswegen ein herzlicher Glück-
wunsch!


(Beifall)

Nun erteile ich das Wort Kollegin Dagmar Wöhrl,

CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dagmar G. Wöhrl (CSU):
Rede ID: ID1509400500

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch von

meiner Seite aus, Frau Ministerin, einen herzlichen
Glückwunsch zu Ihrem Geburtstag. Herr Staffelt hat Ih-
nen wahrscheinlich den Vortritt gelassen, weil Sie heute
Geburtstag haben. Nehmen wir das zumindest einmal an,
Herr Staffelt.


(Ditmar Staffelt, Parl. Staatssekretär: Sie wissen, wie höflich ich bin!)


Mit dem Hightech-Masterplan wird ein für unser
Land wichtiges zentrales Thema angesprochen. Wir be-
grüßen das ausdrücklich.


(Ludwig Stiegler [SPD]: Das ist unglaublich!)

Unser Land braucht Innovation und Hightech-Produkte.
Unser Land muss schneller, besser und kreativer werden
und bleiben. Dies gilt besonders vor dem Hintergrund
des Wettbewerbs mit unserer internationalen Konkur-
renz. Der 1. Mai mit der EU-Osterweiterung und damit
auch die Billiglohnländer stehen vor der Tür. Wir kön-
nen, wollen und sollen auch nicht in Konkurrenz mit die-
sen Billiglohnländern treten. Das wäre vollkommen ver-
fehlt. Wir wissen: Wir brauchen einen funktionsfähigen
Niedriglohnsektor. Die so genannte einfache Arbeit
muss zukünftig auch in Deutschland wieder möglich
sein und darf nicht diskreditiert werden.

Aber um unseren Wohlstand und unser soziales Netz
in der Zukunft aufrechtzuerhalten und die Sozialhilfe,
das Kindergeld und unsere Infrastruktur finanzieren zu
können, müssen wir als Allererstes Produkte herstellen,
die Spitze und besser als die aller anderen Länder sind.
Das gilt für das Auto genauso wie für die Chemie, die
Medizin und die Forschung.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Wenn wir das Wort Innovation hören,

(Jörg Tauss [SPD]: Ihr habt das über Jahre ver pennt!)

dann ist dies für uns nur ein Schlagwort. Wir sehen vor
unseren Augen Hightech und wirtschaftliche Leistungs-
fähigkeit. Aber dahinter steckt ein ganz großer sozialer
Prozess, nämlich Bildung, dicht gefolgt von der For-
schung. Wenn wir auf diesen Zug Richtung Zukunft auf-
springen wollen, dann brauchen wir Bildung, Forschung
und Unternehmertum.


(Jörg Tauss [SPD]: Ja!)

Nur so schaffen wir es, die Technologieführerschaft

wieder zurückzugewinnen, die wie einmal gehabt haben.
Wir wissen, wir stellen weiterhin Produkte her, die noch
immer weltweit Spitze sind und die zumindest konkur-
renzfähig sind, aber leider mit abnehmender Tendenz.
Der Trend unserer Wirtschaft ist alarmierend. Wir dürfen
davor die Augen nicht verschließen. Das gilt besonders
für die Ausbildung in Technologiebereichen, wie Ma-
schinenbau und Elektrotechnik. Hier haben sich die
Zahlen in den letzten Jahrzehnten nahezu halbiert. Das
ist alarmierend.


(Jörg Tauss [SPD]: Vor allem in München!)

– Es wäre schön, wenn Sie zuhören würden. Ansonsten
können Sie sich zu einer Zwischenfrage melden.


(Jörg Tauss [SPD]: In München habt ihr beim Maschinenund Fahrzeugbau gekürzt und den Lehrstuhl abgebaut! Die Wahrheit muss man vertragen!)


– Herr Tauss, hören Sie zu! Sie sollten sich wirklich hin-
ter die Ohren schreiben, dass unsere deutschen Unter-
nehmen allein in forschungs- und entwicklungsintensi-
ven Produktionsbereichen einen Anteil von einem
Drittel am Welthandel verloren haben.

Ich sage es Ihnen ganz offen: Ich begrüße es, Frau
Ministerin, dass das Wirtschafts- und Arbeitsministe-
rium zusammen mit dem Bildungsministerium ein ge-
meinsames Papier auf den Tisch gelegt hat. Aber so gut
dies auch ist, so fehlt mir hier der Glaube in Bezug auf
die Realisierung. Eherne Ziele sind zwar schön und gut,
aber sie müssen auch umgesetzt werden. Wie oft haben
wir aus dem Munde des Wirtschaftsministers von die-
sem Pult aus immer wieder Versprechungen gehört, von
denen aber keine umgesetzt worden sind! Was nützen
tolle Worte, wenn anschließend die konkreten Taten feh-
len? Wo ist denn der Masterplan Bürokratieabbau?

Wo ist denn hier Bürokratie abgebaut worden? Wäh-
rend Ihrer Regierungszeit ist doch immer mehr Bürokra-
tie aufgebaut worden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Jörg Tauss [SPD]: In Bayern!)


Das hat das Institut für Mittelstandsforschung schwarz
auf weiß dargelegt. Im Jahreswirtschaftsbericht vom
letzten Jahr haben Sie noch ganz toll getönt: Allianz der
Erneuerung. – Das war einer der „Erfolge“, der Ihnen im
neuen Jahreswirtschaftsbericht nicht mehr ein Wort der
Erwähnung wert ist.


(Zuruf von der CDU/CSU: Worthülsen sind das!)


Was hat denn der Wirtschaftsminister alles versprochen?
Er hat beispielsweise versprochen, dass die Handwerks-






(A) (C)



(B) (D)


Dagmar Wöhrl

ordnung gemeinsam mit der Opposition und dem Hand-
werk geändert werde. Anschließend hat er alleine einen
Crashkurs gesteuert.


(Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Völliger Quatsch!)


So schaut Ihre Politik aus.
Wenn Sie im Hightech-Masterplan feststellen, der ge-

samtwirtschaftliche Nutzen von Forschungs- und Ent-
wicklungsprojekten in kleineren und mittleren Unterneh-
men übersteige in der Regel den individuellen Ertrag,
dann stimmt das. Das ist richtig. Aber ich frage mich,
warum Sie dann so wichtige Programme wie zum Bei-
spiel „Pro Inno“ bereits Ende Oktober eingestellt haben.
Über 1 000 Anträge liegen auf Eis, nur weil Sie Ihren
Haushalt nicht in den Griff kriegen und nicht wissen,
wie man mit Finanzen umgeht. Sie verstoßen gegen den
Stabilitätspakt. Sie haben den Europäischen Gerichtshof
schon dazu gebracht, ein Eilverfahren gegen Deutsch-
land in Gang zu setzen.


(Jörg Tauss [SPD]: Das habt ihr doch gefordert!)


Was noch viel schlimmer ist: Sie schreiben zwar, dass
der Hightech-Masterplan im Mittelstand wirken soll.
Aber es ist doch genau der Mittelstand, den Sie mit Ihrer
Wirtschaftspolitik vergraulen. Unser Mittelstand braucht
keine Glanzbroschüren, die Sie auflegen. Er braucht Zu-
versicht, er braucht Hoffnung, er braucht Planungssi-
cherheit und er braucht Rahmenbedingungen, an denen
er sich orientieren kann. Dann investiert er auch.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Er braucht vor allem eine mittelstandsfreundliche Regierung!)


– Richtig, Herr Kollege Hinsken. – Wichtig sind Investi-
tionen, damit man die Strukturen erhalten und die Basis
für eine gesamtwirtschaftlich positive Entwicklung
schaffen kann.


(Jörg Tauss [SPD]: Alles aneinander gereihte Textbausteine!)


Schauen Sie sich um! Wo ist denn das Investitionsfieber
in unserem Land? Suchen Sie es doch einmal! Sie wer-
den es nicht finden. Wir haben eine gedämpfte Stim-
mung.


(Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bei Ihnen ist die Stimmung gedämpft! – Jörg Tauss [SPD]: Sie machen immer alles mies!)


Der Sparkassen- und Giroverband stellt zu Recht
fest, Investitionen hingen sehr stark mit der Psychologie
des Wirtschaftens zusammen. Das ist richtig. Das wissen
wir alle. Aber wenn man eine gedämpfte Stimmung hat,
dann hat man auch keinen fruchtbaren Boden für Investi-
tionen. Wie soll denn ein Unternehmer heute noch opti-
mistisch sein, wenn wir in diesem Jahr eine durch-
schnittliche Umsatzrentabilität von 3,3 Prozent – das
ist der niedrigste Wert seit 1995 – haben und fast
30 Prozent unserer Unternehmen überhaupt keine Ge-
winne machen und der Rest größtenteils Verluste ver-
bucht? Auch das ist der schlechteste Wert seit 1995 laut
der Studie „Diagnose Mittelstand“ des Sparkassen- und
Giroverbandes. Der Gewinn bzw. die Aussicht auf Ge-
winn ist doch die Antriebskraft für wirtschaftliche Ent-
wicklung und Innovationen. Was bringen Sie? –
Zwangsabgaben, Neiddiskussion, Ausbildungsplatzab-
gabe, Erhöhung der Erbschaftsteuer und Wiederbele-
bung der Vermögensteuer.


(Jörg Tauss [SPD]: Müller-Milch! – Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Ein Mittelstandsvertreibungsprogramm haben sie organisiert!)


Uns brechen die Arbeitsplätze weg. Das wissen Sie.
Wir haben aber noch ein ganz anderes Problem. Uns

brechen nicht nur die Arbeitsplätze weg, sondern uns
brechen auch die Unternehmer weg. Wenn wir in unse-
rem Land keine Unternehmer mehr haben und niemand
mehr bereit ist, Unternehmer zu werden, dann werden
wir zukünftig niemanden mehr haben, der Arbeitsplätze
schafft. Deshalb ist es auch kein Wunder, dass über
45 000 Arbeitsplätze von deutschen Unternehmen jedes
Jahr im Ausland geschaffen werden und nicht bei uns,
wo sie so dringend notwendig sind.

Frau Ministerin, Sie glänzen mit unwahrscheinlich
kreativen Vorschlägen:


(Jörg Tauss [SPD]: Das ist wahr! Da kann man nur zustimmen!)


„Deutschland sucht die Super-Uni“ – wunderbar! Für
diesen Aktionismus ist bezeichnend, dass Sie es noch
nicht einmal geschafft haben, bei Ihren eigenen Leuten
oder bei den Grünen den Begriff „Elite-Universität“
durchzusetzen. Der liebe Herr Cohn-Bendit ruft dem
Kanzler zu: „Lieber Gerhard Schröder, das ist Schwach-
sinn mit der Elite, schmink dir das ab.“ Wir sprechen
hier von Innovation. Das zeigt doch, dass Ihr ganzer
Hightech-Masterplan nicht das Papier wert ist, auf dem
er steht.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Wir diskutieren über Spitzenprodukte.


(Siegfried Scheffler [SPD]: Aschermittwoch ist schon lange vorbei! Sie brauchen Ihre Rede nicht zu wiederholen!)


Wir wollen doch die Eliten und die Besten der Besten in
Deutschland ausbilden. Wir wollen, dass diejenigen, die
gut ausgebildet sind, auch hier bleiben und nicht abwan-
dern.

Es gibt leider einen immensen Braindrain, eine hohe
Abwanderung junger Leute mit guter Ausbildung ins
Ausland, und wir wissen ganz genau: Wer weg ist,
kommt selten wieder zurück. Das aber sind die Eliten,
die den Hightechplan mit Leben erfüllen sollen und müs-
sen. Wer soll das denn sonst machen? Es sind die Cleve-
ren und die Mutigen, die Geschäftsideen umsetzen, Ar-
beitsplätze schaffen, engagiert sind und unbequeme
Fragen stellen. Sie stellen Produktionsabläufe infrage
und öffnen den Weg für neue Verfahren.

Wir brauchen diese Eliten im nationalen Maßstab ge-
nauso wie im internationalen Maßstab und wir müssen






(A) (C)



(B) (D)


Dagmar Wöhrl

uns als Gesellschaft zu diesen Eliten bekennen. Dafür
werbe ich hier.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Bill Gates hat viele 100 Millionen US-Dollar ver-

dient. Aber er hat auch viele Tausend Menschen in den
USA in Brot und Arbeit gebracht. Das muss hervorgeho-
ben werden; denn das ist die Erfolgsgeschichte dieser
Menschen: Sie schaffen Tausende von Arbeitsplätzen.
Dies sollte man als positives Beispiel nehmen.

Wie wir wissen, legt die Globalisierung unsere
Schwächen offen. Darauf müssen wir reagieren. Wir
müssen aber nicht nur reagieren, sondern wir müssen die
Globalisierung gestalten. Uns rennt die Zeit davon, weil
Sie das im Bildungsbereich nicht anpacken. Wir brau-
chen aber Perspektiven für die Sozialversicherungen.


(Siegfried Scheffler [SPD]: Kommen Sie doch mal zum Kern und machen Sie ein paar Vorschläge! Das sind nur Sprechblasen!)


Notwendig ist ein Umsteuern in der Bildungspolitik.
Wir wollen kein zweites PISA mit Ergebnissen auf dem
Niveau von Mexiko. Wir wissen, dass sich keine Investi-
tion so stark rechnet wie die Investition in Bildung und
Ausbildung. Die durchschnittliche Rendite eines Hoch-
schulstudiums liegt in Deutschland bei 9 Prozent, in den
USA übrigens bei 15 Prozent. Das ist eine bessere Ren-
dite als bei allen anderen Anlageoptionen. – Vor diesem
Hintergrund muss man sich fragen, warum nur 32 Pro-
zent der deutschen Abiturienten ein Hochschulstudium
in Angriff nehmen. Der internationale Durchschnitt liegt
bei 48 Prozent; in Neuseeland sind es sogar 76 Prozent.


(Siegfried Scheffler [SPD]: Wie war das denn bei Kohl?)


Sie haben schon viele Fehler gemacht. Das Einzige,
was Sie in diesem Bereich vorhaben, ist aber einer Ihrer
größten Fehler. Eine Ausbildungsplatzabgabe


(Jörg Tauss [SPD]: Umlage!)

– Abgabe! – ist keine Hightechpolitik von morgen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Sie ist vielmehr der Sozialismus von gestern, den Sie
wieder auf den Weg bringen. Das, Herr Müntefering
– Sie sind ja hier –,


(Jörg Tauss [SPD]: Im Gegensatz zu Frau Merkel! Wo ist sie denn?)


war wieder ein Sieg über den gesunden Menschenver-
stand, wie das schon öfter der Fall war.

Angesichts der neuesten Umfrage des DIHK, derzu-
folge im Falle einer Ausbildungsplatzabgabe mindestens
jedes sechste Unternehmen künftig nicht mehr in dem
Rahmen ausbilden wird, wie es das bisher getan hat,
wird deutlich, dass Sie nicht nur einen immensen Büro-
kratismus aufbauen und die mittelständischen Unterneh-
men mit immensen Kosten belasten, sondern dass Sie
auch hinsichtlich der jungen Leute, die unsere Zukunft
in diesem Lande darstellen, Schaden anrichten.

(Jörg Tauss [SPD]: Das Beste waren die Glückwünsche!)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1509400600

Kollegin Wöhrl, Sie müssen bitte zum Ende kommen.

Sie haben schon deutlich überzogen.

(Franz Müntefering [SPD]: Nein, sie soll wei tersprechen!)


Dagmar G. Wöhrl (CSU):
Rede ID: ID1509400700

Bekanntlich haben Sie sich dieses Thema auf die

Fahne geschrieben. Ich wünsche Ihnen dabei Erfolg. Ich
wünsche vor allem dem Wirtschaftsminister einen gro-
ßen Erfolg und würde mich freuen, wenn er auch beim
Emissionshandel eine wirtschaftliche Lösung erreichen
würde. Wenn er das schafft, werde ich ihm höchstper-
sönlich in Demut eine handwerkliche Meisterleistung
meines Kollegen Hinsken überreichen. Richten Sie ihm
das bitte aus!

Danke schön.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1509400800

Ich erteile dem Kollegen Fritz Kuhn, Fraktion Bünd-

nis 90/Die Grünen, das Wort.

Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1509400900

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Auch von mir und meiner Fraktion alles Gute und die
besten Wünsche zum Geburtstag, Frau Bulmahn!

Frau Wöhrl, Sie haben ausgeführt, in der Innovations-
debatte fehle es an Gestaltung. Ich muss aber, ehrlich ge-
sagt, feststellen, dass Sie keinen einzigen Vorschlag un-
terbreitet haben. Sie haben nichts anderes gesagt, als
dass die Stimmung schlecht sei, und damit dazu beige-
tragen, dass die Stimmung schlecht bleibt. Das ist das
Ergebnis Ihrer Rede.


(Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Es ist ja die entscheidende Voraussetzung für Wachstum, dass sich die Stimmung ändert!)


In Ihrer zehnminütigen Rede haben Sie nichts Konstruk-
tives und Gestaltendes zustande gebracht. Das hat mich
etwas erstaunt. Ich hätte Ihnen mehr zugetraut.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Dagmar Wöhrl [CDU/ CSU]: Wir reden heute über den Masterplan!)


Warum wir in Deutschland Innovationen brauchen, ist
klar: weil wir nicht mit Billiglohnländern konkurrieren
können. Deswegen können wir nur mit neuen Produkten,
Dienstleistungen und Produktionsverfahren, die andere
Länder – zu welchen Löhnen auch immer – noch nicht
am Weltmarkt anbieten können, Arbeitsplätze in
Deutschland sichern. Vor diesem Hintergrund ist der
heute vorliegende Masterplan ein richtiger Schritt mit
zum Teil bekannten und zum Teil auch neuen Instrumen-
ten. Seine Qualität besteht vor allem in der Bündelung
der vielen Programme von Wirtschafts- und Arbeits-






(A) (C)



(B) (D)


Fritz Kuhn

ministerium sowie Bildungsministerium. Aus diesem
Grund begrüßt meine Fraktion diesen Masterplan.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Sehr geehrte Frau Bulmahn, ich möchte allerdings
auch etwas Kritisches sagen.


(Jörg Tauss [SPD]: Nein, jetzt nicht!)

Der Masterplan stellt zwar ein gutes Zusammenspiel der
verschiedenen möglichen Maßnahmen dar. Aber die ge-
sellschaftliche Dimension, insbesondere die soziale und
die kulturelle, des Innovationsprozesses spricht er nicht
an. Auch darüber müssen wir meines Erachtens reden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Denn Innovationen betreffen im Kern immer die ge-
samte gesellschaftliche Entwicklung. Die Gesellschaft
muss offen, neugierig und visionsfähig sein, um ver-
nünftige und gute Innovationen auf den Weg zu bringen.
Deswegen sind wir, Bündnis 90/Die Grünen, der Mei-
nung, dass der Innovationsprozess eine klare soziale und
ökologische Richtung braucht, damit er die gesamte Ge-
sellschaft ergreifen, durchschlagend wirken und neue
Arbeitsplätze schaffen kann.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir brauchen – auch darüber wollen wir diskutieren –

Ziele, damit die Menschen wissen, worauf sich technolo-
gische Prozesse ausrichten und was insgesamt in der
Technologieentwicklung zu geschehen hat. Die Politik
kann keine Techniken vorschreiben. Dazu ist sie nicht in
der Lage und das ist auch nicht ihre Aufgabe. Wer
anderer Meinung ist, der unterliegt einem großen Miss-
verständnis. Aber sie kann die Zielrichtungen vieler
politischer und gesellschaftlicher Prozesse vorgeben,
aufgrund deren sich dann Techniken, Wissenschaft, For-
schung und Intelligenz entwickeln können. Das ist der
Weg, den wir vorschlagen und den wir nach unserer
Meinung für eine gute Innovationsentwicklung brau-
chen.

Ich möchte drei Beispiele nennen, damit Sie verste-
hen, was wir meinen. Erstes Beispiel: Das Themenfeld
der ökologischen Modernisierung gibt eine Richtung
vor, die für die Technologieentwicklung und Innovatio-
nen wichtig ist. Wenn wir es zum politisch akzeptierten
Ziel in diesem Hause machen, Wirtschaftswachstum mit
besserer Ressourcenproduktivität zu generieren, das
heißt mit weniger Energieverbrauch, insbesondere mit
weniger Wasserverbrauch, und mit weniger Landschafts-
verbrauch mehr Wirtschaftswachstum, dann setzen wir
einen guten Innovationsprozess in Gang. Denn eines ist
klar, Herr Schauerte: Man kann mit solchen grünen
Ideen der ökologischen Modernisierung schwarze Zah-
len schreiben und neue Arbeitsplätze schaffen. Dagegen
sollten Sie sich nicht länger sperren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Der Emissionshandel, insbesondere die Vergabe der
Zertifikate, ist vor diesem Hintergrund ebenfalls ein ent-
scheidendes Instrument zur Förderung des technischen
Fortschritts in Deutschland. Es ist doch ganz klar: Das
Land, das am schnellsten und am besten Klimaschutz
betreibt, hat Technologievorteile, weil es als erstes die
Technologien einsetzt, die wir brauchen, wenn wir einen
weltweiten Prozess der CO2-Vermeidung einleiten wol-len.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Zweites Beispiel, die Gesundheitspolitik: Die zwölf
Leittechnologien der Fraunhofer-Gesellschaft – darüber
haben Sie vielleicht gelesen – sind vor allem deswegen
sehr intelligent, weil sie sich auf gesellschaftliche Ziele
beziehen. Das Projekt, eine persönliche Pille, mit der die
Medikation auf das genetische Profil des jeweiligen Pa-
tienten abgestimmt werden soll, mithilfe der Gentechnik
und der Mikrobiologie zu entwickeln, ist vernünftig;
denn so können Unverträglichkeiten ausgeschlossen und
die medikamentöse Fehlversorgung, insbesondere die
Überversorgung, vermieden werden. Die Patientenver-
sorgung wird also verbessert.

Die Botschaft lautet: Wenn wir gesellschaftliche Ziele
zum Beispiel im gesundheitspolitischen Bereich definie-
ren und den Technologieprozess entsprechend ausrich-
ten, dann leiten wir eine positive Entwicklung ein. Wir
dürfen also nicht einfach sagen: Techniker macht, was
ihr könnt! Wir schauen nachher, ob wir daraus etwas
Vernünftiges machen können. – Gesellschaftliche und
politische Ziele müssen also in den Vordergrund.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Drittes Beispiel, der Dienstleistungsbereich: Hiermit
müssen wir uns mehr auseinander setzen, als dies im
Rahmen des Masterplans geschehen ist. Da Deutschland
bekanntermaßen eine Schwäche bei den Dienstleistun-
gen hat, müssen wir dafür sorgen, dass auch der Dienst-
leistungsbereich in den Innovationsprozess einbezogen
wird. Dies tun wir zu wenig, wenn wir nur auf die tech-
nische Entwicklung schauen und nicht darauf achten,
welche neuen und innovativen Dienstleistungen in
Deutschland angeboten werden können. Zum Beispiel
bietet die „alternde Gesellschaft“ ein riesiges Feld für
neue Dienstleistungen. Der Gehirnschmalz aller Fraktio-
nen dieses Hauses muss darauf verwendet werden, wie
auf diesem Gebiet neue Arbeitsplätze geschaffen werden
können.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Ich möchte auf Folgendes hinaus: Wir brauchen Ziel-
setzungen gesellschaftlicher, sozialer und kultureller
Art, die dem Innovationsprozess vorgeschaltet sind; wir
dürfen nicht allein über Techniken diskutieren. Frau Mi-
nisterin Bulmahn, ich bin nicht für die Nanotechnik um
ihrer selbst willen. Ich bin für die Nanotechnik, weil ich
sehe, welche positiven Auswirkungen sie zum Beispiel
im Bereich der Medizin und in anderen Bereichen hat.
Das Gleiche gilt für die neuen Materialtechniken. Wir
müssen also über die Ziele reden. Die Politik muss Ziele
setzen. Wenn das geschieht, dann kommt es zu einem
positiven Technologieprozess.






(A) (C)



(B) (D)


Fritz Kuhn

Ich sage dies deswegen, weil die Innovationsdebatte

in Deutschland merkwürdig kalt ist. Ich finde, sie darf
nicht so kalt bleiben. Es muss zu einer warmen Debatte
kommen, mit der Zielrichtung, dass die Gesellschaft ihre
Probleme mit guten Techniken, mit guten Innovationen
lösen kann. Nur wenn das geschieht, kommen wir einen
Schritt weiter. Wir kommen aber nicht weiter, wenn wir
allein über Technologien diskutieren.

Damit wir uns richtig verstehen: Ich sage das nicht
aus der Perspektive eines Technikskeptikers. Ich weiß
vielmehr aus der Geschichte, dass ein Technikprozess
mit klaren gesellschaftlichen Zielen viel innovativer, viel
explosiver und viel radikaler vonstatten gehen kann.

Übrigens, wir müssen endlich offen über unsere Pro-
bleme reden. Wir in Deutschland tun uns zum Beispiel
extrem schwer damit, Subventionen abzubauen. Da die
Lobbys der alten Techniken das politische System – mit
entsprechendem Erfolg – bearbeiten, ist es so schwer,
die Subventionen abzubauen. Aber eines ist völlig klar:
Nur wer Subventionen radikal und schnell abbaut, ist in
der Lage, einen wirklichen Innovationskurs zu steuern.
Damit wir uns nicht gegenseitig Vorwürfe machen: Jeder
kann bei den Subventionen anfangen, für die er selbst
eingetreten ist; jeder muss sich die Frage stellen, was er
selbst dafür tut, dass diese Subventionen abgebaut wer-
den.


(Widerspruch der Abg. Dagmar Wöhrl [CDU/ CSU])


Wir haben ein Gesundheitssystem – dafür sind Sie
verantwortlich, Frau Wöhrl –, das den Wettbewerb nicht
fördert und deswegen nicht innovativ sein kann.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Auch über solche Schwächen muss man reden, wenn
man hier – in diesem Sinne haben Sie sich ausgedrückt –
gestalten will.


(Jörg Tauss [SPD]: Lobbyisten!)

Wenn man sich hinter den Lobbys des alten Systems

versteckt – Frau Wöhrl, das haben Sie getan –,

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

dann gibt es kein Pro für Innovationen, für neue Techni-
ken und für neue Entwicklungen. Sie selbst haben ge-
sagt, Innovationen seien ein sozialer Prozess. Da hatten
Sie wirklich Recht. Aber wenn Sie das so sehen, dann
müssen Sie daraus auch die Konsequenzen ziehen.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Jörg Tauss [SPD]: Das ist wahr!)


Wir sind der Meinung, dass das, was die Regierung in
diesem Masterplan vorsieht – mehr für Forschung und
Bildung zu tun –, gut ist. Übrigens, im Hinblick auf die
Ausgaben des Bundes für Forschung und Bildung, auf
Ganztagsschulen und auf die Studienanfängerquote
brauchen wir uns in der Tat nicht zu verstecken, weil
sich der damit verbundene Prozess seit 1998 kontinuier-
lich verbessert. Sie haben in diesen Bereichen abgebaut,
während wir zugelegt haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Frau Bulmahn, ich glaube tatsächlich, dass wir die
Elitediskussion vom Kopf auf die Füße stellen müssen.
Wir vom Bündnis 90/Die Grünen glauben nicht daran,
das es zu exzellenten Hochschulen kommt, wenn man
allein von oben auf die Universitäten einwirkt.


(Jörg Tauss [SPD]: Wer sagt denn das?)

Die notwendige Entwicklung muss sich in der Breite
vollziehen. Wenn das geschieht, kann man zusätzlich et-
was Vernünftiges machen. Wir werden darüber im Detail
reden. Eines aber muss man klarstellen: Die Richtung
muss die Verbesserung des Hochschulsystems in der
Breite sein.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Kreditanstalt für Wiederaufbau hat eine Arbeits-

gruppe zum Thema Innovationsfinanzierung einge-
richtet. Die Ergebnisse der Tätigkeit dieser Arbeits-
gruppe sind erst vor wenigen Tagen veröffentlicht
worden. Man hat fünf sehr interessante, neue Vorschläge
gemacht. Damit es konkret und gestalterisch wird, Frau
Wöhrl, möchte ich drei davon kurz darstellen:


(Dagmar Wöhrl [CDU/CSU]: Nicht von der KfW, sondern von Ihnen wollen wir etwas hören!)


Erstens. Diese Arbeitsgruppe fordert, dass die Fach-
programme des Wissenschaftsministeriums – es sind
gute Programme; bisher verpufften die damit verbunde-
nen Zuschüsse in vielen Fällen – auf rückholbare und
nicht versicherbare Kredite, also auf Soft Loans, umge-
stellt werden sollen. Das ist eine vernünftige Forderung,
weil mit dem gleichen Geld für Innovationen viel mehr
Betriebe erreicht werden können.

Zweitens. Wir brauchen einen Spin-off-Fonds in
Deutschland, wodurch öffentliches Geld, privates Geld
und das Geld von Venture-Capital-Gesellschaften zu-
sammenfinden können, damit mehr Existenzgründungen
aus den Universitäten unterstützt werden können, damit
es zu mehr Existenzgründungen kommt, als es bisher
durch das EXIST-Programm der Fall ist.

Drittens. Wir müssen zum Beispiel das FUTOUR-
Programm, das nur im Osten durchgeführt wird, auf die
ganze Bundesrepublik ausdehnen, weil es ein hervorra-
gendes Technologieprogramm zur Förderung neuer Un-
ternehmen und Techniken ist.

Damit komme ich zum Schluss.

(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Gott sei Dank!)

Wir unterstützen den Masterplan in seinen Maßnahmen,
wie er vorgelegt worden ist. Wir vom Bündnis 90/Die
Grünen werden sehr darauf achten, dass die Innovations-
diskussion endlich eine stärkere politische und gesell-
schaftliche Richtung bekommt. Das halten wir für not-
wendig. Es ist sehr gut, dass Rot und Grün das Thema






(A) (C)



(B) (D)


Fritz Kuhn

Innovation aufgegriffen haben, während die Union ge-
schlafen hat


(Beifall des Abg. Jörg Tauss [SPD])

und sich seit Wochen und Monaten in einem unwürdigen
Prozess zur Findung eines neuen Bundespräsidenten ver-
gnügt, anstatt sich um das Kerngeschäft in der Politik
und um neue Arbeitsplätze zu kümmern.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Lachen bei der CDU/CSU)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1509401000

Ich erteile Kollegin Cornelia Pieper, FDP-Fraktion,

das Wort.

Cornelia Pieper (FDP):
Rede ID: ID1509401100

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her-

ren! Auch ich möchte Ihnen, Frau Ministerin Bulmahn,
im Namen der FDP-Fraktion erst einmal herzliche
Glückwünsche zu Ihrem heutigen Geburtstag ausspre-
chen und bei dieser Gelegenheit darauf hinweisen, dass
Sie mit Ihrem Amt eine Schlüsselfunktion für die Zu-
kunftsfähigkeit Deutschlands innehaben.


(Jörg Tauss [SPD]: Das ist wahr!)

Seit dem Beginn des Industriezeitalters in Deutsch-

land waren Wissenschaft, Forschung und Entwicklung
der Motor für den wirtschaftlichen Aufstieg dieses Lan-
des.


(Jörg Tauss [SPD]: Bis 1982!)

Sie schufen zugleich die Grundlage für eine wettbe-
werbsfähige moderne Volkswirtschaft, die in der Welt
ihresgleichen suchte. Was Deutschland bis heute so ex-
zellent getragen hat und was zugleich seinen weltweit
guten Ruf begründet, ist sein wissenschaftliches und
technologisches Fundament, auf dem seine technologi-
sche Leistungsfähigkeit beruht.

Aber dieses Fundament, meine Damen und Herren
von der Regierungskoalition, hat Risse bekommen. Das
gibt sogar Ihr Koalitionspartner zu. Wenn schon Herr
Kuhn hier kritisiert, dass der Masterplan nicht ausrei-
chend ist, wenn schon Ihr Koalitionspartner von diesem
Masterplan nicht überzeugt ist, dann ziehen Sie ihn doch
zurück und überarbeiten ihn!


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Jörg Tauss [SPD]: Zufriedenheit ist der Feind allen Fortschritts, Frau Kollegin Pieper!)


Zur technologischen Leistungsfähigkeit Deutschlands
werfen Sie einen Blick in den Bericht der Deutschen
Bundesbank! Darin sehen Sie, wie gravierend sich der
Saldo Deutschlands seit der Regierungsübernahme von
Rot-Grün


(Jörg Tauss [SPD]: Na, na, na!)

im Jahr 1998, Herr Tauss, verschlechtert hat.


(Jörg Tauss [SPD]: Korrekt bleiben!)

Wir geben heute wesentlich mehr für den Kauf von Pa-
tenten und Lizenzen, für Ergebnisse aus Forschung und
Entwicklung, für EDV-Leistungen und Ingenieurleistun-
gen aus, als wir Entsprechendes an das Ausland verkau-
fen.


(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Richtig! – Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: 7,5 Milliarden Euro!)


Betrug der Negativsaldo 1998 noch 2,5 Milliarden Euro,
so betrug er im Jahr 2001 schon 7,5 Milliarden Euro.
Das geht auf Ihr Konto, meine Damen und Herren von
der Regierungskoalition.


(Beifall bei der FDP – Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Vom Konto! – Jörg Tauss [SPD]: Na, na, na! – Ludwig Stiegler [SPD]: Das sind Altlasten, die jetzt wirksam werden!)


Einerseits forschen große global operierende Unterneh-
men dort, wo sie die besten Rahmenbedingungen oder
auch Absatzmärkte vorfinden. Andererseits forschen sie
auch dort, wo sie die geringsten bürokratischen Hinder-
nisse erwarten können. Bürokratie haben wir in
Deutschland leider noch viel zu viel.

Die jüngste Studie des Stifterverbandes für die Deut-
sche Wissenschaft zeigt, dass die Aufwendungen der
Unternehmen für Forschung und Entwicklung, die von
1995 bis 2002 eigentlich kontinuierlich gestiegen sind,
im Jahr 2003 das erste Mal sinken. Der Anteil der For-
schungs- und Entwicklungsausgaben der Wirtschaft
am Bruttoinlandsprodukt betrug 2002 noch 1,75 Prozent,
ein Jahr später 1,73 Prozent.


(Zuruf des Abg. Jörg Tauss [SPD])

Die Unternehmen sparen an der Forschung, Herr Tauss.
So warnte der Stifterverband für die Deutsche Wissen-
schaft zu Recht vor der nachlassenden Innovationsdyna-
mik in unserem Land.

Die Schwächung der technologischen Leistungsfähig-
keit verringert die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen
Wirtschaft. Nicht zuletzt durch den Zusammenbruch des
Neuen Marktes, das Scheitern vieler Venture-Capital-
Gesellschaften sind gerade junge Technologieunterneh-
men – das wissen auch Sie – nicht mehr in ausreichen-
dem Maß finanzierbar. Die hohe Zahl von Insolvenzen
in Deutschland – über 90 000 – ist doch bezeichnend
und alarmierend. Warum ist das so, meine Damen und
Herren? Das hat natürlich auch etwas mit politischen
Rahmenbedingungen in diesem Land zu tun. Die stim-
men einfach nicht. Wir haben zu hohe Steuern. Sie sind
mit der Reform der Sozialsysteme in diesem Land im-
mer noch nicht vorangekommen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Ludwig Stiegler [SPD]: Bei Ihnen waren sie mindestens zehn Punkte höher!)


Trotz aller lautstarken Bekenntnisse haben Sie es,
meine Damen und Herren von den Koalitionsfraktionen,
in Ihrer jetzt schon sechs Jahre währenden Regierungs-
zeit nicht vermocht, einen wirklichen Strukturwandel
hin zu einer wissensbasierten Wirtschaft und hin zu ei-
nem Höchsttechnologiestandort einzuleiten. Um mit den
klaren Worten der Autoren des Berichts „Zur Technolo-






(A) (C)



(B) (D)


Cornelia Pieper

gischen Leistungsfähigkeit Deutschlands“ zu sprechen:
Alle Ansätze verlaufen im Schneckentempo. Der Anteil
der Gesamtausgaben von Bund und Ländern und der
Wirtschaft für Forschung und Entwicklung stieg zwar
seit Mitte der 90er-Jahre auf jetzt 2,52 Prozent des Brut-
toinlandsprodukts an,


(Jörg Tauss [SPD]: Aha!)

liegt aber noch weit von der 3-Prozent-Zielmarke der EU
entfernt, zu der sich die rot-grüne Bundesregierung 2002


(Jörg Tauss [SPD]: Eure Hinterlassenschaft! – Weitere Zurufe von der SPD)


– Herr Tauss, schreien hilft nicht, Sie müssen schon die
Fakten zur Kenntnis nehmen – in Barcelona bekannt hat.

Ich habe mir erlaubt, die Bundesregierung zu fragen,
wie sie eigentlich dieses 3-Prozent-Ziel erreichen will.


(Jörg Tauss [SPD]: Eine gute Frage!)

Da habe ich von der Frau Ministerin Bulmahn zur Ant-
wort bekommen: Die dafür erforderlichen Steigerungs-
raten der F-und-E-Ausgaben ergeben sich aus den tat-
sächlichen Steigerungsraten des BIP bis zum Jahre 2010.
Eine belastbare Voraussage der erforderlichen jährlichen
Steigerungsraten der staatlichen und privaten F-und-E-
Ausgaben ist daher bis zu diesem Zeitpunkt nicht mög-
lich. – Was heißt denn das, meine Damen und Herren?
Sie haben gar nicht realistisch in Erwägung gezogen
bzw. haushaltspolitisch nicht kalkuliert, was da auf Sie
zukommt, und haben dieses Ziel überhaupt nicht in die
mittelfristige Finanzplanung eingestellt. Deswegen for-
dern wir heute die Bundesregierung auf, das auch in der
mittelfristigen Finanzplanung darzustellen. Daran kön-
nen Sie beweisen, ob Sie es mit der Forschungsförde-
rung ernst meinen oder nicht.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Über eines müssen wir uns im Klaren sein: Nur mas-
sive Investitionen in Bildung, Wissenschaft, Forschung
und Technologie sichern einen wirklichen Strukturwan-
del und damit auch Einkommen und Beschäftigung.
Deutschland steht vor der Nagelprobe. Vor dem Hinter-
grund einer immer noch schwachen Konjunktur ist es
gerade jetzt außerordentlich wichtig, einen deutlich stär-
keren staatlichen Beitrag zu leisten. Diese Bundesregie-
rung will uns immer noch glauben machen, dass die
Ausgaben für Forschung und Entwicklung seit ihrem
Regierungsantritt enorm gewachsen sind.


(Jörg Tauss [SPD]: Ja!)

Das ist einfach nicht wahr.


(Jörg Tauss [SPD]: Nein!)

Die gesamten staatlichen F-und-E-Ausgaben in Deutsch-
land


(Jörg Tauss [SPD]: Die Länder! Reden wir einmal über Bayern!)


– Herr Tauss, ich rede jetzt von Ihrer Regierungsverant-
wortung – sind von 2000 bis 2002 nur um 6 Prozent ge-
stiegen; dagegen waren es in Schweden knapp 30 Pro-
zent und in den USA 25 Prozent. Wenn Deutschland
seine technologische Zukunft nicht aufs Spiel setzen
will, sind Investitionen in die Forschung das Letzte, was
dem Rotstift zum Opfer fallen darf.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das Budget des BMBF sinkt gegenüber dem Vorjahr
um rund 103 Millionen Euro. Hinzu kommen die globa-
len Minderausgaben in Höhe von 229 Millionen Euro.
Da kann man doch nicht von einer Steigerung dieses
Haushaltsansatzes sprechen.


(Jörg Tauss [SPD]: Sagen Sie einmal die Prozentzahlen!)


Denken Sie bitte auch an die Forschungsbereiche in den
anderen Bundesministerien: Allein im Wirtschaftsminis-
terium sinkt der Forschungsetat um 4,7 Prozent. Da ist
also keine Rede von Zukunftsinvestitionen.


(Thomas Rachel [CDU/CSU]: Hört! Hört! Jetzt kommt es heraus!)


Meine Damen und Herren, die Entwicklung im Os-
ten unseres Landes bleibt weit hinter den Erwartungen
zurück. Auch da setzen Sie keine Zeichen. Wahrschein-
lich hat es damit zu tun, dass Herr Stolpe so sehr mit der
Maut zu tun hat, dass er sich mit Problemen der neuen
Bundesländer nicht mehr beschäftigen kann. Es besteht
in der Tat eine enorme Innovationslücke in den neuen
Bundesländern. Gerade einmal 9 Prozent des gesamt-
deutschen F-und-E-Personals arbeiten in den neuen Bun-
desländern und nur 6 Prozent aller Aufwendungen für
Forschung und Entwicklung entfallen auf die neuen
Bundesländer.


(Jörg Tauss [SPD]: Sachsen-Anhalt!)

– Ja, danke für das Stichwort Biotechnologieregion
Sachsen-Anhalt, Herr Tauss. Auch das will ich an dieser
Stelle ganz deutlich sagen: Frau Ministerin Bulmahn
preist zu Recht den Biotechnologiestandort Deutsch-
land, aber die Koalitionsfraktionen sprechen, was die
Biotechnologie anbelangt, mit gespaltener Zunge. Sach-
sen-Anhalt ist ein Biotechnologiestandort. Ich nenne
hier nur das Leibniz-Institut für Pflanzengenetik und
Kulturpflanzenforschung in Gatersleben. Indem Sie in
dieser Regierung auf Druck Ihres Koalitionspartners ei-
nen wichtigen gentechnischen Versuch gebremst haben,
haben Sie einen Wachstumskern in einer ostdeutschen
Region infrage gestellt.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Das ist Ihre innovative Politik, die wir nicht mittragen
können.

Es ist schon eigenartig, welchen Rückhalt Frau
Bulmahn in der Regierung hat.


(Thomas Rachel [CDU/CSU]: Nämlich keinen!)


Ich weiß nicht, ob es der Geist von Neuhardenberg war,
der Bundeskanzler Schröder bei der Regierungsklausur
im Sommer vergangenen Jahres veranlasste, mit seinen
Ministern Bulmahn und Clement sowie der Fraktion das






(A) (C)



(B) (D)


Cornelia Pieper

Thema Forschungs- und Innovationspolitik für den
Standort Deutschland zu diskutieren. Eines ist sicher:
Der Kanzler gesteht ein, dass es an allen Ecken und En-
den klemmt und Mitglieder der eigenen Regierung hier
nicht an einem Strang ziehen. Gleich nach der Bundes-
tagswahl zeigte sich bereits, dass wichtige Forschungs-
und Entwicklungsbereiche wie zum Beispiel die
Energieforschung nunmehr von drei Ministerien ver-
waltet werden: Frau Bulmahn ist für die Zukunfts-
energien zuständig, Herr Clement für die konventionel-
len Energien und Herr Trittin für die erneuerbaren
Energien, und das mit unterschiedlicher Mittelausstat-
tung. Alles wird überschattet von einem übereilten
Atomausstiegsszenario mit den bekannten schweren
Konsequenzen für die Forschung bezüglich der kern-
technischen Sicherheit und für die Sicherheit der deut-
schen Kernkraftwerke, die derzeit für immerhin 30 Pro-
zent der deutschen Stromversorgung zuständig sind.
Dazu gibt es im Moment auch keine Alternative. Wir je-
denfalls stehen zu dem Energiemix. Aber wir sagen auch
ganz deutlich, dass gerade in der Energieforschung Prio-
ritäten gesetzt werden müssen, damit neue Technologien
entwickelt werden können.

Meine Damen und Herren, Frau Bulmahn hat das Jahr
der Technik ausgerufen.


(Jörg Tauss [SPD]: Sehr gut!)

Der Kanzler überholt sie und ruft das Jahr der Innovation
aus.


(Jörg Tauss [SPD]: Jahrzehnt! – Dagmar Wöhrl [CDU/CSU]: Parole, Parole, Parole! Nur Parole!)


– Jahrzehnt wäre umso besser; aber dann müssten Sie
auch im Haushalt der zuständigen Ministerin glaubwür-
dig entsprechende Zeichen setzen. – Ich frage mich:
Stellt Bundeskanzler Schröder damit nicht die Kompe-
tenz und Durchsetzungsfähigkeit seiner eigenen Ministe-
rin infrage?


(Jörg Tauss [SPD]: Nein!)

Hinzu kommt, dass Herr Müntefering und der Ex-Ge-

neralsekretär Scholz, ohne sich mit der Ministerin rück-
zukoppeln, ein Programm für fünf Eliteuniversitäten
ausgerufen haben. Einmal davon abgesehen, dass wir als
Liberale seit Jahrzehnten für die Förderung der geistigen
Elite in diesem Land werben, und zwar glaubwürdig,


(Beifall bei der FDP – Jörg Tauss [SPD]: Spitzenverdiener! Ihr habt den falschen Elitebegriff!)


muss diese Förderung frühzeitig beginnen, nämlich mit
einer Begabtenförderung im Kindergarten, und bis zu
einer differenzierten und individuellen Betreuung in der
Schule und natürlich entsprechenden qualifizierten Stu-
dienangeboten reichen. Aber wenn Eliteuniversitäten per
Beschluss des Zentralkomitees dieser Bundesregierung
verordnet werden, geht das voll an den Realitäten des in-
ternationalen Wettbewerbs


(Ute Berg [SPD]: Dummes Geschwätz!)

um die besten Universitäten und die besten Köpfe vor-
bei, meine Damen und Herren von der Regierungskoali-
tion.


(Beifall bei der FDP – Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Was sagt denn Tauss dazu? – Jörg Tauss [SPD]: Albern!)


– Ich werde jetzt nicht ausführen, was Herr Tauss dazu
sagt, sehr verehrter Herr Kollege Dr. Gerhardt, aber ich
sage Ihnen, was die Allianz der Wissenschaftsorganisa-
tionen dazu meint: dass wir den Wettbewerb von Exzel-
lenzzentren brauchen, in denen Hochschulen auf
bestimmten Fachgebieten eng mit außeruniversitären
Forschungseinrichtungen und Wirtschaftsunternehmen
zusammenarbeiten. Deutschland wird nicht umhinkön-
nen, insbesondere seine Hochschullandschaft breit zu
fördern und seine Leistungsspitzen zu erhöhen.


(Jörg Tauss [SPD]: Das war die Rede der Ministerin!)


Sie wollen das Gegenteil, meine Damen und Herren
von der Regierungskoalition.


(Ludwig Stiegler [SPD]: Sie können weder lesen noch hören!)


Sie machen unglaubwürdig Politik: Sie streichen im
Haushalt 2004 die Mittel für die Hochschulen in diesem
Land und


(Jörg Tauss [SPD]: Bitte?)

kürzen die Mittel für den Hochschulbau auch in den
Länderhaushalten, sodass nicht mehr investiert werden
kann,


(Ludwig Stiegler [SPD]: Und Sie unterstützen die Europäische Kommission bei der Klage! Sparen fordern und Mehrausgaben verlangen!)


und rufen zeitgleich ein Programm für fünf Eliteuniver-
sitäten aus. Das geht meines Erachtens an den Realitäten
vorbei.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1509401200

Frau Kollegin, Sie haben Ihre Zeit deutlich überzo-

gen.

Cornelia Pieper (FDP):
Rede ID: ID1509401300

Vielen Dank, Herr Präsident.
Erlauben Sie mir als Letztes ein Zitat


(Zurufe von der SPD: Nein!)

von Benjamin Franklin: Investition in Wissen bringt die
besten Zinsen. Schreiben Sie sich das hinter die Ohren!

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Ludwig Stiegler [SPD]: Setzen! Sechs!)


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1509401400

Ich erteile das Wort Kollegen Ulrich Kasparick, SPD-

Fraktion.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)







(A) (C)



(B) (D)



Ulrich Kasparick (SPD):
Rede ID: ID1509401500

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Ich möchte zu unserem Thema zurückkommen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Unser Thema heute ist der Mittelstand. Ich hätte erwar-
tet, dass von der FDP zum Thema Mittelstand etwas
kommt. Aber wie wir eben alle verfolgen konnten, kam
nichts – nicht einmal ein Wort – zu diesem Thema.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Ludwig Stiegler [SPD]: Da kommt nur Unverstand bei denen!)


Es geht um die Frage, was wir politisch tun können, um
dem Mittelstand zu helfen.

Es sind schon verschiedene Dinge angesprochen wor-
den, die auch das Bundesland betreffen, in dem ich die
Lage einigermaßen gut überschauen kann. Zum Stich-
wort Gentechnologie in Gatersleben sei mir ein Satz ge-
stattet: Zu dem Forum, zu dem die Landwirtschaftsmi-
nisterin und der Wirtschaftsminister eingeladen hatten,
sind noch nicht einmal Vertreter der Bauernverbände ge-
gangen. Was Sie da vorhaben, bedarf eines gründlichen
Dialogs.

Die FDP wirft uns in ihrem Antrag Technikfeindlich-
keit vor. Ich will Ihnen hier im Plenum die konkrete Si-
tuation in meinem Bundesland schildern. Wir haben am
Standort Magdeburg eines der größten Hightech-Unter-
nehmen im Bereich der modernen Energietechnologien.
Wir haben mit vielen Verbündeten versucht, auch die
Forschungsabteilung des Unternehmens an diesen
Standort zu holen. Dieser große Anbieter von modernen
Dienstleistungen im Energiebereich, der mittlerweile in
über 35 Länder dieser Welt exportiert – so erfolgreich ist
er –, lehnte dankend mit der Begründung ab, dass sie
nicht in ein Land gehen, in dem es eine so massive Kam-
pagne gegen Windenergie gibt. Was dort gemacht wird,
ist Technologiefeindlichkeit.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Jörg Tauss [SPD]: Das ist das Traurige!)


Ich sage Ihnen: Wenn Sie – damit meine ich beson-
ders die Verantwortlichen im Wirtschaftsministerium
dieses Bundeslandes – den Standort auf diese Weise
systematisch beschädigen, dann werden Sie keinen Er-
folg haben.


(Cornelia Pieper [FDP]: Die Kapazität ist doch so gering!)


Was wir nämlich in Ostdeutschland brauchen, sind High-
tech-Unternehmen, die sich um Zukunftsmärkte küm-
mern. Wenn die so aus dem Lande vertrieben werden,
wie es Ihr Wirtschaftsministerium tut, dann hilft das un-
serem Land nicht.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1509401600

Kollege Kasparick, es haben sich gleich zwei Kolle-

gen zu einer Zwischenfrage gemeldet.

Ulrich Kasparick (SPD):
Rede ID: ID1509401700

Das können wir dann erledigen, wenn ich vorgetragen

habe.
Ich möchte nun etwas zu den konkreten Vorschlägen

in dem vorliegenden Hightech-Masterplan sagen. Der
eine oder andere von Ihnen weiß, dass ich wie viele un-
serer Kollegen viel im Lande unterwegs bin und mit den
Instituten und auch mit den Unternehmern rede. Ich habe
den Hightech-Masterplan von den Praktikern in der Re-
gion einmal checken lassen.

Als Erstes möchte ich der Ministerin und unserem
Wirtschaftsminister ein großes Lob für die Zusammenar-
beit beider Häuser aussprechen.


(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Das ist jetzt völlig überraschend!)


Dabei geht es um die Frage, was wir gemeinsam tun
können, um den Mittelstand voranzubringen. Das ist ge-
rade für Ostdeutschland ein ganz wichtiger Punkt.

Wir haben am vergangenen Wochenende mit den ost-
deutschen Abgeordneten und mit Vertretern des für den
Aufbau Ost zuständigen Ministeriums in Zeuthen zu-
sammengesessen. Wir wollen die Anstrengungen ver-
stärken. Wir wollen, dass die Häuser enger kooperieren
und sich stärker auf die Lösung der Probleme fokussie-
ren. Wir müssen schauen, wie wir die Kompetenzen der
Häuser bündeln können, um etwas für den Mittelstand
zu tun.

Die Praktiker sagen, dass es ein brauchbares Papier
ist. Die Praxistauglichkeit der Innovationsförderung
für kleine und mittelständische Unternehmen wurde er-
heblich gesteigert. Im Übrigen sei mir die Bemerkung
gestattet, dass wir das Programm „Pro Inno“, das in Ost-
deutschland läuft, für die alten Bundesländer geöffnet
haben. Das ist ein schönes Beispiel dafür, wie man vom
Osten lernen kann.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Es ist gut, dass das, was gut gelaufen ist und was sich be-
währt hat, auch für die alten Bundesländer geöffnet wird.

Für Ostdeutschland ist auch die Zusammenarbeit der
Unternehmen mit den Fachhochschulen wichtig. Ich
stimme der Feststellung in dem vorgelegten Papier aus-
drücklich zu, dass das Potenzial für die Verbesserung der
Zusammenarbeit zwischen Fachhochschulen und KMUs
sehr groß ist. Nach meiner Erfahrung liegt es insbeson-
dere an den fehlenden persönlichen Kontakten der klei-
nen und mittelständischen Unternehmen, die in Ost-
deutschland besonders klein sind, dass in diesem
Bereich zu wenig passiert. Wir haben hier Betriebsgrö-
ßen von durchschnittlich fünf bis zehn Mitarbeitern. Da
muss deutlich zugelegt werden.

Ich fordere von dieser Stelle die Kammern ausdrück-
lich dazu auf, sich an diesem Projekt zu beteiligen. Der






(A) (C)



(B) (D)


Ulrich Kasparick

Dialog zwischen den kleinen und mittelständischen Un-
ternehmen und den Fachhochschulen insbesondere in
Ostdeutschland muss deutlich verstärkt werden. Mein
Eindruck bei den weit über 500 Besuchen, die ich in den
letzten Jahren bei den ostdeutschen Instituten gemacht
habe, ist, dass da eine ganz große Schwachstelle liegt.
Diesen Dialog müssen wir fördern.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Was der Bund in Bezug auf staatliche Förderung tun

kann, hat er in dem Papier dargelegt. Wir müssen aber
beachten, dass die Forschungsintensität insbesondere in
den ostdeutschen Ländern noch sehr zu wünschen übrig
lässt. Ich habe mir sagen lassen, dass in dem Bundes-
land, aus dem ich komme, nur 5 Prozent der KMUs an
F und E beteiligt sind. Das heißt also: 95 Prozent der
kleinen und mittelständischen Unternehmen beteiligen
sich nicht an der Forschung.

Das alles kann man natürlich dem Bund in die Schuhe
schieben. Nur sage ich Ihnen ganz deutlich, dass dies
auch eine zentrale Aufgabe eines Landeswirtschafts-
ministeriums ist.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Meine Erfahrung ist: In meinem Bundesland gab es ei-
nen Innovationsbeauftragten. Dann wurde die Stelle ab-
geschafft.


(Cornelia Pieper [FDP]: Er hat aber keine Innovationen geschaffen!)


Jetzt hat man den Minister zum Innovationsbeauftragten
ernannt. Seither läuft gar nichts mehr.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Genau das ist die Schwierigkeit. Wir müssen deutlich
besser werden.

Insbesondere muss die sachsen-anhaltinische Landes-
regierung aufhören, bei den Hochschulen pauschal zu
kürzen. Es bringt das Land nicht einen Deut weiter,
wenn man einfach sagt: Alle Hochschulen müssen
10 Prozent weniger ausgeben.


(Jörg Tauss [SPD]: Bayern, Niedersachsen, wo auch immer!)


Was soll denn das für ein Qualitätsgütesiegel sein?

(Beifall des Abg. Volker Beck [Köln] [BÜND NIS 90/DIE GRÜNEN])

30 Millionen Euro sollen die Hochschulen bzw. Univer-
sitäten weniger ausgeben. Sie sollten einmal mit Vertre-
tern von Hochschulen sprechen. Ich komme gerade wie-
der von einer Besuchstour. Ich war beispielsweise bei
der Best Practice University in Wernigerode. Dort wurde
mir gesagt, dass man seit über einem Jahr auf die Geneh-
migung des Ministers für Berufungen warte. Fünf Perso-
nen, die alle Stadien durchlaufen hatten und hätten
anfangen können, sind von der Fachhochschule wegge-
gangen, weil das Ministerium kein Okay gibt.

Ich sage Ihnen deutlich: Da muss nachgebessert wer-
den. Das, was der Bund im Hinblick auf eine bessere
Kooperation zwischen Wirtschaft und Forschung vor-
legt, muss von den Länderministerien in Ostdeutschland
endlich nachgemacht werden. Denn das ist der richtige
Weg. Nur so geht es.


(Beifall bei der SPD)


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1509401800

Kollege Kasparick, gestatten Sie jetzt eine Zwischen-

frage des Kollegen Bergner?

Ulrich Kasparick (SPD):
Rede ID: ID1509401900

Ich bin fast am Ende. Dann kann er die Zwischen-

frage stellen.

(Volker Kauder [CDU/CSU]: Meine Güte, so eine Arroganz! – Gegenruf von der CDU/ CSU: Das ist keine Arroganz, das ist Feigheit!)


Ich will ein paar Punkte des Programms der Bundes-
regierung hervorheben, die gut sind und über die wir bis-
her noch nicht gesprochen haben. Sehr gut finde ich den
Vorschlag, Zuschüsse für die Anmeldung des ersten
Patents an KMUs zu vergeben. Denn bei vielen KMUs
stellt die Finanzierung des ersten Patents eine schwierige
Hürde dar. Ich habe mir gerade sagen lassen: Bei europäi-
schen Patenten reden wir über eine Größenordnung von
35 000 Euro. Wenn es dazu Zuschüsse gibt, ist das eine
hilfreiche und sehr wichtige Sache.

Sehr gut ist, dass die Beratung deutlich verbessert
wird, dass KMUs die Möglichkeit haben sollen, per Te-
lefon oder über Internetangebote sehr viel schneller an
Informationen heranzukommen, die ihnen helfen kön-
nen.

Die Ungleichgewichtigkeit, die wir zwischen den ein-
zelnen Bundesländern in Ostdeutschland haben, muss
deutlicher ausgeglichen werden. Ich will dazu eine Zahl
nennen: Der Ausdifferenzierungsprozess der Länder in
Ostdeutschland ist mittlerweile so weit, dass von den
Forschungsmitteln für KMUs, die nach Ostdeutschland
fließen, allein das Bundesland Sachsen 43 Prozent er-
hält. Das sagt etwas über die technologische Leistungs-
fähigkeit der anderen Bundesländer aus. Deswegen sage
ich: Dies wird offensichtlich nicht dadurch bestimmt, ob
das Land von der Union oder der SPD regiert wird, son-
dern wird durch die handelnden Personen bestimmt.


(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Genau! Die müssen weg!)


Deswegen müssen die Landesregierungen zulegen. Es
kann nicht sein, dass ein Bundesland 43 Prozent der
F-und-E-Mittel erhält, während sich andere dadurch aus-
zeichnen, dass sie erfolgreiche Unternehmen aus dem
Lande vertreiben oder zumindest verhindern, dass sie
ihre Forschungsabteilung in das Land holen.

Deshalb: Herzlichen Dank für den Vorschlag, der auf
dem Tisch liegt! Wir müssen jetzt ganz genau schauen,
dass die Anregungen in Bezug auf eine Verbesserung der
Zusammenarbeit auch im Alltag vollzogen werden. Das,
was wir Abgeordneten in unseren Wahlkreisen beitragen
können, um den Dialog zwischen Wirtschaft und Wis-
senschaft zu verbessern, wollen wir gerne tun.






(A) (C)



(B) (D)


Ulrich Kasparick

Insgesamt bin ich der festen Überzeugung, dass die

politische Linie in dem vorliegenden Papier richtig ist.
Sie läuft darauf hinaus, dass die Ministerien besser koo-
perieren und sich zusammentun, um besondere Schwer-
punktprobleme beispielsweise bei der Forschungsbeteili-
gung von KMUs anzugehen. Das ist genau der richtige
Weg; den unterstützen wir gern.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1509402000

Gestatten Sie jetzt die Nachfrage?

Ulrich Kasparick (SPD):
Rede ID: ID1509402100

Jetzt kann er gerne fragen.

Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1509402200

Kollege Kasparick, Sie müssen schon am Pult stehen

bleiben. Die Nachfrage bezieht sich ja auf Ihre Rede.

Ulrich Kasparick (SPD):
Rede ID: ID1509402300

Gerne.

Dr. Christoph Bergner (CDU):
Rede ID: ID1509402400

Herr Kollege Kasparick, ich will in meiner Frage un-

sere gemeinsamen landsmannschaftlichen Erfahrungen
ansprechen. Sie haben im Hinblick auf unser gemeinsa-
mes Bundesland Sachsen-Anhalt zwei Behauptungen
aufgestellt, die mich zu einer Nachfrage provozieren.
Die erste Behauptung war, dass Sachsen-Anhalt innova-
tive Aktivitäten von Unternehmen vertreibt,


(Jörg Tauss [SPD]: Schlimm genug!)

weil es die Akzeptanz der Windkraft einschränkt. Ist Ih-
nen bekannt, dass Sachsen-Anhalt inzwischen in
Deutschland in Bezug auf die Windkraftdichte eine Spit-
zenposition bei den küstenfernen Ländern erreicht hat
und dass Kommunalpolitiker Ihrer Partei angesichts die-
ser Dichte die Belastungsgrenze bereits als überschritten
betrachten,


(Cornelia Pieper [FDP]: Richtig!)

sodass Sie in die Gruppe derjenigen, die angeblich die
Windkraft verteufeln, Ihre eigenen Kommunalpolitiker
einbeziehen müssen?

Haben Sie zweitens unter wirtschaftspolitischen
Gesichtspunkten berücksichtigt, dass die regionalen
Energieversorger gerade mit Blick auf die unrentablen
Windkraftstandorte die Landesregierung inzwischen hin-
sichtlich der Energiepreisentwicklung zu Recht warnen,
eine solche Politik fortzusetzen?

Mein zweiter Punkt.

Ulrich Kasparick (SPD):
Rede ID: ID1509402500

Das wäre jetzt der dritte Punkt.

Dr. Christoph Bergner (CDU):
Rede ID: ID1509402600

Mein dritter Punkt: Sie haben den Eindruck erweckt,

als ob in Sachsen-Anhalt die Mittel für die Hochschulen
pauschal um 10 Prozent gekürzt wurden. Ist Ihnen ent-
gangen, dass diese 10 Prozent zwar ein Ziel für die
Haushaltskonsolidierung sind, dass sie aber sehr wohl
mit Vorschlägen zur Strukturveränderung – diese sind,
zugegeben, politisch umstritten – unterlegt sind? Mit
diesen Vorschlägen wollte man vermeiden, der Hoch-
schullandschaft insgesamt Kürzungen abzupressen; das
haben Sie versucht zu unterstellen.

Ich fühle mich aufgrund unserer gemeinsamen lands-
mannschaftlichen Herkunft verpflichtet, Ihre etwas küh-
nen Thesen durch drei Fragen klarzustellen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)



Ulrich Kasparick (SPD):
Rede ID: ID1509402700

Ich möchte Ihre drei Fragen gern beantworten. Herr

Dr. Bergner, eines unterscheidet uns beide: Sie sprechen
über Planungsvorgänge, die den Kommunen und Land-
kreisen obliegen, nämlich die Entscheidung, wo Wind-
turbinen aufgestellt werden. Ich spreche über Technolo-
giepolitik. Das ist etwas anderes. Es geht um die Frage,
ob es uns gelingen wird, die Kernbetriebe hoch innovati-
ver Unternehmen in den neuen Bundesländern zu halten.
Wir müssen jeden Betrieb im Land halten und jedem Be-
trieb, der seinen Hauptsitz und seine großen Produkt-
ionskapazitäten in die neuen Länder legen will, helfen.

Davon ist die Frage zu unterscheiden, an welchen
Standorten man Windturbinen aufstellt. Es geht darum,
ob man ein Unternehmen unterstützt, das Forschungska-
pazitäten aufbauen will. Wir haben mit der Geschäfts-
führung von Enercon gesprochen und wissen, dass diese
dankend ablehnt. Sie hat ausgeführt, dass sie ihre For-
schungsabteilung nicht in ein Land verlegt, in dem eine
solche Kampagne gegen sie geführt wird. Das ist das
Problem.

Sie haben die Hochschulen angesprochen, hier gibt es
ein weiteres Problem. Sie wissen, dass ich sehr viele In-
stitute besuche und dabei mit den Professoren spreche.
Ich lade Sie herzlich zu diesen Gesprächen ein. Sie wer-
den aus allen Hochschulen des Landes Sachsen-Anhalt
hören, dass die pauschale Kürzung der Mittel um
10 Prozent durch die Landesregierung in keinerlei Hin-
sicht förderlich für eine inhaltlich bessere Aufstellung
der Forschungsregionen ist. Es hilft dem Land nicht,
wenn Sie die Forschungsmittel kürzen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir brauchen auch im Land eine Zusammenarbeit zwi-
schen dem Wirtschafts- und dem Forschungsministe-
rium, wie es der Bund vormacht.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1509402800

Ich erteile das Wort dem Kollegen Hartmut

Schauerte, CDU/CSU-Fraktion.

(Thomas Rachel [CDU/CSU]: Sehr gut! End lich mal was Vernünftiges!)







(A) (C)



(B) (D)



Hartmut Schauerte (CDU):
Rede ID: ID1509402900

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kol-

lege Kasparick, nachdem Sie zusammen mit der PDS
das Land Sachsen-Anhalt in Grund und Boden gewirt-
schaftet haben,


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Widerspruch bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


erteilen Sie hier in arroganter Weise Zensuren, wie ich
das selten von einem jungen Kollegen gehört habe.


(Ulrich Kasparick [SPD]: Waren Sie mal in Sachsen-Anhalt?)


Gucken Sie sich einmal an, was Sie zusammen mit Ihren
Freunden in den letzten Jahren in Sachsen-Anhalt ka-
puttgemacht haben.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Bereinigen Sie das, bevor Sie hier eine dicke Lippe ris-
kieren!


(Jörg Tauss [SPD]: Das war Arroganz pur!)

Der Anfang dieser Debatte war höchst bezeichnend.

Das Wirtschafts- und das Forschungsministerium wuss-
ten nicht, wer von ihnen anfangen sollte. Auch daran
kann man sehen, dass die Zuständigkeit bei der Innovati-
onspolitik nach wie vor absolut ungeordnet ist. Das ist
ein Teil unseres Problems.


(Thomas Rachel [CDU/CSU]: Chaos in der Bundesregierung! – Volker Kauder [CDU/ CSU]: Chaos wie immer! – Hans Michelbach [CDU/CSU]: Chaos mit System!)


Hier weiß die Rechte nicht, was die Linke tut. Sie können
sich nicht einmal darüber verständigen, wer die Eröff-
nungsrede hält. Das setzt sich in den Behörden und bei
den Beamten sowie in der Mittelverwaltung fort. Deswe-
gen kommt Deutschland nicht aus den Puschen und des-
wegen kommen wir nicht dahin, wo wir hin müssen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Das „Jahr der Innovationen“ ist von der SPD zu ei-

nem Zeitpunkt ausgerufen worden, als sie erschöpft ge-
sagt hat: Nun ist es mit den Reformen genug.


(Nicolette Kressl [SPD]: So ein Blödsinn!)

Man konnte aber nicht ganz ohne Reformen auskom-
men, also hat man das „Jahr der Innovationen“ erfunden.
Der Begriff ist sympathisch, er tut nicht weh, er hilft.
Deswegen war ich neugierig, was Sie nun – es wurde am
4. Februar beschlossen – zum „Jahr der Innovationen“
schreiben werden. Ich habe das nüchtern durchgelesen.
Dieser Hightech-Masterplan ist ein Sammelsurium al-
ler Maßnahmen, die sich irgendwie unter die Überschrift
„Technologie im Mittelstand“ einordnen lassen. Sie ha-
ben die Bestände in der Bundesregierung durchforstet
und aufgeschrieben, wer oder was entfernt oder nah mit
diesem Thema zu tun hat.

Es ist unglaublich schwer, in diesem Plan einen neuen
Punkt zu finden. Daher bin ich nicht überrascht, dass
noch niemand von Ihnen einen solchen vorgetragen hat.
Sie haben auf keinen neuen Punkt Bezug genommen, auf
keinen einzigen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich darf Ihnen einen Punkt nennen, den Sie vielleicht

übersehen haben. Es gibt wirklich einen durchaus ver-
nünftigen neuen Punkt, über den man sich gar nicht zu
streiten braucht. Es wurde nämlich ab 2004 ein Dach-
fonds für Beteiligungskapital des ERP-Sondervermö-
gens und des Europäischen Investitionsfonds geschaffen.
Das ist eine sinnvolle Maßnahme, für die auch wir wa-
ren. Das wird aber die Welt nicht verändern. Dieser
Fonds ist bei genauem Hinsehen das einzig Neue in die-
sem Masterplan der Technologieförderung für den Mit-
telstand in der Bundesrepublik Deutschland.

Ich bewundere den Mut, mit dem Sie zur besten De-
battenzeit eine Diskussion zu einem Thema veranstalten,
zu dem Sie nichts Neues auf den Tisch legen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Sie fabrizieren hier eine selbst organisierte Blamage.

Was sollen wir denn den Mittelständlern draußen sa-
gen? Sie wollen ja ganz viel mit Mittelständlern gespro-
chen haben. Ich weiß nicht, mit welchen Sie gesprochen
haben. Wenn Sie mir einen konkreten Mittelständler zei-
gen, der mit seinen 10, 15, 20 oder 100 Leuten überlegt,
wie er Aufträge hereinholt, und nach Durchsicht dieses
Papieres sagt, es helfe ihm, dann gebe ich Ihnen einen
Euro extra.


(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Sie werden niemanden finden, der damit etwas anfangen
kann.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Ich lege noch einmal 50 Cent drauf!)


Nun zu einem anderen Thema. Sehr geehrter Herr
Kollege Kuhn, sehr geehrte Herren und Damen der SPD,
wir streiten uns sehr wahrscheinlich nur wegen der un-
präzisen Bestimmung der Faktoren, über die wir reden
wollen. Innovation im Mittelstand findet zu 90 Pro-
zent, zu 95 Prozent bei mutigen, innovativen, kreativen,
im Markt befindlichen Unternehmern und Mitarbeitern
statt, Gott sei Dank ohne politische Beteiligung.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Das ist der mit Abstand größte Block. Wenn der nicht
läuft, dann können Sie, Herr Kuhn, auch mit einer noch
so starken Erhöhung von Mitteln – die haben Sie nicht;
aber selbst wenn Sie sie hätten, wäre es so – nicht gegen
das Absterben der Innovationsbereitschaft bei 90,
95 Prozent der Unternehmen in diesem Lande anfinan-
zieren. Das wird nicht gelingen.

Der Mittelstand-Masterplan, den Sie hier vorlegen,
befasst sich äußerstenfalls mit den restlichen 10 oder
5 Prozent – und für diese legen Sie wirklich nichts
Neues vor.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: So ist es! – Widerspruch des Abg. Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])







(A) (C)



(B) (D)


Hartmut Schauerte

– Herr Kuhn, das wissen auch Sie. Sie sind zu intelli-
gent, um das nicht erkannt zu haben;


(Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vorsicht!)


dieses eingeschränkte Kompliment möchte ich Ihnen
schon machen.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Er ist so schlau, dass er das nicht mehr erkennt!)


Deswegen dürfen Sie bei diesem Thema keine Ruhe ge-
ben, wenn Sie wirklich Innovation haben wollen.

Ein nächster Punkt. Sie sagen, wir müssten Subven-
tionen abbauen.


(Abg. Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] spricht mit Abg. Ute Kumpf [SPD])


– Genau, reden Sie doch einmal mit Ihrem Koalitions-
partner! – Der Mangel an Patentanmeldungen im Land
Nordrhein-Westfalen, auf den ich vorhin mit meiner
Zwischenfrage eingegangen bin, liegt darin begründet,
dass wir seit 30 Jahren an die 150 Milliarden Euro für
Kohle und nicht für Innovation und Erneuerung ausge-
geben haben,


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

und Sie von der SPD ändern das nicht. Sie schieben das
weiter vor sich her. In der nordrhein-westfälischen
Strukturpolitik sind Fachleute für Sterbehilfe tätig, die
zur Geburtshilfe für Neues und Frisches völlig unfähig
sind. Deswegen sind wir mit dem Standort, den Patent-
anmeldungen und der Erneuerung nicht vorangekom-
men.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Herr Kuhn, was für eine Politik betreiben Sie denn im

Moment im Energiebereich? Sie ist doch unerträglich
und unglaublich.


(Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was?)


Sie haben den Unternehmen in Deutschland eine Ener-
gieverteuerung zugemutet. Seit Ihrem Regierungsantritt
wurden die Strompreise um 20, 30 Prozent erhöht – die
größte Kostenexplosion bei Strom in der Geschichte der
Bundesrepublik. Das ist Ihre Innovationspolitik.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Wie sollen denn die Unternehmen Erträge erwirt-

schaften, wenn die Löhne und die Lohnzusatzkosten
steigen, die Bürokratie zunimmt und die Energiekosten
politisch hochgetrieben werden? Woher soll die Innova-
tionskraft für 90 Prozent der mittelständischen Wirt-
schaft in Deutschland kommen? Da müssen Sie korrigie-
ren.


(Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir haben 100 000 Arbeitsplätze im Energiebereich geschaffen!)


– Das ist das zentrale Problem Ihrer Politik und Ihrer
Wirtschaftsförderung: Sie nehmen die Wirklichkeit
wahr, die Sie durch politisches Handeln glauben beein-
flussen zu können. Damit gehen Sie über Land und sa-
gen: Guckt einmal, wie toll wir das gemacht haben. – Sie
nehmen überhaupt nicht wahr, welche Schäden und
Wettbewerbsverzerrungen Sie damit organisiert haben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Deswegen kommt Deutschland nicht auf Wachstums-
kurs. Das ist, wie ich meine, eine ausgesprochen bla-
mable Situation.

Ich möchte noch auf einige konkrete Punkte einge-
hen, die den Mittelstand wirklich interessieren. Für Inno-
vationen brauchen wir wirtschaftliche, planerische und
gedankliche Freiheit. Welche Bürokratieexpertisen ha-
ben Sie erstellen lassen! Welche Vermehrung der Büro-
kratie in diesem Land haben Sie verwirklicht! Welche
bürokratischen Hindernisse und Hemmnisse haben Sie
zum Beispiel im Bereich der Grünen Gentechnik und in
Energiefragen immer wieder eingeführt!

All das macht die Innovationsbereitschaft eher kaputt.
Das können Sie mit staatlichen Programmen, die Sie
darüber hinaus noch nicht einmal in ausreichendem
Maße mit finanziellen Mitteln ausstatten können, weil
Sie die Wirtschaft nicht organisieren, nicht auffangen.
Weil das Wirtschaftswachstum ausbleibt, werden Sie
auch kein Geld für Innovationen haben. Von einer Idee
will ich ganz schweigen.

Was ist also zu tun? Was brauchen wir wirklich? Wir
müssen für die genannten 90 Prozent der Unternehmen
die entsprechenden Rahmenbedingungen schaffen.


(Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Eine konkrete Äußerung, Herr Schauerte! – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Immer das gleiche Gequatsche von Ihnen!)


Dabei geht es auch um Steuern und Abgaben. Ich sage
Ihnen: Allein durch Ihre Debatte über die Erbschaft-
steuer zerstören Sie in Deutschland mehr Innovationsbe-
reitschaft, als all Ihre Finanzierungsprogramme herbei-
führen könnten.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Bürokratieabbau, flexibles Arbeitsmarktrecht, Verbes-
serung der Eigenkapitalquoten, Wettbewerb und Autono-
mie, Senkung der Energiekosten und Abschaffung der
Gewerbesteuer – all das sind wichtige Aspekte, durch die
Freiräume für Innovationen in unternehmerischer Ver-
antwortung gewonnen werden können. Darüber hinaus
kann es Korridore geben, bei denen wir Incentives set-
zen, Anregungen geben und Beschleunigungen herbei-
führen wollen und für die wir daher öffentliche Mittel
bereitstellen. Dabei muss es sich aber um solche Techno-
logien handeln, die uns wirklich etwas bringen und die
nicht ideologisch besetzt sind.

Die Windenergie ist die unglücklichste Innovation,
die wir in Deutschland betreiben.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wieso sind Sie dann für das Erneuerbare-Energien-Gesetz?)







(A) (C)



(B) (D)


Hartmut Schauerte

Damit meine ich wohlgemerkt nicht den Bereich der al-
ternativen Energien. Aber die Windenergie ist die un-
glücklichste, am wenigsten berechenbare und am we-
nigsten dauerhaft verantwortbare Innovation im
Energiebereich. Aber sie ist Ihr Lieblingskind. Das kann
ich nicht verstehen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Fragen Sie mal die Landwirte!)


Meine sehr verehrten Damen und Herren, so kommen
wir bei diesem Thema nicht weiter. Die Zahlen, die wir
alle kennen, sind erschreckend. In Bezug auf den Grad
an wirtschaftlicher Freiheit liegt Deutschland abgeschla-
gen auf Platz 18. Auch beim Innovationstempo ist
Deutschland abgeschlagen und verliert sogar an Ge-
schwindigkeit. Sehr wahrscheinlich hilft nichts anderes,
als dass wir die Innovationen, wie Sie es formuliert ha-
ben, in den Köpfen beginnen lassen. Ich gehe noch einen
Schritt weiter und sage: Wir müssen sie nicht in, sondern
an den Köpfen beginnen lassen. Wir brauchen eine an-
dere Bundesregierung, Herr Kuhn.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dr. Maria Flachsbarth [CDU/CSU]: Das wäre die größte Innovation!)


Mit dieser Bundesregierung ist in Deutschland kein
Innovationsklima herzustellen. Bei der Wahl in Ham-
burg haben nicht einmal 20 Prozent der Selbstständigen
noch Vertrauen in Ihre Regierungskunst gehabt. Wo soll
dieses Vertrauen denn auch herkommen? Wir allerdings
gehen hier mit gutem Beispiel voran, Herr Kuhn.


(Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aha!)


Die CDU/CSU-Fraktion ist heute gut aufgestellt. Unser
Kandidatenvorschlag für das Amt des Bundespräsiden-
ten ist hoch innovativ und tut Deutschland ausgespro-
chen gut.


(Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Daher gehen wir zufrieden in diesen Tag.
Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1509403000

Ich erteile dem Kollegen Hans-Josef Fell, Fraktion

Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.

Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1509403100

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Frau Ministerin, meinen herzlichen Glück-
wunsch zum Geburtstag! – Herr Schauerte, Sie haben zu
Recht die alten, Struktur erhaltenden Kohlesubventionen
kritisiert. – Herr Schauerte, ich rede mit Ihnen.


(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Entschuldigung!)


Das sehen wir genauso. Dass Sie aber ausgerechnet die
volkswirtschaftlich wirklich geringen Kosten für For-
schung und Entwicklung sowie für die Markteinführung
erneuerbarer Energien ebenso kritisieren, zeigt auf, dass
Sie in Wirklichkeit mit Zukunftstechnologien nichts am
Hut haben, keinen Strukturwandel wollen und Innovatio-
nen dort, wo sie tatsächlich erfolgreich sind, behindern.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Denn bereits bis heute wurden durch sie mit nur gerin-
gen volkswirtschaftlichen Kosten mehr Arbeitsplätze ge-
schaffen, als in der Kohlewirtschaft insgesamt zur Verfü-
gung stehen.


(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Sie kennen die volkswirtschaftlichen Kosten ja nicht einmal!)


– Wir kennen sie sehr genau und haben sie genau be-
rechnet, anders als Sie mit Ihren Berechnungen. Wir
können sie in jedem Detail genau hinterfragen und wer-
den dann sehen, dass sie nicht zutreffen.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Ihr könnt nicht einmal eine Steuerreform ausrechnen, da verrechnet ihr euch schon um 1 Milliarde!)


Meine Damen und Herren, Innovationen, Zukunftstech-
nologien und Dienstleistungen, vor allem im Mittel-
stand, aber auch in der Industrie zu fördern ist ent-
scheidend für die Zukunftsfähigkeit Deutschlands.
Innovationen sind die Grundlage für neues unternehme-
risches Handeln. Ihre Umsetzung in marktfähige Pro-
dukte und in Dienstleistungen ist damit ein entscheiden-
der Ansatz, Arbeitslosigkeit zu bekämpfen. Neue
Arbeitsplätze braucht das Land, nicht bloß die Um-
schichtung bestehender Arbeitsplätze im Zuge der not-
wendigen Reform der sozialen Sicherungssysteme.

Die Bundesregierung hat mit dem „Jahr der Innova-
tion“ einen wichtigen Anstoß dazu gegeben. Die Inno-
vationsstrategie muss nun in den kommenden Monaten
mit Inhalten gefüllt werden. Im vorliegenden Hightech-
Masterplan werden wesentliche Zielvorstellungen vor-
gestellt und erste Maßnahmen genannt. Aber – hier
stimme ich Ihnen zu, Herr Schauerte – eine Vielzahl
weiter gehender Maßnahmen wird nun folgen müssen,
um diese Ziele auch erreichen zu können. Entscheidend
werden die Rahmenbedingungen für die Wirtschaft sein.
Wir müssen Anreize geben, damit die Wirtschaft und die
Finanzwelt in Forschung und Entwicklung investieren.
Hier stehen die Steuern im Vordergrund. So wird leider
auch heute noch Risikokapital gegenüber anderen Anla-
geformen steuerlich benachteiligt. Noch immer schnei-
det Deutschland im europäischen Vergleich schlecht ab.

Dies müssen wir ändern. Der Masterplan hatte hier
ursprünglich angesetzt, aber an dieser Stelle ist man zu
kurz gesprungen. Jetzt sind wir in den Regierungsfraktio-
nen gefragt, das Innovationsjahr an dieser Stelle mit In-
halt zu füllen. Nur dann wird es in breitem Maße zu gro-
ßen und erfolgreichen Neugründungen kommen, nur
dann können wir den Mittelständlern Innovationen
schmackhaft machen. Darüber hinaus sind weitere be-
gleitende Maßnahmen erforderlich. Hierzu gehören zum
Beispiel Forschungskredite, die auch beim Mittelstand






(A) (C)



(B) (D)


Hans-Josef Fell

ankommen, sowie ein Seed-Fonds zur Überwindung der
Finanzknappheit bei der Gründung innovativer Unter-
nehmen. Wir müssen unsere Schulen und Hochschulen
besser ausstatten, wenn wir viele kluge Köpfe mit kreati-
ven Gedanken bekommen wollen. Auch für die Projekt-
forschung benötigen wir mehr Mittel.

Die Bildungsziele und das 3-Prozent-Ziel für For-
schung und Entwicklung müssen in den Haushaltsbe-
ratungen und in der mittelfristigen Finanzplanung
wiedergefunden werden können, sonst läuft die Innovat-
ionsoffensive ins Leere. Das heißt, wir müssen Prioritä-
ten setzen und diese auch umsetzen. Das heißt auch, dass
es wichtiger ist, Hochschulen zu sanieren als Autobah-
nen zu bauen. Köpfe oder Beton – das, meine Damen und
Herren, ist die Frage! Mit mehr Schulden für Autobahnen
und Kürzungen bei Bildung und Forschung können wir
die Zukunft nicht gewinnen. Damit wir das allseits aner-
kannte Ziel, 3 Prozent des Bruttoinlandsproduktes für
Forschung aufzuwenden, erreichen können, sind allein
im Bundeshaushalt jedes Jahr durchschnittlich über
600 Millionen Euro notwendig. Dieses Ziel ist hoch am-
bitioniert: 2010 müssen Bund, Länder und Wirtschaft
mehr als 22 Milliarden Euro zusätzlich für Forschung
und Entwicklung ausgeben als heute. Es darf aber nicht
nur um Geld gehen: Die Mittel müssen auch effizienter
ausgegeben werden. Bei technologischen Flops wie bei-
spielsweise der Kernfusion müssen Konsequenzen gezo-
gen werden: Weitere 50 Jahre Geldverschwendung ohne
die Perspektive neuer Arbeitsplätze dürfen wir uns nicht
erlauben.

Es reicht nicht, nur quantitative Ziele zu setzen. Wir
müssen offensiv – darauf hat Fritz Kuhn zu Recht hinge-
wiesen – eine Richtung vorgeben. Nur dann können wir
die Menschen mitnehmen. Nur dann wird die Innova-
tionsoffensive auch dazu beitragen, gesellschaftliche
Probleme zu lösen. Die Zeitungen sind doch jeden Tag
voll davon: Klimawandel, alternde Gesellschaft, an-
wachsende Verkehrslawinen, Krankheiten wie Alzhei-
mer oder Krebs. Nichts liegt näher, als die Innovations-
offensive zur Lösung genau solcher Problembereiche zu
nutzen. Schaffen wir uns Ziele und Leitbilder, dann wer-
den die Menschen mitgerissen! Gute Ideen sind vielfach
entwickelt, aber sie warten auf ihre Umsetzung. Als Bei-
spiele, die bei entsprechenden Anstrengungen in den
nächsten Jahrzehnten erreichbar sind, mögen genannt
sein: der emissionsfreie Straßenverkehr. Japan entwi-
ckelt im Moment emissionsfreie Automobile oder auch
Hybridautos. Die deutschen Automobilkonzerne begin-
nen diese Entwicklung zu versäumen.

Wir brauchen neue Dienstleistungen für die
alternde Gesellschaft. Durch neue Ideen zur Betreuung
von Alten und Kranken können in hohem Maße die So-
zialversicherungssysteme entlastet und gleichzeitig Ar-
beitsplätze geschaffen werden. Dienstleistungen zur Prä-
vention halten die Menschen gesund, senken die
Gesundheitskosten und schaffen Arbeitsplätze. Wir
brauchen neue Medikamente gegen Alzheimer, eine zu-
nehmende Bürde unserer alternden Gesellschaft.

Wir brauchen Klimaschutztechnologien. Herr
Schauerte, erneuerbare Energien und Energieeinspar-
technologien schützen das Klima und helfen, die Ener-
gieversorgungssicherheit aufrechtzuerhalten. Sie entzie-
hen gleichzeitig Kriegen um Erdöl die Ursache und
schaffen zudem viele neue Arbeitsplätze.


(Vorsitz: Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer)

Die Querschnittstechnologien wie die Nanotechno-

logie, die optischen Technologien, die Informationstech-
nologie und die Kommunikationstechnologie sowie die
Biotechnologie spielen dabei eine wichtige Rolle. So
wird die Biotechnologie in Kombination mit nachwach-
senden Rohstoffen dazu beitragen, die Biokraftstoffe
und die Chemie umwelt- und klimafreundlicher zu ge-
stalten.

Entscheidend wird aber sein, wie sich Wissenschaftler
und die Wirtschaft in den Querschnittsfeldern an den ge-
nannten Leitvisionen ausrichten. Es ist die Aufgabe der
Politik, über die Festlegung von Rahmenbedingungen
und Forschungsschwerpunkten hierfür die richtigen Ak-
zente zu setzen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1509403200

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Heinz

Riesenhuber.

(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Heinz Riesenhuber (CDU):
Rede ID: ID1509403300

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe

Kollegen! „Innovationen und Zukunftstechnologien für
den Mittelstand“ – das ist etwas, bei dem wir uns im
Grundsatz sehr einig sind. Der Mittelstand birgt die
– wahrscheinlich einzige – Chance zur Schaffung von
Arbeitsplätzen. Dabei können wir über Ich-AGs und
Überbrückungsgeld sprechen. All das ist sehr wichtig.
Die Chance aber zur Schaffung von Arbeitsplätzen und
zum Firmenwachstum liegt bei den 40 000 mittelstän-
dischen forschenden Unternehmen, bei den jährlich
2 000 bis 3 000 neu gegründeten technischen Unterneh-
men. Es ist eine strategische Frage, wie man die Politik
in diesem Bereich gestaltet.

Wie ist die Lage? Sie ist nicht sehr beglückend. Die
Zahl der Unternehmensgründungen im Mittelstand in
diesem Bereich ist derzeit – das zeigen die Zahlen –
rückläufig. Die Forschungsaufwendungen im Mittel-
stand sind rückläufig. In dieser schwierigen Situation
haben wir jedoch diese Bundesregierung. Das macht uns
glücklich und dankbar.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Sehr gut!)


Wenn alles ganz schief läuft, wird ein Masterplan aufge-
stellt. Dann bedient man sich des eleganten Beraterjar-
gons, mit dem man auch schon so wertvolle Dinge wie
JUMP und den Jobfloater umschrieben hat.

Jetzt haben wir also einen High-Tech-Masterplan.
Die interessante Frage ist: Was leistet er eigentlich, um






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Heinz Riesenhuber

die Probleme zu überwinden, vor denen wir stehen?
Wenn man die Probleme überwinden will, dann sollte
man sie erst einmal analysieren. Ihre Berater würden
sagen: Wir machen eine SWOT-Analyse – Strength,
Weaknesses, Opportunities, Threats. Ich drücke mich
schon langsam in der gebildeten Sprache der gehobenen
Ministerialbürokratie aus, die sich dank Ihrer Berater auf
ein erhebliches Niveau bewegt hat.


(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Ich beobachte das mit wachsender Bewunderung.

(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Sie waren ja lange genug Chef dieses Ressorts! – Ute Kumpf [SPD]: Sie haben das ja vorbereitet!)


Wo liegen die Stärken, die Schwächen, die Chancen
und die Bedrohungen? Es gibt eine ausgezeichnete Mög-
lichkeit, hierauf eine Antwort zu erhalten. Uns steht der
Bericht zur technologischen Leistungsfähigkeit zur
Verfügung, den uns Frau Bulmahn hier in einer schönen
Tradition – wir haben den Bericht damals aus guten
Gründen erfunden – vorgelegt hat.

Wenn wir in den Bericht hineinschauen und jetzt be-
schreiben wollen, wo wir stehen, dann kommen wir zu
folgendem Ergebnis: Seit Anfang der 90er-Jahre – so
steht es im Bericht – haben wir in keinem Bereich Vor-
sprünge gegenüber den Konkurrenten gewonnen. In we-
sentlichen Bereichen haben wir ständig verloren. Wir
haben bei den Forschungsausgaben, bei den Bildungs-
ausgaben, bei den Ausgaben für I-und-K-Techniken, bei
der Sichtbarkeit von Forschung, beim Nachwuchs in
den technologieorientierten Fächern verloren. Frau
Bulmahn, es ist prima, dass die Zahl der Studienanfänger
in diesem Bereich – das haben Sie gesagt – anfängt, ein
bisschen zu wachsen. Dafür sind wir sehr dankbar.

Aber Ihr Bericht und auch der Masterplan zeigen: Wir
sind weiterhin unter dem Niveau der Konkurrenten. Die
Relation liegt hier bei sieben zu zehn. Das heißt also:
Wir befinden uns hier in einer verdammt kritischen
Lage.

Wir haben gedacht, jetzt kommt der Masterplan, der
uns rausreißt. –


(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Bingo! – Ernst Hinsken [CDU/CSU]: So ist es!)


Hartmut Schauerte hat das mit Verve und Sachverstand
vorgetragen. –


(Peter Dreßen [SPD]: Ein bisschen Polemik war auch dabei!)


Ich tue mich aber wirklich verdammt schwer damit, he-
rauszufinden, wo er irgendetwas Neues aufzeigt. Den
Dachfonds des ERP-Sondervermögens und des EIF lo-
ben wir hier seit einem Jahr immer wieder. Diese
500 Millionen Euro sind wirklich prächtig. Ich kann dies
nur wieder lobend erwähnen. Man kann aber nicht in al-
len Debatten von einem einzigen Projekt leben. Es wäre
schon ganz gut, manchmal etwas Neues zu bringen.
Die Frage, woran das liegt, ist komplex. Es ist hier
voller Bewunderung festgestellt worden, wie schön die
Ministerien zusammenarbeiten. Freunde, das Problem
liegt aber darin, dass die Ministerien die Zuständigkeit
für die Forschung überhaupt erst auseinander gerissen
haben. Seit dem Moment, ab dem die Forschung auf den
Umwelt-, den Wirtschafts- und den Forschungsminister
aufgeteilt worden ist, ist es eher ein Zufall, wenn hier et-
was aus einem Guss entsteht.

Die Beamten sind nach wie vor tüchtig. Sie erfinden
prächtige Programme in großer Vielfalt. Es gibt lauter
prächtige Programme: das JUNIOR-Projekt für Schüle-
rinnen und Schüler, das Programm zur Frauenförderung
– das ist wirklich eine gute Sache – und zur Existenz-
gründungsberatung. All dies sind Referatsprogramme.
Wunderbar! Den großen Hammerschlag aber, den Ur-
knall, nach dem hier etwas Neues entsteht, eine neue
Welt, in der Milliarden für die Innovation ausgegeben
werden und in der die Bundesregierung die Führung er-
greift, sodass Deutschland wieder an die Spitze der wett-
bewerblichen Länder kommt, höre ich leider nicht. Das
ist das Problem.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Schlüsseln wir das im Einzelnen auf. Diese Zustän-

digkeitstrennung verursacht natürlich Probleme ganz un-
terschiedlicher Art. Heute können Sie nicht mehr zwi-
schen der Grundlagenforschung und der angewandten
Forschung trennen. So nah beieinander und so voll inte-
griert war die Forschung noch nie. Die Bildungsministe-
rin hat ihre Freude an BAföG, IGLU, PISA und sonsti-
gen schönen Dingen. Der Wirtschaftsminister, lieber
Herr Staffelt, muss mit Hartz I, Hartz II, Hartz III,
Hartz IV sowie den Regelungen bezüglich der Alteigen-
tümer und den Emissionsrechten kämpfen.


(Peter Dreßen [SPD]: Da sehen Sie einmal, was der für Arbeit hat!)


All das sind bedeutende Sachen. Ich kann aber nicht er-
kennen, wo die Löwenpranke eines Ministers im Hin-
blick auf die Forschung auf den Tisch haut und sie sicht-
bar macht. Die Forschung hat hier kein Gesicht und
keine durchschlagende Kraft, weil die Organisations-
form nicht stimmt. Das hat bis in die einzelnen Pro-
gramme hinein ganz bittere Folgen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Ich freue mich ja, wenn die Welt reicher wird. Was

aber könnten diese Fanfarenstöße sein? Frau Bulmahn
hat hier gesagt, jetzt käme ein Programm zur Nanotech-
nologie. Ich darf daran erinnern: Vor zwei Jahren haben
wir in einer Debatte genau dies vorgeschlagen. Das
Richtige kommt bei der Bundesregierung ja, aber es dau-
ert immer furchtbar lang. Wir können nicht warten.


(Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Geduld!)


Es wäre einmal eine Innovation, bei dem, was richtig
ist, schneller zu sein. Wir haben eine Anfrage zur For-
schungspolitik gestellt, um die Sache voranzubringen.
Das ist nun schon neun Monate her. Das ist ungefähr die
Zeit von der Zeugung bis zur Geburt eines Babys. Ob bei






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Heinz Riesenhuber

der Antwort etwas herauskommt, was Hand und Fuß hat,
ist noch völlig offen. So etwas dauert und dauert. Das
kann eine herzbrechende Veranstaltung sein.


(Beifall bei der CDU/CSU – Peter Dreßen [SPD]: Ein Baby ist doch etwas Schönes!)


Herr Kuhn, einige Ihrer Vorstellungen fand ich im
Übrigen ein wenig gespenstisch. Es war so, als ob Sie
glaubten, dass Sie die Zukunft mit Forschungsprogram-
men vorhersagen oder gestalten können. Hier wäre mir
eine ein wenig größere Offenheit des Geistes schon lie-
ber. Dies muss selbst bei einem tüchtigen grünen Politi-
ker möglich sein.

Sie sprachen aber auch von der Alternsforschung.
Das ist ein gutes Thema. Ältere Leute erinnern sich da-
ran, dass es einmal ein prächtiges Programm zur Al-
ternsforschung gab, das man heute leider nicht mehr so
deutlich erkennen kann. Und bei der Pflegeforschung
geht es ja nicht nur um die Fürsorge. Sie haben Recht:
Hier kommen neue, technikbasierte Dienstleistungen
und neue Aufgaben auf uns zu. Es ist gut, dass diese Idee
hier endlich einmal aufgekommen ist. Vielleicht kommt
dann in zwei Jahren ja ein lichtvoller Vorschlag, über
den wir alle sehr glücklich sind.

Der große Hammerschlag – ich glaube, der Kollege
Fell hat es angesprochen – wäre natürlich das gewesen,
was die Forschungsministerin vorgesehen hatte: Vor ei-
nem Jahr ging sie davon aus, sie könnte den französi-
schen „Plan Innovation“ abschreiben. Gut, in der Ver-
gangenheit haben die Franzosen von uns abgeschrieben,
aber alles ändert sich. Sie hat vorgeschlagen, junge For-
schungsunternehmen acht Jahre lang von der Körper-
schaftsteuer und anderen Unternehmenssteuern freizu-
stellen. Auch Gewinne aus Stock Options sollten
freigestellt sein. Der Plan enthielt noch eine Reihe ande-
rer Vergünstigungen für junge Unternehmen, die kon-
zernunabhängig forschen. Davon ist leider nichts mehr
übrig.


(Ludwig Stiegler [SPD]: Fragen Sie mal Friedrich Merz!)


– Ich frage lieber den Herrn Eichel. Frau Bulmahn will
es, Herr Clement weiß es und Herr Eichel steht daneben
und mauert. Aber verantwortlich ist die Bundesregie-
rung insgesamt und natürlich auch Sie, verehrter Kol-
lege. Die Fraktion mit ihrer Innovations- und Prägekraft
könnte natürlich das Vernünftige tun, wenn sie es denn
wollte. Dass nun bald Herr Müntefering der Vorgesetzte
von Herrn Schröder wird, macht das Ganze nur noch
überzeugender.


(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Beim Thema Business Angels sind wir nicht weiter-
gekommen. Ich werde eine ganze Reihe von Punkten
wie die Fondsbesteuerung, die wir vor drei Wochen be-
sprochen haben, nicht aufgreifen. Wir reden und tagen
sehr oft miteinander. Wir haben sehr viele wunderbare
Ideen, die aber leider nicht umgesetzt werden. Es tagt
und tagt und wird nicht heller.


(Heiterkeit bei der CDU/CSU)

Herr Staffelt schaut versonnen in die Innenfläche seiner
Hand, als ob er darin die Zukunft des Landes erkennen
würde. Sie sollen kraftvoll die Zügel ergreifen, Herr
Staatssekretär, damit die Forschung ein Gesicht be-
kommt, selbst wenn es Ihres ist.


(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Es ist von einigen Kollegen mit Stolz auf die finan-
ziellen Leistungen der Bundesregierung hingewiesen
worden. Diese sollte man sich einmal liebevoll an-
schauen. Der Anteil des Staates am Forschungsbudget
der Nation ist ständig gesunken, und zwar von circa
37 Prozent im Jahr 1995 auf circa 31 Prozent im Jahr
2001. Aber die Programme sind ständig weitergelaufen.
Schauen wir uns einmal das Budget des Wirtschafts-
ministeriums an. Herr Staffelt, ich diktiere es Ihnen, da-
mit Sie es gleich widerlegen können. Das werden wir
mit Interesse verfolgen.

Die Titelgruppe 05, Forschung, Entwicklung und In-
novation im Mittelstandsbereich, ist ausweislich der Un-
terlagen der Bundesregierung – man muss sich die Ist-
zahlen, nicht die Sollzahlen anschauen – in den
vergangenen vier Jahren prächtig gestiegen und liegt
2003 um etwa 130 Millionen Euro höher als im Jahr
2002. Wenn aber das BTU herausgerechnet wird, dann
steigt die Zahl in vier Haushaltsjahren von 2000 bis
2003 von 387 Millionen auf nur 388 Millionen Euro.
Das BTU ist Ihnen nämlich völlig aus dem Ruder gelau-
fen, es frisst Ihnen die Gelder weg. Der ganze For-
schungs- und Innovationshaushalt für den Mittelstand
stagniert bei Ihnen.

Sie stellen ein großes neues Konzept vor, das Sie nun
umsetzen wollen. Das ist dringend notwendig und über-
fällig. Sie müssen aber so vorgehen, dass für die Um-
setzung Ihres Programms auch Platz ist. In Ihrem Mas-
terplan hatten Sie angekündigt, mittelständischen
Forschungsunternehmen Gelder aus den Fachprogram-
men zur Verfügung zu stellen. Wenn die Mittel für das
Wirtschaftsministerium nicht erhöht werden und die
Projektmittel für das Forschungsministerium im letzten
Jahr um 4 Prozent und in diesem Jahr um 8 Prozent sin-
ken, dann ist das ist nicht die Art von Ermutigung, von
Schwung und Unternehmergeist, die wir brauchen.

In der Forschung werden Millionen abgeknapst. Für
die Ganztagsschulen werden Milliarden ausgegeben.
Dafür sind Sie nicht zuständig.


(Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist falsch!)


Auch die UMTS-Mittel sind aufgebraucht. Wenn Sie
hier einen Anstoß geben wollen, müssen Sie nun ganz
hart Prioritäten setzen und das tun, was Ihnen Herr Fell
gesagt hat: Bringen Sie den Finanzminister dazu, dass er
das Geld freigibt, das wir brauchen.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Herr Kuhn denkt genauso. Ich bin sicher, auch bei der
SPD gibt es viele vernünftig denkende Leute.


(Zurufe von der CDU/CSU: Na, na!)







(A) (C)



(B) (D)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1509403400

Denken Sie bitte an Ihre Redezeit, Herr Riesenhuber.


Dr. Heinz Riesenhuber (CDU):
Rede ID: ID1509403500

Ich bitte um Nachsicht, Frau Präsidentin. Ich werde

mich sehr beherrschen.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1509403600

Ihre Redezeit war schon reichlich bemessen.


(Werner Kuhn [Zingst] [CDU/CSU]: Wir hören so gern zu!)



Dr. Heinz Riesenhuber (CDU):
Rede ID: ID1509403700

Wir sehen dieses Programm durchaus nicht ohne

Sympathie. Es enthält wenig Falsches. Aber es fehlt das
Notwendige. So ist es bei der Bundesregierung häufi-
ger. Oft macht sie aber etwas wirklich Falsches. Was
hier – das ist das Problem – mit den fleißigen Händen
der Beamten vorne aufgebaut wird, wirft die Regierung
mit ihrem Hintern wieder um, wenn sie die Vermögen-
steuer und die Ausbildungsplatzabgabe bzw. die -um-
lage einführt. Gleiches gilt für die Drohung mit der
Erbschaftsteuer. Vorne bauen Sie fleißig auf und hinten
fällt alles zusammen, weil das Ganze nicht aus einem
Guss ist.


(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Mehr fällt zusammen!)


Deshalb haben wir eine Landschaft, in der es nicht vo-
rangeht.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Freunde, wir sind am Beginn der Fastenzeit. Der

Apostel sagt: „Metanoeite!“, „Denkt um!“

(Ludwig Stiegler [SPD]: Johannes der Täufer!)


Dies ist eine gute Gelegenheit. Denken Sie um! Gehen
Sie weg von dem Glauben an die Machbarkeit dessen,
was in regierungsamtlichen Papieren steht! Gewähren
Sie den Freiraum, den wir immer wieder eingefordert
haben, damit die Leute Lust haben, etwas zu tun. Denn
ohne Lust geschieht auf der Welt nichts Vernünftiges.


(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Der letzte Satz war der wichtigste!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1509403800

Herr Kollege Riesenhuber, weil wir Ihnen alle so

gerne zuhören, bekommen Sie nicht nur Szenenapplaus,
sondern immer auch eine reichlich bemessene Redezeit.
Aber das nächste Mal etwas knapper, bitte.

Jetzt hat das Wort der Parlamentarische Staatssekretär
Ditmar Staffelt. Er kann jetzt die Zügel ergreifen.
D
Dr. Ditmar Staffelt (SPD):
Rede ID: ID1509403900


Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Es fällt mir nach dieser fulminanten Rede des
Kollegen Riesenhuber außerordentlich schwer,


(Beifall bei der CDU/CSU – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Unterhaltsam, aber nicht fulminant!)


hier noch Wichtiges beizutragen:
Erstens. Ich habe die Vermutung, Herr Riesenhuber,

dass Sie in Bezug auf die Sprachbildung der Beamten
im Forschungsministerium in Ihrer früheren Rolle als
Bundesforschungsminister ganz erhebliche Vorleistun-
gen erbracht haben. Nur mit dieser intellektuellen Bril-
lanz ist so etwas vermittelbar. Deshalb schreibe ich das
in der Hauptsache Ihnen zu.

Zweitens. Sie haben darüber gesprochen, wo wir an
Boden verloren haben. Ich hatte einen Moment die Idee,
Sie könnten sich wieder in die Zeiten Ihrer Regierung
zurückversetzt haben. Wenn ich mich recht entsinne,
hatte alleine Ihr Kollege Rüttgers in der Zeit zwischen
1994 und 1998 in seinem Haushalt einen Verlust in Höhe
von 400 Millionen Euro zu verzeichnen.


(Ludwig Stiegler [SPD]: Der Vergangenheitsminister!)


Das steht im Gegensatz zu dem, was wir gemacht haben.
Auch das gehört zu einer redlichen Beschreibung der Si-
tuation, in der wir uns befinden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich muss ganz offen gestehen: Manches davon hätte
ich einem jungen Kollegen durchgehen lassen. Aber bei
der Erfahrung, die Sie mitbringen, und bei der Kenntnis,
die Sie unbestritten haben, kann ich das bei Ihnen nicht
tun. Wir arbeiten uns im politischen Raum Punkt für
Punkt voran. Die politische Debatte ist nicht vernünftig
und redlich, wenn Sie jeweils das, was wir im Paket be-
schlossen haben – zum Teil übrigens gemeinsam be-
schlossen haben –, außen vor lassen und am Ende immer
wieder Einzelpunkte herauspicken und diese zum Anlass
nehmen, alles, aber auch wirklich alles, schlechtzureden.
Das ist doch kein redliches politisches Handeln!


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das war eine unterhaltsame Vernichtung von Altpapier!)


– So ist das.
Ich will in dem Zusammenhang noch einmal darauf

hinweisen, dass wir in diesem Lande eine nachhaltige
Steuerreform realisiert haben. Das geschah im Vermitt-
lungsausschuss und im Bundesrat am Ende mit Ihrer Zu-
stimmung. Wir haben im Bereich der Sozialversiche-
rungen wichtige Veränderungen und Einschnitte mit
Ihrer Zustimmung vorgenommen. Wir haben bei der
Handwerksordnung, bei den Hartz-Gesetzen und
beim Bürokratieabbau ganz erhebliche Schritte nach
vorn gemacht. Nicht umsonst gibt es im Lande die






(A) (C)



(B) (D)


Parl. Staatssekretär Dr. Ditmar Staffelt

großen Diskussionen. Das können Sie doch nicht einfach
ignorieren. Sie können doch nicht immer wieder auf das
zurückkommen, über das wir schon hinweg sind. Das
glaubt Ihnen doch am Ende keiner, der die politische De-
batte wirklich ernsthaft verfolgt.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Worüber sind wir hinweg?)


Selbst die Verbände, die uns historisch durchgängig
nicht nahe stehen – wie der BDI –, kämpfen doch dafür,
dass diese Regierung ihren Kurs beibehält, und begrüßen
das, was wir bisher erreicht haben. Das kann doch nie-
mand ignorieren.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Machen Sie es sich deshalb nicht so einfach, wie es ins-
besondere Herr Schauerte getan hat!

Die Initiative „Innovation und Zukunftstechnologien
im Mittelstand – Hightech-Masterplan“ knüpft durchaus
an Defizite an.


(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Wo ist der Master?)


Diese Defizite ergeben sich auch aus einem Tatbestand,
der nicht verschwiegen werden darf, nämlich dass sich
aufgrund der Erfahrungen in der New Economy das pri-
vate Venture Capital wieder gänzlich zurückgezogen
hat, sodass der Staat letztlich die Risiken auf sich neh-
men muss, damit der Laden wieder läuft. Das ist doch
die pure Wahrheit.


(Beifall bei der SPD)

Auch das ist ein Tatbestand, den wir nicht ignorieren

dürfen. Das hat etwas mit Rahmenbedingungen, aber
auch mit Mentalitäten zu tun. Die Deutschen sind, was
Risikokapital betrifft, in aller Regel nicht so erfahren
und auch nicht so risikofreudig wie die Amerikaner, Bri-
ten oder andere Nationen.


(Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oder Westberliner!)


– Dazu äußere ich mich nicht, weil ich, wie Sie wissen,
Westberliner bin. Deswegen halte ich mich aus der
Frage, die Sie möglicherweise implizieren, gänzlich he-
raus.

In jedem Fall versuchen wir in dieser Phase, die
Rückgänge im Bereich des privaten Venture Capital aus-
zugleichen. Die Early-Stage-Investitionen der Branche
liegen mit rund 290 Millionen Euro im Jahr 2003 inzwi-
schen wieder unter denen des Jahres 1998. Die Grün-
dungsfinanzierungen sind fast gänzlich zum Erliegen ge-
kommen. Das ist die Realität, der wir richtigerweise
gegensteuern müssen. Das müsste eigentlich in vollem
Umfang Ihre Unterstützung finden, meine Damen und
Herren.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. HansJosef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Bei den KMUs sind die Ausgaben im F-und-E-Be-
reich 2001/2002 um rund 3 Prozent gesunken. Für 2003
war der gleiche Level wie 2001 und 2002 zu verzeich-
nen. Erinnern Sie sich auch in diesem Zusammenhang
wieder an Ihre eigene Geschichte! Als es 1993 zu der
großen Rezession kam, ist der gesamte Venture-Capital-
Markt zusammengebrochen. Sie aber hatten staatlicher-
seits keine Vorkehrungen getroffen. Der Markt musste
zu einem späteren Zeitpunkt erst wieder angekurbelt
werden. Auch das ist ein Teil der historischen Wahrheit,
mit der Sie sich auseinander setzen müssen.


(Beifall bei der SPD)

Was wollen wir mit dem Hightech-Masterplan errei-

chen? Wir verbessern damit erstens die Finanzierungs-
bedingungen.


(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Was?)

– Ja, natürlich, Herr Schauerte. – Das gilt insbesondere
für junge Technologieunternehmen.


(Dagmar Wöhrl [CDU/CSU]: Wann setzt ihr das denn um?)


Zweitens werden die Möglichkeiten des Mittelstandes
zur Teilnahme an nationalen und internationalen Tech-
nologienetzwerken deutlich verbessert.

Drittens. Mit der Förderung der Innovationskompe-
tenz bei kleinen und mittleren Unternehmen und dem
Handwerk stärken wir deren Wettbewerbsfähigkeit.

Viertens. Im Bereich der Bildung schaffen wir mit
den Reformen in der dualen Berufsausbildung und der
Verlängerung der Greencard erste Voraussetzungen für
einen attraktiven Bildungsstandort und begegnen dem
Fachkräftemangel.

Das sind doch positive Ziele, die im Übrigen in den
Diskussionen mit den Mittelständlern auch anerkannt
werden. Diese setzen sich übrigens, was die Finanzie-
rungsthematik betrifft, in viel stärkerem Maße mit den
Banken und ihrer Praxis in diesem Lande als etwa mit
Vorwürfen an die Bundesregierung auseinander.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Das ist das Thema, um das es auf jeder Versammlung
geht.

Wir müssen uns letztlich – das wäre auch in Ihrem In-
teresse – mit den Banken, Sparkassen und Volksbanken
darüber auseinander setzen, auf welche Weise wir dabei
helfen können, die Kreditzuweisungen an Unternehmer
zu verbessern und zu vereinfachen.


(Beifall des Abg. Jörg Tauss [SPD])

Um dieses Thema geht es. Deshalb sollten Sie mit dieser
Art der Auseinandersetzung sehr vorsichtig sein.

Wir haben bereits Ende letzten Jahres – darauf ist
schon hingewiesen worden – gemeinsam mit dem ERP-
Sondervermögen und dem Europäischen Investitions-
fonds einen Dachfonds für Beteiligungskapital ge-
schaffen. Frau Wöhrl, Sie haben dem – Sie waren zu-
sammen mit Frau Skarpelis-Sperk von unserer Fraktion






(A) (C)



(B) (D)


Parl. Staatssekretär Dr. Ditmar Staffelt

sozusagen an der Spitze der Bewegung – im ERP-Unter-
ausschuss zugestimmt. Aber hier im Bundestag tun Sie
so, als ob Sie mit alledem nichts zu tun hätten. Ist das
politische Redlichkeit?


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Deutschland ist natürlich auf eine weitere Verbesse-
rung der Situation auf dem Beteiligungskapitalmarkt an-
gewiesen. Hier werden wir unsererseits das Notwendige
tun. Ich möchte in diesem Zusammenhang noch auf
einen wichtigen Fakt hinweisen, der nicht außer Acht
gelassen werden darf. Neben dem heute diskutierten
Masterplan gibt es die Fachprogramme sowohl des Mi-
nisteriums für Bildung und Forschung als auch des Wirt-
schafts- und Arbeitsministeriums. Alleine in diesem Be-
reich haben wir von 1998 bis 2003 die Mittel für die
KMUs um 20 Prozent erhöht. Auch das gehört zur
Wahrheit der politischen Auseinandersetzung.


(Beifall bei der SPD)

Summa summarum: Wir glauben, mit dem vorliegen-

den Programm mehr Flexibilität zu schaffen sowie die
Bedingungen der internationalen Kooperation für deut-
sche mittelständische und innovative Unternehmen zu
verbessern. Ich habe als Koordinator der Luft- und
Raumfahrtindustrie viel mit kleinen und mittleren Unter-
nehmen zu tun und weiß daher, wie wichtig eine kleine
Venture-Capital-Unterstützung für diese ist, um Großes
zu leisten und sich im Wettbewerb zu behaupten. Genau
das machen wir, indem wir die Mittel nicht nach dem
Gießkannenprinzip, sondern sehr gezielt dort einsetzen,
wo wir es mit Unternehmen zu tun haben, die erwar-
tungsgemäß in der Lage sind, technologischen Fort-
schritt zu erzielen und exzellente Spitzenleistungen zu
erbringen. Das ist der Sinn unserer Politik.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich bin fest davon überzeugt, dass die Resonanz in der
Wirtschaft durchweg positiv sein wird; denn die Wirt-
schaft weiß sehr wohl – sie ist in der Lage, mit dieser
Tatsache umzugehen –, dass die Möglichkeiten der öf-
fentlichen Haushalte begrenzt sind. Viele Mittelständler
wollen auf Dauer auch gar keine Staatsknete, sondern
nur eine unterstützende Starthilfe, um letztendlich Pro-
dukte auf den Markt zu bringen, mit denen sie ihr Unter-
nehmen stabilisieren und entwickeln sowie für die
Volkswirtschaft etwas leisten und Arbeitsplätze in die-
sem Lande schaffen können.

Vor diesem Hintergrund wäre mir eine konstruktivere
Diskussion vonseiten der Opposition sehr viel lieber ge-
wesen. Sie wäre auch der Vertretung der Interessen der-
jenigen, über die wir hier reden, angemessener gewesen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Sie sollten lernen, dass Ihre konfrontative Oppositions-
politik unser Land in keiner Weise voranbringt.

Danke schön.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1509404000

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Dr. Christoph

Bergner.


Dr. Christoph Bergner (CDU):
Rede ID: ID1509404100

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Herr Staatssekretär Staffelt, vielleicht können wir uns
darauf verständigen, dass eine Diskussion wie die heu-
tige mit möglichst geringem propagandistischen Eifer
und mit möglichst engem Bezug zur Realität geführt
werden sollte.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Um diesem Grundsatz zu folgen, möchte ich uns die

authentische Studie des Stifterverbandes für die Deut-
sche Wissenschaft, in der die aktuellen F-und-E-Auf-
wendungen der Unternehmen in Deutschland analysiert
worden sind, in Erinnerung rufen. Ohne auf die Zahlen
einzugehen, möchte ich die Grundaussagen zitieren:

… auch für 2004 rechnen die befragten Unterneh-
men tendenziell mit einer weiteren Senkung ihrer
FuE-Aufwendungen: …

(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Das ist die Wirklichkeit!)

Herr Staatssekretär, wie ich sehe, finden Sie die Un-
terhaltung mit der Frau Ministerin interessanter. – Das
ist die Realität, der wir uns stellen müssen, wenn wir die
Dimension dieser Aufgabe wirklich erkennen wollen.
Zu dieser Realität gehört auch, dass der Rückgang an
F-und-E-Aufwendungen vorwiegend kleine und mittel-
ständische Unternehmen betrifft.


(Cornelia Pieper [FDP]: Richtig!)

Nun möchte ich den Generalsekretär des Stifterver-

bandes zitieren:
Wenn seitens der Politik kein ermutigendes Signal
gesetzt wird, ist damit zu rechnen, dass in den kom-
menden Jahren, 2003 und 2004, der Anteil der FuE-
Aufwendungen am Bruttoinlandsprodukt wieder
sinkt. … So können wir die EU-Zielmarke von 3 %
nicht erreichen.

Ich finde diese Nachricht – auch wenn sie den Staatsse-
kretär nicht interessiert – alarmierend, und zwar aus
zwei Gründen:

Wir wissen, dass wir das 3-Prozent-Ziel wahrschein-
lich schon im Bereich der staatlich finanzierten F-und-E-
Aufwendungen verfehlen werden. Wir stellen fest, dass
nun auch noch im Bereich der privat finanzierten wirt-
schaftlichen Aufwendungen


(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Ein Abbau stattfindet!)


das Handtuch geworfen wird und dass sich dort ein Ab-
bau vollzieht.


(Ulrich Kasparick [SPD]: Das Gegenteil ist richtig!)







(A) (C)



(B) (D)


Dr. Christoph Bergner

– Sie können die Zahlen des Stifterverbandes nicht
widerlegen. Herr Kasparick, es bringt doch nichts, über
Realitäten zu streiten.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Ulrich Kasparick [SPD]: Aber wir machen doch dieses Programm! Unglaublich!)


Ich darf Ihnen in Erinnerung rufen, was „3 Prozent“
bedeutet. Ich finde, das ist in der heutigen Diskussion
noch nicht richtig zum Ausdruck gekommen. Der Be-
schluss, den die Staats- und Regierungschefs der Euro-
päischen Union in Lissabon gefasst haben, besagt, dass
es um 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts im Durch-
schnitt der 2010 erweiterten Europäischen Union geht.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das weiß doch jeder!)


Das heißt nichts anderes, als dass ein Land wie Deutsch-
land, das den Anspruch erhebt, ein Hochtechnologieland
zu sein,


(Ulrich Kasparick [SPD]: Sich bewegen muss!)


im Hinblick auf Länder wie die Slowakei, Litauen und
Griechenland, die diesen Durchschnittswert aus ver-
ständlichen Gründen nicht schaffen werden, dadurch ei-
nen Ausgleich zu schaffen hat, dass es, was seine F-und-
E-Aufwendungen angeht, deutlich über der 3-Prozent-
Marke liegt. Wir sind also weit von dem entfernt, was
wir uns im Rahmen der EU selbst zum Ziel gesetzt.

Wir sollten dieses Thema deshalb ernster nehmen, als
Sie es bisher getan haben. Ich will Ihnen eines sagen:
Was ich bisher als so genannte Innovationsoffensive er-
lebt habe, ist vor allen Dingen eine Propagandaoffensive
gewesen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Zu Jahresbeginn gab es einen Fanfarenstoß „Eliteuniver-
sität“, verbunden mit einer Einladung ins Kanzleramt.
Übrigens, zu dieser Zusammenkunft war kein Vertreter
des Mittelstandes eingeladen. Auch dies gehört – Sie
sprechen über Innovationen bei kleinen und mittelständi-
schen Unternehmen – bei der Analyse auf die Tagesord-
nung. Ich kann in all diesen Diskussionen nicht die Be-
reitschaft erkennen, dicke Bretter zu bohren. Genau
diese Bereitschaft werden Sie allerdings brauchen.

Ich habe bei der Analyse Ihrer internen Reformdis-
kussion den Eindruck gewonnen – der Kollege
Schauerte hat schon darauf hingewiesen –, dass Sie im
Moment eine ganz andere Parole ausgeben. Diese Parole
lautet – ich halte sie für höchst bedenklich –: Nachdem
wir uns in der Vergangenheit und bis in die Gegenwart
mit der Reform der sozialen Sicherungssysteme herum-
schlagen mussten, kommt nun der fröhliche Teil der
Agenda 2010, der es uns möglich macht, Geld zu vertei-
len und Menschen zu beglücken.

So einfach wird die Aufgabe, die vor Ihnen liegt,
nicht sein. Die Forschungs- und Technologieförderung
ist genauso wie die Bewältigung der Probleme der sozia-
len Sicherungssysteme eine sehr schwierige Aufgabe. Es
geht nämlich darum, verlorene Wettbewerbsfähigkeit
und verlorene Rahmenbedingungen für mehr Wachstum
wiederzuerlangen. Dies sollten Sie ernster nehmen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Ulrich Kasparick [SPD]: Wir machen es doch!)


– Sie machen es eben nicht, Herr Kasparick.

(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Sie sind ignorant!)

Ich schränke mich ein: Ich kann mich nur auf das bezie-
hen, was Sie uns vorlegen.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Was Sie wahrnehmen!)


Der Masterplan, den Sie uns mit der Drucksache 15/2551
vorgelegt haben, ist gemessen an der Größe der Aufgabe
geradezu lächerlich.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Das ist schon analysiert worden. Ich brauche darauf
nicht mehr im Einzelnen einzugehen, weil es in den För-
derprogrammen – der Dachfonds ist schon genannt wor-
den – im Grunde genommen nichts oder fast nichts
Neues bringt. Es ist unzureichend, weil es bei den För-
derprogrammen keine belastbaren Finanzierungsper-
spektiven gibt. Ich stehe unter dem Eindruck eines Ge-
sprächs, das ich neulich mit dem Technologieberater ei-
ner Kammer geführt habe. Zur gegenwärtigen Situation
hat er gesagt: Wir haben viele Programme, aber kein
Geld, jedenfalls kein verfügbares. – Das ist die Situation,
in die wir gekommen sind. Wir haben eine ausdifferen-
zierte Förderkulisse, die sich dann, wenn man nach den
Mitteln fragt, die jetzt verfügbar sind, als Attrappe er-
weist. Das halte ich für ausgesprochen gefährlich.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Es ist des Weiteren unzureichend, weil die Herausfor-

derung, die wir in Deutschland haben, nämlich eine ge-
spaltene Forschungs- und Entwicklungslandschaft in Ost
und West, nicht mit adäquaten Mitteln berücksichtigt
wird; im Gegenteil. Frau Ministerin Bulmahn, wenn es
um die staatlich finanzierte Forschungsinfrastruktur
geht, leisten Sie sich Dinge – ich denke nur an Ihre Atta-
cken gegen die Leibniz-Gesellschaft –, die gerade für die
neuen Bundesländer und für den Aufbau der For-
schungslandschaft dort hinderlich sind.

Frau Ministerin Bulmahn – ich verbinde dies mit ei-
nem Glückwunsch zum Geburtstag –, wenn Sie sagen,
zu viel Bürokratie hemme die Innovationen, so kann ich
nur fragen: Wie verhält sich diese Aussage beispiels-
weise zu Ihren Plänen einer Ausbildungsplatzabgabe?
Haben Sie sich jemals überlegt, was es für ein innovati-
ves Unternehmen, das sich die Frage stellt, ob es einen
Hochschulabsolventen einstellt, um ein bestimmtes In-
novationsprojekt voranzubringen, bedeutet, wenn es mit
einer Zwangsabgabe beauflagt wird, weil es die staatlich
vorgegebene Ausbildungsplatzquote nicht erfüllt? Sie
bauen damit ein beträchtliches zusätzliches Hemmnis






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Christoph Bergner

gerade für die kleinen und mittelständischen innovativen
Unternehmen auf.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Herr Kuhn sagt, grüne Ideen führten zu schwarzen

Zahlen. Ich möchte Ihnen deshalb nur die Frage stellen
– Frau Pieper hat schon gesagt, dass wir in unserem
Bundesland Biotechnologieambitionen haben –, wie Sie
einem innovativen Unternehmen mit einer geringen Ei-
genkapitalbasis die Haftungsrisiken und Rechtshürden
zumuten können, die Sie im Bereich der Gentechnik
jetzt aufzubauen im Begriff sind.


(Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ist Ihnen die Sicherheit egal?)


Dies ist meines Erachtens für Unternehmen, die gerade
in der grünen Gentechnik ihr Bewährungsfeld suchen,
eine Belastung, die im Grunde genommen den Todes-
stoß am Anfang der Entwicklung bedeutet. Ich halte das
für höchst fatal.


(Beifall bei der CDU/CSU – Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Sicherheit der Bürger ist Ihnen egal? – Gegenruf von der CDU/CSU: Das hat doch nichts mit der Sicherheit der Bürger zu tun! – Gegenruf des Abg. Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Natürlich!)


An der Vorlage wird noch eines deutlich, das über den
Kontext der unmittelbaren Innovationspolitik für den
Mittelstand hinausgeht und das sich auf mein engeres
Fachgebiet, die Forschungspolitik, bezieht. Wir stellen
fest, dass es bei all diesen Forschungsprogrammen, die
von zwei bis drei Häusern entworfen werden, an einer
Grundphilosophie, an einem Grundwissenschaftsver-
ständnis mangelt, sodass man nicht in der Lage ist, zu
wirklich stimmigen Vorgehensweisen – ich rede nicht
von der technischen Abstimmung von Förderprogram-
men, bei der tatsächlich Fortschritte erreicht worden
sind – zu kommen. Ich sehe die Ursache darin, dass die
Bundesregierung einer Herausforderung nicht gewach-
sen ist, die da lautet: Welches Selbstverständnis an
unseren Hochschulen und außeruniversitären For-
schungseinrichtungen erfordert die moderne Wissensge-
sellschaft?

Frau Ministerin Bulmahn, was Sie mit dem Vorstoß
„Deutschland sucht die Superuniversität“ gemacht ha-
ben, belegt für mich in besonderer Weise, dass Sie die
Antwort auf diese wissenschaftspolitische Herausforde-
rung in einer schlichten und oberflächlichen Kopie ame-
rikanischer Verhältnisse suchen.


(Jörg Tauss [SPD]: Na ja! – Weitere Zurufe von der SPD)


Davor kann ich nur warnen. Sie, Frau Bulmahn, werden
für diese Nummer doch aus Ihren eigenen Reihen kriti-
siert. Sie werden berechtigterweise von Ihrem Koaliti-
onspartner und von den Landesministern mit SPD-Par-
teibuch, die sich um Wissenschaft zu kümmern haben,
kritisiert. Wir müssen hier nicht über die Sache reden,
aber daraus klingt schon ein völlig irriges Wissen-
schaftsverständnis. Natürlich brauchen wir Wettbewerb
in der Wissenschaft.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1509404200

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des

Kollegen Tauss?

Dr. Christoph Bergner (CDU):
Rede ID: ID1509404300

Gerne.

Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1509404400

Dadurch bekommen Sie, wie Sie sehen, auch noch

Redezeit. Sie müssen aber Ihre Rede mit der Beantwor-
tung beenden.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1509404500

Aber nur Redezeit, die sich auf die Frage bezieht. –

Lieber Kollege Bergner, Ihrer Kritik an den Plänen der
Forschungsministerin möchte ich Folgendes entgegen-
halten: Würden Sie freundlicherweise zur Kenntnis neh-
men – ich weiß nicht, ob Sie dabei waren –, dass, als
Frau Ministerin Bulmahn ihr Konzept vorgetragen hat,
sich Vertreter sowohl der Hochschulrektorenkonferenz
als auch der Wissenschaftsorganisationen am Ende ihrer
Rede deutlich zu Wort gemeldet und gesagt haben, das
sei ein guter Weg und sie seien sehr daran interessiert,
über diesen Weg mit der Ministerin in Verhandlungen
einzutreten und das voranzubringen?


(Beifall bei der SPD)



Dr. Christoph Bergner (CDU):
Rede ID: ID1509404600

Herr Kollege Tauss, ich habe zur Kenntnis zu neh-

men, dass sich die Kultusministerkonferenz mit den
Stimmen der SPD-Wissenschaftsminister kritisch zu die-
sem Projekt geäußert hat. Ich habe zur Kenntnis zu neh-
men, dass sich die Wissenschaftsorganisationen kritisch
zu diesem Projekt geäußert haben.


(Ulrich Kasparick [SPD]: Eben nicht!)

Und ich habe zur Kenntnis zu nehmen, dass inzwischen
jeder seriöse Wissenschaftler, mit dem ich darüber ge-
sprochen habe, dies für eine absolute Lachnummer hält.


(Beifall bei der CDU/CSU – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das können aber nicht viele gewesen sein!)


Herr Kollege Tauss, lassen Sie mich dies noch sagen:
Der Wettbewerb in der Wissenschaft, den wir beide
wollen


(Ulrich Kasparick [SPD]: Sie reden von Herrn Gaehtgens?)


– Sie können den Stenografischen Bericht mit meiner
Rede gerne Herrn Gaehtgens schicken; ich habe damit
keine Probleme –


(Ulrich Kasparick [SPD]: Es ist unglaublich, wie Sie mit Wissenschaftlern umgehen!)


– lassen Sie mich erst einmal meine Ausführungen zu
Ende bringen –, findet nicht zwischen Universitäten,






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Christoph Bergner

sondern zwischen Wissenschaftlern, Fachgebieten und
Instituten statt. Das ergibt sich auch aus den vorliegen-
den seriösen Voten.


(Beifall des Abg. Dr. Heinz Riesenhuber [CDU/CSU])


Ist Ihnen eigentlich aufgefallen, dass der Nobelpreis
an Wissenschaftler und nicht an Universitäten verliehen
wird? Das ist doch wohl ein Beleg dafür, dass wir Quali-
tät der Wissenschaft nicht an einer Körperschaft festma-
chen können.


(Widerspruch der Abg. Nicolette Kressl [SPD] – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das ist richtig! Daran merkt man, dass Sie keine Ahnung haben! – Weitere Zurufe von der SPD)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1509404700

Können wir jetzt einmal so lange Ruhe bewahren, bis

die Antwort beendet ist?


Dr. Christoph Bergner (CDU):
Rede ID: ID1509404800

Ist Ihnen bewusst, dass Ihr Kollege Zöllner bei dieser

Gelegenheit völlig zu Recht gesagt hat, der Wettbewerb
muss an Fachbereichen und Instituten ansetzen und nicht
an einzelnen Hochschulen?

Das eigentliche Problem, Herr Kollege Tauss, ist,
dass keine Maßnahmen Ihrer sonstigen Hochschulpolitik
die Voraussetzungen dafür schaffen, dass die Hochschu-
len einen wirklich ernsthaften Wettbewerb um die Bes-
ten durchführen können: weder das Verbot der Habilita-
tion noch das Oktroi der Juniorprofessur.


(Abg. Jörg Tauss [SPD] nimmt wieder Platz)

– Ich beantworte noch Ihre Frage.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1509404900

Das geht jetzt aber doch über die Beantwortung der

Frage hinaus. Ich bitte Sie jetzt, zum Schluss zu kom-
men.


Dr. Christoph Bergner (CDU):
Rede ID: ID1509405000

Ich versuche, die Diskussion dadurch zusammenzu-

fassen, dass ich sage: Die Hochschulpolitik leidet an der
Situation, dass die Ministerin ihre Vorschläge so wie ein
Zirkuszauberer die Kaninchen aus dem Hut zieht. Dies
reicht nicht aus. Wir müssen in der Lage sein, zu einem
wirklichen Grundverständnis von Wissenschaft unter
den Voraussetzungen der Wissensgesellschaft zu kom-
men. Dies traue ich dieser Ministerin nach all den Erfah-
rungen, die ich bisher gemacht habe, nicht zu.

Danke schön.

(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1509405100

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Walter Hoffmann.

Walter Hoffmann (SPD):
Rede ID: ID1509405200

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte
zunächst einmal ganz sachlich Herrn Dr. Bergner korri-
gieren, der gesagt hat, dass bei der Kanzlerrunde kein
Vertreter des Mittelstandes anwesend gewesen sei. Das
ist in der Tat nicht so. Es waren Vertreter des Mittelstan-
des anwesend und haben ihre Interessenlagen in das Ge-
spräch eingebracht.


(Zurufe von der CDU/CSU und der FDP: Wer denn? – Gegenruf des Parl. Staatssekretärs Dr. Ditmar Staffelt – Zuruf von der CDU/ CSU: Wer? – Parl. Staatssekretär Dr. Ditmar Staffelt: Den kennen Sie nicht, weil Sie sich mit dem Thema nicht auskennen!)


– Herr Staatssekretär Staffelt hat mir das gerade bestä-
tigt.


(Manfred Grund [CDU/CSU]: Noch ein Kaninchen aus dem Hut!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1509405300

Darf ich darauf hinweisen, dass wir eigentlich nicht

gewohnt sind, dass von der Regierungsbank aus in die
Debatte eingegriffen wird.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Aber es dürfen natürlich auch keine Fragen zur Regie-
rungsbank hinübergegeben werden.


(Manfred Grund [CDU/CSU]: Herr Hoffmann hat ja die Frage hinübergegeben!)



Walter Hoffmann (SPD):
Rede ID: ID1509405400

Ich wollte diesen Punkt nur einmal klarstellen, denn

eine solche Aussage ist symptomatisch für die Diskus-
sion insgesamt.

Herr Schauerte hat am Anfang seines Beitrags – da
war er noch gut – ein paar Sätze gesagt, die ich sehr
wohl unterstreiche. Er sagte, die Unternehmer würden
entscheiden und nicht vorrangig die staatliche Wirt-
schaftspolitik. Ich glaube, es gibt niemand in diesem
Raum, der dem widerspricht. Nur, Herr Schauerte, Sie
wissen genauso gut wie ich, dass Unternehmer nicht im
luftleeren Raum entscheiden. Sie gründen ihre Entschei-
dungen auf ein bestimmtes Fundament und treffen sie in-
nerhalb bestimmter Rahmenbedingungen, die auch wir
heute hier diskutieren. Ein Fundament ist allerdings äu-
ßerst problematisch, Herr Schauerte; deswegen habe ich
vorhin das Beispiel mit der Teilnahme an der Kanzler-
runde gebracht. Wir haben in diesem Land eine Oppo-
sition, die seit vielen Monaten und Jahren eine Negativ-
stimmung erzeugt, die im Grunde keinerlei Motivation
beim Mittelstand aufkommen lässt und die ohnehin
schwierige Ausgangssituation verschlimmert.

Wenn ich einen Wunsch äußern darf: Kritisieren Sie
in der Sache klar und deutlich – das bemängele ich
nicht –,


(Manfred Grund [CDU/CSU]: Das hat Herr Bergner gemacht, klar und deutlich!)







(A) (C)



(B) (D)


Walter Hoffmann (Darmstadt)


aber versuchen Sie, die Stimmung des Mittelstandes ge-
meinsam mit uns möglichst zu verbessern, und zwar
durch konkrete Maßnahmen, die das Fundament für eine
Verbesserung der realen wirtschaftlichen Situation le-
gen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich denke, das machen Sie nicht. Lassen Sie mich das
an einem konkreten Beispiel verdeutlichen. In vielen
Beiträgen, auch in Ihrem, ist von der Bürokratiebelas-
tung des Mittelstandes gesprochen worden. Das ist rich-
tig. Kleine und mittlere Betriebe klagen über zu viel Bü-
rokratie. Wenn wir ehrlich sind, hat sich die Lage im
Prinzip nicht wesentlich gebessert. Aber es gehört eben-
falls zur Wahrheit – wir können das im Jahreswirt-
schaftsbericht auf Seite 47 ausführlich nachlesen –, dass
sich keine Regierung dieses Themas so systematisch und
strukturiert angenommen hat wie diese Regierung.


(Beifall bei der SPD)

Sie wissen alle, dass wir uns am Anfang des Jahres

2003 im Bereich Bürokratieabbau fünf Schwerpunkte
vorgenommen haben. Wir haben eine Fülle von Einzel-
maßnahmen aufgelistet, mit denen wir konkret etwas än-
dern wollen. Insgesamt sind es 50 Projekte, weitere wer-
den im Jahr 2004 folgen. Wir befinden uns im Moment
in einer Phase, in der diese einzelnen Maßnahmen umge-
setzt werden. Ich will Sie mit der Aufzählung nicht lang-
weilen, Sie können sie auf Seite 47 nachlesen: Es geht
um die Vereinfachung und Reduzierung von statistischen
Belastungen, um die Reform der Handwerksordnung,
um die Verschlankung des Vergaberechts, um Änderun-
gen in der Arbeitsstättenverordnung und viele andere
Dinge mehr. Wir gehen das Thema Bürokratieabbau sys-
tematisch an. Das ist schwierig und problematisch ge-
nug. Wir wissen auch nicht, ob wir letztlich erfolgreich
sein werden; das ist nicht der Punkt. Aber das Ziel ist
klar, der Weg ist klar, die einzelnen Schritte sind klar,
weitere Punkte folgen. Das wird sich auch für kleine und
mittlere Unternehmen positiv auswirken.


(Manfred Grund [CDU/CSU]: Alles wird gut!)

Lassen Sie mich einen weiteren Punkt nennen; der

Kollege Kuhn hat mir hier im wahrsten Sinne des Wortes
aus dem Bauch gesprochen.


(Manfred Grund [CDU/CSU]: Der Kollege Kuhn ist ein Bauchredner!)


Immer dann, wenn wir konkret werden und versuchen,
reale Erleichterungen für den Mittelstand hinzubekom-
men, blockieren Sie. Mir fällt unsere Diskussion im
Herbst letzten Jahres ein, als es um die Verbesserung der
Bedingungen für Existenzgründer ging, als wir über Än-
derungen der Handwerksordnung, über die Befreiung der
Existenzgründer von Kammerbeiträgen in den ersten vier
Jahren und über die Erleichterung bei befristeten Arbeits-
verträgen diskutiert haben. Das waren keine leichten Dis-
kussionen für uns. Da standen Sie ständig auf der Seite
derjenigen, die konsequent blockierten und knallharte
Lobbyisten- und Interessenpolitik betrieben haben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Gehen Sie also in sich und versuchen Sie, ein bisschen
mehr Bescheidenheit zu praktizieren! Seien Sie an unse-
rer Seite, wenn wir konkrete Vorschläge machen!

Wir haben im Rahmen der Agenda 2010 eine Fülle
von Maßnahmen auf den Weg gebracht, die die Belas-
tungen des Mittelstandes in der Tat vermindern. Wir be-
finden uns jetzt in der Phase der Umsetzung. Wir können
nicht schon nach knapp zweieinhalb Monaten eine Be-
standsaufnahme machen. Wir werden sehen, wie sich die
einzelnen Maßnahmen auswirken. Diese sollen – nicht
nur, aber auch – ganz entscheidend die Belastungen des
Mittelstandes verringern und vor allen Dingen bürokrati-
sche Hürden beseitigen.

Wir haben die Steuern auf das niedrigste Niveau in
der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland ge-
senkt. Gerade für den Mittelstand ist die Anrechnung der
Gewerbesteuer auf die Einkommensteuer ein ganz
wichtiger Punkt.


(Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Über 10 Milliarden!)


– Das ist ein Volumen von über 10 Milliarden Euro. –
Darauf sind wir stolz. Wenn man die Mittelständler di-
rekt darauf anspricht, sagen sie deutlich, wie wichtig das
ist. Ich denke, das ist eine gute Sache.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


An dieser Stelle fällt mir eine Diskussion aus dem
letzten Jahr kurz vor Beginn des Vermittlungsverfahrens
ein. Da ging es um die Frage der weiteren Behandlung
der Gewerbesteuer und der Umwandlung der Gewerbe-
steuer zu einer Gemeindewirtschaftsteuer. Rot-Grün
hat die Position vertreten, dass wir eine verbreiterte Be-
messungsgrundlage brauchen, damit die Kommunen fi-
nanziell in die Lage versetzt werden, entsprechende In-
vestitionen zu tätigen. Wir haben dieses Ziel im Rahmen
des Vermittlungsverfahrens aber nicht erreicht. Die
Kommunen waren über dieses Ergebnis nicht erfreut,
sondern unzufrieden. Sie sagen, dass es ihnen im Grunde
genommen nichts bringt. Daher muss man feststellen,
dass Ihre Blockadestrategie gerade bei der Gemeinde-
wirtschaftsteuer eine Strategie gegen den Mittelstand ist;
denn es ist der Mittelstand, der in erster Linie von kom-
munalen Investitionen profitiert. Auch hier gilt: Als es
konkret wurde, standen Sie nicht an unserer Seite und
haben nicht mitgemacht. Denken Sie einmal darüber
nach! So kommen wir insgesamt nicht weiter.

Wir haben im Rahmen der Agenda 2010 eine Reihe
von strukturellen Reformen auf dem Arbeitsmarkt durch-
geführt. Ich möchte an die Begrenzung der Bezugsdauer
des Arbeitslosengeldes erinnern. Wir haben beim Kündi-
gungsschutz einige Punkte verändert, um gerade Exis-
tenzgründern sowie kleinen und mittleren Betrieben die
Möglichkeit zu geben, auf unkomplizierte Weise Be-
schäftigte einzustellen. Wir haben bei der Bundesagentur
im Rahmen der Umstrukturierung den Schwerpunkt auf
Vermittlung gelegt. Wir haben das deswegen getan, weil
kleine Betriebe in der Regel keine großen Personalabtei-
lungen haben, um Personal zu rekrutieren. Sie sollen – ich
hoffe, dass das gut funktioniert – auf die Dienstleistung






(A) (C)



(B) (D)


Walter Hoffmann (Darmstadt)


der Bundesagentur zurückgreifen können. Das wird diese
Betriebe entlasten.

Wir haben nach schwierigen Diskussionen – wir be-
finden uns eigentlich noch mittendrin – durch die Ge-
sundheitsreform und durch die Rentenreform dafür ge-
sorgt, dass die Beiträge nicht weiter steigen. Wir sind
optimistisch, dass es uns kurz- und mittelfristig gelingt,
dass ein Teil der Krankenkassen ihre Beiträge senkt.
Alle diese Maßnahmen haben dazu geführt, dass sich die
Rahmenbedingungen für die kleinen und mittleren Be-
triebe verbessert haben.

Ich möchte in diesem Zusammenhang daran erinnern,
dass wir in den letzten Monaten im Bereich der Mittel-
standsbank eine Reihe von Förderinstrumenten verein-
facht haben; denn wir konnten von den kleinen und mitt-
leren Betrieben immer wieder hören – ich komme auf
das Thema Bürokratieabbau zurück –, das Verfahren sei
insgesamt zu aufwendig, es dauere zu lange und sei zu
kompliziert. Auch deshalb haben wir eine Mittelstands-
bank und vereinfachte Förderinstrumente geschaffen,
von denen ein Teil zum 1. April dieses Jahres in Kraft
treten wird. Ich denke, das wird dem Mittelstand weiter-
helfen.

Die stärkere Ausrichtung der Forschungsförderung
des BMBF auf die kleinen und mittleren Betriebe ist hier
schon erwähnt worden. Ich brauche das nicht zu wieder-
holen.

Lassen Sie mich einen Punkt ansprechen, der im
Moment von großer Bedeutung ist. Es geht um das Zu-
wanderungsgesetz. Wir kommen jetzt in eine ganz ent-
scheidende Phase. Im Hightech-Masterplan wird der
Schwerpunkt darauf gelegt, Arbeitskräfte im Bereich der
Hochqualifizierten, aber auch im Niedriglohnbereich
dauerhaft zu rekrutieren. Diese Arbeitskräfte sollen auch
den Klein- und Mittelbetrieben zugute kommen.

Ich fordere die Opposition auf, gerade in dieser kriti-
schen Phase mit uns zu einer Einigung zu kommen.
Denn wir brauchen diese Arbeitskräfte in unserem Land
sowohl im Hochtechnologiebereich als auch im Niedri-
glohnbereich kurz-, mittel- und langfristig. Denn es ist
– aus welchen Gründen auch immer; darüber diskutieren
wir jetzt nicht – im Moment nicht möglich, bestimmte
Arbeitsplätze in diesen Sektoren zu besetzen. Deswegen
haben wir ein Interesse an vernünftigen Regelungen im
Bereich der Zuwanderung, um den gerade bei Klein- und
Mittelbetrieben in diesen Sektoren bestehenden Arbeits-
kräftebedarf zu decken.

In diesem Sinne glaube ich, dass der Hightech-Mas-
terplan ein Schritt nach vorne ist. Er soll den kleinen
und mittleren Unternehmen höhere Investitionen in For-
schung und Entwicklung sowie in innovative Produkte
ermöglichen. Er soll die Chance, sich gerade in High-
tech-Bereichen selbstständig zu machen, vergrößern, die
Zugänge zu den Ergebnissen öffentlicher Forschung er-
leichtern und – ich sagte es bereits – genügend gut aus-
gebildete Fachkräfte in unserem Land dazu motivieren,
tätig zu werden.

Diesen Plan muss man mit Fleisch füllen. Es ist klar:
Das sind zum Teil Absichtserklärungen. Daran führt
überhaupt kein Weg vorbei. Es gibt, wie ich finde, drei,
vier gute und neue Akzente in diesem Sektor. Sie sollten
sich dem nicht versagen. Es ist klar, dass Innovationen
ein Nährboden sind. Was heute in den Forschungs- und
Entwicklungslabors erdacht und zu marktreifen Produk-
ten geformt wird, ist die Keimzelle für Jobs von morgen.

In diesem Sinne ist der Hightech-Masterplan ein
Schritt in die richtige Richtung. Wir sollten daran arbei-
ten, ihn jetzt mit Fleisch zu füllen und konkret umzuset-
zen.


(Beifall bei der SPD – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Vielleicht könnte die Union ja mitmachen!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1509405500

Zu einer sachlichen Richtigstellung bezogen auf die

Rede des Vorredners – aber bitte wirklich nur darauf be-
zogen – erteile ich dem Abgeordneten Bergner das Wort.


Dr. Christoph Bergner (CDU):
Rede ID: ID1509405600

Herr Kollege Hoffmann, Sie haben mir unter Bezug

auf einen Nebensatz, in dem ich erwähnt habe, dass kein
Mittelständler beim Innovationsgespräch im Bundes-
kanzleramt anwesend war, eine unredliche Behauptung
unterstellt, was nicht der Tatsache entspricht. Ich habe
zufällig die Teilnehmerliste des Innovationsgespräches
im Kanzleramt am 16. Januar 2004, die im Internet ver-
öffentlicht wurde, vorliegen. Im Sinne der Richtigstel-
lung würde ich diese Liste gern einfach einmal vorlesen


(Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein!)


und Ihnen jeweils kurz die Frage stellen, ob Sie den je-
weiligen Betreffenden für einen Mittelständler halten.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1509405700

Das geht jetzt wirklich zu weit.

(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Weisen Sie doch auf die entsprechende Internetseite hin!)



Dr. Christoph Bergner (CDU):
Rede ID: ID1509405800

Frau Präsidentin, dann muss ich aber Wert auf die

Feststellung legen, dass ich auf der amtlichen Liste des
Bundeskanzleramtes keinen einzigen Mittelständler ge-
funden habe. Um den Zuruf von Herrn Staffelt von vor-
hin aufzugreifen: Es war auch niemand aus Bielefeld an-
wesend.

Ich will nur sagen: Mir wurde eine unredliche Dar-
stellung – es geht nur um einen Nebensatz – unterstellt.
Ich muss diesen Vorwurf schärfstens zurückweisen.


(Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jawohl!)


Denn er ist – das sieht man, wenn man die offizielle
Liste des Bundeskanzleramtes nachliest – völlig unzu-
treffend. Auf dieser Liste ist kein einziger Mittelständler
ausgewiesen.

Danke schön.






(A) (C)



(D)


Dr. Christoph Bergner


(Beifall bei der CDU/CSU – Manfred Grund [CDU/CSU]: Die erzählen hier das Blaue vom Himmel herunter!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1509405900

Von der SPD kommt noch ein weiterer Redebeitrag,

sodass sie dazu Stellung nehmen kann.
Jetzt hat erst die Abgeordnete Gesine Lötzsch das

Wort.


Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1509406000

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Sehr geehrte Gäste! Ich bin Abgeordnete der
PDS. – Hightech-Masterplan klingt bombastisch. Aber
dahinter steckt nicht etwas wirklich Neues. Nach leider
altem Muster werden in Ihrem Masterplan, Frau
Bulmahn, alle Maßnahmen aufgelistet, die sich irgend-
wie mit Technologie und Mittelstand in Verbindung
bringen lassen. Das ist kein Plan, sondern leider nur ein
Sammelsurium von Förderinstrumenten.


(Beifall der Abg. Petra Pau [fraktionslos])

Ich habe mir übrigens alle Artikel, die seit dem Be-

schluss im Kabinett zu diesem Masterplan erschienen
sind, herausgesucht und sie gezählt: Es waren genau
zwei Stück. Offensichtlich interessieren sich weder die
Presse noch andere allzu sehr für Ihren Masterplan. Eine
Umfrage des „Handelsblatts“ unter Managern zeigt, dass
dieser Masterplan nicht als Priorität angesehen wird.

Was sind die Gründe dafür, dass sich die Begeisterung
in Grenzen hält? Nehmen wir zum Beispiel Ostdeutsch-
land. Hier gibt es ein überdurchschnittliches Wachstum
bei der Herstellung von Gütern der Spitzentechnologie.
Das ist erfreulich und sollte eigentlich gefördert werden.

Ein Grund für die erfolgreiche Zusammenarbeit von
wissenschaftlichen Einrichtungen sowie kleinen und
mittleren Unternehmen liegt in dieser außergewöhnlichen
Kooperation. Das sollte die Bundesregierung eigentlich
befördern. Doch was tut die Wissenschaftsministerin
Frau Bulmahn? Sie fordert lauthals die Auflösung der
Leibniz-Gemeinschaft. Doch gerade die Institute der
Leibniz-Gemeinschaft betreiben anwendungsorientierte
Wissenschaft und pflegen einen engen Kontakt zu for-
schungsintensiven Unternehmen.

Seit 1992 haben sich aus der Leibniz-Gemeinschaft
fast 80 Unternehmen ausgegründet, davon mehr als die
Hälfte in Ostdeutschland und Berlin. Frau Bulmahn
möchte diese Gesellschaft trotzdem auflösen.


(Dr. Christoph Bergner [CDU/CSU]: Das ist ein Skandal!)


– Das ist ein Skandal, Herr Dr. Bergner, da sind wir uns
völlig einig.


(Dr. Uwe Küster [SPD]: Zustimmung von der falschen Seite!)


Ich befürchte, dass es auch Teil eines Masterplans
sein könnte, diese Institute der Leibniz-Gemeinschaft
zum x-ten Mal zu evaluieren, neu zu strukturieren und
letztendlich die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaft-
ler von ihrer Arbeit abzuhalten.

Wir von der PDS stellen uns einen Masterplan anders
vor. Für einen solchen Plan brauchen wir vor allen Din-
gen eine tragfähige Idee. Diese vermisse ich in dem vor-
gelegten Hightech-Masterplan. Was soll zum Beispiel
die vereinzelte Förderung von Schlüsseltechnologien?
Jedes Jahr ist eine andere Schlüsseltechnologie in Mode.
Alle freuen sich und strahlen, dass sie das neue Wort
aussprechen können. Aber haben nicht der Transrapid-
und der Maut-Skandal gezeigt, dass häufig nicht die
Schlüsseltechnologien das Problem sind, sondern deren
Einführung und Vernetzung? Wäre das nicht eine sinn-
volle Kernidee eines Masterplans?


(Beifall der Abg. Petra Pau [fraktionslos])

Natürlich sprechen alle, die sich hier zur Wissen-

schaftspolitik äußern, häufig mit Wissenschaftlerinnen
und Wissenschaftlern, um sich über die Auswirkungen
der Politik der Bundesregierung zu informieren. Ich
kann ein Beispiel nennen. Wir haben letztens über die
Raumfahrtforschung gesprochen; daran will ich an-
knüpfen. Ich habe mich mit Menschen, die in der Raum-
fahrtforschung tätig sind, unterhalten, und mir wurde
von einem Professor gesagt, dass er sehr wohl industrie-
verwertbare Ergebnisse erzielt, dass aber bisher nur aus-
ländische Firmen Interesse an seinen Ergebnissen ge-
zeigt haben.

Was tut die Bundesregierung? Was tut das Wirt-
schaftsministerium? Was tut Herr Clement oder der Ko-
ordinator für die Raumfahrttechnik – er hat sich hier sel-
ber vorgestellt –, damit die Industrie auf Forscher und
Wissenschaft zugeht, um Ergebnisse der Forschung um-
zusetzen?

Es ist doch wirklich realitätsfremd, zu glauben, dass
jeder Wissenschaftler das Ziel hat, sich mit einer eigenen
Firma selbstständig zu machen. Das kann nicht unbe-
dingt das Ziel jeder wissenschaftlichen Grundlagenfor-
schung sein. Auch der Ostdeutsche Bankenverband be-
stätigt, dass es sich bei solchen Spin-off-Gründungen,
die sich erfolgreich am Markt etablieren können, in den
seltensten Fällen um Gründungen von jungen Hoch-
schulabsolventen handelt.

Zusammenfassend darf ich Ihnen sagen: Das, was Sie
vorgelegt haben, ist kein Hightech-Masterplan und es ist
auch nicht der große Wurf im Jahr der Innovationen. Es
ist wie so viele Ihrer Pläne und Reformen wieder einmal
nur Stückwerk. Es hat sich wieder einmal gezeigt: Ein
paar englische Brocken machen noch keinen guten Plan.

Vielen Dank.

(Beifall der Abg. Petra Pau [fraktionslos] – Manfred Grund [CDU/CSU]: Das war gar nicht schlecht!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1509406100

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Carola Reimann

von der SPD.

(B)







(A) (C)



(B) (D)



Dr. Carola Reimann (SPD):
Rede ID: ID1509406200

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten

Damen und Herren! Mit dem Hightech-Masterplan hat
die Bundesregierung ein Maßnahmenpaket vorgelegt,
um kleine und mittlere Unternehmen im Hochtechnolo-
giesektor stärker als bisher zu fördern. Wir brauchen
mehr Innovationen, auch mehr Basisinnovationen, die in
fundamentaler Art und Weise die Produktionsprozesse
verändern, wie zum Beispiel im Bereich der Erfindung
des Computers oder der neuen Medien.

Voraussetzung für solche Neuerungen sind Men-
schen, die das Wagnis eingehen, neue Ideen zu realisie-
ren. Deswegen brauchen wir ein innovatives Unterneh-
mertum. Dass die Ausgaben für Forschung und
Entwicklung im Mittelstand sinken – das wurde heute
Morgen immer wieder beklagt –, ist doch kein Argument
gegen einen Hightech-Masterplan, sondern das beste Ar-
gument dafür.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Deutschland verfügt über gut ausgebildete Wissen-
schaftlerinnen und Wissenschaftler und Ingenieurinnen
und Ingenieure. Wir haben ein breites Know-how. Reden
Sie doch nicht immer unsere Leute schlecht! Herr
Dr. Bergner, ich war entsetzt, als Sie sagten, keine ernst-
haften Wissenschaftler hätten dem Wettbewerb der
Hochschulen in irgendeiner Weise etwas abgewinnen
können. Sie können doch nicht wirklich behaupten, dass
die Professoren Gruss, Gaehtgens, Einhäupl keine ernst-
haften Wissenschaftler seien. Ich kann mir nicht vorstel-
len, dass Sie das sagen wollten.


(Beifall des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD] – Ulrich Kasparick [SPD]: Er beleidigt die Wissenschaftler! Unglaublich!)


Wir haben ein enormes Know-how, dies muss künftig
seinen Weg stärker in die Wirtschaft finden; auch ich
sehe das so. Dazu brauchen wir eine intensivere Koope-
ration zwischen Wirtschaft und Wissenschaft. Das geht
natürlich am besten, wenn Wissenschaftler und Ingeni-
eure den Weg in die Wirtschaft suchen und als Unterneh-
mer neue Ideen umsetzen.

Aber klar ist auch – darauf hat mein Vorredner hinge-
wiesen –: Ohne Kapital bleiben die beste Idee und im
Übrigen auch das beste Patent schöne Theorie. Denn
– Herr Schauerte ist leider nicht mehr da – ein Patent ist
nur der erste Schritt. Es geht aber nicht nur um Patente,
sondern auch um Produkte.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


In der letzten Zeit wird in diesem Bereich weniger
Wagniskapital investiert; denn Erfolg in Forschung und
Entwicklung ist nur schwer zu kalkulieren. Das wissen
wir. Angewandte Forschung ist ein Experiment mit offe-
nem Ausgang. Deshalb haben wir weniger Wagniskapi-
tal für entwicklungsintensive Unternehmen. Ditmar
Staffelt hat auf die Finanzierung im Early-Stage-Bereich
hingewiesen. Es werden keine neuen Venture-Capital-
Fonds mehr aufgelegt. Gerade in den frühen, for-
schungs- und entwicklungsintensiven Phasen steht den
Unternehmen derzeit wenig Kapital zur Verfügung. Das
will der Hightech-Masterplan jetzt mit dem Dachfonds
ein Stück weit auffangen.

Nach der Gründungsphase ist Kapital genauso not-
wendig. Junge Hightech-Unternehmen werden durch das
BMBF in vielen Fällen sehr gut gefördert. Ein Stichwort
ist das Programm Biochance, das nach dem Hightech-
Masterplan jetzt mit Biochance plus und Nanochance
– es war angesprochen, was wir in der Nanotechnologie
machen – fortgesetzt wird. Aber nach der Gründungs-
phase fehlt es oft an Kapital. Wer mit kleinen und mittel-
ständischen Unternehmen spricht, der kennt das Pro-
blem. Das Ganze wird gar nicht an die Bundesregierung
adressiert, sondern an die Banken. Die Unternehmen tun
sich schwer, Kredite zu bekommen. Das gilt umso mehr
für die forschungsintensiven Unternehmensgründungen.

Wir brauchen in der deutschen Wirtschaft mehr inno-
vatives Unternehmertum; denn Unternehmer müssen für
Visionen und für den Mut, Neues zu probieren, stehen.
Die Kehrseite jedes Muts ist ein unternehmerisches Ri-
siko. Wir brauchen mehr Risikofreude als in der Gegen-
wart. Wir brauchen deshalb ein Klima der Bereitschaft,
neue und unkonventionelle Ideen zu unterstützen. Auch
das gehört zu einer neuen Innovationskultur.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Meine Damen und Herren, die Politik ist gefordert,
die finanziellen und rechtlichen Rahmenbedingungen für
innovative Unternehmen zu verbessern. Genau darauf
zielt der Hightech-Masterplan ab. Der Dachfonds ist
schon vorgestellt worden; da will ich mich nicht wieder-
holen. Auch Seed-Fonds sind dort angedacht.

Lassen Sie mich noch ein paar Worte zur Kritik sagen.
Da kommt immer die Aussage, ein Masterplan alleine
nütze nichts; es müssten noch weiter gehende sozial- und
steuerpolitische Reformen her. Liebe Opposition, diese
Argumentation folgt dem Muster vom Fischer und seiner
Frau. Jede von uns durchgeführte Reform wird mit dem
Ruf nach noch mehr, noch weiter gehenden Reformen be-
antwortet. Kernproblem dieses Kritikpunktes ist jedoch,
dass hier wirtschaftspolitische Belange mit sozialpoliti-
schen verwechselt werden. Wer aber sozialpolitische Be-
lange als das Grundproblem einer technologieintensiven
Wirtschaft versteht, der hat den Kernbereich dieses Wirt-
schaftszweiges nicht begriffen.


(Beifall bei der SPD)

Die Bundesregierung setzt deshalb den Hebel an der

richtigen Stelle an: Das Kapitalanlageverhalten soll im
Sinne der Hightech-Unternehmen verbessert werden.

All denen, die dennoch glauben, wirklich jedes
Thema zu einem allgemein politischen Schlachtfeld ma-
chen zu müssen, wie wir es heute Morgen erlebt haben,
will ich ein Beispiel aus meiner Heimatstadt Braun-
schweig nennen. Da gibt es die Kooperationsinitiative
Maschinenbau in der Region Braunschweig. Sie zeigt,
wie man mit ganz unterschiedlichen Partnern erfolgreich
Innovation organisieren kann. Was dabei herauskommt,






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Carola Reimann

passt gar nicht zu all den lieb gewonnenen Vorurteilen
von gewerkschaftlichen Betonköpfen und dirigistischen
Genossen – Vorurteile, die gepflegt werden.

Die Kooperationsinitiative Maschinenbau umfasst in
Braunschweig zwölf Unternehmen und ist ein Resultat
aus dem Dialog zwischen Arbeitgeberverbänden und IG
Metall. Was haben sie gemacht? – Ausgangspunkt der
Kooperation war ein neuartiger Tarifvertrag zur Arbeit-
nehmerüberlassung. Dadurch können Fachkräfte zwi-
schen den Kooperationspartnern ausgeliehen werden.
Das alles ist bekannt. Mittlerweile arbeiten die Firmen-
chefs und ihre Mitarbeiter in Arbeitsgruppen gemeinsam
mit der Technischen Universität vor Ort an der Entwick-
lung von Möglichkeiten der Prozess- und Produktinno-
vation, die dann allen Kooperationspartnern zugute
kommen. Das ist die Vernetzung von Wirtschaft und
Forschung sowie von Wirtschaft und Hochschulen, die
wir wollen.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Herr Schauerte hat den konkreten Bezug auf die
Wirklichkeit angemahnt. Das ist ein solches konkretes
Beispiel aus der Wirklichkeit, an dem man zeigen kann,
was alles möglich ist, wenn man bereit ist, ausgetretene
Pfade zu verlassen. Diese Bereitschaft wollen wir mit
dem Hightech-Masterplan stärker unterstützen, als das in
der Vergangenheit geschehen ist.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1509406300

Danke schön. – Damit schließe ich die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf

den Drucksachen 15/2551 und 15/2594 an die in der Ta-
gesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Sind Sie einverstanden? – Das scheint der Fall zu sein.
Dann sind die Überweisungen so beschlossen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 5 a und 5 b auf:
a) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten

Dr. Peter Paziorek, Marie-Luise Dött, Dr. Klaus
W. Lippold (Offenbach), weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der CDU/CSU
Nationale Umsetzung des Emissionshandels
– Drucksachen 15/1282, 15/2390 –

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit (15. Ausschuss) zu dem
Antrag der Abgeordneten Dr. Peter Paziorek,

(Offenbach)

der CDU/CSU
Nationalen Allokationsplan als Parlamentsge-
setz gestalten
– Drucksachen 15/1791, 15/2533 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Ulrich Kelber
Marie-Luise Dött
Dr. Reinhard Loske
Birgit Homburger

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache anderthalb Stunden vorgesehen. – Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst
der Abgeordnete Klaus Lippold.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Klaus W. Lippold (CDU):
Rede ID: ID1509406400

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin sehr
froh, dass wir uns in diesem Hause erneut dem Thema
Klimaschutz widmen; denn Klimaschutz ist eine zentrale
Problematik. Unbeschadet des Sachverhalts, dass von
vielen Seiten Einwendungen erhoben werden, ob Klima-
schutz wirklich notwendig sei, da das Problem nicht wis-
senschaftlich begründet sei, vertrete ich nach wie vor die
Auffassung, dass wir – ebenso wie die überwiegende
Mehrheit der Wissenschaftler – begründet sagen können:
Klimavorsorge ist absolut notwendig.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Dafür brauchen wir neue Instrumente und sicherlich
auch Zertifikate und den Zertifikatehandel.


(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Wohl wahr!)

Aber genauso dringend notwendig ist es, den Zertifika-
tehandel unbürokratisch zu organisieren und ihn so zu
gestalten, dass die Bundesrepublik Deutschland nicht
ihre Wettbewerbsfähigkeit und damit auch Arbeitsplätze
verliert. Es kann nicht angehen, dass wir Regelungen
schaffen, die dazu beitragen, die Beschäftigungssiche-
rung in der Bundesrepublik Deutschland noch weiter zu
erschweren.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, da ich sehe, wie die Be-

handlung dieser Thematik erfolgt – dass wir auf der einen
Seite über das Treibhausgasemissionsgesetz beraten,
dass aber auf der anderen Seite der Nationale Allokati-
onsplan, in dem die wesentlichen Inhalte für Treibhaus-
gasemissionszertifizierungen geregelt werden, noch
nicht vorliegt –, sage ich ganz deutlich: Das ist ein Skan-
dal.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Herr Trittin, in der vorausgegangenen Anhörung ist
deutlich geworden, dass die Methode, das eine Thema zu
behandeln, ohne die Inhalte des anderen zu kennen, un-
sinnig ist.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP)







(A) (C)



(B) (D)


Dr. Klaus W. Lippold (Offenbach)


Nun kennen wir Ihre Vorstellungen, Herr Trittin. Denn
wir finden Ihre Papiere in der Straßenbahn und können
deshalb auf sie Bezug nehmen.


(Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie fahren doch gar nicht mit der Straßenbahn!)


Aber, Kollege Kuhn, das ersetzt nicht ihre sorgfältige
Behandlung und Beratung im Deutschen Bundestag.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Das, was sich hier abzeichnet, ist ein weiterer Skan-
dal: dass Sie das TEHG und den Nationalen Allokations-
plan in Brüssel behandeln lassen wollen, ohne dass die
Zustimmung des deutschen Parlaments zum Nationalen
Allokationsplan vorliegt. Dies unter dem Aspekt des
Parlamentsvorbehalts in Brüssel behandeln zu lassen,
ohne uns aber sagen zu können, wie die Behandlung die-
ses Themas auf europäischer Ebene fortgesetzt wird, ist
skandalös, Herr Trittin.

Das Ganze liegt daran – auch das muss man sehen –,
dass Sie sich nicht rechtzeitig darum gekümmert haben,
die Dinge so auf den Weg zu bringen, dass sie parallel
zueinander beraten und behandelt werden können. Statt-
dessen leisten Sie sich im Parlament die üblichen Klein-
kriege – diesmal wiederum mit dem Bundeswirtschafts-
minister –, ohne zu einem Ergebnis zu kommen. Ganz
im Gegenteil: In der letzten Runde, aus der weißer
Rauch aufsteigen sollte, wurde deutlich, was bei Ihnen
immer wieder deutlich wird: erneut vertagt, keine Ent-
scheidung. Noch kürzlich hat der Kanzler in altbewähr-
ter Manier gesagt, er werde nicht eingreifen, er werde
zusehen, Sie sollten sich einigen. Aber die Zeit ver-
streicht, Sie lassen diese Zeit ohne Einigung verstrei-
chen. Das kann es nicht sein!

Dazu leisten Sie sich – aus meiner Sicht – weitere
Skandale: Da gibt es in einer Gremiensitzung mit Wirt-
schaftsvertretern zum einen den Vertreter des Umwelt-
ministeriums und zum anderen den Vertreter des Wirt-
schaftsministeriums, vom Rang her Staatssekretäre. Nun
erfährt der Staatssekretär im Wirtschaftsministerium erst
während der Sitzung, dass Sie einen Nationalen Alloka-
tionsplan vorgelegt haben, und verlässt aus Protest ge-
gen Ihre Vorgehensweise die Sitzung. Es ist insgesamt
ein nicht adäquates Verhalten der Regierung, sich solche
Streitigkeiten in Gegenwart von Wirtschaftsvertretern zu
liefern. So etwas haben Sie gefälligst vorher abzuklären
und nicht in Gremiensitzungen vorzutragen!


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dr. Maria Flachsbarth [CDU/CSU]: Das ist doch ein Tollhaus! – Gegenruf des Abg. Ulrich Kelber [SPD]: Wir wollten Ihnen nur Stoff für die Rede liefern!)


– Sie wissen doch: Sie liefern mehr als genug Stoff. In
der mir zur Verfügung stehenden Zeit kann ich gar nicht
alle Ihre Schwächen ansprechen.

Was wir im Zusammenhang mit dieser Gesetzgebung
auch nicht wollen, ist, dass Sie unter dem Deckmantel
des Klimaschutzes Lenkungspolitik betreiben.

(Zuruf von der SPD: Was denn sonst?)

Hier ist ganz klar: Die Vorschriften, die Sie vorlegen,
führen dazu, dass Kohlekraftwerke in Zukunft aus dem
Prozess herausgeworfen werden; denn Sie zwingen sie
in ein Benchmarking hinein, das nicht auf diese abge-
stellt ist. Ich kenne natürlich die hervorragenden Streiter
aus Nordrhein-Westfalen, die alle gesagt haben: Das
kann so nicht sein. – Ich bin einmal gespannt, was von
diesem Streit übrig bleibt. Es wird so sein wie immer,
nämlich dass man für NRW zwar heldenhaft in die
Schlacht zieht, aber genauso heldenhaft unterliegt. Die-
sen Prozess – das sage ich ganz deutlich – werden wir
nicht nur jetzt beobachten, sondern das ganze Jahr über.
Es kann nicht angehen, dass Lenkungspolitik gemacht
wird zulasten des Energiemixes sowie von Beschäfti-
gung und Beschäftigungssicherung.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie müssen einmal belegen, was Sie da erzählen!)


Sie glauben, Sie könnten Ihre erfolglose Beschäftigungs-
politik unter der Hand noch weiter verschärfen, indem
Sie über andere Instrumente dazu beitragen, dass noch
weniger Arbeitsplätze geschaffen werden. Zumindest
wir werden das nicht mitmachen.

Wie ich die Situation in NRW kenne, wird sowohl Ihr
dortiger Premier umfallen als auch Ihr dortiger Partei-
vorsitzender Schartau, der noch einmal vollmundig an-
gekündigt hat, das werde alles geändert werden, das
werde so nicht durchgehen. Ich bin einmal gespannt, wie
sich diese Helden verhalten, wenn es zum Schwur
kommt. Wir jedenfalls werden den Nordrhein-Westfalen
ganz deutlich sagen, wie sie sich verhalten haben – das
lassen wir nicht unter den Teppich kehren, mit uns läuft
das nicht.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, für mich ist

wichtig, dass wir die europäische Einbindung beachten.
Im Rahmen der europäischen Einbindung ist es für mich
genauso wichtig, dass wir für unsere Unternehmen die
Flexibilität erhalten, die andere Länder – ich kann das
deren Anstrengungen entnehmen – ihren Unternehmen
erhalten wollen. Das heißt, man muss einen Berech-
nungsfaktor vorgeben, der den Unternehmen die Mög-
lichkeit lässt, mit wachsender Wirtschaft weiter zu
wachsen, und für Existenzgründungen Emissionsberech-
tigungen vorhält, damit sie bezüglich des internationalen
Wettbewerbs nicht geschädigt werden.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1509406500

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des

Kollegen Fell?


Dr. Klaus W. Lippold (CDU):
Rede ID: ID1509406600

Ja, gerne.

(Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es sieht aber nicht so aus, als wenn es gerne wäre!)







(A) (C)



(B) (D)



Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1509406700

Herr Kollege Dr. Lippold, wir hatten gerade eine De-

batte über den Innovationsstandort Deutschland. Ihr
Kollege Schauerte hat die Kohlesubventionen ganz hef-
tig als innovationsfeindlich kritisiert. Sie haben gerade
die Kohle als wichtigen Standortfaktor bezeichnet. Ich
frage mich: Was ist denn eigentlich die Position Ihrer
Fraktion?


Dr. Klaus W. Lippold (CDU):
Rede ID: ID1509406800

Das kann ich Ihnen ganz eindeutig sagen: Wir sind für

einen Mix. Innerhalb dieses Mixes sind wir dafür, dass
wir die Kohlesubventionen zurückfahren, aber nicht
vollständig outphasen, weil wir im Gegensatz zu Ihnen


(Manfred Grund [CDU/CSU]: Es gibt auch Braunkohle!)


– darauf komme ich noch – auch noch die Verbindung
zur Bergwerkstechnologie herstellen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wir wollen Ihre kleinkarierte deutsche Betrachtungs-
weise beseitigen. Was wir international, weltweit brau-
chen – stehen bleiben, Herr Fell! –, sind neue Kraft-
werkstechnologien, die wesentlich effizienter sind als
das, was wir derzeit haben. Das berücksichtigen Sie
nicht.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Das ist aber ein Kernpunkt; denn international können
Sie – das sagen Ihnen alle Experten – allein mit Wind-
kraft nichts machen. Das heißt, wir haben eine in sich
stimmige Position nicht nur unter Innovationsaspekten,
sondern auch unter dem Aspekt des internationalen Kli-
maschutzes.

Ich will Ihnen eines sagen: Wenn Sie die Lausitz
schlussendlich deindustrialisieren wollen, werden wir
deutlich machen, dass das nicht der Weg ist, den wir mit-
gehen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Birgit Homburger [FDP])


Sie haben sich bislang dadurch ausgezeichnet, wesentlich
dazu beigetragen zu haben, dass die Konjunktur, das
Wachstum in der Bundesrepublik Deutschland zurückge-
hen. Wir werden dafür sorgen, dass es in Zukunft wieder
zu einer Wachstumspolitik kommt. Wir werden uns jetzt
von Ihnen keine Rahmenbedingungen aufoktroyieren las-
sen, die eine solche Wachstumspolitik nicht mehr mög-
lich machen. Das kann es beim besten Willen nicht sein.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1509406900

Herr Kollege, lassen Sie mich kurz etwas sagen. –

Herr Kollege Fell, es ist üblich, dass man stehen bleibt,
wenn man eine Antwort bekommt. Die Antwort war
jetzt zu Ende, wenn ich das richtig gesehen habe.


(Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich bin der Meinung, dass die Antwort schon längst beendet war!)


Dr. Klaus W. Lippold (CDU):
Rede ID: ID1509407000

Es gibt einen weiteren Punkt, der mir aufgefallen ist.

Sie haben offen gelassen, nach welchen Kriterien die
Zuteilungsrechte bei einigen Töpfen gestaltet werden
sollen. Vorsichtshalber haben Sie aber – wenn ich das
richtig erkannt habe – vorgesehen: Wenn diese Töpfe
– wir sehen die Problematik anders – nicht vollständig
ausgeschöpft werden, dann sollen Zuteilungsrechte an
den Bundesfinanzminister zurückfallen. Das heißt, Sie
sehen bereits im Vorhinein vor, all diese Zuteilungs-
rechte der Wirtschaft, die sie wirklich dringend braucht,
zukommen zu lassen. Sie denken gar nicht daran, das zu
tun. Vielmehr wollen Sie in Ihren ohnehin hochdefizitä-
ren Haushalt jetzt auf diese Art und Weise Finanzreser-
ven hineinschmuggeln. Das kann es doch beim besten
Willen nicht sein. Herr Eichel soll seinen Haushalt gefäl-
ligst in Ordnung bringen; er soll den Haushalt aber nicht
auf diesem Wege – über die Kriterien, die Sie geschaffen
haben –, durch die Vermarktung von Zuteilungsrechten,
mit finanzieren. Das kann es beim besten Willen nicht
sein.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Birgit Homburger [FDP])


Ich will auch ganz deutlich sagen, dass ich der Über-
zeugung bin, dass wir eine schlanke, eine nicht überzo-
gene Bürokratie brauchen. Ich bin der Meinung, dass wir
in dieser Frage nicht an den Bundesländern vorbeige-
hen können und sollten. Ich weiß, dass auch in der Re-
gierung auf der Fachebene die Frage der Zuständigkeit
der Länder durchaus umstritten ist und nicht in ihrem
Sinne gesehen wird. Wenn Sie es aber dabei belassen
wollen, dass Sie das Gesetz nur deshalb umstricken, um
die Mitwirkung der Bundesländer auszuschalten, dann
treffen Sie auf unseren ganz entschiedenen Widerstand.
Das Ganze – das kann ich Ihnen schon jetzt sagen – wird
der verfassungsrechtlichen Überprüfung zugeführt wer-
den. Da sind Sie früher schon runtergefallen; das werden
Sie auch diesmal.

Ich sage Ihnen ganz klar: Die Lösungen gehen dort-
hin, wo wir den Sachverstand haben, und zwar vor Ort.
Ich könnte es nicht verstehen, wenn Sie x neue Stellen
– ich weiß, Sie brauchen grüne Versorgungspositionen,
weil diesbezüglich in den Bundesländern nicht mehr so
viel zu machen ist – schaffen würden. Das ist nicht not-
wendig; das Ganze kann man in die Länderbehörden in-
tegrieren. Ich bin dafür, dass wir die Möglichkeit, das in
die Länderbehörden zu integrieren, deutlich verankern.

Ich will noch einmal unterstreichen, dass wir darauf
hinarbeiten müssen, dass das Kioto-Protokoll verab-
schiedet wird. Die Achse Paris–Moskau–Berlin, die Sie
geschlossen haben, hat bislang noch nicht dazu geführt,
dass die Russen den Vertrag ratifiziert haben. Ich meine,
hier sind mehr Anstrengungen als bisher notwendig, da-
mit sie ratifizieren.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich sage auch ganz deutlich: Wenn das Protokoll nicht

ratifiziert wird, müssen wir schauen, wie das Ganze in
die Landschaft passt, damit unsere Wirtschaft im Ver-
gleich zu anderen nicht unmäßig und zusätzlich belastet






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Klaus W. Lippold (Offenbach)


wird. Ich erwarte von Ihnen zumindest – dabei nehme
ich nicht einmal die Position von Frau Palacio ein –, dass
Sie, auch ohne dass das Kioto-Protokoll ratifiziert
wurde, einen Weg dafür ebnen, dass der Clean Develop-
ment Mechanism und die Joint Implementation auch auf
EU-Ebene realisiert werden, damit wir auf diese Art und
Weise mehr Flexibilität schaffen. Auch hier sehe ich
noch keine Vorstöße von Ihnen. Sie behandeln das in der
üblichen dilatorischen Art. Das können wir so nicht ak-
zeptieren.

Ich fasse zusammen: Zertifikate ja, aber schlank, un-
bürokratisch und nicht zulasten der deutschen Wirtschaft
in einer Form, durch die Arbeitsplätze und der Standort
gefährdet werden.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Angelika Brunkhorst [FDP])


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1509407100

Das Wort hat jetzt der Herr Bundesminister Jürgen

Trittin.
Jürgen Trittin, Bundesminister für Umwelt, Natur-

schutz und Reaktorsicherheit:
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich be-

grüße es außerordentlich, dass wir heute hier über den
Fortgang bei der Umsetzung des Emissionshandels spre-
chen.

Lieber Herr Kollege Lippold, Sie sind von dem ge-
meinsamen Problembewusstsein und dem gemeinsamen
Wissen ausgegangen, dass wir, wenn wir die globale He-
rausforderung des Klimawandels annehmen wollen, Kli-
maschutz aktiv und – das betone ich ausdrücklich – über
das Jahr 2012 hinaus betreiben müssen. Ich hätte mich
gefreut, wenn Sie diesen Anfangsgedanken bis zum
Ende durchgehalten hätten. Stattdessen haben Sie dilato-
risch abgelehnt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Nur eine Bemerkung am Anfang: Sie werfen dem
Kollegen Fell die Deindustrialisierung der Lausitz vor.
Ich will Sie nur darauf hinweisen, dass es zur Deindus-
trialisierung der Lausitz zu der Zeit gekommen ist, als
der Kanzler Helmut Kohl hieß.


(Zuruf von der CDU/CSU: Oh!)

Das ist keine Ursachenbeschreibung. Nicht dass wir uns
missverstehen: Ich mache Herrn Kohl nicht dafür verant-
wortlich. Ich rate Ihnen aber dringend, zu vermeiden,
dem Kollegen Fell das anzulasten, was damals als Folge
der von uns allen begrüßten deutschen Einheit gesche-
hen ist.

Da Sie gerade den Kollegen Fell, einen der Fürspre-
cher der erneuerbaren Energien, angesprochen haben:
Denken Sie einmal einen Moment lang nach und überle-
gen Sie sich, welche wenigen Industrien nach 1998 neu
in die Lausitz gekommen sind.


(Winfried Hermann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Arbeitsplätze!)

Dazu gehört zum Beispiel die Vestas Deutschland
GmbH, die Windenergieanlagen produziert und durch
die 500 Arbeitsplätze entstanden sind. Sie wurde in
Sachsen nicht gewollt, sodass wir sie nach Lauchham-
mer geholt haben. Erzählen Sie uns also nichts über In-
dustrie- und Existenzgründungen in der Lausitz. Hierfür
sind Sie der schlechteste Zeuge.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Treffer, versenkt!)


Sie haben einen weiteren Konsens angesprochen. Er
lautet: Lasst uns beim Klimaschutz weniger auf das Ord-
nungsrecht und mehr auf den Markt setzen. Das ist der
Kern des Emissionshandels. Der Emissionshandel ist ein
Instrument, um das, was die deutsche Industrie verspro-
chen hat, nämlich gegenüber 1998 bis zum Jahre 2010
45 Millionen Tonnen CO2 einzusparen, aus zwei Grün-den einfacher und kostengünstiger zu erreichen:


(Dr. Maria Flachsbarth [CDU/CSU]: Dann geben Sie ihnen doch, was sie brauchen!)


Die Selbstverpflichtung bezog sich auf die Bundesrepu-
blik Deutschland und sie beinhaltete keinen ökonomi-
schen Mechanismus, durch den es dort zur Reduktion
kommt, wo es am günstigsten ist.

Der Emissionshandel führt dazu, dass die Tonne ver-
miedenen CO2-Ausstoßes einen Preis bekommt. Dies hatzur Folge, dass es vor allem dort zu Emissionen kommen
wird, wo es am kostengünstigsten ist. Herr Lippold, ich
hätte mir angesichts des strukturkonservativen Geredes
einzelner Branchen gewünscht, dass dieser Ansatz – ich
weiß, dass er von Ihnen lange Zeit mitverfolgt wurde –
von Ihnen gemeinsam mit uns hier hochgehalten worden
wäre.

Lassen Sie uns diesen Schritt gemeinsam gehen, weil
in dem Emissionshandel eine gewaltige Chance für die
deutsche Wirtschaft steckt, die Klimaschutzziele günsti-
ger und effizienter als mit den alten Instrumenten zu er-
reichen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Wenn wir darüber einen Konsens erreicht haben und
dies nicht nur beharrlich als Belastung sehen, dann kön-
nen wir uns nicht nur in Deutschland, sondern gemein-
sam in Europa darüber verständigen: Wie setzen wir die-
sen richtigen Gedanken möglichst einfach um? Das ist
der ganze Streit, wenn ich von Ihren anfangs gesagten
Worten ausgehe, dass Sie den Emissionshandel wollen.

Es tut mir Leid, aber ich mag die Forderung nach ei-
ner unbürokratischen Regelung aus den Reihen von
CDU/CSU und FDP nicht mehr hören.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


Wir haben Folgendes gemacht: Jedes Unternehmen in
Deutschland, das nach dem Bundes-Immissionsschutz-
gesetz eine Berechtigung hat, hat automatisch die Ge-
nehmigung, mit CO2-Emissionen zu handeln. Dieser ein-fache Grundgedanke ohne neue Genehmigungsverfahren






(A) (C)



(B) (D)


Bundesminister Jürgen Trittin

wird zurzeit von CDU/CSU und FDP im Bundesrat blo-
ckiert. Sie haben die Industrie als Geisel genommen,
weil Sie damit Mitbestimmungsrechte und – das geht
noch weiter – die Abwicklung des Emissionshandels auf
die einzelnen Emissionsschutzbehörden der Länder
übertragen wollen.


(Dr. Maria Flachsbarth [CDU/CSU]: Sie wollen nicht nur das Parlament, sondern auch den Bundesrat austricksen! Das ist es doch!)


Bei diesem Abgrund von Bürokratie werden wir nicht
mitmachen. Das sehen wir nicht ein. Wir wollen eine
schlanke und einfache Umsetzung. Hören Sie angesichts
solcher Ideen auf, von Entbürokratisierung zu reden!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Kommen wir zur Zuteilung. Lieber Herr Lippold,
wie sieht denn nach Ihrer Meinung die Menge der zu
verteilenden Zertifikate aus, da Sie kritisiert haben, wir
seien zu restriktiv? Wir haben an der Verabredung mit
der Industrie festgehalten: Wir verteilen die Zertifikate
kostenlos auf der Basis der Selbstverpflichtung der deut-
schen Industrie.


(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Welcher? Wir haben zwei!)


– Nur noch eine gilt, die andere ist mit der KWK-Verein-
barung aus dem Verkehr gezogen. – Nach dieser, unter-
schrieben von Herrn Rogowski, Herrn Rauscher und
dem Bundeskanzler, gilt eindeutig: Wir wollen bis zum
Jahre 2010 45 Millionen Tonnen CO2 einsparen, davon10 Millionen Tonnen – das muss man der Fairness hal-
ber erwähnen – in den nicht emissionshandelsrelevanten
Bereichen, nämlich beim Verkehr und in den privaten
Haushalten. Das haben wir an dieser Stelle eins zu eins
umgesetzt.

Von allen, die uns vorwerfen, wir hätten falsch ge-
rechnet, erwarte ich den Nachweis, warum wir falsch ge-
rechnet haben und wie man an dieser Stelle richtig rech-
net;


(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Na, na, Vorsicht!)


denn die Grundrechenarten, sehr geehrter Herr Dr. Lippold,
sollten auch Sie wenigstens beherrschen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Dr. Peter Paziorek [CDU/ CSU]: Dann kommen Sie doch demnächst in den Ausschuss! Da sagt Ihr Staatssekretär aber etwas anderes! – Weitere Zurufe von der CDU/ CSU)


– Wenn Sie alle durcheinander rufen, habe ich Schwie-
rigkeiten, Sie zu verstehen. Deswegen kann ich nicht
darauf eingehen, es tut mir Leid.


(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Sie waren gerade so laut! Selbst schuld! – Dr. Maria Flachsbarth [CDU/CSU]: Nun fangen Sie noch einmal an!)

Kommen wir zu der Frage: Warum brauchen wir den
Emissionshandel? Wir brauchen den Emissionshandel,
weil sich abzeichnet, dass die Selbstverpflichtung nicht
erfüllt zu werden droht. Wir haben aufgrund der Isterhe-
bung von 2 420 Anlagen festgestellt, dass ein Besorgnis
erregender Trend nicht in der Industrie und bei den pro-
zessbedingten Emissionen, sondern bei den Emissionen
zu beobachten ist, die energiebedingt in der Energiewirt-
schaft auftreten. Bei dieser Entwicklung zeichnet sich
ab, dass die Emissionen steigen, anstatt zu sinken. Das
ist eine der Herausforderungen, der wir uns, wie ich
finde, bei der Umsetzung des Emissionshandels gemein-
sam stellen sollten. Wie bekommen wir diese Sache wie-
der so auf die Spur, damit das, was die Industrie in der
Selbstverpflichtung zugesagt hat, tatsächlich erreicht
wird?

Denn um eines kommen wir nicht herum: Bis zum
Jahre 2012 muss die Bundesrepublik Deutschland ihre
Emissionen auf 846 Millionen Tonnen CO2 reduziert ha-ben. Alle, die heute mehr Vergünstigungen erwarten,
sind auch verpflichtet, zu sagen, wem sie dann mehr
Emissionsreduktionen auflasten wollen. Denn es gibt in
diesem System keine kostenlosen Vergünstigungen. Das,
was ich dem einen gebe, muss ich dem anderen nehmen.

Meine letzte Bemerkung: Hören Sie auf, so zu tun, als
würde Deutschland einen Alleingang machen. Ich emp-
fehle Ihnen, einfach einmal die Ausführungen der EU-
Kommission zur Kenntnis zu nehmen. Danach ist es
schlicht und ergreifend so, dass die großen Wettbewer-
ber mit Deutschland das gemeinsam ambitioniert umset-
zen. Sie müssen zur Kenntnis nehmen, dass die Kom-
mission mit Nachdruck erklärt hat, dass sie
Überallokationen nicht dulden wird, wie sie übrigens in
Österreich stattgefunden haben, nämlich dass man mehr
Emissionszertifikate verteilt, als überhaupt emittiert
wird. Das ist das Gegenteil von Emissionshandel. Denn
bei einem Überangebot – das müssten Sie als Ökonom
wissen – besteht kein Anreiz, Emissionen zu reduzieren.
Dann sind die Kostenvorteile des Emissionshandels
weg.

Wir hätten viel mehr gemeinsam haben können, wenn
Sie den Tenor zu Beginn Ihrer Rede, lieber Herr Lippold,
beibehalten hätten. Dann hätten wir einen Konsens über
mehr Markt im Klimaschutz statt mehr Ordnungsrecht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1509407200

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Birgit Homburger.


Birgit Homburger (FDP):
Rede ID: ID1509407300

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Wir diskutieren heute zum wiederholten Mal in diesem
Hause über den Emissionshandel. Leider können wir die
entscheidenden Gesetzentwürfe nicht beraten, weil sich
die Bundesregierung nicht einigen kann.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Darum geht es! Das ist der Punkt!)







(A) (C)



(B) (D)


Birgit Homburger

Mit dem Treibhausgas-Emissionshandelsgesetz liegt im
Augenblick einzig und allein das formale Gerüst für den
Handel als solchen auf dem Tisch. Die materiell relevan-
ten Regelungen über die Zuteilung, also welche Anlage
welche Emissionsrechte erhält, sollen im Nationalen Al-
lokationsplan verankert werden. Über diesen Nationalen
Allokationsplan streiten sich, obwohl er Ende dieses
Monats nach Brüssel gemeldet werden muss, nach wie
vor die Herren Trittin und Clement.


(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Das ist die Realität!)


Wir können das nicht im Deutschen Bundestag bera-
ten. Das ist nicht in Ordnung.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Ich sage Ihnen, Herr Trittin: Das ist im Verfahren und im
Ablauf zum wiederholten Male eine Missachtung des
Parlaments und im Übrigen ein Armutszeugnis für die
Klimapolitik der Bundesregierung.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Die FDP steht zum Emissionshandel und Sie wissen

das. Wir haben seit vielen Jahren den Emissionshandel
gefordert, weil er enorme umweltpolitische und wirt-
schaftspolitische Bedeutung hat und weil wir mit dem
Instrument des Emissionshandels das klimapolitische
Ziel, das wir teilen, auf der einen Seite sicher erreichen
können, auf der anderen Seite aber Treibhausgasemissio-
nen dort vermieden werden können, wo dies zu gerings-
ten Kosten möglich ist. Ziel des Emissionshandels ist es,
pro eingesetzten Euro so viel Treibhausgase wie möglich
zu vermeiden, um Klimaschutz effizienter zu organisie-
ren.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Da muss ich Ihnen sagen, Herr Minister Trittin: Es
fehlt der Bundesregierung leider wie so oft die Gesamt-
konzeption. Weder gibt es eine Abstimmung der unter-
schiedlichen Instrumente, die wir derzeit in der Bundes-
republik haben, noch gibt es eine Koordinierung mit
dem internationalen Klimaschutz. Man könnte den Ein-
druck gewinnen, dass die rot-grüne Bundesregierung
von dieser Emissionshandelsrichtlinie geradezu über-
rascht wurde. Tatsächlich versuchen Sie, Herr Minister,
diesen Eindruck zu erwecken. Sie wollen davon ablen-
ken, dass Sie über Jahre hinweg die Vorbereitung des
Emissionshandels in Deutschland, von dem wir lange
wissen, dass er kommen wird, verschlafen haben. Jetzt
tun Sie so, als ob der „Kaiser aus Brüssel“ diese Richtli-
nie bringt und Sie sich ganz arg bemühen, sie so schnell
wie möglich umzusetzen. Das sind Ihre eigenen Ver-
säumnisse, Herr Trittin.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Die wesentlichen nationalen Grundlagen des Emis-

sionshandels hätte die Bundesregierung bereits parallel
zu den Beratungen auf europäischer Ebene erarbeiten
und zwischen den Ressorts abstimmen können und müs-
sen. Das hat sie versäumt. Sie haben jahrelang verneint,
dass der Emissionshandel notwendig ist. Wenn ich Sie
heute so reden höre, dann muss ich feststellen, dass eine
unglaubliche Wandlung stattgefunden hat. Für eine ver-
nünftige Umsetzung scheint sie allerdings immer noch
nicht zu reichen.

Da Sie um den Emissionshandel nicht mehr herum-
kommen, wollen Sie jetzt damit Strukturpolitik betrei-
ben. Sie versuchen den Emissionshandel indirekt zur
Durchsetzung politisch motivierter Entscheidungen über
den Einsatz von Energieträgern zu nutzen, indem für
Neuanlagen, die keine Altanlagen ersetzen, eine Mess-
latte angelegt wird, die sich am Wirkungsgrad hocheffi-
zienter Gas- und Dampfkraftwerke orientiert. So werden
selbst modernste Kohlekraftwerke unangemessen be-
nachteiligt. Milliardeninvestitionen werden fragwürdig.
Das hat mit Klimaschutz nichts mehr zu tun, Herr
Trittin.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Ich will Ihnen deutlich sagen: Angesichts des Bedarfs

an Ersatzinvestitionen in Kohlekraftwerke, insbeson-
dere in Anlagen für Steinkohle – bei der Braunkohle
stellt sich das anders dar –, von denen rund die Hälfte in
der Bundesrepublik Deutschland älter als 30 Jahre ist,
könnten wir, wenn die Mittel, die teilweise in anderen
Bereichen für den Klimaschutz ausgegeben werden, für
Ersatzinvestitionen genutzt würden, deutlich mehr CO2-Emissionen einsparen, als es mit anderen Maßnahmen
der Fall ist. Mit Ihrem Vorgehen vergrößern Sie die Ver-
unsicherung noch.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Wenn Sie über Klimaschutz reden, dann müssen Sie

auch den Aspekt der Versorgungssicherheit dieses Lan-
des im Blick haben. Deswegen brauchen wir einen Ener-
giemix und deswegen ist Ihr Versuch, die Kohlekraft-
werke – selbst hochmoderne Kohlekraftwerke, die im
Übrigen mit anderen Technologien gekoppelt und hin-
sichtlich ihrer Effizienz gesteigert werden können – zu
benachteiligen, ein großer Fehler. Er führt zu einer gro-
ßen Verunsicherung, die uns noch schwer zu schaffen
machen wird.


(Ulrich Kelber [SPD]: Sie haben den Vorschlag gar nicht verstanden!)


Die von der Bundesregierung geplante Umsetzung
des Emissionshandels droht den Emissionshandel in
Misskredit zu bringen, weil Sie die EU-Richtlinie unnö-
tig bürokratisch und unnötig kostenintensiv umsetzen.
Statt die Chancen, die der Emissionshandel bietet, ent-
schlossen zu nutzen, bleibt der Entwurf des Nationalen
Allokationsplans nach wie vor dem ordnungsrechtlichen
Denken verhaftet; denn die Emissionsrechte sollen den
einzelnen Anlagen zugeteilt werden.

Zu einer modernen marktwirtschaftlichen Umweltpo-
litik gehören mehr Engagement und Fantasie, Herr
Trittin, als lediglich dem alten Ordnungsrecht einen
neuen Hut aufzusetzen, auf dem Emissionshandel steht.
So funktioniert das nicht.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)







(A) (C)



(B) (D)


Birgit Homburger

Ich will Ihnen das kurz begründen. Warum ist der

Emissionshandel zu teuer und zu bürokratisch? Er ist in
Deutschland schon deshalb zu teuer, weil es die Untätig-
keit der Bundesregierung deutschen Unternehmen bis-
lang nicht ermöglicht hat, günstige Emissionsgutschrif-
ten aus Klimaschutzmaßnahmen mit und in anderen
Ländern zu erwerben. Diese Verknüpfung ist aber drin-
gend notwendig.


(Ulrich Kelber [SPD]: Sie wissen, dass alles falsch ist, was Sie sagen!)


Neben den Anstrengungen im Inland ist auch eine Ver-
knüpfung mit den internationalen Instrumenten erforder-
lich. Das haben Sie in Deutschland nicht ermöglicht. An-
dere Länder sind schon weit vorangegangen. Deswegen
fordern wir von Ihnen, dass dies auch in Deutschland zu-
lässig wird.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Wir haben als FDP immer wieder darauf hingewie-

sen, dass es unverzichtbar ist, die anderen klimapoliti-
schen Instrumente – beispielsweise Ökosteuer, KWK-
Gesetz und EEG – auf den Emissionshandel abzustim-
men. Sie bleiben alle nebeneinander stehen. Sie haben in
der Anhörung des Umweltausschusses im Prinzip die
Lösung auf dem Silbertablett präsentiert bekommen, in-
dem uns die Experten empfohlen haben, in einem Kli-
maschutzartikelgesetz eine Regelung zu treffen, derzu-
folge eine Anlage, die in den Emissionshandel
einbezogen wird und die die Klimaschutzziele erreicht,
von anderen Regeln ausgenommen und somit auch von
der Ökosteuer befreit wird. Das aber wollen Sie nicht.
Im Gegenteil: Ihr Staatssekretär hat gestern im Umwelt-
ausschuss noch einmal betont, dass alle Instrumente bei-
behalten würden. Das geht aber nicht an, weil es unnö-
tige Kosten verursacht. Das werden wir nicht
akzeptieren, Herr Trittin.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Ernst Burgbacher [FDP]: Es wäre schön, wenn die Regierungsmitglieder einmal zuhören würden!)


– Lieber Ernst Burgbacher, es lohnt sich nicht, sich darü-
ber aufzuregen.


(Ernst Burgbacher [FDP]: Wenn der Minister doch einmal zuhören würde! Es gibt auch Stilfragen in diesem Parlament!)


– Stimmt, es gibt auch Stilfragen in diesem Parlament.
Darüber, dass es unterschiedliche Stile gibt, kann sich
aber jeder sein eigenes Bild machen.

Herr Trittin, ich möchte auf Ihre Aussage eingehen,
dass Sie den Emissionshandel unbürokratisch über das
Bundes-Immissionsschutzgesetz regeln wollen. Sie ha-
ben sich dabei auf den Streit mit den Ländern bezogen.
Das ist allerdings nicht der Punkt, über den Sie sich im
Augenblick mit den Ländern streiten. Es geht vielmehr
darum, dass der Bund die Emissionsrechte zuteilen soll,
dass die Länder aber für die Umsetzung zuständig sein
sollen. Wenn es Klagen der betroffenen Unternehmen
gibt, weil sie mit Emissionsrechten nicht ausreichend
ausgestattet wurden, dann sollen die Länder die Beklag-
ten sein. Das darf nicht sein. Die Länder wollen eine un-
bürokratischere Regelung und wollen den Emissions-
handel von vornherein an einer Börse abwickeln. Vor
diesem Hintergrund frage ich mich, warum Sie in § 20
des TEHG vorsehen, das beim Umweltbundesamt anzu-
siedeln. Mir scheint es einfacher zu sein, den Emissions-
handel von vornherein in private Hände zu geben und an
einer Börse abzuwickeln. Sonst muss eine neue Bundes-
behörde mit circa 600 bis 1 000 Mitarbeitern errichtet
werden. Das wollen wir definitiv nicht, weil es die Sache
unnötig verkomplizieren würde.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Der Emissionshandel soll Anfang 2005 beginnen. Es

wird also Zeit, dass die Bundesregierung ein vernünfti-
ges Gesetzespaket vorlegt. Die Vorschläge der FDP lie-
gen seit langem auf dem Tisch. Ich kann Ihnen nur noch
einmal unsere konstruktive Zusammenarbeit anbieten.
Wir erwarten aber Lösungen, die uns sowohl beim Kli-
maschutz als auch bei der Effizienz – es geht um gerin-
gere Kosten – voranbringen. Das ist bisher nicht der Fall.
Aber das wollen wir und daran werden wir arbeiten.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1509407400

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Ulrich Kelber.


Ulrich Kelber (SPD):
Rede ID: ID1509407500

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Eigentlich sollten alle Rednerinnen und Redner
in dieser Debatte über die Umsetzung von Klimaschutz-
maßnahmen und Emissionshandel sprechen. Aber ich
gehe jede Wette ein, dass wir bis zum Ende dieser De-
batte das übliche Schauspiel der Opposition ertragen
müssen. Anstatt Vorschläge für notwendige Maßnahmen
zum Klimaschutz zu machen, wird über Formalismen la-
mentiert. Statt Beiträge zur Umsetzung des Emissions-
handels zu liefern, werden die Redner der Opposition
abwechselnd und wahlweise über Zeitdruck oder eine zu
langsame Umsetzung jammern, ohne sich dabei über die
eigenen Widersprüche zu wundern. Statt inhaltliche Vor-
schläge zum Nationalen Allokationsplan zu machen,
wird mit jeder Rede versucht, die Teilnehmer und die
Öffentlichkeit zu verunsichern. Dabei ist der Klima-
schutz notwendiger denn je.

Vor zehn Jahren haben wir noch darüber diskutiert, ob
man den Klimawandel verhindern kann. Heute spre-
chen wir darüber, dass man nur noch mit größten An-
strengungen die schlimmsten Auswirkungen des Klima-
wandels abmildern kann. Sommer mit Hitze und Dürre
wie der im letzten Jahr werden in wenigen Jahrzehnten
eher der Normalfall sein als der Extremfall. Es gibt wei-
tere düstere Szenarien des Klimawandels. Wir wissen
heute, dass manche Eisschilde im Landesinneren durch
die Erwärmung instabiler geworden sind als angenom-
men. Kommen diese ins Rutschen, kann der Meeresspie-
gel sehr schnell ansteigen. Neue Untersuchungen zeigen
außerdem, dass der Salzgehalt des nördlichen Atlantiks
durch das Abschmelzen von Inlandeis und Gletschern






(A) (C)



(B) (D)


Ulrich Kelber

schneller sinkt als erwartet und dass ein Versiegen von
wichtigen Meeresströmungen wie des Golfstroms mög-
lich ist. Die Klimaauswirkungen auf Europa wären ver-
heerend.


(Franz Obermeier [CDU/CSU]: Alles nicht neu!)


Vor diesem Hintergrund muss die Debatte über den
Emissionshandel vor allem auch eine Debatte über die
Chancen für den Klimaschutz durch den Emissionshan-
del sein.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1509407600

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des

Kollegen Grill?


Ulrich Kelber (SPD):
Rede ID: ID1509407700

Ja.


Kurt-Dieter Grill (CDU):
Rede ID: ID1509407800

Herr Kollege Kelber, Ihre dramatische Schilderung

der Folgen des Klimawandels steht in einem nicht uner-
heblichen Widerspruch zu der just veröffentlichten Stu-
die der Bundesforschungsministerin, in der der Klima-
wandel mit einem großen Fragezeichen versehen wird.
Welchem Teil der Bundesregierung soll man nun eigent-
lich glauben?


Ulrich Kelber (SPD):
Rede ID: ID1509407900

Herr Grill, Sie waren einmal in einer der Enquete-

Kommissionen, die sich neben der Frage der Zukunft der
Energieversorgung auch mit diesem Thema beschäftigt
hat. Von daher sind Sie ein aufmerksamer Leser aller
möglichen Studien. Sie wissen, wohin die breite Ent-
wicklung in der Wissenschaft geht, was absolut – so
würden das die Juristen nennen – die Mehrheitsmeinung
ist. Sie kennen die neuen Studien aus Amerika, die
neuen Studien des IPCC, die alle eher in die Richtung
gehen, dass sich die Situation verschärft. Wir glauben
deswegen, dass der Emissionshandel eine gute Chance
bietet, die Klimaschutzverpflichtungen punktgenau zu
erfüllen, dass er vor allem eine Chance für Unternehmen
in Europa und in Deutschland darstellt, dies mit den kos-
tengünstigsten Verfahren umzusetzen.

Es wird in Deutschland oft gesagt, man wolle eine
Harmonisierung des Umweltrechts. Es ist wichtig, fest-
zustellen, dass der Emissionshandel eine Harmonisie-
rung der Klimaschutzbemühungen in Europa bedeutet.
Die scharfe Kritik der EU-Kommission an den Ländern,
die zum Thema Emissionshandel bisher überhaupt nichts
vorgelegt haben oder deren Vorschläge ein deutlicher
Verstoß gegen die Klimaschutzauflagen sind, gibt An-
lass zur Hoffnung, dass eine Harmonisierung stattfinden
wird.

Die Fragen an uns sind jetzt: Wie setzen wir den
Emissionshandel um? Wann sollen Regierung und Parla-
ment entscheiden? Welche staatliche Ebene ist zustän-
dig? Bis Ende dieses Monats müssen wir der EU-Kom-
mission unsere Vorschläge zur Umsetzung des
europäischen Emissionshandels in Deutschland übermit-
teln. Eines ist klar: Bis dann kann die parlamentarische
Beratung nicht abgeschlossen werden. Deswegen wird
die Regierung ihre Vorschläge auch nur mit Parlaments-
vorbehalt nach Brüssel geben können. Diesen Parla-
mentsvorbehalt nehmen wir als Abgeordnete der Regie-
rungskoalition ernst. Da können Sie uns beim Wort
nehmen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Jetzt gibt es von der Opposition Kritik daran, dass
über die zwei entscheidenden Gesetze zum Emissions-
handel in Deutschland, also über das Treibhausgas-
Emissionshandelsgesetz und über ein Gesetz über den
Nationalen Allokationsplan, nicht zeitgleich diskutiert
werden kann. Zugegeben, eine zeitgleiche Diskussion
wäre wünschenswert; aber auch die Opposition muss zu-
gestehen, dass im Treibhausgas-Emissionshandelsge-
setz zum Teil erst die rechtlichen Voraussetzungen ge-
schaffen werden, um die Verordnungen und den
Nationalen Allokationsplan in dieser Form aufzustellen.
Auch die Opposition muss Zugeständnisse an den euro-
päischen Terminplan machen. Fast kein EU-Land wird
alle notwendigen Beschlüsse des nationalen Parlaments
bis zum 31. März umgesetzt haben. Und diese Länder
haben keinen Bundesrat, in dem die Opposition vor al-
lem Blockade betreibt.

Stichwort Bundesrat: Die dort eingenommene Rolle
ist wirklich nur noch durch die Kür des Kandidaten für
die Bundespräsidentenwahl an Peinlichkeit zu überbie-
ten. In den Ausschüssen des Bundestages verweigern Sie
zumindest nur die Beratung über die Gesetze und versu-
chen, die entsprechenden Punkte von der Tagesordnung
zu nehmen.


(Marie-Luise Dött [CDU/CSU]: Über Luftnummern kann man nicht debattieren!)


Im Bundesrat lehnen Sie aber die kostengünstigste Um-
setzung, für die keine neuen Institutionen geschaffen
werden müssen, ab und Sie nehmen tatsächlich in Kauf,
dass eventuell eine hohe Zahl zusätzlicher Prüfer einge-
stellt werden muss. Die Kosten dafür müssen auf unsere
Unternehmen umgelegt werden. Wie rechtfertigen Sie
eigentlich den Wettbewerbsnachteil, den die Unterneh-
men durch die Kosten der Zertifikate wegen der unnöti-
gen Zahl von zusätzlichen Beschäftigten im Vergleich
mit anderen Ländern erfahren? Dafür würden Sie ganz
allein die Verantwortung tragen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Am dreistesten ist aber der Versuch der Opposition,
jedem am Emissionshandel Beteiligten alles Ge-
wünschte zu versprechen. Man muss dazu nur einmal in
die Medien schauen: Dort liest man von Forderungen der
Opposition nach einem Sondertopf und nach noch einem
Sondertopf oder nach einer günstigen Ausstattung. Liebe
Kollegen von der Opposition, hat Ihnen noch nie jemand
gesagt, dass diese Sondertöpfe dadurch gefüllt werden
müssen, dass die Unternehmen zusätzliche Auflagen be-
kommen, dass die Unternehmen diese Sonderwünsche
bezahlen müssen? Ist es in Ordnung, eine zusätzliche






(A) (C)



(B) (D)


Ulrich Kelber

Belastung für die Unternehmen zu riskieren, nur um bei
Interessenverbänden parteipolitisch glänzen zu können?
Wollen Sie die andere Methode wählen, nämlich die frei-
willige Zusage von Energiewirtschaft und Industrie zum
Klimaschutz auf die privaten Haushalte und die Ver-
kehrsteilnehmer abwälzen? Frau Dött, Sie haben heute
die Gelegenheit, das öffentlich zu bestätigen. Will Frau
Merkel eine höhere Ökosteuer im Verkehr? Will Herr
Westerwelle zusätzliche Belastungen und Auflagen für
Immobilienbesitzer, damit der BDI seine Klimaschutz-
zusagen nicht einhalten muss?

Eines ist klar: Die Gesamtmenge an Treibhausgas-
emissionen im Jahr 2012 ist durch internationale Zusa-
gen gedeckelt. Wer Branchen und Interessenverbänden
Zusagen macht – das tun Sie in aller Form öffentlich –,
muss irgendwann auch öffentlich sagen, wer die zusätz-
lichen Belastungen dafür tragen soll.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Diesen Mut zur Ehrlichkeit lässt die Opposition leider
vollständig vermissen.

Dabei liegen die Eckpunkte für den Emissionshandel
doch auf der Hand. Es gibt eine Selbstverpflichtung der
deutschen Wirtschaft. Diese muss eingehalten werden,
nicht weniger, aber auch nicht mehr. Der Emissionshan-
del muss seine marktwirtschaftliche Funktion behalten
können, damit die kostengünstigsten Wege gefunden und
nicht versperrt werden. Deswegen sind mir manche For-
derungen des BDI in dieser Frage völlig unverständlich.
Vielleicht hat das damit zu tun, dass sich der BDI nach
internen Regieanweisungen dazu entschlossen hat, im
Emissionshandel nur noch holzschnittartig – Zitat aus
seinen eigenen Papieren – zu argumentieren.

Der Emissionshandel muss vor allem einen Anreiz
setzen – darin sind wir uns einig –, den veralteten deut-
schen Kraftwerkspark zu modernisieren. Ich gebe da
einmal etwas zurück: In den 16 Jahren der Regierung
von CDU/CSU und FDP ist in Westdeutschland in kei-
nem einzigen Braunkohlekraftwerk und praktisch auch
in keinem einzigen Steinkohlekraftwerk der Effizienz-
grad verbessert worden.


(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Was?)

Auf Ihren möglichen Einwand, dass diese Kraftwerke
damals noch nicht so alt waren, sage ich: Das gilt eben-
falls für die Kraftwerke aus den 50er-Jahren. Auch die
über 40 Jahre alten Anlagen sind zu Zeiten Ihrer Regie-
rung nicht angefasst worden.


(Franz Obermeier [CDU/CSU]: Die wurden abgebrochen und es wurde neu gebaut!)


Für diese Modernisierung braucht es Anreize aus
dem Emissionshandel. Das wäre mit dem Prinzip „Jeder
bekommt so viel Emissionsrechte, wie er benötigt, egal
wie ineffizient die Anlage ist“ nicht zu machen. Aber ei-
nes ist auch klar: Wir werden für die Unternehmen In-
vestitionssicherheit schaffen müssen. Dazu gehört natür-
lich auch, dass wir sowohl für Neu- als auch
Ersatzanlagen sagen müssen, wie sie nach dem Jahr
2012 behandelt werden. Man kann an der Stelle nicht
nur eine Regelung bis zum Jahr 2012 schaffen.

Der Emissionshandel wird zum wichtigen wirtschaft-
lichen Faktor bei der Entscheidung über den Bau neuer
Kraftwerke werden. Aber er darf nicht der einzige Fak-
tor sein. Deswegen ist mit uns ein Prinzip des Emis-
sionshandels, das bestimmte Energieträger unabhängig
von der technologischen Notwendigkeit bevorzugt oder
ausschließt, nicht zu machen. Auch das muss für den
Emissionshandel festgehalten werden.

Wir wollen beim Klimaschutz weiter Spitze bleiben.
Temperaturbereinigt haben wir 2003 – so die aktuellen
Schätzungen von gestern – die Emissionen des Treib-
hausgases CO2 in Deutschland um 0,6 Prozent senkenkönnen. Das ist weniger als gewünscht, aber ist weiter-
hin ein deutlicher Kurs auf die Erfüllung des Klima-
schutzziels 2010.

Wenn es diesen Trend nach unten gibt, dann – das
muss doch klar sein – muss auch in der ersten Periode
des Emissionshandels, also für den Durchschnitt der
Jahre 2005 bis 2007, eine weitere Senkung der Emission
von Treibhausgasen erreicht werden.


(Zuruf von der CDU/CSU: Was passiert, wenn die Wirtschaft anspringt?)


Wir wollen keinen Stillstand beim Klimaschutz. Ich
nenne Ihnen hier eine Zahl: Industrie und Energiewirt-
schaft müssen im Durchschnitt der Jahre 2005 bis 2007
unter die Grenze von 500 Millionen Tonnen CO2 proJahr kommen. Unabhängig davon brauchen wir natürlich
auch weitere Anstrengungen in den Bereichen Verkehr
und private Haushalte.

Oft wird in der hitzigen Debatte über den Emissions-
handel vergessen, dass wir unser Klimaschutzziel 2010
schon fast erfüllt haben. 21 Prozent Emissionsminde-
rung wollten wir bis 2010 schaffen. Über 19 Prozent
Emissionsminderung sind bereits erreicht. Es geht also
nur noch um zwei Prozentpunkte. Das ist fast ein Luxus-
problem, jedenfalls verglichen mit Ländern wie Italien,
Spanien, Irland, Österreich oder Dänemark, in denen
zum Teil eine Minderung um mehr als 20 Prozent not-
wendig ist.

Gleichzeitig entsteht dadurch in Europa ein riesiger
Markt für neue Technologien, für neue Dienstleistungen,
den wir mit dem, was wir hier entwickelt haben, nutzen
können. Ein Denkanstoß für die, die immer glauben
– ohne Prüfung, nur aus Vorurteilen heraus –, wir seien
die Einzigen, die beim Klimaschutz vorneweg gingen:
Auch Großbritannien hat diesen Markt, nämlich den
Markt für Emissionsrechte, für Technologien, für
Dienstleistungen, für sich erkannt. Großbritannien legt
seinen nationalen Allokationsplan so aus, dass mit dem
Emissionshandel die Klimaschutzverpflichtungen sogar
übererfüllt werden. Zu Recht verspricht man sich davon
viele wirtschaftliche Vorteile. Einige Analysten der Ban-
ken sehen gerade für die energie- und emissionsintensi-
ven Unternehmen in Deutschland und in Großbritannien,
gerade weil das die Länder sind, die im Klimaschutz
vorneweg sind, große Wertentwicklungen. RWE ist in






(A) (C)



(B) (D)


Ulrich Kelber

Kenntnis der neuen Gesetze gerade auf „Strong Buy“ ge-
setzt worden.

Für uns heißt das: Klimaschutz ist nicht nur eine mo-
ralische Verpflichtung, sondern auch eine riesige wirt-
schaftliche Chance. Klimaschutz wird in Deutschland
– das steht außer Zweifel – zum Klimaknüller werden.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1509408000

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Peter Paziorek.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Dr. Peter Paziorek (CDU):
Rede ID: ID1509408100

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Als

Zwischenergebnis der heutigen Diskussion können wir
festhalten, dass der Bundesumweltminister wiederum
nicht in der Lage gewesen ist, eine abgestimmte Position
der Bundesregierung zum Thema Emissionshandel dem
Parlament vorzutragen und darzulegen, welchen Natio-
nalen Allokationsplan Deutschland nach Brüssel melden
will – und das wenige Tage vor Ablauf der Frist. Uns
wird dazu gesagt, das Kabinett, insbesondere der Wirt-
schafts- und der Umweltminister, wird sich bis Ende
März schon einigen. Man muss dazu in aller Deutlich-
keit sagen: Es wird nach Brüssel ein Nationaler Alloka-
tionsplan gemeldet, der nicht mit den Gremien des Deut-
schen Bundestages abgestimmt ist. Das ist ein Faktum,
und das können wir nicht hinnehmen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Man kann den Emissionshandel in der Tat nur folgen-
dermaßen beschreiben: Er ist ein wichtiges umweltpoli-
tisches Instrument, das massiv in die wirtschaftliche
Struktur Deutschlands eingreift. Ein solches Instru-
ment muss deshalb im deutschen Parlament beraten wer-
den, bevor es nach Brüssel gemeldet wird.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Zuruf vom BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Wird es doch!)


Sie setzen sich damit doch auch dem Vorwurf aus,
dass Sie Angst haben, dass noch rechtzeitig vor der Mel-
dung nach Brüssel darüber diskutiert wird, was wirklich
in dem Plan steht. Wovor haben Sie eigentlich Angst?
Haben Sie vielleicht Angst, dass dann deutlich wird,
dass es sich um eine Mogelpackung handelt, auf der
außen Umweltschutz steht, in der aber in Wirklichkeit
der Wirtschaft ein Schraubstock angelegt wird? Genau
das könnten wir im Augenblick nicht gebrauchen. Um
einen solchen Vorwurf aus dem Weg zu räumen, sollten
Sie all das auf den Tisch legen, was inoffiziell bekannt
ist. Warum weigern Sie sich, eine offene Diskussion in
diesem Hause zu führen?


(Beifall bei der CDU/CSU)

Noch eines sage ich ganz deutlich: Methodisch kann

ein Emissionshandel – Herr Kelber, Sie haben das in Ih-
rer Rede auch angesprochen – natürlich nur dann laufen,
wenn gleichzeitig eine Strategie der Verknappung ver-
folgt wird. Ohne eine Verknappung kann tatsächlich kein
Preis gebildet werden.


(Vorsitz: Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms)


Jetzt stellt sich doch als Erstes die Frage, von welchen
Zahlen überhaupt ausgegangen wird. Ich als Abgeordne-
ter halte es schon für ein starkes Stück, dass wir in den
letzten Tagen laufend in den Zeitungen Meldungen lesen
konnten, dass die Wirtschaft 501, 505 oder 508 Millio-
nen Tonnen CO2 ausstoße, dass aber der Deutsche Bun-destag dazu keine Zahlen bekommt. Ich habe am Mitt-
woch im Ausschuss die Frage gestellt, ob die Zahlen
überhaupt plausibel sind und gegengeschätzt worden
sind. Wenn sich bei einer Prüfung herausstellen sollte,
dass 508 Millionen Tonnen CO2-Ausstoß nicht stim-men, ist auch Ihr Vorwurf, Herr Bundesumweltminister,
dass die Wirtschaft ihre Selbstverpflichtung nicht einge-
halten habe, gegenstandslos. Dieser Vorwurf ist letztlich
nur berechtigt, wenn die Zahlen plausibel dargelegt wor-
den sind.

Ich habe am Mittwoch im Ausschuss auch die Frage
gestellt: Wie kommen Sie zu dem Ergebnis – wir wissen
das ja nur inoffiziell –, dass Deutschland circa 35 Millio-
nen Tonnen prozessbedingte CO2-Emissionen angerech-net werden können? Ich kann genauso gut anhand von
Gegenschätzungen belegen – wir haben uns schon mit
einigen Leuten unterhalten –, dass die Zahlen so nicht
stimmen und Deutschland eventuell sogar über 50 Mil-
lionen Tonnen prozessbedingter CO2-Emissionen ange-rechnet werden müssen. Das bedeutet, all Ihre Reduk-
tionszahlen stimmen nicht.


(Ulrich Kelber [SPD]: Das macht er doch immer, um sich nicht auf inhaltliche Diskussionen einzulassen!)


– Zum Inhaltlichen komme ich gleich noch, Herr
Kelber. – Ich möchte also der Öffentlichkeit sagen: Bis
jetzt gibt es keine Prüfung, ob die Zahlen, die Sie schon
vorab herausgegeben haben, plausibel sind und stimmen.
Sie machen diese Zahlen aber zur Grundlage für eine
Meldung nach Brüssel. Das halten wir für unverantwort-
lich.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Dann sagen Sie, um das Beispiel einmal fortzuführen,
wir setzten nur das um, was mit der Wirtschaft verein-
bart wurde. Zunächst einmal haben Sie anderthalb Jahre
gewartet, bevor Sie diese Vereinbarung unterschrieben
haben. Hier stellt sich gleich eine methodische Frage:
Soweit ich das richtig in Erinnerung habe, sind die in der
Selbstverpflichtungserklärung der Wirtschaft enthal-
tenen Fristen nicht identisch mit denen im Kioto-Proto-
koll. In der Selbstverpflichtungserklärung der Wirtschaft
stehen als Fristen die Jahre 2005 und 2010, nach dem
Kioto-Protokoll beginnt die entscheidende Phase 2012.


(Zuruf von der CDU/CSU: Ja, das ist so!)







(A) (C)



(B) (D)


Dr. Peter Paziorek

Ich möchte gerne einmal wissen, wie die in der Selbst-
verpflichtungserklärung enthaltenen Zahlen und Ihre
Zahlen vor dem Hintergrund dieser unterschiedlichen
Zeitschienen tatsächlich abgestimmt sind. Darüber muss
man doch diskutieren können, Herr Kelber, ohne sich
gleich den Vorwurf einzuhandeln, einer objektiven Dis-
kussion zum Emissionshandel ausweichen zu wollen.
Das ist nämlich nicht der Fall. Wir wollen aber die ver-
träglichen, guten und richtigen Grundlagen eines Emis-
sionshandels erfahren und keine Scheinzahlen, wie sie
im Augenblick durch die interessierte Landschaft geis-
tern. Das muss man einmal klar und deutlich sagen.

Herr Minister, Frau Homburger hat gerade schon auf
den tatsächlichen Hintergrund des Streits im Bundesrat
hingewiesen. Es war interessant, dass Sie sich fünf Mi-
nuten lautstark mit der Rede von Dr. Lippold befasst ha-
ben, aber an keiner Stelle gesagt haben, wo Sie inhaltlich
wirklich stehen. Dann haben Sie sich inhaltlich positio-
niert und gesagt, der Bundesrat wolle keine Vereinfa-
chung der 34. Bundes-Immissionsschutzverordnung.


(Michaele Hustedt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Stimmt ja auch!)


– Nein, das stimmt nicht. – Aus meiner Sicht war das
wiederum eine typische Halbinformation für die Öffent-
lichkeit, die suggeriert, nur Ihr Weg sei unbürokratisch
und einfach. Sie nennen nicht den wirklichen Streit-
punkt; denn wenn Sie ihn nennen würden, könnten Sie
Ihre Argumentationsschiene nicht weiter fahren.

Ich sage Ihnen ganz deutlich: Es ist doch bekannt,
dass der Bundesrat die Frage gestellt hat, ob Ihr TEHG-
Entwurf wirklich richtig sei oder ob dort nicht Bestim-
mungen aus der 34. Bundes-Immissionsschutzverord-
nung aufgenommen werden sollten. Darüber kann man
sich doch streiten. Das wäre vielleicht sogar eine sinn-
volle Lösung, denn dann wäre dieses Verfahren Bestand-
teil einer gesetzlichen Regelung. Was haben Sie ge-
macht? Sie haben gesagt, darüber diskutieren wir
überhaupt nicht, fertig, aus. Wer so mit dem Bundesrat
umspringt, der darf sich nicht wundern, wenn der Bun-
desrat als Verfassungsorgan sagt: Herr Trittin, das ist
kein ordentliches Auftreten vor dem Bundesrat. – Sie
tragen damit die Verantwortung dafür, dass keine Dis-
kussion mit dem Bundesrat darüber zustande kommt,
wie das Verfahren einfacher gestaltet werden kann. Sie
sagen immer nur: Wenn nicht anerkannt wird, dass
meine Zahlen stimmen, dann diskutiere ich mit der Öf-
fentlichkeit und der Industrie nicht. Sie sagen: Entweder
übernimmt der Bundesrat meine Vorschläge zu der Ab-
wicklung des Verfahrens oder ich diskutiere mit dem
Bundesrat nicht.

Das ist eine Politik, die dem Klimaschutz auf Dauer
nur Schaden zufügen wird. Deshalb sagen wir: Hören
Sie auf mit dieser Betonhaltung und versuchen Sie, sau-
bere Kompromisse anzustreben! Dann hätten Sie auch in
Sachen Emissionshandel eine bessere Position.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Dann wird gesagt, das Ganze werde wohl keine Aus-

wirkungen auf die Wirtschaftsstruktur haben. Es ist
schon spannend, zu sehen, dass wir im Deutschen Bun-
destag vor der Abgabe nach Brüssel nicht rechtzeitig
darüber diskutieren sollen, ob ein Benchmarking für den
Neubau von Erdgaskraftwerken richtig ist. Die Ant-
wort finden Sie in Nordrhein-Westfalen. Dort soll eines
der modernsten Braunkohlekraftwerke der Welt ge-
baut werden. Wenn sich das Benchmarking für Erdgas-
kraftwerke durchsetzt, dann lohnt sich der Bau dieses
Braunkohlekraftwerkes in Nordrhein-Westfalen nicht
mehr.

Dabei darf nicht übersehen werden, dass Sie damit
auch die heimische Energieversorgung durcheinander-
wirbeln. Man muss doch im Deutschen Bundestag ein-
mal über die Frage diskutieren, ob es immer richtig ist,
auf Erdgas zu setzen.


(Dr. Reinhard Loske [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Erdgas? Immer richtig?)


– Herr Loske, das Benchmarking für Erdgaskraftwerke
wird die Position des Erdgases so stärken, dass die hei-
mische Braunkohle aus Mitteldeutschland, Ostdeutsch-
land und dem Rheinland nicht mehr konkurrenzfähig ist.
Da muss man doch die Frage stellen, ob es richtig ist,
über den Emissionshandel eine solche Strukturverände-
rung herbeizuführen. Das muss auch im Deutschen Bun-
destag diskutiert werden.


(Ulrich Kelber [SPD]: Das stimmt einfach nicht!)


Die Antwort aus Nordrhein-Westfalen haben wir
schon bekommen, Herr Kelber. Der Infrastrukturminis-
ter, Herr Horstmann, hat ganz deutlich erklärt, das Kon-
zept des Nationalen Allokationsplanes könne nicht ak-
zeptiert werden, es sei auch eindeutig gegen die
wirtschaftlichen Interessen Nordrhein-Westfalens ge-
richtet. Es ist sehr interessant, dass Sie als Abgeordneter
aus Nordrhein-Westfalen erklärt haben, im Zweifel inte-
ressiere Sie das alles nicht, Sie verträten die Position des
Umweltministers. Das wird vor allem mit Blick auf die
in den nächsten Wochen anstehende politische Diskus-
sion in Nordrhein-Westfalen interessant werden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1509408200

Erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen

Kelber?


Dr. Peter Paziorek (CDU):
Rede ID: ID1509408300

Ja.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1509408400

Die Zeit ist eigentlich abgelaufen.


Dr. Peter Paziorek (CDU):
Rede ID: ID1509408500

Deshalb erlaube ich sie ja.


(Heiterkeit bei der CDU/CSU)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1509408600

Ich bitte dann um eine kurze Antwort. – Bitte.






(A) (C)



(B) (D)



Ulrich Kelber (SPD):
Rede ID: ID1509408700

Er muss ja gar keine Antwort geben, denn nach § 27

Abs. 2 der Geschäftsordnung ist auch eine Zwischenbe-
merkung erlaubt.

Sie haben gerade einen sehr unfairen Trick versucht,
indem Sie behauptet haben, dass der Ersatz eines Braun-
kohlekraftwerks bei einer Gas-Benchmark nicht mach-
bar wäre und ich das als Abgeordneter aus Nordrhein-
Westfalen unterstützen würde. Da auch Sie aus Nord-
rhein-Westfalen kommen und da Sie als Umweltpolitiker
vor Ihrer Rede hoffentlich wenigstens Entwürfe und
auch Stellungnahmen der SPD gelesen haben, müsste Ih-
nen bekannt sein, dass bei der Übertragung auf ein neues
Kohlekraftwerk die Menge von Zertifikaten mitgenom-
men werden kann, während das bei der Übertragung auf
ein Gaskraftwerk zeitlich begrenzt ist. Auch das sollten
Sie wenigstens sagen, um die Öffentlichkeit nicht be-
wusst in die Irre zu führen.


Dr. Peter Paziorek (CDU):
Rede ID: ID1509408800

Herr Kelber, ich muss Ihnen dazu in aller Deutlichkeit

sagen, dass die Übertragungsregelungen nicht ausrei-
chend sind. Sie sind nach dem bisherigen Entwurf – die
SPD hat vielleicht noch etwas anderes vor –, den wir in
der Straßenbahn gefunden haben, nur bis 2012 gültig.
Das bedeutet im Klartext, dass all das, was nach 2012
passiert, eindeutig zulasten der heimischen Energiever-
sorgung geht. Herr Kelber, dieser Punkt muss öffentlich-
keitswirksam diskutiert werden, damit es nicht eine Ent-
scheidung gibt, die zulasten Nordrhein-Westfalens und
der neuen Bundesländer geht.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Zum Abschluss will ich deutlich sagen: Wir sind für

den Emissionshandel. Ich hoffe sehr, deutlich gemacht
zu haben, dass die Unionsfraktion dafür plädiert, dass
die Zahlen auf den Tisch kommen. Wir können nämlich
nur dann Klimaschutz und Wirtschaftspolitik zusam-
menführen, wenn wir eindeutig wissen, auf welcher Da-
tenbasis wir entscheiden. Wenn wir das nicht erreichen,
dann laufen wir in der Tat Gefahr, die Weichen falsch zu
stellen und damit zulasten Deutschlands eine negative
Entscheidung für unsere Wirtschaft zu treffen. Das wol-
len wir nicht. Deshalb, Herr Minister, haben wir die
große Bitte, dass das deutsche Parlament vor der Abgabe
Ihrer Stellungnahme beteiligt wird.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1509408900

Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Reinhard Loske

von Bündnis 90/Die Grünen.

(BÜNDNIS 90/DIE GRÜ NEN)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Be-

vor ich meine eigenen Argumente vortrage, will ich auf
einige Argumente meiner Vorredner eingehen.

Erstens. Ein Argument, das von beiden Oppositions-
fraktionen vorgetragen wurde, war, das Treibhausgas-
Emissionshandelsgesetz – das ist ein furchtbar langer Ti-
tel – könne nicht behandelt werden, bevor der Nationale
Allokationsplan verabschiedet sei. Ich glaube, dieses Ar-
gument ist falsch. Denn der NAP verhält sich zum
TEHG wie das Kioto-Protokoll zur Klimarahmenkon-
vention. Das eine ist das Dachgesetz und das andere sind
die konkreten Durchführungsbestimmungen, in denen
die Lastenverteilung definiert wird.


(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist aber das Interessante!)


Das heißt, wir haben es einerseits mit der Struktur und
andererseits mit der konkreten Zuteilung zu tun. Dieses
vernünftige Vorgehen ist in gar keiner Weise kritikwür-
dig.

Zweitens. Den Vorwurf, es gebe mehr Bürokratie,
müssen wir mit aller Entschiedenheit zurückweisen. Im
Gegenteil gilt: Was Sie vorschlagen, bedeutet mehr Bü-
rokratie. Der Vorschlag des Umweltministeriums hin-
sichtlich der Übertragungsregelung ist so einfach, dass
er an Schlichtheit praktisch nicht mehr zu überbieten ist.
Ihr Vorschlag – dazu gehören das doppelte Verfahren,
das Sie uns über den Bundesrat aufdrücken wollen, aber
nicht durchbekommen werden, und inhaltlich die brenn-
stoffspezifischen Benchmarks – würde viel mehr Büro-
kratie nach sich ziehen. Es ist eindeutig, dass wir das
nicht mitmachen werden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Drittens. Sie haben so getan, als würden unterschied-

liche Zahlen im Raum kursieren.

(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Ja!)


Das ist nicht zutreffend.

(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Doch!)


Die Zahl von 508 Millionen Tonnen für das Jahr 1998 ist
seit langem in der Öffentlichkeit bekannt und ist zwi-
schen BMWA und BMU unstrittig.


(Marie-Luise Dött [CDU/CSU]: Ich kenne aber auch andere Zahlen!)


Insofern geht dieser Vorwurf ins Leere.
Ich komme jetzt zu meinen Argumenten. Wenn man

sich einmal die Diskussion der letzten Monate anschaut,
dann erkennt man, dass das Klimathema aufgrund
zweier Aspekte sehr stark im Mittelpunkt gestanden hat.
Es geht zum einen um das Thema Sicherheit und zum
anderen um das Thema Innovation. Vor wenigen Wo-
chen ist ein Szenario bekannt geworden – es wurde inte-
ressanterweise im Auftrag des Pentagons entwickelt –,
das beschreibt, was ein abrupter Klimawechsel für die
nationale Sicherheit der Vereinigten Staaten bedeuten
würde. Dieses Szenario basiert im Wesentlichen auf For-
schungen in Deutschland, nämlich auf den Erkenntnis-
sen des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung.
Stefan Rahmsdorf bekam dafür den höchsten amerikani-
schen Wissenschaftspreis.


(Beifall des Abg. Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])







(A) (C)



(B) (D)


Dr. Reinhard Loske

Diesem Szenario kann man entnehmen: Wenn wir in

Sachen Klimapolitik so weitermachen wie bisher, dann
wird es möglicherweise zu einem abrupten Klimawandel
kommen, der uns sehr teuer zu stehen kommen könnte.
Ich kritisiere – das ist mein Hauptkritikpunkt –, dass Sie
die Kosten aufgrund unterlassenen Handelns überhaupt
nicht berücksichtigen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Vor wenigen Wochen hat das Fraunhofer-Institut
seine zwölf Leitinnovationen vorgestellt. Wenn man sie
einmal systematisch durchgeht, dann kann man ganz
klar erkennen: Viele Innovationen, um die es geht, bezie-
hen sich unmittelbar auf erneuerbare Energien, dezen-
trale Systeme, Energieeffizienz und Energieeinsparung.
Diese Innovationen können wir nur mobilisieren und
lostreten, wenn wir die Rahmenbedingungen tatsächlich
so setzen, dass sie förderlich sind. Wir sollten das Thema
Klimawandel also auch unter dem Aspekt Innovations-
anreiz sehen. Diesem Ziel dient der Emissionshandel.

Zur Rolle Europas. Die Europäische Union war im-
mer der Vorreiter und der Hoffnungsträger in Sachen in-
ternationaler Klimapolitik. Wir waren diejenigen, die
das Kioto-Protokoll zusammen mit der G 77 und Japan
durchgesetzt haben. Was wir jetzt in Sachen Emissions-
handel erleben, ist nichts anderes – Herr Kollege
Paziorek, vielleicht hören Sie einmal zu – als die Mani-
festation des europäischen Willens, die Kioto-Ziele tat-
sächlich zu erreichen.


(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Genau!)

Darum geht es.


(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Okay!)

Man kann nicht nach dem Motto verfahren: Wasch mir
den Pelz, aber mach mich nicht nass!


(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Das sagen wir auch nicht!)


Ich habe manchmal den Eindruck von Ihnen, dass Sie
den Emissionshandel schlagen, in Wahrheit aber den
Klimaschutz meinen, sich jedoch nicht trauen, das zu sa-
gen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Wenn man sich anschaut, wie es in den anderen Län-
dern aussieht, dann muss man feststellen: Es gibt bereits
in vielen Ländern Nationale Allokationspläne. Die Bri-
ten haben einen vorgelegt, der sehr ambitioniert ist und
sehr weit geht, sogar über das Kioto-Ziel hinaus. Die
Franzosen haben einen vorgelegt, der respektabel ist.
Auch bei den Dänen sieht es, obwohl sie noch weit von
der Zielerreichung entfernt sind, ganz respektabel aus.
Es gibt aber auch Nationale Allokationspläne – das muss
man sagen; dazu gehört nach unserer Einschätzung der
österreichische –, die nicht notifizierungsfähig sind, weil
sie sich nicht an den klaren Aussagen des Kioto-Proto-
kolls orientieren. Es geht um ein Ziel und um die Errei-
chung dieses Ziels. Man kann nicht erst die Emissionen
anwachsen lassen und versprechen, dass man später viel-
leicht reduziert. Es ist gut, dass die Kommission zuge-
sagt hat, dass sie alle Nationalen Allokationspläne gleich
streng behandelt und diejenigen, die nicht schlüssig sind,
zurückweist. Das ist ganz wichtig für uns.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Zum nächsten Punkt. Für uns ist ganz zentral und so
viel Ehrlichkeit erwarten wir von Ihnen – Uli Kelber hat
es angesprochen –: Wenn Sie der Industrie mehr Emis-
sionen zugestehen wollen und gleichzeitig sagen, dass
Sie das Kioto-Ziel erreichen wollen, dann müssen Sie
auch sagen, wer mehr machen muss und wie das bezahlt
werden soll. Denn eines geht nicht: Wir können nicht der
Industrie mehr Rechte zuweisen und gleichzeitig bei den
privaten Haushalten und beim Verkehr mehr Einspa-
rungen verlangen, ohne Instrumente anzubieten. Inso-
fern ist Ihre Politik überhaupt nicht stimmig.

Zwischen 1990 und 1998 haben wir doch folgende
Tendenz gehabt: Bei den privaten Haushalten und beim
Verkehr stiegen die Emissionen an, bei der Industrie und
bei der Energiewirtschaft sanken sie aufgrund des indus-
triellen Zusammenbruchs in Ostdeutschland und auf-
grund von Modernisierungsinvestitionen. Seit 1999 sieht
die Tendenz anders aus: Im Bereich der privaten Haus-
halte und im Bereich des Verkehrs gehen die Emissionen
vor allen Dingen aufgrund der Maßnahmen, die wir er-
griffen haben, leicht – wenn auch zu langsam – zurück
und im Bereich der Energiewirtschaft steigen sie wieder
an. Das heißt, jetzt ist die Industrie an der Reihe. Das
muss man im Sinne von Ausgewogenheit und Gerechtig-
keit sehen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Jetzt konkret zum Emissionshandel. Für uns sind fol-
gende Punkte wichtig und ganz zentral:

Erstens. Wir brauchen Ziele für beide Perioden, also
für die Periode 2005 bis 2007 und für die Periode 2008
bis 2012, damit wir Planungssicherheit haben. Es
kommt in der Tat – das wurde von mehreren Rednern ge-
sagt – auf die langen Linien an. Das ist entscheidend. Es
kommt, wie Uli Kelber zu Recht sagt, darauf an, was
nach 2012 ist. Wir haben es ja häufig mit Investments zu
tun, die von der Kapitalbindungszeit her weit über 2012
hinaus reichen. Deswegen setzen wir uns für lange Li-
nien, für Klarheit auf der langen Linie, für Planungssi-
cherheit ein. Das heißt, für die erste und die zweite Peri-
ode brauchen wir ein Ziel.

Zweitens zur Zielmarke. Für 2005/2007 muss das Ziel
lauten, deutlich unter 500 Millionen Tonnen CO2-Emissi-onen zu liegen. Das ist ganz klar. Wir erwarten, dass die
Industrie im Jahr 2012 ihre Zusage einlöst, um 45 Millio-
nen Tonnen unter dem Niveau von 1998 zu liegen. Das
ist für uns sehr zentral.

Zur Architektur. Wichtig ist für uns, dass wir eine
wirksame Übertragungsregelung haben, die wirklich
Anreize für frühe Investitionen und Innovationen
schafft. Vor allen Dingen ist auch wichtig – da stimme
ich sowohl der Union als auch der FDP zu –, dass wir






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Reinhard Loske

eine Regelung brauchen, die handhabbar, einfach und
unbürokratisch ist und die vor allen Dingen eine geringe
Missbrauchsanfälligkeit aufweist. Wir müssen höllisch
aufpassen, dass keine Fehlanreize dahin gehend gesetzt
werden, dass man anfängt, mit dem ganzen Instrumenta-
rium zu spielen. Das heißt, Einfachheit und Transparenz
sind ganz wichtig.

Zum letzten Punkt, zum technischen Benchmark. Ich
will jetzt nicht in die Details gehen. Aber die Wahrheit
gebietet es natürlich, auch zu sagen, dass eine Teilstrate-
gie des Klimaschutzes die Substitution von kohlenstoff-
reichen Energieträgern durch kohlenstoffarme oder koh-
lenstofffreie Energieträger ist. Das ist der ganze Sinn des
Klimaschutzes. Es wäre gelogen, wenn man sagen
würde, dass das kein Motiv sei. Aber bei der Übertra-
gungsregelung – jetzt komme ich zu dem eigentlichen
Punkt – gibt es überhaupt keinen technischen Bench-
mark. Das heißt – um es einmal konkret zu sagen –, der
Profiteur unserer Übertragungsregelung wären RWE und
Eon.

Was die Early Action, also die frühe Reduzierung, be-
trifft, sind gerade wir diejenigen, die sagen: Okay, wir
erkennen an, was in den neuen Bundesländern geleistet
worden ist.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Es geht um das, was in den neuen Bundesländern zwi-
schen 1990 und 1998 geleistet worden ist. Das wollen
wir ausdrücklich anerkennen.

Ich komme zum Schluss. Für uns ist der Emissionshan-
del kein Ziel. Der Emissionshandel ist ein Instrument, mit
dem wir unserem Klimaschutzziel näher kommen wer-
den. Ich darf vielleicht daran erinnern, dass wir alle ein-
mal bis zum Jahr 2005 eine Reduktion von 25 Prozent
erreichen wollten. Es kommt mir daher ein wenig selt-
sam vor, wenn Sie hier von einer angeblichen Überbelas-
tung reden.

Zum Zweiten muss es Anreize für Investitionen und
Innovationen geben. Dafür werden wir streiten. Das geht
auf der Grundlage des Entwurfs, der jetzt im Raum steht.

Danke schön.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1509409000

Zu einer Kurzintervention erteile ich dem Kollegen

Dr. Peter Paziorek das Wort.


Dr. Peter Paziorek (CDU):
Rede ID: ID1509409100

Vielen Dank, Herr Präsident. – Lieber Reinhard Loske,

Sie haben mich gerade persönlich angesprochen. Ich
möchte die Gelegenheit zur Klarstellung nutzen, damit
der Eindruck, den Sie gewonnen und wiedergegeben ha-
ben, nicht als richtig und dauerhaft im Raum stehen bleibt.

Derjenige, der kritische Fragen stellt – wir haben das
in unseren Redebeiträgen gemacht – und hinterfragt, ob
das Zahlenwerk richtig und damit eine richtige Grund-
lage für die Ausgestaltung des Nationalen Allokations-
plans vorhanden ist, darf nicht zum Handlanger oder zu
jemandem, der die Instrumente der Wirtschaft vorbehalt-
los übernimmt, degradiert werden. Das geht nicht.

Es muss klar und deutlich gesagt werden, lieber
Reinhard Loske, dass zum Beispiel gewaltige technische
Probleme zu lösen sind. Wenn wir den jetzigen CO2-Ausstoß mit 100 Prozent definieren und uns zum Ziel
setzen, im Jahr 2008 oder 2012 92 Prozent zu erreichen,
dann verlangt das gewaltige technische Anstrengungen.
Von der Kalk- und Zementindustrie beispielsweise wis-
sen wir aber genau, dass sie technologisch nicht in der
Lage sind, zu weiteren Einsparungen zu kommen. Daher
stellt sich die Frage: Ist es ein sinnvoller Weg, bestimmte
Industriezweige in Deutschland zu belasten, die sich im
Augenblick technologisch nicht verbessern können?
Diese wären gezwungen, Kosten aufzuwenden, um Zer-
tifikate zu kaufen; damit würde sich die Produktion in
Deutschland verteuern. Das können Sie doch nicht wol-
len; denn das hätte zur Konsequenz, dass zum Beispiel
die Zementproduktion im Ausland günstiger wird. Wir
müssen doch berücksichtigen, dass wir Zement mit dem
Schiff von Australien nach Deutschland bringen können.


(Michaele Hustedt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr wirtschaftlich!)


Das sind unsere konkreten Fragen. Wir wollen uns
doch nicht vom Emissionshandel absetzen, sondern wir
wollen die offenen Fragen in Ausschuss und Parlament
diskutieren. Derjenige, der das will, ist doch kein Gegner
des Emissionshandels oder gar Handlanger der Industrie,
sondern es handelt sich um jemanden, der bereit ist, über
offene Punkte zu diskutieren, damit wir Umwelt- und
Wirtschaftspolitik zusammenführen können.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord neten der FDP)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1509409200

Zur Erwiderung erhält Herr Dr. Loske das Wort.


Dr. Reinhard Loske (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1509409300

Herr Präsident! Lieber Kollege Paziorek, selbstver-

ständlich stelle ich Ihre klimapolitische Integrität nicht
infrage. Wie käme ich dazu? Wir ziehen in vielerlei Hin-
sicht an einem Strang. Zwei Ihrer Argumente halte ich
jedoch nicht für stark, ehrlich gesagt halte ich sie für
falsch und schwach.

Sie haben die Zementindustrie angesprochen. Gerade
die Prozessenergie wird komplett mit einem Erfüllungs-
faktor eins ausgestattet.


(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Nein!)

– Doch, das ist der Fall. Das ist auch darauf zurückzu-
führen, dass die Industrie anders als die Elektrizitätswirt-
schaft tatsächlich auf einem moderaten Pfad nach unten
ist und deswegen mit der bedarfsgerechten Ausstattung
in der ersten Verpflichtungsperiode auskommen wird.
Daher ist das Argument, das Sie angeführt haben,
schlicht und einfach unzutreffend.






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Reinhard Loske


(Ulrich Petzold [CDU/CSU]: Was ist Prozess energie? Erläutern Sie das!)

– Ich habe es doch genannt: Prozessenergie.


(Marie-Luise Dött [CDU/CSU]: Was verstehen Sie darunter?)


Ihr zweites Argument bezog sich auf das Zwischen-
ziel. Wir haben doch das „Endziel“ – ich benutze Gänse-
füßchen, weil das Wort Endziel in der deutschen Sprache
belastet ist – oder, anders gesagt, das Abschlussziel
2012. Sie sagten: Macht doch keine Zwischenfestlegun-
gen, keine Etappenziele. Dazu möchte ich zweierlei fest-
halten: Erstens. Wir haben das Etappenziel, das uns die
Industrie zugesagt hat, und geben noch etwas dazu.
Zweitens. Ich möchte Ihnen das Bild des Flusses vor Au-
gen führen. Ein Fluss fließt grundsätzlich von oben nach
unten. Er mäandriert zwar manchmal ein wenig, das soll
und darf er auch, aber er fließt niemals zuerst bergauf
und dann bergab. So wollen auch wir das ausgestalten,
der Fluss soll von oben nach unten fließen. Dass er zwi-
schenzeitlich ein wenig mäandriert, ist vollkommen klar.
Es handelt sich schließlich nicht um ein Korsett oder um
einen Schraubstock, sondern um ein Flussbett und in
diesem muss er sich bewegen.


(Zuruf von der CDU/CSU: Mehr eine Zwangsjacke!)


Danke schön.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Zuruf von der CDU/CSU: Was Prozessenergie ist, hat er nicht gesagt!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1509409400

Das Wort hat jetzt die Kollegin Marie-Luise Dött von

der CDU/CSU-Fraktion.


Marie-Luise Dött (CDU):
Rede ID: ID1509409500

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zum

Thema Emissionshandel schreibt die „FAZ“ in der letz-
ten Woche: „Das Parlament … tappt noch im dunklen.“


(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: So ist es! Wohl wahr!)


Wie wahr! Denn auch die Beantwortung unserer Großen
Anfrage an die Bundesregierung war nicht wirklich er-
hellend. Auf unsere detaillierten und sehr konkreten Fra-
gen zur nationalen Ausgestaltung des Emissionshandels
gibt die Bundesregierung keine Auskünfte oder vertrös-
tet uns auf einen späteren Zeitpunkt. Erst mit der Vorlage
des Nationalen Allokationsplanes soll zu den drängen-
den Fragen der Umsetzung Stellung bezogen werden.

Dabei hatte das Ministerium, als es unsere Große An-
frage beantwortete, schon längst einen Entwurf des Natio-
nalen Allokationsplanes in der Schublade liegen. Denn
nur einen Tag später wurde den Wirtschaftsvertretern
vom Bundesumweltministerium ein erster Entwurf über-
reicht. Auch dem Parlament hätte zu diesem Zeitpunkt
unschwer Auskunft erteilt werden können.


(Zuruf von der CDU/CSU: Und müssen!)

Es ist nur eine Frage des Willens.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Herr Trittin, die unzureichende und späte Antwort auf
unsere Anfrage reiht sich nahtlos in die Desinformations-
politik ein, die Ihr Haus gegenüber dem Deutschen Bun-
destag betreibt. Für mich ist es nicht nur eine Frage der
Rechtsstaatlichkeit, sondern auch eine Frage von Re-
spekt gegenüber der Bevölkerung und gegenüber den
Volksvertretern. Es ist eine Frage von Respekt, dem Par-
lament die Möglichkeit und auch die Zeit zu geben, sich
mit den Inhalten eines Gesetzentwurfes zu befassen, ins-
besondere wenn es sich um ein Gesetz handelt, das den
Arbeitsmarkt und den Wirtschaftsstandort Deutschland
ganz erheblich verändern kann. Beides wird uns im Fall
des NAP-Gesetzes verwehrt.

An dem übereilten Tempo, mit dem Sie das Gesetz
durch die parlamentarischen Gremien schleifen wollen,
wird deutlich, wie wenig Ihnen an der Meinung und der
Einschätzung des Bundestages liegt.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Durch Ihren unnötig straffen Zeitplan verwehren Sie den
Abgeordneten eine dezidierte und fachliche Auseinan-
dersetzung mit der Materie.

Gleiches spielte sich diese Woche beim TEHG ab. Sie ha-
ben erhebliche Änderungsanträge zu dem Gesetzentwurf an-
gekündigt. Dem Vernehmen nach soll die administrative
Struktur des Handelssystems völlig neu gestaltet wer-
den. Es soll eine Bundeszuständigkeit für die behördli-
che Überwachung und Kontrolle etabliert werden. Zur
Anberatung des Gesetzes am Mittwoch, also gestern,
wurden dem federführenden Umweltausschuss die Än-
derungen aber vorenthalten. Die Abgeordneten wurden
nicht informiert.


(Dr. Maria Flachsbarth [CDU/CSU]: Dumm gehalten! – Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Unerhört!)


Aber nicht nur durch das enge Zeitfenster, sondern
auch durch das äußerst unübliche Gesetzgebungskon-
strukt, das Sie für das NAP-Gesetz vorschlagen, miss-
achten Sie die Rechte des Parlaments. Herr Trittin, ma-
chen Sie uns doch nicht weis, dass der Bundestag beim
Nationalen Allokationsplan überhaupt noch mitreden
könnte. Wir Abgeordneten – damit spreche ich vor allem
auch die Kollegen von der Regierungskoalition an – ha-
ben doch gar keine wirkliche Einflussmöglichkeit mehr.


(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: So ist es!)

Jeder Änderungsentwurf des Parlaments bedeutet
zwangsläufig eine Verzögerung des Zuteilungsverfah-
rens im nationalen Bereich. Die Folge sind Wettbe-
werbsverzerrungen zulasten unserer Unternehmen. Wer
möchte denn das auf sich nehmen?

Tatsache ist, dass die entscheidenden Weichenstellun-
gen für den Emissionshandel in Deutschland mit der
Vorlage des Nationalen Allokationsplanes bei der EU-
Kommission festgelegt werden. Die Spielräume des Par-
laments werden auf null reduziert, wenn es seine Ent-
scheidungen inhaltlich auf der Grundlage eines






(A) (C)



(B) (D)


Marie-Luise Dött

Beschlusses fassen muss, der durch die Vorlage bei der
Kommission schon bindend ist. Nicht das deutsche
Parlament entscheidet, wie der Emissionshandel in
Deutschland aussehen wird, sondern das Umweltminis-
terium in Absprache mit der EU-Kommission.

Der Gesetzgeber wird somit faktisch an die Vorgaben
der Verwaltung gebunden. Das widerspricht dem Grund-
satz der Gewaltenteilung und dem demokratischen Prin-
zip. Die Sachverständigen haben in der Anhörung des
Umweltausschusses sogar von einer Entmachtung des
Parlaments gesprochen.

Dieser faktische Ausschluss des demokratisch ge-
wählten Gesetzgebers wiegt umso schwerer, wenn man
sich die Folgen, die der Nationale Allokationsplan haben
kann, vor Augen führt. Mit der Zuteilung der Bewirt-
schaftungsrechte können Sie, Herr Trittin, wesentlich in
den Arbeitsmarkt und den Wirtschaftsstandort
Deutschland eingreifen. Es kann zu Wettbewerbsverzer-
rungen und zu Arbeitsplatzverlusten kommen. Schon ge-
genüber den anderen EU-Mitgliedstaaten können ein-
schneidende Standortnachteile eintreten; denn andere
europäische Länder haben erheblich geringere CO2-Min-derungslasten übernommen als Deutschland. Hinzu
kommt, dass Frankreich und die Niederlande die Be-
lastungen für ihre Klientel so gering wie möglich halten
wollen. Dadurch haben die französischen und niederlän-
dischen Unternehmen gegenüber den deutschen geld-
werte Vorteile.

Die teilnehmende Industrie, beispielsweise die Stahl-
und Chemieindustrie, steht aber nicht nur im europäi-
schen, sondern auch im weltweiten Wettbewerb. Ihre
Produkte konkurrieren mit Produkten aus China, aus den
USA und aus Russland. Diese Länder haben das Kioto-
Protokoll nicht ratifiziert. Sie unterliegen also nicht dem
Emissionshandel und warten nur darauf, die deutschen
Hersteller über ihre Preise zu schlagen. Mit Ihrer Form
des Emissionshandels spielen Sie, Herr Trittin, diesen
Wettbewerbern genau in die Hände.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Wenn Sie die Industrie zwingen, über ihre Selbstver-

pflichtung hinaus Zertifikate hinzuzukaufen, weil Sie
zum Beispiel die prozessbedingten Emissionen nicht an-
erkennen – was prozessbedingt ist, ist ja noch gar nicht
definiert –,


(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: So ist es!)

können unsere Unternehmen, was die Preise betrifft, in-
ternational nicht mithalten. Das hat Folgen für den
Standort Deutschland: eine Einschränkung der Produk-
tion, eine massive Verlagerung der Produktionsstand-
orte, Werksschließungen und damit zwangsläufig einher-
gehend Arbeitsplatzverluste. Allein in der Stahlindustrie
sind in Deutschland 10 000 Arbeitsplätze durch den
Emissionshandel bedroht. Diese Arbeitsplätze zu verlie-
ren, das können wir uns schlichtweg nicht leisten. Den-
ken Sie nur an die Arbeitsmarktzahlen, die heute veröf-
fentlicht worden sind.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Rainer Brüderle [FDP])

Angesichts der verheerenden Auswirkungen, die der
Emissionshandel in Deutschland haben kann, ist eine
Beschneidung der parlamentarischen Rechte bei der na-
tionalen Gesetzgebung unverantwortlich.


(Beifall bei der CDU/CSU)

So, wie Sie, Herr Trittin, es im TEHG beschreiben, sieht
ein sauberes Gesetzgebungsverfahren nicht aus. Ein sau-
beres Gesetzgebungsverfahren hätte dem Parlament
seine Entscheidungsmacht belassen und es bereits vor
der Vorlage des Allokationsplans auf europäischer
Ebene beteiligt. Das, was Sie, Herr Trittin, anstreben, ist
kein Gesetzgebungsverfahren, sondern eine Farce. Es
steht auf verfassungsrechtlich wackeligen Füßen und
missachtet die Rechte des Parlaments. Die Rechte des
Parlaments zu missachten bedeutet in meinen Augen al-
lerdings nichts anderes, als die Bevölkerung zu missach-
ten, die dieses Parlament gewählt hat.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1509409600

Zu einer Kurzintervention erteile ich dem Kollegen

Trittin das Wort.


Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1509409700

Herr Präsident! Liebe Frau Dött, da Sie so schwere

Geschütze aufgefahren haben – Sie haben ja von einer
beabsichtigten Missachtung des Parlaments gespro-
chen –, bitte ich Sie, Folgendes zur Kenntnis zu nehmen:
Zur Umsetzung dieser Richtlinie, die wir aktiv betrieben
haben, hatten wir einen Monat und wenige Tage Zeit.
Daher sind wir zurzeit im Verzug. Die eigentliche Frage,
die sich jeder vor dem Hintergrund stellen muss, dass
wir alle – auch Sie – dieses Instrument im Prinzip befür-
worten, lautet: Hat die Bundesrepublik Deutschland ei-
nen ökonomischen Vorteil oder einen ökonomischen
Nachteil, wenn wir diese Richtlinie nicht fristgemäß um-
setzen, wenn also deutsche Unternehmen nicht ab dem
1. Januar 2005 am Emissionshandel teilnehmen können?
Diese Frage beantworte ich ganz ruhig und übrigens
auch im Konsens mit der Industrie. Ich sage, dass wir
davon keinen Vor-, sondern einen Nachteil haben wer-
den.

Wenn deutsche Unternehmen aber ab dem 1. Januar
2005 teilnehmen können, dann muss im Herbst, also am
30. September, dieses Jahres mit der Zuteilung der Zer-
tifikate begonnen werden; denn selbstverständlich muss
die Zuteilung rechtsfest geschehen. Wenn es aber zum
30. September dieses Jahres zur Verteilung der Zertifi-
kate kommen soll, dann muss schon heute klar sein, wer
überhaupt – nicht, was die Menge, wohl aber, was den
Grundsatz betrifft – die Berechtigung hat, an der Zutei-
lung teilzunehmen.

Ihrer Mehrheit im Bundesrat werfen wir vor, dass sie
die einfache Feststellung, dass deutsche Unternehmen
am Emissionshandel teilnehmen dürfen, blockiert, in-
dem sie nicht entscheidet. Es wurde auch nicht etwa eine
andere Entscheidung herbeigeführt, sondern man hat
sich schlicht und einfach vertagt. Das nenne ich Miss-
achtung der Interessen der deutschen Wirtschaft.






(A) (C)



(B) (D)


Jürgen Trittin

Eine weitere Bemerkung. Wir haben Ihnen immer ge-

sagt: Auch wir hätten uns ein anderes Verfahren ge-
wünscht. Aber wegen des Zeitrasters der Richtlinie und
der Umsetzung derselben bleibt kein anderer Weg, als
zunächst einmal die Frage der Verteilregeln zu definie-
ren. Dann werden wir – es gibt mehrere Äußerungen
von mir hier im Hause, die Sie alle nachlesen können –
diesen Nationalen Allokationsplan quasi unter dem Vor-
behalt der Ratifizierung durch das Parlament nach Brüs-
sel melden. Ich sage Ihnen eines in aller Deutlichkeit:
Wenn der Deutsche Bundestag zu dem Ergebnis kommt,
dass er die eine oder andere Regel anders gestalten will
– Sie werden nicht nur über die Menge, sondern auch
über die grundsätzlichen Regeln zu entscheiden haben –,
und dass er dem einen oder anderen mehr zuteilen will,
werden wir dieses in Brüssel nachnotifizieren.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1509409800

Herr Kollege Trittin, die Zeit ist vorbei.

Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1509409900

Den Vorwurf, wir würden das Parlament missachten,

muss ich aus diesem Grunde mit aller höflichen Ent-
schiedenheit zurückweisen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1509410000

Zur Erwiderung Frau Kollegin Dött.

Marie-Luise Dött (CDU):
Rede ID: ID1509410100

Sehr geehrter Herr Minister Trittin, was ich besonders

bemängele, ist, dass Sie zwar immer von Transparenz
und von Schnelligkeit reden, dass aber diese Transpa-
renz einfach nicht da ist. Es kann doch nicht sein, dass
die beteiligten Unternehmen nur teilweise Unterlagen
haben, wir als Abgeordnete sogar überhaupt keine. Wir
sollten zum Beispiel gestern im Ausschuss über ein deut-
sches TEHG beraten, sogar abschließend beraten. Wir
haben uns für eine „Anberatung“ entschieden, weil über-
haupt nichts vorlag, wir somit über Luft debattieren soll-
ten. Daher müssen Sie uns doch bitte gestatten, dass wir
das anmerken, da wir uns als Volksvertreter nicht ernst
genommen fühlen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1509410200

Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Ernst Ulrich von

Weizsäcker.

Dr. Ernst Ulrich von Weizsäcker (SPD):
Rede ID: ID1509410300

Herr Präsident! Meine verehrten Damen und Herren!

Lassen Sie mich zu dieser letzten Debatte noch das eine
oder andere hinzufügen. Die Oppositionsparteien haben
sich jetzt im Wesentlichen auf die Frage konzentriert, ob
das Parlament in geeigneter Form einbezogen worden
ist. Auch ich habe selbstverständlich meine Besorgnis
darüber zum Ausdruck gebracht, dass das Parlament
durch das außerordentlich enge Zeitraster eine zu ge-
ringe Mitbeteiligungsmöglichkeit gehabt hat. Ich habe es
aber peinlichst vermieden, hieraus einen Vorwurf an die
Bundesregierung zu konstruieren, denn das Zeitraster
kommt aus Brüssel. Natürlich ist es von der Bundes-
regierung mitbeschlossen worden; das ist völlig klar.
Aber es drängt ja auch, dass wir mit dem Klimaschutz
bis 2005 endlich anfangen.

Natürlich hätten wir uns ein parlamentarisches Ver-
fahren gewünscht und wir verlangen es weiterhin, bei
welchem eine öffentliche Anhörung über den Alloka-
tionsplan stattfindet. Dieses kann aber doch nicht auf der
Basis eines Referentenentwurfes eines Hauses gesche-
hen. Ein solcher ist jedoch das Einzige, was gegenwärtig
vorliegen könnte. Wir sind also aus praktischen Gründen
gar nicht in der Lage, all dieses vor dem 31. März abzu-
wickeln.

Ich habe den Parlamentsvorbehalt, auf den Herr
Kelber schon hingewiesen hat, dem Herrn Minister ge-
genüber noch einmal deutlich gemacht. Er hat soeben
bestätigt, dass er diesen außerordentlich ernst nimmt; da-
für bin ich dankbar. Dankbar bin ich auch der CDU/
CSU-Fraktion für ihre Große Anfrage, die uns die Mög-
lichkeit gibt, jetzt, im März, noch einmal über die wich-
tige Frage des Klimaschutzes miteinander zu sprechen.

Der Ausgangspunkt dieser Debatte ist selbstverständ-
lich der Klimaschutz selbst. Das haben viele Redner ge-
sagt. Der Abgeordnete Loske hat schon auf die Penta-
gon-Studie hingewiesen. Ich gestatte mir noch zu
ergänzen: Wir wissen seit 20 Jahren, dass die vom Men-
schen verursachten Treibhausgasemissionen eine we-
sentliche Klimaveränderung bewirken. Wir wissen über-
dies, wenn auch erst seit kurzem, dass die polaren
Eismassen nicht automatisch mechanisch stabil sind. Da
sind möglicherweise so genannte nicht lineare plötzliche
Ereignisse zu befürchten, die dann natürlich einen Mee-
resspiegelanstieg von 5, 10 oder 15 Metern bedeuten
können. Dann wäre Holland in Not, aber zusätzlich wä-
ren es auch Ägypten, Bangladesch, Hamburg, Venedig
und alle möglichen anderen Regionen. Diese Dimension
ist letzten Endes wichtiger als die Frage, ob die Aktio-
näre von 20 bis 30 Firmen glücklich sind. Das müssen
wir uns einfach immer wieder vergegenwärtigen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Die CO2-Reduzierung um 21 Prozent, die FrauDr. Merkel 1997 als damalige Umweltministerin in
Kioto als Verpflichtung Deutschlands zugesagt hat, ha-
ben wir, wie schon gesagt wurde, bereits zum allergröß-
ten Teil erreicht; es geht jetzt nur noch um 2 Prozent. Es
war die Basis der Selbstverpflichtung der deutschen
Industrie, mit diesem Kioto-Ziel konform zu gehen.
Diese Selbstverpflichtung – das hat der Minister gesagt –
war die Basis für die Empfehlung, die aus seinem Hause
kommt, Emissionslizenzen auf der Basis der Emissionen
der Jahre 2000 bis 2002 kostenlos zuzuteilen. Wenn der
Bundesverband der Deutschen Industrie dieses Vorgehen
des BMU als eine Art ökologischen Angriff auf die
Wettbewerbsfähigkeit versteht, dann kann das nur auf
Vorurteilen gegenüber der Bundesregierung oder dem
grünen Umweltminister beruhen.






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Ernst Ulrich von Weizsäcker

Ich habe eher das Gefühl, dass die Vorgabe des Bun-

desumweltministers zu strukturkonservativ ist. Wenn
das, was 2000 bis 2002 Realität war, sozusagen ge-
schenkt und als Basis für den künftigen Handel genom-
men wird, dann muss man sagen: Wir sind fast schon so
schlimm wie die Österreicher. Nur, die Österreicher lie-
fern etwas nach Brüssel, was dort gar nicht akzeptiert
werden kann und darf. Ich enthalte mich aber einer Kri-
tik in Richtung Strukturkonservativismus gegenüber
dem Minister, erstens weil ich die politische Gemenge-
lage kenne und zweitens weil ich weiß, dass doch noch
eine Strategie zustande kommen wird, bei der das Emit-
tieren von CO2 einen Preis hat. Das ist auch zwingendnotwendig; denn ansonsten ist – wie vom Minister be-
reits ausgeführt – gar kein Anreiz zu Effizienz da.

Gewiss haben wir in den letzten Wochen eine Überra-
schung erlebt, als wir erfuhren, dass die industriebezoge-
nen CO2-Emissionen der letzten drei Jahre trotz Wirt-schaftsflaute ganz erheblich zugenommen haben. Wenn
man das im Einzelnen analysiert, dann stellt man aber
fest, dass das in keiner Weise eine geeignete Begrün-
dungsbasis für die Industrie ist, nun Besorgnis gegen-
über ihren eigenen Selbstverpflichtungen zu haben; denn
die Industrie im engeren Sinne hat ihre Emissionen wei-
ter reduziert. Lediglich bei der Stromwirtschaft stellen
wir einen erheblichen Anstieg der CO2-Emissionen fest.Dieser Anstieg basiert auf zwei Faktoren: Erstens fand
eine Verschiebung in Richtung Braunkohle statt – was
nicht unbedingt notwendig ist – und zweitens hat
Deutschland 8 Milliarden Kilowattstunden pro Jahr ex-
portiert. Auch das ist nicht unbedingt ein Zeichen von
strukturellem Fortschritt. Wir brauchen nicht unbedingt
ein Stromexportland zu sein.

Lassen Sie mich etwas systematischer auf die Frage
eingehen, was wir uns eigentlich industriepolitisch vor-
nehmen müssen, um mit dem Thema Klimaschutz ange-
messen umzugehen. Wir müssen – das wird auch von
Dr. Paziorek und von anderen gesagt – Umwelt und In-
dustrie, Umwelt und Wirtschaft zusammenbringen. Das
heißt, wir als Hightechland müssen sehen, dass wir die
Abkopplung des Wohlstands von CO2-Emissionen zu-stande bringen. Hightech heute bedeutet etwas ganz
anderes als Hightech vor 40 Jahren. In den letzten
40 Jahren hat zum Beispiel die Energieintensität der che-
mischen Industrie in Deutschland um mehr als den Fak-
tor vier abgenommen. Das wird noch weiter gehen. Wir
brauchen noch einmal einen Faktor vier für die Abkopp-
lung des Wohlstands von den CO2-Emissionen. Dasmuss aber einmal in Gang gesetzt werden. Dafür brau-
chen wir den entsprechenden Anreiz.


(Beifall bei der SPD)

Natürlich hat der BDI und haben auch die Opposi-

tionsparteien Recht mit der Aussage, dass die CO2-Min-derungsleistung nicht allein aus der Industrie kommen
kann, sondern dass Haushalte und Verkehr mit beteiligt
sein müssen.

Ich bin der Opposition für die Frage dankbar, die sie
im Rahmen ihrer Großen Anfrage an die Bundesregie-
rung gestellt hat, ob nämlich diese Sektoren in das Emis-
sionshandelssystem einbezogen werden können. Es war
völlig richtig, diese Frage zu stellen. Die Antwort der
Regierung ist aber ebenfalls richtig. Sie sagt, man müsse
sich vorstellen, was es bedeuten würde, 37 Millionen
Haushalte und 45 Millionen PKWs im Einzelnen zu er-
fassen. Wenn das keine Bürokratie ist, dann möchte ich
nicht wissen, was Bürokratie ist! Das heißt, wir müssen
uns hierfür etwas ganz anderes ausdenken. Von Herrn
Kelber und anderen wurde dazu Entsprechendes gesagt.
Sollte die Opposition vorschlagen, dies mit einer bruta-
len Ökosteuer zu leisten, dann möchte ich gerne sehen,
wie die Medien darauf reagieren.

Wir kommen nicht darum herum, die Verminderung
von Treibhausgasemissionen bei gleichzeitigem Wohl-
standszuwachs und technischem Fortschritt sehr ernst zu
nehmen. Es wäre vollkommen verfehlt, wenn wir diese
Strategie im Wesentlichen hasenfüßig und mit einem
ängstlichen Betrachten der Industriestruktur der Vergan-
genheit angehen würden. Gehen wir sie stattdessen mit
Mut und mit Zutrauen hinsichtlich der Modernisierungs-
fähigkeit der deutschen Wirtschaft an! Das wäre diesem
Thema und der heutigen Debatte angemessen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1509410400

Das Wort hat die Kollegin Petra Pau.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1509410500

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir

diskutieren heute über ein Gesetz, durch das der Handel
mit Emissionen, also der Handel mit Umweltverschmut-
zungen ermöglicht werden soll. Wir reden über ein Mit-
tel zum Zweck. Deshalb stellt die PDS im Bundestag
auch den Zweck voran. Es geht darum, den CO2-Ausstoßweltweit und hierzulande deutlich zu reduzieren. Das ist
notwendig, um eine Klimakatastrophe zu verhindern,
und das eilt, damit es nicht tatsächlich zu spät ist. Mein
Vorredner hat ja schon einige Szenarien angesprochen.

Die jüngste Warnstudie aus den USA wurde hier be-
reits angeführt. Im Gegensatz zu den Grünen berufe ich
mich allerdings nicht auf die CIA oder das Pentagon.
Dazu fehlt mir nicht erst seit dem Irakkrieg der Glaube
an den amerikanischen Geheimdienst.


(Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [fraktionslos])


Überhaupt sind die USA in Sachen Klima- und Umwelt-
schutz das Gegenteil von guten Ratgebern. Sie taugen
nicht einmal als Beispiel.

Es gibt aber genug andere Zeugnisse und Zeugen. Ei-
ner davon ist sogar CDU-Mitglied. Ich meine Klaus
Töpfer. Der UNO-Umweltchef drängt: „Niemand zwei-
felt, dass ein Klimawandel stattfindet“. Er spricht von ei-
ner „ökologischen Aggression der Reichen gegen die
Armen“ und er fasst richtig zusammen: „Klimapolitik ist
Friedenspolitik“. Liebe Kolleginnen und Kollegen von
der CDU/CSU, schon deshalb verdient er Respekt, was
ich beileibe nicht zu allen Kandidaten sagen kann, die






(A) (C)



(B) (D)


Petra Pau

Sie in den letzten Tagen in der Debatte über das Amt des
Bundespräsidenten genannt haben.


(Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [fraktionslos] – Franz Obermeier [CDU/CSU]: Darauf können wir auch gern verzichten!)


Der europäische Handel mit Emissionsrechten soll
nun im Januar 2005 beginnen. Deshalb debattieren wir ja
auch über die deutschen Regeln. Das Ziel ist klar: Ver-
glichen mit dem Jahr 1998 soll der CO2-Ausstoß bis2010 um 45 Millionen Tonnen reduziert werden. So lau-
tete jedenfalls die Selbstverpflichtung der deutschen
Industrie. Ich finde, es darf kein Zurück dahinter geben.

Auch das Grundprinzip des Emissionshandels ist
übersichtlich: Wer das Klima weniger belastet, als ihm
zugestanden wird, kann mit seinen Anteilsscheinen han-
deln und so noch ein Plus erwirtschaften. Wer das Klima
aber über Gebühr belastet, der muss zusätzliche Anteils-
scheine kaufen; er zahlt drauf.

Das ist also ein Versuch, der Umweltverschmutzung
mit marktwirtschaftlichen Mitteln beizukommen. Er ist
auch unter den Linken nicht unumstritten; denn das
Klima ist nun einmal ein Allgemeingut und keine Han-
delsware. Noch erstaunlicher ist allerdings, dass sich
ausgerechnet die Wirtschaft weigert, in diesem Bereich
marktwirtschaftlich zu agieren; denn von ihr kommen
derzeit die übelsten Widerstände gegen ein Emissions-
handelsgesetz. Es wird um jede Tonne CO2-Ausstoßgeschachert, die nicht abgebaut werden muss. Die Wirt-
schaft versucht, mit Extratricks Extraprofite zu ergau-
nern, als ginge es nicht um eine alle betreffende, eine
globale Herausforderung.

Dabei bilden sich ganz „ungewöhnliche Koalitionen“,
wie die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ am 25. Fe-
bruar schrieb: Auf der einen Seite protestieren die Ge-
werkschaften im Verein mit den Wirtschaftsverbänden
und Bundeswirtschaftsminister Clement. Auf der ande-
ren Seite agieren Umweltverbände und Klimaschützer
mit Umweltminister Trittin. – Das macht es nicht leich-
ter. Es zeigt aber auch: Im ökologischen „Friedens-
kampf“, wie Klaus Töpfer meint, geht der Riss mitten
durch Rot-Grün.

Hinzu kommt: In den letzten Jahren hat der CO2-Aus-stoß durch die deutsche Wirtschaft nicht ab-, sondern zu-
genommen, und zwar trotz der Rezession in den zurück-
liegenden drei Jahren. Ich möchte noch an etwas anderes
erinnern. Die deutsche Wirtschaft hält sich zugute, seit
1990 die Umwelt bereits drastisch entlastet zu haben.
Das stimmt. Das liegt aber fast ausschließlich daran,
dass CO2-Schleudern im Osten stillgelegt wurden undobendrein Konkurrenz aus den neuen Bundesländern ab-
gewickelt wurde.

Die eigentliche Klimaschutzleistung steht uns also
noch bevor. Vor diesem Hintergrund geschehen aller-
dings seltsame Dinge. Da garantiert Wirtschaftsminister
Clement der CO2-trächtigen Kohleindustrie West aufJahre hinaus milliardenschwere Subventionen. Zugleich
attackiert dieser Minister die Förderung erneuerbarer
Energien. Das ist keine Innovation. Das ist Klientelpoli-
tik auf Kosten von allen.

(Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [fraktionslos])


Abschließend: Der Emissionshandel ist kein Wunder-
mittel. Er kann bestenfalls Teil in einem Mix verschiede-
ner Instrumente sein. Vornan steht alles, was den Ener-
gieverbrauch tatsächlich senkt. Hinzu kommt: Solare
Energien müssen Vorrang vor fossilen und atomaren
Energien haben. Natürlich dürfen Klimakiller nicht noch
vergoldet werden. Vielmehr müssen sie dringend redu-
ziert werden.

Danke.

(Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [frak tionslos])



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1509410600

Das Wort hat jetzt der Kollege Franz Obermeier von

der CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Franz Obermeier (CSU):
Rede ID: ID1509410700

Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Es ist

wichtig, dass wir heute eine Debatte über den Emis-
sionshandel und die entsprechenden Gesetze sowie die
Fragen des Nationalen Allokationsplans führen. Wir sol-
len die Gelegenheit nutzen, die Bundesregierung noch
einmal eindringlich darauf hinzuweisen, dass die Ge-
setze, die wir umzusetzen haben, enorm wichtig sind.

Ich möchte betonen, dass wir als CDU/CSU-Bundes-
tagsfraktion sowohl zu den Zielen des Klimawandels als
auch zu dem marktwirtschaftlichen Instrument des Zerti-
fikatehandels stehen. Wenn wir allerdings das Gesetzge-
bungsverfahren betrachten, beschleichen uns große Sor-
gen, weil wir Angst haben, dass die Bundesregierung
diese Gesetze in der gleichen Art wie beispielsweise die
Pfandpflicht oder die ganze Geschichte mit der Maut
vollzieht. Diese Angst steckt in uns. Deswegen möchten
wir auf das Angebot, Herr Bundesumweltminister, gern
zurückkommen, Ihnen bei der Abfassung der notwendi-
gen Gesetze zu helfen. Aber so, wie die Dinge stehen,
bleibt uns kaum Raum und Zeit, diese Themen im Ein-
vernehmen vorzubereiten und dem Parlament vorzule-
gen.

Der Emissionshandel soll ab Januar 2005 beginnen.
Er wird einen ganz entscheidenden Einfluss auf die
deutsche Volkswirtschaft haben. Ich habe die große
Sorge, dass dieses Element seitens der Bundesregierung
nicht gesehen wird.

Herr Bundesumweltminister, Sie haben uns vor eini-
ger Zeit erklärt, dass der Zertifikatehandel für die deut-
sche Volkswirtschaft kostenneutral sein wird. Heute war
Ihre Aussage schon wesentlich differenzierter. Nach al-
lem, was wir von der betroffenen Wirtschaft hören, wird
es mit der Kostenneutralität nicht mehr so weit her sein.
Ich habe konkrete Fälle in meinem Wahlkreis. Beispiels-
weise hat ein relativ kleines Steinkohlekraftwerk ausge-
rechnet, dass ihm durch die Maßstäbe 2000 bis 2002 bei
einem angenommenen Preis von 10 Euro ein Kosten-
nachteil von 3 Millionen Euro entsteht. Das ist genau der






(A) (C)



(B) (D)


Franz Obermeier

Betrag, den das Energieversorgungsunternehmen an
diesem Standort in den letzten Jahren an Personalkosten
eingespart hat. Da ist von Kostenneutralität keine Rede
mehr.

Jetzt stellt sich die Frage, wie man derartige Elemente
minimieren oder ganz ausschalten kann. Das scheint mir
einigermaßen schwierig zu sein. Tatsache ist, dass nach
dem Mengengerüst bei den CO2-Emissionen die Bun-desrepublik Deutschland die Reduktionsverpflichtungen
auch erfüllen würde, wenn wir jetzt keinen Zertifika-
tehandel einführen würden. Das bedeutet, dass wir ab
2005 eigentlich recht behutsam an den Zertifikatehandel
herangehen könnten,


(Michaele Hustedt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Tun wir doch auch!)


ohne dass wir unsere zugesagten Reduktionsverpflich-
tungen verletzen würden.

Was will ich damit sagen? Ich will damit sagen, dass
die Situation für meine Begriffe schon schwierig ist.
Denn die für Energie zuständige Kommissarin der Euro-
päischen Kommission sagte dieser Tage, dass man sehr
wohl Überlegungen anstellen muss, wenn das Kioto-
Protokoll keine völkerrechtliche Verbindlichkeit er-
langt, der Zertifikatehandel auf Europa beschränkt bleibt
und zu erwarten ist, dass die Zertifikate einen höheren
Preis haben werden. Die Kommissarin de Palacio spricht
von einem so genannten Plan B. Mich würde schon inte-
ressieren, was das bedeutet. Heißt das, dass sich die
Europäische Union von dem Ziel, die Gesamtmenge um
8 Prozent zu reduzieren, verabschiedet?


(Michaele Hustedt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die EU-Kommission hat dies entschieden zurückgewiesen! Sie machen sich jetzt zum Sprachrohr dieser falschen Position!)


– Das ist eine Äußerung aus den jüngsten Tagen von
einer für meine Begriffe wichtigen Kommissarin. Das
stellt uns vor das Problem, dass wir für die deutsche
Wirtschaft Wettbewerbsverzerrungen in Kauf nehmen
müssen. Ich bitte Sie, Herr Bundesumweltminister, das
zu verhindern.

Lassen Sie mich noch einen Punkt anschneiden, der
mir wichtig erscheint. Es zeigt sich jetzt bei der Debatte
über die Energiepolitik und die Energiewirtschaft, dass
es von größtem Nachteil ist, dass die Bundesregierung
fünf Jahre lang kein Energiekonzept vorgelegt hat.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1509410800

Herr Kollege Obermeier, erlauben Sie eine Zwischen-

frage des Kollegen Kelber?


Franz Obermeier (CSU):
Rede ID: ID1509410900

Ich kann es ihm nicht abschlagen.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1509411000

Bitte schön, Herr Kelber.

Ulrich Kelber (SPD):
Rede ID: ID1509411100

Vielen Dank, Herr Kollege. Ich möchte Sie fragen, ob

Ihnen die Studie der Dresdner Kleinwort Wasserstein be-
kannt ist. Sie haben gerade von Wettbewerbsverzerrun-
gen gesprochen und vorhin das Beispiel eines Kraft-
werks erwähnt, das vermutlich zu Eon gehört, da Sie von
Ihrem Wahlkreis gesprochen haben.

Schon auf der ersten Seite dieser Studie vom
2. Februar 2004 heißt es sinngemäß: Im Hinblick auf
den Nationalen Allokationsplan in Deutschland schätzt
man dessen Auswirkungen so ein, dass der Gewinn

(EBITDA) von Eon um 15 Prozent gegenüber der bisher

allgemein erwarteten Entwicklung ansteigen wird.


Franz Obermeier (CSU):
Rede ID: ID1509411200

Herr Kollege Kelber, ich kenne diese Studie. Im Un-

terschied zu Ihnen bin ich aber nicht so studiengläubig.
Denn ich habe schon viele Erfahrungen damit, was Wis-
senschaftler in Studien festgelegt und was Analysten ge-
sagt haben.

Schauen Sie sich an, was sich in unserem Land ab-
spielt! Ich würde Ihnen – Sie sind ja, wie Sie selber sa-
gen, auch Wissenschaftler – dringend raten, sich mit den
objektiven Zahlen der vergangenen Jahre auseinander zu
setzen und die weitere Entwicklung einigermaßen abzu-
schätzen.

Ich komme auf das Energiekonzept zurück. Wir
brauchen in der Bundesrepublik Deutschland dringend
ein Energiekonzept, um denen Planungssicherheit zu
bieten, die investieren wollen. Ich drücke mich deswe-
gen so vorsichtig aus, weil das nicht nur die Energiever-
sorgungsunternehmen betrifft, sondern auch diejenigen,
die im Bereich der erneuerbaren Energien investieren.
Auch sie müssen wissen, wie die Energiepolitik in der
Bundesrepublik Deutschland mittel- und langfristig aus-
sehen wird.

Lassen Sie mich noch etwas zu Ihrer Aussage anmer-
ken, Herr Trittin, dass die Länder eine entsprechende
Regelung blockieren. Ich habe nicht an den Beratungen
im Bundesrat und in den zuständigen Ausschüssen teil-
genommen. Aber aus dem, was mir aus den Ministerien
zugeleitet wird, schließe ich, dass ausschließlich Sie und
Ihre Mitarbeiter an dem Desaster schuld sind. Ich habe
deswegen die große Sorge, dass Sie das wichtige Anlie-
gen des Zertifikatehandels genauso vergurken wie die
Pfandpflicht im Bereich der Mehrwegregelungen und
dass Sie Ihr Vorhaben gegenüber den Ländern mit der-
selben Arroganz umsetzen, statt mit ihnen auf einen
Konsens hinzuarbeiten.

Lassen Sie mich noch etwas zu Ihren Ausführungen
sagen, Herr Kelber. Es stimmt nicht, dass seit den 80er-
Jahren in der Bundesrepublik Deutschland keine Kraft-
werke mit erheblich höheren Effizienzgraden gebaut
worden sind. Vor meiner Haustür wurden in dem Zeit-
raum, von dem Sie gesprochen haben, vier Kohlekraft-
blöcke abgebrochen und ein neuer, moderner und größe-
rer Kohlekraftblock errichtet. Später kam noch eine
große Kraft-Wärme-Kopplungsanlage für einen großen
Wärmeverbraucher hinzu. Es gab in diesem Zeitraum






(A) (C)



(B) (D)


Franz Obermeier

also durchaus zielorientierte Investitionen, die uns vor-
angebracht haben.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1509411300

Kommen Sie bitte zum Schluss, Herr Kollege.

Franz Obermeier (CSU):
Rede ID: ID1509411400

Lassen Sie mich zusammenfassen: Wir brauchen eine

vernünftige Basis für die Diskussion der Gesetze und wir
brauchen in der Bundesrepublik Deutschland ein Ener-
giekonzept, um das Thema vernünftig beurteilen zu kön-
nen. Zu beidem ist die Bundesregierung nicht in der
Lage. Deswegen sehen wir der zukünftigen Entwicklung
in der Energiewirtschaft mit großer Sorge entgegen.

Danke schön.

(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1509411500

Das Wort hat jetzt der Kollege Wilfried Schreck von

der SPD-Fraktion.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)



Wilfried Schreck (SPD):
Rede ID: ID1509411600

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit der hei-
ßen Luft, die einige der Kollegen aus der Opposition ab-
gelassen haben, hätten wir schon einen schwunghaften
Handel beginnen können.

Aber im Ernst: Es wurde über die Theorie des Klima-
schutzes und über Formalismen bei der Gesetzgebung
diskutiert. Ich denke, auf den wesentlichen Aspekt des
parlamentarischen Vorbehalts ist mein Kollege von
Weizsäcker ausführlich eingegangen. Es ist sicherlich al-
len klar geworden, dass wir diese Debatte in aller Kürze
fortsetzen werden, dass wir also noch ausreichend Gele-
genheit haben, uns hierüber auszutauschen.

Der Hintergrund der heutigen Debatte ist offenkundig
die völlig abwegige Annahme der Union, dass die Bun-
desregierung mit der Einführung des Emissionshandels
finstere Absichten zulasten des Wirtschaftsstandortes
Deutschland im Schilde führt. Darauf kann man wohl
nur kommen, wenn man glaubt, dass man aus den noch
fehlenden rund 2 Prozent Emissionsminderung bis zum
Jahr 2012 der deutschen Wirtschaft im Allgemeinen und
der deutschen Industrie im Besonderen einen Strick dre-
hen kann. Daran hat jedoch wirklich niemand ein Inte-
resse und ich bezweifle auch, dass das überhaupt mög-
lich wäre; denn bis 2012 ist die Erreichung des Kioto-
Ziels von 21 Prozent Teil des gewöhnlichen Geschäfts-
ablaufs, also das, was wir bei normaler Entwicklung von
Wachstum und Effizienz erwarten können.

Bis 2012 brauchten wir – an dieser Stelle haben die
Kritiker Recht – in Deutschland überhaupt keinen Emis-
sionshandel. Aber gerade in dieser Feststellung liegt der
springende Punkt. Wir brauchen den Emissionshandel
als ein kosteneffizientes Klimaschutzinstrument für die
Zeit nach 2012.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Das bedeutet: Wir brauchen möglichst zügig Klarheit
darüber, wohin die Reise geht, und zwar national, aber
auch international; denn es ist die internationale Di-
mension des Klimaschutzes, die das internationale In-
strument des Emissionshandels so interessant macht. Die
Auswirkungen des Emissionshandels auf die deutsche
Wirtschaft sind also in meinen Augen bis 2012 relativ
moderat.

Wichtig und entscheidend ist, möglichst noch in die-
ser Legislaturperiode eine Verständigung über die lange
Linie des Klimaschutzes – der Kollege Loske hat darauf
schon hingewiesen – zu erzielen,


(Beifall bei der SPD)

und zwar nicht nur in Deutschland, sondern auch und ge-
rade innerhalb Europas, in der EU, die zukünftig nicht
mehr 15, sondern 25 gleichberechtigte Mitglieder haben
wird. Das wird sicherlich nicht einfach sein. Dennoch ist
das von ganz grundlegender Bedeutung; denn damit
schaffen wir genau das, was die Wirtschaft, insbesondere
die Industrie, und die Verbraucher nicht ohne Grund von
uns einfordern: Klarheit über die längerfristigen Rah-
menbedingungen für Investitionen in den Energiesek-
tor. Allerdings sollte uns dabei auch bewusst sein, dass
Politik in einem liberalisierten Wettbewerbsmarkt nur
relative Planungssicherheit für überschaubare Zeiträume
schaffen kann. Alles andere wäre übrigens Planwirt-
schaft und zudem eine etwas merkwürdige Vollkaskoan-
spruchshaltung, mit der unternehmerisches Risiko mög-
lichst vollständig bei der Politik abgeladen werden soll.


(Beifall bei der SPD)

Sinnvoll kann es jedoch sein – zumindest für die Peri-
ode, die von der EU-Richtlinie abgedeckt ist, also bis
2012 –, eine klare Zielfestsetzung vorzunehmen. Damit
wäre schon ein gutes Stück Berechenbarkeit geschaffen.

Wir werden bei den anstehenden Beratungen über den
Emissionshandel darauf achten, dass ausreichende An-
reize für Investitionen, für Modernisierung und für
Wertschöpfung in Deutschland gesetzt werden. Es kann
dabei weder um Strukturbrüche noch um die Zementie-
rung des Status quo gehen. Das bedeutet auch, dass kli-
mapolitische Vorleistungen anerkannt werden müssen
und dass Effizienz zum Beispiel bei der Modernisierung
und dem Neubau von Kraftwerken belohnt und nicht ab-
gestraft wird.


(Beifall bei der SPD)

Wer eine hoch effiziente Stromproduktion betreibt, muss
besser ausgestattet werden als derjenige, der das „gol-
dene Ende“ abgeschriebener Kraftwerke hat. Es wäre
energie- und volkswirtschaftlich unsinnig, wenn die Be-
treiber neuer Anlagen Zertifikate zukaufen müssten.

Neue Anlagen stehen in erster Linie in Ostdeutsch-
land, aber nicht ausschließlich. Allerdings ist die bishe-
rige Reduktionsleistung bei den Klimagasen von rund
19 Prozent, derer wir uns im europäischen Vergleich ge-
meinsam rühmen, fast vollständig im Osten erbracht
worden, und zwar zum einen durch die schmerzliche De-
industrialisierung – übrigens, Herr Dr. Lippold, nicht nur
in der Lausitz – und zum anderen durch die Modernisie-
rung der Energiewirtschaft. Die modernsten Braunkohle-






(A) (C)



(B) (D)


Wilfried Schreck

kraftwerke der Welt kann man bei Anwendung techni-
schen und kaufmännischen Sachverstands nicht schon
wieder verbessern. Die Branche ist nach vielen schwieri-
gen Jahren endlich stabil und ein wichtiger Wirtschafts-
faktor.

Wer ernsthaft an einer Belebung des Ostens interes-
siert ist, kann den Zugpferden nicht neue Lasten aufbür-
den. Wer in den 90er-Jahren seine Anlage nach dem
Stand der Technik erneuert hat, muss bis 2012 von Zu-
käufen freigestellt werden. Dies gilt gleichermaßen für
Ost und West. Aber auch für die Industriezweige, die
Prozessenergie benötigen, wird eine angemessene Rege-
lung gefunden werden müssen, damit es zu keinen Ver-
werfungen kommt und damit Wirtschaftswachstum nicht
bestraft wird. Wenn wir den Emissionshandel unter den
Leitgedanken der Effizienz und des Anreizes von Inves-
titionen stellen, dann wird es uns gelingen, auch durch
dieses moderne und neue Instrument einen Beitrag zur
Modernisierung unserer Wirtschaft und zur Aktivie-
rung von Innovationen, also zur Gestaltung des Struktur-
wandels zu leisten.


(Beifall bei der SPD)

Auch Sie, meine Damen und Herren von der Opposition,
sind herzlich eingeladen, daran mitzuwirken.

Danke.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1509411700

Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Aus-

schusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
auf Drucksache 15/2533 zu dem Antrag der Fraktion der
CDU/CSU mit dem Titel „Nationalen Allokationsplan
als Parlamentsgesetz gestalten“. Der Ausschuss emp-
fiehlt, den Antrag auf Drucksache 15/1791 abzulehnen.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschluss-
empfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktio-
nen gegen die Stimmen der CDU/CSU-Fraktion bei Ent-
haltung der FDP-Fraktion und der fraktionslosen
Abgeordneten Petra Pau angenommen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 23 a bis 23 k sowie
die Zusatzpunkte 3 a und 3 b auf:
23 a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-

gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Siche-
rung der nachhaltigen Finanzierungsgrund-
lagen der gesetzlichen Rentenversicherung

(RV-Nachhaltigkeitsgesetz)

– Drucksachen 15/2562, 15/2591 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung (f)

Innenausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Haushaltsausschuss

b) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Neuordnung der einkommensteuerrechtlichen
Behandlung von Altersvorsorgeaufwendungen

(Alterseinkünftegesetz – AltEinkG)

– Drucksachen 15/2563, 15/2592 –
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)

Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung
Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GO

c) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neure-
gelung des Rechts der Erneuerbaren Energien
im Strombereich
– Drucksachen 15/2539, 15/2593 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

d) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes über den
Handel mit Berechtigungen zur Emission von

(Treibhausgas-Emissionshandelsgesetz – TEHG)

– Drucksache 15/2540 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f)

Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

e) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur
Vereinfachung der Wahl der Arbeitnehmer-
vertreter in den Aufsichtsrat
– Drucksache 15/2542 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit

f) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Durch-
führung einer Repräsentativstatistik über die
Bevölkerung und den Arbeitsmarkt sowie die

(Mikrozensusgesetz 2005 – MZG 2005)

– Drucksache 15/2543 –






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms

Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit

g) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu der in
Rom am 17. November 1997 angenommenen
Fassung des Internationalen Pflanzenschutz-
übereinkommens
– Drucksache 15/2544 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft (f)

Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit

h) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem
Übereinkommen vom 19. August 2002 zwischen
den Vertragsstaaten des Übereinkommens zur
Gründung einer Europäischen Weltraumorga-
nisation und der Europäischen Weltraum-
organisation über den Schutz und den
Austausch geheimhaltungsbedürftiger Infor-
mationen
– Drucksache 15/2545 –
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)

Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung

i) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umset-
zung des Beschlusses des Rates (2003/725/JI)

vom 2. Oktober 2003 zur Änderung von
Art. 40 Abs. 1 und 7 des Übereinkommens zur
Durchführung des Schengener Übereinkom-
mens vom 14. Juni 1985 betreffend den
schrittweisen Abbau der Kontrollen an den ge-
meinsamen Grenzen
– Drucksache 15/2546 –
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss (f)

Innenausschuss

j) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Pro-
tokoll Nr. 13 vom 3. Mai 2002 zur Konvention
zum Schutz der Menschenrechte und Grund-
freiheiten über die vollständige Abschaffung
der Todesstrafe
– Drucksache 15/2549 –
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss (f)

Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe

k) Beratung des Berichts des Ausschusses für Bil-
dung, Forschung und Technikfolgenabschätzung

(19. Ausschuss) gemäß § 56 a der Geschäftsord-

nung
Technikfolgenabschätzung
hier: TA-Projekt: Biometrische Identifikations-
systeme – Sachstandsbericht
– Drucksache 14/10005 –
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)

Rechtsausschuss
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung

ZP 3a)Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Durch-
führung von Verordnungen der Europäischen
Gemeinschaft auf dem Gebiet der Gentechnik
und zur Änderung der Neuartige Lebensmit-
tel- und Lebensmittelzutaten-Verordnung
– Drucksache 15/2520 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft (f)

Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Hans-
Michael Goldmann, Horst Friedrich (Bayreuth),
Dr. Max Stadler, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der FDP
Nationale Küstenwache schaffen
– Drucksache 15/2581 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (f)

Innenausschuss

Es handelt sich um Überweisungen im vereinfach-
ten Verfahren ohne Debatte.

Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu
überweisen. Die Vorlage auf Drucksache 15/2540 soll
zusätzlich an den Finanzausschuss überwiesen werden.
Zu dem Gesetzentwurf auf Drucksache 15/2520 liegt in-
zwischen auf Drucksache 15/2597 die Gegenäußerung
der Bundesregierung zu der Stellungnahme des Bundes-
rates vor, die – wie der Gesetzentwurf – überwiesen
werden soll. Die Vorlage auf Drucksache 15/2581 soll
zusätzlich an den Rechtsausschuss, an den Finanzaus-
schuss, an den Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernäh-
rung und Landwirtschaft und an den Ausschuss für die
Angelegenheiten der Europäischen Union überwiesen
werden. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall.
Dann sind die Überweisungen so beschlossen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 24 a bis 24 f auf.
Es handelt sich um die Beschlussfassung zu Vorlagen,
zu denen keine Aussprache vorgesehen ist.

Tagesordnungspunkt 24 a:
Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms

Finanzierung der Beseitigung von Rüstungsalt-
lasten in der Bundesrepublik Deutschland

(Rüstungsaltlastenfinanzierungsgesetz – RüstAltFG)

– Drucksache 15/1888 –

(Erste Beratung 75. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Haushalts-
ausschusses (8. Ausschuss)

– Drucksache 15/2434 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Steffen Kampeter
Walter Schöler
Anja Hajduk
Dr. Günter Rexrodt

Der Haushaltsausschuss empfiehlt auf Drucksache
15/2434, den Gesetzentwurf abzulehnen. Ich bitte dieje-
nigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um
das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält
sich? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung gegen
die Stimmen der CDU/CSU-Fraktion abgelehnt. Damit
entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Bera-
tung.

Tagesordnungspunkt 24 b:
Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat
eingebrachten Entwurfs eines Investitionszula-
gengesetzes 2005 (InvZulG 2005)

– Drucksache 15/2249 –

(Erste Beratung 88. Sitzung)


aa) Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzaus-
schusses (7. Ausschuss)

– Drucksache 15/2605 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Stephan Hilsberg
Manfred Kolbe

bb)Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss)

gemäß § 96 der Geschäftsordnung
– Drucksache 15/2606 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Steffen Kampeter
Walter Schöler
Antje Hermenau
Dr. Günter Rexrodt

Der Finanzausschuss empfiehlt in seiner Beschluss-
empfehlung auf Drucksache 15/2605, den Gesetzent-
wurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte
diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfas-
sung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Gegen-
stimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist in
zweiter Beratung einstimmig angenommen.

Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die zu-
stimmen wollen, sich zu erheben. – Gegenstimmen? –
Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist einstimmig ange-
nommen.

Wir kommen zu den Beschlussempfehlungen des Pe-
titionsausschusses.

Tagesordnungspunkt 24 c:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 95 zu Petitionen
– Drucksache 15/2473 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Die Sammelübersicht 95 ist einstimmig ange-
nommen.

Tagesordnungspunkt 24 d:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 96 zu Petitionen
– Drucksache 15/2474 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Die Sammelübersicht 96 ist ebenfalls ein-
stimmig angenommen.

Tagesordnungspunkt 24 e:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 97 zu Petitionen
– Drucksache 15/2475 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? –Enthal-
tungen? – Die Sammelübersicht 97 ist einstimmig ange-
nommen.

Tagesordnungspunkt 24 f:
f) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-

ausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 98 zu Petitionen
– Drucksache 15/2476 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Die Sammelübersicht 98 ist mit den Stimmen
der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der CDU/
CSU-Fraktion und der FDP-Fraktion angenommen.

Ich rufe den Zusatzpunkt 4 auf:
Wahlvorschlag der Fraktionen der SPD, der
CDU/CSU, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ-
NEN und der FDP
Wahl der Mitglieder des Parlamentarischen
Beirates für nachhaltige Entwicklung
– Drucksache 15/2586 –

Wer stimmt für den Wahlvorschlag auf Drucksache
15/2586? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der
Wahlvorschlag ist einstimmig angenommen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 6 a und 6 b sowie
Zusatzpunkt 5 auf:






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms

6 a) Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD

und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Afrika auf dem Weg zu Eigenverantwortung
und Selbstbestimmung unterstützen
– Drucksache 15/2478 –
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss (f)

Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-

(3. Ausschuss)

Büttner (Ingolstadt), Reinhold Hemker, Karin
Kortmann, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion der SPD sowie der Abgeordneten Thilo
Hoppe, Hans-Christian Ströbele, Volker Beck

(Köln), weiterer Abgeordneter und der Fraktion

des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Unterstützung von Landreformen zur Be-
kämpfung der Armut und der Hungerkrise im
südlichen Afrika
– Drucksachen 15/1307, 15/1843 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Hans Büttner (Ingolstadt)

Anke Eymer (Lübeck)

Marianne Tritz
Harald Leibrecht

ZP 5 Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Christian Ruck, Dr. Friedbert Pflüger,
Hermann Gröhe, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der CDU/CSU
Eine neue Politik für Afrika südlich der
Sahara – Afrika fordern und fördern
– Drucksache 15/2574 –
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. – Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. – Wir sollten noch einen
Moment warten, bis der Personalwechsel stattgefunden
hat.


(Dr. Uwe Küster [SPD]: Die neue Schicht ist da!)


Ich bitte Sie, sich zügig zu setzen, damit wir die Bera-
tungen fortsetzen können.

Als erste Rednerin hat die Bundesministerin
Heidemarie Wieczorek-Zeul das Wort.
Heidemarie Wieczorek-Zeul, Bundesministerin für
wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung:

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In
diesem Jahr feiern wir den zehnten Jahrestag des Endes
der Apartheid in Südafrika. Es ist den Menschen in Süd-
afrika gelungen, dieses menschenverachtende System zu
überwinden und eine offene demokratische Gesellschaft
zu schaffen. Südafrika nimmt heute eine wichtige Anker-
funktion auf diesem Kontinent wahr. Wir danken an die-
ser Stelle Nelson Mandela für seine historische Leistung.


(Beifall im ganzen Hause)

Das weit verbreitete einseitige Bild von Afrika als ei-

nem Krisenkontinent ist falsch. Beispiele wie Südafrika
oder auch andere Länder zeigen, dass Afrika kein verlo-
rener Kontinent, sondern ein Zukunftskontinent ist. Wir
dürfen die positiven Signale nicht übersehen; denn sie
sind Ausdruck einer Erneuerung in Afrika selbst.

Mit der so genannten NEPAD-Initiative, der Neuen
Partnerschaft für Afrikas Entwicklung, haben sich die
afrikanischen Regierungen zu ihrer Eigenverantwortung
und zur Bekämpfung von Korruption bekannt. Sie unter-
ziehen sich einem unabhängigen Mechanismus der ge-
genseitigen Überprüfung. Das ist ausgesprochen hilf-
reich und ebenso positiv wie der Plan zur Einrichtung
eines afrikanischen Menschenrechtsgerichtshofs.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Die Bundesregierung und wir als Entwicklungsminis-
terium unterstützen die Initiative zur Schaffung eigener
Friedenstruppen ebenso wie die NEPAD-Initiative, da-
mit die Konflikte auf diesem Kontinent auch von Afrika-
nern selbst gelöst werden können. In diesem Zusammen-
hang unterstützen wir den Aufbau von afrikanischen
Friedenstruppen in den afrikanischen Regionen und
von Peacekeeping Centern, in denen Menschen ausge-
bildet werden, die sich zum Beispiel als Menschen-
rechtsbeobachter beteiligen können. Auch das ist ein
sehr positives Zeichen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Im Moment fehlen in manchen afrikanischen Ländern
noch rechtliche und makroökonomische Voraussetzun-
gen für das notwendige Engagement der Privatwirt-
schaft. Auch deshalb ist es entscheidend, dass wir in un-
serer Entwicklungszusammenarbeit einen Schwerpunkt
auf die Förderung von guter Regierungsführung legen.
Wo ein funktionsfähiges Justizsystem existiert, wächst
die Rechtssicherheit im Land – für die Menschen, aber
auch für Investitionen. Diese Initiativen unterstützen wir.
Im Rahmen unserer Entwicklungspartnerschaften mit
der Wirtschaft fördern wir in Afrika südlich der Sahara
rund 300 solcher Initiativen für Investitionen. Das ist ein
gutes Zeichen für das Vertrauen in die afrikanischen
Länder.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Dafür haben wir ein paar Botschaften zugemacht!)







(A) (C)



(B) (D)


Bundesministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul

Positiv sind die Entwicklung und die Umsetzung von

nationalen Armutsbekämpfungsstrategien.
Dass dieser Prozess zurzeit 31 afrikanische Länder

unter Beteiligung der Zivilgesellschaften, zumal der
Frauen, umfasst, ist Ausdruck der Eigenverantwortung
dieser Partnerländer. Das sind positive Zeichen aus
Afrika. Dieser Zukunftskontinent ist und bleibt eindeuti-
ger Schwerpunkt unserer bilateralen Entwicklungszu-
sammenarbeit.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


2002 sind über 30 Prozent der gesamten Mittel unserer
öffentlichen Entwicklungszusammenarbeit nach Afrika
geflossen.

Wir unterstützen die neue Dynamik, die sich gebildet
hat. Das hat Bundeskanzler Schröder bei seiner Afrika-
reise klar und deutlich signalisiert. Das ist auch die
Kernbotschaft des Antrages der Fraktionen der SPD und
der Grünen, der Ihnen heute vorliegt. Beim Millen-
niumsgipfel im Jahr 2000 in New York hat sich die inter-
nationale Gemeinschaft ehrgeizige Ziele der Armutsbe-
kämpfung gesetzt. Das setzt zwei Dinge voraus: zum ei-
nen, dass sich in den Entwicklungsländern die
Regierungen selbst auf Armutsbekämpfung konzentrie-
ren, zum anderen aber auch, dass sie unterstützt werden.
Bei allen Schwierigkeiten im Einzelnen hat die Ver-
kopplung von Armutsbekämpfung und Entschul-
dung bis jetzt schon hervorragende Ergebnisse gebracht.
Allein für die afrikanischen Staaten wird sich die Schul-
denlast um 42,5 Milliarden US-Dollar verringern; im
Gegenzug werden Investitionen zur Bekämpfung von
Armut erwartet.

Ich will Ihnen am Beispiel Tansania aufzeigen, dass
sich das direkt auf das Leben der Menschen auswirkt.
Tansania hat von einem multilateralen Schuldenerlass in
Höhe von 3 Milliarden US-Dollar profitiert. Dadurch
wurde die Abschaffung der Grundschulgebühren
möglich. Die Anzahl der Schülerinnen und Schüler in
den Grundschulen hat sich von 800 000 vor dem Schul-
denerlass auf 1,6 Millionen heute verdoppelt. Das be-
deutet mehr Hoffnung, mehr Chancen und mehr Per-
spektiven für 1,6 Millionen Kinder. Das Gleiche gilt
– wiederum bezogen auf mein Beispiel Tansania – für
den Zugang der Menschen zu sauberem Trinkwasser.
Im Rahmen dieser Verkopplung haben wir es geschafft,
den Anteil der Bevölkerung, die Zugang zu sauberem
Trinkwasser hat, von 38 Prozent auf 68 Prozent im Jahr
2001 zu steigern; und es geht immer weiter voran. Auch
damit engagieren wir uns im Kampf gegen Tod, Krank-
heit und Armut. Das ist zugleich ein hervorragender Er-
folg der Entwicklungszusammenarbeit.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, neben den hoff-
nungsvollen Nachrichten aus Afrika wollen und dürfen
wir nicht die Länder vergessen, die von Konflikten er-
schüttert werden oder wo die Staatswesen zerfallen. Das
gilt ganz besonders für Simbabwe, wo Präsident Mugabe
das Land zugrunde richtet und den Menschen ihre Zu-
kunft nimmt.

Die Demokratische Republik Kongo ist ein Land,
das von einem afrikanischen Weltkrieg verwüstet wurde,
in dem ungefähr 3 Millionen Menschen gestorben sind.
In diesem Konflikt wurden auch systematisch die Verge-
waltigung von Frauen als so genannte Waffe benutzt.
Hierbei handelt es sich um die widerwärtigste Men-
schenrechtsverletzung, die es gibt. Sie müssen wir mit
allen Mitteln bekämpfen. Wir unterstützen mit einer Ini-
tiative der GTZ die betroffenen und traumatisierten
Frauen in dieser Region und versuchen, ihnen zu helfen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie des Abg. Arnold Vaatz [CDU/CSU])


Ich habe dem kongolesischen Präsidenten Kabila, als
er zu Besuch in der Bundesrepublik war, signalisiert,
dass wir zur Unterstützung bereit sind, aber auch klar ge-
macht, dass sich die an der Übergangsregierung Betei-
ligten ihrer Verantwortung für die Zukunft der gesamten
kongolesischen Bevölkerung bewusst sein müssen und
den Friedensprozess engagiert voranbringen müssen.

Ich habe zugesagt, dass wir die Vorbereitung der ers-
ten demokratischen Wahlen seit 40 Jahren dort unterstüt-
zen werden. Von diesen Wahlen hängt der Erfolg für das
Zusammenwachsen dieses Landes stark ab. Unsere Un-
terstützung gilt auch der Wiedereingliederung von
180 000 Ex-Kombattanten.

Das ist ein wichtiger Beitrag zum Versuch einer Ver-
söhnung und zur Konfliktprävention. Vor allen Dingen
wollen wir dazu beitragen, den unzähligen Kindersolda-
ten wieder eine Perspektive und eine Chance im zivilen
Leben zu ermöglichen, so schwierig das für sie auch
werden mag.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, zum Schluss zwei
Anmerkungen. Zunächst zum Thema Aids. Wir kennen
die schrecklichen Nachrichten, aber es gibt auch Fort-
schritte, die ich jetzt ansprechen will. Durch die Verein-
barungen im Vorfeld der Konferenz von Cancun wurde
es möglich, die Kosten für die Generika zur Behandlung
von aidsinfizierten Menschen um rund 98 Prozent zu
verringern. Ich habe auf einer Reise nach Benin feststel-
len können, dass diese verbilligten Medikamente inzwi-
schen auch eingesetzt werden. Das hat große Vorteile;
denn die Menschen lassen sich eher testen, wenn sie wis-
sen, dass die Möglichkeit zur Behandlung besteht, und
wenn sie sich testen lassen, schützen sie sich auch eher.

Zur Erinnerung: In Afrika leben 12 Millionen Aids-
waisen. Das sind so viele, wie in unserem Land Kinder
leben. Wir haben die Verpflichtung, tätig zu werden und
zu helfen. Das ist ein Schwerpunkt unserer Entwick-
lungszusammenarbeit und das zieht sich durch alle Be-
reiche unserer politischen Arbeit.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)







(A) (C)



(B) (D)


Bundesministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul

Zweite Anmerkung. Durch den Abbau von Handels-

hemmnissen und Subventionen vor allem im Agrarbe-
reich können wir dazu beitragen, dass gerechtere Han-
delsbeziehungen zwischen den Industrieländern und den
Entwicklungsländern hergestellt werden, sodass die Ent-
wicklungsländer an den Chancen durch die Globalisie-
rung teilhaben können. Lassen Sie mich, auch aus den
Erfahrungen von meiner Reise nach Benin, eines zum
Thema Baumwolle sagen. Es ist ein Skandal, dass in
den USA 25 000 große Baumwollfarmer mit 3,7 Milliar-
den US-Dollar und in der Europäischen Union, in Grie-
chenland und Spanien, kleine Baumwollfarmer mit rund
700 Millionen Euro subventioniert werden, während in
den westafrikanischen Ländern 15 Millionen Menschen
ausschließlich von der Produktion von Baumwolle ab-
hängig sind. Wenn ihnen die Industrieländer auf derart
unfaire Weise Konkurrenz machen, dann ist das ein
Skandal. Das widerspricht allen Prinzipien der interna-
tionalen Gemeinschaft.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1509411800

Frau Ministerin, erlauben Sie eine Zwischenfrage des

Herrn Kollegen Löning?
Heidemarie Wieczorek-Zeul, Bundesministerin für

wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung:
Ja, klar. – Ich weiß aber, was Sie sagen wollen; ich

wollte darauf zum Schluss zu sprechen kommen. Thema
EU?


Markus Löning (FDP):
Rede ID: ID1509411900

Sie wissen ja, dass wir Ihre Einschätzung zum Thema

Baumwolle teilen. Ich wollte Sie fragen, was die Bun-
desregierung in der EU unternommen hat, um in diesem
Bereich Fortschritte zu erzielen.

Heidemarie Wieczorek-Zeul, Bundesministerin für
wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung:

Herr Kollege Löning, ich bedanke mich für die Frage.
Wir haben das nicht abgesprochen, aber ich wollte auf
dieses Thema wirklich zum Schluss eingehen.

Die Europäische Union hat den westafrikanischen
Ländern eine Partnerschaftsinitiative unterbreitet. Teile
dieser Initiative sind gut und werden von uns unterstützt.
Sie liegen jetzt zur Beratung vor. Sie umfassen eine Un-
terstützung der Diversifizierung im Bereich des Baum-
wollsektors, wodurch vor allen Dingen verarbeitete Pro-
dukte aus den westafrikanischen Ländern nach Europa
exportiert werden können. Das ist eine wichtige Voraus-
setzung.

Zweitens hat die Europäische Kommission eine Ent-
kopplung zwischen dem Produkt Baumwolle und den
entsprechenden Subventionen vorgeschlagen. Die Ent-
kopplung von 60 Prozent reicht uns aber nicht aus. Wir
setzen uns für eine Entkopplung von 75 Prozent ein und
versuchen mit möglichst vielen Bündnispartnern zu er-
reichen, dass die Entkopplung in diesem Maße voran-
kommt.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich will nicht verhehlen, dass eigentlich 100 Prozent not-
wendig wären. Aber es gibt Länder, denen im Grunde
schon die 60 Prozent zu viel sind.

Sie sehen also, dass wir etwas voranbringen. Ohne
diese Initiative hätte es die Initiative der EU-Kommis-
sion nicht gegeben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich bedanke mich noch einmal für diese Zwischen-
frage, Herr Löning.

Zum Schluss möchte ich daran erinnern – das ist mir
bei meiner Reise nach Benin wieder bewusst
geworden –, dass ungefähr die Hälfte der Menschen, die
in Afrika südlich der Sahara leben, unter 15 Jahren sind.
Die Frage, ob diese Kinder und Jugendlichen Chancen
auf eine gute Zukunft haben, können wir mit beeinflus-
sen. Die Frage, was wir zur Entwicklung beitragen, wird
mit darüber entscheiden, ob unsere Welt in Zukunft
friedlicher wird oder ob sie von mehr Gewalt geprägt
sein wird. Wir haben es in der Hand. In diesem Sinne
sage ich: Lassen Sie es uns gemeinsam anpacken!

Danke sehr.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1509412000

Das Wort hat jetzt der Kollege Arnold Vaatz von der

CDU/CSU-Fraktion.


Arnold Vaatz (CDU):
Rede ID: ID1509412100

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Frau Ministerin, es ist ausdrücklich zu begrü-
ßen, dass der Bundeskanzler im Januar 2004 Afrika als
Feld der deutschen Außen- und Entwicklungspolitik
endlich entdeckt hat. Es ist aber bedauerlich, dass er
dazu mehr als eine Legislaturperiode gebraucht hat.

Ich finde es ein ausgesprochen wichtiges Zeichen,
Frau Wieczorek-Zeul, dass Sie vor kurzem für einige
Tage nach Benin geflogen sind und sich dort für die
Baumwollfarmer stark gemacht haben. Die EU-Proble-
matik wurde gerade schon angesprochen. Die Antwort,
die Sie auf die Zwischenfrage des Kollegen gegeben ha-
ben, lässt nur den Schluss zu, dass Sie in diesem Bereich
für die Beseitigung von Problemen kämpfen, die Sie
vorher selbst verursacht haben.


(Zurufe von der SPD: Was?)

Denn Sie haben erst im Jahre 2002 die entsprechen-

den EU-Subventionen für Griechenland und Spanien für
weitere Jahre fortgeschrieben.


(Hans Büttner [Ingolstadt] [SPD]: Die Sie eingeführt haben, mein Lieber! Wir haben uns gegen sie massiv gewehrt!)


Das haben Sie im Zusammenwirken mit unseren franzö-
sischen Freunden getan. Wenn die Gastgeber in Benin






(A) (C)



(B) (D)


Arnold Vaatz

Sie vielleicht aus Höflichkeit nicht daran erinnert haben,
dann möchten wir es jetzt tun.


(Detlef Dzembritzki [SPD]: Was wollen Sie uns damit denn eigentlich sagen?)


Ich halte es auch für sehr wichtig, Frau Wieczorek-
Zeul, dass Sie einmal die Erfolge der deutschen Ent-
wicklungshilfepolitik vorgetragen haben; denn es ist ins-
besondere für die Menschen vor Ort außerordentlich mo-
tivierend, einmal das Echo des Deutschen Bundestages
und ein Lob für ihre Arbeit von dieser Stelle aus zu hö-
ren.


(Karin Kortmann [SPD]: Das war nicht das erste Mal!)


Dafür bin ich Ihnen sehr dankbar. Es ist auch für die Le-
gitimierung der Finanzierung zukünftiger Entwicklungs-
hilfe aus dem Bundeshaushalt ausgesprochen wichtig, zu
zeigen, dass es Erfolge gibt und dass die Mittel, die wir
für diesen Zweck ausgeben werden, auch tatsächlich
positive Wirkungen zeitigen.

Frau Ministerin, allerdings ist das alles noch nicht
das, was wir unter einem schlüssigen Gesamtkonzept
verstehen. In diesem schlüssigen Gesamtkonzept müsste
berücksichtigt werden, dass sich die Lage der Entwick-
lungsländer differenziert darstellt. Das Lager der Län-
der mit Entwicklungsrückständen ist vielfältiger gewor-
den, da mittlerweile sehr unterschiedliche Probleme
auftreten. Deshalb sind unterschiedliche Strategien not-
wendig. Es muss außerdem zu einer Zusammenführung
der Außenpolitik mit anderen Politikfeldern kommen.
Ferner bedarf es einer Konzentration der Mittel auf die
Kernpunkte der Entwicklungszusammenarbeit. Dazu
hätte ich heute von Ihnen Aussagen in Bezug auf Afrika
erwartet. Aber das, was Sie vorgetragen haben, Frau Mi-
nisterin, ist mir, ehrlich gesagt, etwas zu wenig.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Ich möchte an einem Beispiel meine Vorstellungen

deutlich machen. Sie wissen, dass vor kurzem der WTO-
Gipfel in Cancun gescheitert ist. Das bedeutet aber na-
türlich nicht, dass die offenen Fragen, mit denen sich
dieser Gipfel befasst hat, weniger dringlich und weniger
lösungsbedürftig sind. Sie müssen natürlich gelöst wer-
den.

Deutschland hat ganz besonders in Afrika eine hohe
Autorität, und zwar unabhängig davon, welche Partei in
Deutschland die Regierung stellt. Den Menschen in
Afrika ist natürlich noch gegenwärtig, was vor ungefähr
zehn Jahren die Koordinierungsleistung unseres damali-
gen Umweltministers Klaus Töpfer in Rio zuwege ge-
bracht hat. Eine solche Energie für die Probleme, die in
Cancun zu lösen gewesen wären, aufzuwenden und eine
solche Koordinierungsleistung zu erbringen erwartet
man von einem der stärksten Länder Europas und der
Welt. Dies ist bis jetzt ausgeblieben.


(Beifall bei der CDU/CSU – Hans Büttner [Ingolstadt] [SPD]: Deswegen wollt ihr den Töpfer auch nicht als Bundespräsidenten!)

Man erwartet von der deutschen Regierung ein klares
und deutliches Engagement und vor allen Dingen auch
die Fähigkeit, zu koordinieren und Probleme zu lösen.
Das ist bis jetzt, wenn Sie das einmal mit dem eben zi-
tierten Beispiel vergleichen, ausgeblieben. Das sollten
Sie wissen.

Einen weiteren Punkt möchte ich nennen. In der letz-
ten Plenarwoche, glaube ich, haben wir einen interessan-
ten Beitrag des Kollegen Büttner gehört; darauf möchte
ich eingehen. Er hat uns darauf hingewiesen, wie lange
wir in Deutschland gebraucht haben, die Emanzipation
der Frau durchzusetzen. Es sei eine Überheblichkeit, zu
meinen, dass sie in den afrikanischen Staaten in zwei,
drei Jahren durchsetzbar sei. Da habe ich Sie sicher rich-
tig zitiert. Herr Kollege Büttner, ich teile diese Einschät-
zung. Ich halte dieses Argument aber für sehr gefährlich,
wenn man es über diesen Sachverhalt hinaus anwendet.
Ich will Ihnen erklären, warum.


(Karin Kortmann [SPD]: Was hat er denn dazu gesagt?)


– Natürlich hat er das nicht so gesagt. Aber ich will die
Grenzen dieses Arguments einmal beleuchten.


(Zuruf von der SPD: Er könnte ja etwas dazu gesagt haben!)


Auch in Europa ist es erst seit kurzem gelungen, ganz
andere Verhaltensweisen abzulegen. Wie Sie wissen, ist
die jüngste europäische Geschichte auch durch Diktatur,
systematische Kriegsverbrechen, Massenmord und Ähn-
liches gekennzeichnet. Genau an dieser Stelle ist es nicht
arrogant von uns, bei solchen Erscheinungen sofortigen
Einhalt zu fordern, sondern es ist eine dringende Ver-
pflichtung gegenüber den Opfern, eine unverzügliche
Einstellung zu fordern und nicht auf Geduld, Abwarten
und auf eine kulturelle Entwicklung zu setzen.


(Zurufe von der SPD: Ja!)

Das ist die Aufgabe, die wir haben. Das geschieht, ver-
ehrter Herr Büttner, meines Erachtens nicht mit ausrei-
chendem Nachdruck.

Wir sind überhaupt bei der sprachlichen Identifikation
der Probleme Afrikas nicht genügend stringent. Ich will
Ihnen ein Beispiel nennen: Sie kennen vielleicht das
Buch von Bartholomäus Grill: „Ach, Afrika“.


(Hans Büttner [Ingolstadt] [SPD]: Meinen Sie das hier? – Gegenruf des Abg. Ulrich Heinrich [FDP]: Er hat es schon mitgebracht! Ist das abgesprochen?)


In dem Buch „Ach, Afrika“ unterscheidet Bartholomäus
Grill zwischen exogenen und endogenen Ursachen der
Probleme in Afrika. Wir in Deutschland bzw. in ganz
Westeuropa sind viel zu stark darauf fixiert, die exoge-
nen Probleme und Einwirkungen, die zu Notständen in
Afrika geführt haben – dazu gehören der Kolonialismus
und die Globalisierung; beides hat fraglos Wirkungen –,
politisch zu behandeln. Wir müssen aber allmählich we-
sentlich deutlicher auf die endogenen Fragen zu spre-
chen kommen. Eine solche Herangehensweise, wie Sie
sie in der letzten Sitzungswoche vorgetragen haben, hin-






(A) (C)



(B) (D)


Arnold Vaatz

dert uns daran natürlich erheblich – und dies schon bei
der Identifikation der Sachverhalte. Diese Einstellung
müssen wir meines Erachtens ablegen, wenn wir wirk-
lich zu den Kernpunkten vorstoßen wollen, bei denen
Hilfe nötig und erforderlich ist.

Ich möchte noch eine Bemerkung zu Simbabwe ma-
chen; das ist eben auch von der Frau Ministerin ange-
sprochen worden. Ich finde es richtig und gut, dass der
Bundeskanzler dieses Problem in Südafrika angespro-
chen hat. Ich finde es weniger gut, dass er die Möglich-
keit nicht genutzt hat, in Südafrika selbst mit Vertretern
der simbabwischen Opposition zu sprechen. Das wäre
ein Signal gewesen, das diese Menschen, die einen für
unsere Verhältnisse nahezu nicht nachvollziehbaren Mut
aufbringen, weiter ermutigt hätte, ihre gegenwärtige
Haltung durchzuhalten und sich von dem System nicht
unterkriegen zu lassen. Das ist leider ausgeblieben.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich bin froh, dass es ein großes Thema beim Gespräch

zwischen dem Bundeskanzler und dem südafrikanischen
Präsidenten Mbeki war. Im Nachhinein ist jedoch zu
konstatieren: Mbeki hat seine Politik gegenüber Sim-
babwe bis jetzt trotz der Einwirkung von Bundeskanzler
Schröder nicht geändert.


(Hans Büttner [Ingolstadt] [SPD]: Das wissen Sie doch gar nicht!)


Es sind keinerlei Anzeichen dafür zu erkennen. Die In-
formationen, die uns darüber vorliegen, stammen aus
Gesprächen mit Oppositionellen aus Südafrika und aus
Simbabwe. Erst gestern haben wir ein derartiges Ge-
spräch geführt, darin wurde genau dieser Sachverhalt in
aller Deutlichkeit festgestellt.

Ich erwarte von der Bundesrepublik Deutschland,
dass sie ihre Autorität in die Waagschale wirft und dafür
sorgt, dass in Südafrika verstanden wird, dass die deut-
sche Politik daran interessiert ist, die Katastrophe in
Simbabwe zu beenden, bevor es notwendig wird, dort
mit Friedenstruppen einzugreifen.


(Marianne Tritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wird doch an jeder Stelle von der Bundesregierung gesagt! Was ist das denn für ein Vorwurf? Das ist absurd! – Dr. Uwe Küster [SPD]: Er baut einen Popanz auf!)


Ich erwarte ferner, dass die Bundesrepublik Deutschland
der Republik Südafrika erklärt, dass das große Ansehen,
das durch Nelson Mandela und die Entwicklung in Süd-
afrika nach dem Ende der Apartheid erworben wurde,
auf dem Spielt steht, wenn sich Südafrika als Schutz-
macht von Herrn Mugabe erweisen sollte. Dies ist leider
ausgeblieben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Marianne Tritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist das Hauptgesprächsthema! – Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie können Sie so einen Unsinn behaupten! – Dr. Uwe Küster [SPD]: Diese Rede ist peinlich!)

– Ich kann Ihnen das Zitat von Herrn Mbeki gern vortra-
gen, wenn Sie mir nicht glauben.

Herr Mbeki ist der Einzige gewesen, der mit harschen
Worten kritisiert hat, dass die Mitgliedschaft Simbabwes
im Commonwealth of Nations – das ist aus meiner Sicht
völlig berechtigt – für weitere Zeit suspendiert worden
ist. Diese Kritik hat er in Worte gefasst, die meines Er-
achtens nicht tolerierbar sind.


(Dr. Uwe Küster [SPD]: Mangelnde Kenntnisse und mangelnde Rede!)


Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1509412200

Das Wort hat Frau Dr. Uschi Eid.

Dr
Ursula Eid-Simon (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1509412300


Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Vor
fast drei Wochen haben sich in der ruandischen Haupt-
stadt Kigali elf afrikanische Staats- und Regierungschefs
getroffen, um den Startschuss für einen bisher einmali-
gen Prozess gegenseitiger Bewertung zu geben. Vor
fünf Jahren wäre es noch völlig undenkbar gewesen,
dass afrikanische Politiker einwilligen, ihre Kollegen
einzuladen und ihre Politik gegenseitig zu überprüfen.
16 Politiker haben sich hierzu bislang verpflichtet.

Die gegenseitige Beurteilung soll Aufschluss über
Fortschritte und Hemmnisse auf dem Weg hin zu Demo-
kratie und Wohlstand geben. Sie soll Schwächen, aber
auch Stärken der eigenen Politik identifizieren und somit
den anderen, den Nachbarn, die Möglichkeit geben, da-
raus zu lernen. Ghana, Kenia, Mauritius und Ruanda
– Ruanda ist ein Land, das vor fast zehn Jahren einen
ganz furchtbaren Völkermord erlebte – werden noch in
diesem Jahr diesen Prozess durchlaufen.

Die so genannte neue Partnerschaft für Afrikas Ent-
wicklung, NEPAD, also die Reformagenda afrikanischer
Politiker, hat dieses neue Denken ausgelöst. NEPAD ist
aus Sicht der Bundesregierung eine wegweisende Strate-
gie für die Entwicklung Afrikas und genau deswegen un-
terstützen wir sie.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Viele meinen, dass wir, wenn wir diese Strategie eu-
phorisch unterstützen, die zahlreichen Probleme auf die-
sem Kontinent leugnen. Das ist nicht der Fall. In vielen
Teilen Afrikas müssen wir das Auseinanderbrechen von
Staaten beklagen, häufig begleitet durch gewalttätige
Konflikte oder Bürgerkriege. Wir kennen die verheeren-
den Auswirkungen von Aids und die Defizite im Bil-
dungs- und Gesundheitswesen. Klientelismus und Kor-
ruption verhindern produktives Wachstum.

Doch gerade weil es diese Probleme gibt, müssen wir
diejenigen in Afrika unterstützen, die genau diese Mi-
sere beenden wollen. Herr Vaatz, ich halte nichts davon,






(A) (C)



(B) (D)


Parl. Staatssekretärin Dr. Uschi Eid

dass wir die Verantwortung übernehmen; vielmehr geht
es darum, die Reformer in Afrika zu stärken. Deshalb
hilft die Bundesrepublik Deutschland, den beeindru-
ckenden Reformwillen in Afrika zu unterstützen.

Den gibt es trotz Simbabwe. Natürlich gibt es Sim-
babwe, aber Simbabwe steht nicht stellvertretend für den
gesamten Kontinent.

NEPAD und die Neugründung der Afrikanischen
Union sind Ausdruck dieses neuen Denkens. Die Refor-
mer übernehmen Eigenverantwortung für ihre Fehler.
Sie unternehmen eigenverantwortliche Schritte zu not-
wendigen Problemlösungen. Südafrikas und Ghanas
Rolle in der Vermittlung von Friedensprozessen können
wir doch nicht übersehen.

Afrika zeigt ein neu erwachtes Selbstbewusstsein als
Kontinent, der etwas zu bieten hat. Afrika ist reich an
Rohstoffen. Ohne dessen kulturellen Einfluss sind un-
sere moderne Musik, unsere Malerei und unsere Museen
überhaupt nicht denkbar.

Afrika will nicht mehr der internationale Sozialhilfe-
fall sein. Afrika will ein starker, attraktiver Wirtschafts-
standort werden. Angesichts der Probleme Afrikas hört
sich das traumwandlerisch an. Doch die Bundesregie-
rung nimmt die afrikanischen Reformer ernst. Wir haben
die Bedeutung dieser politischen Dynamik früh erkannt
und sie konsequent umgesetzt.

Der Bundeskanzler hat zusammen mit den anderen
G-8-Staats- und -Regierungschefs bereits 2001 in Genua
NEPAD Unterstützung zugesagt. Herr Vaatz, ich bitte
Sie: Nehmen Sie zur Kenntnis, dass der Bundeskanzler
nicht erst im Januar 2004 Afrika entdeckt hat. Er hat spä-
testens auf dem G-8-Gipfel in Genua mit den afrikani-
schen Staatschefs über ihre neue Reformstrategie disku-
tiert, sie für gut befunden und Unterstützung zugesagt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


2002 wurde in Kananaskis der G-8-Afrika-Aktionsplan
verabschiedet. Er legt die konkrete Unterstützung der
afrikanischen Reformschritte systematisch fest. Der Ak-
tionsplan wurde in einem intensiven Dialog zwischen
den G-8-Afrika-Beauftragten und den NEPAD-Vertre-
tern ausgearbeitet. Ich war im Laufe eines Jahres neun-
mal mit afrikanischen Kollegen zusammen, um diesen
Plan auszuarbeiten.

Dieser Plan setzt inhaltliche Prioritäten, die für die Ent-
wicklung Afrikas zentral sind. Es geht um die Förderung
von afrikanischen Eigenanstrengungen bei Konfliktver-
hütung und -bewältigung, von verantwortungsvoller, ent-
wicklungsorientierter Innenpolitik, von wirtschafts- und
investitionsfreundlichen staatlichen Rahmenbedingun-
gen, von Handel und Wirtschaftswachstum, von Bildung
und Kampf gegen Aids, des Wassersektors und der Land-
wirtschaft und um Entschuldung. Dies sind Prioritäten,
die die Agenda von NEPAD widerspiegeln.

Der G-8-Afrika-Aktionsplan bildet einen wichtigen
Orientierungsrahmen für die Afrikapolitik der Bundesre-
gierung. Deshalb haben wir begonnen, unsere Unterstüt-
zung für Afrika entsprechend neu zu gewichten. Das
Auswärtige Amt hat für die fünf Regionen Afrikas Stra-
tegien entworfen, die nicht nur die Probleme, sondern
auch die deutschen Interessen und die Ziele sowie die
Umsetzungsmöglichkeiten analysieren. Der Kollege
Volmer hat dies in der letzten Legislaturperiode feder-
führend eingeleitet.

Das BMZ hat seinerseits mit einem Positionspapier
zur Entwicklungszusammenarbeit mit Subsahara-Afrika
auf die von mir skizzierte neue politische Dynamik in
Afrika reagiert. Auch die Ministerin hat also sofort auf
diese Dynamik in Afrika reagiert.

Der Bundeskanzler hat den politischen Aufbruch auf
dem afrikanischen Kontinent mit seiner jüngsten Afrika-
reise sichtbar unterstützt. Davor taten dies der Außenmi-
nister und die Entwicklungsministerin. Ich bin dankbar,
dass Bundespräsident Rau in zwei Wochen noch einmal
nach Afrika reist und eines der aktivsten NEPAD-
Länder, nämlich Nigeria, besucht und damit Präsident
Obasanjo den Rücken stärkt. Er hat es in seinem eigenen
Land wahrlich nicht einfach.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Deswegen ist dies ein wichtiges Signal, mit dem wir ihn
als einen wichtigen Reformer auf dem afrikanischen
Kontinent stärken können.

All das ist nicht nur im Interesse Afrikas – das muss
uns klar sein –, sondern auch in unserem Eigeninteresse.
Denn die Entwicklung Afrikas ist für Europa und für
Deutschland wichtig. Wenn auf unserem Nachbarkonti-
nent Aids nicht eingedämmt wird, wenn Konflikte nicht
gemindert werden und Fundamentalismus und Terroris-
mus aufeinander treffen, dann schlägt dies auch auf
Europa zurück.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Wenn wir die Mobilisierung des Entwicklungspoten-
zials in Afrika zur Wohlstandsmehrung und für demo-
kratische Stabilisierung unterstützen können, gewinnen
wir alle: durch mehr internationale Stabilität und Si-
cherheit, aber auch durch wachsende wirtschaftliche
Chancen. Deshalb ist es wichtig, dass sich Deutschland
seinem europäischen Nachbarkontinent zuwendet, von
dem uns bei Gibraltar nur 14 Kilometer trennen.

Wie setzt die Bundesregierung den G-8-Afrika-Ak-
tionsplan um? Lassen Sie mich das anhand nur weniger
Beispiele aufzeigen. Wie stärken wir Frieden und Si-
cherheit? Diese Frage wird im ersten Kapitel des
NEPAD-Dokuments und des G-8-Afrika-Aktionsplans
behandelt. Denn in Afrika heißt es zu Recht: Ohne Frie-
den keine Entwicklung. Was tun wir also? Auf dem G-8-
Gipfel, der im Juni letzten Jahres in Evian stattfand,
wurde ein gemeinsam mit den afrikanischen Partnern er-
arbeiteter Plan zur Förderung der Fähigkeiten Afrikas
zur Durchführung von Friedensmissionen verabschie-
det. Wir alle wissen: Konflikte können letztlich nur von
den betroffenen Gesellschaften selbst bewältigt werden.
Daher hat sich Deutschland maßgeblich für die gemein-
same Afrika-G-8-Friedensinitiative eingesetzt. Ihr Ziel






(A) (C)



(B) (D)


Parl. Staatssekretärin Dr. Uschi Eid

ist es, die afrikanischen Staaten bis zum Jahr 2010 zu be-
fähigen, selbst effektive Friedenseinsätze durchzufüh-
ren.

An dieser Stelle möchte ich eines ausdrücklich be-
tonen: Trotz dieser gemeinsamen Anstrengungen zur
Stärkung eigener Friedensmissionen Afrikas wäre es
eine Illusion, zu glauben, dass bis dahin und möglicher-
weise auch darüber hinaus in akuten Konflikten wie un-
längst im Kongo oder in Liberia keine Interventionen der
internationalen Gemeinschaft mehr notwendig wären.
Die Unterstützung der Bundeswehr, zum Beispiel durch
den Artemis-Einsatz im Kongo, ist ein deutliches Zei-
chen dafür, dass wir – wie es Bundesverteidigungsminis-
ter Struck am letzten Wochenende meiner ganz persönli-
chen Meinung nach richtigerweise gefordert hat – unsere
Verantwortung gegenüber Afrika auch in Extremsitua-
tionen wahrnehmen.

Um kein Missverständnis aufkommen zu lassen, sage
ich: Konfliktprävention und ziviles Konfliktmanagement
sind für uns das A und O. Im Rahmen der G-8-Afrikapo-
litik besteht Deutschlands Beitrag insbesondere in der
Stärkung der zivilen Komponente. Dies tun wir bereits,
zum Beispiel mit der Förderung des Kofi-Annan-Frie-
densausbildungszentrums in Ghana. Dieses Ausbil-
dungszentrum, das aus Mitteln des Auswärtigen Amtes
erbaut wurde, hat der Bundeskanzler kürzlich auf seiner
Afrikareise eröffnet. Die Entwicklung entsprechender
Lehrpläne für die Ausbildung ziviler Friedensfachkräfte
und die Durchführung der Kurse werden aus Mitteln des
BMZ finanziert. Die Beraterleistung vor Ort stellt das
Verteidigungsministerium. Das ist ein wahrhaft gutes
Beispiel für kohärente, präventive Friedenspolitik.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN und der SPD)


Unsere Initiative „Wasser teilen – Konflikte in Afrika
vermeiden“ bildet eine weitere friedenspolitische Säule.
Wasser ist für die Entwicklungschancen jedes Landes
von zentraler Bedeutung. Deshalb ist die Frage der Ver-
teilungsgerechtigkeit eine Frage von Frieden und Sicher-
heit, insbesondere auf dem afrikanischen Kontinent, wo
59 Flüsse von mehr als einem Staat genutzt werden. Un-
sere Maßnahmen zielen auf die friedliche, grenzüber-
schreitende Nutzung des Wassers im Einzugsgebiet der
großen afrikanischen Flüsse. Die aktuellen Auseinander-
setzungen um den Nil zeigen, wie drängend dieses
Thema ist.

Vertrauensbildende Maßnahmen zwischen Nachbar-
ländern unterstützen wir auch mit der Kongobecken-
Waldinitiative. Ihr Anliegen ist es, eine gemeinsame,
nachhaltige Forstpolitik der sechs Kongobeckenländer
zu entwickeln, um damit das größte Tropenwaldgebiet in
Zentralafrika zu retten, und zwar jenseits der Frage, wie
das Verhältnis zwischen den jeweiligen Nachbarländern
ist.

Aus Zeitgründen ist es mir nicht möglich, noch mehr
über die Umsetzung des Aktionsplanes zu berichten.
Aber ich glaube, die Ministerin hat sehr eindrucksvoll
dargestellt, was in diesem Bereich alles getan wird. Herr
Präsident, es war mir wichtig, die Umrisse der Afrikapo-
litik der Bundesregierung aufzuzeigen, um klar zu ma-
chen, dass es sich hierbei nicht um eine Entwicklungs-
hilfekooperation mit Afrika handelt, Herr Vaatz.


(Dr. Ludger Volmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau! Das ist es!)


Das Konzept der Afrikapolitik der Bundesregierung be-
steht in einem Zusammenspiel von Außen-, Sicherheits-,
Entwicklungs-, Umwelt- und Außenwirtschaftspolitik.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


Sie ist eine der wichtigsten Säulen im Rahmen der G-8-
Afrikapolitik. Sie ist nicht nur bilateral, sondern sogar
international abgestimmt und stellt einen wesentlichen
Bestandteil der Afrikapolitik der wichtigsten Industrie-
nationen dieser Erde dar.

Zum Schluss: Wir haben beim G-8-Gipfel im nächs-
ten Jahr wieder Afrika auf der Tagesordnung. Vielleicht
wäre dies ein guter Anlass, Herr Präsident, dem Hohen
Hause über die weitere Umsetzung des G-8-Afrika-Ak-
tionsplanes wieder Bericht zu erstatten. Den ersten Be-
richt, den der Bundeskanzler hat drucken lassen, darf ich
Ihnen überreichen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1509412400

Vielen Dank.
Als nächster Redner hat das Wort der Kollege Ulrich

Heinrich, FDP-Fraktion.


Ulrich Heinrich (FDP):
Rede ID: ID1509412500

Herr Präsident! Meine Kolleginnen und Kollegen!

Als Freund Afrikas begrüße ich außerordentlich, dass
mit dieser Debatte das politische und das öffentliche In-
teresse wieder auf diesen ach so geschundenen Konti-
nent gelenkt wird. Wir beobachten mit großer Aufmerk-
samkeit und fördern mit Kräften, was die Afrikaner
selber tun, bei der Afrikanischen Union, bei der NEPAD,
im Peer-Review-Prozess. Wir sind der Meinung: Nur
Afrika kann sich selbst helfen. Wir können dabei zwar
mithelfen, aber Afrika muss seine eigenen Positionen al-
lein finden. Nur so kann es Erfolg haben.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir haben eine Bilanz der Afrikapolitik der Bundes-
regierung zu ziehen, auch bezüglich des hohen finan-
ziellen Aufwandes. Wir müssen schauen: Was ist ange-
kommen, wie haben wir gearbeitet und wo müssen wir
umsteuern? Bei dieser Bilanz müssen wir zunächst ein-
mal die Situation in Afrika selber beurteilen. Hier kom-
men wir – trotz allem eigenen Bemühen, das ich gerade
unterstrichen habe – zu dem Resümee, dass Subsahara-
Afrika – bis auf wenige Ausnahmen – aus ausgesprochen
schwachen Staaten besteht. Die Schwäche der Staaten
führt zum Staatszerfall, wie wir ihn zum Beispiel in So-
malia zu beklagen haben. Die Schwäche der Staaten führt
natürlich ferner dazu, dass die Armut nicht erfolgreich






(A) (C)



(B) (D)


Ulrich Heinrich

bekämpft werden kann. Alle Maßnahmen führen zu
nichts, wenn der Staat selber nicht stark genug ist, die
entsprechenden Strukturen mit aufrechtzuerhalten und
mit zu begleiten; das gehört unmittelbar zusammen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir müssen feststellen: Konflikte größeren Ausmaßes
in Afrika sind nach wie vor an der Tagesordnung. Rund
zwölf Kriege werden derzeit auf diesem Kontinent ge-
führt, die kleineren Konflikte habe ich dabei überhaupt
nicht mitgezählt. Es sind zu nennen: Westafrika, die
Große-Seen-Regionen, das Horn. All diese Regionen
sind ausgesprochen instabil, was dazu führt, dass sich
Wachstum und Wohlstand nicht entwickeln können und
dass die Armut nicht bekämpft werden kann. Ein weite-
rer großer Bereich, der in unserer Politik behandelt wer-
den muss, ist HIV/Aids, diese große Geißel der Mensch-
heit. Von weltweit 34 Millionen HIV-Infizierten leben
24 Millionen in Afrika. Diese Zahl ist sehr deutlich.

Wie haben wir die derzeitige Politik der Regierung zu
bewerten? Vor dem Hintergrund der von mir genannten
Herausforderungen müssen wir sagen: Die Bundesregie-
rung reagiert sehr unzureichend auf sie. Für die Bundes-
regierung stehen Projektorientierung und starre Budget-
richtlinien nach wie vor im Vordergrund. Eine große
Zahl von Projekten wird häufig – leider Gottes – ohne
Beachtung des Prinzips der Nachhaltigkeit betrieben.
Wir müssen nach wie vor feststellen, dass die Bekämp-
fung von HIV/Aids nicht ausreichend gefördert wird.
Die Koordination der deutschen Durchführungsorgani-
sationen vor Ort ist mangelhaft. Auch die Koordination
der Geberstaaten ist mangelhaft.

Wir stellen fest: Bei einer fehlenden Gesamtstrategie
müssen die immer knapper werdenden Mittel, die wir
auch in diesem Fall zu registrieren haben, effektiver ein-
gesetzt werden.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Wie sieht der liberale Weg aus? Wir dürfen nicht

mehr den Entwicklungen hinterherlaufen, sondern
müssen selber die Richtung bestimmen. Unser Haupt-
augenmerk in der Entwicklungspolitik muss auf ein
funktionierendes Staatswesen gerichtet sein. Good
Governance und die Herstellung oder Förderung staatli-
cher Leistungsfähigkeit und staatlicher Institutionen
durch Regierungsberatung müssen hier im Vordergrund
stehen. Dazu gehören die Reformen des Sicherheits-
sektors. Die Rechtssicherheit muss hergestellt werden.
Wir brauchen unabhängige Gerichte und eine Verbesse-
rung des Steuersystems, Rechnungshöfe müssen einge-
richtet werden. Wir brauchen Korruptionsbekämpfung,
die Unterstützung von Sektorvorhaben und Basketfinan-
zierung.


(Vorsitz: Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner)


Wir müssen dazu beitragen, dass den Staaten, die
selbst nicht in der Lage sind, Konflikte gewaltfrei auszu-
tragen, die Befähigung dazu gegeben wird. Einige Posi-
tionen sind hier bereits positiv angemerkt worden. Das
Kofi-Annan-Center ist hierzu ein wichtiger Beitrag,
reicht aber bei weitem nicht aus. Nachhaltige
Entwicklung – das möchte ich hier noch einmal ganz
deutlich machen – ist nur mit einigermaßen stabilen
Staaten zu erreichen. Wir brauchen für jeden Staat einen
Masterplan, der uns in die Lage versetzt, Schwerpunkte
richtig zu setzen, um unsere Hilfe dann auch strategisch
richtig einsetzen zu können.

Wir brauchen eine klare Koordinierung der Geber,
inklusive der EU; die Geber müssen in den Dialog mit
den Regierungen der afrikanischen Staaten eingebunden
werden. Da gibt es derzeit ein riesiges Defizit.


(Dr. Werner Hoyer [FDP]: Da ist noch viel zu tun!)


Bei der Koordinationsarbeit ist es auch von großem
Nachteil, dass die Bundesregierung mit zwei Häusern
vertreten ist. Wir setzen uns deshalb nachdrücklich dafür
ein, dass das Ministerium für wirtschaftliche Zusam-
menarbeit und Entwicklung und das Auswärtige Amt zu-
sammengelegt werden.


(Beifall bei der FDP)

Auf meinen Reisen erlebe ich immer wieder, dass

deutsche Entwicklungspolitik vor Ort nicht verstanden
wird;


(Brigitte Wimmer [Karlsruhe] [SPD]: Das ist doch nicht wahr!)


denn die Menschen wissen nicht, an wen sie sich zu
wenden haben, weil ihnen ein ganzer Strauß von Ange-
boten überreicht wird. Das sind Aussagen von Mitglie-
dern der Organisationen vor Ort.

Ich sage zum Schluss noch einmal ganz deutlich: Wir
Liberale stehen auch dem Gedanken einer Entkopplung
von unternehmerischen Interessen und Durchführungs-
auftrag bei GTZ und KfW nahe. Hier müssen wir einen
Schritt weiterkommen.


Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1509412600

Herr Kollege, Ihre Redezeit ist überschritten.


Ulrich Heinrich (FDP):
Rede ID: ID1509412700

Wir halten auch sehr viel von einer Lösung, die das

bestehende Monopol auflöst und die Konkurrenz mit an-
deren Wettbewerbern aufnehmen muss.

Lassen Sie mich zusammenfassend zum Schluss
sagen – –


Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1509412800

Nein, Herr Kollege.


Ulrich Heinrich (FDP):
Rede ID: ID1509412900

Lassen Sie mich den letzten Satz noch sagen. – Wir

wollen, dass wir neben der finanziellen und der techni-
schen Zusammenarbeit auch eine politische Zusam-
menarbeit, eine PZ, mit einer eigenständigen Budgetie-
rung bekommen, sodass wir stärker zur Stabilisierung
von Staaten beitragen können. In diesem Sinne hoffe ich,






(A) (C)



(B) (D)


Ulrich Heinrich

dass die Afrikapolitik in Zukunft auf einem besseren
Weg ist.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1509413000

Nächster Redner ist der Kollege Hans Büttner, SPD-

Fraktion.

Hans Büttner (SPD):
Rede ID: ID1509413100

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! In

der Tat, diese Afrikadebatte stößt auf großes öffentliches
Interesse, vor allem auch unserer afrikanischen Freunde
und Kollegen. Ich darf hier die Vertreter der Botschaften
herzlich begrüßen, die dieser Debatte folgen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Herr Vaatz und Herr Heinrich, gestatten Sie mir zwei
kurze Einwände auf Ihre Hinweise. Sicherlich ist es rich-
tig, dass man nicht alles nur aus der Geschichte erklären
und erläutern darf. Nur, ohne Kenntnis der Geschichte,
ohne Wahrnehmung dessen, was einmal war, kommt
man sehr schnell ins Schleudern oder lässt sich dazu ver-
leiten, Forderungen aufzustellen, die wieder sehr stark
an das erinnern, was europäische und selbst deutsche
Kolonialgeschichte ausgemacht hat.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich will Ihnen durch zwei Zitate einen Rückblick auf
die Entwicklung Afrikas – auch auf die positiven Ent-
wicklungen – geben.

Der Direktor der Deutschen Afrikagesellschaft, der
für das Kolonialamt für Afrika zuständig war, hat 1906,
nachdem das Deutsche Reich durch seine sehr men-
schenunwürdige Kolonialpolitik sehr große Defizite er-
wirtschaftet hatte, erklärt, man brauche ein Umdenken:
„Hat man früher mit Zerstörungsmitteln kolonialisiert,
so kann man heute mit Erhaltungsmitteln kolonialisie-
ren. Dazu gehören der Missionar, der Arzt, die Eisen-
bahn und die Maschine, also die fortgeschrittenen
theoretischen und angewandten Erkenntnisse der Wis-
senschaft auf allen Gebieten. Dadurch kann man mehr
aus den Ländern herausholen, als wenn man sie unter-
drückt.“ Das hat übrigens auch Cäsar schon einmal ge-
sagt. So viel dazu.

Genau diese Aussage hat auch Harold Macmillan ge-
macht, als er die englischen Kolonien 1960 und 1964 in
die Unabhängigkeit entlassen hat. Er hat immer erklärt:
Wenn wir sie in die Unabhängigkeit entlassen, sie aber
nach wie vor an uns binden, dann werden wir genauso
viele Profite haben wie vorher. Das war damals die Phi-
losophie in Bezug auf die Unabhängigkeit, die im Ost-
West-Konflikt noch verstärkt worden ist. Herr Vaatz, ich
habe darauf hingewiesen, weil diese Erkenntnis für die
neue afrikanische Elite Auslöser dafür war, zu erkennen
– das galt zuerst für Thabo Mbeki und sein Konzept der
„African Renaissance“ –, dass man sich auf seine eige-
nen Fähigkeiten und Stärken zurückbesinnen und dafür
sorgen muss, dass Afrika in seinem Handeln und mit sei-
ner Wirtschaft nicht länger als einzige Entwicklungsre-
gion ausschließlich von den früheren Kolonialmächten
abhängig ist.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Heute finden immer noch 80 Prozent des Handels der
afrikanischen Länder mit den ehemaligen Koloniallän-
dern statt. Nur 20 Prozent verbleiben dem innerafrikani-
schen Handel. Es gibt keine Region auf der Welt, in der
es ein solches Ungleichgewicht gibt, das zu der entspre-
chenden Vernachlässigung und Erschwerung der Ent-
wicklung führt. Das hat dazu geführt, dass es in Afrika
auch in den Jahren nach der Unabhängigkeit zu keinerlei
Wirtschaftswachstum gekommen ist, während die Be-
völkerung gleichzeitig enorm zugenommen hat. Das war
die Ursache für die Verarmung. Es ist die Absicht des
„African Renaissance“-Konzepts und der NEPAD-Ini-
tiative, dies umzukehren und dort eine Infrastruktur zu
schaffen, die den innerafrikanischen Handel stärkt.

Seit einigen Jahren wird das Ziel, dies in einer koope-
rativen, technischen und sicherheitspolitischen Zusam-
menarbeit innerhalb Afrikas umzusetzen, von den Re-
gierungen und ihren Parlamenten, die sich zunehmend in
sehr positiver Weise beteiligen, vorangetrieben. Man
muss mit Straßen und Schienen innerhalb des südli-
chen und westlichen Afrikas dafür sorgen, dass unterein-
ander Handel getrieben werden kann. Wenn man von
Südafrika oder Äthiopien nach Nigeria fliegen will, dann
darf man nicht erst über London oder Johannesburg flie-
gen müssen. Es ist erkannt worden, dass diese Ziele und
Aufgaben, die Voraussetzung für eine Entwicklung in
Afrika sind, angegangen werden müssen.

Ich freue mich, dass die Bundesregierung mit ihrer
Politik auf diese neue Zielsetzung konsequent und sofort
eingegangen ist. Sie ist von ihrer ursprünglichen Aus-
sage abgekommen, nach der der alte Weg, in den einzel-
nen Ländern zu helfen, weiterhin beschritten werden
soll. Das war gut, es ist humanistisch und richtig. Das
musste man tun. Sie hat aber erkannt, dass man hier ko-
operieren und koordinieren muss, und sie hat das schon
kurz nach der Regierungsübernahme mit Blickrichtung
auf die G 8 und die EU in Angriff genommen.

Wir alle wissen, dass das nicht von heute auf morgen
geht. Seit 20, 30 Jahren reden wir über eine Änderung
des Länderfinanzausgleichs und eine Änderung der Ko-
operation der Länder untereinander. Auch das geht na-
türlich nicht von heute auf morgen. Das gilt auch für
Maßnahmen innerhalb der EU. Wir beklagen uns ja häu-
fig darüber, wie schwerfällig der Apparat ist.

In unserer nationalen Entwicklungspolitik konzen-
trieren wir uns inzwischen auf die Entwicklung, die
Armutsbekämpfung, die Wasserversorgung. In der
EU-Entwicklungspolitik müssen wir uns auf die Schaf-
fung von Infrastruktur, nämlich auf den Bau von Stra-
ßen, auf den Verkehr usw. konzentrieren. Dies sind Vo-
raussetzungen für die Zusammenarbeit in diesem Be-
reich. Es ist völlig klar, dass man hier immer noch besser






(A) (C)



(B) (D)


Hans Büttner (Ingolstadt)


werden kann. Wichtig ist aber, dass es sofort und nicht
erst fünf oder zehn Jahre später in Gang gekommen ist.

Daneben haben wir die Initiativen der Afrikaner
unterstützt, bei denen es um die Herstellung von Sicher-
heit geht.

Ich habe es in böser Erinnerung – das schmerzt mich
heute noch –: 1992 hat mein Kollege Werner Schuster,
der leider viel zu früh gestorben ist, in Bonn einen An-
trag eingebracht, nachdem er aus Ruanda und Burundi
zurückgekommen war.

Er hat erklärt: Wenn wir nicht bereit sind, die Afrika-
ner, die eine Friedenstruppe nach Ruanda und Burundi
schicken wollten, um einen Völkermord zu verhindern,
mit 20 Millionen DM zu unterstützen – dies war die For-
derung des Antrags –, dann wird es dort einen Völker-
mord geben. Dieser Antrag wurde damals mit der Mehr-
heit der Regierungsfraktionen abgelehnt. Zwei Jahre
später kam es zum Völkermord. Wir haben viele Millio-
nen an Hilfsmitteln zahlen müssen, aber das wäre noch
das Geringste gewesen. Wir haben jedoch Millionen an
toten Kindern und Erwachsenen erleben müssen.

Diese Regierung hat jetzt frühzeitig die Initiative er-
griffen, um nicht nur in Ghana, sondern auch in den drei
afrikanischen Regionalzentren, die in Kenia und auch im
Bereich der SADC entstehen, eine eigenständige Frie-
denstruppe aufzubauen. Dies hat sich jedoch ein wenig
verzögert, weil wir nicht damit einverstanden waren,
dass hier Mugabe die Verantwortung trägt.

Diese Initiative hat dazu geführt, dass sich diese Re-
gierung darauf eingestellt hat, mithilfe der NEPAD-
Initiative stabile Strukturen innerhalb Afrikas zu schaf-
fen. Ich freue mich, dass sich sowohl die GTZ als auch
andere Stiftungen verstärkt darauf konzentrieren, Ver-
waltungen aufzubauen, die durchgängig dafür sorgen,
dass dort Recht, Gesetz und Entwicklung überhaupt zum
Tragen kommen. Wie kann man denn meinen, man
könnte etwas in einem Land wie dem Kongo erreichen –
ich habe das letzte Mal darauf hingewiesen –, das so
groß wie ganz Westeuropa ist, aber nur zwei oder drei
Straßenverbindungen besitzt? Wie kann man 50 Millio-
nen Menschen erreichen, wenn es keine Straßen, keinen
Verkehr und keinen Zugang zueinander gibt?


(Zuruf von der CDU/CSU: Durch die Polizei!)

– Auch die Polizei, die dort aufgebaut werden muss,
muss erreichbar sein. Sie muss außerdem bezahlt wer-
den. Das ist der Punkt. Auch dabei helfen wir. Deswegen
wurde zugesagt, dass wir beim Aufbau einer Polizei
auch im Kongo helfen werden.


(Zuruf von der CDU/CSU: Nein!)

– Doch.

Ich will noch einen anderen Punkt erwähnen. Uns
liegt noch ein zweiter Antrag zur Beratung vor. Liebe
Kolleginnen, liebe Kollegen, auch das gehört dazu: Wir
erklären vollmundig, mit Überzeugung und wahrschein-
lich aus vollem Herzen und mit gutem Gewissen, dass
wir die Selbstbestimmung und die Verantwortung der
Staaten respektieren. Wenn man ein bisschen auf die
Entwicklung der Länder zurückschaut, dann wird jedoch
so manches deutlich. Ich empfehle jedem, dieses Buch
über deutsche Kolonialgeschichte, das ich in der Hand
halte, zu lesen. Mir geht es nicht darum, in uns allen
Schuldgefühle zu wecken, aber wir müssen erkennen,
wie stark wir durch eine falsche Propaganda geprägt
sind, die in den 20er- und 30er-Jahren eine Mystifizie-
rung nach sich zog.

Wir haben wie alle anderen Kolonialmächte dazu bei-
getragen, dass die Bevölkerung Afrikas patriarchalisiert,
unterdrückt und vor allem ihres Lebensraumes beraubt
worden ist, indem zahlreiche Menschen vertrieben und
riesige Farmen aufgebaut wurden, die weder ökologisch
noch ökonomisch sinnvoll waren, aber zu großer Unge-
rechtigkeit geführt haben. Wenn deswegen in einigen
dieser Staaten – dazu zähle ich Südafrika, Simbabwe
und Namibia, aber auch Äthiopien – von den Regierun-
gen das Thema Landreform auf die Tagesordnung ge-
setzt worden ist – dieses Thema ist nicht neu –, dann ist
das wichtig und richtig. Wenn diese Landreform legal
abläuft, dann müssen wir sie massiv unterstützen und
nicht wieder infrage stellen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Jetzt geht es darum, alles dafür zu tun, dieses drän-
gende Problem nicht beiseite zu schieben und dadurch
zu diffamieren, dass vielleicht in dem einen oder ande-
ren Fall landlose Menschen unruhig werden, wenn
nichts passiert. Ich nenne als Beispiele Namibia und
Südafrika. Ich finde es wirklich nicht gut, dass es in der
heutigen Zeit immer noch mächtige Farmbesitzer gibt,
die nichts dabei finden, ihre Farmarbeiter, die seit
15 oder 20 Jahren auf der Farm tätig sind, von ihrem
Grund und Boden zu verjagen, weil sie ihre Viehbetriebe
in Gameparks umwandeln.

Ich finde es erst recht nicht gut, dass es heute noch
passiert, dass eine Familie, deren Vater, der 15 Jahre auf
der Farm gearbeitet hat, gestorben ist, auf die Straße ge-
setzt wird und das Land verlassen muss. Darüber sollten
wir uns massiv aufregen. Dann könnten wir Unruhen
verhindern. Das würde auch verhindern, dass Regierun-
gen solche Notlagen ausnützen und gegen Recht und Ge-
setz verstoßen, um an der Macht zu bleiben.

Ein letzter Satz dazu: Die Menschen in Afrika sind
aufgrund ihrer Fähigkeiten und Erfahrungen sehr wohl
in der Lage, mehr zu leisten und sich selbst zu helfen,
wenn wir sie lassen und sie dabei unterstützen. Ich
glaube, dass noch viele Vorurteile in den Köpfen derer
sind, die in Afrika tätig sind. Es wird gesagt, die Afrika-
ner seien nicht so fleißig und wollten nicht arbeiten.
Diese Einstellung ist in vielen Jahren aufgebaut worden.
Ich will mit einem Zitat des deutschen Bauherrn der Ei-
senbahn zwischen Daressalam und Moshi von 1906
schließen:

Ohne die zweifellos vorhandene natürliche Bega-
bung der Schwarzen und ohne ihren guten Willen
und ihre gute Anpassungsgabe, vor allem für tech-
nische Dinge, wäre es nicht zu schaffen gewesen.






(A) (C)



(B) (D)


Hans Büttner (Ingolstadt)


Das gilt auch heute noch.

Die Bundesregierung hat sich mit ihrer Politik auf
diese neue Initiative der Afrikaner voll eingestellt.


Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1509413200

Herr Kollege, Sie müssen jetzt wirklich zum Schluss

kommen.

Hans Büttner (SPD):
Rede ID: ID1509413300

Das ist in den Anträgen festgehalten. Die CDU/CSU

hat das mit ihrem Antrag eigentlich bestätigt. Sie hat nur
versucht, irgendetwas herauszufinden und uns zu top-
pen. Das ist mein Schlusssatz.


Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1509413400

Herr Kollege, Ihr Schlusssatz hätte vor zwei Minuten

sein müssen.

Hans Büttner (SPD):
Rede ID: ID1509413500

Sie haben in Ihrem Antrag nur ausgesagt, es müsste

noch mehr geschehen. Ich sage euch: Ich finde das etwas
verwegen. Wer uns einen solchen Schuldenberg hinter-
lassen hat, der sollte insbesondere angesichts dessen,
was wir bereits machen, nicht noch mehr verlangen und
etwas stiller sein.

Danke schön.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1509413600

Nächste Rednerin ist die Kollegin Conny Mayer,

CDU/CSU-Fraktion.

Dr. Conny Mayer (CDU):
Rede ID: ID1509413700

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kolle-

gen! Ich freue mich sehr, dass wir heute im Deutschen
Bundestag die Gelegenheit zu einer Afrikadebatte ha-
ben. Nur durch Diskussionen wie diese gelingt es uns,
das Bewusstsein für die Chancen und die Herausforde-
rungen des Kontinentes zu wecken.

Ich hatte in der vergangenen Woche die Gelegenheit,
das bevölkerungsreichste Land Afrikas zu besuchen. Ich
war in Nigeria. Nigeria ist mit rund 130 Millionen Ein-
wohnern das geostrategisch wichtigste Land in West-
afrika und in Zentralafrika. Ein Land, das mit großem
Ölreichtum gesegnet ist und dessen Landschaft durch
eine unglaubliche Vielfalt beeindruckt. Die wirtschaftli-
che Metropole Lagos mit geschätzten 13 Millionen Ein-
wohnern ist die größte Stadt in Subsahara-Afrika.

Das Land ist ein wichtiger Erdöllieferant und nicht
nur das. Es war bis vor wenigen Jahren auch Schwer-
punktland deutscher Wirtschaftsinvestitionen in West-
und Zentralafrika. Doch spielt Deutschland in Nigeria so
gut wie keine Rolle mehr, weder politisch noch wirt-
schaftlich. Nigeria ist ein Beispiel, das uns zeigt, dass
wir es verpasst haben, unsere Interessen zu definieren
und diesem strategisch wichtigen Land unsere Partner-
schaft anzubieten. Dieses Beispiel zeigt uns auch: Das
Schicksal Afrikas südlich der Sahara sollte uns nicht nur
aus ethisch-moralischen Gründen am Herzen liegen.
Afrikas Zukunft hat auch und gerade für unsere urei-
gensten Interessen Bedeutung. Das mag in vielen Ohren
erstaunlich klingen. Ich will dies an fünf Punkten deut-
lich machen.

Erstens. Wir müssen intensiver als bisher gegen
Zonen der Instabilität und Ordnungslosigkeit in
Afrika vorgehen.
Diese stellen eine sicherheitspolitische Gefahr dar. Sie
sind Rückzugsraum sowie eine Rekrutierungs- und Fi-
nanzierungsquelle für Terrorismus und internationale
Kriminalität.

Zweitens. Wir müssen unseren Beitrag zur Stabilisie-
rung in Afrika leisten. Denn dort entspringen länder- und
kontinentübergreifende Migrations- und Flüchtlings-
ströme, die bis nach Europa und damit auch bis nach
Deutschland reichen.

Drittens. Wir müssen eine sich selbst tragende wirt-
schaftliche Entwicklung der afrikanischen Völker und
insbesondere den Aufbau eines soliden Mittelstands in
afrikanischen Staaten fördern. Nur so können wir gleich-
wertige Wirtschaftspartner und zukünftige Absatz-
märkte für unsere exportorientierte Wirtschaft finden.

Viertens. Wir müssen gleichzeitig unserer Wirtschaft
Hilfestellung bei der Wahrnehmung unserer Außenwirt-
schaftsinteressen – vor allem im südlichen Afrika – auch
in Richtung einer vernünftigen und fairen Nutzung afri-
kanischer Rohstoffressourcen leisten.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Ulrich Heinrich [FDP])


Fünftens, der letzte Punkt. Wir müssen durch den
Schutz der Ökosysteme und der Artenvielfalt die Viel-
falt der Schöpfung bewahren. Die eigenen Interessen
zu benennen und zu verfolgen hat nichts mit Nationalis-
mus oder Neokolonialismus zu tun. Aber nur so machen
wir unsere Afrikapolitik für unsere afrikanischen Partner
kalkulierbar und für unsere Bürgerinnen und Bürger
plausibel.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Sicherlich darf man sich keinen Illusionen hingeben.

Die schwierige afrikanische Realität macht es uns nicht
einfach, unsere Interessen zu verfolgen. Wir haben aber
in unserem ureigenen Interesse keine Alternative. Im
Übrigen gibt es im heutigen Afrika – wie wir in unserem
Antrag zu Beginn deutlich hervorgehoben haben – nicht
nur Schatten, sondern auch Licht. Ich erinnere in diesem
Zusammenhang an die bereits erwähnte viel verspre-
chende NEPAD-Initiative und an den politischen und
wirtschaftlichen Aufbruch in Südafrika, Ghana und jetzt
auch in Kenia.

Ein zentraler Punkt der Diskussion über Afrika ist die
Bekämpfung von HIV/Aids. Sie haben dieses sehr wich-
tige Thema bereits angesprochen, Frau Ministerin. Ich
bin der Überzeugung, dass wir entgegen Ihren anders
lautenden Bekenntnissen immer noch weit davon ent-
fernt sind, die Seuche auf dem afrikanischen Kontinent






(A) (C)



(B) (D)


Conny Mayer (Baiersbronn)


zu bekämpfen. In dem, was wir leisten können, bleiben
wir hinter Staaten wie Frankreich und Italien zurück.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Ulrich Heinrich [FDP])


Ich will einen weiteren Punkt ergänzen, der zwar
schon angesprochen wurde, den ich aber für einen zen-
tralen Punkt halte, wenn es um die Entwicklung des afri-
kanischen Kontinents geht. Unsere Außen- und Ent-
wicklungspolitik ist immer noch zu schwerfällig. Sie
müsste flexibler werden und schneller auf sich verän-
dernde Situationen reagieren, sei es bei der Vergabe von
Entwicklungsgeldern oder bei der Verhängung von
Sanktionen. Trotz gegenteiliger wortreicher Bekundun-
gen hat es die Bundesregierung – das möchte ich als
maßgeblichen Kritikpunkt anführen – bisher versäumt,
auf internationaler Ebene eine längst überfällige Initia-
tive zur Straffung der Geberkoordinierung zu ergrei-
fen.

Der Kollege Hans Büttner hat angesprochen, dass
eine Koordination der Länder notwendig ist. Notwendig
ist aber vor allem die Koordinierung in den einzelnen
afrikanischen Ländern.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Ulrich Heinrich [FDP])


Auch der jüngste Aktionsplan des Entwicklungsministe-
riums für eine bessere Koordinierung hat, wie viele an-
dere Aktionspläne, noch keinen nennenswerten und
messbaren Erfolg gebracht.

Wir als Unionsfraktion fordern deshalb die Bundesre-
gierung mit unserem Antrag auf, eine neue Zeit einzu-
läuten und in der deutschen Afrikapolitik den Weg nach
vorn einzuschlagen. Deutschland braucht mehr Realis-
mus, eine klare Interessendefinition, eine klare Strategie
und das nötige Engagement für den Umgang mit dem
sich wandelnden afrikanischen Kontinent. Die Reise des
Bundeskanzlers war ein wichtiger Schritt und auch der
Außenminister hat Afrika besucht. Aber Afrika braucht
stärker als bisher politische Beachtung auf allerhöchster
Ebene der Bundesregierung.

Lassen Sie mich mit einem afrikanischen Sprichwort,
mit einem Appell enden, der sich an die Bundesregie-
rung und alle hier im Hause Vertretenen richtet: „Viele
kleine Leute an vielen kleinen Orten, die viele kleine
Schritte tun, können das Gesicht der Welt verändern.“
Wir, die Unionsfraktion, wollen gemeinsam mit der
Bundesregierung und unseren afrikanischen Partnern
Schritt für Schritt, aber mit großem Nachdruck und
Engagement den Weg in eine bessere Zukunft Afrikas
gehen.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1509413800

Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Karl-

Theodor Freiherr von und zu Guttenberg.
Karl-Theodor Freiherr von und zu Guttenberg

(CDU/CSU):


Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! In dieser Debatte haben Redner von allen Frak-
tionen viele verdienstvolle Gedanken vorgetragen, auch
wenn sie letztendlich, Herr Kollege Büttner, vielleicht
etwas pauschal ausgefallen sind. Zudem ist die Idee der
Krisenprävention angesichts der Notwendigkeit zur
Neugestaltung im Wachstum begriffen. Ein Wachs-
tums- und Gestaltungsprozess erfordert jedoch auch
die Kraft zur Koordinierung. Frau Staatssekretärin Eid,
ich kann vieles erkennen, aber keine Koordinierung der
in diesem Fall relevanten Politikfelder. Eine Koordinie-
rung der Außenpolitik, der Sicherheitspolitik, der Vertei-
digungspolitik und der Entwicklungspolitik ist insbeson-
dere in der Afrikapolitik nicht erkennbar.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Hans Büttner [Ingolstadt] [SPD]: Dann musst du genauer hinschauen!)


– Herr Kollege Büttner, die fehlende Koordinierungs-
leistung ist kein Verdienst, sondern eine der eklatantes-
ten Schwächen der Bundesregierung.


(Hans Büttner [Ingolstadt] [SPD]: Die findet aber statt!)


Rufen Sie sich doch einmal die letzten Wochen in Er-
innerung. Der Bundeskanzler ist – Gott sei Dank – mit
dem gebotenen Ernst nach Afrika gereist. Er hat bei-
spielsweise mit Kenia eine Zusammenarbeit im Bereich
der Polizei und der Geheimdienste vereinbart. Er hat in
Ghana ein Trainingszentrum für afrikanische Sicher-
heitstruppen eingeweiht. Aber im selben Atemzug wird
unsere diplomatische, kulturelle und sicherheitspoliti-
sche Präsenz auf dem afrikanischen Kontinent sukzes-
sive verringert. Angesichts dessen kann in meinen Au-
gen von Koordinierung keine Rede sein.

Frau Staatsministerin Müller hat in einem militäri-
schen Kontext – offenbar ebenfalls „großartig“ abge-
stimmt – ihre Vorstellungen über den Sudan kundgetan.
Die Reaktionen sind hinlänglich bekannt. Vergangene
Woche hören wir Minister Struck etwas von Bundes-
wehreinsätzen in Afrika murmeln. Wie passt das alles
zusammen? Ich sehe keine Koordinierung und Abstim-
mung in der Afrikapolitik. Eine kohärente, schlüssige
und letztlich einander bedingende Verknüpfung der un-
terschiedlichen Politikfelder ist schlichtweg nicht er-
kennbar, Herr Büttner.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Hans Büttner [Ingolstadt] [SPD]: Es geht ums Geld!)


Das Auswärtige Amt mit seinen teilweise hervorra-
gend funktionierenden Botschaften und Ihr Ministerium,
Frau Ministerin Wieczorek-Zeul, mit der GTZ und ande-
ren Organisationen der Entwicklungshilfe arbeiten nicht
nur in Einzelfällen gegeneinander statt miteinander.
Wenn es selbst an Orten außerhalb Afrikas, auf die ge-
rade der Fokus der Öffentlichkeit gerichtet ist, wie etwa
Kunduz, zwischen den Vertretern der verschiedenen Mi-
nisterien – milde gesagt – knirscht, dann wagt man gar
nicht, sich die Zusammenarbeit in Afrika, auf einem weit






(A) (C)



(B) (D)


Karl-Theodor Freiherr von und zu Guttenberg

weniger beachteten Kontinent, auszumalen. Einen sol-
chen „Luxus“ können wir uns gerade in Zeiten knappster
Ressourcen schlicht nicht leisten.

Stichwort Ressourcen: Es ist auch im sicherheitspoli-
tischen Kontext bemerkenswert, wie weit Zielsetzung
und Realität auseinander klaffen, wenn man die vorhan-
denen Ressourcen sieht. Vielleicht wäre es in diesem Zu-
sammenhang – ich sage das auch im Hinblick auf Ihre
Anträge – hilfreich, die Ziele weniger romantisierend
denn realitätsnah zu formulieren.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Hans Büttner [Ingolstadt] [SPD]: Viel realer als bei Ihnen!)


Das erfordert aber den Mut – dieser ist in unserem Land
nur sehr marginal ausgeprägt –, die eigenen Interessen zu
definieren und angesichts der knappen Mittel Prioritäten
zu setzen. Beiden Ansprüchen werden die Anträge von
Rot-Grün nicht gerecht. Angesichts der Formulierungen
muss man feststellen, dass sie – ohne jegliche Interes-
sennennung – einem mittlerweile überholten Verständnis
von Werteorientierung und Entwicklungszusammenar-
beit verpflichtet sind. Aber der von mir angesprochene
Kontext fehlt. Auch hier ist ein Koordinierungsdefizit zu
erkennen.

Der Kollege Heinrich hat darauf schon hingewiesen.
Erstaunlicherweise taucht nicht einmal der Begriff einer
europäischen Sicherheitsstrategie auf, auch nicht die von
vielen als Teufelswerk apostrophierte nationale Sicher-
heitsstrategie der Vereinigten Staaten.

Überall wird ein klarer Bezug zu Afrika gesucht,
nicht nur dort, wo es um Präemption geht. Die Worte
sind sehr viel weiter gefasst. Nichts davon steht in die-
sem Antrag. Es handelt sich auch hier – gerade im inter-
nationalen Kontext – um eine Koordinierungsaufgabe,
die zum Ziel hat, eine Verbindung zu diesen Strategien
herzustellen.


(Hans Büttner [Ingolstadt] [SPD]: Worthülsen! Was wollen Sie denn eigentlich?)


Es geht nicht zuletzt darum, die Außenpolitik sowie
die Afrikapolitik auf europäischer Ebene und auf der
Grundlage – wenn man so will – interkontinentaler Not-
gemeinschaften erkennbar in unserem Sinne zu beein-
flussen. Sie sollten nicht in einem neokolonialen Sinne,
sondern in unserem Sinne – möglicherweise stimmen
wir darin überein – beeinflusst werden.

Herr Kollege Büttner, anderenfalls drohen wir zum
Spielball der Ambitionen anderer zu werden. Es gibt
hierfür ein sehr aktuelles Beispiel: die britisch-französi-
sche Initiative zu „superschnellen Eingreiftruppen“, zu
so genannten Battle Groups, mit denen eine klare Afri-
kaperspektive verbunden ist. Es handelt sich hierbei um
eine britisch-französische Initiative. Irgendwann sind
wir auf diesen Zug noch hechelnd aufgesprungen. Es ist
keine deutsche Initiative. Ich möchte einmal wissen, wie
die Koordinierung in diesem Fall aussah und wie sich
hier die Suche im europäischen Kontext als solche dar-
gestellt hat.
Ich möchte in diesem Zusammenhang noch auf einen
ganz anderen Koordinierungsfaktor eingehen. Es stellt
sich die Frage, wie sich etwa diese Politik mit der Suche
nach einem Parlamentsbeteiligungsgesetz in Einklang
bringen lässt. Auch das ist eine Koordinierungsaufgabe.
Wir laufen möglicherweise Gefahr, die Bundeswehr in
ihrem jetzigen Zustand, aber auch unsere Bevölkerung
durch solche derart übereilten Ideen – die Initiative ist an
sich begrüßenswert, weil sie europäisch gedacht ist und
die Briten einbindet –, durch ein schnelles Aufspringen
zu überfordern.


(Hans Büttner [Ingolstadt] [SPD]: Was wollen Sie denn jetzt?)


– Herr Büttner! – Bevor Sie über Eingreiftruppen in
Afrika offensiv nachdenken oder ein überholtes Ent-
wicklungskonzept beweihräuchern, sollten Sie und die
Bundesregierung erst einmal Gedanken über ein großes,
abgestimmtes außen-, entwicklungs- und verteidigungs-
politisches Konzept entwickeln, das schlüssig und kohä-
rent ist. Sie sollten eben nicht nur Schlaglichter setzen,
sondern sich auch einmal innerhalb der Ministerien ab-
stimmen, damit auch von außerhalb das Gefühl erlangt
werden kann, hier werde Politik aus einer Hand betrie-
ben.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1509413900

Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf

Drucksache 15/2478 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.

Tagesordnungspunkt 6 b: Wir kommen zur Be-
schlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses auf
Drucksache 15/1843 zu dem Antrag der Fraktionen der
SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen mit dem Titel
„Unterstützung von Landreformen zur Bekämpfung der
Armut und der Hungerkrise im südlichen Afrika“. Der
Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 15/1307
anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? – Die Beschluss-
empfehlung ist mit den Stimmen der Koalition gegen die
Stimmen der Opposition angenommen.

Zusatzpunkt 5: Interfraktionell wird die Überweisung
der Vorlage auf Drucksache 15/2574 an die in der Tages-
ordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind
Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die
Überweisung so beschlossen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 7 a und 7 b auf:
a) – Zweite und dritte Beratung des von den Abgeord-

neten Wolfgang Bosbach, Dr. Norbert Röttgen,
Hartmut Koschyk, weiteren Abgeordneten und
der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Ent-
wurfs eines Gesetzes zur Stärkung der Rechte






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner


(2. Opferschutzgesetz)

– Drucksache 15/814 –

(Erste Beratung 43. Sitzung)


– Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Verbesserung der Rechte von Verletzten im
Strafverfahren

(Opferrechtsreformgesetz – OpferRRG)

– Drucksache 15/2536 –

(Erste Beratung 93. Sitzung)


– Zweite und dritte Beratung des von den Abgeord-
neten Joachim Stünker, Hermann Bachmaier,
Sabine Bätzing, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Jerzy
Montag, Irmingard Schewe-Gerigk, Hans-
Christian Ströbele, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ-
NEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Verbesserung der Rechte von Verletzten im Straf-
verfahren

(Opferrechtsreformgesetz – OpferRRG)

– Drucksache 15/1976 –

(Erste Beratung 75. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsaus-
schusses (6. Ausschuss)

– Drucksache 15/2609 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Andreas Schmidt (Mülheim)

Joachim Stünker
Siegfried Kauder (Bad Dürrheim)

Irmingard Schewe-Gerigk
Jörg van Essen

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Rechtsausschusses (6. Ausschuss) zu
dem Antrag der Abgeordneten Jörg van Essen,
Rainer Funke, Rainer Brüderle, weiterer Abge-
ordneter und der Fraktion der FDP
Opferrechte stärken und verbessern
– Drucksachen 15/936, 15/2609 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Andreas Schmidt (Mülheim)

Joachim Stünker
Siegfried Kauder (Bad Dürrheim)

Irmingard Schewe-Gerigk
Jörg van Essen

Zum Gesetzentwurf der Bundesregierung liegt ein
Änderungsantrag der Fraktion der FDP vor.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Bundes-
ministerin für Justiz, Brigitte Zypries.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1509414000

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren Abgeordneten! Immer wieder ist der Vorwurf er-
hoben worden, die Justiz kümmere sich nur um die Täter
und lasse die Opfer allein. Dieser Vorwurf trifft heute in
unserer gesellschaftlichen Wirklichkeit nicht mehr so
sehr wie vor 20 Jahren zu. In den letzten Jahren hat in
der Strafverfolgung, in der Justiz, in der Politik und in
der Gesellschaft insgesamt insoweit ein Bewusstseins-
wandel eingesetzt. Das hat tatsächliche Verbesserungen
zur Folge. Wir haben zum Beispiel Zeugenbetreuungs-
stellen in den Gerichten eingerichtet und haben auch
schon auf dem Gesetzwege zahlreiche Verbesserungen
für die Opfer erreicht. Aber wir sind der Auffassung,
dass die Stellung des Opfers noch weiter verbessert wer-
den kann, wohlgemerkt ohne die Stellung des Beschul-
digten im Strafverfahren zu beeinträchtigen. Dies ist uns
wichtig. Die Strafprozessordnung gibt dem Beschuldig-
ten Rechte, die rechtsstaatlich eingehalten werden müs-
sen. Dabei muss es auch bleiben. Gleichwohl werden wir
mit dem von uns vorgelegten Gesetzentwurf die Position
der Opfer im Strafverfahren noch einmal entscheidend
verbessern und stärken. Wir setzen damit auch eine der
Vereinbarungen aus dem Koalitionsvertrag um.

Das Opferrechtsreformgesetz der Regierungskoali-
tion verfolgt vier große Ziele:

Erstens wollen wir die Belastungen für das Opfer
durch das Strafverfahren so gering wie möglich halten.
Wir wollen erreichen, dass mehrfache Vernehmungen
nur dann stattfinden, wenn sie unabdingbar sind. Wir
wollen die Gelegenheit geben, statt beim Amtsgericht
gleich beim Landgericht anzuklagen, um den Opferzeu-
gen eine zweite Tatsacheninstanz zu ersparen, wenn
Rechtsmittel eingelegt werden und das Verfahren in die
nächsthöhere Instanz geht. Bei landgerichtlichen Urtei-
len gibt es nur noch den Weg zum Bundesgerichtshof.
Dort geht es aber lediglich um die Frage, ob ein Rechts-
fehler vorliegt. Dort werden die Zeuginnen und Zeugen
nicht nochmals vernommen.

Aber auch in den Fällen, die ihren Ausgang vor dem
Amtsgericht nehmen, wollen wir zu einer Reduzierung
der Zahl der Vernehmungen in der Berufungsinstanz
vor dem Landgericht beitragen. Dazu sollen die Verneh-
mungen vor dem Amtsgericht nicht nur wie bisher in ih-
rem wesentlichen Ergebnis schriftlich protokolliert wer-
den, sondern sie sollen insgesamt auf Tonträger
aufgezeichnet werden können, die dann gegebenenfalls
abgespielt werden können. Die nächsthöhere Instanz
muss dann nicht noch einmal die Zeugen vorladen und
befragen, sondern kann sich die Aufnahmen anhören.

Ein weiterer Aspekt in diesem Zusammenhang ist,
dass wir die Zulassung der Videovernehmung von Zeu-
gen erleichtern wollen. Öfter als bisher soll es möglich
sein, dem Opfer die Begegnung mit dem Beschuldigten
im Verhandlungssaal oder die Aussage im Angesicht der
Öffentlichkeit zu ersparen. Das ist insbesondere dann
wichtig, wenn Kinder Verbrechensopfer sind. In solchen
Fällen sollte man diese Konfrontation im Gerichtssaal
vermeiden. Festzuhalten ist also: Es gibt erweiterte
Möglichkeiten der Videovernehmung.






(A) (C)



(B) (D)


Bundesministerin Brigitte Zypries

Das zweite Ziel, das wir bei unserem Gesetzentwurf

in den Vordergrund stellen, ist die Stärkung der Rechte
des Opfers im Verfahren. Insoweit gibt es noch ganz er-
hebliche Defizite. Wir werden jetzt die Möglichkeit
schaffen, dass weiteren Nebenklageberechtigten kosten-
los ein Rechtsanwalt als Opferanwalt beigeordnet
wird, der ihnen im Strafverfahren beisteht. Auch die An-
gehörigen des durch eine Straftat Getöteten können
künftig einen solchen Opferanwalt in Anspruch nehmen;
ansonsten gibt es den Opferanwalt schon.

Zur Nebenklage sollen künftig auch die Frauen be-
rechtigt sein, die als Prostituierte ausgebeutet oder Opfer
von Zuhälterei wurden. Wir hoffen, dass dadurch eine
weitere Verbesserung für Opfer im Umfeld von Men-
schenhandel erreicht wird.

Ein weiterer Schritt besteht darin, dass wir Vertrau-
enspersonen die Möglichkeit geben, bei der Verneh-
mung anwesend zu sein. Es geht um Vertrauenspersonen
von Verletzten, die als Zeugen vernommen werden. Die
Zeugen sollen die Möglichkeit haben, jemanden mitzu-
nehmen, dem sie wirklich vertrauen. Das soll auch mög-
lich sein, wenn eine Videovernehmung stattfindet. Man
muss dann nicht allein dasitzen, sondern kann jemanden
bei sich haben, dem man vertraut.

Das dritte Ziel, das wir mit unserem Gesetzentwurf
verfolgen, ist die Verbesserung der Durchsetzung von
Schadensersatzansprüchen der Geschädigten. Zu die-
sem Zweck wollen wir das so genannte Adhäsionsver-
fahren ausbauen. Dem Verletzten wird der zusätzliche
Gang vor das Zivilgericht erspart, indem das Strafgericht
beispielsweise über den Anspruch auf Schmerzensgeld
gleich mitentscheidet. Zugleich werden die Ressourcen
der Justiz so effizienter genutzt. Bisher ist es in der Pra-
xis die Regel, dass die Gerichte von der Möglichkeit Ge-
brauch machen, von einer Entscheidung über diesen
Ersatzanspruch des Verletzten abzusehen. Eine Entschei-
dung über den tatsächlichen Anspruch ist hingegen im-
mer noch die Ausnahme. Dieses Verhältnis wollen wir
mit der gesetzlichen Änderung umkehren, indem wir die
Voraussetzungen einschränken, unter denen das Gericht
von der Entscheidung absehen kann. Ist das Opfer zum
Beispiel durch eine Schlägerei erheblich verletzt wor-
den, wird die Zuerkennung des geltend gemachten Scha-
densersatzes im Strafprozess künftig die Regel sein. Das
Gericht kann von einer solchen Entscheidung nur abse-
hen, wenn sonst erhebliche Verfahrensverzögerung
droht. Im Fall des Schmerzensgeldes ist das Opferinte-
resse vom Gericht ganz besonders zu berücksichtigen.

Der vierte Aspekt, meine Damen und Herren, ist die
Information der Verletzten, der Opfer, über ihre Rechte
und den Ablauf des Strafverfahrens. Diese gibt es heute
kaum; die wollen wir deutlich verbessern. Künftig wird
der Verletzte Mitteilung über die Einstellung des Verfah-
rens, über die Entscheidung der Eröffnung des Haupt-
verfahrens, über den Sachstand der Anklage und auch
über freiheitsentziehende Maßnahmen erhalten, insbe-
sondere darüber, wann die freiheitsentziehenden Maß-
nahmen beendet werden. Hintergrund dieser Regelung
ist, dass wir die Opfer vor unbeabsichtigtem, unvorberei-
tetem Zusammentreffen mit ihren Peinigern schützen
wollen. Das gilt natürlich insbesondere für die Opfer von
Sexual- oder Gewaltstraftaten; solchen, die körperliche
Gewalt erfahren haben, wollen wir also ersparen, unvor-
bereitet dem Täter auf der Straße zu begegnen. Deshalb
gibt es, wie gesagt, Informationen über die Dauer der
Haft, über die Dauer der Unterbringung, aber auch über
Vollzugslockerungen und Hafturlaub.

Meine Damen und Herren, wenn man auch manche
Einzelregelungen dieses Gesetzentwurfs unterschiedlich
betrachten kann, so hat dieser Gesetzentwurf doch von
den Opferschutzverbänden und auch in der Sachverstän-
digenanhörung des Rechtsausschusses dieses Hauses im
Dezember letzten Jahres sehr viel Zustimmung erfahren.
Ich bin froh darüber – auch darüber, dass wir uns trotz
aller Differenzen im Detail im Grundsatz in diesem
Hause darin einig sind, für die Rechte der Opfer mehr zu
tun.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1509414100

Nächster Redner ist der Kollege Siegfried Kauder,

CDU/CSU-Fraktion.


Siegfried Kauder (CDU):
Rede ID: ID1509414200

Frau Präsidentin! Frau Bundesjustizministerin! Meine

Kolleginnen und Kollegen! Die Botschaft, die von der
Ministerin verbreitet wurde, wird bei Opfern ankom-
men: Wir kümmern uns um die Rechte der Opfer von
Straftaten, aber die Interessen der Beschuldigten dürfen
nicht tangiert werden. Zudem werden wir am 22. dieses
Monats ja auch den Tag des Kriminalitätsopfers bege-
hen. So sieht auch der Grundansatz dieses Gesetzes, das
die Regierung „Opferrechtsreformgesetz“ nennt, aus:
Man reibt sich nicht an konkurrierenden Rechten, man
überlegt nicht, wo man Opferrechten mehr Gewicht ver-
leihen und maßvoll Rechte Beschuldigter eingrenzen
kann; doch das geht. Dieser Entwurf hat mit einer Re-
form wenig zu tun. Er korrigiert im Randbereich. Selbst
dort, wo eine Kollision mit Rechten Beschuldigter nicht
zu erwarten ist, hat man zu wenig getan. Wird etwa ein
Beschuldigtenrecht eingegrenzt, wenn künftig in einer
Anklageschrift der Wohnort eines misshandelten Kindes
nicht mehr genannt würde? Diese Forderung des Weißen
Ringes wurde nicht berücksichtigt.

Es handelt sich hierbei, meine Damen und Herren, um
ein Flickwerk, das man niemals als großen Wurf be-
zeichnen wird. Wenn es nur zu wenig wäre, was in die-
sem Opferrechtsreformgesetz steht, könnten wir von der
Opposition zustimmen; und es steht viel zu wenig drin.
Aber teilweise geht davon auch eine falsche Botschaft
aus. Da wird propagiert, man könne jetzt besser Scha-
denersatz- und Schmerzensgeldansprüche für Opfer
in Strafverfahren durchsetzen. Dabei ist die Regierung
schon am Rechtsmittelproblem gescheitert und sie ist zu-
rückgerudert, weil sie das nicht in den Griff bekommen
hat. Das Grundübel bei den Opferrechten bleibt beste-
hen: Wird ein Opferrecht verletzt, kann das Opfer diesen
Verstoß in aller Regel nicht mit einem Rechtsmittel rü-
gen. Deswegen wird die Botschaft, die Richter sollten






(A) (C)



(B) (D)


Siegfried Kauder (Bad Dürrheim)


stärker als bisher das Adhäsionsverfahren zulassen, nicht
verfangen, weil das Opfer sich gegen einen ablehnenden
Beschluss nicht zur Wehr setzen kann.


(Beifall bei der CDU/CSU – Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt doch nicht! Natürlich können sie Berufung einlegen!)


– Herr Ströbele, ich kann Ihnen das gern einmal schrift-
lich erklären, dann werden auch Sie es verstehen.

Was den Opferanwalt auf Staatskosten anbelangt,
hat man die Korrektur eines Redaktionsversehens im
letzten Gesetz vorgenommen, aber keine Reform für die
Zukunft geschaffen. Warum den Opferanwalt auf Staats-
kosten nur für Hinterbliebene von Opfern einer Straftat
und nicht auch bei Geiselnahme, bei Raub mit Todes-
folge und bei Körperverletzung mit Todesfolge? Man
bleibt immer wieder auf halber Strecke stehen.

Das ist nicht die Botschaft, die Opfer brauchen. Opfer
müssen sich in ihrer schwierigen Situation der Unterstüt-
zung des Staates gewiss sein können. Das ist nicht der
Fall. Opfer müssen sich auch darauf verlassen können,
dass ihre persönlichen Daten sicher sind, denn sie haben
ja Angst, dass der Beschuldigte ihnen auflauert oder sie
weiter belästigt. Genau das versuchten wir im Entwurf
der CDU/CSU-Bundestagsfraktion sicherzustellen. Die
Videoprotokolle von der Vernehmung eines kleinen
Kindes, das weinend von der Tat berichtet, sollen nicht
dem Verteidiger zur Verfügung gestellt werden, der sie
auch dem Mandanten zeigen muss. Wir waren der Auf-
fassung – die sich im Übrigen mit der Meinung des Bun-
desdatenschutzbeauftragten deckt –, dass dieses als Be-
weismittel nur bei der Staatsanwaltschaft und sonst
nirgends eingesehen werden darf.


(Beifall bei der CDU/CSU)

In diesen zwei gravierenden Punkten unterscheiden

wir uns vom Opferrechtsreformgesetz. Deswegen wer-
den wir diesem Gesetzentwurf nicht zustimmen können.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben mir noch nicht erklärt, wie das mit den Rechtsmitteln ist!)


Aber, meine Damen und Herren, die Frau Bundesjus-
tizministerin hat am 13. November 2003 in einem Inter-
view gegenüber dem Weißen Ring erklärt, man werde
sich auch Gedanken darüber machen, die Nebenklage
im Jugendstrafverfahren zuzulassen. Damit komme
ich auf den Änderungsantrag der FDP zu sprechen. Seit
vier Monaten denkt man darüber nach. Man muss nur
zwei Vorschriften im Jugendgerichtsgesetz ändern. Der
Kollege van Essen, ich und andere wissen, dass man nur
in § 80 JGG den Abs. 3 und, wenn man das Adhäsions-
verfahren will, in § 109 JGG den Verweis auf § 81 JGG
streichen müsste und schon hätte man – nur mit der Än-
derung dieser zwei Vorschriften – ein hervorragendes
Reformwerk. Wenn man das nach vier Monaten Nach-
denkens nicht meistert, liegt das meiner Meinung nach
nicht daran, dass man nicht zu einem Ergebnis kommen
kann, sondern daran, dass man sich mit gewissen Be-
denkenträgern bezüglich des Opferrechts, die ich hier in
den Reihen der Koalitionsfraktion ausmachen kann,
nicht anlegen will.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Deswegen werden wir den gewünschten Erfolg im Be-
reich des Opferschutzes auch weiterhin nicht erzielen,
solange die Regierungskoalition so zusammengesetzt ist,
wie sie es zurzeit ist.

Frau Justizministerin, wir werden Ihnen unsere Unter-
stützung weiterhin nicht versagen. Soweit es sich um
sachlich vernünftige Ansätze handelt, werden wir sie im
Interesse der Opfer mittragen können und auch mittra-
gen. Aber das, was hier als großer Wurf angeboten wird,
ist für Opfer eine Enttäuschung. Das wird man diesen
am 22. März, dem Tag des Kriminalitätsopfers, so auch
sagen müssen – schade.

Vielen Dank, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1509414300

Das Wort hat die Kollegin Irmingard Schewe-Gerigk,

Bündnis 90/Die Grünen.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Kauder, für eine Ablehnung unseres Antrages wa-
ren Ihre Argumente eigentlich relativ schwach. Ich sehe
das anders. Rot-Grün setzt nämlich mit dem heutigen
Entwurf eines Opferrechtsreformgesetzes den konse-
quenten Schutz im gesamten Strafprozessverfahren fort.
Von der Verbesserung der verfahrensrechtlichen Stellung
von Zeugen und Zeuginnen im Strafverfahren profitieren
besonders Kinder und Frauen als Opfer sexualisierter
und auch häuslicher Gewalt.

Wegen der oft lebenslangen Traumatisierung ist es
notwendig, dass das gesamte Ermittlungs- und Strafver-
fahren so zu gestalten ist, dass es nicht noch zu zusätzli-
chen Verletzungen kommt. Für viele Opfer, besonders
für Kinder, stellt die nochmalige Konfrontation mit dem
Täter im Ermittlungsverfahren oder als Zeuge vor Ge-
richt eine unzumutbare Belastung dar. Daher soll eine
Vernehmung der kindlichen Opfer – die Ministerin hat
es gerade vorgestellt – aus dem Nebenraum per Video-
standleitung ermöglicht werden. Bis zu diesem Punkt
sind wir uns im Hause alle einig.

Allerdings wollen wir, dass der oder die Vorsitzende
im Gerichtssaal verbleibt und das Kind außerhalb des
Gerichtssaals, unterstützt durch eine Vertrauensperson,
vernommen wird. Wir ziehen dieses Modell dem Main-
zer Modell vor, das Sie, meine Damen und Herren von
der Union, in Ihrem Gesetzentwurf präferieren. Dabei
wird der Vorsitzende mit dem Kind allein in einem ande-
ren Raum sein und die Vernehmung per Video in den
Gerichtssaal übertragen. Bei beiden Methoden ist eine
Belastung des kindlichen Opfers niemals ganz auszu-
schließen. Frau Kollegin Noll, wir haben gestern sehr in-
tensiv darüber diskutiert: Nicht nur eine Kamera, son-
dern unter Umständen auch das Zusammensein mit






(A) (C)



(B) (D)


Irmingard Schewe-Gerigk

einem Richter in einem separaten Raum kann das Kind
verunsichern.

Wir sind ebenso wie die Mehrheit der Sachverständi-
gen der Meinung, dass das von uns gewählte Verfahren
geeigneter ist; denn für die Unmittelbarkeit der Haupt-
verhandlung ist es besser, wenn der Richter oder die
Richterin im Saal bleibt, auch um die Reaktion des An-
geklagten zu erleben.

In diesem Zusammenhang ist es natürlich besonders
wichtig, dass das Kopieren und die Herausgabe von
Videobändern über die Vernehmung von Kindern an
den Angeklagten nicht erfolgen. Dieses Material darf
nur den zur Akteneinsicht Berechtigten überlassen wer-
den. Das verhindert, dass solche Bänder in Umlauf gera-
ten können. Ich muss Ihnen sagen: Ich habe keinen
Zweifel daran, dass sich die Verteidiger an diese Vor-
schrift halten. Ein technischer Kopierschutz, wie er auch
vom Datenschutzbeauftragten gefordert wurde, wäre
dennoch sinnvoll. Ich glaube, wir sind technisch inzwi-
schen auch so weit.

Um besonders schutzbedürftige Zeuginnen und Zeu-
gen wie zum Beispiel Opfer von Sexualverbrechen künf-
tig vor Belastungen durch mehrfache Vernehmungen
zum gleichen Gegenstand zu bewahren, muss die Klage
künftig nicht erst beim Amtsgericht erhoben werden,
sondern sie kann gleich beim Landgericht eingereicht
werden.

Wir stärken mit diesem Gesetzentwurf konsequent die
Rechte aller Opfer. Ich sage: aller Opfer. Prostituierte,
die durch Zuhälter ausgebeutet wurden, können sich
jetzt dem Strafverfahren gegen einen solchen als Neben-
klägerin anschließen. Sie schlechter zu behandeln als
alle anderen Opfer kann durch nichts legitimiert werden.

In diesem Zusammenhang muss ich doch einmal die
Kolleginnen und Kollegen von der Union fragen, wie sie
es eigentlich begründen, dass sie dem Staatsanwalt und
dem Verteidiger bezogen auf die Zeugen jegliches Fra-
gerecht in allen Fällen des sexuellen Missbrauchs, der
Vergewaltigung, des Menschenhandels, ja sogar der
Körperverletzung abschneiden wollen, dass sie dabei
aber eine Gruppe ausnehmen wollen, nämlich Prostitu-
ierte, die Opfer von Zuhältern geworden sind. Erklären
Sie doch einmal der Öffentlichkeit, warum Sie Zuhältern
ein höheres Maß an Verteidigung zuerkennen wollen als
anderen Angeklagten!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Eine körperliche Untersuchung kann das Schamge-
fühl von Menschen verletzten. Darum sollen Frauen und
Männer – nicht nur die Frauen, wie es der Unionsent-
wurf vorsieht – auch das Recht haben, von einer Person
gleichen Geschlechts untersucht zu werden. Aber das
Opfer muss auch selbst entscheiden können. Ich meine
zum Beispiel Fälle von Jungen, die sexualisierte Gewalt
durch Männer erlebt haben und die vielleicht nicht von
einem Mann untersucht werden möchten. Das ist Opfer-
schutz, der sich an den Realitäten orientiert.
Nur wer informiert ist, kann seine Rechte wahrneh-
men und sich schützen. Künftig werden die Verletzten
nicht nur über ihre Rechte, sondern auch über den Ab-
lauf des Strafverfahrens, über Verfahrenseinstellung,
Haft, Vollzugslockerung und Entlassung des Täters in-
formiert, und das nicht nur auf Antrag, wie Sie von der
Union das wollen. Denn gerade Opfer von Gewaltver-
brechen wollen wissen, ob und wann sich ihr Peiniger
auf freiem Fuß befindet. Sie können sich leicht die Situa-
tion einer vergewaltigten Frau vorstellen, die sich sicher
fühlt, weil der Täter angeblich in Haft ist, ihn aber plötz-
lich in der Nähe ihrer Wohnung trifft. Solche Situationen
wollen wir den Opfern ersparen.

Ich komme zu einem weiteren wichtigen Bereich,
dem Ausgleich des Schadens. Momentan – auch das hat
die Ministerin vorgetragen – werden in der Regel die
meisten Schadenersatzansprüche in einem weiteren, zi-
vilrechtlichen Verfahren entschieden. Wir wollen es er-
möglichen, gleich im Strafverfahren auch den Ersatz für
den aus der Straftat entstandenen Schaden feststellen zu
lassen. Dieses Adhäsionsverfahren kann eine zusätzliche
Klage vor einem Zivilgericht ersparen.

In der Anhörung wurden die Details zwar kontrovers
diskutiert. Was aber nicht geht, meine Damen und Her-
ren von der Union, ist, dass Sie die Strafgerichte bei be-
stimmten Straftaten zwingen wollen, die Adhäsion
durchzuführen, selbst dann, wenn das Gericht nach Prü-
fung eine Adhäsion für ungeeignet hält. Das geht nicht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1509414400

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des

Kollegen Kauder?


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Nein. Ich weiß, dass Herr Kauder gestern sehr aus-
führlich im Rechtsausschuss diskutiert hat. Herr Kauder,
ich habe Sie schon gelobt. Sie sind ein hervorragender
Jurist. Ich möchte mich jetzt gerne mit der FDP beschäf-
tigen.


(Siegfried Kauder [Bad Dürrheim] [CDU/ CSU]: Ich habe nur nicht verstanden, was nicht geht!)


Ich komme zum Schluss. Vor zwei Tagen hat uns ein
Änderungsantrag der FDP erreicht, in dem gefordert
wird, sowohl die Nebenklage als auch das Adhäsions-
verfahren in das Jugendgerichtsgesetz aufzunehmen.
Bei meiner Fraktion gibt es da eine gewisse Offenheit.
Allerdings müssen wir die Bedenken der 2. Jugendstraf-
rechtsreform-Kommission ernst nehmen. Sie hat sehr
grundsätzliche Bedenken gegen diese Ausweitung und
sagt, man könne dies nicht mit dem normalen Verfahren
bei Erwachsenen vergleichen. Darum sage ich: Lassen
Sie uns eine sachgerechte Lösung im Rahmen einer Ge-
samtreform des Jugendstrafrechts und der Strafprozess-
ordnung suchen! Ich bin sicher, dass wir damit auf einen
guten Weg kommen, die Opfer zu stärken.






(A) (C)



(B) (D)


Irmingard Schewe-Gerigk

Ich finde es sehr schade für dieses Haus, dass wir es

bei diesem gemeinsamen Ziel, bei dem wir nicht weit
auseinander sind, nicht geschafft haben, einen gemeinsa-
men Antrag zu formulieren.


(Beifall des Abg. Joachim Stünker [SPD])

Für die Sache wäre dies wirklich ein guter Dienst gewe-
sen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Siegfried Kauder [Bad Dürrheim] [CDU/CSU]: Hätten Sie uns eingeladen!)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1509414500

Das Wort hat der Kollege Jörg van Essen, FDP-Frak-

tion.

Jörg van Essen (FDP):
Rede ID: ID1509414600

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Das Bedauern, das die Kollegin Schewe-Gerigk ausge-
sprochen hat, nämlich dass wir nicht zu einem gemeinsa-
men Antrag gekommen sind, teile ich. Ich darf vielleicht
der SPD-Fraktion den freundlichen Hinweis geben, ein-
fach einen anderen Berichterstatter wie zum Beispiel den
Kollegen Manzewski für diesen Vorgang zu benennen.
Ihm gelingt es offensichtlich immer wieder, ein Klima
zu schaffen, das ein vernünftiges Rechtsgespräch ermög-
licht und dazu führt, sich auf eine gemeinsame Vorlage
zu einigen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Es ist nämlich richtig, was die Kollegin Schewe-Gerigk
festgestellt hat: In weiten Teilen dieses Hauses gibt es
Übereinstimmung darin, dass es Verbesserungen für den
Opferschutz geben muss. Deshalb ist es heute ein guter
Tag.

Die Ministerin hat vorhin zu Recht darauf hingewie-
sen, dass inzwischen Gott sei Dank anders diskutiert
wird, dass das Opfer stärker wahrgenommen wird. Als
ein Zeichen dafür, dass es diese stärkere Wahrnehmung
gibt, sehe ich es an, dass einer der Landesjustizminister
heute hier auf der Bundesratsbank sitzt und an dieser De-
batte teilnimmt; denn die Länder sind in diesem Zusam-
menhang in besonderer Weise gefordert. Ich freue mich
darüber, dass er dieses Interesse durch seine Anwesen-
heit bekundet.

Neben all den Dingen, die wir rechtlich regeln, sind
es zum Teil auch organisatorische Maßnahmen, die dazu
führen, dass sich die Zeugen und Opfer vor Gericht bes-
ser behandelt sehen. Ich habe bei den verschiedenen De-
batten, die wir in diesem Zusammenhang geführt haben,
auf ein Beispiel aus Baden-Württemberg hingewiesen,
wo wir eine von der FDP gestellte Justizministerin ha-
ben. Dieses Beispiel ist aus meiner Sicht besonders dafür
geeignet, den Opferschutz voranzubringen. Dort werden
nämlich Referendare während ihrer Ausbildung bei Ge-
richt gebeten, Opfer und Zeugen zu betreuen. Sie lernen
auf diese Weise die Situation der Opfer kennen und es
tritt nicht das ein, was häufig in der Juristenausbildung
stattfindet, nämlich dass man ausschließlich täterorien-
tiert denkt: Als Staatsanwalt ermittelt man gegen den Tä-
ter, als Verteidiger verteidigt man einen Täter und als
Richter hat man über die Schuld eines Täters zu ent-
scheiden. Ich denke, dass neben all den gesetzgeberi-
schen Maßnahmen auch solche organisatorischen Vor-
gänge dazu dienen können, den Opferschutz zu
verstärken.

Wir als FDP werden das Opferrechtsreformgesetz der
Koalition heute unterstützen. Es gibt dafür zwei wesent-
liche Gründe. Ein Aspekt ist hier schon angesprochen
worden. Das ist die Frage: Wie ist die Vernehmung ei-
ner Person, die außerhalb des Gerichtssaals zu verneh-
men ist, durchzuführen? Wir halten das Modell, das die
Koalition vorschlägt und das anders ist als das so ge-
nannte Mainzer Modell, bei dem der Vorsitzende hinaus-
geht und sich mit der zu vernehmenden Person in einen
anderen Raum begibt, für das bessere.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Es ist schon gesagt worden: Die Umsetzung des Mo-
dells der Koalition führt dazu, dass alle am Verfahren
Beteiligten, Richter, Staatsanwalt und Verteidiger, das
gleiche Bild und den gleichen Eindruck haben. Ich bin
14 Jahre Staatsanwalt und Oberstaatsanwalt gewesen.

Daher weiß ich, dass es außerordentlich wichtig ist,
beispielsweise die Reaktion des Angeklagten – Frau
Schewe-Gerigk hat das angesprochen – auf bestimmte
Äußerungen zu beobachten. Deshalb muss diese Mög-
lichkeit bestehen.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das ist für uns ein ganz wichtiger Grund, dem Gesetz-
entwurf der Koalition zuzustimmen.

Der zweite Grund ist das Adhäsionsverfahren, das
die bisherige Debatte bestimmt hat. Ich brauche daher
nicht ausführlich darauf eingehen; aber eines will ich sa-
gen: Ich weiß nicht, den wievielten Versuch wir heute
unternehmen, das Adhäsionsverfahren zu stärken. Es
gibt gute Gründe, es zu stärken. Das führt nämlich dazu,
dass diejenigen, die Opfer geworden sind, nicht zwei
verschiedenen Verfahren – zunächst das Strafverfahren
und dann, beispielsweise wegen des Schadensersatzes,
das zivilrechtliche Verfahren – hinter sich bringen müs-
sen. Das Adhäsionsverfahren trägt ganz wesentlich dazu
bei, die Belastungen von Opfern einer Straftat zu redu-
zieren.

Im Gegensatz zum Ausland, wo dieses Verfahren
ohne jegliche Probleme seit vielen Jahrzehnten funktio-
niert, ist es in Deutschland offensichtlich nicht wirklich
einführbar.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wird es auch jetzt nicht!)


Dieses Mal muss es gelingen.

(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich bin skeptisch!)







(A) (C)



(B) (D)


Jörg van Essen

– Herr Ströbele, ich bin leider auch skeptisch. Wir dürfen
aber nicht nachlassen. Es muss auch in Deutschland
selbstverständlich sein, dass in Strafverfahren über Scha-
densersatzansprüche eines Opfers von Straftaten mitent-
schieden wird, damit danach alles klar ist.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)


Zum Schluss möchte ich die Frage der Nebenklage
und des Opferanwalts im Jugendstrafverfahren an-
sprechen. Wir möchten das einführen. Der Erziehungs-
gedanke, der das Jugendstrafrecht zu Recht beherrscht,
wird nach unserer Auffassung nicht beschädigt, wenn
man sich mit dem Opfer intensiver befassen muss, weil
das Opfer an der Verhandlung teilnehmen und Rechte
wahrnehmen kann oder weil das Opfer anwaltlich bera-
ten ist. Das führt dazu, dass dem Jugendlichen die Aus-
wirkungen seiner Tat viel deutlicher werden.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ein nicht öffentliches Verfahren!)


Damit wird aus unserer Sicht der Erziehungsgedanke ge-
stärkt.

Frau Schewe-Gerigk hat gesagt, dass wir unseren Än-
derungsantrag erst in diesen Tagen eingebracht haben.
Das haben wir tatsächlich getan; aber es sind alte, be-
kannte Vorschläge des Weißen Rings, die wir uns zu Ei-
gen gemacht haben.


(Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Wir hätten in der Anhörung darüber sprechen können!)


Ich freue mich, dass die gestrige Debatte im Rechts-
ausschuss gezeigt hat: Wir alle wollen in die Prüfung
dieser Frage eintreten. Mit unserem Änderungsantrag
haben wir, die FDP, einen ganz wichtigen Anstoß gege-
ben. Ich freue mich auf diese Debatte. Ich hoffe, dass wir
zu einem gemeinsamen Ergebnis kommen. Auch im Ju-
gendverfahren müssen die Rechte von Opfern gestärkt
werden. Das ist unser Ziel.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1509414700

Das Wort hat der Kollege Joachim Stünker, SPD-

Fraktion.


Joachim Stünker (SPD):
Rede ID: ID1509414800

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe

Kolleginnen und Kollegen! Mit dem Opferrechtsreform-
gesetz in der Fassung des Regierungsentwurfs verab-
schieden wir heute eine Verbesserung der Rechte der
Verletzten im Strafverfahren, die alle hier im Hohen
Hause wollen. Wenn in den zurückliegenden Wochen
und Monaten auch unterschiedliche Reformansätze Ge-
genstand der Ausschussberatungen waren, so ist die in al-
len Ansätzen zum Ausdruck gekommene rechtspolitische
Philosophie doch gleich gewesen. Wir alle wollen – das
ist es wert zu unterstreichen – die Stellung des Opfers ei-
ner Straftat im gesamten Strafverfahren, also vom Be-
ginn der Ermittlungen bis zum Vollzug und darüber hi-
naus, stärken. Die Frau Ministerin hat die einzelnen
Punkte dargestellt. Von daher muss ich darauf nicht im
Einzelnen eingehen.

Weil wir das gemeinsam wollen, sollten wir das auch
von dieser Stelle aus öffentlich bekunden und nicht zer-
reden, Herr Kollege Kauder. Für mich ist bei der Diskus-
sion über diese Frage kein Platz für vordergründige, po-
pulistische politische Polemik. Dieses Thema eignet sich
nicht für den politischen Tageskampf. Herr Kollege
Kauder, ich will trotzdem auf einiges, was Sie angespro-
chen haben, kurz eingehen.

Es ist nicht so, dass wir nicht in der Lage seien – das
haben Sie der Ministerin vorgeworfen –, die Rechte des
Beschuldigten zu beschneiden. Bei allem Bemühen um
Opferschutz geht es darum – das muss man sich ins Ge-
dächtnis rufen –, dass es verschiedene Stadien des Ver-
fahrens gibt. In diesen verschiedenen Stadien des Ver-
fahrens ist oft gar nicht klar, ob derjenige, den wir für
den Täter halten, der Beschuldigte, der Angeschuldigte,
der Angeklagte, auch der Täter ist und ob das Opfer
auch das Opfer ist. Das stellt sich erst im Laufe des Ver-
fahrens heraus. Das ist nicht immer so. Aber in vielen
Fällen muss man darauf Rücksicht nehmen. Von daher
ist es wichtig, das fein und exakt zu ziselieren.

Herr Kollege Kauder, das Ergebnis kann nicht so
holzschnittartig und einseitig sein, wie Sie als Vertreter
des Weißen Ringes es hier immer wieder vortragen. Wir
müssen dabei schon die Gesamtschau im Auge behalten.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich spreche Ihnen Ihr Engagement nicht ab. Aber wir
müssen immer wieder auf das Strafverfahren im Ganzen
hinweisen.

Zweitens haben Sie gefragt, warum es nicht möglich
sei, die Anschrift von geschädigten Zeugen in der An-
klageschrift wegzulassen. Meines Wissens kann man das
aus Schutzgründen schon heute tun: § 200 in Verbindung
mit § 68 der Strafprozessordnung.


(Siegfried Kauder [Bad Dürrheim] [CDU/ CSU]: Bei der Vernehmung, nicht in der Anklageschrift! Das ist falsch!)


In meiner jugendrichterlichen Praxis ist das so gehand-
habt worden. Im Übrigen ist das in der Praxis überhaupt
kein Problem, Herr Kollege Kauder.

Drittens. – Nun ist Herr Kollege van Essen dabei,
weitere Komplimente auszuteilen, und ist zur Bundes-
ratsbank enteilt. – Herr Kollege van Essen, es ist sicher-
lich sehr vernünftig und lobenswert, dass Sie dem Ent-
wurf der Regierung jetzt zustimmen möchten. Zu dem
Änderungsantrag, den Sie eingebracht haben und über
den wir noch abzustimmen haben: Wir werden uns sehr
gründlich mit dieser Frage beschäftigen und auseinander
setzen. Aber Änderungen im JGG, im Jugendgerichtsge-
setz, sollte man sich sehr gründlich überlegen. Man
sollte nicht, wie Herr Kollege Kauder darzustellen






(A) (C)



(B) (D)


Joachim Stünker

versucht hat, meinen, man könne das mit einem Feder-
strich machen. Wir werden das sehr gründlich überlegen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Jörg van Essen [FDP]: Das ist ein bekannter Vorschlag des Weißen Rings! – Siegfried Kauder [Bad Dürrheim] [CDU/ CSU]: Wie viele Monate brauchen Sie noch?)


– Sie haben 16 Jahre gebraucht, Herr Kauder.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Kollege van

Essen hat auf einen wichtigen Punkt hingewiesen, wes-
halb es mir immer sehr wichtig ist, die Gemeinsamkeiten
zu betonen. Frau Noll, Sie werden uns vielleicht gleich
wieder vorwerfen, alles nicht richtig zu machen. Ich
werde das dann ertragen. Aber die Gemeinsamkeit ist
mir sehr wichtig, weil von hier aus nach draußen, in die
Praxis hinein, die Botschaft ausgehen muss: Der Gesetz-
geber will das.

Die Verbesserungen, die auch Sie wollen – teilweise
gehen sie Ihnen nicht weit genug –, in der Praxis durch-
zusetzen wird noch schwierig werden, insbesondere die
Verwirklichung von Schadensersatzansprüchen bereits
im Strafprozess. Für 90 Prozent der Strafprozesse, die je-
den Wochentag von Flensburg bis zum Bayerischen
Wald stattfinden, nehmen wir einen Paradigmenwechsel
vor: Wir sagen den Gerichten, dass sie, wenn der Antrag
gestellt wird, Schadensersatzansprüche in der Regel im
Strafprozess ausurteilen müssen. Das wird für viele neu
sein. Die Praxis sieht ganz anders aus. Herr van Essen
hat zu Recht darauf hingewiesen, dass in der Vergangen-
heit oft versucht worden ist, das durchzusetzen; es hat
aber nicht funktioniert.

Darum ist es mir sehr wichtig, dass von dieser De-
batte die Botschaft ausgeht: Wir wollen alle gemeinsam,
dass zukünftig den Opfern, den Geschädigten einer
Straftat, die Möglichkeit gegeben wird, im Regelfall be-
reits im Strafprozess Schadensersatz- und Schmerzens-
geldansprüche durchzusetzen. Was dem deutschen Straf-
prozess in der Tat bisher fremd gewesen ist, soll die
Regel werden. Daher wäre es für mich wünschenswert,
dass wir das nicht im politischen Tageskampf zerreden.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir als Regierungs-
koalition sind der Meinung, dass das Opferrechtsreform-
gesetz ein weiterer Meilenstein auf dem Weg der rot-
grünen Reformen in der Rechtspolitik seit 1998 ist.
Wir haben uns im Jahre 1998 sehr ehrgeizige Ziele ge-
setzt. Wir haben uns in der 14. Legislaturperiode im We-
sentlichen mit dem Zivilprozessrecht im Bereich der or-
dentlichen Gerichtsbarkeit beschäftigt, um eine
Strukturreform auf den Weg zu bringen, die zu Entlas-
tungseffekten führt. Wir haben damals gesagt: Die Re-
form des Strafprozesses wird der 15. Legislaturperiode
vorbehalten sein.

Wir haben Ihnen im Jahre 2001 unser Eckpunktepa-
pier vorgelegt. Auch darin sind die Aspekte, die wir
heute mit dem Gesetzentwurf zur Verbesserung der Op-
ferrechte verabschieden, enthalten.

Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang auf die
Strukturreformen hinweisen. Im Jahr 1998 haben wir
uns entschieden, die Reformmodelle der 90er-Jahre, die
immer nur zu höheren Belastungen statt zu höheren Ent-
lastungen geführt haben, nicht weiter zu verfolgen. Da-
mals sind wir, insbesondere im Bereich des Zivilprozess-
rechts, schwer bekämpft worden. Heute stellen wir fest,
dass sich die ZPO-Reform zunehmend durchsetzt.


(Lachen des Abg. Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU])


– Herr Kollege Röttgen, erst heute habe ich mit Freude
gelesen, dass mittlerweile auch CDU-Landesminister
dem Modell der Dreistufigkeit, das wir damals vehement
vertreten haben, sehr viel abgewinnen können und dieses
Modell sogar in öffentlichen Reden propagieren. Ge-
wisse Reformen brauchen nun einmal einige Zeit, bis sie
sich durchsetzen. Ich denke, auch hier sind wir auf ei-
nem guten Weg.

In der nächsten Woche werden wir mit dem Justizmo-
dernisierungsgesetz den zweiten Schritt unseres Modells
zur Reform des Strafprozessrechts tun. Auch in ihm sind
noch einige Vorschriften zum Opferschutz enthalten, die
in diesem Zusammenhang von Bedeutung sind. Als drit-
ten Schritt haben der Kollege Montag und ich am 13. Fe-
bruar dieses Jahres der Öffentlichkeit einen Diskussions-
entwurf für eine weitere Reform des Strafprozessrechts
vorgestellt.

Diese drei Schritte gehören für uns zusammen und
bilden eine Einheit, die wir im Jahre 2001 mit unserem
Eckpunktepapier auf den Weg gebracht haben. Daher
sind wir sehr zufrieden, dass wir diesen Gesetzentwurf
heute und den zweiten Schritt unseres Reformmodells in
der nächsten Woche verabschieden können. Am Wo-
chenende können wir dann auf dem Stafverteidigertag
und im Verlaufe der nächsten Wochen und Monate bis
hin zum Deutschen Juristentag im September dieses Jah-
res über eine weitere grundlegende Reform des Strafpro-
zessrechts diskutieren.

Wenn wir diese, vielleicht auch mit ein wenig Ge-
meinsamkeit, durchsetzen können, haben wir in zwei Le-
gislaturperioden – ich hoffe, wir werden das schaffen –
für die ordentliche Gerichtsbarkeit als Ergebnis sehr viel
erreicht, was Sie in 16 Jahren nicht einmal im Ansatz auf
den Weg gebracht haben.

Schönen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Jörg van Essen [FDP]: Oh, nein! Die 16 Jahre wieder! Das ist die Atmosphäre, die die einen schaffen und die anderen nicht! Der Ton macht die Musik!)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1509414900

Das Wort hat die Kollegin Michaela Noll, CDU/CSU-

Fraktion.


Michaela Tadjadod (CDU):
Rede ID: ID1509415000

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Herr Stünker, auch wenn Sie mir gerade nicht
zuhören, muss ich Ihnen sagen: Sie scheinen mich schon
sehr gut zu kennen. Ich verspreche Ihnen: Ich werde Ihre






(A) (C)



(B) (D)


Michaela Noll

Erwartungen nicht enttäuschen. Denn wir sind nicht nur
hier, um Nettigkeiten auszutauschen, sondern auch, um
über die Defizite Ihres Entwurfs zu diskutieren.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der Sache halber!)


Um es auf den Punkt zu bringen: Vor circa einem Jahr
habe ich Sie im Interesse eines bestmöglichen Opfer-
schutzes hier an dieser Stelle um die Unterstützung unse-
res Gesetzentwurfs gebeten. Mit Ihrer Zustimmung hät-
ten Sie dem Land und den Opfern einen wirklich guten
Dienst erwiesen, auf den die Opfer lange genug gewartet
haben.

Aber lassen wir doch einmal Revue passieren, wie die
Zeit danach verlaufen ist. Erst einmal hat sich ein halbes
Jahr lang überhaupt nichts getan. Das war für die Opfer
verlorene Zeit. Dann haben Sie Ihren Gesetzentwurf zur
Opferrechtsreform vorgelegt. Warum Sie bei diesem Ge-
setzentwurf allerdings von einer großen Reform spre-
chen, bleibt mir bis heute ein Rätsel. Was ist denn mit
den Opferrechten in Jugendstrafverfahren? Was ist mit
der Forderung des Weißen Rings und der Empfehlung
des 64. Deutschen Juristentages, im Verfahren gegen Ju-
gendliche die Nebenklage zuzulassen?


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir haben eben andere Ansichten als der Weiße Ring!)


Kollege van Essen, das haben Sie eben bereits angespro-
chen. Ich denke, konstruktive Vorschläge lagen vor.

Aber sehen wir uns doch einmal die Gegenäußerung
der Bundesregierung zur Stellungnahme des Bundesra-
tes an. Sie zeigt, dass hier Nachbesserungsbedarf be-
steht. Dort heißt es zu § 58 a Abs. 2 Satz 2 StPO: „Die
Bundesregierung wird den Vorschlag prüfen.“ Worum
ging es hier? Es ging um die Herausgabe der Kopien der
Videoaufzeichnungen an den Verteidiger. Mein Kollege
Kauder hat das eben schon angesprochen. Nur unser
Entwurf macht deutlich, dass die Aufzeichnungen be-
sonderen Schutz verdienen. Denn wir wollen nicht, dass
Kopien von Aufzeichnungen herausgegeben werden.
Mit dieser Ansicht stehen wir, wie Sie sehen, nicht ganz
allein.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie alle – das gilt

auch für Sie, Herr Stünker – haben den Vermerk des
Bundesbeauftragten für den Datenschutz hoffentlich ge-
lesen. Darin steht, dass unsere Fassung vorzugswürdig
erscheint, weil sie die Interessen der Betroffenen besser
schützt.

Ich denke, deutlicher kann man es nicht sagen.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Sie sehen, meine Damen und Herren: Opferschutz
wollen ist die eine Seite, ihn aber konsequent umsetzen
die andere. Letzteres ist Ihnen in dem Entwurf aber nur
dort gelungen, wo Sie unsere Vorstellungen übernom-
men haben. Dass Sie einiges übernommen haben, sehr
geehrte Frau Ministerin, haben Sie ja netterweise schon
bei der Regierungsbefragung eingeräumt.
Schlimmer ist jedoch, was im Regierungsentwurf
fehlt. Da spreche ich Sie an, Frau Kollegin Schewe-
Gerigk: Es geht um die Kinder. Sie wissen, es gab ges-
tern bei uns im Familienausschuss eine heftige Diskus-
sion. Ich bin nach wie vor eine Verfechterin des Main-
zer Modells. Danach haben kindliche Opfer die
Möglichkeit, in einem separaten Raum unmittelbar vom
Vorsitzenden vernommen zu werden. Versetzen Sie sich
einmal in die Situation eines kindlichen Vergewalti-
gungsopfers! Glauben Sie denn nicht, dass es für das
Opfer verletzend und demütigend ist, in eine Kamera zu
sprechen? Das können nicht alle Kinder. Ich habe Ihnen
doch schon letztes Mal erklärt: 94 Prozent der Täter
stammen aus dem unmittelbaren sozialen Umfeld der
Kinder.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist denn mit Ihrem Modell? Da sprechen sie doch auch in die Kamera!)


Deswegen möchte ich eine möglichst vertrauensvolle
und schonende Vernehmungsatmosphäre schaffen; das
ist weniger belastend für die Kinder. Sie können sicher
sein, dass eine persönliche Ansprache zu mehr Opfer-
schutz führt.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, sicher!)


Darauf zielte unser Gesetzentwurf ab.

(Beifall bei der CDU/CSU – Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Darin war auch eine Kamera vorgesehen!)


Ich kann Ihnen nur klipp und klar sagen, auch wenn
Sie sich ein wenig echauffieren, Herr Kollege Ströbele
und Frau Kollegin Schewe-Gerigk: Wir hatten die Ex-
pertenanhörung. Da hatten Sie Gelegenheit, mit den Ex-
perten zu reden. Sie waren nicht da – ich war da! Ich
möchte Sie gerne daran erinnern, was die Oberstaatsan-
wältin wortwörtlich gesagt hat und was jeder nachlesen
kann:

Angesichts der Ablehnung der Simultanverneh-
mung durch die Praxis sollte die Umsetzung des so
genannten Mainzer Modells angedacht werden.

Gleich lautende Zustimmung kam von Professor
Rössner, den Sie eingeladen hatten. Die gleiche Mei-
nung vertraten auch der Deutsche Juristentag, der Weiße
Ring und der Bundesrat.

Es ist beschämend, an dieser Stelle sagen zu müssen:
Kinder, die in Österreich Opfer eines Sexualverbrechens
werden, sind besser gestellt; denn dort werden sie regel-
mäßig durch einen kinderpsychologisch befähigten
Sachverständigen vernommen, der sich gemeinsam mit
der Vertrauensperson und dem Kind in einem gesonder-
ten Raum befindet, während sich der Richter im Sit-
zungssaal aufhält. Das nenne ich Kindeswohl; davon
sind wir weit entfernt! In Österreich wird genau das prak-
tiziert, was Professor Rössner in seiner Stellungnahme
„perspektivisch“ für den deutschen Strafprozess vorge-
schlagen hat. Ich empfehle die Lektüre! Bei uns wird im-
mer gesagt: Es scheitert an schwierigen rechtlichen und






(A) (C)



(B) (D)


Michaela Noll

praktischen Fragen. Da sind die Österreicher anschei-
nend weiter!

Ihre Verweigerungshaltung geht erneut zulasten der
Schwächsten in der Gesellschaft. Frau Ministerin, ich
denke, gerade diese Opfer brauchen den Schutz der
Rechtsordnung. Das sage ich Ihnen als Abgeordnete, als
Frau und als Mutter.

Sie müssen sich auch Untätigkeit vorwerfen lassen,
denn ich kann mich daran erinnern: Am 12. Februar die-
ses Jahres haben Sie, Frau Ministerin, hier im Deutschen
Bundestag angekündigt, demnächst eine gesetzliche Re-
gelung zur nachträglichen Sicherungsverwahrung zu
präsentieren.


(Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: „In wenigen Tagen“ hieß es!)


Bis heute liegt nichts vor. Das heißt, wir laufen Gefahr,
dass drei hochgefährliche Kinderschänder ab 1. Septem-
ber dieses Jahres auf freien Fuß gesetzt werden müssen.
Für mich ist das heute kein guter Tag für den Opfer-
schutz.

Danke schön.

(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1509415100

Das Wort hat die Kollegin Daniela Raab, CDU/CSU-

Fraktion.


Daniela Raab (CSU):
Rede ID: ID1509415200

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen

und Kollegen! Opferschutz ist ein Ziel – wir haben es in
dieser Debatte oft genug gehört –, das wir unbestritten –
Gott sei Dank ist das so – gemeinsam verfolgen. Es ist
ein Thema – auch das haben wir jetzt bemerkt –, das
Emotionen weckt, nicht nur bei uns, wenn wir darüber
diskutieren, sondern insbesondere bei den Betroffenen
und in der Bevölkerung. Jeder sieht ein, dass es nicht
sein kann, dass die Interessen des Opfers in einem Pro-
zess weniger gewahrt werden als die des Täters. Keiner
möchte, dass das Opfer im Prozess nochmals traumati-
siert wird. Man bemüht sich, weiteres Leiden zu verhin-
dern und einen gerechten Prozess zu führen, der in ein
gleichermaßen gerechtes Urteil münden soll. Das sollte
man meinen, aber bis jetzt kann man sich nicht immer
darauf verlassen.

Auch das ist schon gesagt worden: Eine Reform ist
nicht immer eine Reform, oder besser: Nicht überall, wo
„Reform“ draufsteht, ist auch „Reform“ drin, besonders
nicht, wenn sie von Ihnen kommt – aber diese Erfahrung
haben wir ja schon öfter gemacht. „Reform“ bedeutet für
uns den Abbau unnötiger Bürokratie und eine noch akti-
vere Beteiligung des Opfers am Strafprozess, als dies
bisher möglich ist.

In den letzten Debatten und auch heute von meinen
Vorrednern ist bereits einiges an Fakten ausgeführt wor-
den. Ich möchte das nicht unnötig wiederholen. Es ist
von allen Seiten aufgezeigt worden, wie viel sich in den
letzten Jahren für die Opfer schon zum Besseren verän-
dert hat und welche Fortschritte im Opferschutz gemacht
wurden.

Eines möchte ich ganz gerne wiederholen: Opfer-
schutz war immer ein Thema der Union und der FDP.
1994 wurde das erste Opferschutzgesetz verabschiedet
und noch 1998 gab es die Regelungen zum Zeugen-
schutz. Und dann kamen Sie!


(Jörg van Essen [FDP]: In vier Jahren DäublerGmelin gar nichts!)


Die Entstehungsgeschichte des heutigen Gesetzentwur-
fes geht immerhin schon auf das Jahr 1999 zurück, er
verfiel aufgrund Ihrer nachhaltigen, konsequenten Untä-
tigkeit der Diskontinuität.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben die ganzen 90er-Jahre nichts gemacht!)


Das Ganze wurde nur dadurch durchbrochen, dass der
Bundesrat die Initiative ergriffen hat, der wir uns als
Union dankbar angeschlossen haben. Erst, als das bereits
lief, haben Sie sich mit einem eigenen Entwurf auf den
Weg gemacht. Man möchte fast sagen: Respekt, das ging
ja richtig schnell.

Dennoch darf ich sagen, dass es gut ist, dass wir uns
zumindest darin einig sind, dass Opferschutz ein Thema
ist, das wir nicht aus den Augen verlieren dürfen.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir haben es mitten im Auge!)


Umso bedauernswerter ist es – auch das sage ich ganz
klar –, dass wir uns nicht auf einen gemeinsamen Ent-
wurf einigen konnten.

Auch die Expertenanhörung im Dezember hat deut-
lich gemacht, dass sich viel verbessert hat, dass es aber
nötig ist, weitere rechtliche Voraussetzungen zu schaf-
fen, um die Opferrechte zu stärken. Ich möchte kurz
– auch wenn dazu heute schon etwas gesagt worden ist –
einige der von uns geforderten Maßnahmen nennen, die
zur Stärkung der Opferrechte beitragen sollen.

Ich nenne zunächst die Erweiterung der Nebenklage
und die Bereitstellung eines Opferanwalts für Hinterblie-
bene. Dies sind Bedingungen, die definitiv schon längst
hätten durchgesetzt werden müssen und die jetzt wieder
nur rudimentär durchgesetzt werden.

Auch muss es einen verbesserten Informationsfluss
zwischen Opfern und Behörden über Opferrechte und
den Stand des Verfahrens geben. Soweit sind wir nun.
Das begrüßen wir sehr; denn das Opfer muss in die Lage
versetzt werden, seine Rechte in vollem Maße wahrzu-
nehmen. Dazu gehört nun einmal als erste Vorausset-
zung eine umfassende Information und Aufklärung.

Eine Erleichterung für die Opfer, aber auch für die
Gerichte ist das geforderte Adhäsionsverfahren. Dessen
Ausgestaltung gefällt uns trotz Ihres Nachbesserungs-
vorschlages aus dieser Woche immer noch nicht. Mein
Kollege Kauder hat dazu in gewohnt präziser Weise
schon Stellung genommen.






(A) (C)



(B) (D)


Daniela Raab

Es sollte – dieser Punkt liegt uns wirklich sehr am

Herzen – dem Verteidiger des Angeklagten nicht gestat-
tet sein, Bild- und Tonaufzeichnungen einer Verneh-
mung des Opfers aus dem Gericht mitzunehmen, ohne
dass das Opfer dem vorher zugestimmt hat; denn man
muss bedenken, dass das Opfer bei dieser Vernehmung
möglicherweise noch stark unter dem Eindruck der Tat
steht und dass Bilder des Opfers in einer solchen doch
sehr intimen Situation, in der das Opfer verletzbar ist,
unter besonderem Schutz stehen müssen. Dies ist gerade
deshalb nötig, weil es noch keinen sicheren Kopier-
schutz für Videos gibt. Auch das ist bereits erwähnt wor-
den: Der Bundesbeauftragte für Datenschutz hat das
auch bestätigt.

Sie sehen, wir waren verhandlungsbereit. Ihr Entwurf
geht uns leider an diesen wichtigen Stellen definitiv
nicht weit genug. Der Opferschutz müsste wesentlich
konsequenter weitergeführt werden. Die Chance dazu
besteht nach wie vor. Dennoch können wir Ihrem Ent-
wurf heute leider nicht zustimmen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1509415300

Die Kollegin Petra Pau hat ihre Rede zu diesem Tages-

ordnungspunkt zu Protokoll gegeben.1) Deshalb schließe
ich die Aussprache.

Wir kommen zu den Abstimmungen zum Tagesord-
nungspunkt 7 a. Abstimmung über den Gesetzentwurf
der Fraktion der CDU/CSU zur Stärkung der Rechte der
Opfer im Strafprozess auf Drucksache 15/814. Der
Rechtsausschuss empfiehlt unter Buchstabe c seiner Be-
schlussempfehlung auf Drucksache 15/2609, den Gesetz-
entwurf abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetz-
entwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer
stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf
ist in zweiter Beratung mit den Stimmen der SPD, des
Bündnisses 90/Die Grünen und der FDP gegen die Stim-
men der CDU/CSU abgelehnt. Damit entfällt nach unse-
rer Geschäftsordnung die weitere Beratung.

Noch Tagesordnungspunkt 7 a. Abstimmung über den
von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf
zur Verbesserung der Rechte von Verletzten im Strafver-
fahren auf Drucksache 15/2536. Der Rechtsausschuss
empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung
auf Drucksache 15/2609, den Gesetzentwurf in der Aus-
schussfassung anzunehmen. Hierzu liegt ein Änderungs-
antrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 15/2615 vor,
über den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für diesen
Änderungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltun-
gen? – Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der
SPD, des Bündnisses 90/Die Grünen und der CDU/CSU
gegen die Stimmen der FDP abgelehnt.

Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in
der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Hand-
zeichen. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der
1) Anlage 2
Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den
Stimmen der SPD, des Bündnisses 90/Die Grünen und
der FDP gegen die Stimmen der CDU/CSU angenom-
men.

Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzent-
wurf ist damit mit demselben Stimmverhältnis wie in der
zweiten Beratung angenommen.

Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses zu dem
von den Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die
Grünen eingebrachten Gesetzentwurf zur Verbesserung
der Rechte von Verletzten im Strafverfahren, Drucksache
15/2609. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b sei-
ner Beschlussempfehlung, den Gesetzentwurf auf Druck-
sache 15/1976 für erledigt zu erklären. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? – Gegenprobe! – Enthal-
tungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen
des ganzen Hauses angenommen.

Tagesordnungspunkt 7 b. Beschlussempfehlung des
Rechtsausschusses auf Drucksache 15/2609 zu dem An-
trag der Fraktion der FDP mit dem Titel „Opferrechte
stärken und verbessern“. Der Ausschuss empfiehlt unter
Buchstabe d seiner Beschlussempfehlung, den Antrag
auf Drucksache 15/936 abzulehnen. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? – Gegenprobe! – Enthal-
tungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stim-
men der Koalition gegen die Stimmen der FDP bei Ent-
haltung der CDU/CSU angenommen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 8 auf:
Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten
Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des

(… Betreuungsrechtsänderungsgesetzes –… BtÄndG)

– Drucksache 15/2494 –
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss (f)

Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Bundes-
ministerin für Justiz, Brigitte Zypries.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1509415400

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! In dem Ziel der Sache, um die es hier geht, sind
sich Bundestag, Bundesrat und Bundesregierung einig.
Wir alle wollen die Rechte psychisch kranker oder be-
hinderter Menschen erhalten und gegebenenfalls weiter
stärken. Mit dem Betreuungsrecht, über das wir hier
reden, unterstützen wir psychisch kranke oder behin-
derte Menschen dabei, ein selbstbestimmtes Leben zu
führen – so gut es eben geht.






(A) (C)



(B) (D)


Bundesministerin Brigitte Zypries

Im Zuge der jetzt vom Bundesrat aufgekommenen

Initiativen zur Veränderung des Betreuungsrechts wurde
teilweise die Behauptung aufgestellt, dass das Betreu-
ungsrecht ein schlechtes Gesetz sei und dass es erhebli-
che Missstände gebe. Diese Aussage würde ich gerne
zurückweisen und ihr widersprechen. Ich meine nicht,
dass das geltende Betreuungsrecht ein schlechtes Gesetz
ist.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)


Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass die Zahl der
Betreuten in den letzten Jahren sehr stark gestiegen ist.
Das zeigt auf der einen Seite, dass es ein gutes Gesetz
ist, weil es angewandt wird. Auf der anderen Seite führt
dies aber auch dazu, dass die Haushalte der Bundeslän-
der stärker belastet werden. Von daher habe ich vollstes
Verständnis dafür, dass die Länder hier Veränderungen
vornehmen wollen und dieses Gesetz, wie man auf Neu-
deutsch sagt, evaluieren wollen.

Ich glaube, die stetig steigenden Betreuungskosten
kann man unter anderem auf zwei Gründe zurückführen.
Zum einen stehen die amtlich bestellten Betreuer nicht
nur für die ihnen obliegenden Aufgaben, also für die
rechtliche Betreuung, zur Verfügung, sondern sie neh-
men darüber hinaus zahlreiche andere Aufgaben wahr,
die eigentlich nicht zur rechtlichen Betreuung gehören.
Diese rechnen sie aber gleichwohl ab. Das kann man un-
ter mitmenschlichen Gesichtspunkten gut verstehen.

Allerdings habe ich aber, wie gesagt, Verständnis für
das Interesse der Länder, die die Berufsbetreuung auf die
erforderliche rechtliche Betreuung zurückführen wol-
len. Das, was im Sinne der Menschen darüber hinaus ge-
leistet werden muss, muss in anderer Form sichergestellt
werden. Ich glaube, das schulden wir denjenigen, die für
ihre Betreuungskosten selbst aufkommen müssen, ge-
nauso wie denjenigen, die ihre Betreuungskosten durch
die Staatskasse erstattet bekommen.

Der zweite Gesichtspunkt ist, dass das jetzt geltende
Betreuungsrecht einen erheblichen bürokratischen Auf-
wand vorsieht; denn jede Tätigkeit eines Betreuers muss
einzeln dokumentiert und abgerechnet werden. Das er-
scheint schon auf den ersten Blick nicht sonderlich ver-
nünftig. Von daher glaube ich schon, dass die unnötige
Bürokratie ruhig zurückgeführt werden kann, wenn
man den Grundprinzipien des Betreuungsrechts treu
bleibt, also dem Wohl und dem Erhalt größtmöglicher
Selbstbestimmung der Betroffenen.

Einen wesentlichen Ansatz im Gesetzentwurf des
Bundesrates halte ich für richtig, nämlich die Stärkung
der Vorsorgevollmacht, ein Thema, dem sich das Bun-
desministerium der Justiz schon längere Zeit widmet.
Wir werben schon immer dafür, dass diese Vorsorgevoll-
macht stärker in Anspruch genommen wird.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir haben ein einheitliches Muster entwickelt, das von
möglichst allen benutzt werden sollte, damit der Wirr-
warr mit verschiedenen Mustervollmachten aufhört.
Das gilt auch für die vorgesehene Entbürokratisierung
und Verfahrensvereinfachung im Betreuungswesen. Ich
habe es schon angesprochen: Es macht eindeutig Sinn,
zu einer Pauschalierung der Vergütung und des Auf-
wendungsersatzes für Berufsbetreuer zu kommen. Das
ist von einer Arbeitsgruppe sorgfältig berechnet worden.
Ich verspreche mir davon, dass durch den Wegfall von
aufwendigen Abrechnungen für die Betreuer und mühsa-
mer Überprüfung für die in der Justizverwaltung dafür
Zuständigen auf beiden Seiten Kapazitäten frei werden,
die für Sinnvolleres genutzt werden können.


(Beifall des Abg. Dirk Manzewski [SPD])

Nun ist es nicht überraschend, dass sich insbesondere

die betroffenen Berufsbetreuer und Betreuungsvereine
sehr dagegen wehren, von der Spitzabrechnung hin zu
einer Pauschalierung zu kommen. Ich möchte ihnen un-
gern unterstellen, dass sie dies nur aus Besitzstandsden-
ken heraus tun und sich weigern, sachgerechten Verän-
derungen zuzustimmen. Wir sollten uns in den
Beratungen im Ausschuss sehr sorgfältig anschauen,
welches die Kritikpunkte der Berufsbetreuer und Vereine
sind, um darauf gegebenenfalls eingehen zu können.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Mir ist schon aufgefallen, dass nicht alle Beanstandun-
gen von der Hand zu weisen sind.

Ein anderer Punkt, bei dem ich mit dem Gesetzent-
wurf der Länder Probleme habe, betrifft die Einführung
einer gesetzlichen Vertretungsmacht für Ehegatten und
Lebenspartner im Bereich der Vermögensvorsorge.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Das ist ein schwieriges Thema, dem wir uns in der Dis-
kussion stellen müssen. Es ist sicherlich schon in der
sozialen Wirklichkeit problematisch, generell eine Voll-
macht für Ehepartner einzuführen, um dann festzustel-
len, dass nur 13 Prozent der Betreuten verheiratet sind.
Ich glaube, der Anlass und das Ergebnis der Regelung
sind auch aus verfassungsrechtlichen Gründen proble-
matisch. Diese gesetzliche Vertretungsmacht in Vermö-
gensangelegenheiten widerspricht zudem dem Grund-
prinzip der selbstständigen Vermögensverwaltung. Man
muss sich auch die Frage stellen: Warum haben sich
Ehepartner nicht während ihrer Ehe gegenseitig eine
Vollmacht über ihre Konten erteilt? Wenn sie es nicht
gewollt haben, dann muss man dies auch zu einem Zeit-
punkt respektieren, zu dem sie darüber nicht mehr
selbstständig entscheiden können.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


All das müssen wir uns sorgfältig ansehen. Wie ge-
sagt, in dem Grundansatz der Länder, die Kosten zu sen-
ken, unnötige Bürokratie zu vermeiden und Vereinfa-
chungen zu suchen, sind wir uns einig. Wir müssen aber
sehen, dass wir alles im Rahmen der erforderlichen
rechtsstaatlichen und persönlichkeitswahrenden Grund-
sätze regeln.






(A) (C)



(B) (D)


Bundesministerin Brigitte Zypries

Dazu gehört im Übrigen auch, dass die vorgeschla-

gene zwangsweise Zuführung zur ambulanten ärztli-
chen Heilbehandlung aufgrund richterlicher Genehmi-
gung für meine Begriffe besser gestrichen werden sollte.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Sibylle Laurischk [FDP])


Die Bundesregierung hat hier ganz erhebliche verfas-
sungsrechtliche Bedenken. Wir sollten sehen, dass wir
zu einer anderen Regelung kommen. Es gibt hier hinrei-
chend andere Möglichkeiten, um zu sachgerechten Ent-
scheidungen zu kommen.

Zusammenfassend: Die Bundesregierung wird die
vorgeschlagenen Verfahrensvereinfachungen und Entbü-
rokratisierungen mittragen, soweit dies das Betreuungs-
recht wirklich stärkt und die Rechte der betroffenen
Menschen wahrt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1509415500

Das Wort hat die Kollegin Ute Granold, CDU/CSU-

Fraktion.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Ute Granold (CDU):
Rede ID: ID1509415600

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-

gen! Wir befassen uns heute in erster Lesung mit der Än-
derung des Betreuungsrechtes, das 1992 als eine der be-
deutendsten und tiefgreifendsten Reformen des
deutschen Zivilrechts gepriesen wurde. Ich stimme Ih-
nen, Frau Ministerin, zu: Es ist ein gutes Gesetz und wir
sind heute aufgerufen, das, was ansteht, zu ändern, und
zwar aufgrund der Veränderungen in der Alterspyramide
etc. Ziel der Reform damals war es, die Rechte der Be-
troffenen zu stärken und eine bis dahin beklagte Verwal-
tung der Menschen durch eine persönliche Betreuung zu
ersetzen. Dieser Weg war richtig.

Vom Betreuungsrecht betroffen sind Erwachsene, das
heißt Menschen, die wegen ihrer psychischen Krankheit
oder einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behin-
derung ihre rechtlichen Interessen – nur darum geht es –
nicht selbst vertreten können und dabei auf die Hilfe an-
derer Menschen angewiesen sind. Vom Gericht bestellte
Betreuer gewähren den notwendigen Schutz und die er-
forderliche Fürsorge, sind aber zugleich auch darum be-
müht, ein größtmögliches Maß an Selbstbestimmung
dieser Menschen zu erhalten.

Mitte der 90er-Jahre führte eine erste Reformdiskus-
sion im Betreuungsrecht zu einer Präzisierung der Ver-
gütungsregelung und einer Änderung einzelner Verfah-
rensvorschriften. Das Weitere und Wesentliche jedoch,
die Notwendigkeit umfassender struktureller Verände-
rungen, führte danach schließlich zur Einsetzung einer
Bund-Länder-Arbeitsgruppe. Vor dem Hintergrund, dass
die Betreuungsfallzahlen von 1992 – seien es damals
nun 250 000 oder 450 000 gewesen – auf über 1 Million
im Jahre 2002 gestiegen und die Kosten im Betreuungs-
recht im gleichen Zeitraum nahezu explodiert sind, ist es
erforderlich, die Zahl der Betreuungsfälle durch Förde-
rung der Eigeninitiative zu reduzieren, Bürokratie abzu-
bauen und die ehrenamtliche Betreuung als unverzicht-
bares Element zu stärken.

In dem Abschlussbericht der Bund-Länder-Arbeits-
gruppe aus dem vergangenen Jahr wurden Vorschläge
unterbreitet, über die wir nun zu beraten haben: Stärkung
der Vorsorgevollmacht, Einführung einer gesetzlichen
Vertretungsmacht, Pauschalierung der Vergütung und di-
verse Änderungen im Verfahrensrecht. Seitdem diese
Vorschläge bekannt sind, gibt es eine sehr intensive Dis-
kussion nicht nur in den Fachkreisen – teilweise kontro-
vers geführt –, sondern auch in der Bevölkerung. Dies
zeigt die große Betroffenheit und die gesellschaftspoliti-
sche Dimension dieses Themas. Nicht nur die immer
größer werdende Zahl unserer älteren Mitbürger, son-
dern auch die Jungen, grundsätzlich jeder kann betroffen
sein und sollte sich daher informieren und entsprechende
Vorsorge treffen.

Der jetzt zur Beratung anstehende Gesetzentwurf des
Bundesrates setzt die Empfehlungen der Bund-Länder-
Arbeitsgruppe um. Dies bedarf jedoch einer genauen
Überprüfung. Entsprechend dem Ziel, die Zahl der Be-
treuungsfälle zu reduzieren und die Eingriffe in das
Selbstbestimmungsrecht der Betroffenen auf das Not-
wendige zu beschränken, ist die Stärkung der Vorsorge-
vollmacht – Frau Ministerin, hier stimmen wir überein –
unbestritten der richtige Weg.

Um auch eine breite Akzeptanz in der Bevölkerung
sicherzustellen, muss statt der zum Teil geforderten no-
tariellen Beurkundung der Vorsorgevollmacht eine Be-
glaubigung der Unterschrift bzw. des Handzeichens ge-
nügen. Einigkeit besteht auch dahin gehend, dass die
Einrichtung eines zentralen Registrierungssystems für
Vorsorgevollmachten unabdingbar ist. Die Bundesnotar-
kammer verfügt bereits über ein ausgereiftes System.
Dort sind bislang mehr als 70 000 Vorsorgevollmachten
registriert. Die hierfür erforderliche gesetzliche Grund-
lage könnte längst geschaffen sein, wenn die Koalition
nicht in den vergangenen Wochen erheblich blockiert
hätte. Das ist bedauerlich und ich hoffe, dass das kurz-
fristig nachgeholt wird.

Sehr umstritten und daher genau zu prüfen ist die
Frage, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang eine
gesetzliche Vertretungsmacht im Bereich der Vermö-
gensfürsorge für Ehegatten bzw. Lebenspartner der Be-
troffenen eingeführt werden soll. Wir verkennen nicht
die Gefahr eines Missbrauchs und einer möglichen
Überforderung der Angehörigen, auch bei zum Teil nicht
immer klaren Familienverhältnissen. Die weiteren Bera-
tungen werden zeigen, ob es Kompromisse etwa dahin
gehend gibt, den möglichen Gefahren eines Missbrauchs
durch Haftungsregelungen im Innenverhältnis vorzubeu-
gen. Es besteht daneben auch die Gefahr, dass durch eine
gesetzliche Vertretungsmacht die Vorsorgevollmacht ge-
schwächt wird, anstatt dass sie gestärkt wird, was das er-
klärte Ziel des Gesetzgebers ist. Wir wollen und müssen
eindeutig die Eigeninitiative fördern.






(A) (C)



(B) (D)


Ute Granold

Gegen eine gesetzliche Vertretungsmacht im Be-

reich der Gesundheitsfürsorge gibt es sicherlich keine
Bedenken und es gibt in dieser Hinsicht sicherlich auch
keine unterschiedlichen Meinungen. Denn anders als im
Bereich der Vermögensfürsorge herrscht hierüber in der
Bevölkerung Einigkeit. Die meisten Menschen gehen
davon aus, dass sie im Krankheitsfall ohnehin zur Ab-
gabe einer Willenserklärung für ihre nächsten Angehöri-
gen berechtigt sind.

Äußerst bedenklich – darin teile ich die Meinung der
Ministerin – ist die vom Bundesrat geplante zwangsweise
Zuführung zur ambulanten ärztlichen Heilbehand-
lung. Diese Regelung ist mit der Zielrichtung des Betreu-
ungsrechts schwerlich vereinbar. Dabei würden erstmalig
die Interessen des Betreuten gegenüber dem Aspekt des
Schutzes der Allgemeinheit in den Hintergrund treten.
Ungeachtet dessen würde damit ein Grundrechtseingriff
erfolgen, der verfassungsrechtlich außerordentlich be-
denklich und unter medizinischen Gesichtspunkten nach
unserer Meinung nicht erforderlich ist.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Der zentrale und gleichzeitig umstrittenste Teil der

Reform betrifft die gestaffelte, fallbezogene Pauschalie-
rung der Vergütung von Berufs- und Vereinsbetreuern.
Die ehrenamtliche Aufwandsentschädigung bleibt hier-
von unberührt. Niemand wird angesichts der dramati-
schen Kostenexplosion – ich nenne als Beispiel Nor-
drhein-Westfalen, wo innerhalb von zehn Jahren die
Kosten um das Achtzigfache von 2,5 Millionen DM auf
104 Millionen Euro gestiegen sind – bestreiten wollen,
dass eine grundlegende Reform der Vergütungsstruktur
erforderlich ist. Zielsetzung müssen hierbei Effizienz
und Transparenz sein, selbstverständlich bei gleichzeitig
bestmöglicher Betreuungsleistung.

Frau Ministerin, ich stimme auch darin mit Ihnen über-
ein, dass über die Bedenken, die hinsichtlich der Pauscha-
lierung aus der Fachwelt vorgetragen wurden – ob es um
die Gleichbehandlung von bemittelten und nicht bemit-
telten Betreuten oder um die Differenzierung zwischen
leichten und schweren Betreuungsfällen geht –, einge-
hend diskutiert werden muss. Diese Bedenken sollten
wir nicht ohne weiteres vom Tisch fegen.

Im Großen und Ganzen ist der vorliegende Gesetzent-
wurf eine gute Beratungsgrundlage, um das erklärte Ziel
– ich denke, von uns allen – der Stärkung der Eigenini-
tiative, insbesondere der Vorsorgevollmacht, zu errei-
chen. Was wir bisher von Regierungsseite gehört haben,
verspricht eine konstruktive Diskussion. Wir sind ge-
spannt und warten auf die Beratungen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1509415700

Nächster Redner ist der Kollege Markus Kurth, Bünd-

nis 90/Die Grünen.

Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1509415800

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Nachdem meine beiden Vorrednerinnen das 1992 neu
gefasste Betreuungsrecht so gelobt haben, möchte ich
nicht hintanstehen, festzustellen, dass dieses Betreu-
ungsrecht im Vergleich zu der früheren Rechtslage ein
erheblicher Fortschritt war. Das aus grundrechtlicher
Sicht mehr als problematische Rechtsinstrument der Ent-
mündigung bzw. der Gebrechlichkeitspflegschaft wurde
durch ein zeitgemäßes Rechtsinstrument ersetzt, das die
Selbstbestimmung und den Rehabilitationsgedanken in
den Vordergrund gestellt hat.

Ich möchte an dieser Stelle unterstreichen, dass sich
diese Neuregelungen des Betreuungsrechts im Grund-
satz bewährt haben und dass das Betreuungswesen in
Deutschland funktioniert. Die Berufsbetreuer und die
Betreuungsvereine leisten hervorragende Arbeit. Die eh-
renamtliche Betreuung hat sich in den vergangenen
zwölf Jahren ebenfalls bewährt.

Wir können aber vor dem Anstieg der Kosten für
Betreuungen insgesamt nicht die Augen verschließen.
Ich möchte an dieser Stelle nicht darauf eingehen, ob es
sich um eine explosionsartige Kostenentwicklung – wie
bei dem extremen Zahlenbeispiel aus Nordrhein-Westfa-
len – gehandelt hat oder ob der Anstieg der Fälle von
450 000 auf 1 Million nicht vielmehr Ausdruck eines rea-
len gesellschaftlichen Bedarfs ist, der vorher nicht zum
Tragen gekommen ist. Gleichwohl wird die demographi-
sche und gesellschaftliche Entwicklung dazu führen,
dass die Anzahl der Betreuungen in den kommenden
Jahren in einem Maße ansteigen wird, dass sie mit den
derzeit vorhandenen Ressourcen kaum noch zu bewälti-
gen ist.

Wir wissen, dass wir den weiteren Anstieg der Zahl
der Betreuungsfälle nicht aufhalten können. Die demo-
graphische Entwicklung, die Zunahme der Zahl von älte-
ren Menschen und Menschen, die an Demenzerkrankun-
gen leiden, und die Zunahme der Zahl psychisch kranker
Menschen bestimmen einen Trend, den wir vonseiten
der Politik nicht stoppen können. Daher steht das Be-
treuungsrecht vor ähnlichen Herausforderungen wie die
Eingliederungshilfe der Sozialhilfe oder die Pflegeversi-
cherung.

Hier wird deutlich, dass das Betreuungsrecht nicht
von Reformen in den Sozialsystemen ausgenommen
werden kann. Deswegen ist es wichtig, in der Sozialpoli-
tik auch die Erfordernisse des Betreuungsrechts zu be-
rücksichtigen und entsprechende Lösungsansätze zu ent-
wickeln; denn das unkoordinierte Nebeneinander von
Kostenträgern – so beteiligen sich die Sozialressorts
der Länder an der Finanzierung der Betreuungsvereine;
die Vergütung der Berufsbetreuer erfolgt aber über die
Landesjustizverwaltungen; die Kommunen finanzieren
vielfach die von den Berufsbetreuern beantragten
Leistungen – führte bisher nicht zu Ansätzen, die geeig-
net sind, den Kostenanstieg im Betreuungswesen zielge-
richtet und abgestimmt anzugehen sowie grundsätzlich
dem Subsidiaritätsprinzip und dem Erforderlichkeits-
prinzip Vorschub zu leisten.

Es geht schließlich darum, Betreuung zu vermeiden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)







(A) (C)



(B) (D)


Markus Kurth

Der Begriff der Betreuung hat vielfach eine sehr positi-
ven Konnotation. Ich möchte vor allem den Zuhörerin-
nen und Zuhörern auf der Tribüne deutlich sagen, dass es
sich bei der rechtlichen Betreuung, also bei der Erledi-
gung von Rechtsgeschäften für andere Personen, um ei-
nen ganz erheblichen Grundrechtseingriff handelt, den
wir so gering wie möglich halten sollten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Ich möchte in der verbleibenden Zeit aus Sicht der
Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen einige
wesentliche Punkte des Betreuungsrechts nennen und
unsere Position dazu darstellen. In vielen Punkten be-
grüße ich sehr, was die Justizministerin ausgeführt hat.
Auch wir sind der Auffassung, dass die Stärkung der
Vorsorgevollmacht ein ganz entscheidendes Instru-
ment sein wird, um sowohl dem Grundsatz der Selbstbe-
stimmung Geltung zu verschaffen als auch dem Ziel der
Kosteneinsparung ein ganzes Stück näher zu kommen.
Allerdings sind wir der Auffassung, dass dafür eine sehr
starke Beratungsinfrastruktur erst noch geschaffen wer-
den muss, damit die betroffenen Personen auch wissen,
welche Rechte sie übertragen, wenn sie zu Betreuungs-
fällen werden.

Frau Zypries, es hat mich sehr gefreut, dass Sie kriti-
sche Anmerkungen zur gesetzlichen Vertretungsmacht
von Ehepartnern gemacht haben; denn auch wir haben
große Bedenken, wenn über das Vermögen von Ehepart-
nern oder – auch das ist nicht zu vergessen – über die
Einweisung in ein Pflegeheim entschieden werden soll.
Ich möchte in diesem Zusammenhang auch betonen,
dass für uns, Bündnis 90/Die Grünen, ein Festhalten am
Richtervorbehalt bei der Anordnung der Betreuung die
einzige Möglichkeit ist, der Bedeutung dieses Grund-
rechtseingriffs gerecht zu werden; denn der Gesetzent-
wurf sieht vor, zahlreiche derzeit von Richtern wahrge-
nommene Aufgaben im Betreuungsbereich auf die
Rechtspfleger zu übertragen. Nach unserer Auffassung
handelt es sich aber bei der Bestellung eines Betreuers
um einen zu starken Grundrechtseingriff, als dass man
ihn ungeprüft den Rechtspflegern überlassen sollte.
Hierüber muss man sicherlich noch einmal diskutieren.

Mich hat es ebenfalls sehr gefreut, dass Sie bei der
Pauschalierung von Vergütung und Aufwendungser-
satz für Berufsbetreuer Nachdenklichkeit gezeigt haben;
denn in der Tat lassen sich nicht alle Einwände vom
Tisch wischen, auch wenn es Fälle gegeben hat, in denen
im Rahmen der Spitzabrechnung Missbrauch betrieben
wurde. So haben zum Beispiel einzelne Berufsbetreuer
und Berufsbetreuerinnen innerhalb von 24 Stunden
36 Stunden abgerechnet. Aber das ist sicherlich nicht der
Regelfall. Wir müssen sehen, dass wir im Rahmen eines
pauschalen Vergütungssystems den unterschiedlichen
Aufwendungen – vielleicht reichen zwei oder drei Pau-
schalen – gerecht werden und es den Berufsbetreuerin-
nen und Berufsbetreuern ermöglichen, ihren Aufgaben
exakt nachzukommen.

Ich glaube, wenn die konstruktive Atmosphäre, die
geherrscht hat, als die Kolleginnen und Kollegen und
insbesondere Sie, Frau Zypries, ihre Reden gehalten ha-
ben, Bestand hat, dann werden wir zu einer vernünftigen
und guten Überarbeitung des Betreuungsrechts kommen.

Danke schön.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1509415900

Nächste Rednerin ist die Kollegin Sibylle Laurischk,

FDP-Fraktion.

Sibylle Laurischk (FDP):
Rede ID: ID1509416000

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das

Grundgesetz gibt uns den Maßstab, mit dem dieser Ge-
setzentwurf zu messen ist. In Art. 1 Abs. 1 des Grundge-
setzes heißt es: „Die Würde des Menschen ist unantast-
bar.“ Darauf fußt auch die Reform von 1992, deren
Zielsetzung jetzt weiter verfolgt und verbessert werden
soll. Ich habe mich natürlich gefreut, hier die allgemeine
Anerkennung der Reform von 1992 zu vernehmen. Die
damalige Reform war ein Ergebnis der Arbeit der FDP-
Justizminister Engelhard und Kinkel. Der damalige Be-
richterstatter war der Kollege Funke, der auch heute bei
uns ist.


(Beifall des Abg. Dr. Werner Hoyer [FDP])

Für die FDP-Fraktion ist unverzichtbar, dass der freie

Wille eines jeden Menschen auch im Alter oder bei chro-
nischer Krankheit absoluten Vorrang genießt und als
Ausdruck seiner Würde und seines Selbstbestimmungs-
rechts erhalten bleibt. Deshalb begrüßen wir ausdrück-
lich die Betonung der Vorsorgevollmacht als frei zu
wählendes Regelungsinstrument der Bürger und Bürge-
rinnen. Die Vorsorgevollmacht sollte als Alternative zur
Betreuung besonders gefördert werden.


(Beifall bei der FDP)

Gerade in Anbetracht dieses Instruments lehnt es die

FDP-Fraktion aber ab, die gesetzliche Vertretungs-
macht für Ehegatten und nahe Angehörige einzuführen.
Hierdurch würden Ehegatten mit einer Aufgabenstellung
betraut, die sonst nur zwischen Eltern und Kindern be-
steht. Wer aber weiß, wie schwierig familiäre Beziehun-
gen sein können, muss der freiwilligen Bevollmächti-
gung oder der Betreuung durch Fachkräfte den Vorzug
geben.


(Beifall bei der FDP)

Bei der Beurteilung freiheitsentziehender Maßnah-

men im Rahmen einer Betreuung kann die Effizienz
nicht das Hauptmerkmal sein. Daher lehnt die FDP-
Fraktion auch die zwangsweise Zuführung zur ambu-
lanten Heilbehandlung mit dem vorgeschlagenen
§ 1906 a BGB ab. Hier liegt ein unverhältnismäßiger
Eingriff in Freiheitsrechte vor, der nach meiner Auffas-
sung einer Überprüfung durch das Bundesverfassungs-
gericht nicht standhalten würde.


(Beifall bei der FDP)

Einem erfahrenen Betreuer ist es möglich, auch ohne

Zwangsmaßnahmen einen Betreuten zu einer notwendi-
gen medizinischen Behandlung zu bewegen, und nur im






(A) (C)



(B) (D)


Sibylle Laurischk

Falle der Eigen- oder Fremdgefährdung sind Zwangs-
maßnahmen bei Unterbringung zulässig. In Deutschland
besteht die Freiheit zur Krankheit. Auch deshalb benöti-
gen wir die rechtliche Basis, um höher qualifizierte Be-
treuer in diesem jungen Berufsfeld zu halten. Die ange-
strebten Qualitätssicherungen werden Gegenstand der
Ausschussberatungen sein.

Dies gilt auch für die Pauschalierung der Betreuer-
vergütung. Hierbei muss der Spagat zwischen einer aus-
kömmlichen Bezahlung für die geleisteten Dienste und
den steigenden Kosten für die Länderkassen bewältigt
werden. Eine Pauschalierung unter Überprüfung der Ab-
rechnungen durch die Gerichte scheint mir ein gangbarer
Weg zu sein. Die von den Ländern vorgeschlagene Er-
mittlung des Bedarfs dürfte dem leeren Staatssäckel zu
sehr verpflichtet sein. Ich halte eine laufende Evaluation
sowohl bezüglich des nötigen Zeitaufwands als auch der
jeweiligen Vergütungssätze für sinnvoll.

Die FDP-Fraktion ist der Auffassung, dass die Be-
treuer ihr Einkommen nicht über eine unverantwortlich
hohe Zahl von Betreuungen erzielen sollten. Diese Mas-
senbetreuungen hat man mit der Novelle von 1992 zu
Recht beseitigt. Eines muss allerdings klar sein: Eine
qualifizierte Betreuung ist nicht zum Nulltarif zu haben.

Bei der Konzentration auf die Berufsbetreuer darf
man aber nicht die Mehrzahl von ehrenamtlichen Be-
treuern vergessen, die die manchmal mit schweren Ent-
scheidungen verbundenen Aufgaben wahrnehmen und
Angehörigen oder auch fremden Menschen die notwen-
dige Unterstützung in der Bewältigung ihres Alltags ge-
ben.

Aus meinen eigenen Erfahrungen als anwaltliche Be-
treuerin von psychisch Kranken kann ich sagen, dass für
die Betroffenen gerade das Gefühl, vom Betreuer ernst
genommen zu werden, wichtig ist, damit sich die Betreu-
ten nicht als Menschen zweiter Klasse fühlen und damit
man ihre Würde schützt.

Vielleicht bietet dieser fiskalisch motivierte Gesetz-
entwurf die Möglichkeit, über gesellschaftspolitische
Fragestellungen grundsätzlich zu diskutieren. Ich halte
es auch für sinnvoll, dass die Registrierung sozusagen in
einem Wurf mitbehandelt wird. So viel zu Ihrem Ein-
wand, Frau Kollegin Granold.

Abschließend möchte ich Sie alle dazu aufrufen, die
Kernfrage der Lebensgestaltung von Alten und psy-
chisch Kranken gerade in Zeiten leerer Kassen sehr ernst
zu nehmen.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Axel Schäfer [Bochum] [SPD])


Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1509416100

Nächste Rednerin ist die Kollegin Sabine Bätzing,

SPD-Fraktion.

Sabine Bätzing (SPD):
Rede ID: ID1509416200

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen

und Kollegen! Spätestens seit dem Vorliegen des Ab-
schlussberichts der Bund-Länder-Arbeitsgruppe zum
Betreuungsrecht wird über die zu erwartenden Gesetzes-
änderungen nicht nur in Fachkreisen ausführlich disku-
tiert. Heute beschäftigt sich auch der Deutsche Bundes-
tag in erster Lesung mit dem Bundesratsentwurf eines
zweiten Betreuungsrechtsänderungsgesetzes. Es ist er-
freulich, wenn eine Gesetzesinitiative mit so viel Inte-
resse verfolgt wird. Ich möchte an dieser Stelle allen Be-
teiligten danken, die auch schon bisher so aktiv und
engagiert mit uns darüber diskutiert und uns auf Erfah-
rungen und Bedenken hingewiesen haben.

Ich möchte Ihnen versichern, dass wir uns die Zeit für
eine ausführliche Auseinandersetzung nehmen und uns
mit Anregungen, Wünschen und auch Bedürfnissen der
Betroffenen intensiv beschäftigen werden.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ende April wird es eine öffentliche Anhörung im
Rechtsausschuss geben. Erst danach geht der Gesetzent-
wurf in die abschließende Beratung. Wir werden uns we-
der zeitlich drängen noch inhaltlich einschränken lassen.

Wir haben es schon mehrfach von den Vorrednern ge-
hört: Uns ist vor zwölf Jahren mit dem Betreuungsgesetz
wirklich eine Jahrhundertreform gelungen.


(Markus Grübel [CDU/CSU]: Gute Regierung!)


Damit hat unter anderem ein neues Vokabular Einzug in
unsere Gesellschaft gefunden. An die Stelle von Ent-
mündigung traten Selbstbestimmung und Mitsprache.
Der Betreuer ersetzte den Vormund. Der Mensch stand
im Mittelpunkt. Der Dank und die Anerkennung hierfür
sind allen Müttern und allen Vätern dieses Gesetzes ge-
sichert.

Aber gerade weil das Betreuungsrecht eine Kehrt-
wende im BGB darstellt, ist es erforderlich, es an die
ständig stattfindenden Veränderungen anzupassen, um
für bestehende und zukünftige Herausforderungen ge-
wappnet zu sein. Zum Beispiel wird aktuell 1 Million
Menschen von Betreuern unterstützt. Diesen rasanten
Anstieg hat niemand erwartet. Mit Blick auf die Zukunft
und die demographische Entwicklung bei uns begrüßen
wir daher die Ansätze im Bundesratsentwurf, die das
Ziel verfolgen, Verfahren zu entbürokratisieren und Be-
treuung, wo möglich, zu vermeiden. Aber der Mensch
muss dabei weiter im Mittelpunkt stehen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Deshalb gilt: So viel Selbstbestimmung wie möglich und
so wenig Betreuung wie nötig; denn jede Betreuung
stellt einen gravierenden Eingriff in das Selbstbestim-
mungsrecht des Menschen dar.

Von daher unterstützen wir die im Gesetzentwurf
vorgesehene Stärkung der Vorsorgevollmacht, die
ebenfalls Betreuung vermeiden hilft. Wir müssen die
Vorsorgevollmacht in der Gesellschaft noch bekannter
machen – auch das ist schon angesprochen worden – und






(A) (C)



(B) (D)


Sabine Bätzing

den interessierten Bürgerinnen und Bürgern verlässliche
und verständliche Informationen dazu verschaffen.


(Hans-Joachim Hacker [SPD]: Sehr gut!)

Eine Mustervorsorgevollmacht ist dabei sicherlich sehr
hilfreich.

Jedoch werden in zahlreichen Fällen auch weiterhin
Betreuungen erforderlich sein. So ist zum Beispiel – das
mag einige überraschen – auch für einen Ehepartner
grundsätzlich ein Betreuer zu bestellen. Deshalb möchte
die Länderkammer eine gesetzliche Vertretungsmacht
für Ehegatten im BGB verankern, die sich auf die Ver-
tretungsbefugnis in der Vermögenssorge, den Woh-
nungs- und Heimangelegenheiten sowie der Gesund-
heitssorge erstreckt.

Ich halte lediglich die Vertretungsmacht in der Ge-
sundheitssorge für diskutabel. Denn in der Bevölkerung
wird ohnehin davon ausgegangen, dass die Ehepartner
zur Abgabe solcher Erklärungen berechtigt sind. Aller-
dings werden wir noch über Einzelheiten diskutieren
müssen, damit wir uns mit der gesetzlichen Vertretungs-
macht nicht ein Ei der unkontrollierten Fremdbestim-
mung ins Nest legen.

Anders als bei der Gesundheitssorge stehen wir der
gesetzlichen Vertretungsmacht in der Vermögenssorge
und auch in den Wohnungs- und Heimangelegenheiten
eher skeptisch gegenüber. Bei der Vermögenssorge be-
steht ja bereits heute die Möglichkeit – die Ministerin
hat es erwähnt –, durch eine Kontovollmacht dem Ehe-
gatten vollen Zugriff auf sein Konto zu gewähren. Die
Realität zeigt aber, dass Ehepartner selten davon Ge-
brauch machen, da sie entweder ein gemeinsames Konto
haben oder es schlicht und ergreifend nicht wollen. Eine
gesetzliche Regelung würde einen Eingriff in die selbst-
ständige Vermögensverwaltung darstellen, die in diesem
Rahmen nicht erforderlich ist.

Auch eine gesetzliche Vertretungsregelung im Be-
reich der Heim- und Wohnungsangelegenheiten ent-
spricht kaum der Überzeugung der Bevölkerung.

Wir würden damit dem betreuenden Ehegatten die ge-
setzliche Befugnis zur Aufenthaltsbestimmung in die
Hand geben.

In diesen letztgenannten Regelungen können wir we-
der betreuungsvermeidende noch mit dem Selbstbestim-
mungsrecht der Betroffenen in Einklang zu bringende
Regelungen erkennen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, auch die
Zwangsmedikation lehnen wir aus den vorhin schon er-
wähnten Gründen ab. Damit würden das Wohl des Men-
schen und auch die unverzichtbare vertrauensvolle
Ebene zwischen Betreuer und Betreuten verletzt und zer-
stört.

Festgelegt sind wir dagegen noch nicht in der Diskus-
sion um die geplante Vergütungspauschalierung. Im
Grundsatz wird sich wahrscheinlich niemand dieser Pau-
schalierung verschließen, aber in zahlreichen Gesprä-
chen und Veranstaltungen zum Thema sind unter ande-
rem auch nachvollziehbare Kritik und Bedenken
vorgetragen worden, die sich gegen die Höhe und die
Differenzierung richten. Wir werden über diese Pauscha-
lierung sicherlich noch reden müssen, damit sie sachge-
recht und angemessen festgelegt wird. Ansonsten be-
steht nämlich die Gefahr, dass die Betreuungskosten
nicht gesenkt, sondern verlagert werden.

Da ich in einem Flächenwahlkreis wohne, liegt mir
auch die besondere Berücksichtigung der ländlichen Re-
gionen bei der Aufwandsentschädigung am Herzen. Hier
gibt es Unterschiede, denen man gerecht werden muss
und über die wir reden müssen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, es wird si-
cherlich noch Bewegung in die Diskussion über den Ge-
setzentwurf kommen. Das zeigt ja auch unsere heutige
Debatte. In der gesamten parlamentarischen Auseinan-
dersetzung und bei aller Notwendigkeit einer zweiten
Änderung des Betreuungsrechts werden wir unseren Fo-
kus aber weiterhin auf ein funktionierendes Gesamtsys-
tem richten und die einzelnen Vorschläge auf ihre Zieler-
reichung und Folgewirkung überprüfen müssen. Ich bin
mir aber sicher, dass wir in Abstimmung mit allen Betei-
ligten und unter Berücksichtigung der Ergebnisse aus
der Anhörung zu einer vernünftigen Lösung kommen
werden, die nicht an den Grundstrukturen des Gesamt-
systems rüttelt und dem Grundsatz unserer Jahrhundert-
reform treu bleibt: Im Mittelpunkt steht der Mensch.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1509416300

Das Wort hat der Kollege Markus Grübel, CDU/CSU-

Fraktion.


Markus Grübel (CDU):
Rede ID: ID1509416400

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Die Kosten der rechtlichen Betreuung – nur um die
rechtliche Betreuung geht es heute, nicht um die tatsäch-
liche Hilfe und Pflege – sind für die Länder in den letz-
ten Jahren explosionsartig gestiegen. Die Bund-Länder-
Arbeitsgruppe zur Lösung der anstehenden Probleme hat
eine fast unlösbare Aufgabe übertragen bekommen: Sie
soll die Kosten senken, gleichzeitig aber die Anliegen
des Betreuungsrechts, nämlich das Wohl der Betroffe-
nen, nicht aus dem Auge verlieren. Die Ergebnisse die-
ser Arbeitsgruppe sind in den vorliegenden Gesetzent-
wurf eingeflossen. Wie stark der Schuh die Länder
drückt, zeigt sich schon allein daran, dass die Länder
Nordrhein-Westfalen, Bayern und Sachsen hier gemein-
same Sache gemacht haben, also ein SPD-, ein CSU-
und ein CDU-geführtes Bundesland.

Bei allem Verständnis für die finanziellen Probleme
müssen wir im weiteren Gesetzgebungsverfahren aber
die Auswirkungen auf die Betroffenen, die hilfsbedürfti-
gen Menschen, im Auge behalten. Viele Menschen den-
ken, wenn sie selbst ihre Angelegenheiten nicht mehr re-
geln können, können ihre Angehörigen sie vertreten. Es
entspricht aber auch dem Willen der Menschen, selbst zu
bestimmen, wer für sie handelt. Jeder, der zuverlässige






(A) (C)



(B) (D)


Markus Grübel

Angehörige oder andere Vertrauenspersonen hat, sollte
frühzeitig eine Vorsorgevollmacht erteilen. Denn wenn
eine Vorsorgevollmacht besteht, ist die Anordnung einer
Betreuung entweder nicht mehr nötig oder gar nicht
mehr möglich. Nach meiner Meinung ist die Vorsorge-
vollmacht genauso wichtig wie ein Testament oder eine
Lebensversicherung. Das Ziel des Gesetzentwurfs, die
Vorsorgevollmacht zu stärken – da scheinen wir uns alle
einig zu sein –, ist daher uneingeschränkt zu unterstüt-
zen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Neben der Stärkung und besseren Verbreitung der
Vorsorgevollmacht will das Betreuungsrechtsänderungs-
gesetz die Rechte der Ehegatten und Familien stärken.


(Vorsitz: Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer)

Unser Grundgesetz stellt ja Ehe und Familie unter den
besonderen Schutz des Staates. Es entspricht sicherlich
auch dem Ideal von Ehe und Familie, dass Ehegatten,
Kinder oder Eltern eine Vertretungsbefugnis für Notfälle
haben. Zudem entspricht es in der Regel auch den allge-
meinen Vorstellungen. In meiner beruflichen Beratungs-
praxis waren viele Ehegatten verwundert, dass sie sich
gegenseitig im Notfall nicht vertreten können.

Es ist aber leider auch nicht zu leugnen, dass die
Wirklichkeit nicht immer dem Ideal von Ehe und Fami-
lie entspricht. Das Gesetz erkennt das Problem und
schreibt, dass von den Eheleuten schriftlich zu versi-
chern ist – ich zitiere –,

b) nicht getrennt zu leben,

d) dass der verhinderte Ehegatte einen der Vertre-
tung entgegenstehenden Willen nicht geäußert hat


Bei Eheleuten unterscheidet der Gesetzentwurf zwi-
schen dem Bereich der Vermögenssorge und der Ge-
sundheit. Die Bundesregierung hat in ihrer Stellung-
nahme die Vertretung von Eheleuten im Bereich der
Vermögenssorge abgelehnt. Sie bezweifelt – wir haben
es vorhin gehört –, dass damit die Zahl der Betreuungen
verringert werden kann, und sieht auch die Gefahr des
Missbrauchs.

Interessant ist, Frau Ministerin Zypries und Frau
Bätzing, dass die Missbrauchsgefahr im Bereich der Ver-
mögenssorge gesehen wird, aber nicht im Bereich der
Gesundheit. Missbrauch ist also wohl eher zu befürch-
ten, wenn es ums Geld geht; das sagt auch die schriftli-
che Stellungnahme der Bundesregierung. Wenn es um
Leben und Tod geht, scheint die Missbrauchsgefahr
nicht so groß zu sein.


(Zuruf von der SPD: Das hat die Kollegin gesagt!)


Im weiteren Gesetzgebungsverfahren wird zu klären
sein, ob Ehe und Familie durch eine gesetzliche Vertre-
tungsmacht gestärkt werden können oder ob die von der
Bundesregierung vorgetragenen Bedenken überwiegen.
Würde die Vorsorgevollmacht weitere Verbreitung fin-
den und die gesetzliche Vertretungsmacht greifen, würde
dies insbesondere die Vormundschaftsgerichte massiv
entlasten und die Betroffenen hätten nichts mit dem Ge-
richt zu tun. Die Anordnung einer Betreuung greift mas-
siv in das Leben eines Betroffenen und seiner Angehöri-
gen ein. Dies zu vermeiden ist aller Mühe wert. Wie
gesagt, wir werden im weiteren Gesetzgebungsverfahren
das Für und Wider abzustimmen haben. Dies gilt auch
für die vorgesehene Pauschalierung der Vergütung der
Betreuer.

Zum Schluss möchte ich noch ein Thema ansprechen,
das im vorliegenden Gesetzentwurf gar nicht enthalten
ist, bei dem aber dringender Handlungsbedarf besteht. In
der Öffentlichkeit, aber auch unter Juristen und Ärzten
gibt es eine große Unsicherheit im Zusammenhang mit
Fragen, die am Ende des Lebens stehen. Diese Unsicher-
heit ist durch die Entscheidung des Bundesgerichtshofs
vom 17. März 2003 noch gewachsen. Die Enquete-
Kommission „Recht und Ethik“ in der modernen Medi-
zin“ befasst sich zurzeit intensiv mit Fragen von Sterbe-
begleitung, Sterbehilfe und Patientenverfügung, aber
auch mit Hospiz und Palliativmedizin. Der Gesetzge-
ber sollte klarstellen, ob und unter welchen Bedingungen
die Einwilligung eines Vorsorgebevollmächtigten, eines
Betreuers oder eines gesetzlichen Vertreters im Sinne
des Gesetzentwurfs für medizinische Entscheidungen
am Lebensende, zum Beispiel die Beendigung von me-
dizinischen Maßnahmen – zu denken wäre etwa an die
Beendigung der Ernährung durch PEG-Sonde –, einer
vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung bedarf, ins-
besondere bei Vorhandensein einer Patientenverfügung
und Vorsorgevollmacht.

Bei der Diskussion stehen auf der einen Seite diejeni-
gen, die zum Schutz des Lebens einen möglichst weitge-
henden Kontrollvorbehalt wünschen. Auf der anderen
Seite stehen diejenigen, die auf die Überlastung der Vor-
mundschaftsgerichte hinweisen, das Selbstbestim-
mungsrecht des Patienten gefährdet sehen und eine
angemessene Überprüfung durch die Vormundschaftsge-
richte in jedem Einzelfall als schlechterdings unmöglich
erachten.

Die Vorsorgevollmacht für den Gesundheitsbereich
und die Fragen rund um die Patientenverfügung hängen
sehr eng zusammen. Wer die Vorsorgevollmacht stärken
will, muss auch die Fragen rund um die Patientenverfü-
gung klären. Dazu sollte im Gesetzgebungsverfahren
auch eine Stellungnahme der Enquete-Kommission ein-
geholt werden. Die wichtigen Fragen im Zusammenhang
mit der Sterbehilfe und der Patientenverfügung müssen
vom Gesetzgeber und dürfen nicht von Gerichten und
schon gar nicht von demokratisch nicht legitimierten
Gremien geklärt werden. Das Gesetzgebungsverfahren
bietet die Chance, § 1904 BGB neu zu formulieren.

Wie eingangs bereits gesagt, gibt es im laufenden Ge-
setzgebungsverfahren noch viel abzuwägen und zu klä-
ren. Im Mittelpunkt unserer Überlegungen stehen die
Würde des Betroffenen, das Selbstbestimmungsrecht,
möglichst wenig unnötige Verfahren und ein sparsamer






(A) (C)



(B) (D)


Markus Grübel

Umgang mit Steuermitteln. Insgesamt ist der Gesetzent-
wurf zu begrüßen. Er zielt in die richtige Richtung.

Danke schön.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord neten der FDP)


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1509416500

Für den Bundesrat erhält jetzt der Herr Justizminister

des Landes Nordrhein-Westfalen, Wolfgang Gerhards,
das Wort.


(Nordrhein-Westfalen)


Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Nach
den Vorreden kann ich es in vielen Punkten sehr kurz
machen, weil ich festgestellt habe, dass wir uns in
wesentlichen, zentralen Punkten einig sind. Die Bundes-
justizministerin und auch die Abgeordneten, die gespro-
chen haben, haben dankenswerterweise darauf hinge-
wiesen, dass es uns nicht darum geht, die Grundstruktur
des Betreuungsrechts zu ändern. Ganz im Gegenteil, das
war ein Jahrhundertwerk. Es geht uns nur darum, an den
Stellen, an denen das gut Gemeinte nicht mit dem Guten
identisch ist, Korrekturen anzubringen.

Das kann man in zwei Punkten zusammenfassen: Das
Gesetz ist an manchen Stellen zu aufwendig geraten – es
atmet noch den Geist der 80er- und 90er-Jahre – und es
ist zu teuer in der Umsetzung, und zwar ohne dass diese
Kosten erforderlich wären.

Ich muss nicht alle Punkte wiederholen, weil vieles
von dem, was in meinem Redemanuskript steht, schon
gesagt worden ist. Ich will nur auf einige wesentliche
Punkte eingehen, die von Ihnen schon angesprochen
wurden und die den Gang der weiteren Beratung sicher-
lich noch bestimmen werden.

Die Zahl der Betreuungsfälle ist zum einen wegen
der demographischen Entwicklung übermäßig gestiegen.
Das ist gar keine Frage. Zum anderen hat aber das Ge-
setz dafür gesorgt, dass den Familien die Flucht aus der
Verantwortung erleichtert wird. Wir haben nämlich in
vielen Fällen das Prinzip der Erforderlichkeit nicht so
ausgestaltet, dass an der Spitze der Überlegung die Frage
steht, ob überhaupt eine Betreuung vom Gericht ange-
ordnet werden muss, ob andere Personen in Betracht
kommen und ob es Möglichkeiten gibt, die wir als Ge-
setzgeber nachjustieren sollten, durch die die Familien
und auch die Betroffenen selbst zu dem Zeitpunkt, zu
dem sie das noch leisten können, in die Pflicht genom-
men werden.

Der zentrale Punkt an dieser Stelle – Sie haben ihn
bereits angesprochen – ist die Stärkung der Vorsorge-
vollmacht. Dazu muss ich nichts sagen; alles Wichtige
ist dazu schon ausgeführt worden. Ich bin sehr dankbar,
dass wir uns da einig sind. Ich bin insbesondere für das
Muster dankbar, das das Bundesjustizministerium vorge-
schlagen hat und auf das sich die Länder inzwischen ver-
ständigt haben; denn es ist völlig richtig, in der Republik
mit einer Mustervollmacht und nicht mit verschiedenen
zu arbeiten.
Dass wir ein zentrales Register brauchen, ist auch
schon gesagt worden. Da muss ich nichts weiter ausfüh-
ren.

An zweiter Stelle sieht der Entwurf aber eine Entlas-
tung aller Beteiligten – also nicht nur der Gerichte und
der öffentlichen Finanzen, sondern gerade auch der
Betroffenen – dadurch vor, indem wir neben der Vorsor-
gevollmacht für bestimmte Fälle die gesetzliche Vertre-
tungsmacht einführen. Dies ist richtig – dazu haben
mehrere Redner schon einiges gesagt –, weil es einem
weit verbreiteten Bedürfnis der Betroffenen und ihrer
Familien entgegenkommt, zumindest bestimmte Fälle
der Betreuung in der Familie zu regeln. Man kann davon
ausgehen, dass in den Krankheitsfällen, in denen bei-
spielsweise operiert werden muss oder in denen ärztliche
Entscheidungen abgesichert werden müssen, die Ehegat-
ten füreinander eintreten. Das ist ja auch ein Hauptgrund
dafür, weshalb die Leute heiraten. Das darf man nicht
unterschätzen. Ich glaube, in diesem Punkt sind wir uns
einig.

Sie haben an der Stelle noch einen anderen Punkt ange-
sprochen, der in der Tat heikler ist, weil es dafür – darauf
haben Sie hingewiesen – keine so breite Zustimmung in
der Bevölkerung gibt. Es geht um die Vermögensvor-
sorge. Dieser Begriff führt allerdings zu Missverständ-
nissen. Es geht eben nicht um das Vermögen der Betrof-
fenen. Es geht um bestimmte, exklusiv aufgeführte
Leistungen. Es geht beispielsweise um den Zugriff auf
das laufende Konto bis zu einem Betrag von maximal
3 000 Euro. Das ist für manchen in der Tat sehr viel.
Aber es handelt sich nicht um das Vermögen, das die
Menschen besitzen. Es geht also nicht um das Häuschen
und auch nicht um das Aktienpaket, sondern nur um lau-
fende Einnahmen.

Es geht ferner um das Stellen von Anträgen auf So-
zialleistungen und um die Entgegennahme der Bewilli-
gung von Leistungen bei der Renten- und der Kranken-
versicherung. Es geht gegebenenfalls auch um die
Möglichkeit, für die Steuererklärung, wenn sie unproble-
matisch ist, eine Unterschrift abzugeben, ohne dass dafür
ein Betreuer bestellt werden muss. Es geht in der Tat
auch um die Frage, ob ein Mietverhältnis aufgelöst wer-
den kann, wenn ein Heimvertrag abgeschlossen wird.
Ich räume ein, dass bei dem letzten Punkt die Abwägung
besonders schwierig sein kann und dass man sie unter
Umständen auch anders treffen kann, als sie der Gesetz-
entwurf vorgibt.

Ich sage ausdrücklich: Wir sollten an dieser Stelle
nicht immer von Missbrauch ausgehen. Wir neigen als
Juristen dazu, immer den pathologischen Fall im Auge
zu haben und nicht die Vielzahl der Fälle, in denen das
ganz normal funktioniert. Es ist ganz wichtig, dass wir
an der Stelle nicht mit der Missbrauchsfrage und mit
dem Bedenken überziehen und deswegen eine Regelung
zu klein halten, die sich im Prinzip, so glaube ich, als
sehr vernünftig darstellt.

Ein weiterer Punkt, auf den ich eingehen will, ist die
Frage der Vergütung. Ich meine, dass das geltende
Recht an manchen Stellen zum Missbrauch animiert;
denn es werden die Falschen prämiert. Derjenige, der






(A) (C)



(B) (D)


Minister Wolfgang Gerhards (Nordrhein-Westfalen)


langsam arbeitet und der jede Minute aufschreibt, wird
gegenüber dem, der sehr viel schneller in der Lage ist,
eine Entscheidung zu treffen, bevorzugt, weil er am
Ende mehr Geld für seine Leistung bekommt. Das kann
nicht richtig sein. Die Vergütung muss pauschaliert wer-
den. Ich habe auch noch keine generelle Kritik an dem
Ansatz der Pauschalierung gehört.

Ich höre an der Stelle immer die Frage – sie ist aus
den Beratungen bekannt –, ob wir mit dem jetzt vorge-
schlagenen Pauschalsystem wirklich alle Fälle umfas-
send abdecken. Es gibt den Einwand, dass es Betreuer
gibt, die sich auf die besonders schwierigen Fälle kon-
zentrieren, bei denen der Aufwand größer ist. Erstens
glaube ich nicht, dass das der Wahrheit entspricht, weil
die meisten einen Mix von Fällen haben. Manche ma-
chen es sich vielleicht auch zu leicht. Zweitens denke
ich, dass die Gerichte sehr wohl in der Lage sind, dafür
zu sorgen, dass bei den zu treffenden Betreuungsent-
scheidungen darauf geachtet wird, dass die Betreuer
gleichermaßen bedient werden. Das heißt, es wird darauf
geachtet, dass nicht einer nur die leichten Fälle und ein
anderer nur die schweren Fälle bekommt. Es muss für
einen Mix gesorgt werden, sodass sich für jeden Be-
treuer ein ausgewogenes Verhältnis an Fällen ergibt.

Wenn man die heutige Praxis zugrunde legt, dann
kann man davon ausgehen, dass 40 bis 50 Fälle von ei-
nem Berufsbetreuer bearbeitet werden können. Ohne die
Aufwandsentschädigung verdient er damit 40 000 bis
50 000 Euro im Jahr. Das ist angemessen; aber mehr
muss es auch nicht sein.

Ein weiterer Punkt, den ich ansprechen will, ist in die-
sem Zusammenhang, was der Betreuer eigentlich leisten
muss. Da sind wir an einer sehr sensiblen Stelle. Da geht
es um den Abgleich mit dem, was die Familie, andere
soziale Institutionen, aber auch der gesunde Mensch tun
müssten. Ich habe eine Menge an Beispielen gehört, was
Berufsbetreuer alles im Zusammenhang mit Vermögens-
paketen zu leisten haben. Dafür würde sich der Gesunde
einen Anwalt oder einen Steuerberater nehmen. Das
muss der Berufsbetreuer nicht leisten. Da soll er einen
Auftrag erteilen und dann ist er aus dem Schneider.
Mehr muss er nicht tun.

Sie haben den Vorschlag zu § 1906 a BGB angespro-
chen, mit dem Zwangsbehandlungen ermöglicht werden
sollen. An dieser Stelle bin ich ganz bei Ihnen. Das war
Teil eines Kompromisses, den die Länder geschlossen
haben. Ich persönlich und auch die Landesregierung von
Nordrhein-Westfalen sind sehr damit einverstanden, dass
an dieser Stelle wieder klar gezogen wird, dass der Be-
treuer ausschließlich im Interesse des Betreuten arbeitet
und nicht in die Pflicht genommen wird für eine Situa-
tion, in der er auf zwei Schultern tragen müsste. Das
kann das Vertrauensverhältnis in vielen Fällen stören.
Ich akzeptiere an dieser Stelle einen Änderungsbedarf.

Ein Letztes – denn meine Redezeit ist gleich abgelau-
fen –


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1509416600

Richtig!

(Nordrhein-Westfalen)


– will ich ansprechen. Es gibt eine Reihe von Dingen
außerhalb dessen, was die Justiz betreiben muss. Da geht
es um die Frage, ob die Vergütung für die Betreuungs-
vereine richtig gestaltet ist. Das ist eine Länderangele-
genheit außerhalb der Justiz. Es geht auch um die Frage,
ob die Betreuungsbehörden wie bisher nicht ihre Pflicht
wahrnehmen müssen oder sich ihrer Aufgabe entledigen
können, wie sie das in der Vergangenheit getan haben,
weil die rechtlichen Betreuer in vielen Fällen soziale Be-
treuung geleistet haben.

Das gehört nicht in diesen Gesetzentwurf. Es gehört
aber zu der Diskussion, die die Sozialminister bereits
führen, wobei sie gebeten haben, dass sich eine gemein-
same Bund-Länder-Arbeitsgruppe, bestehend aus den
Justizverwaltungen einerseits und den Sozialverwaltun-
gen andererseits, mit diesen Fragen befasst. Ich bin zu-
versichtlich, dass man das am Ende wieder in einer
Bund-Länder-Arbeitsgruppe mit den verschiedenen Res-
sorts angemessen besprechen kann. Das ist aber ein
Thema, das unabhängig von dem jetzigen Gesetzentwurf
zu betreiben ist und diesen Gesetzentwurf nicht blockie-
ren darf.

Ich danke Ihnen für die Bereitschaft, das Thema ge-
meinsam so sachgerecht anzugehen, wie es die heutige
Diskussion gezeigt hat.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1509416700

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Norbert Röttgen.


Dr. Norbert Röttgen (CDU):
Rede ID: ID1509416800

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Als letzter Redner in dieser ersten Lesung würde
ich gerne etwas dazu sagen, was nach meiner Auffas-
sung den Charakter und die Qualität dieses Themas aus-
macht. Ich bin der Überzeugung, dass das Thema, über
das wir heute debattieren, nicht nur ein juristisches
Fachthema ist und auch nicht nur fiskalisch betrachtet
werden kann. Es geht hier vielmehr der Sache nach um
einen zentralen und wichtigen Bereich der Gesellschafts-
politik.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Das kommt zwar in der Rechtspolitik ebenso häufig wie
unbemerkt vor; aber es ist ein ganz zentraler Bereich un-
serer gesellschaftlichen Wirklichkeit.

Es geht um die Menschen – das ist schon gesagt
worden –, die, weil sie krank sind, psychisch krank oder
seelisch, geistig oder körperlich behindert sind, ihre ei-
genen Angelegenheiten nicht mehr erledigen können,
also um Menschen, die Hilfe brauchen. Es geht um die
Organisation und um die staatliche Verantwortung, den
Menschen, die ihr Leben nicht allein gestalten können,
zu helfen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)







(A) (C)



(B) (D)


Dr. Norbert Röttgen

Es befindet sich mehr als 1 Million Mitmenschen in

dieser Situation. Diese Zahl macht deutlich, dass uns in
dem Phänomen bzw. Problem der Betreuung und Hilfe
auch Trends, die unsere Gesellschaft prägen, begegnen.
Es ist die Überalterung, die Veränderung des Altersauf-
baus in unserer Gesellschaft. Altersdemenz ist eine we-
sentliche Ursache für Betreuungsbedürftigkeit. Der
Trend wird immer stärker werden. Wir werden immer
mehr Hilfsbedürftige haben. Darin drückt sich die Auf-
lösung der Familie, familiärer Stabilität, der Nächsten-
liebe im Familienverband und auch des sozialen Zu-
sammenhalts überhaupt aus. Ich will die Gesellschaft
überhaupt nicht schlechtreden. Aber dies sind Trends,
die damit enden, dass Menschen ihr Leben nicht mehr
selber gestalten können.

Das ist das Thema, über das wir heute reden, das si-
cherlich auch juristische Fachfragen nach sich zieht und
hohe fiskalische Relevanz hat. Aber für unsere Fraktion
möchte ich betonen, dass sich dieses Thema auch in der
politischen Debatte darin nicht erschöpfen darf.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)


Es geht – ich meine, es ist kein unangemessenes Pathos,
dies zu sagen – um konkrete Humanität in unserer Ge-
sellschaft. Wie gehen wir mit diesen Menschen, mit die-
sem Personenkreis um? Wie teuer sind sie uns?

Ich möchte ebenso betonen, dass ich Effizienz nicht
als Gegensatz zu Humanität sehe. Das wäre falsch. Effi-
zienz ist angesichts der Realität knapper staatlicher Res-
sourcen ein Gebot von Humanität. Wir müssen die Res-
sourcen effizient einsetzen, um helfen zu können.

Damit komme ich zur ersten konkreten Schlussfolge-
rung, die meine Fraktion zieht. Wir schließen uns der
Einschätzung aller anderen an: Es besteht Reformbe-
darf. Es ist ein Bedarf vorhanden, die Effizienz des bis-
herigen Systems, des bisherigen Rechts zu verbessern.
Das ist geboten.

Neben der prinzipiellen Anerkennung des Reformbe-
darfs möchte ich – nicht erschöpfend; da wir in der ers-
ten Lesung sind, ist mein Beitrag kurz – eine inhaltliche
Leitlinie unserer Fraktion betonen: Das ist das Prinzip
der Subsidiarität, ein ebenso altes, aus der christlichen
Sozialethik stammendes wie heute aktuelles gesell-
schaftsethisches Gestaltungsprinzip. Was heißt Subsidia-
rität in der Betreuung? Es heißt im ursprünglichen Sinn:
Wir müssen die Betreuung so organisieren, dass die Ge-
sellschaft, die kleine Einheit, Vorrang gegenüber dem
Staat hat, weil sie die nähere, die familiärere und die
menschlichere Zuwendung zum Hilfsbedürftigen gegen-
über staatlichen Hilfeleistungen bedeutet.

Darum ist es richtig, dass die Vorsorgevollmacht als
private Gestaltungsmöglichkeit gestärkt wird. Dieser
Entwurf sieht das auch vor. Ich möchte nur ergänzen,
dass es nicht damit getan ist, möglichst viele Bürger
dazu zu bringen, eine Vorsorgevollmacht zu unterschrei-
ben, sondern wir müssen, wenn das Institut in der Wirk-
lichkeit greifen soll, auch dafür sorgen, dass die Hilfe im
Fall der Betreuungsbedürftigkeit tatsächlich gewährt
werden kann. Wenn der Betreuungsfall eintritt, muss
also Hilfe geleistet werden, muss Rat gegeben werden.

Wenn Subsidiarität gilt, dann hat ehrenamtliche Be-
treuung Vorrang. Die Mehrzahl der über 1 Million be-
treuungsbedürftigen Menschen – das muss gesagt wer-
den – wird ehrenamtlich betreut. Das ist etwas Positives.
Die große Mehrzahl findet eine familiäre oder ehrenamt-
liche Betreuung. Dafür müssen wir dankbar sein.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)


Wir müssen auch dankbar sein, weil dadurch die staatli-
chen Ressourcen geschont werden. Der pauschale Auf-
wendungsersatz für ehrenamtliche Betreuer beträgt
312 Euro im Jahr. Er ist steuerpflichtig! Wenn ein Be-
rufsbetreuer eingesetzt werden muss, weil kein Ehren-
amtlicher da ist, kostet das Tausende von Euro. Darum
plädiere ich dafür, dass wir im eigenen staatlichen Inte-
resse noch mehr darüber nachdenken, wie man mehr Eh-
renamtliche finden kann. Wir müssen das Ehrenamt in
diesem Bereich attraktiv machen.

Neben allen steuersystematischen Diskussionen, die
geführt werden, finde ich – das ist meine persönliche
Meinung – es falsch und schließe mich damit dem Vo-
tum der Enquete-Kommission „Zukunft des Bürger-
schaftlichen Engagements“ an, dass diese 312 Euro be-
steuert werden. Das darf doch nicht wahr sein! Das
müssen wir korrigieren.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)


Ich komme zum Ende. Ich wollte auf den Leitsatz der
Subsidiarität und den damit zusammenhängenden Dis-
kussionsbedarf hinweisen. Es wird Fachfragen geben, ob
wir bei der Vertretungsmacht, bei der Pauschalierung
oder bei der Zwangsmedikation zu viel Schematismus
haben. Wir müssen ein Einlasstor für individuelle Rege-
lungen schaffen. Darüber werden wir debattieren. Un-
sere Fraktion wird das schon in der nächsten Woche im
Rahmen einer breit angelegten Anhörung tun. Ich
glaube, wir werden zu einem guten Ergebnis kommen
und uns der gesellschaftspolitischen Relevanz des The-
mas bewusst sein.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1509416900

Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent-

wurfs auf Drucksache 15/2494 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es
dazu anderweitige Vorschläge? – Das scheint nicht der
Fall zu sein. Dann ist die Überweisung so beschlossen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 9 sowie Zusatzpunkt 6
auf:






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer

9a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-

richts des Ausschusses für Verbraucherschutz,
Ernährung und Landwirtschaft (10. Ausschuss)

zu dem Antrag der Abgeordneten Julia Klöckner,
Uda Carmen Freia Heller, Ursula Heinen, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU
Kennzeichnung allergener Stoffe in Lebens-
mitteln vernünftig regeln
– Drucksachen 15/1227, 15/1597 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Gabriele Hiller-Ohm
Julia Klöckner
Hans-Michael Goldmann

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Verbraucherschutz,
Ernährung und Landwirtschaft (10. Ausschuss)

– zu dem Antrag der Abgeordneten Gabriele
Hiller-Ohm, Sören Bartol, Dr. Herta Däubler-
Gmelin, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion der SPD sowie der Abgeordneten Ulrike
Höfken, Volker Beck (Köln), Cornelia Behm,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Lebensmittelüberwachung effizienter gestal-
ten

– zu dem Antrag der Abgeordneten Ursula
Heinen, Peter H. Carstensen (Nordstrand),
Gerda Hasselfeldt, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der CDU/CSU
Wirksamere und breitere Lebensmittelüber-
wachung und -kontrolle in Deutschland

– zu dem Antrag der Abgeordneten Ursula
Heinen, Julia Klöckner, Uda Carmen Freia
Heller, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der CDU/CSU
Verbraucher aufklären und schützen – Inno-
vation und Vielfalt in der Produktentwick-
lung und Werbung für Lebensmittel erhal-
ten

– Drucksachen 15/2339, 15/2386, 15/1789, 15/
2595 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Gabriele Hiller-Ohm
Ursula Heinen
Ulrike Höfken
Hans-Michael Goldmann

ZP 6 Beratung des Antrags der Abgeordneten Gabriele
Hiller-Ohm, Sören Bartol, Dr. Herta Däubler-
Gmelin, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der SPD sowie der Abgeordneten Ulrike Höfken,
Friedrich Ostendorff, Volker Beck (Köln), weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion des BÜND-
NISSES 90/DIE GRÜNEN
Nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben
auf Lebensmitteln europaweit einheitlich re-
geln – für mehr Verbraucherschutz und fairen
Wettbewerb
– Drucksache 15/2579 –

Nach interfraktioneller Vereinbarung ist für die Aus-
sprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Wider-
spruch gibt es nicht. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat für die Bun-
desregierung der Parlamentarische Staatssekretär Gerald
Thalheim.

Dr
Dr. Gerald Thalheim (SPD):
Rede ID: ID1509417000


Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Die rot-grüne Bundesregie-
rung hat 1998, wie wir uns alle noch gut erinnern kön-
nen, ein schweres Erbe angetreten.


(Widerspruch bei der CDU/CSU und der FDP – Manfred Grund [CDU/CSU]: Sie hätten es ja ausschlagen können!)


Das betraf insbesondere die immense Staatsverschul-
dung, die natürlich inbesondere mit den Problemen bei
der Wiedervereinigung in Zusammenhang steht. Profes-
sor Sinn ist kürzlich in der Öffentlichkeit mit der Aus-
sage zitiert worden, die Wiedervereinigung sei auf wirt-
schaftlichem Gebiet gescheitert – was natürlich Folgen
für die Staatsverschuldung hatte.


(Manfred Grund [CDU/CSU]: Es ist nicht alles sinnvoll, was Herr Sinn sagt!)


Meine Damen und Herren, die Defizite gab es nicht
nur auf solch spektakulärem Gebiet wie dem der Staats-
verschuldung, sondern auch in dem Bereich, über den
wir heute diskutieren, nämlich bei der Lebensmittelsi-
cherheit und dem Verbraucherschutz. Uns allen ist die
BSE-Krise noch recht gut in Erinnerung, die die Ver-
säumnisse offenkundig gemacht hat.

Worin lagen die Versäumnisse? Sie lagen ganz ein-
deutig in der politischen Schwerpunktsetzung. The-
men wie Lebensmittelsicherheit und Verbraucherschutz
war einfach zu wenig Beachtung geschenkt worden. In
den wenigen Monaten seit dem Regierungswechsel war
auch die rot-grüne Bundesregierung nicht in der Lage, in
allen Ecken aufzuräumen.


(Ursula Heinen [CDU/CSU] und HansMichael Goldmann [FDP]: Oh!)


So haben die Versäumnisse bei Verbraucherschutz und
Lebensmittelsicherheit eine solche Dimension angenom-
men. Bei BSE gab es ein regelrechtes Denkverbot in
Deutschland. Die Folgen mussten wir alle tragen, insbe-
sondere die Bäuerinnen und Bauern.

Es bleibt aber festzuhalten, dass es nicht nur an politi-
scher Schwerpunktsetzung mangelte, sondern auch ein
Institutionsversagen in diesem Bereich vorlag. Das hat
das Gutachten der damaligen Präsidentin des Bundes-
rechnungshofes, Frau von Wedel, ans Tageslicht geför-
dert. Nach Vorliegen dieses Gutachtens hat die Bundes-






(A) (C)



(B) (D)


Parl. Staatssekretär Dr. Gerald Thalheim

regierung die Probleme mit Nachdruck in Angriff
genommen.


(Ursula Heinen [CDU/CSU]: Aber sie ist im Ansatz stecken geblieben!)


Es wurde eine ganze Reihe von Gesetzen und Rege-
lungen zur Problematik der Lebensmittelsicherheit und
des Verbraucherschutzes deutlich verschärft. Das Minis-
terium wurde neu strukturiert. Dem Verbraucherschutz
wurde nicht nur im Namen des Ministeriums, sondern
auch in der Rangfolge Priorität eingeräumt.

Es folgten Entscheidungen im nachgeordneten Be-
reich. Es wurde die Empfehlung aufgegriffen, zwischen
Risikobewertung und Risikomanagement zu trennen.
Das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebens-
mittelsicherheit und das Bundesinstitut für Risikobewer-
tung wurden geschaffen. Es kam zur Zusammenführung
der Bundesforschungseinrichtungen und zur Gründung
der Bundesforschungsanstalt für Ernährung und Lebens-
mittel.

Meine Damen und Herren, wir alle wissen: Es reicht
nicht aus, Gesetze und Vorschriften zu verschärfen; diese
müssen auch kontrolliert werden.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Hans-Michael Goldmann [FDP])


Insofern liegen unsere Bewertungen – auch wenn es auf
den ersten Blick anders erscheinen mag – nicht weit aus-
einander. Ich denke, wir sind uns einig, dass die für die
Überwachung zuständigen Länder in Zukunft mehr tun
und effizienter arbeiten müssen.

Die Bundesregierung hat auch an dieser Stelle die
Schlussfolgerungen aus dem Von-Wedel-Gutachten ge-
zogen. Dort wurde explizit ausgeführt, dass es insbeson-
dere in der Koordinierung und in der Zusammenarbeit
in diesem Bereich Defizite gibt. Die Bundesregierung
hat am 17. Dezember des vergangenen Jahres den Ent-
wurf der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift über
Grundsätze zur Durchführung der amtlichen Überwa-
chung lebensmittelrechtlicher und weinrechtlicher Vor-
schriften beschlossen. Um die Umsetzung dieser Allge-
meinen Verwaltungsvorschrift geht es in der heutigen
Debatte. Es geht nicht nur darum, darüber zu reden, son-
dern auch darum, durch entschlossenes Handeln in der
Zukunft Verbesserungen zu erreichen.


(Beifall bei der SPD – Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Da applaudiert die SPD: „durch entschlossenes Handeln Verbesserungen erreichen“! Davon ist die SPD weit entfernt! – Widerspruch bei der SPD)


– Lieber Peter Harry, wenn du mir zugehört hättest, hät-
test du festgestellt, dass meine Ausführungen insbeson-
dere das Verwaltungshandeln in den Ländern betrafen.

Gerade die Diskussionen über die Allgemeine Ver-
waltungsvorschrift haben deutlich gemacht, dass die
Bereitschaft der Länder, hier im notwendigen Ausmaß
mitzuziehen, bisher nicht gegeben war. Ich denke, wenn
wir gemeinsam die entsprechenden Signale setzen, wer-
den wir auch in diesem Punkt vorankommen. Es geht da-
rum, Doppelarbeit zu vermeiden, Reibungsverluste abzu-
bauen und auch hier wirtschaftlich effizient vorzugehen.
Die Kritik der Länder richtet sich vor allen Dingen dage-
gen, dass für eine Verbesserung der Arbeit in diesem Be-
reich in erheblichem Umfang – es wird mit Finanzmitteln
in einer Größenordnung von über 100 Millionen Euro ge-
rechnet – zusätzliche Investitionsmittel, zum Beispiel für
Laboreinrichtungen, aber auch für das Verwaltungshan-
deln, notwendig sind.

Das kann man allerdings auch anders sehen und den
Blick darauf richten, dass die Bereiche Lebensmittelsi-
cherheit und Verbraucherschutz um genau diesen Betrag
unterfinanziert sind; denn wir sind uns ja einig, dass hier
Verbesserungen notwendig sind. Jetzt geht es darum,
durch effizientes Handeln – hier sind auch die Länder
angesprochen – zu einer Regelung zu kommen, die den
verschiedenen Risikogruppen Rechnung trägt. Es muss
dort, wo die größten Risiken bestehen, auch am genaues-
ten hingeschaut werden, während dort, wo die Risiken
geringer sind, auch größere zeitliche Abstände zwischen
den Kontrollen toleriert werden können.

Wir sind der Meinung, dass hier jeder an seiner Stelle
– die Bundesregierung an ihrem Platz und die Länder in
ihrer Verantwortung – aktiv werden muss. Eingangs
habe ich ausgeführt, was alles vonseiten des Bundes un-
ternommen wurde, wohlgemerkt: trotz der Haushalts-
schwierigkeiten – sie sind in Bund und Ländern sicher
ähnlich groß –, in denen wir uns befinden. Ich kann nur
an Sie appellieren, gemeinsam mit den Ländern zu ver-
suchen, hier eine Grundlage zu finden, um vor Ort die
Kontrollen durchführen zu lassen, die wir den Verbrau-
cherinnen und Verbrauchern in Deutschland schuldig
sind, um in diesem sensiblen Bereich den notwendigen
Fortschritt zu erreichen.


(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, nur wenn wir das tun, kön-

nen wir den anderen Mitgliedsländern der Europäischen
Union glaubhaft gegenübertreten. Häufig höre ich die
Aussage, dass wir und nicht die anderen Länder die
höchsten Standards hätten.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Haben wir! Richtig!)


Das können wir aber nur dann glaubhaft vertreten, wenn
wir es durch unser Handeln im eigenen Land deutlich
machen.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Das ist so! Das brauchen wir nicht zu vertreten!)


Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1509417100

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Ursula Heinen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Hans-Michael Goldmann [FDP])







(A) (C)



(B) (D)



Ursula Heinen (CDU):
Rede ID: ID1509417200

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!

Unsere heutige verbraucherpolitische Debatte steht ganz
im Zeichen der Lebensmittelsicherheit, der Werbung und
vieler anderer Themen, die damit zu tun haben. Herr
Staatssekretär Thalheim, das Thema Lebensmittelüber-
wachung spielte auch gestern im Ausschuss eine große
Rolle. Daher wäre es nicht schlecht gewesen, wenn Sie
gestern dabei gewesen wären. Denn dort haben wir sehr
umfangreiche Berichte erhalten: sowohl von den Le-
bensmittelkontrolleuren zu ihrer tatsächlichen Situation
und den Schwierigkeiten, mit denen sie zu kämpfen ha-
ben,


(Zuruf von der SPD: Sprechen Sie doch persönlich mit ihnen!)


als auch von den Vertretern der betroffenen Bundeslän-
der Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg.

Die Probleme der Lebensmittelüberwachung, die
Sie vorhin angesprochen haben, sind uns bekannt. Es
geht um mangelnde technische und personelle Ausstat-
tungen, gleichzeitig ständig zunehmende Aufgaben – zu
erinnern ist hier an die Gentechnikkennzeichnung – und
Mängel bei der Zusammenarbeit von Betrieben, Landes-
behörden und Bundesbehörden. Im Ausschuss haben wir
gestern gehört, dass Lebensmittelkontrolleure sogar ihre
Fortbildung selbst bezahlen müssen, weil die Länder da-
für kein Geld zur Verfügung stellen. Ein Bundesland ist
sogar so weit gegangen, die Fortbildung zu untersagen.
All dies sind Zustände – ich denke, darüber besteht im
gesamten Hause Einigkeit –, die wir nicht hinnehmen
dürfen. Daher ist es in der Tat zu begrüßen, dass die
Bundesregierung, dass Staatssekretär Thalheim die All-
gemeine Verwaltungsvorschrift vorgelegt hat; denn nur
einheitliche Verfahren können ein wirklich gleichmä-
ßig hohes Niveau der Lebensmittelüberwachung sicher-
stellen. Wir müssen dafür sorgen, dass ein Sich-Ausei-
nanderentwickeln der einzelnen Bundesländer verhin-
dert wird.


(Beifall bei der CDU/CSU)

So weit, so gut im Grundsatz. In den Beratungen wer-

den wir natürlich darauf achten müssen, dass die Rege-
lungen nicht zu starr geraten: Den Ländern müssen
– auch das ist Prinzip und Wesen unseres Föderalismus –
gewisse Spielräume erhalten bleiben, es muss den Be-
sonderheiten von Verwaltungsstrukturen Rechnung ge-
tragen werden; auch dies haben wir gestern am Beispiel
von NRW und Baden-Württemberg gehört. Ganz beson-
ders wichtig ist: Wir dürfen die Kosten durch neue Ver-
fahren, neue Gesetze und neue Verordnungen nicht ein-
seitig den Ländern aufbürden.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Wenn wir zulasten der Länder etwas beschließen, müs-
sen wir dafür geradestehen. Wenn Peter Harry
Carstensen nächstes Jahr Ministerpräsident in Schles-
wig-Holstein wird,


(Beifall bei der CDU/CSU – Heiterkeit bei der SPD)

müssen wir natürlich ein großes Interesse daran haben,
dass er seine Aufgaben in Schleswig-Holstein – da gibt es
richtig etwas aufzuräumen, Staatssekretär Thalheim! –
auch wahrnehmen kann.

Was die Allgemeine Verwaltungsvorschrift angeht,
sind wir uns im Prinzip einig. Weniger Einigkeit besteht
bezüglich Ihrer Stellungnahme zum Verordnungsvor-
schlag der EU-Kommission zur Regelung von nährwert-
und gesundheitsbezogenen Angaben auf Lebensmit-
teln. Lange haben wir überhaupt nichts gehört. Seitens
der Bundesregierung kam lediglich von Ministerin
Künast auf der „Anuga“ eine Äußerung, die Sympathien
für den Richtlinienentwurf erkennen lässt. Gestern nun
haben die Koalitionsfraktionen quasi aus dem Hut einen
Antrag gezaubert, mit dem sie ihre Positionierung festle-
gen.


(Julia Klöckner [CDU/CSU]: Heute erst!)

Ich möchte darauf hinweisen: Es waren die CDU/CSU
und die FDP, die bereits im letzten Jahr mit Entschlie-
ßungsanträgen Stellungnahmen zu dem Verordnungsent-
wurf der Europäischen Kommission abgegeben haben,
während Sie leider geschwiegen haben, wie auch schon
vor Wochen in der Anhörung im Ausschuss. Jetzt legen
Sie ein Papier vor, das mehr als schwammig ist.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich möchte etwas aus diesem Papier zitieren, was eigent-
lich das I-Tüpfelchen der Schwammigkeit und des un-
klaren Formulierens ist. Da heißt es, Sie wollen kein
„völliges Verbot“ impliziter gesundheitsbezogener An-
gaben, was auch immer das heißen mag. Ich bin ge-
spannt darauf, wie Sie gleich erklären, was „kein völli-
ges Verbot“ sein soll! Was ist denn ein „teilweises
Verbot“? Oder ist es eine „teilweise Erlaubnis“? – Ich
glaube, dass Sie da noch erheblich nachbessern müssen.

Ich möchte ein paar konkrete Beispiele nennen, bei
denen sich etwas ändern wird. Sie zeigen auch, wie
schwierig es mitunter sein wird, mit diesem Verord-
nungsentwurf klar zu kommen. „Milch macht müde
Männer munter“ – mehr will ich nicht zur konkreten
Werbung sagen. Es geht hier aber auch um allgemeine
Formulierungen: Ein Bonbon sei wohltuend für Rachen
und Hals, ein Getränk entschlacke den Körper, ein Jo-
ghurt fördere eine gesunde Darmflora. Das sind Werbe-
aussagen, die in Zukunft nicht mehr so einfach getroffen
werden können.

Wir lehnen diesen Vorschlag nicht grundsätzlich ab,
sind aber der Meinung, dass er in der Art und Weise, wie
er formuliert ist, viel zu kompliziert ist. Im Europäischen
Parlament sind zu diesem Verordnungsentwurf mehr als
400 Änderungsanträge


(Julia Klöckner [CDU/CSU]: 400!)

eingegangen; da weiß man schon ziemlich genau, was
man von ihm zu halten hat: Kompetenzüberschreitung,
Dirigismus, mangelnde Flexibilität, Bürokratiemonster,
Hemmung der Innovationskraft sind die Worte, mit de-
nen dieser Vorschlag in Verbindung gebracht wird.


(Julia Klöckner [CDU/CSU]: Nichts anderes!)







(A) (C)



(B) (D)


Ursula Heinen

Wo bleibt die Eigenverantwortung der Verbraucher

für ihre Lebens- und Essgewohnheiten? Wo bleibt Raum
für regionale und nationale Unterschiede? – Gerade in
der Europäischen Union haben sich Ess- und Trinkge-
wohnheiten über Jahrhunderte hinweg ganz unterschied-
lich herausgebildet. Man muss sich nur einmal die Ess-
und Trinkgewohnheiten in Deutschland und in Frank-
reich anschauen. Wir können uns schon denken, dass es
mit den Nahrungsmitteln in beiden Ländern entspre-
chend unterschiedlich aussieht.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Die Kommission will jetzt ein Verfahren einführen,

nach dem sie genehmigt, was gesund ist und was nicht.
Sie will es letztlich politisch entscheiden. Eigentlich soll
die Grundlage für die Bewertung dieser gesundheitsbe-
zogenen Angaben von der europäischen Lebensmittelbe-
hörde kommen. Das ist gut und richtig so; das können
wir unterstützen. Warum aber anschließend die Kommis-
sion noch einmal darüber beschließt


(Julia Klöckner [CDU/CSU]: Unsinnig! Braucht kein Mensch!)


und politisch entscheidet, was gut ist und was nicht gut
ist, können wir nicht nachvollziehen. Wir meinen, dass
sich die Bundesregierung entsprechend einsetzen muss,
damit diese Formulierungen aus dem Verordnungsent-
wurf herausfallen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich fasse zusammen – meine Kollegin Julia Klöckner

wird darauf noch genauer eingehen –: Der Verordnungs-
entwurf spricht den Verbrauchern ab, selbstständig zu
urteilen; er entmündigt die Verbraucher. Das entspricht
natürlich wieder dem, was die Bundesregierung will: Sie
will dem Verbraucher sagen, was er zu tun und zu lassen
hat, und ihn nicht mehr eigenständig sein lassen.


(Gustav Herzog [SPD]: Frau Heinen, Sie haben nicht verstanden, was wir meinen! Das ist Blödsinn, was Sie hier erzählen!)


Ein solcher Vorschlag darf nicht Wirklichkeit werden.
Danke schön.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1509417300

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Ulrike Höfken.

Ulrike Höfken-Deipenbrock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1509417400

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Da-

men und Herren! Liebe Frau Präsidentin! Das passt ja
gut: Wir führen eine Debatte zur Verbraucheraufklärung
und haben das Kant-Jahr. Aufklärung ist ein wichtiger
Teil von Kants Aussage. Er sagt:

Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus sei-
ner selbst verschuldeten Unmündigkeit.


(Zurufe von der CDU/CSU: Oh!)

Ein Wahlspruch der Aufklärung ist:

Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu be-
dienen!
Wenden wir Kants Aufklärungsbegriff auf die rot-
grüne Verbraucherpolitik an, so müssten wir sagen, dass
der Weg von der Unmündigkeit zur Mündigkeit über
Aufklärung, Transparenz und Information führt; denn
die Märkte bieten in der Regel nicht per se die notwen-
dige Transparenz und Information an. Je transparenter
der Markt ist, je besser die Verbraucher informiert sind,
desto mündiger und desto freier, liebe Kollegen von der
FDP, können sie auf dem Markt agieren. Deswegen stär-
ken wir mit unserer Politik die Autonomie und die Frei-
heit des Verbrauchers und damit den fairen Wettbewerb.
Das ist sowohl für die Verbraucher als Marktteilnehmer
als auch für die Unternehmen gut.

Unser Hauptziel bleibt deshalb, alle Schritte in Rich-
tung der verbesserten Information zu gehen. Dazu zählt
auch das Verbraucherinformationsgesetz. Wir glau-
ben, dass wir damit zu einer positiven Entwicklung kom-
men können. Die ersten Weichenstellungen sind ja schon
mit dem bereits verabschiedeten Geräte- und Produktsi-
cherheitsgesetz gemacht. Es ist jetzt die besondere Auf-
gabe der Bundesländer, aber auch der Unternehmen, den
von Kant geforderten Mut, sich des eigenen Verstandes
zu bedienen, aufzubringen und die Diskussion um das
Verbraucherinformationsgesetz gemeinsam mit der Bun-
desregierung weiter voranzubringen.

Das bündnisgrüne Verbraucherbild unterscheidet sich
– das hat man heute wieder gehört – ganz entscheidend
von dem der Opposition.


(Ursula Heinen [CDU/CSU]: Das ist wohl wahr!)


Wir haben das ganz aktuell bei der Diskussion um die
Werbebeschränkungen für gesundheitsbezogene Anga-
ben bei Lebensmitteln und übrigens auch bei der Diskus-
sion um das Gentechnikgesetz erlebt.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1509417500

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des

Kollegen Carstensen?


Ulrike Höfken-Deipenbrock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1509417600

Ja.


Peter H. Carstensen (CDU):
Rede ID: ID1509417700

Frau Kollegin Höfken, wie bewerten Sie eigentlich in

diesem Zusammenhang die Aussage der Präsidentin der
Verbraucherverbände, die einmal gesagt hat: Wir haben
es bei den Verbrauchern mit einem Analphabetismus in
der Küche zu tun?


(Manfred Helmut Zöllmer [SPD]: Was war das denn jetzt?)



Ulrike Höfken-Deipenbrock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1509417800

Frau Müller hat in dem Zusammenhang wahrschein-

lich auf etwas ganz anderes abgezielt. Ich kenne den Zu-
sammenhang, in dem das Zitat steht, nicht,


(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Sie waren dabei, als das gesagt wurde!)







(A) (C)



(B) (D)


Ulrike Höfken

aber es bezieht sich natürlich auf das mangelnde Wissen
um die Qualität von Nahrungsmitteln und um den Um-
gang mit Nahrungsmitteln. Das kritisieren wir übrigens
alle gemeinsam und bemühen uns fraktionsübergreifend,
gerade auf dem Bildungswege jungen Menschen wieder
mehr Wissen und mehr Information zu vermitteln. Die
Bundesregierung und das BMVEL, Frau Künast an der
Spitze, führen große Kampagnen durch, um dieses De-
fizit zu beheben.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Peinliche Kampagnen, ja!)


Es gibt übrigens auch eine Kampagne der Landfrauen,
die wir unterstützen.

Das bündnisgrüne Verbraucherbild unterscheidet sich
von dem der Opposition gerade im Bereich der eben er-
wähnten Werbebeschränkung bei gesundheitsbezogenen
Angaben, aber auch bei der Gentechnik. Die Union be-
schwört nämlich nur den mündigen Verbraucher, aber sie
– und noch weniger die FDP – schafft ihm keine adäqua-
ten Rahmenbedingungen.


(Julia Klöckner [CDU/CSU]: Sie glauben an uns! – Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Wir trauen den Menschen etwas zu!)


Dabei zitiert sie den Europäischen Gerichtshof übrigens
auch noch falsch. In mehreren Entscheidungen hat er
nämlich entgegen den Aussagen der Opposition den
Durchschnittsverbraucher, also den mit durchschnittli-
cher Sorgfalt handelnden, angemessen sachkundigen
und verständigen Verbraucher, zum Maßstab gemacht.
Ich finde, das entspricht dem kantischen Vernunftprin-
zip.

Dass der mündige Bürger und die Entscheidungsfrei-
heit bei CDU/CSU und FDP nur Makulatur sind, wird
gerade in deren Stellungnahmen zum Gentechnikgesetz
überdeutlich.


(Lachen des Abg. Hans-Michael Goldmann [FDP])


Alle regelnden Maßnahmen werden mit der Zielsetzung
abgelehnt, die Kontamination des gesamten Landes mit
der Gentechnik durch produziertes Chaos und in Kauf
genommene Auskreuzung gezielt herbeizuführen.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Das, was Sie da sagen, ist völliger Quatsch!)


Ich finde, das ist eine Art der Freiheitsberaubung. Das
lassen wir der CDU/CSU und der FDP nicht durchge-
hen.

Aus dem gleichen Grund unterstützen wir gleichzeitig
den Vorschlag der EU-Kommission bezüglich der nähr-
wert- und gesundheitsbezogenen Angaben. Mit Ihren
Aussagen zu der von der EU-Kommission vorgeschlage-
nen Verordnung machen Sie schlichtweg die Pferde
scheu. Frau Heinen, bei den entsprechenden Paragra-
phen handelt es sich um Verbote mit Erlaubnisvorbe-
halt. Darum ist die Formulierung in unserem Antrag ab-
solut korrekt. Um es ganz klar zu sagen: Weder wird die
deutsche Werbewirtschaft an kreativen Aussagen gehin-
dert noch geht die Wirtschaft aus sonstigen Gründen un-
ter. Milch darf auch weiterhin müde Männer munter ma-
chen.


(Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Lieber nicht!)


Bei manch gesundheitsbezogener Werbung wird
der Missbrauch beschränkt. Ich habe einmal ein Produkt
der Firma Coca Cola mitgebracht. Es könnte aber durch-
aus auch etwas anderes sein. Solche Getränke gibt es ja
nicht nur von diesem Unternehmen. Dieses Produkt wird
als gesunder Trinkspaß beworben und entsprechend aus-
gezeichnet. Was verbirgt sich hinter diesem gesunden
Trinkgenuss? Er besteht nur aus 12 Prozent Apfelsaft
– aus Apfelsaftkonzentrat – und ansonsten aus massig
Wasser, Zucker, Traubenzucker, Zitronensäure, Aroma-
stoffen, Säureregulatoren, Antioxydantien, Farbstoffen
und – jetzt kommt die Krönung – sieben zugesetzten
Vitaminen.

Man kann sich massiv über Sinn bzw. Unsinn solcher
zugesetzten künstlichen Vitamine streiten. Überdosie-
rungen machen durchaus eher krank als gesund. Ich sage
ganz klar: Diese Art der Werbung ist – um beim Thema
zu bleiben – nicht aufklärerisch, sondern schlicht und er-
greifend entmündigend. Besser ist es nämlich, fünfmal
am Tag gesundes Obst und einen vernünftigen Saft zu
sich zu nehmen.

Deswegen muss der Wahrheitsgehalt der Werbeaussa-
gen zum Gesundheitsnutzen im Lebensmittelbereich
stärker sichergestellt werden. Es ist richtig, wie die EU-
Kommission und die Bundesregierung vorschlagen, dass
solche Aussagen künftig nur auf der Grundlage eines
wissenschaftlichen Nachweises erlaubt werden dürfen.
Wir sagen, das soll so unbürokratisch wie irgend mög-
lich geschehen. Nährwertprofile sind eine hilfreiche
Referenzgröße für die ernährungsphysiologische Quali-
tät von Lebensmitteln. Damit wird dann auch der Unsinn
beendet, dass vitaminisierte Bonbons – natürlich stark
zuckerhaltig – als gesund beworben werden dürfen.
Auch das ist nämlich irreführend. Insofern sind wir mit
unserem Antrag auf einem guten und richtigen Weg.

Bei der Aufklärung gibt es besonders schutzbedürf-
tige Gruppen. Gerade der Anspruch von Mündigkeit be-
inhaltet, dass besonders schutzbedürftige Gruppen – also
Kinder und Jugendliche – auch wirklich geschützt wer-
den. Deswegen müssen wir die Jugendlichen vor der Al-
kohol- und Tabakwerbung schützen. Darum ist es sehr
zu begrüßen, dass die rot-grüne Koalition mit ihrer Ge-
setzesinitiative den hier alarmierend ansteigenden Kon-
sumzahlen entgegentritt: In dieser Vorschrift sind Rege-
lungen bezüglich einer Sondersteuer auf Alcopops, eines
Etikettenhinweises für das bestehende Abgabeverbot an
Minderjährige, des Verbots der Abgabe kostenloser Zi-
garetten und der Mindestpackungsgröße von 17 Stück
enthalten. Für die Jugendlichen ist der Preis nämlich
eine sehr relevante Entscheidungsgröße.


(Julia Klöckner [CDU/CSU]: Das stimmt! Da hat sie Recht!)


Zur Entscheidungsfreiheit gehört auch, dass die Ver-
braucher darauf vertrauen können, dass Qualität und Hy-
giene gesichert sind. Gerald Thalheim hat die Verbesse-






(A) (C)



(B) (D)


Ulrike Höfken

rungen im Bereich der Lebensmittelkontrolle schon
ausgeführt. Anlass war die BSE-Krise. Das BMVEL hat
auf Bundesebene die institutionelle und strukturelle Neu-
organisation durchgeführt. Hier gibt es weitere Ansätze
zur besseren Koordinierung. Insbesondere bedarf es ei-
nes bundeseinheitlichen Überwachungsplans. Effi-
zienz und Sicherheit unter Einschluss einer sachgerech-
ten Risikobewertung, zum Beispiel bei Lebensmittelim-
porten, müssen gesteigert werden.

Wir als Fraktion begrüßen die von der Bundesregie-
rung vorgelegte Allgemeine Verwaltungsvorschrift mit
den Nachkennzeichnungen AVV Rahmen-Überwa-
chung. Ich denke, diese können wir gemeinsam mit der
Opposition begrüßen.

Ich bedanke mich.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1509417900

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Michael

Goldmann.

Hans-Michael Goldmann (FDP):
Rede ID: ID1509418000

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Um es gleich vorweg zu sagen: Die FDP sieht viele
Dinge völlig anders.


(Ute Kumpf [SPD]: Kein Wunder!)

Unsere heimischen Lebensmittel sind viel besser, als sie
von Ihnen hier beschrieben worden sind. Herr Thalheim,
dies ist nicht nur heute so, sondern das war auch schon
früher der Fall. Deutsche Lebensmittel haben internatio-
nal einen sehr guten Ruf. Die Arbeitsplätze in der deut-
schen Lebensmittelwirtschaft sind Hightech-Arbeits-
plätze und es kommen Superprodukte auf den Markt.

Die immer älter werdende Bevölkerung, die sowohl
geistig als auch körperlich mobiler als früher ist, belegt
das. Ich denke hier an meine bald 90-jährige Mutter.
Nach dem, was Sie gesagt haben, müsste sie sich früher
mit den Lebensmitteln vergiftet haben. Das ist alles
Quatsch. Die Wahrheit ist: Deutsche Lebensmittel sind
gut. Nur an der einen oder anderen Stelle besteht Verbes-
serungsbedarf.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Liebe Frau Höfken, Sie waren doch bei der Anhörung
dabei. Für Sie muss sie doch eine Ohrfeige gewesen
sein. In Baden-Württemberg sind im Rahmen der Le-
bensmittelüberwachung nur 0,3 Prozent der Proben als
gesundheitsschädlich beanstandet worden. In diesem
Bereich gibt es keine Defizite. Vor dem Hintergrund der
Fülle an Proben, die vorgenommen werden, sind das her-
vorragende Ergebnisse.

Ein anderes Thema sind Rückstände aus Pflanzen-
schutzmitteln. Sie machen sich im Moment mit Unter-
stützung anderer auf den Weg, verdeckte Ermittler bzw.
Agrarspione einzuführen.


(Gustav Herzog [SPD]: Unsinn!)

Auch in diesem Bereich gibt es keine Probleme. Diese
sind von Ihnen herbeigeredet und entsprechen überhaupt
nicht der Realität in unserer Gesellschaft.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Sie aber brauchen diese Argumente, um Ihre rot-
grüne Ernährungspolitik auf den Weg zu bringen. Sie be-
ruht auf Entmündigung und Irreführung der Menschen.


(Manfred Helmut Zöllmer [SPD]: Blödsinn, was Sie erzählen!)


Ich finde es schlimm, was Sie gemacht haben.

Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1509418100

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der

Kollegin Höfken?

Hans-Michael Goldmann (FDP):
Rede ID: ID1509418200

Nein, heute einmal nicht.


(Zurufe von der SPD: Oh!)

Wissen Sie, Frau Höfken, ich habe nicht besonders viel
Neigung, mich mit diesen Dingen auseinander zu setzen.


(Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das merke ich! – Lachen bei der SPD)


– Frau Höfken, lassen Sie mich es ganz ruhig sagen: Das
Ganze wurde gestern im Ausschuss viel besser vorgetra-
gen, als Sie es heute hier gemacht haben. Ich finde es
schlimm, wie Sie hier bestimmte Teile unserer Gesell-
schaft und unserer Wirtschaft im Grunde genommen zer-
stören und aus unserem Land verdrängen. Sie tragen
dazu bei, dass hier eine Fülle von Arbeitsplätzen und
Qualität verloren gehen.


(Gabriele Hiller-Ohm [SPD]: Das ist unglaublich!)


Für mich ist das mit einer verantwortungsvollen Sozial-
politik einfach nicht in Einklang zu bringen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Manfred Helmut Zöllmer [SPD]: Das ist doch dummes Zeug!)


Ich weiß, dass Sie BSE als Thema brauchen. Auch
den Pseudobegriff der Agrarwende benötigen Sie, um
den Schein zu wahren und das zu rechtfertigen, was Sie
hier machen. Das entspricht jedoch schlicht und ergrei-
fend nicht der Wirklichkeit. Sehen Sie sich die Zahlen in
diesem Bereich doch einmal an. Nehmen Sie einfach
einmal zur Kenntnis, dass es in unserer Gesellschaft kein
BSE-Problem gibt und dass nichts so sicher wie unsere
Lebensmittel ist. Nehmen Sie zur Kenntnis, dass Sie hier
einen Popanz aufgebaut haben. Andere europäische Län-
der untersuchen Tiere ab 90 Monaten auf BSE, Sie aber
haben eine Untersuchung ab 24 Monaten angeordnet
und tragen damit zu zusätzlichen Kosten bei, wodurch
wesentliche Marktanteile verloren gehen.

Sie zitieren Kant. Das ist genau der Punkt. Sie setzen
überhaupt nicht darauf, den Verbraucher zu informieren,






(A) (C)



(B) (D)


Hans-Michael Goldmann

sondern Sie setzen ganz bewusst darauf, bei dem Ver-
braucher ein Bild zu erzeugen, das ihn total verunsichert
und das dazu beiträgt, dass er zum Teil meint, es sei alles
ganz schlimm bei uns. Ich halte es für einen Skandal,
was Sie hier betreiben.

Ich will Ihnen ehrlich sagen: Sie wollen eine Politik,
die auf Bevormundung abzielt, und dabei werden Sie zu
meiner großen Überraschung auch noch von den Sozial-
demokraten unterstützt.

Vorhin haben Sie die Alcopops angesprochen. Versu-
chen Sie es doch einmal mit Aufklärung und Kampa-
gnen, die vielleicht ein bisschen intelligenter angelegt
sind als das, was in den letzten Tagen von Ihnen veröf-
fentlicht worden ist. Dabei ging es um Erdbeeren und
junge Menschen. Ich persönlich halte es für furchtbar
schlimm, was da auf den Weg gebracht worden ist. Ich
bin froh darüber, dass es mittlerweile aus dem Internet
verschwunden ist. Zocken Sie nicht an jeder Stelle ab!
Belegen Sie die Dinge nicht mit zusätzlichen Kosten,
sondern setzen Sie auf den mündigen Bürger, der sich in-
formieren kann!

Der Kollege Carstensen hat es vorhin völlig zu Recht
angesprochen: Wir tun gerade so, als ob wir in einem
Land leben würden – –

Frau Höfken, offenbar sind Sie nicht an meinen Aus-
führungen interessiert. Sie wollten eine Frage stellen,
aber Sie wollen gar keine Antwort haben. Ich rede mal
ruhig und gelassen weiter.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1509418300

Nein, leider nicht, weil die Zeit abgelaufen ist.


Hans-Michael Goldmann (FDP):
Rede ID: ID1509418400

Ich habe es gesehen, Frau Präsidentin. Ich danke Ih-

nen für die Information.

(Heiterkeit bei der CDU/CSU)


Lassen Sie mich noch einen Satz zu nährwert- und ge-
sundheitsbezogenen Angaben auf Lebensmitteln sagen.


(Manfred Helmut Zöllmer [SPD]: Nein!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1509418500

Schlusssatz.


Hans-Michael Goldmann (FDP):
Rede ID: ID1509418600

– Herr Kollege, Sie verausgaben sich mit Ihrer

Schreierei. Unter Verbraucherschutzgesichtspunkten
muss ich Sie bitten, sich zu schonen.

Wir werden in diesem Bereich Erfolge erzielen, wenn
wir gemeinsam vorgehen. Ihre rot-grüne Politik ist nicht
geeignet, Verbraucher wirklich zu informieren, sondern
sie ist eine Bevormundung, die wir in keiner Weise ak-
zeptieren.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1509418700

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Gabriele Hiller-

Ohm.

(Ursula Heinen [CDU/CSU]: Sie hat Unrecht!)



Gabriele Hiller-Ohm (SPD):
Rede ID: ID1509418800

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lieber

Herr Kollege Goldmann, Sie haben sich heute hier einen
Orden für Doppelzüngigkeit verdient.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Sie haben heute hier gesagt, es gebe kein BSE-Problem,
im Ausschuss aber haben Sie uns stundenlang mit die-
sem Thema terrorisiert. Es ist wirklich unglaublich, was
Sie sich heute geleistet haben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Hans-Michael Goldmann [FDP]: Das tut mir so Leid!)


Zum Thema. Seit mehreren Monaten hält uns eine
von der EU-Kommission angeschobene Initiative zur
Stärkung von Verbraucherinteressen regelrecht in
Atem. Es geht um den Vorschlag der Kommission für
eine Verordnung des Europäischen Parlamentes und des
Rates über nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben
bei Lebensmitteln. Was will die geplante Verordnung?


(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Die Frage haben wir uns auch gestellt!)


Längst nicht alle Lebensmittel halten, was sie verspre-
chen. Damit soll jetzt Schluss sein. Wenn ein Produkt
mit nährwert- und gesundheitsbezogenen Angaben
wirbt, müssen diese auch stimmen. Das fordert die Kom-
mission in dem Verordnungsvorschlag. Begriffe wie
„fettfrei“, „halbfett“, „salzarm“ oder „zuckerreduziert“
sollen zukünftig europaweit einheitlich definiert und an-
gewendet werden.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Wo ist das Problem?)


Lebensmittel mit einem ungünstigen Nährwertprofil,
also mit zu viel Salz, Zucker oder Fett,


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Wer bestimmt denn das?)


dürfen nicht mehr mit Angaben werben, die das Produkt
als gesund und wertvoll erscheinen lassen.

Für gesundheitsbezogene Angaben wie zum Beispiel
„stärkt die Knochen“ muss ein Wirkungsnachweis er-
bracht werden.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Wird jetzt schon!)


Durch diese Regelungen sollen Verbraucherinteressen
und der Wettbewerb in Europa gestärkt werden. Die Ini-
tiative aus Brüssel wird durchweg im Grundsatz begrüßt.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Von wem denn?)







(A) (C)



(B) (D)


Gabriele Hiller-Ohm

Warum aber dann diese Aufregung? Die Lebensmittelin-
dustrie fürchtet Mehrkosten durch aufwendige Nach-
weisverfahren, die Werbewirtschaft Einschränkungen ih-
rer Freiheit, die Politik Auswüchse an Bürokratie.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1509418900

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage von

Herrn Silberhorn?


Gabriele Hiller-Ohm (SPD):
Rede ID: ID1509419000

Nein.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1509419100

Von Herrn Carstensen auch nicht?


Gabriele Hiller-Ohm (SPD):
Rede ID: ID1509419200

Ich möchte gern meine Ausführungen zu Ende brin-

gen, Herr Carstensen.

(Gudrun Kopp [FDP]: Das finden wir auch gut!)

Auch meine Fraktion hat Zweifel, dass der Verord-

nungsvorschlag der Weisheit letzter Schluss ist. Trotz-
dem unterstützen wir die Initiative, weil sie in die rich-
tige Richtung geht. Verbraucherinnen und Verbraucher
müssen sich gerade bei lebensnotwendigen Produkten
für Essen und Trinken auf deren Güte verlassen können.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Das tun sie doch!)


Hinzu kommt, dass immer mehr Bürgerinnen und
Bürger diese Produktinformationen einfordern. Der
Trend hin zu gesunder Ernährung muss durch verlässli-
che, verständliche und genaue Informationen unterstützt
werden. Das ist sehr wichtig; denn unsere Gesellschaft
wird nicht nur älter, sondern auch immer schwerer. Be-
reits unsere Kinder haben die schlimmen Folgen von Be-
wegungsmangel und Fehlernährung gepaart mit geneti-
schen Veranlagungen im wahrsten Sinne des Wortes zu
tragen. „Deutschland steht vor einem Fettdesaster“, resü-
mierte kürzlich ein bekanntes deutsches Magazin.

Schon in wenigen Jahren drohen uns amerikanische
Verhältnisse. 64 Prozent der US-Bürger sind überge-
wichtig. Bei uns sind es 60 Prozent. Fast jeder dritte
Amerikaner ist fettsüchtig.


(Thomas Silberhorn [CDU/CSU]: Die bösen Amerikaner! Das sollte man verbieten!)


Doch nicht nur Bewegungsmangel, Gene und Fehlernäh-
rung spielen eine Rolle. Übergewicht und Fettsucht ha-
ben auch soziale Ursachen.


(Julia Klöckner [CDU/CSU]: Genau! Wir verbieten sozial schwache Schichten!)


In den USA sind Kinder aus unteren Schichten deutlich
stärker betroffen als Kinder aus dem Mittelstand. Dies
gilt auch für Deutschland. Eine Gesundheitsstudie des
Berliner Senats ergab, dass 2001 rund 16 Prozent aller
Schulanfängerinnen und Schulanfänger aus sozial
schwächeren Familien übergewichtig waren. Bei Kin-
dern aus Familien mit hohem Sozialstatus dagegen war
es gerade einmal die Hälfte.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Ich würde es mal mit einer Bildungsoffensive versuchen!)


Dieses Verhältnis sollte uns zu denken geben.
Übergewicht ist für die betroffenen Menschen zum einen,

ein psychisches Problem. Dicke Kinder werden ausge-
grenzt, gehänselt und finden nur schwer ihren Platz in der
Gemeinschaft. Übergewicht ist zum anderen aber auch
ein knallhartes gesundheitliches Problem. Es führt zu ei-
nem deutlich erhöhten Risiko von Herzinfarkt und
Schlaganfall, Diabetes, Bluthochdruck und Arthrose, und
zwar immer häufiger auch schon bei unseren Kindern.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Richtig!)

Wenn es uns nicht gelingt, die Übergewichtsproblematik
in den Griff zu bekommen,


(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/ CSU]: Das geht mir genauso! – Heiterkeit bei der CDU/CSU)


ist mit enormen Belastungen unseres Gesundheitssys-
tems zu rechnen.

Was können wir tun? Lachen hilft hier nicht weiter,
Frau Heinen.


(Peter Bleser [CDU/CSU]: Nein, nur weniger essen! – Julia Klöckner [CDU/CSU]: Ein bisschen Spaß brauchen wir noch!)


Die Verordnung allein wird keine Veränderung der Er-
nährungsgewohnheiten bringen. Sie kann aber einen
wichtigen Beitrag leisten. Deshalb unterstützen wir die
Initiative aus Brüssel.

Uns ist es sehr wichtig, dass vor allem Kinder und Ju-
gendliche vor irreführenden Werbeversprechungen
und Verführung zu ungesunder Ernährungsweise ge-
schützt werden.

Wir fordern deshalb in unserem Antrag ein generelles
Verbot von nährwert- und gesundheitsbezogenen Werbe-
aussagen auf Lebensmitteln, die sich hauptsächlich an
Kinder richten.


(Thomas Silberhorn [CDU/CSU]: Das geht ja noch weiter!)


Kinder und Jugendliche sind für die Lebensmittelindus-
trie und Werbebranche als Konsumenten überaus inte-
ressant. Im vergangenen Jahr verfügten die Sechs- bis
19-Jährigen über eine Kaufkraft von 20 Milliarden Euro.
Das entspricht 1 800 Euro pro Kind und Jahr.


(Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wahnsinn!)


Wir müssen etwas tun, damit die Kids nicht dazu ver-
führt werden, dieses Geld für Pommes, Hamburger,
Chips und Schokoriegel auf den Kopf zu hauen.

Auch die CDU/CSU hat sich intensiv mit dem Ver-
ordnungsvorschlag befasst


(Julia Klöckner [CDU/CSU]: Sehr frühzeitig!)







(A) (C)



(B) (D)


Gabriele Hiller-Ohm

und schon im Oktober, lange vor der Anhörung, einen
Antrag eingebracht.


(Julia Klöckner [CDU/CSU]: Der lag schon lange vorher vor!)


Wir stimmen mit einigen Ihrer Positionen überein.
Auch wir wollen keine überzogenen Beschränkungen der
Lebensmittelindustrie oder ein Anwachsen der Bürokra-
tie. Auch wir halten eine Überarbeitung der Positivliste
für notwendig und sind gegen ein grundsätzliches Verbot
von unbestimmten Angaben wie „verbessert das Wohl-
befinden“.

Wenn wir die Anträge der Koalitionsfraktionen mit de-
nen der CDU/CSU abgleichen, erkennen wir viele Ge-
meinsamkeiten. Gerade deshalb, Frau Kollegin Klöckner,
war ich sehr überrascht, als ich heute Morgen in der
„Berliner Zeitung“ Ihre heftigen Attacken gegen unseren
Antrag gelesen habe.


(Julia Klöckner [CDU/CSU]: Überrascht?)

Es hat mich umso mehr gewundert, als Ihnen unser An-
trag zu dem Zeitpunkt noch nicht einmal vorlag.


(Julia Klöckner [CDU/CSU]: Doch! Ich habe ihn! Sehr lückenhaft!)


Denn wenig später forderte ihn Ihr Mitarbeiter von mei-
nem Büro an.


(Julia Klöckner [CDU/CSU]: Nein, ich habe ihn! Leider falsch informiert!)


Das ist schon ein sehr merkwürdiger politischer Stil.
Kommen wir nun zu den Unterschieden zwischen den

Anträgen. Unser Antrag ist sehr viel klarer und weitrei-
chender besonders in Bezug auf Kinderlebensmittel.
Deshalb haben Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von
der CDU/CSU, eigentlich nur eine einzige Konsequenz:
Stimmen Sie unserem Antrag zu!

Zum Schluss möchte ich auch noch den Antrag der
Kolleginnen und Kollegen der FDP würdigen.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Das ist lieb!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1509419300

Frau Kollegin, ich glaube, dass das nicht mehr mög-

lich ist, weil Ihre Redezeit schon zu Ende ist. Ich gestehe
Ihnen noch einen Satz zu, aber nicht mehr.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Frau Präsidentin, wir bitten sehr herzlich darum! Sie will uns schließlich würdigen!)



Gabriele Hiller-Ohm (SPD):
Rede ID: ID1509419400

Sie von der FDP haben Ihren Antrag schon im Okto-

ber 2003 formuliert, also lange bevor alle Argumente auf
dem Tisch lagen. Wenn einem nur die Argumente der
Lebensmittelindustrie und der Werbebranche wichtig
sind, mag das ja auch schlüssig sein. Wieder einmal ist
sehr deutlich geworden: Ihre Lobbyisten sind die Vertre-
ter der Wirtschaft.

(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Wir haben wenigstens welche!)


Unsere Lobbyisten sind dagegen die Millionen Verbrau-
cherinnen und Verbraucher in Deutschland und in ganz
Europa. Für die tun wir etwas. Und das ist auch richtig
so.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1509419500

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Julia Klöckner.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Hans-Michael Goldmann [FDP])



Julia Klöckner (CDU):
Rede ID: ID1509419600

Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolleginnen und Kol-

legen! Europa ist wunderbar vielfältig. Die vielen Ge-
sichter der Europäischen Union tragen zu einem span-
nenden und befruchtenden Miteinander bei. Doch das
Schönheitsideal wie das Bild eines mündigen Verbrau-
chers oder die Freiheit des Wettbewerbs scheint jetzt der
Bürokratie und der Fremdbestimmung gewichen zu sein.
Liebe Frau Hiller-Ohm, wenn Sie anmahnen, dass man
erst zu denken und Anträge zu formulieren beginnen
solle, wenn eine Anhörung stattgefunden hat, dann muss
ich Ihnen sagen, dass das ein falscher Ansatz ist, den
man bei Ihnen leider sehr oft sieht. Der Verordnungsent-
wurf lag schon lange vor. Wir haben uns frühzeitig darü-
ber Gedanken gemacht, wie man Einfluss nehmen kann;
denn sich erst dann zu beklagen, wenn etwas verabschie-
det ist, ist für uns keine Möglichkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Alles, worüber wir diskutieren, ist kein Scherz. Auch
der Kommission ist nicht zum Scherzen zumute. Das
zeigen zum Beispiel der Diskurs – ich muss leider etwas
Schleichwerbung machen, da es sonst nicht anschaulich
genug ist – zum Thema „Haribo macht Kinder froh“ und
die Analyse, ob sich diese Werbebotschaft auf eine psy-
chische Funktion bezieht. Das macht schnell deutlich,
wo die Probleme der EU-Kommission liegen, nämlich in
den Krümeln, ganz nach dem Motto: Der liebe Gott er-
halte mir doch meine Vorschriften, damit ich nicht be-
deutungslos werde. Wenn das die einzige Sorge der
Kommission ist!


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Das, was uns im Verordnungsentwurf präsentiert wird,
ist für die Union und insbesondere für mich persönlich ei-
gentlich eine Neudefinition der Lebensfremdheit. Pro-
klamiert werden vom Kommissariat Byrne ein höheres
Verbraucherschutzniveau, Rechtssicherheit, freier Wa-
renverkehr, gleiche Wettbewerbsbedingungen und die
Förderung der Innovationsfähigkeit. Das hört sich zwar
gut an – Sie sind leider darauf hereingefallen –, aber in
der Verordnung steht etwas ganz anderes. Um das Ganze
zu entlarven, braucht man nicht viel. Das Produkt
„Nimm 2“ zum Beispiel – ich muss leider wieder einen






(A) (C)



(B) (D)


Julia Klöckner

Produktnamen nennen – gilt nach Herrn Byrne als ein
schlechtes Produkt; denn in ihm steckt viel Zucker. Nun
sind diesen Süßigkeiten noch Vitamine beigegeben, die
den Zuckergehalt zwar nicht verringern, die aber immer-
hin erwähnenswert sind, nicht aber für Herrn Byrne;
denn die Angabe der Vitamine wäre irreführend, würde
vom Zuckergehalt ablenken und vor allen Dingen eine
gesunde Ernährung verhindern. Wer glaubt denn bitte
schön, dass eine Mutter wegen der Vitamine in diesen
Bonbons ihrem Kind statt eines Apfels kiloweise „Nimm
2“ in die Hand drücken und gegebenenfalls noch auf das
Kochen des Mittagessens verzichten würde? Tut sie dies
tatsächlich, dann liegt das Problem nicht in der Produkt-
zusammensetzung. Vielmehr stellt sich dann die Frage
nach der Verantwortung der Elternschaft und der Erzie-
hung. Auch dieser Frage können wir uns gerne stellen.
Aber den Verbraucher zu entmündigen und ihm womög-
lich Tag für Tag ein Carepaket zur Verfügung zu stellen
geht entschieden zu weit.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Klarheit und Wahrheit sind wichtig.

(Gabriele Hiller-Ohm [SPD]: Ja, darum geht es!)

Die Angaben auf den Verpackungen müssen verständ-
lich und nachvollziehbar sein.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1509419700

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen

Carstensen, der heute sehr viel nachzufragen hat?


Julia Klöckner (CDU):
Rede ID: ID1509419800

Sehr gerne.


Peter H. Carstensen (CDU):
Rede ID: ID1509419900

Frau Präsidentin, ich glaube, das Folgende wird auch

Sie erfreuen. Es war von Verständlichkeit die Rede. Im
Anhang zu dieser Verordnung steht in Bezug auf den Be-
griff „leicht“:

Die Angabe, ein Produkt sei „leicht“, sowie jegli-
che Angabe, die für den Verbraucher voraussicht-
lich dieselbe Bedeutung hat, muss dieselben Bedin-
gungen erfüllen wie die Angabe „reduziert“; die
Angabe muss außerdem einhergehen mit einem
Hinweis auf die Eigenschaften, die das Lebensmit-
tel „leicht“ machen.

Frau Kollegin – eigentlich hätte ich diese Frage gern
Frau Hiller-Ohm gestellt –, können Sie mir einmal erklä-
ren, was das bedeutet?


Julia Klöckner (CDU):
Rede ID: ID1509420000

Ich kann das nicht erklären; deshalb würde ich alles

so belassen, wie es ist. Ich werde krank, wenn ich so et-
was lesen muss.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

Lieber Kollege Carstensen, liebe Kolleginnen und
Kollegen, die EU-Kommission übernimmt jetzt die Kon-
trolle und diktiert sogar, dass „Mars macht mobil“,
„Merziger macht herziger“ oder „Gutes kann so gesund
sein“ den Verbraucher eindeutig intellektuell überfor-
dern. Das ist die symbolische Verdichtung intellektueller
EU-Ratlosigkeit. Mehr ist das nicht.

Zurück zu den leeren Versprechungen. Rechtssicherheit
wird uns verheißen; doch unbestimmte Rechtsbegriffe
sind letztlich das Ergebnis. Der vorliegende Entwurf
wird zu einer schier endlosen Bemühung der europäi-
schen Gerichte führen, die – Herr Carstensen hat darauf
hingewiesen – Sachbegriffe wie „suggeriert“, „irrefüh-
rend“, „generell“ oder „alarmierend“ letztlich zu klären
hätten. Das ist die Persiflage einer Rechtssicherheit.


(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/ CSU]: Die sind beknackt!)


Nächster Punkt – Sie haben es eben angesprochen –:
freier Warenverkehr unter gleichen Wettbewerbsbe-
dingungen. Wer kann uns denn erklären, welche ge-
sundheitliche Bedrohung für den Franzosen von der
deutschen Aufmachung einer Packung Süßigkeiten aus-
geht? Wann wurden Sie das letzte Mal von einem portu-
giesischen Werbeslogan zum übermäßigen Verzehr von
Schokoriegeln animiert?

Die Beschränkung des Warenverkehrs ist in diesem
Fall doch eher auf die sprachlichen Barrieren zurückzu-
führen. Keine Frage, dass man da zu einer Harmonisie-
rung finden muss. Aber Regelungen wie die, die im An-
hang zu finden sind, führen zu Bürokratie und vor allen
Dingen zur Entmündigung des Bürgers.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Damit kommen wir zum größten Hammer. Die EU-Kom-

mission sagt: Die Innovationsfähigkeit wird gefördert.
Das hört sich an sich zwar sehr gut an. Aber bitte helfen
Sie mir; denn ich scheine ein grundlegend falsches Ver-
ständnis vom Begriff der Innovation zu haben. Innova-
tion à la Byrne heißt: Wir müssen uns mehr anstrengen,
neue Werbebotschaften zu kreieren; denn diejenigen, die
es jetzt gibt, werden verboten. Wenn das Innovation ist!
Das ist eher eine ABM.


(Peter Bleser [CDU/CSU]: Dann fängt die Lügerei von vorne an!)


Die einen oder anderen denken: Ja, Moment; hierfür
sieht der Entwurf doch ein fein abgestuftes Ausnahmever-
fahren vor. Die Kommission möchte Nährwertprofile
und Lebensmittelkategorien festlegen. Das Schlimme
ist, dass all dies am Parlament vorbeigeht, da es im
freien Ermessen der Kommission disponiert werden soll.

Übrigens führt diese Profilerstellung zur Stigmatisie-
rung von Nahrungsmitteln und zur Unterteilung in gute
und schlechte Nahrungsmittel. Es sollte Ihnen doch klar
sein, dass es hierbei um Lebens- und Ernährungsweisen
geht, dass es letztlich der Mix macht und nicht ein Zu-
viel an Gutem oder ein Zuviel an Schlechtem.

Zum Schluss möchte ich darauf eingehen, wohin es
führt, wenn die EU-Kommission alle Regelungen,






(A) (C)



(B) (D)


Julia Klöckner

gerade im Gesundheitsbereich, an sich ziehen möchte.
Was den Weinbereich angeht, hat das zur Folge, dass
man auf den Etiketten keine Gesundheitsangaben mehr
machen darf. Das war vielleicht weder Herrn Byrne
noch Ihnen klar. Ich behaupte das, auch wenn ich nicht
bestreite, dass Mitglieder Ihrer Fraktion in Weinfragen
kompetent sind. Auf den Etiketten dürfte zum Beispiel
nicht mehr „Für Diabetiker geeignet“ stehen. Jetzt sagen
Sie mir bitte einmal, wovor Sie den Verbraucher denn
schützen möchten! Vor Genuss oder wovor?


(Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es gibt Erlaubnismöglichkeiten!)


– Erlaubnismöglichkeiten? Herrn Byrne war das so nicht
klar; er hat mir schriftlich geantwortet. – Wir sollten
nicht damit anfangen, diesen Weg zu beschreiten. Ich
kann nur sagen: Bitte nachdenken, bevor eine Verord-
nung erlassen wird!


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1509420100

Frau Kollegin, das war eigentlich ein schöner

Schlusssatz.


Julia Klöckner (CDU):
Rede ID: ID1509420200

Ich habe einen noch schöneren Schlusssatz.


(Heiterkeit)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1509420300

Also, bitte.


Julia Klöckner (CDU):
Rede ID: ID1509420400

Lassen Sie uns lieber an einem Entwurf arbeiten, der

letztlich quadratisch, praktisch und gut ist.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1509420500

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Thomas

Silberhorn.


Thomas Silberhorn (CSU):
Rede ID: ID1509420600

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Auch

ich möchte den „Vorschlag für eine Verordnung des
Europäischen Parlaments und des Rates über nährwert-
und gesundheitsbezogene Angaben über Lebensmittel“
der EU-Kommission herausgreifen. Bevor wir über die
Sinnhaftigkeit der einzelnen Regelungen debattieren,
müssen wir uns die vorrangige Frage stellen, ob die Eu-
ropäische Union in diesem Bereich überhaupt tätig wer-
den darf. Diese Problemstellung wird uns künftig noch
häufiger beschäftigen, weil der Entwurf des europäi-
schen Verfassungsvertrages vorsieht, dass die nationalen
Parlamente die Subsidiaritätskontrolle leisten. Das ist
auch der Grund dafür, dass ich als Mitglied des Europa-
ausschusses in dieser Debatte heute rede.


(Julia Klöckner [CDU/CSU]: Wir denken vernetzt!)

– Wir denken vernetzt. – Wir müssen uns also die Frage
stellen, ob die Europäische Union hier überhaupt tätig
werden darf.

In der Sache besteht die zentrale Zielsetzung des Ver-
ordnungsvorschlags darin, die Verbraucher vor Irrefüh-
rung und vor Täuschung zu schützen. Bekanntermaßen
hat die Europäische Union im Verbraucherschutz aber
nur eine ergänzende Kompetenz. Ein umfassendes Zu-
lassungsregime für alle gesundheits- und nährwertbezo-
genen Angaben über Lebensmittel, wie es hier vorge-
stellt wird, ein Zulassungsregime, das an die Stelle der
nationalen Politik treten soll, fällt schlichtweg nicht
mehr in die Kompetenz der Europäischen Union.

Auch der Gesichtspunkt des Gesundheitsschutzes
reicht da nicht. Auch wenn wir Fehlernährung bekämp-
fen müssen – da stimme ich Ihnen zu –: Eine Harmoni-
sierung in diesem Bereich ist auf europäischer Ebene so-
gar ausdrücklich untersagt. Das heißt, der einzige Weg,
auf dem die Europäische Union hier überhaupt zu einer
Harmonisierung kommt, ist die Rechtsangleichung im
Binnenmarkt, auf die sich die Kommission formaliter
auch beruft. Rechtsangleichung kann es aber nur dort ge-
ben, wo der Handel im Binnenmarkt beeinträchtigt wird.
Dazu ist selbst der Kommission bislang noch nichts ein-
gefallen.


(Beifall der Abg. Julia Klöckner [CDU/CSU])

So wie die vorgeschlagene Verordnung im Detail aus-

schaut, fördert sie nicht den freien Warenverkehr, son-
dern behindert ihn. Man muss sich das einmal in der Pra-
xis vorstellen. Jede nährwert- und gesundheitsbezogene
Angabe, Frau Höfken, soll künftig grundsätzlich verbo-
ten werden.


(Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, das ist doch Quark! Das stimmt doch alles nicht!)


Selbst wahre Angaben sind danach grundsätzlich unzu-
lässig.


(Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ein Märchen!)


– Sie haben von einem Verbot mit Erlaubnisvorbehalt
gesprochen. Das funktioniert so, dass im Grundsatz alles
verboten ist und nur ausnahmsweise Angaben erlaubt
werden können,


(Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, auch das nicht! – Julia Klöckner [CDU/CSU]: Das dauert Monate!)


wenn sie in einer Positivliste vermerkt sind oder wenn
sie ein europaweites Zulassungsverfahren in jedem Ein-
zelfall und in allen Amtssprachen der Europäischen
Union durchlaufen.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1509420700

Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin

Höfken?

Thomas Silberhorn (CSU):
Rede ID: ID1509420800

Bitte schön.






(A) (C)



(B) (D)



Ulrike Höfken-Deipenbrock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1509420900

Ich möchte Sie nur fragen, ob Ihnen bekannt ist, dass

die Verordnung gesundheitsbezogene Aussagen nicht
verbietet, sondern, im Gegenteil, die Möglichkeit, ge-
sundheitsbezogene Aussagen zu machen, noch ausweitet,
und zwar dahin, dass es auch Angaben im Hinblick auf
krankheitsreduzierende Wirkung und eine entsprechende
Bewerbung geben darf, dass sich das Ganze aber im Ge-
gensatz zu heute auf einer wissenschaftlichen, allgemein-
gültigen und anerkannten Grundlage bewegen soll.


Thomas Silberhorn (CSU):
Rede ID: ID1509421000

Frau Kollegin Höfken, heute ist der Rechtszustand

wie folgt: Krankheitsbezogene Werbung ist verboten;
gesundheitsbezogene Werbung ist grundsätzlich erlaubt
und nur im Falle der Irreführung oder Täuschung der
Verbraucher verboten. Das ist übrigens bereits europa-
rechtlich geregelt, und zwar in der Etikettierungsrichtli-
nie. In Deutschland ist sie im Gesetz über Lebensmittel
und Bedarfsgegenstände umgesetzt.

Was die Kommission jetzt will, ist das komplette Ge-
genteil. Es werden nicht grundsätzlich Angaben erlaubt
und im Einzelfall verboten, sondern umgekehrt: Im
Grundsatz wird alles verboten und ausnahmsweise wird
etwas erlaubt. Das ist Inhalt des Begriffs „Verbot mit Er-
laubnisvorbehalt“, den Sie vorhin selbst verwendet ha-
ben. Das zeichnet sich dadurch aus, dass grundsätzlich
verboten wird. Der Begriff „grundsätzlich“ impliziert,
Frau Kollegin Höfken, dass es Ausnahmen gibt. Aber
die Ausnahmen beschränken sich in diesem Fall darauf,
dass entweder eine Angabe in einer Positivliste aus-
drücklich vermerkt ist oder aber im Einzelfall ein euro-
paweites Zulassungsverfahren durchlaufen wird,


(Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!)

und zwar für jede einzelne nährwert- und gesundheitsbe-
zogene Angabe und in allen Amtssprachen der Europäi-
schen Union. Bisher sind es elf Sprachen. Ab dem
1. Mai werden es noch ein paar mehr sein.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Julia Klöckner [CDU/CSU]: Das dauert 100 Jahre! Bürokratieabbau!)


Das heißt im Klartext: Ohne die Zustimmung der zu-
ständigen EU-Gremien geht künftig nichts mehr. Selbst
der Landwirt, der Obst auf dem lokalen Marktplatz ver-
kauft


(Julia Klöckner [CDU/CSU]: Das ist wirklich das Beste!)


und seine Ware mit der Bezeichnung „Obst ist gesund“
bewerben will, braucht dafür künftig die ausdrückliche
Genehmigung der Europäischen Union


(Jörg van Essen [FDP]: Das ist schier unglaublich!)


und muss dazu ein Zulassungsverfahren anstrengen, das
Monate dauern


(Ursula Heinen [CDU/CSU]: Neun Monate! – Hans-Michael Goldmann [FDP]: Dann ist das Obst verdorben!)

und vor allem viel Geld kosten wird.
Dieser bürokratische Wahnsinn wird natürlich vor al-

lem die kleinen und mittleren Betriebe massiv belasten.
Gerade in Deutschland – das wissen wir – ist die Ernäh-
rungswirtschaft überwiegend mittelständisch geprägt.
Die Regulierungswut der Kommission begünstigt dage-
gen multinationale Konzerne, während die Kleinen in
der Flut von Vorschriften versinken und so aus dem
Markt gedrängt werden.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Das wird das Ergebnis rot-grüner Verbraucherschutzpo-
litik sein. Das werden wir nicht mittragen.

Es kommt noch schlimmer: Bei Lebensmitteln, die
ein ungünstiges Nährwertprofil aufweisen, sollen
nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben nahezu
vollständig verboten werden. Wenn das Realität wird,
wird es Hustenbonbons bald nicht mehr geben. Bonbons
mit einem hohen Zuckergehalt haben eben ein ungünsti-
ges Nährwertprofil und dürfen dann nicht mehr Husten-
bonbons heißen. Wohlgemerkt: Ein Wort, das längst in
den allgemeinen Sprachgebrauch übergegangen und so-
gar im Duden verzeichnet ist, darf dann für eine Packung
Hustenbonbons nicht mehr verwendet werden. Ja glaubt
denn im Ernst jemand, dass man Verbraucher davor
schützen muss?

Der Europäische Gerichtshof hat das Leitbild des
verständigen Verbrauchers entwickelt; das ist schon
angesprochen worden. Der Vorschlag der Kommission
steht dazu in diametralem Gegensatz. Diese Lust am
Verbieten, dieser Eifer zur Bevormundung – das sind die
Auswüchse einer überbordenden Bürokratie in Brüssel,


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

die die Freiheit des Binnenmarktes in ihr Gegenteil ver-
kehrt und den Verbraucher für dumm verkauft.

Meine Damen und Herren, vor den Europawahlen
am 13. Juni werden wir alle wieder den mündigen Bür-
ger beschwören und erklären, dass wir ein bürgernahes
Europa wollen. Im Konkreten praktiziert die Europäi-
sche Kommission das glatte Gegenteil und schießt damit
wieder einmal weit übers Ziel hinaus. Ich habe immerhin
eine gewisse Hoffnung, dass diese völlig überzogene
Harmonisierung auf ein erträgliches Maß zurückge-
drängt wird, entweder durch den Europäischen Gerichts-
hof oder durch die Welthandelsorganisation; denn beide
bleiben dem freien Handel verpflichtet. Es ist aber jetzt
Aufgabe des Ministerrates und damit der Bundesregie-
rung, uns vor diesem Europa der Bürokraten zu bewah-
ren. Wir wollen ein Europa der Bürger, das wieder blü-
hen kann. Bürgernähe statt Bürokratie darf kein
Textbaustein im Wahlkampf sein, sondern muss auch im
Einzelfall konkret verwirklicht werden.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1509421100

Ich schließe damit die Aussprache.






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer

Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Aus-

schusses für Verbraucherschutz, Ernährung und Land-
wirtschaft auf Drucksache 15/1597 zu dem Antrag der
Fraktion der CDU/CSU mit dem Titel „Kennzeichnung
allergener Stoffe in Lebensmitteln vernünftig regeln“.
Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache
15/1227 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschluss-
empfehlung des Ausschusses? – Gegenstimmen? – Ent-
haltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stim-
men der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der
Opposition angenommen worden.

Beschlussempfehlung des Ausschusses für Verbrau-
cherschutz, Ernährung und Landwirtschaft auf Drucksa-
che 15/2595: Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner
Beschlussempfehlung die Annahme des Antrags der
Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen
auf Drucksache 15/2339 mit dem Titel „Lebensmittel-
überwachung effizienter gestalten“. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? –
Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen
die Stimmen von CDU/CSU und FDP angenommen
worden.

Unter Nr. 2 empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung
des Antrags der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache
15/2386 mit dem Titel „Wirksamere und breitere Le-
bensmittelüberwachung und -kontrolle in Deutschland“.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegen-
stimmen? – Enthaltungen? – Auch diese Beschlussemp-
fehlung ist mit den Stimmen von SPD und Bündnis 90/
Die Grünen gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP
angenommen worden.

Schließlich empfiehlt der Ausschuss für Verbraucher-
schutz, Ernährung und Landwirtschaft unter Nr. 3 seiner
Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der
Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 15/1789 mit
dem Titel „Verbraucher aufklären und schützen – Inno-
vation und Vielfalt in der Produktentwicklung und Wer-
bung für Lebensmittel erhalten“. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Gibt es Ent-
haltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stim-
men der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der ge-
samten Opposition angenommen worden.

Zusatzpunkt 6: Abstimmung über den Antrag der
Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen
auf Drucksache 15/2579 mit dem Titel „Nährwert- und
gesundheitsbezogene Angaben auf Lebensmitteln euro-
paweit einheitlich regeln – für mehr Verbraucherschutz
und fairen Wettbewerb“. Wer stimmt für diesen Antrag? –
Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Antrag ist mit
dem gleichen Stimmenverhältnis angenommen worden:
SPD und Bündnis 90/Die Grünen dafür, Gegenstimmen
von CDU/CSU und FDP.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 10 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit (15. Ausschuss) zu dem
Antrag der Abgeordneten Gabriele Lösekrug-
Möller, Ulrike Mehl, Petra Bierwirth, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie
der Abgeordneten Undine Kurth (Quedlinburg),
Volker Beck (Köln), Winfried Hermann, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNIS-
SES 90/DIE GRÜNEN
Naturschutz geht alle an – Akzeptanz und In-
tegration des Naturschutzes in andere Politik-
felder weiter stärken
– Drucksachen 15/1318, 15/2053 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Gabriele Lösekrug-Möller
Cajus Caesar
Undine Kurth (Quedlinburg)

Angelika Brunkhorst

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Wider-
spruch höre ich nicht. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst
die Abgeordnete Gabriele Lösekrug-Möller.


Gabriele Lösekrug-Möller (SPD):
Rede ID: ID1509421200

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich

glaube, nur in diesem Haus ist der Weg vom Hustenbon-
bon zum Naturschutz kurz. Eine Verbindung ist ansons-
ten eigentlich nur herzustellen, wenn sich Hustenbon-
bonpapier in der Natur findet. Es ist immer ein bisschen
schwierig, den Bogen zu einem neuen Thema zu schla-
gen. Zum Glück wird uns das nicht immer abverlangt;
ich glaube, das wäre eine große Hürde für alle Redner,
die bei einem neuen Tagesordnungspunkt den Anfang
machen müssen.

45 Minuten Reden über Naturschutz im Spezial-Bio-
top Bundestag, da werden viele Naturschützer sagen:
Lasst uns lieber Kröten sammeln, Trockenmauern und
Fischtreppen bauen und in der Landwirtschaft naturnah
ackern! Dennoch, eine Dreiviertelstunde zu einer eini-
germaßen guten Zeit über diesen hervorragenden Antrag
– so will ich ihn bewerten – zu sprechen dient dem Na-
turschutz in Deutschland außerordentlich. Das wird
schon klar durch die zentrale Botschaft dieses Antrages:
„Naturschutz geht alle an – Akzeptanz und Integration
des Naturschutzes in andere Politikfelder weiter stär-
ken“.

Zu Recht stellen wir fest: Rot-Grün hat für den Natur-
schutz in Deutschland viel erreicht.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Dafür bekamen wir soeben Lob von kompetenter Stelle,
das ich hier gern weitergebe. Dieses Lob kam von Kurt
Kretschmann. Einige werden ihn kennen: Er ist der Va-
ter des schwarz-gelben Schildes mit der Waldohreule als
Zeichen für Schutzgebiete, das wir übernommen haben
und das uns, wenn wir es sehen, signalisiert: Wir sind
der Natur im Fast-Urzustand näher als sonst wo, ganz
besonders als hier. Der Vater dieser Waldohreule, der
gestern 90 Jahre alt wurde, äußerte große Anerkennung






(A) (C)



(B) (D)


Gabriele Lösekrug-Möller

hinsichtlich der Naturschutzerfolge der vergangenen
Jahre.

Gewissermaßen im Vorgriff auf die erwartbare Argu-
mentation vonseiten der Opposition – wir kennen solche
Argumente aus dem Ausschuss: Die Fortschritte im Na-
turschutz lagen samt und sonders vor 1998, danach kam
nichts Erwähnenswertes mehr –


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

muss ich anmerken – der Beifall kam zu früh, werte
Kollegen –: Sollten diese Argumente heute erneut vorge-
bracht werden, ist wichtig zu wissen, dass sie falsch
sind.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Richtig dagegen ist: Wir haben mit dem Bundesnatur-
schutzgesetz eine Grundlage für solide Naturschutzpoli-
tik geschaffen. Auf dieser Grundlage arbeiten wir nun
weiter. Da gilt es, Gutes nachdrücklich zu verteidigen.
Den ersten Verteidigungsfall hatten wir bereits im Um-
weltausschuss, nämlich das Ansinnen der Abschaffung
des Verbandsklagerechts. Wir haben es abgewehrt. Ich
danke noch einmal insbesondere der FDP, die mit uns
votiert hat. Ich denke, es ist der richtige Weg, an dieser
Stelle Herr zu bleiben; denn dann sind und bleiben wir
europatauglich. Alles andere wäre ein Sonderweg, den
wir uns aus guten Gründen nicht leisten wollen.

Der Schutz öffentlicher Güter – dazu gehört Natur –
ist nur möglich, wenn der Staat sich zu dieser Verant-
wortung bekennt. So ist es auch mit dem Naturschutz. Er
ist nicht Kür, sondern Pflicht. Er erfordert klare gesetzli-
che Vorgaben und darüber hinaus staatliches Handeln.
Obwohl wir bereits viel erreicht haben, zum Beispiel
eine Verdoppelung der ausgewiesenen Naturschutzflä-
chen, gibt es viel zu tun.

Bleiben wir beim Beispiel Naturschutzflächen. Er-
folge sind erzielt, aber dennoch bleiben offene Posten.
So viel Ehrlichkeit muss sein, das zuzugeben. Ich nenne
als Stichwort: Grünes Band. Wir haben ehrgeizig begon-
nen und wir sind, Herr Kollege Göppel, noch lange nicht
da, wo wir eigentlich hinwollten. Es gibt noch viel zu
tun. Ich nenne als weiteres Stichwort: Schutzgebietsys-
tem Natura 2000. Wir haben noch lange nicht die Zielli-
nie erreicht. Hier bewegen wir uns – die Experten unter
uns haben das erkannt – nicht mehr nur auf Naturschutz-
flächen, sondern im Zuständigkeitsdickicht zwischen
Bund und Ländern.

Vielleicht ist es ein frommer Wunsch von mir. Aber
ich erhoffe mir als ein Ergebnis der großen Föderalis-
musdebatte, dass es an dieser Stelle Klarheit für den Na-
turschutz und – das sage ich unumwunden – Klarheit zu-
gunsten der Bundesebene geben wird. Denn schaue ich
als Niedersächsin auf Naturschutz- und Umweltpolitik in
meinem Heimatland, dann wird mir angst und bange.


(Zuruf von der FDP: Na! – Jörg van Essen [FDP]: Niedersachsen ist doch richtig aufgelebt, seitdem es eine neue Regierung gibt!)

Als Beispiel nenne ich die Ersatzgeldlösung in der
Novelle zum Naturschutzgesetz. Wir werden hier nicht
darüber streiten. Aber diese Politik ist für mich Anlass,
Sorge zu haben, wenn solche Zuständigkeiten immer
weiter an die Länder abgegeben werden. Das ist meine
Position. Ich befinde mich dabei in guter Gesellschaft
mit sehr vielen Umweltschutzverbänden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wie gesagt, der Schutz des öffentlichen Gutes Natur
ist beim Bund besser aufgehoben.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Dann muss er aber auch Geld geben!)


Im vergangenen Jahr haben wir an dieser Stelle das
Sondergutachten des Sachverständigenrates für Umwelt-
fragen „Für eine Stärkung und Neuorientierung des Na-
turschutzes“ diskutiert. Die Empfehlung in diesem Gut-
achten ist, eine nationale Naturschutzstrategie zu
entwickeln. Wir greifen sie mit unserem Antrag auf und
binden sie in unseren Prozess zur nachhaltigen Entwick-
lung ein. Das ist der richtige Weg. So ist es auch ein Teil-
stück dieses Weges, wenn wir fordern, die Integration des
Naturschutzes in andere Politikfelder weiter zu stärken.

Am Beispiel Artenvielfalt wird dies besonders deut-
lich. Wir haben uns verpflichtet, den Verlust an biologi-
scher Vielfalt bis zum Jahr 2010 zu stoppen. Dies ist ein
ehrgeiziges Ziel – nicht nur für uns, sondern für die
ganze Welt. Das hat die Vertragsstaatenkonferenz zur
Konvention über die biologische Vielfalt in Kuala Lum-
pur gerade gezeigt. Dennoch ist dieser Weg, so sehe ich
das, alternativlos.

Arten- und Naturschutz muss auch bei uns besondere
Priorität genießen. Die Frage ist berechtigt: Wie wollen
wir das erfolgreich umsetzen? Ein Weg, den dieser An-
trag aufzeigt, ist die Integration in andere Politikfelder.
Das ist allerdings mehr als ein schlichtes juristisches
Umsetzen. Es heißt nämlich, die Sinnhaftigkeit dieses
Ziels zu kommunizieren. Das müssen wir uns auf die
Fahnen schreiben und darin müssen wir besser werden.
Das ist die klare Aussage des Gutachtens und das ist
auch eine zentrale Forderung unseres Antrages.

Das geht Hand in Hand mit der zweiten großen For-
derung, die wir in diesem Antrag formulieren. Sie lautet:
Akzeptanz erhöhen. Es ist sicherlich so, dass wir bei uns
anfangen können, aber an dieser Stelle noch lange nicht
aufhören dürfen.

Ich begrüße es sehr, dass das Bundesumweltministe-
rium – so habe ich gelesen – mehr tun will, um beste-
hende Image-, Wahrnehmungs- und Überzeugungsdefi-
zite des Naturschutzes im öffentlichen Bewusstsein
abzubauen. Ich halte das für dringend geboten. Wir erle-
ben bei jeder Debatte vor Ort genau diese Schwierigkei-
ten. Wir, die wir die Naturschutzpolitik vertreten, müs-
sen an vorderster Stelle stehen und dafür sorgen, dass die
Bedeutung dieses Politikbereiches allen klar wird. An-
sonsten wird dieser Bereich schnell aus dem Bewusst-
sein verschwinden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)







(A) (C)



(B) (D)


Gabriele Lösekrug-Möller

Akzeptanz erhöhen wir aber auch dadurch, dass wir

Konfliktlösungsstrategien in Sachen Naturschutz voran-
bringen. Das gilt für alle Politikbereiche: für Verkehr
und Landwirtschaft, für Sport und Tourismus, für Gen-
technik usw. Wir haben in den letzten Monaten wirklich
gute Erfolge erzielt. Für den Bereich des Tourismus ha-
ben wir darüber an dieser Stelle debattiert. Für die Land-
wirtschaft hören wir das ebenfalls immer wieder. Auch
Sport und Naturschutz passen inzwischen besser zusam-
men, als man sich das vor Jahren vorstellen konnte.

An einem aktuellen Beispiel möchte ich jedoch eine
Naturschutzkonfliktlage – ich meine: eine vermeintliche –
erläutern. Wir diskutieren gerade im Rahmen des EEG
die kleine Wasserkraft. Ich sage für die, die sich nicht
so genau damit auskennen, dass das Anlagen sind, die
bis zu 500 Kilowatt Leistung erzeugen. Man muss aller-
dings sagen, dass viele kleine Wasserkraftanlagen häufig
deutlich weniger leisten.

In diesem Zusammenhang gibt es eine große Debatte,
die man so beschreiben kann: Es tritt Klimaschutz gegen
Naturschutz an. Dabei sind doch Klimaschützer und Na-
turschützer von Natur aus Zwillinge. Aber so ist das,
wenn sich zwei – so will ich einmal sagen – entwickeln:
Es kommt zu Abgrenzungsfragen. So ist das auch hier.
Was können wir daraus schließen? Beide sind erwachsen
geworden, beide sind selbstbewusst. Es geht darum, eine
Lösung zu finden.

Ich bin fest davon überzeugt, dass es gelingen wird,
dem berechtigten Anliegen der Verbesserung der Förde-
rung der kleinen Wasserkraft in Deutschland und dem
Naturschutz zu entsprechen und ihn zu wahren.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich bin sogar davon überzeugt, dass sich die Akzeptanz
der Nutzung der erneuerbaren Energien verbessert, wenn
wir dem nötigen Respekt vor der Natur Raum geben –
und dies auch im EEG.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Akzeptanz für Naturschutz erhöhen, das gilt für uns
Parlamentarier. Das gilt auch in Bezug auf die Anerken-
nung aller Verbände und Vereinigungen, die aktiv Natur-
schutz betreiben. Dazu können auch wir beitragen, in-
dem wir Lösungen finden, sollte es einmal keine Zivis
mehr für das Krötensammeln oder nicht mehr genügend
FÖJler für die Streuobstwiesen oder das Vogelzählen ge-
ben. Da kommen noch große politische Fragen auf uns
zu, bei denen wir beweisen können, wie wir es mit dem
Naturschutz halten.

Fazit: Bisher viel erreicht und noch viel zu tun! – Bei
den Kröten entschuldige ich mich ausdrücklich, dass ich
sie zweimal für meine Argumentation missbraucht habe.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1509421300

Das wird den Kröten gefallen.


(Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Das muss übersetzt werden!)


Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Cajus Julius
Caesar.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Cajus Julius Caesar (CDU):
Rede ID: ID1509421400

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-

gen! Der Naturschutz spielt für die politische Ausrich-
tung der Union eine sehr maßgebliche Rolle. Wir wollen
die Lebensgrundlagen für den Menschen selbst, aber
auch für eine Vielzahl von Arten sichern. Wir wollen un-
seren Kindern eine intakte Umwelt übergeben.

Die Union hatte zu ihren Regierungszeiten maßgebli-
che Erfolge zu verzeichnen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir haben international insbesondere unter den Minis-
tern Töpfer und Merkel Maßgebliches vorangebracht.
Ihre Minister sollten sich bemühen, Gleiches zu tun. Das
wäre die richtige Art und Weise, den Naturschutz inter-
national voranzubringen. Stattdessen kürzen Sie die Gel-
der für die Erhaltung des Tropenwaldes. Jeden Tag ge-
hen Tausende von Hektar verloren und Sie schreiben
hier den einzelnen Waldbesitzern vor, welches Pflänz-
chen sie an welcher Stelle setzen sollen. Das ist Bürokra-
tie. Das ist kein praktischer Naturschutz.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

SPD und Grüne werden ihren eigenen Anforderungen

in keinster Weise gerecht. Das haben Sie bei der Novel-
lierung des Bundesnaturschutzgesetzes gezeigt. Das zeigen
Sie wieder bei den im Zusammenhang mit der Novellie-
rung des Bundeswaldgesetzes und des Bundesjagdgesetzes
angedachten Formulierungen. Sie setzen auf mehr Staat,
auf mehr Reglementierung. Wir setzen auf den prakti-
schen Naturschutz vor Ort. Doppelzuständigkeiten, die
dadurch verursacht werden, wollen wir vermeiden.
Wenn Sie neben den Fachgesetzen, neben dem Natur-
schutzgesetz, dem Bundeswaldgesetz und anderen Ge-
setzen, in Rahmengesetzen wahllos herausgegriffene Re-
gelungen, die auf die gute fachliche Praxis Bezug
nehmen, auf den Weg bringen, entstehen Doppelzustän-
digkeiten und mehr Bürokratie. Gleichzeitig wird die
Förderung durch die EU, die dies als Standard ansieht,
gefährdet. Das kann nicht unser Bestreben sein.

Wir als Union setzen auf die praktische Umweltpoli-
tik. Wir wollen ein Miteinander von Ökologie, Ökono-
mie und sozialer Komponente. Wir haben dazu eine
Reihe von Initiativen und Ideen eingebracht. Wir wollen
den Vorrang für den Vertragsnaturschutz und damit ein
Miteinander mit den vor Ort lebenden, arbeitenden und
wirtschaftenden Menschen. Wir wollen dem ländlichen
Raum eine Chance geben.

Wir haben einen Antrag gestellt, der vorsieht, dass
3 Millionen Euro für den Vertragsnaturschutz ausgege-
ben werden sollen. Das ist praktischer Naturschutz. Sie






(A) (C)



(B) (D)


Cajus Caesar

haben diesen Antrag abgelehnt. Das ist ein Votum gegen
den praktischen Naturschutz. Die Union will Koopera-
tion statt Konfrontation. Sie sind dagegen.

Die Union hat ganz konkrete Vorstellungen. Wir wol-
len den Naturschutz beispielsweise durch Patenschaften
voranbringen. Sie greifen diese Vorschläge von uns nicht
auf. Sie haben das Grüne Band angesprochen. Sie ha-
ben die Möglichkeiten, die sich hier geboten haben,
nicht genutzt. Auf einer Länge von fast 1 400 Kilome-
tern gibt es hervorragende Möglichkeiten, Naturschutz-
flächen zum Biotopverbund zu vereinen. Der Bund Na-
turschutz Bayern hat Daten erhoben und ausgewertet.
Diese zeigen, dass schon jetzt 15 Prozent der Flächen
gefährdet sind, weil Sie die rechtliche Sicherstellung
nicht regeln. Das kritisiert die Union. Hier müssen Sie
dringend etwas tun. Wenn Sie diese Steilvorlage nicht
nutzen, dann können Sie im Bereich des Naturschutzes
nie als erfolgreiches Team vom Platz gehen.

Beim Naturschutz gilt auch hinsichtlich der Auswei-
sung von Großschutzgebieten: Naturschutz muss mit
wirtschaftlicher Entwicklung, etwa mit Tourismus und
Sport, verbunden werden. Eben wurde diese Verbindung
angesprochen. Bei der Novellierung des Bundesnatur-
schutzgesetzes war ein Konsens in diesem Bereich nur
möglich, weil von der Union Vorschläge und Anträge
vorgelegt wurden. So wurde eine Beweislastumkehr
beim Sport und beim Tourismus vermieden.

Sie müssen die Kräfte bündeln, die Menschen mitneh-
men. Dann werden Sie erfolgreich sein. Die Menschen
müssen Vertrauen zu dem haben, was die Regierung
sagt. Vertrauen kann man aber nur haben, wenn Verspre-
chungen gehalten werden. Bei der Ausweisung von
FFH-Gebieten hat Ihr Staatssekretär Berninger erklärt,
dass es auch Entschädigungszahlungen für den Wald
gebe. Wo sind diese Entschädigungszahlungen? Ich sehe
sie nicht.


(Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Sehr wahr!)

Sie hätten das umsetzen und EU-weit durchsetzen müs-
sen. Das haben Sie aber nicht getan. Sie brechen das Ver-
trauen der Menschen und der vor Ort Wirtschaftenden.
Das ist nicht die Politik der Union.


(Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Nur heiße Luft!)


Wir wollen das Eigentumsrecht achten. Wir wollen
nicht, dass Naturschutzpolitik zulasten des ländlichen
Raumes und der dort arbeitenden und lebenden Men-
schen gemacht wird. Das ist nicht die Politik der Union.

Wir wollen weniger Staat; wir wollen praktische Um-
weltpolitik. Wir wollen auch, dass die Arbeit derjenigen,
die etwas mehr für den Naturschutz und Umweltschutz
tun als andere, anerkannt und finanziell gefördert wird.
Deshalb ist es nicht sinnvoll, wenn Sie die Mittel für
Projekte der Heimatvereine kürzen. Das ist nicht die Po-
litik der Union. Wir brauchen das Ehrenamt; denn nur
wenn das Ehrenamt, die Institutionen, die Verbände und
die dort tätigen Personengruppen gefördert werden, ist
es möglich, im Natur- und Umweltschutz voranzukom-
men.
Auch im Bereich des Hochwasserschutzes wollen
Sie Regelungen treffen, die zwar dem Hochwasserschutz
dienen, bei denen Sie aber die Betroffenen vor Ort wie-
der einmal nicht mitnehmen. Immerhin handelt es sich
um 900 000 Hektar landwirtschaftlicher Flächen. Das
sind 7,5 Prozent der landwirtschaftlichen Flächen mit ei-
ner Wertschöpfung von 2,3 Milliarden Euro insgesamt.
Man kann die vor Ort wirtschaftenden Land- und Forst-
wirte nicht dafür bestrafen, dass in der Vergangenheit
kommunale Planungsfehler gemacht wurden.

Sie müssen dafür sorgen, dass Überflutungsmulden ge-
schaffen werden, damit der Wasserabfluss langsamer er-
folgt. Sie dürfen die Eigentümer nicht durch hoheitliche,
durch staatliche, durch gesetzgeberische Maßnahmen in
ihren Eigentumsrechten beschneiden. Das ist nicht die
Politik des Miteinanders. Sie setzen auf Konfrontation
statt Kooperation. Das ist nicht die Politik der Union.

Es ist auch ein Unding, dass die Waldbesitzer in eini-
gen Gebieten mit Abgaben an die Wasser- und Boden-
verbände in Höhe von rund 15 Euro pro Jahr und Hektar
belastet werden. Diejenigen, die dafür sorgen, dass sau-
beres Wasser langsam abfließt und im Wald gespeichert
wird, sollen über Gebühr bezahlen. Das kann keine Poli-
tik des Miteinanders im Sinne unserer Umwelt sein.

Sie haben die Mittel für den BHU, den Zusammen-
schluss der Heimatvereine, in den letzten drei bis vier
Jahren auf einen Bruchteil gekürzt. Das kann doch nicht
wahr sein. Wir brauchen das Ehrenamt und nicht allein
den Staat.

SPD und Grüne setzen auf den Verwaltungshaushalt.
Der Anteil des Verwaltungshaushaltes ist in den letzten
Jahren deutlich angestiegen und steigt weiter. Die Inves-
titionen im Bereich des Umwelt- und Naturschutzes ge-
hen zurück.

Wenn jetzt beispielsweise die Heimatvereine Anträge
zu Projekten stellen, dann sagen Sie zwar, diese Projekte
würden gefördert. Aber tatsächlich werden die Anträge
des BHU mit fadenscheinigen Begründungen abgelehnt.
Das kann nicht die Umweltpolitik sein, die wir brauchen,
die uns nach vorne bringt.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Bei der Novellierung des EEG – auch das wurde eben

angesprochen – fördern Sie die Windenergie auch in
nicht so windintensiven Lagen mit über 2 Milliarden Euro
pro Jahr – bald mehr als bei der Steinkohle – und stellen
die Biomasse hintenan: Leider wollen Sie hier den För-
derungszeitraum verkürzen. Die nachwachsenden Roh-
stoffe hätten wirklich eine Chance verdient, in unserem
Land vorangebracht zu werden. Das ist keine Politik im
Sinne des Waldes, der Biomasse, der Chancen für nach-
wachsende Rohstoffe.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, das Ziel der
Union ist es, die Umwelt und die Biotope zu erhalten, sie
zu schützen, sie wiederherzustellen, sie weiterzuentwi-
ckeln und sie zu vernetzen. Dabei kommt es für uns we-
sentlich auf vertrauensvolle Zusammenarbeit an. Es ist
wichtig, dabei die ordnungsgemäße Land- und Forst-
wirtschaft, den Tourismus und den Sport, die Vereine






(A) (C)



(B) (D)


Cajus Caesar

und Institutionen sowie die Menschen, die in den ländli-
chen Regionen aktiv sind und arbeiten, mit einzubezie-
hen. Auf dieses Miteinander kommt es maßgeblich an.

Wir als Union wollen die Ressourcenschonung und
die Artenvielfalt. Wir alle müssen Nachhaltigkeit voran-
stellen. Zentrale Aufgabe hat zu sein, zukünftigen Gene-
rationen eine intakte Umwelt zu übergeben.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1509421500

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Undine Kurth.
Undine Kurth (Quedlinburg) (BÜNDNIS 90/DIE

GRÜNEN):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Sehr geehrte Gäste auf den Tribünen! Auch ich möchte
meinen Beitrag mit Kurt Kretschmann und seiner wun-
derbaren schwarzen Waldohreule beginnen. Er hat sie
1950 – in einer Zeit, als es vermeintlich Wichtigeres als
Naturschutz gab – erfunden und unters Volk gebracht –
ein Symbol, das heute jeder kennt.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: 1955!)

Dabei galt damals die Eule als Totenvogel. Er hat dem

aber die Eule als Symbol der Weisheit entgegengesetzt.
Auch unsere jetzige Debatte steht unter dieser Zwei-

deutigkeit der Eule. Wir müssen die Frage beantworten,
ob wir mit Weisheit und großer Voraussicht mit unserer
Natur umgehen, sie bewahren, sie schützen und sie in ih-
rer Schönheit, aber auch in ihrer Nützlichkeit für die
nächsten Generationen erhalten wollen oder ob wir den
nahen Tod einer kranken Natur einfach hinnehmen, ihn
beklagen, aber meinen, wir könnten ihn nicht abwenden.

Zur Beantwortung dieser Frage, wofür wir uns ent-
scheiden wollen, ist ein Blick zurück wichtig. Denn die
Naturschutzpolitik hat in den letzten Jahren wirklich
viele Erfolge gebracht. Das ist eben schon gesagt wor-
den.

Begonnen wurde mit den BVVG-Flächen in Ost-
deutschland, die für den Naturschutz gesichert wurden.
Herr Caesar, wenn Sie hier beklagen, dass das Grüne
Band noch nicht so weit ist, wie wir es haben wollten,
dann reden Sie doch bitte einmal mit den Landesregie-
rungen Ihrer politischen Couleur, die ganz maßgeblichen
Anteil daran haben, dass wir nicht dort sind, wohin wir
wollen!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Cajus Caesar [CDU/CSU]: Nicht wegschieben, selbst handeln!)


Es tut dem Naturschutz nicht gut, mit billiger Polemik zu
argumentieren. Wenn wir, wie Sie sagen, dort gemein-
sam weiterkommen wollen, dann sollten wir ehrlich mit-
einander umgehen.

Der Stiftungszweck der Deutschen Bundesstiftung
Umwelt wurde zugunsten des Naturschutzes geändert.
Jetzt trägt die größte europäische Umweltstiftung ihren
Teil dazu bei, dass der Naturschutz in Deutschland ganz
erheblich vorangebracht werden kann. Mit dem Bundes-
naturschutzgesetz haben wir eine nachdrückliche Stär-
kung und Modernisierung des Naturschutzes erreicht. Es
ist zum Beispiel wichtig, dass in den nächsten Jahren
zehn Prozent der Fläche unseres Landes in einen Biotop-
verbund gegeben werden sollen. Wenn wir bedenken,
wie stark die Rückdrängung wild lebender Pflanzen und
Tiere durch unsere Zivilisation voranschreitet, ist das
eine Entscheidung, die ungeheuer wichtig ist.

Wenn man sich die entsprechenden Zahlen ansieht,
stellt man fest: 69 Prozent der Biotope in Deutschland
sind gefährdet, 15 Prozent von Vernichtung bedroht. Das
sind Zahlen, die Angst machen. Deshalb ist es notwen-
dig, dass wir diesen Biotopverbund in die Tat umsetzen
und dass ihn das Bundesamt für Naturschutz koordiniert.
Es muss tätig werden, damit der Biotopverbund auch
überregional funktioniert und sich auch in internationale
Netze integriert.

Im neuen Naturschutzgesetz haben wir vor zwei Jah-
ren die Ausweisung von Nationalparks erleichtert.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1509421600

Gestatten Sie eine Zwischenfrage Ihres Kollegen

Schirmbeck?
Undine Kurth (Quedlinburg) (BÜNDNIS 90/DIE

GRÜNEN):
Ja, bitte.

Georg Schirmbeck (CDU):
Rede ID: ID1509421700

Frau Kollegin, 10 Prozent der Fläche unseres Landes

sollen für den Naturschutz zur Verfügung gestellt wer-
den. Wollen Sie das durch ordnungsrechtliche Maßnah-
men oder durch Vertragsnaturschutz erreichen?

Undine Kurth (Quedlinburg) (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN):

Ein Biotopverbund ist weder nur über den Vertragsna-
turschutz noch nur ordnungsrechtlich zu organisieren.
Ich bin ganz verblüfft, dass mich jemand in einer sol-
chen Debatte in dieser Art und Weise über einen Biotop-
verbund befragt.


(Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Wollen Sie dazu nicht weiter Stellung nehmen?)


– Ich müsste Ihnen ja grundsätzlich erklären, was ein
Biotop und ein Biotopverbund sind. Dafür reicht die Zeit
nicht aus. Das müssten wir anschließend tun. Dann kann
ich Ihnen das erklären.


(Dr. Maria Flachsbarth [CDU/CSU]: Toll! Klasse! Das war ja voll daneben! Ja oder nein?)


Im Ergebnis gibt es erfreulicherweise seit Beginn die-
ses Jahres zwei neue Nationalparks in Deutschland: den
Nationalpark Kellerwald-Edersee in Hessen und den Na-
tionalpark Eifel in NRW.

Ich kann auch noch etwas zum Meeresnaturschutz sa-
gen. Im Ergebnis seiner Bemühungen um den Meeresna-






(A) (C)



(B) (D)


Undine Kurth (Quedlinburg)


turschutz hat das Bundesministerium für Umwelt zehn
Schutzgebiete in der Nord- und der Ostsee vorgeschla-
gen. Damit sind wir führend in Europa.

Jetzt möchte ich auf einen Punkt kommen, der auch
schon angesprochen worden ist: dass wir uns in unserem
Antrag sehr deutlich für die Beibehaltung des 2002 ein-
geführten Verbandsklagerechtes aussprechen. Dies tun
wir aus gutem Grund. Schließlich sind, wie wir alle wis-
sen, Naturschutzverbände die besten Anwälte der Natur.
Deshalb appelliere ich sehr an meine Kolleginnen und
Kollegen von der Opposition, dieses Recht weder zu dis-
kreditieren noch auszuhöhlen. Denn das zeugt wirklich
nicht von Weisheit, sondern von einem grundfalschen
Verständnis von Bürgerbeteiligung und Bürgerrechten.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN und der SPD)


Alle Erfahrungen zeigen nämlich, dass sich Verzögerun-
gen bei Planungen nur dann ergeben, wenn man gelten-
des Recht nicht einhält. Wenn man die Belange des Na-
turschutzes rechtzeitig berücksichtigt, muss man dieses
Klagerecht in keiner Weise fürchten.

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, der heute zur Ver-
abschiedung anstehende Antrag belegt, dass wir es nicht
bei unseren Erfolgen belassen wollen und dürfen, son-
dern dass wir die Naturschutzpolitik des Bundes konti-
nuierlich entwickeln wollen.


(Zuruf von der SPD: Genau!)

Dabei ist die Formulierung „Naturschutzpolitik des Bun-
des“ wichtig; denn wir alle wissen, dass der Naturschutz
aufgrund unseres föderalen Systems eine wesentliche
bzw. die Hauptaufgabe der Länder ist. Die Punkte unse-
res Antrages belegen aber, wie wichtig auch der bundes-
gesetzliche Rahmen ist. In unserem Antrag fordern wir
eine nationale Naturschutzstrategie, die sich in die natio-
nale Nachhaltigkeitsstrategie einfügen soll.

Es muss endlich gelingen, in allen Ressorts das Ver-
ständnis eines nachhaltigen Naturschutzes zu vertiefen.
Es kann doch wohl nicht angehen, dass man jedes Mal,
wenn das Wort „Nachhaltigkeit“ fällt, der Meinung ist,
dass das jeweilige Thema in den Zuständigkeitsbereich
des BMU fällt, das sich damit beschäftigen sollte. Natur-
schutz ist eine Querschnittsaufgabe, die in allen Ressorts
mit gedacht und mit bearbeitet werden muss. Auch hoffe
ich, dass, wenn Naturschutzargumente angeführt wer-
den, irgendwann niemand mehr sagt, dies sei ein Ein-
bringen sachfremder Kriterien in Politikfelder bzw. poli-
tische Entscheidungen, wie man es heute noch
manchmal hört. Der neue Parlamentarische Beirat für
Nachhaltigkeit wird hierzu sicherlich seinen Beitrag leis-
ten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Unser Antrag spiegelt wider, dass moderne Natur-
schutzpolitik mehr als den reinen Arten- und Gebiets-
schutz umfasst, obwohl dieser selbstverständlich eine
sehr wichtige Stütze des Naturschutzes ist. Wir brauchen
eine umfassende Integration des Naturschutzes in alle
Politikbereiche. Naturschutzpolitik muss sich in fast alle
aktuellen politischen Debatten einmischen. Es ist bereits
gesagt worden, dass unter anderen hier sowohl die Ver-
kehrs- und Energiepolitik als auch die Ausgestaltung der
Agrarpolitik gemeint sind. All dies sind wichtige Felder,
auf denen Naturschutz eine Rolle spielen muss. Ich
glaube auch, dass man die Bildungspolitik nicht verges-
sen darf; auch da gehört er hin. Unser Antrag setzt in ge-
nau diesem integrativen Sinne wichtige, richtige und
notwendige Akzente für die Politik des Bundes.

Liebe Kolleginnen und liebe Kollegen, angesichts der
weltweiten Zerstörung von Natur und der damit verbun-
denen Probleme wissen wir, dass nationale, ja nicht ein-
mal europäische Anstrengungen allein ausreichen; auch
darauf weist unser Antrag hin. Auf maßgebliche deut-
sche Initiative hin wurden im Februar in Kuala Lumpur
auf der 7. Vertragsstaatenkonferenz des Übereinkom-
mens der Vereinten Nationen über die biologische Viel-
falt sehr ehrgeizige Arbeitsprogramme zur Einrichtung
eines weltweiten Netzes von Schutzgebieten beschlos-
sen. Es soll erreicht werden, dass dieses weltweite Netz
von Schutzgebieten zu Land bis 2010 und auf dem Meer
bis 2012 errichtet werden kann. Ich glaube, dass uns im-
mer wieder bewusst werden muss, wie dringend diese
Aufgabe ist.

Mit unserem Antrag „Naturschutz geht alle an“ wol-
len wir den Naturschutz einen großen Schritt voranbrin-
gen. Ich hoffe, dass sich die Opposition und auch die
Länder dem anschließen können. Vielleicht hilft Ihnen,
meine liebe Kollegen von der Opposition, ein Wort von
Richard von Weizsäcker, diesem Antrag doch noch zu-
zustimmen:

Das grundlegende Ziel ist es, die Schöpfung zu be-
wahren. Nur wenn wir die Natur um ihrer selbst
willen schützen, wird sie uns Menschen erlauben zu
leben.

Es reicht eben nicht, darüber zu reden, wie wichtig Na-
turschutz ist. Vielmehr müssen wir den Naturschutz bei
Zielkonflikten mit anderen Politikbereichen wirklich
ernsthaft verteidigen und durchsetzen.

Zum Schluss meiner Rede möchte ich die Gelegen-
heit nutzen, von dieser Stelle aus all den Verbänden und
Initiativen herzlich für ihr unglaubliches Engagement zu
danken, mit dem sie Naturschutzarbeit in vielen Berei-
chen überhaupt erst möglich machen.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1509421800

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Angelika

Brunkhorst.

(Gabriele Groneberg [SPD]: Jetzt kommt das dicke Buch, wo eine Seite fehlt! – Jörg Tauss [SPD]: Lesen Sie das alles vor? Um Gottes willen! – Horst Kubatschka [SPD]: Das ist ja ein ganzer Baum, den Sie da hingelegt haben!)







(A) (C)



(B) (D)



Angelika Brunkhorst (FDP):
Rede ID: ID1509421900

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Keine Angst – ich werde das Buch nicht in voller Gänze
vorlesen. Ich will Ihnen nur einen Tipp geben.

Der uns vorliegende Antrag fordert Akzeptanz und
die verstärkte Integration von Naturschutz in alle Politik-
felder. Liebe Kolleginnen und Kollegen der Koalitions-
fraktionen, wir sind doch schon auf dem besten Wege,
wir sind doch schon gut dabei. Ich sehe die Lage viel po-
sitiver, als Sie sie hier jetzt skizziert haben. Nicht nur
Sie, sondern auch die FDP will die Natur erhalten, will
sie schützen. Auch wir glauben natürlich, dass eine in-
takte Natur für die Lebensqualität wichtig ist. Die wollen
wir sichern, auch für die kommenden Generationen.


(Beifall bei der FDP)

Deshalb können wir den Empfehlungen des Sachver-
ständigenrates für Umweltfragen in seinem Sondergut-
achten zum Naturschutz vollständig folgen, ebenso dem
TAB-Bericht zu dem Thema „Tourismus in Großschutz-
gebieten“.

Allerdings wird der Naturschutz von den Bürgern im
Alltag oft als Bevormundung und als Eingriff in ihre
Nutzung und ihre Eigentumsrechte empfunden; das
muss man hier auch einmal ganz klar sagen.


(Beifall bei der FDP)

Wir Liberale setzen in dieser Frage auf mehr Eigenver-
antwortung und auf Kooperation mit den Bürgern und
mit der Wirtschaft.


(Beifall bei der FDP)

Die Liberalen sehen den Menschen als Partner im Natur-
schutz. Hier möchte ich voller Stolz sagen: Unser Um-
weltminister, der FDP-Umweltminister in Niedersach-
sen, hat das Motto ausgegeben: Naturschutz mit den
Menschen. Ich denke, das ist eine gute Losung. Damit
sind wir zufrieden.


(Beifall bei der FDP – Jörg van Essen [FDP]: Das ist genau der richtige Weg! – Horst Kubatschka [SPD]: Diese Parole hilft jetzt nichts!)


Wir wollen nicht, dass Naturschutzpolitik den Menschen
aus der Natur verdrängt, sondern wir wollen ihn einbin-
den. Der Mensch ist Naturnutzer und greift seit jeher in
Naturräume ein; die Natur ist teilweise die Existenz-
grundlage in der Land- und Forstwirtschaft. Hier müssen
Chancen gewahrt bleiben, zu wirtschaften und etwas zu
erwirtschaften. Deswegen haben Kooperation und Ver-
tragsnaturschutz für uns absoluten Vorrang gegenüber
jeglicher anderen staatlichen Einflussnahme unter dem
Deckmäntelchen der ökologischen Ausrichtung. Das se-
hen wir sehr kritisch.


(Beifall bei der FDP)

Nicht akzeptabel ist dabei insbesondere Ihre Vorstellung
einer naturnahen Waldbewirtschaftung. Da droht uns
dann unter Umständen das Pendant zur Ökolandwirt-
schaft. Das halten wir nicht für ein Erfolgsmodell.

(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Georg Schirmbeck [CDU/CSU])


Das heißt aber nicht, dass wir nicht dafür sind, einzelne
Waldabschnitte oder Wälder ökologisch umzugestalten,
um neue Lebensräume für bestimmte Arten zu schaffen
und die Artenvielfalt zu stärken. Wir haben auch auf
Landesebene eine Reihe von Projekten mithilfe von EU-
Mitteln unterstützt.

Natur ist als Wohn- und Erholungsraum auch sozi-
ales Umfeld. Unter den verschiedenen Nutzern – Be-
wohnern, Wanderern, Jägern, Sportlern, Erholungssu-
chenden – gibt es viele engagierte Bürger, die sich
angesprochen fühlen, die den Argumenten von Natur-
und Artenschutz durchaus ein offenes Ohr und eine of-
fene Haltung entgegenbringen und sich auch in die Er-
haltung und Pflege der Natur mit einbinden lassen. Es
gibt sehr viele Beispiele für engagierte Projekte. Indivi-
duelles Engagement von Bürgern hat zum Beispiel
auch dazu geführt, dass die Wiedereingliederung ver-
schiedener Tierarten – des Lachses, des Uhus und auch
des Luchses im Harz – erfolgreich war. Das muss man
hier einmal erwähnen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ihr Antrag greift dankenswerterweise mögliche natur-
schutzrelevante Fehlentwicklungen, die das EEG mit
sich bringen kann, auf. Ich möchte hier auf Gesetzeslü-
cken hinweisen. Laut UVPG, also dem Gesetz über die
Umweltverträglichkeitsprüfung, müssen Windparks
erst ab drei Mühlen auf ihre Umweltverträglichkeit ge-
prüft werden. Investorengruppen machen in der Praxis
einen Umweg, indem jede Person einfach nur zwei Müh-
len anmeldet. Damit umgeht man das UVPG. Das ist
nicht hinnehmbar.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Auch die Flächeninstallationen von Photovoltaikan-
lagen sind unter Naturschutz- und Landschaftsaspekten
kritisch zu betrachten.


(Vorsitz: Vizepräsident Dr. Norbert Lammert)

So berichtet der „Spiegel“ in seiner Ausgabe von dieser
Woche über die ersten Auswüchse: die Verkleidung von
Weinbergen mit Photovoltaikanlagen. Angesichts dieser
ökologischen Konsequenzen frage ich mich: Ist dies der
richtige Weg?


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich möchte Sie jetzt zu einem Gedankensprung einla-
den, der nicht direkt mit diesem Antrag zu tun hat. Da
aber dieses dicke Buch hier liegt und mir die Akzeptanz
der Umweltpolitik und damit des Naturschutzes so am
Herzen liegt, möchte ich trotzdem darauf eingehen. Die
Umweltpolitik trägt die Verantwortung dafür, Umwelt-
und Naturschutz transparent darzustellen. Ich denke, die
Bürger haben auch ein Anrecht darauf, die Umweltpoli-
tik als Ganzes begreifen zu können. Deswegen möchte
ich noch darauf hinweisen: Wir haben 30 Umweltge-






(A) (C)



(B) (D)


Angelika Brunkhorst

setze. Wir haben 38 Verordnungen. Ich möchte daran
erinnern, dass wir, die FDP, in der letzten Legislatur-
periode darauf gedrängt haben, endlich ein Umweltge-
setzbuch auf den Weg zu bringen.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1509422000

Frau Kollegin, Sie wollen dieses Oeuvre hoffentlich

nicht zur Verlesung bringen.

(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD)



Angelika Brunkhorst (FDP):
Rede ID: ID1509422100

Ich möchte daran erinnern. Dies ist der Entwurf von

1997; die Arbeit ist also schon fast getan. Die Koaliti-
onsparteien haben versprochen, die verfassungsrechtli-
chen Rahmenbedingungen zu modifizieren. Ich frage
Sie: Wann sind Sie soweit?

Danke.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1509422200

Vielleicht geben Sie das jetzt durch die Reihen; denn

jeder, der damit beschäftigt ist, scheidet als Zwischenru-
fer aus, was den weiteren Verlauf der Debatte vielleicht
befördert.


(Heiterkeit bei der SPD)

Nun erteile ich der Kollegin Gabriele Groneberg für

die SPD-Fraktion das Wort.


Gabriele Groneberg (SPD):
Rede ID: ID1509422300

Vielen Dank, Herr Präsident! – Verehrte Kolleginnen

und Kollegen! Ich möchte mich bei meinen Ausführun-
gen auf die Punkte unseres Antrages beziehen, die sich
mit städtebaulichen und verkehrspolitischen Aspekten
beschäftigen.

Wenn wir über nationale Strategien zum Naturschutz
und über ein umfassendes Konzept reden, dann ist die
Flächeninanspruchnahme von zentralem Interesse. In
der von der Bundesregierung im April 2002 beschlosse-
nen Nationalen Nachhaltigkeitsstrategie – wir haben sie
„Perspektiven für Deutschland“ genannt – haben wir uns
ein Leitbild für eine nachhaltige Entwicklung gegeben
und die grundsätzlichen Ziele und Aufgaben für Politik
und Gesellschaft definiert.

Tatsächlich, liebe Kolleginnen und Kollegen, hat sich
in den letzten 40 Jahren die Siedlungs- und Verkehrsflä-
che in Deutschland fast verdoppelt. Das heißt für uns:
Wir müssen mit unseren vorhandenen Flächen sparsam
umgehen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Im Rahmen der Nationalen Nachhaltigkeitsstrategie
ist deshalb unter anderem vorgesehen, die Inanspruch-
nahme neuer Flächen für den Siedlungs- und Verkehrs-
bereich von zurzeit circa 117 Hektar pro Tag bis zum
Jahre 2020 auf maximal 30 Hektar pro Tag abzusenken.
Ich denke, dass ist sicherlich ein ehrgeiziges und gutes
Ziel.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Der Idealfall wäre, die tatsächliche neue Inanspruch-
nahme von Flächen langfristig durch die erneute Nut-
zung bereits vorhandener Flächen zu ersetzen.


(Beifall bei der SPD)

Die komplexe Materie und die Vielzahl der betroffenen
Akteure und ihrer verschiedenen, zum Teil vollkommen
gegensätzlichen Interessen bei diesem Vorhaben erfor-
dern jedoch eine vernünftige Abstimmung bei der Um-
setzung. Darum soll und muss dieses Ziel in mehreren
Schritten erreicht werden.

Die mit der Flächeninanspruchnahme einhergehende
Versiegelung hat viele negative Folgen. Herr Caesar hat
ja bereits auf das vermehrte Auftreten von Hochwasser-
ereignissen hingewiesen. Ich denke, wir brauchen uns
auch überhaupt nicht darüber zu streiten, dass es hier ei-
nen politischen Handlungsbedarf zur Eindämmung des
Flächenverbrauchs gibt. Das ist allgemein anerkannt. In
einem so dicht besiedelten Land wie Deutschland ist es
wirklich zwingend notwendig, die unterschiedlichen An-
forderungen, die wir an die Flächennutzung stellen – ich
denke dabei zum Beispiel ans Bauen und Wohnen, an
die Erholung und den Verkehr, an die Erzeugung von Le-
bensmitteln, an nachwachsende Rohstoffe, an die wirt-
schaftliche und öffentliche Nutzung und eben auch an
die Zwecke des Naturschutzes –, so in Einklang zu brin-
gen, dass die nachhaltige Nutzung unseres Lebensrau-
mes erhalten und gestärkt werden kann. Das ist kein
kleines Problem.

Weitgehender Konsens in den prinzipiellen Vorstel-
lungen zur Erreichung unseres Zieles besteht – das ha-
ben wir heute mehrfach gehört – bei der Erhöhung der
Effizienz der Flächennutzung, der Verbesserung des re-
gionalen Flächenmanagements, der Mobilisierung vor-
handener Flächenreserven, der Sanierung und Nutzung
von Brachflächen – hier ist bestimmt noch einiges zu
tun –, der Umlenkung von Investitionen im Wohnbaube-
reich vom Neubau in den Bestand – wir haben versucht,
das in den vergangenen Monaten mit der Lenkung durch
die Eigenheimzulage zu organisieren – und der Verbes-
serung der Lebensbedingungen in der Stadt. Spätestens
bei der Aufgabe, die allgemein geforderte Trendumkehr
beim Flächenverbrauch zu erreichen, wird es mit der Ei-
nigung ein wenig schwerer bzw. ist Schluss mit der Ei-
nigkeit. Die Nutzungskonflikte bei den knapper werden-
den Flächen können zurzeit wirklich nur schwer gelöst
werden.

Gerade im Parlament werden wir uns in diesem Jahr
noch intensiv mit diesem Thema beschäftigen. Seit kur-
zem liegen uns die beschriebenen Gutachten vor. Vom
Büro für Technikfolgenabschätzung haben wir diesbe-
züglich noch einiges zu erwarten. Insofern gehe ich da-
von aus, dass wir uns hier an dieser Stelle noch kontro-
vers mit diesem Thema auseinander setzen werden. Aber
nicht nur wir hier im Bundestag sind bei der Auseinan-
dersetzung mit diesem Thema gefordert. Ich begrüße es,
dass die Bundesregierung dazu einen breit angelegten






(A) (C)



(B) (D)


Gabriele Groneberg

Dialog zur Weiterentwicklung der Nachhaltigkeitsstrate-
gie organisiert hat.

Alle Bürgerinnen und Bürger sowie alle gesellschaft-
lichen Gruppen in Deutschland sind aufgerufen, sich mit
den Anregungen und Vorschlägen, die dort gemacht
werden, zu beschäftigen, selbst auch Anregungen und
Vorschläge einzubringen und sich an diesem Dialog zu
beteiligen. Frau Brunkhorst, ich gehe davon aus, dass
wir es durch diesen Dialog schaffen werden, eine breite
Beteiligung in der Bevölkerung zu erreichen und da-
durch natürlich auch die Akzeptanz der Maßnahmen we-
sentlich zu erhöhen. Die zu entwickelnden Konzepte zur
Verminderung der Flächeninanspruchnahme können nur
im Konsens mit den Betroffenen und den Beteiligten
durchgesetzt werden. Ich muss ganz ehrlich sagen: Eine
solch umfassende Möglichkeit zum Dialog hätte ich mir
bereits in den Jahren vor 1998 gewünscht. Ich denke,
dann wären wir heute schon weiter.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


In der generellen Zielsetzung sind wir uns nun wirk-
lich einig: Wir alle möchten nämlich, dass unsere Enkel
und Urenkel noch einen Naturraum zum Leben und na-
türlich auch zum Wirtschaften vorfinden werden. Dafür
kann man nun wirklich nicht genug Vorsorge treffen.

Ich möchte noch ein kurzes Wort zu unserer Forde-
rung im Antrag an die Bundesregierung sagen. Wir bit-
ten die Bundesregierung, sich weiterhin dafür einzuset-
zen, dass das im Bundesnaturschutzgesetz eingeführte
Verbandsklagerecht keine abweichenden landesrechtli-
chen Regelungen erfährt. Ich halte es für wichtig, dass
wir auch diesen Punkt kurz ansprechen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Im letzten Jahr haben wir uns mit einem Antrag des
Bundesrates befasst, mit dem die Absicht verfolgt
wurde, das gemäß dem Bundesnaturschutzgesetz aner-
kannten Vereinen eingeräumte Verbandsklagerecht ein-
zuschränken. Die Bundesländer sollten die Befugnis er-
halten, vom Bundesgesetz abweichende Regelungen zu
treffen. Begründet wurde dieses Erfordernis mit dem zü-
gigen Aufbau der notwendigen Verkehrsinfrastruktur in
den neuen Ländern. Ich möchte hier deutlich machen,
dass wir diese Regelung ablehnen. Nach den bisher ge-
machten Erfahrungen ist das Verbandsklagerecht, das
den Vereinen eingeräumt wurde, nicht ausgenutzt wor-
den. Es ist auch nicht zu erwarten, dass es ausgenutzt
werden wird.


(Ulrike Mehl [SPD]: Es wurde nicht missbraucht!)


– Man kann auch sagen, dass es nicht missbraucht wird.
Im Übrigen wird die vorzunehmende Umsetzung der

EU-Richtlinie zur Öffentlichkeitsbeteiligung ohnehin
spätestens ab April 2005 eine entsprechende Regelung
zur Verbandsklage im nationalen Recht erfordern. Diese
werden wir auch umsetzen. Insofern wäre zu dem Zeit-
punkt die durch die Bundesländer angestrebte Lösung
mit dem Europarecht schlicht und einfach nicht mehr
vereinbar. Die im Naturschutzgesetz vorgenommene Re-
gelung sollte man als Chance begreifen, sich vorher im
Konsens zu einigen. Die Klage eröffnet nur die Möglich-
keit, im Anschluss an die Beteiligung weitere Schritte zu
unternehmen. – Wie ich sehe, muss ich zum Ende kom-
men. Ich werde gleich aufhören. – Letztendlich sollen
die Verbände und Vereine Klagen vermeiden und durch
frühzeitige Zusammenarbeit mit den Verwaltungsbehör-
den eine vernünftige Lösung erreichen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen – –

Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1509422400

Nein, Sie können jetzt nicht noch einmal zu einem

Schlusschor ansetzen, weil Ihre Redezeit schon abgelau-
fen ist.


(Horst Kubatschka [SPD]: Aber es wurde keine Zwischenfrage gestellt! – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Herr Präsident, das wäre so gut geworden!)



Gabriele Groneberg (SPD):
Rede ID: ID1509422500

Herr Präsident, ich wollte dem Kollegen Schirmbeck

nur den guten Rat geben: Falls er noch Aufklärungsbe-
darf hat, soll er die Internetseite der Bundesregierung zur
Nachhaltigkeitsstrategie und Umweltnutzung aufrufen.
Dort kann er sich umfassend informieren.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Sehen Sie, das war wirklich gut!)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1509422600

Frau Kollegin, ich überlege gerade, was Sie mit Ihrer

übrigen Redezeit gemacht hätten, wenn Sie mit dieser
Empfehlung begonnen hätten.


(Heiterkeit)

Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der

Kollege Josef Göppel für die CDU/CSU-Fraktion.

Josef Göppel (CSU):
Rede ID: ID1509422700

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle-

gen! Am Ende dieser Debatte frage ich mich: Welche
Schlussfolgerungen ziehen wir nun? Zunächst ist mir
das ehrliche Bemühen der Antragsteller aufgefallen, im
Naturschutz weiterzukommen. Das möchte ich aus-
drücklich anerkennen. Die Frage ist nur: Wie und auf
welchen Wegen kommen wir wirklich weiter, um diesen
momentanen Durchhänger im Naturschutz zu überwin-
den?

Jede Zeit braucht ihre besondere Herangehensweise
und Argumente, damit die Menschen zuhören. Dazu
muss ich als ersten Punkt sagen: Wir müssen jetzt die
Interessen der Menschen, die wir erreichen wollen,
stärker berücksichtigen, egal ob es Kanuten, Kletterer,
Waldbesitzer oder Kommunalpolitiker sind. Als einer,
der selber im Naturschutz aktiv ist, weiß ich: Wenn wir
die Menschen bei den für sie wichtigen Anliegen nicht
auf dem richtigen Ohr erreichen, kommen wir nicht wei-






(A) (C)



(B) (D)


Josef Göppel

ter. Es mag gut gemeint sein, wenn jemand eine wert-
volle Fläche schützen will. Man muss aber erlebt haben,
wie Menschen denken, die von einem Stück Land leben
müssen. Deren Sichtweise stärker einzubeziehen, halte
ich für besonders wichtig.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Reinhard Loske [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Der zweite Punkt ist, dass wir Sonderbelastungen
verlässlich und dauerhaft honorieren. In diesem Zusam-
menhang greife ich die FFH-Prämie auf, die mein Kol-
lege Caesar schon angesprochen hat. Diese FFH-Prämie
ist wichtig, wenn wir das europäische Schutzgebietsnetz
ohne ständige Proteste durchsetzen wollen.

Der dritte Punkt ist die Kooperation verschiedener
Nutzer mit den Schützern. Ich denke zum Beispiel an
die deutschen Landschaftspflegeverbände, deren We-
senskern die Drittelparität zwischen Landwirten, Natur-
schützern und Kommunalpolitikern ist. Die Erfahrungen
zeigen, dass mit solchen Konstruktionen Vertrauen
wächst und Gräben überwunden werden können.

Der nächste Punkt, der mir bei meiner Vorrednerin,
Frau Kollegin Groneberg, aufgefallen ist, ist der Flä-
chenverbrauch. Auch ich bin der Meinung, dass der
Flächenverbrauch eingedämmt werden muss. Nur wer-
den wir das ohne die Kommunalpolitiker nicht schaffen.


(Zuruf von der SPD: Das stimmt!)

Wie machen wir das also? Ich habe die Erfahrung ge-
macht, dass Selbstverpflichtungen oder Appelle nicht
reichen.


(Horst Kubatschka [SPD]: Das stimmt auch!)

Wir brauchen ein finanzielles Instrumentarium, das

eine Steuerungswirkung entfaltet. Das muss jedoch mit
den Beteiligten entwickelt werden. Ich bin selber Kom-
munalpolitiker und weiß, dass man diese Dinge belas-
tungsneutral und aufkommensneutral im Rahmen der
Grundsteuer und der Grunderwerbsteuer regeln kann.
Das sind die Wege, auf denen wir gehen können.
Wie gewinnt man zum Beispiel Regionalpolitiker? Es
wird immer deutlicher, dass intakte Landschaften ein
wichtiger Standortfaktor sind. Mir fällt ein, dass kürz-
lich bei einer Umfrage in meiner bayerischen Heimat die
Frage gestellt wurde: „Was gefällt Ihnen an Bayern am
besten?“ Es wurden zwölf Antwortmöglichkeiten ange-
boten. Etwas überraschend ist vielleicht, dass mit gro-
ßem Abstand am häufigsten die Landschaft genannt
wurde.


(Horst Kubatschka [SPD]: Die hat aber der liebe Gott gemacht und nicht die CSU!)


– Das habe ich auch nicht gesagt, lieber Kollege.

(Heiterkeit)


Ich wollte deutlich machen, dass es ein Bewusstsein der
Menschen über den Wert der Landschaft gibt. Gerade für
uns, die Konservativen, ist das ein Bestandteil der Hei-
mat. Schöpfungsschutz und Heimatschutz – dahinter ste-
hen letztlich ethische Gründe.
Die Frage, wie wir zu den gemeinsamen Zielen kom-
men, entscheidet sich an den Wegen dorthin. Ich möchte
Ihnen ausdrücklich sagen: Es gibt bei uns die Bereit-
schaft zu einer gemeinsamen Naturschutzstrategie. Sie
müssen nur mehr mit uns über die gemeinsamen Wege
reden. Dann werden wir auch zu einem gemeinsamen
Antrag kommen. Dass wir in dieser Frage weiterkom-
men müssen, um unser Land attraktiv zu erhalten und
den Naturschutz mit der Möglichkeit, von solchen Flä-
chen zu leben, zu verknüpfen, ist der entscheidende
Punkt. Wenn diese Debatte auch der Koalition dazu ei-
nen Anstoß gegeben hat, dann hat sie ihren Nutzen ge-
habt.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1509422800

Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Aus-

schusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
auf Drucksache 15/2053 zu dem Antrag der Fraktionen
der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen mit dem Ti-
tel „Naturschutz geht alle an – Akzeptanz und Integra-
tion des Naturschutzes in andere Politikfelder weiter
stärken“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf
Drucksache 15/1318 anzunehmen. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer
enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit Mehr-
heit des Hauses angenommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 11 b auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Dieter Thomae, Birgit Homburger, Detlef
Parr, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
FDP
Abschaffung der Praxisgebühren
– Drucksache 15/2351 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die
FDP fünf Minuten erhalten soll. – Dazu höre ich keinen
Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zu-
nächst dem Kollegen Dr. Heinrich Kolb für die FDP-
Fraktion.


Dr. Heinrich L. Kolb (FDP):
Rede ID: ID1509422900

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die

Verunsicherung der Bevölkerung ist seit In-Kraft-Tre-
ten des Gesundheitssystemmodernisierungsgesetzes im-
mens hoch. Ein nicht abreißen wollender Protest in Form
von E-Mails, Briefen und Anrufen, wie ich ihn in
13 Jahren Zugehörigkeit zum Deutschen Bundestag
noch nicht erlebt habe, und die Beteiligung an Telefon-
aktionen zum Thema Gesundheitsreform machen diese
Verunsicherung deutlich.






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Heinrich L. Kolb

Unmutsfaktor Nummer 1 – das ist wirklich ernst, Herr

Kollege Kirschner – ist die Praxisgebühr. Insbesondere
die Menschen, die alt und durch ihre Krankheit ohnehin
gehandicapt sind, fühlen sich mit dieser neuen Regelung
überfordert.


(Beifall bei der FDP)

Weil die Erhebung der Praxisgebühr in der jetzigen
Form der falsche Weg ist, muss sie aus unserer Sicht ab-
geschafft werden.


(Beifall bei der FDP)

Damit es keine Missverständnisse gibt, liebe Kollegin-

nen und Kollegen, will ich deutlich machen: Die FDP ist
nach wie vor der Auffassung, dass eine Beteiligung an
den Heilungskosten über den Versicherungsbeitrag hi-
naus als steuerndes Element sinnvoll und notwendig ist.
Die Menschen brauchen einen Anreiz, darüber nachzu-
denken, wie hoch die Ausgaben sind, die sich aufgrund
der Behandlung einer Krankheit ergeben. Sie brauchen ei-
nen Anreiz, mit ihrem Arzt darüber zu reden, welche
Maßnahmen tatsächlich notwendig sind, um den Hei-
lungsprozess zu fördern. An einer stärkeren Eigenverant-
wortung des Einzelnen führt kein Weg vorbei. Das ist klar.


(Beifall bei der FDP)

Wir begrüßen auch ausdrücklich, dass dies mittlerweile
selbst SPD und Grüne eingesehen haben. Es hat lange
genug gedauert, Herr Kollege Kirschner und Frau Kolle-
gin Lotz. Ich kann mich noch an Zeiten erinnern – so
lange gehöre ich diesem Haus schon an –, in denen die
FDP hier für diese Selbstverständlichkeit verteufelt wor-
den ist.

Das Problem ist nur, dass – wie in anderen Bereichen
auch – das System sozusagen erst vor die Wand gefahren
werden muss, bevor Rot-Grün zu den notwendigen Ver-
änderungen bereit ist. Hätte man nicht im Wahlkampf
1998 unrealistische Ankündigungen gemacht und früher
mit der Reform des Gesundheitswesens begonnen, dann
könnten wir heute damit schon wesentlich weiter sein.


(Beifall bei der FDP)

Die Freude darüber, dass Sie und auch die Regie-

rungskoalition jetzt für erweiterte Zuzahlungen sind,
wird aus unserer Sicht durch die Art und Weise der Um-
setzung getrübt. Man hätte eine einfache Regelung in
Form der Erstellung einer Rechnung finden können, wie
wir das auch aus anderen Wirtschaftszweigen kennen.
Der Patient hätte die Rechnung bei seiner Krankenversi-
cherung eingereicht und dann den Rechnungsbetrag ab-
züglich der vorgesehenen Zuzahlung erstattet bekom-
men. Das wäre in unseren Augen eine vernünftige,
unbürokratische Art und Weise des Umgangs mit dieser
Problematik gewesen.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Alles Lobbyismus, was Sie da machen!)


Aber der bürokratische Aufwand, der jetzt in den
Praxen entsteht, ist unglaublich.


(Beifall bei der FDP)

Die Ärzte, die sich eigentlich um ihre Patienten küm-
mern sollen, müssen erst ihre Praxis umorganisieren, da-
mit die 10 Euro eingezogen werden können.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Die armen Ärzte! – Peter Dreßen [SPD]: Die Augenärzte wollen noch mehr!)


Sofern die Patienten das Geld nicht dabeihaben, müssen
die Ärzte es schriftlich einfordern. Die Kassenärztlichen
Vereinigungen müssen mahnen, wenn das Geld nicht ge-
zahlt wird. Das entspricht nicht dem, was wir uns unter
Qualitätsverbesserungen im deutschen Gesundheitswe-
sen vorstellen.


(Beifall bei der FDP)

Es gibt mittlerweile eine ganze Reihe von Ausnah-

men, die, wenn nicht inkonsistent, so doch für das medi-
zinische Personal in den Praxen – das sind schließlich
diejenigen, die vor Ort mit dieser Regelung umgehen
müssen – zumindest sehr schwer zu durchschauen sind.
Die Regelung ist und bleibt bürokratisch. Deshalb muss
sie, wie gesagt, aus unserer Sicht abgeschafft werden.


(Beifall bei der FDP)

Ich will noch eines deutlich machen: Mit unserem

Antrag wollen wir auch eine Rückkehr zur Wiederein-
führung der früheren Härtefallregelung erreichen,


(Beifall bei der FDP)

nach der Menschen, die von Sozialhilfe leben, von der
Zuzahlung befreit waren. Wir müssen leider feststellen,
dass in der Praxis erhebliche Probleme auftreten. Wie
will man beispielsweise von einem demenzkranken
Heimbewohner die Zuzahlungen einfordern? Wir wissen
doch alle, dass das am Ende beim Betreuungspersonal
hängen bleibt, das die Zeit auch besser nutzen könnte als
für den Umgang mit der Zuzahlung.


(Beifall bei der FDP)

Alles in allem gilt in diesem Fall: Gut ist das Gegen-

teil von gut gemeint. Wir begrüßen es, dass Sie sich ein
Stück in Richtung Mitbeteiligung bewegen. Aber wir,
die Liberalen, kennen einen wesentlich einfacheren, un-
bürokratischeren Weg zur Handhabung der Eigenbeteili-
gung:


(Annette Widmann-Mauz [CDU/CSU]: 100 Prozent Praxisgebühr!)


Transparenz und Kostenerstattung.

(Annette Widmann-Mauz [CDU/CSU]: Was daran einfach ist, müssen Sie mir erklären!)


Das sind die Schlagworte, die wir in die Diskussion ein-
führen wollen. Deswegen bitten wir Sie, unserem Antrag
zuzustimmen, um das auf den Weg zu bringen.


(Beifall bei der FDP)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1509423000

Das Wort hat die Kollegin Erika Lotz, SPD-Fraktion.






(A) (C)



(B) (D)



Erika Lotz (SPD):
Rede ID: ID1509423100

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ihr

Antrag, lieber Herr Kolb, erinnert mich an eine frühere
Fernsehsendung. Sie trug den Titel „Nepper, Schlepper,
Bauernfänger“. Sie versuchen sich heute als Bauernfän-
ger.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Vorsicht! Ich erinnere Sie an Ihre Lockvogelangebote, Frau Lotz!)


In Ihrem Antrag geht es Ihnen angeblich um den Ab-
bau von Bürokratie und eine höhere Akzeptanz der Zu-
zahlungen. In der letzten Woche musste ich meinen
Hausarzt aufsuchen und als AOK-Versicherte habe ich
einfach 10 Euro mitgebracht. Ich muss Ihnen sagen: Es
war ganz unproblematisch, die 10 Euro zu zahlen. Von
einem höheren bürokratischen Aufwand war in dieser
Praxis nichts zu spüren.

Sie haben die Katze dann doch aus dem Sack gelas-
sen. In Wahrheit geht es Ihnen um die Einführung des
Kostenerstattungsprinzips. Sie glauben noch immer,
dass in der Kostenerstattung das Heil der gesetzlichen
Krankenversicherung liegt. Diesen Irrglauben kann und
will ich Ihnen gar nicht nehmen. Aber die Patientinnen
und Patienten sollen wissen, dass das Kostenerstattungs-
prinzip für sie ganz und gar nicht günstig ist. Wir halten
deshalb am Sachleistungsprinzip fest.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Es ist und bleibt Ihr gutes Recht, Herr Kolb, im Deut-

schen Bundestag Anträge zu stellen,

(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das wollen wir uns auch nicht nehmen lassen!)

auch solche, die auf falschen Annahmen und Schlussfol-
gerungen beruhen. Anträge aber in der Absicht zu stel-
len, der Öffentlichkeit etwas vorzuspiegeln und sie zu
täuschen, ist unredlich, wie Sie selbst wissen. Einen An-
trag auf Einführung des Kostenerstattungsprinzips in der
ambulanten Versorgung hinter einem Antrag auf Ab-
schaffung der Praxisgebühr zu verbergen mag für Sie ein
gerissener Schachzug sein. Aber ich sehe darin eine Ver-
knüpfung von Kostenerstattungsideologie und hem-
mungslosem Populismus.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Ich habe doch deutlich gesagt, was unsere Alternative ist! Da klatscht noch nicht einmal Ihre Fraktion!)


Es gab Zeiten, in denen die FDP nicht die Lufthoheit
über den Stammtischen suchte. Aber das scheint längst
vorbei zu sein.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Die SPD hat die Lufthoheit über den Kinderbetten!)


Damals wäre jedenfalls niemand auf den Gedanken ge-
kommen, der sich heute vielen unwillkürlich aufdrängt,
das Kürzel FDP mit „Fraktion der Populisten“ zu über-
setzen.

(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Sie sind heute aber gar nicht nett!)


Zur Sache selbst: Jedes neue Verfahren braucht Zeit,
um sich einzuspielen. Natürlich gab und gibt es bei der
Einziehung der Praxisgebühr sowohl auf der Arzt- als
auch auf der Patientenseite Kinderkrankheiten. Aber
diese werden bald ausgestanden sein.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, verab-
schieden Sie sich von der „Fraktion der Populisten“ und
beginnen Sie, konstruktiv zu denken und zu arbeiten.


(Beifall bei der SPD)

Zur Verdeutlichung dessen, was ich unter konstruktiver
Arbeit verstehe, lassen Sie mich kurz auf unser Ziel der
Qualitätsverbesserung im Gesundheitswesen einge-
hen. Wir haben uns seit jeher für eine Steigerung der rea-
len Versorgungsqualität unseres Gesundheitssystems
eingesetzt. Seit der Regierungsübernahme haben wir
nachweislich an der Erreichung dieses Ziels gearbeitet.
Wir haben einen roten Faden der Qualitätssicherung in
unserem Gesundheitssystem gespannt. Wir haben die
Bundesgeschäftsstelle Qualitätssicherung ins Leben ge-
rufen und das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit
im Gesundheitswesen aus der Taufe gehoben. Die neue
Arbeitsgemeinschaft für Aufgaben der Datentransparenz
wird dafür sorgen, dass eine flächendeckende Versor-
gungsforschung in Deutschland versicherungs- und ein-
richtungsübergreifend eingeführt werden kann.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Mehr Staat und mehr Bürokratie!)


Arbeiten Sie konstruktiv mit und kehren Sie zurück
zu einer realen Politik!

Danke schön.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1509423200

Das Wort hat nun der Kollege Wolfgang Zöller, CDU/

CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)



Wolfgang Zöller (CSU):
Rede ID: ID1509423300

Grüß Gott, Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Wenn wir heute über den Antrag der FDP be-
raten, dann sollten wir fairerweise die Gründe für die
Einführung der Praxisgebühr nochmals kurz anspre-
chen:

Erstens. Die Praxisgebühr soll auch ein Instrument
zur Verhaltenssteuerung sein.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Dem stimmen wir zu!)


Aufgrund der weit über 500 Millionen Arztkontakte, die
die Patienten in Deutschland pro Jahr veranlassen, soll-
ten die Menschen zu einem verantwortungsvolleren Um-
gang mit medizinischen Versorgungsleistungen moti-
viert werden. Es ist heute unbestritten, dass zahlreiche






(A) (C)



(B) (D)


Wolfgang Zöller

Arztbesuche medizinisch nicht unbedingt erforderlich
sind.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Einverstanden!)

Die hohe Zahl der Arztkontakte erschwert letztlich eine
bessere Versorgung von tatsächlich behandlungsbedürf-
tigen Kranken.

Zweitens. Darüber hinaus zielt die Praxisgebühr auf
eine Ausgabenverminderung der Krankenkassen.
Die Praxisgebühr ist nämlich keine Einnahme der Kran-
kenkassen, sondern Teil der ärztlichen Vergütung. Der
Arzt erhält sein Honorar teilweise als Vorauszahlung di-
rekt vom Patienten.

Drittens. Die Praxisgebühr ist schließlich auch im
Vergleich zu anderen denkbaren Reformmaßnahmen das
mildere Mittel.

Angesichts der enormen Finanzierungskrise der ge-
setzlichen Krankenversicherung – höchste Beitragssätze,
höchster Schuldenstand – bestand ein dringender Re-
formbedarf, der von niemandem bestritten wurde. Die
katastrophale Situation auf dem deutschen Arbeitsmarkt
verbot ein Drehen an der Beitragsschraube. Die Lohnne-
benkosten waren zwingend zu senken. Also musste zwi-
schen Leistungsausgrenzung und verhaltenssteuernder
Eigenbeteiligung entschieden werden. Letztere ist ohne
Zweifel der sozial verträglichere Weg.

Nachdem den Politikern Anfang des Jahres wegen der
Praxisgebühr der Wind ins Gesicht blies, gab es plötzlich
Streit um die Vaterschaft der Praxisgebühr. Der SPD-
Kollege Schösser sagte: Diese Gebühr wollten wir nie;
das war die CDU. Hingegen sagte der Bundeskanzler bei
der Vorstellung der Agenda 2010 bereits im März 2003:

Gerade weil Eigenverantwortung gestärkt werden
muss, sollten wir … – Instrumente wie differen-
zierte Praxisgebühren und Selbstbehalte nutzen.

(Annette Widmann-Mauz [CDU/CSU]: Hört! Hört!)

Auch die von der Regierung eingesetzte Rürup-Kom-
mission wollte die Einführung einer Praxisgebühr.

Selbst die FDP hatte vor ihrem Ausstieg aus den Kon-
sensgesprächen unter Anerkennung der oben genannten
Gründe ihr Ja zur Praxisgebühr gegeben.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: So ist es! Gut, dass das mal wieder einer in Erinnerung ruft!)


Das hat sie bei der Festlegung der Eckpunkte erklärt.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Jetzt, wo der Druck auf die Politik gestiegen ist, wo es
darauf ankommt, auch zu unpopulären Maßnahmen zu
stehen, verlässt einige der Mut. Ich sage für die CDU/
CSU-Fraktion: Wir stehen zu der Praxisgebühr.


(Jörg van Essen [FDP]: Oh ja! Interessant zu hören!)


Sicher: Es gab zahlreiche Vollzugsmängel und An-
laufschwierigkeiten bei der Umsetzung dieses Geset-
zes. Sicher: Die teilweise systematisch geschürten Wi-
derstände gegen die Praxisgebühr haben zu einer
enormen Verunsicherung in der Bevölkerung und in der
Ärzteschaft geführt. Denken wir nur an die in den Me-
dien genannten Extrembeispiele! Dort wurde die Frage
gestellt, ob ein Arzt nach einem schweren Verkehrsun-
fall erst an den Geldbeutel eines Verletzten gehen muss,
um 10 Euro herauszuholen, bevor er ihn behandeln darf.
Solche Szenarien waren zu weit hergeholt und haben nur
zur Verunsicherung, aber nicht zur Versachlichung bei-
getragen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich bin sehr froh, dass die Kassen für die schwierigen
Fallgestaltungen bei Heimbewohnern und bei Taschen-
geldempfängern mittlerweile sogar ganz unbürokrati-
sche Lösungen angeboten haben. Das hat zwar lange ge-
dauert; aber man hat es erfreulicherweise getan.

Herr Dr. Kolb, ihr Beispiel von vorhin, bezog sich auf
das, was beim Arzt passiert ist. Auch ich musste im ers-
ten Quartal dieses Jahres zum Arzt.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Ich auch! Ich war auch schon da in diesem Quartal!)


Siehe da: Der Arzt hat einfach einen Vermerk gemacht.
Auf diesem Vermerk stand: Der Patient hat seine
10 Euro bezahlt. – Fertig! Das war die ganze bürokrati-
sche Arbeit. Ich hatte mit meinem Arzt in diesem Fall
also keine Probleme.

Allerdings – auch das muss unumwunden gesagt
werden –: Handwerkliche Vollzugsprobleme begründen
keine Mithaftung der Union; aber sie begründen auch
nicht die Behauptung, die Praxisgebühr sei prinzipiell
das falsche Instrument.


(Annette Widmann-Mauz [CDU/CSU]: Richtig! So ist es!)


Das Gegenteil ist nämlich der Fall: Die ersten Untersu-
chungen zeigen, dass die Menschen eine größere Sensi-
bilität für den Umgang mit medizinischen Dienstleistun-
gen entwickeln; sie bemühen sich auch um einen
rationelleren Umgang mit medizinischen Versorgungs-
leistungen. Mittlerweile gibt es sogar zahlreiche Bürger,
die offen zugeben, dass sie durch das Diskutieren über
ein Vor und ein Zurück in Bezug auf diese Gebühr eher
verunsichert als aufgeklärt wurden.

Verunsicherungen werden auch durch Widersprüche
im FDP-Antrag verursacht:

Erstens. Ihr Antrag zielt auf die Rücknahme einer fi-
nanziellen Belastung in Höhe von 10 Euro pro Quartal;
das entspricht 3,33 Euro pro Monat.

Für den Einzelnen wäre das eine verhältnismäßig ge-
ringe Entlastung. Sie hätte aber im Gesamtsystem eine
große Auswirkung. Dies zu fordern ist nicht überzeu-
gend. Dann hätten Sie in Ihrem Antrag zumindest eine
Gegenfinanzierung aufzeigen müssen.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Stattdessen praktikable Zuzahlungsregelung! Das steht doch Wolfgang Zöller hier! – Gegenruf des Abg. Andreas Storm [CDU/CSU]: Was ist das, Herr Kolb?)





(A) (C)


(B) (D)


Zweitens. Nachdem geklärt ist, dass die Praxisgebühr
ein Teil des ärztlichen Honorars ist, hat sich der Wi-
derstand vieler Ärzte verringert. Als es vorher hieß, sie
müssten 10 Euro für die Krankenkassen einziehen, wa-
ren die Ärzte verständlicherweise nicht begeistert.

Drittens. Der Antrag zielt letztendlich auf die Einfüh-
rung des Prinzips der Kostenerstattung.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Jawohl! Ausdrücklich!)


– Da sind wir uns einig. – Die Kostenerstattung fordert
vom Arzt aber ebenfalls diesen bürokratischen Auf-
wand, und zwar etwas mehr als bei der Praxisgebühr.
Nehmen wir nur einmal den Fall einer ärztlichen Bera-
tung, für die ein Betrag von unter 10 Euro anfällt! Auch
dieser Betrag muss vom Versicherten bezahlt werden.
Dann muss sich der Versicherte das von der Kranken-
kasse erstatten lassen


(Jörg van Essen [FDP]: Richtig! Genau!)

oder er lässt es sich erst geben und zahlt dann den Be-
trag. Beim Arzt zu bezahlen bleibt dem Patienten nicht
erspart. Wer Ja zur Kostenerstattung sagt, kann logi-
scherweise nicht Nein zur Praxisgebühr sagen, weil das
eigentlich vergleichbare Schritte sind.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das ist der denkbar schlechteste Weg der Durchführung!)


Viertens. Sie haben die Forderung erhoben – da war
ich eigentlich etwas enttäuscht, Herr Dr. Kolb –, Sozial-
hilfeempfänger von den Zuzahlungen zu befreien.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Ja, alte Zuzahlungsregelung!)


Das steht in diametralem Gegensatz zu der Aussage, die
wir hier im Bundestag gemeinsam getroffen haben, näm-
lich dass Sozialhilfeempfänger in der gesetzlichen Kran-
kenversicherung nicht besser gestellt werden dürfen als
Leute, die ein niedriges Einkommen haben. Wir haben
gemeinsam gewollt, dass Sozialhilfeempfänger genauso
behandelt werden.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Fünftens. Zu der geforderten Wiedereinführung der

Härtefallregelung ist zu sagen, dass diese Regelung
auch nicht frei von Widersprüchen war. Sie war ur-
sprünglich als Ausnahmeregelung konzipiert. Im letzten
Jahr stellte man fest, dass 51 Prozent der deutschen Be-
völkerung unter diese Ausnahmeregelung fallen. Wir ha-
ben gesagt: Es kann nicht sein, dass 51 Prozent der Deut-
schen ein so niedriges Einkommen haben, dass sie von
den Zuzahlungen befreit sind. Es kann nicht angehen,
dass jemand durch eine formale Härtefallregelung von
den Zuzahlungen befreit wird; vielmehr muss er nach
seiner wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit einen Kosten-
beitrag leisten. – Das ist meines Erachtens eine bessere
Lösung als die, die wir vorher hatten.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Lassen Sie mich wie folgt zusammenfassen:
Erstens. Wir brauchen jetzt keine neue Gesundheits-
debatte, sondern wir brauchen endlich mehr Planungssi-
cherheit und Ruhe für alle an unserem Gesundheitssys-
tem Beteiligten.


(Beifall des Abg. Andreas Storm [CDU/CSU])

Die Reform braucht eine faire Chance, ihre Wirkung zu
zeigen.

Zweitens. Rot-Grün muss alles daransetzen, die Irrita-
tionen der Bevölkerung durch mangelhaften Gesetzes-
vollzug zu vermeiden. Das gilt für die Liste der nicht
verschreibungspflichtigen Medikamente, die noch kom-
men soll,


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Wir sind schon sehr gespannt, wie die werden wird!)


und für die Regelung bezüglich der Zusatzversicherung
im Bereich des Zahnersatzes. Für beides drängt bereits
heute die Zeit.

Drittens. Wir brauchen hier keine populistischen An-
träge, die durch ihre Widersprüche zu mehr Verunsiche-
rung führen, aber nicht zur Lösung der Probleme beitra-
gen. Die Reform des Gesundheitswesens braucht
Unterstützung. Ich sage: Das Gesetz ist wesentlich bes-
ser als sein Ruf.


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Warum klatscht Rot-Grün dann nicht? – Beifall bei Abgeordneten der SPD – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Nach Aufforderung klatschen sie schon!)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1509423400

Nun hat die Kollegin Petra Selg, Bündnis 90/Die Grü-

nen, das Wort.

Petra Selg (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1509423500

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her-

ren! Dieser Antrag der FDP erhebt drei Forderungen:

(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Guter Antrag!)


Wiedereinführung der alten Härtefallregelung bei Zu-
zahlungen, Abschaffung der Praxisgebühr und Einfüh-
rung des Kostenerstattungsprinzips.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: So ist es! – Jörg van Essen [FDP]: Alles vernünftig!)


Zunächst zur Härtefallregelung. Lieber Herr Kolb,
wie Sie vielleicht wissen, war die Härtefallregelung im
ursprünglichen rot-grünen Gesetzentwurf nicht vorgese-
hen. In den parteiübergreifenden Konsensverhandlungen
war eine Forderung der Union, die bisherige Härtefallre-
gelung aufzugeben, und Rot-Grün hat zugestimmt.

Ich frage Sie jetzt aber: Wenn Ihnen dieser Punkt so
wichtig war, warum sind Sie dann damals aus den Ver-
handlungen ausgestiegen? Die beiden, die damals mit-
verhandelt haben, sind heute Abend ja nicht einmal da.
Ist denen Ihr Antrag peinlich?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Zuruf des Abg. Dr. Heinrich L. Kolb [FDP])







(A) (C)



(B) (D)


Petra Selg

– Auch das kann sein. – Sie haben jedenfalls in den Ver-
handlungen nicht für eine Härtefallregelung gekämpft –
keinen Pieps habe ich da vernommen; jetzt aber machen
Sie hier so ein Gedöns –, sondern sich aus der Verant-
wortung gestohlen. Heute aber zeigen Sie mit erhobe-
nem Zeigefinger auf diejenigen, die sich jetzt dieser Ver-
antwortung stellen.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Einer muss es ja tun, Frau Selg!)


Das ist nicht nur ärmlich, lieber Herr Kolb, das ist er-
bärmlich.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Ich weiß ja, dass verantwortungsvolles Handeln nicht
unbedingt in das Konzept einer Spaßpartei – oder was
sind Sie jetzt? – passt. Aber dass Sie es so weit treiben,
mein lieber Herr Kolb,


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Was denn, bitte?)


hätte ich nun doch nicht gedacht. Ich hatte gedacht, die
FDP wäre doch zu einer etwas ernsthafteren Politik noch
fähig.

Im Übrigen sind wir auf dem besten Weg, hinsichtlich
der Zuzahlungen von Sozialhilfeempfängern umfang-
reiche Vereinbarungen herbeizuführen. Das zuständige
Ministerium, die Krankenkassen und die kommunalen
Spitzenverbände haben mittlerweile Lösungen für die
bestehenden Probleme erarbeitet. Ein entsprechendes
Rundschreiben wird es demnächst geben. Wie sich das
Ganze entwickelt, werden wir abwarten müssen. Jetzt
aber, nachdem dieses Gesetz gerade zweieinhalb Monate
in Kraft ist, wieder irgendwelche Änderungen vorzuneh-
men, würde nur weitere Ausnahmeregelungen nötig ma-
chen. Ich frage Sie da ehrlich: Welchen Gedanken ver-
folgen Sie dabei und wie soll dieses Konzept ernsthaft
funktionieren?


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Sie hatten es doch am Anfang ganz gut vorgetragen! – Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Einen ernsthaften Gedanken gibt es da sowieso nicht!)


– Vermutlich.
Die zweite Forderung der FDP lautet: Abschaffung

der Praxisgebühr. In der Einführungsphase zu Beginn
gab es zugegebenermaßen an der einen oder anderen
Stelle Probleme.


(Zuruf von der FDP: Das ist sehr untertrieben!)


Das lag aber zu einem guten Teil daran, dass die Selbst-
verwaltung die notwendigen Regelungen noch nicht im-
plementiert hatte.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Dann hätten Sie denen beizeiten auf die Sprünge helfen müssen!)

Mittlerweile ist das geschehen. Der Umgang mit der Pra-
xisgebühr funktioniert in der Zwischenzeit.


(Jörg van Essen [FDP]: Das ist die so genannte Schönrednerei!)


Außerdem wissen Sie genauso gut wie wir, dass es durch
die Einführung dieser Praxisgebühr zu einem enormen
Entlastungseffekt für die solidarische Krankenversiche-
rung in Höhe von mehreren Milliarden Euro kommt,
nämlich ganz genau 4,3 Milliarden Euro.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: 1,6 Milliarden!)

Wie Sie nun im Falle der Abschaffung der Praxisgebühr
dieses dann entstehende Finanzierungsloch stopfen wol-
len, das sagen Sie in Ihrem Antrag, wahrscheinlich aus
gutem Grund, nicht. Oder wollen Sie das Loch gar nicht
schließen und stattdessen höhere Beitragssätze?


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Zuzahlungen!)

Auch dazu steht in Ihrem Antrag kein Wort. Ich kann
hierzu wiederum nur sagen: viel Populismus, wenig
Substanz.

Nun zur Kostenerstattung. Diejenigen, die nach wie
vor am lautesten über die Praxisgebühr klagen, sind ko-
mischerweise nicht die Patienten, die die Gebühr bezah-
len müssen, sondern die Ärzte. Bei manchen hört es sich
an, als ob sie die Sozialhilfeempfänger von morgen wä-
ren.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Was? Solche Berge von Schreiben!)


– Ich weiß es nicht, ich bekomme sie nicht.
Ganz klar wird das bei Ihrer Forderung nach der Ein-

führung der Kostenerstattung. Wir haben den Patienten
mit der Gesundheitsreform die Möglichkeit gegeben, auf
freiwilliger Basis Kostenerstattung zu wählen. Denn die
Kostenerstattung hat auch Nachteile. Deshalb waren und
sind wir der Meinung, dass es alleine dem Patienten
überlassen bleiben muss, ob er die Kostenerstattung
wählt. Kostenerstattung bedeutet nämlich, dass die Pa-
tienten beim Arzt erst einmal alles aus eigener Tasche
bezahlen müssen.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Nein!)

– Natürlich. – Danach müssen sie dann die Rechnung bei
ihrer Kasse einreichen, um sich die Kosten erstatten zu
lassen. Auch das ist bürokratischer Aufwand, nur haben
den dann die Patienten und nicht mehr die Arztpraxen.

Wenn die Patienten freiwillig die Kostenerstattung
wählen, ist das meiner Ansicht nach völlig in Ordnung.
Dazu kommt, dass die Kostenerstattung nach allen bis-
herigen Erfahrungen die Patienten viel teurer kommt als
eine wie auch immer geartete Praxisgebühr. Das liegt da-
ran, dass die Patienten bei der Kostenerstattung erhebli-
che Eigenanteile zuschießen müssten. Ich kann Ihnen ein
Beispiel nennen: Erst vor einigen Wochen wurde be-
kannt, dass in zahlreichen Fällen Kieferorthopäden ihre
Patienten mehr oder weniger gemobbt haben, sich bei
der Abrechnung für die Kostenerstattung zu entscheiden.
Faktisch nutzt eine ganze Reihe von schwarzen Schafen






(A) (C)



(B) (D)


Petra Selg

in der Ärzteschaft die neue Wahlmöglichkeit der Patien-
ten, um Druck auf die Patienten auszuüben.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Ein harter Vorwurf! Starker Tobak!)


Warum ist das so? Das wissen Sie: Die Ärzte können
nämlich höhere Gebührensätze verlangen. Das Problem
dabei ist – ich rate Ihnen, das einmal im „Deutschen
Ärzteblatt“ nachzulesen –, dass es auch bei den Ärzten
einige schwarze Schafe gibt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Erika Lotz [SPD]: Hört! Hört!)


Um das noch einmal ganz klar zu betonen: Wenn sich
ein entsprechend informierter Patient freiwillig dafür
entscheidet, mehr zu bezahlen, dann finde ich das in
Ordnung. Von einer Verpflichtung der Patienten, höhere
Kosten zu übernehmen, halte ich gar nichts.

Diese Beispiele zeigen deutlich, was die Kostenerstat-
tung für die Patienten in der Praxis bedeuten würde:
mehr Aufwand, mehr Kosten. Die Gewinner wären al-
lein die Ärzte. Herr Kolb, das ist mir von Ihrer Partei be-
kannt: Lobbyismus pur. Sie ziehen Gartenzäune um die
Lobbygruppen und kämpfen für sie. Die Patienten hätten
nur Nachteile mit den Forderungen Ihres Antrags gegen-
über all diesen Dingen, die wir hier beschlossen haben.
Ich sage Ihnen bei aller Freundschaft:


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das überlege ich mir noch einmal!)


Das, was Sie in Ihrem Antrag fordern, ist schlicht und
ergreifend nicht umsetzbar. Ich rate Ihnen wirklich, in
Zukunft nicht mehr solche Anträge einzubringen. Sie
sorgen nämlich mit solchen Dingen für Unmut in der Be-
völkerung und tragen eigentlich nichts zur Aufklärung in
der Bevölkerung bei.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1509423600

Das Wort hat die Kollegin Dr. Gesine Lötzsch.


Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1509423700

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-

ren! Sehr geehrte Gäste! Ich bin Abgeordnete der PDS.
Ich bin von Folgendem überzeugt: Wenn diese Regie-

rung bis 2006 überleben will, dann muss sie die Praxis-
gebühr zurückziehen. Ich gehe auch mit Frau Ministerin
Schmidt jede Wette ein, dass entweder die Praxisgebühr
zum Jahresende fällt oder sie als Ministerin bei der
nächsten Kabinettsumbildung zu Fall kommt.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Da können Sie lange warten! – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Dann wird Thönnes Minister!)


Die Praxisgebühr ist für die Menschen der spürbare,
immer wieder sichtbare Beleg für die unsoziale Politik
dieser Bundesregierung. Mindestens einmal im Quartal
denken die Bürgerinnen und Bürger an diese Regierung:
Immer wenn sie den 10-Euro-Schein aus der Tasche zie-
hen, werden sie daran erinnert, dass ihnen nur geholfen
wird, wenn sie vorher bezahlt haben, dass Hilfe immer
die Zahlung von Geld voraussetzt. Dieser kausale
Zusammenhang – erst Geld, dann Hilfe – trägt zur Auf-
lösung unserer noch solidarischen Gesellschaft bei.

Meine Damen und Herren von Rot-Grün, bis zur Bun-
destagswahl sind es noch elf Quartale. Die Bürgerinnen
und Bürger haben also noch elfmal die Gelegenheit,
beim Bezahlen ihrer Praxisgebühr an die rot-grüne Re-
gierung zu denken.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Obwohl die gar nicht von der SPD kommt!)


Herr Müntefering könnte die besten Agenturen des
Landes beauftragen, um das soziale Image der SPD auf-
zubessern, aber die Praxisgebühr wird immer mit der
SPD verbunden bleiben und Ihnen noch viele Wahlnie-
derlagen bescheren. In Hamburg hat Ihnen das die
„Bild“-Zeitung bei der Auswertung der Wahl gleich ins
Stammbuch geschrieben.

Die PDS fordert die Rücknahme der Praxisgebühr.
Wir haben bei vielen Veranstaltungen und auf der Straße
Unterschriften gegen die Praxisgebühr gesammelt. Frau
Ministerin Schmidt hat schon viele Postkarten gegen
diese Gebühr erhalten. Ich biete auch den Kollegen hier
im Saal an, sich ganz unkompliziert diesem Protest an-
zuschließen. Entsprechende Karten sind bei mir erhält-
lich. Sie müssen sie nur ausfüllen.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Dann lesen wir erst einmal das Kleingedruckte!)


– Ja, das Kleingedruckte sollten Sie von der FDP lesen.
Das ist völlig klar.

Um gar keine Missverständnisse aufkommen zu las-
sen und um die Zwischenrufer zu beruhigen, sei gesagt:
Die Forderung: „Weg mit der Praxisgebühr!“ teilen wir
mit der FDP. Unser gesundheitspolitischer Ansatz unter-
scheidet sich natürlich, wie Sie sich vorstellen können,
grundlegend.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Dass ich das noch erleben darf!)


Das Festhalten an der Praxisgebühr ist eine falsche
Strategie. Der Kollege Zöller hat darauf verwiesen, dass
sich nun alle streiten, wer die Praxisgebühr erfunden hat.
Die SPD – das wissen wir alle – wollte nur eine Praxis-
gebühr beim Hausarzt.


(Erika Lotz [SPD]: Nur beim Facharzt! – Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Beim Facharzt, aber dafür höher! Die wollten 15 Euro beim Facharzt!)


Sie haben sich aber bei den Verhandlungen die Praxisge-
bühr bei jedem Arzt von der CDU in Ihre Gesundheitsre-
form hineinschreiben lassen.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Mitgehangen, mitgefangen!)


Das ist ein Kuckucksei; das müssen Sie nun selbst aus-
brüten.






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Gesine Lötzsch

Vielen Dank.


(Beifall der Abg. Petra Pau [fraktionslos] und des Abg. Michael Kauch [FDP])



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1509423800

Ich erteile dem Kollegen Klaus Kirschner, SPD-Frak-

tion, das Wort.


Klaus Kirschner (SPD):
Rede ID: ID1509423900

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!

Herr Kollege Dr. Kolb, in der Überschrift des Antrags
der FDP heißt es lapidar: „Abschaffung der Praxisge-
bühren“. Sie sollten aber deutlich hinzufügen, was wei-
ter unten im Text steht: Erhöhung der Zuzahlungen
durch Einführung der Kostenerstattung. Ihr Antrag ist
deshalb eine Mogelpackung und nichts anderes.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Sie setzen auf das Kurzzeitgedächtnis der Bürgerin-
nen und Bürger; denn wo Sie an Koalitionsregierungen
beteiligt sind – ob in Baden-Württemberg, Rheinland-
Pfalz, Sachsen-Anhalt und bis zum vergangenen
Sonntag in Hamburg – haben Sie diesem Gesetz zuge-
stimmt. Auch das sollten Sie hier einmal deutlich ma-
chen.


(Beifall bei der SPD)

Ich will ganz klar sagen: Das GKV-Modernisie-

rungsgesetz ist kein sozialdemokratisches Gesetz.

(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Was?)


Zuerst war eine Verständigung mit dem Koalitionspart-
ner, den Grünen, notwendig und dann mit der CDU/
CSU, die – wie Sie wissen – auf alle medizinischen Leis-
tungen eine 10-prozentige Gebühr erheben wollte.

Um die Gesundheitsreform über die parlamentari-
schen Hürden zu bringen und sie nicht den unkalkulier-
baren Mühlen des Vermittlungsausschusses zu überlas-
sen – das ist dort wie auf hoher See und vor Gericht; in
diesen Fällen befindet man sich in Gottes Hand –, wurde
von allen Beteiligten – das ist klar – Kompromissbereit-
schaft abverlangt. Herr Dr. Kolb, Ihre Kollegen von der
FDP waren dazu nicht bereit und haben den Verhand-
lungstisch verlassen.


(Erika Lotz [SPD]: Gekniffen!)

Sie wollten im Grunde genommen mehr Privatisie-

rung und damit noch höhere Zuzahlungen. Es ist deshalb
unredlich, wenn Sie sich jetzt als Anwälte der Patienten
aufspielen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


In der Begründung Ihres Antrags heißt es – das muss
man sich einmal vor Augen halten –:

Um Akzeptanz in der Bevölkerung für die notwen-
dige Eigenbeteiligung zu schaffen, bedarf es des-
halb einer sozial ausgewogenen transparenten, ein-
fachen und unbürokratischen Lösung im Rahmen
der Kostenerstattung.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Stimmt!)

Das muss man sich einmal auf der Zunge zergehen las-
sen. Wie soll das denn unbürokratisch erfolgen? Die
Verwaltungskosten in der privaten Krankenversiche-
rung, bei denen das Kostenerstattungsprinzip gilt, sind
mehr als doppelt so hoch wie die in der gesetzlichen
Krankenversicherung.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Aber doch nicht deswegen! – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Wieder einmal keine Ahnung und dann solche Anträge stellen!)


Herr Kollege Dr. Kolb, freiwillig Versicherte in der
GKV, die bereits bisher die Möglichkeit hatten, Kosten-
erstattung zu wählen, zahlen mehr. Ich will dies an ei-
nem Beispiel verdeutlichen. Ein Patient bekommt von
seiner gesetzlichen Krankenversicherung gemäß Ab-
rechnung EBM für eine Behandlung beim Arzt 70 Euro
erstattet. Der Arzt kann aber vom Patienten nach der Ge-
bührenordnung für Ärzte 100 Euro verlangen. Die Diffe-
renz von 30 Euro trägt der Patient. Das ist das Prinzip
der Kostenerstattung. Zusätzlich zieht die Kasse noch
7 bis 8 Prozent für Verwaltungskosten und fehlende
Wirtschaftlichkeitsprüfungen ab. Das sind noch einmal
5 Euro für den Versicherten. Das macht zusammen
35 Euro. Das ist mehr als das Dreifache der Praxisge-
bühr, die Sie jetzt abschaffen wollen. Da wollen Sie noch
behaupten, das sei einfacher und unbürokratischer?


(Beifall bei der SPD – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das überzeugt nicht! – Michael Kauch [FDP]: Zwischenfrage!)


– Herr Präsident, ein Kollege will eine Zwischenfrage
stellen. Bitte schön.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1509424000

Offenkundig gibt es ein informelles Einvernehmen

zwischen dem Redner und dem präsumtiven Fragestel-
ler. Dem will ich nicht im Wege stehen. Bitte schön.


Michael Kauch (FDP):
Rede ID: ID1509424100

Herr Kollege, da Sie uns hier die bürokratischen Las-

ten der Kostenerstattung erläutern, möchte ich Sie fra-
gen: Können Sie uns auch erläutern, wie hoch die Ver-
waltungskosten für das Sachleistungsprinzip in der
gesetzlichen Krankenversicherung sind?


Klaus Kirschner (SPD):
Rede ID: ID1509424200

Verehrter Herr Kollege, ich habe gerade versucht, es

zu erläutern. Die gesetzlichen Krankenkassen haben im
Schnitt Verwaltungskosten in Höhe von ungefähr
5 Prozent. In der privaten Krankenversicherung liegen
sie bei ungefähr 11 Prozent.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Hört! Hört! – Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: So stimmt es aber nicht!)







(A) (C)



(B) (D)


Klaus Kirschner

Ist das klar? – Der PKV-Zahlenbericht weist das nach.
Das ist eine unverdächtige Quelle. Ich bin gerne bereit,
Ihnen die entsprechenden Unterlagen zur Verfügung zu
stellen.

Damit das klar ist: Für die SPD ging und geht es da-
rum, die Praxisgebühr als Steuerungsinstrument einzu-
setzen. Die jetzige Regelung kann von den Patienten da-
durch beeinflusst werden – auch dies muss deutlich
gesagt werden –, dass sie sich gegenüber ihrer Kasse
verpflichten, zuerst den Hausarzt aufzusuchen – jede
Krankenkasse muss ihren Versicherten ein Hausarztpro-
gramm anbieten –, oder dass sie sich in ein strukturiertes
Behandlungsprogramm einschreiben. Ich nenne die
Stichworte Diabetes, Brustkrebs, Herz-Kreislauf- oder
Asthma- und Lungenerkrankungen. Diese Programme
sind bereits vorhanden oder im Werden.

Es liegt im Ermessen der Kassen – auch das haben
wir in diesem Gesetz der Selbstverwaltung zugebilligt –,
die Zuzahlungen und Praxisgebühren zu reduzieren oder
ganz zu streichen. Durch diese so genannten Disease-
Management-Programme und die hausarztzentrierte Ver-
sorgung werden die Kosten gesenkt und wird gleichzei-
tig die Qualität der Behandlung verbessert. Das, Herr
Kollege Dr. Kolb und verehrte Kolleginnen und Kolle-
gen von der FDP, ist der Unterschied zu Ihrer Forderung
nach Kostenerstattung. Dass Qualitätsverbesserungen
dringend notwendig sind, hat der Präsident der Deut-
schen Krebsgesellschaft, Professor Höffken, wie Sie alle
dieser Tage in Interviews lesen konnten, verdeutlicht. Im
„Spiegel“ vom 22. Februar 2004 sagte er auf die Frage
nach der Versorgungsqualität bei deutschen Krebspatien-
ten:

Im europäischen Vergleich ist Deutschland bei sehr
vielen bösartigen Erkrankungen nur noch
Mittelmaß – und wir drohen noch weiter abzustür-
zen.

Ich sage dies deshalb, weil ich denke, dort gilt es an-
zusetzen und nicht bei der Kostenerstattung. Denn die
von Ihnen geforderte Kostenerstattung ändert an dem
zentralen Problem unserer Gesundheitsversorgung
nichts.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Die Qualität wird durch Kostenerstattung um keinen
Deut besser; aber die Patienten zahlen mehr zu.

Sie bekommen für Ihren Antrag nur so lange Beifall,
bis die Patienten die Rechnung in der Hand halten und
dann in Euro und Cent spüren, was für ein Kuckucksei
ihnen die FDP ins Nest zu legen versucht. Ihr Vorsitzen-
der, Kollege Westerwelle, will hier offensichtlich Ver-
sprechungen an die Leistungserbringer einlösen. Ich will
daran erinnern, dass er dem Ärzteverband Hartmann-
bund im Oktober 2001 gesagt hat – das ist im „Spiegel“
vom 22. Juli 2002 nachzulesen –: „Ich will Ihnen zeigen,
dass wir auf Sie hören.“


(Erika Lotz [SPD]: Ui, ui, ui!)

Das ist offensichtlich die Handlungsmaxime. Möglicher-
weise haben Sie auch auf den Bundesärztekammerpräsi-
denten Professor Hoppe gehört, der die Praxisgebühr ab-
lehnt, weil sie angeblich das Arzt-Patienten-Verhältnis
belaste.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Ja!)

– Sagen Sie nicht so schnell Ja! – Die Igel-Leistungen,
die individuellen Gesundheitsleistungen, belasten offen-
sichtlich das Arzt-Patienten-Verhältnis nicht, bei denen
die Patienten dann noch mehr bezahlen. Bevor Sie Ja sa-
gen, wäre ich ein bisschen zurückhaltend, Herr Kollege
Dr. Kolb. Derselbe Professor Hoppe hat am 4. Juli
2003 – das ist noch gar nicht so lange her – der „Berliner
Zeitung“ erklärt: „Ich plädiere für eine generelle Gebühr
bei Arztbesuchen.“

Was hier gemacht wird, ist Standespolitik nach der
Methode: Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht
nass! Ich rate Ihnen: Sie sollten nicht darauf hereinfal-
len. Meine Damen und Herren von der FDP, Hörigkeit
gegenüber den Leistungserbringern im Gesundheitswe-
sen zahlt sich auch für Sie nicht aus.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1509424300

Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf

Drucksache 15/2351 an den Ausschuss für Gesundheit
und Soziale Sicherung vorgeschlagen. Ich nehme an,
dass Sie damit einverstanden sind. – Das ist der Fall.
Dann ist die Überweisung so beschlossen.

Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 12 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
über die Errichtung des Bundesamtes für Be-
völkerungsschutz und Katastrophenhilfe
– Drucksache 15/2286 –

(Erste Beratung 86. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Innenaus-
schusses (4. Ausschuss)

– Drucksache 15/2608 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Gerold Reichenbach
Beatrix Philipp
Silke Stokar von Neuforn
Gisela Piltz

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist auch
für diese Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. –
Ich höre dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so be-
schlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zu-
nächst dem Parlamentarischen Staatssekretär Fritz
Rudolf Körper.






(A) (C)



(B) (D)


Fr
Fritz Rudolf Körper (SPD):
Rede ID: ID1509424400

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir kön-

nen heute das Gesetz über die Errichtung des Bundes-
amtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe
verabschieden. Mit dieser Neustrukturierung des Zivil-
schutzauftrages des Bundes ziehen wir nicht nur eine or-
ganisatorische Konsequenz aus der mit den Ländern auf
der Innenministerkonferenz im Juni 2002 verabredeten
„Neuen Strategie zum Schutz der Bevölkerung in
Deutschland“. Wir setzen zugleich auch politisch, so
meinen wir, ein deutliches Zeichen für die neue Wertig-
keit des Zivil- und Katastrophenschutzes. Der zivile Be-
völkerungsschutz wird mit der neuen Behörde nun auch
organisatorisch als wesentliches Element im nationalen
Sicherheitssystem herausgestellt und gewürdigt.

Wir haben bewusst und ausdrücklich die Form eines
Errichtungsgesetzes gewählt, um die politische Bedeu-
tung des neuen Amtes und der von ihm wahrgenomme-
nen Aufgaben herauszustreichen. Die Länder haben auf
der Innenministerkonferenz im Dezember 2002 die Ab-
sicht des Bundes – das soll hier festgehalten werden –,
ein solches Amt einzurichten ausdrücklich begrüßt.

Das neue Amt versteht sich als Dienstleistungszen-
trum des Bundes für die Behörden aller Verwaltungsebe-
nen sowie für die im Bevölkerungsschutz mitwirkenden
Organisationen und Institutionen. Leitprinzipien des
neuen Bundesamtes sind insbesondere: Unterstützung
bei der Vorsorgeplanung, besseres Informations- und
Koordinationsmanagement, insbesondere eine effiziente
Bund-Länder-Zusammenarbeit bei so genannten groß-
flächigen Gefahrenlagen, optimale Warnung der Be-
völkerung, Stärkung der Selbsthilfefähigkeit der Be-
völkerung, intensiver Wissenstransfer, Ausbildung,
Fortbildung, Krisenmanagementtraining sowie die um-
fassende Abbildung und Bewertung der Lage im Einzel-
fall.

Das neue Bundesamt ist keine bloße Wiederauflage
des früheren Bundesamtes für Zivilschutz. Anders als je-
nes ist es nicht auf den so genannten V-Fall fokussiert.
Es wird vielmehr alle Bereiche der zivilen Sicherheits-
vorsorge fachübergreifend berücksichtigen und zu ei-
nem wirksamen Schutzsystem für die Bevölkerung und
ihre Lebensgrundlagen verknüpfen.

Es ist damit nicht nur Fachbehörde des Bundesinnen-
ministeriums, sondern berät und unterstützt kompetent
auch die anderen Bundes- und Landesbehörden bei der
Erfüllung ihrer Aufgaben. Die Bezeichnung „Bevölke-
rungsschutz“ soll diesen übergreifenden Ansatz verdeut-
lichen. Der weitere Namensbestandteil „Katastrophen-
hilfe“ verweist ebenfalls auf eine neue Akzentsetzung,
nämlich auf das Angebot des Bundes zur Unterstützung
des Krisenmanagements der Länder bei großflächigen
Gefahrenlagen. Der Bund wird hierfür verstärkt Infor-
mations- und Koordinationsfunktionen vorhalten. Da-
rum hat die Innenministerkonferenz insbesondere im
Lichte des Sommerhochwassers 2002 gebeten.

In diesem Zusammenhang möchte ich eines unmiss-
verständlich klarstellen und damit auch einer gelegent-
lich geäußerten Befürchtung eindeutig entgegentreten:
Mit der Errichtung des neuen Bundesamtes maßt sich
der Bund keine neuen Zuständigkeiten an. Umverteilun-
gen von Zuständigkeiten im Zivil- und Katastrophen-
schutz zwischen Bund und Ländern sind mit dem neuen
Bundesamt weder vorgesehen noch verbunden. Das neue
Bundesamt soll und will den Ländern Koordinations-
und Informationshilfe leisten. Die operativen Kompe-
tenzen und Verantwortlichkeiten der Länder bleiben da-
von unberührt.

Das neue Bundesamt ist zugleich aber auch Ausdruck
der neuen gemeinsamen Verantwortung des Bundes und
der Länder für großflächige Gefahrenlagen, wie sie der
Philosophie der neuen Strategie entspricht. Gemeinsame
Verantwortung besteht also im Sinne eines partnerschaft-
lichen Zusammenwirkens über föderale Grenzen hin-
weg.

Wesentliche Einrichtungen des neuen Bundesamtes
sind Ausfluss dieser neuen Kooperation. Ich nenne nur
– die Gemeinsamkeit kommt schon im Namen zum Aus-
druck – das Gemeinsame Lage- und Meldezentrum des
Bundes und der Länder. Das GLMZ soll vor allem – dies
ist eine der wichtigsten Erfahrungen, die wir bei dem
Management der Hochwasserkatastrophe im Sommer
2002 gemacht haben – das Ressourcenmanagement, ins-
besondere das Management von Engpassressourcen, von
Bund und Ländern bei großflächigen Gefahrenlagen un-
terstützen.

Das ist nur ein Beispiel für den Weg, den wir gewählt
und beschritten haben. Wir streiten nicht um Kompeten-
zen oder um die Frage, wie eine Auslegung der Verfas-
sung anzugehen ist, sondern arbeiten pragmatisch ge-
meinsam im Sinne eines effektiven und effizienten
Helfens. Ich bitte um Ihre Unterstützung.

Schönen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1509424500

Das Wort hat die Kollegin Beatrix Philipp, CDU/

CSU-Fraktion.


Beatrix Philipp (CDU):
Rede ID: ID1509424600

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-

ren! Herr Staatssekretär, dass ich mit Ihnen – wenn auch
nur in Teilen; darauf komme ich gleich noch zu spre-
chen – einer Meinung sein würde, hätte ich mir vor eini-
ger Zeit noch nicht träumen lassen.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das liegt aber an Ihnen, Frau Philipp! – Gisela Piltz [FDP]: Muss ich mir Sorgen machen?)


Wir werden gleich merken, wer lernfähig ist.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1509424700
Es

reicht nicht – das wissen wir alle –, das Türschild zu än-
dern; es muss auch jemand Neues einziehen.


(Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast [SPD]: Wer sagt denn das?)







(A) (C)



(B) (D)


Beatrix Philipp

Man muss schon genau hinsehen. Ich habe bei Ihrer
Rede genau hingehört. Ich komme darauf gleich im Ein-
zelnen zu sprechen. Damit Sie sich beruhigen: Wir stim-
men dem Gesetzentwurf zu, betrachten ihn allerdings
nur als einen ersten Schritt.

Herr Staatssekretär, es ist ein Skandal – ich habe das
gestern im Ausschuss deutlich gesagt – und hilft der
Glaubwürdigkeit dieser Bundesregierung überhaupt
nicht, wenn Sie schon bei den ersten Schritten, nämlich
bei der Auswahl des Vizepräsidenten, die Fachkompe-
tenz nicht an die oberste Stelle der Prioritätenliste set-
zen. Die vorgesehene Besetzung der Stelle des Vizeprä-
sidenten des neuen Bundesamtes halten wir vor allem
aus fachlichen Gründen für falsch. Unserer Auffassung
nach widerspricht es dem Sinn und dem Zweck des Ge-
setzes, wenn schon in der Anfangsphase bei der Beset-
zung der Spitze des Amtes nicht nach eindeutig fachli-
chen Kriterien verfahren wird.

Noch weniger ist zu akzeptieren, dass die Koalition
für diesen Vizepräsidenten – und nur für ihn – auch noch
eine gesetzliche Ausnahme bezüglich der Besoldung
machen will.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Unerhört!)

Es heißt in dem Änderungsantrag:

Das Amt steht nur für den ersten Amtsinhaber zur
Verfügung.

Unter „Hinweis“ heißt es weiter:
Die Regelung stellt sicher, dass das Amt nach dem
Ausscheiden des ersten Amtsinhabers nicht mehr
verliehen werden kann.

Das ist eigentlich nicht in Ordnung

(Norbert Geis [CDU/CSU]: Nicht nur „eigent lich“! Das ist nicht in Ordnung!)

und dient nicht der vom Staatssekretär geäußerten Ziel-
setzung dieses Verfahrens.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Insofern beziehen sich meine zustimmenden Äußerun-
gen ausschließlich auf die inhaltlichen Anliegen des Ge-
setzes. Den Änderungsantrag haben wir schon gestern
im Ausschuss abgelehnt.

Herr Staatssekretär, wie gesagt, ist es leider sehr sel-
ten, dass wir als Opposition einem Gesetzentwurf der
Bundesregierung zustimmen. Es ist auch sehr selten,
dass der Bundesrat keine Einwendungen erheben muss.
Für den vorliegenden Gesetzentwurf trifft beides zu. Er
wird – wenn auch nur in Teilen – einer alten Forderung
der Union Rechnung tragen.

Ich habe schon öfter gesagt: Zivil- und Katastro-
phenschutz eignen sich nicht für parteipolitische Ausei-
nandersetzungen.


(Zuruf von der CDU/CSU: Sehr wahr!)

Leider wurde durch die Geschehnisse der letzten Jahre
auf schmerzhafte Weise ins Bewusstsein der Bevölke-
rung gehoben, dass mehr getan werden muss. Dabei
spielt überhaupt keine Rolle, ob es sich um Naturkata-
strophen oder um unmittelbar von Terroristen herbeige-
führte Katastrophen wie etwa in New York handelt.

Unsere eben erwähnte Zustimmung beruht allerdings
auch darauf, dass es, wie auch Sie ausgeführt haben, eine
gemeinsame Rahmenkonzeption gibt, die die Innenmi-
nisterkonferenz im Juni 2002 beschlossen hat. Die vor-
gesehene Bündelung von Fachkompetenz unter einem
Dach ist die richtige Konsequenz in Bezug auf die aktu-
elle Lage und nach den Erkenntnissen der Vergangen-
heit.

Nun wurde die Regierungskoalition in Sachen Behör-
denumbildung, -verlegung und -umstrukturierung in
letzter Zeit nicht nur gelobt, sondern auch heftig kriti-
siert, und zwar zu Recht. Ich denke nur an das Bundes-
kriminalamt. Aber dieser Fall liegt anders. Insofern un-
terscheidet sich unsere Auffassung von derjenigen der
FDP.

Erstens. Der Kern des neuen Amtes, die Zentral-
stelle, ist bereits an Ort und Stelle.

Zweitens. Es kommt eine eigene – jedenfalls ist uns
das so zugesagt worden –, unabhängige, praxisbezogene
und konzentrierte Führung hinzu. Das Personal wird für
weitere konkrete Aufgaben aufgestockt werden; auch
das ist uns zugesagt worden. Überdies soll mit dem Bun-
desverwaltungsamt eine Verwaltungseinheit gebildet
werden, sodass Synergieeffekte – so heißt das, glaube
ich – genutzt werden und nicht zu viel Manpower für
Verwaltungstätigkeit erforderlich sein wird.

Drittens. Die eigenständige Führungsebene wird die
Aufgabe haben, das Thema Zivil- und Katastrophen-
schutz weiter voran- und auf den neuesten Stand zu brin-
gen. Deswegen können wir dieser Vorlage zustimmen.
Der Bevölkerungsschutz muss einen eigenen Kopf be-
kommen; denn bei der Manöverkritik nach der Flutkata-
strophe ist deutlich geworden – ich darf Herrn von
Kirchbach zitieren –:

Einen Mangel an Hilfskräften hat es nicht gegeben.
Es fehlte aber an einer vorausschauenden Planung
und dem sachgerechten Einsatz dieser Kräfte auf al-
len Ebenen.

Erforderlich sei „eine adäquate Führung auf höherer
Ebene“ und „eine verantwortungsvolle Koordination der
Zusammenarbeit mit anderen Ländern“.

Deswegen glaube ich, damit werden jetzt die Voraus-
setzungen geschaffen, um einem solchen Anspruch bzw.
vielleicht nachträglich festgestellten Verbesserungsmög-
lichkeiten Rechnung zu tragen. Auch empfehle ich die
Lektüre des Briefes des Deutschen Feuerwehrverbandes,
den wir wohl alle gestern bekommen haben. Es reicht si-
cherlich nicht aus, den Mund nur zu spitzen. Wir müssen
auch pfeifen. Das meine ich in Bezug auf die Ausstat-
tung der Feuerwehr. Hier besteht Handlungsbedarf.


(Zuruf von der SPD)

– Wie bitte? Nicht reden, sondern handeln. Das habe ich
schon öfter gesagt.


(Beifall bei der CDU/CSU)







(A) (C)



(B) (D)


Beatrix Philipp

Viertens. Bei der Zentralstelle Zivilschutz des Bun-

desverwaltungsamtes, dem Vorläufer des neuen Amtes,
ist als Erstreaktion auf die eben beschriebenen Defizite
richtigerweise das Gemeinsame Melde- und Lagezen-
trum geschaffen worden. Das ist ein guter Anfang. Auch
das wurde hier schon mehrfach festgestellt. Aber es muss
ein gemeinsames Einsatzzentrum des Bundes und der
Länder hinzukommen, um schnell auf aktuelle Erforder-
nisse und Erkenntnisse reagieren zu können oder um im
Zweifelsfall auch schon im Vorhinein einzuüben, was in
solchen möglicherweise bevorstehenden Katastrophen-
fällen passiert. Ein solches Einsatzzentrum muss alle
Kräfte des Bundes unter sich bündeln: THW, Bundes-
grenzschutz, Bundeswehr, die Dienste der Länder und
die Kräfte der zahlreichen nicht staatlichen Hilfsorgani-
sationen. Ich denke, auch das ist eine ganz wichtige Vor-
aussetzung, um diese Truppe schlagkräftig zu machen.

Diese Aufgabenerweiterung haben wir schon mehr-
fach gefordert. Wenn man es mit dem Zivil- und Kata-
strophenschutz ernst meint, wird es auch eine Ausgaben-
erweiterung geben müssen. Nur das Schild, das draußen
hängt, zu verändern, reicht nicht aus. Wir geben die
Hoffnung nicht auf und bitten die Bundesregierung, die
dazu notwendigen Abstimmungen mit den Ländern in
Angriff zu nehmen. Nun wissen wir alle, die wir hier sit-
zen, dass die Länder sehr darauf achten, dass sich, was
ihre Kompetenzen angeht, nicht allzu viel verändert.
Aber auch hier geben wir die Hoffnung nicht auf. Es gibt
fraktionsübergreifende Bestrebungen, hier zu neuen Re-
gelungen zu kommen. Das wäre sicherlich ein Punkt,
den man in die gemeinsamen Überlegungen einfließen
lassen kann.

Auch Innenminister Schily scheint in diese Richtung
zu denken. Denn wenn ich ihn richtig verstanden habe,
hat er in seiner Rede zur Eröffnung des 7. Europäischen
Polizeikongresses erklärt: Die neue Strategie soll zwar
keine neuen Zuständigkeiten schaffen. Aber die Bürge-
rinnen und Bürger erwarten im Notfall kein Kompetenz-
gerangel,


(Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast [SPD]: So ist es! Das kann man unterstreichen!)


sondern wirkungsvolle Hilfe.
Meine Damen und Herren, dafür brauchen wir hier

eine neue Konstruktion. Ohne eine gemeinsame Einsatz-
zentrale, der für Großschadensereignisse klare Kompe-
tenzen zugewiesen werden, wird es immer wieder Kom-
petenzgerangel und Koordinierungsprobleme geben.
Darauf ist auch gestern im Ausschuss mehrfach hinge-
wiesen worden.

Fünftens. Wir brauchen eine Anpassung der Geset-
zeslage. Auch darüber ist hier im Haus schon mehrfach
gesprochen worden. Wenn das neue Bundesamt wirklich
ein Erfolg werden soll, dann brauchen wir zum Schutz
der Menschen eine Reform, die ausnahmsweise eine
werden könnte, die die Bevölkerung als nachvollziehbar
und zielführend erkennt. Eben haben wir über eine Re-
form gesprochen, bei der das nicht unbedingt der Fall ist.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Daher lehne ich mich an den Bericht des Innenminis-
ters zur Errichtung des neuen Amtes an. Das bedeutet in
Bezug auf die Namensgebung, dass es auch eine neue
Akzentsetzung geben muss. Ich kann nur immer wieder
an die Bundesregierung appellieren, das, was dort zu le-
sen ist, auch in die Tat umzusetzen. In Bezug auf die
neue Strategie bin ich so optimistisch, weil die Innenmi-
nisterkonferenz – wenn ich das gleich hinzufügen darf:
unter Punkt 8 – eine Revision der einschlägigen Normen
vorgeschlagen hat. Die Grundsätze des Föderalismus
müssen dabei selbstverständlich eingehalten werden.

Auf die Dauer wird ein adäquates und rechtzeitiges
Mitwirken der Bundeswehr erforderlich sein. Daher
fordern die Innenminister der Union zu Recht eine Än-
derung des Grundgesetzes in den Bereichen der Amtshil-
fevoraussetzungen des Bundes sowie der Erfassung von
Gefahren aus der Luft und von Gefahren von See her.
Darüber ist hier ebenfalls schon gesprochen worden.


(Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast [SPD]: Das gibt das Grundgesetz her!)


Auch hier bin ich guten Mutes, dass wir eine gemein-
same Lösung finden werden. Denn ich glaube, dass eine
gemeinsame Lösung auch eine sachgerechte Lösung
wäre. Im Bereich der Gefahrenprävention brauchen wir
klare Zuständigkeiten und klare Aufgabenverteilungen.
Deswegen können wir uns nicht darum herummogeln.

Wir wissen aus eigener Erfahrung, dass die Bundes-
wehr ein integraler Bestandteil der erweiterten Katastro-
phenhilfe ist. Insofern ist, wie gesagt, unschwer zu
erkennen, dass das neue Bundesamt für Bevölkerungs-
schutz dringend in Angriff genommen werden muss. Im
Schwerpunktepapier im Einzelplan 06, Herr Staatssekre-
tär, wird von der neuen Wertigkeit des zivilen Bevölke-
rungsschutzes gesprochen. Es wird Aufgabe der Bundes-
regierung sein, diesem Anspruch gerecht zu werden. Sie
können sich darauf verlassen, dass die Union bei diesem
wichtigen Thema immer wieder nachhaken wird, bis alle
Hausaufgaben gemacht und alle Versprechungen einge-
löst worden sind. Wir werden unseren Beitrag zu einem
effektiveren Schutz der Menschen in Deutschland leis-
ten.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1509424800

Ich erteile das Wort der Kollegin Silke Stokar, Bünd-

nis 90/Die Grünen.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Werte
Frau Kollegin Philipps!


(Beatrix Philipp [CDU/CSU]: Ohne „s“! Sonst verwechselt man mich!)


– Philipps, genau, und Stokar mit langem „o“: Das krie-
gen wir alles noch hin!






(A) (C)



(B) (D)


Silke Stokar von Neuforn

Es wird Sie sicherlich nicht verwundern, dass ich un-

serem sehr verehrten Herrn Staatssekretär Körper in al-
len Punkten zustimme. Ich habe auch im Innenausschuss
bereits gesagt, dass ich es sehr begrüße, dass zumindest
wir uns in der Frage des Bevölkerungsschutzes und der
Katastrophenhilfe parteiübergreifend einig sind. In dem
Zusammenhang, dass wir einen einmütigen Beschluss
der Innenministerkonferenz umsetzen und es kein einzi-
ges Bundesland gibt, das Kritik vorgebracht hat, ver-
stehe ich allerdings nicht, dass sich einzig und allein die
FDP-Bundestagsfraktion sich dem inhaltlich nicht an-
schließen kann. Was immer Sie hier an Begründungen
anführen mögen –


(Gisela Piltz [FDP]: Besser als Sie das können!)


ich habe manchmal das Gefühl, es geht Ihnen um Oppo-
sition um der Opposition willen: Wenn alle dafür sind,
muss auch jemand dagegen sein!

Ich denke, dass es nicht notwendig ist, hier an die rot-
grüne Bundesregierung zu appellieren. Wenn Sie den
Prozess richtig mitverfolgt haben, ist Ihnen nicht verbor-
gen geblieben, dass wir in diesem Bereich wesentlich
mehr gemacht haben, als nur Türschilder auszuwechseln.

Ich möchte ein paar Punkte benennen, wo wir neue
Aufgaben übernommen haben und Serviceleistungen für
die Länder und für die Kommunen anbieten. Das Deut-
sche Notfallvorsorge-Informationssystem, das be-
rühmte DENIS, ist bereits in Betrieb und wird weiter
ausgebaut. In diesem Zusammenhang ist es, denke ich,
wichtig, einmal zu sagen: Es reicht nicht, wenn die Bun-
desregierung und der Bund in diesem Bereich ihre Auf-
gaben erfüllen und die Eckpunkte der neuen Strategie
umzusetzen. Es ist ganz besonders wichtig – ich weiß,
wie schwer sich einige Kommunen und Länder da tun –,
dass jetzt die nötigen Informationen von unten bereitge-
stellt werden. Für das Informationssystem müssen wir
natürlich wissen, über welche Ressourcen wir in einem
großen Unglücksfall im Lande verfügen. Dafür brauchen
wir vernünftige Informationen aus den Kommunen. Die
Kommunen tun sich schwer. Ich weiß aus der Region
Hannover, wie lange es gedauert hat, ein regionales Zen-
trum aufzubauen. Auch wenn die Zielrichtung richtig ist
– es wird noch eine Weile dauern, bis wir hier ein ge-
meinsames Bund-Länder-Lagezentrum haben.

Ich möchte auf zwei Aspekte noch besonders hinwei-
sen. Ein neuer Punkt, der oft unterschätzt wird, den ich
aber für besonders erwähnenswert und lobenswert halte,
ist der Ausbau der Akademie für Krisenmanagement,
Notfallplanung und Zivilschutz. In den anderen euro-
päischen Ländern gibt es eine erweiterte Katastrophen-
forschung bereits. Es ist ganz wichtig, dass wir über die
Akademie den internationalen wissenschaftlichen Aus-
tausch verbessern. Wir haben bereits länderübergrei-
fende Übungen gemacht; das reicht aber nicht. Solche
gemeinsamen Übungen sehen in den Medien immer
schön aus; es ist aber wichtig, dass diese Übungen im
Nachhinein gemeinsam ausgewertet werden. Genauso
wichtig ist in diesem Bereich, dass eine wissenschaftlich
fundierte Risikoanalyse gemacht wird.

All dies wird nur funktionieren, wenn wir gemeinsam
daran arbeiten, die bürgerschaftliche Selbsthilfe tat-
sächlich auszubauen. Es reicht nicht – ich habe das in
meiner ersten Rede hier auch zum Ausdruck gebracht –,
zu sagen: Selbstverständlich danken wir allen Menschen
und sprechen ein Lob für alle Menschen aus, die in die-
sem Bereich ehrenamtlich tätig sind. Ich denke, wir alle
müssen noch mehr Überlegungen und Konzepte einbrin-
gen, nicht nur auf Bundesebene, sondern auch auf Län-
der- und kommunaler Ebene, damit wir wirklich zu einer
Stärkung des Ehrenamtes kommen; denn diese wichti-
gen Aufgaben können wir in Zukunft nur dann bewälti-
gen, wenn wir trotz einer älter werdenden Gesellschaft
genug Menschen finden, die sich in diesen Bereichen
weiter ehrenamtlich engagieren.

Letzter Punkt. Meine Damen und Herren, zur bürger-
schaftlichen Selbsthilfe gehört, die Erste-Hilfe-Ausbil-
dung schon in den Kindergärten zu beginnen, wie es
längst in anderen Ländern üblich ist, sie aber auch in den
Schulen auszuweiten, damit man von klein auf lernt, zu
sagen: Es ist richtig, zu helfen, und ich bin kompetent
und kann helfen.

Danke schön.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1509424900

Ich erteile das Wort der Kollegin Gisela Piltz, FDP-

Fraktion.


Gisela Piltz (FDP):
Rede ID: ID1509425000

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!

Der Bundesinnenminister hat offensichtlich ein neues
Betätigungsfeld für seine Beamten gefunden: das Um-
zugskistenpacken.


(Ernst Burgbacher [FDP]: Das ist wohl wahr!)

Aus unterschiedlichen Gründen müssen der BND, das
BKA und jetzt auch noch das Bundesamt für Bevölke-
rungsschutz umziehen; denn es gibt den Wunsch, dass
das Amt dahin zieht, wo jetzt ein anderes ist. Da, wo es
ist, kann es – nach bisherigen Aussagen – eigentlich
kaum bleiben.

Die FDP lehnt diesen Gesetzentwurf nicht etwa des-
halb ab, weil wir die Bedeutung des Bevölkerungsschut-
zes gering schätzen würden oder die Gefahr von terroris-
tischen Anschlägen herunterspielen wollten.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das müssen Sie den Organisationen erklären!)


Gerade weil wir dieses Thema besonders ernst nehmen
und uns energisch für den effektiven Schutz der Bevöl-
kerung in Großgefahrenlagen einsetzen, sind wir gegen
das Bundesamt in dieser Form.


(Beifall bei der FDP)

Die Hoffnung der CDU/CSU, die Sie, Frau Kollegin
Philipp, hier geäußert haben, reicht der FDP nicht aus.


(Zuruf von der CDU/CSU: Wir sind auch Christen! Die Hoffnung ist das Letzte, was wir aufgeben!)







(A) (C)



(B) (D)


Gisela Piltz

Zu unseren Gründen. Die Behörde, um die es hier

geht – ob als eigenes Bundesamt oder eingebettet in das
Bundesverwaltungsamt – wird überhaupt nicht operativ
tätig und hat auch keine diesbezüglichen Kompetenzen.
Die Organisation der Hilfskräfte bei der Oderflut wäre
deshalb genauso wenig ihre Aufgabe, wie es die Einsatz-
leitung bei einem terroristischen Anschlag wäre. Das
Bundesamt für Bevölkerungsschutz soll ausschließlich
die Zusammenarbeit von Bund und Ländern in besonde-
ren Gefahrenlagen vorbereiten. Es fungiert also als rei-
ner Planungsstab.

Ohne die Wichtigkeit dieser Aufgabe in Abrede zu
stellen: Bis heute hat uns niemand überzeugend darstel-
len können, warum für diese Aufgaben ein neues Amt
unbedingt notwendig ist.


(Beifall bei der FDP)

Wenn ich das so sagen darf: Ich habe noch kein einziges
Mal erlebt, dass mit einem Amt irgendetwas besser ge-
worden wäre in Deutschland.


(Beifall bei der FDP)

Für diese Aufgaben braucht man intelligente Planer

und kompetente Katastrophenschützer, die zweifellos
vorhanden sind. Auf welche Weise sie aber in die Ver-
waltungsstruktur eingegliedert sind, ist für das Ergebnis
nur sekundär. Ein politisches Signal allein reicht aus un-
serer Sicht nicht aus, die Erfüllung der Aufgaben in die-
sem Bereich zu verbessern. Vieles von dem, was Sie ge-
sagt haben, teilen wir; aber dafür brauchen Sie wirklich
kein Amt.

Ich darf Sie weiter daran erinnern, dass Sie erst 2001
das bisherige Bundesamt – zugegeben mit anderer Ziel-
richtung – mit der Begründung Synergie- und Rationali-
sierungseffekte aufgelöst haben. Mit der gleichen Be-
gründung schaffen Sie jetzt ein neues Amt. Diesen
Zickzackkurs muss mir einmal jemand erklären.

Am meisten habe ich mich aber über den Änderungs-
antrag der Koalition gewundert. Die zusätzlichen
1,7 Millionen Euro wurden ohnehin nur für die Lei-
tungsebene in den Haushalt eingestellt. Das hat eine An-
frage von uns bereits im Dezember ergeben. Jetzt besit-
zen Sie sogar noch die Dreistigkeit – so muss ich es aus
meiner Sicht nennen –, dort einen besonders besoldeten
Vizeposten einzurichten. Das ist ein Deckmantel für
Personalschacher und dient nicht dem Schutz der Bevöl-
kerung.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Ernst Burgbacher [FDP]: Unglaublich! – Zuruf von der CDU/CSU: Das ist Unterbringung!)


Deshalb sind wir auch dagegen.
Noch schlimmer ist: Auch die Sacharbeit wird durch

die Umzugsgerüchte behindert. Das sieht man schließ-
lich auch am BKA. So teuer wie beim BKA wird der
Umzug nicht werden, aber immerhin: Er wird die Mitar-
beiter von der Arbeit abhalten.


(Michael Hartmann [Wackernheim] [SPD]: Wie teuer wird es denn?)

Besser wäre es, weitere Mittel in die Ausstattung zu ste-
cken – das ist hier bereits gesagt worden –, nämlich zum
Beispiel in den BOS-Digitalfunk, der beim Zivil- und
Katastrophenschutz dringend gebraucht wird.


(Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast [SPD]: Wer bezweifelt das denn?)


Herr Präsident, ich komme zum Schluss. Weil wir als
FDP der Meinung sind, man sollte die Wirksamkeit des
Katastrophenschutzes und nicht dessen Organisation
verstärken, stimmen wir diesem Gesetzentwurf nicht zu.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Unter diesen Voraussetzungen legen wir auch keinen Wert darauf! – Gegenruf der Abg. Gisela Piltz [FDP]: Ich wusste nicht, dass wir darüber geredet haben, ob ich Wert auf Sie lege!)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1509425100

Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der

Kollege Gerold Reichenbach, SPD-Fraktion.

(Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Erklär ihr mal die Aufgaben!)



Gerold Reichenbach (SPD):
Rede ID: ID1509425200

Ich habe nur fünf Minuten.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Kolleginnen und

Kollegen! In der letzten Woche hat die Münchner Rück-
versicherung gemeldet, es würden sich heute weltweit
dreimal so viele Naturkatastrophen wie in den 60er-
Jahren ereignen. Im Jahre 2003 betrugen die wirtschaft-
lichen Schäden übrigens 60 Milliarden Dollar. Diese
Entwicklung hat sich auch in unserem Land bemerkbar
gemacht. Die Flutkatastrophen an der Elbe, der Oder und
der Donau sind noch gut in Erinnerung. Ich erinnere da-
ran: Das THW war allein in den letzten fünf Jahren drei-
mal hintereinander im größten Einsatz seiner Ge-
schichte.

Schließlich sind auch noch die Terroranschläge vom
11. September 2001 zu erwähnen. Sie haben uns die Ver-
wundbarkeit westlicher hochkomplexer Gesellschaften,
die es übrigens auch schon davor gegeben hat, schlag-
artig vor Augen geführt. Dadurch wurde sie aber noch
einmal sehr deutlich. Das hat zu einem Umdenkungspro-
zess geführt, den Fachleute – das wurde bereits ange-
sprochen – übrigens schon in den 90er-Jahren ange-
mahnt hatten. Die Zivilgesellschaft wird nicht mehr
durch die Auseinandersetzung zwischen Blöcken, son-
dern sie wird von neuen Gefahren bedroht.

Es ist unsere Pflicht als Parlamentarier, die Bundesre-
gierung darin zu unterstützen, auf diese neuen Heraus-
forderungen zu reagieren und geeignete Antworten zu
finden. Frau Philipp, Sie haben es angesprochen: Die
rot-grüne Regierung hat reagiert. Nach fünfeinhalb
Jahren können wir sagen, dass die Bedeutung des Bevöl-
kerungsschutzes gegenüber den 90er-Jahren erheblich
aufgewertet wurde, und zwar auch schon vor dem
11. September 2001.






(A) (C)



(B) (D)


Gerold Reichenbach


(Beifall bei der SPD – Beatrix Philipp [CDU/ CSU]: Ihnen blieb aber auch wirklich nichts anderes übrig! Nun ist aber gut! – Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Das hat fünfeinhalb Jahre gedauert!)


Die Haushaltsmittel wurden kontinuierlich erhöht,
nachdem sie Anfang der 90er-Jahre drastisch zurückge-
fahren worden waren. Die intensiven Gespräche mit den
Bundesländern – das haben Sie angesprochen –, die nach
unserer Verfassung für den Katastrophenschutz zustän-
dig sind, führten 2002 schließlich zu der Rahmenkon-
zeption „Neue Strategien zum Schutz der Bevölkerung
in Deutschland“. Der Bund arbeitet die Verpflichtungen
aus dieser Vereinbarung konsequent ab. Das wurde übri-
gens im Bericht der Innenministerkonferenz im letzten
Jahr durch die Innenminister aller Länder eindrucksvoll
bestätigt.

Der nächste Schritt ist das Bundesamt für Bevölke-
rungsschutz und Katastrophenhilfe, kurz – weil es
auch dafür einer Abkürzung bedarf –: BBK, über dessen
Errichtung wir heute abschließend beraten. Das Amt soll
Informations-, Management- und Koordinationsaufga-
ben bündeln.

Frau Piltz, hier widerspreche ich Ihnen ausdrücklich:
Es gibt auf der Ebene der UNO ein Beispiel dafür, dass
dies funktioniert. Auch das UNDAC hat in bestimmten
Bereichen keine eigenen Kompetenzen, es ist aber
durchaus in der Lage – wie zum Beispiel vor kurzem bei
der Katastrophe in Bam –, eine operative Koordinierung
zu leisten, weil es genau das tut, was auch wir hier ma-
chen wollen, es übernimmt nämlich Informations-, Ko-
ordinations- und Managementaufgaben. Dies tut es auch
dadurch, dass sich diejenigen, die daran beteiligt sind,
entsprechend einbringen.

Damit wird das Bundesamt für Bevölkerungs- und
Katastrophenschutz quasi die vierte Säule in unserer na-
tionalen Sicherheitsarchitektur. Weil das ein Unterschied
ist, muss es noch einmal deutlich gesagt werden: Es ist
keine Wiederauflage des alten Bundesamtes für Zivil-
schutz; denn dies hatte damals rein auf die Verteidigung
im V-Fall, also auf den Zivilschutz bezogene Aufgaben.
Das BBK ist vielmehr die Antwort auf Bedrohungsla-
gen, die nicht mehr die klassische Unterscheidung zwi-
schen Zivilverteidigung und Katastrophenschutz zulas-
sen. Es ist die Antwort auf Großschadenslagen und
Naturkatastrophen, die sich nicht an Bundesländergren-
zen halten, die dem Katastrophenschutz zu Eigen sind.
Es ist außerdem die Antwort auf die föderale Struktur
unseres Katastrophenschutzes, der wesentlich von den
1,8 Millionen ehrenamtlichen Helferinnen und Helfern
getragen wird.

Die Fehleranalysen – das ist angesprochen worden –
im Nachgang zur Elbeflut – das war aber nicht nur dort
der Fall – haben deutlich gemacht: Die Hauptdefizite be-
trafen die Information über die Schadenslage und die
Ressourcen sowie die Koordination der zur Verfügung
stehenden Mittel. Ein immer wieder in den Medien ge-
zeigtes Bild – auch das ist angesprochen worden – waren
auf der einen Seite Fahrzeugparks von Feuerwehr, THW
und Rotem Kreuz mit Helfern in Wartestellung. Auf der
anderen Seite bestand ein Mangel an Hilfen, Fahrzeugen
und Einsatzkräften an anderer Stelle. Die Hauptaufgabe
des BBK wird darin bestehen, effizient Informationssys-
teme aufzubauen und vorzuhalten, die Kooperation und
Verzahnung der Länder und des Bundes sowie der
Hilfsorganisationen zu optimieren, eine abgestimmte
Ausbildung und eine einheitliche Führungsstruktur aus-
zubauen. Das Mittel, die AKNZ, die Akademie für Kri-
senmanagement, Notfallplanung und Zivilschutz, ist
schon genannt worden.

Last, but not least gilt es, vor dem Hintergrund der
neuen Herausforderungen Krisenpläne für die medizini-
sche Notfallsorge gemeinsam mit den Ländern aufzu-
bauen und entsprechende Strukturen zu schaffen. Glei-
ches gilt für den Bereich der Verwundbarkeit
lebensnotwendiger Infrastrukturen.


(Beatrix Philipp [CDU/CSU]: Das ist wie in Bosnien!)


Das BBK benötigt hierzu nicht unbedingt neue zusätzli-
che Kompetenzen. Die Erfahrung zeigt, dass im akuten
Fall Zuständigkeiten und Kompetenzen nicht die ent-
scheidende Rolle spielen, wohl aber eine vernünftige
Koordinierung im Vorfeld und die rechtzeitige Bereit-
stellung von Informationen, Ressourcen und Koordina-
tion.

Das Amt hat eine wichtige Vorreiterfunktion für die
Länder. Das BBK konzentriert bereits aufgebaute neue
Strukturen, fördert Synergieeffekte und ist Impulsgeber
für den Aufbau moderner Strukturen im Bevölkerungs-
schutz. Dazu kann das BBK in hervorragender Weise bei-
tragen und Anregungen geben. Ich freue mich daher, dass
das Gesetz zur Errichtung des Bundesamtes die Zustim-
mung aller – wenn man von der FDP einmal absieht – we-
sentlicher Mitglieder im Hause findet.


(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Gefühlt sind das schon 20 Minuten!)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1509425300

Herr Kollege, bitte achten Sie auf Ihre Redezeit.


Gerold Reichenbach (SPD):
Rede ID: ID1509425400

Dies ist ein guter Beginn für die neue Bundesbehörde.

Sie signalisiert die notwendige Unterstützung für den
Ausbau der Sicherheitssysteme in unserem Lande.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1509425500

Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-

desregierung eingebrachten Gesetzentwurf über die Er-
richtung des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und
Katastrophenhilfe auf Drucksache 15/2286. Der Innen-
ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 15/2608, den Gesetzentwurf in der Aus-
schussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen
wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? –






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsident Dr. Norbert Lammert

Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zwei-
ter Beratung gegen die Stimmen der FDP angenommen.


(Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast [SPD]: Sie hätten sich doch umbesinnen können!)


Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Wer stimmt dagegen? – Wer möchte sich der Stimme
enthalten? – Der Gesetzentwurf ist mit der gleichen
Mehrheit angenommen.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Unbelehrbar! Die FDP hat nicht einmal zwischen der zweiten und dritten Beratung dazugelernt! – Gegenruf der Abg. Gisela Piltz [FDP]: Dazu waren Sie heute nicht gut genug!)


Ich rufe die Tagesordnungspunkte 13 a bis 13 c auf:
a) Beratung der Unterrichtung durch die Bundes-

regierung
Waldzustandsbericht 2003
– Ergebnisse des forstlichen Umweltmonito-
rings –
– Drucksache 15/2210 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft (f)

Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für Tourismus

b) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten

(Nordstrand)

der Fraktion der CDU/CSU
Zukunft der Forstwirtschaft
– Drucksachen 15/1640, 15/2398 –

c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Verbraucherschutz,
Ernährung und Landwirtschaft (10. Ausschuss)

zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Christel
Happach-Kasan, Hans-Michael Goldmann,
Marita Sehn, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der FDP
Rahmenbedingungen für Waldbesitzer und
mittelständische Holzwirtschaft verbessern –
Eigentumsrechte stärken
– Drucksachen 15/941, 15/2060 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Gabriele Hiller-Ohm
Georg Schirmbeck
Cornelia Behm
Dr. Christel Happach-Kasan

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Dazu höre
ich keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort der
Kollegin Gabriele Hiller-Ohm, SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Gabriele Hiller-Ohm (SPD):
Rede ID: ID1509425600

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der

jüngste Waldzustandsbericht bestätigt unsere Befürch-
tungen: Den Wäldern geht es nach einer Phase der Stabi-
lisierung wieder schlechter. Die deutsche Eiche ist be-
sonders betroffen. Noch im Jahre 2002 konnten wir eine
Erholung gerade bei der Eiche verzeichnen. Im letzten
Jahr ging es dann wieder bergab. Insgesamt weisen nur
noch 31 Prozent aller Baumarten keine sichtbaren Schä-
den auf. Doch Vorsicht: Wer gesund aussieht, muss nicht
zwangsläufig gesund sein. Es kann sogar noch schlim-
mer sein. Der Zustand unserer Wälder ist besorgniserre-
gend.

Woran liegt das Schwächeln der Wälder? Die Ursache
für den Abwärtstrend hängt nicht wie in der Wirtschaft
mit mangelndem Wachstum zusammen. Ganz im Gegen-
teil: Unsere Bäume wachsen zu schnell. Das liegt an den
Verkehrs- und Industrieabgasen und dem Stickstoffüber-
schuss aus der Landwirtschaft. Das unnatürlich schnelle
Wachstum schadet unseren Wäldern, macht die Bäume
krank und schwächt ihre Abwehrkraft und Stabilität.

Im letzten Jahr gaben jedoch hohe Temperaturen und
die damit verbundene lang anhaltende Trockenheit den
Ausschlag. Die Wälder wurden durch die Trockenheit
zusätzlich gestresst und anfällig für Schädlingsbefall.
Der Borkenkäfer hat im letzten Jahr voll zugeschlagen.
Es gab eine Massenvermehrung. In Thüringen konnte
die stärkste Borkenkäferplage seit 50 Jahren verzeichnet
werden. Die gesamte Wald- und Forstwirtschaft leidet
unter der Schädlingsplage. Die befallenen Bäume müs-
sen sehr schnell aus den Wäldern herausgeholt werden.
Das führt zu einem Überangebot und drückt die Holz-
preise.


(Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Wahnsinn!)

Es ist schon interessant: Besonders betroffen sind

Fichtenreihenbestände. Ich komme aus Schleswig-Hol-
stein. Bei uns gibt es standortgerechte Mischwälder und
seit langem naturnahe Waldbewirtschaftung und keine
Borkenkäferplage.


(Dr. Christel Happach-Kasan [FDP]: Das ist falsch, Frau Hiller-Ohm! Es gibt eine Borkenkäferplage!)


Auch in diesem Jahr ist mit einer Besserung des
Waldzustandes kaum zu rechnen, besonders dann nicht,
wenn es wieder heiß und trocken wird.


(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Der Borkenkäfer wählt SPD!)


Ein verregneter Frühling wäre also gut. Die leeren Was-
serspeicher der Wälder könnten sich wieder füllen und
eine erneute gefährliche Ausbreitung der Borkenkäfer
mit den niedlichen Namen Kupferstecher und Buchdru-
cker könnte in Grenzen gehalten werden.






(A) (C)



(B) (D)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1509425700

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der

Kollegin Happach-Kasan?

Gabriele Hiller-Ohm (SPD):
Rede ID: ID1509425800

Ich möchte gerne meine Ausführungen am Stück zu

Ende bringen.

Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1509425900

Das ist Ihre Entscheidung.

Gabriele Hiller-Ohm (SPD):
Rede ID: ID1509426000

Sie haben nachher Gelegenheit zu antworten, Frau

Happach-Kasan.

(Zuruf der Abg. Dr. Christel Happach-Kasan [FDP])

– Sie brauchen immer etwas länger für Ihre Ausführun-
gen. Das ist mir schon klar.


(Dr. Christel Happach-Kasan [FDP]: Ich habe auch etwas zu sagen!)


Wenn wir schon das Klima nicht so schnell ändern
können, müssen wir zumindest unsere Wälder wider-
standsfähiger machen.


(Cajus Caesar [CDU/CSU]: Da ist eben Substanz drin!)


Wir müssen das Konzept der naturnahen Waldbewirt-
schaftung konsequent umsetzen. Wir müssen unsere
Wälder umbauen, weg von standortuntypischen Reihen-
beständen und hin zu Mischwäldern. Natürlich dürfen
wir auch nicht in unseren Anstrengungen nachlassen, der
globalen Klimaerwärmung entgegenzuwirken. Mir
kommt das oft wie ein Kampf gegen Windmühlen vor.
Wir alle wissen: Kohlendioxid ist die Hauptursache für
den zunehmenden Treibhauseffekt. Die daraus resultie-
renden Wetterextreme wie Stürme, Dürre und Unwetter
bedrohen das Ökosystem Wald.

Auch die Wirtschaft hat inzwischen die verheerenden
Folgen zu hoher CO2-Ausstöße erkannt. Die deutscheIndustrie hat sich deshalb freiwillig verpflichtet, die
Schadstoffe zu reduzieren. Das sollte uns freuen. Doch
sind die Schadstoffmengen gesunken? Nein, meine Da-
men und Herren, genau das Gegenteil ist passiert.
Der CO2-Ausstoß ist um 15 Millionen Tonnen ge-stiegen. Daran können wir sehen, was die Selbstver-
pflichtungen der Wirtschaft wert sind. Das erinnert mich
übrigens schmerzlich an die Ausbildungsplatzsituation
in Deutschland.


(Ernst Burgbacher [FDP]: Das ist ja unglaublich!)


Achtung! Sogar die Industrienation USA ist in Sorge um
das Klima.


(Cajus Caesar [CDU/CSU]: Wir sind in Sorge um Ihre Ausführungen!)


Bisher hat sie sich nicht gerade viele Gedanken über den
Klimaschutz gemacht. Jetzt fordern immer mehr Stim-
men ein radikales Umlenken in der Klimapolitik. Doch
die Industrie bläst den Dreck nach wie vor in die Luft.
Wetterextreme nehmen zu und unsere Wälder sterben
weiter.


(Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Tun Sie was für den Rohstoff Holz! – Ernst Burgbacher [FDP]: Als ob das mit der Ausbildungsplatzabgabe besser würde!)


Was können wir tun? Wenn es schon nicht mit der
freiwilligen Selbstverpflichtung der Industrie klappt
– was uns allen das Liebste wäre, liebe Kolleginnen und
Kollegen von der FDP – dann müssen wir die politi-
schen Rahmenbedingungen ändern. Wir machen das
zum Beispiel mit dem Erneuerbare-Energien-Gesetz.
Mit dem Gesetz schaffen wir Anreize, umweltschonen-
dere Energieträger einzusetzen.


(Ursula Heinen [CDU/CSU]: Wir reden jetzt vom Wald!)


Holz spielt dabei eine wichtige Rolle. Holz ist gleich
in doppelter Hinsicht ein zukunftsträchtiger Energieroh-
stoff. Erstens bindet der Wald CO2. Zweitens ist Holz einnachwachsender Rohstoff. Er kann also fossile Energie-
träger wie Kohle ersetzen.


(Cajus Caesar [CDU/CSU]: Eben! Tun Sie was dafür!)


Bei der Wärmegewinnung aus Biomasse ist Holz bereits
Hauptträger. Bei Strom aus erneuerbaren Energien wird
Altholz immer wichtiger.

Wie sehen die Anreize in der EEG-Novelle aus? Der
Kabinettsbeschluss zur EEG-Novelle vom 17. Dezember
2003 sieht unter anderem eine verstärkte Förderung der
Biomasse einschließlich Holz vor. Das ist sehr sinnvoll,
da der energetische Nutzungsgrad gerade bei naturbelas-
senem Holz zum Teil über 90 Prozent beträgt. Eine wei-
tere Verbesserung der Förderung für den Einsatz von
Waldholz muss geprüft werden.

Das Erneuerbare-Energien-Gesetz ist ein wichtiges
politisches Steuerungselement. Ein weiteres ist das
Treibhausgas-Emissionshandelsgesetz. Dieses Thema
wurde bereits heute im Bundestag debattiert. Es ging da-
bei um die nationale Umsetzung des Emissionshandels.
Der Wald spielt in dem Gesamtkomplex eine wichtige
Rolle. Denn der Wald ist eine natürliche CO2-Senke.

Ein erster Schritt zur Einbeziehung des Waldes in den
Emissionshandel ist im Dezember 2003 erfolgt. Das
Kioto-Protokoll ermöglicht den Industrieländern, in der
ersten Phase von 2008 bis 2012 ihre Treibhausgasemis-
sionen mit Senkungsmaßnahmen oder durch Aufforstun-
gen in Drittweltländern zu reduzieren. Das ist ein Bei-
trag zum Klimaschutz. Es kann aber auch ein Beitrag
zum Schutz der Urwälder sein.

Wie sieht es heute dort aus? Wenige Menschen berei-
chern sich auf Kosten der Weltbevölkerung und der Um-
welt durch die brutale Zerstörung der letzten Urwälder.
Selbst vor Schutzgebieten wird nicht Halt gemacht. So-
gar Ökosiegel werden missbraucht, um die Herkunft des
illegal geschlagenen Holzes zu verschleiern.


(Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Reden Sie von deutschem Holz oder wovon?)







(A) (C)



(B) (D)


Gabriele Hiller-Ohm

Urwälder sind die grünen Lungen auf unserem Plane-

ten. Zerstören wir sie, nehmen wir uns die Luft zum At-
men. Deshalb müssen wir diesen Raubbau endlich stop-
pen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Die Einbeziehung finanziell interessanter Aufforstun-
gen in den Emissionshandel kann hierbei eine wirkungs-
volle Maßnahme sein.

Vor wenigen Tagen ist in Kuala Lumpur in Malaysia
die 7. Vertragsstaatenkonferenz der Konvention über die
biologische Vielfalt zu Ende gegangen. Umweltschutz-
verbände haben erneut auf die anhaltende weltweite Zer-
störung der Wälder hingewiesen. Das erfreuliche Ergeb-
nis der Konferenz war, dass bis 2010 ein internationales
Netzwerk von geschützten Gebieten zu Land und bis
2012 ein solches für die Ozeane geschaffen werden soll.
Ich hoffe, es wird gelingen, dieses ehrgeizige Projekt zu
verwirklichen.

Schutzgebiete sind wichtig. Wir brauchen aber auch
dringend wirksame Kontrollen und Sanktionen gegen il-
legalen Raubbau. Dies könnte mit einem von Green-
peace angeregten Urwaldschutzgesetz erreicht werden.


(Franz Obermeier [CDU/CSU]: Na, bravo!)

Wir sollten diesen Vorschlag – am besten interfraktio-
nell – prüfen und eine Lösung erarbeiten.

Wie geht es in Deutschland mit unseren Wäldern wei-
ter? Die Novellierung des Bundeswaldgesetzes wurde
vorbereitet. Was geschieht daraufhin? Ein riesiger Streit
entbrennt in unserem Land. Bevor der erste Referenten-
entwurf auf dem Tisch liegt, initiieren private Waldbesit-
zerverbände ein Bündnis gegen die Novellierung des
Bundeswaldgesetzes, die es noch gar nicht gibt. Das ist
ein bisher wohl einmaliges und leider auch falsches Vor-
gehen.

Bislang überwog trotz unterschiedlicher Interessenla-
gen die Bereitschaft zum Konsens. Diese gute Art der
Streitkultur sollten wir nicht aufgeben. Denn eines ist si-
cher: Niemand hat ein Interesse daran, unsere Wälder
und die damit verbundenen 800 000 Arbeitsplätze zu ge-
fährden. Wir werden deshalb bei der Novellierung des
Bundeswaldgesetzes sehr genau darauf achten müssen,
dass der zurzeit schwächelnden Forst- und Waldwirt-
schaft auch weiterhin Fördermöglichkeiten in angemes-
senem Umfang offen stehen.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1509426100

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des

Kollegen Caesar?


Gabriele Hiller-Ohm (SPD):
Rede ID: ID1509426200

Ich bin sofort am Ende, Herr Kollege Caesar. Dann

können Sie sich zu Wort melden.
Die Bundesregierung wird in Kürze ein Eckpunkte-

papier zum Bundeswaldgesetz vorlegen. Wir sollten die
kommenden Monate für konstruktive Gespräche nutzen.
Das kann zur Klimaverbesserung nicht nur in diesem
Hause, sondern in der ganzen Welt, insbesondere in
Deutschland, beitragen.

Danke schön.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1509426300

Das Wort hat der Kollege Georg Schirmbeck, CDU/

CSU-Fraktion.


Georg Schirmbeck (CDU):
Rede ID: ID1509426400

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau

Hiller-Ohm, ich staune, was man alles in einer Debatte,
in der es eigentlich um den deutschen Wald gehen soll,
dem Hohen Haus mitteilen kann.


(Heiterkeit bei der CDU/CSU)

In der Tat reden wir über Sturmschäden sowie über

das Waldsterben durch den sauren Regen und durch Bor-
kenkäferbefall. Wenn die entsprechenden Bilder durch
die Medien gehen, dann sind wir alle sehr betroffen und
es herrscht großes Jammern und Klagen in der Öffent-
lichkeit. Wir reagieren darauf mit runden Tischen und
Gutachten und versuchen so, Schäden zu begrenzen.
Doch was tun wir eigentlich wirklich für den Bewuchs
auf einem Drittel der Erdoberfläche in Deutschland? Wir
tun genau das, was auch Sie gerade gemacht haben: Wir
klagen besonders über den Raubbau in den Wäldern der
Entwicklungsländer – Sie haben vorhin Malaysia als
Beispiel genannt – und glauben, dass das konstruktiv für
unseren Wald ist.

Im Endeffekt führen Ihre Politik und vor allen Dingen
Ihre Rhetorik dazu, dass die Deutschen glauben: Wer in
Deutschland einen Baum fällt, der zerstört Leben. Wer
im Wald wirtschaftet, schadet dem Wald. Wer ordnungs-
gemäß Forstwirtschaft auf höchstem wissenschaftlichen
Niveau betreibt, der schadet der Natur, insbesondere
dem Wald, und damit den Menschen in Deutschland.
Das genaue Gegenteil ist der Fall.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Im deutschen Wald – nur darum geht es hier – wird
nachhaltig gewirtschaftet. Dort wird der Generationen-
vertrag, den wir auch in anderen Bereichen der Gesell-
schaft und der Wirtschaft brauchen, schon immer vor-
bildlich vorgelebt. Eigentlich sollten wir dafür dankbar
und darüber einig sein. Aber das, was Sie eben ausge-
führt haben, zeigt uns, dass das offensichtlich nicht der
Fall ist.


(Widerspruch der Abg. Gabriele Hiller-Ohm [SPD])


Wir sollten uns trotzdem in einem Punkt einig sein:
Egal welche gesetzlichen Regelungen wir beschließen,
ohne die konstruktive Zusammenarbeit mit den Waldbe-
sitzern verändern wir in Deutschland gar nichts und
schaden wir nur unserem Wald.






(A) (C)



(B) (D)


Georg Schirmbeck


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Gabriele Hiller-Ohm [SPD]: Das habe ich eingeräumt!)


Sie müssen auch die Situation der Waldbesitzer berück-
sichtigen, und zwar nicht nur der privaten. Schließlich
sollten Sie sich auch über den Wald Gedanken machen,
der öffentliches Eigentum ist.


(Gabriele Hiller-Ohm [SPD]: Beide Seiten!)

Die von circa 1,5 Millionen privaten Waldbesitzern

sowie vom Kommunal- und Staatswald praktizierte
nachhaltige Forstwirtschaft hat dazu geführt, dass in
Deutschland erheblich mehr Holz wächst, als geerntet
wird, dass die Waldfläche wächst. Das sollten Sie deut-
lich machen; das sind die Fakten. Die Probleme, die un-
sere Wälder haben, sind jedenfalls von den Waldbesit-
zern nicht verursacht worden. Unsere Wälder werden
durch den sauren Regen geschädigt. Den sauren Regen
verursachen – das haben Sie richtig ausgeführt – nicht
die Förster, die Waldarbeiter oder die Waldbesitzer. In
den 80er- und 90er-Jahren war das Waldsterben durch
den sauren Regen in aller Munde. Wenn die entsprechen-
den Fotos und Bilder in den Zeitungen und im Fernsehen
aber nicht mehr zu sehen sind, dann geht offensichtlich
auch das politische Bewusstsein für die notwendigen
Maßnahmen verloren.

Die Großfeuerungsanlagenverordnung und die Ein-
führung des Katalysators waren sicherlich zwei wesent-
liche Maßnahmen, um die Luftschadstoffe zu verringern.
Ich gestehe Ihnen gerne zu, dass weitere Maßnahmen in
diesem Zusammenhang erforderlich sind. Die Länder
und die Kommunen förderten zur damaligen Zeit die
Kompensationswaldkalkung mit 100 Prozent. Die von
Ihnen zu verantwortende Wirtschaftspolitik hat zu einer
katastrophalen Finanzlage unserer Kommunen geführt,
sodass sie nicht mehr in der Lage sind, die Waldkalkung
mitzufinanzieren. Deshalb fanden 2003 und finden 2004
kaum noch Waldkalkungen statt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Lassen Sie doch diese Pflichtübung in diesem Zusammenhang!)


– Herr Schmidt, das sind Fakten, an denen Sie sich ori-
entieren müssen. Die Daten sind so zweifelsfrei, dass Sie
das gar nicht kritisieren können.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Sie sind Lobbyist! Das ist alles!)


Jetzt empfiehlt die Bundesregierung – das kann man
in der Antwort der Bundesregierung auf unsere Große
Anfrage nachlesen – den Waldbesitzern eine Mitfinan-
zierung der Waldkalkung, um ihr ernsthaftes Interesse
nachzuweisen – so wörtlich.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Sehr gut!)


Wollen Sie die Leute auf den Arm nehmen? Wer ist ei-
gentlich Verursacher? Wer ist Täter? Wer ist Opfer?


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Wer ist denn Eigentümer?)

Was benötigen unsere Forstbetriebe?

(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Warum fragen die Eigentümer ständig nach dem Staat? Warum eigentlich? Das ist doch dummes Zeug!)


Die Wirtschaftspolitik, die Sie zu verantworten haben,
führt zu einer Enteignung der Waldbesitzer. Dafür tragen
Sie die politische Verantwortung.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Unsere Waldbesitzer, unsere Forstbetriebe brauchen

mehr Einnahmen. Dafür zu sorgen wäre eine wirksame
Maßnahme. Wir brauchen einen besseren Holzmarkt in
Bezug auf Quantität und Qualität. Auch wir brauchen
eine Beschaffungsrichtlinie, auf deren Grundlage die
Holznutzung der öffentlichen Hand beispielhaft entwi-
ckelt wird. Das führt zu einer Verbesserung der wirt-
schaftlichen Lage unserer Forstbetriebe. Das führt zur
Stärkung einer nachhaltigen Forstwirtschaft. Das stärkt
unsere Wälder in jeder Beziehung. Deshalb wäre eine
konkret formulierte Holzcharta, mit konkreten Pro-
grammen unterlegt, eine wesentliche forstwirtschaftliche
Maßnahme.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das nützt doch nichts, wenn Ihr Verband nicht mitmacht!)


Die Bundesregierung hat dies lange Zeit angekündigt.

(Cajus Caesar [CDU/CSU]: Aber nichts getan! Sie tut nichts!)

Passiert ist bisher nichts. Unsere Wälder leiden unter
Klimaschwankungen. Frau Hiller-Ohm, Sie haben das
zu Recht ausgeführt. Im letzten Sommer litten unsere
Wälder unter der Trockenheit. Eine Hilfestellung des
Bundes wegen Trockenschäden wurde nicht für nötig
gehalten. Jetzt befürchten alle Fachleute, dass es in die-
sem Frühjahr zu einer großen Borkenkäferkalamität
kommt. Kaufverträge für Fichtenstammholz kann man
schon seit einigen Monaten nur noch bis Ende April ab-
schließen. Eine ökologische und ökonomische Katastro-
phe ist zu befürchten.

Welche konkreten Maßnahmen ergreift die Bundesre-
gierung? Muss die Katastrophe erst Realität werden?
Müssen die Borkenkäfer erst als Elefanten über den
Bildschirm laufen, ehe die Bundesregierung wirklich
konkret reagiert?


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Gabriele Hiller-Ohm [SPD]: Nein, wir müssen die Wälder umbauen! – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Ihr Lobbyismus ist lächerlich! Sie hätten mal gestern beim Bauernverband sein sollen! Da war man viel vernünftiger!)


Sie reden doch immer von Nachhaltigkeit. Nachhaltig
handeln heißt vorausschauend handeln, Herr Parlamen-
tarischer Geschäftsführer Schmidt. Forstwirtschaftliche
Maßnahmen werden in allen Bundesländern gefördert.
In vielen Fällen fließen dabei europäische Mittel. Das
Antragsverfahren, das Bewilligungsverfahren und die






(A) (C)



(B) (D)


Georg Schirmbeck

Verwendungskontrolle sind so bürokratisch, dass mit
diesen Programmen fast mehr Bürokraten als Waldarbei-
ter beschäftigt werden. Das Ehrenamt in den Forstbe-
triebsgemeinschaften ist schon lange völlig überfordert
und hat resigniert.

Was macht der Bund, um diese Missstände zu beseiti-
gen? Es geht nicht um mehr öffentliche Mittel, sondern
um einen effizienten Einsatz der Mittel und um zumut-
bare Rahmenbedingungen für Förster, Waldarbeiter und
Waldbesitzer. Wir bezweifeln, dass solche Entlastungen
durch ein neues Waldgesetz erreicht werden können.


(Cornelia Behm [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das werden wir schaffen!)


Die Anhebung der Sozialpflichtigkeit des Eigentums
führt nach einem Gutachten der Bundesforschungsan-
stalt für Forst- und Holzwirtschaft dazu, dass pro Hektar
zusätzlich 230 Euro Kosten entstehen. Dies ist nichts an-
deres als ein Anschlag auf 70 000 Arbeitsplätze in der
Forstwirtschaft. Es kommt zu mehr gesetzlichen Rege-
lungen und zu weniger tatsächlicher Hilfe für einen
schwierigen Wirtschaftszweig.

Über eine Entlastung der Forstbetriebe von der
Verkehrssicherungspflicht – aber nicht nur im Wald,
sondern auch an öffentlichen Straßen – muss man sicher-
lich nachdenken. Sie müssen sich auch Gedanken darü-
ber machen, wer das bezahlt.


(Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Ach nein!)


Mehr Totholz im Wald bedeutet für viele Standorte mehr
Waldbrandgefahr. Wer haftet dafür? Wer trägt die Kos-
ten?


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Als wenn der Waldzustand erst seit sechs Jahren so ist, wie er jetzt ist! Was hat denn Ihre Regierung gemacht?)


Wir sind uns mit den Verbänden der Forstwirtschaft
einig, dass sich auch die Forstwirtschaft neu aufstellen
muss. Schlagkräftige forstwirtschaftliche Zusammen-
schlüsse sind sicherlich das Gebot der Stunde. Aufgabe
des Bundes und der Länder müsste es sein, eine tatkräf-
tige Hilfestellung und Förderung zu gewähren. Aber
wenn Sie unseren Wirtschaftswald flächendeckend zu
einem Naturschutzwald entwickeln wollen, dann ma-
chen Sie nichts anderes, als die Eigentümer – sie haben
den Wirtschaftswald über Generationen entwickelt – zu
enteignen.

Die öffentlichen und die privaten Waldbesitzer haben
ein Zertifizierungssystem entwickelt und finanziert,
nach dem mittlerweile über 60 Prozent unserer Waldflä-
che zertifiziert sind. Wir halten dies für eine beispiel-
hafte Aktion. Doch was macht die Bundesregierung? Sie
unterstützt mit erheblichen Haushaltsmitteln einseitig
ein konkurrierendes Zertifizierungssystem, nach dem
bisher nur weniger als 5 Prozent der Waldfläche zertifi-
ziert wurde. Dazu kommt, dass dieses Zertifizierungs-
system eigentlich zum Schutz der Tropenwälder entwi-
ckelt worden ist. Mittlerweile sind aber auch große
Plantagenmonokulturen in Chile und in Südafrika zerti-
fiziert, und zwar ohne die Beteiligung der gesellschaftli-
chen Gruppen.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Nun lesen Sie doch nicht weiter Ihren Verbandsbericht vor!)


Hat der Bund in diesem Fall nicht wenigstens eine
Pflicht zur Neutralität? Oder geht es hier gar nicht um
Maßnahmen zum Schutz unserer Wälder, sondern um
Klientelwirtschaft und um die Zerstörung der gewachse-
nen Eigentumsstrukturen unserer Forstwirtschaft?


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das ist genau Ihr Ansatz!)


Wer etwas Positives für unsere Wälder tun will, muss
dabei ökonomische, ökologische und soziale Gesicht-
punkte berücksichtigen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Cornelia Behm [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist Nachhaltigkeit!)


Wer einen dieser Bausteine vernachlässigt, schadet auch
den beiden anderen Bausteinen.

Die Kunst, Fragen zu beantworten, ohne konkret zu
werden, hilft dem deutschen Wald nicht weiter. Konkret:
Streichen Sie § 29 Abs. 2 Wasserhaushaltsgesetz und
entlasten Sie den Waldbesitz von Beiträgen zu den Was-
ser- und Bodenverbänden! Sorgen Sie durch geeignete
steuerliche oder andere gesetzliche Maßnahmen


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Immer der Staat! Das hat schon bei Erich Honecker nicht geklappt!)


für Rahmenbedingungen zur wirtschaftlichen, energeti-
schen Nutzung unserer Holzreserven! Unterstützen Sie
den Wettbewerb der Zertifizierungssysteme! Sorgen Sie
dafür, dass die Kompensationskalkung zukünftig wieder
möglich wird! Sorgen Sie für eine Entbürokratisierung
der forstlichen Förderprogramme! Erarbeiten Sie mit der
Forstwirtschaft die oft versprochene Holzcharta! Holen
Sie kurzfristig den Sachverstand aus Wissenschaft, Wirt-
schaft und Verwaltung an einen Tisch und ergreifen Sie
die möglichen und notwendigen Maßnahmen, damit in
den nächsten Wochen die Borkenkäferkalamität nicht zu
einer ökonomischen und ökologischen Katastrophe in
unseren Wäldern führt! Oder müssen wir immer erst die
Katastrophenbilder aus unseren Wäldern in den Medien
sehen, ehe sachgerecht gehandelt wird?

Wir brauchen keine neuen Gesetze und Verordnun-
gen, wir brauchen noch nicht einmal mehr Geld, sondern
wir brauchen eine ideologiefreie und unbürokratische
Zusammenarbeit der staatlichen Ebenen mit der Forst-
wirtschaft.


(Gabriele Hiller-Ohm [SPD]: Dann machen Sie das doch!)


Dann können wir uns auf die Zukunft mit unserem Wald
freuen.

Herzlichen Dank.






(A) (C)



(B) (D)


Georg Schirmbeck


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Zurück zur Lobby!)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1509426500

Für die Bundesregierung erhält nun der Parlamentari-

sche Staatssekretär Matthias Berninger das Wort.

(Ursula Heinen [CDU/CSU]: Der nächste Waldspezialist!)


Ma
Matthias Berninger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1509426600


Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Einiges,
was der Kollege Schirmbeck gesagt hat, ist schon hoch-
interessant und bemerkenswert und wird von mir aus-
drücklich unterstützt.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wenn er zum Beispiel sagt, dass weitere Maßnahmen
etwa zur Luftreinhaltung oder zum Klimaschutz notwen-
dig sind, um dem Wald in Deutschland zu helfen, dann
kann ich das nur nachdrücklich unterstützen. Das Pro-
blem, Herr Kollege Schirmbeck, ist nur: Das passt nicht
zu dem, was Ihre Bundestagsfraktion mehrheitlich be-
schließt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Sowohl die Anträge, die Sie zum Thema der Förde-
rung der erneuerbaren Energien einbringen – Sie sind ja
mehrheitlich dagegen –, als auch Ihre ablehnende Hal-
tung gegen den Emissionshandel und andere Maßnah-
men konsequenter Umweltpolitik machen deutlich, dass
Sie im Interesse der Waldbesitzer etwas fordern, was in
der Unionsfraktion ganz offenkundig nicht mehrheitsfä-
hig ist. Trotzdem ist es richtig, dass auch Sie in dieser
Debatte darauf hinweisen, dass wir Fortschritte in der
Umweltpolitik brauchen, wenn wir dem Wald helfen
wollen.

Ein Beispiel aus Ihrem Heimatland Niedersachsen:
Der zu hohe Viehbesatz in bestimmten Regionen ist ei-
ner der Hauptgründe für das Waldsterben in diesen Regi-
onen, weil die Ammoniakemissionen in dem Bereich
dem Wald heute mehr schaden als zum Beispiel das, was
aus den Auspuffen der Automobile herauskommt. Wenn
die Bundesregierung dafür eintritt, den Viehbesatz zu
verringern und dafür Sorge zu tragen, dass möglichst
nicht mehr als zwei Großvieheinheiten pro Hektar vor-
handen sind, sind die Ersten, die dagegen das Wort erhe-
ben, in aller Regel die Vertreterinnen und Vertreter der
Unionsfraktion und der FDP-Fraktion.


(Gabriele Hiller-Ohm [SPD]: So ist das! Aber wie!)


Im Interesse des Waldes sollte man die Bundesregierung
bei der Agrarwende deutlicher unterstützen, als das in
der Vergangenheit der Fall war.

Es ist gesagt worden, die Bundesregierung sehe etwa
das Problem des Borkenkäfers nicht. Ich finde das inso-
fern unredlich, Herr Kollege Schirmbeck, als ich mich
erinnere, dass Sie bei Veranstaltungen waren, auf denen
ich geredet habe und bei denen zwei Drittel meiner Rede
das Problem betrafen, dass die Folgen der Trockenheit
des letzten Jahres im Waldbereich wahrscheinlich erst
im Jahr 2004 voll zum Tragen kommen und dass eines
der ganz großen Probleme der Borkenkäfer sein wird.
Ich habe auch ausgeführt, dass die Bundesregierung sehr
wohl daran arbeitet und schon jetzt versucht, in Zusam-
menarbeit mit den Ländern Gegenmaßnahmen zu ergrei-
fen.

Bei dem, was Sie sagen, gefällt mir nicht, dass Sie die
Verantwortung der Länder, die Verantwortung der staat-
lichen Ebenen, die überwiegend unionsgeführt sind, ein-
fach außen vor lassen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Widerspruch des Abg. Georg Schirmbeck [CDU/CSU])


Ich will Ihnen ein Beispiel sagen. Mein Heimatland
Hessen – ich könnte auch Bayern nennen – hat eine Re-
form der Forstverwaltung beschlossen, an deren Ende
die Waldarbeiter vor die Tür gesetzt werden. Man kann
es auch so sagen: Der Borkenkäfer kommt und die Wald-
arbeiter müssen gehen. Dann kann das, was Sie fordern,
nämlich dass man schnell handelt, wenn die Borken-
käferplage eintritt, im Bundesland Hessen schon deshalb
nicht stattfinden, weil die Mitarbeiterinnen und Mit-
arbeiter durch die Politik Roland Kochs vor die Tür ge-
setzt werden.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das ist das Gleiche wie bei Wulff in Niedersachsen!)


Das muss man dann, wie ich finde, hier auch selbstkri-
tisch sagen. Es ist schon darauf hingewiesen worden,
dass die Reformen in der Forstverwaltung in Baden-
Württemberg, Bayern und Niedersachsen ebenso Thema
sind wie in anderen Bundesländern.

Zweites Beispiel: die Belastung der Waldbesitzer
mit Beiträgen zu den Wasser- und Bodenverbänden. Ein
Beispielland, das immer genannt wird, ist Brandenburg.
Wer regiert da bitte mit? Meines Wissens tragen dort
nicht die die Bundesregierung stellenden Parteien die al-
leinige Verantwortung, sondern die CDU ist dort der
kleine Koalitionspartner. Vor dem Hintergrund sollten
Sie sich einmal an Ihre Kolleginnen und Kollegen in
Brandenburg wenden, statt nach dem Bund zu rufen, da-
mit er von oben herab Gesetze ändert. Es ist nämlich
nicht in jedem Bundesland so, dass die Waldbesitzer da-
durch belastet werden.

Ich sage Ihnen, weil der Waldzustandsbericht ja heute
Thema ist: Wir hatten letztes Jahr ein schlimmes Jahr für
den Wald. Wir werden im Jahre 2004 meiner Einschät-
zung nach hinsichtlich des Waldschadens das größte
Problem haben, seitdem wir Daten erheben. Insofern ist
es richtig, dass die Bundesregierung die Waldpolitik in
diesem Jahr auf die Tagesordnung setzen wird. Die Bun-
desministerin Künast wird noch in diesem Frühjahr ent-
sprechende Vorschläge zur Reform des Wald- und des
Jagdgesetzes vorlegen.






(A) (C)



(B) (D)


Parl. Staatssekretär Matthias Berninger

Es ist interessant, dass das Thema Jagd in Ihrer Rede

keine Rolle gespielt hat, obwohl wir doch alle miteinan-
der wissen, dass der zu hohe Wildbesatz in vielen Teilen
der Bundesrepublik Deutschland einer der Hauptgründe
dafür ist, dass ein gesunder natürlicher Wald gar nicht
entstehen kann. Die Naturverjüngung des Waldes wird
nämlich durch den Wildverbiss unmöglich gemacht.
Deswegen müssen sich diejenigen, die sich wie Sie für
den Wald stark machen, auch für eine Novellierung des
Jagdgesetzes einsetzen, die dem Wald nützt.

Ich kann Ihnen versichern, dass sowohl die Reform
des Bundeswaldgesetzes als auch die Reform des Bun-
desjagdgesetzes entbürokratisierende Elemente haben
werden. Wir werden eine Reihe von Paragraphen ersatz-
los streichen. Ich möchte auch darauf hinweisen, dass
die Bundesregierung die Charta für Holz in diesem
Frühjahr voranbringen wird. Rund um die Holzwirt-
schaft sind annähernd 1 Million Menschen beschäftigt.
Das ist ein Beschäftigungspotenzial im ländlichen
Raum, das die Bundesregierung mit sehr konkreten
Maßnahmen auch weiter fördern will.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Es besteht hier die Kooperation mit der Wirtschaft und
der Wissenschaft, die Sie fordern. Auf diesem Gebiet
wird längst zusammengearbeitet; das wissen Sie. Ich
gehe davon aus, dass wir eine Reihe von interessanten
und ganz konkreten Vorschlägen haben werden, über die
wir dann diskutieren können.

Meine Einschätzung ist: Wem der Wald am Herzen
liegt, der sollte angesichts veränderter Situationen bereit
sein, Gesetze, die zum Teil seit 1975 nicht mehr geändert
wurden, zu ändern und den Wald fit zu machen, damit er
den Klimaveränderungen widersteht. Er sollte auch für
eine naturnahe Waldbewirtschaftung eintreten und nicht
alle Formen der Waldbewirtschaftung gleichsam loben;
denn es gibt Waldbesitzer, die sehr verantwortungsvoll
vorgehen, und andere, die das nicht tun. Die Monokultu-
ren der Letzteren sehen wir dann regelmäßig im Fernse-
hen, denn diese sind am anfälligsten für Befall durch
Borkenkäfer und für Sturmereignisse. Den Wald natur-
nah zu machen wird der zentrale Punkt der neuen Wald-
politik der Bundesregierung sein. Mehr dazu, wie ge-
sagt, in diesem Frühjahr durch die Bundesministerin
Künast.

Ich danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1509426700

Das Wort hat die Kollegin Christel Happach-Kasan,

FDP-Fraktion.

Dr. Christel Happach-Kasan (FDP):
Rede ID: ID1509426800

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen, die

Sie noch ausharren! Dem Wald geht es schlecht, den
Waldbesitzern geht es finanziell schlecht – beides hängt
miteinander zusammen. Der Waldzustandsbericht be-
schreibt die Situation unserer Wälder realistisch; daraus
folgt: Ihr Zustand ist schlecht. Dazu haben der trockene
Sommer und die Borkenkäferkalamität im vergangenen
Jahr erheblich beigetragen. Das gilt, Kollegin Hiller-
Ohm, auch für Schleswig-Holstein.


(Gabriele Hiller-Ohm [SPD]: Falsch!)

Gerade der Leiter Ihres Forstamtes, Herr Fähser, hat sich
massiv bei mir darüber beklagt, dass die Forstverwal-
tung im Land Schleswig-Holstein, das als erstes Flä-
chenland für seine Wälder das FSC-Zertifikat erhalten
hatte, auch als erster schleswig-holsteinischer Betrieb
den Einsatz von Insektiziden in seinen Wäldern bean-
tragt hat. So viel zu Ihrer Glaubwürdigkeit.


(Ernst Burgbacher [FDP]: Aha! – Gabriele Hiller-Ohm [SPD]: Das war aber richtig! Weil wir das gar nicht brauchen in Schleswig-Holstein! Das wissen Sie doch! Das ist ja nicht zu fassen!)


Wir wissen alle, dass wir in diesem Jahr weitere Folge-
schäden zu erwarten haben. Wir sind alle sehr gespannt,
Herr Staatssekretär Berninger, welche Gegenmaßnah-
men Sie in die Wege leiten werden.

Ungelöst bleibt weiterhin das Problem der belasteten
Waldböden, das sich durch Schadstoffeinträge der letz-
ten Jahrzehnte ergeben hat. Die Versauerung ist besorg-
niserregend, weil sie das Absterben von Bäumen be-
schleunigt und Einträge von Schwermetallen ins
Grundwasser verursacht. Noch immer übertreffen an
vielen Standorten die Schadstoffeinträge das natürliche
Pufferungsvermögen von Waldböden. Bei der Eiche, um
nur ein Beispiel zu nennen, hat der vorige Sommer für
ein Ende der Erholungsphase der letzten Jahre gesorgt.
Was tut die Bundesregierung in dieser für den Wald be-
drohlichen Situation? Sie ruht sich auf ihrer angeblich
guten Klimaschutzpolitik aus.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das ist doch völliger Unsinn! Herr Berninger hat doch gerade gesagt, was Sache ist! Sie sind ignorant! Das ist ja unerträglich!)


Ich möchte deutlich sagen: Die FDP-Fraktion hat sich
als Erste für den CO2-Emmissionshandel eingesetzt. Wirstimmen gegen Ihr Gesetz, weil wir der Meinung sind,
dass der Nationale Allokationsplan dazugehört. Das Ge-
setz darf nicht alleine stehen; beides gehört zusammen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das Umweltbundesamt hat errechnet, dass Deutsch-
land bei der CO2-neutralen Stromerzeugung in der EUden viertletzten Platz belegt. Es berechnete für das ver-
gangene Jahr 667 Gramm CO2-Äquivalent je Kilowatt-stunde in Deutschland gegenüber einem Durchschnitt
von 429 Gramm in der EU. Das ist ein Armutszeugnis.

Der Waldzustandsbericht bezeichnet Waldkalkungen
als „zentrale Vorsorgemaßnahme“. Im Bericht heißt es
wörtlich:

Ziel ist es, weitere Säureeinträge aus der Luft abzu-
puffern und damit nachteilige Veränderungen der
Waldböden zu verhindern.






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Christel Happach-Kasan

Angesichts sinkender Holzpreise ist die Forderung

der Bundesregierung, dass die Waldbesitzer die Be-
kämpfung dieser von der Gesellschaft verursachten
Schäden mitfinanzieren sollen, unrealistisch. Erinnern
wir uns doch einmal daran, welche Haftungsvorstellun-
gen die Bundesregierung bei der Grünen Gentechnik
durchzusetzen versucht. Was macht sie mit den Waldbe-
sitzern? Das ist ungeheuerlich.

Der Bericht macht auch deutlich, dass es keinerlei Be-
darf für eine Novellierung des Bundeswaldgesetzes gibt.
Luftverschmutzung und Klimaschwankungen machen
Probleme, nicht das Gesetz.


(Beifall bei der FDP)

Diese Probleme können mit hoheitlichen Maßnahmen
nicht beseitigt werden.

In der Beantwortung der Großen Anfrage bekräftigt
die Bundesregierung ihre einseitige Bevorzugung der
FSC-Zertifizierung. Dies ist eine Morgengabe gegenüber
einer Auswahl von Umweltverbänden.

Da der PEFC inzwischen mit Ausnahme von Schles-
wig-Holstein in allen Bundesländern präsent ist und weit
mehr als die Hälfte der Waldfläche in Deutschland
PEFC-zertifiziert ist – bei FSC sind es nur 4 Prozent –,
bedeutet dies gleichzeitig einen Affront gegen die Men-
schen in unserem Land, die sich mit den Wäldern in ih-
ren Heimatregionen identifizieren.


(Zuruf von der SPD: Qualität statt Quantität!)


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1509426900

Frau Kollegin, denken Sie an die Zeit.

Dr. Christel Happach-Kasan (FDP):
Rede ID: ID1509427000

Ich denke an die Zeit. – Die im Koalitionsvertrag an-

gekündigte Charta für Holz lässt ebenfalls weiter auf
sich warten. Herr Staatssekretär Berninger, Sie machen
Hoffnung. Das ist doch noch etwas wert.

Es ist bezeichnend und fachlich völlig verfehlt, dass
die Bundesregierung keinen Vertreter des Forstwirt-
schaftsrats in den Rat für nachhaltige Entwicklung beru-
fen hat. Die FDP fordert die Bundesregierung auf, auf
eine Novellierung des Bundeswaldgesetzes zu verzich-
ten, in der nationalen Nachhaltigkeitsstrategie dem nach-
wachsenden Rohstoff Holz Priorität einzuräumen – –


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das ist Ihre Art von Liberalität!)


– Reden Sie nicht immerzu dazwischen, sondern hören
Sie auch einmal zu, wenn jemand etwas zu sagen hat.
Das sind Sie offensichtlich nicht gewohnt.


(Widerspruch bei der SPD – Gabriele HillerOhm [SPD]: Wir haben das Reden von Ihrer Fraktion gelernt!)

– Frau Hiller-Ohm, Sie hatten zwölf Minuten Zeit, zu sa-
gen, was Sie zu sagen haben. Sie haben sie nicht genutzt,
weil Sie nichts zu sagen hatten. Das ist entsetzlich.


(Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Jawohl, Frau Oberlehrerin!)


– Ja, ich bin gelernte Lehrerin.

Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1509427100

Ich möchte Sie bitten, nicht nur an die Redezeit zu

denken, sondern auch zum Ende Ihrer Rede zu kommen.

Dr. Christel Happach-Kasan (FDP):
Rede ID: ID1509427200

Ich beende meinen Satz. – Die FDP fordert die Bun-

desregierung auf, in der nationalen Nachhaltigkeitsstra-
tegie dem nachwachsenden Rohstoff Holz Priorität ein-
zuräumen und Vorbild bei der Verwertung von Holz aus
heimischen Wäldern zu sein.

Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1509427300

Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf

Drucksache 15/2210 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist offensichtlich der Fall. Dann ist
das so beschlossen.

Wir kommen zur Abstimmung über Tagesordnungs-
punkt 13 c: Beschlussempfehlung des Ausschusses für
Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft auf
Drucksache 15/2060 zu dem Antrag der FDP-Fraktion
mit dem Titel „Rahmenbedingungen für Waldbesitzer
und mittelständische Holzwirtschaft verbessern – Eigen-
tumsrechte stärken“ Der Ausschuss empfiehlt, den An-
trag auf Drucksache 15/941 abzulehnen. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? –
Wer enthält sich? – Damit ist die Beschlussempfehlung
angenommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 14 auf:
Beratung des Berichts des Ausschusses für Bil-
dung, Forschung und Technikfolgenabschätzung

(17. Ausschuss) gemäß § 56 a der Geschäftsord-

nung
Technikfolgenabschätzung
hier: Monitoring – „Gesundheitliche und ökolo-

gische Aspekte bei mobiler Telekommuni-
kation und Sendeanlagen – wissenschaftli-
cher Diskurs, regulatorische Erfordernisse
und öffentliche Debatte“

– Drucksache 15/1403 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f)

Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für Kultur und Medien

Die Kolleginnen und Kollegen Renate Jäger, Holger
Haibach, Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land), Dr. Antje
Vogel-Sperl und Michael Kauch haben ihre Reden zu
Protokoll gegeben.1)

1) Anlage 3






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsident Dr. Norbert Lammert
Ich vermute, dass die anwesenden Kolleginnen und

Kollegen damit einverstanden sind, auch ohne Kenntnis
der vorgesehenen Reden über den Überweisungsvor-
schlag abzustimmen. Sind Sie mit dem in der Tagesord-
nung aufgeführten Überweisungsvorschlag einverstan-
den? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so
beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Elften Gesetzes zur
Änderung des Außenwirtschaftsgesetzes

(AWG) und der Außenwirtschaftsverordnung


(AWV)

– Drucksache 15/2537 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit (f)

Innenausschuss
Verteidigungsausschuss

Auch hierzu war eine halbstündige Aussprache vorge-
sehen, die wir nicht benötigen, weil die Kollegen

weitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann ist die
Überweisung so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Begleit-
regelungen zur Einführung des digitalen Kon-
trollgeräts zur Kontrolle der Lenk- und

(Kontrollgerätebegleitgesetz – KontrGerätBeglG)

– Drucksache 15/2538 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (f)

Innenausschuss
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO

Auch hierzu war eine halbstündige Aussprache vorge-
sehen. Im Interesse der Ausweitung von Ruhezeiten ha-
ben die Kollegen Uwe Beckmeyer, Volkmar Vogel,
Klaus Hofbauer, Peter Hettlich und Horst Friedrich

(Bayreuth) sowie die Parlamentarische Staatssekretärin

Angelika Mertens ihre Reden zu Protokoll gegeben.2)
Christian Müller (Zittau), Christian Schmidt (Fürth),
Erich Fritz und Alexander Bonde sowie die Kollegin
Gudrun Kopp und der Parlamentarische Staatssekretär
Ditmar Staffelt ihre Reden zu Protokoll geben.1)


(Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Schade!)

– Das mag bedauerlich sein, ist aber durch die schlichte
Nichtanwesenheit der meisten der genannten Redner
kaum zu verhindern.


(Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Skandalös!)


Auch hier wird Überweisung des Gesetzentwurfes auf
Drucksache 15/2537 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu ander-
1) Anlage 4
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwur-
fes auf Drucksache 15/2538 an die in der Tagesordnung
aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Anderweitige
Vorschläge sehe ich nicht. Dann ist die Überweisung so
beschlossen.

Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages-
ordnung.

Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
destages auf morgen, Freitag, den 5. März 2004, 9 Uhr,
ein.

Ich wünsche Ihnen allen noch einen schönen Abend.
Die Sitzung ist geschlossen.