2) Anlage 5
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 94. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2004 8465
(A) (C)
(B) (D)
Während der Verletzte in der Vergangenheit als Zeuge
oft nur Objekt des Strafverfahrens war, besteht heute
keitsrechte des Opfers besteht. Die Bundesregierung
hatte hier die Prüfung des Vorschlages zugesagt.
Bundestag, dass wir heute zur Abstimmung kommen.
nicht unerheblichen Beeinträchtigung der Persönlich-
Anlage 1
Liste der entschuldigten Abgeordneten
Anlage 2
Zu Protokoll gegebene Rede
zur Beratung:
– Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der
Rechte der Opfer im Strafprozess (2. Opfer-
schutzgesetz)
– Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung
der Rechte von Verletzten im Strafverfahren
(Opferrechtsreformgesetz – OpferRRG)
– Bericht: Opferrechte stärken und verbes-
sern
(Tagesordnungspunkte 7a und b)
Petra Pau (fraktionslos): Zunächst: Obwohl die Stel-
lung des Opfers im Strafverfahren in den letzten Jahren
eine Aufwertung erfahren hat, gibt es weder in der
Rechtspolitik, der Rechtspraxis noch in der Rechtswis-
senschaft Zweifel daran, dass der Opferschutz weiter
ausgebaut werden muss. Deshalb begrüßt die PDS im
Abgeordnete(r) entschuldigt biseinschließlich
Andres, Gerd SPD 04.03.2004
Beck (Bremen),
Marieluise
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
04.03.2004
Deligöz, Ekin BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
04.03.2004
Flach, Ulrike FDP 04.03.2004
Hartnagel, Anke SPD 04.03.2004
Hoppe, Thilo BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
04.03.2004
Lanzinger, Barbara CDU/CSU 04.03.2004
Lehder, Christine SPD 04.03.2004
Röspel, René SPD 04.03.2004
Rupprecht (Weiden),
Albert
CDU/CSU 04.03.2004
Dr. Stadler, Max FDP 04.03.2004
Zapf, Uta SPD 04.03.2004
Anlagen zum Stenografischen Bericht
weitgehend Einigkeit darüber, dass nicht zuletzt die
Menschenwürde des Verletzten es gebietet, ihn einerseits
vor zu großen Belastungen im Strafverfahren zu schüt-
zen und ihn andererseits in die Lage zu versetzen, seine
eigenen Interessen aktiv in das Prozessgeschehen einzu-
bringen.
Das Opferschutzgesetz von 1987 und das Zeugen-
schutzgesetz von 1998 und die Regelungen zum Täter-
Opfer-Ausgleich, TOA, waren erste Schritte in diese
Richtung. Die Praxis hat allerdings gezeigt, dass die ent-
sprechenden Vorschriften in vielen Fällen noch nicht
ausreichen, sodass Verbesserungen und Ergänzungen er-
forderlich sind, um dem gewollten Ziel näher zu kommen.
Deshalb wird es Zeit, dass wir heute abstimmen und
der in der Anhörung ausgebrochene Streit um Urheber-
rechte, statt um Lösungen beendet wird.
Auch der Weiße Ring, die Opferschutzorganisation,
begrüßt diesen Gesetzentwurf und fordert eine schnelle
Umsetzung der geplanten Maßnahmen. In ihrer Stellung-
nahme dazu heißt es: Der Entwurf des Opferrechtsre-
formgesetzes der Bundesregierung beinhaltet zahlreiche
Forderungen des Weißen Rings, darunter auch die Aus-
weitung der Inanspruchnahme des Opferanwaltes auf
Staatskosten. Künftig kann er auch von den Angehöri-
gen eines getöteten Opfers beantragt werden. Für Opfer
von Straftaten ist eine zügige Schadenswiedergutma-
chung als Teil der Verarbeitung des Geschehens beson-
ders hilfreich. Wurden sie bislang fast immer auf den Zi-
vilklageweg verwiesen und hatten damit nach dem
Strafprozess ein zweites meist ebenso belastendes Ver-
fahren durchzustehen, dürfte dies in vielen Fällen künf-
tig nicht mehr nötig sein. Durch vermehrte Anwendung
des so genannten Adhäsionsverfahrens können zivil-
rechtliche Ansprüche aus der Straftat bereits im Rahmen
des Strafverfahrens festgestellt und zugesprochen werden.
Auch das vorgesehene Anwesenheitsrecht von Ver-
trauenspersonen bei Zeugenvernehmungen, die Auf-
zeichnung auf Tonträger zur Vermeidung wiederholter
Vernehmungen sowie der vom Schutzgedanken für das
Opfer geprägte Ausbau der Videovernehmung von
Opferzeugen in der Hauptverhandlung sind eindeutige
Fortschritte beim Opferschutz. Dazu zählt weiterhin die
bessere Information des Verletzten über seine Rechte im
Strafverfahren, auf die er künftig Anspruch hat und die
ihm nicht wie bisher lediglich gegeben werden können.
Insbesondere für Opfer von Sexual- und Gewaltstrafta-
ten ist es von besonderem Interesse, etwas über Dauer
der Haft, Entlassung oder Vollzugslockerungen zu erfah-
ren, um sich auf eine eventuelle Begegnung mit dem Tä-
ter einstellen zu können. Allerdings gibt es auch noch ei-
nige Fragen, welche zügig geklärt werden müssen:
Unklar ist noch, ob – wie die Länderkammer verlangt –
überhaupt keine Kopien von audiovisuellen Aufzeich-
nungen herausgegeben werden, da hier die Gefahr einer
8466 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 94. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2004
(A) (C)
(B) (D)
Das angestrebte Ziel, dass die Opfer von Straftaten
nicht ein zweites Mal zu einem Opfer vor Gericht wer-
den und eine schnelle Wiedergutmachung ihrer Schäden
erhalten, ist ohne Abstriche begrüßenswert. Inwieweit
die vorgeschlagenen Maßnahmen greifen, wird sich zei-
gen müssen.
Da sich zum Beispiel bei dem Gesetz von 1986 Um-
setzungsprobleme gezeigt haben, sollte man eine Be-
gleituntersuchung über die Wahrnehmung und tatsächli-
che Wirkung der vorgeschlagenen Maßnahmen
durchführen. Denn gut gemeint ist nicht immer gut ge-
macht.
Anlage 3
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Berichts: Technikfolgenab-
schätzung; hier: Monitoring – „Gesundheitliche
und ökologische Aspekte bei mobiler Telekom-
munikation und Sendeanlagen – wissenschaftli-
cher Diskurs, regulatorische Erfordernisse und
öffentliche Debatte“ (Tagesordnungspunkt 14)
Renate Jäger (SPD): Der heute zu diskutierende
Bericht ist ein Beitrag zum gesellschaftlichen Diskurs
über die elektromagnetische Verträglichkeit der Umwelt.
Dieser Diskurs wird leider oft sehr emotionalisiert ge-
führt. Er ist oft von Unwissenheit, Einseitigkeit und Wi-
dersprüchlichkeiten geprägt. Manch ein Konflikt könnte
durch bessere Information und Transparenz vermieden
werden. Dieser Bericht ist dazu ein wesentlicher Beitrag.
Er hat das Ziel, Politik, Netzbetreiber und regulierende
Instanzen zu einem konstruktiven Umgang mit den po-
tenziellen Risiken des Mobilfunks zusammenzuführen,
und er liefert eine gute Grundlage für die weitere Befas-
sung des Parlaments mit dieser Thematik.
Lassen Sie mich kurz auf die wissenschaftlichen
Grundlagen und Erkenntnisse eingehen: Mobilfunk
funktioniert auf der Grundlage von so genannten hoch-
frequenten elektromagnetischen Feldern. In unserem all-
täglichen Umfeld – das wissen wir alle –, ob im Haus-
halt, im Beruf oder im Freien, sind wir ständig
elektromagnetischen Feldern, EMF, ausgesetzt, den na-
türlichen wie Sonne, Gewittern oder Erdmagnetismus
und den technisch erzeugten wie zum Beispiel durch
Hochspannungsleitungen, diverse Elektrogeräte im
Haushalt, medizinische Geräte und vieles andere mehr.
Die vom Menschen erzeugten EMF werden auch oft
als „Elektrosmog“ bezeichnet. Da die Zellregulationen
beim Menschen zu großen Teilen auf elektromagne-
tischen Impulsen basieren, können elektromagnetische
Einwirkungen von außen auch Einfluss auf die Zell-
regulationen haben. Diese Annahme führte zu circa
20 000 wissenschaftlichen Studien, die gemacht worden
sind an Zellpopulationen, an Tieren sowie an Menschen
und die die verschiedensten Aspekte betreffen wie zum
Beispiel den Kalziumtransport, da Kalzium eine wich-
tige Rolle bei der Funktion von Neuronen und anderen
Zellen spielt, die Erkenntnisfunktionen des Gehirns, Ge-
dächtnis- und Lernfähigkeit, Blut-Hirn-Schranke, Herz-
Kreislauf-System, Fortpflanzung und Krebsgefährdung
um nur einige zu nennen.
Zwar konnten in der Mehrzahl der Studien messbare
biologische Effekte nachgewiesen werden. Es wurde je-
doch kein eindeutiger Nachweis auf negative gesund-
heitliche Folgen erbracht.
Leider wurden und werden diese beiden Sachverhal-
te – der Nachweis biologischer Wirkungen einerseits
und der nicht erbrachte Nachweis gesundheitlicher Aus-
wirkungen andererseits – in der öffentlichen Debatte
nicht getrennt. Sie werden ständig vermischt und aus der
Vermischung von beidem resultiert ein Großteil der Ver-
unsicherung.
Ein gesundheitliches Risiko ist messbar nachgewie-
sen: der so genannte thermische Effekt beim Handy bei
einem SAR-Wert von 4 Watt pro Kilogramm. Zur Erläu-
terung: Der SAR-Wert ist der Wert für die Energieab-
sorption im Körper. Der thermische Effekt besagt, dass
sich beim Telefonieren mit dem Handy das umliegende
Gewebe erwärmt, gegebenenfalls auch die nahe am Ohr
liegenden Teile des Gehirns.
Auf diese nachgewiesenen thermischen Effekte bezog
sich die Internationale Strahlenschutzkommission bei ih-
rer Grenzwertempfehlung. Beim Handy beträgt dieser
Wert 2 Watt pro Kilogramm, was zu einer Temperaturer-
höhung von maximal 0,1 Grad Celsius im Gewebe führt.
Bei dieser Temperaturerhöhung sind keinerlei schädi-
gende Wirkungen nachgewiesen.
Wissenschaftlich nicht geklärt sind die gesundheitli-
chen Auswirkungen der so genannten athermischen Ef-
fekte, die nicht zu einer Temperaturerhöhung im
menschlichen Körper führen, aber messbare biologische
Effekte zeigen.
Inwieweit Migräne, Kopfschmerzen, Schlaf- und
Konzentrationsstörungen in Zusammenhang mit den
athermischen Effekten der EMF gebracht werden kön-
nen, sagen die Forschungsergebnisse nicht eindeutig aus.
Da die athermischen Effekte im Zusammenhang zu se-
hen sind mit den elektromagnetischen Prozessen im
menschlichen Körper, ist zu vermuten, dass manche
Menschen sensibler als andere auf EMF reagieren kön-
nen.
In wissenschaftlichen Studien wird – zwar nicht nach-
gewiesen – in Schweden „Elektrosensibilität“ als Krank-
heit anerkannt und mit speziellen Gesundheitsvorsorge-
maßnahmen verbunden. Insgesamt ist bezogen auf die
Ergebnisse der Studien festzustellen, dass der derzeitige
Wissensstand nicht zufriedenstellend ist und eine ein-
heitliche Risikobewertung nicht vorgenommen werden
kann. Insbesondere sind die Langzeitwirkungen nicht
ausreichend erforscht.
Das ist wahrscheinlich auch der Grund dafür, dass es
hinsichtlich der Grenzwerte von EMF keine verbind-
lichen Regelungen innerhalb der EU gibt. Es gibt emp-
fohlene Grenzwerte und die Mitteilung der EU-Kommis-
sion an die Mitgliedstaaten, nach dem Vorsorgeprinzip
zu handeln. Solange keine wissenschaftliche Klarheit
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 94. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2004 8467
(A) (C)
(B) (D)
herrscht, können gesundheitliche Auswirkungen auch
nicht ausgeschlossen werden. Da muss begründbare Vor-
sorge stattfinden. Meine Betonung liegt hier auf
begründbar. Demgemäß können die Mitgliedstaaten
niedrigere Grenzwerte festlegen, was die meisten auch
gemacht haben.
Interessant sind in diesem Zusammenhang der im Be-
richt enthaltene Ländervergleich und die unterschiedli-
chen Herangehensweisen. Beispielsweise liegen in der
Schweiz die Grenzwerte so niedrig, dass für das Telefo-
nieren größere Empfangslücken bestehen, und trotzdem
fordern Protestgruppen eine weitere Absenkung der
Grenzwerte.
Diese Erfahrung lehrt auch: Viel Vorsorge bedeutet
nicht weniger Forderungen der Mobilfunkgegner.
In Deutschland liegen die EMF im öffentlichen Raum
weit unter den Grenzwertempfehlungen, auch die Emis-
sionen der Mobilfunkgeräte. Bei Einhaltung der Sicher-
heitsabstände von Mobilfunksendestationen sind auch
thermische Wirkungen ausgeschlossen. Insgesamt sind
nach derzeitigem Wissensstand bei Einhaltung der
Grenzwerte keine gesundheitlichen Risiken zu erwarten.
Uneinig ist man noch darüber, inwieweit bei dem Vor-
sorgeprinzip die Langzeitexpositionen ausreichend be-
rücksichtigt werden.
Was die Risikobewertung in der öffentlichen Debatte
angeht, gibt es ein großes Kuriosum: Das Mobiltelefon
ist in der Bevölkerung voll akzeptiert, obwohl es in der
Wissenschaft einen großen Konsens darüber gibt, dass
die durch Mobiltelefone erzeugten EMF in ihrer Stärke
und Auswirkung weit über denen von Sendeanlagen lie-
gen, je nach Entfernung das Hundert- bis Zehntausend-
fache über den Werten der Sendeanlagen. Die Proteste
richten sich aber hauptsächlich gegen Sendeanlagen, die
das mobile Telefonieren überhaupt erst ermöglichen.
Davon ausgehend ist nicht zu erwarten, dass von Laien-
protesten sachlich begründete Forderungen ausgehen.
Gerade diese Tatsache erfordert von Netzbetreibern,
Politik und regulierenden Instanzen, den Bürgern und
den Kommunen weitestgehende Informationen zukom-
men zu lassen.
Sorgen und Ängste in der Bevölkerung müssen dabei
ernst genommen werden und es muss ein offener Dialog
auf sachlicher Basis geführt werden. Dazu benötigen alle
Beteiligten Kenntnisse über den neuesten wissenschaftli-
chen Sachstand als Grundlage für ihre eigene Risikobe-
wertung.
Insgesamt ist in Richtung Information und Vertrau-
ensbildung einiges auf den Weg gebracht worden. Es gab
zunächst die Vereinbarung der Betreiber mit den kom-
munalen Spitzenverbänden zum Informationsaustausch
und dann durch die Bundesregierung initiiert die Selbst-
verpflichtung der Mobilfunknetzbetreiber zur Verbesse-
rung von Sicherheit und Bürgerbeteiligung. Im Nach-
gang existieren bereits zwei Monitoring-Berichte über
die Erfüllung dieser Selbstverpflichtung. Die Bundesre-
gierung hat über das Bundesamt für Strahlenschutz das
Deutsche Forschungsprogramm Mobilfunk aufgelegt, in
dem weitere Forschungsvorhaben aus den Bereichen
Biologie, Dosimetrie, Epidemiologie, Elektrosensibili-
tät und Risikokommunikation durchgeführt werden. Au-
ßerdem ist durch die Regulierungsbehörde für Telekom-
munikation und Post eine Standortdatenbank für die
Kommunen eingerichtet worden.
Das Bundesumweltministerium ist in Gesprächen mit
Netzbetreibern und Herstellern über ein besonders um-
weltfreundliches Handy – mit einem SAR-Wert von un-
ter 0,6 Watt pro Kilogramm –, das das Label „Blauer En-
gel“ erhalten soll. Bisher verweigern sich die Hersteller,
weil sie für ein Qualitätssiegel auch andere Parameter
berücksichtigt haben wollen. Vielleicht sollte man die
Bewertungskriterien erneut diskutieren, um endlich zu
einer Lösung zu kommen.
Eine wesentliche vertrauensbildende Maßnahme sind
die Messaktionen durch die Regulierungsbehörde für Te-
lekommunikation und Post, bei denen keine Überschrei-
tungen der Grenzwerte festgestellt wurden. Häufig wur-
den die Grenzwerte um mehr als das Tausendfache
unterschritten.
Informationspolitik in diesem Bereich kann nicht nur
einseitig betrieben werden. Auch die Kommunen müssen
ihre Kompetenzen bezüglich der Mobilfunktechnik stär-
ken, um einen sachgerechten Dialog führen zu können.
Was könnte bzw. was müsste getan werden? Wenn die
WHO in diesem Jahr ihre internationale Studie zu dieser
Thematik vorlegt, könnte eine erneute Diskussion über
Grenzwerte erforderlich werden. Das Parlament könnte
in bestimmten Abständen einen Bericht über den Fort-
gang der EMVU-Debatte initiieren. Eine koordinierte
Forschungsplattform „Mobilfunk und Gesundheit“
könnte eingerichtet werden. Eine Reduzierung der Mo-
bilfunkstandorte kann erreicht werden, indem ein Stand-
ort durch mehrere Funkdienste genutzt wird. Die Mehr-
fachnutzung sollte weiter forciert werden bei neu zu
errichtenden Sendeanlagen für die UMTS-Technik.
Abschließend sei gesagt: Ziel der Debatte um die Ver-
träglichkeit der durch Mobilfunk geschaffenen EMF
muss sein, zuallererst gesundheitliche Risiken für die
Menschen auszuschließen. In diesem Prozess muss aber
auch der Konflikt zwischen sachlicher Risikobewertung
und dem empfundenen Risiko entschärft werden durch
plausible und begründete Vorsorge auf der Basis weite-
rer wissenschaftlicher Erkenntnisse sowie einer breiten
Öffentlichkeitsarbeit.
Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land) (CDU/CSU): Im-
mer wieder erleben wir in unseren Wahlkreisen aufge-
regte Debatten um die Risiken von Mobilfunk. Anlass ist
zumeist die geplante Aufstellung eines Mobilfunkmas-
tes. Wir nehmen diese Sorgen und Ängste der Bürgerin-
nen und Bürger, die in den Debatten geäußert werden,
sehr ernst. Deshalb hat der Deutsche Bundestag eine
Studie beim Büro für Technikfolgenabschätzung zur nä-
heren Untersuchung verschiedener Fragen im Zusam-
menhang mit mobiler Telekommunikation in Auftrag ge-
geben. Der Titel der Studie: „Gesundheitliche und
ökologische Aspekte bei mobiler Telekommunikation
und Sendeanlagen“ verspricht dann allerdings mehr, als
die Studie tatsächlich enthält.
8468 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 94. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2004
(A) (C)
(B) (D)
Denn es geht in der Studie nicht etwa um eine ausge-
wogene Betrachtung verschiedener positiver und negati-
ver Aspekte der mobilen Telekommunikation. Nein, das
Büro für Technikfolgenabschätzung beschränkt seine
Untersuchung auf die umfassende Zusammenstellung
der vorhandenen Information zu den gesundheitlichen
und ökologischen Risiken mobiler Telekommunikation.
Auf 100 Seiten werden die wissenschaftliche Suche
nach Risiken des Mobilfunks, die Reaktion der Men-
schen auf die Konfrontation mit vermeintlichen Risiken
des Mobilfunks und einige gesundheitlich-ökologische
Regelungen für mobile Telekommunikation dargestellt.
Die Studie schließt mit einigen Schlussfolgerungen und
Empfehlungen der Autoren für die Gestaltung einer wei-
teren öffentlichen Diskussion über vermeintliche Risi-
ken und notwendigen Regulierungen im Bereich mobiler
Telekommunikation in Deutschland.
In der Studie wird zum Beispiel darauf hingewiesen,
dass Herzschrittmacher älterer Bauart Störungen aufwei-
sen können, wenn ihm Handys näher als 25 Zentimeter
kommen.
Was nicht erwähnt wird, das sind zum Beispiel die ge-
sundheitlich fördernde beruhigende Wirkung von intelli-
genten Herzschrittmachern, die kontinuierlich Gesund-
heitsdaten an den zuständigen Arzt übermitteln und im
Notfall sogar selbstständig eine SMS an die Rettungs-
stelle oder zum Arzt schicken. Das sind Innovationen.
Das sind positive Auswirkungen, die nicht unter den
Teppich gekehrt werden sollten.
Auch auf andere Chancen und positive Auswirkungen
mobiler Telekommunikation geht die Studie nicht näher
ein. Ausgeblendet werden nicht nur positive gesundheit-
liche Wirkungen des mobilen Telefonierens, etwa durch
die Sicherheit ständiger Erreichbarkeit, durch vermehrte
und deutlich weniger aufwendige Kommunikation. Ret-
tungskräfte können einfacher und schneller gerufen wer-
den und sind in der Regel früher vor Ort.
Es wird auch nicht weiter eingegangen auf positive
Strahlungsauswirkungen auf die Wahrnehmungsfähigkeit
und Denkleistung des Menschen beim mobilen Telefonie-
ren, die in Versuchen durch verbesserte Reaktionszeiten
von strahlungsexponierten Menschen nachgewiesen wur-
den.
Dennoch erscheinen die Ergebnisse der Studie mit
Blick auf die öffentliche Debatte über vermeintliche Ri-
siken mobiler Telekommunikation sehr wertvoll. Sie las-
sen sich einfach, kurz und bündig zusammenfassen:
Erstens. Negative gesundheitliche Beeinträchtigungen
– das heißt gesundheitliche Schädigungen – durch die
Strahlungen bei mobilem Telefonieren mit heutigem
Standard in Deutschland konnten nicht nachgewiesen
werden.
Zweitens. Die in diesem Zusammenhang bestehenden
Grenzwerte sind unter gesundheitlichen Aspekten aus-
reichend, es besteht kein gesetzgeberischer bzw. sonsti-
ger Handlungsbedarf. Dies hat übrigens das Bundesver-
fassungsgericht in seinem Urteil aus dem Jahr 2002
bereits festgehalten.
Mit diesem eindeutigen Ergebnis, das die Erkennt-
nisse aus über 20 000 Publikationen zu diesem Themen-
bereich berücksichtigt, könnte das Kapitel Schädigungen
durch Mobilfunkanlagen und Handys geschlossen wer-
den. Allerdings ist es schon erkenntnistheoretisch un-
möglich, potenzielle Gefährdungen völlig auszuschließen.
Das gilt auch für die Strahlung von Handys und Sen-
demasten und liegt einfach daran, dass niemals alle theo-
retisch möglichen bzw. denkbaren Schadenswirkungen
untersucht werden können. Wir müssen uns immer
zwangsweise auf diejenigen Gefährdungen beschränken,
die wir untersuchen und beobachten können. Dass bis-
lang beim Mobilfunk keine solchen negativen Wirkun-
gen beobachtet wurden, könnte seine Ursache darin ha-
ben, dass bislang nur noch nicht richtig gesucht wurde,
oder darin, dass solche Wirkungen nicht existieren.
Auch wenn exzessive Mobilfunknutzer nicht scharen-
weise in Krankenhäusern oder auf dem Sterbebett lie-
gen, lässt sich eine Gefährdung niemals ausschließen,
ebenso wenig wie es sich ausschließen lässt, dass Fern-
sehen dumm macht, die Blähungen von Kühen die At-
mosphäre erwärmen oder Mehrweg ökologisch besser
sein könnte als Einweg.
Solange keine neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse
die derzeit in Deutschland bestehenden Grenzwerte und
sonstigen Auflagen für die Strahlung von Mobilfunkan-
tennen und Mobiltelefonen als unzureichend ausweisen,
sollte die weitere Entwicklung mobiler Telekommunika-
tion – wie derzeit zum Beispiel die Einführung der
UMTS-Technik – nicht mit Debatten und öffentlichen
Diskursen über Phantomrisiken belastet werden. Wir ha-
ben mittlerweile so viele handfeste große Probleme in
Deutschland, die dringend gelöst werden müssen, wie
zum Beispiel die zunehmende Arbeitslosigkeit, das Ge-
sundheits- und Rentenchaos.
Der Bundestag sollte sich dann wieder mit dem
Thema befassen, wenn neue wissenschaftliche Erkennt-
nisse Schädigungen tatsächlich belegen können. Es ist
unsere zentrale Aufgabe, die Entwicklung zukunftsfähi-
ger Technologien und die Anwendung dieser Techniken
zu fördern. Wir wollen Chancen ergreifen und damit den
Wohlstand im Lande mehren und uns nicht durch Risi-
kodiskussionen selbst blockieren.
Ich schließe meine Rede mit einem Ausspruch von
Erich Kästner: „Wird’s besser – wird’s schlimmer – fragt
man alljährlich – seien wir ehrlich – leben ist immer –
lebensgefährlich“.
Holger Haibach (CDU/CSU): Der vorliegende Be-
richt über das Mobilfunkmonitoring ist vor allem und zu
allererst eine wissenschaftliche Fleißarbeit. Insofern ein
herzlicher Dank an die Ersteller dieses Berichts.
Betrachtet man nun allerdings den Inhalt des Berichts,
so kommt man zu einer zugegebenermaßen überspitzt
formulierten, nichtsdestoweniger erstaunlichen Er-
kenntnis: Man weiß, dass man nichts weiß, zumindest
nichts Genaues und Sicheres.
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 94. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2004 8469
(A) (C)
(B) (D)
Die Zahl von mehr als 20 000 Untersuchungen zu den
Auswirkungen des Mobilfunks auf Menschen, Tiere und
Umwelt belegt jedoch, wie groß das Interesse an Sicher-
heit bei diesem Thema ist. Objektiv lässt sich allerdings
feststellen, dass eine wie auch immer geartete Schädi-
gung durch Mobiltelefone und Anlagen bisher nicht ein-
wandfrei bewiesen werden kann.
Dies soll allerdings nicht darüber hinwegtäuschen,
dass es ein subjektives Bedrohungsgefühl in Teilen der
Bevölkerung gibt; auch dies zeigt der Bericht deutlich
auf. Bemerkenswert ist hierbei, dass die subjektiv emp-
fundene Bedrohung nicht etwa von den zumeist direkt
am Körper getragenen Mobiltelefonen, sondern von den
Mobilfunkmasten ausgeht. Die Schizophrenie der öffent-
lichen Debatte wird spätestens dann deutlich, wenn man
bedenkt, dass zwar niemand einen Mobilfunkmast direkt
in seiner Nähe sehen will, andererseits die Zahl der Han-
dybesitzer in Deutschland von Jahr zu Jahr steigt und in-
zwischen die Zahl von 50 Millionen überschritten hat.
Diese Ängste in der Bevölkerung sind vielfach auf
Unwissenheit und mangelnde Aufklärung zurückzufüh-
ren. Es ist somit auch unsere Aufgabe, die Debatte über
mögliche Gefahren von Mobilfunkanlagen zu versachli-
chen und die Menschen zu informieren. Dies ist für
meine Fraktion ein wesentliches Ergebnis dieser Unter-
suchung. Dem entspricht die Empfehlung des Berichts,
dass gerade bei Mobilfunkanlagen eine „transparente Ri-
siko-Nutzen-Analyse“ durchzuführen ist. Nochmals:
Sachliche Diskussion und nicht das Schüren von Ängs-
ten muss hier die Devise sein.
Dies gilt auch für den Bereich der Diskussion um Re-
gelungen und Grenzwerte, wenn es um die Frage der
Abstrahlung von Mobilfunkanlagen geht. Wer geglaubt
hätte, eine möglichst strenge Regulierung bis ins letzte
Detail hinein führe automatisch zu einer Beruhigung der
Gemüter und damit zu einem vernünftigen Umgang in
der Mobilfunkdebatte, der sieht sich heute getäuscht.
Denn der vorliegende Bericht stellt eindeutig fest, dass
in den Ländern, in denen die höchste Regulierungsdichte
beim Mobilfunk herrscht, die öffentliche Diskussion und
die Emotionalisierung der Debatte am stärksten ist. Dies
sollte uns allen – und im Besonderen der Bundesregie-
rung – eine Warnung auch für andere Politikbereiche
sein.
Wesentlich vielversprechender sind da doch die frei-
willigen Initiativen, die seitens der Kommunen und der
Mobilfunkbetreiber unternommen wurden, um einen
Wildwuchs von Masten und damit eine über das notwen-
dige Maß hinausgehende Belastung der Bevölkerung
durch Elektrosmog zu verhindern. Die Errichtung von
Mobilfunkkatastern und der Versuch, über einen Mast
mehrere Mobilfunknetze zu betreiben, haben gerade in
städtischen Bereichen erste Erfolge gezeigt.
Immerhin werden von etwa 35 Prozent aller Masten
inzwischen zwei oder mehr Netze angesteuert; diesen
Trend gilt es zu stärken und zu unterstützen.
Wenn insgesamt bei den Netzbetreibern positive Zei-
chen zu beobachten sind, so muss auch andererseits
deutlich gemacht werden, dass die Handyhersteller mit
ihrer Weigerung, Strahlungswerte auf ihren Handys an-
zugeben, der Sache Mobilfunk keinen Gefallen tun.
Anliegen der CDU/CSU-Fraktion ist es, die Debatte
über den Mobilfunk zu entideologisieren. Es geht hier
weder um die unkontrollierte Abstrahlung von Sende-
leistung noch um das Verbot und die Rückkehr in die
kommunikationstechnische Steinzeit. Vielmehr muss der
Mittelweg gefunden werden, den der vorliegende Be-
richt des TA-Büros wiederholt einfordert. Die Verfasser
folgen damit einer Linie, die auch international von füh-
renden Forschungsinstitutionen im In- und Ausland so
gesehen wird.
Aus diesem Grund müssen bestehende Risiken unter-
sucht und abgewogen werden. Denn es ist so, wie der
Bericht feststellt, dass die „wissenschaftlichen Kernfra-
gen innerhalb der nächsten fünf bis zehn Jahre nicht hin-
reichend beantwortet werden können.“
Aber eines ist auch richtig und wichtig und auch dies
stellt der Bericht fest; zu warten, bis der absolute Beweis
der Unschädlichkeit des Mobilfunks erbracht ist, kann
nicht die Lösung sein. Denn Unschädlichkeit kann als
negativer Tatbestand nun einmal nicht bewiesen werden.
Dr. Antje Vogel-Sperl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN): Weltweit liegen heute mehr als 20 000 wissen-
schaftliche Studien und einige Hundert Metastudien vor,
die der Frage nach möglichen gesundheitlichen Auswir-
kungen des Mobilfunks nachgehen. Eine klare und ein-
deutige Antwort steht jedoch noch immer aus, was letzt-
lich die Ursache für die Verunsicherung der Bevölkerung
ist. Jeder dritte Deutsche ist besorgt wegen möglicher
Gesundheitsrisiken laut einer Umfrage des Bundesum-
weltministeriums.
Vor diesem Hintergrund hat der Ausschuss für (Bil-
dung, Forschung und Technikfolgenabschätzung im
Herbst 2001 das nun vorliegende Gutachten beim Büro
für Technikfolgenabschätzung in Auftrag gegeben. Ziel
war es, mehr Licht in die Debatte zu bringen. Dies ist
durchaus gelungen Der Bericht liegt nun vor und bietet
– dafür gebührt dem TAB unser ausdrücklicher Dank –
einen sehr gut strukturierten Überblick über den Stand
der gesellschaftlichen Diskussion sowie über die For-
schungsergebnisse und regulatorischen Ansätze auf na-
tionaler und internationaler Ebene.
Das Ergebnis der TAB-Wissenschaftler bezüglich der
Forschungslage gibt uns leider noch keine wissenschaft-
liche Klarheit. Trotz Hinweisen auf biologische Effekte
durch Mobilfunkstrahlung ist eine tatsächliche Gefähr-
dung der menschlichen Gesundheit bislang nicht beleg-
bar. Ein Unbedenklichkeitsnachweis ist dies jedoch
nicht. Die Schlussfolgerungen und Empfehlungen der
TAB-Wissenschaftler sind jedoch eindeutig Sie fordern
zwei grundlegende Strategien, breit angelegte Vorsorge-
maßnahmen und die Anwendung des Minimierungsge-
bots in allen Bereichen des Mobilfunks Durch diese
Empfehlungen sehen wir Grüne uns eindeutig in unseren
Forderungen unterstützt.
Konkret heißt das: Wir brauchen mehr Forschung zu den
gesundheitlichen Auswirkungen der Mobilfunkstrahlung,
8470 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 94. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2004
(A) (C)
(B) (D)
wir brauchen eine bessere Information und Aufklärung
der Bevölkerung, wir brauchen mehr Bürgerbeteiligung
beim Netzausbau und der Standortfindung, wir brauchen
eine sachgerechte Kennzeichnung von strahlungsarmen
Geräten und wir brauchen die Anwendung des Minimie-
rungsgebots sowohl bei der Netzplanung, dem Gerätede-
sign und bei der Nutzung der Technologie selbst. Mini-
mierung heißt dabei: Wo immer Möglichkeiten bestehen,
die Strahlenbelastung der Bevölkerung zu verringern,
müssen diese genutzt werden!
Was haben wir nun seit Abschluss der Selbstver-
pflichtung im Jahr 2001 erreicht? Mit ihrem Vorsorge-
programm hat die Bundesregierung ein ganzes Paket an
Maßnahmen erfolgreich auf den Weg gebracht:
Mit 20,5 Millionen Euro fördert derzeit die Bundesre-
gierung im Zeitraum zwischen 2002 und 2005 die Erfor-
schung der gesundheitlichen Auswirkungen des Mobil-
funks sowie die Optimierungspotenziale bei der
technischen Regulierung des Netzausbaus und die Ent-
wicklung strahlungsarmer Sendemasten und Mobiltele-
fone. Im vergangenen Jahr ist das Mobilfunkforschungs-
programm des Umweltministeriums mit einem Volumen
von 8,5 Millionen Euro zuzüglich eines Beitrags der
Netzbetreiber in gleicher Höhe erfolgreich angelaufen.
Auch die Information der Bevölkerung konnte durch
Maßnahmen der Bundesregierung verbessert werden.
Mit einer Informationskampagne bietet das Bundesamt
für Strahlenschutz zielgruppenorientierte Informationen
rund um das Thema Mobilfunk an, insbesondere für
Kinder und Jugendliche. Gerade hier besteht auch drin-
gender Handlungsbedarf, denn Kinder und Jugendliche
telefonieren mehr und mehr mit Handys. Die Informa-
tionsbroschüre „Mobilfunk: Wie funktioniert das eigent-
lich?“, auf Initiative der grünen Bundestagsfraktion vom
Bundesamt für Strahlenschutz herausgegeben, bringt
verständliche Informationen über den Umgang mit Mo-
biltelefonen speziell für diese Zielgruppe. Das heißt:
vorsorgender Gesundheitsschutz gerade für Kinder und
Jugendliche, die aufgrund ihres Alters eines besonderen
Schutzes bedürfen.
Genauso bietet die Infobroschüre „Deutsches Mobil-
funkforschungsprogramm“ eine Fülle von Informationen
über den Mobilfunk und die derzeitigen Forschungsakti-
vitäten unter Leitung des BfS. Das bedeutet Zugang zu
wissenschaftlichen Informationen, Transparenz und
Klarheit für die Bürgerinnen.
Seit Anfang dieses Jahres steht allen Bürgerinnen und
Bürgern eine internetbasierte Standortdatenbank zur
Verfügung gemäß der freiwillige Selbstverpflichtung
und dem Koalitionsvertrag. Diese Datenbank bietet so-
wohl Informationen zu allen Mobilfunksenderstandorten
in Deutschland als auch zu den umfangreichen Strahlen-
messprogrammen, die Bund und Länder in den vergan-
genen Jahren durchgeführt haben. Das bedeutet einen
weiteren wesentlichen Fortschritt zu mehr Transparenz.
Angesichts der noch offenen Fragen und derzeit nicht
endgültig ausgeräumten Bedenken bezüglich der ge-
sundheitlichen Auswirkungen des Mobilfunks müssen
wir diesen Kurs der Vorsorge und Strahlenminimierung
konsequent weitergehen. Doch das heißt auch, dass die
Netzbetreiber und Handyhersteller ihren Beitrag leisten
müssen. Und da gibt uns sowohl der Bericht der TAB-
Wissenschaftler als auch das seit dieser Woche vorlie-
gende zweite Jahresgutachten zur Umsetzung der Selbst-
verpflichtung deutliche Hinweise auf bestehende Defi-
zite.
Auch wenn sich die Kommunikation zwischen Netz-
betreibern und den Kommunen erkennbar verbessert hat,
die Information und Einbindung der Bürgerinnen und
Bürger durch Netzbetreiber und Kommunen ist nach wie
vor mangelhaft. Aber genau diese Einbeziehung ist not-
wendig, um Akzeptanz in der Bevölkerung, Transparenz
für die Betroffenen im Sinne des vorsorgenden Verbrau-
cherschutzes und auch Planungssicherheit für die Netz-
betreiber zu erzielen. Diese frühzeitige Einbindung ist
unerlässlich zum Nutzen für alle Akteure. Betreiber und
Kommunen müssen frühzeitig auf betroffene Bürger zu-
gehen und nicht erst warten, bis das Kind in den Brun-
nen gefallen ist und ein Konflikt um bestimmte Stand-
orte ausgebrochen ist.
Die Verfahren zur Standortfindung und auch zur Ein-
bindung der Bürger sind zudem in jeder Kommune un-
terschiedlich. Viele kleinere Gemeinden sind hier zudem
überfordert. Hier vermeiden einheitliche Verfahren so-
wohl gesellschaftliche Konflikte als auch Kosten und
Aufwand der Betreiber. Notwendig ist also sowohl ein
Leitfaden als auch ein Katalog mit Best-Practice-Bei-
spielen, um den Kommunen nützliche Hilfestellungen
anzubieten. Beides bringt Transparenz und Effizienz.
Wir Grüne fordern dies seit Beginn dieser Legislaturpe-
riode.
Noch immer fehlt eine vorsorgeorientierte Kenn-
zeichnung von Mobilfunkgeräten. Ein Warnhinweis für
Jugendliche unter 16 Jahren ist dabei genauso erforder-
lich wie die Kennzeichnung strahlungsarmer Geräte.
Beides fordern wir mit Nachdruck im Sinne des Vorsor-
geprinzips. Und wenn eine Anpassung der Kriterien des
seit 2002 vorliegenden „Blauen Engels“ notwendig ist,
dann sind die Hersteller aufgefordert, der Jury Umwelt-
zeichen hierfür praktikable Vorschläge vorzulegen, an-
statt sich der Anwendung des „Blauen Engels“ zu ver-
weigern. Das Argument, das Bewerben von Handys
aufgrund ihrer strahlungsarmen Eigenschaften – wie es
zum Beispiel ein Schweizer Hersteller ganz offensiv be-
treibt – stelle ein Handelshindernis auf einem globalen
Markt dar, ist nicht überzeugend.
Das zweite Jahresgutachten zur freiwilligen Selbst-
verpflichtung hat zudem große Defizite hinsichtlich der
Kenntnisse des Verkaufspersonals über den SAR-Wert
der angebotenen Mobilfunktelefone und dessen Veröf-
fentlichung in der jeweiligen Bedienungsanleitung offen
gelegt.
Weiterhin gibt es vielfältige Möglichkeiten, die Strah-
lungsbelastung der Bevölkerung auf ein Minimum zu re-
duzieren. Das betrifft sowohl die technische Gestaltung
der Telefone und Sendemasten als auch planerische
Maßnahmen bei der kommunalen Standortplanung. Her-
steller, Betreiber und Kommunen müssen diese Mög-
lichkeiten nur konsequent anwenden. Und das – so
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 94. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2004 8471
(A) (C)
(B) (D)
bestätigen es auch die Forschungsberichte – ist heute
noch nicht der Fall. Im Übrigen ist gerade auch hier eine
innovative Industrie gefragt, entsprechende Produkte ge-
mäß dem Minimierungsprinzip zu entwickeln. Das ist
gut für den Verbraucher und für die Erschließung neuer
Märkte.
Wir Grüne haben immer eine Absenkung der Grenz-
werte und verbindliche Regeln im Bereich Mobilfunk
angestrebt und wollen dies auch weiterhin. Klar ist,
wenn der Weg der Selbstverpflichtung weiter begangen
werden soll, muss der Ansatz der Vorsorge konsequent
umgesetzt werden. Hier sind vor allem die Hersteller
und Netzbetreiber aufgefordert, ihren Teil des Beitrags
ernsthafter zu erfüllen. Sollte dies nicht erfolgen, müssen
wir gemeinsam über dann notwendige gesetzgeberische
Maßnahmen nachdenken.
Michael Kauch (FDP): Wir Liberalen befürworten
die Mobilfunktechnik als Teil der modernen Telekom-
munikation und stehen grundsätzlich auch einer weiteren
Verbreitung positiv gegenüber. Die FDP nimmt zugleich
die Sorgen der Menschen sehr ernst. Wir brauchen eine
sachliche, aber kritische Debatte darüber, wie diese
Technologie ohne Gesundheitsgefahren eingesetzt wer-
den kann. Der vorliegende TAB-Bericht kann nur der
Anfang sein.
Auch wenn die derzeitigen wissenschaftlichen Er-
kenntnisse keinen Anlass für eine Veränderung der be-
stehenden Grenzwerte geben, müssen die gesundheitli-
chen und ökologischen Risiken aus Sorge um die
Gesundheit der Bürgerinnen und Bürger weiter erforscht
werden. Wir brauchen Klarheit! Insbesondere die Lang-
zeitwirkungen gepulster elektromagnetischer Felder so-
wie mögliche nicht thermische Effekte sind bislang nicht
ausreichend untersucht worden.
Ich möchte an dieser Stelle betonen, dass unsere Auf-
merksamkeit nicht nur für die Mobilfunksendeanlagen,
sondern gerade auch für die Handys gelten muss. Über
die notwendige Forschung hinaus muss Transparenz
über die Strahlungsintensität von Handys hergestellt
werden. Wir brauchen eine Kennzeichnung, die den
Konsumenten beim Kauf über die Strahlungswerte der
Geräte aufklärt. Der mündige Verbraucher kann ent-
scheiden, ob die Strahlungsintensität beim Kauf eine
Rolle spielen soll oder nicht.
Doch die derzeitige Situation sieht anders aus. Zwar
besteht seit 2002 die Möglichkeit, für strahlungsarme
Handys das Umweltzeichen „Blauer Engel“ zu beantra-
gen. Jedoch wurde dies bislang von keinem Hersteller in
Anspruch genommen. Ich fordere die Industrie auf, sich
der Einführung eines solchen Labels nicht weiter zu ver-
schließen und sich in dieser Frage zu bewegen.
Ich fordere aber auch die Bundesregierung – allen
voran Umweltminister Trittin – auf, politische Verant-
wortung zu übernehmen, anstatt mit dem Finger auf die
Industrie zu zeigen. Schaffen Sie die Voraussetzungen
dafür, dass sich die Klassifizierung der Strahlungsinten-
sität von Handys durchsetzt. Handeln Sie, Herr Trittin!
Die laufende öffentliche Debatte über die gesundheit-
lichen Gefahren der Sendemasten steht in einem Miss-
verhältnis zum derzeitigen wissenschaftlichen Kenntnis-
stand. Obwohl bislang unterhalb der geltenden
Grenzwerte keine Gefahren festgestellt werden konnten,
wächst vor Ort in den Kommunen der Unmut von Bür-
gerinnen und Bürgern, die im Umkreis von Sendemasten
wohnen. Wir als Politiker müssen diese Sorgen ernst
nehmen, aber zugleich akzeptieren, dass eine Optimie-
rung des Netzes und damit eine Minimierung der Strah-
lung der Endgeräte nur durch den Ausbau der Sendean-
lagen zu erreichen ist.
Um die Akzeptanz der Mobilfunktechnologie nicht zu
gefährden, müssen die Gemeinden frühzeitig und stärker
als bisher bei der Suche nach geeigneten Standorten be-
teiligt werden. Eine alternative Standortwahl kann in
vielen Fällen schon im Vorfeld Konflikte verhindern.
Ich appelliere an die Netzbetreiber, die geschlossene
Selbstverpflichtung wieder ernster zu nehmen. Nur das
Miteinander von Gemeinden und Mobilfunkbetreibern
kann helfen, das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger
vor Ort zu gewinnen. Dafür sollten wir uns gemeinsam
einsetzen.
Anlage 4
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Entwurfs eines Elften Geset-
zes zur Änderung des Außenwirtschaftsgesetzes
(AWG) und der Außenwirtschaftsverordnung
(AWV) (Tagesordnungspunkt 15)
Christian Müller (Zittau) (SPD): Die Bundesregie-
rung hat heute ausführlich Notwendigkeit und Inhalt der
vorgesehenen Änderung des Außenwirtschaftsgesetzes
begründet. Eine politische Reaktionsmöglichkeit auf an-
stehende Veräußerungen von rüstungspolitisch sensiblen
Unternehmen, zu denen auch Hersteller von Anlagen zu
ebenso sensibler Kommunikation gehören, an gebiets-
fremde Erwerber ist angesichts der erwähnten jüngeren
Erfahrungen ebenso sinnvoll wie notwendig.
Insofern kann hier nur die von der Opposition vorge-
tragene Kritik relativiert und zurückgewiesen werden.
Vor allem muss erwähnt werden, dass es in wichtigen
Partnerländern der Bundesrepublik wie Frankreich,
Großbritannien und den USA aus wohlverstandenem
Eigeninteresse vergleichbare Regelungen gibt, die zum
Teil über die vorgesehene deutsche Regelung hinausrei-
chen. Dies ist ein deutlicher Hinweis auf das zu jeder
Zeit bestehende Spannungsverhältnis von wirtschaftli-
cher Partnerschaft und Wettbewerb, das neben den
sicherheitspolitischen Interessen ohne Zweifel zu beach-
ten ist. Die vorgesehene Maßnahme der Bundesregie-
rung zielt vielmehr auch auf die Garantierung der beste-
henden Versorgungssicherheit der Bundeswehr.
Daher muss die vorgetragene Kritik, dieser Eingriff in
die Freiheit des Kapitalverkehrs passe nicht in den Kon-
text der Globalisierung, an dieser Stelle fehlgehen. Dies
gilt vor allem deshalb, weil der Anwendungsbereich der
8472 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 94. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2004
(A) (C)
(B) (D)
Regelung eng begrenzt bleiben wird und eine Versagung
der Genehmigung nicht als Automatismus, sondern eher
als letzte Eingriffsmöglichkeit zu betrachten ist, bei der
auch die wirtschaftlichen Auswirkungen auf das zu ver-
äußernde Unternehmen in die Bewertung eingehen. Der
Zugang zum nationalen oder internationalen Kapital-
markt ist grundsätzlich frei; das Verfahren fordert keine
ausschließliche Eigenfinanzierung.
Immerhin begrüßen die betroffenen Unternehmen
bzw. Verbände unter Anerkennung des angestrebten
Schutzes zumindest die vorgesehene Beschränkung auf
Kriegswaffen produzierende Unternehmen. In jedem
Fall sind Unternehmen, die Dual-Use-Güter herstellen,
vom Gesetzentwurf nicht erfasst. Kryptosysteme sind
nur zum Teil Dual-Use-Produkte.
Die Opposition beklagt hier, dies alles passe außer-
dem nicht zu den Beschlüssen der EU hinsichtlich der
Einrichtung einer gemeinsamen Rüstungsagentur oder
der Schaffung einer europäischen Rüstungsindustrie.
Dem ist entgegenzuhalten, dass die vorgesehenen Ein-
schränkungen nicht im Widerspruch dazu stehen. Die
nationalen Rüstungsindustrien unterliegen außerdem
laut EG-Vertrag nicht der gemeinsamen Handelspolitik.
Somit fehlt für eine einheitliche europäische Export-
richtlinie die dazugehörige Rechtsgrundlage.
Das Ziel einer Konvergenz nationaler Rüstungs-
exportentscheidungen im Zuge einer weiteren Europäi-
sierung bei rechtlicher Verbindlichkeit im EU-Verhal-
tenskodex wird von der Bundesregierung auch weiterhin
verfolgt. Die Gründung von Gemeinschaftsunterneh-
men wird von der Genehmigungspflicht nicht tangiert.
Wenn Deutschland im europäischen oder auch atlanti-
schen Kontext ernst genommen werden will, müssen wir
über leistungsfähige und technologisch hochwertige in-
dustrielle Kapazitäten verfügen können. Nur auf diese
Weise ist es auch im Hinblick auf die transatlantische
Partnerschaft darstellbar, dass wir in der Lage sind, et-
was Substanzielles in die Rüstungszusammenarbeit ein-
zubringen. Das halte ich für ein wesentliches Argument,
über das in Frankreich vermutlich niemand diskutieren
würde. Daher ist mit dieser Änderung des Außenwirt-
schaftgesetzes das Signal verbunden, dass die deutsche
wehrtechnische Industrie nicht zur Disposition steht.
Erich G. Fritz (CDU/CSU): Die Bundesregierung
kann es nicht lassen – wieder schafft sie mit dem nun
vorgelegten Gesetzentwurf auf Drucksache 15/2537 zur
Änderung des Außenwirtschaftsgesetzes (AWG) und der
Außenwirtschaftsverordnung (AWV) und der damit ein-
hergehenden Einführung eines Genehmigungsvorbehal-
tes für den Erwerb von Anteilen deutscher wehrtechni-
scher Unternehmen durch ausländische Interessenten
zusätzliche Reglementierungen für die deutsche Rüs-
tungsindustrie.
Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion lehnt den Gesetz-
entwurf aus mehreren Gründen ab:
Angesichts des seit 1990 dramatisch geschrumpften
nationalen Rüstungsmarktes sind die deutschen wehr-
technischen Unternehmen auf internationale Kooperatio-
nen und Verflechtungen auch über internationale Kapi-
talbeteiligungen angewiesen. Anders lassen sich keine
leistungsfähigen wehrtechnischen Kapazitäten in
Deutschland erhalten. Die Bundesregierung darf den
Unternehmen den Weg zu internationalen Kooperatio-
nen und Kapitalbeteiligungen daher nicht versperren.
Gerade angesichts des knappen heimischen Budgets sind
solche Kooperationen und die Suche nach neuen Märk-
ten im Ausland das Gebot der Stunde.
Erschwert würden zudem multinationale und trans-
atlantische Joint Ventures, was zwangsläufig zu Be-
schränkungen im Handels- und Investitionsbereich führt.
Dies schadet der Attraktivität des Industriestandortes
Deutschland. Wir alle wissen aber, dass transatlantische
Zusammenarbeit aus europäischer Sicht nicht nur sicher-
heitspolitisch, sondern auch wirtschaftlich bzw. indus-
triepolitisch relevant ist. Schließlich handelt es sich bei
den USA um den größten und in absehbarer Zeit wachs-
tumsstärksten Rüstungsmarkt der Welt. Die Bundesre-
gierung darf bei den Plänen nicht vergessen, dass die
Firmen auch produzieren und verkaufen können müssen.
Nur mit den Aufträgen des deutschen Staates kann dies
nicht garantiert werden.
Mit der Einführung eines Genehmigungsvorbehaltes
entsteht – neben den aufgrund der restriktiven deutschen
Rüstungsexportgenehmigungspolitik ohnehin schon be-
stehenden Problemen – ein weiterer Abschreckungsfak-
tor für die Einbeziehung deutscher Rüstungsunterneh-
men in einen europäischen Rüstungsmarkt.
Problematisch ist auch die Reichweite der geplanten
Genehmigungspflicht; denn die jetzt vorgeschlagene ge-
setzliche Regelung schließt nicht aus, dass der Kreis der
betroffenen Unternehmen künftig erweitert wird und da-
mit auch Zuliefererbetriebe und zivile Unternehmen um-
fasst, die lediglich in geringem Umfang militärisch nutz-
bare Produkte herstellen.
Diese Gefahr hat auch der Bundesrat erkannt und in
seiner Empfehlung auf der Bundesratsdrucksache 5/1/04
zu Recht empfohlen, die in Art. l Nr. l Buchstabe b § 7
Abs. 2 Nr. 5 aufgeführten Wörter „Kriegswaffen oder
andere Rüstungsgüter“ durch die Wörter „Güter im
Sinne von Teil B der Anlage zu § l Abs. l des Gesetzes
über die Kontrolle von Kriegswaffen (Kriegswaffen-
liste)“ zu ersetzen. Damit würde deutlicher, dass das
Kriegswaffenkontrollgesetz und nicht das Außenwirt-
schaftsgesetz Grundlage der Neuregelung sein wird.
Wie Sie wissen, hat auch der Bundesrat Zweifel, ob
das Ziel, wehrtechnische Kernfähigkeiten in Deutsch-
land zu erhalten, mit dem vorliegenden Gesetzentwurf
tatsächlich erreicht wird. Auch die Länderkammer sieht
die Gefahr, dass dadurch die Kooperation deutscher und
ausländischer Unternehmen bei europäischen und
NATO-internen Rüstungskooperationen erschwert wird.
Eine Kooperation, so der Bundesrat, sei oft nur bei ei-
gentumsbedingter Verflechtung möglich, weil Unterneh-
men sensibles technisches Know-how vorzugsweise in-
nerhalb der eigenen Unternehmensgruppe weitergeben.
Insofern könnten sich die von der Bundesregierung vor-
gesehenen Maßnahmen zum Schutz gegen Übernahmen
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 94. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2004 8473
(A) (C)
(B) (D)
negativ auf die deutsche Industrie und den Erhalt von
Arbeitsplätzen in Deutschland auswirken.
Natürlich besteht auch das Ziel der Union darin,
wehrtechnische Kernfähigkeiten in Deutschland zu er-
halten. Darüber müssen wir nicht diskutieren. Die ge-
plante Änderung des Außenwirtschaftsgesetzes und der
Außenwirtschaftsverordnung ist jedoch das falsche In-
strument. Was wir stattdessen brauchen, sind verbesserte
Rahmenbedingungen für die deutsche Rüstungsindustrie
und die Förderung von Forschung und Entwicklung. Nur
so kann die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Rüs-
tungsindustrie erhöht werden.
Und genau da liegt das Problem; denn die deutschen
Forschungs- und Entwicklungsmittel sind vergleichs-
weise gering. Dies bemängeln ja inzwischen auch Ver-
teidigungsexperten der SPD. Wie ich einem Artikel im
„Handelsblatt“ vom Dezember letzten Jahres entnehmen
konnte, vertreten selbst SPD-Wehrexperten wie unser
Kollege Rainer Arnold die Auffassung, dass die For-
schung der Schlüssel für die Bewahrung der technologi-
schen Fähigkeiten der Rüstungsindustrie ist; vergleiche
„Handelsblatt“ vom 12. Dezember 2003: ,,Militärische
Forschung auf dem Abstellgleis“.
Unser diesbezüglicher Nachholbedarf ist immens.
2004 stecken die USA rund 62,8 Milliarden Dollar in die
militärische Forschung. Damit hat sich der Posten seit
2001 nahezu verdoppelt und schon im Jahre 2001 haben
die USA mehr als viermal so viel Forschungsgelder aus-
gegeben wie die EU zusammen; vergleiche „Handels-
blatt“ vom 12. Dezember 2003: ,,Militärische Forschung
auf dem Abstellgleis“. In Deutschland beliefen sich die
Forschungsausgaben 2003 auf 220 Millionen Euro. Eine
Erhöhung von 19 Millionen Euro wurde in den Etatbera-
tungen für 2004 vereinbart. Damit nimmt Deutschland
selbst im EU-Vergleich einen hinteren Platz ein.
Die Wirtschaft hat gute Alternativen bei unerwünsch-
ten Unternehmenskäufen im militärisch sensiblen Be-
reich vorgeschlagen. So schlug sie neben einer Selbst-
verpflichtung der betroffenen Unternehmen auch eine
Meldepflicht für ausländische Interessenten vor – ohne
Erfolg. Die Bundesregierung hat sich dagegen entschie-
den, weil ihrer Ansicht nach erstens eine Selbstver-
pflichtung der Unternehmen der Bundesregierung nicht
die Möglichkeit gegeben hätte, im Einzelfall einen die
wesentlichen deutschen Sicherheitsinteressen gefährden-
den ausländischen Erwerb gegebenenfalls zu verhindern,
und zweitens ihr Gesetzentwurf den betroffenen Unter-
nehmen durch die Genehmigungsfrist von einem Monat
ein größeres Maß an Rechtssicherheit gibt, während die
Einführung einer gesetzlichen Meldepflicht verbunden
mit der Möglichkeit, gegebenenfalls durch Einzeleingriff
einen Erwerbsvorgang zu verbieten, die Notwendigkeit
mit sich gebracht hätte, den Einzeleingriff spätestens
nach sechs Monaten durch eine Verordnung zu bestäti-
gen.
Dass die Änderung mit der heißen Nadel gestrickt
wurde, zeigt die Antwort der Bundesregierung auf meine
Kleine Anfrage, Drucksache 15/2363. Einige Fragen
konnten mangels vorhandener Erkenntnisse schlichtweg
nicht beantwortet werden. So gibt es keine Erkenntnisse
über mögliche Auswirkungen der Neuregelung auf
kleine und mittlere Unternehmen der Zuliefererindustrie,
keine Erkenntnisse über mögliche Auswirkungen auf
den deutschen Arbeitsmarkt oder auch keine Erkennt-
nisse über die Höhe der Kosten, die den Unternehmen
bei der Beantragung einer Genehmigung entstehen kön-
nen. Dies legt den Schluss nahe, dass sich die Bundes-
regierung bei der Vorbereitung des Gesetzes ziemlich
unreflektiert an den Regelungen der amerikanischen,
britischen und französischen Partner orientiert hat.
Wir fordern die Bundesregierung auf, den Gesetzent-
wurf zurückzuziehen, weil dadurch nicht die Probleme
der deutschen Rüstungsindustrie gelöst werden können.
Vielmehr nimmt der Staat den verbliebenen Rüstungsun-
ternehmen jeglichen Spielraum, sich in einem globalisie-
renden und von Unternehmenszusammenschlüssen ge-
prägten Umfeld zu positionieren. Festhalten möchte ich
daher:
Erstens. Auch die Union verfolgt das Ziel, wehrtech-
nische Kernfähigkeiten in Deutschland zu erhalten. Wir
halten dies aber nur durch verstärkten Rüstungsexport in
Kooperation mit unseren europäischen Partnern für
möglich. Leider ist auch dies dank einer weiteren Regle-
mentierung der Bundesregierung, nämlich der Endver-
bleibsklausel, nicht so einfach. Unsere Alternative zum
Erhalt wehrtechnischer Kernfähigkeiten in Deutschland
lautet daher: Europäisierung der Rüstungsexportrichtli-
nien, Erhöhung des Verteidigungsetats und Erhöhung
des Investitionsausgabenanteils am Wehretat.
Zweitens. Planwirtschaft hilft der deutschen Rüs-
tungsindustrie nicht. Wohin zu viel Einmischung führen
kann, zeigt das Beispiel Frankreich, das etwa in der
Wehrtechnik penibel darauf achtet, Kernkompetenzen
national zu erhalten mit der Folge, dass sowohl im Mari-
nebereich wie auch bei der Heerestechnik Unternehmen
existieren, die weder wettbewerbsfähig noch rentabel
sind. Wenn sich die Rahmenbedingungen für die Rüs-
tungsindustrie nicht verbessern, kann auch das von der
Bundesregierung geplante Gesetz einen Ausverkauf der
deutschen wehrtechnischen Industrie nicht aufhalten.
Die Situation der Rüstungsindustrie verbessern würde
zum Beispiel eine Erhöhung der Forschungsmittel. For-
schungs- und Entwicklungsmittel entscheiden nicht zu-
letzt über unsere Partnerschaftsfähigkeit. In Frankreich
und Großbritannien zielt die militärische Forschung viel
stärker auch auf das Sichern von Exportchancen – da ha-
ben wir in Deutschland noch großen Nachholbedarf.
Drittens. Europäische Lösungen müssen Vorrang vor
nationalen Regelungen haben. Prioritär muss die Schaf-
fung einer europäischen Rüstungsindustrie bzw. eines
europäischen Rüstungsmarktes sein. Dieses Ziel ist je-
doch nicht zuletzt deshalb gefährdet, weil das von der
Bundesregierung vorgesehene Einspruchsrecht auch bei
Übernahmewünschen von Firmen aus EU-Staaten gelten
soll.
Wie sehr sich die Schaffung eines europäischen Rüs-
tungsmarktes gerade in Zeiten knapper europäischer
Haushalte lohnen würde, belegt die Studie des britischen
Wirtschaftswissenschaftlers Keith Hartley, wonach ein
8474 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 94. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2004
(A) (C)
(B) (D)
liberalisierter Rüstungsmarkt mit einer europäischen Be-
schaffungsagentur helfen könnte, Kosten von bis zu
15 Milliarden Euro im Jahr zu sparen; vergleiche „Han-
delsblatt“ vom 5. Dezember 2004: „Rüstungskonzerne
müssen umdenken“. Wir fordern die Bundesregierung
nicht zuletzt deshalb auf, sich verstärkt für den Aufbau
eines europäischen Rüstungsmarktes einzusetzen und
aktiv in der Arbeitsgruppe zur Gründung der EU-Rüs-
tungsagentur mitzuwirken. Dort werden Antworten auf
die entscheidenden Herausforderungen der Zukunft erar-
beitet, nämlich Antworten auf die Entwicklung gemein-
samer Verteidigungsfähigkeiten, die Rüstungskoopera-
tion und Stärkung der industriellen und technologischen
Basis in Europa, die Schaffung eines wettbewerbsfähi-
gen europäischen Marktes für die Verteidigungsindustrie
und die Förderung von Forschung und Entwicklung.
Nur EU-Lösungen bieten Europa sicherheitspoliti-
sche Unabhängigkeit. Deshalb müssen nationale Allein-
gänge vermieden werden. Natürlich werden dabei auch
europäische Konsortien entstehen, die nicht mehr unter
deutscher Leitung sind. Aber durch eine Konsolidierung
auf dem europäischen Markt können mehr Arbeitsplätze
in der deutschen Rüstungsindustrie erhalten werden, als
dies durch nationale Alleingänge möglich wäre. Andere
Lösungen als europäische würden über kurz oder lang
zum Verlust europäischer Unternehmen an die USA füh-
ren.
Christian Schmidt (Führt) (CDU/CSU): Mit der ge-
planten Änderung des Außenwirtschaftsgesetzes will die
Bundesregierung offenbar einen Schutzwall für die deut-
sche Rüstungsindustrie errichten. So hat jedenfalls die
„FAZ“ vom 4. Februar 2004 das von der Bundesregie-
rung vorgeschlagene Vetorecht beim Verkauf deutscher
Rüstungsunternehmen bezeichnet. Die Frage, die sich
damit aber aufdrängt, ist: Braucht die deutsche Rüs-
tungsindustrie tatsächlich einen solchen Schutzwall und,
falls ja, vor wem?
Die deutsche Rüstungsindustrie hat vor allem in den
letzten fünf Jahren Grund zum Klagen gehabt: Eine Bun-
desregierung, die den Verteidigungshaushalt so zusam-
menkürzt, dass der Posten für Forschung und Entwick-
lung bald nur noch unter „ferner liefen“ zu finden ist, die
in Kauf nimmt, dass die Bundeswehr mit Material aus-
gestattet ist, das in der Regel älter als die Rekruten ist,
und die immer wieder aus purer Finanznot die Rüstungs-
planung zusammenstreicht, gibt zu solchen Klagen
reichlich Anlass. Ein Ende der Streichungen ist auch
heute nicht absehbar. Im Gegenteil: Erst vor einigen Ta-
gen sind Hiobsbotschaften aus dem Finanzministerium
bekannt geworden, die weitere erhebliche Einschnitte in
den Verteidigungshaushalt bedeuten.
Wenn man den Verteidigungsetat aber so beschneidet,
dass die deutsche Rüstungsindustrie aus Aufträgen aus
dem Inland kaum noch überleben kann, und die Mög-
lichkeiten zum Rüstungsexport im nationalen Allein-
gang so eng fasst, dass Unternehmen anderer Länder fle-
xibler sind und erhebliche Wettbewerbsvorteile haben,
dann darf man sich nicht wundern, dass die deutsche
wehrtechnische Industrie schwächelt und zum gefunde-
nen Fressen für ausländische Investoren wird. Wer diese
Rahmenbedingungen setzt, der hilft dem einzelnen Un-
ternehmen nicht dadurch, dass er es durch ein Vetorecht
vor der Übernahme und Ausschlachtung durch ausländi-
sche Investoren schützt. Im Übrigen verkennt die Bun-
desregierung die Tatsache, dass viele Unternehmen der
deutschen wehrtechnischen Industrie keine großen Ak-
tiengesellschaften sind, sondern als mittlere und kleine
Unternehmen im Forschungs- und Zulieferbereich tätig
sind. Vor einem Ausverkauf ins Ausland werden gerade
diese Unternehmen durch den neuen Gesetzentwurf
nicht geschützt, obwohl sie im Kampf gegen die großen
internationalen Wettbewerber eigentlich viel mehr un-
sere Unterstützung nötig hätten.
Wer die Kernfähigkeiten der deutschen wehrtechni-
schen Industrie und damit die Spitzentechnologie in
Deutschland erhalten will – und darauf scheint das Ge-
setz der Bundesregierung ja abzuzielen –, der muss dem
einzelnen Unternehmen die Möglichkeit zum Handeln
und für fairen Wettbewerb am Markt geben. Am Erhalt
dieser Kernfähigkeiten sollten wir nicht nur aus sicher-
heits- und verteidigungspolitischen Gründen alle interes-
siert sein, sondern wir haben hier noch eine Industrie, in
der Deutschland international punkten kann und die ein
Garant für hoch qualifizierte Arbeitsplätze ist. Das kön-
nen auch die „Ideologen“ in der Regierungskoalition
nicht leugnen, die ihrer Meinung nach lieber „politisch
korrekte“ Industriezweige fördern wollen und damit in
Kauf nehmen, dass die „Schmuddelkinder“ aus der
wehrtechnischen Industrie weiter an Boden verlieren.
Wieder einmal zäumt die Bundesregierung deshalb
das Pferd von hinten auf: Statt weitere Reglementierun-
gen zu schaffen, muss sich die Bundesregierung endlich
für eine einheitliche europäische Exportrichtlinie einset-
zen, um Chancengleichheit und Transparenz auf dem in-
ternationalen Markt zu schaffen. Die Bundesregierung
muss in Forschung und Entwicklung der wehrtechni-
schen Industrie investieren, um Kernfähigkeiten weiter
zu entwickeln und im Land zu halten. Es ist kaum nach-
vollziehbar, wie man in Zeiten einer Globalisierung in
einen solchen Protektionismus verfallen kann. Schon
jetzt besteht die Gefahr, dass der amerikanische Rüs-
tungsmarkt den europäischen Unternehmen weiter den
Rang abläuft. Der Schlüssel zum Erfolg liegt deshalb in
einer europäischen Harmonisierung der Rüstungsexport-
vorschriften und einer internationalen Zusammenarbeit –
und nicht in Nationaltümelei.
Es ist auch wenig glaubwürdig, dass sich die Bundes-
regierung in diesem speziellen Fall Gedanken um die Si-
cherheitsinteressen unseres Landes macht. Wer die Bun-
deswehr derart stiefmütterlich behandelt, wie es die rot-
grüne Regierung macht, der ist hier wenig überzeugend.
Um den Ausverkauf deutscher Industrie und Hochtech-
nologie zu verhindern, wäre es sinnvoller, durch lang-
fristige und verlässliche Auftragsvergabe Planungssi-
cherheit für deutsche Unternehmen zu schaffen.
Deshalb sagen wir Nein zu einer Änderung des Au-
ßenwirtschaftsgesetzes, die nur darauf abzielt, der Indus-
trie neue bürokratische Regelungen aufzubürden und ihr
neue Stolpersteine in den Weg zu legen. Wir brauchen
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 94. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2004 8475
(A) (C)
(B) (D)
mehr Zusammenarbeit und Markt und weniger Staatsdi-
rigismus. Wenn also die deutsche Rüstungsindustrie ei-
nen Schutzwall braucht, dann einen, um sie vor der rot-
grünen Regierung zu schützen. Mit diesem Schutz
könnte sie sich ohne weitere Reglementierungen auf
dem internationalen Markt sehr gut behaupten.
Alexander Bonde (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Wir debattieren heute den Antrag zur Änderung des Au-
ßenwirtschaftsgesetzes, und zwar zur Ermächtigung der
Bundesregierung, Rechtsgeschäfte beim Erwerb von na-
tionalen Rüstungsunternehmen zum Schutz unserer we-
sentlichen Sicherheitsinteressen beschränken zu können.
Ich könnte als bündnisgrüner Politiker eine Menge zum
Außenwirtschaftsgesetz und zur Außenwirtschaftsver-
ordnung beitragen und damit auch über die Problematik
der Rüstungsexporte sprechen. Ich möchte mich aber auf
genau diesen Teilaspekt beschränken, der heute unser
Thema ist.
Die Gewährleistung der Versorgungssicherheit der
Bundesrepublik in Bezug auf die nationalen Kernfähig-
keiten der Rüstungsindustrie liegt, da sind wir uns wohl
alle einig, in unserem Sicherheitsinteresse. Bisher
konnte der Erwerb wesentlicher Anteile unserer Rüs-
tungsindustrie von ausländischen Firmen selbst in dem
Falle, dass Sicherheitsinteressen gravierend betroffen
wären, nicht verhindert werden. Die Übernahme unserer
Industrie könnte jedoch deren Zerschlagung, Verlage-
rung oder zumindest einen unerwünschten Technologie-
transfer nach sich ziehen. Die Ermächtigung der Regie-
rung zum Schutz unserer Interessen war daher überfällig
und wurde richtigerweise bereits von der Vorgängerre-
gierung 1998 in einem europäischen Letter-of-Intent-
Prozess angestoßen. Im Übrigen fürchte ich, dass wir
nicht alle Hintertüren verschlossen haben, die unsere Si-
cherheitsinteressen in Bezug auf Kernfähigkeiten ge-
fährden können – aber zumindest ist der Haupteingang
jetzt mit einem Pförtner versehen.
Dieser Pförtner, und das darf nicht übersehen werden,
führt eine Einzelfallprüfung durch – es gibt also keinen
Versagungsautomatismus. Vielmehr werden in einer
Prüfung nach Maß unsere Sicherheitsinteressen gegen
die wirtschaftlichen Interessen der Unternehmen abge-
wogen. Deren wirtschaftliche Überlebensfähigkeit wird
also ausreichend berücksichtigt. Der Vorwurf, die inter-
nationale Kooperationsfähigkeit unserer Unternehmen
sei beeinträchtigt, ist schlichtweg falsch. Zudem wird die
Gründung von Joint Ventures zur Realisierung einzelner
Projekte von ihr gar nicht erfasst – dies stellt aber die
überwiegende Mehrzahl der Rüstungskooperationen dar.
Stichwort: MEADS, Eurofighter, Tiger, für die alle mul-
tinationale Firmen gegründet wurden.
Wir befinden uns dabei international und europäisch
in guter Gesellschaft. Die USA, Großbritannien und
Frankreich haben viel weitgehendere Rechte zum Schutz
ihrer Industrien eingerichtet. Italien, Schweden und Spa-
nien sind auch am Letter-of-lntent-Verfahren beteiligt.
Damit sind die Länder mit den größten Rüstungsindus-
trien der NATO-Länder erfasst. Wir stellen also – wenn
Sie das Wort erlauben – nur „Waffengleichheit“ her.
Wieso vergleichbare Regelungen bei uns nun die wirt-
schaftliche Kooperationsfähigkeit behindern sollen, er-
schließt sich mir nicht.
Die Änderung beweist Augenmaß. Nicht nur ist der
Erwerb „nur“ unter einen Genehmigungsvorbehalt ge-
stellt, der ja im Übrigen auch unter Auflagen erteilt wer-
den kann und daher ausreichend flexibel ist. Zudem wird
diese Genehmigung bereits nach der kurzen Frist von ei-
nem Monat fingiert. Und nicht zuletzt: In der Änderung
des AWG wird zwar ein weiterer Rechtsrahmen gesetzt,
den die Verordnung aber nicht in Gänze ausschöpft.
Zum Teil wurde im Vorfeld der Debatte versucht, ein
Junktim zwischen der geplanten Änderung und einer Lo-
ckerung der Exportrichtlinien herbeizureden, nach dem
Motto: Wenn schon die Unternehmen nicht mehr ver-
kauft werden sollen, dann aber wenigstens mehr Markt-
öffnung für die Produkte. Als Grüner muss ich Ihnen sa-
gen: Nicht mit uns! Klare Ausfuhrregelungen und eine
restriktive Exportpolitik haben sich bewährt. Langfristig
ist es wirtschaftlicher, die Verbreitung von Waffen zu
verhindern, als staatlich finanzierte Technik leichtfertig
zu verkaufen und dann ein paar Jahrzehnte später zu-
gunsten derer zu intervenieren, die in die Mündungen
dieser Technik blicken. Und im Übrigen, was die euro-
päische Kooperation angeht: Als Haushälter vom Einzel-
plan 14 habe ich miterlebt, wie intensiv bei uns bei den
Triebwerken des Airbus A400M für eine europäische
Lösung im Verbund von Rolls-Royce und MTU – Eigen-
werbung: „Einzige europäische Endmontagelinie für das
TP400-Triebwerk für das militärische Großraumflug-
zeug Airbus A400M“ – geworben wurde, die nach lan-
gen Verhandlungen und Einsatz weiterer Haushaltsmittel
auch erreicht wurde. Wie Sie vermutlich wissen, hat das
Ergebnis nicht lange getragen – MTU Aero Engines ge-
hört jetzt dem US-Investment-Konzern KKR. Um es
deutlich zu sagen: Eine amerikanische Triebwerkslösung
wäre auch deutlich billiger zu haben gewesen. Damit ist
sie aber immerhin noch innerhalb der NATO geblieben –
das hätte aber auch ganz anders kommen können. Ich
denke daher, es ist nur verantwortungsbewusst, der Bun-
desregierung die notwendigen Instrumente an die Hand
zu geben, um unsere Sicherheitsinteressen langfristig zu
schützen. Und noch einmal deutlich: wenn das Gesetz
noch dazu beiträgt, dass man uns als Parlament nicht wie
bei A400M und MTU an der Nase herumführen kann:
Umso besser!
Gudrun Kopp (FDP): Das grundsätzliche Ziel der
Bundesregierung, wehrtechnische Kernfähigkeiten und
Kompetenzen in Deutschland zu erhalten, wird – so
denke ich – von allen Fraktionen im Interesse unserer Si-
cherheit und der damit verbundenen Arbeitsplätze im
Rüstungssektor mitgetragen. Ob dies jedoch mit dem
nun vorgelegten Gesetzentwurf erreicht werden kann, ist
mehr als fraglich. Vielmehr hat sich die Bundesregie-
rung wieder einmal für ein bürokratisches und eingriffs-
intensives Instrumentarium entschieden, das geeignet ist,
die Situation der betroffenen Unternehmen weiter zu er-
schweren.
8476 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 94. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2004
(A) (C)
(B) (D)
Statt sich endlich auch auf europäischer Ebene mit
Nachdruck für eine europäische Rüstungsexportrichtli-
nie einzusetzen, die es deutschen Betrieben erlauben
würde, auf Augenhöhe mit anderen europäischen Unter-
nehmen zu konkurrieren, wird von der Bundesregierung
hier noch einmal die schlechte Ausgangssituation deut-
scher Anbieter zementiert. Dabei muss doch jedem klar
sein, dass die von uns allen geforderte europäische Rüs-
tungskompetenz und -kapazität eben auch die Beteili-
gung ausländischer Unternehmen an deutschen Firmen
beinhaltet. Gerade dies aber wird durch den vorliegen-
den Entwurf weiter erschwert.
Die wehrtechnische Industrie in der Bundesrepublik
leidet – wie alle anderen Branchen auch – unter extrem
ungünstigen ökonomischen Rahmenbedingungen. An-
statt diese Rahmenbedingungen endlich zu verbessern
und ebenso grundlegende wie durchgreifende Reformen
in den Bereichen Steuern und Abgaben, Entbürokratisie-
rung, Ausgestaltung der sozialen Sicherungssysteme so-
wie Förderung von Bildung, Wissenschaft und For-
schung voranzutreiben, fällt dieser Bundesregierung
nichts weiter ein, als im Angesicht desaströser Wahler-
gebnisse und Umfragen die ohnehin nur zaghaft und un-
zureichend erfolgten Reformtrippelschritte wieder in-
frage zu stellen. Die Stichworte Erbschaftsteuer und
Vermögensteuer mögen hier genügen, um dies zu illus-
trieren. Solange aber die Situation in Deutschland so ist
wie sie ist – und sie ist wirklich dramatisch –, solange
sind auch die wehrtechnischen Unternehmen in Deutsch-
land, die durch unsere im europäischen Vergleich äu-
ßerst restriktive Rüstungsexportpolitik und die langjäh-
rige eklatante Unterfinanzierung der Bundeswehr
ohnehin unter großem Druck stehen, dringend auf Inves-
titionen auch aus dem Ausland angewiesen.
Eben diese Investitionen aber werden durch den vor-
liegenden Gesetzentwurf unnötig bürokratisiert und da-
mit erschwert, was insbesondere vor dem Hintergrund
der von uns allen geteilten Zielsetzung eines Auf- und
Ausbaus europäischer Rüstungskapazitäten unverständ-
lich ist. Die betroffenen Unternehmen hatten hierzu Vor-
schläge unterbreitet, wie mit weniger eingriffsintensiven
Instrumenten – wie einer Selbstverpflichtung der ent-
sprechenden Betriebe oder einer Meldepflicht für aus-
ländische Interessenten – dem gleichen Ziel, nämlich
dem Erhalt wehrtechnischer Kompetenzen in Deutsch-
land, hätte gedient werden können.
Es ist schade, dass die Bundesregierung diese Vor-
schläge ignoriert hat und stattdessen nahezu reflexhaft
Zuflucht in staatlicher Bevormundung in Form des jetzt
vorliegenden Genehmigungsvorbehalts sucht. Ich kann
deshalb nur an die Bundesregierung appellieren, diese
vermeintliche Lösung noch einmal zu überdenken und
gegebenenfalls im Verlauf des parlamentarischen Ver-
fahrens anderen Instrumenten den Vorzug zu geben.
Dr. Ditmar Staffelt, Parlamentarischer Staatssekre-
tär beim Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit: Mit
dem vorliegenden Entwurf eines Elften Gesetzes zur Än-
derung des Außenwirtschaftsgesetzes und der Außen-
wirtschaftsverordnung verfolgt die Bundesregierung das
Ziel, die nationalen Sicherheitsinteressen und die inter-
nationale Handlungsfähigkeit Deutschlands im Rüs-
tungsbereich zu stärken.
Mit der Einführung der Genehmigungspflicht für den
Erwerb von deutschen Unternehmen, die Kriegswaffen
oder Kryptosysteme herstellen, wird sichergestellt, dass
eine staatliche Einflussnahme besteht, wenn wesentliche
Sicherheitsinteressen oder die militärische Sicherheits-
vorsorge beeinträchtigt werden.
Durch die Neuregelung werden die sicherheitspoliti-
schen Ziele, insbesondere die sicherheits- und verteidi-
gungspolitische Kooperationsfahigkeit Deutschlands im
EG- und NATO-Bereich und die Versorgungssicherheit
der Streitkräfte gestärkt. Zugleich wird die Koopera-
tionsfähigkeit der deutschen wehrtechnischen Industrie
unterstützt.
Um auf sicherheitspolitischem Terrain eine Rolle
spielen zu können, muss Deutschland in der Lage sein,
eigenes wehrtechnisches Potenzial als „Mitgift“ einzu-
bringen. Deutschland muss über quantitativ und qualita-
tiv hochwertige Rüstungskapazitäten und technologische
Fähigkeiten verfugen, um als gleichberechtigter Partner
an der Gestaltung und Umsetzung einer Rüstungszusam-
menarbeit im Rahmen der Europäischen Sicherheits-
und Verteidigungspolitik mitwirken zu können. Durch
einen sonst möglichen Ausverkauf der deutschen wehr-
technischen Industrie würde der internationale Stellen-
wert Deutschlands im militärischen Bereich in hohem
Maße beeinträchtigt.
Mit der vorgesehenen Gesetzesänderung werden die
Handlungs- und Konkurrenzfähigkeit der deutschen
Rüstungs- und Kryptoindustrie einerseits und nationale
Sicherheitsinteressen andererseits ausgewogen berück-
sichtigt. Zudem wird ein Handlungsrahmen geschaffen,
der in vielen anderen Ländern, etwa USA, Frankreich,
Großbritannien und Spanien, bereits geltendes Recht ist.
Es sind folgende Regelungen vorgesehen: Erweite-
rung des Sicherheitsbegriffs im Außenwirtschaftsgesetz
sowie Schaffung einer Ermächtigung zur Einführung ei-
nes Genehmigungsvorbehalts für die Übernahme von
deutschen Rüstungs- bzw. Kryptounternehmen durch
Ausländer.
Erfasst von der Regelung wird der Erwerb von in
Deutschland ansässigen Unternehmen, die Kriegswaffen
nach der Kriegswaffenliste oder Güter der sensitiven
Regierungskommunikation, Kryptosysteme, entwickeln
oder herstellen, durch im Ausland ansässige Unterneh-
men. Eine Genehmigung ist erforderlich, wenn das aus-
ländische Unternehmen nach dem Kauf mindestens
25 Prozent der Stimmrechte erhält.
Um den beteiligten Unternehmen schnellstmöglich
Rechtssicherheit zu geben, gilt der Erwerb als geneh-
migt, wenn binnen eines Monats keine anderweitige Ent-
scheidung getroffen wird. Die Genehmigung muss beim
Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit beantragt
werden. Das Ministerium entscheidet im Einvernehmen
mit dem Auswärtigen Amt und dem BMVg. Für den
Kryptobereich entscheidet zusätzlich das BMI.
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 94. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2004 8477
(A) (C)
(B) (D)
Zum Anwendungsbereich der Genehmigungspflicht
möchte ich Folgendes klarstellen: Die gesetzliche
Ermächtigungsgrundlage im Außenwirtschaftsgesetz er-
fasst auch Unternehmen, die keine Kriegswaffen, son-
dern sonstige Rüstungsgüter herstellen. Von dieser wei-
tergehenden Ermächtigungsgrundlage wird in der
Ausfüllungsvorschrift der Außenwirtschaftsverordnung
nur für Unternehmen Gebrauch gemacht, die Kriegswaf-
fen herstellen. Die weitergehende Ermächtigungsgrund-
lage ist erforderlich, um in Zukunft gegebenenfalls mög-
lichst rasch durch eine Änderung der Verordnung auf
veränderte sicherheitspolitische Rahmenbedingungen re-
agieren zu können. Eine mögliche Erweiterung des An-
wendungsbereichs der Genehmigungspflicht wird jedoch
nur zielgerichtet unter Berücksichtigung des Verhältnis-
mäßigkeitsgrundsatzes und der Belange der Wirtschaft
erfolgen. Unternehmen, die Dual-Use-Produkte herstel-
len, sind von der Gesetzesänderung nicht betroffen.
Mit dem Entwurf setzt sich die Bundesregierung da-
für ein, eine konkurrenzfähige und starke deutsche Rüs-
tungsindustrie zu erhalten, die den Kern einer eng ver-
netzten europäischen Verteidigungsindustrie zusammen
mit anderen europäischen Partnern bilden kann.
Anlage 5
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über
Begleitregelungen zur Einführung des digitalen
Kontrollgerätes zur Kontrolle der Lenk- und
Ruhezeiten (Kontrollgerätebegleitgesetz – Kontr
GerätBeglG) (Tagesordnungspunkt 16)
Uwe Beckmeyer (SPD): Wie wir gehört haben, wer-
den durch den vorliegenden Entwurf eines Artikel-Ge-
setzes das Fahrpersonalgesetz und das Gesetz zur Errich-
tung eines Kraftfahrtbundesamts geändert. Damit setzt
die Bundesregierung zwei Verordnungen der Europäi-
schen Union zur Einführung eines digitalen Tachogra-
phen in nationales Recht um.
Die Tendenz, immer mehr Gütertransporte auf der
Straße durchzuführen, ist noch immer ungebrochen und
hat zu einem Anstieg der Verkehrsdichte geführt. Um im
überaus starken Wettbewerb zwischen den Anbietern
von Transportdienstleistungen zu bestehen, sind die Un-
ternehmen bestrebt, ihre Personalkosten möglichst ge-
ring zu halten.
Deshalb ist die Kontrolle der Lenk- und Ruhezeiten
der Beschäftigten im gewerblichen Güterkraft- und Om-
nibusverkehr unerlässlich für die Sicherheit auf Deutsch-
lands Straßen. Der Sekundenschlaf am Lenkrad durch
Übermüdung stellt ein erhebliches Risiko für Leib und
Leben aller Verkehrsteilnehmer dar. Das Unfallrisiko
von Berufskraftfahrern ist, bezogen auf die hohen Fahr-
leistungen und den Anteil des LKW-Verkehrs, zwar
niedrig, aber Unfälle mir schweren LKW sind oft mit
gravierenden Folgen für die Verkehrsteilnehmer verbun-
den.
Wir alle wollen nicht, dass Unternehmen des Trans-
portgewerbes, die gegen die Sozialvorschriften ver-
stoßen, auf unlauteren Wegen Wettbewerbsvorteile er-
reichen gegenüber den Wettbewerbern, die sich
gesetzestreu verhalten.
Der Straßenkontrolldienst des Bundesamts für Güter-
verkehr hat 2003 650 000 Fahrzeuge kontrolliert. Dabei
wurden 139 000 Verstöße gegen die Fahrpersonalvor-
schriften ermittelt. 65,8 Prozent der Verstöße betrafen
die Überschreitung der Lenkzeit, die Nichteinhaltung
von Ruhezeiten und den nicht ordnungsgemäßen Betrieb
des Kontrollgeräts. Verglichen mit dem Jahre 2002 ist
die Anzahl der Beanstandungen in diesem Bereich um
fast 15 000 gestiegen. Es zeigt sich, dass es leider viele
schwarze Schafe unter den Unternehmen gibt und wir
auf umfassende Kontrollen zur Erhöhung der Verkehrs-
sicherheit und für die Einhaltung gleicher Wettbewerbs-
bedingungen nicht verzichten dürfen.
Seit 1970 müssen Fahrzeuge mit über 3,5 Tonnen zu-
lässigem Gesamtgewicht und Omnibusse mit mehr als
acht Fahrgastplätzen in Deutschland und Europa mit me-
chanischen Fahrtenschreibern ausgerüstet sein. Diese
Kontrollgeräte bieten, wie unter anderem die Kontrollen
des Bundesamts für Güterverkehr zutage fördern, leider
nur einen geringen Widerstand gegen Manipulationen.
Insofern ist die Initiative der EU zur Einführung des
digitalen Tachographen folgerichtig, die Manipulations-
sicherheit wird um ein Vielfaches erhöht, ganz auszu-
schließen sind derartige Vergehen jedoch nie. So wird
auch die Arbeit der Kontrollbehörden, einhergehend mit
der fortschreitenden Verbreitung der neuen Generation
von Fahrtenschreibern, bedeutend effizienter zu gestal-
ten sein.
Nun wissen wir, dass mit der EG-Verordnung 2135/98
festgelegt wurde, dass 24 Monate nach Veröffentlichung
der technischen Spezifikationen des digitalen Kontroll-
geräts alle Neufahrzeuge mit dem neuen Fahrtenschrei-
ber ausgerüstet werden müssen. Die EG-Verordnung
1360/2002, in der die Anforderungen definiert sind,
wurde am 5. August 2002 veröffentlicht.
Ergo müssten ab dem 6. August dieses Jahres alle neu
zugelassenen LKW und Omnibusse mit einem digitalen
Fahrtenschreiber ausgerüstet sein. Aber zu diesem Ter-
min wird kein Gerät die Praxisreife erreicht haben. Beim
Joint Research Center der EU in Italien ist bis heute erst
ein Antrag auf Erteilung einer Bauartgenehmigung für
ein Kontrollgerät eingereicht worden. Die endgültige
Genehmigung kann frühestens Ende Mai erteilt werden,
daran anschließend muss der Tachograph von den LKW-
Herstellern mindestens zwölf Monate im Alltagseinsatz
auf seine Betriebstauglichkeit getestet werden. Die Ein-
führung des neuen Kontrollgeräts wird sich also um
circa ein Jahr verzögern.
Warum diese ärgerliche und vermeidbare Panne? Die
Kommission wäre nach der Verordnung 2135/98 ver-
pflichtet gewesen, dem Rat einen neuen Vorschlag zur
Verlängerung der Fristen vorzulegen, falls bis zum
5. August 2003 keine Bauartgenehmigung erteilt wurde.
Die Kommission hätte schon vor sieben Monaten auf die
8478 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 94. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2004
(A) (C)
(B) (D)
Verzögerung der Entwicklung der digitalen Fahrten-
schreiber reagieren müssen, sie ist dieser Pflicht aber bis
heute nicht nachgekommen. Die Vermutung liegt nahe,
dass die Kommission nicht an einer Wiederaufnahme
der äußerst zäh und kontrovers verlaufenen Verhandlun-
gen über die Verordnung gelegen ist.
Die Bundesrepublik hat der Kommission dagegen
schon im Dezember mitgeteilt, dass sie eine Änderung
der Fristsetzung für gegeben hält. Die zu erwartenden
technischen und organisatorischen Probleme haben wir
hier in Deutschland am geringsten zu vertreten.
Wir wissen mit großer Sicherheit, dass der von der
EU vorgegebene Zeitrahmen nicht einzuhalten ist.
Mit dieser Debatte zur Einbringung des Gesetzent-
wurfs wird deutlich, dass von deutscher Seite alles getan
wird, um die notwendigen Ausführungsregeln ohne Ver-
zögerung in Kraft zu setzen. Wir sollten der EU-Kom-
mission keine Möglichkeit geben, mit dem Hinweis auf
eine unterlassene oder verspätete Umsetzung durch die
Bundesrepublik von eigenen Versäumnissen und Unter-
lassungen abzulenken.
Volkmar Uwe Vogel (CDU/CSU): Bereits seit meh-
reren Jahren gibt es Planungen, den herkömmlichen
Fahrtenschreiber durch ein verbessertes elektronisches
System zu ersetzen. Auf den ersten Blick erscheint dies
auch sinnvoll: Wir alle wissen, dass Polizeikontrollen
auf deutschen Autobahnen immer wieder erschreckende
Überschreitungen der Lenkzeiten und Unterschreitungen
der Ruhezeiten ans Tageslicht bringen. In den Nachrich-
ten hören wir immer wieder von furchtbaren Unfällen
mit Autobussen oder Lastwagen, die durch übermüdete
oder eingeschlafene Fahrer verursacht wurden. Diese
Unfälle fordern nicht selten viele Verletzte und zahlrei-
che Todesopfer – und damit menschliches Leid, das sich
verhindern ließe.
Ich möchte an dieser Stelle betonen, dass die Arbeit
der Bus- und LKW-Fahrer immer härter und komplizier-
ter wird. Wir alle wissen, unter welchen enormen Belas-
tungen gefahren werden muss. Wir wissen auch, dass
Deutschland ein europäisches Transitland ist. Das Ver-
kehrsaufkommen, das jetzt schon hoch ist, wird sich
noch einmal durch den Beitritt der mittel- und osteuro-
päischen Länder zur EU drastisch erhöhen.
All dies kann aber keine Entschuldigung für die Ge-
fährdung der Sicherheit auf unseren Straßen sein. Diese
Gefährdung entsteht maßgeblich durch die eklatanten
Verletzungen der Lenk- und Ruhezeiten. Ich denke, dass
wir uns hier über alle Parteigrenzen hinweg einig sind.
Ich verweise in diesem Zusammenhang auf unseren
Antrag „Sicherheit im Busverkehr“, zu dem ich bereits
am 29. Januar 2004 in diesem Hause redete. Die CDU/
CSU-Bundestagsfraktion hat damals mehrere Sofort-
maßnahmen gefordert, um die Sicherheit auf deutschen
Straßen signifikant zu erhöhen. Neben anderen wichti-
gen Maßnahmen unterstützen wir im Zuge der europäi-
schen Harmonisierung die Einführung von aktiven elek-
tronischen Warnsystemen in LKWs und Bussen. Zu den
von uns geforderten Maßnahmen gehört auch die Ein-
führung eines digitalen Fahrtenschreibers.
Auch wenn Rot-Grün unseren Antrag zur Sicherheit
im Busverkehr abgelehnt hat, bleibt doch festzuhalten,
wie wichtig diese Maßnahmen für die Sicherheit auf un-
seren Straßen sind. Zu dem Zwischenruf des Parlamen-
tarischen Geschäftsführers der SPD-Bundestagsfrak-
tion, Herrn Kollegen Schmidt, all das sei doch „purer
Aktionismus“, kann ich nur sagen, dass es besser wäre,
der Kollege kümmerte sich um Dinge, von denen er et-
was versteht.
Neben diesen wichtigen Sicherheitsaspekten möchte
ich einige Worte zu den „Schattenseiten“ dieses Gesetz-
entwurfes sagen. Es zeichnet sich nämlich ab, dass die
Einführung des digitalen Fahrtenschreibers in gleicher
Art und Weise vonstatten oder besser gesagt schief geht
wie die LKW-Maut. Darüber redet im Moment nur nie-
mand, weil sich die Medien des Themas noch nicht an-
genommen haben. Der Schaden ist nicht unmittelbar in
Euro und Cent ausweisbar. Ich meine damit das mensch-
liche Leid der Unfälle, die durch übermüdete Fahrer ver-
ursacht werden und die hohen volkswirtschaftlichen
Schäden durch diese Unglücke.
Das neue Gerät kann im Wesentlichen das, was das
alte auch konnte, nämlich die Überschreitung der Lenk-
zeiten erfassen. Es bürdet den Unternehmen aber hohe
Kosten auf. Der neue digitale Fahrtenschreiber, den es
übrigens serienreif noch gar nicht gibt, muss kostspielig
erworben und eingebaut werden.
Unternehmen und Werkstätten müssen sich mit der
notwendigen und teuren Software zur Auswertung der
Daten versorgen.
Zum Einlesen in den digitalen Fahrtenschreiber sind
bislang vier verschiedene Chipkarten geplant: eine für
den Fahrer, die dieser für circa 20 Euro selbst erwerben
muss, eine für den Unternehmer, eine für die Werkstatt
und natürlich eine für die Kontrollbeamten.
Ohne pessimistisch klingen zu wollen: Hier zeichnet
sich ein ähnliches Kompetenzwirrwarr und Chaos wie
bei der Maut-Katastrophe von Minister Stolpe ab.
Außerdem werden das alte und das neue System gut
zehn Jahre nebeneinander existieren, da erst ab Einfüh-
rungstag die Halter neuer Fahrzeuge verpflichtet sind,
den digitalen Fahrtenschreiber einzubauen, und die alten
Geräte Bestandsgarantie haben.
Schließlich ist der Einführungstermin des neuen Ge-
rätes offen: Ursprünglich sollte er am 5. August 2004
sein, doch nun wird die Einführung wohl eher Mitte des
Jahres 2005 sein.
Ein Schelm wer Böses dabei denkt: Und wer dächte
hier nicht an die Mautpleite der rot-grünen Bundesregie-
rung.
Ich möchte zum Schluss noch einmal betonen: Auch
uns liegt an der Erhöhung der Verkehrssicherheit und an
effizienten Sicherheitskontrollen. Das darf aber die
Kraftfahrer durch zusätzliche Bedienungsfunktionen
nicht weiter belasten. Auch die Kosten für die Fuhrun-
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 94. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2004 8479
(A) (C)
(B) (D)
ternehmer bei Einbau und Betrieb der Geräte müssen an-
gemessen bleiben. Die Fuhrunternehmer sind nämlich
von der rot-grünen Bundesregierung schon genug gebeu-
telt worden.
Klaus Hofbauer (CDU/CSU): Die vorgeschriebenen
Lenk- und Ruhezeiten von LKW- und Busfahrern sind
sinnvoll und tragen in deutlichem Maße zur Verbesse-
rung der Sicherheit im Straßenverkehr bei. Ohne diese
Regelungen würde die Zahl der schweren Verkehrsun-
fälle durch Übermüdung oder Erschöpfung von Fahrern
erheblich höher liegen. Daher ist es notwendig, dass die
Einhaltung dieser Vorgaben konsequent überwacht wird.
Eine effektive Kontrolle setzt jedoch voraus, dass die
technischen Einrichtungen zweckdienlich und benutzer-
freundlich gestaltet sind. Einerseits ist es notwendig,
dass die erforderlichen Kontrolldaten nachvollziehbar
erfasst werden. Andererseits dürfen Fahrer, Speditionen
und Werkstätten mit den Auflagen hinsichtlich der An-
schaffung, Erfassung und Archivierung nicht über Ge-
bühr belastet werden.
Das vorliegende Gesetz setzt eine Vorordnung des
Europäischen Rates vom September 1998 um. Das bis-
her eingesetzte mechanische Kontrollgerät zur Überwa-
chung der Lenk- und Ruhezeiten im gewerblichen Stra-
ßenverkehr soll und muss durch ein digitales Gerät
ersetzt werden. Die mechanische Erfassung hat sich in
den letzten Jahren als stör- und manipulationsanfällig er-
wiesen. Eine effektive Kontrolle im Sinne der Verkehrs-
sicherheit und im Interesse des Arbeitsschutzes der Fah-
rer war in vielen Fällen nicht möglich. Der vorliegende
Gesetzentwurf trägt zu einer effizienten und deutlichen
Verbesserung bei und ist daher im Grundsatz zu begrü-
ßen.
Was vom Grundsatz her eine gute Idee ist, droht in
Deutschland jedoch wiederum zur Blamage zu werden.
Die Terminvorstellungen des Vorhabens sind völlig un-
realistisch. Unter diesen Voraussetzungen zeichnet sich
heute schon ab, dass die Einführung der digitalen Kon-
trollgeräte ein ähnliches Debakel wie die Maut werden
könnte.
Die EU-Verordnung sieht vor, dass bis zum 5. Sep-
tember 2004 alle Nutzfahrzeuge mit dem neuen System
auszurüsten sind. Nach Äußerungen der Baugeräteher-
steller ist jedoch mit einem Vorliegen der Bauartgeneh-
migung erst im zweiten Quartal 2004 zu rechnen. Es ist
damit äußerst unwahrscheinlich, dass im August dieses
Jahres praxistaugliche Kontrollgeräte zur Verfügung ste-
hen. Rot-Grün hat es versäumt, mit allem Nachdruck be-
reits frühzeitig auf realistische Umsetzungsfristen zu
drängen. Sollte die Europäische Kommmission keine
Fristverlängerung gewähren, ist mit massiven Proble-
men für alle Beteiligten zu rechnen. Rechtsunsicherhei-
ten, Defizite bei der Überwachung und zusätzliche Kos-
ten für Fahrer, Speditionen und Werkstätten sind damit
nicht auszuschließen. Ohne eine ausreichende Entwick-
lung und Erprobung droht der gesamten neuen Kontroll-
technik ein Imageschaden.
Damit ist jedoch nur ein Punkt genannt. Beispielhaft
möchte ich hier noch auf einige weitere Aspekte hinwei-
sen. Vielen Unternehmen droht durch die nötige An-
schaffung der Hard- und Software eine nicht unerhebli-
che Kostenbelastung. Insbesondere kleinere Betriebe
wären davon betroffen. Daher sollte das Gesetz den Un-
ternehmen ausdrücklich die Möglichkeit zur Speiche-
rung durch Dritte einräumen. Diese Auftragsspeicherung
muss gerade für kleinere Betriebe einfach und unkompli-
ziert zu vergeben sein.
Des Weiteren sollten die Kosten der Regelungen für
Fahrer, Werkstätten und Speditionsunternehmen genauer
geprüft werden. Auch in der Gegenäußerung der Bun-
desregierung zu den Einwänden des Bundesrates wurden
die zusätzlichen Kosten der Speditionen und Werkstätten
nicht genauer spezifiziert. Es darf keinesfalls sein, dass
kleine und mittelständische Unternehmen des Kfz- und
Transportgewerbes wiederum die Leidtragenden eines in
kurzer Frist von Rot-Grün durchgepeitschten Gesetzent-
wurfes sind.
Nicht zuletzt möchte ich darauf hinweisen, dass die
verpflichtende Einführung einer neuen Technologie
durch die zuständige Bundesbehörde ausreichend beglei-
tet werden muss. Die Unternehmen dürfen mit techni-
schen Problemen nicht allein gelassen werden, so wie es
bei der Maut geschehen ist. Das Kraftfahrt-Bundesamt
muss ausreichende Informationen und Hilfestellungen
anbieten, um Speditionen, Werkstätten und Fahrer bei
der Einführung der neuen Geräte in jeder Form zu unter-
stützen.
Lassen Sie mich zusammenfassen: Nach Auffassung
der CDU/CSU-Bundestagsfraktion ist das Gesetz im
Grundsatz richtig und notwendig. Durch die Vorschläge
der Länder konnten im Entwurf bereits mehrere Verbes-
serungen erreicht werden. Jedoch steht die Bundesregie-
rung bei der Einführung dieser neuen Technologie in der
Pflicht, der Industrie ausreichende Testzeiträume zur
Verfügung zu stellen und den Prozess für die Unterneh-
men kostenoptimal zu gestalten.
Rot-Grün muss aus dem selbst verschuldeten Mautde-
bakel lernen. Die Einführung der digitalen Kontrollge-
räte darf keinesfalls wieder zu einer Blamage für den
Standort Deutschland werden.
Peter Hettlich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): „Was
lange währt, scheint endlich gut zu werden!“ So könnte
das Motto zur Einführung von digitalen Kontrollgeräten
für die Überwachung von Lenk- und Ruhezeiten lauten.
Die Meldungen und Berichte über Manipulationen an
den bislang eingesetzten analogen Kontrollgeräten dürf-
ten so alt sein wie diese Geräte selber. Auch wenn wir
gelegentlich über verspeiste Tachoscheiben schmunzeln
durften, so ist der Hintergrund doch ein ernster. Der
enorme Druck im Transportgewerbe hat zunehmend
dazu geführt, dass die zum Teil erheblichen Überschrei-
tungen von Lenk- und Ruhezeiten immer häufiger durch
Manipulationen an den Fahrtenschreibern verschleiert
werden sollten.
8480 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 94. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 4. März 2004
(A) (C)
(B) (D)
Insofern war die Forderung nach einem fälschungssi-
cheren und effizienten System die logische Konsequenz,
um Missbräuchen vorzubeugen und damit die Sicherheit
im Straßenverkehr weiter zu verbessern. Denn es geht
dabei nicht nur um den Schutz der Fahrer vor sich selbst,
sondern insbesondere auch um den Schutz von unbetei-
ligten Dritten, die im Falle eines Unfalls geschädigt wer-
den könnten.
Schon 1998 hatte der Rat der Europäischen Union die
Einführung eines digitalen Kontrollgerätes beschlossen.
Allerdings dauerte es noch bis zum August 2002, bis mit
der Veröffentlichung des Technischen Anhangs IB eine
technische Gerätespezifikation vorgegeben wurde. Bin-
nen 24 Monaten, das heißt konkret ab dem 5. August
dieses Jahres, müssten demnach alle betroffenen
Neufahrzeuge ab 3,5 Tonnen zulässigem Gesamtgewicht
mit diesen Geräten ausgestattet werden.
Wir stehen aber heute vor dem konkreten Problem,
dass es noch kein Mitgliedsland der EU gibt, das auf-
grund der Komplexität eine Bauartgenehmigung für die-
ses neue System erteilt hat. Somit ist schon jetzt abseh-
bar, dass der Termin 5. August 2004 nicht zu halten sein
wird. Ohne diese Genehmigung ist jedoch eine Einfüh-
rung nicht möglich.
Die Lösung kann daher nur in einer Fristverlängerung
liegen. Ich halte es für dringend angeraten, schnellstmög-
lich mit der EU-Kommission eine Klärung über eine an-
gemessene Terminverschiebung herbeizuführen. Wenn
wir diese neue Kontrolltechnik ohne den entsprechenden
Vorlauf einführen, dann befürchten viele Fachleute er-
hebliche Anlaufprobleme, die wiederum die Akzeptanz
des Systems vom ersten Tag an beeinträchtigen. Wir soll-
ten aus den Fehlern bei der Einführung der LKW-Maut
lernen und daher zunächst noch befristet auf die vorhan-
dene, aber weniger manipulationssichere Lenk- und Ru-
hezeiterfassung zurückgreifen, bis das neue System tat-
sächlich funktionsfähig zur Verfügung steht.
Dennoch ist es richtig, diesen Gesetzentwurf zum jet-
zigen Zeitpunkt vorzulegen und zu verabschieden, da
wichtige Gesetzesänderungen zur Einführung des digita-
len Kontrollgerätes Voraussetzung sind. Ohne eine
Anpassung des Fahrpersonalgesetzes, FpersG, und des
Gesetzes über die Errichtung eines Kraftfahrt-Bundes-
amtes, KBA-Gesetz, wäre die Umsetzung der EG-Ver-
ordnungen Makulatur.
Schon der Einsatz verschiedener Chipkartentypen
– Fahrerkarte, Unternehmenskarte, Werkstattkarte, Kon-
trollkarte – führt zu einer Vielzahl von erforderlichen
Regelungen. Diese Karten müssen personalisiert und re-
gistriert sein, damit Manipulationen direkt ein Riegel
vorgeschoben werden kann. Ohne die Registrierung ver-
lorener oder defekt gemeldeter Karten könnten beispiels-
weise die Sozialvorschriften umgangen werden. Mit ei-
ner in falsche Hände gelangten Werkstattkarte könnten
sogar Manipulationen der Erfassungsgeräte erfolgen. Al-
lerdings würden die Kontrollgeräte diese Einflussnahme
registrieren, sodass eine Rückverfolgung von Eingriffen
möglich ist. Aber dazu ist auch eine entsprechende lü-
ckenlose Kontrolle notwendig.
Da die Karten sowohl biometrische als auch adminis-
trative Daten enthalten, ist deren getrennte Verwendung
insbesondere unter dem Aspekt des Datenschutzes zu
gewährleisten. Auch die Frage der Speicherdauer, die je
nach Kartentyp zwischen 31 Tagen und einem Jahr be-
trägt, und des Speicherortes ist von großer Bedeutung
für ein Funktionieren des Systems. Daher wird der Um-
gang mit diesen Daten in einer entsprechenden neuen
Fahrpersonalverordnung geregelt, wobei die Landesbe-
hörden die Aufsicht über deren Ausführung haben.
Das Kraftfahrt-Bundesamt spielt insbesondere bei
der Führung des Zentralen Kontrollgerätkartenregisters
eine wesentliche Rolle. Auch wird ihm die Aufgabe der
Zertifizierungsstelle für die kryptologischen Schlüssel,
deren Verwendung die Voraussetzung für eine Kommu-
nikation zwischen Speicher- und Kontrollgeräten dar-
stellt, zugeteilt. In seiner Komplexität ist dieses Schlüs-
selmanagement weltweit einzigartig. Auch aus diesem
Grunde sollten wir dafür Sorge tragen, dass die Klä-
rung der Terminfrage – wie schon weiter oben darge-
legt – von großer Bedeutung ist, bevor wir dieses Neu-
land betreten.
Die Frage der Kosten für die Einführung des Systems
sei nur kurz gestreift. Sie liegen nach den bisherigen Er-
kenntnissen je nach Kartentyp zwischen 40 und 50 Euro
einschließlich der Gebühren des Kraftfahrt-Bundesamtes
und erscheinen mir durchaus angemessen. Der zusätz-
lich notwendige Personaleinsatz hält sich ebenfalls in
Grenzen und kann über die vorgenannten Gebühren kos-
tendeckend finanziert werden.
Kurz und gut, die Voraussetzungen für die Einführung
des Systems sind geschaffen. Wir müssen nur noch dafür
sorgen, dass dieses innovative Kontrollsystem nicht
durch übermäßigen Ehrgeiz an einem zu frühen Start
scheitert. Gewähren wir ihm daher eine angemessene
Startphase, um seine „Kinderkrankheiten“ auszukurie-
ren; dann werden letztlich alle Beteiligten von den Vor-
teilen der digitalen Kontrollgeräte profitieren. Getreu
dem Motto: „Was lange währt, wird tatsächlich gut!“
Horst Friedrich (Bayreuth) (FDP): Für die FDP-
Bundestagsfraktion ist die Einführung des digitalen
Kontrollgerätes vor allem ein wichtiger Beitrag zur Ver-
kehrssicherheit. Das digitale Kontrollgerät ist die längst
fällige Reaktion auf die zunehmenden Unfallzahlen im
Schwerlastverkehr und bei Bussen. Die Richtlinie wird
für Fahrzeuge mit mehr als 3,5 Tonnen zulässigem Ge-
samtgewicht gelten und für mehr Sicherheit im Straßen-
verkehr sorgen. Nicht nur auf deutschen Straßen wird
mit dem digitalen Kontrollgerät die Möglichkeit zur Fäl-
schung der Daten für Lenk- und Ruhezeiten schwieriger,
sondern auch auf europäischen Verkehrswegen.
So kurz vor dem Beitritt der neuen EU-Mitgliedstaa-
ten ist es höchste Zeit für einfachere und gleichzeitig ef-
fektivere Kontrollmöglichkeiten des größten Unsicher-
heitsfaktors im Straßenverkehr, nämlich des Menschen.
Aber das Kontrollgerät kann nur der sicheren Dokumen-
tation der Lenk- und Ruhezeiten dienen und nur mittel-
bar der verbesserten Fahrweise des Fahrzeugführers.
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Daher muss der Gesetzgeber dafür sorgen, dass die
Lenk- und Ruhezeiten eingehalten werden, und entspre-
chend Personal zur Überprüfung zur Verfügung stellen.
Straferhöhungen, wie gerade für telefonierende Autofah-
rer ohne Freisprechanlage beschlossen, nützen gar
nichts, solange es keine ausreichenden Kontrollen der
entsprechenden Gesetze gibt.
Die Konsequenzen der Einführung eines neuen Kon-
trollgeräts dürfen aber nicht alleine in Deutschland zu
spüren sein. Wo im Vergleich mit den Nachbarstaaten
schon am meisten im Straßenverkehr kontrolliert wird,
dürfen mit dem Einbau der Geräte keine Wettbewerbs-
nachteile für das Güterkraftverkehrsgewerbe entstehen.
Dafür muss die Bundesregierung sorgen. Dazu fällt mir
ein, dass die Bundesregierung seit drei Jahren einen Be-
richt über Wettbewerbsverzerrungen im europäischen
Güterkraftverkehrsgewerbe unter anderem zu Sozial-
standards vorlegen will. Wahrscheinlich wird das Parla-
ment diesen Bericht erhalten, wenn die digitalen Kon-
trollgeräte längst Alltag geworden sind.
Das wird leider noch eine Weile dauern. Bisher gibt
es wohl EU-weit kein normgerechtes digitales Gerät zur
Kontrolle von Lenk- und Ruhezeiten. Aus diesem Grund
möchte EU-Kommissarin de Palacio den Starttermin für
die Einführung des elektronischen Fahrtenschreibers
verschieben. Bei den europäischen Nachbarn geht die
Angst um, sie könnten ein ähnliches Desaster mit dem
Einbau des Kontrollgeräts erleben wie wir mit dem Ein-
bau von nicht funktionierenden Mauterfassungsgeräten.
Hilfreich war mit Sicherheit die Erkenntnis eines Spre-
chers von Bundesverkehrsminister Stolpe: Was nützten
uns Termine, wenn sie von vornherein nicht eingehalten
werden könnten.
Die FDP-Bundestagsfraktion begrüßt jedenfalls die
europaweite Einführung des digitalen Fahrtenschrei-
bers. Wichtig dabei ist eine verstärkte Kontrolle der
Einhaltung der Lenk- und Ruhezeiten und dass für alle
EU-Länder die gleichen Konsequenzen entstehen. Ich
freue mich deshalb auf die Beratungen im Verkehrsaus-
schuss.
Angelika Mertens, Parlamentarische Staatssekre-
tärin beim Bundesminister für Verkehr, Bau- und Woh-
nungswesen: Was wir hier heute zu später Stunde mit-
einander besprechen, ist ganz und gar undramatisch.
Schade, denn zu so später Stunde wäre etwas Aufregung
vielleicht ganz hilfreich.
Mit dem Gesetzentwurf über Begleitregelungen zur
Einführung des digitalen Kontrollgerätes erfüllen wir ei-
nen Beschluss der Europäischen Union. Undramatisch,
aber nicht unwichtig. Denn hier geht es um die Einfüh-
rung eines neuen Kontrollsystems im Straßengüterver-
kehr. Mit dem Gesetzentwurf schaffen wir die Vorausset-
zungen für die erforderlichen Ausführungsregelungen.
Das ist eine kleine Zeitenwende im Straßengüterver-
kehr: Das digitale Kontrollgerät wird das bislang mecha-
nische Kontrollgerät, den Fahrtenschreiber, ersetzen.
Das ist gut, denn einen Fahrtenschreiber – das habe ich
mir selbst demonstrieren lassen – kann beinahe jedes
Kind manipulieren.
Die Regelungen der betreffenden EG-Verordnung
(Nr. 2135/98) reichen allerdings nicht aus, um das neue
System zu realisieren. Deshalb müssen wir das Fahrper-
sonalgesetz ergänzen. Da geht es einmal um die Kontrol-
len durch die jeweiligen Behörden und um die Überwa-
chung der Einhaltung der Sozialvorschriften durch den
Unternehmer. Und es geht um die Einführung einer Mit-
teilungspflicht der Bußgeldbehörden, die für die Sozial-
vorschriften zuständig sind. Diese Regelungen werden
mit dem vorliegenden Gesetz getroffen.
Hinzu kommen technische Regelungen. Da geht es
zum Beispiel um das so genannte Herunterladen der Da-
ten aus dem Massespeicher des Kontrollgerätes oder der
Fahrerkarte in die betriebliche Datenverarbeitung. Das
ist notwendig, weil sonst Betriebsprüfungen nicht durch-
führbar wären.
Notwendig ist außerdem die deklaratorische Klarstel-
lung der Zuständigkeit der Länder, wenn es um die Aus-
gabe der Kontrollgerätekarten geht.
Der Regelungsbereich des Gesetzes ist also unproble-
matisch und, wie gesagt, wenig dramatisch.
Voraussetzung für den Einsatz des digitalen Kontroll-
gerätes ist allerdings das Vorliegen einer Bauartgeneh-
migung. Ab August müssen nach den jetzt geltenden
Fristen alle Neufahrzeuge mit einem entsprechenden Ge-
rät ausgestattet werden. Und da gibt es dann doch ein
kleines, aber nicht unbedeutendes Problem: Es ist un-
wahrscheinlich, dass bis August genehmigte und praxis-
taugliche Geräte existieren. Europaweit haben die Ge-
rätehersteller erklärt, dass dieser Zeitplan nicht zu halten
ist. Die deutschen Hersteller (Actia, Siemens-VDO)
rechnen frühestens im zweiten Quartal 2004 mit einer
Bauartgenehmigung. Die logische Konsequenz: Es wird
zum 6. August 2004 in ganz Europa kein einziges praxis-
taugliches digitales Kontrollgerät geben. Mit dieser Frist
hätte die Industrie auch keine ausreichenden Testzeit-
räume für das neue System.
Es ist richtig, dass die EU Druck macht, was die Ein-
führung des neuen Gerätes angeht. Allerdings brauchen
wir einen neuen und realistischen Zeitplan. Behördli-
cherseits sind die Fristen noch enger gesteckt. Nach der
jetzigen Regelung müssen die Mitgliedstaaten schon ab
Mai in der Lage sein, bauartgenehmigte Kontrollgeräte-
karten auszugeben. Das ist zeitlich einfach nicht zu
schaffen. Letztlich müssen auch die Techniker mit der
neuen Technik an funktionsfähigen Geräten geschult
werden. Und das ist kein rein behördliches Problem,
denn auch das europäische Transportgewerbe fordert seit
langem eine Verschiebung der Einführung.
Auch der Bundesrat hat das Zeitproblem erkannt: In
der Stellungnahme vom 13. Februar 2004 wird die Bun-
desregierung gebeten, sich bei der EU-Kommission für
eine Verschiebung des Starttermins einzusetzen. Bundes-
minister Stolpe war schneller – er hatte schon im vergan-
genen Dezember an die Verkehrskommissarin de Palacio
geschrieben. Er hat auf die bestehenden Probleme hinge-
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wiesen und dringend um einen realistischeren Zeitplan
gebeten. Eine solche Verschiebung wäre EU-rechtlich
möglich, aber die Kommission lehnt sie bislang ab. Diese
Situation ist nicht nur aus Sicht der Bundesregierung nicht
akzeptabel. Ein Festhalten an den jetzt geltenden Fristen
würde für alle Beteiligten massive Probleme bedeuten.
Abgesehen von allen Terminschwierigkeiten der In-
dustrie ist es aber wichtig, durch die rechtzeitige Verab-
schiedung der gesetzlichen Grundlage den EU-Vorgaben
Rechnung zu tragen. Das tun wir mit diesem Gesetzent-
wurf. Der Bundesrat hat keine grundsätzlichen Ein-
wände erhoben. Insofern sind wir im Zeitplan.
sellschaft mbH, Amsterdamer Str.
nd 91, 1
192, 50735 Köln, Telefon (02 21) 97 66 340, Telefax (02 21) 97 66 344
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94. Sitzung
Berlin, Donnerstag, den 4. März 2004
Inhalt:
Redetext
Anlagen zum Stenografischen Bericht
Anlage 1
Anlage 2
Anlage 3
Anlage 4
Anlage 5