Gesamtes Protokol
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
Sitzung ist eröffnet.
Die Kollegin Dr. Margrit Spielmann feierte am
29. April ihren 60. Geburtstag. Im Namen des Hauses
gratuliere ich nachträglich sehr herzlich und wünsche al-
les Gute.
Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene
Tagesordnung zu erweitern. Die Punkte sind in der Ih-
nen vorliegenden Zusatzpunktliste aufgeführt:
1 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktionen der SPD und
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Situation im Hin-
blick auf das akute Atemwegssyndrom in der
Bundesrepublik
2 Beratung des Antrags der Abgeordneten Jörg van Essen,
Rainer Funke, Rainer Brüderle, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der FDP: Opferrechte stärken und verbessern
Drucksache 15/936
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss
Innenausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
3 Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren
Redet
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrach-
ten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Zusatzabkommen
vom 27. August 2002 zum Abkommen vom 14. No-
vember 1985 zwischen der Bundesrepublik Deutsch-
land und Kanada über Soziale Sicherheit Drucksa-
che 15/881
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung
b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrach-
ten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom
12. September 2002 zwischen der Bundesrepublik
Deutschland und der Slowakischen Republik über So-
ziale Sicherheit Drucksache 15/883
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung
c) Erste Beratung des von der Bundesregierun
ten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Int
Vertrag vom 3. November 2001 über pfl
sche Ressourcen für Ernährung und La
Drucksache 15/882
ten Entwurfs eines Gesetzes über die Registrierung von
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Götz-Peter
Lohmann, Dagmar Freitag, Helga Kühn-Mengel, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abge-
ordneten Winfried Hermann, Petra Selg, Birgitt Bender,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNIS-
SES 90/DIE GRÜNEN: Durch Bewegung und Sport Ge-
sundheit und Prävention fördern Drucksache 15/931
Überweisungsvorschlag:
Sportausschuss
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung
Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD, der CDU/CSU,
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP: Ände-
rung des Zeitraumes für den Bericht der Bundesregierung
über den Stand der Auszahlungen und die Zusammenar-
beit der Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zu-
kunft mit den Partnerorganisationen und den Bericht
ext
der Bundesregierung über den Stand der Rechtssicherheit
für deutsche Unternehmen im Zusammenhang mit der
Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft
Drucksache 15/938
5 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der CDU/CSU:
Berichte über höchste April-Arbeitslosigkeit seit der Wie-
dervereinigung, Praxistauglichkeit des Hartz-Konzeptes
und Ausbaupläne des Vorstandes der Bundesanstalt für
Arbeit
6 Beratung des Antrags der Abgeordneten Peter Hintze, Peter
Altmaier, Dr. Gerd Müller, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der CDU/CSU: Ein Verfassungsvertrag für eine
bürgernahe, demokratische und handlungsfähige Europä-
ische Union Drucksache 15/918
Überweisungsvorschlag:
für die Angelegenheiten der Europäischen
er Ausschuss
huss
huss
g eingebrach-
ernationalen
anzengeneti-
ndwirtschaft
Ausschuss
Union
Auswärtig
Innenaussc
Sportaussc
3484 Deutscher Bundestag 15. Wahlperiode 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2003
)
)
Präsident Wolfgang Thierse
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für Kultur und Medien
Haushaltsausschuss
7 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Werner Hoyer,
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Daniel Bahr ,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Initiativen
des Brüsseler Vierergipfels zur Europäischen Sicherheits-
und Verteidigungs-Union über den Europäischen
Verfassungskonvent vorantreiben Drucksache 15/942
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Auswärtiger Ausschuss
Verteidigungsausschuss
8 Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD und des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Finanzplatz Deutsch-
land weiter fördern Drucksache 15/930
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
9 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Ernst Dieter
Rossmann, Jörg Tauss, Ulla Burchardt, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der SPD, der Abgeordneten Grietje Bettin,
Hans-Josef Fell, Volker Beck , weiterer Abgeordneter
und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie
tion der FDP: Für eine erfolgreiche Fortsetzung der ge-
meinsamen Bildungsplanung von Bund und Ländern im
Rahmen der Bund-Länder-Kommission für Bildungs-
planung und Forschungsförderung Druck-
sache 15/935
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
10 Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zum Vertrag vom 27. Januar 2003
zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Zen-
tralrat der Juden in Deutschland Körperschaft des öf-
fentlichen Rechts Drucksache 15/879
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Haushaltsausschuss
gemäß § 96 GO
11 Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung des Rechts der
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Innenausschuss
Verteidigungsausschuss
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
14 Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Steuerung und
Begrenzung der Zuwanderung und zur Regelung des Auf-
enthalts und der Integration von Unionsbürgern und Aus-
ländern Drucksachen 15/420,
15/522
Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten
Dr. Max Stadler, Rainer Funke, Sibylle Laurischk, weiteren
Abgeordneten und der Fraktion der FDP eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Steuerung und Begrenzung
der Zuwanderung und zur Regelung des Aufenthalts und
der Integration von Unionsbürgern und Ausländern
Drucksache 15/538
a) Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses
Drucksache 15/955
Berichterstattung:
Abgeordnete Rüdiger Veit
Dr. Michael Bürsch
Hartmut Koschyk
Erwin Marschewski
Josef Philip Winkler
Dr. Max Stadler
b) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß
§ 96 der Geschäftsordnung Drucksache 15/951, 15/960
Berichterstattung:
Abgeordnete Susanne Jaffke
Klaus Hagemann
Anja Hajduk
Otto Fricke
15 Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der SPD,
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP einge-
brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Geset-
zes zur Neuregelung des Schutzes von Verfassungsorganen
des Bundes Drucksache 15/805
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wahl-
prüfung, Immunität und Geschäftsordnung
Drucksache 15/969
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Dieter Wiefelspütz
Thomas Strobl
Volker Beck
Jörg van Essen
16 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Martina
Krogmann, Ursula Heinen, Karl-Josef Laumann, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Den Missbrauch
Deutscher Bundestag 15. Wahlperiode 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2003 3485
)
)
Präsident Wolfgang Thierse
von Mehrwertdiensterufnummern grundlegend und um-
fassend bekämpfen Drucksache 15/919
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Rechtsausschuss
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirt-
schaft
Von der Frist für den Beginn der Beratung soll so-
weit erforderlich abgewichen werden.
Darüber hinaus wurde vereinbart, den Tagesordnungs-
punkt 14 europäische Ausländer-, Asyl- und Zuwande-
rungspolitik und den Tagesordnungspunkt 18 d Gen-
technikrecht abzusetzen.
Außerdem mache ich auf nachträgliche Ausschuss-
überweisungen im Anhang zur Zusatzpunkteliste auf-
merksam:
Der in der 40. Sitzung des Deutschen Bundestages
überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätz-
lich dem Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit zur Mit-
beratung überwiesen werden.
Gesetzentwurf der Fraktionen der SPD und des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN über die Ver-
ordnungsfähigkeit von Arzneimitteln in der
vertragsärztlichen Versorgung Druck-
sache 15/800
überwiesen:
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung
Der in der 41. Sitzung des Deutschen Bundestages
überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätz-
lich dem Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre
Hilfe zur Mitberatung überwiesen werden.
Gesetzentwurf der Abgeordneten Joachim
Stünker, Hermann Bachmaier, Sabine Bätzing,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
sowie der Abgeordneten Jerzy Montag, Hans-
Christian Ströbele, Volker Beck , weiterer
Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNIS-
SES 90/DIE GRÜNEN zur Umsetzung des Rah-
menbeschlusses des Rates vom 13. Juni 2002
zur Terrorismusbekämpfung und zur Ände-
rung anderer Gesetze Drucksache 15/813
überwiesen:
Rechtsausschuss
Innenausschuss
Sind Sie damit einverstanden? Ich höre keinen Wi-
derspruch. Dann ist so beschlossen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, auf der Ehrentri-
büne haben die Präsidentin der Nationalversammlung
der Republik Ungarn, Dr. Katalin Szili, und ihre Dele-
gation Platz genommen, die ich herzlich willkommen
heiße.
Im September 1989 hat Ungarn mit der Öffnung des
Eisernen Vorhangs das Tor zur Wiedervereinigung
Deutschlands und Europas aufgestoßen. Mit dem bevor-
stehenden Beitritt zur Europäischen Union vollendet
sich für Ihr Land der Weg, der damals begonnen wurde.
Sie können gewiss sein, dass wir Deutschen den Mut
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Die USA haben die Zukunft Berlins in schwerer Zeit
esichert und die Vereinigung unseres Landes ermög-
icht. Die engen Bindungen zu den USA und ihren Bür-
ern und Bürgerinnen werden deshalb immer fortbeste-
en und nicht durch Meinungsunterschiede sollten
iese auch in noch so wichtigen Fragen bestehen be-
ührt.
In den letzten Monaten hat sich die ganze Welt mit
er Einlösung der Resolution 1441 des UN-Sicher-
eitsrates befasst; jeder kannte diese Ziffer. Ich möchte,
ass alle politisch Handelnden und die Weltöffentlich-
eit mit der gleichen Leidenschaft auch für die Umset-
ung der Resolution 55/2 der UN-Generalversammlung
rbeiten, mit der die Staats- und Regierungschefs im
eptember 2000 beschlossen haben, der Armut entge-
enzutreten und sie drastisch zu reduzieren. Dies ist eine
ichtige weltweite Aufgabe für die Zukunft.
3486 Deutscher Bundestag 15. Wahlperiode 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2003
)
)
Bundesministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul
Bis zum Jahr 2015 soll der Anteil der Menschen, die
von weniger als 1 US-Dollar am Tag leben müssen,
halbiert werden. Tatsächlich sind Taten notwendig:
1,2 Milliarden Menschen ich sagte es leben von we-
niger als 1 US-Dollar am Tag und sind damit extrem
arm. 113 Millionen Kinder im schulpflichtigen Alter
können nicht zur Schule gehen. Täglich sterben
6 000 Kinder unter fünf Jahren, weil sie keinen Zugang
zu sauberem Trinkwasser haben.
Diese Zahlen müssen uns aufrütteln. Aber auch das
muss ich sagen wir haben auf der Frühjahrstagung von
Weltbank und Internationalem Währungsfonds vor ge-
rade einem Monat einen Bericht zur Umsetzung dieser
Ziele gehört. Dabei wurde festgestellt, dass sich die Rah-
menbedingungen zur Erreichung dieser Ziele drastisch
verschlechtert haben. Die Gründe liegen in der weltwirt-
schaftlichen Situation, den direkten und indirekten Aus-
wirkungen des Irakkrieges, den mangelnden Fortschrit-
ten im Welthandel und dem drastischen Einbrechen bei
den ausländischen Direktinvestitionen. Für einzelne
Länder kommt dann noch die dramatische Belastung
aufgrund der SARS-Epidemie hinzu.
Bei der Fortschreibung der derzeitigen Trends es ist
wichtig, dass wir uns das vor Augen führen bis zum
Jahr 2015 wäre es zwar möglich, das Ziel, den Anteil der
Armen weltweit zu halbieren, zu erreichen; aber die Um-
setzung dieses Ziels hängt davon ab, ob Länder wie
China und Indien besondere Erfolge erringen. Viele Län-
der in Afrika würden dieses Ziel jedoch verfehlen. Des-
halb muss die Schlussfolgerung sein, sowohl die An-
strengungen zur Entwicklungsfinanzierung nach
Angaben der Weltbank brauchen wir weltweit zusätzlich
50 Milliarden US-Dollar , besonders bezogen auf
Afrika, zu verstärken als auch endlich Beschlüsse zur
Beseitigung handelspolitischer Diskriminierungen der
Entwicklungsländer zu erreichen. Wir sind entschlossen,
diese Verpflichtungen auch umzusetzen.
Meine Sorge war und ist: Wenn Kriege wieder als
normales Instrument von Politik betrachtet werden, be-
steht die extreme Gefahr einer Verschiebung der Ge-
wichte auf der internationalen Tagesordnung. Schon seit
dem Jahr 2000 sind die weltweiten Rüstungsausgaben
wieder drastisch angestiegen. Ein neuer weltweiter Rüs-
tungswettlauf muss vermieden werden; denn er würde
Mittel und Aufmerksamkeit von der großen, zentralen
Aufgabe der Armutsbekämpfung ablenken. Das dürfen
wir nicht zulassen.
Wir müssen die Mittel auf den Kampf gegen Armut,
Ungerechtigkeit, Hunger und Unwissenheit konzentrie-
ren. Jenseits aller aktuellen Diskussion empfinde ich es
als einen niemals hinzunehmenden Skandal, dass Mittel
für Krieg in Milliardenhöhe schlagartig mobilisiert wer-
den können, im Kampf gegen Armut und gegen das Ster-
ben von Kindern aber um jeden Dollar und jeden Euro
zusätzlich gerungen werden muss.
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llein der Nachtragshaushalt, den die amerikanische Re-
ierung zum Irakkrieg vorgelegt hat 80 Milliarden US-
ollar , beträgt ungefähr das Anderthalbfache dessen,
as alle Industriestaaten jährlich an Mitteln zur Ent-
icklungszusammenarbeit ausgeben. Im Jahre 2002 wa-
en das 57 Milliarden US-Dollar.
Prävention ist nicht nur menschenwürdiger, sondern
uch billiger und verantwortungsbewusster. Wir alle
püren doch täglich, dass wir nicht auf einer Insel leben,
ass uns global verursachte Umweltkatastrophen errei-
hen sowie Unsicherheit und Gewalt zunehmen. Des-
alb möchte ich uns allen einprägen: Entwicklungszu-
ammenarbeit ist die kostengünstigste Sicherheitspolitik.
as gilt auch für unsere eigene Sicherheit. Mit unserer
ntwicklungszusammenarbeit leisten wir daher einen
eitrag zu unserer eigenen Sicherheit.
ie Mittel, die der Kollege Struck in seinem Bereich
uch für die Prävention einsetzt, möchte ich dabei nicht
ering schätzen.
Offensichtlich hat dich meine letzte Bemerkung ge-
reut.
eshalb arbeiten wir weltweit als Partner für Entwick-
ung und Frieden zusammen.
In dieser globalen Partnerschaft für Entwicklung tra-
en übrigens alle Beteiligten Verantwortung: Die Ent-
icklungsländer müssen dafür sorgen, dass verantwort-
iche Regierungsführung praktiziert und Korruption
ekämpft wird. Aufseiten der Industrieländer geht es um
nvestitionen, Kredite, Beratung, Technologietransfer,
arktöffnung und um die Schaffung gerechter interna-
ionaler Strukturen.
Das von der Bundesregierung vorgelegte Aktions-
rogramm 2015 formuliert das Armutsbekämpfungs-
iel für diesen Zeitraum und setzt dabei die Ziele in fol-
enden drei Ländergruppen um ich bitte Sie, dies zu
erstehen :
Erstens geht es um die Zusammenarbeit mit den Län-
ern, die eine besonders verantwortliche Regierungsfüh-
ung zeigen. Dabei wollen wir zukünftig verstärkt auch
ie Neue afrikanische Initiative erreichen und unter-
tützen.
Zweitens geht es aber auch um die Zusammenarbeit
n Krisenregionen und in politisch instabilen Ländern,
m zur Lösung von Konflikten beizutragen und um
echtsstaatliche Institutionen und gesellschaftliche Of-
enheit zu fördern.
Drittens geht es um Zusammenarbeit beim gesell-
chaftlichen und staatlichen Aufbau nach Krisen, Krie-
Deutscher Bundestag 15. Wahlperiode 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2003 3487
)
)
Bundesministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul
gen oder Bürgerkriegen, wie etwa in Südosteuropa oder
auch in Afghanistan.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, besonders ent-
täuscht zeigen sich die Entwicklungsländer weltweit da-
von, dass die Industrieländer ihre Ankündigungen bisher
nicht eingelöst haben, aus der Doha-Handelsrunde eine
Entwicklungsrunde zu machen. Sie sind zu Recht ent-
täuscht. Alle hehren Sprüche über die Segnungen des
freien Handels und der Marktwirtschaft müssen für die
Menschen in den Entwicklungsländern hohl klingen, so-
lange nach wie vor die Praxis der Exportsubventionen
im Agrarbereich fortgesetzt und den Entwicklungslän-
dern damit unfaire Konkurrenz auf den Weltmärkten und
in ihren eigenen Ländern gemacht wird. Das ist nicht
hinnehmbar.
Sie werden sich auch so lange enttäuscht fühlen, wie
ihnen die im Jahr 2001 zugesagte verbilligte Einfuhr von
Arzneimitteln für die Bekämpfung von Epidemien nicht
ermöglicht wird. Ich weise darauf hin, dass es ein Land
gibt, das sich unter dem Einfluss seiner Pharmakonzerne
einer solchen Regelung widersetzt hat. Ich fordere die
Regierung dieses Landes und die internationale Gemein-
schaft insgesamt auf, diese Regelung zur verbilligten
Einfuhr von Medikamenten in Entwicklungsländer zur
Bekämpfung von Epidemien umgehend umzusetzen und
die Entwicklungsländer nicht weiter zu enttäuschen.
Wenn in diesem Bereich keine Veränderungen stattfin-
den, wird auch die Konferenz von Cancun im Septem-
ber keine Fortschritte erzielen.
Wir setzen auf das Auslaufen der Agrarexportsubven-
tionen generell und wir unterstützen den Vorschlag des
französischen Präsidenten Chirac, der jetzt ein Morato-
rium bei den Exportsubventionen gegenüber den afrika-
nischen Ländern für die Dauer der WTO-Verhandlungen
fordert. Wie gesagt, der Abbau dieser Exportsubventio-
nen ist weltweit notwendig; aber es ist wichtig und gut,
wenn insbesondere auf Afrika bezogen erst einmal
mit einem solchen Schritt ein Signal gesetzt wird.
Lassen Sie mich an ein paar Beispielen deutlich ma-
chen, wie wir versuchen, die Ziele bei der Bekämpfung
der Armut umzusetzen, die sich die internationale Ge-
meinschaft im Jahr 2000 vorgenommen hat. So haben
wir die Entschuldungsinitiative für die Entwicklungs-
länder beschlossen. Sie müssen seit dieser Zeit eigene
Pläne zur Bekämpfung der Armut und der Arbeitslosig-
keit in ihrem Land vorlegen. Daran müssen sie die Zivil-
gesellschaft beteiligen.
Das können Sie sich vielleicht an folgendem Beispiel
verdeutlichen: In einem Land wie Tansania kommen Fi-
nanzmittel aus der Entschuldung zum Beispiel den Schu-
len zugute, damit Kinder in die Schule gehen können.
Nichtregierungsorganisationen unterstützen diese Schu-
len und die Kinder dabei und legen offen, welche Mittel
aus der Entschuldung wirklich vor Ort angekommen
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit den Maßnah-
en zur Bekämpfung von Armut verbinden wir das
uss man im Zusammenhang sehen zum einen Ernäh-
ungssicherheit, zum anderen aber auch die Stärkung der
echte der Frauen, Initiativen für eine Energiewende,
ür den Zugang zu sauberem Trinkwasser und für die
hance, dass alle Kinder vom siebten bis zum
4. Lebensjahr wenigstens die wichtigste Grundbildung
rhalten.
Lassen Sie mich mit der Bekämpfung des Hungers
eginnen. Die deutsche Politik steht fest zu dem interna-
ionalen Ziel, das Recht auf Nahrung weltweit durchzu-
etzen. Es ist ein Skandal, dass immer noch fast
00 Millionen Menschen hungern, obwohl genug Nah-
ungsmittel für alle Menschen produziert werden.
ichtigste Aufgabe unserer Politik ist deshalb, dazu bei-
utragen, dass der Zugang zu Land und Ressourcen in
en Partnerländern gesichert wird und dass die EU-
grarpolitik geändert wird.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir unterstützen üb-
igens das ist wichtig nicht nur die ärmsten Entwick-
ungsländer, sondern auch die Länder wie Brasilien, die
elbst einen anderen Weg einschlagen wollen. Brasilien
ersucht mit seiner Aktion Null Hunger Fome
ero , dazu beizutragen, dass die armen Menschen in
hrem Land eine gute Perspektive haben. Das kann und
uss ein ansteckendes Symbol für ganz Lateinamerika
nd für die Entwicklungsländer insgesamt sein.
Es geht uns um die Verbesserung der Grundbildung.
ir werden unsere Neuzusagen für Grundbildung inklu-
ive beruflicher Bildung von 135 Millionen Euro im Jahr
002 auf 150 Millionen Euro im Jahr 2003 steigern.
Es geht uns um die Stärkung der Rolle der Frauen. Ich
ill auf den Arab Human Development Report der Ver-
inten Nationen hinweisen. Er führt die Tatsache, dass
rabische Länder zum Teil in ihrer wirtschaftlichen Ent-
icklung zurückbleiben, unter anderem darauf zurück,
ass Frauen in diesen Ländern nicht ausreichend in die
esellschaftlichen und politischen Prozesse einbezogen
ind. Deshalb ist die Stärkung der Rolle der Frauen eine
ichtige Aufgabe im Interesse ihrer selbst, vor allen Din-
en aber auch ein Beitrag zu Modernisierung, Reform-
ähigkeit und Aktivitäten im Sinne der wirtschaftlichen
3488 Deutscher Bundestag 15. Wahlperiode 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2003
)
)
Bundesministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul
Entwicklung. Das zu stärken ist eine ganz wichtige, zen-
trale Aufgabe unserer Entwicklungszusammenarbeit.
Es geht auch darum das tun wir , dafür zu sorgen,
dass Frauen Zugang zu den Familienplanungsmöglich-
keiten haben. Sie müssen ihr Recht auf sexuelle Selbst-
bestimmung wahrnehmen können. Sie müssen selbst
entscheiden können, wie viele Kinder sie haben wollen.
Sonst können sie ihre Möglichkeiten der Familienpla-
nung überhaupt nicht nutzen und haben keine Chance.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, weltweit leben
42 Millionen Menschen mit HIV/Aids. Auch das ist ein
Aktionsfeld im Bereich der Armutsbekämpfung. In un-
serer Regierungszeit haben wir den Kampf gegen HIV/
Aids jährlich wir werden das auch im kommenden Jahr
tun mit 300 Millionen Euro bilateral, über die Welt-
bank, aber auch über die Europäische Union unterstützt.
Was brauchen wir in Bezug auf eine neue Energiezu-
kunft? Die Ausgangslage ist dramatisch: Die Industrie-
länder verbrauchen 75 Prozent der Energie, während
2,4 Milliarden Menschen, also 46 Prozent der Weltbe-
völkerung, keinen Zugang zu kommerzieller Energie ha-
ben. Wenn wir das Ziel der Armutsbekämpfung über-
haupt erreichen wollen, dann müssen wir diesen
Menschen Zugang zu Energie eröffnen. Dabei ist klar,
dass das nicht nach den alten Mustern des Energiever-
brauchs und der Energieerzeugung erfolgen kann. Sonst
wäre der ökologische Kollaps programmiert.
Wenn wir die Investitionen erreichen wollen, die in
diesem Bereich notwendig sind, müssen wir Energieeffi-
zienz und erneuerbare Energien fördern.
Da haben wir einen besonderen Schwerpunkt, der wich-
tig für die internationalen Beziehungen ist. Wir werden
im nächsten Jahr eine Konferenz für erneuerbare Ener-
gien durchführen und dabei die globale Koalition für er-
neuerbare Energien stärken. Es geht darum, eine neue
Energiezukunft für die Welt zu ermöglichen, eine Zu-
kunft, die nachhaltig und partnerschaftlich ist und auch
deshalb niemals das Mittel Militär zur Ressourcensiche-
rung einsetzt. Dies ist die Perspektive, die für die euro-
päischen Länder von Bedeutung ist.
Wenn wir diese Ziele erreichen wollen, dann müssen
wir die Entwicklungsfinanzierung stärken. Ich weise
darauf hin, dass zum ersten Mal seit dem Jahr 2002 nach
langen Jahren des Sinkens und der Stagnation der offizi-
ellen Entwicklungshilfe die Ausgaben der Geberländer
weltweit gestiegen sind, und zwar von 53 Milliarden
US-Dollar auf 57 Milliarden US-Dollar. Das wird aber
nicht ausreichen. Die deutschen Entwicklungshilfezah-
lungen sind zwar von 2001 auf 2002 um 369 Millionen
US-Dollar auf 5,359 Milliarden US-Dollar gestiegen,
was eine Steigerung um gut 7 Prozent ist. Aber der An-
teil am Bruttonationaleinkommen ist bei 0,27 Prozent
geblieben. Wir halten an dem Ziel fest das werden wir
umsetzen , bis 2006 einen Anteil von 0,33 Prozent, wie
zugesagt, zu erreichen trotz aller Konsolidierungsbe-
mühungen, die ich kenne. Aber wir müssen dieses Ziel
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Insgesamt ist auch die Entschuldungsinitiative ein
roßer Fortschritt. 26 Länder haben bisher einen Schul-
enerlass erhalten. Das entspricht einem Umfang von
1 Milliarden US-Dollar. Unter Hinzurechnung traditio-
eller und zusätzlicher freiwilliger Erlassmaßnahmen
eträgt die Entlastung bisher circa 60 Milliarden US-
ollar. Das ist ein großer Schritt neben der Entwick-
ungsfinanzierung, die ich genannt habe.
Uns alle ich habe es zu Beginn angesprochen hat
n den letzten Monaten der Krieg im Irak umgetrieben,
in Krieg, den wir nicht gewollt haben und den wir wie
illionen von Menschen überall in der Welt bis zuletzt
u verhindern gesucht haben. Jetzt sagen manche, der
rieg sei doch ganz glimpflich verlaufen, und fragen,
arum wir den Krieg kritisiert hätten. Aber ist es
limpflich, wenn Zehntausende Zivilisten und Soldaten
hr Leben verlieren,
enn Tausende von Kindern körperlich und seelisch
chwer verletzt und für ihr Leben geschädigt werden, wo
och die Perspektive der nicht militärischen Entwaff-
ung bestand? Ich sage: Nein.
Der Krieg ist militärisch gewonnen. Saddam Hussein
t gestürzt und das ist gut. Aber der Frieden ist noch
ange nicht erreicht. Das zeigen uns die Bilder täglich.
etzt geht es darum, Frieden zu schaffen und dem iraki-
chen Volk tatsächlich die Freiheit von Diktatur und
remdherrschaft zu geben. Nur die Vereinten Nationen
aben dafür die Legitimität. Die Menschen im Irak müs-
en allein über die Ölvorkommen und die Erlöse aus den
lgeschäften verfügen und entscheiden dürfen. Dafür
üssen die Vereinten Nationen sorgen.
Das wird im Übrigen bei der Beratung der anstehen-
en UN-Resolution deutlich werden und wird dann ge-
einsam mit der Frage der Aufhebung der Sanktionen
u beschließen sein.
Ich möchte zum Schluss auf die Hilfe hinweisen, die
ir schon heute für die Menschen im Irak faktisch leis-
en. Die Bundesregierung hat sich im Irak mit
0 Millionen Euro direkt engagiert, um die unmittelbare
ot der Menschen zu lindern. Mit diesem Geld unter-
tützen wir UN-Hilfsorganisationen, das Internationale
ote Kreuz und auch private und kirchliche Hilfsorgani-
ationen. An dieser Stelle fordere ich noch einmal aus-
rücklich: Alle Hilfsorganisationen müssen ungehinder-
en Zugang zu den leidenden Menschen haben,
nabhängig von militärischer Kontrolle und militäri-
chem Einfluss.
Deutscher Bundestag 15. Wahlperiode 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2003 3489
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)
Bundesministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul
Mit unserer Finanzierung liefert das Welternäh-
rungsprogramm täglich 2 000 Tonnen Lebensmittel in
den Irak. Das Internationale Rote Kreuz baut allmählich
die Wasserversorgung im Irak mit auf und nimmt sich
der Versorgung in den Krankenhäusern an.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich muss Ihnen aber
mitteilen ich stehe sowohl mit dem zuständigen EU-
Kommissar als auch mit Cap Anamur, die sich nach wie
vor im Land aufhalten, in Kontakt , dass die Lage be-
sonders in den Slums von Bagdad nach wie vor drama-
tisch ist. Die Versorgung der Bevölkerung ist in keiner
Weise gesichert.
Deshalb war es wichtig, dass am 6. Mai der erste
Hilfsflug der Europäischen Union medizinische Hilfsgü-
ter im Wert von 10 Millionen Euro nach Bagdad ge-
bracht hat. Wir unterstützen die Europäische Union im
Umfang von 100 Millionen Euro für Nothilfe und Wie-
deraufbau. Deutschland ist damit zu rund einem Viertel
an der Finanzierung beteiligt.
Wir stehen in enger Verbindung mit dem Internationa-
len Roten Kreuz und anderen Organisationen wie dem
Hammer Forum, die besonders schwer verletzte Kinder
aus dem Irak zur Behandlung nach Deutschland holen
wollen. Nachdem bisher nur US-Flugzeuge im Irak lan-
den konnten, war die Möglichkeit, Kinder auszufliegen,
nicht gegeben. Jetzt besteht diese Möglichkeit und wir
werden sie zugunsten der verletzten Kinder nutzen. Wir
freuen uns, dass das Hammer Forum bereits Zusagen für
Betten in deutschen Krankenhäusern erhalten hat.
Die Weltbank selbst wird auch aufgrund unserer
Anregungen und mit unserer Unterstützung mit einer
eigenen Kommission im Land vertreten sein, um Emp-
fehlungen für den Wiederaufbau zu geben. Finanzielle
Darlehen kann sie aber erst dann vergeben, wenn eine le-
gitimierte Regierung oder ein entsprechender Beschluss
des UN-Sicherheitsrats sie dazu auffordert.
Der Wiederaufbau wird selbstverständlich unter der
Autorität der Vereinten Nationen so wichtige Bereiche
wie den Aufbau des Gesundheitswesens und des Bil-
dungswesens, den Aufbau des Landes und die notwendi-
gen Gesellschafts- und Wirtschaftsreformen umfassen
müssen. Wir sind darauf vorbereitet, in diesem Rahmen
weitere Hilfe zu leisten, und werden uns im Rahmen un-
serer Möglichkeiten engagieren.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich fühle mich in
unserer schwierigen, aber so notwendigen Arbeit immer
wieder durch vielfältige Unterstützung und auch entspre-
chende Anregungen und Anerkennung ermutigt. Die
Kirchen würdigen, dass wir Armutsbekämpfung als
überwölbendes Ziel für alle Bereiche der deutschen Ent-
wicklungszusammenarbeit berücksichtigen.
Die Anerkennung ist nicht nur national, sondern auch
international. Das Zentrum für globale Entwicklung in
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Diese Anerkennung und Auszeichnung bestärkt uns
arin, weiterhin entschlossen für eine progressive und
tarke Entwicklungspolitik einzutreten, die mit vielfälti-
en Partnerschaften und Allianzen mit allen gesell-
chaftlichen Gruppen arbeitet. Wir müssen es gemein-
am schaffen, die Ziele der Armutsbekämpfung zu
rreichen. Dazu müssen und werden wir die Mittel für
ie Entwicklungszusammenarbeit, wie versprochen, aus-
eiten und uns auch durch aktuelle Krisen nicht ablen-
en lassen.
Die Menschen in den Entwicklungsländern, aber auch
ie Generationen, die nach uns kommen, werden uns da-
ach bewerten, was wir getan haben, um globale Armut
u bekämpfen, Globalisierung gerecht zu gestalten, eine
erechte Weltordnung zu erreichen und den Frieden zu
ichern. Die deutsche Entwicklungszusammenarbeit ist
ich ihrer Verantwortung bewusst und sie nimmt ihre
erantwortung wahr.
Ich bedanke mich sehr herzlich.
Ich erteile dem Kollegen Dr. Christian Ruck, CDU/
SU-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Debatten
ber Entwicklungspolitik haben immer zwei Adressaten:
ie Menschen in den Zielländern, deren Entwicklung wir
efördern wollen, und unsere eigenen Bürger und Steuer-
ahler in Deutschland, deren Unterstützung wir brauchen
nd um die wir werben.
Die Botschaft an unsere eigenen Bürger lautet: Ent-
icklungspolitik macht Sinn; sie macht die Welt besser
nd sie sichert auch die Zukunft unseres Landes. Wir
üssen deutlich machen: Es war auch die Politik der
irtschaftlichen Zusammenarbeit und Entwicklung der
etzten Jahrzehnte, die dazu beigetragen hat, dass in der
at viele Länder eine zum Teil phänomenale wirtschaft-
iche und soziale Entwicklung durchlaufen haben, dass
ielerorts das Bevölkerungswachstum eingedämmt
urde, dass dafür Lebenserwartung und Alphabetisie-
ungsrate gestiegen sind und dass es in Schwellen-, Ent-
icklungs- und Transformationsländern noch nie so
iele Demokratien gegeben hat wie heute.
3490 Deutscher Bundestag 15. Wahlperiode 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2003
)
)
Dr. Christian Ruck
Wir müssen unseren Bürgern aber auch sagen, dass
wir unsere Anstrengungen verstärken müssen; denn trotz
aller Erfolge sind die Probleme gewachsen und wachsen
weiter. Die Einkommensschere zwischen Industrie- und
Entwicklungsländern klafft weiter auseinander, ebenso
wie die Chancenunterschiede in den Entwicklungslän-
dern immer krasser werden. Korruption, schwache
Strukturen, Misswirtschaft, Umweltzerstörung und ge-
walttätige Konflikte hemmen vielerorts eine weitere Ent-
wicklung und lassen für viele Länder die Globalisierung
eher zum Risiko als zur Chance werden. Gerade aber in
Zeiten der Globalisierung lassen sich soziale Konflikte,
aber auch Natur- und Gesundheitskatastrophen sowie
Wirtschaftskrisen in der früher so genannten Dritten
Welt weder von Europa das gilt auch für Deutschland
noch von den USA fern halten. Der 11. September 2001
ist dafür ein Menetekel.
Deswegen müssen wir unseren eigenen Bürgern ver-
deutlichen: Trotz hoher Arbeitslosigkeit in Deutschland
und eigener politischer Misswirtschaft Entwicklungs-
politik ist nicht nur eine moralische Verpflichtung, son-
dern auch Sicherung der eigenen Zukunft.
Sie ist kein politischer Luxus, sondern politische Haus-
aufgabe. Sie dient der Gefahrenabwehr, der Beseitigung
ökologischer und sozialer Zeitbomben sowie der Siche-
rung von Zukunftsmärkten für unsere Wirtschaft. Um
aber zu überzeugen und Widerstände zu überwinden, rei-
chen Horrorvisionen und Appelle nicht aus. Wir brau-
chen auch überzeugende Konzepte. Das bedeutet auch
in der Entwicklungspolitik klare Definition der Ziele und
Interessen, durchdachte Schwerpunktsetzung und Wahl
der Instrumente, effiziente Umsetzung sowie Bündelung
der Kräfte. Von einer solchen schlüssigen entwicklungs-
politischen Konzeption, die auch durchgesetzt wird, sind
Sie, Frau Ministerin, und ist Rot-Grün leider weit
entfernt.
Schon die Frage nach den Zielvorstellungen und Inte-
ressen ist schlichtweg ungenügend beantwortet. Sie,
Frau Ministerin, kümmern sich in der Tat um jede Kata-
strophe und um jeden Krisenherd. Das bringt Schlagzei-
len und internationale Anerkennung. Aber das birgt auch
die Gefahr in sich, dass das Ministerium in die Ecke ei-
nes internationalen Katastrophen- und Sozialhilfeminis-
teriums gerät. Dies ist eindeutig zu kurz gesprungen und
wird auf Dauer den eigenständigen Aufgabenbereich des
BMZ nicht rechtfertigen können.
Entwicklung zu befördern bedeutet weit mehr als das
Lindern der Folgen von Katastrophen und Hilfe für
Arme. Vorrangiges Ziel unseres Aufgabengebietes muss
doch in der Tat der Aufbau und die Durchsetzung tragfä-
higer Strukturen für Entwicklung und die Beseitigung
entwicklungshemmender Rahmenbedingungen sein.
Dies ist die einzig nachhaltige Form von Armutsbe-
kämpfung.
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Aber Sie, Frau Ministerin, verharren trotz Ihrer
reundlichen Eingangsformulierung nach wie vor in ei-
er antiamerikanischen Ideologie und reden allenfalls
on humanitärer Hilfe. Sie haben bisher auch keinen er-
ennbaren Einsatz dafür gezeigt, dass wenigstens das
N-Embargo gegen den Irak beendet wird. Das ist in
nseren Augen ebenfalls ein Skandal.
Aus unseren Interessen folgt das Ziel, strategische
ooperationen im wirtschaftlichen und wissenschaftli-
hen Bereich einzugehen, die uns auch bei der Lösung
nserer Probleme helfen. Ich denke dabei an die Zusam-
enarbeit mit indischen oder chinesischen Wissen-
chaftlern im Energiebereich und in der Luft- und Raum-
ahrt oder an die Sicherung wichtiger Zukunftsmärkte
ür unsere Wirtschaft. Entwicklungszusammenarbeit
ann, wenn sie richtig konzipiert ist, Türöffner und Ka-
alysator für die deutsche Wirtschaft sein. Dies liegt an-
esichts unserer eigenen Wirtschaftskrise auch im Inte-
esse der Deutschen. Aber die Verfolgung genau dieser
iele und die Wahrnehmung genau dieser Interessen
ind aus unserer Sicht während Ihrer Amtszeit verküm-
ert, Frau Ministerin. Sie haben sie aus den Augen ver-
oren oder sie sind Ihnen in Ihrem Hause entglitten.
uch das kostet Verbündete.
Anstatt dass Sie klare politische Leitlinien umsetzen,
roht der politische Alltag immer mehr zu einem Ge-
ischtwarenladen zu werden,
n dem kein Thema ausgelassen wird: heute Kleinkali-
erwaffen, morgen ziviler Friedensdienst, übermorgen
lutdiamanten. Sie springen auf jede internationale Ak-
ion auf; die Fülle der Themen ist inzwischen selbst für
nsider in Ihrem Hause nicht mehr zu überschauen. Des-
egen ist von einer durchdachten Wahl der Schwer-
unkte und Instrumente keine Rede mehr.
Auch Ihr Konzentrationskonzept ist eigentlich zu
inem Flop geworden. Der Rückzug aus der Zusammen-
rbeit mit wichtigen Schwellenländern ist strategisch
alsch und schwächt das Ministerium. Die Aktion hat
Deutscher Bundestag 15. Wahlperiode 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2003 3491
)
)
Dr. Christian Ruck
dazu geführt, dass gerade Schlüsselsektoren, wie der Be-
reich Bildung und Ausbildung, den Sie angesprochen
haben, de facto auf dem Rückzug sind. Letztlich waren
doch alle Bemühungen umsonst, da Ihnen eine wirkliche
Konzentration nicht gelungen ist, weder in Bezug auf die
Anzahl der Schwellenländer sie ist von 70 auf 100 ge-
stiegen noch in Bezug auf die Sache.
Ich nenne das Beispiel Indonesien: Sie sind vorsätz-
lich ausgerechnet aus dem Forstsektor ausgestiegen,
Frau Ministerin; angeblich weil Sie sich auf vier andere
Schwerpunkte konzentriert haben. Bei unserer Reise
fanden wir allerdings eine beachtliche Zahl von so ge-
nannten Neben- und Sonderschwerpunkten. Fazit: Ihre
Konzentrationsbemühungen enden damit, dass eine
wirkliche Konzentration nicht stattfindet, während
gleichzeitig Schlüsselthemen und Schlüsselländer aus-
sortiert wurden.
Dafür haben Sie nun auf Biegen und Brechen durch-
gesetzt, dass Fidel Castros Kuba neues Partnerland wird.
Das Land wird von einem Regime geführt, das erst vor
kurzem 78 Oppositionelle und Journalisten in Schnell-
prozessen zu jahrelangen Haftstrafen verurteilt hat. Eine
solche Schwerpunktsetzung erweist der Glaubwürdig-
keit unserer Entwicklungspolitik allerdings einen Bären-
dienst.
Sie haben in Ihrer Regierungserklärung das Thema
Armutsbekämpfung fokussiert. Armutsbekämpfung ist
natürlich auch für uns ein zentrales Thema. Die Frage ist
nur, mit welchen Instrumenten wir wirklich einen we-
sentlichen Schritt vorankommen. Ein solches Instrument
ist Empowerment, das in einigen Slums in Brasilien ein-
gesetzt werden könnte; andere Instrumente sind eine
Landreform und die Durchsetzung einer ordentlichen
Bezahlung für Lehrer in Entwicklungsländern, damit
wirklich jedes Kind eine Schule besuchen kann. Zwi-
schen diesen Instrumenten und Schwerpunkten muss
man eine Wahl treffen. Ihre Entschuldungsinitiative, die
wir im Grundsatz unterstützt haben, hat erhebliche
Schwächen und Mängel. Zum Beispiel hat Bolivien das
Geld, das speziell zur Armutsbekämpfung bereitgestellt
wurde, inzwischen im allgemeinen Haushalt verfrüh-
stückt.
Das Beispiel Uganda ist besonders grotesk. Auch die-
ses Land wurde entschuldet. Uganda ist jetzt der welt-
größte Goldexporteur durch die Ausbeutung des über-
fallenden Nachbarlandes Kongo. Das war nicht Sinn
unseres gemeinsamen Anliegens der HIPC-Initiative.
Ihre neueste Überschrift Umsetzung des Millenium-
gipfelziels, Halbierung der extremen Armut in den
nächsten 15 Jahren, ist ebenfalls heroisch. Auf der Früh-
jahrstagung der Weltbank hieß es dazu, dass die konkrete
Ausgestaltung eines entsprechenden Programms noch
nicht absehbar ist. Das gilt erst recht für die Bundesre-
gierung, die uns seit zwei Jahren einen Umsetzungsplan
für dieses Ziel verspricht. Wenn aber auch von den An-
kündigungen eines äußerst ehrgeizigen Ziels nur heiße
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Ich erteile das Wort Kollegen Gernot Erler, SPD-
Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In
der Regierungserklärung hat uns Bundesministerin
Heidemarie Wieczorek-Zeul eine klare Botschaft vermit-
telt. Sie lautet: Das wichtigste Ziel der internationalen
Politik Deutschlands und der Entwicklungszusammenar-
beit ist die Bekämpfung der globalen Armut. Dieses ist
nicht nur ein allgemeines generelles Ziel, sondern dahin-
ter steht der sehr konkrete Ehrgeiz, eine Halbierung der
Armut bis zum Jahre 2015 zu erreichen. Da bleiben,
Herr Kollege Ruck, nur noch zwölf Jahre. Dieses Ziel
überwölbt alle Politikbereiche; dahinter steht ein strate-
gisches Konzept, das viele Einzelpolitiken einschließt:
So müssen die Anstrengungen, im Bereich der Finan-
zierung von Entwicklungspolitik voranzukommen, ver-
doppelt werden. Im Zusammenhang damit steht die Ver-
ringerung von Ausgaben für andere Dinge wie für
militärische Interventionen und Aufrüstungsvorhaben.
An deren Stelle muss Prävention treten.
Zu diesen Einzelpolitiken gehört der Kampf für fai-
rere Austauschbeziehungen. Dieser Bereich ist vom Vo-
lumen her sogar größer als der der Entwicklungszusam-
menarbeit; denn hier geht es um den Abbau von
Exportsubventionen, ganz besonders im Agrarsektor, um
den Abbau von Schutzzöllen, eben um eine Umsetzung
der Marktöffnung, von der die Industrienationen bisher
immer nur reden, und um eine Verdopplung von fairem
Handel. All das sieht die Bundesregierung vor.
Ein wichtiger Bestandteil ist auch die Bekämpfung
von Seuchen wie Aids, Malaria und Tuberkulose, die
ganze Regionen entvölkern und damit eine erfolgreiche
Bekämpfung der Armut völlig unmöglich machen. Wir
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ch bin eigentlich froh, dass auch Sie, Herr Ruck, in ge-
isser Weise der Ministerin Anerkennung zollen. Sie ha-
en nämlich ganz vergessen, in Ihren eigenen Antrag hi-
einzuschauen, den Sie zu dieser Debatte vorgelegt
aben.
a finde ich den Satz:
Deutsche Entwicklungspolitik hat sich den Ruf er-
worben, selbstkritisch, seriös und frei von kurzsich-
tigem Eigeninteresse zu sein.
Deutscher Bundestag 15. Wahlperiode 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2003 3493
)
)
Gernot Erler
Das ist eine ganz gute Bewertung: Wenn ich das mit dem
vergleiche, was Sie früher zur Entwicklungspolitik ge-
sagt haben, grenzt das beinahe an positiven Enthusias-
mus. Dass Sie hier als Pflichtübung ein paar kritische
Anmerkungen emotionslos vorgetragen haben, gehört zu
einer parlamentarischen Debatte dazu. Aber ich denke,
es überwiegen die konsensfähigen Passagen auch in Ih-
rem Antrag. Das ist im Grunde genommen eine gute Ba-
sis für künftige gemeinsame Zusammenarbeit.
Meine Damen und Herren, Zukunft sichern Armut
bekämpfen, das ist ein anspruchsvolles Ziel, das ein
Land alleine nicht leisten kann. Das kann nur eine hand-
lungsfähige Weltgemeinschaft leisten. An dieser Stelle
müssen wir uns intensiv mit der Frage befassen, inwie-
weit eigentlich die Ereignisse der letzten Wochen, inwie-
weit der Irakkrieg zu einer solchen Handlungsfähigkeit
der Weltgemeinschaft beigetragen hat.
Ich will noch einmal festhalten: Jede militärische In-
tervention begrenzt die Möglichkeit anderen Handelns,
weil Entscheidungen über die Nutzung begrenzter Res-
sourcen getroffen werden. Wenn man die Kosten zusam-
menzählt die Kriegskosten selber, die Kosten für die
Wiederherstellung des durch Kriegsschäden beeinträch-
tigten Landes und die Kosten für die nachhaltigen Siche-
rungssysteme, die anschließend geschaffen werden müs-
sen , steht schon heute fest, dass der Irakkrieg ein
Mehrfaches von dem, was die Weltgemeinschaft im Jahr
für Entwicklungshilfe ausgibt, verbraucht hat und ver-
brauchen wird. Das ist eine Katastrophe. Ebenso wissen
wir, dass durch die langfristigen Sicherungssysteme auf
dem Balkan, in Afghanistan und nun künftig auch im
Irak auf Dauer enorme Ressourcen gebunden werden,
die wir eigentlich dringend für die Armutsbekämpfung
brauchen.
Deswegen ist es sehr bedeutsam, sich an dieser Stelle
darüber auseinander zu setzen, ob es eine Alternative zu
diesem Krieg gegeben hat, ob er vermeidbar war. Wir
beharren darauf, dass er vermeidbar war, und wir werden
uns mit Ihnen weiter darüber auseinander setzen.
Ich mache hier deutlich, Herr Kollege Schäuble: Wir
halten Ihre Feststellungen in dem Papier, das Sie am
28. April als Beschluss Ihrer Partei vorgestellt haben, für
nicht akzeptabel. Sie versuchen damit, die Verbindlich-
keit der Prinzipien der staatlichen Souveränität und der
territorialen Integrität sowie das völkerrechtliche Inter-
ventionsverbot herabzusetzen. Genau das Gegenteil ist
notwendig, wenn die weltweite Armut bekämpft werden
soll.
Wenn wir es nicht schaffen das ist zwar eine andere
Ebene, hat aber mit unserem heutigen Thema zu tun ,
von dem Prinzip nachträglicher Reparatur durch Stabili-
tätsregime, durch Stabilitätspakte, also von militärischen
Interventionen, wegzukommen und es nicht endlich hin-
bekommen, Stabilitätspakte, Stabilitätsregime vorher,
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Ich erteile Kollegen Markus Löning, FDP-Fraktion,
as Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe
olleginnen! Liebe Kollegen! Frau Ministerin, wenn Sie
ir die Vorbemerkung erlauben: Sie haben zu Beginn
hrer Rede ein gewisses Bekenntnis zur deutsch-ameri-
anischen Freundschaft abgegeben; aber im Laufe der
ede kam doch der eine oder andere antiamerikanische
eflex zum Vorschein.
ir hatten das Thema gestern im Ausschuss. Ich fordere
ie von dieser Stelle aus noch einmal ausdrücklich auf:
nterstützen Sie unsere amerikanischen Freunde bei
em Ziel, das Embargo gegen den Irak so schnell wie
öglich aufzuheben.
ieses Embargo war immer gegen Saddam Hussein und
ie gegen die Bevölkerung gerichtet.
enn wir einen erfolgreichen Aufbau im Irak wollen,
ann ist es wichtig, dass das Embargo möglichst schnell
erschwindet.
Wir reden heute über das Thema Armut. Sie haben
ie entsprechenden Zahlen schon genannt. Etwa ein
ünftel der Weltbevölkerung ist von Armut betroffen.
uf lange Sicht gesehen stellt das eine Verbesserung dar;
enn noch vor 50 Jahren war mehr als die Hälfte der
eltbevölkerung von absoluter Armut betroffen. Wir
ollten absolute Armut aber nicht nur unter materiellen
esichtspunkten sehen, sondern wir sollten auch klar-
tellen: Armut beschränkt und raubt Lebenschancen,
ührt zu Krankheit und zu weniger Bildungschancen; Ar-
ut verhindert ein Leben in Würde. Deswegen ist für
ns Liberale die Armutsbekämpfung ein zentraler Be-
tandteil der Entwicklungspolitik.
3494 Deutscher Bundestag 15. Wahlperiode 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2003
)
Markus Löning
Lassen Sie mich auf drei Aspekte kurz eingehen.
Sie haben das Thema Entschuldung angesprochen.
Ich sage wie der Kollege Ruck: Wir brauchen eine Ent-
schuldung der ärmsten Länder im Prinzip. Sie führen
in diesem Zusammenhang das Beispiel Tansania an. Wa-
rum führen Sie aber nicht das Beispiel Bolivien an? Ich
erwarte von der Bundesregierung, dass kritisch hinge-
schaut wird, wenn es nicht funktioniert hat, wenn der
Partner die versprochenen und erhaltenen Mittel nicht so
einsetzt, wie es vereinbart wurde. Bolivien setzt die Mit-
tel nicht zur Armutsbekämpfung ein. Ich erwarte von der
Bundesregierung, dass sie hier tätig wird und dass sie
gegenüber den bolivianischen Partnern klar macht: So
geht das nicht!
Lassen Sie mich auf einen weiteren Aspekt eingehen:
Korruptionsbekämpfung. Wenn wir Armut effektiv
bekämpfen wollen, brauchen wir Wohlstand. Die Men-
schen müssen in die Lage versetzt werden, ihren eigenen
Lebensunterhalt zu verdienen. Kleine und große Unter-
nehmen müssen sich entwickeln können. Das kann nur
geschehen, wenn wir eine funktionierende Marktwirt-
schaft haben. Für eine funktionierende Marktwirtschaft
brauchen wir effektive Gesetze und eine verlässliche
Verwaltung. Korruption steht dem entgegen. Korruption
ist ein Erzübel in der Entwicklungspolitik.
Korruption behindert Unternehmen beim Wachstum;
sie behindert gerade kleine Unternehmen, die den Schritt
vom informellen in den formellen Sektor tun wollen, die
kreditwürdig sein wollen, die Genehmigungen brauchen
und die Arbeitsplätze schaffen wollen. Korruption be-
hindert das aufs Schwerste und verhindert die Entste-
hung von Wohlstand. Die Korruptionsbekämpfung muss
daher ein ganz zentraler Teil jeder Entwicklungspolitik
sein.
Korruption behindert auch Direktinvestitionen. Aus-
ländische Direktinvestitionen werden dringend benötigt,
um in den Entwicklungsländern Arbeitsplätze zu schaf-
fen. Sie wird es aber nicht geben, solange dort korrupte
Verwaltungen existieren, die abkassieren, die die Ge-
winne abschöpfen, die behindern, wo sie nur können,
und die nur auf den eigenen Vorteil bedacht sind. Kor-
ruption muss mit allem Nachdruck bekämpft werden.
Lassen Sie mich auf einen weiteren Aspekt eingehen,
der von Ihrer Seite oft sehr kritisch beleuchtet wird. Ich
glaube, wir müssen in der Globalisierungsdiskussion
sehr viel stärker darauf dringen, dass die Chancen der
Globalisierung bei der Bekämpfung von Armut gesehen
werden. Wenn wir uns anschauen, welche Länder in den
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Ich erteile das Wort dem Kollegen Thilo Hoppe,
ündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Er-
auben Sie mir einen kurzen religiösen Einstieg: Als
hrist darf ich eigentlich nicht an die Reinkarnation
lauben. Dennoch hänge ich manchmal der Frage nach,
ie es wäre, wieder geboren zu werden das nächste
al aber auf der anderen Seite des Globus, auf der Ver-
iererseite, in den Elendsvierteln von Lima oder Kal-
utta. Eine solche Vorstellung könnte uns noch stärker
otivieren, die Überwindung von extremer Armut als
twas anzusehen, was uns selber betrifft. Aber auch ohne
ie Vorstellung der Reinkarnation gibt es sehr viele gute
ründe, den notwendigen Nord-Süd-Ausgleich als
eltinnenpolitik zu verstehen.
Die ungeheuren Herausforderungen sind von der Mi-
isterin ausführlich beschrieben worden. Sie gipfeln da-
in, dass trotz aller Bemühungen und Fortschritte die
ahl der Hungernden noch erschreckend hoch ist.
und 25 000 Menschen verlieren jeden Tag den Kampf
m das Überleben; sie sterben den Hungertod. Dies ist
in ungeheurer Skandal deshalb, weil dieses ich kann
s nicht anders ausdrücken Massensterben vermeidbar
st. Zahlen sind Zahlen. Doch dahinter stehen Menschen.
er den vom Hungertod gekennzeichneten Menschen
chon einmal hautnah begegnet ist, den wird die Frage
icht mehr loslassen: Warum? Warum gibt es dieses
ungerleid, obwohl auf der Welt genügend Nahrungs-
ittel für alle angebaut werden?
)
Deutscher Bundestag 15. Wahlperiode 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2003 3495
)
)
Thilo Hoppe
Ich möchte bei den Erklärungsmustern vor zwei Fal-
len warnen:
Falle Nummer eins ist der Versuch, die Ursachen für
das Hungerelend nur in den Ländern zu suchen, die da-
von betroffen sind: Naturkatastrophen, Bevölkerungsex-
plosion, schlechte Regierungsführung, primitive Anbau-
methoden, Korruption, Bürgerkrieg könnten beispielhaft
genannt werden.
Falle Nummer zwei ist der Versuch, die Menschen in
der so genannten Dritten Welt allesamt nur als unschul-
dige Opfer anzusehen und die Ursachen allein im Kolo-
nialismus und seinen Folgen, allein in den ungerechten
Strukturen der Weltwirtschaft auszumachen.
Nur beide Erklärungsversuche zusammen, in Kombi-
nation, führen weiter.
Hunger ist kein Schicksal; Hunger ist gemacht. Hun-
ger ist oft eine Folge verfehlter Regierungspolitik, einer
Bad Governance. Die Regierung von Simbabwe ist ein
besonders krasses Beispiel dafür.
Aber es gibt auch Regierungen im Süden das sind
viele, die meisten , denen es wirklich um die Menschen
geht. Warum sind so viele ernst gemeinte Bemühungen
von Regierungen gescheitert, die wirklich Good Gover-
nance praktizieren?
Wer bereit ist, genau hinzusehen, wird zu dem Ergeb-
nis kommen, dass auch Strukturanpassungsmaßnahmen
des Weltwährungsfonds das Elend im Süden vergrößert
haben. Devisenspekulation, der Verfall der Rohstoff-
preise besonders krass zurzeit auf dem Kaffeemarkt
und die Zerstörung vieler Märkte im Süden durch Agrar-
exportsubventionen der USA und Europas, all das sind
äußere Faktoren kaum beeinflussbar von den Entwick-
lungsländern , die Armut und Hungerelend verschärfen.
Beides, Missstände in einigen Entwicklungslän-
dern und ungerechte Strukturen der Weltwirtschaft,
ist dafür verantwortlich, dass mehr als 800 Millionen
Menschen hungern. Der Entschließungsantrag der CDU/
CSU, der heute vorgelegt worden ist, hat die Tendenz, in
die Falle Nummer eins zu tappen und den zweiten Be-
reich, den internationalen, zu vernachlässigen.
Es ist deshalb richtig und im wahrsten Sinne des
Wortes: Not wendend notwendig, dass die Entwick-
lungspolitik seit 1998 nicht nur als Entwicklungshilfe,
sondern auch als globale Strukturpolitik verstanden
wird. Die Richtung stimmt. Ob das Tempo stimmt, darü-
ber kann man auch innerhalb der Koalition geteilter
Meinung sein. Ich hoffe, dass es gelingt, auch den Fi-
nanzminister und die Haushälter davon zu überzeugen,
dass wir 2004 mehr Mittel für die Entwicklungszusam-
menarbeit brauchen.
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Eine neue Partnerschaft mit den Ländern des Südens
nd ein stärkeres Engagement für Gerechtigkeit sind In-
estitionen in die Zukunft und in die gemeinsame Si-
herheit. Langfristig gesehen ist es auch unter volkswirt-
chaftlichen Gesichtspunkten vernünftiger, auf einen
erechten Ausgleich zwischen Nord und Süd hinzuwir-
en als ein weiteres Auseinanderklaffen hinzunehmen.
Mehr Gerechtigkeit und Solidarität sind zwar nicht
um Nulltarif möglich, aber so, dass alle gewinnen kön-
en: Zukunftsperspektiven, Lebensqualität, Sicherheit
nd Würde.
3496 Deutscher Bundestag 15. Wahlperiode 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2003
)
)
Thilo Hoppe
Ich danke Ihnen.
Ich erteile das Wort dem Kollegen Arnold Vaatz,
CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich
glaube, wir brauchen den Gedanken an eine Reinkarna-
tion, den der Kollege Hoppe gerade erwähnt hat, nicht,
um uns bei dieser Angelegenheit in unserer Haut nicht
allzu wohl zu fühlen. Das beginnt bereits damit, dass wir
gelegentlich dazu neigen, das Thema Entwicklungszu-
sammenarbeit und Menschenrechte an die Peripherie un-
serer Plenartage zu setzen, also erst am späten Abend zu
verhandeln. Frau Bundesministerin, ich bin der Bundes-
regierung dankbar, dass wir es heute geschafft haben, zu
diesem Thema in der Kernzeit zu diskutieren.
Ich denke, alle heute hier Anwesenden finden es gut, und
ich bedauere, dass der Saal nicht etwas voller ist; denn
das Thema hätte es wirklich verdient.
Der Kollege Ruck hat es bereits richtig ausgeführt:
Der Gedanke an die Notwendigkeit von Entwicklungs-
hilfe muss natürlich zuallererst bei den Bürgern in der
Bundesrepublik Deutschland präsent gemacht werden.
Das ist nicht möglich, wenn der Eindruck entsteht, wir
würden uns nur halbherzig darum kümmern. Deshalb
werben wir für die Entwicklungspolitik und versuchen,
dafür die öffentliche Aufmerksamkeit zu gewinnen.
Demzufolge will ich anerkennen, Frau Ministerin, dass
es Ihnen vergleichsweise oft gelingt, die Entwicklungs-
zusammenarbeit und damit natürlich auch Ihre Person in
den Medien zu platzieren.
Mit Pressearbeit allein ist es aber nicht getan. Ent-
wicklungspolitik braucht Inhalte, sie braucht Strategien,
Ressourcen und die richtigen Instrumente. Ihre Mängel
hat Ihnen der Kollege Ruck bereits eindrucksvoll erklärt,
ich muss das nicht wiederholen. Ich will aber an die
Adresse des Kollegen Erler ergänzend sagen: Sie haben
unseren Antrag als Lob für Ihre Entwicklungshilfepolitik
aufgefasst. Sie hätten auch das Recht, dies so aufzu-
fassen, wenn Sie die Bundesrepublik Deutschland seit
50 Jahren regieren würden. Entwicklungspolitik muss
aber kontinuierlich betrieben werden. Es ist auch nicht
so, dass wir, wenn wir mit einer Reihe von Maßnahmen
der Bundesregierung nicht einverstanden sind, gleich
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Mittelfristig ist die Qualität, in der diese Aufgabe ge-
öst wird, nicht allein für die betroffenen Menschen ele-
entar, sondern sie auch elementar in Bezug auf unsere
ukunft hier in den gesamten hoch entwickelten Län-
ern; denn wenn wir die Not nicht lindern, schlägt das
uch auf uns zurück.
Deshalb kann Entwicklungszusammenarbeit nur
angfristig angelegt sein. Um das zu erreichen, muss man
afür sorgen, dass Hilfe wirklich helfen kann. Das setzt
ahmenbedingungen in den Adressatenländern voraus,
ie es ermöglichen, dass die zugedachte Hilfe an dem
unkt wirkt, für den sie gedacht ist.
Dass das Interesse der Bundesregierung eindeutig
uch darauf zielt, diese Rahmenbedingungen entwickeln
u helfen, daran habe ich meine Zweifel. Ich nenne dazu
in Beispiel: Wir haben vorhin darüber gesprochen, dass
ich das öffentliche Interesse in den letzten Monaten
ehr stark auf den Irak konzentriert hat. Wir in diesem
aal sind uns darüber einig, dass es im Irak diese Rah-
enbedingungen für eine sinnvolle Entwicklung eben
icht gab. Dort herrschte auch darüber sind wir uns ei-
ig ein grausamer Diktator.
Es gehört zu den großen Fehlleistungen unserer ame-
ikanischen Freunde das will ich durchaus einräumen ,
ass sie diesen Menschen anfangs zu unkritisch bewertet
nd unterstützt haben. Aber solche Fehlleistungen sind
ein amerikanisches Privileg. Ich nenne nur das Beispiel
ugabe, auf das ich später noch zu sprechen kommen
erde.
Ich komme zurück zu Saddam Hussein. Wir ahnen
eute, dass die genaue oder zumindest ungefähre Zahl
einer Opfer wenn überhaupt wohl erst in den nächs-
en Monaten oder Jahren korrekt eingeschätzt werden
ann. Er und seine Paladine haben dieses Land geplün-
ert, wie es sich ein Mitteleuropäer auch unter Aufbie-
ung all seiner Phantasie kaum vorstellen kann. Es wird
erichtet Sie haben das alle gelesen , dass er noch
urz vor seinem Sturz versucht hat, mit Traktoren Dol-
arnoten aus dem Irak zu bringen. Allein dass eine solche
achricht glaubhaft ist, sagt über diesen Menschen mehr
us als tausend Worte.
Dabei ist dieses Land eines der erdölreichsten Länder
er Welt, ein Land, das sich unter geeigneten Rahmenbe-
ingungen wie kein anderes Land selbst helfen könnte.
er Irak hat ein Vielfaches der Rohstoffe von Deutsch-
and.
Deutscher Bundestag 15. Wahlperiode 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2003 3497
)
)
Arnold Vaatz
Als der Irakkrieg begann, ist die deutsche Bundesre-
gierung in dem Glauben, gegen dieses Land werde ein
ungerechter Krieg geführt, so weit gegangen, die engsten
Beziehungen zu unserem wichtigsten transatlantischen
Partner nachhaltig zu beschädigen und ihm in den Arm
zu fallen.
Meine Damen und Herren von der Koalition, im Er-
stellen der Krisenszenarien haben Sie sich gegenseitig
überboten. Sie sollten dazu einmal den Beitrag von Hans
Magnus Enzensberger, der vor einiger Zeit im Feuilleton
der FAZ erschienen ist, lesen.
Dort wird ein Album der rot-grünen Untergangsorgiastik
ausgebreitet: So erwartete Herr Trittin etwa Hunderttau-
sende Opfer und Frau Beer hatte die Vision, der ganze
mittlere Osten würde in die Luft fliegen.
Aus all diesem geht hervor: Die Amerikaner waren
Ihnen ein viel größerer Stein des Anstoßes als dieser
Diktator, der Berichten zufolge
seine Fedajin zu Kannibalen abgerichtet hat. Das ist die
Realität in der Bundesrepublik Deutschland und das ist
beschämend.
Die tollsten Stilblüten, Frau Ministerin Wieczorek-
Zeul, haben Sie abgeliefert. Sie meinten, eine deutsche
Beteiligung beim Wiederaufbau müsse rundweg abge-
lehnt werden. Sie meinten, wer bombt, habe zu zahlen.
Deshalb halte ich es für besonders wichtig, dass Sie
heute allmählich Zeichen senden, dass die Bundesregie-
rung in dieser Frage umdenkt. Dass das schließlich ge-
schehen ist, schreibe ich auch dem beharrlichen Druck
unserer Unionsfraktion zu.
Was ich aber für dreist halte, das ist die hier immer
wieder unkritisch vorgetragene Meinung, es habe eine
Chance auf eine friedliche Entwaffnung bestanden.
Das ist eine ungeheuerliche Ignoranz gegenüber der tat-
sächlichen Lage in diesem Land. Denn was steckt hinter
dieser Haltung? Sie sagen damit, dass Sie bereit gewe-
sen wären, die Aufgabe, diesen Diktator zu beseitigen,
dem unterdrückten, geknechteten, geknebelten und be-
drohten irakischen Volk zuzumuten und zuzusehen, wie
es bei dem Versuch zugrunde geht. Das ist zynisch und
unwürdig. Diesen Standpunkt können wir nicht teilen.
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Jetzt ist der Diktator weg. Jedes Kind versteht, dass
ich die wirtschaftliche Zusammenarbeit nicht auf die
latte Formel reduzieren lässt: Wer bombt soll zahlen. Es
eht im Irak um die Wiederherstellung von Stabilität,
enschenrechten, Minderheitenrechten und Frauenrech-
en. Dabei hilft diese Ideologie nicht; vielmehr sind Rea-
ismus und Pragmatismus gefragt. Deshalb fordere ich
ie Bundesregierung auf, zusammen mit unseren euro-
äischen Partnerstaaten umgehend ein gemeinsames
nd überzeugendes Konzept für den Neubeginn im Irak
u erarbeiten.
Wenn Sie ein Konzept haben, dann fordere ich Sie
uf, sich dafür einzusetzen, dass es im Gegensatz zu
er Situation der letzten Monate, als es verschiedene
orstellungen gab von den EU-Staaten einmütig ver-
reten wird und dass versucht wird, es in Kooperation
it und nicht gegen die Vereinigten Staaten von Ame-
ika umzusetzen. Es ist nämlich ganz offensichtlich ein
usdruck von Hilflosigkeit, wenn Sie Ihre Kräfte für
mmer neue Achsenkonstruktionen und Sondergruppie-
ungen in der Europäischen Union verwenden. Wir hät-
en von Ihnen zum Beispiel gerne gehört, wie Sie in-
altlich zu den polnischen Vorschlägen über eine
eteiligung der Bundeswehr bei der Stabilisierung der
achkriegsordnung im Irak stehen. Das wäre, auch für
ie Öffentlichkeit, wichtig gewesen. Bisher haben Sie
azu aber nur Proben von gekränkter Eitelkeit abgege-
en, mehr nicht.
Erst wenn diese Fragen geklärt sind, können im Irak
rstmalig die politischen Rahmenbedingungen für eine
angfristige wirtschaftliche Entwicklung hergestellt wer-
en. Um die Herstellung der Rahmenbedingungen muss
s bei einer entwicklungspolitischen Debatte gehen. Hel-
en Sie dabei und beginnen Sie sofort mit den Vorpla-
ungen.
Ich finde es beunruhigend, dass die Bundesregierung
ie Aufmerksamkeit, die sie dem Irakkonflikt intensiv
das war aber politisch destruktiv hat zukommen las-
en, in dieser Zeit anderen Krisenherden in der Welt, vor
llen Dingen den Entwicklungsländern, verweigert hat.
n nenne als Beispiel Afrika. Die CDU/CSU-Fraktion
at heute einen Antrag die Demokratische Republik
ongo betreffend eingebracht; Kollege Hartwig Fischer
ird sich gleich damit befassen. Demzufolge kann ich
u einem anderen regionalen Konflikt sprechen, und
war zu dem in Simbabwe.
3498 Deutscher Bundestag 15. Wahlperiode 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2003
)
)
Arnold Vaatz
Welche Hoffnungen hatte die Welt vor 30 Jahren in
Robert Mugabe gesetzt! In der Zwischenzeit hat er sich
zu einem erbarmungslosen und korrupten Diktator ent-
wickelt, der dieses Land mit seinen als Landreform titu-
lierten Massenenteignungen weißer Farmer in ein wirt-
schaftliches und humanitäres Desaster gestürzt hat.
Inzwischen ist der größte Teil der 4 500 kommerziellen
Farmen unter Begleiterscheinungen wie Folter, Vanda-
lismus und Mord zwangsgeräumt worden. Nicht nur die
weißen Farmer sind die Leidtragenden; insgesamt
900 000 Menschen, vor allem schwarze Farmarbeiter,
befinden sich auf der Flucht, es liegen riesige Ackerflä-
chen brach, Ernten wurden gezielt vernichtet. Für
9 Millionen Menschen bahnt sich eine Katastrophe an.
Man hat den Eindruck, diese Katastrophe sei gewollt,
das dortige Regime wünsche sie sich zum Machterhalt.
Seit Beginn der Terrorkampagne hat die CDU/CSU-
Fraktion viele Appelle für ein konsequentes Einschreiten
an die Bundesregierung und an die internationale Staa-
tengemeinschaft gerichtet. Sie sind entweder gar nicht
oder viel zu spät und zu halbherzig beachtet worden.
Deshalb ist es zu begrüßen, dass unsere Fraktion mit ih-
rer letzten Simbabwe-Initiative nun offenbar doch end-
lich einen Stein ins Rollen gebracht hat. Wir begrüßen
es, dass die südafrikanische Regierung, von deren Good-
will Mugabes Regime ein Stück weit abhängt, inzwi-
schen sogar zu einer grundsätzlichen Überprüfung ihrer
Position bereit ist.
Solange die Bundesregierung und die anderen demo-
kratischen Regierungen der Welt ihren Blick nur halb-
herzig auf diese Region richten, so lange besteht die Ge-
fahr, dass aus dem Ungeist der Mugabe-Diktatur eine
Kettenreaktion entsteht, die eines Tages die gesamte Re-
gion erfassen könnte. Wenn Sie die Äußerungen von
Sam Nujoma in Namibia ernst nehmen, dann wissen Sie,
dass auch dort nichts Gutes zu erwarten ist. Eine ähnli-
che Situation steht also auch dort bevor.
Deutschland ist der größte Entwicklungshilfegeber
Namibias. Deshalb möchte ich Sie auffordern, Frau
Bundesministerin Wieczorek-Zeul: Wenden Sie sich an
dieses Land und senden Sie die unmissverständliche
Warnung, dass die Dinge, die sich in Simbabwe zugetra-
gen haben, in Namibia auf keinen Fall von der deutschen
Entwicklungshilfe geduldet werden.
Meine Damen und Herren, ich könnte noch sehr viel
sagen, aber meine Redezeit geht leider zu Ende. Auf ein
Land im südlichen Afrika möchte ich aber noch ganz
kurz zu sprechen kommen, die Republik Südafrika.
Die Republik Südafrika verliert im Augenblick pro Mo-
nat mehr Spezialisten als Russland. Dort ist momentan
ein unglaublich starker Wegzug von weißen Spezialisten
und Experten, die einen großen Teil der Wirtschaftsin-
frastruktur bilden, zu verzeichnen. Wenn dieser Prozess
so weitergeht, dann wird die Republik Südafrika nicht
mehr die Lokomotive einer afrikanischen Hoffnung sein.
Demzufolge bitte ich Sie: Lösen Sie sich von Ihrer al-
ten Antiapartheidromantik und nehmen Sie zur Kennt-
nis, dass sich einige Symbolfiguren des Antiapartheid-
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Ich möchte betonen, dass es für uns alle erleichternd
ar, in der vergangenen Woche die Worte des amerika-
ischen Präsidenten zu hören, wonach der Krieg im Irak
eitgehend beendet sei. Wir leben in einer umkämpften
elt, in der es um den Zugang zu Ressourcen geht. Es
eht um den Zugang zu Wasser, Energie, Öl und bei-
pielsweise in Angola auch um den Zugang zu und die
errschaft über Tropenhölzer und Diamanten.
Wir werden auch heute nicht müde, zu bekräftigen,
ass die globalen Probleme nicht durch Kriege, sondern
ur durch nichtmilitärische Sicherheit zu lösen sind.
ie Roadmap oder besser gesagt: der vorgelegte Frie-
ensplan für Israel und die palästinensischen Gebiete
Deutscher Bundestag 15. Wahlperiode 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2003 3499
)
)
Karin Kortmann
könnte ein Beispiel für diese neue Sicherheitspartner-
schaft werden und zur Befriedung einer ganzen Region
beitragen. Dieser Zusammenschluss wird von den Ver-
einten Nationen, der EU, Russland und den Vereinigten
Staaten gefördert. Er verdient unsere Unterstützung.
Die Bundesregierung, Herr Vaatz, liebe Kolleginnen
und Kollegen der Opposition, hat überhaupt keinen
Grund, sich angesichts ihrer humanitären Hilfeleistungen
für den Irak zu verstecken oder das Büßergewand überzu-
streifen. Ich will Ihnen Folgendes deutlich machen: Wir
haben 6 Millionen Euro für das Welternährungspro-
gramm, 3 Millionen Euro für den UNHCR, 4 Millionen
Euro für das IKRK, 500 000 Euro für UNICEF und
200 000 Euro für die Caritas zur Verfügung gestellt. Zur-
zeit wird geprüft, inwieweit für CARE weitere Mittel be-
reitgestellt werden können, damit die Trinkwasserversor-
gung gewährleistet werden kann.
Während des Krieges besaßen Sie die Unverfroren-
heit, bereits einen Stabilitätspakt für den Irak vorzule-
gen, aber Sie haben nicht ausgeführt, wie der humanitä-
ren Katastrophe begegnet werden kann. Ihnen ging es
schon sehr früh um eine Nachkriegsordnung, nicht um
die Frage, wie der leidenden Bevölkerung in der aktuel-
len Situation geholfen werden kann.
Ich bin froh darüber, dass unsere Ministerin in der
Lage ist, auf aktuelle Notlagen schnell zu reagieren und
Instrumente zur Krisenprävention und -bewältigung
zur Verfügung zu stellen. Wo wären wir denn heute,
wenn wir damals beim Hurrikan Mitch nicht schnell
hätten Hilfe leisten können? Welche Hilfeleistungen hät-
ten die Menschen in Mosambik zu erwarten gehabt?
Ähnliches gilt für die Erdbebenkatastrophen. In der Poli-
tik des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusam-
menarbeit und Entwicklung ist der rote Faden erkennbar.
Heidemarie Wieczorek-Zeul hat allen Grund, auf diese
Arbeit stolz zu sein, die viel Respekt und Unterstützung
verdient.
Die Bundesregierung bietet das habe ich bereits er-
wähnt unterschiedliche, sich ergänzende Instrumenta-
rien an, um die Ursachen von Krieg und Vertreibung ein-
zudämmen. Damit auch für Sie klar ist, worum es geht:
Es geht um die wirtschaftliche Dynamik und die aktive
Teilhabe der Armen und darum, diese zu erhöhen. Es
geht um das Recht auf eine eigenständige Nahrungssi-
cherung und um faire Handelschancen für die Entwick-
lungsländer. Es geht darum, Verschuldung abzubauen
und Entwicklung zu finanzieren. Es geht darum, soziale
Grunddienste zu gewährleisten und den Zugang zu le-
bensnotwendigen Ressourcen zu sichern und vor allem
eine intakte Umwelt zu fördern. Es geht darum, Men-
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nsofern hat der Satz von Willy Brandt das zeigt den
oten Faden innerhalb der SPD heute mehr denn je
eine Berechtigung: Wo Hunger herrscht, kann Friede
icht Bestand haben.
Kollegen und Kolleginnen der Opposition, Sie haben
inen Antrag vorgelegt, der in seiner Analyse sehr wohl
achvollzieht, dass wir uns in der entwicklungspoliti-
chen Zusammenarbeit in einer Umbruchphase befin-
en. Von den Beziehungen zwischen Geber- und Emp-
ängerländern, von der Art und Weise, wie Hilfe
eleistet wird, und von den Rahmenbedingungen für die
ntschuldung der ärmsten Länder ist darin die Rede.
iele der alten, sich heute nicht mehr bewährenden For-
en der entwicklungspolitischen Hilfe werden schritt-
eise durch neue, vor allem auch wirkungsvollere er-
etzt. Was ich aber bei Ihnen vermisst habe, ist, dass dies
um großen Teil durch die erneut bekräftigte Verpflich-
ung der internationalen Staatengemeinschaft zur Be-
ämpfung der weltweiten Armut begründet ist.
Drei wichtige Etappen haben in den letzten zweiein-
alb Jahren zu diesem Erfolg geführt: Es sind das die
illenniumserklärung der Vereinten Nationen im
ahre 2000, der Monterrey-Konsens, bei dem es um die
rage der Entwicklungsfinanzierung ging, und die UN-
onferenz in Johannesburg und die dortige Verständi-
ung auf einen breitenwirksamen Aktionsplan. Von Ih-
en kam dazu kein einziges Wort, weil Sie diese Ereig-
isse anscheinend nicht realisiert haben. Die Halbierung
er Armut bis zum Jahr 2015 ist deswegen für diese
undesregierung zur größten Herausforderung, zum
berwölbenden Ziel der internationalen Staatengemein-
chaft erklärt worden.
Die Millennium Development Goals sind Teil eines
n den letzten Jahren entstandenen internationalen ent-
icklungspolitischen Weltkonsenses. Sie sind Ausdruck
ür diese neue globale Partnerschaft zwischen Nord und
üd. Damit wird ein neuer Ansatz verfolgt, der von der
isherigen Projektförderung weggeht und stärker in Pro-
rammen, in Sektoren und in Regionalkonzepten denkt.
3500 Deutscher Bundestag 15. Wahlperiode 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2003
)
)
Karin Kortmann
Ich glaube, gestern im Ausschuss haben wir alle verstan-
den, dass der Stabilitätspakt für Südosteuropa ein leben-
diges Beispiel für diesen Ansatz ist. Er leistet länder-
übergreifend schnelle, unbürokratische und effektive
Hilfe für eine ganze Region und fördert dadurch den Di-
alog und das Miteinander sich ehemals bekämpfender
Gruppen. Ich bitte die Bundesregierung dringendst, sich
dafür einzusetzen, dass dieser Stabilitätspakt fortgesetzt
werden kann, weil Frieden und Entwicklung sowie hohe
Zuwachsraten im Außenhandel Deutschlands mit den
Staaten des Stabilitätspaktes nach Darstellung des Deut-
schen Industrie- und Handelskammertages und der KfW
gerade das Ergebnis dieser neuen Entwicklungskoopera-
tion sind.
Die Zeiten, Kolleginnen und Kollegen der Opposi-
tion, in denen Nationalstaaten glaubten, Entwicklungs-
probleme allein lösen zu können, wie es beispielsweise
jahrelang durch den bilateralen Schuldenerlass versucht
wurde, sind passé. Internationale Problemstellungen er-
fordern auch internationale Lösungen und die Suche
nach einer globalen Ordnungspolitik, die sich an den
Zielen einer zukunftsfähigen, menschenwürdigen und
ökologisch nachhaltigen kohärenten Politik ausrichten.
Ich hätte mir gewünscht, dass Sie diese Fragestellungen
auch aufgreifen.
Daher unterstütze ich die Politik der Bundesregie-
rung nicht weil ich eine gute Sozialdemokratin bin,
sondern weil ich finde, dass die Bundesministerin ei-
nen richtigen Ansatz verfolgt, wenn sie für eine Stär-
kung der Vereinten Nationen eintritt, wenn sie sich für
eine beteiligungsfreundlichere Ausrichtung von IWF
und Weltbank einsetzt, auch wenn die Bundesregierung
mit den Ergebnissen der Frühjahrstagung nicht ganz
einverstanden ist; sie will, dass die zivilgesellschaftli-
chen Organisationen in den Politikdialog einbezogen
werden und ihr Konsultativstatus in den internationalen
Gremien Unterstützung findet.
Ich merke jetzt, dass meine Redezeit leider abläuft,
und wiederhole zum Schluss: Hören Sie auf mit der
Drehtürpolitik! Sie reden hier im Parlament darüber, die
Entwicklungspolitik mit Kuba einzustellen. Gleichzeitig
wird aber beim Präsidenten der Reisekostenantrag einge-
reicht, um an der UN-Konferenz gegen Wüstenbildung
in Havanna teilzunehmen. Es ist schön, wenn viele von
Ihnen nach Kuba reisen. Wir wollen doch einen Wandel
durch Annäherung. Was wäre in seinem Interesse besser,
als diese vor zwei Jahren hier begonnene Politik zu sta-
bilisieren? Sie können nicht auf der einen Seite für einen
rechtsstaatlichen Dialog mit China sein und auf der an-
deren Seite, weil es Ihnen nicht passt, die Entwicklungs-
zusammenarbeit mit Kuba auflösen. Das passt nicht zu-
sammen.
Ihr Antrag ist ein Sammelsurium, ein Bauchladen von
Ansätzen, in dem der rote Faden, Herr Ruck, den Sie so
nachdrücklich gefordert haben, nicht erkennbar ist.
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Ich erteile das Wort der Parlamentarischen Staatsse-
retärin Uschi Eid.
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Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kolle-
en! In der Entwicklungspolitik ist echte Partnerschaft
er Grundsatz unserer Zusammenarbeit; die Bundesmi-
isterin hat dies sehr deutlich dargelegt. Die afrikani-
chen Reformpolitiker haben sogar ihrer neuen Entwick-
ungsstrategie diesen Namen gegeben und sprechen von
er neuen Partnerschaft für Afrikas Entwicklung.
Woran aber zeigt sich, ob wir die Menschen in der
ritten Welt auf gleicher Augenhöhe als echte Partner
nd gleichberechtigte Gegenüber akzeptieren? Es zeigt
ich darin, dass alle Seiten, also auch wir, ihre eigenen
nteressen klar und offen formulieren. Eine solche Of-
enheit nützt allen, nicht nur wegen eines ehrlichen Um-
angs miteinander; vielmehr ist sie auch notwendig, da-
it sich die Entwicklungsländer auf die Anforderungen
er Globalisierungsprozesse einstellen können. Nur
enn entsprechende Anpassungsleistungen und Refor-
en erbracht werden, dann können sich diese Länder
tärker in die internationale Wirtschaftsdynamik inte-
rieren. Weil sie das selber wollen, um die Lebensbedin-
ungen in ihren Ländern zu verbessern, unterstützen wir
ie darin. Ich glaube, die Ministerin hat sehr deutlich die
chritte aufgezeigt, wie wir sie unterstützen.
In meiner Aufgabe als Afrika-Beauftragte des Bun-
eskanzlers erlebe ich, wie viele afrikanische Politiker
estrebt sind, nachhaltige Armutsbekämpfung durch
irtschaftliche Entwicklung zu ermöglichen. Sie wissen,
ass die Vorbedingung für Wirtschaftswachstum ein der
kologischen und sozialen Marktwirtschaft förderliches
mfeld ist. Herr Löning, das müssen wir ihnen nicht sa-
en; das wissen sie selber.
Dieses förderliche Umfeld ist notwendig, damit Un-
ernehmen wieder mehr wirtschaftliches Interesse an
frika haben. Entsprechend versuchen Regierungen wie
um Beispiel in Ghana, in Mosambik, in Südafrika oder
n Kenia, Afrika wieder zu einem attraktiveren Standort
ür wirtschaftliche Investitionen zu machen. Dabei geht
s aber in erster Linie nicht um Investitionen aus dem
usland, sondern um inländische Investitionen. Es
uss deshalb alles getan werden, um die Kapitalflucht
us Afrika zu beenden.
Dazu sind zwei Punkte wichtig. Zum einen müssen
ie Rahmenbedingungen wirtschaftsfreundlicher gestal-
et werden: Rechtsstaatlichkeit, Vertragssicherheit, gere-
elte Eigentumsrechte, ein funktionierendes Bankensys-
em und selbstverständlich Kampf gegen Korruption.
as ist gar keine Frage; da sind wir uns alle hier im
Deutscher Bundestag 15. Wahlperiode 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2003 3501
)
)
Parl. Staatssekretärin Dr. Uschi Eid
Hause einig. Unternehmen aus Europa und Afrika brau-
chen beide verlässliche und transparente Rahmenbedin-
gungen, um langfristige Investitionen tätigen zu können.
Wir sind bereit, in unserer Entwicklungskooperation ei-
nen wesentlichen Beitrag zur Formulierung der notwen-
digen Reformen für wirtschaftliche Entwicklung zu leis-
ten. Auch bieten wir Beratung für kleine und
mittelständische Unternehmen an, damit diese auf den
Exportmärkten wie zum Beispiel der Europäischen
Union konkurrenzfähig werden.
Es war notwendig, dass wir uns auf Initiative der
Bundesministerin das Ziel gesetzt haben, dass die ärms-
ten Länder bei uns alles außer Waffen verkaufen können.
Aber eine reine Marktöffnung nützt nichts, wenn die
Länder noch nicht konkurrenzfähig sind. Damit sie das
werden, unterstützen wir sie in unserer Entwick-
lungskooperation.
Zum Zweiten spielt die regionale Integration eine
überragende Rolle. Meist ist die Kaufkraft in einzelnen
Ländern viel zu klein, als dass sich umfangreiche Inves-
titionen lohnen würden. Daher fördern wir zum Beispiel
die regionale Integration im südlichen Afrika, in der
SADC-Region, oder in Ostafrika, in der Ostafrikani-
schen Union. Der Ausbau des innerafrikanischen Han-
dels ist der erste Schritt, um auch international wettbe-
werbsfähig zu werden. Entsprechend ist die Förderung
der regionalen Integration ein Schwerpunkt unserer Zu-
sammenarbeit mit Afrika.
Für Afrika ist die WTO-Konferenz in Cancun von
größter Bedeutung. Die laufende WTO-Runde muss eine
Entwicklungsrunde sein; das haben alle Länder einver-
nehmlich beschlossen. Aber wir wissen, dass wir diesen
Anspruch bisher noch nicht erfüllen konnten. Wir brau-
chen einen Durchbruch in den Agrarverhandlungen;
sonst wird man die WTO-Runden nicht als Erfolg wer-
ten können. Afrika braucht mehr Zugang zu unseren
Agrarmärkten. Europa darf seine Überschüsse nicht zu
Dumping-Preisen auf die afrikanischen Märkte drücken.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir wissen aber
auch, dass die traditionelle Handelspolitik in einer Welt
global vernetzter Produktionsstrukturen durch neue Ko-
operationsformen ergänzt werden muss. Deshalb fördern
wir so genannte strategische Partnerschaften und ar-
beiten mit Unternehmen, Gewerkschaften und Nichtre-
gierungsorganisationen zusammen.
Lassen Sie mich das für den Bereich Bekleidung il-
lustrieren. Hier sind mehrere große Handelsketten auf
uns zugekommen, um bei ihren Zulieferern weltweit die
Einhaltung sozialer und ökologischer Mindeststandards
durchzusetzen. Wir beteiligen uns daran, indem wir den
Unternehmen in den Entwicklungsländern helfen, sich
auf die Anforderungen von deutschen Verbrauchern und
Unternehmen einzustellen. Dadurch sichern wir nicht
nur langfristig die Handelsbeziehungen. Wenn wir mit
dem Projekt erfolgreich sind, haben wir über einer Mil-
lion Beschäftigten in Entwicklungsländern geholfen, un-
ter besseren Bedingungen zu arbeiten. Auch dem deut-
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Ich erteile das Wort Kollegen Ulrich Heinrich, FDP-
raktion.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle-
en! Nachhaltige Entwicklung und nachhaltige Armuts-
ekämpfung sind das Ziel unserer Entwicklungspolitik.
ir bekennen uns ausdrücklich zum Millenniumsziel
er Halbierung der Armut. Bezüglich der Frage, wie
reffsicher wir allerdings bei dieser Arbeit sind und wie
iele Erfolge wir aufzuweisen haben, möchte ich eine
urze nüchterne Bilanz ziehen.
Wenn wir mit den Institutionen über die Evaluierung
hrer Projekte reden, bekommen wir fast überall die Ant-
ort, etwa 75 Prozent der Projekte seien erfolgreich.
as zieht sich so ungefähr durch alle Bereiche. Ist das
un gut oder schlecht? Sind die Angaben auch bei einer
achhaltigen Betrachtungsweise noch haltbar? Ich für
einen Teil habe erhebliche Zweifel. Es gibt auch nicht
enige sachkundige Beobachter der Entwicklungszu-
ammenarbeit, die zu anderen Ergebnissen kommen,
ämlich dass nach vielen Jahrzehnten gut gemeinter,
äufig auch sehr teurer Entwicklungspolitik die Bilanz
her mager aussieht. Das ist nicht nur auf bundesrepubli-
anischer Ebene, sondern weltweit festzustellen.
Lassen Sie uns deshalb gemeinsam darangehen, effi-
ienter zu werden, um mit dem vorhandenen Geld mehr
u erreichen und nicht dauernd nach mehr Geld zu rufen.
enn auf absehbare Zeit wird nicht mehr in der Kasse
ein. Da können wir uns einig sein. Knappe Kassen müs-
3502 Deutscher Bundestag 15. Wahlperiode 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2003
)
)
Ulrich Heinrich
sen Kreativität und Innovationen auslösen. Was müssen
wir verändern, um zu besseren Ergebnissen zu kommen?
Die Vorgehensweise in den einzelnen Ländern muss
nach meiner Meinung strategischer geplant werden. Vor-
bild könnte hier der Stabilitätspakt für Südosteuropa
sein. Hier wurde wirklich strategisch geplant, hier hat
man runde Tische gebildet und war in kurzer Zeit erfolg-
reicher als angenommen.
Wir brauchen eine bessere Kooperation der Geber-
länder untereinander, um durch Verfahrensvereinfa-
chungen Duplizitäten auszuschließen. Die Geberländer
dürfen sich von den Empfängerländern nicht gegenseitig
ausspielen lassen. Wenn ein Wettlauf der Geberländer
vor Ort stattfindet, dann ist das unproduktiv, sinnlos und
eine Verschwendung von Ressourcen.
Wenn Sie sehen, dass in einem durchschnittlichen
afrikanischen Staat gleichzeitig etwa 600 Entwicklungs-
projekte laufen und darüber 2 400 Quartalsberichte ge-
schrieben werden müssen, dann werden Sie verstehen,
was ich meine, wenn ich sage: Teure, ineffiziente Büro-
kratie muss dringend abgebaut werden. Wenn wir uns
hier einig sind und uns gegenseitig loben, dann verän-
dern wir nichts an der Produktivität und der Effektivität
unserer eingesetzten Mittel.
In die bilaterale Entwicklungszusammenarbeit muss
stärker die Zivilgesellschaft einbezogen werden. Unser
Schwerpunkt liegt immer noch in der Zusammenarbeit
mit den Regierungen, die häufig korrupt sind. In diesen
Fällen ist das Ergebnis der Zusammenarbeit negativ. Wir
müssen die Zivilgesellschaften stärker mit einbinden,
damit sie sich selber emanzipieren können. Die Emanzi-
pation der Bürger ist notwendig, damit sie lernen, poli-
tisch mitzubestimmen.
Die bilaterale Entwicklungszusammenarbeit muss
stärker vom Verhalten der Regierungen der Empfänger-
länder abhängig gemacht werden. Ich nenne in diesem
Zusammenhang das Stichwort Good Governance.
Erfolgreiche Entwicklungspolitik ist nicht vorstellbar,
wenn im Partnerland Korruption und Rechtschaos vor-
herrschen und keine einigermaßen zuverlässigen Struk-
turen vorhanden sind.
Rechtschaos und ein überbetriebener Bürokratismus
stellen in Entwicklungsländern häufig ein Hemmnis für
wirtschaftliche Aktivitäten dar. Wo überbetriebener Bü-
rokratismus herrscht, kann eine nachhaltige Entwicklung
nicht gedeihen, und zwar unabhängig von dem von uns
geleisteten Input.
Die Empfängerländer müssen ihrerseits die Bereit-
schaft erkennen lassen, Eigentum zu respektieren, und
sie müssen die gesetzlichen Voraussetzungen für das
vorhandene inoffizielle Vermögen alles, was sie besit-
zen und mit dem sie tagtäglich überleben schaffen,
damit mit diesem Vermögen aktiv Kapital geschöpft
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Zu einer Kurzintervention erteile ich der Abgeordne-
en Heidemarie Wieczorek-Zeul das Wort.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle-
en! Weil es in der Diskussion angesprochen wurde
auch der Kollege Heinrich ist darauf eingegangen ,
öchte ich auf von uns in Gang gesetzte Änderungen
inweisen, die auch entsprechende Auswirkungen mit
ich gebracht haben, zum Beispiel in den Bemühungen
m mehr Effizienz. Es ist zwar richtig, dass zusätzliche
inanzmittel notwendig sind, aber diese vorhandenen
ittel müssen auch effizient genutzt werden.
Eine der von uns erreichten Effizienzsteigerungen hat
ich daraus ergeben, dass wir frühzeitig die völlig unter-
chiedlichen Praktiken bei der Berichterstattung für die
ntwicklungsländer wie auch bei anderen Themen De-
Deutscher Bundestag 15. Wahlperiode 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2003 3503
)
)
Heidemarie Wieczorek-Zeul
legationen, unterschiedliche Verfahrensweisen kriti-
siert haben, für die übrigens die deutsche Entwicklungs-
zusammenarbeit zu Zeiten der früheren Bundesregierung
mitverantwortlich war. Wir haben dafür gesorgt, dass es
einen internationalen Plan gibt, der gemeinschaftliche
Kriterien für das Verhalten der Geberländer festlegt, so-
dass sich die Entwicklungsländer mit ihrer Entwicklung
und mit wirtschaftlichen Chancen befassen können und
sich nicht mit Entwicklungsbürokratie auseinander set-
zen müssen. Mein Ministerium hat ebenfalls einen ent-
sprechenden Aktionsplan vorgelegt, weil wir genau
diese hier angesprochenen Punkte ausräumen wollen.
Ich möchte, wenn ich darf, noch auf einen anderen
Punkt zurückkommen Stichwort Bolivien , der in
der vorangegangenen Diskussion angesprochen worden
ist. Bolivien ist von den Auswirkungen der weltwirt-
schaftlichen Entwicklung besonders betroffen. Es
stimmt, dass diesmal im bolivianischen Haushalt Mittel
zur Entschuldung eingestellt worden sind. Das heißt aber
nicht, dass sie zweckentfremdet worden sind. Sie sind
vielmehr zur Armutsbekämpfung verwendet worden;
denn der für die Armutsbekämpfung relevante Teil des
bolivianischen Haushalts ist von 10,6 auf 12,9 Prozent
gestiegen.
Die bolivianische Regierung das kritisieren auch
wir; aber wir haben keine Möglichkeit, darauf Einfluss
zu nehmen hat in der Tat ihre Zusage, die entsprechen-
den Mittel den Gemeinden zur Verfügung zu stellen,
nicht eingehalten. Aber mit Verlaub, auch die ärmsten,
hoch verschuldeten Entwicklungsländer sind weder Pro-
tektorate noch können und wollen wir sie so behandeln.
Wir können einem Land nicht vorschreiben, wie es kon-
kret die Mittel zur Armutsbekämpfung in seiner Gesell-
schaft verwendet. Aber dass die Länder die bereitgestell-
ten Mittel zur Armutsbekämpfung verwenden müssen,
schreiben wir vor und darauf achten wir sehr genau. Das
wollte ich nur klarstellen, weil damit die Frage nach der
Entschuldungsinitiative verbunden ist.
Danke sehr.
Kollege Heinrich, wollen Sie kurz erwidern? Das ist
der Fall. Bitte sehr.
Herr Präsident! Frau Ministerin, ich freue mich sehr
darüber, dass Sie das, was ich angemahnt habe es geht
um die Frage, wie wir die zur Verfügung stehenden Mit-
tel effektiver einsetzen können , aufnehmen wollen.
Sie behaupten, dass Sie es gemacht hätten.
Mein Resümee ist, dass hier bisher eine viel zu kurze
Strecke zurückgelegt worden ist, dass noch allzu viele
Mittel nicht effizient eingesetzt werden und dass hier
wenn es nicht stimmen würde, hätte ich es vorhin nicht
angesprochen sehr viel mehr getan werden muss.
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Das Wort hat nunmehr Kollege Dr. Hermann Scheer,
PD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Ent-
icklungshilfe das ist von der Bundesministerin ge-
ade vorgetragen worden und darauf ist auch schon in
en letzten Jahren wiederholt hingewiesen worden soll
erstärkt auf die energetische Frage, insbesondere auf
ie Erneuerbaren Energien, ausgerichtet werden. Dieser
chwerpunktwechsel verdient eine nähere Betrachtung;
enn ich halte diesen Wechsel für eine der entwicklungs-
olitischen Schlüsselfragen. Ich finde, dass es ein jahr-
ehntelanges Versäumnis der bisherigen Entwicklungs-
olitik ist, dieses Problem nicht erkannt zu haben.
an muss dieses Versäumnis gar nicht parteipolitisch
ewerten; denn es handelt sich um ein internationales
ersäumnis, das bis zu den Verhandlungen über die
genda 21 in Rio de Janeiro reichte, ohne dass es da-
als aufgefallen wäre. Daran kann man sehen, dass es
iesbezüglich an Bewusstsein mangelte.
Es ist jetzt ziemlich genau 30 Jahre her, als, durch den
om-Kippur-Krieg ausgelöst, die erste große Weltölkrise
egann. Sie dauerte mit einer kurzen Unterbrechung
eun Jahre. Wir haben damals zwar viel über die welt-
irtschaftlichen, aber sehr wenig über die Folgen für die
ritte Welt diskutiert. 1973, also bevor diese Krise be-
ann, betrug die Gesamtverschuldung der Dritten
elt ungefähr 200 Milliarden Dollar. Neun Jahre später,
lso als diese Krise zu Ende war, betrug die Gesamtver-
chuldung der Dritten Welt das Sechsfache: 1,2 Billio-
en Dollar. Diese Versechsfachung geht selbstverständ-
ich in allererster Linie auf die Ölkrise zurück.
Die Länder der Dritten Welt, die im Wesentlichen die-
elben Energiequellen wie wir haben sie nutzen auch
iomasse; allerdings sorgen sie größtenteils nicht für Er-
euerung; das hat ebenfalls verheerende Wirkung ,
üssen auf den Weltmärkten, sofern sie nicht selbst Pro-
uzent sind, also eigene Quellen haben, dieselben Preise
ie wir zahlen. Da das Pro-Kopf-Einkommen in diesen
ändern aber nur ein Zehntel oder noch weniger des Pro-
opf-Einkommens bei uns ausmacht, zahlen diese Län-
er für Energie gemessen an ihrer Kaufkraft das Zehn-
ache.
3504 Deutscher Bundestag 15. Wahlperiode 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2003
)
)
Dr. Hermann Scheer
Dies wirkt wie eine Daumenschraube. Die falsche
Ausrichtung der Energiepolitik das hängt mit der
Quellenlage zusammen; ich sage das völlig unabhängig
davon, dass diese Politik gravierende Umweltprobleme
hervorruft, die wir alle kennen hat dazu geführt, dass
die Verschuldung auch nach 1982, als die Ölkrise been-
det war, trotz aller Entschuldungsinitiativen im Grunde
genommen nicht mehr gesenkt werden konnte, sondern
dass höchstens die Geschwindigkeit des Wachstums
durch entsprechende Entschuldungsinitiativen verlang-
samt werden konnte.
1973 mussten die afrikanischen Staaten ohne eigene
Ölquellen noch ungefähr 5 bis 10 Prozent ihrer Export-
einnahmen für den Import von Erdöl ausgeben; heutzu-
tage müssen sie fast alle 100 Prozent und mehr dafür
ausgeben. Das heißt, sie sind, solange Erdöl ihre Ener-
giebasis ist, ökonomisch chancenlos. Einer der Mythen
in der internationalen Energiedebatte ist, dass die Um-
stellung der Länder der Dritten Welt auf die Nutzung er-
neuerbarer Energien auch bei uns ist diese Umstellung
nötig eine ökonomische Last darstelle. Diese Umstel-
lung ist die einzige elementare wirtschaftliche Chance
dieser Länder, ihre wirtschaftliche Entwicklung ent-
scheidend voranzubringen.
Hinzu kommt ein weiterer Faktor. Ein grundlegender
Fehler der Entwicklungspolitik in den letzten Jahrzehn-
ten war die Auffassung ich denke dabei insbesondere
an die großen kontinentalen Entwicklungsbanken und an
die Weltbank, die diesen Fehler zwar erkannt, daraus
aber noch längst nicht die richtigen Schlussfolgerungen
gezogen hat , man könne unser Energiesystem in die
Länder der Dritten Welt transferieren.
Unser Energiesystem hat sich im Laufe eines Jahr-
hunderts allmählich von einem System dezentraler Ver-
sorgung hin zu einem System zentraler Versorgung ent-
wickelt. Wir wissen inzwischen, dass das eine
Fehlentwicklung war. Man hat in den letzten 30 bis
40 Jahren in den Ländern der Dritten Welt deren Struk-
tur war zuvor total dezentralisiert; bis heute leben dort
noch immer 60 bis 90 Prozent der Bevölkerung in ländli-
chen Räumen eine zentralisierte Energieversorgungs-
struktur eingeführt, unter anderem durch entsprechende
Investitionen und Vergabe von Krediten. Die unmittel-
bare Folge war das Einsetzen der Landflucht, weil man
nur in den Städten Strom bekam. Das Leben in den Städ-
ten wurde immer überlasteter. Damit einher ging die
Slumbildung, die wir alle kennen, und die zunehmende
Verarmung der Menschen in den ländlichen Räumen, wo
sehr viele bis heute noch nicht einmal Energie für kleine
Maschinen haben, weil sie das gar nicht bezahlen kön-
nen oder weil die Infrastruktur dazu nicht ausreicht.
Selbst wenn die Infrastruktur sie ist am kostspieligs-
ten in den ländlichen Räumen besser würde ich
denke an den Ausbau großer Leitungsnetze usw. , dann
nützte das nichts mehr, weil die herkömmlichen Energie-
versorgungsquellen bis dahin wahrscheinlich schon
längst erschöpft sind. Das heißt, wir haben hier den ele-
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Wenn man das noch weiter verfolgt, so kann man
eststellen, dass der Einfluss der OPEC-Länder auf
roße Teile der Gruppe der 77, die immer noch besteht,
edenfalls bei internationalen Konferenzen, bis kurz vor
ohannesburg sogar noch so weit reichte, dass erneut der
ersuch unternommen wurde, das Thema herauszuhal-
en, was aber schließlich nicht gelang, weil unsere Re-
ierung und der UN-Generalsekretär dagegen votierten
nd diese Thematik erfolgreich in das Zentrum der Kon-
erenz von Johannesburg gehoben haben.
Wir stehen hier vor der Situation, dass ähnlich wie
or einigen Jahrzehnten damals gab es die grüne Revo-
ution, um den Hunger in den Dritte-Welt-Ländern zu
berwinden; sie hat teilweise Erfolg gehabt, teilweise
uch nicht, wegen einer falsch verstandenen Landwirt-
chaftspolitik eine große und konzentrierte Anstren-
ung erfolgen muss, nämlich für eine Initiative hin zur
eränderung und zur Umorientierung der Energiever-
orgungsstrukturen auf die heimischen Energien der
änder, also die Erneuerbaren Energien. Dort steht der
ntwicklungspolitische Aspekt, der wirtschaftliche Ent-
icklungsaspekt, noch sehr viel mehr im Vordergrund
ls der Umweltaspekt, der bei uns die Schlüsselfrage
arstellt.
Herr Kollege Scheer, Sie müssen zum Schluss kom-
en.
Ich bin beim letzten Satz. Deswegen hat alles, was
on der Regierung in dieser Richtung gemacht wird, was
on ihr zum Schwerpunktwechsel auf diesem Gebiet
ersucht wird bei eigenen Maßnahmen und darüber hi-
aus; das geht bis hin zu der vorgesehenen Gründung ei-
er internationalen Agentur für Erneuerbaren Ener-
ien , eine Türöffnerfunktion für das, was an neuer ent-
icklungspolitischer Philosophie in der eben angegebe-
en Richtung notwendig ist.
Deutscher Bundestag 15. Wahlperiode 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2003 3505
)
)
Dr. Hermann Scheer
Danke schön.
Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Gesine
Lötzsch, fraktionslos.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Heute
ist der 8. Mai, der Tag der Befreiung vom Hitler-Fa-
schismus. Sie, Frau Ministerin, sind eingangs Ihrer Rede
mit folgendem Satz auf diesen Tag eingegangen: Die
Vereinigten Staaten von Amerika haben mit anderen zu-
sammen unser Land vom Hitler-Faschismus befreit.
Ich bin über die partielle Betrachtung der Realität sehr
verwundert. Wir befinden uns hier im Reichstag in Ber-
lin. Berlin wurde von der Roten Armee befreit. Wer es
aus dem Geschichtsbuch nicht weiß, kann es zumindest
an den Inschriften in diesem Gebäude ablesen.
Die Völker der Sowjetunion haben in diesem Krieg ei-
nen Blutzoll von 20 Millionen Toten bezahlt und Sie,
Frau Ministerin, gehen mit einem sehr eingeschränkten
Blickwinkel an diesen Tag heran.
Wir von der PDS im Bundestag erneuern unseren
Vorschlag, den 8. Mai zum offiziellen Gedenktag, zum
Tag der Befreiung, zu erheben.
Frau Bundesministerin, Sie sind sicherlich bemüht,
alles zu tun, um die Armut in den Entwicklungsländern
zu bekämpfen. Sie haben viele Projekte auf den Weg ge-
bracht und partiell können diese Projekte sicherlich hel-
fen. Aber die Wurzeln des Problems Armut können sie
nicht beseitigen. 1,2 Milliarden Menschen in der Dritten
Welt sind von extremer Armut betroffen. Die Einkom-
mensdifferenz, die zwischen den reichsten und den
ärmsten Ländern besteht, betrug im Jahr 1960 das
37fache; heute beträgt sie das 74fache.
Die drei reichsten Personen der Welt besitzen ein Ver-
mögen, das ebenso hoch ist wie zusammengenommen
das Bruttoinlandsprodukt der 48 ärmsten Länder. Im Jahr
2001 waren es 826 Millionen Menschen, die Hunger lit-
ten. Die Zahl der erwachsenen Analphabeten betrug
854 Millionen. 300 Millionen Kinder bleiben der Schule
fern. 2 Milliarden Menschen brauchen lebenswichtige
Medikamente zu niedrigen Preisen, haben sie aber nicht.
Jährlich sterben mindestens 11 Millionen Kinder unter
fünf Jahren infolge vermeidbarer Ursachen. 500 000
Menschen erblinden aufgrund von Mangel an Vitamin A.
Der Nobelpreisträger Joseph Stiglitz, ehemaliger
stellvertretender Chef der Weltbank, benennt die wirkli-
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ir haben das Instrument des Zivilen Friedensdienstes
ns Leben gerufen und werden es in den kommenden
ahren weiter ausbauen. Wissenschaftliche und instituti-
nelle Friedensforschung wie durch die Gruppe Frie-
Deutscher Bundestag 15. Wahlperiode 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2003 3507
)
)
Dagmar Schmidt
densentwicklung hat bei uns ihren begründeten Rück-
halt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, weder eine unilate-
rale Weltordnung noch Präventivkriege lösen die Pro-
bleme dieser Welt. Wenn wir die Zukunft unserer Kinder
sichern wollen, müssen wir in globaler Verantwortung
die Armut bekämpfen sowie das multilaterale Krisenma-
nagement und partizipatorische Dialogfähigkeiten stär-
ken. Das tut unsere Regierung. Wie schön wäre es, wenn
sich Journalisten gerade für diese verantwortungsvolle
Aufgabe einbetten ließen.
Nächster Redner ist der Kollege Hartwig Fischer,
CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Die Entwicklungen der vergangenen Monate in
Afghanistan und im Irak haben die Krisenherde und die
Brennpunkte in anderen Teilen der Welt in den Hinter-
grund gedrängt. Beispielhaft möchte ich hier das Gebiet
der Großen Seen und der Demokratischen Republik
Kongo nennen. Hier fand und findet tagtäglich eine der
schlimmsten menschlichen Tragödien statt, die seit 1998
bis heute weit mehr als 3 Millionen Tote fordert die
meisten Toten in einem Krieg auf dieser Welt seit dem
Zweiten Weltkrieg. Einige indigene Volksgruppen wie
die Pygmäen stehen unter Umständen sogar vor der Aus-
rottung.
Wo ist hier die Stimme der Bundesregierung im
Sicherheitsrat? Nach dem Tod von fast 1 Million Men-
schen 1994 im Ruanda-Konflikt, dem die UNO weitge-
hend tatenlos zugesehen hat, erleben wir jetzt, dass im
Kongo nach dem Pretoria-I- und dem Pretoria-II-Ab-
kommen und trotz mehrerer UN-Resolutionen kaum
eine Verbesserung der Lage eintritt.
Die freiwillige Entwaffnung und Demobilisierung der
bewaffneten in- und ausländischen Kämpfer im Ost-
kongo durch die Peace-Keeping-Mission MONUC fin-
det nur schleppend statt. Die Bundesregierung schaut ta-
tenlos zu, wie immer noch bis zu 30 000 Menschen
jeden Monat durch Kriegshandlungen, durch Massaker
und durch sich infolge des Krieges dramatisch ver-
schlechternde Lebensbedingungen zu Tode kommen.
Das Sterben in Afrika, das Sterben im Gebiet der Großen
Seen und im Kongo findet weitestgehend ohne öffentli-
che Kenntnisnahme, ohne Medien statt, anders als im
Irak. Übrigens: Vor dem Krieg im Irak fand das Sterben
unter Saddam auch weitgehend ohne öffentliche Kennt-
nisnahme statt.
Allein in den ersten Aprilwochen 2003 sind bei Aus-
einandersetzungen zwischen Angehörigen der Volks-
gruppen der Hema und Lendu mehrere hundert Men-
schen bei einem Gemetzel in Drodro im Distrikt Ituri
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Besonders in der bereits erwähnten Region Ituri sind
chwerste Menschenrechtsverletzungen wie Massenhin-
ichtungen, systematische Vergewaltigungen, Kanniba-
ismus, Vertreibungen und Plünderungen an der Tages-
rdnung. Überlebende Pygmäen berichten, sie seien von
er Rebellenbewegung zum Verspeisen von Angehöri-
en gezwungen worden. So erklärte der Pygmäe
muzati Nzoli, Warlord-Milizen hätten sein Dorf über-
3508 Deutscher Bundestag 15. Wahlperiode 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2003
)
)
Hartwig Fischer
fallen und er habe mit ansehen müssen, wie sein sechs-
jähriger Neffe von Angreifern verspeist wurde. Kämpfer
rissen dem Kind mit Macheten das Herz aus dem Körper
und aßen es, nachdem sie es über dem Feuer geröstet
hatten. Die Pressesprecherin der UN-Mission im Kongo
bestätigte ebenso wie der Bischof aus Beni-Butembo die
Kannibalismusvorwürfe.
Die Bevölkerung leidet massiv unter den Auswirkun-
gen dieser Kämpfe, die deren ohnehin schon katastro-
phale Situation weiter verschlechtert. 16 Millionen Kon-
golesen hungern bzw. leiden an Unter- oder
Mangelernährung. 80 Prozent der Bevölkerung haben
keinen Zugang zu sauberem Wasser. 70 Prozent haben
keinen Zugang zu qualifizierter Gesundheitsversorgung.
Die Aidsrate steigt infolge systematischer Vergewalti-
gungen und Prostitution. Kinder werden von den Kriegs-
parteien gewaltsam als Soldaten rekrutiert.
Meine Damen und Herren, das Mandat von MONUC
muss ausgeweitet werden und die Mission muss perso-
nell massiv verstärkt werden, damit die UNO nicht wie
in den vergangenen Wochen bei schwersten Menschen-
rechtsverletzungen und Übergriffen tatenlos zusieht.
Zwar ziehen sich derzeit ugandische Truppenteile aus
dem Osten der Demokratischen Republik Kongo zurück;
aber durch das entstandene Machtvakuum entsteht die
Gefahr von neuen gewalttätigen Auseinandersetzungen
zwischen konkurrierenden Ethnien. Allein in der letzten
Woche haben deshalb wieder 20 000 Angehörige der
Hema aus Angst vor neuen Übergriffen der mit ihnen be-
feindeten Lendu die Grenze nach Uganda überquert.
Die Bundesregierung muss sich mit aller Kraft dafür
einsetzen, dass sichergestellt wird, dass das bestehende
Machtvakuum nicht dazu genutzt wird, neue Konflikt-
herde zu schüren und alte mordend fortzusetzen. Dazu
muss MONUC mit weit reichenden Befugnissen ausge-
stattet werden.
Ruanda hat zwar seine Truppen auf Druck abgezo-
gen; aber die Entwaffnung der Hutu-Milizen, die eine
Bedrohung für Ruanda darstellen, steht immer noch aus.
Die Regierung in Kinshasa ist zu dieser Entwaffnung
nicht in der Lage. Sie braucht die Unterstützung der
UNO. Die UN müssen weiterhin sicherstellen, dass an
dem Friedensprozess, der noch kommen soll, alle Volks-
gruppen beteiligt werden. Ohne das Engagement der
nicht staatlichen Zusammenarbeit, zum Beispiel das
vonseiten der deutschen Kirchen, wären in vielen Regio-
nen die Gesundheitsversorgung und das Bildungssystem
längst völlig zusammengebrochen.
An dieser Stelle möchte ich daher im Namen meiner
Fraktion den vielen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern
der NGOs und der Kirchen, die im Kongo tätig sind,
unseren großen Dank und unseren großen Respekt für
ihre hervorragende Arbeit aussprechen, die oft nur unter
Gefahr für Leib und Leben erfolgen kann.
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Um insbesondere im Ostkongo tätig sein zu können,
rauchen die NGOs aber Sicherheit, die nur durch die
N hergestellt werden kann. Nur so wird es für die Zu-
unft möglich sein, dass die reichhaltigen Rohstoffvor-
ommen dazu beitragen, die Armut der Bevölkerung zu
indern und gleichzeitig die Voraussetzungen für eine
ositive wirtschaftliche Entwicklung zu schaffen. Dies
lles ist auch Voraussetzung für den Aufbau von Rechts-
taatlichkeit und Demokratie. Es ist daher auch Aufgabe
er Bundesregierung, Druck auf die UNO auszuüben.
Wir müssen alles in unseren Kräften Stehende tun, die
enschliche Tragödie und das unermessliche Leid der
enschen im Kongo endlich zu beenden. Wir wollen
it unserem Antrag zur Tragödie im Kongo die Öf-
entlichkeit sensibilisieren. Wir wollen die Medien akti-
ieren. Wir wollen, dass die Bundesregierung ihre Mög-
ichkeiten ausschöpft.
Es soll niemand in Zukunft zu dem Morden und Ster-
en im Kongo sagen können: Wir haben nichts gesehen,
ir haben nichts gehört, wir haben nichts gewusst und
eshalb nichts getan.
Das Wort zu einer Kurzintervention hat die Kollegin
schi Eid.
Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Kollege Fischer!
ezüglich der Demokratischen Republik Kongo hat sich
iese Regierung überhaupt nichts vorzuwerfen, das
öchte ich klarstellen.
inige Regierungsmitglieder beobachten sehr genau seit
ahren das, was in dieser Region passiert.
Ich will Ihnen jetzt konkret auf das antworten, was
ie von uns eingefordert haben. Die Bundesregierung
nterstützt, insbesondere im Rahmen der Europäischen
nion durch den Sonderbeauftragten Ajello und als
icht ständiges Mitglied des VN-Sicherheitsrates die Be-
ühungen um einen umfassenden und dauerhaften Frie-
en in der Demokratischen Republik Kongo und in der
esamten Region.
Das Auswärtige Amt hat die Mission von Sir Quett
asire, dem ehemaligen Staatspräsidenten von Bots-
ana, finanziell in großem Maße unterstützt, weil er der
ediator war, der versuchte, die verfeindeten Gruppen
usammenzubringen.
Deutscher Bundestag 15. Wahlperiode 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2003 3509
)
)
Dr. Uschi Eid
Wir unterstützen mit großem Engagement im VN-Si-
cherheitsrat die Umsetzung der Resolution des Sicher-
heitsrates zur Region der Großen Seen. Wir unterstützen
eine Anpassung des Mandats für MONUC, um unter an-
derem die Präsenz von MONUC im Ostkongo zu stärken.
Wir haben in den letzten Jahren 20 Millionen Euro im
Rahmen eines Weltbankprogramms für die Entwaffnung
und die Reintegration von Exkombattanten ausgegeben.
Während wir auf der einen Seite das Regime von
Mobuto isoliert haben, haben wir mit den Menschen vor
Ort und das bereits unter der CDU/CSU-FDP-Regie-
rung in Vereinbarung mit der GTZ und der KfW kleine
lokale Programme unterstützt, um die Menschen von der
kommunalen Basis her zu stärken, damit ihr Überleben
gesichert ist.
Wir lassen uns von der CDU in dieser Sache nichts
vorwerfen. Wir haben den Friedensprozess in den letzten
Jahren massiv unterstützt und werden das auch weiterhin
tun. Wir werden an der Seite der Kongolesen, aber auch
der gesamten Region wie auf der Seite der Südafrikaner
stehen, die diesen Prozess hoffentlich bald zu einem
friedlichen Ende führen können.
Ich weise die Kritik, die Sie hier geäußert haben, wirk-
lich mit aller Schärfe, auch im Namen der Ministerin,
zurück.
Herr Kollege Fischer, Sie können antworten.
Frau Abgeordnete Eid, ich habe keinen Zweifel an der
Arbeit der NGOs, die Sie gerade angesprochen haben.
Ich habe aber festgestellt, dass die Maßnahmen, die von
der UNO im Pretoria-I-Abkommen vom 30. Juli 2002,
im Pretoria-II-Abkommen vom 17. Dezember 2002 und
im Sun-City-Abkommen vom 1. April 2003, das man si-
cherlich noch nicht beurteilen kann, weil es erst seit kur-
zem in Kraft ist, beschlossen wurden, in Bezug auf das
Morden der Hema und Lendu im Ostkongo nichts ge-
nützt haben. Deshalb habe ich Sie aufgefordert, Ihre
Kraft im Sicherheitsrat dafür einzusetzen, dass der Auf-
trag für MONUC geändert wird. Dazu gehört, dass
MONUC auch militärisch eingreifen darf.
Die Erfüllung dieser Aufgabe erwarte ich von Ihnen
im Sicherheitsrat, unter Umständen sollten Sie dafür
auch die neue Achse zu Frankreich und Russland ein-
schalten.
Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege
Sascha Raabe, SPD-Fraktion.
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Allein mit den klassischen Mitteln der Entwicklungs-
olitik wie der bilateralen Projektförderung wird die Ar-
utsbekämpfung nicht erfolgreich sein. Wir müssen
ntwicklungspolitik in Zeiten der Globalisierung neu
efinieren. Heidemarie Wieczorek-Zeul hat dies erkannt
nd betont seit 1998 immer wieder die Bedeutung von
ntwicklungspolitik als globaler Strukturpolitik. Ein be-
indruckendes Beispiel ist unter anderem die von der
undesregierung maßgeblich forcierte Entschuldungs-
ampagne.
Trotz dieser großen Anstrengungen sind wir von einer
erechten Weltwirtschaftsordnung noch weit entfernt.
atürlich ist für eine erfolgreiche wirtschaftliche Ent-
icklung und Armutsbekämpfung auch Good Gover-
ance in den Entwicklungsländern notwendig, wie wir
s zu Recht von unseren Partnerländern einfordern. Aber
eisten wir als Industrieländer auch wirklich unseren ei-
enen Beitrag für eine Good Global Governance?
Das Ziel, den Anteil der Entwicklungshilfe in allen
taaten auf 0,7 Prozent des jeweiligen Bruttoinlandspro-
uktes zu steigern, ist zweifellos richtig. Genauso richtig
st es jedoch, die Entwicklungsländer fair am Welthan-
el zu beteiligen, damit sie langfristig selbstständig, also
hne fremde Hilfe ihre Lebensgrundlage erwirtschaften
önnen.
3510 Deutscher Bundestag 15. Wahlperiode 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2003
)
)
Dr. Sascha Raabe
Momentan gehen den Entwicklungsländern durch die
Importzölle der Industrieländer doppelt so viele Einnah-
men verloren, wie sie durch öffentliche Entwicklungszu-
sammenarbeit erhalten. Die OECD-Staaten geben pro
Tag etwa 1 Milliarde Dollar für Agrarsubventionen aus.
Das ist das Sechsfache dessen, was sie an öffentlicher
Entwicklungshilfe aufbringen. Diese Subventionen drü-
cken die Preise auf dem Weltagrarmarkt erheblich nach
unten. Im ländlichen Raum, wo drei Viertel der Hun-
gernden und Armen der Welt leben, zerstören diese
künstlichen Niedrigpreise die Märkte für Kleinbauern.
Deshalb nehmen die Agrarverhandlungen im Rahmen
der aktuellen Welthandelsrunde für die Armutsbekämp-
fung eine Schlüsselstellung ein.
Wir haben darauf ist vom Kollegen Hoppe schon
hingewiesen worden gemeinsam mit unserem Koaliti-
onspartner einen entsprechenden Antrag in den Deut-
schen Bundestag eingebracht, der auch von unserer Mi-
nisterin sowie unseren Kolleginnen und Kollegen im
Landwirtschaftsausschuss nachdrücklich unterstützt
wird.
Das ist der Unterschied zu Ihnen, verehrte Kollegin-
nen und Kollegen von der Union. Sie propagieren in
Sonntagsreden oft den Subventionsabbau, aber in Wirk-
lichkeit geben sich bei Ihnen die Lobbyisten der Agrar-
industrie die Klinke in die Hand. Sie müssen einmal so
ehrlich sein, sich das einzugestehen, und daran etwas än-
dern.
Neben dem Agrarbereich sind auch die so genannten
GATS-Verhandlungen über die Liberalisierung von
Dienstleistungen ein wichtiger Aspekt in der WTO-
Runde. Liberalisierungen im Sinne eines gesunden
Wettbewerbs zur Schaffung effizienter Infrastrukturen
durch private Unternehmen können durchaus Verbesse-
rungen auch für die armen Bevölkerungsschichten in
Entwicklungsländern bringen, insbesondere wenn man
sich die oft nicht vorhandene oder ineffiziente und kor-
rupte staatliche Infrastruktur anschaut. Allerdings kön-
nen Privatisierungen zum Beispiel bei der Trinkwasser-
versorgung auch dazu führen, dass zwar die Ober- und
Mittelschicht von einem verbesserten Angebot profitiert,
aber die Ärmsten sich das Wasser nicht mehr leisten
können. Auch die Kollegin Schmidt hat auf diese Pro-
blematik hingewiesen.
Deswegen müssen wir sorgfältig prüfen, in welchen
Sektoren und unter welchen Bedingungen Liberalisie-
rungen wirklich etwas zur Armutsbekämpfung beitra-
gen. Dazu sind wissenschaftliche Folgeabschätzungen
notwendig. Das gilt übrigens für die Auswirkungen auf
Entwicklungsländer genauso wie für die Konsequenzen
von Liberalisierung bei uns. Auch die Enquete-Kommis-
sion Globalisierung der Weltwirtschaft hat solche Fol-
geabschätzungen dringend empfohlen. Der Deutsche
Bundestag hat aus diesem Grund vor wenigen Wochen
einen Parlamentsvorbehalt gegenüber dem EU-Ange-
botskatalog innerhalb der GATS-Verhandlungen einge-
bracht. Genauso sollten wir den Forderungskatalog der
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Es ist auch klar: Wenn uns als deutsche Parlamenta-
ier mit all unseren wissenschaftlichen Hilfsdiensten die
eurteilung der komplizierten WTO-Verhandlungen
chon schwer fällt, so ist dies für Entscheidungsträger
er Entwicklungsländer noch viel schwieriger. Deshalb
st es richtig, dass die Bundesregierung die Kapazitäten
er Entwicklungsländer weiter stärkt, damit diese ihre
hancen im Verhandlungsprozess nutzen können.
Es gibt viele Gründe, sich der Armutsbekämpfung
nd der fairen Ausgestaltung der Globalisierung zu wid-
en. Wir haben hier schon viel über humanitäre und si-
herheitspolitische Erwägungen geredet. Für Deutsch-
and als Exportland sind Kaufkraft und Wohlstand in den
ntwicklungsländern wichtig, um zu einem weiteren
irtschaftswachstum bei uns beizutragen.
So unterschiedlich uns die Auswirkungen der welt-
eiten Armut betreffen, so vielfältig müssen die Lö-
ungsansätze sein. Deshalb werden wir Heidemarie
ieczorek-Zeuls Prinzip einer kohärenten Politik, wo-
ach alle Ressorts in ihren Entscheidungen die Folgen
ür die Entwicklungsländer berücksichtigen müssen,
eiterhin zur Leitlinie unserer Entwicklungspolitik ma-
hen.
Herr Dr. Ruck, noch ein Satz zu Ihrer Kritik, die Sie
orhin geäußert haben. Sie haben uns vorgeworfen, dass
ich bei uns so viele unterschiedliche Ressorts mit Ent-
icklungspolitik beschäftigen würden. Das ist ein Kom-
liment für uns und ein Zeichen dafür, dass Sie die He-
ausforderungen der Globalisierung in ihrer Komplexität
och nicht verstanden haben.
Die WTO-Runde im September in Cancun wird ein
ichtiger Prüfstand werden. Noch haben wir die
hance, dass es tatsächlich eine Entwicklungsrunde
ird. Ich appelliere deshalb an uns alle: Lasst uns in
ancun mit dem wertvollsten öffentlichen Gut handeln!
asst uns mit Gerechtigkeit handeln! Dann werden wir
rfolg haben.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Herr Kollege Raabe, ich gratuliere Ihnen recht herz-
ich zu Ihrer ersten Rede in diesem Hohen Hause und
ünsche Ihnen persönlich und politisch alles Gute.
Deutscher Bundestag 15. Wahlperiode 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2003 3511
)
)
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zu den Entschließungsanträgen der
Fraktion der CDU/CSU. Sie hat beantragt, den Ent-
schließungsantrag auf Drucksache 15/921 zur federfüh-
renden Beratung an den Ausschuss für Menschenrechte
und humanitäre Hilfe und zur Mitberatung an den Aus-
wärtigen Ausschuss sowie an den Ausschuss für wirt-
schaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung zu über-
weisen. Diese Federführung ist jedoch strittig. Die
Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen
wünschen die Federführung beim Ausschuss für wirt-
schaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung.
Ich lasse zunächst über den Überweisungsvorschlag
der Fraktion der CDU/CSU abstimmen, wonach die Fe-
derführung beim Ausschuss für Menschenrechte und
humanitäre Hilfe liegen soll. Wer stimmt für diesen
Überweisungsvorschlag? Wer stimmt dagegen? Ent-
haltungen? Der Überweisungsvorschlag ist mit den
Stimmen der Koalition und der FDP abgelehnt.
Wer stimmt für den Überweisungsvorschlag der Frak-
tionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen, wo-
nach die Federführung beim Ausschuss für wirtschaftli-
che Zusammenarbeit und Entwicklung liegen soll?
Wer stimmt dagegen? Enthaltungen? Der Überwei-
sungsvorschlag ist mit den Stimmen der Koalition und
der FDP gegen die Stimmen der CDU/CSU angenom-
men.
Der Entschließungsantrag ist damit federführend an
den Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung und zur Mitberatung an den Auswärtigen
Ausschuss sowie an den Ausschuss für Menschenrechte
und humanitäre Hilfe überwiesen.
Die Entschließungsanträge auf den Drucksachen
15/922 und 15/923 sollen zur federführenden Beratung
an den Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit
und Entwicklung sowie zur Mitberatung an den Aus-
wärtigen Ausschuss, an den Ausschuss für Umwelt, Na-
turschutz und Reaktorsicherheit und an den Ausschuss
für Menschenrechte und humanitäre Hilfe überwiesen
werden. Darüber hinaus soll der Entschließungsantrag
auf Drucksache 15/923 zusätzlich an den Haushaltsaus-
schuss, an den Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit und
an den Ausschuss für Bildung, Forschung und Technik-
folgenabschätzung überwiesen werden. Sind Sie damit
einverstanden? Das ist der Fall. Dann sind die Über-
weisungen so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 4 a und 4 b sowie
Zusatzpunkt 2 auf:
4 a) Erste Beratung des von den Abgeordneten
Wolfgang Bosbach, Dr. Norbert Röttgen,
Hartmut Koschyk, weiteren Abgeordneten und
der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Ent-
wurfs eines Gesetzes zur Stärkung der Rechte
Drucksache 15/814
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss
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eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur
Änderung des Strafgesetzbuches und anderer
Gesetze Widerruf der Straf- und Strafrest-
aussetzung
Drucksache 15/310
Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsaus-
schusses
Drucksache 15/954
Berichterstattung:
Abgeordnete Erika Simm
Daniela Raab
Jerzy Montag
Jörg van Essen
P 2 Beratung des Antrags der Abgeordneten Jörg van
Essen, Rainer Funke, Rainer Brüderle, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Opferrechte stärken und verbessern
Drucksache 15/936
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss
Innenausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
ie Aussprache anderthalb Stunden vorgesehen. Ich
öre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
r. Röttgen, CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
erren! Mit dem Gesetzentwurf, den die CDU/CSU-
raktion heute vorlegt, zielen wir auf eine grundlegende
eubestimmung der Rolle des Verletzten im Strafpro-
ess. Uns geht es darum, dass die Stellung der Opferzeu-
en, der Zeugen also, die Opfer einer Straftat geworden
ind, vom Beweismittel, das als Objekt behandelt wird,
u einem eigenständigen Verfahrensbeteiligten, der ei-
ene Rechte hat, aber auch schutzbedürftig ist, aufge-
ertet wird. Wir wollen also die Aufwertung des Opfer-
eugen vom Beweismittel zum Verfahrensbeteiligten.
Opferschutz ist nicht nur auf der Ebene der Rhetorik,
ondern auch auf der Ebene des politischen Handelns ein
ernelement christlich-demokratischer Rechtspolitik.
raktisch alle Meilensteine im Opferschutz, die es in
en letzten 20 bis 25 Jahren man kann sogar sagen: in
er deutschen Rechtsgeschichte nach 1945 gegeben
at, sind das Ergebnis christdemokratischer und liberaler
echtspolitik in den 80er- und 90er-Jahren. Wir haben
pferschutz praktiziert.
3512 Deutscher Bundestag 15. Wahlperiode 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2003
)
)
Dr. Norbert Röttgen
Es hat mit dem Opferschutzgesetz von 1986 begon-
nen, durch das insbesondere der Zeugenbeistand einge-
führt wurde. Wir sind im Jahre 1994 mit der Einführung
der Regelungen zum Täter-Opfer-Ausgleich fortgefah-
ren und haben 1998 mit dem Zeugenschutzgesetz, durch
das insbesondere die Videovernehmung zum Schutz
kindlicher Zeugen, die Opfer von Gewaltverbrechen,
zum Beispiel von Sexualverbrechen, geworden waren, in
den Strafprozess eingeführt wurde, weitergemacht.
Die Opfersituation hört ja nicht plötzlich auf. Viele
Opfer sind auch nach Abschluss der Tat noch Opfer, da
die psychischen Belastungen fortdauern. Darum handelt
es sich beim Strafprozess immer auch ein wenig um eine
Wiederholung und Verlängerung der Opfersituation,
weshalb die Opfer den Schutz der Rechtsordnung benö-
tigen. Darauf zielen wir mit unserem Gesetzentwurf ab.
Seitdem Rot-Grün regiert, ist auf dem Gebiet des Op-
ferschutzes praktisch nichts mehr passiert.
Im Jahre 1999 haben Sie eine kleine Regelung zum Tä-
ter-Opfer-Ausgleich eingeführt. Ansonsten herrscht
Fehlanzeige; es ist nichts passiert.
Genau so ist es.
Auch in dieser Legislaturperiode haben wir erneut
Initiativen ergriffen. Wir haben uns dagegen gewehrt,
dass bei Rot-Grün nur die Opfer rechtsextremistischer
Gewaltverbrechen eine Entschädigung des Staates erhal-
ten können. Wir sind der Auffassung: Das ist ungerecht.
Man kann die Opfer extremistischer Gewalt nicht unter-
schiedlich behandeln. Bei uns sollen die Opfer aller ex-
tremistischer Gewalttaten eine Entschädigung erhalten.
Es ist zutiefst ungerecht, nach der politischen Motivation
der Täter zu unterscheiden. Sie haben sich dem verwei-
gert und dies ignoriert.
Wir haben einen Antrag zum Opferentschädigungsge-
setz vorgelegt. Im Anschluss daran haben Sie wieder et-
was abgeschrieben. Das ist Ihr Markenzeichen in dieser
Legislaturperiode. Sie betreiben eine reaktive Rechtspo-
litik. Wenn wir einen Gesetzentwurf zum Sexualstraf-
recht vorlegen, legen Sie zwei Wochen später eine
schlechte Kopie vor.
Wenn wir einen Antrag zum Opferentschädigungsgesetz
stellen, dann schreiben Sie auch etwas auf.
Wir haben in unserer Fraktion in dieser Woche einen Ge-
setzentwurf zum Opferentschädigungsgesetz beschlos-
sen. Ich bin gespannt, ob Ihren Worten auch Taten folgen
werden, so wie das bei uns der Fall ist.
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Nun komme ich zum Entwurf des 2. Opferschutzge-
etzes, den wir heute vorlegen. Er geht zurück auf Über-
egungen des Deutschen Juristentages im Jahre 1998.
ie Überlegungen sind also schon einige Jahre alt. Sie
ind im Jahre 2000 in eine Bundesratsinitiative einge-
lossen. Über diese Initiative des damals noch sozialde-
okratisch geführten Hamburger Senats Justizsenato-
in war Frau Peschel-Gutzeit wurde im Bundesrat ein
ahr lang intensiv diskutiert.
Es hat zahlreiche Änderungen gegeben. Zum Schluss
urde der gemeinsame Entwurf des Bundesrates mit
roßer Mehrheit verabschiedet. Über diesen haben wir
ier im Bundestag debattiert.
s gab große Ankündigungen von Ihnen. Sie sagten: Wir
achen das, wir führen eine große Reform durch. Seit-
em Sie regieren, hat es nichts außer großen Worten und
hetorik gegeben. Auf dem Gebiet des Opferschutzes
andeln Sie nicht. Sie tun nichts.
Ich habe in der heutigen Ausgabe der Süddeutschen
eitung das Interview mit Frau Zypries, der Bundesjus-
izministerin, gelesen. Sie kann heute nicht anwesend
ein und hat sich dafür entschuldigt; sie muss an einem
reffen des Justizministerrats teilnehmen. Die Über-
chrift dieses Interviews lautet: Wir wollen die Rechte
er Opfer stärken. Heribert Prantl fragt sie, warum sie
em Vorschlag der CDU/CSU nicht einfach zustimme.
hre Antwort lautet ich zitiere :
Ich würde es begrüßen, wenn sich die Union unse-
ren weiter gehenden Ansätzen nicht verschließt.
s ist absolut dreist, nichts zu tun und dann unsere Zu-
ammenarbeit einzufordern.
Wo sind denn Ihre weiter gehenden Vorschläge?
s liegt nichts auf dem Tisch, kein Gesetzentwurf, noch
icht einmal ein Antrag. Sie legen nichts vor und fordern
ns auf, uns dem Nichts anzuschließen, während wir ei-
en eigenen Gesetzentwurf vorweisen können. Dieser
til der Arroganz und Ignoranz ist nicht in Ordnung. So
ann man in der Rechtspolitik nicht mit anderen umge-
en.
Frau Zypries übernimmt alle unsere Vorstellungen
nd außer heißer Luft kommt von ihr nur ein eigener
orschlag: Zusätzlich zu dem Gesetzentwurf der CDU/
SU sollen die Opfer von Straftaten etwa über Haftent-
assungen informiert werden. Das ist angeblich einer der
ründe, warum sie unserem Gesetzentwurf nicht zu-
Deutscher Bundestag 15. Wahlperiode 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2003 3513
)
)
Dr. Norbert Röttgen
stimmen kann. Herr Staatssekretär, vielleicht können Sie
die Bundesjustizministerin über die geltende Rechtspra-
xis in gut regierten Bundesländern unterrichten. Ich kann
Ihnen beispielsweise aus dem Bundesland Bayern schil-
dern, dass diese Forderung durch eine Verwaltungsvor-
schrift präzise umgesetzt wird. Die Justizvollzugsanstal-
ten sind angewiesen, die Opfer über die entsprechende
Haftentlassung zu informieren. Das, was die Bundesjus-
tizministerin fordert, ist in manchen Bundesländern
schon geltende Praxis. Sie kennt sich noch nicht einmal
in dieser Materie aus. Dieser Fehler sollte einer Bundes-
justizministerin nicht unterlaufen.
Ich will bei dieser Gelegenheit noch einmal auf das
Interview eingehen. Frau Zypries verteidigt ihren Vor-
schlag der Anzeigepflicht bei Kindesmissbrauch mit
dem Hinweis, auch dies sei Opferschutz. Es geht um den
Vorschlag, die Anzeigepflicht strafbewehrt zu machen,
wenn Nachbarn eine entsprechende Vermutung haben.
Diejenigen, die von Berufs wegen etwas wissen können
Sozialtherapeuten, Familientherapeuten, Anwälte und
andere Berufsgeheimnisträger sind alle von der Straf-
barkeit ausgenommen. Aber Frau Zypries will Nach-
barn, die einen Verdacht haben und nicht Anzeige erstat-
ten, bestrafen. Diese Anzeigepflicht soll mit den Mitteln
des Strafrechts durchgesetzt werden.
Dieser Vorschlag wurde von allen abgelehnt.
In der Sachverständigenanhörung haben insbesondere
die von Ihnen benannten Sachverständigen, egal ob sie
aus der Rechtspraxis oder der Rechtswissenschaft ka-
men, diesen Vorschlag vehement abgelehnt.
Dieser Vorschlag wird von den Opferverbänden, vom
Kinderschutzbund und den Frauenverbänden abgelehnt.
Keiner will das Instrument des Strafrechts einsetzen, um
Nachbarn zu verunsichern, die vielleicht einen Verdacht
haben. Sie alle fürchten die Folgen. Wenn an der Vermu-
tung, die Sie strafrechtlich kriminalisieren wollen, nichts
dran ist, kann mit einer solchen Anzeige großes Unheil an-
gerichtet werden. Wenn die Vermutung aber der Wahrheit
entspricht und es aufgrund der Verpflichtung sehr früh zu
einer Anzeige kommt, die Beweislage für eine Verurtei-
lung jedoch nicht ausreicht, kann diese Anzeigepflicht,
die die Opfer unvorbereitet trifft, weil sie auf die Zeugen-
vernehmung nicht vorbereitet sind, für missbrauchte Kin-
der und Frauen die Hölle bedeuten. Darum erweisen Sie
den Opfern mit dieser Idee einen Bärendienst.
Frau Zypries hat sich total verrannt. Es wäre gut ge-
wesen Minister haben bekanntlich noch andere Pflich-
ten , wenn sie an der Sachverständigenanhörung zu die-
sem Teil teilgenommen hätte. In dem Fall hätte sie
erfahren, dass diese Idee von allen abgelehnt wird. Ich
warne Sie im Interesse der Opfer davor, das Strafrecht an
dieser Stelle mit der Operation Gesichtswahrung der
Bundesjustizministerin zu belasten, die sich in diese Idee
verrannt hat. Nehmen Sie von diesem Vorschlag, der
falsch ist, einfach Abstand. So geht es nicht.
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ir waren auf diesem Gebiet aktiv, aber Sie machen seit
ünf Jahren nichts, sondern halten nur Reden. Meine Da-
en und Herren, handeln Sie endlich!
Sie regieren seit fünf Jahren. Sie wären sehr gut, wenn
ie nur die Hälfte dessen getan hätten, was wir gemacht
aben.
Wir wollen die Anwendung der Videotechnik aus-
eiten. Sie soll bei bestimmten Verbrechen, etwa bei Se-
ualverbrechen, nicht nur bei kindlichen und jugendli-
hen, sondern bei allen Opfern angewandt werden. Dem
ann man sich nicht verschließen.
Wir wollen das so genannte Mainzer Modell in die
trafprozessordnung aufnehmen, also die auf Videotech-
ik gestützte Übertragung der Vernehmung in einen an-
eren Raum, um für kindliche Zeugen eine Vertrauensat-
osphäre zu schaffen, die sie überhaupt erst in die Lage
ersetzt, auszusagen, die ihre Aussagefähigkeit herstellt.
ies ist unser zweiter Vorschlag.
3514 Deutscher Bundestag 15. Wahlperiode 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2003
)
)
Dr. Norbert Röttgen
Wir wollen ein Verbot der Herausgabe von Bild-
und Tonaufzeichnungen gegen den Willen der Opfer.
Solche Aufzeichnungen von Opfern, die möglicherweise
sehr kurz nach der Tat entstehen, zeigen das Opfer in sei-
ner Verletztheit und dürfen darum nicht herausgegeben
werden.
Herr Kollege, Ihre Redezeit ist deutlich überschritten.
Weitere Redner unserer Fraktion werden Einzelheiten
dazu darstellen.
Wir wollen Verfahrensrechte der Opfer begründen.
Wir wollen die schnelle Durchsetzung von Schadens-
ersatzansprüchen schon im Strafverfahren realisieren.
Dazu haben wir konkrete Vorschläge gemacht.
Ich komme zum Schluss und sage am Ende nur noch
einen Satz. Ich bin sicher, dass die von uns gemachten
Vorschläge, die im Bundesrat auch von sozialdemokrati-
scher Seite Zustimmung gefunden haben, in der Sache
auch bei Ihnen fast durchgängig Zustimmung finden
werden. Darum ist meine letzte Bitte: Missbrauchen Sie
Ihre Mehrheit, die Sie im Bundestag leider haben, nicht
zur Blockade von guten Vorschlägen zum Opferschutz,
nur weil sie von unserer Fraktion kommen. Entscheiden
Sie sich endlich für eine ideenreiche,
aber insbesondere für eine konstruktive Rechtspolitik.
Nehmen Sie unsere Vorschläge auf. Damit tun wir den
Opfern in diesem Land einen guten Dienst. Sie warten
schon zu lange darauf, dass gehandelt wird.
Herzlichen Dank.
Nächster Redner ist der Kollege Joachim Stünker,
SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege
Röttgen, wir haben im Deutschen Bundestag nicht lei-
der die Mehrheit, sondern berechtigterweise,
um insbesondere zu einer sachorientierten Rechtspolitik
zurückzukommen,
um von der Fülle der so genannten Justizentlastungsge-
setze wegzukommen, mit denen Sie in den 80er- und
90er-Jahren die Justiz in Deutschland überzogen haben,
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ch kann nur hoffen, dass möglichst viele in der Praxis
as gehört haben, was Sie erzählt haben. Denn die Quali-
ät der Rechtspolitik ist in Ihren Worten heute Mittag um
2 Uhr hier im Deutschen Bundestag sehr deutlich ge-
orden.
Strafverfahren sollen künftig zügiger abgeschlossen
erden können. Sie sollen zugleich die Bedürfnisse der
riminalitätsopfer deutlicher als bisher berücksichtigen.
iel ist es, die Verfahren ohne Einbußen an Rechtsstaat-
ichkeit bei der Wahrheitsfindung auf die jeweils ent-
cheidenden Fragen zu konzentrieren.
Den Interessen der Opfer soll durch eine verbesserte
nformation über den Ablauf des Strafverfahrens ent-
prochen werden. Vermehrte Verwertungsmöglichkeiten
on früheren Beweiserhebungen werden den Opfern
ftmals quälende Mehrfachvernehmungen ersparen.
chnellere Verfahrensbeendigung und damit früherer
echtsfrieden lassen es zu, dass Opfer von Straftaten das
rlebte oft traumatisierende Geschehen wirklich ver-
rbeiten können.
Durch stärkere Nutzung von Gesprächen der Verfah-
ensbeteiligten bereits in einem frühen Stadium kann
äufiger als bisher ein Täter-Opfer-Ausgleich dem Opfer
ie Möglichkeit geben, den Täter mit den materiellen
nd immateriellen Folgen der Tat zu konfrontieren.
Durch Begrenzung des Prozessstoffes im Zwischen-
erfahren kann die Ladung von entbehrlichen Zeugen
nterbleiben. Dies erspart insbesondere den Opfern von
traftaten die psychische Belastung, die häufig bereits
urch die Ladung ausgelöst wird, und gewährleistet da-
urch effizienten Opferschutz.
Die Opferinteressen werden auch durch die Beteili-
ung der zugelassenen Nebenklage in einem frühen Sta-
ium des Verfahrens gewahrt.
Die Einführung eines strafgerichtlichen Wiedergut-
achungsvergleichs wird eine endgültige einvernehmli-
he Einigung über den Schadensausgleich noch in der
auptverhandlung ermöglichen.
Diese Maßnahmen befördern insgesamt das berech-
igte Interesse des Opfers, Wiedergutmachung und Ge-
ugtuung zu erfahren. Ergänzend werden die weiteren
öglichkeiten zur Verbesserung der Geltendmachung
Deutscher Bundestag 15. Wahlperiode 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2003 3515
)
)
Joachim Stünker
zivilrechtlicher Ansprüche im nahen zeitlichen Zusam-
menhang mit dem Ermittlungs- und Strafverfahren zu ei-
nem besseren Nachtatschutz der Opfer von Straftaten
führen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das, was ich Ihnen
eben in komprimierten Worten vorgetragen habe, ist der
Punkt 1 des Eckpunktepapiers, das die Koalitionsfraktio-
nen im Sommer des Jahres 2001 hier vorgelegt haben,
Darüber ist auf dem Deutschen Juristentag diskutiert
worden ist und darüber wird seitdem in der Fachpraxis
sehr detailliert diskutiert eine Entwicklung, die offen-
sichtlich an Ihnen vorbeigegangen ist.
Wenn Sie sich die Eckpunkte, die ich Ihnen eben vor-
getragen habe, ansehen, dann werden Sie feststellen,
dass die drei Zielrichtungen Ihres Gesetzentwurfs, die
Sie, Herr Kollege Röttgen, vorgetragen haben, darin ent-
halten sind. Wir widersprechen uns da also auch nicht im
Ansatz.
Deshalb darf ich zu Ihrem Gesetzentwurf vom
8. April dieses Jahres sagen: Willkommen im Klub! Wir
freuen uns, dass Sie zukünftig mit dabei sind. Auch Sie
haben jetzt endlich die Notwendigkeit der verstärkten
Implementierung des Opferschutzes im Strafprozess er-
kannt. Nachdem Sie jahrelang immer nur mit Verschär-
fungen im Bereich des Strafrechtes aufgetreten sind, be-
greifen Sie jetzt langsam auch, dass der Opferschutz in
der Strafprozessordnung eine stärkere Bedeutung be-
kommen muss.
Ich darf hinzufügen, dass der Entwurf, den Sie vorge-
legt und so vehement erläutert haben, nicht einmal von
Ihnen stammt. Sie selber haben es zwischen den Zeilen
zugegeben. Vielmehr hat Hamburg vor einiger Zeit einen
entsprechenden Antrag in den Bundesrat eingebracht. Er
ist dann als Gesetzentwurf des Bundesrates verabschie-
det und dem Bundestag auf Drucksache 14/4661 zuge-
leitet worden. Jetzt haben Sie ihn abgeschrieben und als
eigenen Entwurf eingebracht. Ein Urheberrecht geltend
machen zu wollen wäre in der Tat sehr vermessen, Herr
Röttgen. Daher war Ihr Auftritt wirklich unsäglich.
Alles, was Sie vorgetragen haben, ist in der Debatte
nichts Neues. Darüber findet die rechtspolitische Dis-
kussion seit zwei Jahren statt.
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Hören Sie einen Augenblick geduldig zu! Ich komme
etzt zu Ihrer Kritik.
ie als Opposition fragen zu Recht das würde auch ich
n Ihrer Stelle so machen : Warum habt ihr euer Eck-
unktepapier in diesen zwei Jahren nicht umgesetzt?
arum ist noch nichts im Bundesgesetzblatt? Wo ist
uer Gesetzentwurf?
Wer ein bisschen vom Strafprozess versteht und wer
ören will, für den ist es relativ einfach.
ie Strafprozessordnung, die historisch betrachtet in ih-
em Kerngehalt als Magna Charta des Beschuldigten
onzipiert ist, stellt ein zusammenhängendes, verzweig-
es Normengeflecht dar, in dem bei der Verfolgung des
taatlichen Strafanspruches im Vor-, Zwischen- und
auptverfahren alles sehr kooperativ und zusammenfüh-
end geregelt ist. Sie müssen bei jeder einzelnen Neure-
elung, die Sie vornehmen wollen, die Gesamtkonzep-
ion beachten und dürfen sie nicht aus dem Auge lassen.
lles hängt mit allem zusammen und daher hat sich un-
er Eckpunktepapier nicht in dem einen Punkt erschöpft,
ondern wir haben zwölf Punkte vorgelegt, wie wir uns
in modernes, reformiertes Strafprozessrecht für die
ukunft vorstellen.
Dazu gehört nicht nur der Opferschutz, obwohl er bei
ns der Eckpunkt eins gewesen ist, sondern dazu gehö-
en auch die Stärkung der Rechte der Verteidigung, die
tärkung der Stellung des Beschuldigten im Strafverfah-
en, die Förderung konsensualer Elemente im Ermitt-
ungsverfahren, die Einführung eines Anhörungstermins
m Zwischenverfahren, die Eingangsstellungnahme der
erteidigung bereits in der Hauptverhandlung, die ver-
tärkte Verwertbarkeit von im Ermittlungsverfahren er-
obenen Beweisen, eine transparentere Hauptverhand-
ung mit Normierung von Verständigungselementen, der
ermehrte Einsatz technischer Mittel, die Optimierung
er Rechtsmittel von Berufung und Revision und eine
eihe von Einzelvorschlägen aus der Praxis, die hier
och hinzukommen.
In der Tat: Unser Eckpunktepapier war und ist sehr
nspruchsvoll. Das entspricht aber auch der skizzierten
ufgabenstellung; denn eine Strafprozessordnung kön-
en Sie nicht stückweise ändern, sonst passt nachher
ichts mehr zusammen. Das ist genau der Punkt.
Ich darf Ihnen daher heute sagen nun mache ich Ih-
en ein Angebot und dann können wir vielleicht wieder
ur sachlichen Arbeit zusammenkommen : Wir haben
it der Umsetzung dieses Eckpunktepapiers in einen
eferentenentwurf im Jahr 2001 begonnen und wir
3516 Deutscher Bundestag 15. Wahlperiode 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2003
)
)
Joachim Stünker
werden Ihnen noch im Herbst dieses Jahres eine umfas-
sende Novellierung der Strafprozessordnung, wie ich sie
eben skizziert habe, vorlegen.
Sie hören nicht zu, darum begreifen Sie nichts. Wenn
Sie mir zuhören würden, könnten Sie mir vielleicht fol-
gen und würden begreifen, was ich Ihnen zu erklären
versuche. Sie als Zivilrechtler scheinen nicht begreifen
zu können, wenn ich Ihnen sage, dass man die Vorschrif-
ten nicht stückweise ändern kann, sondern ein Gesamt-
konzept haben muss.
Wir werden Ihnen also im Herbst dieses Jahres hierzu
einen Entwurf vorlegen. Was wir nicht wollen, das sind
Teillösungen im Fünften Buch der Strafprozessordnung,
wie sie jetzt von Ihnen vorgelegt worden sind.
Teillösungen geben den Menschen im Ergebnis Steine
statt Brot. Das ist blinder Aktionismus, Rechtspolitik,
die nicht durchdacht ist und nur tagespolitisch opportun
erscheint, Herr Kollege Röttgen. Das ist Ihre Rechtspoli-
tik seit 1998 gewesen. Mit diesem Entwurf setzen Sie
diese Politik fort.
Ich bin sicher, dass wir, wenn wir diesen Weg ge-
meinsam gehen in der Sache sind wir ziemlich nahe
beieinander , sehr zeitnah in dieser Legislaturperiode
eine moderne Strafprozessordnung mit der besonderen
Betonung des Opferschutzes im Bundesgesetzblatt ste-
hen haben werden und ein modernes Strafverfahrens-
recht haben werden, das den Sicherheitsbedürfnissen der
Allgemeinheit, den Anforderungen der Praxis, den
Rechten der Beschuldigten und den Rechten und An-
sprüchen der Opfer jeweils gleichermaßen gerecht wird;
ich betone: gleichermaßen gerecht wird.
Ich fordere Sie auf: Lassen Sie uns diese große Auf-
gabe gemeinsam lösen. Sie ist es wert, dass sie gemein-
sam gelöst wird. Sie ist es aber nicht wert, opportunis-
tisch zur Tagespolitik gemacht zu werden, weil Ihnen
nichts anderes mehr einfällt, um die Bundesjustizminis-
terin treiben zu können. Denn Ihre Ausführungen zum
sexuellen Missbrauch von Kindern und zu den Anzeige-
pflichten, die normiert werden sollen, zeigen nur eines,
was bedenklich und bedauerlich ist: Sie instrumentalisie-
ren Rechtspolitik zur Tagespolitik, Herr Kollege
Röttgen, und damit springen Sie viel zu kurz. Damit
werden Sie im Ergebnis den Menschen in diesem Lande
und dem allgemeinen Wohl nichts Gutes tun.
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Der nächste Redner ist der Kollege Jörg van Essen,
DP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
ch bedauere es außerordentlich, dass der Kollege
tünker in dieser Debatte nicht den Ton gefunden hat,
en das Thema meiner Meinung nach verdient hat.
it kleinlichen Vorwürfen kommen wir und vor allen
ingen die Opfer von Verbrechen nicht weiter.
Ich denke, unsere Verpflichtung bzw. unser gemeinsa-
es Anliegen in der heutigen Debatte zum Thema Op-
erschutz ich freue mich sehr über diese Debatte, die
ir erstmals in der Kernzeit des Bundestages, also an
rominenter Stelle, führen sollte darin bestehen, Ver-
esserungen zu erzielen, eine Bestandsaufnahme vorzu-
ehmen und herauszufinden, an welcher Stelle Ergän-
ungen notwendig sind. Darin sehe ich auch den Sinn
einer Bemühungen als Redner der FDP in dieser De-
atte am heutigen Vormittag.
Ich möchte meine Rede in drei Teile aufteilen. Der
rste Teil soll sich mit Maßnahmen befassen, die keine
esetzlichen Änderungen erfordern, die aber nach mei-
er Auffassung den Opferschutz ein großes Stück voran-
ringen könnten.
In Baden-Württemberg ist auf Vorschlag einer Kom-
ission eine Einrichtung geschaffen worden, die sich als
ußerordentlich hilfreich erwiesen hat. Dort werden Re-
erendare junge Juristen, die sich in der Ausbildung
efinden darum gebeten, Zeugen, insbesondere Opfer-
eugen, vor der Gerichtsverhandlung zu betreuen, sie auf
ie Verhandlung vorzubereiten und ihnen diese zu erklä-
en. Das hat einen doppelten Vorteil: Auf der einen Seite
ühlen sich die Zeugen ernst genommen und auf der an-
eren Seite lernen junge Juristen, welche Folgen Verbre-
hen für die Opfer haben. Das prägt sie in ihrem weite-
en Werdegang. Wir Juristen ich bin von Beruf
berstaatsanwalt sind nämlich in der Regel zu sehr auf
ie Täter fixiert. Der Richter muss die Schuld feststellen;
ir Staatsanwälte müssen die Täter anklagen und der
erteidiger wird dafür bezahlt, dass er ihre Rechte wahr-
immt. Insofern übersehen wir sehr häufig die Opfer.
Ich begrüße es, dass das Modell in Baden-Württem-
erg ermöglicht, dass junge Juristen auch die Opferper-
pektive kennen lernen.
ch werbe dafür, dieses Modell bundesweit umzusetzen.
ch glaube, dass wir damit einen großen Schritt voran-
ommen würden.
Deutscher Bundestag 15. Wahlperiode 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2003 3517
)
)
Jörg van Essen
Auch ein weiterer Schritt zugunsten der Opfer erfor-
dert kein gesetzgeberisches Handeln. Ein Blick in die
Zeitungen zeigt, dass Journalisten in aller Regel sehr in-
tensiv über das Vorleben von Tätern berichten. Das kann
auch durchaus interessant sein, beispielsweise weil darin
einer der Gründe für die Tat liegen kann. Ich wünsche
mir aber auch, dass genauso intensiv über die Folgen ei-
ner Tat für das Opfer berichtet wird. Denn dadurch wird
auch deutlich, dass eine Tat in aller Regel nicht damit
endet, dass beispielsweise eine Geldbörse gestohlen oder
jemand zusammengeschlagen worden ist, sondern dass
die Wirkungen sehr viel länger anhalten. Die Taten ha-
ben häufig erhebliche Auswirkungen auf die Opfer. Ich
denke, dass eine intensivere Berichterstattung über die
Folgen einer Tat für die Opfer dazu beitragen würde,
dass die Opfer in der Gesellschaft ernster genommen
werden.
Der zweite Teil meiner Ausführungen soll sich mit
Maßnahmen befassen, die wir im Bundestag beschlossen
haben und mit deren Umsetzung ich nicht zufrieden bin.
Der Kollege Röttgen hat mit Recht darauf hingewiesen,
dass in der Wahlperiode 1994 bis 1998 mit der Einfüh-
rung des Opferanwalts um nur dieses Beispiel zu nen-
nen erhebliche Fortschritte im Opferschutz erzielt wor-
den sind. Ich danke an dieser Stelle dem ehemaligen
Bundesjustizminister Edzard Schmidt-Jortzig, der inzwi-
schen aus dem Bundestag ausgeschieden ist. Er hat we-
sentlich dazu beigetragen, diese Verbesserungen zu er-
reichen.
Wir haben es ermöglicht, dass zum Beispiel Verneh-
mungen aus einem Nebenraum übertragen werden
können, was insbesondere vergewaltigten Frauen hilft.
Ich habe es als Staatsanwalt häufig miterlebt, wie
schwierig es für vergewaltigte Frauen ist, in großer
räumlicher Nähe zum Täter zu sitzen, wenn sie als Zeu-
gin vernommen werden. Deshalb haben wir diese Mög-
lichkeit geschaffen. Ich ärgere mich darüber, dass in der
Praxis davon so wenig Gebrauch gemacht wird. Ein Si-
gnal in der heutigen Debatte muss sicherlich darin beste-
hen, die Erwartung des Bundestags zu bekräftigen, dass
von solchen bereits geschaffenen Möglichkeiten stärker
Gebrauch gemacht wird.
Das Gleiche gilt im Übrigen für die Einführung von
Aufzeichnungen in die Hauptverhandlung. Auch das
führt dazu, dass Belastungen insbesondere für kindliche
Opfer erheblich reduziert werden können. Ich erwarte
von meinen Kollegen in der Justiz, dass sie in diesem
Bereich mehr Feingefühl aufbringen und viel stärker als
bisher davon Gebrauch machen. In vielen Justizverwal-
tungen sind nämlich die entsprechenden Einrichtungen
dafür schon bereitgestellt worden. Ich weiß das aus mei-
nem eigenen Bundesland.
Im letzten Teil meiner Ausführungen möchte ich mich
damit befassen, was wir als FDP vorschlagen. Das erste
Thema muss die Entschädigung von Terroropfern sein.
Ich habe für meine Fraktion unmittelbar nach dem An-
schlag in Djerba im Bundestag eine Regelung beantragt,
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Es erscheint schwer vorstellbar, dass irgendjemand in
diesem Hohen Hause aus Prinzip gegen eine Stärkung
der Rechte der Opfer im Strafverfahren ist.
Opferschutz kann sich aber nicht auf das Strafverfahren
beschränken, sondern muss viel früher anfangen.
Wir haben in unserer bisherigen Regierungszeit unser
Augenmerk darauf gerichtet, Menschen zu helfen, gar
nicht erst Opfer von Straftaten zu werden, sich gegen
Straftaten selbst und mithilfe des Staates zur Wehr zu
setzen und mit zivilen Mitteln des Rechts einzugreifen.
Aus einer ganzen Reihe von Maßnahmen will ich an die-
ser Stelle folgende erwähnen: Das Gewaltschutzgesetz
hilft Frauen gegen häusliche Gewalt. Das Kinderrechte-
verbesserungsgesetz hilft Kindern. Wir setzen die Ak-
tionspläne der Bundesregierung zur Bekämpfung von
Gewalt gegen Frauen und zum Schutz von Kindern und
Jugendlichen vor sexueller Gewalt und Ausbeutung um.
Das von uns gegründete Deutsche Forum für Kriminal-
prävention leistet wichtige Beiträge zur Entwicklung
langfristiger Präventionsstrategien.
Der Opferschutz im Strafverfahren und vor allem
seine Stärkung ist zweifelsohne auch ein wichtiges
Thema. Er ist durch das Opferschutzgesetz von 1986
und das Zeugenschutzgesetz von 1998 Sie haben
diese bereits erwähnt, Herr Röttgen in der Strafpro-
zessordnung verankert. Das bedeutet aber nicht, dass wir
uns über weitere notwendige Verbesserungen keine Ge-
danken machen.
Aber Sie, meine Damen und Herren von der CDU/CSU,
müssen sich an diesen beiden Gesetzen, die in Ihrer Re-
gierungszeit beschlossen wurden, und an Ihren früheren
Aussagen zum Opferschutz im Strafprozess messen las-
sen.
In der Einleitung des Gesetzentwurfs, über den wir
heute beraten, steht das haben auch Sie angeführt, Herr
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as wollen Sie denn jetzt? Halten Sie eine grundlegende
eubestimmung für notwendig oder kann im Wesentli-
hen alles beim Alten bleiben? Das waren doch 1997
hre Überlegungen.
Diesen Widerspruch können wir auflösen, indem wir
ns zwei Fragen widmen. Die erste ist: Woher kommt
hr Gesetzentwurf? Er kommt eigentlich gar nicht von
hnen.
Nein! Im Bundestagsprotokoll vom 21. Juni 2001 ist
ine Rede der damaligen hamburgischen Justizsenatorin
eschel-Gutzeit zu lesen. Legen Sie bitte Ihren Gesetz-
ntwurf als Blaupause auf das Original dieser Rede!
err Röttgen, Sie haben alles Wort für Wort abgekup-
ert!
n der allgemeinen Begründung steht kein einziger ei-
enständiger Satz von Ihnen; alles ist wortwörtlich abge-
chrieben!
Es gibt noch eine Erklärung für Ihren Sinneswandel.
s könnte sein, dass Sie glauben, Sie hätten in Ihrer Re-
ierungszeit doch viel zu wenig für Opfer getan, weswe-
en Sie jetzt aus der Opposition heraus nachlegen wol-
en. Wenn ich mir dieses Gesetz anschaue, stelle ich aber
est: Sie haben etwas völlig anderes im Sinn. Unter dem
orwand des Opferschutzes wollen Sie Verteidiger-
nd Verteidigungsrechte so beschneiden, dass die fra-
ile Balance der Rechte im Strafprozess Herr Stünker
at das angesprochen völlig zerstört wird.
Ich will Ihnen dafür Belege liefern, die in Ihrem Ge-
etzentwurf stehen.
Deutscher Bundestag 15. Wahlperiode 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2003 3519
)
)
Jerzy Montag
Erstens. Durch die Änderung des § 58 a StPO wollen
Sie das Akteneinsichtsrecht des Verteidigers in Akten-
teile aushebeln, die als Ton- und Bildaufnahmen von
Zeugenaussagen vorliegen. Was haben Sie 1997 zu die-
sem Vorschlag selbst gesagt? Sie haben gesagt, dass Sie
darauf verzichten,
weil dies die Rechte und Befugnisse des Verteidi-
gers unzumutbar beeinträchtigt.
Der Verteidiger des Beschuldigten ist in der Regel
auf Kopien der Videobänder angewiesen.
Das sind Ihre Worte, meine Damen und Herren von der
Opposition.
Da habe ich Sie zitiert.
Zweiter Punkt. Mit der Änderung des § 247 a StPO
wollen Sie das so genannte Mainzer Modell der Be-
weisaufnahme als Regel in die Strafprozessordnung
einführen, und zwar nicht in der Form, wie das jetzt der
Fall ist und wie ich das auch begrüße. In geeigneten Son-
derfällen ist das Gericht vollständig mit allen Verfah-
rensbeteiligten im Gerichtssaal und der Zeuge oder die
Zeugin wird aus einem anderen Saal heraus vernommen.
Nach Ihrem Vorschlag jedoch soll der Vorsitzende allein
mit dem Zeugen irgendwo sitzen. Die Verfahrensbetei-
ligten werden zu Statisten. Sie sind nicht mehr aktiv Be-
teiligte an einem Prozess, sondern sie erleben eine Live-
show über Video. Das ist eine Perversion des
Strafprozesses.
Deswegen haben Sie, Herr Röttgen, das 1997 mit folgen-
den Worten abgelehnt Zitat : Eine solche Regelung
würde schwierigste strafprozessuale Fragen aufwerfen.
Das tut sie tatsächlich. Ich könnte das im Einzelnen auf-
führen. Dazu fehlt aber die Zeit.
Drittens. Mit der Änderung des § 405 StPO wollen Sie
die Strafgerichte zwingen Sie wollen sie zwingen! , in
allen Fällen des versuchten Mordes, des versuchten Tot-
schlags, der Vergewaltigung und hören Sie zu! in al-
len Fällen der Körperverletzung, also im absoluten Mas-
sengeschäft des Amtsgerichts, die Adhäsion
durchzuführen, und zwar auch dann, wenn das Gericht
nach sorgfältiger Prüfung in dem konkreten Strafprozess
eine Adhäsion für ungeeignet hält. Ich wünsche Ihnen
viel Spaß bei dem Gespräch mit den Rechtspraktikern
über diesen Vorschlag!
Viertens. Mit der Änderung des § 241 a StPO wollen
Sie dem Staatsanwalt und dem Verteidiger bezogen auf
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Herr Röttgen, Opferschutz wird von uns so gemacht
erden, wie der Kollege Stünker es skizziert hat. Diesen
esetzentwurf werden wir mit Ihnen sicherlich nicht
eiterverfolgen.
Danke schön.
Das Wort hat die Kollegin Michaela Noll, CDU/CSU-
raktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
äglich hören oder lesen wir von Pädophilie, Kinderpor-
ographie und Sexualstraftaten. Wir reagieren erschüt-
ert, vor allem wenn Frauen und Kinder die Opfer sind.
nser Mitleid gehört allein den Opfern oder Hinterblie-
enen. Ihnen, Herr Stünker, empfehle ich, einmal mit
pfern zu reden. Dann müssten Sie wissen, dass endlich
ehandelt werden muss.
Jetzt habe ich das Rederecht.
Mit dem hier zu debattierenden Gesetzentwurf wer-
en die Rechte der Opfer im Strafprozess gestärkt. Wa-
um eine Stärkung der Rechte der Opfer? Weil Mitleid
ür die Opfer nur so lange vorhält, bis der Täter oder die
äterin vor Gericht steht. Dann fordert unsere humane
esellschaft, dem Täter Gerechtigkeit widerfahren zu
assen. Ist der Täter gefasst, rückt er ins Blickfeld der
ffentlichkeit. Die Ausrichtung aller Interessen ist auf
3520 Deutscher Bundestag 15. Wahlperiode 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2003
)
)
Michaela Noll
den Täter gerichtet: seine Persönlichkeit, seine Verant-
wortlichkeit, seine rechtliche Stellung. Die schreckliche
Kindheit, die Schulprobleme, die soziale Inkompetenz
werden berücksichtigt, die Schuldfähigkeit wird geprüft,
Therapievorschläge werden unterbreitet. Dies hat zu ei-
ner starken Täterorientierung geführt. Da muss man
sich natürlich die Frage stellen: Welche Rolle spielt das
Opfer? Ich meine: eine zu geringe. Zwar hat sich die Po-
sition des Opfers im Strafprozess verbessert, dennoch
gibt es bislang keinen umfassenden Schutz von Opfer-
zeugen.
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, wenn wir
verlangen, dass sich die Bevölkerung im Interesse einer
Bekämpfung der Kriminalität aktiver als bisher einsetzt,
dann müssen die Tatopfer auch die Gewissheit haben,
dass sie im Strafverfahren keine Nachteile und keine ent-
würdigende Behandlung erfahren. Nicht nur der Täter
hat einen Anspruch auf ein faires Verfahren. Das gilt
im besonderen Maße auch für die Opfer. Davon sind wir
weit entfernt. Viele Opfer fühlen sich im Verfahren er-
neut als Opfer.
Fakt ist: 91 Prozent aller Straftaten werden von Bür-
gern angezeigt und nicht von den Ermittlungsbehörden
entdeckt. Von diesen 91 Prozent sind wiederum
71 Prozent Straftaten, die von den Opfern angezeigt wer-
den. Was heißt das? Die Strafrechtspflege ist nur dann
funktionstüchtig, wenn die Opfer anzeige- und aussage-
bereit sind. Wenn wir diese Bereitschaft fördern wollen,
dann muss das erste Opferschutzgesetz in vielfacher
Hinsicht neu geregelt werden.
Wenn Sie von der Regierungskoalition den Opferschutz
ernst nehmen, dann müssen Sie in der weiteren Diskus-
sion ich nenne nur das Stichwort nachträgliche Siche-
rungsverwahrung Farbe bekennen und klar Ja oder
Nein sagen. Jein geht da nicht.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, kein Gesetz ändert
von sich aus die Situation von Opferzeugen. Ziel die-
ses Gesetzentwurfes ist es unter anderem, die Situation
der kindlichen Zeugen in der Hauptverhandlung durch
Einführung des Mainzer Modells zu verbessern. Zur Er-
innerung und damit das Publikum diesem Vortrag auch
folgen kann: Bereits Mitte der 90er-Jahre wurde in dem
so genannten Wormser Missbrauchsprozess Videotech-
nologie zum Schutz der kindlichen Zeugen eingesetzt.
Zur Vernehmung begab sich der Richter in einen Extra-
raum, sie wurde aber per Video in den Sitzungssaal über-
tragen. Dieses Verfahren wurde dann als Mainzer Mo-
dell bekannt.
Der Gesetzgeber hat das Mainzer Modell in Ermitt-
lungsverfahren in § 168 e StPO bereits zugelassen. Op-
ferschutz für Kinder muss heißen: Orientierung am
Wohl des Kindes. Die Ausweitung des Mainzer Mo-
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nd eine Vertrauensperson hinzuziehen zu können. Die-
er Rechtsanspruch ist vielen unbekannt.
Die Einführung einer Belehrungspflicht in § 81 d
bs. 1 hilft der Frau, ihr Unterlegenheitsgefühl abzu-
auen, und zeigt eine besondere Sensibilität für ihre Si-
uation.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, unterstützen Sie
itte den Gesetzentwurf der CDU/CSU-Fraktion im Inte-
esse eines bestmöglichen Opferschutzes im Strafpro-
ess. Der Opferschutz sollte uns allen am Herzen liegen.
assen Sie die Opfer nicht erneut zu Opfern werden!
Danke schön.
Deutscher Bundestag 15. Wahlperiode 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2003 3521
)
)
Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär bei
der Bundesministerin der Justiz, Alfred Hartenbach.
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Verehrte Frau Präsidentin! Verehrtes Präsidium! Ver-
ehrte Kolleginnen und Kollegen! Opfer von Straftaten,
besonders Frauen und Kinder, bedürfen aller nur mögli-
chen Aufmerksamkeit und Unterstützung auch von staat-
licher Seite. Wir alle haben noch die Bilder schlimmer
Verbrechen aus jüngster Zeit vor Augen. Es kann nicht
oft genug betont werden, dass wir alles tun müssen, da-
mit es gar nicht erst zu solchen Straftaten kommt. Wenn
wir uns darin einig sind, haben wir eigentlich schon ge-
wonnen.
Die eine Seite der Medaille ist: Der Gesetzgeber muss
im Strafgesetzbuch Strafandrohungen vorsehen, die auf
potenzielle Täter abschreckend wirken und eine konse-
quente Strafverfolgung ermöglichen. Dort, wo die Erhö-
hung von Strafandrohungen sinnvoll ist und wo schär-
fere Sanktionen tatsächlich zu einem besseren Schutz
vor Straftaten führen, werden wir das Recht ändern. Des-
halb entwickeln wir gerade die Strafvorschriften gegen
sexuellen Missbrauch von Kindern, Jugendlichen, behin-
derten und widerstandsunfähigen Menschen fort und
schließen dabei empfindliche Strafbarkeitslücken.
Dazu gehört auch die Anzeigepflicht von Kindes-
missbrauch. Bei diesem Punkt, verehrter Herr Kollege
Dr. Röttgen, haben Sie sich heute wieder einmal als ein
Bratenwender der Rechtspolitik erwiesen.
Sie wenden den Braten Rechtspolitik und das Sachthema
Opferschutz so lange hin und her, bis der Braten ver-
brannt ist. Für Sie aber bleibt ein trübes, erkleckliches
Sößlein übrig, mit dem Sie Ihre populistischen Belange
befriedigen.
Wenn Sie exakt zitiert hätten, wüssten Sie, dass nicht
eine bloße Vermutung, wie Sie gesagt haben, die Anzei-
gepflicht auslöst, sondern die sichere Kenntnis, dass
strafbare Handlungen gegenüber Kindern vorgenommen
werden. Nur dann besteht die Anzeigepflicht wenn zum
Wohle des Kindes keine anderen Möglichkeiten beste-
hen, den sexuellen Missbrauch zu verhindern. Ich weiß
nicht, was Ihr Grinsen soll, Herr Röttgen. Das Thema ist
ernst genug.
Was ist denn die Anzeigepflicht? Die Anzeige erfolgt
entweder bei der Polizei oder bei einer Behörde; das
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übrigens geprägt vom DFK und unter der Schirmherr-
chaft Ihres Kanzlerkandidaten für 2010, von Herrn
ulff, war eine eindrucksvolle Veranstaltung.
Terroropfer, Herr van Essen, finden natürlich unsere
esondere Aufmerksamkeit. Ich denke, es muss an die-
er Stelle erwähnt werden, dass wir im Haushalt
Millionen Euro für die Entschädigung solcher Terror-
pfer eingesetzt haben, wie zum Beispiel der Opfer des
erroranschlags von Djerba. Wir haben sofort reagiert,
ie auch nach dem Terroranschlag auf Bali.
Ich bitte Sie, sich folgende Frage zu stellen: Muss die-
er Staat für alles Gesetze schaffen,
amit überall und zu jeder Zeit die Sicherheit garantiert
ird? Es gibt auch andere Methoden wie zum Beispiel
ie Fondslösung, die wir in diesem Fall bevorzugen. Ich
in gerne bereit, mit Ihnen dieses Thema etwas exakter
u besprechen.
Unser Recht werden wir dort reformieren, wo es im
nteresse der Opfer, der Prävention, der Resozialisierung
nd des fairen Verfahrens geboten ist. Hier geht es vor
llem auch um die Hilfe für Schwächere, wie sie schon
ie sozialdemokratische Rechtspolitik der letzten Legis-
aturperiode geprägt hat. Die Stärkung des Täter-Opfer-
usgleichs im Strafverfahren und die Einführung der
3522 Deutscher Bundestag 15. Wahlperiode 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2003
)
)
Parl. Staatssekretär Alfred Hartenbach
vorbehaltenen Sicherungsverwahrung sind Beispiel da-
für.
Seit März 2001 gelten auf der Grundlage eines Rah-
menbeschlusses in allen Mitgliedstaaten der EU einheit-
liche Mindeststandards für die Rechte des Verletzten
im Strafverfahren. Daran werden wir anknüpfen, auch
unter Beachtung der Tatsache diese wollen wir nicht
leugnen , dass unser Opferrecht in Europa vorbildlich
ist. Die anderen europäischen Staaten sollten in diesem
Bereich bitte nachziehen.
Auch in praktischen Bereichen ist vieles verbessert
worden. Ich möchte hier nur zwei vom Bundesministe-
rium der Justiz herausgegebene Informationswerke nen-
nen, an denen übrigens die Länder in dankenswerter
Weise mitgearbeitet haben, nämlich die Handreichung
zum Schutz kindlicher Opferzeugen und die Opfer-
fibel. Auch das ist Opferschutz, Herr Dr. von Röttgen.
Wer eine Tankstelle, ein Dorf und ein Schloss hat, den
kann man schon mal adeln.
Weitere Verbesserungen der Rechte des Verletzten im
Strafverfahren sind notwendig. Ich kann daher der Ziel-
richtung Ihres Gesetzentwurfs in Grundzügen zustim-
men. Der Gesetzentwurf entspricht ja aufs Komma dem
Entwurf des Bundesrates aus der vergangenen Legisla-
turperiode, initiiert von der ehemaligen Hamburger
SPD-Justizsenatorin Peschel-Gutzeit. Wenn Sie Ihre Re-
den von damals vor allen Dingen die Reden von Herrn
Kollege Geis ernst nehmen würden, dann dürften Sie
diesen Gesetzentwurf eigentlich gar nicht einbringen.
Außerdem zeigt Ihr Entwurf, dass Sie nicht mehr auf der
Höhe der rechtspolitischen Diskussion sind.
Seit dem Wirken von Frau Peschel-Gutzeit sind drei
Jahre ins Land gegangen. Die Fragestellungen sind in
dieser Zeit aber ganz andere geworden. Mit diesen neuen
Fragestellungen müssen Sie sich befassen.
Ich komme noch darauf zu sprechen. Nur ruhig Blut!
Ich will auch nicht verhehlen, dass Ihr Entwurf an
manchen Stellen einfach zu kurz greift. Ich nenne Ihnen
zwei Beispiele: Sie wollen die Information des Verletz-
ten verbessern, begnügen sich aber damit, dass in der
Zeugenladung auf Vorschriften und Betreuungsmöglich-
keiten hingewiesen werden soll. Was fehlt, ist ein um-
fassender Informationsanspruch des Verletzten über
die Umstände, die für ihn wichtig sind, wie zum Beispiel
die Frage nach dem Fortgang und vor allem nach dem
Ausgang des Verfahrens. Auch Ihre vorgelegten Vor-
schläge zum Adhäsionsverfahren werden kaum etwas
daran ändern. Ihre Umsetzung würde leider nur dazu
führen, dass diese Verfahrensart ein Schattendasein
führt. Ich sage Herr van Essen, Entschuldigung, ich
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er umfassend und systematisch in sich geschlossene
egelungen zu den Rechten von Verletzten und Zeugen
m Strafverfahren enthalten wird. Wir werden dabei auf
orgfältige Vorarbeiten zurückgreifen können Herr
tünker hat das Eckpunktepapier schon erwähnt , die
nter anderem durch eine Sachverständigenanhörung
um Adhäsionsverfahren und ein Gutachten der Großen
trafrechtskommission des Deutschen Richterbundes
ur Nebenklage geleistet worden sind.
Ich will einige Kernpunkte nennen, über die wir
och sehr eingehend diskutieren werden: Wir stärken die
erfahrensrechte der Verletzten, also der Personen, die
urch eine Straftat zu Schaden gekommen sind, indem
ir den Anwendungsbereich für den Opferanwalt und
ie Beistandsrechte bei Vernehmungen erweitern sowie
ie Beiordnung von Dolmetschern vorsehen. Wir erwei-
ern die Informationsrechte der Verletzten. Sie sollen
erminmitteilungen und Informationen zum Verfahren
rhalten, damit sie wissen: Was passiert in dieser Sache,
n der ich durch eine Straftat zu Schaden gekommen bin?
ies tun wir, Herr Röttgen, nicht nur mithilfe einer Ver-
altungsanordnung wie in Bayern, sondern auf einer ge-
etzlichen Grundlage.
Wir führen zudem eine umfassende Hinweispflicht
in, damit der Verletzte erfährt, welche Rechte er hat.
ie Schadenswiedergutmachung verbessern wir durch
en Ausbau und die Weiterentwicklung des Adhäsions-
erfahrens, damit Schadensersatzansprüche der Verletz-
en gleich im Strafverfahren mit erledigt werden können.
ir erweitern und konzentrieren die Nebenklage auf De-
ikte, die Menschen besonders tief in ihrer Persönlichkeit
erletzen. Dazu zählen unter anderem Opfer von Prosti-
ution oder Zuhälterei. Gerade sie brauchen das Recht
ur Nebenklage, um aktiv am Strafverfahren teilnehmen
u können.
Lassen Sie mich nun in den letzten 75 Sekunden mei-
er Redezeit etwas zum Entwurf des Bundesrates zum
iderruf der Strafaussetzung und der Strafrestaus-
etzung sagen. In diesem Entwurf geht es um Fälle, in
enen ein Gericht im Rahmen einer nachträglichen Ge-
amtstrafenbildung oder einer Strafrestaussetzung eine
ewährung ausgesprochen hat und dabei nicht wusste,
ass der Betroffene zwischenzeitlich schon wieder eine
eue Straftat begangen hat. Hiergegen etwas zu tun ist
Deutscher Bundestag 15. Wahlperiode 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2003 3523
)
)
Parl. Staatssekretär Alfred Hartenbach
sicherlich ein berechtigtes Anliegen. Allerdings waren
solche Fälle in der Praxis schon immer eine Seltenheit.
Seit Herbst 1998 haben wir zudem das Zentrale
Staatsanwaltschaftliche Verfahrensregister, an das mitt-
lerweile lediglich drei kleinere Bundesländer noch nicht
angeschlossen sind. Es dürfte jetzt nur noch in wenigen
Einzelfällen zu Bewährungsentscheidungen auf unzurei-
chender Tatsachengrundlage kommen. Die Staatsanwalt-
schaften können heute nahezu bundesweit auf Informa-
tionen über fast sämtliche laufenden Strafverfahren
zurückgreifen. Damit erfahren sie auch von Straftaten,
die noch nicht rechtskräftig abgeurteilt sind, aber bereits
zu staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen geführt haben.
Auch wenn sich das Problem damit sehr relativiert,
müssen wir bedenken, dass eine solche Regelung, wie
sie vorgeschlagen worden ist, immerhin die Rechtskraft
einer früheren Bewährungsentscheidung durchbricht.
Wir werden also auch da sehr sorgfältig prüfen, wie wir
hier vorgehen können.
Wir wollen all diese Dinge nicht punktuell wie die
Fliegenpilze im Wald, sondern in einem großen, um-
fangreichen Reformprojekt der Strafprozessordnung re-
geln. Dazu lade ich Sie, Herr Kollege van Essen, sehr
herzlich ein; die Rest-FDP, die anwesend ist, natürlich
auch. Sie, Herr Kollege Dr. Röttgen, natürlich auch Sie,
Frau Noll Sie haben dankenswerterweise sehr vernünf-
tig und gut über das Thema der Opfer gesprochen , und
ihre Fraktion sowie meine Kolleginnen und Kollegen der
Koalition wissen uns Arm in Arm in einem Boot.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Nächster Redner ist der Kollege Siegfried Kauder,
CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich bin
seit gut einem halben Jahr im Deutschen Bundestag und
seit mehr als zehn Jahren aktiv in der Opferarbeit tätig.
Lassen Sie mich deswegen die Diskussion, so wie ich sie
heute miterlebt habe, einmal aus der Sicht eines Opfer
schützenden Mitarbeiters Revue passieren! Es wird über
Urheberrechte diskutiert. Das habe ich in einer Diskus-
sion über Opferschutzrechte noch nie erlebt. Eines kann
ich Ihnen allen mit nach Hause geben: Keiner der hier
Anwesenden hat ein Urheberrecht auf Opferschutzge-
danken. Urheberrechte haben Zehntausende von ehren-
amtlich Tätigen in Deutschland, die tagtäglich mit Op-
fern zu Gerichten gehen, sie nach traumatisierenden
Erlebnissen betreuen und aus dieser täglichen Arbeit
wissen, was Schutz für Opfer bedeutet und wo Lücken
bestehen.
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ass man immer wieder etwas hineingeflickt hat.
Der große Wurf gelingt nicht.
Sie fragen, warum nicht?, Herr Ströbele? Sie von
ot-Grün kritisieren die Stellen in unserem Entwurf, die
ie nicht mittragen wollen. Mir wäre es viel lieber, wenn
ir uns an einen Tisch setzten und Sie mitteilten, wo Sie
itmachen wollen.
Es gibt einen Aspekt, den Sie gar nicht anzusprechen
agen: Warum ist der Prozess über einen jugendlichen
traftäter nicht öffentlich alle sind ausgeschlossen
nd der Prozess über ein jugendliches Tatopfer öffent-
ich? Sollten wir darüber nicht einmal diskutieren?
Herr Stünker, ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mir
uhörten. Nehmen Sie es mir nicht übel, aber davon ha-
en Sie zu wenig Ahnung. Der Prozess ist öffentlich, nur
ährend der Vernehmung des Zeugen ist die Öffentlich-
eit ausgeschlossen.
Wir lassen die Opfer seit vielen Jahren in wichtigen
spekten im Regen stehen. Das darf nicht sein.
as Adhäsionsverfahren, das ein Schattendasein ge-
ießt, obwohl es für die Opfer existenziell wichtig ist,
eil sie auf anderem Wege nicht zu ihrem Schadenersatz
ommen, muss wieder belebt werden.
Herr Staatssekretär, ich danke Ihnen, dass Sie auf eine
xpertenanhörung zum Adhäsionsverfahren hingewie-
en haben. Sie fand vor etwa drei Jahren statt. Ich war
azu eingeladen und habe bis heute noch nichts über die
rgebnisse dieser Expertenbefragung gehört. Ich kann
hnen eines sagen: Schauen Sie einmal in die Schublade
hrer Ministerin! Ganz unten liegt mein komplett ausge-
rbeiteter Gesetzentwurf. Sie bräuchten ihn nur aus der
chublade zu nehmen. Das ist aber nicht mehr nötig,
eil er in unserem Antrag enthalten ist.
3524 Deutscher Bundestag 15. Wahlperiode 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2003
)
)
Siegfried Kauder
Ist es gerecht, dass das Opfer eines versuchten Tö-
tungsdelikts den Opferanwalt auf Staatskosten bekommt,
die Hinterbliebenen eines getöteten Tatopfers aber nicht?
Hier mache ich niemandem in der Politik einen Vorwurf,
man hat wohl nicht daran gedacht. Muss man jetzt aber
ein großes Reformwerk abwarten, um diese Lücke zu
schließen? Lassen Sie uns Eckpunkte beschließen: das
Adhäsionsverfahren und der Hinterbliebenenanwalt
auf Staatskosten.
Ich möchte Ihnen an einem Beispiel plakativ vor Au-
gen führen auch das haben wir in unseren Antrag auf-
genommen , wie der Stand des Opferschutzes in
Deutschland ist: Eine sexuell missbrauchte Frau muss
sich auf Tatspuren untersuchen lassen. Die Untersu-
chung führt eine Frau oder ein Arzt durch. Sie findet
durch einen Arzt statt, wenn das Schamgefühl der Frau
verletzt ist. Was Schamgefühl ist, ist nach objektiven
Kriterien zu bestimmen, so ist die derzeitige Gesetzes-
lage.
Ich bin der Meinung, es kommt auf das subjektive
Gefühl der Frau an. Unter dem Eindruck der Tat, die ein
Mann begangen hat, muss sie durchaus sagen dürfen, ich
will in dieser Situation nicht von einem Mann untersucht
werden.
Das lässt die derzeitige Gesetzeslage schlicht und ergrei-
fend nicht zu. Überlegen Sie einmal, was das für den Op-
feranwalt bedeutet: Wenn eine misshandelte Frau nicht
von einem Mann untersucht werden will, kann der Rich-
ter die zwangsweise Untersuchung dieser Frau durch ei-
nen Mann anordnen.
Der Opferanwalt kann Beschwerde einlegen, die keine
aufschiebende Wirkung hat. Bis darüber entschieden
wurde, ist das Opfer längst untersucht.
Die Frage ist genau richtig.
Ich lade Sie ein, die Praxis zu erleben. Das, was Sie hier
tun, ist nichts anderes, als über Dinge zu theoretisieren,
von denen Sie das sage ich hier so offen, wie ich es
meine viel zu wenig Ahnung haben,
weil Sie sich um die Praxis nicht kümmern.
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Der Opferschutz ist eine Baustelle mit vielen Facet-
en. In einem Punkt gebe ich dem Kollegen Montag
echt:
pferschutz ist immer auch ein Aspekt, den man unter
em Gesichtspunkt einzuschränkender Verteidigungs-
echte von Tätern, die ja noch Beschuldigte sind, für die
ie Unschuldsvermutung spricht, sehen muss.
eswegen ist das immer eine Gratwanderung.
Die Beispiele, die ich Ihnen vor Augen geführt habe,
chränken die Verteidigungsrechte nicht ein.
ine Maßnahme jedoch, die wir vorsehen, schränkt die
erteidigungsrechte ein. Wir wollen nämlich nicht, dass
ideos von Vernehmungen der Tatopfer dem Verteidi-
er ausgehändigt werden; aber nicht etwa, weil wir den
erteidigern misstrauen. Seit der BGH-Entscheidung in
GHSt 29, Seite 99 f., wissen wir Anwälte, dass wir die
nterlagen, die wir in Kopien und Mehrfertigungen vom
ericht bekommen, dem Mandanten aufgrund des Man-
atsverhältnisses aushändigen müssen.
er Mandant hat seit dieser BGH-Entscheidung darauf
inen Anspruch. Wir wollen nicht, dass der Verteidiger
n die Bredouille kommt, Unterlagen an den Mandanten
erausgeben zu müssen, die die Persönlichkeitsrechte
es Opfers betreffen.
eswegen wollen wir die Änderung dieser gesetzlichen
orschriften.
Ich bin mir sicher, dass in der Sache kein großer Dis-
ens besteht.
Deutscher Bundestag 15. Wahlperiode 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2003 3525
)
)
Siegfried Kauder
Ich bin mir aber sicher, dass wir noch lange nicht alles
gemacht haben, was wir im Opferschutz tun könnten. Ich
wäre Ihnen allen herzlich dankbar, wenn Sie mein Angebot
annehmen das meine ich auch für mich persönlich und
wir uns an einen Tisch setzen würden, um zu überlegen,
wie wir den Opferschutz so gestalten können, dass wir nicht
in zwei Jahren schon wieder eine Diskussion darüber füh-
ren müssen. Es muss Schluss sein damit, dass Opfer ih-
ren Rechten immer hinterherrennen müssen. Lassen Sie
uns als deutsches Parlament in diesem Punkt einmal den
Vorreiter spielen!
Vielen Dank.
Nächster Redner ist der Kollege Christian Ströbele,
Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-
gen! Herr Kollege Kauder, lassen Sie uns von Kollege zu
Kollege, vielleicht auch von Anwaltskollege zu An-
waltskollege reden. Einiges von dem, was Sie gesagt ha-
ben, ist richtig, anderes ist einfach nicht richtig. Ich will
versuchen, das in den dreieinhalb Minuten Redezeit, die
mir zur Verfügung stehen, zu sortieren.
Richtig ist das stand auch in dem Entwurf aus Ham-
burg , dass sich in den letzten Jahren bzw. Jahrzehnten
die Bedürfnisse so schreiben Sie; ich würde lieber sa-
gen: die Interessen der Opfer mehr in das Blickfeld
und das Bewusstsein der Bevölkerung und damit auch
des Gesetzgebers gerückt worden sind. Das ist richtig
und da muss man weitermachen.
Ich fange mit einer Selbstkritik an: Ich habe seit Ende
der 60er-Jahre in vielen Strafprozessen verteidigt, auch
in Strafprozessen, in denen es um Vergewaltigung ging,
in denen ich also einen der Vergewaltigung Beschuldig-
ten verteidigt habe. In den Jahren und Jahrzehnten da-
nach habe ich in der Anwaltschaft in Berlin, aber auch in
anderen Städten eine sehr heftige und sehr emotionale
Diskussion darüber erlebt, ob unsere Praxis in den 70er-
Jahren richtig war oder ob wir nicht die Opfer erneut zu
Opfern gemacht haben. Das hat dazu geführt, dass viele
Kollegen ich habe das auch eine Zeit lang praktiziert
gesagt haben: Wir können es nicht mehr verantworten,
solche Beschuldigten zu verteidigen. Das war eine sehr
ans Eingemachte gehende Diskussion unter der Anwalt-
schaft. Heute sieht man das etwas geläuterter, fordert
aber natürlich nicht etwa, weil man die Opferinteres-
sen wieder hintanstellt , dass jeder Richter, Staatsan-
walt und auch jeder Verteidiger die Opferinteressen im
Strafprozess berücksichtigt.
Was für die Praktiker gilt, gilt natürlich auch für den
Gesetzgeber. Dazu sage ich Ihnen: Der Entwurf in der
jetzt vorliegenden Fassung ist unzureichend und ordnet
sich nicht genügend in die geltende Strafprozessordnung
mit dem notwendigen Schutz auch der Interessen des
Beschuldigten ein.
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Ihre Behauptung, dass es heute Richter gibt, die ent-
prechende Anordnungen gegen den Willen des betroffe-
en Opfers treffen, also beispielsweise bei einer Frau an-
rdnen, dass sie sich von einem männlichen Arzt
ntersuchen lassen muss, ist einfach nicht richtig. Ich
eiß nicht, wo Sie praktiziert haben, aber in Berlin wird
elbstverständlich schon heute darauf Rücksicht genom-
en. Herr Kollege Röttgen, Sie haben ein anderes Bei-
piel genannt, wo das in der Praxis schon richtig ge-
acht wird. Ich sagen Ihnen: Das hier ist einer der ersten
ereiche gewesen, in denen so etwas möglich war.
Genauso wenig ist das richtig, was Sie, Herr Kollege
auder, gesagt haben. Ich selber habe in spektakulären
trafprozessen Nebenkläger vertreten, und zwar auf
taatskosten. Hierzu gehört beispielsweise das Strafver-
ahren zum Anschlag in Mölln dabei sind eine Reihe
on türkischen Bürgerinnen und Bürgern zu Tode ge-
ommen , bei dem ich die Nebenkläger gegen die da-
als Verdächtigen und inzwischen verurteilten Täter
ertreten habe. Es gibt also schon heute die Möglichkeit,
ass Anwälte auf Staatskosten die Nebenkläger vertre-
en. Dies tun sie hoffentlich auch wirksam und nehmen
uch bei langen Prozessen an jedem Verhandlungstag
eil. Das, was Sie gesagt haben, ist einfach nicht richtig.
Wir müssen dieses Gesetz an die heutige Zeit anpas-
en, es vervollständigen und vor allen Dingen dafür sor-
en, dass eine ausgewogene Balance hergestellt wird,
ine ausgewogene Balance zwischen den berechtigten
nteressen der Opfer, die berücksichtigt werden müssen
da sind wir in vielen Einzelheiten konform , und den
erechtigten Interessen der Angeklagten, die nicht hint-
ngestellt werden dürfen, sondern auch ausreichend be-
ücksichtigt werden müssen.
Daran fehlt es Ihrem Gesetzentwurf, so wie er vor-
iegt, in vielen Punkten. Natürlich ist es richtig, dass Op-
er möglichst früh die Möglichkeit erhalten sollen, sich
er Hilfe eines Anwalts oder einer Anwältin zu bedie-
en, und dass diese staatlich finanziert wird. Aber dann
üssen wir auch dafür sorgen, dass im gleichen Stadium
es Verfahrens, das ja unter dem Gesichtspunkt der Waf-
engleichheit organisiert ist ich sage nur fair trial ,
uch die Beschuldigten einen Anwalt oder eine Anwältin
ekommen, wenn sie wollen. Wir müssen dafür sorgen,
ass die Balance gewahrt bleibt das ist in Ihrem Geset-
esvorhaben überhaupt nicht berücksichtigt , und dass
ir wichtige rechtsstaatliche Errungenschaften unserer
trafprozessordnung nicht aufs Spiel setzen.
3526 Deutscher Bundestag 15. Wahlperiode 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2003
)
)
Nächste Rednerin ist die Kollegin Daniela Raab,
CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Der Vollzug der Freiheitsstrafe soll in erster Li-
nie dazu dienen, die Allgemeinheit zu schützen. Außer-
dem soll er natürlich dem Straftäter zu der Einsicht ver-
helfen, dass man für begangenes Unrecht auch
einzustehen hat. Der Wortlaut des Gesetzes heißt:
Der Vollzug soll den Willen und die Fähigkeit des
Gefangenen wecken und stärken, künftig ein ge-
setzmäßiges und geordnetes Leben zu führen.
Dies ist leider nicht immer so, eher sogar viel zu selten.
Uns geht es heute insbesondere um die Fälle, in denen
bereits verurteilte Straftäter erneut straffällig werden, ih-
nen in Unkenntnis dieses Umstandes gewährte Strafaus-
setzungen zur Bewährung aber nicht widerrufen werden
können. Das ist ein Missstand, den wir so auf keinen Fall
akzeptieren und stehen lassen können.
Die Prämisse der Unionsfraktion ist ganz klar, die Be-
völkerung zu schützen. Das ist auch unsere Aufgabe als
Legislative. Es ist an uns, die Voraussetzungen zu schaf-
fen, dass sich unsere Bürger sicher fühlen und die Ge-
wissheit haben können, vor einschlägig bekannten Straf-
tätern geschützt zu werden.
Die hessische Initiative im Bundesrat, die dem vor-
liegenden Gesetzentwurf zugrunde liegt, hat zum Ziel,
Lücken beim Widerruf der Straf- und Strafrestausset-
zung zur Bewährung zu schließen. Eine solche Rege-
lungslücke besteht im Moment leider noch immer, näm-
lich dann, wenn ein Verurteilter ab dem Verkündungs-
zeitpunkt des letzten tatrichterlichen Urteils bis zu der
Entscheidung über die Strafrestaussetzung weitere Straf-
taten begangen hat, oder aber in Fällen der nachträgli-
chen Gesamtstrafenbildung, wenn der Verurteilte inner-
halb der Bewährungszeit einer einbezogenen Sache
wieder straffällig wird.
Auch durch optimale Zusammenarbeit der Strafver-
folgungsbehörden mit den Gerichten oder durch die ver-
besserte Datenvernetzung der Behörden lässt sich nicht
immer verhindern, dass bestimmte Straftaten den Ge-
richten bei der Entscheidung über eine Aussetzung des
Strafrestes noch gar nicht bekannt sind. So kann es pas-
sieren, dass das Gericht in Unkenntnis dieser weiteren
Straftat die Aussetzung der Restvollstreckung ausspricht
und der Straftäter auf freien Fuß kommt, obwohl dies so
nicht gewollt sein kann.
Nach der noch immer gültigen Rechtslage bleibt ein
Gericht an seine Entscheidung der Strafaussetzung je-
doch gebunden. Das ist ein grober Missstand in einem
Rechtsstaat, der so nicht hingenommen werden kann.
Vielmehr muss auch hier die Möglichkeit bestehen,
die Aussetzung gegebenenfalls zu widerrufen.
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nserer Meinung nach reicht aber schon ein Fall aus, bei
em es zu einem solchen Fehlurteil kommt, um entwe-
er Menschen ins Unglück zu stürzen oder um ein Leben
u zerstören. Jeder Fall ist ein Fall zu viel.
n erster Linie wollen wir unsere redlichen Bürger schüt-
en und gerade nicht die Straftäter. Deshalb muss hier
ehandelt werden. Den Richtern muss diese von uns ge-
orderte Möglichkeit des Widerrufs unbedingt zugestan-
en werden.
Um das etwas plastischer zu machen, möchte ich als
eispiel den Entführungsfall Fiszman anführen. Im
ahre 1991 haben zwei Männer Vater und Sohn zwei
leinkinder entführt, die später wieder freigelassen wur-
en. Im Jahre 1996 haben dieselben Täter Jakub Fiszman
ntführt; es wurde ein Lösegeld gefordert. Letztlich
urde das Opfer getötet. Die beiden Angeklagten wurden
erurteilt. Das Tragische an diesem Fall ist, dass der
auptangeklagte zur Zeit der ersten Entführung eigent-
ich im Gefängnis hätte sitzen müssen. Ab 1981 hat er
ine elfjährige Freiheitsstrafe verbüßt. Die Reststrafe
urde 1986 zur Bewährung ausgesetzt. Zu dieser Ausset-
ung der Reststrafe zur Bewährung hätte es nicht kom-
en dürfen; denn Rainer K. hatte zu diesem Zeitpunkt als
reigänger bereits mehrere Straftaten begangen, ohne
ass die Strafvollstreckungskammer davon Kenntnis
atte. Erst zwei Jahre später hat sie davon erfahren.
Sie sehen, es gibt viele tragische hätte, wäre,
wenn. Sie sagen immer, dass das seltene Fälle sind;
Deutscher Bundestag 15. Wahlperiode 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2003 3527
)
)
Daniela Raab
das mag schon sein. Es sind aber ein paar seltene Fälle
zu viel. Darum unterstützen wir den Gesetzentwurf und
lassen uns auch nicht davon abbringen.
Lassen Sie mich noch einige Sätze zur Sanktionspra-
xis in Deutschland allgemein sagen.
Sie ist von sehr vielen Aussetzungen zur Bewährung ge-
kennzeichnet. Auch die Union sieht eine Aussetzung zur
Bewährung prinzipiell als sinnvoll und richtig an
ja, Sie werden es kaum glauben , um eine zügige
Wiedereingliederung von Straftätern in die Gesellschaft
voranzutreiben und dem Straftäter einen Anreiz zu einer
straffreien Lebensführung zu geben.
Wird die Bewährung aber in Unkenntnis von weiteren
begangenen Straftaten ausgesprochen, dann muss sie
auch widerrufen werden können; Herr Stünker, das wer-
den Sie nicht bestreiten wollen.
Andernfalls würde der Rechtsstaat an Glaubwürdigkeit
verlieren.
Es ist mir eine besondere Freude, hier wieder mal ei-
nen bayerischen Politiker, nämlich den bayerischen In-
nenminister Günther Beckstein, zitieren zu können. Er
hat gesagt:
Die Interessenabwägung muss hier lauten: Was hat
Vorrang der Schutz unschuldiger Opfer oder das
Wohlergehen der Straftäter?
Unsere Priorität ist völlig klar: Es geht um den Schutz
der Bürger. Das sollte auch Ihre Priorität sein.
Vielen Dank.
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Erika Simm,
SPD-Fraktion.
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Ich erlaube mir etwas, was ich eigentlich
sonst nie tue. Ich möchte eine persönliche Bemerkung
über den Verlauf der Debatte und darüber, wie ich sie
wahrgenommen habe, machen.
Ich sitze seit einigen Jahren im Rechtsausschuss. Ich
war immer gerne Mitglied dieses Ausschusses. Es hat
mir gefallen, dass wir trotz inhaltlich unterschiedlicher
Positionen vor der Fach- und Sachkenntnis und vor dem
beruflichen Hintergrund der Kollegen der jeweils ande-
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Herrn Stünker zu unterstellen, er habe nie Kontakt mit
pfern gehabt, ist vollkommen neben der Sache und
ertet auch sein Berufsleben ab.
enn ich es richtig weiß, war er neun Jahre Jugendrich-
er, zehn Jahre Vorsitzender einer großen Wirtschafts-
trafkammer und drei Jahre Vorsitzender einer Schwur-
ammer.
Das Mitglied des Deutschen Bundestages Erika Simm
ar neun Jahre Jugendrichterin und hat im Strafrecht bis
um Landgericht alles durchlaufen, was man in Bayern
m Bereich des Strafrechts üblicherweise durchläuft:
taatsanwältin, Ermittlungsrichterin, Steuerstrafrichte-
in.
ch bin Mitglied in einer Reihe von Einrichtungen wie
otruf und Frauenhaus und habe als Vorsitzende des Pa-
itätischen Wohlfahrtsverbandes permanent Kontakt zu
ereinen und Organisationen, die Träger solcher Ein-
ichtungen sind.
Meine herzliche Bitte ist, dass wir einander nicht die
achliche Kompetenz absprechen.
ch habe mir bisher nie erlaubt, einer jungen Kollegin ich
arf an die gestrige Diskussion im Rechtsausschuss erin-
ern ihr jugendliches Alter und die zwangsläufig beste-
ende relative berufliche Unerfahrenheit im Vergleich zu
einer langjährigen Erfahrung in der allgemeinen bayeri-
chen Justiz vorzuwerfen.
Die Unterstellungen beinhaltende Darstellung, wie
erichte mit Opfern umgehen, ist ein Stück weit Diffa-
ierung der Staatsanwälte und Richter.
er solche Dinge, wie sie heute geäußert worden sind,
agt, hat nicht mitvollzogen, dass sich gerade im Bereich
3528 Deutscher Bundestag 15. Wahlperiode 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2003
)
)
Erika Simm
der Justiz und vor allem bei Sexualstraftaten Gott sei
Dank ein Umdenken durchgesetzt hat und wir heute mit
Opfern, aber auch Tätern im Hinblick auf die Härte der
verhängten Strafen anders umgehen.
Dies wollte ich als Einleitung sagen; denn das Thema,
zu dem ich spreche, lässt sich in relativ wenigen Sätzen
abhandeln. Es geht um den Gesetzentwurf die Kollegin
Raab hat ihn schon vorgestellt zum Widerruf der Straf-
und Strafrestaussetzung. Es ist unbestritten, dass es hier
eine Lücke im Gesetz gibt. Aber ich darf daran erinnern,
dass diese Lücke schon seit 1986 existiert. 1995 fand
eine Umfrage unter den Landesjustizverwaltungen zu
diesem Problem statt. Sie hat ergeben, dass dieses Pro-
blem kein massenhaftes, aber auch kein völlig zu ver-
nachlässigendes ist.
Der erste Gesetzentwurf dazu kam 1997 von der rot-
grünen hessischen Landesregierung. Ich darf dazu an-
merken: Zu dieser Zeit hat Rot-Grün im Bundestag noch
nicht die Mehrheit gehabt;
CDU/CSU und FDP besaßen damals die Regierungs-
mehrheit. Dieser Gesetzentwurf ist seinerzeit der Dis-
kontinuität anheim gefallen. Es ist für mich nicht mehr
recht nachvollziehbar, warum.
Der gleiche Vorgang hat sich in der darauf folgenden
Legislaturperiode wiederholt. Ich kann mich nicht erin-
nern, dass irgendjemand aus der CDU/CSU-Fraktion
moniert hätte, dass dieser Gesetzentwurf zwar 1999 ein-
gebracht, aber nie im Rechtsausschuss behandelt worden
ist. Wir haben ihn jetzt wieder auf dem Tisch. Ich denke,
wir haben Grund, uns mit einer gewissen Zerknirschung
mit dem Gesetzentwurf auseinander zu setzen und ihn
angemessen zu behandeln.
Folgendes ist ebenfalls Faktum: Seit 1995 und seit
1997 hat sich etwas verändert. Seit 1998 gibt es das Zen-
trale Staatsanwaltschaftliche Verfahrensregister, auf
das die Staatsanwaltschaften und Gerichte praktisch
bundesweit Zugriff haben und bei dem sie abfragen kön-
nen, welche Verfahren gegen einen Beschuldigten bzw.
Verurteilten noch anhängig sind.
Ich gehe davon aus ich denke, das kann ich mit
Recht tun, auch vor dem Hintergrund meiner beruflichen
Praxis, auf die ich mich hier ausdrücklich berufe ,
dass damit das Problem ein erhebliches Stück weit ent-
schärft ist. Ich weiß nämlich noch, wie es vorher war:
Damals gab es ein Namensregister bei der Staatsanwalt-
schaft. Wessen Name nicht oder noch nicht darin stand
oder versehentlich herausgeflogen war, war eben als
Straftäter nicht existent. Damals tauchte permanent die
Frage auf, welche weiteren Strafverfahren gegen den Ju-
gendlichen anhängig sind. In dieser Hinsicht hat sich et-
was geändert.
Vor dem Hintergrund dessen, dass sich an diesem
Problem einiges entschärft hat, halte ich es für sachge-
recht und für vertretbar, zu sagen: Wir benutzen das
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Herr Kauder, Sie wissen doch selber, welche Detail-
nderungen wir in den letzten Jahren im Strafgesetzbuch
tändig vorgenommen haben. Als ich 1999 bereits zu
iesem Thema reden durfte, gab mir Herr Ströbele
echt, dass man mit dem Einordnen der Seiten mit Än-
erungen zum Strafgesetzbuch in die Loseblattsamm-
ung des Schönfelders nicht mehr nachkommt.
erstehen Sie: Bei nächster passender Gelegenheit erle-
igen wir diese Geschichte; das verspreche ich Ihnen.
ie hat aber bei weitem nicht mehr die frühere Brisanz;
ie hatte nie eine große Brisanz; es war jedoch ein Pro-
lem. Ich werde jedenfalls daran denken. Ich wäre Ihnen
ankbar, wenn Sie mich gegebenenfalls daran erinner-
en, damit wir es nicht wieder alle miteinander verges-
en, wie wir das jetzt zwei Wahlperioden lang getan ha-
en.
Ich bedanke mich.
Danke schön. Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung der Gesetzent-
ürfe auf Drucksache 15/814 an die in der Tagesord-
ung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es
azu anderweitige Vorschläge? Das ist nicht der Fall.
ann ist die Überweisung so beschlossen.
Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzent-
urf des Bundesrates zur Änderung des Strafgesetzbu-
hes und anderer Gesetze Widerruf der Straf- und
trafrestaussetzung. Der Rechtsausschuss empfiehlt auf
rucksache 15/954, den Gesetzentwurf abzulehnen. Ich
itte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wol-
en, um das Handzeichen. Wer stimmt dagegen? Ent-
altungen? Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Be-
atung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen
ie Stimmen von CDU/CSU und FDP abgelehnt wor-
en. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die
eitere Beratung.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
rucksache 15/936 an die in der Tagesordnung aufge-
ührten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie einverstan-
en? Das ist der Fall. Damit ist die Überweisung so be-
chlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 18 a bis 18 c und
8 e bis 18 g sowie Zusatzpunkt 3 a bis 3 e auf:
8 a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Deutscher Bundestag 15. Wahlperiode 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2003 3529
)
)
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
Neustrukturierung der Förderbanken des Bundes
Drucksachen 15/902, 15/949
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss
b) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung
von Kleinunternehmern und zur Verbesserung der
Drucksache 15/900
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Ausschuss für Tourismus
Haushaltsausschuss mitberatend
und gemäß § 96 GO
c) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände-
rung der Vorschriften zum diagnoseorientierten
Fallpauschalensystem für Krankenhäuser Fall-
pauschalenänderungsgesetz
Drucksache 15/897
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
e) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Geset-
zes zur Durchführung der Rechtsakte der Europä-
ischen Gemeinschaft auf dem Gebiet des ökologi-
schen Landbaus
Drucksache 15/775
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung
f) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur
Änderung des Vierten Buches Sozialgesetz-
buch
Drucksache 15/898
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung
Z
gierung
Erfahrungen mit dem in § 47 a des Arzneimit-
telgesetzes vorgesehenen Sondervertriebsweg
Drucksache 14/6766
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
P 3 Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfah-
ren
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu
dem Zusatzabkommen vom 27. August
2002 zum Abkommen vom 14. November
1985 zwischen der Bundesrepublik
Deutschland und Kanada über Soziale Si-
cherheit
Drucksache 15/881
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung
b) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu
dem Abkommen vom 12. September 2002
zwischen der Bundesrepublik Deutschland
und der Slowakischen Republik über Sozi-
ale Sicherheit
Drucksache 15/883
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung
c) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu
dem Internationalen Vertrag vom 3. No-
vember 2001 über pflanzengenetische Res-
sourcen für Ernährung und Landwirt-
schaft
Drucksache 15/882
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und
Reaktorsicherheit
d) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über
die Registrierung von Betrieben zur Haltung
Drucksache 15/905
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
e) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Götz-Peter Lohmann, Dagmar Freitag, Helga
Kühn-Mengel, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten
Winfried Hermann, Petra Selg, Birgitt
3530 Deutscher Bundestag 15. Wahlperiode 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2003
)
)
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
Bender, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Durch Bewegung und Sport Gesundheit
und Prävention fördern
Drucksache 15/931
Überweisungsvorschlag:
Sportausschuss
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung
Es handelt sich um Überweisungen im vereinfachten
Verfahren ohne Debatte. Interfraktionell wird vorge-
schlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung auf-
geführten Ausschüsse zu überweisen. Zu dem Entwurf
eines Förderbankenneustrukturierungsgesetzes liegt in-
zwischen auf Drucksache 15/949 die Gegenäußerung
der Bundesregierung zu der Stellungnahme des Bundes-
rates vor, die wie der Gesetzentwurf überwiesen werden
soll. Sind Sie einverstanden? Das ist der Fall. Dann
sind die Überweisungen so beschlossen.
Wir kommen jetzt zur Beschlussfassung zu Vorlagen,
zu denen jeweils keine Aussprache vorgesehen ist.
Ich rufe zunächst den Tagesordnungspunkt 19 a auf:
Zweite Beratung und Schlussabstimmung des
von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs
eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 31. Juli
2001 zwischen der Regierung der Bundesrepu-
blik Deutschland und der Regierung des Kö-
nigreiches Thailand über den Seeverkehr
Drucksache 15/716
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Drucksache 15/951
Berichterstattung:
Abgeordneter Horst Friedrich
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zu dem Ab-
kommen vom 31. Juli 2001 mit der Regierung des Kö-
nigreiches Thailand über den Seeverkehr.
Der Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswe-
sen empfiehlt auf Drucksache 15/951, den Gesetzent-
wurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetz-
entwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Das tun
alle. Stimmt jemand dagegen? Gibt es Enthaltungen?
Der Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen worden.
Wir kommen nun zu Tagesordnungspunkt 19 b:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Verkehr, Bau- und
Wohnungswesen zu der Unter-
richtung durch die Bundesregierung
Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen
Parlaments und des Rates zur Änderung der
Richtlinie 2001/25/EG des Europäischen Par-
laments und des Rates über Mindestanforde-
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Sobald hier Ruhe eingekehrt ist, werde ich die Aus-
prache eröffnen. Ich erteile dem Abgeordneten
ohannes Singhammer das Wort.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!
ch kann verstehen, dass eine ganze Reihe von Abgeord-
eten der Regierungsfraktionen bei diesem Thema die
lucht ergreift.
Deutscher Bundestag 15. Wahlperiode 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2003 3531
)
)
Johannes Singhammer
Aber mit Flucht werden Sie dem Thema Arbeitslosigkeit
nicht gerecht werden.
Noch nie seit den Wirren des Zweiten Weltkrieges
war die Arbeitslosigkeit in einem April so hoch wie im
April 2003. Nach fünf Jahren rot-grüner Bundesregie-
rung wird die Zahl der Arbeitslosen immer größer und
die der sicheren Arbeitsplätze immer kleiner. Alle von
Rot-Grün verabreichten und angepriesenen Heilmittel
haben sich als wirkungslos erwiesen: das JUMP-Pro-
gramm ein Flop, das Job-AQTIV-Programm eine
Luftblase, das als Breitbandtherapeutikum angepriesene
Hartz-Konzept ohne erkennbare Wirkung,
die Ich-AG mehr und mehr eine unfaire Konkurrenz
für ausbildende Handwerksbetriebe, das Mainzer Modell
ein Fiasko, der Jobfloater ein Ausfall. Insgesamt ist
dies eine bestürzende Kette grandioser Misserfolge.
Statt die Menschen von der Seuche Arbeitslosigkeit zu
befreien, weitet sich die Beschäftigungslosigkeit in epi-
demischer Form zum Flächenbrand aus.
Die Menschen haben jegliches Vertrauen in die An-
kündigungen von Rot-Grün verloren. Die Gewerkschaf-
ten stellen mittlerweile die Machtfrage und drohen mit
Generalstreik. Zur Bekämpfung der Seuche Arbeitslo-
sigkeit braucht Deutschland deshalb zuallererst ein Ver-
trauenswachstum und dann eine Strategie für wirtschaft-
liches Wachstum.
Der Chef der Bundesanstalt für Arbeit hat offenkun-
dig den Überblick über das Ausmaß der Beschäftigungs-
losigkeit und die Finanzen verloren. Wie anders wäre es
zu erklären, dass im November vergangenen Jahres, also
jetzt bereits vor sechs Monaten, der Bundesrechnungs-
hof festgestellt hat, dass annähernd 1 Million Arbeitslose
zu Unrecht in der Statistik aufgeführt sind und ein größe-
rer Anteil davon zu Unrecht Geldleistungen erhält. Der
Schaden ist gewaltig: bei den Arbeitsämtern, aber auch
beim Finanzminister und bei den Kommunen.
Nach dem Bericht des Bundesrechnungshofs erhalten
367 000 Arbeitslose zu Unrecht Leistungen. Nun kann
sich jeder ausrechnen dazu bedarf es keiner besonde-
ren Mathematikkenntnissse , wie viel das ist, wenn man
von einer durchschnittlichen Leistung für einen Arbeits-
losen von derzeit 1 211 Euro pro Monat ausgeht. Wenn
man das für zwölf Monate hochrechnet, dann kommt
man auf eine Summe, die sich bei 5 Milliarden Euro be-
wegt.
Hinzu kommen nach dem Bericht des Bundesrech-
nungshofs die Anwartschaften für die so genannten
Nichtleistungsempfänger. Diesen wird die Altersvor-
sorge in der Regel in Form von Pauschalbeiträgen von
der Bundesanstalt für Arbeit überwiesen. Das sind nach
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Es ist mir ebenso unbegreiflich, dass der Wirtschafts-
inister nicht eingreift und lieber zusieht, wie ständig
eue Forderungen von der Bundesanstalt für Arbeit an
ie Bundesregierung kommen, um den Etat entgegen al-
en Bekundungen aufzufüllen. Es ist ein noch schlimme-
es Zeichen von Desorganisation, wenn die Verantwor-
ung für diesen Skandal zwischen der Bundesanstalt und
em Bundeswirtschaftsministerium hin und her gescho-
en wird und in einem kleinen Bermudadreieck ver-
chwindet.
In einem großen Bermudadreieck, richtig.
I
ie Bundesregierung hat keine Legitimation, von den
rbeitslosen harte Opfer zu verlangen, wenn sie es nicht
orher schafft, die Milliardenverschwendung, die der
undesrechnungshof aufgedeckt hat, abzuschaffen.
Herr Kollege Singhammer, Sie haben nur fünf Minu-
en.
Ich komme zum Ende.
er erste Schritt zur Reduzierung der Arbeitslosigkeit
st, dass die geltenden Gesetze eingehalten werden.
enn Sie das nicht schaffen, dann treten Sie ab!
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Klaus Brandner.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten
amen und Herren! Ständig Aktuelle Stunden zum sel-
en Thema zu beantragen, meine Damen und Herren
3532 Deutscher Bundestag 15. Wahlperiode 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2003
)
)
Klaus Brandner
von der Opposition, zeugt nicht gerade von einem hohen
politischen Profil.
Ich habe den Eindruck, Sie beantragen die Aktuellen
Stunden, um Übungen zum Auswendiglernen im Parla-
ment durchzuführen, nicht aber um neue Impulse zu set-
zen. Ich werde darauf zurückkommen.
Völlig klar ist doch, dass die Bekämpfung der Arbeitslo-
sigkeit tatsächlich das wichtigste Ziel in der Gesellschaft
und in der Politik ist.
Sie wollen sich im Bundestag mit Umbaumaßnahmen
der Bundesanstalt für Arbeit und immer wieder densel-
ben Dingen beschäftigen. Ihnen fällt offenbar nicht viel
ein. Wie konzeptionslos und leer Ihre Auftritte sind,
zeigt eine Aussage Ihres obersten Arbeitnehmervertre-
ters, Hermann-Josef Ahrens. Ich zitiere aus der West-
deutschen Allgemeinen Zeitung vom 6. Mai 2003:
Auch das Unionskonzept schafft keine neuen Arbeits-
plätze.
Ich frage mich, ob es wohltuend oder beschämend ist,
ein solches Eingeständnis öffentlich zu formulieren. Für
Sie ist es jedenfalls beschämend, wenn Sie Aktuelle
Stunden zu Themen wie Arbeitslosigkeit beantragen.
Wir sollten gemeinsam daran arbeiten, die Arbeitslosig-
keit abzubauen, anstatt uns regelmäßig Ihre Sprechbla-
sen anhören zu müssen.
Meine Damen und Herren, die Lage ist schlecht, aber
nicht hoffnungslos. 4,5 Millionen Arbeitslose ist eine
hohe Zahl, die uns nicht zufrieden stellen kann.
Wir wollen nichts beschönigen. Allerdings ist die Lage
auch nicht so schlecht, wie Sie sie regelmäßig darstellen.
1998 gab es zwar etwas weniger Arbeitslose, aber
eine höhere Arbeitslosenquote. Es gibt immer noch be-
trächtlich mehr Arbeitsplätze als zu Kohls Zeiten: Circa
1 Million mehr Arbeitsplätze waren es 2002
nd immerhin noch 800 000 Arbeitsplätze mehr werden
s 2003 sein. Auch das Erwerbspotenzial steigt laut
AB-Studie in diesem Jahr noch um durchschnittlich
15 000.
In einer solchen Situation nur schwarz zu malen und
eine Konzepte zu haben, wie Herr Ahrens es öffentlich
ugibt, ist beschämend. Beschämend ist auch, dass Sie in
iner solchen Zeit Aktuelle Stunden beantragen und Zeit
erplempern, statt innovativ darauf hinzuwirken, dass
en Menschen in diesem Lande geholfen wird.
Mit der Agenda 2010 haben wir die notwendigen
chritte eingeleitet. Dazu gehören ein aktiver Sozial-
taat, das Konzept Fördern und Fordern als generelles
rinzip, die Durchführung von Strukturreformen, die ef-
iziente Sozialsysteme organisieren, wie auch geringe
inschnitte, die aufgrund der Demographie notwendig
ind.
Wir stellen uns der Verantwortung. Wir setzen alles
aran, die Wachstums- und Vertrauenskrise zu überwin-
en. Sie aber setzen scheinbar alles daran, die Vertrau-
nskrise erst herzustellen. Damit helfen Sie keinem Ar-
eitslosen in diesem Land. Das sollten Sie sich bewusst
achen.
Fest steht: Mit den Maßnahmen, die wir einleiten, lei-
en wir auch psychologische Wirkungen ein. Diese wer-
en auch Wachstumskräfte entfalten. Die Wirtschaft un-
erstützt jedenfalls unseren Kurs.
nsofern will ich betonen, dass wir für eine nachhaltige
trategie eintreten, die auch notwendig ist, zum Beispiel
ei der Rückführung der Staatsverschuldung, die Sie uns
uf dem bisher höchsten Niveau hinterlassen haben. Al-
ein die Arbeitslosigkeit verursacht Kosten in Höhe von
0 Milliarden Euro pro Jahr bzw. 18 300 Euro je Ar-
eitslosen.
Deshalb muss es uns gelingen, aus Arbeitslosen wie-
er Steuer- und Beitragszahler zu machen. Mit den Maß-
ahmen, die wir dafür vorbereitet haben, mit einem In-
rastrukturprogramm für die Kommunen und der
chaffung von Ausbildungsplätzen, zum Beispiel durch
inen Pakt für Ausbildung, sind wir auf dem richtigen
eg.
Wir sollten die Arbeitgeber gemeinsam in die Pflicht
ehmen und uns den Diffamierungen von Interessen-
ruppen widersetzen, wie kürzlich durch den Präsiden-
en des Zentralverbands des Deutschen Handwerks,
Deutscher Bundestag 15. Wahlperiode 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2003 3533
)
)
Klaus Brandner
Philipp, der in, wie ich meine, diffamierender Weise den
Wegfall des Meisterzwangs er bedeutet quasi die Mo-
dernisierung des Handwerks nutzt, um deutlich zu ma-
chen, dass diese Maßnahme mit einem Schlag 60 000
Ausbildungsplätze kosten würde. Das ist Panikmache.
Helfen Sie mit, dass solchen Panikmachern das Hand-
werk gelegt wird! Damit leisten Sie in dieser Gesell-
schaft gute Dienste.
Lassen Sie mich noch eines anmerken. Das Hartz-
Konzept beginnt zu greifen. Viele Maßnahmen dieses
Konzepts werden in den nächsten Monaten in Kraft tre-
ten. Die Quickvermittlung tritt am 1. Juli, die Personal-
Service-Agenturen treten derzeit in Kraft. Sie haben
zwar in der Welt immer wieder herumposaunt, die Per-
sonal-Service-Agenturen seien staatliche Vermittlungs-
einrichtungen; aber wir haben in allen Bereichen private
Personal-Service-Agenturen akquirieren können. Die
neuen Regelungen zu den Minijobs sind vor kurzem in
Kraft getreten. Einen enormen Schub verzeichnen wir
bei den Existenzgründern. Allein im April haben
8 763 Frauen und Männer mithilfe des Arbeitsamtes eine
Ich-AG gegründet. Die Gesamtzahl von Ich-AGs hat
sich inzwischen auf 16 000 erhöht, also mehr als verdop-
pelt.
Herr Kollege, auch Sie muss ich an die Zeit erinnern.
Weiterhin läuft das bewährte Instrument des Überbrü-
ckungsgeldes gut. Allein im April gab es 14 000 Neu-
gründungen. Insgesamt waren es 50 000.
Helfen Sie, statt Polemik in diesem Hause zu verbrei-
ten, mit, dass durch Existenzgründungen und Reformen
am Arbeitsmarkt die Arbeitslosigkeit wirksam bekämpft
wird! Dann tun Sie ein gutes Werk für die Menschen in
diesem Land.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Dirk Niebel.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Bisher habe ich gedacht, die rot-grüne Regie-
rung macht schlechte Politik.
Das wäre schon schlimm genug für das Land. Nach Ihrer
Rede, Herr Kollege Brandner, merke ich, dass die Regie-
rung an Realitätsverlust leidet. Das ist noch viel schlim-
mer. Das ist nämlich eine Katastrophe für dieses Land.
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Herr Gerster hat gestern die Arbeitsmarktzahlen prä-
entiert. Im April dieses Jahres waren demnach
,5 Millionen Menschen arbeitslos und das in einem
onat, in dem sich sonst die konjunkturelle Belebung
ufgrund des beginnenden Frühjahrs sehr positiv auf den
rbeitsmarkt auswirkt! Das sind fast 500 000 mehr als
m gleichen Monat des Vorjahres, die höchste Arbeitslo-
enzahl, die jemals in einem April gemessen worden ist.
uch saisonbereinigt ist die Arbeitslosenzahl weiter ge-
tiegen diesmal um 44 000 , wie bereits seit Jahren
onat für Monat. Trotzdem tun Sie so, als ob wir keine
robleme hätten, und die Regierung tut so, als ob die
pposition das Problem und nicht ihre furchtbare Politik
äre.
Wir müssen den Menschen in diesem Land Chancen
eben, damit sie mitmachen können. Wir brauchen also
ndlich Strukturreformen. Das bedeutet, dass das biss-
hen, was der Kanzler am 14. März angekündigt hat,
icht wieder von Ihnen weichgespült werden darf. Wer
esehen hat, wie die Ergebnisse der Hartz-Kommission
Gesetzgebungsverfahren umgesetzt worden sind aus
er angekündigten 1 : 1-Umsetzung ist eine 2 : 1-Umset-
ung zugunsten von Engelen-Kefer und Konsorten ge-
orden , der kann sich vorstellen, dass dann von der
genda 2010 noch zwei Zehntel übrig bleiben. Das bringt
ie Arbeitsmarktpolitik in diesem Land nicht voran.
Wir brauchen Strukturreformen, und zwar solche, die
azu führen, dass Arbeitsplätze geschaffen werden, da-
it die Menschen die Chance bekommen, ihren Lebens-
nterhalt zumindest teilweise durch eigener Hände Ar-
eit zu verdienen. Wir müssen deshalb am Steuerrecht
nsetzen. Die Menschen und die Betriebe müssen mehr
on dem behalten können, was sie verdienen. Nur dann
önnen sie mehr konsumieren und investieren. Im Mo-
ent sitzen selbst diejenigen, die Geld haben, auf ihrem
eld; denn angesichts Ihrer Politik weiß niemand mehr,
b er Vertrauen in die Zukunft haben kann. Das muss als
llererstes geändert werden.
Wir brauchen Strukturreformen in den sozialen Siche-
ungssystemen. Das, was der Bundeskanzler angekündigt
at und was Ihre Gewerkschaftsvertreterinnen und -ver-
reter massiv zu boykottieren versuchen , ist nur ein
rippelschritt in die richtige Richtung. Auch wenn das im
esentlichen keine neuen Arbeitsplätze schaffen wird,
ntwickelt es vielleicht eine positive psychologische Wir-
ung, sodass die Menschen wieder Vertrauen in die Zu-
unft haben und dass dann wieder Arbeitsplätze geschaf-
en werden. Deshalb ist es so wichtig, dass sich Ihr
anzler Ihnen gegenüber durchsetzt. Wenn er das nicht
chafft, dann ist er die längste Zeit Kanzler gewesen.
3534 Deutscher Bundestag 15. Wahlperiode 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2003
)
)
Dirk Niebel
Wir brauchen auch Reformen im Arbeitsrecht. Es
kann doch nicht sein, dass gut gemeinte Vorschriften das
Kartell der Arbeitsplatzbesitzenden zulasten der Arbeit-
suchenden weiter absichern. Es muss doch möglich sein,
dass Vorschriften, die nach unser aller Erkenntnis dazu
führen, dass die Menschen nicht mehr in den Arbeitspro-
zess zurückkehren, revidiert und reformiert werden, da-
mit diejenigen, die außerhalb des Arbeitsmarktes sind,
wieder eine Chance haben, mitzumachen. Das sollte eine
soziale Aufgabe sein. Ich möchte wirklich wissen, wo
die SPD ihre sozialdemokratische Seele gelassen hat!
Wir brauchen außerdem Reformen in der Bundesan-
stalt für Arbeit. Es reicht nicht, wenn Herr Gerster sagt,
dass diejenigen, die, obwohl sie Geld bekommen oder
Ansprüche erwerben, nicht verfügbar sind, aus der Sta-
tistik herausgenommen werden könnten. Nein, wer nicht
verfügbar ist, der ist bei den Arbeitsämtern als Leis-
tungsempfänger fehl am Platz. Wenn die Regierung
meint, dass 25-jährige Männer oder 25-jährige Frauen
Kindergeld bekommen sollen, dann soll sie es im Bun-
deskindergeldgesetz und nicht über die Bundesanstalt
für Arbeit regeln. Das wäre ein sauberer Weg.
Wir müssen also dafür sorgen, dass diejenigen, die Leis-
tungen beziehen, tatsächlich in der Lage und bereit sind,
einen Arbeitsplatz anzunehmen.
Wir brauchen des Weiteren eine Reform der Bundes-
anstalt für Arbeit selbst. Bisher ist nur der Kopf ausge-
wechselt worden. Viel mehr ist nicht geschehen. Aber
wie soll Herr Gerster denn erfolgreich sein, wenn er er
ist teilweise mit guten Ideen vorstellig geworden von
den eigenen Genossen in der Regierung und von dem
Apparat in Nürnberg blockiert wird? Das bedeutet, dass
wir das ganze System verändern müssen. Die Bundesan-
stalt für Arbeit muss eine neue Struktur bekommen. Sie
muss in eine Versicherungsagentur und in eine Arbeits-
marktagentur aufgeteilt werden. Die Versicherungsagen-
tur das kann durchaus eine selbstverwaltete Körper-
schaft sein sorgt für die Gewährleistung des
Lebensunterhalts. Die Arbeitsmarktagentur wird für eine
Redemokratisierung der Arbeitsmarktpolitik sorgen, so-
dass wir in den Haushaltsberatungen über den effizien-
ten Einsatz der Mittel entscheiden können. Das wäre der
richtige Weg.
Um Arbeitsplätze schaffen und vorhandene Arbeits-
plätze schnell vermitteln zu können, brauchen wir Job-
center, und zwar nicht solche, wie Sie sie im Rahmen der
Hartz-Kommission konzipiert haben, sondern solche, die
die gesamte Vermittlungskompetenz in Deutschland zu-
rate ziehen. Das heißt, wir müssen auch diejenigen ein-
beziehen, die als Träger der Sozialhilfe hervorragende
Arbeit bei der Vermittlung von besonders schwierigen
Fällen geleistet haben. Gerade vor dem Hintergrund der
Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe
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aran zeigt sich, dass Sie das, was Sie sagen, nicht ernst
einen. Sie müssen sich meines Erachtens für einen die-
er beiden Vorwürfe entscheiden.
Zur Sache: Es ist doch völlig klar, dass die Zahlen
ichtig schlecht sind. Die Arbeitslosigkeit ist enorm
och.
ür uns ist entscheidend, ob wir die Talsohle mittler-
eile erreicht haben und ob wir aus dieser Situation ge-
einsam herauskommen oder nicht. Die Zahlen kann
an aber nicht beschönigen; auch ich will das nicht tun.
Die Union spricht jetzt davon, dass es sich um die
chlimmsten Zahlen nach dem Krieg handelt. Schauen
ie sich einmal die Rahmenbedingungen an! 1997 gab es
,34 Millionen Arbeitslose,
ei einem Wachstum des Bruttosozialprodukts von
,1 Prozent. 1998 gab es 4,42 Millionen Arbeitslose bei
inem Wachstum von 3,1 Prozent.
as heißt, in Ihrer Regierungszeit war die Arbeitslosig-
eit sehr hoch sie lag sehr nahe bei dem heutigen Wert ,
llerdings unter völlig anderen wirtschaftlichen Rah-
enbedingungen.
Deutscher Bundestag 15. Wahlperiode 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2003 3535
)
)
Fritz Kuhn
Darauf hinzuweisen relativiert zwar Ihre Argumente,
nützt uns aber praktisch überhaupt nichts.
Ich möchte nun auf das zu sprechen kommen, was
jetzt geschehen muss. In der heutigen Lage hilft nur ein
umfassendes Paket von Maßnahmen, deren einziges Ziel
die Ermöglichung von Investitionen in neue Arbeits-
plätze ist. Für meine Fraktion ist ganz klar: Die Eck-
punkte der Agenda 2010 müssen umgesetzt werden, vor
allem mit dem Ziel, die zu hohen Lohnnebenkosten
zu senken.
Das ist entscheidend. Wenn die Lohnnebenkosten nicht
sinken, dann wird es in der Bundesrepublik keinen Im-
puls zur Schaffung neuer Arbeitsplätze geben. Da der
Bundesrat den meisten Gesetzentwürfen, mit denen die
Agenda 2010 umgesetzt werden soll, zustimmen muss,
wird es sehr darauf ankommen, dass die Union für die
damit verbundenen Initiativen hier mit eintritt.
Außerdem wird die Steuerreform in Kraft treten, und
zwar, wie beschlossen, zum 1. Januar 2004. Die Wirt-
schaft geht davon aus, dass die Steuersätze ab diesem
Zeitpunkt sinken. Davon wird vor allem der Mittelstand
profitieren.
Zum 1. Januar 2005 wird dann die nächste Stufe der
Steuerreform in Kraft treten. Sie, Herr Schauerte, haben
keine finanzierbare Alternative vorgeschlagen.
Im Gegenteil, Ihre Parteikollegen haben die Sanierung
der öffentlichen Haushalte, also auch der Haushalte der
Gemeinden, durch ihr Verhalten im Bundesrat blockiert.
Auch das behindert uns jetzt im Kampf gegen die Ar-
beitslosigkeit.
Ich möchte etwas zu den Vorschlägen der Hartz-Kom-
mission sagen. Herr Laumann und andere Experten der
Union sollten wirklich wissen, welche von der Hartz-
Kommission vorgeschlagenen Punkte schon greifen
können und welche nicht. Mancher Vorschlag ist gesetz-
lich noch gar nicht umgesetzt. Herr Laumann hat gestern
über die Pressestelle der CDU erklären lassen, die Vor-
schläge der Hartz-Kommission seien von Anfang an ein
Flop gewesen. Das war nichts als Propaganda.
Die Förderung der Minijobs ist schon sehr gut ange-
laufen.
Sie haben den entsprechenden Vorlagen doch zuge-
stimmt. Auch Sie wollten es doch. Unsere Positionen lie-
gen nicht weit auseinander.
Jetzt beruhigen Sie sich doch einmal! Die Mittags-
pause ist schon vorbei; seien Sie nicht so nervös.
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ann versündigt sie sich an den Arbeitslosen. Das sollte
ie meines Erachtens nicht tun.
Dann komme ich noch zu einem Punkt, der die Fi-
anzpolitik betrifft.
Herr Kollege
Nur noch einen ganz kurzen Satz. Natürlich müssen
ir die Bedingungen für Investitionen so verbessern,
ass Innovationen verstärkt werden, vor allem indem wir
atsächlich in Bildung und Forschung investieren. Die
aushalte müssen aber die Spielräume dazu hergeben.
eswegen sind alle, die sich bei Subventionskürzungen
erweigern, wie Sie es tun, mit verantwortlich. Sie ha-
en schließlich keinen Vorschlag zum Abbau der Sub-
entionen in der Bundesrepublik Deutschland einge-
racht,
u dem Sie dann auch wirklich stehen,
u dem Sie dann auch mit Ihrer Ländermehrheit stehen.
3536 Deutscher Bundestag 15. Wahlperiode 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2003
)
)
Fritz Kuhn
Nur wenn Subventionen abgebaut werden, können wir
zusätzlich investieren. Auf Schuldenbasis können wir im
Hinblick auf die Generationengerechtigkeit, die für uns
wichtig ist, nicht investieren.
Punkt!
Fazit: alle zusammen! Dann wird es gehen. Ich bin
schon am Ende, Frau Präsidentin.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Hans-Joachim
Fuchtel.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Heute
sagt der Kollege Kuhn hier: Es ist doch völlig klar, dass
die Lage schlecht ist. Vor nicht einmal zwei Monaten
haben dieselben Leute von der Koalition hier dafür ge-
sorgt, dass der Nullzuschuss bei der Bundesanstalt für
Arbeit mit Mehrheit durchgesetzt wurde.
Das ist die wirkliche Lage.
Allen Warnungen zum Trotz ist das von Ihnen so ge-
macht worden. Sie haben vorgegaukelt, dass es mit Ihren
Wunschträumen weitergehen würde.
Das ist vorbei. Jetzt gestehen Sie selbst zu, dass ein
zusätzlicher Bedarf von 7,5 Milliarden Euro besteht.
Merken Sie eigentlich nicht, dass Sie von der Realität
immer schneller eingeholt werden? Herr Brandner, was
Sie hier gesagt haben, ist ein Skandal ersten Ranges.
Noch nie hat es in Deutschland so viele junge Arbeits-
lose gegeben wie unter Rot-Grün, nämlich 522 000. Und
da sagen Sie: Die Lage ist doch eigentlich gar nicht so
schlecht. Ich kann mir nur wünschen, dass möglichst
viele Leute am Fernseher mitbekommen, was die SPD in
dieser Situation an Arroganz an den Tag legt.
Die Wahrheit ist, dass nunmehr zusätzliche Ausgaben
in Höhe von 12 Milliarden Euro prognostiziert werden.
Selbst dann, wenn einige Ihrer Maßnahmen wirken, ste-
hen immer noch 10 Milliarden Euro neue Schulden an,
die nicht verkraftet werden können.
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as gilt ganz besonders auch vor dem Hintergrund, dass
s in Europa Länder gibt, die gezeigt haben, dass man es
uch anders machen kann. Herr Kuhn, Sie haben auf das
ahr 1997 Wachstum: 3,1 Prozent rekurriert. Hätten
ie in der Opposition damals über den Bundesrat nicht
lles blockiert, was im Bundestag bereits beschlossen
orden war das ging von der Steuerreform bis hin zu
en Reformen der Sozialsysteme , dann hätte dieses
and die Kurve gekriegt und wir stünden so gut da wie
ndere Länder in Europa. Auch das haben Sie zu verant-
orten.
Aus der Sicht des Haushaltspolitikers ist es in der jet-
igen Situation in besonderem Maße schädlich, dass wir
eitere konsumtive Ausgaben tätigen und diese über
chulden finanzieren müssen. Wir bräuchten investive
usgaben, damit ein wirtschaftlicher Prozess in Gang
esetzt werden kann. Was sich hier abspielt, ist Gift für
ie Wirtschaft. Das haben Sie zu verantworten nie-
and anders! Wir sehen, wie wenig Abgeordnete Ihrer
raktion jetzt hier sind. Wenn Sie für die Leute im Lande
intreten wollen und hier gerade mal ein Dutzend Abge-
rdnete auftauchen, dann müssten Sie sich eigentlich
chämen.
Ich möchte jetzt noch etwas Konkretes zu dem sagen,
as wir bei den Beratungen in der Praxis erleben. Herr
erster, Vorstandsvorsitzender der Bundesanstalt für Ar-
eit, war fünfmal persönlich zu Terminen in den Haus-
alts- und den Rechnungsprüfungsausschuss bestellt.
iermal ist dieser Mann nicht erschienen.
as ist doch keine Zusammenarbeit mit dem Parlament!
er Vorsitzende des Rechnungsprüfungsausschusses,
er SPD-Abgeordnete Rübenkönig, hat ihm erst vor kur-
em geschrieben:
Die Mitglieder des Rechnungsprüfungsausschusses
haben mit großer Verwunderung zur Kenntnis ge-
nommen, dass Sie ... nicht teilnehmen werden und
Ihre Absage nicht einmal persönlich mitgeteilt ha-
ben.
Nachdem fraktionsübergreifend der Wunsch geäu-
ßert worden war, Sie als Vorstandsvorsitzenden der
Bundesanstalt für Arbeit persönlich zu dieser Sit-
zung einzuladen, möchte ich hiermit mein Bedau-
ern darüber äußern, dass Sie als ehemaliger Parla-
Deutscher Bundestag 15. Wahlperiode 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2003 3537
)
)
Hans-Joachim Fuchtel
mentarier offenbar keinen großen Wert auf eine
konstruktive Zusammenarbeit mit dem Parlament
legen.
Meine Damen und Herren, das ist die Wahrheit. Da zeigt
sich doch, wie marode das alles mittlerweile ist und dass
Sie die Lage nur noch abwickeln.
Bezüglich des Haushalts dazu wollte ich eigentlich
reden haben Sie die neue Formulierung geprägt: Das
ist nicht wirklich so gewollt. Jede Aussage muss erst
daraufhin untersucht werden, ob sie überhaupt belastbar
ist. Das, was Sie im Bundeshaushalt für die Bundesan-
stalt veranschlagt haben, können Sie so wirklich nicht
gewollt haben, denn es ist nicht belastbar.
Insofern kann ich Ihnen nur zurufen: Gehen Sie auf
die Opposition zu,
versuchen Sie zusammen mit der Opposition, wirklich
einen Beitrag zur Konsolidierung des Haushalts der
Bundesanstalt für Arbeit zu leisten, und hören Sie, Herr
Kollege Brandner, mit solchen Mätzchen der Oberfläch-
lichkeit, wie Sie sie vorhin geboten haben, auf!
Vielen Dank.
Jetzt hat der Abgeordnete Hans-Werner Bertl das
Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Im Angesicht der bedrückenden Situation von
fast 4,5 Millionen Menschen ohne Arbeit brauchen wir
hier keine ideenlosen Inszenierungen. Nötig sind Kon-
zepte, Maßnahmen und Antworten,
die nachhaltig wirken und auch Unternehmensführungen
in den Stand versetzen, die Marktfähigkeit von intelli-
genten Produkten und Dienstleistungen aus unserem
Land vor allen Dingen mit qualifizierten Mitarbeitern
real und tatsächlich zu erhalten oder wiederherzustellen.
Das ist die einzige Chance, den Menschen in unserem
Land Arbeit und soziale Sicherheit zu verschaffen.
Wie sieht die Realität in diesem Land aus, leider auch
bei der Opposition? Jedwede Interessenvertretung in un-
serem Land beteiligt sich scheinbar hoch motiviert und
von Einsichtsnotwendigkeit getrieben an der Präsenta-
tion ihrer Vorschläge, die unter vielfältigen Überschrif-
ten laufen: Bürokratieabbau, Subventionsabbau, Deregu-
lierung oder Bewahrung alles Alten. Letztendlich
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u viel von dem, an das wir uns gewöhnt haben, war üb-
igens geprägt von der Philosophie, es jetzt uns mög-
ichst einfach zu machen; die Belastungen aber für dieje-
igen, die nach uns dran sind, sind dabei häufig aus dem
lickfeld geraten.
Von der Opposition habe ich bis heute keine Antwor-
en auf die drängenden Fragen erhalten.
achen Sie dabei mit, dass sich Menschen in Deutsch-
and einfacher selbstständig machen können? Machen
ie mit, dass man sich in kaum gesehenen Nischen unse-
er Wirtschaft in eine geregelte Wertschöpfungskette be-
eben kann?
achen Sie mit, die notwendige Qualifizierung gerade
er vielen Langzeitarbeitslosen so zu gestalten, dass sie,
ie Betroffenen, eine Chance auf dem Arbeitsmarkt ha-
en und nicht vorrangig die Interessen der am Markt
gierenden Träger? Machen Sie mit, über 70 Prozent der
nternehmen in Deutschland zu motivieren, sich der
erantwortung für die Generation der jetzigen Schulab-
änger zu stellen? Und wenn diese das nicht tun: Ma-
hen Sie dabei mit, Konsequenzen zu ziehen?
tatt den Bundestag als Plattform für ideologische Aus-
inandersetzungen zu sehen, ist das Mitmachen gefragt,
m ganz real dafür zu sorgen, dass junge Menschen nach
hrer Schullaufbahn eine Perspektive geboten bekom-
en.
3538 Deutscher Bundestag 15. Wahlperiode 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2003
)
)
Hans-Werner Bertl
Mir fallen noch viele Fragen ein, die ich Ihnen als Op-
position stellen könnte, auf die wir bis heute keine Ant-
wort bekommen haben.
Ja, man müsste eine Fragestunde für Fragen an die Op-
position einführen, dann hätten wir es manchmal etwas
leichter.
Ich kann Ihnen nur eines sagen: Die Flucht in die al-
ten Antworten hilft nicht weiter. Wir werden Antworten
geben müssen und Wege gehen müssen, die vielleicht
unbequem sind.
Auch Sie als Opposition werden sich vor diesen Antwor-
ten nicht drücken können.
Vielen Dank.
Das Wort hat die Abgeordnete Vera Lengsfeld.
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol-
legen! Seit Amtsantritt der rot-grünen Bundesregierung
ist die Schere zwischen den alten und den neuen Ländern
weiter aufgegangen und die Arbeitslosigkeit erreicht mit
108 000 Arbeitslosen mehr als vor einem Jahr neue Re-
kordhöhen. Das als Wunderwaffe angepriesene Hartz-
Konzept entpuppt sich besonders in den neuen Ländern
als Rohrkrepierer.
Nehmen wir doch einmal, Herr Kollege Brandner, die
von Ihnen gelobten Personal-Service-Agenturen, von
denen ja erst wenige gegründet sind. Ich sage Ihnen:
Diese PSA sind Staatswirtschaft à la DDR.
Sie werden nicht funktionieren, denn sie bringen die
Menschen in staatliche Abhängigkeit statt in Arbeit.
Ein Vorhaben von Herrn Hartz war, mithilfe einer Ka-
pitalmarktanleihe der Kreditanstalt für Wiederaufbau
150 Milliarden Euro zur Förderung des Mittelstandes
und zum Ausbau der Infrastruktur in Ostdeutschland zu
beschaffen. So sollten 1 Million neue Arbeitsplätze ent-
stehen.
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Es war klar, dass sich mit den vorgeschlagenen För-
erprogrammen die hartnäckigen Strukturprobleme am
rbeitsmarkt im Osten nicht lösen lassen würden. Un-
ere Wirtschaft ist überwiegend mittelständisch struktu-
iert und hat wenig Eigenkapital. Gerade die Klein- und
ittelbetriebe leiden unter der hohen Bürokratiebelas-
ung sowohl auf der Kosten- als auch auf der Personal-
eite. Während der Mittelstand den vollen Kapital- und
igentümerrisiken ausgesetzt ist, bürgt der Staat für die
inanziellen Risiken seiner Unternehmen. So wird der
ettbewerb zulasten des Mittelstandes verzerrt.
Der permanente Ruf nach dem Staat zur Korrektur
nbefriedigender Marktergebnisse ist das falsche wirt-
chaftspolitische Signal und verringert die Fähigkeit, un-
ernehmerische Antworten im Markt selbst zu finden.
er Staat muss endlich Rahmenbedingungen setzen, die
ie Kräfte der Selbstregulierung in der Wirtschaft stär-
en. Interventionistische Eingriffe müssen auf ganz we-
ige Ausnahmen beschränkt bleiben.
Dazu hatte ich seinerzeit noch gar keine Gelegenheit.
Jetzt können Sie einmal zuhören, Herr Kollege, jetzt
ommen nämlich meine Vorschläge.
ngesichts der katastrophalen Situation am Arbeits-
arkt ist Mut gefragt, der Mut, unpopuläre Maßnahmen
ndlich einzuleiten.
Hören Sie doch zu, ich sage es Ihnen ja jetzt!
Wir brauchen in den neuen Ländern mehr Freiräume,
m den Rückstand bei Wachstum, Beschäftigung und
roduktivität aufzuholen.
)
)
Wichtige Schritte auf diesem Weg sind Bürokratieabbau,
Senkung der Lohnnebenkosten, Deregulierung des Ar-
beits-, Bau- und Planungsrechts und vor allem die Flexi-
bilisierung des Arbeitsmarktes. Das Problem in den
neuen Ländern ist der unflexible Arbeitsmarkt. Internati-
onale Vergleiche zeigen deutlich, dass mit einer geringe-
ren Regulierungsdichte auf dem Arbeitsmarkt höhere
Beschäftigung möglich ist. Barrieren für Neueinstellun-
gen bei Betrieben müssen fallen.
Die Bundesländer benötigen mehr Spielräume. In vie-
len Bereichen ist die Zeit bundeseinheitlicher Regelun-
gen überholt. Ersten Initiativen der mitteldeutschen Län-
der über den Bundesrat, die Lage in Deutschland zu
verändern, werden weitere folgen.
Wir brauchen in den neuen Ländern mehr als
anderswo eine grundlegende Reform des Arbeitsmark-
tes. Nötig sind: Reform der Tarifpolitik, flexiblere For-
men der Entlohnung, Änderung in der betrieblichen Mitbe-
stimmung, flexiblere Reformen der Arbeitszeitgestaltung,
grundlegende Reform des Umschulungs- und Weiterbil-
dungsbereiches für Arbeitslose und konsequente Durch-
forstung von Verordnungen und Vorschriften, die den
Arbeitsmarkt belasten.
Wir müssen auch die ABM überdenken. Wenn Herr
Gerster, der bislang eher als Raumausstatter der Nation
aufgefallen ist,
vorschlägt, die Zahl der Teilnehmer an Beschäftigungs-
programmen wieder zu erhöhen, ist das genau der fal-
sche Weg. Wir kommen an einem Umdenken nicht vor-
bei. Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen waren und sind
leider selten die erhoffte Brücke in die reguläre Beschäf-
tigung. Ganz im Gegenteil: Sie sind eher eine Fortset-
zung des Sozialismus mit Westgeld. Der Sozialismus
das sage ich Ihnen wird auch mit Westgeld nicht
funktionieren.
Es gibt ernst zu nehmende Anzeichen dafür, dass sich
die Beschäftigungschancen verschlechtern und Teilneh-
mer an Maßnahmen ihre Suchbemühungen reduziert ha-
ben.
Ja, sicher. Ich kritisiere das ganz allgemein. Aber ge-
rade habe ich mich darauf bezogen, dass Sie dabei sind,
die Mittel dafür wieder zu erhöhen, statt sie abzubauen.
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Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Anja Hajduk.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
erren! Die Lage auf dem Arbeitsmarkt ist wahrlich dra-
atisch. Die uns gestern vorgestellten Zahlen markieren
inen traurigen Höchststand. Aber ich glaube, statt im
arlament einen Streit über diese Fakten zu entfachen,
ollten wir alle diese Fakten unseren Debatten zugrunde
egen. Das heißt aber auch das sage ich jetzt in Rich-
ung Opposition : Der Streit sollte sich nicht in dem
orwurf erschöpfen So haben sich die Zahlen entwi-
kelt, so dramatisch ist die Lage!, Hauptstreitpunkt
ollte vielmehr sein, mit welchen Instrumenten wir die
age verändern können.
ir sollten über alternative Instrumente diskutieren und
treiten, anstatt nur den Vorwurf zu wiederholen: Es ist
in Höchststand erreicht. Denn zu allen Zeiten lassen
ich Höchststände errechnen.
iesen Anspruch habe ich an die Opposition, aber auch
n uns selbst. Wir sind gut beraten, wenn wir der drama-
ischen Lage Rechnung tragen und sie der betroffenen
ffentlichkeit deutlich machen.
Ich komme jetzt zu den Vorschlägen.
Es ist keineswegs so, als gebe es keine Vorschläge.
anz im Gegenteil: Die Agenda 2010, die jetzt zur Dis-
ussion steht, und die Entscheidungen, die wir im Rah-
en der Umsetzung des Hartz-Konzeptes getroffen ha-
en, sind ohne Alternative. Die dramatischen Zahlen
estärken uns darin, mit den Reformen weiterzugehen.
Wir machen das. Ich gucke zu Ihnen, weil Sie vorhin
esagt haben, all diese Bausteine würden nicht wirken.
u dieser Aussage lassen sich leider auch einige Redner
er Union immer wieder hinreißen. Das ist aber falsch.
3540 Deutscher Bundestag 15. Wahlperiode 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2003
)
)
Anja Hajduk
Das wissen auch Sie; denn Sie haben einige Vorschläge
ganz bewusst mitgetragen. Bei den Minijobs haben Sie
sogar einige Vorschläge formuliert, bevor wir es getan
haben.
Ist es denn schlimm, wenn wir Ihnen heute Recht geben?
Lassen Sie uns doch ehrlich sagen, welche Instrumente
es zur Lösung der Probleme gibt!
Dabei sollten Sie dann bitte aber auch mitmachen.
Es gibt Unterschiede; über diese sollten wir streiten.
Aber Sie verteufeln aus der Opposition heraus immer al-
les. Davor möchte ich Sie warnen. Denn ich sagte: Die
Lage ist dramatisch. Die Erwartung der Bürger richtet
sich an alle Politiker in der Opposition und in der Regie-
rung. Natürlich sind wir in der Regierung besonders ver-
antwortlich; das will ich nicht leugnen.
Ich will Sie auf noch etwas hinweisen: Obwohl wir
bestimmte Schritte gehen, zum Beispiel die Agenda
2010 und auch die Hartz-Reformen auch Sie wissen,
dass das teilweise noch nicht wirken konnte, weil die
Gesetze erst in Kraft treten müssen; wir hoffen, dass sie
wirken werden , steht eines fest: Es gibt in der Arbeits-
marktpolitik keine Wunder. Wir sollten der Öffentlich-
keit ehrlich sagen: Eine Besserung wird erst nach dem
nächsten Wahltag erfolgen. Diese Ehrlichkeit sollten wir
haben. Denn Reformen in solch einem Gebiet sind nicht
falsch, wenn sie nicht kurzfristig wirken. Vielmehr soll-
ten wir alle ehrlich genug sein, zu sagen: Wir werden in
Deutschland in der Arbeitsmarktpolitik über mehrere
Jahre ein Problem haben. Wir sind gut beraten, da keine
falschen Erwartungen zu wecken.
Trotzdem brauchen wir Reformen. Dass es keine ar-
beitsmarktpolitischen Wunder gibt, das wissen Sie selbst
aus der langen Zeit Ihrer Kohl-Regierung. Herr Kuhn hat
zu Recht darauf hingewiesen, dass auch Sie bei günsti-
geren Wachstumsbedingungen eine schlechte Bilanz hat-
ten.
Deswegen sage ich: Es gibt keine arbeitsmarktpoliti-
schen Wunder. Aber Reformschritte sind notwendig; wir
brauchen sie. In diesem Zusammenhang möchte ich Sie
auffordern, konkrete Alternativen zu benennen.
Dann können wir zusammen etwas machen.
Denn wir brauchen für sehr viele Reformen Koopera-
tion. Wir brauchen eine Kooperation zwischen der Bun-
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Eines ist für mich ausschlaggebend und klar: Wir
üssen den Faktor Arbeit entlasten. Ein größeres Pro-
lem als die steuerliche Belastung ist die Belastung
urch die Lohnnebenkosten. Wir befinden uns in einem
eufelskreis steigender Arbeitskosten, was Arbeitslosig-
eit bewirkt, unterdurchschnittliches Wachstum gene-
iert und zu großen Finanzproblemen führt. Um aus die-
em problematischen Kreislauf herauszukommen,
üssen wir die Lohnnebenkosten senken.
ir kommen um schwere Einschnitte nicht herum.
Vor dem Hintergrund, dass wir eine alternde Gesell-
chaft sind auch das ist ein wichtiges Thema , brau-
hen wir
esentlich mehr Investitionen und Innovationen. Wir
rauchen neue Freiräume in einem beengten Haushalt,
m zukünftig mit weniger Arbeitsplätzen die volkswirt-
chaftliche Basis zu erwirtschaften, die wir für eine al-
ernde Gesellschaft brauchen.
Dazu gehört extrem viel Kooperation im politischen
eld. Ich freue mich, dass Sie mir in einigen Punkten
einer Rede sehr viel Zustimmung haben zukommen
assen. Damit wäre vielleicht ein Grundstein für die
ächsten Monate gelegt.
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Gesine Lötzsch.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es gibt
uten Grund, sich über die dramatischen Arbeitslosen-
ahlen zu erregen. Doch ich verstehe nicht, warum das
erade die Damen und Herren von der CDU/CSU tun.
ie haben noch kein Rezept gegen die Arbeitslosigkeit
orgetragen. Was Sie als Alternative zur Agenda 2010
orgelegt haben, ist nicht besser, sondern nur grausa-
er.
Deutscher Bundestag 15. Wahlperiode 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2003 3541
)
)
Dr. Gesine Lötzsch
Ein Beispiel: Die Regierung will das Arbeitslosen-
geld auf das Niveau der Sozialhilfe kürzen.
Genau, die Arbeitslosenhilfe. Gut, dass Sie genau zu-
hören, Herr Kollege Niebel. Das finde ich Klasse.
Dies ist eine alte Forderung der CDU/CSU. Das reicht
Ihnen aber jetzt nicht mehr. Sie fordern die Absenkung
der Sozialhilfe um 30 Prozent, wenn ein Sozialhilfeemp-
fänger eine bestimmte Arbeit ablehnt.
Dafür erhalten Sie in bayerischen Bierzelten sicherlich
viel Beifall.
Aber Sie befinden sich, so glaube ich, in vielen Fällen
neben der Realität. Schauen wir uns einmal das Heimat-
land von Frau Merkel, Mecklenburg-Vorpommern, an.
Dort kommen auf einen Arbeitsplatz 22 Erwerbslose.
100 000 Menschen bekommen eine Arbeitslosenhilfe
von durchschnittlich 469 Euro und 44 000 Menschen be-
kommen eine Sozialhilfe von durchschnittlich 279 Euro.
Frau Merkel will von den 279 Euro noch 30 Prozent ab-
ziehen.
Dann bleiben noch 195 Euro zum Leben. So viel bezahlt
Frau Merkel für ein ordentliches Abendessen in einem
Berliner Luxusrestaurant.
Ich frage Sie: Wie soll davon ein Mensch in Würde
leben? Es kommt aber noch schlimmer: Der Chef der
Bundesanstalt für Arbeit, Herr Gerster, legt Quoten für
Sperrzeiten fest, wie die Wirtschaftswoche berichtet.
Das heißt, jeder nichtige Grund wird jetzt genutzt, um
den Arbeitslosen das Arbeitslosengeld zu sperren. Das
Ergebnis sind nicht weniger Arbeitslose, sondern Ar-
beitslose, die weniger Geld bekommen.
Dabei gibt es eine Menge Alternativen: Erstens. Wir
müssen Steuergerechtigkeit herstellen. Es müssen dieje-
nigen besteuert werden, die genug Geld haben. Ich kann
es auch gern wiederholen: Ein Baustein ist die Wieder-
einführung der Vermögensteuer, die von der rot-grünen
Koalition bereits in der Koalitionsvereinbarung von
1998 festgeschrieben wurde. Sie verzichten auf 10 Milli-
arden Euro pro Jahr für die öffentlichen Haushalte.
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Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Michael Fuchs.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
erren! Frau Hajduk, ich muss Ihnen einen gewissen
ealitätsverlust vorwerfen. Sie reden davon, die Lohn-
ebenkosten zu senken,
ährend heute in den Zeitungen steht, dass Sie sie stei-
er. Die Beiträge zur Rentenversicherung werden im
ächsten Jahr um 0,3 Prozent steigen, die Beiträge zu
en Krankenversicherungen um 0,7 Prozent.
ie ziehen den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern
it diesen Maßnahmen das Geld aus der Tasche. Ma-
hen Sie den Bürgern nichts vor.
Herr Brandner, ich muss mich an Sie wenden. Wissen
ie, warum wir Aktuelle Stunden brauchen? Wir brau-
hen sie, weil Sie keine Gesetze vorlegen, über die wir
iskutieren können. Jetzt beginnen Sie Diskussionen, die
ich bis zum 1. Juni hinschleppen. Am 1. Juni werden
ir sehen, was von der Agenda 2010 übrig bleibt. Herr
iebel hat völlig zu Recht gesagt, es werden zwei Zehn-
el sein. Dann werden wir erleben, welche Bestandteile
er Agenda 2010 als Gesetzentwürfe eingebracht wer-
en. Wie lange wird das dauern? Es wird sicher nicht
3542 Deutscher Bundestag 15. Wahlperiode 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2003
)
)
Dr. Michael Fuchs
mehr vor der Sommerpause passieren; nein, wir werden
die Gesetzentwürfe irgendwann im September im Parla-
ment beraten. Ab 1. Januar sollen sie wirken. Zu diesem
Zeitpunkt wird es wahrscheinlich 5 Millionen Arbeits-
lose geben.
So sieht das Nichtstun Ihrer Koalition aus. Ich finde das
äußerst bedauerlich und es ärgert mich gewaltig.
Wenn Sie zuhören würden, würden Sie es endlich ver-
stehen. Das ist auch notwendig.
Herr Kuhn, Sie haben hier von Arbeitsmarktmaßnah-
men, so beispielsweise von den PSA, gesprochen. Was
ist denn dabei herausgekommen? Ich habe in meinem
Wahlkreis nachgefragt. Es gibt zurzeit keine einzige
PSA. Wahrscheinlich wird es welche nach der Sommer-
pause geben. In Rheinland-Pfalz rechnet man mit 49
PSA nach der Sommerpause.
In Ihrem Papier steht, es sollen in drei Jahren 750 000
Arbeitsplätze geschaffen werden. Jetzt gehen Sie von
50 000 Arbeitsplätzen aus und selbst diese Zahl werden
Sie nicht erreichen. Es gibt 15 900 Bewilligungen für
Ich-AGs.
Die Umsetzung des Hartz-Konzeptes hat bisher nichts
bewirkt.
Wir haben eine durchschnittliche Arbeitslosigkeit von
4,6 Millionen in diesem Jahr. Das sind rund 500 000
mehr als in Ihren Prognosen. Das zeigt uns, wie drama-
tisch die Probleme der Arbeitslosenversicherung sind.
Sie haben Zuschüsse bei Neueinstellungen älterer Ar-
beitnehmer beschlossen. Die Bundesanstalt hat bisher
363 solcher Fälle registriert. Bei 1,146 Millionen Ar-
beitslosen über 50 Jahre machen diese 363 Fälle gerade
einmal 0,03 Prozent aus. Aber mit Promille kennt sich
Herr Brandner besser aus, also: 0,3 Promille.
Dazu kann ich Ihnen nur eines sagen: Warum gehen
Sie nicht auf die hohe Zahl der Pleiten ein? In Deutsch-
land wird es in diesem Jahr 42 000 Pleiten geben. Das
sind pro Tag 115 Unternehmen und mindestens
1 000 Stellen, die in Deutschland durch Pleiten wegfal-
len.
Das ist die Realität. Darüber zu spaßen und zu sagen:
Die 4,5 Millionen Arbeitslose sind kein großes Pro-
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as wird zu nichts anderem führen, als dass eine weitere
illiarde Euro, die durch Steuern bezahlt wird, weg sein
ird. Genau das brauchen wir nicht.
Zum Osten fällt mir noch ein zweiter Punkt ein, der
ich besonders bestürzt. Herr Brandner, ich hätte gerne
hre Hilfe als IG-Metall-Mitglied. Es kann nicht sein,
ass man in einer Situation, in der die Arbeitslosigkeit in
ommunen 20 Prozent und mehr beträgt die Kollegin
engsfeld hat das vorhin beschrieben , anfängt zu strei-
en, um eine Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn-
usgleich zu erreichen. Damit wird der einzige noch ver-
liebene Standortvorteil der Regionen im Osten
ernichtet, deren Wettbewerbsfähigkeit jetzt noch besser
st als die mancher Regionen im Westen und vor allen
ingen besser als die der EU-Beitrittsländer.
Lassen Sie nicht zu, dass das kaputtgemacht wird.
ier erwarte ich Ihre Hilfe, Herr Brandner. Es wäre not-
endig, dass Sie die IG Metall dabei auf den Boden der
ealität zurückführen und hier nicht noch zusätzlich Ar-
eitsplätze kaputtgestreikt werden.
Die Probleme auf dem Arbeitsmarkt sind gewaltig,
ber Sie finden nur Lösungen hier bin ich besonders
on den Grünen enttäuscht, Frau Hajduk für die Wäh-
er von heute, aber nicht für die Kinder von morgen.
as ist eine Politik nach dem Motto Kinder haften für
hre Eltern. So sollte es nicht weitergehen. Machen Sie
amit endlich Schluss und bringen Sie den Arbeitsmarkt
n Ordnung.
Vielen Dank.
Das Wort hat jetzt der Parlamentarische Staatssekretär
erd Andres.
G
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
erren! Die Themenpalette dieser von der CDU/CSU-
raktion beantragten Aktuellen Stunde ist breit. Offen-
Deutscher Bundestag 15. Wahlperiode 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2003 3543
)
)
Parl. Staatssekretär Gerd Andres
sichtlich ist es zwischenzeitlich auch der Opposition be-
wusst geworden, dass für die zum Ritual jeder Sitzungs-
woche gewordene Aktuelle Stunde die aktuelle
Arbeitsmarktlage als Thema nicht mehr ausreicht. Also
schaut man die Presse durch und packt noch ein paar
Dinge drauf oder man inszeniert sie sogar.
Ein wunderbares Beispiel dafür war der Abgeordnete
Singhofer.
Entschuldigung. Er ist ein Hammer, der Hofer ist ein
anderer.
Auf den komme ich noch zu sprechen. Jetzt komme ich
zu dem Kollegen Singhammer.
Herr Singhammer, Sie sind das klassische Beispiel für
Desinformation und Doppelbödigkeit. Das sage ich Ih-
nen hier.
Sie haben die Statistikdebatte über das Handelsblatt
angefacht. Darin werden Sie sogar zitiert. Auch in Ihrem
Redebeitrag hier haben Sie mit Einsparungen in Höhe
von 7 Milliarden Euro gerechnet.
Ich lese Ihnen einmal einen kurzen Absatz aus einem
Brief des Präsidenten des Bundesrechnungshofes vor. Er
lautet:
Der Bundesrechnungshof erhebt nicht, wie im
Handelsblatt dargestellt, den Vorwurf, dass so ge-
nannte Scheinarbeitslose sich in größerem Umfang
aus der Arbeitslosenkasse bedienen. Auch die im
Handelsblatt genannte Zahl
von Ihnen hier wiederholt und vorgerechnet
von 7 Milliarden Euro an möglichen jährlichen Ein-
sparungen ist abwegig, weil es sich bei den unter-
suchten Gruppen von arbeitslos Gemeldeten über-
wiegend nicht um Bezieher von Leistungen der
Bundesanstalt für Arbeit handelt.
Guten Tag, Herr Singhammer. Ich kann nur sagen:
Was Sie hier machen, ist so was von doppelbödig.
Ich nenne noch einen zweiten Punkt, die Statistikdebatte.
Bitte nehmen Sie mir ab, dass ich davon persönlich tief
betroffen bin. Wir sind uns doch einig wenn wir unterei-
nander darüber reden , dass in der Arbeitslosenstatistik
Fälle enthalten sind, die nicht in diese Statistik hineinge-
hören. Diese wurden das will ich als kurze Anmerkung
sagen in Ihrer Regierungszeit dort hineingebastelt. Sozi-
alrechtsinduzierte Arbeitslosigkeit gehört aus der Statistik
heraus. Wieso sind dort zum Beispiel Empfänger von
Kindergeld enthalten? Ich könnte noch andere Beispiele
nennen.
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as ist eine Doppelbödigkeit von Ihnen.
enn Sie der Meinung sind, wir müssten hier etwas än-
ern, legen Sie doch einen Entwurf dazu auf den Tisch.
ann werden wir auch darüber reden. Aber ich sage Ih-
en: Wir brauchen Ihren Entwurf eigentlich nicht, weil
ir mit der Umsetzung von Hartz III genau das machen
erden.
Damit bin ich beim nächsten Thema, auf das ich zu
prechen kommen möchte. Hier finde ich die gleiche
oppelbödigkeit vor, die mich entschuldigen Sie, Frau
engsfeld anwidert. Sie haben en passant die Formu-
ierung verwendet, wonach Herr Gerster der Raumaus-
tatter der Nation ist.
Lachen Sie nur freundlich. Ich hätte Ihnen empfohlen,
ich vorher zu informieren, bevor Sie diese Bemerkung
ebenbei fallen lassen und die Union dies zum Anlass ei-
er Aktuellen Stunde nimmt.
Ich will Ihnen sagen, worum es konkret geht, damit
lle wissen, worüber wir reden. Es geht zum einen um
en Aufbau von zwei modernen Konferenzsälen mit der
afür notwendigen Infrastruktur. Dafür sind 2,3 Millionen
uro bei der Bundesanstalt für Arbeit eingeplant. Diese
aßnahme entspricht vor allem dem Wunsch von Pres-
evertretern, endlich zumutbare Arbeitsbedingungen zu
rhalten. Die Bundesanstalt braucht diese Konferenz-
echnik dringend. Zum anderen erhalten die drei Vor-
tandsmitglieder Arbeitsräume auf einer Ebene. Dafür
ind 295 000 Euro vorgesehen.
Wenn in einem solchen Zusammenhang angesichts
er hohen Arbeitslosigkeit der Vorwurf laut wird das
nterstützen Sie auch noch , diese Vorhaben hätten et-
as von goldenen Wasserhähnen an sich, dann ist das
chlicht hinterhältig. Wir alle wollen doch, dass die Bun-
esanstalt für Arbeit zu einem modernen Dienstleister
m Arbeitsmarkt ausgebaut wird und
ass die Strukturen umgebaut werden. Wir konnten es
berall lesen: Die Bundesanstalt ist ein grauer Betonbau
us den 70er-Jahren er ist mittlerweile 30 Jahre alt ,
er an einen stalinistischen Bau aus den Vorstädten von
ladiwostok erinnert. Wenn der Vorstand Bemühungen
3544 Deutscher Bundestag 15. Wahlperiode 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2003
)
)
Parl. Staatssekretär Gerd Andres
unternimmt, sich vernünftige Arbeitsbedingungen zu
schaffen, dann halte ich das für richtig.
Dass es dort keine goldenen Wasserhähne geben wird,
darauf werden sowohl der Rechnungsprüfungsausschuss
als auch der Haushaltsausschuss achten. Also auch hier:
Fehlanzeige.
Ich komme nun zum Thema der hohen Arbeitslosen-
zahlen im April.
Nein, nein, Herr Kollege, diese Aktuelle Stunde war
von Ihnen beantragt. Deswegen bekommen Sie nun auch
Antworten auf alle Fragen, die Sie haben.
Gegenüber dem Vormonat ist die Zahl der Arbeitslo-
sen um 113 000 Personen zurückgegangen. Saisonberei-
nigt ist sie angestiegen. Es stimmt: Wir haben mit
4,495 Millionen Arbeitslosen eine bedrückend hohe
Zahl an Arbeitslosen und es sind die höchsten Aprilzah-
len mindestens seit der deutschen Einheit. Ich brauche
keine von Ihnen beantragte Aktuelle Stunde, um dies
einzugestehen und hier zu erklären.
Diese Zahl macht deutlich, unter welch unglaubli-
chem Reformdruck wir stehen,
welchen unglaublichen Reformdruck wir der Gesell-
schaft zumuten müssen und das erkläre ich für die
Bundesregierung auch zumuten werden.
Wir befinden uns nämlich in dem Teufelskreis von sich
langfristig deutlich abschwächenden Wachstumsraten,
einer sich daraus erhöhenden oder verfestigenden Ar-
beitslosigkeit und daraus sich ergebenden hohen sozia-
len Kosten. Alles zusammen ist Ursache dafür, dass die
Wachstumskräfte nicht freigesetzt werden können.
Um das zu erkennen, brauchen wir keine Aktuelle
Stunde. Das hat die Bundesregierung im Übrigen auch
nicht überrascht;
denn wir haben bleiben Sie ganz ruhig bei unserer
jüngsten Revision der gesamtwirtschaftlichen Eckwerte
eine solche Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt berück-
sichtigt.
Beim Haushalt ist es etwas anders gewesen, falls Sie
as noch nicht verstanden haben, Herr Kollege. Die Eck-
aten hierzu stammten vom Oktober. Als wir diese bera-
en haben, war nicht absehbar, wie die internationale
ntwicklung und andere Bedingungen aussehen würden.
Ich bin dafür, dass wir sachlich und fachlich vernünftig
eden. Von der nachlassenden wirtschaftlichen Dyna-
ik waren alle Länder in Europa gleichermaßen betrof-
en. Das können Sie sich anschauen.
Die Ursachen für diese Entwicklung sind vor allem in
en außergewöhnlichen Konstellationen der Weltwirt-
chaft zu sehen.
ch könnte jetzt viele Bedingungen dafür aufzählen. Es
ibt auch bestimmte Einschätzungen durch die Institute
ezüglich der Perspektiven für dieses Jahr. Ich will da-
it gar nicht ablenken. Ich sage Ihnen: Wir brauchen
ine entsprechende Entwicklung der Weltwirtschaft
ringend. Wir haben aber nur relativ geringe Einfluss-
öglichkeiten darauf; auch das muss man wissen. Um-
ekehrt brauchen wir auch die Reformen im Inneren, um
ine andere Dynamik und Entwicklung in diesem Lande
u entfalten.
Deswegen spreche ich auch das dritte Problem an.
ir haben Hartz I und II umgesetzt und wir werden
artz III und IV umsetzen; darauf können Sie sich ver-
assen.
amit wird die Reform der Bundesanstalt weiter voran-
etrieben. Wir führen ein neues Leistungsrecht für die
rbeitslosenversicherung ein und fassen die Instrumente
es Arbeitsmarkts zusammen. Hartz IV, die Zusammen-
assung der Arbeitslosenhilfe und der Sozialhilfe, wer-
en wir ebenfalls umsetzen. Dazu werden wir am kom-
enden Freitag in der Kommission auch mit Vertretern
er Länder und der Opposition diskutieren. Ich kann Ih-
en versprechen: Wir werden uns zu all diesen Projekten
n diesem Saal und auf anderer Ebene wiedersehen.
Ich habe mir einmal genauer angeschaut, was die
nion will. Sie hat einen großen Einigungsgipfel durch-
eführt. Ich halte das für eine tolle Veranstaltung der
wei Parteien.
Deutscher Bundestag 15. Wahlperiode 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2003 3545
)
)
Parl. Staatssekretär Gerd Andres
Bei dem Einigungsgipfel kam etwas heraus, von dem
Herr Merz sagt das wurde öffentlich zitiert , dass er
nicht viel davon hält; auch das werden wir sehen.
Ich habe mir auch angeschaut, was Sie bei der Ar-
beitslosenversicherung vorschlagen. Sie sagen, dass das
Arbeitslosengeld bis zu zwölf Monate lang gezahlt wer-
den soll. In Bezug auf die unter 55-Jährigen gibt es also
wahrscheinlich überhaupt keinen Streit mehr.
Ferner geht es um die Berechnung der Beitragsjahre.
Den Vorschlag von 45 Jahren finde ich toll. Darauf kom-
men wir im Verfahren zurück. Ich finde, das wirkt anders
als bei der Rentenversicherung. Sie machen Vorschläge,
bei denen man weder richtig Maus noch Falle ist und die
weder Fisch noch Fleisch sind. Wir werden darüber re-
den. Genau bei diesen Fragen werden wir uns erneut be-
gegnen.
Wir werden auch durch Strukturreformen auf einem
verkrusteten Arbeitsmarkt dafür sorgen müssen, dass
Strukturprobleme gelöst werden. Wir haben die große
Aufgabe, die Arbeit, die in diesem Lande vorhanden ist,
so zu organisieren, dass sie von den in diesem Lande le-
benden Menschen legal geleistet werden kann.
Sie können sich darauf verlassen: Wir werden die
Agenda 2010 genauso wie alle Teile der Hartz-Refor-
men, die wir schon angekündigt haben, umsetzen.
Deswegen sage ich Ihnen: Es macht immer viel Spaß, al-
les mies zu machen. Diese Veranstaltungen sind dazu da,
um alles mies zu machen.
Es kommt darauf an, mitzumachen. Das bedeutet,
dass auch Sie sich Ihrer Verantwortung für dieses Land
bewusst werden und auf eine Strategie setzen müssen.
Herr Singhammer, Sie setzen darauf, dass diese Regie-
rung zerrieben wird und abtritt. Ich kann Ihnen vorhersa-
gen: Sie können noch lange warten. Wir werden diese
Reformen durchführen. Sie werden sich an vielen dieser
Reformen sehr handfest beteiligen.
Schönen Dank.
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Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Wolfgang
eckelburg.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
ieber Herr Staatssekretär Andres, wie sehr müssen Sie
igentlich mit dem Rücken zur Wand stehen, dass Sie
ier so reagieren und reden wie gerade?
Diese Art des Redens kenne ich aus dem letzten Jahr,
ls es um Ihre Zahlen sehr schlecht bestellt war. Ich
rage Sie: Muss das wirklich so niveauvoll sein, dass
ie hier zynisch über Kollegen herziehen? Das muss
irklich nicht sein. Bleiben Sie an diesen Stellen bitte
achlich.
Mein verehrter Herr Staatssekretär, Sie haben gerade
ehauptet, die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt habe
ie nicht überrascht. Ich frage Sie ernsthaft: Warum
urde die Agenda 2010 erstellt und warum wurde eine
roße Rede gehalten? Warum haben Sie das den Leuten
icht vor der Wahl gesagt, wenn Sie das alles doch nicht
berrascht hat? Das ist die Frage, die die Menschen im
and umtreibt.
Wenn Sie sich an uns wenden und Strukturmaßnah-
en fordern, dann kann ich dazu nur sagen: Die Türen
ei uns sind weit offen. Sie und die auf der linken Seite
itzenden Fraktionen waren es, die sich jahrelang gewei-
ert haben, zur Kenntnis zu nehmen, dass Strukturen ge-
ndert werden müssen. Das ist Ihr Problem.
Ich möchte an dieser Stelle auf die Zahlen nicht wei-
er eingehen. Es macht wirklich keinen Spaß mehr, über
ie Zahlen zu reden. Die Aktuellen Stunden zum Thema
rbeitslosigkeit sind nötig, weil der Druck von Woche
u Woche größer wird. Ich hoffe, Sie spüren ihn. Vor
wei Jahren haben wir uns darüber ausgetauscht, ob die
rbeitslosenzahlen unter Kohl oder unter Ihrer Regie-
ungszeit schlechter waren. Diese Zahlen interessieren
eute keinen mehr. Die Arbeitslosigkeit ist inzwischen
o hoch und das Vertrauen in Ihre Regierung so gering,
ass die Leute den Wunsch haben, dass sich endlich et-
as ändert. Aber Sie bringen es nicht fertig. Das ist das
roblem.
3546 Deutscher Bundestag 15. Wahlperiode 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2003
)
)
Wolfgang Meckelburg
Wenn ich das Revue passieren lasse, was wir in den
letzten viereinhalb Jahren erlebt haben, dann stelle ich
verschiedene Phasen fest: In einer Phase wurde über die
Probleme möglichst lange geredet, es wurden viele Vor-
schläge eingebracht und damit die Menschen verunsi-
chert. In einer anderen Phase wurde zwar gehandelt, aber
es waren Hauruck-Aktionen, in der Gesetze in zwei Wo-
chen das ist im letzten Jahr mehrfach passiert verab-
schiedet wurden. Die Vermittlung von Arbeitslosen
durch private Anbieter wurde in zwei Wochen einge-
führt: ein hektischer Durchgang. Die Einsetzung der
Hartz-Kommission hat nur zwei Wochen gedauert: ein
hektischer Durchgang. Die Umsetzung von Hartz I und
Hartz II nach der Wahl im Parlament hat ebenfalls nur
zwei Wochen in Anspruch genommen: ein hektischer
Durchgang. Wenn man sich einmal anschaut, ob diese
Maßnahmen überhaupt wirken, dann ist dies ein berech-
tigtes Anliegen des Parlaments und als Kontrolle der Re-
gierung notwendig, Herr Staatssekretär.
Die mangelnde Glaubwürdigkeit dieser Regierung
versetzt alle miteinander in Starre. Keiner tut mehr rich-
tig etwas. Herr Staatssekretär, wenn Sie die Entwicklung
auf dem Arbeitsmarkt schon vorher kannten, dann frage
ich mich, warum hier und heute keine konkrete Gesetz-
gebung zur Agenda 2010 vorgelegt wird.
Wir könnten in der nächsten Sitzungswoche mit dem,
was Sie vorhaben, beginnen, wenn Sie die Gesetzesvor-
lagen auf den Tische legten. Aber was erleben wir statt-
dessen? Vier Regionalkonferenzen, Abwarten bis zum
Juni, bis der Parteitag der SPD stattgefunden hat. Da-
nach bleibt bis zur Sommerpause nur noch wenig Zeit.
Wir alle miteinander wissen: Was dort vorgeschlagen
wird, wirkt erst mittel- und langfristig. Wir verlieren Tag
für Tag die Zeit, die notwendig ist, um die Reformen
endlich anzupakken.
Herr Staatssekretär, ich freue mich schon darauf, dass
wir uns bald wiedersehen werden; denn viele der Vor-
schläge, die jetzt als Agenda 2010 das ist aber nicht
weitreichend genug vorgetragen werden, betreffen
Maßnahmen, über die wir vier Jahre lang diskutiert ha-
ben.
Auch ein Abgeordneter hat abends die Gelegenheit
fernzusehen. Gestern Abend habe ich daher den ge-
schätzten Kollegen Müntefering im Fernsehen gesehen.
Er wurde mit einer im Bild festgehaltenen Aussage von
1993 konfrontiert, die zeigte, wie sich die SPD gegen
Änderungen struktureller Art bei der Sozialhilfe, dem
Arbeitslosengeld und anderen Dingen während unserer
Regierungszeit wehrte.
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ie aber haben zu Beginn Ihrer Regierungszeit vor vier-
inhalb Jahren vieles zurückgenommen. Inzwischen ha-
en Sie mit unserer Hilfe wieder eine Rolle rückwärts
emacht. Herr Kuhn, wissen Sie, warum die Minijobs
nzwischen so gut angenommen werden? Weil sie näm-
ich eine Befreiung von den Regulierungen darstellen,
it denen Sie den Arbeitsmarkt vier Jahre lang strangu-
iert haben. Wir haben über den Vermittlungsausschuss
eholfen, dass die Sache mit den Minijobs so gut läuft.
Meine Bitte zum Schluss an die Bundesregierung und
n die Fraktionen von Rot-Grün: Fangen Sie endlich mit
en Reformen an! Verzichten Sie auf den Parteitag! Hö-
en Sie mit den Regionalkonferenzen auf! Legen Sie die
esetzentwürfe auf den Tisch! Jeder Tag, der ungenutzt
erstreicht, ist ein verlorener Tag für Deutschland. Tun
ie endlich etwas!
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Karin Roth.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen!
eine Herren! Herr Meckelburg, angesichts Ihrer Aus-
agen bin ich ein wenig ratlos.
inerseits werfen Sie uns vor, dass wir nichts auf den
eg bringen und nur diskutieren.
ndererseits sagen Sie im gleichen Atemzug, dass es Ih-
en bei den Hartz-Konzepten zu schnell geht. Sie müs-
en sich schon entscheiden. Ein kräftiges Sowohl-als-
uch ist richtig falsch. Es ist gar keine Frage: Wir alle
ier im Parlament wissen, dass wir in einer äußerst
chwierigen Lage sind.
Die Frage, worin die Ursachen für die hohe Arbeitslo-
igkeit liegen, muss beantwortet werden, damit wir die
Deutscher Bundestag 15. Wahlperiode 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2003 3547
)
)
Karin Roth
richtigen Maßnahmen treffen. Das bedeutet, dass wir
nicht nur die Innenpolitik beachten, sondern auch auf
das sehen, was außenwirtschaftlich geschieht. Da ist es
doch unstrittig es sei denn, Sie lesen nicht die Gutach-
ten des DIW und anderer zur Weltwirtschaft und zur eu-
ropäischen Wirtschaft , dass alle europäischen Länder,
insbesondere die in der Eurozone, die gleichen Schwie-
rigkeiten in Bezug auf die Wachstumsrate haben. Das hat
sehr viele Gründe; ich will einige nennen.
Einer dieser Gründe ist, wie wir wissen, dass das
Wachstum insbesondere durch den Krieg und die daraus
resultierenden psychologischen und ökonomischen Fol-
gen gehemmt worden ist. Das bestreitet kein Mensch,
kein Wirtschaftswissenschaftler und hoffentlich auch Sie
nicht.
So tragen beispielsweise die Börsenverluste dazu bei,
dass die Menschen in unserem Land weniger Geld ha-
ben. Dies nicht zu thematisieren wäre ebenfalls falsch.
Es geht hier also nicht um einen Punkt der Politik für
mehr Arbeitsplätze, sondern darum, dass wir ein Ge-
samtpaket von Reformen auf den Weg bringen müssen.
Das heißt, wir müssen zunächst und vor allen Dingen
versuchen, auf der einen Seite die Wachstumsentwick-
lung voranzubringen und auf der anderen Seite die Ar-
beitsmarktreformen fortzusetzen. Das ist gar keine
Frage.
Zu Recht hat mein Kollege Kuhn darauf hingewiesen,
dass Sie auch einmal in die Statistik der vergangenen
Zeit sehen sollten. Da werden Sie auch sehen, Herr
Meckelburg,
dass beispielsweise unter der Regierung Kohl bei einem
Wachstum von über 3 Prozent 4,28 Millionen Menschen
arbeitslos waren.
Im letzten Jahr betrug das Wachstum 0,2 Prozent und im
Jahresdurchschnitt waren 4,06 Millionen Menschen ar-
beitslos.
Das heißt nicht, dass wir nichts tun müssten, aber es deu-
tet darauf hin, dass wir uns Gedanken darüber machen
müssen, wie wir das Wachstum in Gang bringen können,
um die Arbeitslosigkeit zu reduzieren. In dieser Hinsicht
haben wir einen richtigen Weg beschritten.
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as bedeutet, dass wir bei einem Reformprojekt sehr
iel Zeit verlieren, das insbesondere den Kommunen
elfen würde, vor Ort über Investitionen Arbeit zu schaf-
en, und zwar nicht kreditfinanziert, sondern indem die
assen der Gemeinden stärker gefüllt werden, wie wir
s alle wollen.
Es ist natürlich auch keine Frage, dass im Bereich der
nnovationen das Thema Technologieentwicklung eine
roße Rolle spielt. Auf diesem Gebiet müssen wir auch
ehr tun; darüber gibt es Konsens, hoffentlich auch im
arlament. Aber darüber hinaus geht es um die Frage,
elche Maßnahmen wir am Arbeitsmarkt einleiten.
Wir haben zu Recht gesagt: Wir setzen jetzt Hartz III
nd IV um. Es ist zutreffend, dass über den richtigen
eg gestritten wird, aber ich halte es auch für notwen-
ig, dass wir hier vor allen Dingen diejenigen zur Ver-
ntwortung ziehen, die etwas versprochen haben. Das
ilt insbesondere für die Wirtschaft im Zusammenhang
it den Ausbildungsplätzen. Natürlich sind Reformen
otwendig wir leiten sie ein ; aber die Wirtschaft hat
m Rahmen des Bündnisses für Arbeit versprochen, ge-
ügend Ausbildungsplätze zu schaffen. Jetzt ist die Wirt-
chaft an der Reihe, genau diese Ausbildungsplätze ein-
urichten, damit die Jugendlichen eine Zukunftschance
aben. Was ist das Wort der Wirtschaft wert, wenn sie
ies im Bündnis für Arbeit verspricht, es aber im
ahr 2003 nicht realisiert?
s ist also notwendig, dass die Wirtschaft die 70 000 Aus-
ildungsplätze, die zurzeit noch fehlen, in den nächsten
onaten schafft, damit davon ein Signal ausgeht.
ie Wirtschaft trägt die Verantwortung dafür, dass es in
nserem Land qualifizierte Arbeitskräfte gibt.
Lassen Sie mich noch etwas zur Frage sagen, was von
er Union kommt.
3548 Deutscher Bundestag 15. Wahlperiode 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2003
)
)
Karin Roth
Interessant ist, was alles bei der CDU/CSU diskutiert
und überlegt wird. Ich greife nur einen Punkt heraus, die
kurzfristige Kürzung des Arbeitslosengeldes um
25 Prozent.
Frau Kollegin, achten Sie bitte auf die Zeit. Sie kön-
nen nur noch einen Schlusssatz sagen.
Auch dies gehört zu den Maßnahmen, mit denen vor-
gegeben wird, es werde sich etwas ändern. Interessant ist
aber, dass Herr Merz, der heute nicht da ist,
diesen Punkt schon wieder zurückgenommen hat. Man
darf darauf gespannt sein, ob von der Union mehr Rheto-
rik oder mehr Vorschläge kommen. Wir zählen auf Ihre
Vorschläge, werden aber fortdauernd prüfen, ob Sie Ihre
Vorschläge am Ende im Bundesrat mit uns gemeinsam
umsetzen.
Das Wort hat jetzt der Herr Kollege Schauerte.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen
und Kollegen! Frau Roth, ein bisschen Logik ist in die-
ser Debatte schon vonnöten; danach werde ich mich mit
dieser Art der Argumentation nicht mehr weiter befas-
sen.
Sie haben gerade gesagt, in der Schlussphase der Regie-
rung von Helmut Kohl hätten wir ein Wachstum von
mehr als 3 Prozent und zugleich eine hohe Arbeitslosig-
keit gehabt. Das ist wahr. Das Wachstum zog an und wir
waren guten Mutes, damit die Arbeitslosigkeit wirksam
bekämpfen zu können.
Aufgrund dessen, was Sie in den letzten fünf Jahren ge-
leistet haben, haben wir heute Nullwachstum und wach-
sende Arbeitslosigkeit, während sie vor 1998 abnahm.
Was soll also Ihre Aussage? In Ihrer Argumentation soll-
ten Sie wenigstens logisch sein.
Die Lage in Deutschland ist unglaublich ernst. Unsere
gemeinsame Sorge muss es sein, ob die bisher vorgeleg-
ten Konzepte überhaupt dem Ernst der Lage gerecht
werden können. Wir sind die Industrienation, in der die
jungen Leute am spätesten in den Beruf gehen, in der die
älteren Mitarbeiter am frühesten in die Rente gehen und
in der es die kürzeste Tages-, Wochen- und Jahresar-
beitszeit gibt.
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uf dieses Problem haben Sie bisher keine wirklichen
ntworten gegeben. Die einzige Antwort, Herr
randner, die die IG Metall für den Teil unseres Vater-
andes gibt, in dem die Arbeitslosigkeit am höchsten ist,
esagt, auch dort endlich die Arbeitszeit auf 35 Stunden
u verkürzen. Ich prophezeie Ihnen eines: Wir werden
ber kurz oder lang darüber nachdenken müssen, ob wir
icht gemeinsam die Arbeitszeit verlängern, um unsere
robleme verkleinern zu können. Durch die fortgesetzte
erkürzung der Arbeitszeit ist ein wesentlicher Teil un-
erer Probleme entstanden, weil die Wettbewerbsfähig-
eit der deutschen Volkswirtschaft im internationalen
ergleich kaputtgegangen ist. Darüber werden wir also
och reden müssen.
Ich hätte von der Bundesregierung gern etwas dazu
ehört, ob sie die Entwicklung hin zur 35-Stunden-Wo-
he in den neuen Ländern begrüßt und als einen Beitrag
ur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit ansieht oder nicht.
enn es richtig wäre, dass die Verkürzung der Arbeits-
eit zum Abbau der Arbeitslosigkeit beiträgt, Herr
ndres, dann kämen Sie nicht darum herum, die Arbeits-
eit in Deutschland generell zu verkürzen. Davor
cheuen Sie zurück, weil Sie wissen, dass es falsch ist.
o falsch es aber für ganz Deutschland wäre, so falsch
st es auch für die neuen Länder, was dort jetzt geschieht.
agegen müsste die Bundesregierung etwas unterneh-
en.
Das Dilemma der SPD ist folgendes: Mit dem weni-
en, was sie auf den Weg bringt, hat sie bereits existen-
ielle Probleme, es überhaupt bei sich durchzusetzen.
ie eine widerspenstige Selbsterfahrungsgruppe geht
ie SPD im Moment vor. Obwohl die Probleme täglich
chneller als unsere Lösungsansätze wachsen, richtet die
PD Selbsterfahrungsgruppen ein, um die Widerspensti-
en in dieser Partei zähmen zu können. Wissen Sie aber,
elches Problem Sie am Ende haben werden? Sie wer-
en das wenige unter Aufbietung aller Disziplinierungs-
räfte durchsetzen und Ihre unvernünftigen Mitglieder
ur Räson bringen. Dann werden Sie feststellen, dass die
robleme weiter wachsen, weil Sie nicht weit genug ge-
angen sind. Dann aber sind Sie fertig; denn zweimal
der dreimal können Sie eine solche existenzielle Diszi-
linierung Ihren Mitgliedern und Ihren Gewerkschaften
nd Herrn Brandner nicht zumuten.
as ist Ihr Problem, zugleich aber unsere Sorge.
Ich verstehe nicht, wie jemand von der SPD sagen
ann, unsere beiden Parteien hätten ein Problem, sich zu
erständigen. Wir haben uns mühelos im leichten Durch-
Deutscher Bundestag 15. Wahlperiode 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2003 3549
)
)
Hartmut Schauerte
gang auf eine einvernehmliche Linie geeinigt. Sie, die
Sie in der Verantwortung für Entscheidungen stehen, ha-
ben sich bis heute nicht geeinigt, haben bis heute keine
Mehrheit und wissen nicht, wohin die Reise geht.
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang noch et-
was über die Rolle der Opposition sagen. Im Moment ist
der Marienmonat Mai. Sie müssten eigentlich den gan-
zen Tag
Kerzen für die Mutter Gottes anstecken, und zwar aus
Dankbarkeit, dass Sie eine Opposition haben, die Ihren
Kurs im Grundsatz will. So etwas hatten wir in Deutsch-
land noch nie. Wir sagen: Im Grundsatz gehen die
Schritte in die richtige Richtung. Wir streiten uns äußers-
tenfalls über die Menge und sind der Meinung, dass das,
was ihr tut, nicht genug ist. Solch eine Opposition hätte
ich mir für die CDU vor Jahren gewünscht.
Wir bleiben konsequent auf Kurs. Wir legen bei je-
dem Reformpaket mehr vor, als Sie zu machen bereit
sind.
Jetzt wird eins nach dem anderen abgearbeitet. Wir
sind im Arbeitsmarkt weiter. Warum bewegen Sie sich
nicht? Ein Thema sind die Bündnisse für Arbeit. Warum
sollen Betriebe miteinander nicht vernünftige Regelun-
gen in bestimmten Korridoren finden können, um Ar-
beitsplätze zu sichern?
Das lehnen Sie konsequent ab. Wenn Sie sich bei sol-
chen Kleinigkeiten nicht bewegen, dann reichen Ihre Re-
zepturen nicht aus und Sie werden vor der nächsten Re-
formhürde stehen und sie reißen. Wir kommen in
Deutschland nicht weiter, unseren Arbeitslosen wird
nicht geholfen und unseren Jugendlichen wird keine Per-
spektive gegeben. Sie stehen in der Verantwortung. Tun
Sie etwas! Sie haben eine höchst vernünftige Opposi-
tion. Die hat es in der Geschichte der Bundesrepublik
Deutschland in dieser Klarheit noch nicht gegeben.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Walter Hoffmann.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Der letzte Redner hat einige Vorteile. Ein Vorteil
besteht darin, dass man auf die eine oder andere Sache
eingehen kann und niemand anders Gelegenheit hat,
noch einmal darauf zu antworten.
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Ich habe gedacht, Sie würden schweigen. Wenn man
um Beispiel sagt, der Kollege Brandner kenne sich mit
romille besser aus
nein, das war Herr Fuchs , oder wenn man die politi-
chen Gegner als Konsorten bezeichnet, dann ist das
in schlechter und übler Stil.
Ich habe mir das notiert. Wir sollten nicht in diesen
til verfallen. Dazu ist das Thema insgesamt zu ernst.
ie Menschen draußen schauen schon sorgfältig, welche
onkreten Forderungen man stellt und in welcher Form
nd in welchem Stil man sich mit dem Thema auseinan-
er setzt.
Zweite Anmerkung: Es ist das Stichwort Pappkame-
aden gefallen. Herr Niebel, es führt nicht weiter, stän-
ig irgendwelche Pappkameraden aufzubauen, um an-
chließend darauf zu klopfen. Ich habe sorgfältig notiert,
elche Vorschläge Sie machen. Sie fordern eine Reform
er Bundesanstalt für Arbeit, Sie fordern Jobcenter, die
n Kooperation mit Sozialämtern tätig werden sollen. Sie
issen doch ganz genau, dass in der dritten und vierten
tufe des Hartz-Konzepts exakt dies vorgesehen ist.
Es gibt schriftliche Erklärungen und Erläuterungen, in
enen das alles bekannt gemacht worden ist. Nun bauen
ie einen Popanz auf und tun so, als ob das etwas Neues
äre. Auch das ist kein konstruktiver Beitrag.
Frau Lengsfeld, ich komme aus einem westlichen
undesland. Aber eine Äußerung von Ihnen hat mich
eltsam berührt.
an kann Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen bewerten,
ie man will. Jeder hier im Raum hat eine kritische
rundeinstellung zu Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen.
ach meinen Informationen nimmt die Zahl der Arbeits-
eschaffungsmaßnahmen in den westlichen Ländern so-
ieso, aber auch in den östlichen Bundesländern tenden-
3550 Deutscher Bundestag 15. Wahlperiode 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2003
)
)
Walter Hoffmann
ziell ab. Aber die Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen als
eine mit Westgeld subventionierte Form des Sozialismus
zu bezeichnen empfinde ich gegenüber vielen betroffe-
nen Menschen, die keine andere Chance haben, als in
Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen tätig zu werden,
schlicht und ergreifend ein Stück weit arrogant.
Herr Fuchtel und auch meine Vorgängerin haben eine
Gruppe angesprochen, die uns in der Tat große Sorgen
bereitet und von der wir meinen, dass wir sie stärker in
unsere Aktivitäten einbeziehen müssen. Es ist richtig,
dass es die sehr hohe Zahl von mehr als 500 000 jungen
Arbeitslosen gibt. Eine ähnlich schwierige Situation
stellt sich zurzeit auf dem Lehrstellenmarkt dar.
Ich denke, dass wir weil die Agenda 2010 erst im
zweiten Halbjahr im Gesetzgebungsverfahren diskutiert
bzw. beschlossen wird unsere Aktivitäten besonders auf
diese Personengruppen konzentrieren müssen.
Weil wir heute viel Kritik austauschen, möchte ich
aber auch einen Bereich erwähnen, in dem es uns gerade
in den vergangenen Tagen zum Teil gemeinsam gelun-
gen ist, positive Akzente zu setzen. Ihnen allen ist die
Diskussion über behinderte und benachteiligte Jugendli-
che bekannt. Im Januar und Februar war die Situation in
diesem Land extrem schwierig, weil viele junge Men-
schen sich an die Bundesanstalt für Arbeit wandten, weil
sie einen Job oder eine berufsvorbereitende Maßnahme
suchten oder in einer Werkstätte unterkommen wollten.
Die Bundesanstalt konnte diesen jungen Menschen aber
keine Zusage geben.
Es gab daraufhin im ganzen Land Proteste, Demons-
trationen und heftige Auseinandersetzungen. Behinderte
gingen auf die Straße und erkämpften ihr Recht auch ein
Stück weit. Ich denke, es ist für uns alle ein Erfolg, dass
kurz vor Ostern zunächst die Bundesanstalt für Arbeit,
aber dann auch der Bundeskanzler und der Wirtschafts-
minister klar und eindeutig festgestellt haben, dass die
betroffenen Behinderten sowohl die Benachteiligten
als auch die Behinderten im zweiten Halbjahr ein ak-
zeptables Angebot erhalten werden. Das Förderniveau
soll, wie es heißt, mindestens auf dem Niveau des Vor-
jahres verbleiben.
Alle Sparmaßnahmen, die aufgrund bestimmter Vo-
raussetzungen drohten, sind zurückgenommen worden.
Die zentrale Bewirtschaftung der Mittel ist aufgehoben
worden, sodass im Ergebnis jeder einen Ausbildungs-
bzw. einen Arbeitsplatz bekommt oder an einer konkre-
ten berufsvorbereitenden Maßnahme teilnehmen kann.
Das ist ein kleiner, aber entscheidender und wichtiger
Beitrag zu einer verbesserten Arbeitsmarktsituation be-
sonders für junge Menschen im zweiten Halbjahr. Ich
denke, darüber können wir alle froh sein. Wenn es uns
gelingt, in Verbindung mit der Realisierung der Rahmen-
bedingungen, die uns allen bekannt sind, auch in anderen
Bereichen die Kooperation zu verbessern und einen Aus-
bildungskonsens zu erreichen, dann gehen wir, denke
ich, auch positiveren Zeiten entgegen.
Vielen Dank.
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Damit ist die Aktuelle Stunde beendet.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 5 sowie die
usatzpunkte 6 und 7 auf:
5. Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für die Angelegenheiten
der Europäischen Union
zu dem Antrag der Fraktionen der SPD und des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Der europäischen Verfassung Gestalt geben
Demokratie stärken, Handlungsfähigkeit er-
höhen, Verfahren vereinfachen
zu dem Antrag der Abgeordneten Sabine
Leutheusser-Schnarrenberger, Dr. Claudia
Winterstein, Jürgen Türk, weiterer Abgeordne-
ter und der Fraktion der FDP
Das neue Gesicht Europas Kernelemente ei-
ner europäischen Verfassung
Drucksachen 15/548, 15/577, 15/950
Berichterstattung:
Abgeordnete Michael Roth
Peter Altmaier
Anna Lührmann
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
P 6 Beratung des Antrags der Abgeordneten Peter
Hintze, Peter Altmaier, Dr. Gerd Müller, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU
Ein Verfassungsvertrag für eine bürgernahe,
demokratische und handlungsfähige Europäi-
sche Union
Drucksache 15/918
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Sportausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für Kultur und Medien
Haushaltsausschuss
P 7 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Werner
Hoyer, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Daniel
Deutscher Bundestag 15. Wahlperiode 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2003 3551
)
)
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
Bahr , weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der FDP
Initiativen des Brüsseler Vierergipfels zur Eu-
ropäischen Sicherheits- und Verteidigungs-
Union über den Europäischen Verfas-
sungskonvent vorantreiben
Drucksache 15/942
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Auswärtiger Ausschuss
Verteidigungsausschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst
Herr Staatsminister Bury.
Hans Martin Bury, Staatsminister für Europa
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und liebe Kolle-
gen! Die Bundestagsdebatte zur europäischen Verfas-
sung kommt genau zum richtigen Zeitpunkt: Am
24. April hat das Präsidium seine Vorschläge für die zen-
tralen institutionellen Artikel der künftigen europäischen
Verfassung vorgestellt. In wenigen Tagen am 15. und
16. Mai wird der Konvent darüber beraten. Die Bun-
desregierung hält den vom Präsidium vorgestellten Ent-
wurf insgesamt für eine gute Grundlage für die weiteren
Arbeiten, auch wenn wir im Einzelnen durchaus Verbes-
serungsbedarf sehen.
Europa ist eine Erfolgsgeschichte: In 50 Jahren hat
sich die Wirtschaftsgemeinschaft der sechs schrittweise
zur politischen Union der 25 entwickelt. Jetzt müssen
wir dafür sorgen, dass die Union nicht an ihrem eigenen
Erfolg scheitert, sondern auch mit 25 und mehr ihre
Handlungsfähigkeit bewahrt.
Ein wichtiger Indikator für das Zusammenwachsen
der Union ist, dass sich der Konvent schon sehr früh da-
rauf geeinigt hat, die Grundrechte-Charta als rechts-
verbindlichen Teil in die Verfassung zu integrieren. Da-
mit gibt sich die Union eine Werteordnung, die die
Würde des Menschen als unantastbare Grundlage fest-
schreibt und die neben dem Bekenntnis zu liberalen Frei-
heitsrechten auch soziale Rechte und Gleichheitsrechte
enthält.
Diese gemeinsamen europäischen Grundwerte werden
es uns erleichtern, auch in Zeiten der Globalisierung das
europäische Sozialmodell zu verteidigen und uns welt-
weit für nachhaltige Entwicklung in ihrer wirtschaftli-
chen, sozialen und umweltpolitischen Dimension einzu-
setzen.
Die Irakkrise und die Ereignisse der letzten Wochen
haben gezeigt: Wir brauchen mehr Europa. Wir müssen
Strukturen, in denen wir als Europäer unseren politi-
schen Willen gemeinsam bilden können, und Mechanis-
men entwickeln, mit denen wir den europäischen Werten
und Überzeugungen Geltung verschaffen, und zwar so-
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ir müssen unsere eigenen Fähigkeiten verbessern, um
m Sinne wirklicher Partnerschaft den europäischen
feiler des transatlantischen Bündnisses zu stärken. Mit
em Vorschlag des Vierergipfels knüpfen wir an frühere
nitiativen Frankreichs, Deutschlands, aber auch Groß-
ritanniens an. Wir wollen das Instrument der verstärk-
en Zusammenarbeit in der europäischen Sicherheits-
nd Verteidigungspolitik nutzen, damit eine Avantgarde
ie Integration auch in diesem Bereich vorantreibt, und
war nicht als Closedshop, also nicht in einem exklusi-
en, sondern in einem offenen Prozess, an dem sich alle
eutigen und zukünftigen Mitgliedstaaten der EU betei-
igen können. Ich bin sicher das bestätigen zahlreiche
espräche, nicht zuletzt diejenigen, die vor wenigen Ta-
en beim informellen Außenministertreffen geführt wor-
en sind , dass sich viele beteiligen werden, dass die
ttraktivität dieses Modells hoch ist.
Um die Handlungsfähigkeit der Europäischen Union
auerhaft zu gewährleisten, muss das institutionelle
reieck Parlament, Rat und Kommission insgesamt
estärkt und sein Gleichgewicht erhalten werden. Wir
egrüßen deshalb den Vorschlag des Präsidiums, das
itentscheidungsverfahren, in dem Rat und Parlament
leichberechtigte Gesetzgeber der Europäischen Union
ind, zum Regelfall europäischer Gesetzgebung zu ma-
hen. Nicht zuletzt im Bereich Justiz und Inneres haben
ir im Konvent bereits erstaunliche Fortschritte erzielt.
Besonders wichtig ist uns die Wahl des Kommissi-
nspräsidenten durch das Europäische Parlament.
as würde die Kommission stärken und ihre demokrati-
che Legitimation verbessern. Wichtig ist aber auch:
enn sich die Europawahlen sichtbar auf die personelle
esetzung dieser zentralen europäischen Institution aus-
irken, dann wird dies das europapolitische Interesse
er Bürgerinnen und Bürger stärken. Wahl und Über-
ahme politischer Verantwortung werden so untrennbar
iteinander verknüpft. Deshalb sollte der Europäische
3552 Deutscher Bundestag 15. Wahlperiode 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2003
)
)
Hans Martin Bury, Staatsminister für Europa
Rat auch nicht alleine, wie im Präsidiumsentwurf vorge-
sehen, den Kandidaten vorschlagen. Wir haben angeregt,
dass eine von Europäischem Parlament und Europäi-
schem Rat paritätisch besetzte Findungskommission im
Lichte der Ergebnisse der Wahlen zum Europäischen
Parlament eine Kandidatin bzw. einen Kandidaten be-
nennt, dass das Parlament sie oder ihn mit der Mehrheit
seiner Mitglieder wählt und dass der Europäische Rat
mit qualifizierter Mehrheit bestätigt.
Als Hüterin der Verträge und Vertreterin des europäi-
schen Gesamtinteresses ist die Kommission in einem er-
weiterten Europa wichtiger denn je.
Ihre Stärkung ist daher ein wesentliches Ziel unserer Ar-
beit im Konvent. Wir begrüßen, dass der Präsidiumsvor-
schlag die Begrenzung der Zahl der Kommissare auf
15 vorsieht,
unterstützt von Frau Leutheusser-Schnarrenberger,
aber auch von delegierten Mitgliedern, um die Funk-
tionsfähigkeit der Kommission als Kollegium zu erhal-
ten. Auch die Beneluxstaaten haben diesem Vorschlag in
der Zwischenzeit zugestimmt. Wichtig ist uns auch das
ausschließliche Initiativrecht der Kommission, abgese-
hen von wenigen Ausnahmen im Bereich der polizeili-
chen Zusammenarbeit und in der Außenpolitik.
Als Vertretung der Staaten auf europäischer Ebene
wird der Ministerrat weiterhin eine wichtige Rolle spie-
len. Er muss durch die Ausweitung der Entscheidung mit
qualifizierter Mehrheit jedoch effektiver arbeiten.
Mit der Vereinfachung der Instrumente und der Annä-
herung an innerstaatliche Gesetzgebungsverfahren erhö-
hen wir die Transparenz europäischen Handelns und da-
mit die Bürgernähe der Europäischen Union. Die
Gesetzgebungsarbeit soll in Zukunft ein Legislativrat
leisten, der, wie die zweite Kammer in föderalen Staaten,
öffentlich tagt.
Ein dauerhafter Vorsitzender des Europäischen Ra-
tes Sie wissen, dass das für einige unserer Partner für
eine Einigung entscheidend ist soll schließlich die
Kontinuität der europäischen Politik verbessern. Für uns
ist dabei eine klare Abgrenzung zu den Aufgaben der
Kommission und zu denen ihres Präsidenten erforder-
lich, um die erwähnte Balance im institutionellen Drei-
eck zu wahren.
In wenigen Wochen soll der Konvent den Staats- und
Regierungschefs einen Verfassungsentwurf vorlegen.
Ich bin der Meinung, dass wir den vorgesehenen Zeit-
plan unbedingt einhalten sollten. Nur so kann der Eini-
gungsdruck aufrechterhalten werden und nur so können
wir das Momentum der Konventsarbeit nutzen. Wir ha-
ben bereits beachtliche Fortschritte erzielt. Ich bin über-
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Selbst wenn wir eine hervorragende Arbeit abliefern
ich hoffe, dass wir das tun werden , wird der fort-
chreitende Integrationsprozess auch in der Zukunft Ver-
assungsänderungen notwendig machen. Wir sollten
ann auf dieses sich gerade bewährende Verfahren zu-
ückgreifen.
Deutschland und Frankreich haben mit gemeinsamen
nitiativen immer wieder Brücken zwischen eher inter-
ouvernemental und eher integrationistisch ausgerichte-
en und argumentierenden Mitgliedern dieses Konvents
ebaut. Viele kleinere Mitgliedstaaten sehen uns in der
ntscheidenden Rolle, Brücken zwischen Großen und
leinen zu bauen. Wir sind uns dieser Verantwortung
ewusst und wir nehmen sie gern wahr.
Alle Beteiligten, liebe Kolleginnen und Kollegen,
erden für den Konsens über ihren Schatten springen
üssen in die Sonne eines vereinten Europas, eines
uropas der Freiheit, der Sicherheit und der Solidarität.
Vielen Dank.
Ich möchte im Namen von uns allen auf der Tribüne
rofessor Meyer, unseren früheren Kollegen, begrüßen.
r hat die Ehre und die große Aufgabe, uns in dieser
rage im Verfassungskonvent zu vertreten.
Das Wort hat der Abgeordnete Peter Hintze.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
erren! Mitten in die Schlussphase der Konventsbera-
ungen hinein hat die Bundesregierung als Teilnehmer
m so genannten Pralinengipfel in Brüssel ein schweres
isiko in Kauf genommen: Europa in der Gemeinsamen
ußen- und Sicherheitspolitik zu spalten. Ich möchte
eswegen zu Beginn unserer Debatte sagen: Statt ein ge-
chlossenes Treffen der USA-Kritiker zum Thema eu-
opäische Verteidigung durchzuführen, wäre es besser
ewesen, ein offenes Treffen aller NATO-Freunde in der
U zu organisieren.
Deutscher Bundestag 15. Wahlperiode 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2003 3553
)
)
Peter Hintze
Für uns in der CDU/CSU ist klar: Die europäische Si-
cherheits- und Verteidigungspolitik muss in gutem Ein-
verständnis mit der NATO stattfinden und für alle offen
sein, die mitwirken wollen.
Deshalb wollen wir in der europäischen Verfassung die
rechtlichen Voraussetzungen für die gemeinsame Si-
cherheits- und Verteidigungspolitik verbessern.
Dazu gehört erstens die Aufnahme einer Beistands-
klausel, die dem Art. V des WEU-Vertrages entspricht.
Ob bei terroristischer oder militärischer Bedrohung: Eu-
ropa muss bei der Gefährdung seiner Sicherheit zusam-
menstehen.
Zweitens. Der Weg zu einer europäischen Armee
wird über die Methode der verstärkten Zusammenarbeit
zu erschließen sein, die auch für die Verteidigungspolitik
in der neuen Verfassung ermöglicht werden muss.
Drittens. In den Fragen der Gemeinsamen Außen-
und Sicherheitspolitik brauchen wir eine Einigungsklau-
sel, die alle Mitgliedstaaten verpflichtet, in Fragen der
Außenpolitik der Europäischen Union eine Eini-
gungschance zu geben, bevor nationale Festlegungen er-
folgen. Hätten wir in der Irakkrise eine solche Eini-
gungsklausel gehabt, wäre uns vielleicht die deutsche
Vorfestlegung auf dem Marktplatz von Goslar erspart
geblieben.
Neben einem verbesserten Regelwerk brauchen wir
auch handlungsfähigere Institutionen. So braucht Europa
einen europäischen Außenminister, eine Stimme, die
Europa vertritt, die für Europa spricht und die für Europa
handeln kann. Schon der Hohe Beauftragte, Javier
Solana, hat trotz aller Beschränkungen seines Amtes be-
wiesen, was man in der Außenpolitik für Europa und die
Völkergemeinschaft tun kann. Daran kann man anknüp-
fen.
Das Nachrichtenmagazin Der Spiegel will wissen,
dass sich Bundesminister Fischer Hoffnungen auf dieses
europäische Spitzenamt macht. Ich hätte ihn gern ge-
fragt, ob er diesen Wunsch hat und nach den EU-Sternen
greift.
Ob dabei die Dokumentation des dänischen Fernsehens
über die Differenz von öffentlichen und persönlichen
Aussagen von Minister Fischer zum Türkeibeitritt hilf-
reich ist, wird sich zeigen.
Vom zukünftigen europäischen Außenminister er-
warte ich jedenfalls zwei Fähigkeiten: zum einen inte-
grativ nach innen zu wirken und zum anderen gute und
faire Beziehungen zu Europas wichtigstem Bündnispart-
ner in der Welt, den USA, zu pflegen. Wenn er mit sol-
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ie Kammer der Bürger, das Europäische Parlament,
uss gestärkt werden. Die Kammer der Nationen, der
at, muss als Gesetzgeber öffentlich und in fester Zu-
ammensetzung tagen.
Viele Menschen beschwert beim Thema Europa, dass
ie sich ohne Einfluss fühlen. Deswegen sollen nach un-
erem Willen die Bürger in Europa über die Wahl des
uropäischen Parlaments entscheidenden Einfluss auf
en Gang der Dinge bekommen. Deshalb muss das Eu-
opäische Parlament in Zukunft das Recht bekommen,
en Kommissionspräsidenten mit Mehrheit zu wählen.
Der jüngste Vorschlag vom deutschen Regierungsver-
reter im Konvent, Minister Fischer, birgt dagegen die
efahr einer veritablen Verfassungskrise in sich. Laut
iesem Vorschlag soll nämlich nach der Wahl des Präsi-
enten der EU-Kommission durch das Europäische Par-
ament der vom Parlament Gewählte nur dann ins Amt
ommen, wenn ihn der Europäische Rat mit qualifizier-
er Mehrheit ernennt.
Wir wollen demgegenüber, dass allein die parlamen-
arische Mehrheit im Europäischen Parlament über den
hef der europäischen Exekutive bestimmt. Für den
ahlvorschlag muss das Ergebnis der Europawahl nichts
nderes ausschlaggebend sein. Nur so bekommen die
ürger Einfluss auf den Gang der Dinge in Europa.
Wie bei uns der Bundespräsident so sollte in Europa
er Europäische Rat lediglich eine Notarfunktion bei
einem Wahlvorschlag an das Europäische Parlament
ahrnehmen. Dazu bedarf es keiner neuen Findungs-
ommission. Ich denke, die Vorschläge des deutschen
egierungsvertreters im Konvent müssen noch einmal
ründlich bedacht und besprochen werden.
Das Allerbeste wäre ich greife den Zwischenruf des
ollegen Hoyer auf : ohne längere Debatte vom Tisch.
3554 Deutscher Bundestag 15. Wahlperiode 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2003
)
)
Peter Hintze
Nun zur Arbeit des Europäischen Rates: Die Schaf-
fung des Amtes eines hauptamtlichen Ratspräsidenten
mit eigenem Verwaltungsunterbau würde zu beachtli-
chen Reibungsverlusten führen und dieser stünde in
Dauerkonkurrenz zum Kommissionspräsidenten. Des-
halb brauchen wir für den Europäischen Rat eine
schlanke Vorsitzlösung. Etwas mehr Kontinuität ist in
Ordnung, ein Super-Ratspräsident wäre zum Nachteil
Europas. Das würde mehr kosten, mehr Intransparenz
hervorrufen und wenig effizient sein. Deswegen sollten
auch diese Überlegungen möglichst rasch wieder vom
Tisch.
Mit der Verfassung wollen wir Europa bürgernäher,
effizienter und demokratischer gestalten. Hierfür haben
wir den bestmöglichen Weg gewählt. Die Europäische
Union versteht sich ja nicht nur als Union der Staaten,
sondern auch als Union der Bürgerinnen und Bürger.
Deshalb war es gut, dass wir die Erarbeitung der Verfas-
sung nicht in die Hände von hinter verschlossenen Türen
tagenden Regierungen gelegt haben, sondern zu einer
Angelegenheit der Parlamentarier und des Konvents ge-
macht haben, in dem die Vertreter der Parlamente und
Regierungen und auch die der Beitrittsländer ihre Ge-
danken und Überlegungen mit einbringen und diskutie-
ren können. Nie war Europa parlamentarischer und nie
wieder darf es ein Zurück in den vorparlamentarischen
Zustand in Europa geben, liebe Kolleginnen und Kolle-
gen.
Unser Dank gilt unseren Vertretern im Konvent. Der
auf der Besuchertribüne wurde schon besonders begrüßt;
es kam schon Neid bei den Kollegen auf, die noch dem
Deutschen Bundestag angehören, weil sie nicht einzeln
von der Präsidentin begrüßt wurden. Ich möchte außer-
dem Erwin Teufel, Peter Altmaier, Elmar Brok und
Joachim Wuermeling nennen, die im Konvent eine her-
vorragende Arbeit für unsere Parteienfamilie leisten.
Die Europäische Union ist eine Wertegemeinschaft.
Zugleich bestimmen ihre Regeln unser Zusammenleben
in immer größerem Maße. Deshalb gehört für mich die
bereits erarbeitete Grundrechte-Charta zwingend an
den Anfang unserer europäischen Verfassung, und zwar
in vollem Wortlaut.
Damit verbunden ist auch die Aussage es handelt sich
nicht nur um die rechtliche Frage, ob sie im Protokoll die
gleiche Wirkung entfalten könne , dass wir uns mit den
Grundrechten zu den fundamentalen Menschen- und
Bürgerrechten als den Errungenschaften unserer christ-
lich geprägten abendländischen Zivilisation bekennen.
Sie sind Leitidee und der Maßstab europäischen Han-
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ür mich gehört auch ein klares Bekenntnis zu unserer
erantwortung vor Gott und den Menschen an den An-
ang der europäischen Verfassung. Die Präambel unseres
rundgesetzes bietet hierfür ein exzellentes Vorbild.
Für uns muss der Grundsatz der Subsidiarität, das
eißt die Wahrung der Eigenverantwortung von Bürgern,
ommunen, Regionen und Mitgliedstaaten, wo immer
ierdurch bessere Ergebnisse garantiert werden, gesi-
hert werden. Die Kompetenzen Europas dürfen nicht
us allgemeinen Zielvorgaben abgeleitet werden, son-
ern müssen sich auf konkrete Einzelermächtigungen
ründen. Nach unserem Verständnis gehört dazu auch,
ass die Überprüfung der Einhaltung des Grundsatzes
er Subsidiarität durch die zuständigen Institutionen der
itgliedstaaten kritisch begleitet werden kann. Wir for-
ern deshalb, dass regionale Gesetzgebungskörperschaf-
en, wie bei uns die Bundesländer, aber auch Bundesrat
nd Bundestag, Verstöße gegen die Subsidiaritätsgrund-
ätze vor dem EuGH in eigener Verantwortung rügen
önnen. Wo die Verwaltung auf niedrigen, bürgernahen
benen besser handelt, muss sie weiter zuständig blei-
en. Diese Ebenen müssen auch ihr Recht vor dem Euro-
äischen Gerichtshof einfordern können, wenn sie einen
erstoß gegen diese Grundsätze feststellen.
Meine Damen und Herren, wenn wir von der Parla-
entarisierung der Europäischen Union sprechen, müssen
ir auch darüber nachdenken, wie wir uns als Deutscher
undestag im Prozess der europäischen Rechtsetzung
inbringen. Bei der Ratifizierung der europäischen Ver-
assung durch den Deutschen Bundestag werden wir
uch über eine wirksamere Beteiligung des deutschen
arlaments bei der Kontrolle der deutschen Vertreter im
inisterrat zu reden haben.
Das ist nicht nur ein allgemeiner Grundsatz, der in
iesem Hause vom Kollegen Müller schon oft und zu
echt erhoben wurde. In diesen Tagen wird wieder deut-
ich, wie aktuell das ist. Es kann nicht sein, dass wir in
entralen Fragen eine große innenpolitische Auseinan-
ersetzung führen denken wir an die Themen Asyl-
echt und Zuwanderung und dass dann der deutsche
nnenminister in der Lage ist, Bundestag und Bundesrat
ber Europa auszuhebeln, ohne dass wir Gelegenheit ha-
en, uns parlamentarisch zu äußern oder die Regierung
estzulegen.
Deswegen wollen wir Art. 23 des Grundgesetzes vor
er Ratifizierung der europäischen Verfassung so än-
ern, dass der Bundestag bei zentralen europäischen
ntscheidungen und Gesetzgebungsvorhaben besser als
isher beteiligt wird.
Deutscher Bundestag 15. Wahlperiode 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2003 3555
)
)
Peter Hintze
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Erarbeitung ei-
ner europäischen Verfassung durch den Konvent ist ein
epochales Ereignis in der Geschichte der Europäischen
Union. Zum ersten Mal geben sich die Staaten Europas
eine Verfassung, die auf gemeinsamen Werten menschli-
chen Zusammenlebens beruht und den Geist von Frei-
heit, Solidarität und Gerechtigkeit atmet. Wir haben die
große Chance, für die Europäische Union eine eigene
Identität zu schaffen, die weit über den gemeinsamen
Markt hinausreicht. Das Ziel muss eine starke Europäi-
sche Union sein, mit der wir die politischen, wirtschaftli-
chen und sozialen Herausforderungen unserer Zeit und
der Zukunft annehmen können.
Ich danke Ihnen.
Nächste Rednerin ist die Kollegin Anna Lührmann,
Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-
gen! Das war ja ein ganz schöner Schock, den uns
Konventspräsident Giscard dEstaing kurz nach Os-
tern versetzt hat, schenkte er uns allen doch ziemlich
faule Ostereier. Der Vorschlag, mit dem er in die Präsidi-
umssitzung gegangen war, ließ den Integrationsfreunden
in Europa das Herz in die Hose rutschen. Da war es wie-
der, das alte Europa, das alte Europa der Intransparenz,
des Demokratiedefizits und der Dominanz der großen
Staaten.
Ich habe mich gefragt: Hat da vielleicht jemand die
Konventsdebatten der letzten 14 Monate verschlafen?
Der Konvent ist schließlich angetreten, um genau dieses
alte Europa zu beenden. Das Ziel ist ein neues Europa,
ein Europa der Demokratie, ein Europa der Bürgernähe,
ein Europa, das für jede Bürgerin und für jeden Bürger
verständlich ist und das die Probleme des 21. Jahrhun-
derts effektiv löst.
Wir müssen uns alle beim Präsidium des Konvents
bedanken, dass die Vorschläge des Konventspräsidenten
nicht eins zu eins übernommen worden sind. Die Arti-
kelentwürfe, die dem Konvent jetzt vorgelegt worden
sind, sind weit besser als Giscard dEstaings ursprüngli-
che Ideen.
Leider blieben aber auch einige seiner Vorschläge
erhalten. Besonders die vom Präsidium vorgeschla-
gene Machtverteilung zwischen Europäischem Rat
und Europäischem Parlament muss verändert wer-
den. Im Verhältnis dieser beiden Gremien zueinander
entscheidet sich nämlich die Machtfrage in Europa: Wer
hat das Sagen in Europa oder soll es haben: die Diplo-
maten der Regierungen oder die gewählten Repräsentan-
ten der Bürgerinnen und Bürger? Ich würde mir wün-
schen, dass die Bürgerinnen und Bürger mehr Einfluss
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enn die Vorschläge des Präsidiums sehen dauerhaft ei-
en Präsidenten des Europäischen Rates vor, bei dem es
ich um einen ehemaligen Staats- oder Regierungschef
andeln soll, der sein Amt Vollzeit ausüben soll. Außer-
em wünscht Giscard dEstaing neben diesem einen Prä-
identen auch noch drei Präsidiumsmitglieder. Dann hät-
en wir vier Politiker, die für das alte Europa der
ntransparenz und der mangelnden Demokratie arbeiten.
Wir alle hier haben sehr viel Erfahrung im Umgang
it Politikern gesammelt. Wir wissen alle, dass es ein
uter Politiker wirklich versteht, so viel Einfluss wie
öglich an sich zu reißen. Wer gerät also am meisten in
efahr, Aufgaben und Ansehen zu verlieren? Das ist der
ommissionspräsident. Aber unserer Meinung nach
ollte er es sein, der neben dem europäischen Außenmi-
ister die EU nach außen vertritt. Schließlich soll der
ommissionspräsident Staatsminister Bury hat dies
chon erwähnt in Zukunft derjenige in Europa sein, der
ie höchste demokratische Legitimation hat.
3556 Deutscher Bundestag 15. Wahlperiode 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2003
)
)
Anna Lührmann
Er soll nämlich vom Europäischen Parlament gewählt
werden. So würden sich die Ergebnisse der Europawahl
ganz konkret in der Bildung einer europäischen Regie-
rung niederschlagen. Ich begrüße es daher ausdrücklich,
dass der Modus zur Wahl des Kommissionspräsiden-
ten verbessert werden soll, auch nach Vorstellung des
Präsidiums. Allerdings machen mir auch hier einige De-
tails Sorgen. Ich finde es problematisch, dass der Euro-
päische Rat den Präsidenten der Kommission vorschla-
gen soll.
Viel wichtiger wäre es, dass das Europäische Parla-
ment in allen Bereichen weiter gestärkt wird. Deshalb
ist die Ausweitung des Mitentscheidungsrechtes des Par-
laments ein sehr guter Vorschlag. Allerdings ist es mei-
ner Meinung nach heikel, dass viele bisherige Kompe-
tenzen des Parlaments in den jetzigen Artikelentwürfen
nicht mehr zu finden sind. Beispielsweise fehlt in Art. 15
das Misstrauensvotum oder das Fragerecht des Parla-
ments. So dünn darf der Artikel über das Europäische
Parlament nicht bleiben, wenn wir wirklich mit dem Ziel
ernst machen wollen, ein Europa der Bürgerinnen und
Bürger und der Staaten zu schaffen.
Natürlich soll das Europäische Parlament auch über das
politische Leben in Europa debattieren. Ich denke, dafür
brauchen wir keinen unnötigen Kongress der Völker.
Im gesamten Bereich der gemeinsamen Außen-, Si-
cherheits- und Verteidigungspolitik finde ich die Vor-
schläge des Präsidiums erstaunlich gut. Sie stellen einen
sehr großen Schritt nach vorne dar. Die geplante Benen-
nung eines EU-Außenministers ist ein wirklicher Mei-
lenstein in der Außenpolitik. In diesem Punkt stimmen
wir alle überein. Das Gleiche gilt auch für das Ziel, die
verstärkte Zusammenarbeit im Bereich der Außenpolitik
zu nutzen und die Beistandsverpflichtung aus dem
WEU-Vertrag in den EU-Rahmen zu überführen. Dies
ist eine Forderung, die ich ebenfalls unterstütze.
Ich finde es gut, dass jetzt die Grundlagen für eine
gemeinsame Verteidigungspolitik geschaffen werden.
Denn im Ernst: Alle EU-Staaten wir erleben das auch
in Deutschland haben Haushaltsprobleme. Wozu brau-
chen wir angesichts der Sicherheitslage in Europa noch
15 bzw. in Zukunft 25 verschiedene Armeen? Das will
mir nicht in den Kopf. Auch wenn wir das wird aus der
Arbeit des Konvents deutlich vom Aufbau einer ge-
meinsamen Armee noch weit entfernt sind, so zeigt doch
die Entwicklung im Konvent, dass diejenigen falsch lie-
gen, Herr Hintze, die immer wieder behauptet haben
oder immer noch behaupten, dass die unterschiedlichen
Meinungen der EU-Staaten in der Irakfrage zu einer dau-
erhaften Spaltung der EU in der Außenpolitik führen
werden.
Im Gegenteil: Europa lernt aus den Fehlern der Vergan-
genheit und stärkt jetzt die gemeinsame Handlungsfähig-
keit.
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Drei Verbesserungsvorschläge für diesen Bereich
öchte ich anmerken: Erstens sollten auch Entscheidun-
en in der Außenpolitik mit qualifizierter Mehrheit ge-
roffen werden.
Zweitens sollte das Europäische Parlament an diesem
olitikbereich stärker beteiligt werden.
Drittens ist es ganz wichtig, dass der europäische Au-
enminister von einem diplomatischen Dienst unter-
tützt wird, damit er auch wirklich effizient arbeiten
ann.
Wirklich gut finde ich übrigens die Pläne für ein euro-
äisches Freiwilligenkorps. Ich weiß nicht, ob Ihnen
ieser Vorschlag bei der Lektüre der aktuellen Artikel
es Konvents aufgefallen ist. Hier wird vorgeschlagen,
ass Jugendliche aus verschiedenen EU-Ländern ge-
einsam im Bereich der humanitären Hilfe arbeiten und
o hautnah die europäische Solidarität und Identität erle-
en können.
Es gibt viele weitere gute Vorschläge des Präsidiums:
ie Strukturen von Ministerrat und Kommission sollen
um Beispiel effizienter werden. Qualifizierte Mehr-
eitsentscheidungen im Rat sollen ausgeweitet und die
rfordernisse dafür sollen vereinfacht werden. Dies, so
enke ich, ist ein sehr großer Integrationsfortschritt, zu
em die Konferenz von Nizza noch nicht bereit war.
Allen Unkenrufen zum Trotz zeigt sich jetzt, dass die
onventsmethode erfolgreich ist. Der Konvent hat
chon jetzt den Anfang vom Ende des alten Europa ein-
eläutet. Transparenz und Offenheit sind nämlich erfolg-
eicher als Verhandlungen hinter verschlossenen Türen.
Insgesamt stimmt mich die aktuelle Diskussion im
onvent sehr optimistisch. Doch die Verfassung ist noch
ange nicht fertig. Noch ist nicht hundertprozentig si-
her, ob wir auch wirklich eine Verfassung für das neue
uropa bekommen. Der Konvent muss jetzt darauf ach-
en, dass seine Änderungsvorschläge vom Präsidium
bernommen werden. Die Zeit drängt. Deshalb sollte so
ald wie möglich ein konsolidierter Verfassungsentwurf
orgelegt werden, der die Änderungswünsche der Mehr-
eit des Konvents aufnimmt.
Lassen Sie mich zum Ende meiner Rede zu einem
unkt kommen, der das Ende eines jeden Verfassungs-
rozesses darstellt: Die Annahme der Verfassung steht
och vor uns. Die europäische Verfassung wird der EU
ine neue Qualität geben: eine Europäische Union der
ürgerinnen und Bürger und der Staaten. Ich finde es
eshalb notwendig, dass wir auch bei der Annahme der
erfassung neue Wege gehen. Die Ratifizierung durch
undestag und Bundesrat ist zwar für internationale Ver-
räge vollkommen in Ordnung. Aber eine Verfassung
ollte von den Bürgerinnen und Bürgern angenommen
erden. So würde sie eine größere Legitimation erhalten.
Nun sieht das Grundgesetz für diesen Fall bekanntli-
herweise keinen Volksentscheid vor. Aber das Grund-
esetz kann man in dieser Frage ändern, wie es viele Ab-
eordnete in diesem Hause fordern. Lassen Sie uns jetzt
Deutscher Bundestag 15. Wahlperiode 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2003 3557
)
)
Anna Lührmann
die Grundlage dafür schaffen, dass die Bürgerinnen und
Bürger über ihre europäische Verfassung abstimmen
können! In einem Großteil der EU-Mitgliedstaaten wer-
den die Bürger gefragt. Lassen Sie uns den Menschen
hierzulande das gleiche Recht geben! Lassen Sie uns
mutig sein und am Tag der Europawahlen im kommen-
den Jahr über die europäische Verfassung ein Referen-
dum abhalten! Denn dann hätten wir es: das Europa der
Bürgerinnen und Bürger und der Staaten.
Vielen Dank.
Nächste Rednerin ist die Kollegin Leutheusser-
Schnarrenberger, FDP-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegin-
nen und Kollegen! Der europäische Verfassungskon-
vent tritt in seine entscheidende Phase ein. Am 20. Juni,
also in wenigen Wochen, soll der Entwurf einer europäi-
schen Verfassung vorliegen, die die Grundlage für das
Europa der 25, 27 oder auch 28 sein soll. Es geht also
um eine ganz grundlegende Weichenstellung und Neu-
orientierung der Europäischen Union zu einem demokra-
tischen, bürgernahen, einer gemeinsamen Wertebasis,
nämlich der Grundrechte-Charta, verpflichteten Staaten-
gebilde besonderer Art Juristen sagen: sui generis ,
das handlungsfähig und nachvollziehbar seine Entschei-
dungen für jetzt 380 Millionen Bürger und als Europa
der 25 für 450 Millionen Bürger treffen muss. Es geht
also nicht um etwas mehr oder weniger Technik bei der
Abstimmung im Rat, um etwas mehr oder weniger quali-
fizierte Mehrheiten oder um etwas mehr oder weniger
Kompetenzen. Es geht darum, ob Demokratie, Rechts-
staatlichkeit, Gewaltenteilung und eine klare Zuordnung
der Aufgaben auf europäischer und nationalstaatlicher
Ebene in der künftigen europäischen Verfassung veran-
kert werden.
Die Grundrechte-Charta ist nicht so selbstverständ-
lich, wie wir heute über sie reden.
Wenn man sich bei der Erarbeitung dieser Charta in wei-
ten Teilen an der Europäischen Menschenrechtskonven-
tion, aber auch an vielen Artikeln in unserem Grundge-
setz orientiert und das auch festschreibt, zeigt das, dass
der Wille da ist, sich auf ein gemeinsames Wertefunda-
ment zu verständigen. Deshalb ist es ganz selbstver-
ständlich, dass die Grundrechte-Charta nicht in einem
Protokoll versteckt werden darf, sondern mit ihrem Geist
die Verfassung prägen muss und deshalb natürlich an
den Anfang gehört.
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3558 Deutscher Bundestag 15. Wahlperiode 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2003
)
)
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
Wir wollen klare Texte in der Verfassung, aber doch
nicht Gremien, in denen wahrscheinlich mit vielen an-
deren personellen Besatzungen ausgehandelt wird, was
im Moment vielleicht am besten passt. Das Parlament
schafft das allein; denn durch das Ergebnis der Europa-
wahl sind die Mehrheitsentscheidungen getroffen wor-
den.
Dass das Parlament gestärkt werden muss, gehört für
uns mit an die erste Stelle, neben allen anderen wichti-
gen Aspekten wie Kompetenzen, Subsidiaritätsgrund-
satz und der Arbeitsweise im Rat. Deshalb sind das
Haushaltsrecht des Parlaments auf der Ausgabenseite
und natürlich die volle Beteiligung am Gesetzgebungs-
verfahren für uns selbstverständlich.
Ich sage klar: Wir sind die Einzigen, die das fordern,
was eigentlich erst ein Parlament ausmacht, nämlich das
Initiativrecht.
Davor scheut man zurück. Wir haben das in unserem
Antrag ausdrücklich gefordert.
In dem Kapitel über den Raum der Freiheit, der Si-
cherheit und des Rechts wird ein Initiativrecht der Mit-
gliedstaaten mit einem Quorum, wie es bisher schon der
Fall ist, aufgeführt, aber kein Initiativrecht des Parla-
ments. Das darf auf keinen Fall so bleiben. Ich bitte da
um Unterstützung unseres Vertreters im Konvent. Herr
Meyer, Sie haben ausdrücklich darum gebeten, von die-
sem Podium aus Aufträge zu bekommen, die Sie dann
im Konvent vertreten. Hier ist der zweite Auftrag.
Wir unterstützen die Kommission darin, kleiner zu
werden. Die Begrenzung auf 15 Kommissare haben wir
schon immer gefordert. Teilweise wurden wir etwas mit-
leidig nach dem Motto "Das ist doch illusorisch ange-
schaut. Jetzt steht es im Entwurf des Präsidiums des
Konvents. Wir unterstützen das. Uns geht es aber nicht
allein um die Zahl, sondern um das andere Denken, um
die andere Struktur der Kommission.
Das ist für uns das Entscheidende. Entscheidend ist nicht
der nationalstaatlich entsandte Kommissar, der in erster
Linie die Interessen seines Mitgliedstaates vertritt. Ent-
scheidend sind qualifizierte Fachleute hoffentlich mit
Erfahrung auf europäischer Ebene die ihre Forderun-
gen im Interesse der Europäischen Union formulieren.
Zum Ratspräsidenten ist viel gesagt worden. Unser
Antrag ist klar und eindeutig. Wir wollen keinen aufge-
werteten Ratspräsidenten, der den Kommissionspräsi-
denten hinsichtlich seiner Aufgaben und seiner Funktion
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as haben wir als liberale Fraktion schon immer gesagt.
arüber hat es bislang keine Verwerfungen gegeben, wie
ir sie in den letzten Wochen in der Europäischen Union
rleben mussten. Man kann nur hoffen, dass die Konsul-
ationsmechanismen, wie sie derzeit im Entwurf vorge-
ehen sind, dazu führen, dass es endlich wieder um den
emeinsamen Dialog und nicht um das Gegeneinander
eht, dass wir solche Vierergipfel und isolierte Aktionen
icht mehr haben werden, sondern dass im Konvent da-
über debattiert wird, was wir für eine Gemeinsame Au-
en- und Sicherheitspolitik und besonders für eine Si-
herheits- und Verteidigungspolitik wollen. Das gehört
n den Konvent. Wir wollen mit unserem Antrag, den
ir eingereicht haben, den europäischen Pfeiler in der
ATO stärken.
Zum Schluss: Wir haben uns überhaupt noch nicht
it der Wirtschaftsverfassung befasst. Wir wollen, dass
uch Wettbewerb und Marktwirtschaft als Kernelemente
n der europäischen Verfassung stehen,
nd wir wollen am Ende die Beteiligung der Bürgerin-
en und Bürger. Ich freue mich, dass einige in diesem
aus gesagt haben: Eine Volksabstimmung über diese
erfassung ist wichtig. Wir müssen das Grundgesetz än-
ern. Eine rein konsultative Beteiligung reicht nicht aus;
amit würde man dem Bürger etwas vormachen.
Ich fordere Sie auf, der Initiative, die die FDP ergrei-
en wird, im Plenum zuzustimmen. Dann werden wir es
chaffen, die Bürgerinnen und Bürger viel intensiver in
iesen Prozess einzubeziehen.
Vielen Dank.
Nächste Rednerin ist die Kollegin Petra Pau, frak-
ionslos.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
nde Juni wird der Konvent den Entwurf einer EU-Ver-
assung vorlegen. Er betrifft alle EU-Staaten und natür-
ich alle Bürgerinnen und Bürger der EU. Insofern ist es
öchste Zeit, dass sich der Bundestag damit befasst und
Deutscher Bundestag 15. Wahlperiode 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2003 3559
)
)
Petra Pau
auch eigene Ansprüche deutlich formuliert. Es liegt an
uns, die EU-Verfassung so in die Öffentlichkeit zu brin-
gen, dass sie wahr- und angenommen werden kann.
Damit komme ich zu einem Punkt, der im Antrag der
Regierungskoalition eher versteckt steht. Ich zitiere:
Der Deutsche Bundestag bittet den Konvent zu prü-
fen, wie die Bürgerinnen und Bürger unmittelbar im
Wege eines Bürgerentscheids über die Annahme
der europäischen Verfassung entscheiden können.
Ich finde, der Bundestag sollte klarer dafür plädieren,
dass die EU-Verfassung in Volksentscheiden angenom-
men wird. Das wäre der Größe angemessen und oben-
drein demokratischer. Ganz nebenbei würden wir im
Bundestag auch noch die Hausaufgabe machen, die wir
uns schon in der letzten Legislaturperiode vorgenommen
hatten, nämlich Volksentscheide und direkte Bürgerbe-
teiligung auf Bundesebene endlich auch in der Bundes-
republik in Form eines Gesetzes Wirklichkeit werden zu
lassen.
Der Antrag von SPD und Bündnis 90/Die Grünen be-
ginnt mit einem Bekenntnis zur EU. So weit, so gut. Al-
lerdings sollten Sie sich in Ihrer Euphorie etwas brem-
sen; denn Sie lobpreisen in Ihrem Antrag als
Erfolgsstory, dass alle Bürgerinnen und Bürger der Euro-
päischen Union in Frieden, Freiheit, Sicherheit und
Wohlstand leben können. Ich muss Sie doch wohl nicht
an die fast 5 Millionen Arbeitslosen in der Bundesrepu-
blik oder an die weit über 20 Millionen Arbeitslosen in
der EU erinnern. Auch gerade deshalb wiederhole ich
die Auffassung der PDS, dass die EU jetzt und in der Zu-
kunft vor allem eine starke soziale Komponente in der
Verfassung braucht, die sich auch im wirklichen Leben
niederschlägt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es war spätestens
seit dem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg der USA
gegen den Irak zu erwarten, dass die angestrebte
Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik von be-
sonderer Relevanz ist. Der Ruf nach einer gemeinsamen
euro-päischen Stimme ist daher sehr verständlich. Die
Frage ist nur, was das Gemeinsame und das Einigende in
der Außen- und Sicherheitspolitik ausmacht. Ich kann
für die PDS nur wiederholen und muss warnen: Es darf
nicht nur um die Frage gehen, der Militärmacht USA Pa-
roli zu bieten oder ihr zu folgen. Es muss darum gehen,
sich mit zivilen Ansprüchen von einer falschen US-Poli-
tik zu emanzipieren.
Die Chance der EU liegt darin, dass sie wichtige
Grundsätze der zukünftigen Verfassung ernst nimmt.
Dazu gehören das Bekenntnis zur Nachhaltigkeit, das
Engagement für Vollbeschäftigung sowie die Erhaltung
des Friedens nach innen wie nach außen. Wir werden
uns von dieser Vision allerdings noch weiter entfernen,
wenn Sie in der Koalition beispielsweise an der
Agenda 2010 des Kanzlers festhalten. Sie ist unsozial
und gemessen an der künftigen Verfassung im Übrigen
auch antieuropäisch.
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nd Klaus Hänsch nennen. Klaus Hänsch gehört dem
räsidium an. Das Präsidium hat erfolgreiche Arbeit ge-
eistet sie war sehr schwierig und hat das, was vom
onventspräsidenten vorgeschlagen wurde, demokrati-
cher werden lassen.
Es steht uns auch deswegen gut an, weil der Konvent
riginär ein parlamentarisches Gremium ist. Dieses Gre-
ium konnte durch unsere Aktivitäten und unser Enga-
ement überhaupt erst eingesetzt werden. Dieser Kon-
ent braucht parlamentarische Begleitung und
nterstützung; denn er ringt mit der zentralen Heraus-
orderung, die uns tagtäglich auch im Bundestag be-
chäftigt: Wie können wir die Globalisierung politisch
estalten, und zwar in einer Zeit, in der nationalstaat-
iches Handeln zunehmend an seine Grenzen stößt?
Eigentlich müssten hier nicht nur die Europaexperten
itzen, sondern auch die anderen, weil es um die Wirt-
chaft, den Verbraucherschutz, die Umweltpolitik und
iele andere Themenbereiche geht. Wir müssen es ir-
endwann einmal schaffen, diese Vernetztheit des euro-
äischen Handelns auch in unserem Parlament deutli-
her werden zu lassen.
Der Konvent hat zwei schwierige Aufgaben zu be-
ältigen, um die Globalisierung aktiv zu gestalten: Er
uss mehr Demokratie wagen und den europäischen In-
titutionen sowie Europa insgesamt mehr Handlungsfä-
igkeit zuteil werden lassen.
Die Vorschläge zu den institutionellen Reformen lie-
en jetzt endlich auf dem Tisch. Wenn ich mit Kollegin-
en und Kollegen darüber rede, sagen sie, dass sie das
lles nicht interessiert, und sie fragen mich, was das
berhaupt soll. Bei aller verständlichen Skepsis sage ich:
3560 Deutscher Bundestag 15. Wahlperiode 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2003
)
)
Michael Roth
Es geht hier um die Machtfrage in Europa. Wer hat was,
wann, wie und an welchen Stellen zu entscheiden?
Wir müssen mehr Demokratie wagen, damit das ins-
gesamt ein Erfolg wird. Wir brauchen einen vitalen Par-
lamentarismus, wir brauchen starke, einflussreiche und
selbstbewusste Parlamente auf der europäischen Ebene
und wir brauchen nationale Parlamente, die sich dieser
europäischen Aufgabe besser als bislang stellen.
Die Europäische Union ist nicht nur eine Union der
Staaten so wie das eben schon zum Ausdruck gebracht
wurde , sondern sie ist auch eine Union der Bürgerin-
nen und Bürger. Offensichtlich herrscht darüber kein
Konsens; denn sonst hätte der Präsident des Konvents,
der ja nicht irgendeiner extremistischen Minderheit in
Europa angehört, diese gefährlichen Vorschläge nicht
unterbreitet. Es ist ein zum Teil gefährliches Selbstver-
ständnis, das hier zum Tragen kommt und zum Ausdruck
gebracht wird; denn die Europäische Union ist nicht al-
lein die Domäne der Staaten und ihrer Regierungen. Was
für ein demokratisches Selbstverständnis wäre das?
Was heißt, mehr Demokratie für Europa wagen? Hier
sind wir glücklicherweise einer Meinung. Das heißt zu-
nächst einmal: Das Europäische Parlament muss ein
starkes Parlament als Kammer der Bürgerinnen und Bür-
ger sein.
Wir brauchen dabei selbstbewusste und vom Vertrauen
der Bürgerinnen und Bürger getragene Europaabgeord-
nete. Wir wissen doch, wie schwierig das ist. Das erfah-
ren wir aus unseren Gesprächen mit den Kolleginnen
und Kollegen aus dem Europäischen Parlament. Deswe-
gen ist es wichtig, dass wir Wahlkreise einrichten, um ih-
nen die Chance zu geben, näher bei den Bürgerinnen und
Bürgern zu sein. Dadurch können sie wie jeder Bun-
destagsabgeordnete auch ein überschaubares Gebiet
bearbeiten, sodass sie sich heimisch und von den Men-
schen, die sie oder ihn gewählt haben, getragen fühlen
können.
Wir müssen auch dem Prinzip One man, one vote
eine stärkere Durchschlagskraft verleihen; das ist ein
ganz wichtiger Punkt.
Herr Kollege Müller, wir wissen, dass eines dabei natür-
lich sehr deutlich sein muss: Bei den ganz kleinen Mit-
gliedstaaten wird es eine gewisse Mindestrepräsentanz
geben müssen.
Zwischen dem Europäischen Parlament und dem Rat,
der als Kammer der Staaten durch die Regierungen re-
präsentiert wird, muss bei der Gesetzgebung natürlich
Gleichberechtigung herrschen. Der entscheidende Punkt
ist, dass das Europäische Parlament den Chef der Exeku-
tive wählen muss. Wir brauchen ein Gesicht für Europa.
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Deutscher Bundestag 15. Wahlperiode 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2003 3561
)
)
Michael Roth
Die Europäische Union und die europäische Demokratie
brauchen europataugliche nationale Parlamente, die die
Europapolitik ihrer Regierungen effizient und durch-
schlagsfähig kontrollieren.
Mehr Demokratie bedeutet aber auch eine Weiterent-
wicklung des Ministerrates zu einer starken Kammer, die
öffentlich tagt und mit Mehrheit entscheidet. Wir wollen
kein Einstimmigkeitsprinzip mehr. Daher unterstützen
wir auch unseren Konventsdelegierten. Mehr Demokra-
tie bedingt auch einen von der Mehrheit des Parlaments
getragenen und nicht allein vom Wohlwollen der Regie-
rungen abhängigen Kommissionspräsidenten.
Aber mehr Demokratie verlangt auch eine engere An-
bindung der Parlamente an die Außen-, Sicherheits- und
Verteidigungspolitik. Ich bin stolz auf das, was wir im
Deutschen Bundestag vor allem in der Verteidigungspo-
litik leisten; denn wir haben eine Parlamentsarmee. Weil
wir uns als Seismographen der Gesellschaft verstehen
und nah an den Bürgerinnen und Bürgern sind, kommen
verteidigungspolitische Entscheidungen verantwor-
tungsbewusst zustande. Ich glaube, dass dieses parla-
mentarische Verständnis von Verteidigungspolitik gut
für unser Land ist. Es wäre auch gut für Europa, wenn
wir das Europäische Parlament noch stärker an diesen
grundlegenden Fragen der Außen-, Sicherheits- und Ver-
teidigungspolitik beteiligten.
Weniger Demokratie bedeutete es aber, wenn wir ei-
nen mächtigen Ratspräsidenten hätten, der sich allein
den Regierungen verpflichtet fühlt. Weniger Demokratie
bedeutete es auch, wenn wir stur am Einstimmigkeits-
prinzip festhielten, wenn es uns nationalstaatlich ge-
nehm ist.
Der Koalitionsantrag, der schon einige Male ange-
sprochen wurde von der Kollegin Pau hätte ich mir ge-
wünscht, sie hätte ihn etwas aufmerksamer gelesen ,
soll Richtschnur und Stütze für unsere Konventsdele-
gierten sein. Er macht deutlich: Die SPD war, ist und
bleibt eine Europapartei, die nicht nur theoretisiert, son-
dern sich tagtäglich abmüht, Europa menschlicher, soli-
darischer, gerechter und friedlicher werden zu lassen.
Das ist unsere große Aufgabe.
Das Referendum ist angesprochen worden. Sie brau-
chen gar nichts mehr zu entwickeln oder vorzuschlagen,
Frau Leutheusser-Schnarrenberger. Diese Koalition hat
einen Vorschlag für mehr plebiszitäre Elemente im deut-
schen Grundgesetz vorgelegt. Dieser Vorstoß ist aber je-
des Mal vor allem an der CDU/CSU gescheitert. Deswe-
gen schlage ich Ihnen vor: Wir debattieren über mehr
plebiszitäre Elemente in der Bundesrepublik. Ich bin
dann gespannt, wie sich die CDU/CSU verhalten wird;
denn sie hat diesen Vorschlag auf nationalstaatlicher
Ebene ständig abgelehnt. Aus diesem Grunde kann ich
nicht verstehen, warum Herr Stoiber für die europäische
Ebene jetzt etwas fordert, was er nationalstaatlich mas-
siv abwehrt und dem er sich verweigert. Diese Frage
müssen Sie uns beantworten.
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Die Machtfrage in Europa ist gestellt. Aus meiner
icht kann diese Machtfrage nur demokratisch oder gar
icht beantwortet werden. Für die letzte Etappe wünsche
ch allen viel Kraft und Ausdauer, aber auch die Bereit-
chaft zum Kompromiss. Deswegen habe ich auch Ver-
tändnis dafür, wenn sich der Außenminister mit einem
orschlag zur Wahl des Kommissionspräsidenten, der
ns vielleicht nicht unbedingt schmeckt, in den Konvent
egibt und versucht, eine Kompromisslinie aufzuzeigen.
ei aller Kritik, die wir in dieser Frage vielleicht teilen,
rauchen wir auch die Bereitschaft zum Kompromiss;
nderenfalls kann das ganze Projekt nicht gelingen. Des-
egen unseren Delegierten, unseren Schaffern vor Ort in
rüssel: Glück auf für die letzte Etappe!
Danke schön.
Nächster Redner ist der Kollege Peter Altmaier,
DU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe
olleginnen und Kollegen! Dieser Konvent war die rich-
ige Antwort auf die großen Reformherausforderungen
er Europäischen Union.
r war nicht deshalb die richtige Antwort, weil die Dele-
ierten so besonders gut sind. Das sind sie vielleicht
uch, jedenfalls einige. Er war auch nicht deshalb die
ichtige Antwort, weil er in Brüssel und nicht an einem
nderen Ort tagt. Vielmehr war er die richtige Antwort,
eil er unter den Augen und unter der Kontrolle der Öf-
entlichkeit und nicht hinter verschlossenen Türen tagt.
s ist im Laufe der letzten anderthalb Jahre immer wie-
er gelungen, die Aufnahme von Vorschlägen, die ge-
ährlich und problematisch waren, dadurch zu verhin-
ern, dass der Druck der öffentlichen Meinung
obilisiert worden ist. Dies zeigt, dass es in einer demo-
ratischen Gesellschaft keine Alternative zu einer öf-
entlichen politischen Debatte gibt.
3562 Deutscher Bundestag 15. Wahlperiode 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2003
)
)
Peter Altmaier
Dieser Konvent kann, wenn er den selbst gesteckten
Erwartungen gerecht wird, ein wirklich historisches Er-
gebnis erreichen, mit dem Europa, die europäische Inte-
gration auf eine neue qualitative Stufe gestellt wird. Er
wird aber auch das müssen wir den Menschen draußen
sagen Europa nicht neu erfinden, nicht alles verändern
und nicht alles in Frage stellen. Vielmehr soll er auf den
Errungenschaften aufbauen, die seit 50 Jahren erreicht
worden sind, sie verbessern und so ausgestalten, dass sie
den Herausforderungen der heutigen Zeit gerecht wer-
den.
Das sind keine Schlagworte. Wenn wir über Bürger-
nähe und Demokratie reden, dann bedeutet dies in der
heutigen Zeit zuvörderst, dass die Bürger die Möglich-
keit haben müssen, mitzuentscheiden. Die Europäische
Union ist kein Staat und wird durch diesen Konvent auch
kein Staat, aber sie hat in vielen Bereichen Zuständigkei-
ten wie ein Staat. Daher muss sie auch wie ein Staat or-
ganisiert sein. Das heißt, die Bürger müssen die Mög-
lichkeit haben, ihre Regierung zu wählen und
abzuwählen. Deshalb ist die in diesem Konvent aufge-
worfene Frage, ob das Europäische Parlament den Präsi-
denten der Europäischen Kommission wählt, keine tech-
nische Frage, sondern die entscheidende Frage nach
Demokratie und Bürgernähe.
In diesem Zusammenhang richte ich an die Adresse
des Vertreters der Bundesregierung die Bitte, noch ein-
mal über Folgendes nachzudenken: Wenn wir mehr De-
mokratie und Bürgernähe erreichen wollen, dann passt
der Vorschlag des Bundesaußenministers nicht dazu,
dass nach der Wahl des Kommissionspräsidenten
durch das Europäische Parlament derjenige, der nach
einer Europawahl im Europäischen Parlament die Mehr-
heit hat, wird gewählt der Europäische Rat mit qualifi-
zierter Mehrheit dann noch einmal darüber entscheidet,
ob er diese Person auch tatsächlich ernennt.
Das wäre so ähnlich, als müsste der vom Bundestag ge-
wählte Bundeskanzler anschließend mit absoluter Mehr-
heit vom Bundesrat bestätigt werden.
Das ist noch nicht einmal parlamentarische Monarchie;
das ist vorparlamentarische Monarchie.
Ich bitte Sie ganz herzlich: Denken Sie noch einmal
darüber nach und ziehen Sie diesen Antrag zurück! Die
gesamte Debatte über Ratspräsidentschaft und über insti-
tutionelle Arrangements die die Bürger nur begrenzt
interessieren, aber im Konvent so schrecklich wichtig
sind hat natürlich auch zum Gegenstand, wie man Eu-
ropa so organisieren kann, dass es zu einem gerechten
Interessenausgleich zwischen Großen und Kleinen in
Europa kommt.
Aus der Konventsarbeit der letzten Tage und Wochen
muss man dazu sagen, dass das Misstrauen vor allen
Dingen der kleinen Mitgliedstaaten in Bezug auf eine
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ob ein Land einen blauen Brief bekommt oder nicht.
Vielmehr muss die Kommission nach einem objektiven
Verfahren die Mitgliedstaaten zur Einhaltung ihrer Ver-
pflichtungen anhalten.
In diesem Falle brauchen wir aber nicht noch eine zu-
sätzliche Zuständigkeit der Europäischen Union für die
Koordinierung der Wirtschaftspolitiken insgesamt. Das
heißt, das Prinzip Weniger, aber besser sollte für uns
die Leitschnur bei der Neuordnung der Kompetenzen
sein.
Natürlich müssen wir die Verfahren zur Erhebung der
Mehrwertsteuer und anderer indirekter Steuern so re-
geln, dass sie europaweit kompatibel sind. Aber brau-
chen wir wirklich eine eigene Steuer für die Europäische
Union oder zahlen die Bürger nicht schon Steuern ge-
nug, sodass eigentlich Steuersenkungen, nicht aber wei-
tere Steuererhöhungen erforderlich wären?
Meine Damen und Herren, wir brauchen ein System der
Kompetenzausübung, das auch dazu führt, dass der Euro-
päische Gerichtshof aus der Kritik kommt. Der Europäi-
sche Gerichtshof ist aus exzellenten Juristen Richtern
und Generalanwälten zusammengesetzt, die eine her-
vorragende Arbeit leisten und das europäische Recht so
auslegen, dass es Wortlaut und Sinn der Europäischen
Verträge entspricht. In der Vergangenheit wurden sie im-
mer nur zugunsten der Integration ausgelegt. Wenn wir
aber erreichen wollen, dass Mitgliedstaaten und Europäi-
sche Union über einen Kernbereich an Aufgaben verfü-
gen, dann muss in Zukunft in bestimmten Bereichen auch
zugunsten der Mitgliedstaaten entschieden werden kön-
nen. Wenn wir die Kompetenzordnung so regeln, dann
wird der EuGH auch dafür sorgen, dass die Kompeten-
zen der Mitgliedstaaten geachtet werden, genauso wie
er es jetzt bei den Kompetenzen der Europäischen Union
tut.
Wir brauchen in Europa in der Tat endlich eine
Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik, die
diesen Namen verdient. Es gibt im Zeitalter der Globali-
sierung mit Ausnahme der Vereinigten Staaten von
Amerika heute keine großen Länder mehr. Das haben
nur noch nicht alle Länder bemerkt. Meine Befürchtung
ist, dass es auch im deutschen Bundeskanzleramt nicht
überall bemerkt worden ist. Sonst hätte man nicht im
August letzten Jahres vom deutschen Weg in der Außen-
politik geredet. Das hat dazu geführt, dass in Europa
Misstrauen entstanden ist. Das hat dazu geführt, dass die
Verhandlungen im Konvent im Bereich der Außen- und
Sicherheitspolitik schwierig geworden sind.
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as ist ein wichtiger Fortschritt, weil er Ängste weg-
immt und dazu führt, dass die Akzeptanz von Europa
erbreitert wird.
Dazu gehört auch, dass wir unsere Grundwerte klar-
achen und deutlich machen, woher wir kommen und
uf welchen Traditionen wir aufbauen. Peter Hintze hat
esagt: Wir wollen einen Bezug zu Gott. Ich unterstrei-
he das nachdrücklich. Alle Redner haben gesagt, sie
ollten, dass die Europäische Grundrechte-Charta
echtsverbindlich wird, damit sie unser europäisches
rbe zum Ausdruck bringt. Dazu gehören Demokratie,
echtsstaatlichkeit, Gleichberechtigung von Mann und
rau und vieles andere mehr. Wenn wir es schaffen, dies
n verständlicher Form in die europäische Verfassung zu
chreiben, dann ist sie weniger technisch und leichter
erständlich.
Ich komme zum letzten Punkt. Lieber Michael Roth,
ch freue mich sehr, dass Sie gesagt haben: Wir stehen zu
nseren Vorschlägen für ein europäisches Referendum
nd für mehr direkte Bürgerbeteiligung. Wenn ich aber
ehe, wie panisch Herr Müntefering und Herr Scholz re-
giert haben, als zwölf Kolleginnen und Kollegen von
hnen
on dem Institut der Mitgliederbefragung Gebrauch ge-
acht haben, das in Ihrer eigenen Parteisatzung vorhan-
3564 Deutscher Bundestag 15. Wahlperiode 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2003
)
)
Peter Altmaier
den ist, dann sollten Sie auch über diesen Vorschlag
noch einmal nachdenken.
Wir sollten alles tun, damit wir den Zeitplan einhal-
ten, damit der Konvent in die Lage kommt, wie vorgese-
hen im Juni einen vernünftigen, einen weiterführenden
Vorschlag zu unterbreiten. Wir sollten ihn dann in der
Regierungskonferenz zügig verabschieden. Dann wird
uns dieser neue Verfassungsvertrag in die Lage verset-
zen, dass wir uns endlich um das kümmern, was die Bür-
ger von uns erwarten, nämlich die Lösung ihrer drängen-
den wirtschaftlichen, sozialen und politischen Probleme.
In diesem Sinne Glückauf!
Der nächste Redner ist der Kollege Rainder
Steenblock, Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Lieber Kollege Altmaier, wenn es jemanden gibt, der
keinen Anlass hat, mit Häme über Elemente der direk-
ten Demokratie zu sprechen, dann glaube ich, dass das
Ihre Fraktion ist.
Wir haben Ihre Fraktion seit Jahren in diesem Hause er-
lebt, wenn es darum ging, die Bürgerinnen und Bürger
außerhalb von Wahlen direkt an Entscheidungsprozessen
zu beteiligen, wofür wir uns immer eingesetzt und auch
entsprechende Gesetzentwürfe vorgelegt haben. So rich-
tig auch vieles in Ihrer Rede meiner Meinung nach ist,
Kollege Altmaier, bitte ich doch an dieser Stelle darum,
parteipolitische Polemik außen vor zu lassen.
Wir befinden uns in einer Situation das hat die De-
batte in diesem Hause gezeigt, die auf einem sehr hohen
Niveau verläuft; es gibt viele Forderungen, die von die-
sem Hohen Haus gemeinsam nach Europa getragen wer-
den , in der wir auch ein großes Interesse daran haben
müssten, die Menschen in diesem Lande mitzunehmen.
Denn diese Debatte wird das zeigt die geringe Zahl der
Abgeordneten, die das Hohe Haus hier repräsentieren
diesem Thema und seiner historischen Bedeutung nicht
gerecht.
Angesichts der Debatte in der Öffentlichkeit bzw. in
den Medien dieser Republik kann nicht davon die Rede
sein, dass es uns bisher gelungen ist, die Menschen in
diesem Lande an diesen historischen Entscheidungen
zu beteiligen, die Europa über Generationen hinweg prä-
gen und die Grundlage für ein immer demokratischeres,
friedliches, solidarisches, aber auch nachhaltiges Europa
schaffen werden. In diesem Bereich gibt es Versäum-
nisse.
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enn die technischen Formulierungen im Verfassungs-
ntwurf verstehen nur Lobbyisten und Insider wie wir.
Ich möchte noch versuchen, etwas richtig zu stellen,
as sowohl von dem Kollegen Altmaier als auch von
em Kollegen Hintze dargestellt worden ist. Die Initiati-
en, die die deutsche Bundesregierung zusammen mit
rankreich, Belgien und Luxemburg unternommen hat,
ind in dieser Darstellung aus meiner Sicht in der histori-
chen Bewertung in ein völlig falsches Licht gerückt
orden. Sie berauben sich auch der Chance, das umzu-
etzen, was Sie immer gewollt haben. Sie haben nämlich
n Ihrem Antrag zum Élysée-Vertrag mit Recht genau das
efordert, Kollege Hintze, was die Bundesregierung jetzt
nitiiert hat, nämlich mit der Achse ParisBerlin als Mo-
or eine europäische Sicherheits- und Verteidigungs-
nion voranzutreiben, und zwar nicht im Sinne eines
erneuropas, das andere Länder ausschließt, sondern im
inne eines Modells, mit dem jemand vorangeht und
eststellt, dass es sich vor allem nach den Ereignissen
er letzten Zeit um eine zentrale Frage europäischer
olitik für die Zukunft handelt, europäische Sicherheits-
nd Verteidigungspolitik gemeinsam zu definieren und
afür Ressourcen zur Verfügung zu stellen.
arin sollten wir uns einig sein und das sollten wir auch
emeinsam unterstützen.
Bei dem Vierergipfel hat es sich keineswegs um ein
reffen von Spaltern gehandelt. Vielmehr sind die Im-
ulse, mit denen wir Europa voranbringen wollen, auf
ntegration angelegt. Die Geschichte der Europäischen
nion zeigt, dass es immer das Prinzip großer Verände-
ungen in Europa war, dass sich einige auf den Weg ge-
acht und Initiativen entwickelt haben. Oftmals muss-
en andere Staaten erst von diesen Vorschlägen
berzeugt werden.
Der EU-Vertrag ist voll von Initiativen einzelner Staa-
en. Schengen zum Beispiel geht auf eine Initiative von
eutschland und Frankreich zurück. Die Initiative zur
eschäftigungspolitik wurde von Schweden angestoßen.
ie gesamte Umweltpolitik wurde im Grunde von einer
eutsch-dänischen Achse in Europa vorangebracht. Die
nionsbürgerschaft ist von Spanien und Portugal entwi-
kelt und in die EU hineingetragen worden.
Europa lebt von solchen Initiativen. Wir sollten uns
m positiven Sinne darauf beziehen, statt im Nachklapp
u Debatten, die hier geführt worden sind und in denen
ich der eine oder die andere vielleicht unwohl gefühlt
at, zu mäkeln. Wir sollten in dem Wissen, dass wir die
hematik, die von den Teilnehmern des Vierergipfels an-
iskutiert worden ist, in der Europäischen Union ge-
Deutscher Bundestag 15. Wahlperiode 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2003 3565
)
)
Rainder Steenblock
meinsam voranbringen wollen, nach vorne gerichtet dis-
kutieren. Das sollte unser Interesse bestimmen.
Zum Schluss möchte ich noch auf einen Wert hinwei-
sen, der gerade für die Fraktion der Grünen neben dem
Wettbewerb und den Zielen der ökonomischen Entwick-
lung, die Sie, Frau Leutheusser-Schnarrenberger, für die
FDP angesprochen haben, wichtig ist. Europa wird aus
unserer Sicht nur dann eine Zukunft haben, wenn es ein
Europa der Nachhaltigkeit ist, wenn es also zukünftigen
Generationen Lebensperspektiven bietet und ein Europa
ist, in dem die Ökonomie nicht zulasten der Schwachen,
der Natur, die sich nicht wehren kann, und der zukünfti-
gen Generationen, die sich nicht wehren können, entwi-
ckelt wird. Ein Europa der Nachhaltigkeit ist ein Europa,
das mit seinen Ressourcen vernünftig umgeht, das zum
Beispiel vom Erdöl wegkommt und eine eigene Energie-
versorgung auf der Grundlage regenerativer Energien
schafft, ein Europa, das die Bildungspolitik und die For-
schungspolitik als Ressourcen seiner zukünftigen Mög-
lichkeiten erkennt, die exportiert werden können, ein Eu-
ropa, das nicht danach strebt, andere zu unterdrücken,
und das nicht auf Konkurrenz aufgebaut ist, sondern das
im Kern solidarisch ist und dessen Länder füreinander
einstehen. Diese Form der Nachhaltigkeit in Europa ist
für uns ein Wert, für den wir besonders kämpfen.
Vielen Dank.
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Gerd Müller,
CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Nach
dem Binnenmarkt, dem Euro und der Osterweiterung ist
das Projekt eines europäischen Verfassungsvertrages ein
weiterer großer Reformschritt. Ich finde die Debatte
prima, die wir Parlamentarier geführt haben. Sie ist of-
fen. Es gibt eine Schnittmenge an Vorschlägen, die über
alle Fraktionsgrenzen hinweg als interessant betrachtet
werden. Wir sind Deutsche, die ihre Positionen zu dem
europäischen Verfassungsvertrag formulieren. Das intel-
lektuelle Niveau der Debatte ist vielleicht auch deshalb
so gut, weil die Bundesregierung daran fast gar nicht
teilnimmt. Einerseits bedauere ich das. Herr Bury, ich
meine nicht Sie persönlich. Auf der anderen Seite ist es
schon erschreckend, dass bei der Diskussion über ein
solches Projekt mit weit reichender Bedeutung wie das
eines europäischen Verfassungsvertrages weit und breit
kein Bundeskanzler und kein Bundesaußenminister zu
sehen sind. Die gesamte Bundesregierung glänzt durch
Abwesenheit. Das ist natürlich auch ein Affront gegen
dieses Parlament.
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und das wäre das andere den Bundestag aufzulösen.
Wie Sie sehen, bleibt der Beifall an dieser Stelle aus.
Auch unsere Bürgerinnen und Bürger wollen nicht, dass
es die Bundesregierung und den Bundestag nicht mehr
gibt.
Viertens. Die Mitgliedstaaten müssen das ist ein
zentraler Punkt, über den sich alle Fraktionen dieses
Hauses einig sind; im Europäischen Verfassungskonvent
gibt es aber auch Vertreter, die eine entgegengesetzte
Auffassung vertreten und das auch durch Änderungsan-
träge zum Ausdruck bringen Herren der Verträge blei-
ben. Es ist daran festzuhalten, dass die Begründung oder
die Änderung von Kompetenzgrundlagen, die in Teil I
und Teil II des Verfassungsvertrages festgehalten sind,
der Ratifikation durch die Parlamente der Mitgliedstaa-
ten bedarf.
In diesem Punkt gibt es keinen Verhandlungsspielraum,
auch nicht für Herrn Brok und andere Delegierte im
Konvent.
Fünftens Herr Altmaier hat dies angesprochen :
der Wertebezug des Verfassungsvertrages. Die Europäi-
sche Union soll mehr als nur eine Freihandelszone sein.
Die Gefahr, dass sie das wird, besteht natürlich, wenn sie
um die Türkei, um den Kosovo und vielleicht auf 35
Mitgliedstaaten erweitert wird. Europa ist eine Werte-
gemeinschaft und deshalb kämpfen wir für einen Werte-
bezug, auch für einen Gottesbezug in der Verfassung.
Die Finanzierung der Europäischen Union muss
eiterhin auf Beiträgen der Mitgliedstaaten beruhen.
ie Schaffung einer Rechtsgrundlage für eine EU-Steuer
st abzulehnen. Wenn ich eine Hochrechnung auf Grund-
age der neuen Vorschläge von Barnier anstelle, dann ist
avon auszugehen, dass in zwei bis drei Jahren eine
ehrwertsteuererhöhung oder höhere Einnahmen aus
er Tabaksteuer für die Finanzierung benötigt werden.
ies wollen wir nicht.
Der Bereich der Zuwanderung muss in nationaler
erantwortung bleiben. Damit komme ich zu einem zen-
ralen Punkt. Parallel zu dieser Sitzung tagen in Brüssel
ie Innen- und Justizminister. Die Innen- und Justizmi-
ister entscheiden über ein neues Zuwanderungsrecht.
azu gibt es Vorlagen. Nach den EU-Vorgaben sollen
sylbewerber mehr Leistungen erhalten und Flüchtlinge
ach zwölf Monaten den Zugang zum deutschen Ar-
eitsmarkt erhalten. Das Europäische Parlament hat
iese Vorschläge gebilligt und sich am 12. Februar
ehrheitlich für eine weitgehende Öffnung des Ar-
eitsmarkts für Drittstaatler ausgesprochen.
Ich spreche dieses aktuelle Beispiel an, weil die theo-
etische Forderung nach Mehrheitsentscheidungen na-
ürlich Konsequenzen hat. Wenn wir die Mehrheitsent-
cheidung im Rat und die Mitentscheidung im
uropäischen Parlament einführen, ist dieser Beschluss,
ämlich die weitgehende Öffnung des Arbeitsmarkts für
rittstaatler, beispielsweise im Bereich der Zuwande-
ung, europäisches Gesetz, ohne dass sich der Deutsche
undestag ein einziges Mal damit beschäftigt hat. Dies
ann nicht die Zukunft der europäischen Gesetzgebung
ein.
Deshalb gilt es natürlich, bei der Frage Wo Mehr-
eitsentscheidungen und wo Einstimmigkeit? noch ein-
al genau hinzuschauen. Leider liegt der entsprechende
eil II des Vertragsentwurfs noch nicht vor, Herr Bury.
as kann man dann auch nicht innerhalb von drei Tagen
eisten.
Der Kollege Peter Hintze hat eine neue inhaltliche
orderung der CDU/CSU eingeführt. Ich würde mich
reuen, wenn die Kolleginnen und Kollegen aus den
raktionen der SPD, der Grünen und der FDP dieses
hema anhand der Thematik Befassung der Innen- und
ustizminister mit der Zuwanderungsfrage einmal
urchdenken würden.
Wir schlagen eine Ergänzung des Art. 23 des
rundgesetzes vor. Wir wollen, dass im Deutschen
undestag in Zukunft bei der Sekundärrechtsetzung im
usammenhang mit grundlegenden Entscheidungen des
inisterrats die Zuwanderungsentscheidung heute
achmittag ist eine solche wie folgt verfahren wird:
m Tag vor einer solchen grundlegenden Entscheidung
Deutscher Bundestag 15. Wahlperiode 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2003 3567
)
)
Dr. Gerd Müller
oder in der Woche davor sollte der Innenminister, Herr
Schily, in den Deutschen Bundestag kommen, seine Po-
sition darlegen, sich bei uns der Diskussion stellen, ein
Votum mit nach Brüssel nehmen und so abstimmen, wie
es der Deutsche Bundestag ihm mit auf den Weg gege-
ben hat.
Das muss die Zukunft sein. Wenn wir so verfahren,
dann finden wir auch wieder Resonanz und Interesse
beim Bürger und bei den Parlamentariern. Das Entschei-
dende ist: Wir bekommen wieder die Rückkopplung
zum Bürger, zum Volk. Wir dürfen Europa nicht einfach
nur obendrüber stülpen. Wir müssen die Themen beim
Bürger verankern. Das nationale Parlament ist der
Strang, an dem der Bürger die Gesetzgebung nach wie
vor festmacht. Wir müssen die Kontrolle gegenüber
dem Ministerrat durch diese Grundgesetzänderung ef-
fektiv ergänzen. Der Bundesrat hat sich dieses Recht
längst geholt.
Herr Kollege, Ihre Redezeit ist zu Ende.
Jawohl.
Das ist ein Punkt, bei dem sich heute zu meiner gro-
ßen Freude ein Stück Konsens abgezeichnet hat, bei dem
wir aufeinander zugehen können. Wenn das nicht so ge-
schieht, verabschieden wir den Verfassungsvertrag, ge-
ben weitgehende weitere Rechte nach Brüssel, an den
Ministerrat und an das Europäische Parlament, ab, und
in Zukunft wird kein Bürger mehr Interesse an dem ha-
ben und Notiz von dem nehmen, was im Deutschen Bun-
destag passiert. Das wollen wir alle nicht.
Herzlichen Dank.
Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege
Dietmar Nietan, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen,
lassen Sie mich am Schluss dieser Debatte, die wirklich
eine Debatte ist, die Vorbildcharakter für das Parlament
hat, weil sie sehr sachlich ist und weil sie die wirklich
wichtigen Punkte herausarbeitet, noch einmal auf einen
Punkt zurückkommen, der in den Beratungen des Kon-
vents jetzt eine große Rolle spielen wird, nämlich die
Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik und den
Weg hin zu einer gemeinsamen europäischen Sicher-
heits- und Verteidigungsunion.
Wir haben dankenswerterweise den Antrag der Kolle-
ginnen und Kollegen von der FDP-Fraktion. Sie fordern,
dass die Initiativen des Brüsseler Vierergipfels nicht
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Richtig, Frau Leutheusser-Schnarrenberger, deshalb
ehört das in den Konvent hinein. Insofern lassen Sie
ich auch noch einige Dinge zur Diskussion im Kon-
ent sagen.
Zunächst möchte ich unterstreichen das erscheint
ir für uns ganz wichtig , dass sich die Initiative des
ierergipfels in vielen Dingen mit dem, was das Präsi-
ium des Konvents vorgeschlagen hat, deckt. Diese Ini-
iative unterstützt also die Dinge, die jetzt vom Präsi-
ium eingebracht worden sind. Ich halte es auch, trotz
ller Diskussionen im Zusammenhang mit diesem Vie-
ergipfel, für sehr wichtig, noch einmal darauf hinzuwei-
en, dass die daran beteiligten Regierungen, also auch
ie Bundesregierung, ausdrücklich gesagt haben, dass
hre Initiativen zur Schaffung einer europäischen Vertei-
igungs- und Sicherheitsunion eine Stärkung des euro-
äischen Pfeilers im transatlantischen Bündnis zum
nhalt haben. Dieser Punkt ist sehr wichtig; wir sollten
hn nicht zerreden, sondern da auch die Beteiligten beim
ort nehmen.
3568 Deutscher Bundestag 15. Wahlperiode 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2003
)
)
Dietmar Nietan
Die von uns gewünschte Stärkung kann aber nur er-
zielt werden, wenn wir alle Mitgliedstaaten da rede ich
jetzt nicht von den derzeit 15, sondern von den zukünftig
25 Mitgliedstaaten auf diesen Weg mitnehmen und ih-
nen die Chance zur Beteiligung geben. Es ist auch aus-
drücklich im Vorfeld und auch nach dem Vierergipfel
gesagt worden, dass es sich bei der Initiative nicht um ei-
nen Closed Shop handelt, sondern sie in die Richtung
gehen soll, im Konvent Strukturen zu schaffen, die es er-
möglichen, alle Mitgliedstaaten auf den Weg hin zu einer
Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik mitzuneh-
men.
Es lohnt sich deswegen auch noch einmal ein genauer
Blick in den Entwurf für den Konvent, den das Präsi-
dium vorgelegt hat. Ich bitte dabei die Kollegen
Altmaier und Professor Jürgen Meyer, noch einmal auf
einen Punkt in den Beratungen des Konvents ganz be-
sonders zu achten: Im Verfassungsentwurf finden wir
unterschiedliche Möglichkeiten der Zusammenarbeit:
einmal die strukturierte Zusammenarbeit in Fragen von
Sicherheit und Verteidigung sowie die engere Zusam-
menarbeit. So weit, so gut. Man muss aber insbesondere
darauf achten, dass es bezüglich der strukturierten Zu-
sammenarbeit heißt, dass hohe Ansprüche an die militä-
rischen Fähigkeiten der EU-Mitgliedstaaten gestellt wer-
den sollen, die daran teilhaben wollen. An der Stelle
müssen wir darauf aufpassen, dass wir nicht im Verfas-
sungsentwurf durch die Unterscheidung in strukturierte
und vertiefte Zusammenarbeit ein Konstrukt schaffen,
das das Ziel, alle auf den Weg hin zu einer Gemeinsa-
men Außen- und Sicherheitspolitik mitzunehmen, er-
schwert. Es ist meine Bitte an die Konventsmitglieder,
an dieser Stelle noch einmal genau aufzupassen.
Ich glaube, dass in diesem Punkt auch die Erklärung
der vier Staaten vom Brüsseler Gipfel weiter geht. Dort
heißt es ausdrücklich, dass es allen Staaten, die es wün-
schen, ermöglicht werden soll, im Rahmen einer ver-
stärkten Zusammenarbeit tiefere und weitgehendere mi-
litärische Verpflichtungen einzugehen. Dieser Geist von
Brüssel, alle einzuladen und ihnen entsprechend ihren
Fähigkeiten die Chance zu geben, mitzuwirken,
sollte auch die Leitlinie für die Beratungen im Konvent
sein.
Wenn wir alle mitnehmen wollen, dann ist es wichtig,
dass wir bereit sind, voranzugehen, als Bundesrepublik
Deutschland das Signal zu setzen, dass wir auch in die-
sem Feld der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspoli-
tik, der gemeinsamen Verteidigungs- und Sicherheitspo-
litik bereit sind, nationale Souveränität abzugeben.
Deswegen will ich an dieser Stelle die Vorschläge des
Kollegen Professor Meyer ausdrücklich unterstützen,
der im Konvent gesagt hat, dass wir für die GASP eine
qualifizierte Mehrheit brauchen, dass wir wegmüssen
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Wenn alle auf dem Weg mitgenommen werden sollen,
uss auch auf nationale Eigenheiten eingegangen wer-
en können. Gerade vor dem Deutschen Bundestag be-
one ich, dass der Parlamentsvorbehalt für mich essen-
ieller Bestandteil der deutschen Kultur ist, wenn es um
ilitärische Entscheidungen geht, und dass dieser Parla-
entsvorbehalt deshalb nicht stiekum über eine europäi-
che Verfassung oder über europäische Entscheidungen
usgehöhlt werden darf, zumindest so lange nicht, wie es
eine Parlamentarisierung der europäischen Verteidi-
ungspolitik hin zum Europäischen Parlament gibt.
enn es einen Parlamentsvorbehalt für das Europäische
arlament gäbe, könnten wir uns darüber sicherlich auch
m nationalen Entscheidungsrahmen unterhalten, aber
olange das nicht der Fall ist, muss es hier in diesem
ause den Parlamentsvorbehalt bei militärischen Ent-
cheidungen geben.
Lassen Sie mich zum Schluss noch einmal sagen: Die
roße Chance, in der Gemeinsamen Außen- und Si-
herheitspolitik durch den jetzt zu verabschiedenden
erfassungsentwurf zu guten Regelungen zu kommen,
st da und wir sollten sie gemeinsam nutzen. Sie ist auch
ine Herausforderung; denn ich glaube, nur wenn wir es
chaffen, durch eine gute europäische Verfassung eine
rundlage zu schaffen, die uns zwingt, uns alle mitein-
nder zu einer Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspo-
itik zusammenzuraufen, haben wir die Möglichkeit,
urch eine solche Gemeinsame Außen- und Sicherheits-
olitik an Gewicht zu gewinnen, und zwar das betone
ch an dieser Stelle nicht gegen die USA, nicht gegen
ie transatlantische Zusammenarbeit. Im Gegenteil, wer
ür die transatlantische Zusammenarbeit ist, braucht ein
tarkes Europa. Nur dann kann sie funktionieren.
In diesem Sinne hoffe ich, dass der Konvent zu guten
rgebnissen kommt.
Vielen Dank.
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Aus-
chusses für die Angelegenheiten der Europäischen
nion auf Drucksache 15/950. Der Ausschuss empfiehlt
nter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung die Annahme des
ntrags der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/
Deutscher Bundestag 15. Wahlperiode 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2003 3569
)
)
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
Die Grünen auf Drucksache 15/548 mit dem Titel Der
europäischen Verfassung Gestalt geben Demokratie
stärken, Handlungsfähigkeit erhöhen, Verfahren verein-
fachen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung?
Gegenprobe! Enthaltungen? Die Beschlussempfeh-
lung ist mit den Stimmen der Koalition gegen die Stim-
men der CDU/CSU und der FDP angenommen.
Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt
der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion
der FDP auf Drucksache 15/577 mit dem Titel Das
neue Gesicht Europas Kernelemente einer europäi-
schen Verfassung. Wer stimmt für diese Beschlussemp-
fehlung? Gegenprobe! Enthaltungen? Die Be-
schlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalition
gegen die Stimmen der FDP bei Enthaltung der CDU/
CSU angenommen.
Zusatzpunkte 6 und 7: Interfraktionell wird Überwei-
sung der Vorlagen auf den Drucksachen 15/918 und 15/942
an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse
vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? Das ist
der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 6 sowie Zusatz-
punkt 8 auf:
6 Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Michael Meister, Heinz Seiffert, Leo
Dautzenberg, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der CDU/CSU
Förderung des Finanzplatzes Deutschland
Drucksache 15/748
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss
ZP 8 Beratung des Antrags Fraktionen der SPD und
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Finanzplatz Deutschland weiter fördern
Drucksache 15/930
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Leo Dautzenberg, CDU/CSU-Fraktion.
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ann beginnt Ihre steuerpolitische Kakophonie von
orne, die wir nun seit Jahren erdulden müssen.
Begreifen Sie denn nicht, wie schädlich dieses ewige
in und Her für das Vertrauen von Investoren, Unter-
ehmen und Konsumenten ist?
Deutscher Bundestag 15. Wahlperiode 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2003 3571
)
)
Leo Dautzenberg
Die mangelnde Verlässlichkeit von Rot-Grün ist gerade
in der Steuerpolitik ein massives Hindernis dafür, die
wirtschaftliche Entwicklung Deutschlands voranzutrei-
ben. Deshalb: Unterlassen Sie Ankündigungen, die Sie
ohnehin nicht einhalten können, ja wahrscheinlich in Ih-
rer Gesamtheit noch nicht einmal einhalten wollen!
Die in Ihrem Antrag genannten Vorschläge zur steuer-
politischen Flankierung des Finanzplatzes Deutschland
sind in Anbetracht dessen, was Sie in den letzten fünf
Jahren hier abgeliefert haben, völlig unglaubwürdig.
Unser Antrag hingegen passt auch steuerpolitisch in das
Gesamtkonzept der Union. Die Punkte, die ich hierzu
genannt habe keine Kontrollmitteilungen, grundsätzli-
che Zustimmung zu einer Abgeltungsteuer auf alle Kapi-
talerträge im Rahmen eines in sich stimmigen Gesamt-
konzeptes , machen dies deutlich.
Was bleibt als Fazit? Der Antrag zum Finanzplatz
Deutschland vollzieht im Bereich Finanzmarktpolitik
das nach, was für die Union in der Wirtschafts- und Fi-
nanzpolitik das Leitmotiv ist: gute Rahmenbedingungen
schaffen, sodass die privaten Marktakteure mehr Wachs-
tum und Beschäftigung generieren können. Wir sind
gerne bereit, in den Bereichen, in denen wir das Gleiche
wollen, zusammenzuarbeiten. Ich erwähne hierzu noch
einmal: Basel II, bessere Vertretung deutscher Interessen
auf EU- bzw. auf internationaler Ebene und die Förde-
rung des ABS-Markts. Aber hören Sie auf, vorschnelle
Anträge einzubringen, deren zentrale Forderungen in Ih-
ren eigenen Fraktionen so nicht durchsetzbar sind!
Vielen Dank.
Nächste Rednerin ist die Kollegin Nina Hauer, SPD-
Fraktion.
Frau Präsidentin! Verehrte Damen und Herren! Herr
Dautzenberg, Sie haben die Ziele des CDU/CSU-An-
trags geschildert und unsere Instrumente genannt, mit
denen diese Ziele die wir auch haben erreicht werden
sollen. Sie machen immer wieder Anwürfe auf unsere
Steuerpolitik, jetzt auch auf das, was in unserem Antrag
zur Steuerpolitik enthalten ist. Sie müssen sich einmal
die Vorstellungen zur Steuerpolitik, die in Ihrem Antrag
enthalten sind, anschauen: Da fordern Sie weiterhin eine
massive Absenkung der Steuersätze in Deutschland.
Bei dieser Haushaltslage, Herr Dautzenberg, ist das grob
fahrlässig. Fragen Sie einmal die Ministerpräsidenten
der von Ihnen regierten Länder, ob sie eine weitere Sen-
kung der Steuersätze verkraften! Herr Dautzenberg, aus-
gerechnet in Hessen, sozusagen in der Heimat des Fi-
nanzplatzes in Deutschland, wird der Haushalt
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nd zwar so, dass es für die öffentlichen Haushalte ver-
raftbar bleibt. Ich denke, dass die Zeichen, die wir für
en Investitionsstandort Deutschland, aber auch für den
inanzplatz Deutschland gesetzt haben, deutlich waren.
enn Sie sich die Auslandsinvestitionen anschauen,
ann sehen Sie, dass wir mit unserem Weg großen Er-
olg gehabt haben.
Sie sprechen immer wieder die Abgaben an. Da sind
ir wahrscheinlich sogar einer Meinung nicht über die
rsachen, aber über die Ziele. Auch wir wollen die Be-
astungen, die mit dem Faktor Arbeit einhergehen wir
aben diese Belastungen in Rekordhöhe von Ihnen ge-
rbt reduzieren. Das nützt unserem Standort und das
ützt letztendlich denen, die an diesem Standort Arbeit
uchen und Unternehmen gründen.
Wir haben in den letzten Jahren einiges für die Stär-
ung des Finanzmarktes getan, an das ich hier noch ein-
al erinnern will. Wir haben mit dem Übernahmege-
etz rechtlich verbindliche Regelungen für die
bernahme börsennotierter Unternehmen geschaffen.
erade die Umstrukturierungen in der internationalen
irtschaft zeigen, dass wir diese Regelungen zum richti-
en Zeitpunkt geschaffen haben und dass sie gut an-
endbar sind. Mit der geänderten Struktur haben wir der
undesbank die Chance gegeben, als Vertretung der
eutschen Volkswirtschaft innerhalb der Europäischen
nion unseren Interessen Gewicht zu verleihen. Wir ha-
en mit der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungs-
ufsicht eine moderne Aufsichtsbehörde gegründet, die
azu beitragen wird, dass die vielen Produkte und die
ektorübergreifenden Innovationen, die am Finanzmarkt
u finden sind, jetzt auch mit einer gemeinsamen Auf-
icht kontrolliert werden können. Das war vorher nicht
3572 Deutscher Bundestag 15. Wahlperiode 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2003
)
)
Nina Hauer
der Fall. Das gehört im europäischen Rahmen mittler-
weile dazu; unsere BaFin ist auch in dieser Hinsicht vor-
bildlich.
Mit der Gründung der Bundesrepublik Deutschland
Finanzagentur GmbH haben wir das Schuldenmanage-
ment des Bundes ausgelagert, um sicherzustellen, dass
wir für den Bundeshaushalt nicht unnötig Gelder verlie-
ren, dass wir auf Entwicklungen am Markt leichter und
ohne großen Aufwand reagieren und auch dazu beitra-
gen können, dass das Vertrauen in die Leistungsfähigkeit
am Finanzmarkt auch von staatlicher Seite erhalten
bleibt.
Mit dem Vierten Finanzmarktförderungsgesetz ha-
ben wir den Handlungsspielraum für die Börsen erwei-
tert. Das ist die wichtigste Plattform des Finanzmarktes
für den Handel. Für den Anlegerschutz im Aktienge-
schäft haben wir das Bild des Verbrauchers überhaupt
erst ins Gesetz aufgenommen, für bessere Aufsicht ge-
sorgt und dazu beigetragen, dass auch da Schadenser-
satzforderungen geltend gemacht werden können. Das,
was bei jedem anderen Kauf möglich ist, muss auch am
Finanzmarkt möglich sein. Abgesehen davon haben wir
hier höhere Transparenzanforderungen gestellt.
Nun ist der Finanzmarkt aber keine starre Angelegen-
heit, die sich über viele Jahre nicht verändert; im Gegen-
teil. Im Moment gibt es viele Veränderungen. Es gibt
neue Finanzprodukte, es gibt neue innovative Ideen im
Ausland, aber natürlich auch an unserem Finanzplatz.
Allein durch die Regelungen für die Altersvorsorge im
Rahmen der Rentenreform eröffnen sich neue Innova-
tionsmöglichkeiten, die in den nächsten Jahren ein im-
mer größeres Gewicht bekommen werden. Wir sind uns
wahrscheinlich alle darüber einig, dass die Altersvor-
sorge in den nächsten Jahren eine immer größere Rolle
spielen wird und der Kapitalmarkt dafür natürlich große
Chancen bietet. Es gibt dort sicher viele Möglichkeiten,
die wir heute vielleicht noch gar nicht sehen. Es ist des-
halb notwendig, den Innovationen auch in diesem Be-
reich den Weg zu ebnen.
Das Investmentgeschäft wird in den nächsten Jahren
eine größere Rolle spielen. Die Unternehmensumstruk-
turierungen verlangen das.
Durch die veränderten Vorschriften, die wir im Rah-
men von Basel II diskutieren, gibt es auf dem Markt
auch noch ganz andere Veränderungen, zum Beispiel die
Ratingagenturen. Wir tun gut daran, schon jetzt zu prü-
fen, wie wir denen die Türen nach Deutschland öffnen
und dafür sorgen können, dass sie ihre Arbeit hier unter
bestimmten Bedingungen machen können. Das ist ein
Markt, in dem wir noch nicht gut vertreten sind. Das ge-
hört aber zu einem Finanzplatz. Wir tun unseren kleinen
Unternehmen, die sich diese Dienstleistung nicht auf
dem internationalen Markt kaufen können, Gutes, wenn
wir diese Agenturen auch in Deutschland zur Verfügung
haben.
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ir haben in diesem Bereich insbesondere für die klei-
en Unternehmen noch einiges zu erledigen.
Letztendlich zeigen die verschiedenen Entwicklun-
en, dass der Finanzmarkt jedes Interesse hier im Deut-
chen Bundestag verdient, weil er ein Motor für Be-
chäftigung, für wirtschaftliches Wachstum und für neue
nnovative Produkte, die wir anbieten können, ist und in
ukunft noch verstärkt sein wird. Das bedeutet natürlich
uch, dass in diesem Bereich auf die Qualifizierung der
rbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer geachtet wer-
en muss, dass wir am Ball bleiben müssen, um in die-
em Bereich das beste Ausbildungsangebot zu haben.
ir müssen natürlich auch alle Entwicklungen um den
inanzplatz Deutschland herum beobachten und erfor-
chen.
Es wird ein neues Feld für Beratungen geben, und
war nicht nur für den Bereich der Altersvorsorge, son-
ern für alle Bereiche, die mit dem Kapitalmarkt zu tun
aben. Die Menschen interessieren sich dafür, legen
rotz der schlechten Situation am Aktienmarkt viel Geld
n Aktien oder Fonds an. Diese brauchen Beratung. Ich
enke, dass sich allein in diesem Sektor beschäftigungs-
olitisch einiges tun wird.
Nicht zuletzt wird es bis 2005 einen einheitlichen
uropäischen Finanzmarkt geben. Die europäische
ertpapierdienstleistungsrichtlinie wird derzeit überar-
eitet. Gerade weil das bei den kleinen und unabhängi-
en Finanzdienstleistern immer wieder Thema ist, will
ch noch einmal deutlich machen: Ziel unserer Fraktion
ei diesen Verhandlungen ist es, unnötige Belastungen in
iesem Bereich zu vermeiden, dafür zu sorgen, dass
icht mehr Bürokratie aufgehäuft wird und die Wettbe-
erbsfähigkeit gerade der kleinen und unabhängigen Fi-
anzdienstleister erhalten bleibt, und zwar am deutschen
inanzmarkt, aber auch international.
Wir reagieren auf die Veränderungen am Finanz-
arkt. Wir sind weiterhin der Meinung dazu nehmen
ir auch in unserem Antrag Stellung , dass wir eine
entrale Aufsicht über die Börsen brauchen und dass
ine Zusammenführung stattfinden muss. Auch wenn ei-
ige Länder das vielleicht nicht so sehen, ist dies drin-
end notwendig. Die deutsche Börse ist das Asset unse-
es Finanzmarktes. Dafür brauchen wir eine zentrale
ufsicht.
Wir stellen mit dem Finanzmarktförderplan die
otwendigen Weichen. Ein Investmentgesetz muss kom-
en. Sie, Herr Dautzenberg haben das angesprochen.
ir sind einer Meinung: Wir wollen die Wettbewerbs-
achteile in diesem Bereich beseitigen, die Genehmi-
ungsverfahren straffen, die gesamte rechtliche Grund-
age flexibler machen und letztendlich die steuerlichen
Deutscher Bundestag 15. Wahlperiode 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2003 3573
)
)
Nina Hauer
Regelungen überarbeiten, damit ausländische und inlän-
dische Fonds in gleicher Weise behandelt werden.
Wir gehen auch einen mutigen Schritt bei der Zulas-
sung von Hedgefonds. Wir sind der Meinung, dass es
mittlerweile möglich ist, in diesem Bereich die Anleger-
sicherheit durch Information und Transparenz zu ge-
währleisten. Einen rechtlichen Schutz mag es für denje-
nigen, der das Risiko eingehen will, in Hedgefonds zu
investieren, nicht geben. Wir müssen die Anleger aber
über die Risiken informieren. Das tun wir, indem wir
eine Informationspflicht einführen wollen. Diese gibt es
in anderen Ländern bereits, in denen auf die Möglichkeit
eines Totalverlustes hingewiesen werden muss. Ich
glaube, dass unter diesen Bedingungen auch der deut-
sche Finanzmarkt reif dafür ist, dass Hedgefonds zuge-
lassen werden können.
Wir wollen alle rechtlichen Regelungen durchforsten,
wie die Möglichkeiten einer Verbesserung des Rahmens
für die Emission von Asset Backed Securities sind und
wie in diesem Bereich ein Handel ermöglicht werden
kann. Für die Banken, aber auch für die Unternehmen ist
das ein zentrales Thema.
Wir haben auf die Tagesordnung natürlich auch die
Stärkung des Anlegervertrauens gesetzt. Diesen Punkt
vermisse ich in Ihrem Antrag leider völlig. Es ist nicht
so, dass viele Regularien und Gesetze den Anleger
schützen. Die Anleger in Deutschland haben heute viel
mehr Erfahrungen mit dem Finanzmarkt, als das noch
vor zwei oder drei Jahren der Fall war.
Aber wir müssen gewährleisten, dass es Transparenz
gibt, damit die Anleger nachvollziehen können, welches
Risiko bei einem bestimmten Produkt besteht, welche
Chancen es gibt, wie es finanziert wird, wer es anbietet
und wie es funktioniert. Sie müssen die Möglichkeit ha-
ben, auf diese Informationen zuzugreifen. Deswegen le-
gen wir Wert darauf, den Anlegerschutz weiter zu stär-
ken. Zu diesem Zweck werden wir die Regelungen dafür
klarer machen und öffentlich dafür werben. Ein starker
Finanzmarkt bedeutet nicht nur das Vorhandensein star-
rer Regulierungen und die Bevormundung des Anlegers
das sieht man auch im internationalen Vergleich ,
sondern das Vorhandensein von Transparenz und klaren
Haftungsregelungen.
Ich finde, es war an der Zeit, zu fragen, wieso Vor-
stände und Aufsichtsräte für den Unfug, den sie verzap-
fen, nicht mit ihrem eigenen Vermögen haften. Dieser
Gedanke ist in unserem 10-Punkte-Programm enthalten.
Wenn etwas schief geht, weil Manager ihren Job nicht
richtig machen, sind die Beschäftigten, um deren Ar-
beitsplätze es geht, wie auch die Anleger, um deren Ak-
tien es geht, betroffen. Aber diejenigen, die dafür verant-
wortlich sind, sind nie betroffen. Deswegen glauben wir,
dass die Prüfung einer Organhaftung, die diejenigen, die
die Verantwortung tragen, einbezieht, dringend notwen-
dig ist.
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Ich glaube, wir tun unserem Finanzmarkt einen Gefal-
en, wenn wir zu mehr Transparenz und zu mehr Sicher-
eit für den Anleger kommen. Dann wird er wettbe-
erbsfähig sein und für diejenigen, die hier investieren
ollen ob aus dem Ausland oder dem Inland , attrak-
iv bleiben.
Vielen Dank.
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Hermann Otto
olms, FDP-Fraktion.
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kolle-
innen und Kollegen! Die FDP hatte bereits im Januar
inen Antrag zu diesem Thema eingebracht. Die anderen
raktionen sind dem nun gefolgt. Das sage ich völlig
hne kritischen Unterton, weil man bei Durchsicht die-
er Anträge zu dem Ergebnis kommen kann, dass ge-
einsam, über die Fraktionsgrenzen hinweg eine ver-
ünftige Initiative gestaltet werden könnte.
icher gibt es Bereiche, bei denen wir uns nicht treffen
erden; gerade in der Steuerpolitik dürfte das schwierig
erden. Aber angesichts der finanzmarktspezifischen
nregungen in den verschiedenen Anträgen glaube ich,
ass es möglich sein sollte, eine gemeinsame Initiative
u starten. Diese wäre für die Stabilität, für das Ansehen
nd für das Vertrauen des deutschen Kapital- und Fi-
anzmarktes dringend notwendig. Es wäre sehr hilfreich,
enn uns das gelingen würde.
In meiner sehr kurzen Redezeit will ich nur einige all-
emeine Bemerkungen machen und nicht auf Einzelhei-
en eingehen.
Erste Bemerkung: Es geht darum, dass die Rahmen-
edingungen für den Finanzmarkt in Deutschland öko-
omisch so gestaltet werden, dass wir mit den zentralen
inanzplätzen auf dem Kontinent, aber auch global ge-
ehen in Großbritannien, den Vereinigten Staaten und
apan wettbewerbsfähig sind.
as heißt, wir dürfen uns nicht daran orientieren, was
ir gerne hätten, sondern daran, was der Wettbewerb
ns vorgibt. Wir sind nicht in der Lage, das zu bestim-
en.
Wir müssen dafür Sorge tragen das liegt schließlich
n unserer Verantwortung , dass der Kapitalmarkt in
eutschland wieder so funktionsfähig wird, dass insbe-
ondere die mittelständische Wirtschaft, die heute aus
3574 Deutscher Bundestag 15. Wahlperiode 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2003
)
)
Dr. Hermann Otto Solms
mehrerlei Gründen größte Probleme hat, ihre Investitio-
nen zu finanzieren, wieder die Chance erhält, über einen
funktionsfähigen Kapitalmarkt an Fremd- und Eigenka-
pital heranzukommen.
Wenn uns das nicht in kürzester Frist gelingt, wird die
Zahl der Insolvenzen weiter dramatisch zunehmen. Das
kann die deutsche Volkswirtschaft wirklich nicht mehr
verkraften.
Zweite Bemerkung: Man muss erkennen, welche Be-
deutung der Kapitalmarkt für diese ökonomischen Zu-
sammenhänge hat und dass die Rahmenbedingungen so
gestaltet werden müssen, dass das Vertrauen wiederher-
gestellt werden kann. Ich weiß, dass wir uns in wesentli-
chen Punkten der Steuerpolitik nicht treffen werden; das
muss aber nicht Kern dieser Diskussion sein.
Ich muss aber zugeben, dass die Bundesregierung
lernfähig ist. Die Diskussion über die Abgeltungsteuer
zeigt, dass hier eine gewisse Bereitschaft besteht, einen
vernünftigen Weg zu beschreiten. Ich hoffe, dass auch
die Mehrheiten in den dazugehörigen Fraktionen das so
sehen werden. Wir wollen abwarten, bis die Bundes-
regierung ihre Entwürfe vorlegt.
Es geht aber nicht nur um die steuerlichen Rahmenbe-
dingungen, sondern auch um die Börsen- und Finanz-
marktaufsicht sowie um die staatsanwaltschaftliche
Überprüfung von möglicherweise auftretenden wirt-
schaftskriminellen Machenschaften. Das alles ist not-
wendig, um bei den Investoren, dem großen Publikum
weltweit, Vertrauen zu schaffen, damit sie das Gefühl
haben, dass es eine sichere Sache ist, in der Bundesrepu-
blik Deutschland Geld anzulegen, und dass sie nicht Ge-
fahr laufen, hier über den Tisch gezogen oder betrogen
zu werden. Hier bedarf es also einer strikten Kontrolle,
die nicht schlechter, sondern eher besser als in den Verei-
nigten Staaten sein muss, wenn ich an die Dinge denke,
die in den letzten Jahren dort vorgekommen sind.
Frau Staatssekretärin, ich glaube, wir haben alle Chan-
cen, das Umfeld so zu gestalten, dass wir einen solchen
Vertrauenshorizont in Deutschland aufbauen können.
Die Börsenaufsicht ist heute noch Ländersache. In
diesem Zusammenhang will ich darauf hinweisen, dass
es dringend erforderlich ist, dass Bund und Länder zu-
sammenkommen, um eine gemeinsame Aufsicht zu or-
ganisieren. Der ehemalige Wirtschaftsminister in Hessen,
der jetzt leider nicht mehr im Amt ist, Dieter Posch er ist
Mitglied meiner Partei , hatte bereits vor der Landtags-
wahl angekündigt, dass er bereit wäre er führte die
zentrale Aufsicht durch, da Frankfurt der zentrale Bör-
senplatz ist , seine Rechte in ein solches gemeinsames
Objekt einzubringen, damit es zu einer gemeinsamen
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Deutscher Bundestag 15. Wahlperiode 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2003 3575
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)
Hubert Ulrich
Wir sollten die Diskussion über den Finanzplatz
Deutschland exemplarisch dazu nutzen, vorwärts gerich-
tet zu argumentieren, damit wir alle zusammen die Wirt-
schaft dieses Landes voranbringen.
Die Diskussion um den Finanzplatz Deutschland bietet
dazu eine gute Gelegenheit. Beispiel: Viertes Finanz-
marktförderungsgesetz. Dieses Gesetz hat die rot-
grüne Regierung auf den Weg gebracht und wurde, so-
weit ich das richtig verstanden habe, von Ihnen nicht
groß torpediert. Aber dieses Vierte Finanzmarktförde-
rungsgesetz ist das müssen Sie der rot-grünen Regie-
rung neidlos zugestehen ein großer Wurf für den Fi-
nanzplatz Deutschland.
Stichwort BaFin: Mit der BaFin ist es gelungen, eine
zentrale Finanzdienstleistungsaufsicht zu schaffen, die
wirklich die gesamten, früher problematischen Schnitt-
stellen kontrolliert und überwacht. Sie führt das zusam-
men, was früher in vielen kleinteiligen Lösungen be-
trachtet wurde. Die Rahmenbedingungen, die durch das
Vierte Finanzmarktförderungsgesetz geschaffen wurden,
sind klar. Sie sind flexibel und vor allen Dingen hoch ef-
fizient. Insgesamt kann man hier eine sehr positive Bi-
lanz ziehen.
Es wurden jedoch noch andere Dinge auf den Weg ge-
bracht: Stichwort Wertpapiererwerbs- und Übernahme-
gesetz. Hier ist der rechtliche Rahmen für Übernahmen
von börsennotierten Unternehmen geschaffen worden.
Das Bundesbankgesetz wurde angepasst und eine ganze
Reihe von weiteren Dingen wurde in die Wege geleitet.
Der Finanzmarkt ist dynamisch. Immer gibt es interna-
tionale Veränderungen, an die unsere Verordnungen an-
gepasst werden müssen. Dies geschieht auch: Stichwort
Finanzmarktförderplan. Die Hedgefonds wurden be-
reits mehrfach angesprochen. Auch solche Instrumente
müssen wir an unserem Finanzplatz zulassen und eta-
blieren und dafür den entsprechenden Rahmen schaffen.
Aber gerade als Grüner will ich eines ganz besonders
hervorheben: Wir müssen bei dem Stichwort Aktie an-
ders argumentieren. Insbesondere vor dem Hintergrund
des Niedergangs der Aktie weltweit, aber auch an den
deutschen Börsen müssen wir deutlich machen, welchen
Stellenwert die Aktie in unserem Wirtschafts- und Fi-
nanzsystem hat und haben muss. Wir müssen uns darü-
ber klar werden, dass wir in diesem Lande beim Thema
Aktie immer noch einen gewissen Nachholbedarf haben.
Ich habe es schon einmal gesagt, will jedoch erneut
daran erinnern: 1914, vor dem Ersten Weltkrieg, gab es
in Deutschland mehr börsennotierte Unternehmen als in
den Vereinigten Staaten. Das war ein großer Erfolg.
Durch die beiden Weltkriege ist vieles kaputtgegangen.
Es gibt in Deutschland auch diese Zahl sollte nach-
denklich stimmen mittlerweile mehr als 12 Millionen
Aktionäre. Das heißt, die meisten Aktionäre in Deutsch-
land sind Kleinaktionäre. Auch dieser Entwicklung müs-
sen wir Rechnung tragen. Hierbei wende ich mich insbe-
sondere an die eigenen Reihen: die Grünen und auch die
SPD. Wir sollten höllisch aufpassen, weitere Diskussio-
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Da haben Sie Recht.
Ein weiterer für uns als Grüne ganz zentraler Punkt ist
ie private Altersvorsorge. Die Riester-Rente ist zwei-
elsohne ein Schritt in die richtige Richtung; auch die
inbeziehung von selbstgenutztem Wohnraum in die pri-
ate Altersvorsorge ist wichtig. Ein weiteres, sehr wich-
iges Element ist ein individuelles Altersvorsorgekonto.
ir als Grüne haben dazu entsprechende Vorschläge ge-
acht. Gerade bei der privaten Altersvorsorge spielt na-
ürlich auch der Aktienmarkt eine zentrale Rolle.
Ein weiterer Punkt wurde ebenfalls angesprochen wir
aben ihn in unseren Vorschlägen hervorgehoben : eine
entrale Staatsanwaltschaft, um Delikte im Finanzbe-
eich entsprechend verfolgen zu können. Man muss sich
um Beispiel klar machen: 90 Prozent der Ermittlungen
n Bezug auf Delikte, die von der BaFin an deutsche
taatsanwaltschaften gegeben wurden, wurden einge-
tellt. Das hängt zum Teil schlichtweg mit einer Überfor-
erung bestimmter Staatsanwaltschaften zusammen, die
uf diesem Gebiet einfach keine Erfahrung haben.
Die Staatsanwaltschaften in Frankfurt und in Mün-
hen kennen sich mit solchen Delikten aus und gehen
ngemessen damit um.
eshalb sage ich für die Grünen: Wir sollten eine zentrale
taatsanwaltschaft schaffen und sie in Frankfurt etablie-
en. Vielleicht hat dann auch Herr Koch ein gewisses In-
eresse daran, die Börsenaufsicht zugunsten einer zentra-
en Börsenaufsicht abzugeben, wenn er dafür die
entrale Staatsanwaltschaft erhält. Man sollte in der Po-
itik ja immer versuchen, solche Anreize zu setzen.
3576 Deutscher Bundestag 15. Wahlperiode 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2003
)
)
Hubert Ulrich
Außerdem haben wir in unserem Papier die Organisa-
tion der Börsen angesprochen. An dieser Stelle sollte
man auch Folgendes erwähnen: Die öffentlich-rechtliche
Organisation der deutschen Börse hat sich bewährt und
bedeutet für diesen Standort einen echten Wettbewerbs-
vorteil gegenüber anderen Standorten. Sie ist hochflexi-
bel, hat eine hohe Rechtsverbindlichkeit und integriert
vor allen Dingen die Marktteilnehmer. Das bedeutet eine
hohe Schnelligkeit bei den entsprechenden Entscheidun-
gen und deren Umsetzung. Ein Beispiel hierfür ist die
Neusegmentierung, Stichwort Neuer Markt. Das Ver-
schwinden des Neuen Marktes, der wirklich nicht sehr
erfolgreich war, hängt genau mit diesen Möglichkeiten
einer schnellen Reaktion zusammen.
Die zentrale Börsenaufsicht, wenn sie denn kommt
wie ich die Vertreter der Opposition verstanden habe,
gibt es dort ähnliche Initiativen; also hoffe ich, dass auch
bei den Ländern eine entsprechende Mehrheit zu finden
sein wird , hätte natürlich den enormen Vorteil, dass
dann, wenn in Brüssel entsprechende Verhandlungen
stattfinden, Deutschland mit einer Stimme sprechen
würde. Heute sind dort 16 Länder mit zahlreichen Ver-
tretern beteiligt, wodurch es zu enormen Abstimmungs-
problemen kommt. Gerade bei der zentralen Börsenauf-
sicht muss gelten: ein Recht, eine Aufsicht, eine
Auslegung des Rechts.
Wie ich eingangs bereits sagte, halte ich es für ganz
wichtig, dass wir hinsichtlich dieser Dinge den Standort
positiv reden. Das gilt beim Finanzplatz, aber natürlich
auch bei den Steuergesetzen insgesamt. Die aktuelle Dis-
kussion um die Agenda 2010 macht häufig auf negative
Art und Weise klar, wie verrückt wir uns in unserer Rolle
als Regierung bzw. als Opposition verhalten. Obwohl die
CDU/CSU am letzten Wochenende ein Papier vorge-
stellt hat, das von der Agenda 2010, von den rot-grünen
Vorhaben, gar nicht weit entfernt ist, wird immer noch so
getan, als gäbe es elementare Widersprüche zu überbrü-
cken, anstatt genau an dieser Stelle die Chance zu ergrei-
fen und zu sagen: Hier machen wir etwas Gemeinsames;
wir sehen da ein gemeinsames großes Problem in diesem
Land, das wir gemeinsam anpacken und dessen Lösung
wir gemeinsam umsetzen. Dafür stehen Sie nun einmal
mit in der Verantwortung, nicht nur wegen der 16 Regie-
rungsjahre, in denen Sie die Grundsteine für vieles ge-
legt haben, was wir heute wegräumen müssen, sondern
auch und gerade, weil Sie über den Bundesrat in diesem
Lande mitregieren. Daher sind Sie auch aufgefordert,
diesbezüglich entsprechende Schritte zu unternehmen.
Vielen Dank.
Das Wort hat jetzt der Kollege Stefan Müller von der
CDU/CSU-Fraktion.
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Unsere Wirtschaft ist in den letzten Jahren nur sehr
chwach gewachsen; damit erzähle ich Ihnen allen nichts
eues. Im letzten Jahr hatten wir eine Wachstumsrate
on 0,5 Prozent und die Prognosen für dieses Jahr sind
eiß Gott nicht besser. Diese anhaltende Schwächeperi-
de hat zu einem drastischen Anstieg der Unterneh-
enspleiten in unserem Lande geführt. Im letzten Jahr
tieg die Zahl der Insolvenzen auf über 40 000 an. Von
er steigenden Zahl der Unternehmensinsolvenzen und
en daraus resultierenden höheren Kreditausfällen sowie
er Entwertung an den Aktienmärkten sind die deut-
chen Banken sehr stark in Mitleidenschaft gezogen
orden.
Diese Entwicklungen schaden natürlich dem Finanz-
latz und insbesondere den deutschen Finanzdienstleis-
ern. Vor allem die deutschen Banken haben seit einiger
eit Ertragsprobleme, weil die Margen im zinsunabhän-
igen Geschäft sinken, während sich die Verwaltungs-
osten nicht verändert haben. Ich betone aber, dass es
eine Liquiditäts- oder Bonitätskrise in der deutschen Fi-
anzwirtschaft gibt. Dies hat kürzlich auch der Internati-
nale Währungsfonds festgestellt, indem er bemerkt hat,
ass die Stabilität des deutschen Finanzsystems nicht ge-
ährdet sei.
Für die Ertragsprobleme der Banken ist eine Reihe
nterner wie externer Faktoren ursächlich. Es ist Auf-
abe der Politik, klare und verlässliche Rahmenbedin-
ungen zu setzen. Unser gemeinsames Ziel darüber
ind wir uns in diesem Hause sicherlich einig muss
ein, die Wettbewerbsfähigkeit des Finanzplatzes im All-
emeinen und der Finanzdienstleister im Besonderen zu
tärken.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben deshalb
inen 50 Punkte umfassenden Antrag in diesem Hause
ingebracht. Unser Ziel und unsere Vision sind es, dass
er Finanzplatz insgesamt stärker, innovativer und trans-
arenter gemacht wird, damit er seine Aufgaben auch in
ukunft erfüllen kann. Wir brauchen einen wettbewerbs-
ähigen Finanzplatz, um eine ausreichende Versorgung
er Unternehmen mit Eigen- und Fremdkapital zu ge-
ährleisten. Der zentralen Funktion, die Wirtschaft mit
apital zu versorgen, kann der Finanzmarkt im Augen-
lick nicht in ausreichendem Maße nachkommen.
Deutscher Bundestag 15. Wahlperiode 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2003 3577
)
)
Stefan Müller
Dies hat zweierlei Ursachen: Die Beschaffung von Ei-
genkapital über die Börse ist aufgrund der anhaltenden
Wachstums- und Börsenschwäche immer schwieriger
geworden. Der Markt für Aktienneuemissionen ist in
den letzten zwei, drei Jahren fast vollständig zum Erlie-
gen gekommen, weil sich private und institutionelle An-
leger fast vollständig aus diesem Markt zurückgezogen
haben. Ich habe mir einmal die Zahlen angeschaut: Im
Jahre 2000 hatten wir noch 152 Emissionen zu verzeich-
nen, im Jahr 2001 gab es noch ganze 21 und im vergan-
genen Jahr gerade noch sechs Neuemissionen an der
deutschen Börse.
Darüber hinaus ist die Beschaffung von Fremdkapital
über die Banken immer schwieriger geworden; auch die-
ser Tatsache müssen wir einfach ins Auge sehen. Die
Kreditvergabepolitik der Banken hat sich in den letzten
Jahren verändert. Sie ist differenzierter und in ihrer Ten-
denz sicherlich auch restriktiver geworden. Das hängt
auch mit der Zunahme von ratinggestützten Kreditprü-
fungen sowie mit einer Differenzierung von guten und
schlechten Bonitäten zusammen.
All dies macht sich bei den mittelständischen Unter-
nehmern bemerkbar. Gerade die kleinen und mittleren
Betriebe haben fast keine andere Möglichkeit, als sich
über Fremdkapital, über Banken zu finanzieren, weil aus
Kostengründen andere Finanzierungsformen in aller Re-
gel ausscheiden.
Wenngleich wir davon ausgehen, dass sich die vor-
herrschende Fremdfinanzierungskultur in Deutschland
kurzfristig zumindest nicht verändern wird, werden sich
auch künftig mittelständische Betriebe stärker anderen
Finanzierungsalternativen zuwenden, beispielsweise der
Finanzierung über Anleihen oder Verbriefungen.
Wir begrüßen das möchte ich ausdrücklich in die-
sem Zusammenhang sagen selbstverständlich auch die
Bemühungen der deutschen Kreditwirtschaft, mit der
Kreditanstalt für Wiederaufbau eine gemeinsame
Zweckgesellschaft zu gründen, um Kreditforderungen
verbriefen zu können. Wir begrüßen es insbesondere
dann, wenn dadurch gewährleistet ist, dass es den Ban-
ken künftig wieder leichter möglich ist, vor allem der
mittelständischen Wirtschaft wieder Kredite auszuge-
ben.
Ich möchte einen weiteren Aspekt ansprechen. Natür-
lich wird die Finanzierung über Beteiligungskapital in
Zukunft noch mehr an Bedeutung gewinnen. Auch die-
ser Markt ist in den letzten Jahren fast vollständig zum
Erliegen gekommen, nicht zuletzt auch im Hinblick auf
schwierige steuerrechtliche Gegebenheiten.
Bei den Beteiligungsgesellschaften herrscht zurzeit
eine große Verunsicherung vor allem in steuerlicher Hin-
sicht. Vor diesem Hintergrund haben wir in unserem An-
trag die Bundesregierung aufgefordert, die steuerlichen
Rahmenbedingungen so zu verbessern, dass weder die
Fonds noch die Investoren im internationalen Vergleich
benachteiligt werden.
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ass Sie es in den letzten Jahren Ihrer Regierungsverant-
ortung nicht geschafft haben, diese Probleme in den
riff zu bekommen.
3578 Deutscher Bundestag 15. Wahlperiode 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2003
)
)
Stefan Müller
Sie haben vielmehr durch Ihre falschen Konzepte diese
Probleme noch verschärft.
Ihr ständiges Hin und Her bei allen wichtigen Fragen
hat dieser Tatsache müssen Sie ins Auge sehen zu ei-
ner mangelnden Verlässlichkeit politischer Entscheidun-
gen geführt und den Arbeitnehmern und Unternehmern
in diesem Land die dringend notwendige Planungssi-
cherheit genommen. Das alles belastet die deutsche
Volkswirtschaft im besonderen Maße und schwächt da-
mit die Wettbewerbsfähigkeit des Finanzplatzes und der
deutschen Finanzdienstleister.
Wir fordern die Bundesregierung und die sie stützen-
den Fraktionen daher auf, endlich die nachhaltigen
Strukturreformen durchzuführen. Die CDU/CSU hat
an diesem Wochenende ein Programm beschlossen. Im
Gegensatz zu Ihnen sind wir imstande, solche Be-
schlüsse schnell zu fassen. Sie brauchen dafür Sonder-
parteitage, Regionalkonferenzen und Mitgliederbegeh-
ren. Ich bin sehr gespannt, was dabei herauskommen
wird. Wir freuen uns darauf.
Zu den dringend notwendigen Reformen gehören ins-
besondere die Schaffung eines einfachen und transparen-
ten Steuerrechts, ein flexibler Arbeitsmarkt und Struk-
turreformen in den Sozialsystemen in Verbindung mit
mehr Eigenverantwortung und Vorsorge. Nur dadurch
werden die Investitionstätigkeit der Unternehmen und
der Konsum der privaten Haushalte in diesem Lande tat-
sächlich gefördert. Beides sind Elemente, die dem Fi-
nanzplatz unmittelbar helfen werden.
Zu den Rahmenbedingungen gehört auch der Abbau
bürokratischer Hemmnisse. Darüber werden wir si-
cherlich reden müssen; denn die Finanzwirtschaft ist da-
von betroffen. Es gibt wohl keinen anderen Wirtschafts-
zweig in Deutschland, der so stark reguliert ist. Keine
andere Branche wird durch Auferlegung von Kontroll-
und Meldepflichten in dieser Weise zu staatlichen Auf-
gaben herangezogen. Ohne einen Streit vom Zaun bre-
chen zu wollen, müssen wir das meines Erachtens nüch-
tern analysieren. Der bürokratische Aufwand geht
zulasten der Kunden, die letztlich die Kosten tragen
müssen.
Wir verkennen auch nicht das haben wir in unserem
Antrag deutlich gemacht , dass ein Großteil der Kapi-
talmarktgesetzgebung von der EU entschieden wird.
Hier gilt es, Benachteiligungen der deutschen Wirtschaft
zu verhindern.
Der Finanzplatz Deutschland muss sich in Brüssel
klar und vernehmbar positionieren, damit rechtzeitig auf
die Entscheidungsprozesse Einfluss genommen werden
kann. Frau Staatssekretärin, wir haben mit Wohlwollen
vernommen, dass Sie in der Ständigen Vertretung der
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Ein Erfolg dieser Finanzmarktförderungspolitik zeigt
sich konkret zum Beispiel darin, dass sich die Zahl der
Aktionäre und der Fondsanteilsinhaber im vergangenen
halben Jahr gesteigert hat. Hier besteht ein echter Zu-
sammenhang mit den positiv-regulatorischen Maßnah-
men der Bundesregierung.
Dabei muss uns allen allerdings klar sein, dass die
schönsten Gesetze, die feinsten Regelungen und passge-
naue Rahmenbedingungen dauerhaft nur dann weiterhel-
fen, wenn auch die Akteure Zuverlässigkeit, Ehrlichkeit
und Verhältnismäßigkeit walten lassen sowie Kompe-
tenz aufweisen. Ich erinnere an Insidergeschäfte und an
Bilanzfälschungen, um den Blick in diese Richtung zu
lenken. Kompetenz ist dabei nicht unbedingt am Jahresge-
halt zu erkennen Verhältnismäßigkeit schon gar nicht ,
sondern an der Zukunftsfähigkeit der Entscheidungen.
Deshalb bestimmen Unternehmer, Manager bzw. Vor-
standsvorsitzende, Mitglieder von Aufsichtsräten sowie
auch Finanzberater und Börsenjournalisten entschei-
dend, wie sich der Finanzplatz Deutschland entwickelt.
Die bisherige Arbeitsteilung wenn es nicht gut läuft,
wird mit dem Finger auf die Politik gezeigt; wenn es
nicht schlecht läuft, dann steigen die Gehälter der Top-
manager sollten wir nicht mitmachen.
Es ist sicherlich kein Zufall, dass in allen drei Anträ-
gen die Schaffung einer Schwerpunktstaatsanwalt-
schaft zur Verfolgung von Finanz- und Kapitalmarktde-
likten angesprochen wird; denn die Strafverfolgung im
Kapitalmarktbereich krankt in Deutschland an der sehr
hohen Zahl von Verfahrenseinstellungen. Dies ist die
Folge der oft geringen Expertise und des hohen Aufwan-
des, der bei diesen Delikten betrieben werden muss. Hier
wollen wir auf eine Zusammenarbeit mit den Ländern
hinwirken, um den Anlegerschutz durch eine Stärkung
der Verfolgungsbehörden zu verbessern. Ich denke, auch
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Der FDP-Antrag ist in seiner Reduktion auf den Finanz-
latz Frankfurt im Verhältnis zu den abstrakt definierten
ielen widersprüchlich. In der Formulierung Die Bedeu-
ng des Finanzplatzes für die Finanzierung der Volkswirt-
chaft
und das reduziert auf Frankfurt wird dieser
iderspruch besonders deutlich. Zwar stimmt es, dass
rankfurt als Bankenplatz und Sitz des größten deut-
chen Börsenbetreibers am Finanzplatz Deutschland
ine herausragende Stellung einnimmt. Doch gibt es in
eutschland auch andere Finanzzentren, etwa München
nd Köln/Bonn in der Versicherungsbranche, sowie
tarke Regionalbörsen in Stuttgart, Düsseldorf, München
nd Berlin/Bremen.
Vielleicht geht dieser Irrtum der FDP auf die An-
ahme des Kollegen Solms zurück, der in der gestrigen
inanzausschusssitzung sagte, die Regionalbörsen seien
itglieder der Deutsche Börse AG in Frankfurt. Tat-
ächlich waren die Regionalbörsen früher mit einem An-
eil von etwa 10 Prozent am Kapital der Deutsche
örse AG beteiligt. Dieser Anteil wurde aber abgebaut.
eute befinden sich mehr als 80 Prozent der Anteile an
er Deutsche Börse AG interessanterweise in der Hand
usländischer institutioneller Investoren. Die Regional-
örsen in Deutschland treten also als Konkurrenten auf
nd sollten deshalb unseres Erachtens nicht unter den
isch fallen.
Der CDU/CSU-Antrag enthält, wie schon erwähnt,
ine Reihe vernünftiger Ansätze, die sich auch im Pro-
ramm der Regierung bzw. in unserem Antrag wieder-
inden. Jedoch auf die Zahl von 50 Unterpunkten
urde schon mehrfach hingewiesen fällt die extreme
leinteiligkeit des Antrags auf, die sich als positives Si-
nal für den Finanzplatz Deutschland nicht unmittelbar
ignet. Bei vielen Punkten im CDU/CSU-Antrag kann
an erahnen, welche Lobbygruppe an dem Brainstor-
ing beteiligt war.
enn man zum Beispiel unter Punkt II. 10 da geht es
m das Übernahmerecht nachschaut, dann wird rasch
eutlich, wer an der Formulierung beteiligt gewesen sein
önnte. Dahinter steckt natürlich Sachverstand, mög-
icherweise aber auch ein ganz konkretes individuelles
nteresse. Wir aber sollten für alle Menschen Politik ma-
hen und diese Form eher hintanstellen.
Viele der aufgeführten Aspekte, nämlich die guten,
erden im Antrag von SPD und Bündnis 90/Die Grünen
elegant, wie ich meine; so viel Eigenlob muss sein
urch den Hinweis auf das Zehnpunkteprogramm der
undesregierung zur Stärkung der Unternehmensintegri-
ät und des Anlegerschutzes sowie auf den Finanzmarkt-
3580 Deutscher Bundestag 15. Wahlperiode 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2003
)
)
Lothar Binding
förderplan 2006 des Bundesfinanzministeriums inte-
griert.
Der Antrag von SPD und Bündnis 90/Die Grünen
enthält in hinreichendem Schärfegrad vernünftige As-
pekte aus den beiden anderen vorliegenden Resolutio-
nen. Dort, wo FDP und CDU/CSU den Finanzplatz
Deutschland am Rand des Abgrunds wähnen, verweist
unser Antrag auf die bisherigen Erfolge bei der Finanz-
platzförderung in, wie ich denke, angemessener
Form. Gleichwohl weisen wir auf die notwendige Wei-
terentwicklung hin; denn Fortschritte bei der Entwick-
lung des Finanzmarkts haben herausragende Bedeutung
für den Erfolg der deutschen Volkswirtschaft.
Verlässliche politische und rechtliche Rahmenbedin-
gungen sind eben eine der Voraussetzungen für das
Funktionieren des Finanzmarkts als Motor für Wachs-
tum und Beschäftigung. Ohne die Finanzierungsfunktion
des Kapitalmarkts mit Fremdkapitalaufnahme durch
Kredite oder Anleihen bzw. mit Eigenkapital durch die
Begebung von Aktien werden keine Investitionen getä-
tigt und die volkswirtschaftliche Entwicklung wird ge-
hemmt. Diesen Weg sollten wir weiter beschreiten.
Über die Diskriminierung von Eigenkapital gegen-
über Fremdkapital haben wir schon einiges gehört. In
diesem Zusammenhang muss zumindest die Problematik
der Dauerschuldzinsen noch einmal betrachtet werden.
Dabei bieten das Zehnpunkteprogramm der Bundesregie-
rung zur Stärkung der Unternehmensintegrität und des
Anlegerschutzes sowie der Finanzmarktförderplan 2006
des BMF eine hervorragende Grundlage. Ich möchte ei-
nige wichtige Maßnahmen aus diesem Arbeitspensum
nennen.
Erstens: Entwicklung eines international konkurrenzfä-
higen Verbriefungsmarktes, Asset Backed Securities
Initiative der KfW mit den großen Geschäftsbanken und
den Genossenschaftsbanken. Durch die Verminderung
der Risikopositionen der Kreditinstitute aus Kreditforde-
rungen und -risiken wird Eigenkapitalentlastung herbei-
geführt. Dies führt zu einem großen Freiraum für neue
Kredite. Die Finanzierungsmöglichkeiten werden da-
durch auch für kleinere und mittlere Unternehmen essen-
ziell verbessert. Die steuerliche Entlastung der Zweck-
gesellschaften, auf die solche Kredite oder Kreditrisiken
übertragen werden sollen, gleicht den Nachteil des Fi-
nanzplatzes Deutschland aus. Zweckgesellschaften müs-
sen nicht länger aus gewerbesteuerlichen Gründen ins
Ausland ausweichen. Dies ist ein riesengroßer Fort-
schritt.
Zweitens. Das Investmentgesetz 2003 wird Wettbe-
werbsnachteile, die die deutsche Fondsindustrie in den
vergangenen Jahren wiederholt beklagt hat, beseitigen.
Vorteile von Standorten wie Irland oder Luxemburg wer-
den damit ausgeglichen. Im Rahmen der anstehenden
Umsetzung bestimmter EG-Richtlinien wird das Umfeld
für die Auflegung und Verwaltung von Investmentfonds
in Deutschland einer kritischen Überprüfung unterzo-
gen. Ziel sind dabei die Entschlackung des Gesetzes und
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Viertens: Stärkung der Verantwortlichkeit der Gesell-
chaftsorgane Vorstand und Aufsichtsrat durch die
chaffung einer persönlichen Haftung für falsche Kapi-
almarktinformationen; Verbesserung der Organaußen-
aftung; Ausdehnung der bisherigen Haftung, die allein
ie Gesellschaft trifft.
Fünftens: Weiterentwicklung des Corporate Gover-
ance Codex. Ziel ist die Etablierung einer verantwort-
ichen und vernünftigen Unternehmensführung und -lei-
ung.
Sechstens: Verbesserung der Aufsicht über den
rauen Kapitalmarkt durch Einführung einer Prospekt-
flicht für öffentlich angebotene Kapitalbeteiligungen,
um Beispiel stille Beteiligungen oder Kommanditbetei-
igungen.
Zusammenfassend möchte ich an die lange Tradition
er Gemeinsamkeiten in diesen Fragen erinnern. So
urde, wie bereits erwähnt, lediglich das Vierte Finanz-
arktförderungsgesetz schließlich im Vermittlungsaus-
chuss verhandelt. Hintergrund dafür waren aber weni-
er parteiliche Differenzen als vielmehr Konflikte
wischen dem Bund und den Ländern.
An diese Tradition sollten wir hinsichtlich der Gesetz-
ebung zur Finanzmarktförderung zum Wohle des Fi-
anzplatzes Deutschland anknüpfen und den Antrag der
PD und des Bündnisses 90/Die Grünen unterstützen.
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen
uf den Drucksachen 15/748 und 15/930 an die in der
agesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
ind Sie damit einverstanden? Das ist der Fall. Dann
ind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe jetzt den Zusatzpunkt 9 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Ernst
Dieter Rossmann, Jörg Tauss, Ulla Burchardt,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD,
der Abgeordneten Grietje Bettin, Hans-Josef Fell,
Volker Beck , weiterer Abgeordneter und
der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ-
NEN sowie der Abgeordneten Ulrike Flach,
Christoph Hartmann , Cornelia Pieper,
Dr. Wolfgang Gerhardt und der Fraktion der FDP
Deutscher Bundestag 15. Wahlperiode 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2003 3581
)
)
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Für eine erfolgreiche Fortsetzung der gemeinsa-
men Bildungsplanung von Bund und Ländern
im Rahmen der Bund-Länder-Kommission für
Bildungsplanung und Forschungsförderung
Drucksache 15/935
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Debatte eine Dreiviertelstunde vorgesehen. Sind Sie da-
mit einverstanden? Ich höre keinen Widerspruch. Dann
ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat der
Kollege Ernst Dieter Rossmann von der SPD-Fraktion
das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Gemeinschaftsaufgaben sollen nach unserer
Verfassung erfolgreich dazu beitragen, dass von Bund
und Ländern etwas für die Gesamtheit gefördert wird
und dass die Lebensverhältnisse aller verbessert werden.
Wir haben in diesem Hause Konsens darin, glaube ich,
dass alles das, was Bildung, Forschung und Wissen-
schaft fördert, in dem Sinn Gemeinschaftsaufgabe von
Bund und Ländern ist.
Dieser Konsens ist gewachsen. Er ist fest verankert,
weil wir wissen, dass Bildung und Forschung Lebens-
chancen für den Einzelnen, Entwicklungschancen für die
Gesellschaft, für den Wohlstand, für die Wirtschaft und
für Nachhaltigkeit bedeuten, dass das Zusammenwirken
vieler Beteiligter von Bund und Ländern im Bereich von
Bildung, Wissenschaft und Forschung, die Vernetzung,
wichtig ist. Das brauchen wir erst recht im Bildungsbe-
reich, auch wegen der Mobilität innerhalb von Deutsch-
land und innerhalb von Europa. Schließlich geht es auch
immer um langfristige Fragen. Langfristige Fragen las-
sen sich am besten in Zusammenarbeit behandeln.
Deshalb haben frühere Generationen von Regierun-
gen und Parlamentariern diese Gemeinschaftsaufgaben
1969 im Grundgesetz verankert. Die Aufgaben sind von
den Ländern umgesetzt worden. Wir möchten von unse-
rer Seite aus hier ausdrücklich festhalten: Im Bund-Län-
der-Abkommen für Bildungsplanung sind sie sowohl in
der Absicht als auch in der Praxis erfolgreich umgesetzt
worden. Dies können wir seit 30 Jahren so feststellen.
Es ist erfolgreich gewesen in Bezug auf den gewal-
tigen Aufwuchs, den wir in Bildung und Forschung in
Deutschland erlebt haben, und in Bezug auf die Moder-
nisierung der Institutionen und es hat durchaus auch
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at beim Bundeselternrat, Frau Hendriks, bei der GEW
der bei Herrn Eckinger, VBE das ist vielleicht neutra-
er , Reaktionen hervorgerufen, die sich wie folgt zu-
ammenfassen lassen: Man darf keine Krähwinkelpolitik
etreiben. Wir brauchen den kooperativen Föderalismus.
ie BLK ist eine wichtige Gelenkstelle, um im Födera-
ismus Bildung und Forschung kooperativ nach vorn zu
ringen.
ir waren uns sicher, auch nach Erfahrungen, die schon
980 in diesem Parlament gemacht worden waren, dass
uch die CDU/CSU-Bundestagsfraktion dies so sehen
ürde. Da lagen wir falsch. Wir mussten feststellen, dass
rstmals in 30 Jahren erfolgreicher BLK-Geschichte
uch die CDU/CSU-Bundestagsfraktion die Auffassung
hrer Bildungsminister teilt. Das finden wir sehr bedau-
rlich. Deshalb möchten wir bewusst SPD, Grüne und
DP gemeinsam aus diesem Parlament heraus mit die-
em Antrag ein klares Bekenntnis zur gemeinsamen Ver-
ntwortung von Bund und Ländern für die Bildungspoli-
3582 Deutscher Bundestag 15. Wahlperiode 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2003
)
)
Dr. Ernst Dieter Rossmann
tik, die Bildungsförderung sowie die Forschungspolitik
und auch die Forschungsförderung abgeben.
Wir möchten mit diesem Antrag, von dem eine sehr
aufmerksame und liebevolle Kollegin sie ist leider
nicht hier gesagt hat, dass es doch eigentlich ein ziem-
lich harmloser Antrag sei, durchaus nachdrücklich auf
einen Punkt aufmerksam machen, indem wir in ihm
sowohl den Bund wie auch die Länder nachdrücklich
auffordern und an sie appellieren, Kooperation nicht auf-
zukündigen. Das Wort Aufkündigung enthält die Wer-
tung, dass es sich hierbei immer um einen einseitigen
Vorgang handelt. Es darf eine Aufkündigung, eine ein-
seitige Veränderung, weder von Länderseite noch von
Bundesseite geben. Vielleicht wird unser Antrag auf bei-
den Seiten als politisches Wollen in all seinen Konse-
quenzen verstanden.
In der Konsequenz heißt das nicht, dass es keine Ver-
änderungen geben könnte. Natürlich hat es Veränderun-
gen gegeben und natürlich wird es auch weiter Verände-
rungen geben müssen. Aber es ist doch etwas anderes,
ob diese in Form einer Aufkündigung, einer Kampfan-
sage, eines einseitigen Ausstiegs oder auf der Basis einer
im Konsens getroffenen Vereinbarung geschehen. Dieser
letzte Punkt ist uns wichtig: Wir brauchen im ganzen
Veränderungsprozess Konsens. Darauf sollten wir uns in
dieser Sache verständigen.
Schließlich brauchen wir schnelle und klare Entschei-
dungen. Denn es liefe etwas verkehrt, wenn zukünftig
Attentismus einträte, weil man nicht mehr weiß, wie
man Bund-Länder-Zusammenarbeit organisieren soll.
Das können wir uns im Bildungs- und Forschungsbe-
reich nicht leisten.
Weiterhin haben wir in dem Antrag dargelegt, dass
wir uns vor allen Dingen eine Konzentration dieser sehr
erfolgreichen Bund-Länder-Zusammenarbeit auf strate-
gische Bildungsplanung wünschen. Ich bin sicher, dass
andere Kollegen das noch entsprechend unterstützen
werden.
Ich darf mit einem Appell schließen, den Bundesprä-
sident Rau auf dem Abschlusskongress des Forums Bil-
dung, eines der letzten großen, nachhaltig wirkenden
Vorhaben der Bund-Länder-Kommission im PISA-Pro-
zess, gesagt hat. Er hat daran erinnert:
Die Zusammenarbeit all derer, die im Bildungs-
geschehen zusammenwirken müssen, ist möglich.
Man muss sie wollen.
Wir dürfen an die Adresse der CDU/CSU sagen: Wir
wollen diese Kooperation, wir brauchen sie, wir brau-
chen aber auch Sie als CDU/CSU, damit diese Koopera-
tion auch in Zukunft gelingt. Wir wollen keine Einseitig-
keiten, sondern wollen Perspektiven aufzeigen. Wir
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Das Wort hat jetzt die Kollegin Katherina Reiche von
er CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-
en! Die heutige Debatte steht im Zusammenhang mit
er grundlegenden Neuordnung der Gemeinschaftsauf-
aben zwischen Bund und Ländern. Es geht um Kompe-
enzabgrenzungen, die Klärung von Zuständigkeiten und
uch um mehr Wettbewerb. Die Zukunft der gemeinsa-
en Bildungsplanung im Rahmen der Bund-Länder-
ommission ist ein Teil dieser übergeordneten Födera-
ismusdiskussion.
An der Entscheidungsfindung scheint sich übrigens
er Bundeskanzler, Frau Bulmahn, nicht sonderlich be-
eiligen zu wollen, denn es war Frau Zypries, die in der
FAZ vom 16. April eine Umgestaltung der Finanzie-
ung von Forschung und Hochschulen in Deutschland
orschlug, über den Kopf der zuständigen Ministerin
inweg.
as BMBF scheint auch aus dem Lenkungsausschuss der
hefs der Staatskanzleien fern gehalten zu werden, wo
er Komplex der Föderalismusreform bearbeitet wird.
ch glaube, deutlicher kann der Bundeskanzler die Be-
eutungslosigkeit der Bundesbildungsministerin wirk-
ich nicht signalisieren.
Die Aufregung, die jetzt bei Rot-Grün und auch bei
er FDP herrscht, hat ihre Ursache in einem Beschluss
er Ministerpräsidenten aller 16 Länder. Schauen wir
ns in aller Ruhe einmal die Tatsachen an: Es gab am
7. März dieses Jahres eine Ministerpräsidentenkonfe-
enz in Hamburg, die Folgendes beschlossen hat:
Die Gemeinschaftsaufgabe Bildungsplanung soll
abgeschafft werden, wobei eine Koordinierung un-
ter den Ländern sicherzustellen ist.
Die Forschungsförderung ist auch in Zukunft als
Mischfinanzierung fortzuführen.
abei handelt es sich nun keineswegs um einen Allein-
ang der Ministerpräsidenten von der Union, sondern
lle Ministerpräsidenten haben das beschlossen, übri-
ens auch mit Zustimmung der in den Ländern mitregie-
enden FDP.
Deutscher Bundestag 15. Wahlperiode 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2003 3583
)
)
Katherina Reiche
Zum Beispiel unterschrieb der stellvertretende Parteivor-
sitzende der FDP Döring den baden-württembergischen
Koalitionsvertrag. Dieser enthält den Passus:
Wir werden allem entgegentreten, was den Bewe-
gungsspielraum der Länder in diesem Zusammen-
hang
im Zusammenhang mit der Kernkompetenz Kultur-
politik
weiter einengt. Dazu gehören eine Deregulierung
bei der geplanten Novellierung des Hochschulrah-
mengesetzes, der Verzicht der Bund-Länder-Kom-
mission auf den Bereich Bildungsplanung
sowie eine weitere Stärkung des Selbstauswahl-
rechts der Hochschulen.
Es beschleicht einen die Vermutung, Rot-Grün und
die FDP vergössen nun in ihrem gemeinsamen Antrag,
der sich für die Fortsetzung der gemeinsamen Bildungs-
planung ausspricht, Krokodilstränen. Vergessen werden
darf nämlich auch nicht eine nicht ganz unwesentliche
Vorgeschichte. Ich erinnere an den Beschluss der Bund-
Länder-Kommission vom Juni des vergangenen Jahres,
der Budgetzuwächse in Höhe von bis zu 3,5 Prozent für
alle Wissenschaftsorganisationen im Haushalt 2003 be-
inhaltete. Der Bund hat diesen einmütig gefassten Be-
schluss einseitig und ohne Absprache mit den Ländern
über Nacht aufgekündigt. Das ist ein noch nie dagewese-
ner Wortbruch.
Ich glaube, die Länder sind es leid, dass die Bundes-
ministerin den Gedanken der gemeinsamen Bildungspla-
nung immer wieder dazu benutzt, sich in die Kulturho-
heit der Länder einzumischen. Das Kerngeschäft ihrer
Aufgaben, die Forschungspolitik, hat Frau Bulmahn ver-
nachlässigt. Sie flüchtet sich nun in die Bildungspolitik,
für die sie laut Grundgesetz gar keine Kompetenzen hat.
Es ist allein der Initiative der unionsgeführten Länder
in der Kultusministerkonferenz zu verdanken, dass es zu
einer Einigung über die Einführung gemeinsamer Bil-
dungsstandards gekommen ist. Die KMK ist hier viel
weiter als der Bund. Die Vorschläge von Frau Bulmahn
zur Einrichtung einer nationalen Agentur zur Entwick-
lung und Evaluierung von Bildungsstandards bedeuten
eine weitere unerwünschte Einmischung in die Hoheit
der Länder.
Auch der Vorschlag von Frau Bulmahn, eine acht-
bzw. neunjährige Regelschule einzuführen und somit
quasi das gegliederte Schulsystem abzuschaffen, ist an-
maßend, rein ideologisch und verfolgt offensichtlich das
Ziel einer Einheitsschule.
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Darüber hinaus könnten durch Ad-hoc-Arbeitsgrup-
en bildungs- und berufsbildungspolitische Fragen abge-
eckt werden. Gegebenenfalls könnte auch das Bundes-
nstitut für Berufsbildung den Berufsbildungsteil ganz
bernehmen. Insgesamt wäre ein Ausstieg aus der ge-
einsamen Bildungsplanung auch ein Beitrag zu mehr
ransparenz und Effizienz im Bildungswesen.
Frau Kollegin Reiche, erlauben Sie eine Zwischen-
rage des Kollegen Tauss?
Nein, ich würde gern fortfahren.
Keine Zwischenfrage!
Gleichzeitig begrüßen wir auch das Festhalten der
änder an der gemeinsamen Forschungsförderung von
und und Ländern. Der Zwang für Bund und Länder,
ich abzustimmen, wirkt quasi wie ein Puffer gegen ex-
reme Schwankungen in der Forschungspolitik.
Nun beabsichtigt die Bundesregierung, im Zusam-
enhang mit einer Föderalismusreform die Forschungs-
andkarte in Deutschland neu zu ordnen. Der Kanzler
ill sich so zumindest die FAZ vom 2. Mai for-
chungspolitisch ein Riesenreich schaffen. Die For-
chungsorganisationen der Fraunhofer-Gesellschaft
nd der Helmholtz-Gemeinschaft, die Max-Planck-Ge-
ellschaft und die Deutsche Forschungsgemeinschaft
ollen mit einem Forschungsvolumen von über
Milliarden Euro in die alleinige Zuständigkeit des
undes überführt werden.
ie vom Bund vertretene Position bedeutet die Aufkün-
igung der gemeinsamen Finanzierung. Politisch läuft
ie Position des Bundes auf eine Gleichschaltung der
pitzenforschung hinaus.
n unseren Augen gefährdet sie damit die Unabhängig-
eit der Forschungseinrichtungen.
3584 Deutscher Bundestag 15. Wahlperiode 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2003
)
)
Katherina Reiche
Die Stärke des Wissenschaftsstandortes Deutsch-
lands liegt gerade in seiner föderalen Struktur unter einer
politikfreien wissenschaftlichen Begleitung durch Top-
gremien wie zum Beispiel die Gutachter der DFG. Die-
ses Pfund darf nicht verspielt werden. DFG und MPG
sind die Flaggschiffe der deutschen Forschungsland-
schaft mit einem international hervorragenden Renom-
mee. Jetzt erfahren sie aus der Presse, dass der Bund die
Gemeinschaftsaufgabe Forschungsförderung faktisch
aufkündigen will. Ich frage mich: Was ist das für ein
Stil?
Wenn durch die Entscheidung der Bundesregierung
der Fortbestand dieser Einrichtungen in die Grauzone
gestellt würde, würde dies das Ansehen beider Einrich-
tungen auch in der internationalen Wahrnehmung be-
schädigen.
Nun zu den Leibniz-Instituten. Die Einrichtungen der
Leibniz-Gemeinschaft sollen nach den Plänen der Bun-
desregierung in der alleinigen Zuständigkeit der Länder
verbleiben. Dies ist wohl der Gipfel der Scheinheiligkeit.
Diese Einrichtungen werden vom Bund und von den
Ländern zu jeweils 50 Prozent finanziert. Strukturell und
organisatorisch sind die Institute der Leibniz-Gemein-
schaft die ländernächsten und liegen mit ihren Schwer-
punkten vor allem in den neuen Ländern. Was passiert
nun, wenn sich der Bund daraus verabschiedet? Insbe-
sondere die neuen Länder wären gar nicht in der Lage,
alle Institute zu 100 Prozent zu übernehmen. Die Ent-
scheidung des Bundes würde eine wenn nicht flächen-
deckende Schließung, so doch vermutlich große Anzahl
von Schließungen von Leibniz-Instituten in den neuen
Ländern zur Folge haben.
Frau Bulmahn betont immer wieder, dass sie keine
bildungspolitische Kleinstaaterei will. Was sie jedoch
mit der Wilhelm-Leibniz-Gemeinschaft vorhat, ist for-
schungspolitische Kleinstaaterei; denn jedes Land soll
sich um seine eigenen Leibniz-Institute kümmern. Ge-
rade in der Forschung brauchen wir nicht weniger, son-
dern mehr Vernetzung.
Wir wissen nicht, ob die Überlegungen des Bundes
nur als Schachzug zu bewerten sind, die Länder durch
die Drohung mit dem Ende der gemeinsamen For-
schungsförderung dazu zu bewegen, den Bund weiterhin
in der Gemeinschaftsaufgabe Bildungsplanung mitbe-
stimmen zu lassen. Gleichwohl sollten sie ernst genom-
men werden. Die rot-grüne Bundesregierung zeigt näm-
lich mit diesen Vorschlägen ihr wahres Gesicht:
die Vernachlässigung der Forschung in den neuen Län-
dern und eine Monopolisierung der deutschen For-
schungslandschaft in der Hand des Bundes.
Die Forscher das kann ich hier sagen sind hoch-
gradig verunsichert.
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inige Berufungsverfahren sind unterbrochen, da sich
ie Wissenschaftler momentan nicht auf diese Unge-
issheit einlassen wollen. Wir werden das nicht mitma-
hen. Ich hoffe, dass es die Länder bei ihrem Gespräch
it dem Bundeskanzler am 26. Juni zu verhindern wis-
en.
Vielen Dank.
Das Wort hat jetzt die Kollegin Grietje Bettin vom
ündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
ach diesem destruktiven Beitrag vorweg eine gute
achricht:
s kommt glücklicherweise Bewegung in die Bildungs-
andschaft. Der Jahresbericht der Bund-Länder-Kom-
ission zeigt uns, liebe Kollegin Reiche, wie erfolgreich
onstruktive Zusammenarbeit über Parteigrenzen hin-
eg sein kann.
Nicht nur auf PISA hat die BLK sachgerecht reagiert.
ie hat Empfehlungen für die Sprachförderung erarbei-
et, die schon jetzt in den meisten Bundesländern zum
eispiel in Schleswig-Holstein und Niedersachsen um-
esetzt werden. Sie hat das Ansehen des Studiums in
eutschland mit dem äußerst erfolgreichen Marketing
ür unsere Unis im Ausland entscheidend verbessert und
ie hat auch in den Jahren Ihrer Regierungzeit, liebe Kol-
eginnen und Kollegen von der Union, einige Schritte für
ie Modernisierung des Bildungssystems getan.
ch denke dabei zum Beispiel an die drei Hochschulson-
erprogramme oder an den Aufbau des Hochschulwe-
ens in den neuen Ländern.
Deswegen ist es für mich überhaupt nicht nachvoll-
iehbar, wenn nicht nur die unionsgeführten Länder,
ondern sogar Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen der
nionsfraktion in diesem Hause, aus der gemeinsamen
ildungsplanung aussteigen wollen. Sie berauben sich
amit doch Ihrer eigenen Gestaltungskompetenz. Dies
it der PISA-Studie zu begründen ist ziemlich faden-
Deutscher Bundestag 15. Wahlperiode 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2003 3585
)
)
Grietje Bettin
scheinig. Die bayerischen Schulen mögen bundesweit
und oberflächlich betrachtet vielleicht relativ gut daste-
hen. International gesehen spielen sie jedoch allenfalls in
der zweiten Liga.
Das Bildungsniveau dort wird sicher nicht leiden, nur
weil wir in der BLK darüber sprechen. Außerdem erkau-
fen Sie sich diesen insgesamt mäßigen Erfolg damit,
dass zum Beispiel Bayern auf Kosten der anderen Bun-
desländer viel zu wenige Abiturientinnen und Abiturien-
ten ausbildet, und wenn, dann sind das erwiesenermaßen
meist Kinder reicher Eltern. Für diese will die CSU jetzt
auch noch in Elitestudiengänge investieren, wie heute im
Tagesspiegel zu lesen war. Glauben Sie, das ist das
richtige Signal zu dieser Zeit? Ich glaube es nicht.
Grünes Ziel ist es das sollte auch Ihres sein , die
faktische soziale Auslese in der Schule zu beenden und
allen begabten jungen Menschen einen hohen Bildungs-
abschluss zu ermöglichen. Nahezu alle Bildungsexper-
tinnen und -experten fordern für dieses Ziel eine längere
gemeinsame Schulzeit. Darin liegt wohl auch der wahre
Grund für den angekündigten Ausstieg der Union: Das
gegliederte Schulsystem ist der Union noch immer so
heilig, dass sie lieber die gemeinsame Bildungsplanung
auf dessen Altar schlachten möchte.
Bund und Länder müssen nach PISA und IGLU große
bildungspolitische Aufgaben bewältigen. Es geht um
nichts Geringeres als um die Zukunftschancen unserer
Kinder. Bildungsstandards sollen die Qualität der Bil-
dung überall in Deutschland sicherstellen. Sie müssen
gemeinsam entwickelt werden, weil sie nicht nur schuli-
sche Bildung, sondern eben auch Kindergärten und Wei-
terbildung betreffen. Darüber hinaus stehen uns auch
massive Reformen im Bereich der beruflichen Bildung
ins Haus, die wir ohne BLK und ohne gemeinsame Ko-
operation von Bund und Ländern gar nicht anpacken
könnten.
Die Forschungsfinanzierung wäre ohne die BLK
höchst ineffizient. Wir alle wollen die Forschung in
Deutschland stärken und international wettbewerbsfähig
erhalten. Wir können uns aus meiner Sicht ein planloses
Nebeneinander in der Forschung absolut nicht leisten.
Lassen Sie uns also zuerst über die gemeinsamen
Ziele sprechen, die wir in der Bildungspolitik vom
Kindergarten bis zur Weiterbildung erreichen wollen!
Sie werden feststellen, dass wir vielfach gar nicht so
weit auseinander liegen. Lassen Sie uns anschließend
über die Strukturen diskutieren, die wir brauchen, um
diese Ziele zu erreichen! Für eine solche Diskussion ist
die BLK das ideale Forum.
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eshalb: Kehren Sie zum bewährten Konsens in diesem
ause zurück! Setzen Sie sich mit uns für die gemein-
ame Bildungsplanung vor allem im Interesse der jungen
enschen in unserem Land ein!
Danke schön.
Das Wort hat die Kollegin Ulrike Flach von der FDP-
raktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her-
en! Niemand in diesem Hause auch Sie nicht, Frau
eiche wird ernsthaft behaupten, wir bräuchten in der
ildungsplanung keine Koordination und keine Koope-
ation zwischen Bund und Ländern.
er einheitliche Bildungsraum Europa, die Herausforde-
ungen im internationalen Wettbewerb der Bildungs-
ärkte und die Notwendigkeit gemeinsamen Handelns
ach der PISA-Studie machen dies mehr als deutlich.
Wer zu diesem Zeitpunkt, liebe Kollegen von der
DU/CSU, die Position der Länder das sage ich mit
ehr großem Ernst eins zu eins, also kritiklos, und da-
it auch ihren sehr emotionsgeladenen Ärger nach dem
otto: Nimmst du unser Schippchen weg, dann geben
ir dir das andere wieder und hauen wir noch einmal
rauf übernimmt und damit zu einem Beschluss
ommt, der rational kaum zu begründen ist, steigt mit ei-
em Paukenschlag aus der gemeinsamen Bildungspla-
ung aus und zerstört das kleine Pflänzchen gemeinsa-
en bildungspolitischen Handelns, das wir mühsam
epflegt haben.
Wenn PISA ein Signal gab, dann ist es nicht das, dass
eder für sich allein für mehr Qualität des Bildungswe-
ens in unserem Lande kämpfen soll, sondern das Signal,
ass alle gemeinsam das tun sollten. Wenn Sie die Men-
chen in unserem Lande fragen, so stellen Sie fest, dass
ie genau das bestätigen: Wir sollen zusammenarbeiten
nd nicht gegeneinander arbeiten.
azu brauchen wir die BLK als das einzige über Jahr-
ehnte hinweg funktionierende Scharnier zwischen
und und Ländern.
3586 Deutscher Bundestag 15. Wahlperiode 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2003
)
)
Ulrike Flach
Anders übrigens als die Kultusministerkonferenz da
bin ich ganz anderer Meinung als Sie , die zwar oft in
den Medien ist, aber wenig bewegt, ist die Bund-Länder-
Kommission in der Öffentlichkeit eher unbekannt, dafür
aber sehr erfolgreich.
Die zahlreichen Vorhaben Kollege Rossmann hat es
eben schon aufgeführt von Wissenschaftsprogrammen
und Marketing bis hin zu beruflicher Bildung und der
gemeinsamen Bildungsplanung, auch im Bereich der
Frauenförderung, haben in den letzten Jahrzehnten be-
wiesen, dass es sich hier um eine Institution handelt, die
es wert ist, dass um sie gekämpft wird, Frau Reiche.
Sicher war nicht alles erfolgreich. Es gibt übrigens in-
dividuelle Modellversuche in den Ländern. Das Land
Baden-Württemberg ist so ein Fall.
Es hat sich an vielen Modellversuchen, die die BLK auf
den Weg gebracht hat, nicht beteiligt, stattdessen eigene
Modellversuche durchgeführt. Dass viele Modellversu-
che der BLK nicht erfolgreich waren, soll doch aber
nicht heißen, dass wir deswegen die gesamte Struktur
zerschlagen müssen. Natürlich muss sich die BLK stän-
dig weiterentwickeln. Wir sind die Letzten, die dagegen
sind, dass diese Institution effizienter arbeitet. Natürlich
benötigt sie Reformen; da sind wir mit Ihnen einer Mei-
nung. Trotzdem hieße das, was Sie jetzt propagieren, be-
währte Strukturen zu zerschlagen, ohne etwas Neues zu
haben, was wir den Menschen draußen im Lande anbie-
ten können.
Damit schaffen Sie Verunsicherung und blockieren drin-
gend erforderliche Verbesserungen für unsere Schulen
und Hochschulen; Herr Schlegel hat uns das letzte Wo-
che sehr deutlich gemacht.
Wir kommen jetzt zum Beispiel bei der vorschuli-
schen Bildung, für die das Herz übrigens aller Kollegen
schlägt, nicht weiter. Die BLK sitzt fest, weil durch diese
unselige Diskussion wichtige Entscheidungen blockiert
worden sind.
Was wollen Sie stattdessen? Bereits im Ausschuss
habe ich angesichts Ihres Vorschlages irritiert geschaut.
Sie wollen doch wohl nicht wirklich vorschlagen, dass
wir die Bund-Länder-Kommission durch die Kultusmi-
nisterkonferenz diese Landschildkröte der Bildungs-
landschaft ersetzen?
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ch bin froh, Herr Dr. Rossmann, dass Sie eben so deut-
ich gemacht haben, dass Sie offensichtlich bereit sind,
ls Fraktionen dafür zu kämpfen;
enn das, was Frau Ministerin Zypries in einer Zeitung
ngekündigt hat da teile ich absolut die Meinung von
rau Reiche , können wir uns auf diesem hoch sensi-
len Gebiet nicht leisten. Die Forschungsinstitutionen
ind geradezu eruptionsartig verunsichert gewesen. Wir
rauchen keine Schnellschüsse, sondern wir brauchen
ine inhaltlich und fachlich wohl vorbereitete Diskus-
ion zu diesem Thema, dem schwierigsten Thema, das
ir überhaupt in den nächsten Monaten vor uns haben.
Wer Wissenschaft optimieren und Verantwortung
ransparenter machen will, der geht eben nicht über die
edien an das Thema heran. Ich kann uns allen raten,
ei dieser Diskussion etwas zurückhaltender zu sein. Wir
aben in den letzten Jahren so viel auf den Weg gebracht
wir mit Bio-Regio, Sie mit Inno-Regio. All dies ist in
efahr, wenn wir jetzt, die Forschungsförderung so
röblich misshandeln, wie das offensichtlich im Augen-
lick geplant ist.
Deswegen habe ich zum Abschluss noch eine Bitte an
ie. Diese Diskussion ist die schwierigste, die wir in den
ächsten Jahren vor uns haben. Sie ist auch die schwie-
igste, die ich als Parlamentarierin erlebt habe; denn sie
eht über den Zuständigkeitsbereich unseres Ausschus-
es weit hinaus, sie betrifft ebenso viele andere Aus-
chüsse. Wir müssen also kooperieren und müssen in
iesem Fall zusammenhalten. Ich freue mich, dass es das
ngebot der Regierungsfraktionen gibt. Ich würde mich
ehr freuen, Frau Reiche, wenn auch die CDU/CSU mit
ns an einem Strang ziehen würde. Ich glaube, das wäre
ut für dieses Land.
Für die Bundesregierung spricht jetzt der Parlamenta-
ische Staatssekretär Christoph Matschie.
C
Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen!
ir haben uns im Koalitionsvertrag vorgenommen, den
Deutscher Bundestag 15. Wahlperiode 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2003 3587
)
)
Parl. Staatssekretär Christoph Matschie
föderalen Staatsaufbau im Sinne einer neuen Verantwor-
tungsteilung zwischen Bund und Ländern grundlegend
zu überprüfen.
Dieser Prozess der Überprüfung hat in den Ländern und
auch beim Bund stattgefunden. Ich denke, es versteht
sich von selbst, dass bei dieser Überprüfung auch unter-
schiedliche Vorstellungen zutage getreten sind. Die Län-
der erwarten ein Mehr an Kompetenzen und Finanzmit-
teln. Der Bund tritt für eine Stärkung seiner eigenen
Möglichkeiten ein. Dass aber die Union ausgerechnet im
Feld der Bildungsplanung versucht, einen neuen Weg zu
gehen und einen Alleingang zu machen, war nicht unbe-
dingt zu erwarten.
Ich glaube, man muss in dieser Debatte noch einmal
darauf hinweisen: Der Föderalismus ist ein zweckmäßi-
ges System, aber im jetzigen System knirscht es auch; es
gibt Reibungsverluste. Deshalb müssen wir die Aufga-
benverteilung neu diskutieren. Das erklärte Ziel der
Bundesregierung ist dabei, national, aber auch internati-
onal, etwa auf der Ebene der Europäischen Union, wie-
der mehr politische Handlungsfähigkeit zu gewinnen.
Das setzt klare Verantwortlichkeiten, aber auch transpa-
rente und effiziente Verfahren voraus. Diese Reformen
sollen Schwachstellen beseitigen, aber das sage ich
hier klipp und klar sie sollen nicht bewährte und not-
wendige Mittel und Instrumente der Zusammenarbeit
zwischen Bund und Ländern zur Disposition stellen.
Deshalb kann die Bundesregierung den Wunsch, aus der
gemeinsamen Bildungsplanung auszusteigen, nur mit
Bedauern und Unverständnis zur Kenntnis nehmen. Wir
fordern in diesen Verhandlungen im Gegenteil, dass
diese gemeinsame Bildungsplanung zu einem verpflich-
tenden Verfassungsauftrag ausgestaltet wird.
Warum tun wir das? Auf die Erfolge der gemeinsa-
men Bildungsplanung ist hier schon hingewiesen wor-
den. Lassen Sie es mich noch einmal sagen, Frau Kolle-
gin Reiche, wenn Sie meinen, diese Aufgabe könnten
auch die Länder allein erfüllen: Ein erfolgreiches Bil-
dungssystem ist immer mehr als die Summe seiner Teile.
Wir haben nicht nur die einzelnen Teile in den Bundes-
ländern, sondern wir haben auch den Prozess des lebens-
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Die Erfahrung der vergangenen Jahre zeigt aber auch,
ass die Vernetzung mit anderen Politikbereichen,
nsbesondere mit den Bereichen Familie, Arbeit, Wirt-
chaft und Finanzen, nur über eine gemeinsame Bil-
ungsplanung möglich ist. Auch deshalb brauchen wir
ie weiterhin.
Ich erinnere an die in diesem Hause geführte Diskus-
ion über die zunehmende Mobilität, die den Menschen
n diesem Land abverlangt werden muss. Auch sie macht
in stärker koordiniertes, bundeseinheitliches Vorgehen
m Bildungssystem, harmonisierte Regelungen und ver-
leichbare Standards in ganz Deutschland erforderlich.
Wir können mit Fug und Recht sagen: Die gemein-
ame Bildungsplanung hat einer weiteren Zersplitterung
es Bildungssystems entgegengewirkt. Auch dafür brau-
hen wir sie in der Zukunft.
Einzelne Programme ich weise auf das Hochschul-
onderprogramm und das internationale Marketing für
en Bildungsstandort Deutschland hin sind nur dank
iner gemeinsamen Anstrengung von Bund und Ländern
öglich gewesen. Würde die gemeinsame Bildungspla-
ung aufgegeben, könnten diese Programme leider nicht
ortgesetzt werden.
Deshalb bitte ich die Kolleginnen und Kollegen von
er Union: Überdenken Sie Ihre Position zur gemeinsa-
en Bildungsplanung noch einmal! Die Bundesregie-
ung wird sich für die Beibehaltung dieses Instruments
insetzen, weil sie es für notwendig hält. Unterstützen
uch Sie andere Kolleginnen und Kollegen in diesem
aus haben das schon deutlich gemacht die gemein-
ame Bildungsplanung. Überdenken Sie Ihre Position
och einmal und stimmen Sie für den vorgelegten An-
rag.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat jetzt der Kollege Thomas Rachel von
er CDU/CSU-Fraktion.
3588 Deutscher Bundestag 15. Wahlperiode 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2003
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir
führen eine intensive Debatte über die Reform des Föde-
ralismus in Deutschland und über die Neuregelung der
Verantwortlichkeiten zwischen Bund und Ländern.
Mit dem heutigen Antrag versuchen SPD, Grüne und
FDP letztlich bereits Fakten zu schaffen, indem sie den
Erhalt der Bildungsplanung der Bund-Länder-Kommis-
sion für Bildungsplanung und Forschungsförderung fest-
schreiben wollen. Alles soll so bleiben, wie es in den
letzten Jahrzehnten war. Die Dinge sind aber nicht mehr
so, wie sie waren. Für ein fruchtbares Zusammenwirken
von Bund und Ländern in einem Gremium wie der BLK
ist es erforderlich, dass alle Beteiligten von der Sinnhaf-
tigkeit ihres Tuns sowie von der Notwendigkeit und Effi-
zienz der Institution überzeugt sind. Genau dies ist aber
nicht mehr der Fall.
Die Bundesländer haben in der KMK die notwendi-
gen Konsequenzen nach PISA selbst gezogen. Ich nenne
die nationalen Bildungsstandards und die einheitlichen
Abschlussprüfungen in den verschiedenen Schulfor-
men. Die Ministerpräsidenten der SPD-geführten und
der unionsgeführten Länder haben am 27. März ent-
schieden, die Gemeinschaftsaufgabe Bildungsplanung
abzuschaffen und sie zur reinen Ländersache zu machen.
Damit hat sich die Ausgangslage in Deutschland verän-
dert.
Wir Christdemokraten haben Verständnis dafür, dass
sich die Länder aus der Bildungsplanung im Schul-
bereich zurückziehen wollen; denn die Schulpolitik ge-
hört nun wirklich in den ausschließlichen Kompetenzbe-
reich der Bundesländer. Die ständigen Versuche von
Bildungsministerin Bulmahn, in die Schulpolitik der
Bundesländer, für die sie überhaupt keine Kompetenz
hat, hineinzuregieren, sind überflüssig und schädlich.
Für dieses Verhalten hat Frau Bulmahn von den Bundes-
ländern die Quittung erhalten.
Angesichts der Meinungsbildung aller Bundesländer
mutet das Föderalismuskonzept von Gerhard Schröder
geradezu kurios an. Wenn die Bundesregierung fordert,
die gemeinsame Bildungsplanung zu einem verpflich-
tenden Verfassungsauftrag umzugestalten, so zeigt dies,
dass Schröder lange nicht mehr mit den Ministerpräsi-
denten der sozialdemokratisch geführten Länder gespro-
chen hat.
Der heute vorliegende Antrag zur Bildungsplanung
der BLK ist letztlich ein Trick; denn er versucht aus-
schließlich, den Sektor der Bildungsplanung zu themati-
sieren und alle anderen Fragen des Zusammenwirkens
bei Bildung und Forschung auch das ist Gegenstand
der Föderalismusdebatte auszuklammern. Aber das
werden wir nicht durchgehen lassen. So ist es bezeich-
nend und geradezu entblößend, dass der Antrag von SPD
und Grünen zwar die Fortsetzung der Bildungsplanung,
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Kein Wort verlieren SPD und Grüne in ihrem Antrag
u dem Willen der Bundesregierung, die Rahmenge-
etzgebung nach Art. 75 des Grundgesetzes aufzuheben.
uch die Ministerpräsidenten der Bundesländer haben
ies gefordert. Wo bleibt der Mut der sozialdemokrati-
chen und grünen Bundestagsabgeordneten, sich zu die-
em Thema zu bekennen?
ch habe dazu in dieser Debatte nichts gehört. Wir
hristdemokraten können uns zum Beispiel nicht für die
ollständige Abschaffung des Hochschulrahmengesetzes
ussprechen.
atürlich muss das HRG entschlackt und entbürokrati-
iert werden. Auch dies hat Ministerin Bulmahn bisher
icht geschafft; das Gegenteil ist vielmehr der Fall. Die
rundsätze des Hochschulwesens sollten auch in Zu-
unft durch das HRG bundeseinheitlich geregelt werden.
Weiterhin fordert die Bundesregierung, dass die jet-
ige Gemeinschaftsaufgabe Ausbau und Neubau von
ochschulen den Ländern übertragen wird. Auch die
inisterpräsidenten wollen dies. Was meint eigentlich
ie SPD-Bundestagsfraktion dazu?
uch dazu hören wir nichts. Wir meinen, dieser Punkt
ollte noch einmal gründlich bedacht werden.
Wer garantiert eigentlich, dass der Bund den Ländern
uf Dauer den hohen Millionenbeitrag für den Hoch-
chulbau zur Verfügung stellt?
n der Vergangenheit war es von Vorteil, dass der Aus-
au der Hochschulen auch zwischen den Bundesländern
bgestimmt wurde,
Deutscher Bundestag 15. Wahlperiode 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2003 3589
)
)
Thomas Rachel
damit Dubletten im inhaltlichen Profil vermieden wur-
den und nicht nur nach regionalpolitischen Gesichts-
punkten entschieden wurde.
Geschickt versuchen SPD und Grüne mit ihrem An-
trag, die öffentliche Aufmerksamkeit nur auf den Aspekt
der Bildungsplanung zu lenken.
In Wirklichkeit befasst sich die BLK in gleichem Maße
mit der gemeinsamen Forschungsförderung von Bund
und Ländern. Dies wird bei Ihnen nicht angesprochen,
obwohl die Bundesregierung gerade die Entflechtung
der Forschungsförderung nach Art. 91 b des Grund-
gesetzes fordert. Sie will nämlich die Forschungsorga-
nisationen Helmholtz-Gemeinschaft, Max-Planck-Ge-
sellschaft, Fraunhofer-Gesellschaft und Deutsche
Forschungsgemeinschaft in die alleinige Zuständigkeit
des Bundes und die Institute der so genannten blauen
Liste in die alleinige Zuständigkeit der Länder überfüh-
ren. So lautet das vergiftete Angebot der Bundesregie-
rung. Wenn aber nur der Bund oder nur die Länder für
die Forschungsorganisation zuständig sind, gibt es auch
keinen Gegenstand für eine gemeinsame Forschungsför-
derung von Bund und Ländern mehr. Das, was Ihre Bun-
desregierung vorhat, bedeutet das Aus für die BLK in
der Forschungsförderung.
Das ist die Wahrheit, die Sie hier heute unter den Tep-
pich kehren wollen.
Wir Christdemokraten halten Ihre Politik der Zer-
schlagung der gemeinsamen Forschungsförderung von
Bund und Ländern wissenschaftspolitisch für verfehlt,
finanziell für die betroffenen Forschungsorganisationen
für gefährlich und von der Sache her für kurzsichtig.
Noch nicht einmal die Betroffenen wurden gefragt,
Herr Staatssekretär. Die Betroffenen haben aber sehr
wohl eine Meinung dazu. Für die Leibniz-Gemeinschaft
hat sich die gemeinsame Forschungsförderung von Bund
und Ländern bewährt und ist sinnvoll. Hans-Olaf Henkel
spricht von Ihren Plänen als unlogisch, die Entflechtung
führe zu einer Kleinstaaterei in der Forschung.
Tatsächlich ist der Ansatz der Bundesregierung ver-
fehlt. Eine Neustrukturierung der Forschungslandschaft
kann man diskutieren, aber sie darf nicht allein von fi-
nanziellen und administrativen Überlegungen abhängig
gemacht werden. Sie muss vielmehr von inhaltlichen
Gesichtspunkten ausgehen. Das ist aber bei Ihnen nicht
der Fall. Die Forschungsinstitutionen dürfen nicht zu ei-
nem Verschiebebahnhof für Finanzströme zwischen
Bund und Ländern werden.
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Die Gemeinschaftsaufgabe Forschungsförderung in
er Bund-Länder-Kommission hat auf jeden Fall zu ei-
er sachorientierten Beratung der Forschungsschwer-
unkte geführt und auch eine gewisse Politikferne garan-
iert. Wenn diese Bundesregierung alleine für die
ußeruniversitäre Forschung zuständig ist, wird die Wis-
enschaft zum Spielball der Bundesregierung. Das wol-
en wir nicht.
Es ist nicht erkennbar, wo das Problem liegt, für das
ie durch die Entflechtung der Forschungsförderung die
ösung suchen. Im Gegenteil: Die Bundesregierung zer-
chlägt wissenschaftlich wertvolles Porzellan. Für uns
hristdemokraten hat die Forschungsfreiheit einen ho-
en Rang.
3590 Deutscher Bundestag 15. Wahlperiode 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2003
)
)
Thomas Rachel
Deshalb unterstützen wir das Leitbild einer von der Wis-
senschaft selbst verwalteten und inhaltlich selbst gesteu-
erten Forschungsförderung. Dazu hat die Gemein-
schaftsaufgabe Forschungsförderung von Bund und
Ländern mit der BLK den notwendigen und sachgemä-
ßen Rahmen geboten. Sie hat sich bewährt und sollte
deshalb erhalten bleiben.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
Das Wort hat jetzt die Kollegin Ute Berg von der
SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Rachel, ich war
etwas überrascht. Ich glaube, Sie haben unseren Antrag
nicht gelesen. Es ging hier um Bildungsplanung und
nicht um Forschungsförderung.
Wir sind gerne bereit, uns auch über die Forschungsför-
derung noch einmal in aller Ausführlichkeit zu unterhal-
ten. Sie werden dann vielleicht überrascht sein, welche
Position wir dabei einnehmen.
Heute möchte ich aber auf den von uns gestellten An-
trag und auf das Thema Bildungsplanung eingehen. Ich
komme jetzt also zum eigentlichen Thema. Schaffen
Sie die Kulturhoheit der Länder ab! Wir brauchen ein-
heitliche Strukturen innerhalb Deutschlands. Diese For-
derung stellten die Wirtschaftsjunioren aus meinem
Wahlkreis auf einer Neujahrsveranstaltung im Januar
dieses Jahres. So äußert sich auch Dominique Döttling,
Bundesvorsitzende der Wirtschaftsjunioren Deutsch-
land.
Wie wir gerade gehört haben, äußern sich die Kolle-
ginnen und Kollegen der CDU/CSU-Fraktion ganz an-
ders. Diese wollen den Ansatz einer gemeinsamen Bil-
dungsplanung von Bund und Ländern vollständig
aufgeben. Ganz abgesehen davon, dass Sie sich als Bun-
desbildungspolitiker damit quasi selbst die Kompetenz
absprechen, bahnen Sie so einer Politik den Weg, die in
die Sackgasse führt.
In einer Welt, die immer globaler wird und die jedem
und jeder Einzelnen abverlangt, über den eigenen Teller-
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ir brauchen den breiten Horizont und den Überblick,
m die bildungspolitischen Herausforderungen der
ächsten Jahrzehnte für die gesamte Bundesrepublik zu
eistern und den Bildungsstandort Deutschland im glo-
alen Wettbewerb wieder an die Spitze zu führen.
Allerdings führt auch die Forderung der Wirtschafts-
unioren nach einer vollständigen Abschaffung der Kul-
urhoheit der Länder in die Irre.
nsere Fraktion, meine Damen und Herren von der
DU/CSU, steht ausdrücklich zu dem Modell des ko-
perativen Föderalismus.
ch möchte hinzufügen: Ein wenig Wettbewerb unter
en Ländern kann nicht schaden. Die langfristige Zu-
ammenarbeit der Länder mit dem Bund ist dabei mög-
ich und von uns gewollt, denn viele Herausforderungen
önnen nicht in Ad-hoc-Arbeitsgruppen, wie sie
atherina Reiche einmal gefordert hat, bewältigt wer-
en.
Schauen wir uns die Herausforderungen an, denen
ich Deutschland in Zukunft stellen muss. Die tief grei-
enden soziokulturellen und ökonomischen Umwälzun-
en unserer Gesellschaft, die Internationalisierung von
irtschaft und Arbeitsmärkten fordern von einem roh-
toffarmen Land wie der Bundesrepublik vor allem ei-
es: Investitionen in Köpfe, Bildung und Wissen. Das
utzt dem einzelnen Menschen, aber auch der Gesell-
chaft insgesamt. Nur so können wir international beste-
en und unseren Wohlstand für uns und unsere Kinder
rhalten.
Die Ergebnisse der oft zitierten PISA-Studie haben
ezeigt, dass die Bundesrepublik insgesamt noch deut-
ich nachlegen muss.
eider nutzen Sie, verehrte Kolleginnen und Kollegen
on der CDU/CSU-Fraktion, die PISA-Studie nur als ar-
umentativen Steinbruch, um in selbstgefälliger Recht-
aberei die Bildungspolitik der SPD-regierten Länder
nd der Bundesregierung zu kritisieren. Wenn es aber
m Konsequenzen und Lösungen geht, dann kneifen Sie,
err Rachel. Das wird unter anderem an Ihrer Verweige-
ungs- und Verzögerungstaktik bei der Einführung von
ationalen Bildungsstandards deutlich, die Niveau
nd Gleichwertigkeit im Bildungsbereich sichern helfen.
Deutscher Bundestag 15. Wahlperiode 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2003 3591
)
)
Ute Berg
Das ist eine verantwortungslose Politik auf Kosten von
Eltern und Kindern.
In einer Zeit, in der an Arbeitnehmer und Arbeitneh-
merinnen und deren Familien immer größere Anforde-
rungen an Mobilität gestellt werden Christoph
Matschie hat das eben schon unterstrichen , ist es nur
folgerichtig und unumgänglich, dass deren Kinder in
ganz Deutschland vergleichbare Bedingungen im Bil-
dungswesen vorfinden.
Ich selber bin im Übrigen ein gebranntes Kind. Meinen
eigenen Kindern wurde bei einigen Umzügen von einem
in ein anderes Bundesland durchaus einiges zugemutet.
Ich möchte Ihr Augenmerk aber noch speziell auf den
Hochschulbereich lenken. Alle Anstrengungen, die in
der Vergangenheit gemeinsam von Bund und Ländern
unternommen wurden, hatten das Ziel, die Hochschul-
landschaft in der gesamten Bundesrepublik weiterzuent-
wickeln und dafür zu sorgen, dass es in bestimmten Re-
gionen nicht zu weißen Flecken kam. Das war besonders
für die neuen Länder wichtig, für die wir enorme Kraft-
anstrengungen unternommen haben.
Frau Reiche, ich wundere mich, warum Sie dazu
nichts gesagt haben. Gerade im Hochschulbereich ist
Europäisierung und Internationalisierung unübersehbar
und unverzichtbar. Mit dem Bologna-Prozess werden
zum Beispiel an den Hochschulen europaweit vergleich-
bare Studiengänge und Abschlüsse geschaffen. Unsere
Hochschulen werden im Wettbewerb mit den übrigen
europäischen Universitäten aber nur dann bestehen kön-
nen, wenn aus einer gesamtstaatlichen Perspektive ihre
Schwächen und Stärken beurteilt und sodann die Schwä-
chen behoben und die Stärken ausgebaut werden. Wenn
aber Absprachen und Vereinbarungen zwischen den
Ländern Europas und darüber hinaus übereinstimmend
als richtig und wichtig bewertet werden: Warum dann,
bitte schön, nicht auch im nationalen Bereich?
Ich nenne jetzt einige Beispiele, die diese These un-
termauern. Gemeinsame Bildungsplanung ist dort be-
sonders sinnvoll, wo es um die Finanzierung von hoch-
schulpolitischen Vorhaben geht, die die Kräfte eines
einzelnen Bundeslandes überfordern, oder wo es um die
Notwendigkeit geht, kostspielige Parallelprojekte in
mehreren Bundesländern zu vermeiden, oder wenn es
darum geht, die Herausforderung zu meistern, die Zahl
der Hochschulabsolventen in der Bundesrepublik zu
steigern, weil wir diese in Zukunft auf dem deutschen
Arbeitsmarkt dringend benötigen. Der Präsident der
Hochschulrektorenkonferenz Klaus Landfried nennt da-
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Abschließend kann ich daher nur sagen: Ich hoffe,
ass Sie meine Argumente und die eben vorgetragenen
rgumente meiner Fraktion, der FDP und von den Grü-
en und die anderer renommierter Vertreter aus dem
issenschafts-, Wirtschafts- und Bildungsbereich über-
eugt haben und Sie wie in der Frage der Ganztagsschu-
en letztlich doch noch einlenken. Das wäre ein kleiner
chritt für Sie, aber ein großer Schritt für unser Land.
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
rucksache 15/935 an den Ausschuss für Bildung, For-
chung und Technikfolgenabschätzung vorgeschlagen.
ind Sie damit einverstanden? Das ist der Fall. Dann
st die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 8 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Ernst
Burgbacher, Gudrun Kopp, Rainer Brüderle, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Sperrzeiten für Außengastronomie verbrau-
cherfreundlicher gestalten
Drucksache 15/674
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
ussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die
DP fünf Minuten Redezeit erhalten soll. Ich höre kei-
en Widerspruch; dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat der
ollege Ernst Burgbacher von der FDP das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
erren! Zum Glück liegen jetzt einige sonnige Tage hin-
er uns; ich hoffe, viele solcher Tage liegen noch vor uns.
a wird dieses Thema natürlich wieder aktueller. Es ist
uch gut, wenn man den aktuellen Bezug zum Thema
irklich selbst empfindet. Es zieht die Menschen ins
reie das wissen wir , aber in vielen Ländern heißt es
ach wie vor: Um 22 Uhr ist Schluss mit lustig. Das
ann nicht sein. Deshalb haben wir heute einen Antrag
ur Änderung dieser Regelung vorgelegt.
3592 Deutscher Bundestag 15. Wahlperiode 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2003
)
)
Ernst Burgbacher
Wir halten immer noch daran fest, dass Freiluftgast-
stätten in der Regel um 22 Uhr schließen müssen. Das
Konsumentenverhalten hat sich aber in den vergangenen
Jahren längst verändert, indem Besuche in Gaststätten in
die späteren Abendstunden verlegt wurden. Wir haben
längere Ladenöffnungszeiten. Obwohl wir seit langem
die Sommerzeit haben, hat sich an diesen Regelungen je-
doch nichts geändert. Das kann doch nicht sein.
Die Erfahrungen aus südeuropäischen Ländern besa-
gen, dass die Menschen dies genießen. Wenn sie zu uns
kommen, ist es auf einmal wieder vorbei.
Meine Damen und Herren, wir sind über Fraktions-
grenzen hinweg dabei, den Tourismusstandort
Deutschland attraktiver zu machen. Dazu gehört es
eben auch, eine ausgeprägte Biergarten- und Außengas-
tronomiekultur zu haben.
Ich sage Ihnen ganz ernsthaft: Die Lage in der Gastrono-
mie diejenigen, die sich damit beschäftigen, wissen es
ist im Augenblick katastrophal. Die Gastronomen sind im
Augenblick froh über jeden Strohhalm, den wir bieten.
Es ist durchaus ein Thema für die Gastronomie, ob die
Gäste bei diesem Wetter um 22 Uhr hineingehen müssen
oder ob es noch ein, zwei Stunden gibt, in denen man
Umsatz machen kann.
Wenn Sie hier lächeln, dann verkennen Sie wirklich
die Lage; sie ist ernst. Wir als Politiker haben alles dafür
zu tun, dass sich diese Lage ändert und bessere Voraus-
setzungen geschaffen werden.
Deshalb haben wir diesen Antrag vorgelegt.
Weil ich mir denken kann, welche Kritik nachher ge-
äußert werden wird, will ich gleich einiges zum Vorge-
hen sagen. Es ist richtig, dass die Länder dies regeln. Al-
lerdings haben die Erfahrungen gezeigt, dass die Länder
mit ihren Regelungen ganz schnell an Grenzen stoßen,
weil dann immissionsschutzrechtliche Vorschriften ins
Feld geführt werden und es Gerichtsverfahren gibt. Des-
halb müssen wir als Bund die entsprechenden Vorausset-
zungen schaffen, bevor die Länder wirklich tätig werden
können. Nichts anderes bezwecken wir mit unserem
Antrag. Wir wollen dazu fordern wir auf einen unbü-
rokratischen, verbraucherfreundlichen und praxistaugli-
chen Vorschlag zur Änderung des Bundesimmissions-
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amit erhielten wir Lärmschutzwerte, die an die Realität
ngepasst sind, denn menschliches Lachen ist eben et-
as anderes als Sägen, Hämmern oder Bohren. In dieser
insicht sollten Sie sich wirklich ein Stück weit öffnen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich finde es schon
oll: Sie lachen über Probleme, obwohl Sie ganz genau
issen, wie viele Betroffene nur darauf warten, dass die-
es Parlament dies endlich seriös behandelt und auch die
otwendigen Änderungen beschließt.
ie sollten auch einmal die Sorgen der Leute draußen
rnst nehmen und nicht nur theoretisch darüber reden,
as wir für den Tourismusstandort tun sollten. Es sind
eine schönen Reden, sondern konkretes Handeln ge-
ragt. Heute haben Sie hier dazu die Möglichkeit.
Meine Damen und Herren, natürlich gibt es bei die-
em Thema auch noch eine zweite Komponente, den
chutz betroffener Anwohner. Weil dieses Argument
icherlich gleich kommen wird, sage ich dazu noch et-
as. Dies ist eine Frage der Toleranz. Es gibt viele gute
eispiele dafür, wie es mit gegenseitiger Toleranz, nicht
ber mit scharfen gesetzlichen Vorschriften funktioniert.
astronomen reden mit ihren Gästen; so etwas wird eher
kzeptiert, als wenn man von vornherein eine Regelung
arüber stülpt. Man muss vernünftig damit umgehen und
erausfinden, was möglich und was nicht möglich ist.
Uns geht es hier überhaupt nicht darum, mehr Büro-
ratie zu schaffen. Im Gegenteil, wir wollen die bundes-
olitischen Voraussetzungen dafür schaffen, dass Länder
nd Gemeinden diese Frage so regeln können, wie sie es
ür richtig halten, aber eben auch im Sinne der Bedürf-
isse der Gäste und vieler geplagter Gastronomen. Sie,
eine Damen und Herren, können heute beweisen, ob
ie das ernst nehmen oder wieder mit oberflächlichen
rgumenten darüber hinweggehen.
Ich bitte Sie, dem Antrag zuzustimmen, auch wenn er
on der Opposition kommt. Viele Menschen werden Ih-
en dankbar sein.
Danke schön.
Das Wort hat jetzt der Parlamentarische Staatssekretär
itmar Staffelt.
Deutscher Bundestag 15. Wahlperiode 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2003 3593
)
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Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Die Gastronomie und natürlich auch die Außen-
gastronomie sind ein Teil des modernen Lebens in unse-
rem Lande, insbesondere des urbanen Lebens. Straßen-
cafés und Biergärten prägen und beleben das
Erscheinungsbild der Innenstädte. Das alles bleibt völlig
unbenommen. Gerade jetzt zu Beginn des Sommers
steht außer Frage, dass sich Biergärten außerordentlicher
Beliebtheit erfreuen. Ich vermute, dass viele Menschen
auch das südliche Flair nachempfinden, das sie im Ur-
laub nicht nur am Tage, sondern auch am Abend und in
der Nacht genießen. Das ist schön und harmonisch und
wir lieben es alle.
Aber es führt auch kein Weg daran vorbei, dass dies
mit Geräuschen verbunden ist. Des einen Freud ist am
Ende des anderen Leid. Ich kann dies gut beurteilen,
weil in einer so dicht besiedelten Stadt wie meiner Hei-
matstadt Berlin viele Konflikte dieser Art leider auch vor
ordentlichen Gerichten ausgetragen wurden. Der Schlaf
suchende, entnervte Anwohner so drücke ich es einmal
aus , der nicht die gewünschte Ruhe findet, wenn drau-
ßen bis in die Nachtstunden hinein vielstimmig ge-
schwätzt und gelacht wird, darf in der Gesamtbetrach-
tung natürlich auch nicht außer Acht gelassen werden.
Die Bundesregierung hat also diese gegenläufigen In-
teressen zu beachten: auf der einen Seite die Gastwirte
und Besucher solcher Außengaststätten und auf der an-
deren Seite die benachbarten Anwohner. Für den Ge-
setz- und Verordnungsgeber gilt es, stets einen möglichst
sachgerechten und fairen Interessenausgleich zu finden.
Diejenigen, die dafür zuständig sind, bemühen sich, eine
faire Kompromisslinie zu ziehen. Ihr Antrag tut dies al-
lerdings nicht.
Bereits vor einem knappen Jahr haben wir dieses
Thema im Lichte einer großartigen Biergartenfete gleich
gegenüber in der Deutschen Parlamentarischen Gesell-
schaft miteinander debattiert. Ich sehe keine neuen Ar-
gumente, die eine erneute Befassung rechtfertigen könn-
ten.
Der FDP-Antrag spricht sich im Ergebnis wieder für
eine flächendeckende Festlegung der Sperrzeit für die
Außengastronomie auf 24 Uhr aus.
Das würde in der Praxis Folgendes bedeuten: Angenom-
men, die Gastronomie schließt um Mitternacht. Dann be-
ginnt der Aufbruch der Gäste und es wird halb eins oder
eins. Das bedeutet am Ende, dass in ganz erheblichem
Umfang die Nachtruhe, die ein hohes gesundheitliches
Gut ist, in Mitleidenschaft gezogen werden kann.
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Ich glaube, dass der FDP-Antrag auch vor dem Hin-
ergrund der Verfassungslage jedenfalls mit Vorsicht zu
enießen ist. In den Ländern ist bereits seit einiger Zeit
ine Liberalisierung der Sperrzeiten zu verzeichnen. In
amburg und Brandenburg wurde die Sperrzeit für die
ußengastronomie allgemein auf 23 Uhr festgelegt.
Hier setzt auch der Bundeswirtschaftsminister an. Wir
ppellieren, wie übrigens schon Herr Müller in der Ver-
angenheit, an die Landesregierungen und die Kommu-
en: Machen Sie nach bestem Wissen und Gewissen und
mmer orientiert am Einzelfall Regelungen möglich, die
enau die Spielräume schaffen, damit sich die Menschen
m Sinne eines fairen Interessenausgleichs in ihrer Frei-
eit vernünftig im Biergarten bewegen können, aber im
weifel auch die Gelegenheit haben, ruhig zu schlafen,
enn 22 Uhr oder 23 Uhr erreicht sind. Ich finde, das
uss man im Sinne der Subsidiarität, für die Sie auch
lädieren, bei Ländern und Kommunen belassen und
icht den Bund in einer Weise mit einer Regelung belas-
en, die unangemessen ist.
Wir reden von Entbürokratisierung und davon, dass
ir in vernünftiger Weise die Aufgaben in unserem
ande auf Bund, Länder und Kommunen verteilen.
enn die Öffnungszeiten von Biergärten zur Bundesan-
3594 Deutscher Bundestag 15. Wahlperiode 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2003
)
)
Parl. Staatssekretär Dr. Ditmar Staffelt
gelegenheit werden, dann weiß ich nicht, was wir uns
demnächst noch alles an die Lampe hängen und hier im
Bundestag debattieren.
Vielleicht werden wir dann eines Tages ein gutes Kom-
munalparlament sein, das sich mit diesen Fragen und
den entsprechenden Beschwerden der Bürgerinnen und
Bürger zu befassen hat.
Ich hoffe auf großzügige und liberale Regelungen in
den Kommunen und Ländern. Wir aber sollten uns mit
solchen Detailfragen hier nicht befassen.
Danke.
Das Wort hat jetzt der Kollege Ernst Hinsken von der
CDU/CSU-Fraktion.
Im Museum.
Verehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kol-
legen! Zwei Reden haben zu diesem heutigen Thema be-
reits stattgefunden, eine pragmatische Rede des Kolle-
gen Burgbacher, der sehr wohl sieht, welche Bedürfnisse
die Mitbürger haben, und vor allen Dingen eine abweh-
rende Rede von Herrn Dr. Staffelt, um zu verhindern,
dass sich etwas tut und sich die Situation der Außengas-
tronomie, insbesondere des Hotel- und Gaststättenge-
werbes, verbessert.
Sommerzeit ist Biergartenzeit. Ich gehe davon aus,
dass viele unabhängig davon, auf welcher Seite sie sit-
zen gern einen Biergarten besuchen, um sich einen
schönen Abend zu machen.
Die Zeit der langen Tage und kurzen Nächte ist angebro-
chen. Vielerorts lebt die Biergartenkultur auf, und zwar
oft in einer sehr gepflegten Atmosphäre. Ich meine, bei
dieser Gelegenheit darauf verweisen zu müssen, dass
sich gut ein Drittel das sind 80 000 bis 90 000 der
240 000 bis 250 000 gastronomischen Betriebe in der
Bundesrepublik Deutschland auch der Außengastrono-
mie verschrieben haben, sei es in Form eines Biergar-
tens, sei es in Form eines Straßencafés oder eines Hotel-
oder Restaurantgartens. Manche stellen im Sommer
Stühle und Tische auf die Straße, um dadurch ihr Ein-
kommen zu verbessern.
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as ist in dieser Werbung zu sehen? Es sind Menschen
bgebildet, die so finster dreinschauen wie Sie
nd die dicht gedrängt in einem Flugzeug sitzen. Dem-
egenüber wird mit schönen Gartenmöbeln geworben.
ch glaube, das ist der richtige Ansatz, der auch vernünf-
ig ist. Mit dem Werbeslogan Mensch, bleib hier!
ird sicherlich vielen Mitbürgern aus der Seele gespro-
hen.
Einer Umfrage zufolge hat ein Drittel der Bundesbür-
er vor, auf den Urlaub im Ausland zu verzichten. Die
ründe dafür sind vielfältig: Sie haben Angst vor Terror-
nschlägen. Auch die Lungenkrankheit SARS wirkt ab-
chreckend. Hinzu kommt die angespannte Wirtschafts-
age, die dafür verantwortlich zeichnet, dass sich
ancher einen Urlaub in fernen Ländern nicht mehr er-
auben kann. Auch die 4,5 Millionen Arbeitslosen, die
u verzeichnen sind, sind kein Pappenstiel. Wer arbeits-
os ist, hat andere Sorgen, als sich Gedanken über den
rlaub zu machen. Der daraus resultierende Urlaub auf
alkonien bringt weitere Folgeerscheinungen mit sich.
Ja, Herr Ströbele. Wir sind eben eine Fraktion, die
uch etwas für den kleinen Mann übrig hat und bemüht
st, vernünftige Rahmenbedingungen dafür zu schaffen,
ass er ein schönes Leben führen kann, auch wenn er
ufgrund der verfehlten Wirtschaftspolitik der jetzigen
undesregierung nicht das notwendige Geld in der Ta-
che hat, um im Urlaub ins Ausland zu fliegen.
n dieser Situation bekommt beispielsweise das abendli-
he Treffen mit Freunden in Biergärten oder Straßen-
afés einen noch höheren Stellenwert.
Deutscher Bundestag 15. Wahlperiode 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2003 3595
)
)
Ernst Hinsken
Wir müssen deshalb dieser Aufgabe sollten wir alle
nachkommen den Bürgern in ihrem Wohnumfeld so
viel Urlaubsstimmung wie möglich bieten. Dazu gehört
meiner Meinung nach auch ein Biergarten oder ein Stra-
ßencafé, das nicht um 22 Uhr fluchtartig geräumt wer-
den muss, sondern in dem man die Möglichkeit hat, den
Abend nett ausklingen zu lassen. Denn das hat der
Kollege Burgbacher bereits ausgeführt die Lebensge-
wohnheiten der Bürger haben sich gewandelt.
Sei es wegen der Arbeitszeit, sei es wegen der Ladenöff-
nungszeiten, die Menschen starten im Allgemeinen im-
mer später in die Abendfreizeit. Dieser Trend ist nicht
nur bei Jugendlichen festzustellen, sondern geht quer-
beet durch alle Altersschichten. Wer kann daher Ver-
ständnis dafür aufbringen, wenn die Biergärten bereits
um 20 Uhr geschlossen werden sollen? Hier wird doch
der gesellschaftspolitische Aspekt völlig außer Acht ge-
lassen. Biergärten sind für mich Kommunikationsoasen.
Sie müssen gefördert werden, weil die Kommunikation
insgesamt gefördert werden muss. Wenn es im Ausland
darauf beziehen Sie sich ja oft flexible Regelungen
gibt, dann frage ich: Warum sind wir in der Bundesrepu-
blik Deutschland dazu nicht in der Lage?
Herr Staatssekretär Dr. Staffelt, Sie haben doch hi-
nausposaunt, dass Sie sich für eine Entbürokratisierung
einsetzen würden. Beginnen Sie doch damit! Reden Sie
nicht nur darüber, sondern setzen Sie endlich politische
Akzente! Schaffen Sie Gesetze, die den heutigen He-
rausforderungen gerecht werden!
Eines steht doch unbestritten fest: Durch längere Öff-
nungszeiten kann auch der Inlandstourismus gefördert
werden. Das ist dringend erforderlich; denn die Über-
nachtungszahlen im vergangenen Jahr war ein Minus
von 3 Prozent zu verzeichnen sind rückläufig. Die Um-
sätze im Gastgewerbe brechen weg. Verehrte Frau Kol-
legin Irber, das Jahr 2002 war seit mehreren Jahrzehnten
das schlechteste Jahr für das Gastgewerbe.
Die Umsätze sind allein im letzten Jahr um 4,7 Prozent
gesunken. In den ersten drei Monaten dieses Jahres
verehrter Herr Kollege Schmidt, Sie sind ja einer der
führenden Leute der sozialdemokratischen Fraktion
gab es ein weiteres Minus von sage und schreibe
9,4 Prozent. Die gastronomischen Betriebe das bekom-
men Sie zu hören, wenn Sie mit dem einen oder anderen
Unternehmer sprechen stehen momentan mit dem Rü-
cken zur Wand. Sie wissen nicht mehr, wie sie über die
Runden kommen sollen.
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zu-
nächst einmal möchte ich die traurige Pflicht erfüllen, zu
Beginn meiner Rede den Angehörigen der deutschen
Touristen, die heute in Ungarn bei einem schweren Ver-
kehrsunglück zu Tode gekommen sind, mein herzlichs-
tes Beileid auszusprechen. Denjenigen, die verletzt sind,
möchte ich beste Genesung wünschen.
Im Grunde genommen ist es müßig, dass wir diese
Debatte führen. Man könnte sagen: Alles neu macht der
Mai. Diese alte Weisheit trifft auf den Antrag der FDP
zu diesem Ergebnis kommt man auch nach genauerem
Studium der Vorlage nicht zu; denn wie der Beginn der
Sommerzeit oder der Biergartenzeit bringt die FDP alle
Jahre wieder einen Antrag mit diesem Inhalt ein. Sperr-
zeiten in der Außengastronomie haben uns in der ver-
gangenen Legislaturperiode schon mehrfach beschäftigt.
Ich hätte es mir heute ganz einfach machen können: Ich
hätte hier meine Rede vom 29. Juni 2001 vortragen kön-
nen.
Herr Kollege Hinsken, Sie haben den Beginn meiner
damaligen Rede übernommen. Das können Sie im Proto-
koll nachlesen.
Herr Kollege Hinsken, ich werde im Folgenden darauf
noch zu sprechen kommen. Zuerst möchte ich mich aber
mit den Ausführungen des Herrn Kollegen Burgbacher
beschäftigen.
Herr Kollege Burgbacher Sie haben offensichtlich
schon etwas dazugelernt , Sie fordern die Bundesregie-
rung jetzt nicht mehr auf, § 18 des Gaststättengesetzes
zu ändern; denn wie wir alle wissen, beginnt die allge-
meine Sperrzeit bereits jetzt je nach Bundesland unter-
schiedlich zwischen 1 Uhr und 5 Uhr. Herr Kollege
Hinsken, Bayern ist das einzige Land, das auf diesem
Gebiet noch nicht mitgezogen hat. Das sollten Sie ein-
mal Ihrem Ministerpräsidenten stecken.
Herr Burgbacher, in Ihrem jetzigen Antrag zielen Sie
usschließlich auf die Definition der Nachtzeit im im-
issionsschutzrechtlichen Sinne ab. Diese Zeit soll ge-
äß Ihrem Antrag in den Sommermonaten erst um
3 Uhr oder idealerweise gar erst um 24 Uhr beginnen.
Ich stimme Ihnen, wie bereits vor zwei Jahren, zu:
ei einem großen Teil insbesondere der jüngeren Leute
aben sich die Lebensgewohnheiten zum Teil verän-
ert. Viele werden in den Sommermonaten regelrecht zu
achteulen. Das ist zwar schön, darf aber nicht zulasten
er Mitmenschen gehen. Wir haben Ihnen schon vor
wei Jahren erwidert, dass wir in unserem bereits am
3. Februar 2001 als Antrag eingebrachten Tourismus-
örderprogramm die Deregulierung des Gaststättenrechts
nregen.
Der damalige Wirtschaftsminister Müller hat darauf
ehr schnell reagiert und in einem Schreiben seine Kolle-
en in den Ländern aufgefordert, die Möglichkeiten der
eiter gehenden Sperrzeiten zu nutzen. Alle Bundeslän-
er bis auf Bayern haben meines Wissens die Kommu-
en betraut, in den kommunalen Satzungen entspre-
hende Regelungen festzulegen. Vor Ort weiß man am
esten, was für die einzelnen Bezirke gut ist. Aus diesem
runde sollte vor Ort entschieden werden, wo eine Ver-
ürzung der Sperrzeiten für Außengastronomien sinn-
oll ist und wo nicht.
hr Antrag geht aber nicht in diese Richtung; schließlich
ollen Sie eine bundeseinheitliche Immissionsschutzre-
elung. Herr Kollege, auch deshalb geht dieser Antrag
ns Leere.
Die in Ihrem Antrag als Beispiel angeführten Touris-
usstädte können von der vorhandenen Regelung Ge-
rauch machen.
ie Kommunen wissen am besten, wie sie es regeln sol-
en.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, Sie
ordern in Ihrer Kleinen Anfrage vom 8. April dieses
ahres den Abbau von Bürokratie in der Tourismusbran-
he. In dem uns jetzt vorliegenden Antrag fordern Sie
ie Bundesregierung auf, wieder ein neues Regelwerk zu
chaffen.
ie passt denn das zusammen?
as ist widersprüchlich.
Ich möchte zitieren, was Sie fordern. Nach Ihrem
ntrag soll der Deutsche Bundestag die Bundesregie-
ung auffordern, einen unbürokratischen, verbraucher-
Deutscher Bundestag 15. Wahlperiode 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2003 3597
)
)
Brunhilde Irber
freundlichen und praxistauglichen Vorschlag zur Ände-
rung des Bundesimmissionschutzrechts vorzulegen.
Soll das etwa eine TA Menschlicher Kommunikations-
lärm sein? Ist es das, was Sie wollen? Soll das nur für die
Außengastronomie gelten, wie in Ihrem Antrag ausge-
führt?
Wie soll es bei anderen Betrieben gehen? Andere Be-
triebe werden dann auch eine andere Regelung verlan-
gen.
Wenn wir als Gesetzgeber Ihrem Antrag folgen und eine
neue gesetzliche Regelung beschließen würden, würde
das allen Bundesländern übergestülpt werden. Ich glaube
nicht, dass das Ihr Ernst sein kann.
Wir alle setzen uns dafür ein, dass die nächtliche Ru-
hestörung durch laute Produktionsbetriebe, durch Stra-
ßenverkehrslärm oder Fluglärm weitestgehend mini-
miert wird. Kollege Friedrich setzt sich auch immer für
den Lärmschutz ein.
Wir alle wollen die gesundheitliche Beeinträchtigung
durch gestörte Nachtruhe verringern. Die Rechtspre-
chung ist meines Erachtens fast immer aufseiten der Klä-
ger, wenn es sich um nächtliche Ruhestörung handelt.
Frau Kollegin, schauen Sie bitte einmal auf die Uhr!
Ja, das mache ich gern.
So genannte menschliche Kommunikationsgeräusche
können auch Lärm sein. Aus diesem Grunde meine ich,
dass wir hier Interessen gegeneinander abwägen müssen,
die Interessen derer, die ihre Freizeit genießen wollen,
und derer, die morgens früh aus den Federn müssen.
Frau Kollegin, es reicht nicht ganz aus, auf die Uhr zu
schauen. Man muss dann auch entsprechend reagieren.
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nd überlassen wir die Regelung der Außengastronomie
en Ländern und den Kommunen! Die wissen am bes-
en, wie sie es regeln sollen.
Danke schön.
Letzte Rednerin in der Debatte ist die Kollegin
ndine Kurth, Bündnis 90/Die Grünen.
Undine Kurth (BÜNDNIS 90/DIE
RÜNEN):
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Gäste!
iebe Kolleginnen und Kollegen! Auch wenn wir sicher-
ich wieder nicht einer Meinung sein werden, möchte ich
uvörderst dem verbliebenen Rest hier im Raum doch
azu gratulieren, dass er so tapfer und diszipliniert aus-
ält, anstatt bei diesem Wetter innerhalb der möglichen
ffnungszeiten in einem Biergarten zu sitzen. Also, ein
ompliment an uns selbst. Demzufolge nehmen wir die
ebatte durchaus ernst.
Herr Hinsken hat eben eine Zeitung sozusagen im
ild zitiert. Ich zitiere jetzt eine Zeitung im Wort. Die
Frankfurter Allgemeine am Sonntag überschrieb einen
leinen Beitrag über die Debatte, die wir heute über Ih-
en Antrag führen, etwas flapsig mit Liberale wollen
änger saufen,
as zunächst einmal nicht ehrenrührig ist. Man kann es
ber auch netter und freundlicher ausdrücken, etwa
enn man die Klassiker bemüht: Euch ist bekannt, was
ir bedürfen; wir wollen stark Getränke schlürfen
nd das, wenn es geht, bei Tag und Nacht. Auch das ist
icht abzulehnen.
Dieses Thema ist aber durchaus ernst zu nehmen. Wir
efassen uns auch ernsthaft damit. Es ist aber eben nicht
eu.
3598 Deutscher Bundestag 15. Wahlperiode 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2003
)
)
Undine Kurth
Dieses Hohe Haus befasst sich weiß Gott nicht zum ers-
ten Mal mit diesem Thema. Wir tun es auf Antrag der Li-
beralen mit schöner Regelmäßigkeit.
Einmal zustimmen hieße ja, dass man den Antrag
zustimmungswürdig findet. Ich werde Ihnen gleich sa-
gen, warum wir ihn nicht für richtig halten. Angesichts
dieses Antrags könnte man die Klassiker noch einmal zi-
tieren: Ihr naht euch wieder, schwankende Gestalten.
Wenn man sich den Antrag anschaut, merkt man, dass
er nicht besonders viel Arbeit gemacht hat. 2001 forder-
ten Sie kundenfreundlicher gestaltete Öffnungszeiten.
Heute sollen sie verbraucherfreundlich gestaltet werden.
Es wäre schon ein Riesenfortschritt gewesen, wenn sie
auch verbraucherinnenfreundlicher gestaltet werden
sollten.
Dann würden Sie es übernehmen, gut. Fortschritt!
Uns Grünen wird man sicherlich nicht absprechen
können, dass wir den lebensfreudigen Dingen dieser
Welt zugeneigt sind. Auch wir wissen, dass sich Lebens-
gewohnheiten verändert haben. Das wissen wir von uns
selbst, von unseren Freunden und von unseren Familien.
Wir bestreiten überhaupt nicht, dass es gerade für touris-
tisch stark nachgefragte Orte sehr attraktiv ist, wenn man
abends lange, länger als bis 22 Uhr und länger als bis
zum Eintritt der Dunkelheit, draußen sitzen kann. Es ist
natürlich auch ein lohnendes Geschäft für die Glückli-
chen, die eine solche Lokalität besitzen, wenn sie denn
auch noch gut besucht ist.
Ich lehne auch keinen Antrag aus Prinzip ab, nur weil
er von der Opposition kommt. Das fände ich unsinnig.
Was aber Ihrem Antrag fehlt und an ihm zu Recht sehr
nachdenklich stimmt, ist das völlige Ausblenden der Ru-
hebedürfnisse der Anwohner. Die Einseitigkeit Ihres
Antrags haben Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen,
auch 2003 noch nicht überwunden. Es gibt zwar viele
Menschen, die länger arbeiten und nach ihrer Arbeit
Ausgleich und Erholung suchen, aber es laufen nicht alle
schnurstracks in den nächsten Biergarten. Es gibt auch
die Bewegung in die andere Richtung. Viele Menschen
sehnen sich nach mehr Ruhe.
Für uns bleibt es daher unabdingbar: Das Spaßbedürf-
nis der Bevölkerung einerseits und das Ruhebedürfnis
der Anwohner andererseits müssen gleichrangig betrach-
tet und vernünftig gegeneinander abgewogen werden.
Was wir brauchen und wollen, sind verbraucherfreund-
lich und anwohnerfreundlich gestaltete Sperrzeiten.
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Da könnten, wie ich finde, eigentlich alle applaudie-
en.
Regelungen nach dem Motto Für ein paar warme
age im Jahr wird es schon irgendwie gehen greifen
icht bzw. greifen zu kurz. Eine der erfreulichen Seiten
er Klimaveränderung, die ja ansonsten weiß Gott uner-
reulich ist, ist ja, dass es mehr als 30 bis 40 Abende im
ahr gibt, an denen man auch in unseren Breiten gut
raußen sitzen kann. Zu sagen, das seien so wenige
age, die spielten nicht wirklich eine Rolle, griffe zu
urz.
Richtig. Davon redet auch gar keiner. Der Winter be-
eist aber, dass man nicht alle Gaststätten schließen
uss, sondern Bier eventuell sogar in geschlossenen
äumen trinken kann.
Die Zunahme der Beschwerden über ruhestörenden
ärm müssen uns doch alarmieren. Rücksichtslosigkeit
ibt es auch im ansonsten so freundlichen Biergarten.
eswegen setzen wir auf bewährtes Konfliktmanage-
ent. Wir begrüßen es ausdrücklich, wenn sich Anwoh-
er, Biergarten- und Gaststättenbesitzer in Konfliktfällen
ntereinander absprechen bzw. selbst einigen. Dass man
ich in der Mehrzahl der Fälle einvernehmlich einigen
ann, zeigt, dass gerade im Sinne einer von Ihnen immer
ieder geforderten Deregulierung nicht zwingend neue
erordnungen notwendig sind, um da zu einer Lösung
u kommen.
n den so genannten Clearingstellen, in denen sich Stö-
er, Gestörte und Vertreter der zuständigen Behörden an
inen Tisch setzen, werden ja schließlich 80 bis
0 Prozent aller strittigen Fälle gelöst. Uns scheint, dass
as durchaus kein gescheiterter, sondern ein gescheiter
eg ist.
Auch wenn Ihr Vorschlag von Emissionsgrenzwer-
en für Kommunikationslärm das ist schon ein sehr
chönes und schillerndes Wort einen gewissen Charme
esitzt, bleibt doch die Frage, ob man diesen wirklich
efinieren kann. Gerade in Biergärten können die Lärm-
missionen doch sehr unterschiedlich sein. Der normale
bend unterscheidet sich vermutlich deutlich von dem,
n dem der sangesfreudige Kegelklub da ist oder ein
eltcup zu feiern ist. Man kann diese Werte vermutlich
irklich nicht verbindlich festlegen.
Uns scheint die Regelung, in Fällen der Nichteini-
ung den Rechtsfrieden durch eine Würdigung der je-
eiligen örtlichen Gegebenheiten zu erzielen, die
angbarste und auch die fairste Methode zu sein. Die
erzeitige Handhabung der Sperrzeitenregelung ist das
Deutscher Bundestag 15. Wahlperiode 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2003 3599
)
)
wissen Sie doch auch, liebe Kolleginnen und Kollegen
gar nicht so kunden- und verbraucherunfreundlich.
Frau Kollegin, darf ich Sie ebenfalls an die Zeit erin-
nern?
Undine Kurth (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN):
Ich höre natürlich auf Sie.
Das ist nett von Ihnen.
Undine Kurth (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN):
Ich sage Ihnen noch einmal, Herr Hinsken: Gerade in
Bayern gibt es doch relativ strenge Regelungen und
trotzdem ist Bayern der Inbegriff der Biergartenkultur.
Demzufolge glaube ich, dass wir auf neue Regelungen
verzichten und vor Ort entscheiden lassen sollten, wo
man die Situation kennt. Ich hoffe, dass wir uns darauf
einigen können.
Danke schön.
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 15/674 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Ich rufe den Zusatzpunkt 10 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Ver-
trag vom 27. Januar 2003 zwischen der Bun-
desrepublik Deutschland und dem Zentralrat
der Juden in Deutschland Körperschaft des
öffentlichen Rechts
Drucksache 15/879
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Parla-
mentarische Staatssekretär Fritz Rudolf Körper.
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ies hat auch dazu beigetragen, das internationale Ver-
rauen in die Bundesrepublik Deutschland nach dem
weiten Weltkrieg zu stärken.
Dieses Hohe Haus hat in Würdigung dieser Tatsachen
nd angesichts eines neuen beunruhigenden Antisemitis-
us im letzten Jahr eine Entschließung unter der Über-
chrift Antisemitismus ächten Zusammenhalt in
eutschland stärken gefasst.
Im November letzten Jahres trat der Zentralrat der Ju-
en in Deutschland an die Bundesregierung mit dem
unsch nach einem Vertrag auf Bundesebene heran,
ie ihn die jüdischen Landesverbände in den meisten
ändern längst haben. Er verwies insbesondere auf die
ngewachsenen Aufgaben angesichts der zugewanderten
3600 Deutscher Bundestag 15. Wahlperiode 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2003
)
)
Parl. Staatssekretär Fritz Rudolf Körper
Juden. Der Zentralrat der Juden in Deutschland hat sich
in seinem langjährigen Bestehen große Verdienste um
die demokratische Kultur in der Bundesrepublik
Deutschland erworben.
Er hat den Aufbau der Demokratie in Deutschland nach
dem Zweiten Weltkrieg aktiv mitgestaltet und mit kon-
struktiver Kritik begleitet. Die Bundesregierung schätzt,
wie es auch in der genannten Entschließung des Bundes-
tages zum Ausdruck kommt, den jüdischen Beitrag zum
kulturellen, geistigen und politischen Leben in Deutsch-
land.
Mit den Zuwanderern des letzten Jahrzehnts hat die
jüdische Gemeinschaft die Möglichkeit, sich zu verjün-
gen und die Gemeinden neu aufzubauen. Sie muss diese
Chance in diesen Jahren aber auch aktiv nutzen. Der
Zentralrat der Juden hilft als Dachorganisation der meis-
ten jüdischen Gemeinden in Deutschland der wachsen-
den Zahl jüdischer Einwanderer, sich hier einzugewöh-
nen und sich zu orientieren.
Angesichts der Verdreifachung der Zahl der Mitglie-
der, die der Zentralrat zu betreuen hat, ist ohne weiteres
nachvollziehbar, dass seine Aufgaben stark angewach-
sen sind. Vor diesem Hintergrund hat die Bundesregie-
rung die in Jahrzehnten gewachsenen guten Beziehun-
gen zum Zentralrat der Juden in Deutschland erstmalig
auf eine vertragliche Grundlage gestellt. Mit dem Ver-
trag soll ein substanzieller Beitrag dazu geleistet werden,
dass die jüdische Dachorganisation ihren Aufgaben auch
in Zukunft nachkommen und damit die jüdische Ge-
meinschaft in Deutschland stärken kann.
In der Präambel wird der Vertragsschluss auch mit der
besonderen historischen Verantwortung begründet.
Der Vertrag schreibt eine kontinuierliche und partner-
schaftliche Zusammenarbeit zwischen der Bundesregie-
rung und dem Zentralrat der Juden in Deutschland fest.
Der Zentralrat hat sich bereits bisher als verlässlicher
Partner der Bundesregierung in vielen gesellschaftspoli-
tischen Fragen erwiesen.
Der Zentralrat wird zur Erhaltung und Pflege des
deutsch-jüdischen Kulturerbes, zum Aufbau einer jüdi-
schen Gemeinschaft, für seine integrationspolitischen
und sozialen Aufgaben sowie für die gestiegenen Kosten
seines Büros eine Staatsleistung in Höhe von
3 Millionen Euro jährlich erhalten. Die Bundesregierung
geht dabei davon aus, dass insbesondere die integra-
tions- und sozialpolitischen Leistungen allen jüdischen
Bürgerinnen und Bürgern, gleich welcher jüdischen
Richtung, zugute kommen. Der Zentralrat hat im Vertrag
zum Ausdruck gebracht, dass er für alle jüdischen Rich-
tungen offen ist.
Die Bundesregierung erklärt in dem Vertrag ihre Ab-
sicht, auch weiterhin die Hochschule für Jüdische Stu-
dien und das Zentralarchiv zur Erforschung der Ge-
schichte der Juden in Deutschland zu unterstützen. Beide
Einrichtungen werden vom Zentralrat der Juden in
Deutschland getragen. Unberührt von diesem Vertrag
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Nächster Redner ist der Kollege Wolfgang Bosbach,
DU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
ie Epoche der Juden in Deutschland ist zum Glück
och nicht, wie Leo Baeck 1945 konstatiert hatte, ein
ür allemal vorbei. Inzwischen haben die jüdischen
emeinden in Deutschland wieder etwa 100 000 Mit-
lieder, nicht zuletzt wie gerade erwähnt durch die
uwanderung von Juden aus Russland nach Deutschland
m Zeitraum nach der Wiedervereinigung.
Jüdisches Leben in Deutschland hat sich wieder eta-
liert. Es gibt jüdische Schulen und Kindergärten. Man
at Altersheime gebaut und Synagogen errichtet. Den-
och bleibt die jüdische Gemeinschaft in Deutschland
on der Vergangenheit gezeichnet. 1933 lebten allein in
erlin 170 000 jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger.
eute sind es nur etwa 12 000.
Wir freuen uns darüber, dass in den vergangenen
ahrzehnten wieder viele jüdische Gemeinden in
eutschland entstanden sind und ein reges Gemeindele-
en pflegen. Darin sehen wir ein Zeichen der Hoffnung
nd einen Ausdruck des Vertrauens in die Bundesrepub-
ik Deutschland und in unsere gefestigte Demokratie.
as Entstehen und Wachsen jüdischer Gemeinden ist
ine Bereicherung für unser Land. Damit wird an eine
ahrhundertelange Tradition des Zusammenlebens in To-
eranz und gegenseitigem Vertrauen und Respekt ange-
nüpft. Mit Freude stellen wir fest, dass Mitbürger jüdi-
chen Glaubens in Deutschland ihre Heimat auf Dauer
ehen und dass andere, die zu uns gekommen sind, bei
ns eine neue Heimat finden.
Wer weiß, wie stark, wie nachhaltig jüdische Mit-
ürger die Entwicklung in Wissenschaft und Wirtschaft,
olitik und Kultur, Medizin oder Jurisprudenz beein-
lusst und gefördert haben, wird alles tun, damit diese
ultur ihren Reichtum wieder entfalten kann. Die außer-
Deutscher Bundestag 15. Wahlperiode 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2003 3601
)
)
Wolfgang Bosbach
ordentliche Entwicklung der Philosophie, der Wissen-
schaften insgesamt, der Wirtschaft und der Kultur wäre
in Deutschland ohne die Beiträge der jüdischen Bürger
unseres Landes nicht möglich gewesen.
Beispielhaft möchte ich die Namen Martin Buber,
Heinrich Heine, Kurt Tucholsky, Theodor Lessing oder
Walther Rathenau nennen.
Ist es nun etwas ganz Besonders oder ist es etwas
ganz Selbstverständliches, sozusagen ein Zeichen von
Normalität, dass wir heute die Ratifizierung eines
Staatsvertrages mit dem Zentralrat der Juden debattie-
ren? Mit den großen christlichen Kirchen hat der Staat
seit langem sein Verhältnis durch Staatskirchenverträge
oder durch Konkordate auf eine dauerhafte Grundlage
gestellt. Insoweit ist es ein Stück Normalität.
Aber wir halten immer noch inne und wir hüten uns
zu Recht, vorschnell von Normalität zu sprechen, wenn
es um jüdisches Leben in Deutschland geht. Sicher: Die
Entwicklung der jüdischen Gemeinden ist, was die Mit-
gliederzahlen und das rege Gemeindeleben angeht,
höchst erfreulich. Nicht zuletzt vor diesem Hintergrund
ist der Staatsvertrag ein Zeichen der Ermutigung. Den-
noch spürt man überall, wo heute jüdisches Leben in
Deutschland wieder erblüht, dass die Schrecken der
Nazibarbarei nur etwas mehr als ein halbes Jahrhundert
zurückliegen und wir sie nicht vergessen und nicht ver-
drängen dürfen.
Wie gerne würden wir alle, die Sprecherinnen und Spre-
cher aller Fraktionen, unbefangen über jüdisches Leben
in Deutschland reden: über die Emanzipation und die
Anerkennung des jüdischen Beitrages zur Kultur, Wirt-
schaft und Wissenschaft unseres Landes. Doch wir alle
wissen, dass dies angesichts der Schrecken der Naziver-
brechen Staatssekretär Körper hat zutreffend darauf
hingewiesen leider nicht ohne weiteres geht.
Aber wir dürfen uns von dieser dunklen Vergangen-
heit nicht die gemeinsame Zukunft rauben lassen. Wer
ärgert sich nicht, wenn er durch das neue Berlin geht und
die vielen jüdischen Einrichtungen zuerst an den schüt-
zend davor stehenden Polizisten und gepanzerten Fahr-
zeugen erkennt! Natürlich wissen wir, dass es leider not-
wendig ist, diese Schutzmaßnahmen zu ergreifen, und
es Aufgabe der Polizei ist, dort Präsenz zu zeigen, um
Unheil zu verhindern.
Dennoch ist und bleibt es ein Skandal damit dürfen
wir uns nicht abfinden , dass sich diese Gesellschaft
von einigen wenigen Politkriminellen aufzwingen lassen
muss, dass selbst das ganz alltägliche Leben in unseren
jüdischen Gemeinden nur unter Polizeischutz möglich
ist.
Es ist ein fortwährender Skandal, dass selbst jüdische
Kindergärten von der Polizei geschützt werden müssen.
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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Am
27. Januar, dem Holocaust-Gedenktag, unterzeichneten
der Präsident des Zentralrates der Juden in Deutschland,
Paul Spiegel, und Bundeskanzler Gerhard Schröder den
Staatsvertrag zwischen der Bundesregierung und dem
Zentralrat der Juden.
Mein Dank gilt an erster Stelle Herrn Spiegel und den
Mitgliedern des Zentralrates der Juden, die diese Ver-
tragsunterzeichnung ermöglicht haben. Die Erinnerung
an die Schrecken nationalsozialistischer Gewaltherr-
schaft bleibt präsent. In einer Zeit, die nach wie vor weit
entfernt ist von Normalität, ist der deutschen Demokratie
das Vertrauen ausgesprochen worden. Kontinuierliche
und partnerschaftliche Zusammenarbeit wurde im
Staatsvertrag vereinbart.
Der 27. Januar ist nicht nur ein historischer Tag. Ich
denke, die Unterzeichnung des Staatsvertrages war und
ist ein historisches Ereignis.
Die Bundesregierung verpflichtet sich zur Erhaltung
und Pflege des deutsch-jüdischen Kulturerbes und zum
Aufbau einer jüdischen Gemeinschaft. Es wurde be-
reits gesagt: Mittlerweile leben wieder 100 000 Juden in
Deutschland. Die deutsch-jüdische Gemeinde ist die
drittgrößte in Europa. Mit diesem Staatsvertrag bekundet
Deutschland das Interesse an weiter wachsenden jüdi-
schen Gemeinden.
Mit der Unterzeichnung des Staatsvertrages hat die
rot-grüne Bundesregierung erneut ein Zeichen für mehr
Toleranz und gegen Antisemitismus und Rassismus in
unserer Gesellschaft gesetzt.
Mein Dank gilt an dieser Stelle auch Bundeskanzler
Schröder und Innenminister Schily.
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Auch heute, 58 Jahre nach der Befreiung des Konzen-
rationslagers Auschwitz, kann die Frage, ob Juden in
eutschland sicher sind, nicht mit einem Ja beantwortet
erden. Dies macht mich traurig und wütend und ist
ufforderung an uns alle, für eine tolerante demokrati-
che Kultur in unserer Gesellschaft zu kämpfen.
Wir alle wissen: Mit Bekenntnissen allein verändern
ir die Einstellungen in unserer Gesellschaft nicht. Es
ilt jetzt, die Botschaft des Vertrages weiter zu vermit-
eln. Meine Damen und Herren, ich freue mich, dass dies
in Punkt ist, bei dem auch an den Reden deutlich wird:
ir sind hier im Hause einer Meinung.
Danke schön.
Nächster Redner ist der Kollege Hans-Joachim Otto,
DP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Kolle-
en! Es hat schon lange keinen Gesetzentwurf der Bun-
esregierung mehr gegeben, dem wir Liberalen mit so
roßer Freude zustimmen konnten wie diesem.
Zu Recht ist darauf hingewiesen worden, dass dieser
taatsvertrag einen ganz wichtigen Baustein der weite-
en Integration jüdischen Lebens in Deutschland bildet.
Deutscher Bundestag 15. Wahlperiode 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2003 3603
)
)
Hans-Joachim Otto
Er ist ein Vertrauensbeweis der in Deutschland lebenden
Juden in die Stabilität unserer Gesellschaft und unserer
Demokratie. Wir sollten diesen Schritt nicht gering
schätzen, sondern dem Zentralrat der Juden für diesen
Schritt unseren Dank aussprechen, weil wir damit eine
große Integrationsleistung auf den Weg bringen können.
Im Hinblick auf manche Kritik möchte ich darauf hin-
weisen, dass es nicht nur um die Förderung jüdischen
Lebens in Deutschland geht. Dieser Staatsvertrag bedeu-
tet eine Förderung kulturellen Lebens in Deutschland
insgesamt. Seien wir offen und ehrlich: Deutschland hat
den Aderlass jüdischer Künstler und Intellektueller wäh-
rend der Nazidiktatur bis zum heutigen Tag nicht voll
bewältigt. Ich setze die Hoffnung darauf ich bin sehr
zuversichtlich , dass dieser entscheidende Beitrag jüdi-
schen kulturellen Lebens in Deutschland und für
Deutschland durch diesen Staatsvertrag zusätzlich belebt
wird. Davon profitieren wir alle, gleichgültig welchen
Glaubens wir sind.
Angesichts dieser Integrationsleistung möchte ich zu-
nächst einmal den amtierenden Mitgliedern des Zentral-
rates der Juden in Deutschland danken.
Ich möchte meine Rede aber nicht abschließen, ohne
daran zu erinnern, dass der jetzt so erfolgreich und mit
Unterstützung aller Fraktionen beschrittene Weg durch
den unvergessenen Ignatz Bubis eingeschlagen und sehr
maßgeblich beeinflusst wurde. Er war einer der Ersten,
der, als Vorsitzender des Zentralrates der Juden, das
Hinein nach Deutschland, das Vertrauen und die Heimat-
findung der Juden in Deutschland maßgeblich gefördert
hat.
Ich danke den amtierenden Mitgliedern des Zentralra-
tes der Juden und möchte an dieser Stelle noch einmal an
Ignatz Bubis erinnern.
Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege
Sebastian Edathy, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Diese Debatte hat sehr deutlich unterstrichen,
dass die Demokratie in Deutschland ein starkes Funda-
ment hat, weil es bei allem Streit einen Konsens in zen-
tralen Grundfragen gibt. Es gibt unter anderem einen
Konsens darüber, dass die Förderung des Wiederaufbaus
jüdischen Lebens in Deutschland nach dem Ende der
NS-Zeit ein gemeinsames Anliegen aller gesellschaftli-
chen Kräfte unseres Landes sein muss.
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Dann will ich mich gerne korrigieren.
Bis zur Zeit des Nationalsozialismus war es bei al-
en Brüchen in der deutschen Geschichte so, dass jüdi-
che Deutsche gesellschaftlich eben nicht nur dazuge-
örten, sondern ein Element der deutschen Gesellschaft
aren. Sie waren ein Teil, ohne den das Ganze nicht
enkbar war. Deshalb war die Judenverfolgung in der
eit des Nationalsozialismus nicht zuletzt ein Akt deut-
cher Selbstzerstörung. Gerade aus diesem Grund ist es
ine ureigene Aufgabe unseres Landes, dafür Sorge zu
ragen, dass jüdische Kultur und jüdisches Leben in
eutschland gute Bedingungen für ihre weitere Ent-
icklung finden können.
Erstmals gibt es mit dem von Bundeskanzler Gerhard
chröder und dem Präsidenten des Zentralrates der Ju-
en in Deutschland unterzeichneten Staatsvertrag eine
echtlich verbindliche Grundlage für die Zusammenar-
eit. Mit erheblich mehr Mitteln als bisher werden die
rbeit des Zentralrates für Erhalt und Pflege des
eutsch-jüdischen Kulturerbes gefördert und der Aufbau
er jüdischen Gemeinden unterstützt. Außerdem wird
ie integrationspolitische und soziale Arbeit des Zentral-
ates, vor allem was die Aufnahme und die Begleitung
on Neubürgern jüdischen Glaubens insbesondere aus
steuropa betrifft, finanziell besser abgesichert als bis-
er. Weil die Arbeit, die die jüdische Gemeinschaft er-
ringt, eine gemeinsame Aufgabe für unsere gesamte
esellschaft ist, ist dieser Staatsvertrag richtig, vernünf-
ig und gut.
Aber die Wahrnehmung dieser Mitverantwortung für
ie weitere Entwicklung jüdischen Lebens in Deutsch-
and ist, wenn der Staatsvertrag vom Deutschen
undestag wie ich glaube, einmütig bestätigt werden
ird, noch längst nicht erledigt. Im November letzten
ahres wurde eine repräsentative Studie des Instituts
nfratest vorgelegt. Es ist in Deutschland unter anderem
efragt worden, was die Befragten empfinden würden,
3604 Deutscher Bundestag 15. Wahlperiode 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2003
)
)
Sebastian Edathy
wenn sie wüssten, dass der Nachbar Jude ist. 17 Prozent
der Befragten sagten: Juden möchte ich als Nachbarn lie-
ber nicht haben. Ferner wurde in dieser Umfrage gefragt,
ob Juden in Deutschland zu viel Einfluss hätten.
20 Prozent sagten, ja, sie hätten zu viel Einfluss. Gar
27 Prozent vertraten die Auffassung, ihr Einfluss auf die
öffentliche Meinung in Deutschland sei zu hoch.
Es gibt aber auch ein ermutigendes Ergebnis dieser
Untersuchung. Auf die Frage, ob Antisemitismus in
Deutschland ein Problem sei, sagten 60 Prozent der Be-
fragten, ja, sie würden darin ein Problem sehen. Diese
Menschen haben Recht. Es gibt ein solches Problem.
Wir werden uns diesem Problem in Deutschland zu stel-
len haben, in diesem Jahr wie auch in den kommenden
Jahren und Jahrzehnten.
Es bleibt eine gemeinsame Aufgabe für alle demokra-
tischen Kräfte, die Mehrheit für dieses Nein zum Antise-
mitismus zu vergrößern, jedem Ansatz von Antisemitis-
mus entgegenzutreten und ihm die Basis zu entziehen.
Dazu gehört, dass wir an allen Orten und jederzeit fol-
genden Grundsatz unterstreichen und für ihn einstehen
müssen: Bürgerinnen und Bürger jüdischen Glaubens
gehören nicht nur zu unserer Gesellschaft dazu, sondern
sie sind Teil unserer Gesellschaft.
Und diejenigen, die deutsche Juden zu diffamieren oder
an den Rand zu drängen versuchen, grenzen nicht die Ju-
den in Deutschland aus, sondern sich selbst.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich abschlie-
ßend sagen: Ich freue mich, dass wir im Bundestag mit
dem vorliegenden Gesetzentwurf eine Initiative zu bera-
ten haben, die gut und richtig ist und die, wie wir heute
gemerkt haben, die Unterstützung aller Fraktionen fin-
den wird. Ich bin zugleich stolz darauf, dass es eine
SPD-geführte Regierung ist, die 58 Jahre nach Ende des
Nationalsozialismus diese wichtige Initiative auf den
Weg gebracht hat.
Vielen Dank.
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 15/879 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es
anderweitige Vorschläge? Das ist nicht der Fall. Dann
ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 9 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten
Wolfgang Börnsen , Dirk Fischer
, Eduard Oswald, weiterer Abgeordne-
ter und der Fraktion der CDU/CSU
Vorrang für die Ostseesicherheit
Drucksache 15/465
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Deswegen kommen wir gleich zur Abstimmung. In-
erfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Druck-
ache 15/465 an die in der Tagesordnung aufgeführten
usschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstan-
en? Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so be-
chlossen.
Ich rufe den Zusatzpunkt 11 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neurege-
lung des Rechts der Kriegsdienstverweigerung
Drucksache 15/908
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Innenausschuss
Verteidigungsausschuss
Auch hierfür war eine Redezeit von einer halben
tunde vorgesehen. Die Parlamentarische Staatssekretä-
in Christel Riemann-Hanewinckel, die Kollegen
ndreas Weigel, Thomas Dörflinger und Winfried
achtwei und die Kollegin Ina Lenke haben ihre Reden
llerdings zu Protokoll gegeben.2)
Damit kommen wir zur Abstimmung. Interfraktionell
ird die Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksa-
he 15/908 an die in der Tagesordnung aufgeführten
usschüsse vorgeschlagen. Gibt es anderweitige
orschläge? Das ist nicht der Fall. Dann ist die Über-
eisung so beschlossen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 10 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Verkehr, Bau- und
Wohnungswesen zu dem Antrag
der Abgeordneten Dirk Fischer ,
Eduard Oswald, Georg Brunnhuber, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion der CDU/CSU
Transrapid-Projekt BerlinHamburg unver-
züglich wieder aufnehmen
Drucksachen 15/300, 15/489
Berichterstattung:
Abgeordneter Reinhard Weis
Anlage 2
Anlage 3
Deutscher Bundestag 15. Wahlperiode 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2003 3605
)
)
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Hans-Günter Bruckmann, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe mir
durchaus vorstellen können, dass die beiden größten
Städte der Bundesrepublik mit dem Transrapid verbun-
den werden. Wir alle wissen aber, dass dies in den nächs-
ten Jahrzehnten nicht der Fall sein wird; denn am
5. Februar des Jahres 2000 ist die Entscheidung zur Ein-
stellung der Planung gefallen, weil der vorgesehene Be-
treiber, die Deutsche Bahn AG, aus dem Projekt ausge-
stiegen ist.
Daraufhin hat die Bundesregierung richtig gehandelt
und die Mittel für den Ausbau der vorhandenen Schie-
nenstrecke beschlossen.
Tatsache ist, dass der Ausbau der Schienenstrecke Ber-
linHamburg für eine Höchstgeschwindigkeit von
230 Kilometer in der Stunde planmäßig vorangeht.
Nur eines bringt den Ablauf ein klein wenig durcheinan-
der: Das ist das Adlerpärchen, das im Bereich der Bahn-
strecke brütet; Sie haben es sicherlich der Presse entnom-
men. Das hat die Wirkung, dass sich dieses Projekt um
drei Monate verzögern wird. Ich gehe davon aus, dass
nicht nur wir, sondern auch Sie sehr natur- und umwelt-
freundlich sind, sodass wir alle dies gerne akzeptieren.
Wie ich gerade höre, haben Sie dafür natürlich Ver-
ständnis. Die Strecke wird deshalb erst Mitte 2005 in
Betrieb genommen werden. In zwei Jahren wird man
also in knapp 90 Minuten von Hamburg nach Berlin fah-
ren können.
Lieber Kollege Fischer, vor diesem Hintergrund ist es
natürlich abwegig, eine Wiederaufnahme der Planungen
für eine Transrapidstrecke mit dieser Relation zu for-
dern. Die meisten von uns sind nach wie vor dafür, die
Transrapidtechnologie in unserem Land anzuwenden.
Seit zig Jahren passiert in dieser Frage das eine oder an-
dere. Dabei sind wir uns in diesem Hause im Wesentli-
chen eigentlich einig. Ich zitiere die Kollegin Renate
Blank. Sie hat im Januar dieses Jahres gesagt:
Der Transrapid ist ein Projekt mit Signalwirkung für
unser Land. Diese Technologie steht für die Innova-
tions- und Erneuerungsfähigkeit unseres Landes und
ist zugleich ein gewaltiges Konjunkturprogramm.
Danach empfahl sie Rot-Grün:
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ür beide Länderprojekte werden die Mittel als Zu-
chüsse zur Verfügung gestellt, wenn die Rahmenbedin-
ungen stimmen. Ich würde mich freuen, wenn beide
rojekte als Public-Private-Partnership-Projekte umge-
etzt werden würden; denn dann käme eine in Deutsch-
and erfundene Zukunftstechnologie, für die der Erfinder
ermann Kemper schon 1934 das Reichspatent erhielt,
uch bei uns zum Einsatz. Es wäre schön, wenn die Op-
osition an dieser Stelle die Worte der Kollegin Blank
rnst nehmen würde und die übliche Parteitaktik zurück-
tellen könnte.
Beide Projekte sollen gleichermaßen fair behandelt
erden, und zwar nicht nur in diesem Parlament, son-
ern auch in der konkreten Auseinandersetzung vor Ort.
ier sehe ich jedoch noch erhebliche Defizite. Viele der
rgumente, die beispielsweise gegen das Metrorapid-
rojekt in NRW vorgebracht werden, sind schlicht
alsch oder gehen an der Sache vorbei. Ein Argument,
as gerne verbreitet wird, lautet: Der Transrapid ist we-
en seiner hohen Geschwindigkeit für kurze Strecken
ar nicht gedacht und geeignet. Dazu ist zu sagen, dass
iese Technologie aufgrund der speziellen Antriebstech-
ik und damit in der Erreichung der jeweils gewünschten
ndgeschwindigkeit immerhin jedem konventionellen
chienenfahrzeug überlegen ist.
Diese Fähigkeit und auch das bessere Steigvermögen
ind ein Grund dafür, weshalb die Transrapidtechnologie
uf der Neubaustrecke FrankfurtKöln erste Wahl gewe-
en wäre. Sie hätte nicht eine Vielzahl von teuren Tun-
eln und Brücken benötigt. Die Tatsache, dass ein Fahr-
eug hervorragend für hohe Geschwindigkeiten geeignet
st, muss aber nicht ausschließen, dass es auch für kür-
ere Distanzen einsetzbar ist. Der Transrapid ist beides.
ls Metrorapid erreicht er aufgrund seiner hohen Be-
chleunigung und kurzen Bremswege eine Durch-
chnittsgeschwindigkeit von 130 km/h, und zwar im öf-
entlichen Personennahverkehr. Damit liegt er nur
nwesentlich unter der eines Intercityexpress, der auf
er Strecke von Essen nach Berlin als Nahverkehrsmittel
m Schnitt rund 150 Kilometer pro Stunde erreicht. Das
erede von der Bimmelbahn ist daher purer Unsinn.
3606 Deutscher Bundestag 15. Wahlperiode 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2003
)
)
Hans-Günter Bruckmann
Ein weiteres Pseudoargument lautet: Der Metrorapid
passt nicht in die Verkehrslandschaft; denn die Vernet-
zung mit dem restlichen öffentlichen Personennahver-
kehr wird nicht funktionieren. Auch dieses Argument
wird durch stetige Wiederholung nicht richtiger. Der
Metrorapid unterscheidet sich lediglich durch seine An-
triebstechnik und seine eigene Trasse. Manche würden
sich wünschen, so etwas auch haben zu können. Der ent-
scheidende Punkt ist: Wir geben zur Förderung dieser
Technologie Bundesmittel aus. In diesem Zusammen-
hang möchte ich gerne meinen Kollegen Weis zitieren:
Von Beginn an war klar, dass eine Magnetbahnstre-
cke in Deutschland kein reines Verkehrsprojekt ist.
Vielmehr ging und geht es auch heute noch um die
Technologiepolitik.
Ich kann nur sagen: Reinhard Weis, du hast absolut
Recht behalten.
Für die Rhein-Ruhr-Region zum Beispiel ist der Me-
trorapid nicht nur ein bloßes Nahverkehrsprojekt ich
greife das auf, was schon unsere Kollegin Blank gesagt
hat , sondern für uns ist es ein wesentliches Projekt, mit
dem wir die Identität des Ruhrgebietes und des Landes
Nordrhein-Westfalen mit einem Symbolcharakter stär-
ken wollen. Man darf vom Strukturwandel nicht immer
nur reden, sondern man muss ihn, wenn man die Chance
dazu hat, auch umsetzen. Nur so kommt man weg von
dem Bild von Kohle und Stahl zu einer Dienstleistungs-
und Wissensgesellschaft und zur Anwendung von Hoch-
technologie.
Mit den in den Debatten teilweise vorgetragenen
Geisteshaltungen wäre es nie dazu gekommen, die Rad-
Schiene-Technik vor mehr als 150 Jahren einzusetzen.
Wenn jemand den Metrorapid oder Transrapid nicht be-
treiben will, weil er glaubt, sie passten nicht zu seinen
bisherigen Systemen, dann sage ich dazu in aller Öffent-
lichkeit: Es wird sich herausstellen, ob im Rahmen der
Netzöffnung und des Wettbewerbs nicht andere aufge-
schlossenere Betreiber Interesse an diesen Projekten ha-
ben könnten. Ich bin mir sicher: Es werden sich eine
Reihe von Betreibern dafür finden.
Der Metrorapid ist wie der Transrapid nicht irgendein
beliebiges Verkehrsprojekt, sondern eigentlich ein Quan-
tensprung in der Verkehrstechnologie. In China hat man
nach einer Vorlaufzeit von acht Jahren 24 Monate ge-
braucht, um das Projekt in Schanghai zu realisieren.
24 Monate sind eine gut genutzte Zeit.
Die Chancen für diese Technologie in den USA und
anderen Ländern der Welt werden dann besser, wenn wir
eigene, unterschiedliche Referenzen in Form von An-
wendungen auch in Deutschland vorweisen können. Die
Projekte in Bayern und NRW werden dabei die Wirt-
schaft unterstützen, diese Technologie zu exportieren.
Deshalb freue ich mich darüber, dass sich in diesem Ho-
hen Hause interfraktionell diejenigen im Gesprächskreis
Transrapid zusammengefunden haben, die diese Techno-
logie nicht totreden wollen, sondern sie parlamentarisch
unterstützen; denn in einem Punkt bin ich mir ganz si-
cher: Deutsche Innovationen müssen auch in Deutsch-
land ihre Chance bekommen. Nur so können wir uns in
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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr
ollege Bruckmann, der Ausbau der Strecke Ham-
urgBerlin geht zügig voran? 230 Kilometer pro
tunde auf einer Ausbaustrecke durch geschlossene Ort-
chaften? Bisher werden Ausbaustrecken in Deutschland
it maximal 200 Kilometer pro Stunde befahren. Als
rüher schon einmal der Antrag an das EBA herangetra-
en wurde, sagten dessen Vertreter, man könne sich
berhaupt nicht vorstellen, dass dies genehmigt werden
ürde.
Im Übrigen: Bleiben Sie bescheiden. Im Stern vom
. Februar 2000 wird eine Formulierung von Bahnchef
ehdorn in einem Interview wiedergegeben:
Dann brauchen wir das gar nicht, sondern wir fah-
ren in anderthalb Jahren, also Mitte 2001, in
90 Minuten zwischen Hamburg und Berlin.
eswegen kann ich nur sagen: Lassen Sie sich nicht auf
olche Sachen ein. Sie verlieren Ihre Glaubwürdigkeit
nd können noch nicht einmal etwas dafür.
as ist also ganz traurig für Sie.
Es ist abenteuerlich, wie verantwortungslos die rot-
rüne Bundesregierung mit dem Transrapid im Fernver-
ehr zwischen Hamburg und Berlin umgegangen ist.
rotz aller Liebesschwüre von Bundeskanzler Schröder,
er Transrapid sei eine vorzügliche Lösung der Mobili-
ätsprobleme so in der Neujahrsansprache 2003 ,
rotz des Transrapidfans Stolpe, der sich als solcher im
DR-Inforadio Anfang des Jahres geoutet hat und im
Focus vom 30. Dezember 2002 mit den Worten zitiert
ird, HamburgBerlin sei seine Traumstrecke, passiert
n Wahrheit gar nichts. Ihre Haltung zu dieser Zukunfts-
echnologie hat sich in all den Jahren, seitdem eine
DU/CSU-FDP-geführte Bundesregierung am 2. März
994 die Bauentscheidung für HamburgBerlin getrof-
en hat, nicht geändert.
Deutscher Bundestag 15. Wahlperiode 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2003 3607
)
)
Dirk Fischer
Nur sind Sie nicht mehr so ehrlich wie damals, als bei-
spielsweise die Ministerpräsidentin von Schleswig-Hol-
stein, Heide Simonis, am 15. Februar 1997 in der Säch-
sischen Zeitung sagte,
der Transrapid führe verkehrspolitisch ins Abseits, fi-
nanziell in den Sumpf und industriepolitisch nicht zum
Ziel. Heute wird zwar anders gesprochen, aber es wird
unverändert genauso gedacht.
Rühmliche Ausnahme bleibt nur der ehemalige Ham-
burger SPD-Bürgermeister Henning Voscherau, der be-
reits am 9. Juli 2001 im Hamburger Abendblatt resi-
gniert feststellte: Ich
musste nachträglich zusehen, wie das fast fertig
durchgeplante Projekt kurzsichtig vernichtet wurde
ohne gleichzeitige Kompensation durch die dann
selbstverständlich notwendige ICE-Neubaustrecke.
Sie kommt jetzt allerdings auch nicht.
Die DB AG und die rot-grüne Bundesregierung haben
die Transrapidpläne für HamburgBerlin am 5. Februar
2000 böswillig zerstört und dadurch Infrastrukturent-
scheidungen, die der Deutsche Bundestag getroffen hat,
in Wahrheit später zunichte gemacht. Die DB AG wäre
eigentlich für die Realisierung der Strecke zwischen den
beiden größten deutschen Städten nicht unersetzlich ge-
wesen. Bahnchef Mehdorn hätte unter keinen Umstän-
den erlaubt werden dürfen, die Bindungswirkung des
Magnetschwebebahnbedarfsgesetzes zu konterkarieren;
denn er hat zitiert nach der Wirtschaftswoche am
26. Juli 2001 wörtlich gesagt:
Den Leuten, die das Transrapidsystem zum Fern-
verkehrssystem in Deutschland erklären wollen, ist
leider der Größenwahn unter die Hirnschale gefah-
ren.
So ist Mehdorns Einstellung zu dieser Technologie.
Auch den Fahrweg hätte jedes andere Industrieunter-
nehmen bauen können, vielleicht sogar ohne die Verzö-
gerungen und dramatischen Mehrkosten, an die wir uns
ich erinnere an den Lehrter Bahnhof, die Neubau-
strecke FrankfurtKöln und die Neubaustrecke Nürn-
bergIngolstadtMünchen mittlerweile schon viel zu
sehr gewöhnt haben.
Die beabsichtigte Übertragung der Betriebsfüh-
rung auf die DB AG hätte zwar Parallelverkehre ver-
mieden, den Fernverkehr so auf den Transrapid gebün-
delt und eine unternehmensinterne Verknüpfung
Vermarktung, Fahrplan, Fahrpreise, Gepäck ermög-
licht. Allerdings wollte die DB AG niemals wirklich
eine Alternative zum traditionellen Rad-Schiene-System
zulassen. Mehdorn sagte am 26. Januar 2000 vor dem
Verkehrsausschuss wörtlich: Ich will diese Technologie
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Meine Damen und Herren, Rot-Grün hat den Trans-
apid gegenüber der herkömmlichen Rad-Schiene-Tech-
ik niemals fair und ordnungspolitisch gleich behandelt.
olgende Äußerung der damaligen SPD-Abgeordneten
nd heutigen Parlamentarischen Staatssekretärin
ertens
st für Ihre total unaufrichtige Politik in dieser Sache be-
eichnend:
Das milliardenschwere Prestigeobjekt Transrapid
hatte einen gravierenden Schönheitsfehler: Es ba-
sierte nicht auf seriösen Wirtschaftlichkeitsberech-
nungen, sondern auf dem Prinzip Wunsch und Wol-
ken.
ies sagte sie am 18. Februar 2000 im Deutschen Bun-
estag.
Sie wissen, Herr Schmidt, dass beim Rad-Schiene-Sys-
m die Infrastruktur aus dem Haushalt bezahlt wird. Die
efinanzierung des Fahrwegs oder gar steuerliche
bschreibungen werden nicht in die Wirtschaftlichkeits-
erechnungen einbezogen. Beim Transrapid Ham-
urgBerlin sollten die Kosten für den Fahrweg vom Be-
eiber durch das Nutzungsentgelt auch noch peu à peu
urückverdient werden. Natürlich hat dies für die Ertrags-
rwartung eines Betreibers äußerst negative Konsequen-
en. Dass er dann lieber einen Schienenweg geschenkt
immt, als dass er die Kosten für einen Transrapidfahrweg
urückverdienen muss, ist aus seiner egoistischen unter-
ehmerischen Position heraus verständlich. Das Verhalten
es Staates jedoch ist ordnungspolitisch absolut skanda-
s, benachteiligend, unfair und unverständlich. Deswe-
en darf dieses Verhalten nicht fortgeführt werden.
Zudem werden die hohen Kostenüberschreitungen
eim ICE-Streckenbau wie selbstverständlich akzeptiert.
st es dann fair, beim Transrapid eine Abrechnung zum
chätzkostenpreis von 6,1 Milliarden DM ohne Inflati-
nsausgleich zu verlangen?
Jetzt betreiben Sie Nahverkehrskonzepte. Aber der
ransrapid ist doch von Schmidt und Leber nicht in ers-
er Linie als ein Vorortszug konzipiert worden. Als sol-
her lässt er sich auch einsetzen; aber das ist nicht sein
3608 Deutscher Bundestag 15. Wahlperiode 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2003
)
)
Dirk Fischer
primäres Anwendungsziel gewesen. Nur auf einer Lang-
strecke die Strecke HamburgBerlin beträgt 292 Kilo-
meter kann er das Geschwindigkeitspotenzial der Ma-
gnetschwebetechnik voll ausnutzen. Nur hier ist der
Transrapid eine echte Alternative zum Flugzeug, zum
ICE und zum Auto.
Hamburg und Berlin sind dynamisch wachsende Bal-
lungszentren, zwischen denen die Sinnhaftigkeit und Ef-
fizienz einer Transrapidverbindung am überzeugendsten
nachgewiesen werden kann. Das Transrapidprojekt zwi-
schen Hamburg und Berlin ist technisch und wirtschaft-
lich nach wie vor machbar, es ist durchgeplant und be-
wertet. Die Verbindung brächte eine enorme
Entwicklungsdynamik in den norddeutschen Raum und
in die Region Berlin-Brandenburg.
Deswegen, meine Damen und Herren, fordert die
CDU/CSU-Bundestagsfraktion nachdrücklich die Wie-
deraufnahme dieses Projektes. Geben Sie endlich die
richtige Antwort auf die globalen Herausforderungen
des Massenverkehrs im 21. Jahrhundert!
Nächster Redner ist der Kollege Albert Schmidt,
Bündnis 90/Die Grünen.
Albert Schmidt (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN):
Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Die Debatte um den Transrapid Ham-
burgBerlin ist eine mumifizierte Debatte.
Sie haben heute nicht einen einzigen Satz gesagt, von
dem ich Ihnen nicht schon vorher hätte sagen können,
dass er kommt. Ich kenne die Sätze inzwischen auswen-
dig. Ich sehe gar nicht ein, warum so viele so hoch be-
zahlte Leute, wie sie hier sitzen, den Rest des Abends
verschwenden sollen, bloß weil sich der Kollege Fischer
nicht von seiner transrapidalen Fixierung lösen kann.
Ich verzichte daher auf den Rest meiner Redezeit,
denn ich könnte auch nichts Neues dazu sagen. Alles ist
hundertmal gesagt worden und es ist richtig entschieden
worden. In diesem Sinne wünsche ich einen schönen
Abend.
Nächster Redner ist der Kollege Horst Friedrich,
FDP-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
ehr verehrter Herr Kollege Weis, Sie werden kaum er-
eben, dass ich mich hierher stelle und nicht weiß, was
ch sagen soll. Ich mache es mir nicht ganz so einfach
ie der Kollege Schmidt, der sagt, alles sei schon gesagt
nd deshalb solle man zum Tagesgeschäft übergehen. Zu
iesem Thema ist leider noch nicht alles gesagt und es
st tatsächlich so, dass in weiten Bereichen mit falschen
ahlen und Argumenten immer wieder Gegenteiliges
ehauptet wird.
Ich erinnere an die Anhörung zum Transrapid, die
ir vor der Planung der Strecke HamburgBerlin gehabt
aben. Uns wurden von Rot-Grün damals in der Oppo-
ition Berechnungen von der Deutschen Bahn und an-
eren vorgestellt, die lauteten: Für 1 Milliarde DM sei
uf der Strecke von Hamburg nach Berlin eine ICE-Qua-
ität zu schaffen, mit der die Fahrtzeit zwischen diesen
eiden Zentren 90 Minuten betrage. Deswegen sei der
ransrapid überflüssig.
Die Realität sieht so aus: Bis jetzt sind 1,935 Milliar-
en Euro in die ICE-Strecke HamburgBerlin geflos-
en, mit der Konsequenz, dass der Zug nach wie vor
60 Stundenkilometer fährt. Laut aktueller Prognose
üssen weitere 700 Millionen Euro investiert werden,
m tatsächlich irgendwann 230 Stundenkilometer zu
ahren. Wenn man das zusammenzählt, ist man bei unge-
ähr 2,7 Milliarden Euro, also umgerechnet etwa
,4 Milliarden DM. Ich erinnere daran, dass es angeblich
ür 1 Milliarde DM zusätzlich funktionieren sollte. Das
st ungefähr die Größenordnung, um die die Bahn bei all
hren Fernstrecken gegenüber den Planzahlen im Negati-
en abweicht. Insofern wäre es zumindest reeller gewe-
en, diese Situation auch bezogen auf den Transrapid an-
tändig zu erörtern.
Fakt ist allerdings auch, dass die Planung nach Fertig-
tellung von 19 der insgesamt 20 Planfeststellungsab-
chnitte gestoppt worden ist, dass das Magnetschwebe-
ahngesetz aufgehoben wurde und alle Vorbedingungen
eg sind. Ob nun tatsächlich im Jahre 2004 oder 2005
ach Fertigstellung der ICE-Strecke zusätzlich eine
ransrapidstrecke verwirklicht werden kann, ist auch
on unserer Seite mit einem Fragezeichen zu versehen.
Umgekehrt das ist das eigentlich Entscheidende :
it jeder weiteren Strecke, die über die beiden jetzt auf
unsch der Regierungskoalition hinaus zu diskutieren-
en Strecken des Metrorapid und der Strecke vom Flug-
afen zum Hauptbahnhof München hinaus geht, gebe
ch dieser famosen Mehrheit die Möglichkeit, sich vor
er eigentlichen Entscheidung zu drücken, die Technik
atsächlich umzusetzen. Nicht weil wir gegen die Trans-
apidstrecke HamburgBerlin sind, sondern weil ich den
eitpunkt für diesen Antrag für taktisch falsch halte,
erden wir uns bei der Abstimmung enthalten.
Danke sehr.
Deutscher Bundestag 15. Wahlperiode 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2003 3609
)
)
Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege
Norbert Königshofen, CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen von den Regierungsfraktio-
nen, die Ablehnung unseres Antrags ist ein schwerwie-
gender Fehler.
Doch, ein schwerwiegender Fehler, Herr Schmidt. Das
ist ein schwerer Schlag gegen die Exportchancen deut-
scher Technik.
Die Argumente, die Sie vorgebracht haben, sind
wenn man genau hinschaut nur Ausreden. Wenn Sie
unserem Antrag zustimmen würden, würde die Strecke
BerlinHamburg die Strecke sein, auf der man die Vor-
züge dieser deutschen Technik vorführen könnte:
Schnelligkeit und Umweltfreundlichkeit. Deswegen bin
ich von Ihrer Einlassung sehr enttäuscht.
Stattdessen halten Sie an dem verkehrspolitisch un-
sinnigen Metrorapid-Projekt im Ruhrgebiet fest. Dass
Sie auf Ihre Redezeit verzichten, Herr Schmidt, bedauere
ich deswegen besonders, weil ich gerne gehört hätte, wie
Sie sich dazu einlassen.
Natürlich ist das Gegenstand der Debatte.
Sie können die Strecke HamburgBerlin nur im Zusam-
menhang mit den anderen Strecken sehen. Denn nur weil
Herr Mehdorn die Strecke HamburgBerlin auf Ihren
Wunsch hin kaputtgemacht hat, sind Sie zu den Alterna-
tivstrecken übergegangen, die von vornherein schlechter
geeignet waren als die ursprünglich geplante Strecke.
Das ist die Wahrheit. Jetzt hoffen Sie darauf, dass das
Vorhaben im Laufe der Zeit scheitert und Sie sich nicht
dazu äußern müssen. Deswegen hätte ich es begrüßt,
wenn Sie sich heute dazu geäußert hätten, Herr Schmidt.
Der Bund soll das Metrorapid-Projekt im Ruhrgebiet
mit insgesamt 2,3 Milliarden Euro fördern.
Davon sollen zunächst 1,75 Milliarden Euro fließen.
Herr Stolpe hat weitere 0,25 Milliarden Euro zugesagt.
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inzu kommen weitere 338 Millionen Euro nach dem
undesschienenwegeausbaugesetz. Das macht zusam-
en mehr als 2,3 Milliarden Euro.
Der Metrorapid wird aber seine Fahrgäste zu
5 Prozent dem bestehenden Rad-Schiene-System weg-
ehmen. Dabei handelt es sich nicht um Vernetzung, lie-
er Herr Kollege Bruckmann; vielmehr ist das, was in
iesem Zusammenhang betrieben wird, Kannibalismus.
as heißt, der Metrorapid wird die anderen Strecken
ussaugen.
Herr Ströbele, Sie haben bei anderen Punkten genug
eit, sich zu äußern. Hören Sie jetzt einmal den Experten
u!
ernreisende aus dem Ruhrgebiet werden künftig ge-
wungen, in Dortmund oder Düsseldorf umzusteigen.
Der Metrorapid, den Sie statt auf der Strecke Ham-
urgBerlin im Ruhrgebiet fahren lassen wollen, wird
lle 13 Kilometer halten. Wie Sie damit der Welt die
orzüge dieses modernen Systems zeigen wollen, bleibt
hr Geheimnis.
Der Bundesrechnungshof hat das wird gerne ver-
chwiegen; deswegen meiden Sie auch diese Debatte
chon festgestellt, dass dieses Projekt nicht realisie-
ungswürdig ist. Denn der Kosten-Nutzen-Quotient liegt
eit unter 1.
Bei einigen von Ihnen setzt zurzeit eine gewisse
achdenklichkeit ein. Ich habe mit Interesse festgestellt,
ass der Haushaltsausschuss nur 20 Millionen der
0 Millionen Euro, die Nordrhein-Westfalen gefordert
at, freigegeben hat; 60 Millionen Euro sind eingefroren
orden.
Nordrhein-Westfalen selbst verfügt nicht über die be-
ötigten Mittel; es muss sich diesen Betrag leihen. Die
ituation, in der sich Nordrhein-Westfalen befindet, ist
ns ein bisschen aus Südamerika bekannt.
Ich kann doch über mein Bundesland Nordrhein-West-
alen nicht gut reden, weil Sie dort bereits seit 1966 die
egierung stellen. Das kann doch nicht gut gehen!
3610 Deutscher Bundestag 15. Wahlperiode 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2003
)
)
Norbert Königshofen
Die Grünen hoffen, dass auf der Basis der freigegebe-
nen 20 Millionen Euro nachgewiesen wird, dass sich das
ganze Projekt nicht rechnet. Das Projekt wird nach Aus-
sage von Experten einen jährlichen Zuschuss von
90 Millionen Euro erfordern. Deshalb wird auch aus der
Public Private Partnership nichts. Denn niemand wird in
das Projekt investieren, wenn er nichts davon hat.
Insofern haben Sie Recht, Frau Mertens: Was zurzeit
läuft, ist sozusagen Wunsch und Wolke. Deshalb darf ich
Sie auffordern: Stimmen Sie unserem Antrag zu!
Sie können damit dazu beitragen, dass die Strecke Ham-
burgBerlin mit unserer deutschen Technik zur Muster-
strecke für die Welt wird. Alles andere ist zum Scheitern
verurteilt.
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des Ausschusses für Verkehr, Bau- und
Wohnungswesen auf Drucksache 15/489 zu dem Antrag
der Fraktion der CDU/CSU mit dem Titel Transrapid-
Projekt BerlinHamburg unverzüglich wieder aufneh-
men. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Druck-
sache 15/300 abzulehnen. Wer stimmt für diese Be-
schlussempfehlung? Gegenprobe! Enthaltungen?
Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koa-
lition gegen die Stimmen der CDU/CSU bei Enthaltung
der FDP angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 7 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit zu der Un-
terrichtung durch die Bundesregierung
Vorschlag für eine Verordnung des Europäi-
schen Parlaments und des Rates über Detergen-
zien KOM 485 endg.; Ratsdok. 12319/02
Drucksachen 15/173 Nr. 2.79, 15/736
Berichterstattung:
Abgeordnete Heinz Schmitt
Marie-Luise Dött
Dr. Antje Vogel-Sperl
Birgit Homburger
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen gewesen. Da
aber die Kollegen Heinz Schmitt , Marie-Luise
Dött, Eberhard Gienger, Dr. Antje Vogel-Sperl und
Birgit Homburger ihre Reden zu Protokoll gegeben ha-
ben, entfällt die Aussprache1).
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t1) Anlage 4
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ber ich lasse mich gerne positiv überraschen. Ich freue
ich auf die Zusammenarbeit, die immer wieder ange-
ahnt wird und zu der wir gerne bereit sind.
Vielen Dank fürs Zuhören. Frau Präsidentin, vielen
ank für Ihre Großzügigkeit.
Nächste Rednerin ist die Kollegin Ute Granold, CDU/
SU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
err Staatssekretär, Sie haben dankenswerterweise die
chlechte Alterssicherung der Frauen aufgrund ihrer ty-
ischen Erwerbsbiografien beschrieben und damit die
erechtigung unseres Antrags Sie haben ihn inhaltlich
uch als konstruktiv bezeichnet bestätigt.
Lassen Sie mich aber doch einige Ausführungen zu
nserem Antrag und zur Historie machen. Ich bedauere
in wenig die Schärfe in Ihren Ausführungen.
3612 Deutscher Bundestag 15. Wahlperiode 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2003
)
)
Ute Granold
Sie haben uns unterstellt, dass unsere Novellierungsvor-
schläge rückwärts gerichtet sind. Sie werden in der Bera-
tung sehen, dass es anders ist.
Wir haben bereits vor knapp drei Monaten an dieser
Stelle über das Thema gesprochen, das zwar nur einen
Teil unserer Bevölkerung, nämlich die von Scheidung
Betroffenen, berührt, dies aber in einer Weise, die von
existenzieller Bedeutung ist. Es geht um den Versor-
gungsausgleich, das heißt, um die Klärung der Frage,
wie und in welchem Umfang von Ehegatten in der Ehe-
zeit erworbene Anwartschaften auf Altersversorgung bei
der Scheidung ausgeglichen werden. Da es eine Vielzahl
recht unterschiedlicher Versorgungsrechte gibt betrieb-
liche Zusatzversorgungen mit festen Auszahlungsbeträ-
gen oder dynamisiert, berufsständische Altersversor-
gungssysteme, Lebensversicherungen und andere ,
müssen diese verschiedenen Versorgungsrechte mit der
Versorgung nach dem Prinzip der gesetzlichen Renten-
versicherung vergleichbar gemacht werden. Das ge-
schieht mithilfe der Barwert-Verordnung, über die wir
heute unter anderem sprechen.
Nun hat bekanntlich der Bundesgerichtshof in seinem
Beschluss vom September 2001 eine weitere Anwendung
der Barwert-Verordnung über den 31. Dezember 2002 hi-
naus wegen der veralteten Parameter ausgeschlossen. Bis
dahin hatte die Bundesregierung Zeit, mit Zustimmung
des Bundesrats die Barwert-Verordnung zumindest be-
züglich der biometrischen Daten, also Sterbe- und Inva-
liditätswahrscheinlichkeit, zu aktualisieren. Die letzte
Anpassung stammte aus dem Jahre 1984. Seitdem ist un-
ter anderem die Lebenserwartung deutlich gestiegen.
Dies wiederum bedeutet, dass ein Versorgungsrecht
mehr wert ist. Eine fortdauernde Bewertung nach der al-
ten Barwert-Verordnung würde zu einer Schlechterbe-
wertung der betroffenen Anrechte führen. Damit würden
die ausgleichsberechtigten Ehegatten das sind in der
Regel die Frauen; ich bestätige hiermit Ihre Ausführun-
gen, Herr Staatssekretär weniger Geld bekommen, als
ihnen tatsächlich zusteht. Da es hier um Rentenansprü-
che geht, brauche ich über die Bedeutung der Sache
wohl keine weiteren Ausführungen mehr zu machen.
Leider hat es die Bundesregierung trotz ausreichender
Zeit versäumt, fristgerecht eine novellierte Barwert-
Verordnung vorzulegen. Die Folge ist, dass die Famili-
enrichter in Deutschland, die ohnehin hoffnungslos über-
lastet sind, seit dem 1. Januar 2003 die Scheidungsver-
fahren entweder insgesamt aussetzen, den Versorgungs-
ausgleich vom Scheidungsverfahren abtrennen oder
teure versicherungsmathematische Gutachten einholen,
um den Barwert im konkreten Fall zu ermitteln. Das ist
ein Skandal.
Aufgrund der bereits seitens der Rechtsprechung und
der Literatur erhobenen gewichtigen Einwände weiß die
Bundesregierung seit langem und nicht erst seit der er-
wähnten BGH-Entscheidung vom September 2001 von
der dringend notwendigen Überarbeitung der nicht voll
dynamischen Rechte. Sie selbst hatte dies bereits in ei-
nem Schreiben vom November 2000 festgestellt. Dieses
Schreiben wird in dem BGH-Beschluss zitiert. Trotzdem
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Hören Sie meinen Ausführungen doch zu! Da können
ie noch etwas lernen.
Wenn der Bundesrat, der der vorgelegten Barwert-
erordnung noch zustimmen muss, seine Zustimmung
rteilt Herr Staatssekretär, Sie haben auf die Sitzung
om 23. Mai 2003 verwiesen , dann geschieht das vor
em Hintergrund, dass zum einen eine sofortige Neure-
elung dringend geboten ist, um das rechtliche Vakuum
u füllen und den Versorgungsausgleich auf eine verläss-
iche Grundlage zu stellen, und dass zum anderen das
eue Recht sowieso nur bis zum 31. Mai 2006 gelten
oll. Der Rechtsausschuss des Bundesrates hat in der Tat
n seiner gestrigen Sitzung ein eindeutiges Votum für ein
n-Kraft-Treten abgegeben, aber nur, damit die Gerichte
ndlich wieder handeln und arbeiten können.
Erlauben Sie mir in diesem Zusammenhang aus der
tellungnahme des Deutschen Anwaltvereins vom Fe-
ruar 2003 zu zitieren, die sich inhaltlich nur unwesent-
ich von der Stellungnahme der Bundesrechtsanwalts-
ammer unterscheidet:
Der Deutsche Anwaltverein nimmt mit Erleichte-
rung zur Kenntnis, dass in absehbarer Zeit wenigs-
tens eine provisorische nachgebesserte Barwert-
Verordnung entsprechend den Vorgaben des Bun-
desgerichtshofs erstellt werden soll.
Hören Sie bitte zu, werte Kollegin von der SPD.
Der DAV hätte eine in jeder Hinsicht modernisierte
Barwert-Verordnung vorgezogen. Im forensischen
Alltag macht sich aber auch das Fehlen der Bar-
wert-Verordnung so katastrophal bemerkbar es ist
nicht zu hoch gegriffen, wenn man sagt, dass in ei-
Deutscher Bundestag 15. Wahlperiode 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2003 3613
)
)
Ute Granold
nem Drittel der anstehenden Scheidungen Abtren-
nungen erfolgen , dass jede, auch eine noch un-
vollständige Lösung begrüßt werden muss.
Auch wenn es Ihnen von der SPD-Fraktion nicht passt
und Sie es nach wie vor notorisch bestreiten, bleibt es
dabei, dass von der Untätigkeit der Regierung viele
Richter und Scheidungswillige vor Ort massiv betroffen
sind.
Insbesondere die Frauen. Die Zahlen des Deutschen
Anwaltvereins sind realistisch. Ich kann sie aus meiner
eigenen
Frau Kollegin, hören Sie doch einfach einmal zu, ich
lasse Sie doch sonst auch ausreden.
Dann halten Sie doch Ihren Mund.
Ich kann diese Zahlen aus meiner eigenen Tätigkeit als
Scheidungsanwältin nur bestätigen.
Exemplarisch für eine Vielzahl von Entscheidungen
ist der Beschluss des Familiengerichts Mainz vom
5. März 2003, also aus meinem Bezirk. Ich zitiere:
Da die anzuwendende Bartwert-Verordnung ihre
Gültigkeit zum 31.12.2002 endgültig verloren hat
und die Bundesregierung ihrer Verpflichtung zur
Neufassung noch nicht nachgekommen ist, muss
das Verfahren bis zum 30.06.2003 ausgesetzt wer-
den.
So lautet exemplarisch die Entscheidung eines deutschen
Gerichtes.
Die Union hat mit ihrem Antrag vom Januar dieses
Jahres ein Problem aufgegriffen, an das die Bundesre-
gierung schon in der letzten Legislaturperiode nicht he-
ran wollte. Der Versorgungsausgleich ist zwar in der Tat
ein komplexes und schwieriges Thema, dennoch haben
die Gerichte und die Bürger ein Recht auf eine lücken-
lose und gerechte Rechtsetzung. Ebenso muss die Bun-
desregierung ihrer Pflicht als Verordnungsgeber nach-
kommen, allemal dann, wenn das höchste deutsche
Zivilgericht unter Fristsetzung dazu auffordert.
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as hierbei zwingend zu beachten ist, können Sie unse-
em Antrag entnehmen. Solange dies nicht umgesetzt ist,
st unser Antrag auch nicht erledigt.
Wir werden weiterhin wachsam die Bemühungen der
undesregierung begleiten, insbesondere auch deshalb,
eil eine Vielzahl von Verfassungsgerichtsaufträgen zur
esamtreform des Versorgungsausgleichs vorliegt. Herr
taatssekretär, ich denke, Sie sollten sich an die Arbeit
achen.
Vielen Dank.
Nächste Rednerin ist die Kollegin Irmingard Schewe-
erigk, Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
assen Sie mich zu Beginn der Debatte eines festhalten,
erehrte Frau Granold: Selten haben wir in diesem
ause über einen Antrag debattiert, der so überflüssig ist
ie dieser;
enn das zentrale Anliegen Ihres Antrages ist durch den
abinettsbeschluss vom 26. März dieses Jahres bereits
mgesetzt. Ich erlaube mir, Ihnen den Ablauf hier noch
inmal darzustellen.
Der Bundesgerichtshof hatte den Gesetzgeber in sei-
em Urteil vom 5. September 2001 dazu aufgefordert,
ie Barwert-Verordnung den geänderten tatsächlichen
erhältnissen anzupassen. Die Bundesregierung ist die-
er Aufforderung durch den erwähnten Kabinettsbe-
3614 Deutscher Bundestag 15. Wahlperiode 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2003
)
)
Irmingard Schewe-Gerigk
schluss nachgekommen und hat die notwendige Teilak-
tualisierung der Barwert-Verordnung vorgenommen.
Eigentlich könnten wir an dieser Stelle aufhören und
die Debatte wäre beendet. Alles, was Sie in Ihrem An-
trag fordern, ist bereits erledigt.
Erforderlich wurde diese Änderung, da die biometri-
schen Daten als Grundlage der Barwert-Verordnung
schlicht und ergreifend veraltet waren. Die jetzige Neu-
regelung berücksichtigt deshalb die durchschnittlich ge-
stiegene Lebenserwartung.
Obwohl es erst drei Monate zurückliegt, dass wir in
diesem Hause über die Barwert-Verordnung debattiert
haben ich hatte damals eigentlich den Eindruck ge-
wonnen, dass die offensichtlichen Missverständnisse
aufseiten der Antragsteller und Antragstellerinnen aus-
geräumt worden seien , erkläre ich es gerne noch ein-
mal:
Bei der Barwert-Verordnung handelt es sich um
eine Umrechnungstabelle zur vergleichbaren Berech-
nung von dynamischen und nicht dynamischen Renten-
ansprüchen, das heißt von Rentenansprüchen der gesetz-
lichen Rentenversicherung und der Beamtenversorgung
gegenüber Altersversorgungsansprüchen, die nicht der
Entwicklung der Arbeitseinkommen folgen, insbeson-
dere Betriebsrenten oder Renten aus Versorgungswer-
ken. Im Fall einer Scheidung müssen selbstverständlich
sämtliche Ansprüche der ehemaligen Ehepartner und
Ehepartnerinnen berücksichtigt werden.
Damit diese unterschiedlichen Formen der Altersver-
sorgungsansprüche vergleichbar gegeneinander aufge-
rechnet werden können, wird die Barwert-Verordnung
als Umrechnungshilfe verwandt, zu deren Berechnung
auch die biometrischen Daten einbezogen werden. Wir
haben festgestellt, dass durch diese Umrechnung sehr
viel an Wert verloren geht. Auch deshalb ist es notwen-
dig, hier eine Änderung herbeizuführen.
Wie bereits ausgeführt, berücksichtigt die aktuali-
sierte Verordnung nun die durchschnittlich höhere Le-
benserwartung. Dies führt in der Konsequenz zu einer
Erhöhung des errechneten Barwerts. In der überwiegen-
den Zahl der Fälle kommt das der besseren sozialen Ab-
sicherung von Frauen zugute. Damit ist ein weiteres An-
liegen Ihres Antrages, nämlich einer eventuellen
Schlechterstellung, wie Sie es bezeichnen, von Frauen
bei der Berechnung ihrer Altersversorgungsansprüche
gegenüber dem ehemaligen Ehepartner vorzubeugen,
bereits erledigt.
Darüber hinaus arbeitet die Bundesregierung wir
haben es gerade von Herrn Staatssekretär Hartenbach
gehört an einer umfassenden Strukturreform des
Versorgungsausgleichs, mit der eine grundlegende
Neuordnung zum Ausgleich nicht volldynamischer Ver-
sorgungsrechte angestrebt wird. Auch darüber haben wir
bereits anlässlich der Debatte im Februar gesprochen.
Bis zum In-Kraft-Treten dieser Neuregelung wird die
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Aber abgesehen davon werte ich das nochmalige Ein-
ringen Ihres Antrages als Interesse am Zustandekom-
en einer kurzfristig für alle Beteiligten praktikablen
nd gerechten Lösung. So nehme ich an, dass die CDU-
eführten Länder am 23. Mai im Bundesrat der Ände-
ung der Barwert-Verordnung zustimmen werden. Viel-
eicht überzeugen Sie bis dahin Ihre Kollegen und Kolle-
innen aus Baden-Württemberg, den angekündigten
aßgabebeschluss nicht einzubringen; denn der würde
ie Frist bis zum In-Kraft-Treten der Verordnung nur un-
ötig verzögern.
Ich bitte Sie, das umzusetzen. Das ist im Interesse Ih-
es Antrages und im Interesse der Frauen.
Vielen Dank.
Nächste Rednerin ist die Kollegin Sibylle Laurischk,
DP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau
chewe-Gerigk, ich bin nicht der Auffassung, dass diese
ebatte völlig überflüssig ist. In der Debatte Ende März
abe ich die Justizministerin aufgefordert, die von ihrer
orgängerin nicht mehr bearbeitete Reform des Versor-
ungsausgleichsrechts anzupacken und sozusagen eine
icht aufgeräumte Schublade aufzuräumen.
ittlerweile kann man die Situation so beschreiben, dass
war die Schublade näher gesichtet wurde, aber doch
och einiges aufzuräumen bleibt.
Der BGH hat in seiner Entscheidung vom
. September 2001 die Barwert-Verordnung als nicht
ehr vereinbar mit den heutigen gesellschaftlichen Ver-
ältnissen und rechtspolitischen Rahmenbedingungen
rachtet. Er hat deshalb den Gesetzgeber aufgefordert,
Deutscher Bundestag 15. Wahlperiode 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2003 3615
)
)
Sibylle Laurischk
bis Ende 2002 man höre und staune: bis Ende 2002
eine Neuregelung vorzulegen. Dies ist nicht geschehen.
Immerhin war der BGH weitsichtig genug, in seiner
Entscheidung zu erklären, dass zur Wahrung der
Rechtseinheit und im Interesse der Rechtssicherheit
in
der Übergangszeit bis zum In-Kraft-Treten einer Neu-
regelung weiterhin die Barwert-Verordnung der Bar-
wertermittlung jedenfalls im Regelfall zugrunde zu
legen ist. Die Familiengerichte können ein Scheidungs-
verfahren bis zur Neuregelung der Barwert-Verordnung
auch ruhen lassen oder das Scheidungsverfahren abtren-
nen und mit dem Versorgungsausgleich abwarten.
Mittlerweile hat die Bundesregierung eine neue Bar-
wert-Verordnung beschlossen, die aber nur bis zum
31. Mai 2006 in Kraft sein soll. Es wird also eine reine
Übergangsregelung, was nicht zufrieden stellen kann.
Die Biografie von Frauen hat sich gegenüber den
70er-Jahren grundsätzlich verändert, als der Versor-
gungsausgleich mit der Familienrechtsreform eingeführt
wurde. Die Grunddaten der bisherigen Barwert-Verord-
nung sind damit über 60 Jahre alt. Die veränderte Le-
benssituation von Frauen und auch von Männern muss
deshalb dringend seinen Niederschlag in der Gesetzge-
bung finden.
Ursprünglich sollte der Versorgungsausgleich den Le-
bensunterhalt von geschiedenen Frauen im Alter sicher-
stellen. Dies betraf zum überwiegenden Teil Frauen, die
entweder nur wenige Jahre oder gar nicht erwerbstätig
gewesen waren. Mittlerweile ist es für die meisten
Frauen selbstverständlich, berufstätig zu sein und dem-
entsprechend eigene Rentenanwartschaften aufzubauen.
Das Versorgungsausgleichsverfahren verzögert ein
ansonsten unkompliziertes Scheidungsverfahren oft-
mals unzumutbar. Daran sind nicht die Gerichte schuld,
sondern eine mühsam arbeitende Rentenversicherungs-
bürokratie, die bei der Klärung von Rentenansprüchen
mit Auslandsbezug oder von zu Zeiten der DDR erwor-
benen Anwartschaften oft völlig zum Erliegen kommt.
Hier kann ein Scheidungsverfahren leicht zwei Jahre und
länger dauern. Ein unkomplizierter Verzicht auf den Ver-
sorgungsausgleich, der sich bei geringen Ausgleichsan-
sprüchen anbietet, ist nicht ohne richterliche Genehmi-
gung oder Gang zum Notar möglich aus liberaler Sicht
eine überholte Bevormundung von scheidungswilligen
Frauen und Männern.
Letztendlich sind die versicherungsmathematischen
Grundlagen des Versorgungsausgleichs kaum noch
nachvollziehbar und für Laien schlichtweg unverständ-
lich. Das Prinzip der Rechtssicherheit und der Rechts-
klarheit bleibt also auf der Strecke. Deshalb fordere ich
für meine Fraktion nachdrücklich, das Versorgungsaus-
gleichsrecht neu zu durchdenken, neu zu konzipieren
und zu entbürokratisieren.
Ihre Ausführungen, Herr Staatssekretär, lassen mich
zumindest hoffen.
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2)
Wir kommen deshalb zur Abstimmung über die Be-
chlussempfehlung des Rechtsausschusses auf Drucksa-
he 15/953 zu dem Antrag der Fraktion der CDU/CSU
it dem Titel Versorgungsausgleich umgehend regeln
eine Schlechterstellung von Frauen bei der Alterssi-
herung. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf
rucksache 15/354 abzulehnen. Wer stimmt für diese
eschlussempfehlung? Gegenprobe! Enthaltungen?
Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Ko-
lition bei Gegenstimmen der CDU/CSU und der FDP
ngenommen.
Ich rufe den Zusatzpunkt 12 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Ralf
Göbel, Wolfgang Bosbach, Hartmut Koschyk,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
CDU/CSU
Ausschreibung des BOS-Digitalfunks im Jahr
2003 einleiten
Drucksache 15/816
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Haushaltsausschuss
Es wäre nach einer interfraktionellen Vereinbarung
ür die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Die
ollegen Hans-Peter Kemper, Ralf Göbel, Grietje
ettin, Ernst Burgbacher und der Parlamentarische
taatssekretär Fritz Rudolf Körper haben ihre Reden zu
rotokoll gegeben.2)
Deshalb kommen wir zur Abstimmung. Interfraktionell
ird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 15/816 an
ie in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorge-
chlagen. Sind Sie damit einverstanden? Das ist der
all. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 12 sowie Zusatz-
unkt 13 auf:
Anlage 5
Anlage 6
3616 Deutscher Bundestag 15. Wahlperiode 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2003
(C)
(D)
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
12 Beratung des Antrags der Abgeordneten Cornelia
der FDP
Zukunftsorientierte Energieforschung Fu-
sionsforschung in Deutschland und Europa
vorantreiben
Drucksache 15/685
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss
ZP 13 Beratung des Antrags der Abgeordneten
Katherina Reiche, Dr. Peter Paziorek, Thomas
Rachel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der CDU/CSU
Unterstützung für eine Bewerbung des Stand-
Drucksache 15/929
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung wäre für
die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die
FDP fünf Minuten erhalten sollte. Die Kollegen Ulrich
Kasparick, Dr. Martin Mayer , Michael
Kretschmer, Hans-Josef Fell und die Kollegin Ulrike
Flach sowie der Parlamentarische Staatssekretär
Christoph Matschie haben ihre Reden zu Protokoll gege-
ben.1)
Wir kommen deshalb zur Abstimmung. Interfraktio-
nell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksa-
chen 15/685 und 15/929 an die in der Tagesordnung auf-
geführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit
einverstanden? Das ist der Fall. Dann ist die Überwei-
sung so beschlossen.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages-
ordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
destages auf morgen, Freitag, den 9. Mai 2003, 9 Uhr,
ein und wünsche allen Kolleginnen und Kollegen sowie
den Besuchern einen schönen Abend.
Die Sitzung ist geschlossen.