1) Anlage 7
Deutscher Bundestag 15. Wahlperiode 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2003 3617
(A) )
(B) )
Auch die heutige Debatte verstehe ich in diesem Sinne. der Europäische Rat, eine faire Berücksichtigung solcher
Schiffssicherheit und dem Schutz der Meere aufgreifen. W
ir wissen jedoch, dass das entscheidende Gremium,
Anlage 1
Liste der entschuldigten Abgeordneten
* für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versamm-
lung des Europarates
Anlage 2
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Antrags: Vorrang für die Ost-
seesicherheit (Tagesordnungspunkt 9)
Christine Lucyga (SPD): Als ich mich auf meinen
Beitrag für diese Debatte vorbereitete, hörte ich solche
Zufälle gibt es den Sänger Reinhard Mey mit seinem
Song Das Meer. Beeindruckender kann man wohl
kaum ausdrücken, was das Meer dem Menschen bedeu-
tet und was andererseits der Mensch dem Meer allzu oft
antut. Aber anders als der Künstler, der zu dem Schluss
kommt: Wir brauchen das Meer, doch das Meer braucht
uns nicht, meine ich, dass das Meer unsere Hilfe drin-
gend braucht, wenn wir seinen Reichtum ohne Raubbau
nutzen und es gleichzeitig erhalten wollen. Dies betrifft
die Ostsee ebenso wie andere ökologisch hochsensible
Binnenmeere das Schwarze Meer etwa ; denn der
Schutz der Meere ist eine internationale Aufgabe und
Herausforderung.
So gesehen ist es zu begrüßen, dass nationale Parla-
mente, Regierungen, internationale Organisationen und
auch der Europarat immer öfter die Thematik von der
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Abgeordnete(r)
entschuldigt bis
einschließlich
Eichhorn, Maria CDU/CSU 08.05.2003
Dr. Gauweiler, Peter CDU/CSU 08.05.2003
Haack (Extertal), Karl
Hermann
SPD 08.05.2003*
Jonas, Klaus Werner SPD 08.05.2003*
Kelber, Ulrich SPD 08.05.2003*
Dr. Köhler, Heinz SPD 08.05.2003
Krüger-Leißner,
Angelika
SPD 08.05.2003
Laumann, Karl-Josef CDU/CSU 08.05.2003
Schily, Otto SPD 08.05.2003
Schulz (Everswinkel),
Reinhard
SPD 08.05.2003
Vogt (Pforzheim), Ute SPD 08.05.2003
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(D
Anlagen zum Stenografischen Bericht
An dieser Stelle soll aber insbesondere die HELCOM
rwähnt werden, in der Deutschland bisher viel umset-
en konnte. Auf dem jüngsten Treffen im März dieses
ahres in Rostock wurden wichtige Festlegungen getrof-
en, die sich zum Teil in den Forderungen des vorliegen-
en Antrages finden, aber inzwischen bereits auf den
eg gebracht worden sind. Soweit solche Maßnahmen
nternationales Völkerrecht betreffen, wie zum Beispiel
ie Forderung nach der Lotsenannahmepflicht in der
adetrinne oder die Ausweisung der Ostsee als PSSA-
ebiet, kann nur ein gemeinsames, abgestimmtes Vorge-
en zum Erfolg führen. Deshalb werden Expertengrup-
en, in denen Deutschland federführend arbeitet oder zu-
indest hochkarätig eingebunden ist, IMO-taugliche
orlagen erarbeiten.
Vorangekommen ist auch die Verständigung über
ine zügigere Ausphasung von Einhüllentankern vor
015, über die Verbesserung der Hafenstaatenkontrol-
en und die Haftung und über die Festlegung besonde-
er Verkehrstrennungsgebiete bis hin zur Ausweisung
er Ostsee als Sondergebiet. An dieser Stelle möchte
ch auf das 8-Punkte-Programm der Bundesregierung
um Schutz der Meeresumwelt und der Küstenregio-
en verweisen.
Mit Russland wird es in Zukunft eine engere Zusam-
enarbeit geben, um zu mehr Schiffssicherheit zu kom-
en; auch darum hat sich die Bundesregierung intensiv
emüht. Deutschland ist durch Schaden klug geworden
nd hat mit dem Sicherheits- und Notfallkonzept eine
orreiterrolle für Europa übernommen. Das deutsche
otschleppkonzept ist europaweit führend und mit der
inrichtung eines gemeinsamen Havariekommandos in
uxhaven ist eine handlungsfähige Einheit geschaffen
orden, in der Kompetenzen gebündelt werden. Dies
uss auch Wirkungen auf andere europäische Staaten
aben, die jetzt nachziehen müssen.
Richtig ist der Hinweis auf eine schwieriger wer-
ende Sicherheitslage durch terroristische Bedrohung.
b das neu installierte Havariekommando hier zusätzli-
he Aufgaben bekommt, wird eine Arbeitsgruppe auf
inisterieller Ebene zu klären haben.
Im vorliegenden Antrag der Opposition sehe ich kei-
en Dissens in den Zielen; dies wird auch im Vergleich
u unseren Anträgen Schiffssicherheit auf der Ostsee
erbessern und Seesicherheit optimieren deutlich, de-
en Auflagen bis auf den Prüfauftrag des Weitbereichs-
adars für die Kadetrinne als erfüllt gelten können. Es
ibt also keinen Grund, bereits Erledigtes noch einmal
u beschließen, weshalb wir Ihrem Antrag auch nicht zu-
timmen werden.
Meine Schlussbemerkung möchte ich der Europäi-
chen Seeagentur widmen. Natürlich wäre es gut, wenn
ine solche Institution in Deutschland ihren Sitz hätte,
nd natürlich setzt sich die Bundesregierung auch für
ine Berücksichtigung deutscher Standortangebote ein.
3618 Deutscher Bundestag 15. Wahlperiode 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2003
(A) )
(B) )
Mitgliedsstaaten anstrebt, die noch nicht Sitz einer euro-
päischen Institution sind. Deshalb meine ich auch, dass
wir, neben der Standortfrage, auf Kompetenz und Exper-
tenwissen für die Zusammenarbeit setzen müssen; denn
unsere Seesicherheitsbilanz kann sich in Europa nun
wirklich sehen lassen.
Dr. Maria Flachsbarth (CDU/CSU): Die Ostsee ist
eines der am stärksten befahrenen und gefährlichsten
Schiffsverkehrsgebiete der Erde. In der Kadetrinne
zwischen dem dänischen Falster und dem deutschen
Darß gibt es jährlich etwa 65 000 Schiffsbewegungen,
8 200 davon sind Tanker. Tag für Tag sind hier Einhül-
lentanker unterwegs spätestens seit der Havarie der
„Prestige im November 2002 wissen wir es können
tickende Zeitbomben sein. In den letzten 10 Jahren kam
es zu über 20 schweren Schiffsunfällen in dem nur
50 Quadratkilometer großen Gebiet der Kadetrinne.
Die Ostsee als Ökosystem hat nun einige Besonder-
heiten, die die Gefährdungen, die durch Schiffsunglücke
drohen, potenzieren. Sie ist fast ein Binnenmeer; weitge-
hend vom Festland umschlossen und besitzt mit dem
Kattegat und Skagerak nur sehr enge und flache Verbin-
dungen zur Nordsee, so dass der Wasseraustausch zwi-
schen der Ost- und Nordsee nur sehr eingeschränkt mög-
lich ist. Die Verweilzeiten, das heißt, die Dauer, die ein
Wasserteilchen theoretisch in der Ostsee verbringt, lie-
gen zwischen 25 und 35 Jahren. Alles, was in die Ostsee
eingetragen wird, verbleibt dort also sehr lange.
Ein zweites Problem ist die Lage der Ostsee in einer
niederschlagsreichen, so genannten humiden Klimazone.
Der Niederschlag und die Zufuhr von Flusswasser sind
zusammen wesentlich größer als die Verdunstung. Der
Salzgehalt in der Ostsee wird durch diesen Süßwasser-
überschuss verdünnt.
Das hat dann eine dritte große Problematik zur Folge:
Das Tiefenwasser ist salzhaltiger als das darüberliegende
Wasser und dadurch dichter. Im Ergebnis mischen sich
beide unterschiedlich dichten Wassermassen kaum mit-
einander. Der Prozess der Wassererneuerung in der Tiefe
ist dadurch sehr stark behindert; die Ausbreitung von
Sauerstoffmangel und Schwefelwasserstoff in den Tie-
fenbecken der Ostsee ist ein natürliches Phänomen. Nur
unter ganz bestimmten Witterungsbedingungen, die
mehrere Jahre auf sich warten lassen können, gibt es so
genannte Salzwassereinbrüche; bei denen salz- und
sauerstoffhaltiges Nordseewasser in großen Mengen in
die Ostsee vordringen kann.
Meine Damen und Herren, warum erläutere ich das?
Ein Ölunfall vom Ausmaß der Prestige ich möchte
nicht unerwähnt lassen, dass die Prestige auf ihrer letz-
ten Fahrt die Ostsee passiert hat hätte für das Fastbin-
nenmeer Ostsee verheerende, um nicht zu sagen kata-
strophale Folgen für Umwelt, Fischerei und Tourismus.
Dieser hat in den strukturschwachen Regionen der deut-
schen Küstenländer eine nicht hoch genug zu bewer-
tende wirtschaftliche Bedeutung. Von einer solchen Ka-
tastrophe sind wir täglich nur einen Augenschlag
entfernt. Ich erinnere beispielsweise an den russischen
Öltanker Minerva Nounou, der vor wenigen Wochen
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it 100 000 Tonnen Rohöl im finnischen Meer im Eis
estsaß. Der Tanker war nur für Eisstärken bis 30 Zenti-
eter zugelassen. Er hätte bei einer Eisdecke von
0 Zentimeter und einem Packeis von 2 Meter gar nicht
uslaufen dürfen. Völlig unverständlich hat Russland es
bgelehnt, einen Eisbrecher zu entsenden. Nur unter gro-
em Einsatz gelang es Finnland, die Fahrtrinne frei zu
ekommen und eine Ölkatastrophe in letzter Minute zu
erhindern.
Daher begrüßt die CDU/CSU-Fraktion die Entschei-
ung des EU-Ministerrates, den Transport der besonders
mweltgefährdenden Schweröle nur noch in doppelwan-
igen Tankern zuzulassen. Dieser Beschluss entspricht
nserem Antrag. Er muss nun umgehend vom europäi-
chen Parlament bestätigt und umgesetzt werden! Ein-
andige Tanker gehören nicht in die Ostsee, und zwar
b sofort!
Die CDU/CSU-Fraktion fordert den Bundeskanzler
achdrücklich auf, seine guten Beziehungen zu Präsi-
ent Putin zu nutzen, möglichst schnell die russische
lockade einer europäischen Ostseesicherheitslösung zu
eenden, dies auch vor dem Hintergrund, dass sich die
on russischer Seite ausgehende Unfallgefahr durch die
nbetriebnahme beziehungsweise Planung russischer Öl-
äfen in St. Petersburg und Vystok mit einer Kapazität
on insgesamt 40 Millionen Tonnen pro Jahr dramatisch
erschärft.
Meine Damen und Herren, auf europäischer Ebene
urde Anfang dieses Jahres begonnen, eine Europäische
gentur für die Sicherheit des Seeverkehrs, EMSA, ein-
urichten. Deren Erfolg setzt aber voraus, dass auch auf
ationaler Ebene entsprechende Maßnahmen eingeleitet
erden. Als Konsequenz aus dem Pallas-Unglück hat
ich die Bundesregierung für die Bildung eines Havarie-
ommandos in Cuxhaven entschieden. Dies ist sicher-
ich ein Schritt in die richtige Richtung, doch ist diese
aßnahme noch lange nicht ausreichend, das Wirrwarr
n Kompetenzen und Zuständigkeiten hinsichtlich des
eutschen Küstenschutzes zufriedenstellend zu lösen.
Wir brauchen eine nationale Küstenwache, nach dem
orbild der US Coast Guard und Dänemarks, das nach
em Pallas-Unglück alle Sicherheitskräfte in eine
and gelegt hat. Zu diesen Kräften müssen auch Zoll,
GS und Bundesmarine gehören, die über einschlägiges
now-how und Equipment verfügen. Deshalb wieder-
ole ich für die Union unsere Forderung nach einem Un-
allmanagement aus einem Guss mit klaren Zuständig-
eiten, einheitlicher Führung und dem Recht des
irekten Zugriffs auf alle Einheiten, weil wir im Fall ei-
er Havarie kurze Reaktionszeiten benötigen, weil wir
ine straffe, alle Kompetenzen umfassende Organisation
rauchen, weil alle an der Rettung Beteiligten nach ein-
eitlichen Grundsätzen handeln müssen und weil die
andelnden als Team aufeinander eingespielt sein müs-
en und nicht erst im Fall einer Havarie kurzfristig zu-
ammengerufen werden können.
Wir brauchen nicht nur ein Havariekommando, das
seinem Namen entsprechend erst im Falle eines Un-
lücks, einer Havarie zum Einsatz kommt. Wir brauchen
ine nationale Küstenwache, um möglichen Schiffs-
Deutscher Bundestag 15. Wahlperiode 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2003 3619
(A) )
(B) )
unglücken vorzubeugen, auch wenn dazu eine Änderung
des Grundgesetzes Artikel 87,1 und 89 notwendig
wäre. Die kürzlich erfolgte Ablehnung der Bundesregie-
rung im Verkehrsausschuss des Deutschen Bundestages,
eine nationale Küstenwache für die Bundesrepublik ein-
zurichten, ist ein deutliches Signal in die falsche Rich-
tung.
Die EU-Kommission, meine Damen und Herren, hat
Anfang dieses Jahres die Mitgliedstaaten aufgefordert,
die in der Richtlinie über die Seeverkehrsüberwachung
vorgeschriebene Ausweisung von Notliegeplätzen vor
den 1. Juli 2003 vorzuziehen. Auch hier ist die Antwort
Deutschlands mehr als unzureichend: Die Bundesregie-
rung hat auf eine entsprechende Anfrage des Kollegen
Börnsen zu Nothäfen an der deutschen Küste geantwor-
tet, es gäbe 40 davon. Nur, meine Damen und Herren,
wo und welche? Besonders erschüttert hat mich eine
Anmerkung von Frau Staatssekretärin Angela Mertens
im Plenum des Deutschen Bundestages am 20. Februar
dieses Jahres. Ich zitiere wörtlich: Zu den Nothäfen
möchte ich anmerken ... , dass wir keine Nothäfen
ausweisen. Das macht übrigens mit Ausnahme Norwe-
gens niemand. Wir haben Ihnen in unserer Antwort
deutlich gemacht, dass wir Notliegeplätze vorhalten. ...
(Es ist) bekannt, dass jede Reede und jeder Hafen als
Notliegeplatz dienen können. ... Es muss immer eine
Einzelentscheidung getroffen werden. Havarierte
Schiffe mit bestimmten Problemen können nicht überall
hingebracht werden. Insofern rate ich zu mehr Gelassen-
heit.
Frau Staatssekretärin, ihre Antwort ist ein Wider-
spruch in sich. Sie wollen jeden Hafen als Notliegeplatz,
gleichzeitig aber Einzelfallentscheidungen, weil nicht
alle Schiffe überall hingebracht werden können. Sie soll-
ten uns tatsächlich endlich Notliegeplätze vorhalten, bis-
her haben Sie sie uns eher vorenthalten. Und was ihre
Gelassenheit betrifft, so ist sie in Anbetracht dessen, was
ich eingangs über das Ökosystem Ostsee gesagt habe,
nun wirklich fehl am Platz!
Ich fordere die Bundesregierung daher nochmals im
Namen der Union eindringlich dazu auf, eine Liste der
Notliegeplätze öffentlich vorzulegen und Auskunft über
ihre personelle und technische Ausstattung zu machen,
um im Falle einer Havarie wirksam und unverzüglich
helfen zu können.
Wolfgang Börnsen (Bönstrup) (CDU/CSU): Reali-
tät ist: Die Seesicherheit auf der Ostsee hat nicht zu-
sondern in den letzten Jahren Zug um Zug abgenom-
men. Der Ostsee fehlt ein verbindliches Seesicherheits-
konzept. Die Gefahr nicht mehr beherrschbarer Um-
weltkatastrophen steigt. Dieser Trend muss gestoppt,
muss in sein Gegenteil verkehrt werden. Das ist das
Hauptziel dieses Antrages der CDU/CSU-Bundestags-
fraktion.
Wir brauchen eine Sicherheitswende für die Ostsee,
die Nordsee und die anderen Meere. Das verheerende
Öltankerunglück der Prestige vor Spaniens Küste
sollte als anhaltende Mahnung verstanden werden.
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Ich verkenne nicht, dass die EU und auch die Bundes-
egierung aus eigenem Antrieb, aber auch aufgeschreckt
urch anklagende Bilder schrecklicher Ölverschmutzung
urch die Prestige, weitere Maßnahmen zur Risiko-
inimierung getroffen haben. Doch wenn diese erst wie
ei dem Doppelhüllen-Gebot für Großtanker in zehn
ahren greifen und nicht internationaler Standard wer-
en, schaffen sie eine Scheinsicherheit, keinen tatsäch-
ichen Sicherheitsgewinn.
Wenn die EU eine neue Altersbegrenzung für Schiffe
inführen will, Russland sich jedoch knallhart weigert,
ndere Flaggenstaaten der IMO die kalte Schulter zei-
en, bleibt das Gefährdungspotenzial für die Ostsee auf
ahrzehnte erhalten.
Aus Sach- und Zeitgründen muss die Seesicherheit
hefsache werden. Fachministerkontakte der Ostsee-
nrainer sind notwendig, ein Spitzentreffen der Regie-
ungschefs zu dieser Problematik ist jedoch erforderlich.
s gilt, zu verbindlichen nationalen und internationalen
bkommen für die Ostsee zu kommen. Darauf dringen
ir. Und es darf keine Zeit verstreichen. Die Ostsee ist
in Fast-Binnenmeer. Eine Öl- oder Chemikalienkata-
trophe hier bewirkt eine ungleich größere Umweltzer-
törung als in jedem Ozean. Mensch und Natur, Fauna
nd Flora, Küsten und Strände würden dauerhaft belas-
et, beschädigt. Dazu darf es nicht kommen.
Doch fast täglich schrammen wir in der Ostsee an ei-
er Katastrophe vorbei. Das gilt für die Kadetrinne, in
er es auf engstem Raum bis zu 65 000 Schiffsbewegun-
en jährlich gibt, ohne Lotsenannahmepflicht, ohne aus-
eichende Radarüberwachung. Das gilt für die nördliche
ankerroute, auf der verstärkt Öl aus Russland befördert
ird, teilweise auf Schiffen, die nicht nur als Seelenver-
äufer bezeichnet werden, sondern eine Bordwandstärke
aben, die für Eisgang völlig ungeeignet ist.
Seit 1995 haben sich die Öltransporte verdoppelt.
reenpeace dokumentierte es: Durchschnittlich einmal
m Tag passiert ein Ölfrachter von der Güteklasse der
6 Jahre alten gesunkenen Prestige die risikoreiche
adetrinne. Allein drei dramatische Situationen hat die
innische Regierung in diesem Winter durch festsitzende
ltanker ausgemacht. In keinem Fall war Russlands Re-
ierung bereit zu handeln. Wer so die Sicherheit aller
issachtet und nicht bereit zur Kooperation ist, hat we-
er Kredite verdient noch, als Bündnispartner ernst ge-
ommen zu werden.
Doch die Beinaheunglücke umfassen nicht nur zu alte
nd ungeeignete Schiffe, sondern nach Experten-Auffas-
ung auch die Doppelhüllen-Tanker der ersten Genera-
ion. Auch wenn die Doppelwand eine deutliche Sicher-
eitsverbesserung bei Havarien oder Grundberührung
edeutet, so sind Schiffe dieser Bauart in den ersten Jah-
en vor dem In-Kraft-Treten der MARPOL-Vorschriften
992 mit einer Konstruktion aus hochfestem Stahl aus-
estattet worden, die als problematisch angesehen wer-
en, wo die Gefahr des Auseinanderbrechens besteht.
ei Bulk-Carriern dieser Bauart hat es entsprechende
nglücke bereits gegeben.
Hier sind tickende Zeitbomben unterwegs, die mehr
nternationale Kontrolle notwendig machen. Diese
3620 Deutscher Bundestag 15. Wahlperiode 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2003
(A) )
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Einschätzung gilt nicht für die Doppelhüllen-Tanker der
neuen Generation, wie sie zum Beispiel durch die Linde-
nau Werft in Kiel hergestellt werden. Hier wird hervorra-
gende Sicherheit produziert. Das Ziel in Europa muss
sein, dass nicht nur ein Ausphasen der alten Tanker er-
reicht wird, sondern dass die Ersatztonnage auch in Eu-
ropa gebaut wird.
Doch der europäische Qualitätsstandard gilt nicht
weltweit. Bei der IMO häufen sich Beschwerden über
schwerwiegende Qualitätsmängel bei Schiffsneubauten.
Es werden international verbindliche Bauvorschrif-
ten gefordert. Wir schließen uns dem an.
Der enorme Kostendruck durch subventionierte Dum-
pingpreise im Weltschiffbau verhindert Sicherheit, so ar-
gumentieren Schiffbauer und Reeder. In sechs Berichten
der EU-Kommission wurde dieser Sachverhalt doku-
mentiert. Besonders betroffen sind Schiffsneubauten aus
Fernost. Und noch ein Risikoaspekt bleibt oft uner-
wähnt: Große Pötte, die zum Beispiel Container trans-
portieren, sind in der Regel Einwandboote, bunkern je-
doch allein an Treibstoff bis zu 12 000 Tonnen Öl, das
Doppelte von dem, was kleinere Tanker geladen haben.
Verunglückt ein solches Schiff in der Ostsee, ist ein un-
ermesslicher Schaden ebenso gegeben.
Bei Tankerneubauten gilt schon heute die Doppel-
wandpflicht bei einer Ladung ab 5 000 Tonnen. Hier
müssen gleiche Standards für alle Schiffstypen geschaf-
fen werden. Auch für Tanker unter 5 000 Tonnen muss
die Doppelwand Pflicht sein. Gerade sie bedeuten eine
besondere Gefahr für Mensch und Natur; denn sie wer-
den hauptsächlich im Küstenverkehr eingesetzt.
Allein die hier genannten Beobachtungen zeigen den
Umfang der Risikospanne für die Ostsee. Hinzu kommt:
Der Schiffsverkehr im Baltischen Meer nimmt Jahr um
Jahr zu, leider auch das Alter der Boote. Hinzu kommt:
Die Öltanker werden immer größer. Auch damit steigt
das Risiko. Noch immer gibt es mehr Ein- als Doppel-
wandschiffe im Baltischen Meer. Und nach den gelten-
den Bestimmungen wird sich dieser Sachverhalt erst in
gut zehn Jahren ändern. Zehn Jahre weitere halbherzige
Sicherheit auf der Ostsee sind nicht vertretbar. Wir er-
warten, dass die Ostsee zu einem Sondergebiet erklärt
wird, es besondere Kontrollen für Risikoboote gibt und
gleiche Sicherheitsauflagen für alle Ostseeanrainer
Russland eingeschlossen.
Unser Appell zur Optimierung der Seesicherheit rich-
tet sich aber zugleich an die Schiffsbetreiber und Billig-
Flaggen-Staaten. Wenn vorrangig nach der Devise Erst
der Gewinn, dann die Sicherheit verfahren wird, ist zu
prüfen, ob der Landweg mit Ölpipelines eine Risiko-
minimierung bedeutet. Auch unser Land benötigt eine
stabile Ölversorgung, doch sie muss umweltverantwort-
lich erfolgen. Der weitaus überwiegende Teil der deut-
schen und europäischen Reeder handelt überaus verant-
wortungsbewusst und ist an Sicherheit orientiert. Es sind
die schwarzen Schafe, die die Seesicherheit durch man-
gelnde Technik und unvertretbare Behandlung des Bord-
personals gefährden. Hier setzt die Eigenverantwortung
der Verbände an.
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Unabhängig davon wiederhole ich noch einmal: Der
stsee fehlt ein verbindliches Seesicherheitskonzept.
ine Richtungsänderung ist dringend geboten. Deshalb
ordere ich Sie auf, unserem Antrag heute zuzustimmen.
Rainder Steenblock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
EN): Die großen Tankerkatastrophen der letzten Jahre
aben die Öffentlichkeit in hohem Maße für die Fragen
er Schiffssicherheit und der Meeresverschmutzung sen-
ibilisiert. Das ökologische und ökonomische Gefähr-
ungspotenzial im Falle einer Tankerkatastrophe ist für
ie Ostsee und die Küstenanrainer enorm. Deshalb ist es
ichtig und wichtig, hier in diesem Hohen Hause ver-
tärkt über Sicherheitsstrategien zu reden. In diesem
inne begrüße ich grundsätzlich den Antrag der CDU/
SU, auch wenn ich in der Sache in einigen Punkten
eutliche Differenzen zu den vorgelegten Forderungen
abe.
Die Bundesregierung und die Europäische Union
EU) haben in ihren Aufgabenbereichen viele vernünf-
ige Initiativen ergriffen, die für mehr Sicherheit auf den
eeren und in den Küstengewässern sorgen. Ich nenne
ier nur die beiden Erika-Maßnahmenpakete der EU
nd die Schaffung eines Havarie-Kommandos in Cuxha-
en. Aber damit ist noch nicht alles getan, was notwen-
ig wäre, um die Sicherheit der Meere nachhaltig zu ge-
ährleisten. Insbesondere bereitet mir die Situation in
er Kadetrinne Sorgen. Angesichts der deutlich steigen-
en Schiffsdurchfahrten ist das nicht mehr zu verantwor-
en. Deshalb ist die Forderung richtig, umgehend mit den
stseenachbarn eine Lotsenannahmepflicht und eine
eldepflicht zu vereinbaren. Dies gilt auch für ein ost-
eeweites Netz von Notliegeplätzen und Nothäfen und
ür den Ausbau der Radarüberwachung. Im Rahmen von
ELCOM sind viele vernünftige Initiativen verwirklicht
orden, die ein Mehr an Sicherheit für die Ostsee ge-
racht haben. In dieser Tradition sollten auch Verhand-
ungen geführt werden, die Ostsee als Sondergebiet aus-
uweisen, in dem nur noch Doppelhüllentanker
ugelassen sind.
Aber Sie wissen auch, dass in all diesen Fragen die
ationalen Kompetenzen eng begrenzt sind. Und auch
enn fast alle Ostseeanrainerstaaten schon Mitglieder
er EU sind oder es in Kürze sein werden, ohne die Ein-
indung der Russischen Förderation wird es nicht zu ei-
em überzeugenden Sicherheitskonzept für die Ostsee
ommen. Und deshalb ist es richtig, dass die deutsche
undesregierung diesen Verhandlungen höchste Priorität
eimisst.
In all diesen Fragen sind wir praktisch einer Meinung
nd die sollten wir auch im Interesse unseres Landes, der
icherheit der Meere und unserer Küsten gemeinsam
ertreten.
Was wir allerdings nicht mitmachen, ist eine Grund-
esetzänderung durch die Hintertür. Die Regelung, die
ie für eine künftige Küstenwache vorschlagen, ist mit
er grundgesetzlichen Trennung von polizeilicher und
ilitärischer Gewalt nicht vereinbar und auch völlig un-
ötig. Der Einsatz der Bundeswehr in Katastrophenfäl-
en ist eindeutig geregelt. Den Versuch der CDU/CSU,
Deutscher Bundestag 15. Wahlperiode 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2003 3621
(A) )
(B) )
Bundeswehreinsätze im Inneren durch immer neue trick-
reiche Varianten durchzusetzen, werden wir entschieden
und beharrlich zurückweisen.
Allerdings halten auch wir die Weiterentwicklung des
Havarie-Kommandos in Cuxhaven zu einer noch schlag-
kräftigeren Organisation für geboten. Parallele Struktu-
ren und unterschiedliche, sich teilweise gegenseitig be-
hindernde Kompetenzhierachien müssen konsequent
abgebaut werden. Nur dann werden wir über eine
schlagkräftige Küstenwache verfügen, die im Notfall
schnell und effektiv reagieren kann.
Unverständlich erscheint mir in ihrem Antrag der
Hinweis auf eine mögliche Sonderbehandlung von Malta
und Zypern bei den EU-Beitrittsverhandlungen im Hin-
blick auf das Seerecht. Auch nach nochmaliger Lektüre
des Beitrittsvertrages ergeben sich keine Sonderbedin-
gungen für diese Staaten. Mit dem Beitritt Maltas und
Zyperns gelten alle diesbezüglichen Regeln der EU ab
dem ersten Tag ihrer Mitgliedschaft.
Lassen Sie mich zum Schluss noch vier Punkte nen-
nen, die unverzichtbar sind, wenn wir die Sicherheit auf
der Ostsee nachhaltig erhöhen wollen.
Erstens müssen wir verstärkt Gebrauch machen von
der Möglichkeit, bestimmte Gebiete als besonders emp-
findliche Meeresgebiete (PSSA) auszuweisen und dies
an die International Maritime Organisation (IMO) zu
melden. Innerhalb eines PSSA können wir, international
legitimiert, höhere Sicherheitsauflagen für alle Schiffe
durchzusetzen.
Zweitens müssen wir die Versicherungs- und Haf-
tungssummen den tatsächlichen Schadensereignissen an-
passen.
Drittens müssen wir dafür sorgen, dass die Hafenstaa-
tenkontrollen noch stringenter auch in den deutschen
Ostseehäfen durchgeführt werden.
Viertens müssen wir uns dafür einsetzen, die interna-
tionalen Standards in der Ausbildung der Seeleute zu er-
höhen. Nur eine gut ausgebildete und untereinander
kommunikationsfähige Schiffsbesatzung, das heißt eine
Besatzung, die dieselbe Sprache spricht, kann in Gefah-
rensituationen schnell und richtig reagieren. In diesem
Zusammenhang möchte ich darauf hinweisen, dass wir
auch unter dem Gesichtspunkt der Schiffssicherheit kein
Interesse an einer weiteren Ausflaggung haben können.
Lassen Sie mich zum Schluss noch einmal darauf hin-
weisen, dass die Vermeidung von Gefährdungen die
beste Sicherheitsstrategie ist. Das heißt, jeder Tropfen
Öl, der nicht über die Weltmeere nach Deutschland ge-
bracht wird, sondern durch Energieeinsparung oder rege-
nerative Energien ersetzt wird, ist die beste aller Sicher-
heitsvorkehrungen überhaupt.
Hans-Michael Goldmann (FDP): Ich freue mich,
dass wir abermals die Gelegenheit haben, in diesem
Hause über maritime Fragen zu sprechen. Auch wenn
der eigentliche Anlass, der Antrag der CDU/CSU, zu
weniger Freude Anlass bietet. Natürlich haben sie Recht
mit einer Reihe von Forderungen in Ihrem Antrag. Doch
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ls Opposition sollten wir dort, wo es geboten erscheint,
uch einmal die Regierung loben. Wir können Russland
un einmal nicht zwingen, einer Lotsenannahmepflicht
uzustimmen. Wir können nur immer wieder in den Ver-
andlungen auf die Wichtigkeit abstellen und müssen
urch Beharrlichkeit zum Ziel kommen.
Im Bereich der internationalen Bemühungen für ver-
indliche Übereinkommen zum Schutz der Ostsee aner-
enne ich das Bemühen der Bundesregierung ausdrück-
ich.
Immer wieder skandieren Sie von der CDU und Sie
on der Bundesregierung: Verbietet endlich die Einhül-
entanker und unsere Probleme mit der Gefahr von Öl-
ransporten sind gelöst.
Ich warne davor, den Menschen an der Küste diese
nscheinend einfache Lösung in dieser Form zu verkau-
en. Natürlich bieten Doppelhüllentanker eine große La-
ungssicherheit und vor allem minimale Ladungsreste.
nd auch ohne Verbote gehen die Charterungen von
inhüllentankern zurück. Aber Doppelhüllentanker sind
ein Allheilmittel in Sachen Küstenschutz.
Wir haben vergangenen Montag eine maritime Fach-
agung durchgeführt. Dort wurde von den Experten deut-
ich herausgestellt, dass es vor allem auf Unfallvermei-
ung ankommt und da vor allem auf so wichtige Dinge
ie Ausbildung, ausgereifte Sicherheitstechnik und Si-
herheitsverfahren.
Auch Doppelhüllentanker können als Havaristen en-
en. Ein Bergungsfachmann meinte gar, ein gut gepfleg-
er Einhüllentanker sei ihm allemal lieber als ein Dop-
elhüllentanker, die viel anfälliger für Korrosion und im
avariefall viel schwerer leerzupumpen seien. Mir
urde berichtet, dass die heutige Technik kaum in der
age sei, einen gesunkenen Doppelhüllentanker ab ei-
em bestimmten Neigungswinkel so anzubohren, dass
in Leerpumpen ermöglicht wird. Ein Forschungsantrag
eim BMBF zur Entwicklung neuer Techniken wurde
eider auf das nächste Jahr verschoben, obwohl
0 000 Euro Drittmittel eingeworben wurden.
Mit diesem Beispiel will ich verdeutlichen, dass dem
üstenschutz nicht gedient ist, wenn man mit plakativen
orderungen um sich wirft, sondern dass man sich zur
erbesserung des Küstenschutzes schon einmal in die
iederungen der Detailprobleme begeben muss.
Wir haben uns letzten Montag auch mit einem weite-
en Thema aus dem Antrag der CDU beschäftigt: die
orderung nach Schaffung einer nationalen Küstenwa-
he. Ich schiebe es gleich vorweg: Die FDP hat sich zu
iesem Thema noch keine abschließende Meinung gebil-
et, da es auch hier nicht mit dem plakativen Aufstellen
iner Forderung getan ist. Angesichts der immer noch
ehlenden Detailregelungen für das Havariekommando
ege ich durchaus Sympathie für die Forderung nach ei-
er Küstenwache, wie sie auch von der Schutzgemein-
chaft Deutsche Nordseeküste immer wieder erhoben
ird.
Doch die Kolleginnen und Kollegen von der CDU/
SU bleiben jedes Detail für diese Forderung schuldig
3622 Deutscher Bundestag 15. Wahlperiode 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2003
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und das wundert mich auch nicht, da auch hier der Teu-
fel in eben demselben steckt.
Schon das Havariekommando ist eine Sonderstelle,
die nicht in die Struktur der Wasser- und Schifffahrtsver-
waltung eingebunden ist, die langjährige Erfahrung mit
dem Sicherheitsmanagement auf den deutschen Gewäs-
sern vorweisen kann. Bevor wir uns hier hinstellen und
eine Küstenwache fordern, sollten wir uns doch erst ein-
mal Gedanken machen über die Probleme, die mit der
Umsetzung einer solchen Forderung verbunden sind. Ich
möchte zum Beispiel nicht, dass eine zu schaffende Küs-
tenwache wegen der von den Innenpolitikern geltend ge-
machten Sicherheitsinteressen bei der Terroristenabwehr
im Innenministerium angesiedelt würde. Wir dürfen
keine Strukturen schaffen, die die bisherigen Seesicher-
heitsbemühungen auf den Kopf stellen.
Wir müssen Strukturen schaffen, die das maritime
Know-how bündeln und andere Aspekte der Gefahren-
abwehr und Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung
bei den maritimen Fachleuten integriert. Dann kämen
wir entscheidende Schritte weiter.
Ich halte das Thema Küstenwache für ein wichtiges
Thema für ein so wichtiges Thema, dass wir es hier
nicht mit einem solchen Schnellschuss beerdigen sollten.
Wir sollten gemeinsam und ergebnisoffen in eine Fach-
diskussion hierzu eintreten.
In anderen Bereichen der Ostseesicherheit sind wir
entscheidende Schritte weiter gekommen. So haben wir
seit einigen Monaten endlich den Notfallschlepper Ost-
see im Einsatz und ich habe mich bei einem Besuch auf
der Fairplay 26 von dem großen Know-how der Besat-
zung in Seesicherheitsfragen überzeugen können.
Umso weniger kann ich die Bundesregierung verste-
hen, dass sie sich nach wie vor weigert, angesichts leerer
öffentlicher Kassen an einem öffentlich gebauten und öf-
fentlich betriebenen Schadstoffbekämpfungsschiff fest-
zuhalten. Das SUBS für die Ostsee könnte von privater
Seite bereedert werden und ich bin überzeugt, dass wir
damit auch gutes Know-how einkaufen würden.
Abschließend noch eine Bemerkung zur allgemeinen
maritimen Politik der Bundesregierung. Eines ist bei un-
serem Maritimen Forum ganz deutlich geworden: Die
Fachleute fragen sich, wozu die Bundesregierung aber-
mals zu einer Nationalen Maritimen Konferenz einlädt,
wenn die Beschlüsse der letzten Konferenzen zu einem
großen Teil nicht nur keine Beachtung finden, sondern
durch Bestrebungen der Finanzpolitiker immer wieder
konterkariert werden. Wie ernst nimmt die Bundesregie-
rung denn ihre nationalen maritimen Konferenzen selbst,
wenn sie immer wieder an der Tonnagesteuer kratzt oder
den Lohnsteuereinbehalt infrage stellt? Für die nächste
Tagung in zwei Wochen könnten die Reden der letzten
Konferenz allesamt wieder aus dem Archiv geholt wer-
den und niemand würde es wahrscheinlich merken.
Wir brauchen endlich eine nationale Offensive zur
Förderung der Schifffahrt mit all ihren Potenzialen. Kein
anderer Wirtschaftszweig muss sich in gleichem Maß ei-
nem globalen Wettbewerb stellen wie die Seeschifffahrt.
Doch schon innerhalb der EU haben wir drastische Un-
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erschiede bei den Wettbewerbsbedingungen. Es ist ein-
ach nicht hinnehmbar, wenn einige unserer Nachbarn
is zu 100 Prozent Lohnnebenkosten und Lohnsteuer-
ubventionen gewähren und die so bevorteilten Reeder
ntscheidende Vorteile gegenüber ihren deutschen Mit-
ewerbern genießen. Da müssen wir uns dann auch nicht
undern, wenn der deutsche maritime Standort immer
eiter unter Druck gerät. Hier erwarte ich Antworten
nd Taten der Bundesregierung und keine Sonntagsre-
en auf nationalen maritimen Konferenzen.
Angelika Mertens, Parl. Staatssekretärin beim Bun-
esminster für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen: Der
ntrag der CDU/CSU-Fraktion fordert die Bundesregie-
ung, die Ostseeanrainerstaaten und die EU-Kommission
ur Entwicklung eines gemeinsamen Sicherheitskonzep-
es auf. Da drängt sich eine Frage auf: Wer hat die Eulen
ach Athen getragen?
Es ehrt den Antragsteller, den Kollegen Börnsen, dass
r hartnäckig das Thema Ostseesicherheit wohl vor al-
em seinen eigenen Leuten näher bringen will. Die Bun-
esregierung kann er wirklich nicht meinen! Der größte
eil Ihrer Forderungen liegt bei uns in guten Händen.
Aber nun ist Opposition bekanntlich jener erkenntnis-
ördernde Zustand, in dem eine Partei zu der Einsicht
ommt, dass Missstände, die während ihrer eigenen Re-
ierung zu klein und unbedeutend waren, nun wirklich
berhand nehmen.
Auch die Opposition weiß, dass der EU-Rat im De-
ember letzten Jahres ein umfangreiches Paket an Maß-
ahmen zum Schutz der Meeresumwelt und der Küsten-
egionen angenommen hat.
Bundesminister Dr. Stolpe hat im Dezember 2002 ein
-Punkte-Programm für die schnelle Umsetzung der von
er EU beschlossenen Maßnahmen zu mehr Sicherheit
uf See vorgelegt. Dabei wurde besonderes Augenmerk
uf Maßnahmen gerichtet, die zur Verbesserung der
chiffssicherheit in der Ostsee führen.
Sie wissen aber auch, dass verbindliche Festlegungen
ür ein Sicherheitskonzept für die Ostsee nur im Rahmen
er Internationalen Seeschifffahrtsorganisation, IMO, er-
olgen können. Die Bundesregierung setzt sich interna-
ional mit Nachdruck dafür ein, die bereits beschlosse-
en Maßnahmen zur Verbesserung der Umweltsituation
n der Ostsee und der Sicherheit der Schifffahrt wie zum
eispiel die Einrichtung von Verkehrstrennungsgebieten
der die Ausweisung der Ostsee als Sondergebiet fortzu-
ntwickeln.
Minister Stolpe hat mit dem russischen Verkehrsmi-
ister Frank am 12. April 2003 vereinbart, eine gemein-
ame hochrangige Arbeitsgruppe einzurichten, die sich
it allen Fragen der Schiffssicherheit, insbesondere der
ankersicherheit in der Ostsee, befassen soll. Deutsch-
and wird die russische Delegation zu einem ersten Ge-
präch noch vor der Sommerpause nach Hamburg einla-
en. Die russische Seite hat anlässlich dieser Gespräche
ereits zugesichert, dass keine Einhüllentanker mehr in
en neuen russischen Ölhafen Primorsk einlaufen dür-
en.
Deutscher Bundestag 15. Wahlperiode 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2003 3623
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Ihrer Forderung nach einer flächendeckenden Radar-
überwachung der Ostsee werden wir deshalb nicht nach-
kommen, weil dies weit entfernt vom Stand der Technik
ist und die Ostseeanrainer schon viel weiter sind.
Im Rahmen der Helsinki-Kommission, HELCOM,
wird von den Ostseeanrainerstaaten derzeit vielmehr ein
ostseeweites AIS-gestütztes Automatic Identification
System Beobachtungssystem festgelegt, das mit dem
gemeinschaftlichen Überwachungs- und Informations-
system für den Schiffsverkehr der EU kompatibel sein
soll.
Am 1. Januar 2003 hat ein einheitliches Havariekom-
mando seinen Dienst zur Koordinierung von Einsätzen
im Küstenbereich und auf Hoher See aufgenommen.
Dieses Kommando führt die unterschiedlichen Einsatz-
kräfte und Ressourcen in einem gemeinsamen Unfallma-
nagement in Nord- und Ostsee zusammen. Damit wird
gewährleistet, dass die Reaktion auf Schadensfälle un-
verzüglich und unter einheitlicher und strukturierter
Führung erfolgt.
Die sich ständig verändernde Gefährdungslage, vor
allem die veränderte Sicherheitslage aufgrund terroristi-
scher Bedrohung, erfordert laufend Maßnahmen zur Ver-
besserung der Schlagkraft und Effizienz der Gefahrenab-
wehr im Bereich Seeverkehr. Hierzu wird in Kürze eine
Arbeitsgruppe unter Federführung des Bundesministeri-
ums des Innern ihre Arbeit aufnehmen.
Aus unserer Sicht ist es wichtig, dass bei allen Vor-
schlägen zur Verbesserung der Schiffssicherheit, insbe-
sondere bei der Außerdienststellung älterer Einhül-
lentanker, bei den Kontrollen und den Haftungsfragen
bestmögliche und einheitlich praktizierte Standards auf
breiter Grundlage zur Anwendung kommen.
Über eine vorgezogene Außerdienststellung von Ein-
hüllentankern von 2015 auf 2010 haben sich die EU-
Verkehrsminister im März verständigt und bereits bei der
IMO als gemeinsamen Antrag der EU-Mitgliedstaaten
vorgelegt. Ein Hafenanlaufverbot für besonders gefährli-
che Einhüllentanker wird im Juli 2003 nach Inkrafttreten
der entsprechenden Rechtsvorschrift praktiziert werden.
Ein generelles Verbot für Einhüllentanker in der Ost-
see kann nur im internationalen Rahmen der IMO durch-
gesetzt werden. So lange diese Schiffe den internationa-
len Anforderungen entsprechen, kann ihnen nämlich die
friedliche Durchfahrt in internationalen Gewässern nicht
verwehrt werden. Verbote können unter bestimmten Be-
dingungen für den Hafenanlauf ausgesprochen werden,
außerdem besteht die Möglichkeit, durch eine gemein-
same Initiative der Ostseeanrainerstaaten für die Tank-
schiffe einen küstenfernen Schifffahrtsweg vorzugeben.
Daran wird derzeit im Rahmen der HELCOM gearbeitet.
Für die EU-Beitrittskandidaten gibt es im Bereich der
Seesicherheit keine Übergangsvorschriften. Mit dem
Beitritt muss der acquis communautaire erfüllt sein.
Die EU und die Mitgliedstaaten helfen den neuen Mit-
gliedern bei der Erfüllung des acquis und die in Ihrem
Antrag genannten Länder werden auf die Notwendigkeit
hingewiesen, unverzüglich Maßnahmen zur Verbesse-
rung der Schiffssicherheit zu ergreifen.
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Deutschland hat eine umfassende Richtlinie für die
uweisung von Notliegeplätzen im Rahmen der mariti-
en Notfallvorsorge erarbeitet; diese wird zurzeit mit
en Küstenländern abschließend abgestimmt. Für die
eutsche Küste sind 40 Notliegeplätze vorgesehen.
Das deutsche Notschleppkonzept für Nord- und Ost-
ee basiert auf neuesten wissenschaftlichen Erkenntnis-
en und ist bereits jetzt in Europa führend. Mit einem
ostenaufwand von 13 bis 15 Millionen Euro jährlich
erden flächendeckend Notschleppkapazitäten vorge-
alten, die Eingreifzeiten zu einem Havaristen von ma-
imal 2 Stunden gewährleisten sollen.
Sie sehen, Ihr Anliegen nach mehr Sicherheit in der
stsee ist lange vor dem Druck dieses Antrages aufge-
ommen worden. Wir wissen alle, dass es eine letzte Si-
herheit nicht gibt. Aber Sie können sicher sein, dass wir
ns mit besonderer Hartnäckigkeit auf europäischer und
nternationaler Ebene einsetzen werden, was größtmög-
iche Schiffssicherheit und Sicherheit in Nord- und Ost-
ee betrifft.
nlage 3
Zu Protokoll gegebene Reden
zum Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung
des Rechts der Kriegsdienstverweigerung
(Kriegsdienstverweigerungs-Neuregelungsge-
setz)
(Zusatztagesordnungspunkt 11)
Andreas Weigel (SPD): Der vorliegende Gesetzent-
urf zur Neuregelung des Kriegsdienstverweigerungs-
esetzes ist ein weiteres gutes Signal aus dem Bundes-
amilienministerium. Das Ministerium unter Renate
chmidt erkennt den notwendigen Handlungsbedarf und
ieht daraus die Konsequenzen. Es passiert etwas in der
amilien- und Jugendpolitik. Ich möchte Ihnen, Frau
iemann-Hanewinkel, auch im Namen meiner Fraktion
afür meine Anerkennung aussprechen. Der vorliegende
esetzentwurf ist beispielhaft für Ihre Arbeit.
Das Kriegsdienstverweigerungsgesetz ist in seiner
eutigen Form ein Relikt aus einer anderen Zeit. Solda-
en, die in Ihrer Dienstzeit den Kriegsdienst verweigern,
erden noch immer vor Ausschüsse geladen, um in ei-
er mündlichen Verhandlung ihre Gewissensentschei-
ung prüfen zu lassen. Das ist ein Verfahren aus Zeiten
es Kalten Krieges und passt nicht mehr in die bundes-
eutsche Wirklichkeit des 21. Jahrhunderts. Durch den
istorischen und politischen Wandel wird Kriegsdienst-
erweigerung in unserer Gesellschaft mittlerweile ganz
nders gesehen als noch vor 20 Jahren.
Deshalb gibt es die mündliche Prüfung für die meisten
riegsdienstverweigerer schon lange nicht mehr. Das
undesamt für den Zivildienst bearbeitet jährlich über
80 000 schriftliche KDV-Anträge. Dieses Verfahren hat
ich längst bewährt. Da fragt man sich zu Recht: Warum
ollen die durchschnittlich etwa nur 2 300 Anträge jähr-
ch aus den Reihen der Soldaten das sind knapp mehr
ls 1 Prozent aller Anträge weiterhin durch ein
3624 Deutscher Bundestag 15. Wahlperiode 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2003
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aufwendiges und überhaupt nicht mehr zeitgemäßes Ver-
fahren geschleust werden?
Auf diesen offensichtlichen Anachronismus hat das
Familienministerium nun in bemerkenswerter Weise rea-
giert. Man hat alle Betroffenen an einen Tisch geholt.
Man hat das Gesetz gemeinsam vereinfacht und ent-
staubt. Als Ergebnis liegt uns eine Neuregelung vor, die
für alle Beteiligten eine Erleichterung bedeutet. Der Ge-
setzentwurf findet im Verteidigungsministerium genauso
Zustimmung wie bei der Zentralstelle für Recht und
Schutz der Kriegsdienstverweigerer.
Die Verantwortung für alle Anträge auf Kriegsdienst-
verweigerung soll jetzt dort liegen, wo sie hingehört:
beim Bundesamt für den Zivildienst. Es wird keine pa-
rallelen Strukturen zwischen Bundesamt und Verteidi-
gungsministerium mehr geben. Damit wird ein enormer
bürokratischer Aufwand vollständig beseitigt und durch
den Wegfall der Prüfungsausschüsse werden auch die
Kommunen finanziell und organisatorisch spürbar ent-
lastet. Kurz: Hier werden Strukturen deutlich ver-
schlankt. Das neue Kriegsdienstverweigerungsgesetz
wird 13 Paragraphen haben, das alte hat 23 Paragraphen.
Dennoch wurden alle im Vorfeld geäußerten Bedenken
im Gesetzentwurf berücksichtigt. So ist es jetzt auf An-
regung des Deutschen Bundeswehrverbandes ausdrück-
lich vorgesehen, dass bei KDV-Anträgen von Zeit- und
Berufssoldaten eine Stellungnahme bei den Disziplinar-
vorgesetzten eingefordert wird. Sollten dabei Unge-
reimtheiten auftauchen, so kann das Bundesamt dem
nachgehen. Mit dieser Lösung können alle leben und ein
befürchteter Missbrauch des Gesetzes wird verhindert.
Aber auch für die übrigen Verfahren sieht der Gesetz-
entwurf Veränderungen vor. Das sind ebenfalls Verände-
rungen, mit denen das Gesetz unserer heutigen Zeit an-
gepasst wird. Allein die geschlechtergerechte Aus-
formulierung des Gesetzes berücksichtigt endlich auch
hier, dass Frauen in der Bundeswehr mittlerweile zur
Normalität unserer Gesellschaft gehören. Genauso ist
der unnötige finanzielle Aufwand für Kriegsdienstver-
weigerer, grundsätzlich ein polizeiliches Führungszeug-
nis vorlegen zu müssen, nicht mehr angemessen. Das
wird zukünftig nur noch im Zweifelsfall vonnöten sein.
Der vorliegende Gesetzentwurf der Bundesregierung
spiegelt die gesellschaftliche Einstellung zur Kriegs-
dienstverweigerung wider. Verabschieden wir uns end-
lich vom Verfahren der zweifelhaften Gewissensprü-
fung, von einem Verfahren, das aus Zeiten stammt, die
wir Gott sei Dank hinter uns gelassen haben! Zeigen wir
den jungen Menschen, dass sie mündige Bürger inner-
halb unserer Zivilgesellschaft sind, dass sie sehr wohl
vor ihrem Gewissen entscheiden können, in welcher
Form sie sich als Bürger in unserer Gesellschaft engagie-
ren wollen. Wir wollen, dass unsere Jugend eine freie
Entscheidung über die Form ihres gesellschaftlichen
Dienstes trifft. Dabei darf nicht das Hinterfragen dieser
Entscheidungen im Vordergrund unseres politischen
Handelns stehen. Vielmehr ist es unsere Aufgabe, die
Attraktivität der verschiedenen Dienste zu erhalten und
auszubauen. Davon profitieren die zivilen Dienste ge-
nauso wie die Bundeswehr.
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Es gehört zu den höchsten Aufgaben parlamenta-
ischer Arbeit, die Gesetzgebung auf den Punkt zu
ringen, sie zu straffen, sie auf das Wesentliche zu redu-
ieren. Mit Debatten von gestern erhalten wir bürokrati-
chen Aufwand von gestern.
Wenn wir jetzt nicht schnell den vom Bundesfamili-
nministerium eingeschlagenen Weg mitgehen, dann
ird das Verteidigungsministerium zum 1. Januar 2004
ieder Ausschüsse neu besetzen müssen, dann werden
ie Kommunen ebenfalls neue Beisitzer wählen müssen,
ann werden die Kammern sich weiterhin mit aufwendi-
en Widerspruchsverfahren bemühen müssen. Kurz: Das
anze mühsame und überflüssige Verfahren würde wie-
er neu in Gang gesetzt. Ich kenne niemanden, der das
ill.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition,
assen Sie uns die erkennbare Einigkeit zur Neuregelung
es Kriegsdienstverweigerungsgesetzes nutzen. Lassen
ie uns das Gesetz im parlamentarischen Verfahren
chnell auf die Beine stellen!
Thomas Dörflinger (CDU/CSU): Diese Bundesre-
ierung trifft auf eine konstruktive Opposition. Das wird
ich auch heute in dieser Debatte um das von der Bun-
esregierung vorgelegte Kriegsdienstverweigerungsneu-
egelungsgesetz erweisen. Im Gegensatz zu Rot-Grün,
as hat sich ja heute Morgen in der Debatte um den Op-
erschutz gezeigt, lehnen wir Ihre Gesetzentwürfe nicht
infach ab, sondern wir sehen sie uns zunächst an, be-
erten sie und fällen dann eine Entscheidung, ob das zu-
timmungsfähig ist oder nicht.
Um es vorwegzunehmen: Der Kernpunkt des von Ih-
en heute eingebrachten Gesetzesentwurfs ist berechtigt.
a die Gewissensprüfung im herkömmlichen Sinne
eute nicht mehr stattfindet, sind die Ausschüsse und
ammern zur Abnahme dieser Prüfung im Grunde obso-
et. Und es ist berechtigt, Überlegungen anzustellen, wie
an zu einer Vereinfachung des Verfahrens kommen
ann.
Allerdings: Nach über vier Jahren Erfahrung rot-grü-
er Regierungspolitik sind berechtigte Zweifel ange-
racht, wenn Rot-Grün zum Bürokratieabbau ansetzt.
ie Tatsache, dass ein Gesetz nach der Novelle weniger
aragraphen hat als vorher, ist nämlich per se noch kein
usweis dafür, dass tatsächlich Bürokratieabbau stattge-
unden hat.
Ich will hierfür zwei konkrete Beispiele nennen und
leichfalls auch Verbesserungsvorschläge unterbreiten:
Erstens. Mir leuchtet nicht ein, weshalb künftig bei
er Antragstellung auf Kriegsdienstverweigerung die
orlage eines Führungszeugnisses unterbleiben soll. Das
at gar nichts mit pauschalen Verdachtsmomenten zu
un. Wenn das Führungszeugnis auch künftig Bestandteil
es Antrags wäre, könnten wir uns Abs. 3 des § 6 im Ge-
etzesentwurf sparen, der sich nämlich damit beschäf-
igt, dass das Bundesamt ein Führungszeugnis anfordern
ann. Das wäre ein Beitrag zur Verwaltungsvereinfa-
hung.
Deutscher Bundestag 15. Wahlperiode 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2003 3625
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Zweitens. Es wäre sinnvoll, wenn zukünftig der An-
tragseingang ausschließlich beim Kreiswehrersatzamt
angesiedelt wäre und die Möglichkeit, nach einer Frist-
verlängerung den Antrag direkt beim Bundesamt zu stel-
len, entfiele. Wir könnten hierdurch auf die Abs. 2 und 3
des § 2 verzichten. In der Praxis bedeuteten die Vorga-
ben des Gesetzesentwurfs nämlich, dass ein Teil der Per-
sonalakte beim Kreiswehrersatzamt und ein Teil beim
Bundesamt eingeht, weshalb dann ein umständliches Zu-
sammenführen notwendig wird. Auch hier also ein kon-
kreter Vorschlag von uns zur Verwaltungsvereinfachung.
Drittens. Auch bei diesem Gesetzesentwurf gelten die
Grundsätze der Haushaltsklarheit und -wahrheit. So
muss betont werden, dass die in Rede stehenden 66 Plan-
stellen im Bundesministerium der Verteidigung nicht
eingespart werden, sondern eine andersartige Verwen-
dung finden. Freilich: Mögliche Anhörungen werden im
Zweifelsfall nicht durch das Kreiswehrersatzamt, son-
dern direkt durch das Bundesamt vorgenommen. Das
provoziert Mehrkosten alleine schon durch die Fahrtkos-
tenerstattungen vom Heimatort nach Köln. Das mag in
der Summe noch keine große Zahl sein; es müsste
aber wenigstens in der Begründung zu diesem Gesetz er-
wähnt werden. Das ist nicht der Fall und dies bemängeln
wir.
Ich hoffe, dass wir in den Ausschussberatungen zu ei-
nem vernünftigen Verfahren kommen können und Sie
ausnahmsweise die Vorschläge der Opposition nicht nur
deswegen ablehnen, weil sie von der Opposition stam-
men.
Eine solche Debatte muss aber auch Anlass sein, ei-
nige Worte zur gegenwärtigen Situation im Zivildienst
zu verlieren. Dabei geht es nicht darum, die Lage unnö-
tig verbal zu dramatisieren; sie ist dramatisch genug. Ex-
emplarisch hierfür steht eine Meldung der Stuttgarter
Zeitung von heute, wo unter der Überschrift Keine Be-
treuung ohne Zivis der Körperbehindertenverein Stutt-
gart darstellt, dass er in den vergangenen Jahren Som-
merfreizeiten und Fahrdienste reduzieren musste und
eine ganz bittere Situation fürchtet, wenn die Wehr-
pflicht und damit auch der Zivildienst fiele.
Genau diese Frage, nämlich die Zukunft des Zivil-
dienstes, war Gegenstand der Ausschusssitzung vom
8. April diesen Jahres. Gestützt auf eine Meldung der
Süddeutschen Zeitung vom gleichen Tag, nach der in
der Bundesregierung eine Entscheidung getroffen wor-
den sei, Wehrpflicht und Zivildienst auf sechs Monate zu
verkürzen, fragte ich die Parlamentarische Staatssekretä-
rin Riemann-Hanewinckel, was es denn damit auf sich
habe und weshalb der Ausschuss hierüber nicht infor-
miert werde. Die Antwort lautete seinerzeit sinngemäß,
dass die Berichterstattung der Süddeutschen Zeitung
einer realen Grundlage entbehre. In der gleichen Zeitung
vom 5. Mai diesen Jahres läßt sich nun der SPD-Vertei-
digungspolitiker Arnold mit der Forderung vernehmen,
den Wehrdienst auf sechs Monate zu verkürzen. Und
heute nachmittag erfahre ich, dass die Ministerin dem
Ausschuss am 4. Juni die Ehre geben wird. Ich frage
mich, ob wir dann endlich erfahren, was denn eigentlich
im Zivildienst Sache sein wird. Ansonsten könnten wir
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ns auch auf ein Abo der Süddeutschen verständigen,
as dann aber die Bundesregierung bezahlen müsste.
Das ist nicht nur eine Missachtung des Parlaments
nd seiner Ausschüsse, das schafft auch ein Klima der
ortgesetzten Verunsicherung bei allen Beteiligten. Trä-
er und Zivildienstleistende brauchen wenigstens eine
ittelfristige Planungssicherheit, ansonsten wird man
ich aus der Beschäftigung von Zivildienstleistenden
erabschieden.
In jedem Wahlkreis gibt es mittlerweile junge Män-
er, die auf ihre Einberufung warten, aber nicht einberu-
en werden mit allen negativen Konsequenzen in der
ebensplanung der jungen Leute. Eine Lehrstelle finden
iese jungen Männer aber auch nicht, da wir in Deutsch-
and grassierenden Lehrstellenmangel haben. Wenn von
iesen jungen Männern der eine oder andere angesichts
ieser Situation den Glauben an Politik und Staat zu ver-
ieren droht, dann habe ich hierfür Verständnis.
Ich würde mir wünschen, dass Sie in der Zivildienst-
olitik zu einem ehrlichen Verfahren zurückkehren. Las-
en Sie uns die Dinge einmal wertneutral betrachten:
Durch den Einspruch des Bundesrates reagierte das
undesministerium für Familie, Senioren, Frauen und
ugend mit einer Verschärfung der Kontingentierung.
ittlerweile hat der Deutsche Bundestag, haben Sie mit
er Kanzlermehrheit diesen Einspruch zurückgewiesen.
ogische Folge müsste also sein, dass die Verschärfung
er Kontingentierung wieder zurückgenommen wird.
as genau erfolgt aber nicht, was zur Konsequenz hat,
ass die Träger gegenwärtig nicht einstellen, weil sie um
hr Kontingent im nächsten Herbst fürchten. So lässt
an junge Menschen in der Luft hängen; das ist rot-grü-
es Chaos pur.
Hier geht es nicht einfach nur um Verwaltungsarbeit,
ie man so oder auch anders machen könnte. Hier geht
s um das Schicksal von Pflegebedürftigen und Behin-
erten. Hier geht es um die Lebensplanung junger Leute.
ier geht es darum, dass die Bundesregierung endlich
hre Hausaufgaben macht und ein verlässliches Konzept
ür Wehrdienst und Zivildienst vorlegt, das nicht nur die
albwertszeit anderer Jahrhundertreformen dieser Koa-
ition hat.
Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
ie Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen begrüsst die
euregelung des Kriegsdienstverweigerungsgesetzes
benso wie alle Verbände, die sich seit Jahren für die
riegsdienstverweigerer und ihre Rechte einsetzen. Mit
iesem Gesetz wird nicht nur eine beträchtliche gesetz-
iche Vereinfachung erreicht von bisher 23 Paragra-
hen bleiben nur noch 13, mit diesem Gesetz endet eine
ragwürdige Regelung, die über Jahrzehnte das Grund-
echt auf Kriegsdienstverweigerung überschattete: Das
ündliche Verfahren zur Prüfung der KDV-Gewissens-
ntscheidung wird vollständig abgeschafft, die Aus-
chüsse und Kammern für Kriegsdienstverweigerung ent-
allen. Bis 1983 mussten Hunderttausende junger Männer
re Gewissensentscheidung vor diesen Einrichtungen
3626 Deutscher Bundestag 15. Wahlperiode 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2003
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rechtfertigen, seitdem noch verweigernde Einberufene,
Soldaten und Reservisten.
Diese Prüfverfahren wurden immer wieder als frag-
würdig, zum Teil inquisitorisch erfahren. Es blieb eine
Unmöglichkeit, Gewissen zu prüfen. Das mündliche
Verfahren erwies sich auch als auffällig willkürlich. Auf
meine Fragen hin teilte das Verteidigungsministerium im
August letzten Jahres mit, dass die Anerkennungsquoten
extrem schwanken: zwischen 23 Prozent und 95 Prozent
bei Ausschüssen, zwischen 36 Prozent und 83 Prozent
bei den Kammern. Die taz titelte zu Recht: Die Wehr-
pflicht verliert eine Schikane.
Weitere Bestimmungen des Gesetzentwurfes sind:
Vereinfachung des schriftlichen Verfahrens; abgelehnte
Kriegsdienstverweigerer werden nicht mehr auf den Kla-
geweg verwiesen, sondern können zunächst Wider-
spruch einlegen, ohne gleich ein Kostenrisiko einzuge-
hen. Besonders wichtig ist für uns die Neuregelung, dass
nach dem neuen Recht auch Frauen, die Zeit- und Be-
rufssoldatinnen sind, den Kriegsdienst verweigern kön-
nen. Hiermit wurde eine Rechtsunsicherheit im alten Ge-
setz beseitigt.
Das Gesetz erbringt Einsparungen in Millionenhöhe.
Die heutige Einbringung der KDV-Neuregelung erregt
kein besonderes Aufsehen mehr. Nichtsdestoweniger
sind wir froh, dass endlich umgesetzt wird, was die Grü-
nen seit vielen Jahren gefordert haben.
Vor kurzem gab das Verteidigungsministerium verän-
derte Einberufungsregeln für Wehrpflichtige bekannt,
mit denen Rücksicht auf Familie und Ausbildung ge-
nommen und die Heranziehungsgrenze auf 23 Jahre ge-
senkt wird. Auch das sind Erleichterungen für Wehr-
pflichtige, die zugleich weitere Schritte weg von der
allgemeinen Wehrpflicht sind. Wenn nun weitere Ver-
kürzungen des Wehrdienstes auf sechs, gar vier Monate
erwogen werden, dann stellt sich immer dringlicher die
Frage, wem eine solche Wehrpflicht noch nützt, ob sie
für Bundeswehr, Wehrpflichtige, Zivildienststellen nur
noch kontraproduktive Last ist. Statt eine Fiktion von
Wehrpflicht aufrechtzuerhalten, ist es an der Zeit zu
überlegen, wie eine Freiwilligenarmee sinnvoll gestaltet
werden kann. Alles andere bleibt ein Herumdoktern. Wir
brauchen aber Mut zur Reform.
Ina Lenke (FDP): Uns liegt heute der Gesetzentwurf
vor, der zum Inhalt hat, dass über die Berechtigung, den
Kriegsdienst mit der Waffe zu verweigern, jetzt das Bun-
desamt für den Zivildienst entscheiden soll.
Der Antrag auf Kriegsdienstverweigerung ist voll-
ständig, wenn ein Lebenslauf und eine persönliche Er-
klärung über die Beweggründe für die Gewissensent-
scheidung des Antragstellers oder der Antragstellerin
beigefügt werden. Ich sehe in der Bündelung der jetzt
noch unterschiedlichen Anerkennungsverfahren eine
Verbesserung.
Diesem Gesetz ist grundsätzlich zuzustimmen, denn
es erleichtert die Kriegsdienstverweigerung für bereits
Einberufene oder für von der bevorstehenden Einberu-
fung unterrichtete Wehrpflichtige. Dass jetzt eine ein-
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eitliche Regelung des Anerkennungsverfahrens auch
ür Berufssoldaten, Soldatinnen und Soldaten auf Zeit
efunden wurde, ist richtig.
In den Beratungen im Ausschuss werden wir zu prü-
en haben, ob das Kriegsdienstverweigerungsverfahren
o ausgestaltet ist, dass eine ernsthafte Gewissensent-
cheidung des Kriegsdienstverweigerers nachvollziehbar
t.
Erfreulich ist, dass durch dieses Gesetz das sicher
nter anderem auch durch den Kostendruck auf die öf-
entlichen Kassen mit ausgelöst ist 66 Planstellen ge-
trichen werden und nur sieben neue Stellen im Bundes-
mt für Zivildienst eingerichtet werden.
Dass durch dieses Gesetz auch bei den Kommunen
ine Entlastung, finanziell und organisatorisch, stattfin-
en wird, begrüße ich.
Was für mich nicht nachvollziehbar ist: Erst drei Mo-
ate nach Verabschiedung des Gesetzes soll es in Kraft
reten. Warum? Das Bundesamt für den Zivildienst muss
eine neuen Strukturen für die Bearbeitung von Anträ-
en aufbauen. Diese Strukturen existieren bereits. Das
undesamt für den Zivildienst ist sicherlich in der Lage,
urzfristig Stellen umzuschichten, ohne dass es zu Bear-
eitungsengpässen kommt. Wir werden hoffentlich recht
ügig in unserem Ausschuss das Gesetz prüfen und bera-
en.
Christel Riemann-Hanewinckel, Parl. Staatssekretä-
in bei der Bundesministerin für Familie, Senioren,
rauen und Jugend: Niemand darf gegen sein Gewis-
en zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen wer-
en. So ist im Grundgesetz Art. 4 Abs. 3 das Kriegs-
ienstverweigerungsrecht formuliert. Der Staat muss
ieses Recht des Einzelnen in Gesetzesform bringen.
as ist zum letzten Mal 1983 geschehen, als die Regula-
ien für Anträge und Anerkennung und den zivilen Er-
atzdienst neu gefasst wurden. Damals galten Kriegs-
ienstverweigerer als Drückeberger, die durch
erschiedene Etappen ihre Gewissensentscheidungen
erteidigen mussten. Heute sind Zivildienstleistende an-
esehene engagierte junge Männer, deren Einsatz dank-
ar gewürdigt wird. Von ihrem heutigen Stellenwert im
ozialen Netz hätte vor zwei Jahrzehnten niemand zu
räumen gewagt.
Nach 20 Jahren ist es Zeit, die Regularien den Realitä-
en anzupassen, ein einheitliches Verfahren für alle An-
ragstellerinnen und Antragsteller einzuführen, das von
iner Stelle, dem Bundesamt für den Zivildienst, durch-
eführt wird. Das heißt für die Zukunft: keine entspre-
henden Kammern und Ausschüsse bei den Kreiswehr-
rsatzämtern und auch keine Führungszeugnisse mehr.
Der Stellenwert des Grundrechts auf Kriegsdienstver-
eigerung in der konkreten gesellschaftlichen Umset-
ung wurde noch einmal sehr klar, als bei den Verhand-
ungen zum Einigungsvertrag auch über das KDVG
erhandelt wurde. Denn obwohl es auch in der DDR
chon seit 1964 die Möglichkeit gab, als Bausoldat den
ienst mit der Waffe zu umgehen, wurde eine solche
ntscheidung gegen den regulären Dienst in der Volks-
Deutscher Bundestag 15. Wahlperiode 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2003 3627
(A) )
(B) )
armee als Gesellschaftskritik gewertet und hatte für den
Verweigerer weitreichende negative Folgen.
Sie wissen, dass die Beratungen über den Einigungs-
vertrag zu Änderungen beim Verfahren zur Anerken-
nung von Soldaten als Kriegsdienstverweigerer geführt
haben. Seitdem wurde in der Regel auch beim Aus-
schussverfahren nach Aktenlage über den Kriegsdienst-
verweigerungsantrag entschieden. Dies war für alle An-
tragsteller ein erheblicher Fortschritt und eine
Verfahrenserleichterung. Es war aber vor allem ein be-
deutender Fortschritt, als 1990 das Kriegsdienstverwei-
gerungsrecht der Bundesrepublik Deutschland auch in
den neuen Ländern Einzug hielt.
Dass wir heute eine Neuordnung dieses so erfolgrei-
chen Gesetzes planen, hat dementsprechend nicht etwa
den Grund, dass wir Altbewährtes abschaffen wollten,
im Gegenteil. Aus den positiven Erfahrungen des verein-
fachten Verweigerungsverfahrens im Bundesamt für den
Zivildienst haben wir den Schluss gezogen, dass wir
weitere Schritte in diese Richtung gehen und so der heu-
tigen, veränderten Gesamtlage Rechnung tragen können.
Wir sind uns mit dem Bundesminister der Verteidi-
gung einig, dass einer Vereinheitlichung des Kriegs-
dienstverweigerungsverfahrens für alle Verweigerer
nichts mehr im Wege steht. Auch über die Anträge von
Zeit- und Berufssoldaten, Reservisten und Wehrpflich-
tigen mit Einberufungsbescheid soll in Zukunft im Bun-
desamt für den Zivildienst entschieden werden, wie bis-
her schon bei den ungedienten Wehrpflichtigen.
Damit werden die bisher bei den Kreiswehrersatzäm-
tern bestehenden Kammern und Ausschüsse für Kriegs-
dienstverweigerung überflüssig. Die entsprechenden
Planstellen im Bereich des Bundesministeriums der Ver-
teidigung werden für diese Aufgaben nicht mehr benö-
tigt. Dem sich daraus ergebenden Finanzvolumen von
rund 2,4 Millionen Euro pro Jahr steht ein signifikant ge-
ringerer Mehrbedarf auf Seiten des Bundesamtes für den
Zivildienst gegenüber. Hinzu kommt, dass nunmehr der
organisatorische Aufwand der Kommunen für die regel-
mäßige Wahl von circa 5 000 Beisitzerinnen und Beisit-
zern sowie deren Vertreterinnen und Vertretern für die
Ausschüsse und Kammern für Kriegsdienstverweige-
rung entfällt. Auch dadurch ergeben sich erhebliche Ein-
sparungen, die hier im Einzelnen aber nicht beziffert
werden können. Und darüber hinaus: Wir bauen für alle
Beteiligten Bürokratie in beträchtlichem Umfang ab.
Wichtig ist Folgendes: Auch nach dem neuen Recht
kann der Kriegsdienst einzig und allein aus Gewissens-
gründen verweigert werden. Dabei bleibt es. Wie bisher
wird eine Antragstellerin oder ein Antragsteller als
Kriegsdienstverweigerin bzw. Kriegsdienstverweigerer
anerkannt, wenn der Antrag vollständig ist, die dargeleg-
ten Beweggründe das Recht auf Kriegsdienstverweige-
rung zu begründen geeignet sind und keine Zweifel an
der Wahrheit der Angaben der Antragstellerin oder des
Antragstellers bestehen. Ist ein Antrag nicht vollständig,
so bleibt es bei der bisherigen Rechtslage. Zunächst for-
dert das Bundesamt für den Zivildienst die Antragstelle-
rin oder den Antragsteller auf, innerhalb einer Frist von
einem Monat den Antrag zu vervollständigen. Hat das
Bundesamt Zweifel an der Wahrheit der Angaben, gibt
es der Antragstellerin oder dem Antragsteller Gelegen-
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eit, sich innerhalb eines Monats zu den Zweifeln ergän-
end schriftlich zu äußern und die Angaben zu belegen.
ührt diese schriftliche Anhörung nicht zu einer Beseiti-
ung der Zweifel, kann das Bundesamt zu einer münd-
ichen Anhörung laden.
Widersprüche gegen Entscheidungen werden künftig
benfalls im Bundesamt bearbeitet werden, bevor als
eiterer Schritt der Rechtsweg offen steht.
In Zukunft soll für ungediente Wehrpflichtige keine
flicht mehr bestehen, als Bestandteil ihres Kriegs-
ienstverweigerungsantrags ein Führungszeugnis vorzu-
egen. Die Praxis hat gezeigt, dass dieses Zeugnis nur bei
enigen Ablehnungen im Verfahren eine Rolle gespielt
at. In Zweifelsfällen kann ein Führungszeugnis selbst-
erständlich jederzeit beim Bundeszentralregister ange-
ordert werden. In Zukunft muss also neben der Antrags-
ormulierung nur noch die ausführliche persönliche
arlegung der Beweggründe für die Gewissensentschei-
ung sowie ein Lebenslauf vorgelegt werden.
Auch Frauen, die als Berufs- oder Zeitsoldatinnen
affendienst leisten oder Reservistinnen sind, können
inen Kriegsdienstverweigerungsantrag stellen. Wir ha-
en im Zuge dieser neuen Konstellation das gesamte
riegsdienstverweigerungsgesetz geschlechtergerecht
ormuliert.
Ich fasse zusammen: Der vorliegende Gesetzentwurf
ur Neuregelung des Kriegsdienstverweigerungsrechts
ereinheitlicht das Verfahren der Kriegsdienstverweige-
ung für Soldatinnen, Soldaten, Reservistinnen, Reser-
isten, Grundwehrdienstleistende, Wehrpflichtige mit
inberufungsbescheid und ungediente Wehrpflichtige.
r greift dabei auf das seit 20 Jahren mit Erfolg durch
as Bundesamt für den Zivildienst praktizierte Prüfungs-
erfahren zurück, das in sich weiter vereinfacht wird.
us 23 Paragraphen werden in Zukunft 13. Das bedeu-
et, dass wir Bewährtes beibehalten, während wir gleich-
eitig zum Abbau überflüssiger Bürokratie und zur Ent-
astung der Haushalte von Bund und Kommunen
eitragen. Das neue Verfahren entspricht der Zielsetzung
es schlanken Staates und bürgerfreundlicher Verwal-
ung, indem es für die Anwender übersichtlicher und
eichter handhabbar wird. Die geschlechtergerechte Neu-
ormulierung des Gesetzes rundet das Vorhaben ab. Da-
it haben wir das Kriegsdienstverweigerungsrecht zu-
unftsfähig gemacht. Ich bitte deshalb um Ihre
nterstützung dieses Gesetzentwurfs.
nlage 4
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung der Unterrichtung durch die Bun-
desregierung: Vorschlag für eine Verordnung
des Europäischen Parlaments und des Rates
über Detergenzien
(Tagesordnungspunkt 7)
Heinz Schmitt (Landau) (SPD): Das Europäische
arlament und der Europäische Rat haben einen Vor-
chlag für eine Verordnung zu Detergenzien vorgelegt.
3628 Deutscher Bundestag 15. Wahlperiode 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2003
(A) )
(B) )
Mit diesem Verordnungsvorschlag hat sich auch der Um-
weltausschuss befasst.
Detergenzien, das hört sich weder appetitlich, noch
besonders bedeutsam an. Aber es handelt sich dabei um
Substanzen, mit denen die meisten von uns tagtäglich
umgehen. Detergenzien dieser Begriff wird hier
gleichbedeutend mit Tensiden gebraucht findet man
vorwiegend als Komponenten von Wasch- und Reini-
gungsmitteln.
Die Größenordnung, mit der wir es zu tun haben,
kann man an Zahlen festmachen: Im Jahr 2000 wurden
allein in Deutschland 5 600 neue Wasch- und Reini-
gungsmittel auf den Markt gebracht. Die Gesamtzahl
dieser Produkte in Deutschland beläuft sich auf 56 000.
1 Million Tonnen Wasch- und Reinigungsmittel werden
bei uns pro Jahr verbraucht. Diese Substanzen sind also
in unserem Alltag allgegenwärtig.
Nach Gebrauch gelangen diese Stoffe üblicherweise
in großen Mengen in Abwässer und Gewässer. Von da-
her ist die Regelung des Umgangs mit diesen Substanzen
von hoher umweltpolitischer Bedeutung.
Die vorliegenden Vorschläge des Europäischen Parla-
ments und des Rates zielen zusammengefasst auf zwei
Ziele ab: Der freie Warenverkehr für Detergenzien im
europäischen Binnenmarkt soll verwirklicht werden.
Außerdem soll der Schutz der Umwelt durch geänderte
Prüfungsvorgaben und Vorschriften für die Verwendung
von Tensiden verbessert werden.
Die Initiative des Europäischen Parlaments und des
Rates beinhaltet deutliche Fortschritte gegenüber bishe-
rigen Regelungen auf europäischer Ebene. Dies ist
grundsätzlich zu begrüßen. Dennoch sehen wir Klä-
rungsbedarf hinsichtlich der Tatsache, dass der vorlie-
gende Verordnungsentwurf auf europäischer Ebene in ei-
nigen Punkten gegenüber dem deutschen Recht
zurückbleibt. In Deutschland dürfen solche Substanzen
nach dem Wasch- und Reinigungsmittelgesetz nur so in
den Verkehr gebracht werden, dass eine vermeidbare Be-
einträchtigung der Gewässer unterbleibt.
Konkretisiert wird das Wasch- und Reinigungsmittel-
gesetz durch spezielle Verordnungen für Tenside und
durch die Regelung von Phosphathöchstmengen. Ten-
side müssen durchschnittlich zu mindestens 90 Prozent
biologisch abbaubar sein; für Waschmittel ist eine Ober-
grenze für den Phosphatgehalt festgelegt.
Ergänzt werden diese Regelungen durch bestehende
Selbstverpflichtungen deutscher Industrieverbände zur
Reduzierung der Gewässerbelastung. Und schließlich
wird beim Umweltbundesamt ein Produktregister ge-
führt, in dem die Rezepturen für Wasch- und Reini-
gungsmittel hinterlegt werden müssen. Dies ist ein wich-
tiges Instrument zur Unterstützung des Gesetzesvollzugs
in den Ländern.
Wir haben also in Deutschland in Bezug auf Deter-
genzien ein sehr hohes Schutzniveau für die menschliche
Gesundheit und die Umwelt erreicht.
Gegenüber diesen strengen deutschen Auflagen bleibt
der vorliegende Verordnungsvorschlag zurück. Dies ist
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us unserer Sicht aus Gründen des Gesundheits- und
erbraucherschutzes sowie aus umweltpolitischen Grün-
en nicht wünschenswert. Wir begrüßen daher die Be-
ühungen und den Einsatz der Bundesregierung für die
ahrung und den Erhalt des deutschen Schutzniveaus.
Ein zweiter Kritikpunkt betrifft die Vereinbarkeit des
euen Verordnungsvorschlags mit anderen europäischen
egelungen bzw. Gesetzgebungsvorhaben. So ist der
erordnungsvorschlag für Detergenzien zum Beispiel
icht ausreichend mit den Vorschriften der EG-Wasser-
ahmenrichtlinie oder der EG-Biozidverordnung abge-
timmt.
Zusätzlichen Abstimmungsbedarf sehen wir auch in
inblick auf umfassendere Neuregelungen im Bereich
er Chemiepolitik. Gegenwärtig steht das Weißbuch zur
hemiepolitik auf der europäischen Tagesordnung, mit
em die europäische Chemiepolitik insgesamt neu gere-
elt werden soll. Ziel der neuen europäischen Chemie-
olitik ist die Gewährleistung eines hohen Schutzni-
eaus für menschliche Gesundheit und Umwelt durch
ie Einführung eines neuen Kontrollsystems das so ge-
annte REACH-System. Das Kürzel REACH steht für
egistration, Evaluation, Authorisation of Chemicals.
Es geht darum, zukünftig neue und alte Stoffe, die auf
en Markt kommen bzw. schon eingeführt sind, ab einer
estimmten Mengenschwelle zu registrieren, zu bewer-
en und in bestimmten Fällen auch einem Zulassungsver-
ahren zu unterziehen. Hierunter fallen auch Wasch- und
einigungsmittel, sodass aus unserer Sicht eine Harmo-
isierung der Regelungen für Detergenzien mit den Vor-
aben des Weißbuchs zur Chemiepolitik wünschenswert
äre.
Schließlich befasst sich der vorliegende Verordnungs-
orschlag mit dem Umgang mit Duftstoffen in Detergen-
ien. Hier wird eine Kennzeichnung von Duftstoffen
orgeschlagen, was wir grundsätzlich begrüßen. Dies ist
in Schritt in die richtige Richtung. Wir sehen aber auch
n diesem Punkt noch Handlungsbedarf, da es im Um-
ang mit Duftstoffen bisher keine Offenlegungspflicht
auch nicht nach deutschem Recht gibt. Auch sind die
oxikologischen und ökotoxikologischen Eigenschaften
on Duftstoffen nicht oder nicht ausreichend bekannt.
ür diese Stoffe sind möglicherweise vorhandene Risi-
en für die Gesundheit von Verbrauchern und Arbeitneh-
ern nicht hinreichend geprüft und bewertet. Auch hier
ehen wir noch Handlungsbedarf.
Der Verordnungsvorschlag für Detergenzien des Eu-
opäischen Parlaments und des Rates bringt in einigen
ereichen Fortschritte und weist in die richtige Rich-
ung. In der vorliegenden Form würde dies aber für
eutschland in einigen Bereichen einen Rückschritt hin-
er geltende Regelungen bedeuten. Aus diesem Grund
egrüßen und unterstützen wir den Einsatz der Bundes-
egierung für die Wahrung des hohen deutschen Um-
elt- und Verbraucherschutzniveaus für Wasch- und
einigungsmittel.
Wir halten es für sinnvoll und regen an, seitens der
undesregierung darauf hinzuwirken, in der Detergenzi-
nverordnung eine Vorgehensweise analog zur neuen
Deutscher Bundestag 15. Wahlperiode 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2003 3629
(A) )
(B) )
Chemiepolitik aufzunehmen und umzusetzen. Die Ziele
des Weißbuches für eine neue Chemiepolitik sollten
auch auf den Umgang mit Detergenzien übertragen wer-
den. Damit wäre ein umfangreicher Verbraucher- und
Arbeitnehmerschutz zu erreichen.
Marie-Luise Dött (CDU/CSU): Detergenzien Was
ist das überhaupt? Hinter diesem Fachbegriff verbergen
sich nichts anderes als Wasch- und Reinigungsmittel,
letztlich also nichts anderes als die täglich verwendete
Seife. Das spiegelt sich auch in den Zahlen wieder: Über
800 000 Tonnen Waschmittel inklusive Spezialwasch-
mitteln und Weichspülern werden jährlich in Deutsch-
land verbraucht. Jeder Einwohner verwendet fast 8 kg
Waschmittel im Jahr.
Diese Zahlen machen deutlich, dass der vorgelegte
Verordnungsentwurf über den Endabbau von Detergen-
zien nicht nur Auswirkungen auf die Umwelt, sondern
auch auf die Wirtschaft nämlich den ganzen Wirt-
schaftszweig der Wasch- und Reinigungsmittelhersteller
hat.
Waschmittel lösen Schmutz und Dreck. Das ermögli-
chen die ihnen zugefügten Tenside, indem sie die Ober-
flächenspannung des Wassers herabsetzen. Die Durch-
dringung der Gewebe wird dadurch verbessert und
Schmutz abgelöst.
Wenn Tenside allerdings in das Grundwasser und an-
dere Gewässer gelangen, wirken sie auch auf biologi-
sche Oberflächen, wie zum Beispiel Zellmembranen von
Wasserorganismen.
Damit Tenside in Gewässern keine Konzentration er-
reichen, die für die dort lebenden Tiere und Organismen
eine ernste Gefahr darstellen können, wurden in der EU
fünf europäische Richtlinien zur biologischen Abbaubar-
keit von Tensiden entwickelt.
Die Umweltverträglichkeit wird dabei davon abhän-
gig gemacht, wie schnell und in welchem Umfang sich
Tenside biologisch abbauen lassen. Das heißt: Bisher ist
die so genannte Primärabbaubarkeit der Tenside aus-
schlaggebend. In dieser ersten Phase des Abbaus verliert
das Tensid seine oberflächenaktive Eigenschaft und ver-
liert in der Regel seine Giftigkeit. Daran knüpft das gel-
tende deutsche Recht an und schreibt bislang eine Pri-
märabbaubarkeit von 90 Prozent vor.
Wie der Name es schon ausdrückt, ist die Primärab-
baubarkeit allerdings nur der erste Schritt beim Abbau
der Tenside eines Waschmittels. Der vorgelegte und
heute zu diskutierende EU-Verordnungsentwurf fokus-
siert dagegen ausschließlich den Endabbau der Tenside
zu Kohlendioxid und Wasser. Er schreibt eine Endabbau-
barkeit von 60 Prozent vor.
Meine Damen und Herren, trotz der geringeren abso-
luten Zahl von 60 Prozent gegenüber 90 Prozent darf
nicht übersehen werden, dass es sich hierbei um eine
Verschärfung der Anforderungen handelt!
Die neue EU-Forderung eines Endabbaus von min-
destens 60 Prozent ist erheblich anspruchsvoller als die
aktuell geforderte Primärabbaubarkeit von 90 Prozent.
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Ich frage Sie also: Tut eine solche Verschärfung der
nforderungen wirklich Not? Bringt sie tatsächlich eine
erbesserung des Schutzes von Mensch und Umwelt mit
ich?
Die Bundesregierung scheint nicht unbedingt dieser
nsicht zu sein. Warum sonst hat sie sich im europäi-
chen Gesetzgebungsprozess so defensiv verhalten?
Bei den steigenden Anforderungen für den Abbau
on Detergenzien ist auch darauf zu achten, dass diese
usätzlichen Anforderungen für die betroffenen Unter-
ehmen wirtschaftlich vertretbar bleiben.
Manche Unternehmen, die mit schwer abbaubaren
pezialreinigern arbeiten, können diese Werte nicht er-
eichen. Die für sie geschaffenen Ausnahmeregelungen
elfen da nicht weiter, weil sie eine ergänzende Risiko-
ewertung durchlaufen müssen, die umfangreich und
ufwendig ist. Das heißt für den Mittelstand: zusätzliche
osten und zusätzlicher bürokratischer Aufwand. Unter
em Strich belastet dieses Verfahren vor allem die klei-
en und mittelständischen Unternehmen, die nur geringe
engen an Reinigungsmittel verbrauchen, aber das glei-
he Verfahren durchlaufen sollen wie Großverschmut-
er. Kosten und Nutzen sollen hier gegeneinander abge-
ogen werden. Hierfür muss sich die Bundesregierung
insetzen!
Leider habe ich wenig Hoffnung, Herr Trittin, dass
ie sich in den kommenden EU-Verhandlungen für die
eutschen Unternehmen einsetzen werden. Trotzdem
öchte ich Sie ausdrücklich dazu auffordern! Lasten Sie
en mittelständischen Betrieben nicht noch mehr auf, sie
ehen sonst für den deutschen Arbeitsmarkt verloren!
Der vorgelegte EU-Verordnungsentwurf hat durchaus
ichtige Ansätze. Besonders positiv bewerte ich, dass er
ndlich Schluss machen soll mit dem unsinnigen und un-
bersichtlichen Regelwerk von fünf verschiedenen
ichtlinien und diese in einer Verordnung zusammenfas-
en will.
Die EU hat das Problem erkannt: Bei der Fülle von
ichtlinien und Verordnungen kann kein Unternehmer,
eschweige denn ein Bürger, noch die auf ihn zutreffen-
en Regelungen überblicken. Aus dieser Überlegung
ollte die Bundesregierung auch für sich die richtigen
chlüsse ziehen.
So stellt sich in diesem Zusammenhang die Frage,
ie mit dem deutschen Wasch- und Reinigungsmittelge-
etz umzugehen ist. Der Anwendungsbereich des Geset-
es überschneidet sich mit dem der EU-Verordnung, die
ir heute diskutieren. Die Bundesregierung muss daher
rüfen, ob und welche Existenzberechtigung das deut-
che Wasch- und Reinigungsmittelgesetz noch hat. Die
öglichkeit, überflüssiges Gesetzeswerk zu streichen
nd damit einen Schritt zu weniger Bürokratie und bes-
erer Übersichtlichkeit zu machen, sollte in jedem Fall
enutzt werden! Durch eine EU-einheitliche Regelung
erden die Standards angepasst und Wettbewerbsver-
errungen im europäischen Raum wird damit vorge-
eugt.
3630 Deutscher Bundestag 15. Wahlperiode 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2003
(A) )
(B) )
Völlig offen ist aber noch der Punkt der Vereinbarkeit
der Verordnung mit dem neuen Chemikalienrecht der
EU.
Wie Sie sehen, lässt der Verordnungsvorschlag, trotz
seiner positiven Ansätze noch zu viele Fragen offen und
ist an einigen Stellen verbesserungsfähig.
Ich hoffe, dass die Bundesregierung ihr bisher zur
Schau gestelltes relatives Desinteresse an dieser Gesetz-
gebung aufgibt und in den Bereichen Deregulierung,
wirtschaftliche Verträglichkeit und Vereinbarkeit des
EU-Rechts mit deutschem Recht in dem vorgetragenen
Sinne tätig wird!
Eberhard Gienger (CDU/CSU): Die EU-Kommis-
sion hat den Entwurf einer EU-Verordnung über Deter-
genzien vorgelegt, die die bisherige Waschmittelrichtli-
nie sowie eine Empfehlung über die Kennzeichnung von
Wasch- und Reinigungsmitteln ersetzen soll. Die Verord-
nung soll nach ihrem Beschluss in allen Mitgliedstaaten
ohne weitere nationale Umsetzung direkt anwendbar
sein.
Kernpunkte des Verordnungsentwurfs sind Bestim-
mungen über die biologische Abbaubarkeit von Tensi-
den und über die Kennzeichnung von Detergenzien. Die
verwendeten Tenside müssen je nach Bestimmungsme-
thode eine biologische Endabbaubarkeit von mindestens
60 bis 70 Prozent besitzen. Wird diese Endabbaubarkeit
nicht erreicht, so können unter bestimmten Vorausset-
zungen insbesondere Primärabbaubarkeit von mindes-
tens 80 Prozent und ergänzende Risikobewertung Aus-
nahmeregelungen getroffen werden.
Die einheitliche Verordnung auf europäischer Ebene,
über deren Sinn wir hier diskutieren, ist im Grunde zu
begrüßen. Sie stellt eine Vereinfachung und Entbürokra-
tisierung dar und ist ein wichtiger und richtiger Schritt in
die richtige Richtung.
Auch die Ziele sind klar definiert:
Freier Warenverkehr mit Detergenzien im Binnen-
markt und Sicherstellung eines hohen Umweltschutz-
niveaus.
Wenn man bedenkt, dass im Jahre 2000 allein in
Deutschland über 5 600 neue Wasch- und Reinigungs-
mittel auf den Markt kamen oder neue Zusammenset-
zungen bestehender Marken in den Handel kamen, wird
klar, wie wichtig die Kontrolle der Umweltverträglich-
keit dieser Produkte ist.
Nachdem die Kollegin Dött Ihnen bereits die Begriffe
Detergenzien und die Wirkung von Tensiden erläutert
hat, möchte ich auf die Änderung der Testverfahren und
die dabei möglichen Probleme eingehen: Nach derzeiti-
gem Stand sind Testverfahren für die biologische Pri-
märabbaubarkeit von Tensiden vorgeschrieben. Unter
Primärabbau versteht man bei Tensiden den Verlust der
grenzflächenaktiven Eigenschaften, also einen teilwei-
sen biologischen Abbau. Die Primärabbaubarkeit muss
zurzeit bei 90 Prozent liegen; das Tensid verliert also
seine umweltschädliche Wirkung in der ersten Reini-
gungsstufe fast vollständig.
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In dem Vorschlag für eine europäische Verordnung ist
ie Einführung einer neuen Testmethode vorgesehen.
iese neue Methode ist für alle Tenside geplant, das
eißt auch für diejenigen, für die derzeit die Durchfüh-
ung von Tests noch nicht geregelt ist. Diese Methode
ezieht sich auf die Prüfung der biologischen End-
bbaubarkeit. Dabei soll eine Mindestbioabbaurate von
0 Prozent des Tensids in einem Zeitraum von 28 Tagen
rzielt werden. Mit anderen Worten: Diese Testverfahren
ind wesentlich anspruchsvoller als die bisherigen.
Diese Verschärfung der Testverfahren kann für einige
nternehmen weitreichende wirtschaftliche Folgen mit
ich bringen: Große Unternehmen dürften weniger
chwierigkeiten haben, die Bestimmungen des Entwur-
es anzuwenden, auch die Prüfung aller Inhaltstoffe
ollte kaum ein Problem für Großunternehmen darstel-
en. Das gilt aber nicht für kleine und mittelständische
nternehmen, die Spezialreinigungen, wie beispiels-
eise zur Reinigung von Molkereigeräten, Flaschenrei-
igung oder Reinigung von Rohwolle vornehmen. Diese
nternehmen sind in Marktnischen tätig und haben oft
einen Ersatz für die eingesetzten Reinigungsmittel;
enn es Alternativen gibt, sind diese zumeist noch ge-
ährlicher für die Umwelt. Hierbei sehe ich noch erheb-
ichen Klärungsbedarf.
Daher sieht der Verordnungsentwurf für solche Be-
riebe Ausnahmen von der Erfüllung der 60-prozentigen
ndabbaubarkeit vor. Die Kriterien hierfür sind zum ei-
en das Erfüllen der 90-prozentigen Primärabbaubarkeit,
um anderen die Durchführung einer Risikobewertung.
enau in dieser Risikobewertung liegt ein weiteres Pro-
lem: Der Umfang dieser Risikobewertung wird nicht
on der Menge der im Unternehmen eingesetzten Ten-
ide abhängig gemacht. Schon die geringste Menge bei
er Verwendung eines Tensids bringt die daten- und kos-
enintensive Risikobewertung mit sich. Kleine und mit-
elständische Unternehmen können sich diese Verfahren
icht leisten und würden gegenüber den großen Unter-
ehmen erhebliche Wettbewerbsnachteile erleiden.
Der vorgelegte Entwurf einer europäischen Verord-
ung über Detergenzien ist ein guter Start. Er enthält in
inigen Bereichen noch Schwächen, die aber im Sinne
er mittelständischen Unternehmen korrigiert werden
önnen, sodass ökologisch und ökonomisch eine Win-
in Situation entstehen kann.
Dr. Antje Vogel-Sperl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
EN): Der vorliegende Verordnungsvorschlag der EU-
ommission zielt darauf ab, im europäischen Binnen-
arkt einheitliche Regeln für den Umgang mit Wasch-
nd Reinigungsmitteln und den darin enthaltenen Tensi-
en festzulegen. Dieses Vorhaben begrüßen wir in sei-
em Grundansatz, handelt es hier doch um einen Pro-
uktbereich von ganz erheblicher Bedeutung und dies
owohl aus Sicht des Umweltschutzes als auch aus Sicht
es Verbraucherschutzes.
Wasch- und Reinigungsmittel finden sich in jedem
aushalt und werden auch in großen Mengen im ge-
erblichen und industriellen Bereich eingesetzt. Alleine
n Deutschland wurden im Jahr 2000 über 5 600 unter-
Deutscher Bundestag 15. Wahlperiode 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2003 3631
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schiedliche Produkte in Verkehr gebracht. Zu diesem
Zeitpunkt waren insgesamt mehr als 54 000 Wasch- und
Reinigungsmittel auf dem deutschen Markt.
Die chemischen Grundsubstanzen und Inhaltsstoffe
dieser Produkte landen in unseren Gewässern. Viele ih-
rer Abbauprodukte sind langlebig und reichern sich in
Stoffkreisläufen und Organismen an. Sie bilden somit
eine potenzielle Gefahr für Mensch und Umwelt. Bei
vielen dieser Stoffe ist zudem eine krebserregende, erb-
gutverändernde oder fortpflanzungsschädliche Wirkung
nachgewiesen. Vor diesem Hintergrund ist der Ansatz
des Verordnungsvorschlags sehr zu begrüßen, künftig
nicht nur den Primärabbau, sondern den Endabbau der
Tenside zu prüfen und sicherzustellen.
In Wasch- und Reinigungsmitteln findet sich auch
eine Vielzahl von Duft- und Zusatzstoffen, die bei vielen
Menschen zu Hause oder am Arbeitsplatz Allergien
und chronische Reizungen auslösen. Oft ist die genaue
Zusammensetzung und Konzentration dieser Zusatz-
stoffe allein dem Hersteller bekannt. Die Verbraucherin-
nen und Verbraucher bleiben ahnungslos und haben
keine Chance, sich beim Kauf für Produkte zu entschei-
den, die frei von den jeweils kritischen Substanzen sind.
In Deutschland sind wir diesen Gefahren bereits
durch umfangreiche Regelungen begegnet. Das Wasch-
und Reinigungsmittelgesetz schreibt hohe Anforderun-
gen an die biologische Abbaubarkeit von waschaktiven
Substanzen vor. Entsprechende Produkte dürfen nur so
in Verkehr gebracht werden, dass eine Gefährdung aqua-
tischer Biosysteme unterbleibt. Die ergänzende Phos-
phathöchstmengenverordnung hat dazu geführt, dass der
Eintrag von Waschmittelphosphaten, die maßgeblich zur
Eutrophierung von Gewässern beitragen, deutlich redu-
ziert werden konnte. Einige hormonell wirksame Stoffe
wie zum Beispiel das Nonylphenol dürfen in Deutsch-
land ebenfalls nicht mehr eingesetzt werden. Das Um-
weltbundesamt führt zudem ein Produktregister, in dem
die von Herstellern benannten Rahmenrezepturen der
Wasch- und Reinigungsmittel zur Verfügung gehalten
werden. Auf dieses Register haben die vollziehenden
Behörden der Länder Zugriff; sie können somit die Ein-
haltung der Produktvorschriften überwachen.
Der Harmonisierungsvorschlag der Kommission hat
vor diesem Hintergrund einige entscheidende Schwä-
chen. Sollte er in dieser Fassung verwirklicht werden,
zudem in Form einer unmittelbar geltenden EU-Verord-
nung, so wäre das hohe Schutzniveau in Deutschland
nicht gesichert, Genau dies wollen wir aber keinesfalls
preisgeben. Hier muss die Kommission also nachbes-
sern.
Vor allem der Verzicht auf ein Verbot von Phosphaten
ist nicht nachzuvollziehen, haben sich doch inzwischen
schon weitere EU-Mitgliedsländer dem deutschen Ver-
bot angeschlossen. Aber auch im grundsätzlichen An-
wendungsbereich der Regelung oder auch bei den Kenn-
zeichnungsvorschriften sind Änderungen notwendig,
damit der Umwelt- und Gesundheitsschutz nicht einer zu
kurz gedachten Harmonisierungsmaßnahme zum Opfer
fällt.
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Ich will an dieser Stelle nicht weiter auf Details ein-
ehen. In unserer Koalitionsentschließung haben wir im
mweltausschuss diese Probleme angesprochen. Wir
nterstützen die Bundesregierung in ihren Bemühungen,
ich bei den weiteren Verhandlungen für die Gewährleis-
ung hoher Umwelt- und Verbraucherschutzstandards
inzusetzen.
Ärgerlich ist die in dem Verordnungsentwurf ver-
ane Chance, der kommenden EU-Chemikalienverord-
ung vorzugreifen und die Harmonisierung des Deter-
enzienrechts in das zukünftige System der
egistrierung, Bewertung und Zulassung von chemi-
chen Stoffen einzupassen. Hier stehen uns in den
ächsten Wochen und Monaten sicher noch einige heiße
iskussionen in Haus. Das lassen zumindest die in die-
en Tagen veröffentlichten ersten Entwürfe der EU-
ommission vermuten.
Zudem haben die werten Kolleginnen und Kollegen
on der FDP ja schon mit ihrer aktuellen Kleinen An-
rage bewiesen, dass sie seit ihrem Antrag zum Weiß-
uch Chemie in der vergangenen Legislaturperiode
ichts, aber auch gar nichts dazugelernt haben. Die Eins-
u-eins-Übernahme der Horrorszenarien der Industrie,
ach denen sich durch die neue Chemikalienpolitik Mil-
ionen von Arbeitsplätzen in Luft auflösen sollen, zeugt
icht nur von einem blinden Klientelismus, sondern ist
uch schlicht und einfach sachlich völlig unbegründet.
m Übrigen: Der entsprechende CDU/CSU-Antrag war
n dieser Hinsicht leider auch nicht weitsichtiger.
Die im Auftrag des BDI aufgestellten Prognosen zu
ostenbelastungen der Industrie und Arbeitsplatzverlus-
en wurden erst zuletzt im Februar dieses Jahres von ei-
er Reihe namhafter Wirtschaftsexperten als Luftnum-
ern bloßgestellt. Ihnen, werte Kolleginnen und
ollegen von der Opposition, entgeht leider vollkom-
en, welche auch ökonomischen Chancen die lange
berfällige Wende in der europäischen Chemikalienpoli-
ik bringen wird. Die Umkehr der Beweislast beim In-
erkehrbringen von Chemikalien und die Implementie-
ung des Vorsorgeprinzips bringen nicht nur Vorteile für
mwelt und Gesundheit.
Die ökonomischen Vorteile der neuen Chemikalien-
politik
ich erlaube mir den Präsidenten des Umweltbundes-
mtes zu zitieren
sind nicht von der Hand zu weisen. Eine bessere
Transparenz über Stoffgefahren in der Produktkette
führt zum Gebrauch sichererer Chemikalien, min-
dert die wirtschaftlichen Risiken der Stoffanwender
und verringert die hohen Kosten durch chemikali-
enbedingte Berufskrankheiten.
Dem ist wenig hinzuzufügen.
Wir werden uns dafür einsetzen, dass die ursprüngli-
he Zielsetzung des Weißbuchs, nämlich: Risikominmie-
ung und Vorsorge vor schädlichen Wirkungen von Che-
ikalien, Substitution von schädlichen Chemikalien
urch ungefährliche Ersatzstoffe und Produktverantwor-
ung der Hersteller durch Beweislastumkehr sich in der
3632 Deutscher Bundestag 15. Wahlperiode 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2003
(A) )
(B) )
kommenden Chemikaliengesetzgebung auch wiederfin-
den. Eine halbherzige Umsetzung, die sich zu sehr den
kurzsichtigen Argumenten der Bedenkenträger aus In-
dustrie und Wirtschaft verpflichtet, wird diese Ziele klar
verfehlen. Das werden wir nicht mitmachen und das
werden auch die Bürgerinnen und Bürger hier und an-
derswo in Europa nicht akzeptieren.
Birgit Homburger (FDP): Der Entschließung von
Rot-Grün zum Vorschlag für eine Verordnung des Euro-
päischen Parlaments und des Rates über Detergenzien
können wir nicht zustimmen. Bereits in der letzten Le-
gislaturperiode haben wir mit unserem Antrag Für eine
wirksame und vernunftgeleitete Chemikaliengesetz-
gebung (Drucksache 14/5761) deutlich gemacht, dass
wir im Bereich der Chemikalienpolitik eine andere Auf-
fassung als die Regierungsfraktionen vertreten. Die Ziel-
richtung des Verordnungsentwurfs über Detergenzien
wird von der FDP zwar ausdrücklich begrüßt. Das hohe
deutsche Schutzniveau für Umwelt und Gesundheit im
Wasch- und Reinigungsmittelbereich muss weiterhin ga-
rantiert werden. Umso wichtiger ist es, den Umwelt-
schutz im Bereich der Wasch- und Reinigungsmittel eu-
ropaweit anzugleichen und damit zu verbessern. Mit der
Detergenzienverordnung wird nun ein europäischer
Mindeststandard vorgeschrieben, wodurch sich der euro-
päische dem deutschen Standard annähern wird.
Grundfalsch wäre es aber, vonseiten Europas vorgese-
hene bürokratische Neuregelungen im Chemikalienbe-
reich ohne ökologischen und gesundheitspolitischen Ge-
winn auch noch auf den Bereich der Detergenzien
auszuweiten. Genau das will aber Rot-Grün. Gestern hat
die EU-Kommission den auf ihrem Weißbuch Strategie
für eine zukünftige Chemikalienpolitik basierenden
Verordnungsentwurf vorgelegt, der gegenüber dem
Weißbuch immerhin Verbesserungen aufweist. Das
Grundproblem der Beweislastumkehr im Hinblick auf
die Gefährlichkeit eines Stoffes aber bleibt bestehen. Im
Vergleich zum strengen deutschen Zulassungsrecht für
Chemikalien werden hiermit keine ökologischen und ge-
sundheitspolitischen Verbesserungen einhergehen. Es
werden lediglich neue bürokratische Verfahren einge-
führt.
Die Entschließung von Rot-Grün strebt nach wie vor
Regelungen analog zum Weißbuch im Detergenzien-
bereich an. Rot-Grün will also die europäischen Fehlent-
wicklungen im Chemikalienbereich ohne ökologischen
und gesundheitspolitischen Nutzen auf den Bereich der
Detergenzien ausdehnen, und zwar in einer Schärfe, die
selbst die EU-Kommission nicht mehr vorsieht.
Die FDP tritt für eine unter Umwelt- und Gesund-
heitsschutzgesichtspunkten wirksame und vernunftgelei-
tete Chemikaliengesetzgebung ein. Umweltpolitisch und
gesundheitspolitisch wirkungslose Verbürokratisierun-
gen lehnt die FDP ab.
Die FDP fordert die Regierungsfraktionen auf, von
ihrer rigiden Haltung im Bereich der Chemikalienpolitik
abzurücken und diese nicht auch noch auf den Bereich
der Detergenzien auszudehnen.
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nlage 5
Zu Protokoll gegebene Rede
zur Beratung des Antrags: Versorgungsaus-
gleich umgehend regeln Keine Schlechterstel-
lung von Frauen bei der Alterssicherung (Ta-
gesordnungspunkt 11)
Christine Lambrecht (SPD): Wenn man die Über-
chrift des CDU-Antrages liest, kann man den Eindruck
ekommen, als ob Frauen bei der Alterssicherung
chlechter gestellt werden sollen. Das will natürlich we-
er die Bundesregierung noch die Regierungskoalition
nd es freut mich, dass wir Sie an unserer Seite haben.
In diesem Zusammenhang darf ich vielleicht einmal
eststellen: Wir die rot-grüne Regierung und die Koali-
ion waren es, die zur Verbesserung der Situation von
rauen hinsichtlich ihrer Alterssicherung zahlreiche Än-
erungen eingeführt hat: bessere Anrechnung von Kin-
ererziehungszeiten, aber auch die Veränderung des Er-
iehungsurlaubs hin zur Elternzeit.
Jetzt können sich Väter und Mütter gemeinsam um ihr
ind kümmern. Beide haben flankierend den Rechtsan-
pruch auf Teilzeitarbeit, den Sie immer bekämpft haben.
ie zulässige wöchentliche Arbeitszeit während der El-
ernzeit wurde für Väter und Mütter auf jeweils 30 Stun-
en ausgedehnt. Jetzt ist es auch Frauen möglich, wäh-
end der ersten Jahre mit einem Kind den Fuß in der Tür
es Erwerbslebens zu haben. So können sie für eine ei-
ene Alterssicherung sorgen.
In dieser Legislaturperiode werden wir die Kinderbe-
reuungssituation verbessern. Es wäre zu wünschen, Sie
ürden hierbei endlich ihre ideologischen Scheuklappen
blegen und die Notwendigkeit erkennen. Dann würden
ie sich wirklich für die Alterssicherung von Frauen
tark machen und nicht nur Krokodilstränen vergießen.
urch veränderte Rahmenbedingungen werden Frauen
n die Lage versetzt wenn sie es denn wollen , eigene
entenanwartschaften zu erlangen.
Wenn es Ihnen wirklich darum geht wie in der
berschrift ihres Antrages benannt , sich für die Alters-
icherung von Frauen stark zu machen, dann wundert es
ich aber schon, dass Sie all diesen Veränderungen
icht zugestimmt haben. Ihnen waren die Belange der
rauen offensichtlich nicht ganz so wichtig. Vielleicht
aben Sie dazugelernt.
Aber worum geht es in Ihrem Antrag ganz konkret?
s geht im Versorgungsausgleich darum, Rentenanwart-
chaften, welche die Ehegatten während der Ehe erwor-
en haben, im Falle einer Scheidung zu teilen. Dieser
ersorgungsausgleich soll denjenigen im Alter und bei
nvalidität sichern, der während der Zeit der Ehe egal
us welchen Gründen keine eigenen oder nur geringere
nwartschaften erworben hat. In der Regel sind das
rauen.
Die Barwert-Verordnung, eine Rechtsverordnung, die
on der Bundesregierung mit Zustimmung des Bundes-
ates erlassen wird, dient der Umwertung bestimmter
ersorgungsanrechte wie zum Beispiel der betrieblichen
Deutscher Bundestag 15. Wahlperiode 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2003 3633
(A) )
(B) )
Altersversorgung oder der berufständischen Altersvor-
sorge. Diese Vergleichbarmachung mit den Anrechten
aus der gesetzlichen Rentenversicherung dient der Er-
stellung der Versorgungsbilanz der Eheleute. Wie das
im Einzelnen geschieht, erspare ich mir darzustellen. Es
ist sehr kompliziert und für Mandanten kaum nachzu-
vollziehen.
Dieser Versorgungsausgleich geschieht in der Regel
zu einem Zeitpunkt, an dem die geschiedenen Eheleute
von der Rente noch weit entfernt sind, sodass verlässli-
che Aussagen über die in Jahren, manchmal Jahrzehnten
zu gewährenden Versorgungen kaum möglich sind.
Diese Umwertung zur Vergleichbarmachung hat dazu
geführt, dass es zu einer erheblichen Abwertung der be-
troffenen Anrechte gekommen ist.
Nun hat der BGH am 5. September 2001 die bisherige
Regelung für verfassungswidrig und nur noch bis zum
31. Dezember 2002 für anwendbar erklärt. Seit Januar
2003 kann diese Berechnungsgrundlage nicht mehr auf
den Ausgleich von Rentenansprüchen außerhalb der ge-
setzlichen Rente sowie der Beamtenversicherung ange-
wandt werden. Es betrifft zwar nur eine geringe Zahl,
aber es war Abhilfe zu schaffen.
In der Plenardebatte vom 13. Februar 2003 hat die
Bundesjustizministerin erklärt, zügig eine anwendbare
Berechnungsgrundlage vorzulegen, damit schnellstmög-
lich in allen Fällen eine Anrechenbarkeit möglich ist.
Wie zu erwarten, hat die Justizministerin Wort gehalten
und am 26. März 2003 hat die Bundesregierung die
zweite Verordnung zur Änderung der Barwert-Verord-
nung beschlossen. Sie ist gültig bis zum Jahre 2006. Für
dieses unverzügliche Handeln möchte ich der Bundes-
justizministerin ausdrücklich danken und kann nur sa-
gen: Eine Frau, ein Wort!
Die neue Barwert-Verordnung führt zu höheren Be-
wertungsansätzen im öffentlich-rechtlichen Versor-
gungsausgleich. Sie sorgt damit in typischen Fällen für
eine im Vergleich zum bisherigen Recht verbesserte so-
ziale Absicherung von Frauen. Sie ist ein Zwischen-
schritt auf dem Weg zur grundlegenden Strukturreform
des Versorgungsausgleichs. Hiermit wird dem unmittel-
baren Handlungsbedarf Rechnung getragen.
Jetzt ist der Bundesrat am Zuge. Am 23. Mai 2003
steht eine Entscheidung an. Wie wir nunmehr erfahren
mussten, droht das Land Baden-Württemberg mit dem
Antrag, diese Barwert-Verordnung bis zum Jahre 2007
zu befristen. Das hört sich im ersten Moment unschäd-
lich an, hätte aber eine enorme zeitliche Verzögerung zur
Folge. Das ganze Prozedere ginge wieder von vorne los.
Das heißt: wieder zurück zur Bundesregierung, neuer
Kabinettsbeschluss, dann wieder in den Bundesrat.
So müssten all die Fälle, die beim Versorgungsaus-
gleich auf die Barwert-Verordnung angewiesen sind,
noch einige Zeit länger warten, bis eine anwendbare Be-
rechnungsmethode auf dem Tisch liegt. Dieses wollten
Sie ja unbedingt vermeiden. Von daher verwundert die-
ses offensichtlich unabgestimmte Verfahren Ihrer Partei-
kollegen aus Baden-Württemberg schon. Immerhin ha-
ben Sie Ihren Antrag fast schon mit Krokodilstränen im
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nteresse dieser Fälle begründet, eine schnellstmögliche
ktualisierung gefordert und der Bundesregierung sogar
ntätigkeit vorgeworfen.
Darüber hinaus müssen wir aber auch das Novellieren
es Versorgungsausgleichs zügig angehen, um eine Ak-
ualisierung zu erreichen. Durch die neue Barwert-Ver-
rdnung haben wir jetzt zwei bis drei Jahre Zeit, um uns
ieser Aufgabe zu widmen und ich freue mich auf eine
onstruktive Zusammenarbeit.
nlage 6
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Antrags: Ausschreibung des
BOS-Digitalfunks im Jahr 2003 einleiten (Zu-
satztagesordnungspunkt 12)
Hans-Peter Kemper (SPD): Mir ist die Zielrichtung
nd die Intention des CDU/CSU-Antrages einigermaßen
chleierhaft; denn an der Notwendigkeit einer Umstel-
ung von Analog- auf Digitalfunk gibt es vom hessi-
chen Innenminister Bouvier einmal abgesehen zwi-
chen Regierung und Opposition, zwischen Bund und
ändern überhaupt keinen Zweifel.
Die Einführung des Digitalfunks ist erforderlich und
ie Vorbereitungen laufen seit langem, sind allerdings
rst unter der rot-grünen Bundesregierung in eine kon-
rete Planungsphase gelangt.
Der bisher genutzte analoge Funk stößt an seine
renzen. Das hat sich in den letzten Jahren deutlich ge-
eigt. Großlagen, Flutkatastrophen, Großdemonstratio-
en haben oft zu einem Funkchaos mit durchaus gefähr-
ichen Folgen für die eingesetzten Kräfte geführt.
Die Anfälligkeit des analogen Funksystems ist un-
leich größer als beim Digitalfunk. Funkschatten und
unklöcher haben immer wieder zu Totalausfällen und
u schlechten Verständigungen geführt.
Nun gibt es zwei Möglichkeiten: entweder die sehr
eure Nachrüstung eines alten und veralterten Systems,
ämlich des Analogfunks, mit einem Weiterbestehen der
ängel oder ein neues sicherlich kostenintensives Digi-
alfunksystem, was aber dafür sehr zuverlässig und leis-
ungsstark und für Polizei, Katastrophenschutz und Bun-
esgrenzschutz gleichermaßen geeignet ist. Dazu ist es
atürlich organisationsübergreifend nutzbar. Die Mög-
ichkeiten einer beschleunigten Datenübermittlung weiß
ch als jemand, der mehr als 30 Jahre mit dem analogen
unksystem gekämpft und unter ihm gelitten hat, in be-
onderer Weise zu schätzen.
Wenn die Vorteile des Digitalfunks so offensichtlich
uf der Hand liegen, dann fragt man sich natürlich, wa-
um er nicht längst eingeführt ist. Welche Schwierigkei-
en gibt es?
Ich will hier mit den Hauptschwierigkeiten beginnen.
ngeboten werden in der Hauptsache zwei Betriebssys-
eme, nämlich Tetra und Tetrapol. Ich vermag nicht zu
eurteilen, welches der beiden angebotenen Systeme
3634 Deutscher Bundestag 15. Wahlperiode 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2003
(A) )
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leistungsstärker, kostengünstiger und insgesamt für die
Nutzer die bessere Wahl ist. Fest steht aber, dass die Ef-
fizienz auch dadurch hätte gesteigert werden können,
wenn alle Staaten, die sich in Europa zur Zusammenar-
beit entschlossen haben, das gleiche Digitalfunksystem
eingeführt hätten.
Diese Chance ist vertan. Einige europäische Staaten
sind vorgeprescht und haben sich ihrerseits bereits für
ein Betriebssystem entschieden. Inwieweit die Betriebs-
systeme untereinander kompatibel sind, wird sich erst im
konkreten Fall erweisen.
Diese unterschiedliche Ausstattung ist ärgerlich. Aber
gerade wir in der Bundesrepublik müssen uns darüber
nicht mokieren. Wir haben genug damit zu tun, unsere
eigenen Bundesländer unter einen Hut zu bekommen. Es
ist längst nicht ausgemacht, dass alle Bundesländer ein
einheitliches Betriebssystem anschaffen werden.
Ein übertriebener Föderalismus feiert hier fröhliche
Urstände und ich möchte meine Kolleginnen und Kolle-
gen von der CDU/CSU-Fraktion nachdrücklich bitten,
sich bei ihren Ländern dafür einzusetzen, dass hier Ver-
nunft einkehrt und bundesweit einheitliche Betriebssys-
teme angeschafft werden.
Ein weiteres Problem, das ebenfalls im Föderalismus
begründet ist, ist die Finanzierung. Die Einführung des
neuen Digitalfunksystems ist sehr teuer und hier haben
naturgemäß Bund und Länder Probleme bei der Kosten-
verteilung.
Nach dem jetzigen Stand besitzt der Bund etwa
8,5 Prozent aller Endgeräte. Gleichwohl erwarten die
Länder, dass der Bund mehr als 50 Prozent der Gesamt-
kosten übernimmt. Auch hier wäre eine Einflussnahme
der CDU/CSU-Kolleginnen und -kollegen bei ihren je-
weiligen Länderregierungen sehr hilfreich. Länder und
Kommunen sind die Hauptnutzer. Daher ist es nur schwer
einzusehen, dass der Bund der Hauptzahler sein soll.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie wissen, dass es
eine gemeinsame Arbeitsgruppe der Finanz- und Innen-
minister gibt. Diese Arbeitsgruppe hat im Januar 2003
ihre Arbeit aufgenommen und ist in wesentlichen Punk-
ten vorangekommen. Das Problem der Einführung des
Digitalfunks steht auf der Tagesordnung der IMK-Sit-
zung, die in den nächsten Tagen stattfindet. Von daher
mutet Ihr kurzfristig vorgelegter Antrag und das Beste-
hen auf Aufsetzung am heutigen Abend ein wenig eigen-
artig an, wissen Sie doch genau, dass diese Entscheidun-
gen nicht allein in der Bundeskompetenz liegen und in
den nächsten Tagen ein wichtiger Schritt nach vorne ge-
tan werden soll.
Man kann sich ein weiteres Mal des Eindrucks nicht
erwehren, dass Sie sich hier nicht von sachlichen Erwä-
gungen leiten lassen, sondern Betriebsamkeit vortäu-
schen, wo sie nicht angebracht ist.
Wir alle hoffen, dass die IMK-Sitzung Erfolge ver-
zeichnen wird. Helfen Sie mit, dass es vorangeht. Die
Schwierigkeiten werden ohnehin noch groß sein.
Es wird und darf bei der Einführung des digitalen
Funksystems kein Sicherheitsleck geben; das heißt, das
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naloge Funksystem muss so lange auch durch Nachrüs-
ung funktionsfähig gehalten werden, bis in allen Berei-
hen und flächendeckend das Digitalfunksystem auch
unktioniert. Das ist kosten- und arbeitsintensiv. Aber
ch bin sicher, wir werden es schaffen.
Ich bin davon überzeugt, dass wir das digitale Funk-
ystem brauchen und auch erhalten, mit welchem Betrei-
ermodell auch immer. Ich möchte aber auch hinzufü-
en, dass mir eine einheitliche, bundesweite und
leichzeitige Einführung sehr am Herzen liegt.
Für den Fall, dass das nicht zustande kommt, sind
eillösungen, die einzelne Bundesländer im Verbund
urchführen wollen und in die sich dann der Bund ein-
linkt, auch denkbar. Ich halte sie aber für die schlech-
ere Lösung. Insgesamt können Sie, liebe Kolleginnen
nd Kollegen der CDU/CSU, sicher sein, dass wir wie
n anderen Fällen auch das erfolgreich zu Ende führen,
as Sie lange Zeit haben schmoren lassen.
Ihr Antrag enthält viele richtige Feststellungen, ist
ber überflüssig und auch nicht hilfreich. Hilfreich und
hrlicher wäre es gewesen, wenn sie statt des Antrags für
ine Zustimmung bei den CDU/CSU-geführten Bundes-
ändern gesorgt hätten.
So wird es Sie sicher nicht verwundern, dass Sie un-
ere Zustimmung hier nicht erreichen werden.
Ralf Göbel (CDU/CSU): Die Polizeien des Bundes
nd der Länder, Feuerwehren, Rettungsdienste sowie
as Technische Hilfswerk müssen mit einem neuen
unksystem ausgerüstet werden. Das bisher verwendete
naloge Funksystem muss durch einen einheitlichen Di-
italfunk ersetzt werden. Das analoge Funksystem ist
ur noch begrenzt einsatzfähig, wird den heutigen An-
orderungen nicht mehr gerecht und ist auch nicht mehr
ukunftsfähig zu entwickeln. Das System weist Mängel
uf, die für ernst zu nehmende Sicherheitsrisiken sorgen.
Zur Veranschaulichung will ich nur einige wenige
eispiele aufzeigen:
Bei Großeinsätzen und Großschadensereignissen sind
ie analogen Funknetze schnell überlastet und brechen
eitweise zusammen. Bei den Flutkatastrophen haben die
insatzkräfte dies erleben müssen; Herr von Kirchbach
at in seinem Bericht auf dieses Manko hingewiesen.
Die Kommunikation und die Einsatzkoordination
wischen Polizei und Feuerwehren ist durch die Verwen-
ung unterschiedlicher Netze erschwert. Im Einsatzfall
eht dadurch wichtige Zeit verloren.
Die unterschiedlichen analogen Funknetze der an Ka-
astropheneinsätzen beteiligten Sicherheitsbehörden,
ettungsdienste sowie der Bundeswehr erschweren den
insatz im Katastrophenfall in erheblicher Weise. Auch
arauf hat Herr von Kirchbach hingewiesen.
Letztlich wird auch unter datenschutzrechtlichen Ge-
ichtspunkten die Verwendung des analogen Funkes im-
er problematischer. Das analoge Funknetz bietet kaum
inen Schutz vor unberechtigtem Mithören. Jeder, vom
bschleppunternehmer bis zum Schwerverbrecher, kann
Deutscher Bundestag 15. Wahlperiode 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2003 3635
(A) )
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den Funk abhören und die für sich günstigen Schlussfol-
gerungen daraus ziehen.
Die wenigen Beispiele zeigen, dass was unter Fach-
leuten und auch den Innenpolitikern unbestritten ist die
Einführung eines modernen und leistungsfähigen neuen
Funksystems dringend erforderlich ist.
Hinzu kommt, dass die Hersteller analoger Funktech-
nik in den kommenden Jahren ihre Produktion reduzie-
ren oder einstellen, weil die Nachfrage nach analoger
Funktechnik, die die technischen Anforderungen der Si-
cherheitsbehörden erfüllt, bei Privatkunden nicht be-
steht. Für den analogen Funk der Sicherheitsbehörden
bedeutet dies steigende Kosten und Engpässe bei Ersatz-
teil- und Ersatzbeschaffung.
Die Bundesregierung führt in ihrer Antwort auf die
Kleine Anfrage der FDP, Bundestags-Drucksache 15/449,
vom Februar diesen Jahres aus, dass die in Deutschland
genutzte analoge Funktechnik veraltet ist, qualitativ
nicht mehr weiterentwickelt werden kann und die wich-
tigsten operativ-taktischen Anforderungen an eine mo-
derne Kommunikation bei weitem nicht mehr erfüllt.
Alles in allem ist zu konstatieren, dass die analogen
Funksysteme eine erfolgreiche und reibungslose Arbeit
unserer Sicherheitsbehörden erschweren und gefährden.
Besonders mit Blick auf die schnelle Bewältigung von
Naturkatastrophen, die effektive Einsatzgestaltung bei
möglichen Terroranschlägen, aber auch mit Blick auf die
Fußball-WM 2006 sind die vorhandenen und zu erwar-
tenden Kommunikationsprobleme besorgniserregend.
Wir müssen alle Behörden und Organisationen mit Si-
cherheitsaufgaben in die Lage versetzen, mit modernen
und zeitgemäßen Kommunikationsstrukturen ihre Auf-
gaben zu erledigen.
Auch hierzu wenige Beispiele:
Das digitale Funksystem kann neben oder gleichzeitig
mit der Sprache auch Daten übertragen. Einsatzrelevante
Daten können vergleichbar einer SMS ausgetauscht wer-
den, so entfällt mühseliges Aufschreiben und Buchsta-
bieren wertvolle Zeit wird gewonnen. Über ihre End-
geräte haben die Einsatzkräfte schnellen Zugriff auf
Datenbanken im Internet und Intranet. Gleichzeitig kön-
nen sich die Einsatzkräfte mit ihren Endgeräten in beste-
hende Mobilfunk- und Festnetze einwählen. Das heute
verwandte Handy wird überflüssig. Für den Polizeibe-
amten vor Ort wäre dies ein Quantensprung gegenüber
dem heutigen Zustand.
Da im digitalen Funksystem der Informationsaus-
tausch verschlüsselt wird, ist dieses System auch abhör-
sicher und erfüllt damit auch die datenschutzrechtlichen
Anforderungen bei der Übermittlung personenbezogener
Daten.
Die Einführung des Digitalfunks wird die Kommuni-
kation innerhalb und zwischen den Behörden und Orga-
nisationen mit Sicherheitsaufgaben verbessern. Die Poli-
zei kann schneller auf Fahndungsdaten zugreifen und
Fotos flüchtiger Täter versenden. Rettungsdienste kön-
nen vom Rettungswagen aus medizinische Daten von
Unfallopfern vorab ans Krankenhaus übermitteln. Bei
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nfällen mit Chemikalien können die Feuerwehren
esswerte besser den beteiligten Einsatzkräften mittei-
en.
Diese wenigen Beispiele machen deutlich, dass der
igitalfunk die Arbeit der Sicherheitsbehörden und da-
it die Innere Sicherheit in Deutschland qualitativ er-
eblich verbessern wird.
Es ist erfreulich, dass sowohl zwischen den Parteien
ls auch zwischen Bund und Ländern grundsätzliche Ei-
igkeit darüber besteht, den Digitalfunk einzuführen.
ur den Reden müssen Taten folgen!
Die Innenministerkonferenz von Bund und Ländern
at bereits im November 2000 die Einführung des Digi-
alfunks beschlossen. Das Bundesinnenministerium hat
m Juni 2001 die Zentralstelle für die Vorbereitung der
inführung des Digitalfunks eingerichtet. Seit Juli 2001
äuft im Raum Aachen ein Pilotprojekt. Das Vergabever-
ahren sollte im Dezember 2002 starten. Der Aufbau des
igitalen Funknetzes sollte nach Planungen der Innen-
inisterkonferenz bis Ende 2005 abgeschlossen sein,
m die Nutzung des Netzes durch die Polizei ab Anfang
006 zu ermöglichen, ein Ziel, das Bundesinnenminister
tto Schily vorgab, um die Fußball-WM reibungslos
urchführen zu können.
Aber bereits seit September 2002 stockt die Verwirk-
ichung des Projekts, weil sich Bund und Länder nicht
ber die Finanzierung einigen können. Es wurde eine ge-
einsame Arbeitsgruppe der Staatssekretäre der IMK
nd FMK gebildet, die die Etatreife des Vorhabens in
en Haushalten des Bundes und der Länder schaffen
ollte. Ein Ergebnis liegt bis heute trotz mehrerer Be-
prechungsrunden immer noch nicht auf dem Tisch.
Die Finanzierung des Digitalfunks ist eine Milliar-
en-investition und damit eine große Herausforderung
ür die öffentlichen Haushalte. Nach Schätzungen der
xperten muss mit einer Investitionssumme von 3,5 bis
,5 Milliarden Euro gerechnet werden allerdings ver-
eilt auf einen Zeitraum von 10 Jahren. Wir halten aller-
ings diese Investition angesichts der augenscheinlich
estehenden Vorteile des Digitalfunks und der beschrie-
enen Probleme des analogen Funksystems nicht nur für
erechtfertigt, sondern für dringend notwendig. Dies ist
ine der wichtigsten Investitionen für die Innere Sicher-
eit in Deutschland überhaupt.
Bundeskanzler Gerhard Schröder selbst versprach an-
ässlich der CeBIT, sich für die zügige Einführung des
igitalfunkes persönlich einzusetzen. Allerdings das
uss man leider konstatieren war von diesem persönli-
hen Einsatz bei der Aufstellung des Bundeshaushaltes
003 nichts zu spüren. Unser Antrag, als ersten Schritt
ur Realisierung dieses Projektes zumindest die Kosten
ür die Ausschreibung in den Bundeshaushalt aufzuneh-
en, wurde von der Regierungsmehrheit abgelehnt.
Ich habe auch nicht den Eindruck, dass die Bundesre-
ierung mit dem nötigen Nachdruck und Engagement
ie Sache behandelt. Nach einem Bericht der Welt am
onntag hat sich der Bund bei den Verhandlungen in
er Bund-Länder-Arbeitsgruppe nur dazu bereit erklärt,
und 10 Prozent der Investitionskosten zu übernehmen,
3636 Deutscher Bundestag 15. Wahlperiode 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2003
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der Kostenanteil des Bundes nach dem sonst üblichen
modifizierten Königsteiner Schlüssels" liegt aber bei
17,84 Prozent. Damit war auch das Scheitern dieser Ver-
handlungsrunde quasi vorprogrammiert.
Ich kann in diesem Zusammenhang dem Parlamenta-
rischen Staatssekretär Körper nur Recht geben, wenn er
sagt, dass es schlimm wäre, wenn auf Grund der im
Streit befindlichen Finanzierungsfrage die Entwicklung
in Europa an uns vorbeilaufen würde was übrigens
schon fast passiert ist. Wenn alle das erkannt haben,
dann muss es doch auch möglich sein, eine gemeinsame
Finanzierungsformel zu finden auch bei angespannten
Haushaltslagen in Bund und Ländern. Wenn man dann
noch berücksichtigt, dass nach Auskunft der Bundesre-
gierung die Kosten für die analogen Systeme in den
nächsten Jahren die Kosten für die Beschaffung und den
Betrieb digitaler Funksysteme überschreiten werden,
dann kann man überhaupt nicht mehr verstehen, warum
der von uns beantragte Haushaltsansatz nicht beschlos-
sen wurde.
Es geht doch bei dieser Entscheidung nicht nur um Fi-
nanzfragen, so wichtig sie auch sein mögen, es geht um
die Sicherheit unserer Bürgerinnen und Bürger sowie
auch unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den
Behörden selbst.
Gerade die Bundesbehörden wie Bundesgrenzschutz
und Zoll, THW und Bundesverfassungsschutz brauchen
das digitale Funknetz in der Fläche. In der letzten BGS-
Zeitschrift wird dies anschaulich dokumentiert. Deshalb
muss sich die Bundesregierung besonders dafür engagie-
ren, dass ein bundesweit nutzbares Funknetz installiert
wird.
Zudem hat der Bund internationale Verpflichtungen
zu erfüllen. Im Rahmen des Schengen-Abkommens hat
sich die Bundesrepublik verpflichtet, den Digitalfunk in
Deutschland einzuführen. Unsere Nachbarn in Europa
sind bei der Einführung des Digitalfunks wesentlich wei-
ter als wir. Fast alle anderen europäischen Länder, sogar
die Beitrtittskandidaten, haben den digitalen Funk be-
reits eingeführt bzw. sind gerade dabei, dies zu tun. Wir
stehen also leider auch bei der Einführung einer moder-
nen Sicherheitstechnik nicht an der Spitze, sondern am
Ende in Europa.
Der Bundeskanzler muss jetzt sein Versprechen einlö-
sen. Nachdem auch die Bundesregierung daran beteiligt
war, die Verhandlungen in der Bund-Länder-Arbeits-
gruppe in die Sackgasse zu führen, muss er jetzt einlö-
sen, was er in der Welt am Sonntag versprochen hat: mit
den Ministerpräsidenten der Länder noch vor der Som-
merpause eine Lösung aushandeln.
Mit dem vorgelegten Antrag fordern wir deshalb die
Bundesregierung auf:
Stellen Sie unverzüglich die Mittel für die Ausschrei-
bung bereit entweder durch Umschichtung oder im
Rahmen des zu erwartenden Nachtragshaushalts!
Leiten sie endlich zusammen mit den Ländern das
Vergabeverfahren und die notwendige Ausschreibung
ein!
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Legen Sie außerdem einen realistischen Zeitplan vor!
as Ziel, bis 2006 den Digitalfunk einzuführen übri-
ens auf mehreren Homepages der Bundesregierung
och so formuliert ist angesichts der Verzögerungen
ohl kaum noch zu halten.
Die Sicherheitsbehörden nehmen eine Kernaufgabe
es Staates wahr nämlich die Sicherheit der Bürger zu
ewährleisten. Wir alle dürfen es deshalb nicht zulassen,
ass die Sicherheitsbehörden von den Kommunikations-
öglichkeiten des Informationszeitalters abgekoppelt
erden.
Ich bitte sie, dem Antrag der CDU/CSU-Fraktion zu-
ustimmen.
Grietje Bettin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die
inführung moderner digitaler Funktechnik für Behör-
en und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben kurz
OS ist unerlässlich. Das zukünftige einheitliche digi-
ale Sprech- und Datenfunksystem wird die Behörden
rstmalig in die Lage versetzen, gemeinsame Infor-
ations- und Kommunikationsstrukturen aufzubauen
nd dies ist entscheidend diese ohne Medienbrüche
u nutzen.
Die deutschen BOS insbesondere auch die Polizei
önnen damit ein abhörsicheres Kommunikationsnetz
it allen Möglichkeiten der Datenanwendungen nutzen
nd dies bei der Verbrechensbekämpfung und Notfall-
orsorge bei Feuerwehr, Rettungsdienst und Katastro-
henschutz einsetzen. Beispielhaft erwähnen möchte
ch hier die mobile Nutzung neuer Medien wie Intranet
nd Internet, den mobilen Zugriff auf Fahndungs- und
efahrgutdaten sowie die Übertragung medizinischer
aten vom Unfallort während des Transportes in der
otfallmedizin. Der damit verbundene Mehrwert für die
ürgerinnen und den Bürger dürfte von allen hier Anwe-
enden geteilt werden. Und im Gegensatz zu dem, was
er vorliegende Antrag der CDU/CSU-Fraktion sugge-
iert ist die Bundesregierung auf diese Umstellung vor-
ereitet.
Die Ständige Konferenz der Innenminister hat sich
ereits 1996 auf die Entwicklung von Konzepten zur
inführung eines gemeinsamen digitalen Funksystems
ür die BOS verständigt. Das Telekommunikationsgesetz
egt ebenfalls bereits seit 1996 diese veränderten Be-
riebsbedingungen auf der Basis einer bestimmten Zutei-
ung von Frequenzen fest.
Der in dieser analogen Technik erreichte Grad an
ompatibilität zwischen unterschiedlichen Dienststel-
en und Organisationen wurde in keinem anderen Land
n dieser Form erreicht. Dennoch dies ist festzuhalten,
lieben einige für den zukünftigen Funkbetrieb unab-
ingbare Forderungen bisher unerfüllt. Hierzu zählen
nsbesondere der Schutz der zu übertragenden Informa-
ion vor unberechtigtem Mithören und Manipulation und
ie Ermöglichung von Sprach- und Datenübertragung in
er gleichen Netzinfrastruktur.
Auf der Basis eines Auftrages der Ständigen Konfe-
enz der Innenminister der Länder wurde eine Projekt-
ruppe BOS-Digitalfunk mit dem Auftrag eingerichtet,
Deutscher Bundestag 15. Wahlperiode 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2003 3637
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festzustellen, inwieweit die betrieblichen Anforderungen
der BOS in der Praxis erfüllt werden können. Die Inte-
ressen der Kommunen und insbesondere ihre finanziel-
len Möglichkeiten müssen ausreichend berücksichtigt
werden. Genauso müssen die europäischen Erfahrungen
in eine Bewertung aufgenommen werden.
Ziel muss es aber bleiben, bis zum Jahre 2006 den di-
gitalen Netzaufbau abzuschließen und eine vollständige
Integration der Teilnehmer zu erreichen. Wir begrüßen
in diesem Zusammenhang ausdrücklich die durchgeführ-
ten Pilotprojekte und Maßnahmen der Bundesregierung.
Ernst Burgbacher (FDP): Kommunikation ist
wichtiger denn je Handy, Email, Fax und Telefon sind
für fast jeden Bundesbürger selbstverständlich. Gerade
in Katastropheneinsätzen ist eine gute Kommunikation
unerlässlich: Wo ist der Brandherd? Gibt es Verletzte?
Wird noch Material benötigt? Wenn es ernst wird,
müssen die Kommunikationsmittel funktionsfähig und
einsatzbereit sein. Die Flutkatastrophe im vergangenen
Jahr hat die Notwendigkeit eines guten Funksystems be-
wiesen.
Bisher haben sich die Nothelfer von Polizei, Feuer-
wehr und Rettungsdienst über analoge Funktechnik un-
tereinander verständigt. Diese Funktechnik droht aber
hoffnungslos zu veralten und auf Dauer teurer zu wer-
den; die Einführung von Digitalfunk bei Behörden und
Organisationen mit Sicherheitsaufgaben ist mehr als
überfällig.
Spätestens zur Fußball-Weltmeisterschaft 2006 müs-
sen die Sicherheitsbehörden auf neuestem technischen
Stand sein, um die Sicherheit der Teams und Besucher
gewährleisten zu können. Angesichts der Vorlaufzeit für
Erprobung und technischer Justierung ist also eine zeit-
nahe Entscheidung geboten. Schlimmstenfalls droht die
Notwendigkeit einer Nachrüstung des alten analogen
Systems, was einen hohen finanziellen Zusatzaufwand
bedeuten würde. Das kann niemand wollen, der verant-
wortlich mit Steuergeldern umgehen will.
Auf dem Markt sind derzeit drei Systeme: Tetra 25
und Tetrapol, neue digitale Kommunikationssysteme,
sowie Vodafone auf Basis des bestehenden D2-GSM-
Systems. Tetrapol ist bereits in Frankreich, der Schweiz
und in Tschechien eingeführt, wird aber nur von einem
Unternehmen angeboten. Tetra 25 wird in vielen anderen
europäischen Staaten verwendet, beispielsweise in Spa-
nien oder Österreich. Allerdings und das ist bei dem
überfälligen Ausschreibungsverfahren von entscheiden-
der Bedeutung sind die verschiedenen Systeme nicht
kompatibel zueinander; zwischen den verschiedenen
Systemen kann also nicht direkt miteinander kommuni-
ziert werden.
Gerade in Notfällen ist jedoch eine direkte Kommuni-
kation zwischen den Einsatzkräften auch grenzüber-
schreitend unerlässlich. Insofern ist ein möglichst ein-
heitliches System auf allen Ebenen anzustreben. Darüber
hinaus sind alle Anstrengungen darauf zu konzentrieren,
die verschiedenen Systeme bestmöglich zu vernetzen.
Dazu muss je nach Netzqualität und Netzverbreitung
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nter Umständen ein zusätzliches Paging-System einge-
ührt werden, um auch in nicht funkversorgten Gebieten,
ie zum Beispiel in Tunneln, eine Kommunikation zu
ewährleisten.
Zurzeit geht es bei der Kommunikation lediglich um
prachkontakte. Die Entwicklung auf dem Digitalfunk-
arkt ist jedoch rasant: Für den Endverbraucher sind
oto-Handys im Trend, die Einführung des UMTS-Net-
es mit all seinen technischen Möglichkeiten ist für Ende
es Jahres geplant. Die jetzt einzuführende Technologie
ollte dieser Entwicklung Rechnung tragen und zumin-
est ausbaufähig bleiben, um künftige technische Fort-
chritte, neue Bedürfnisse im Notfall und weitere Appli-
ationen aufnehmen zu können.
Bund und Länder sind zum Handeln aufgefordert: Die
inführung des Systems muss nun schnellstens angegan-
en werden. Dazu ist ein Zeitplan zu erstellen und die
ötigen Haushaltsmittel müssen eingestellt werden. Die
DP-Fraktion im Deutschen Bundestag wird daher dem
ntrag der Fraktion der CDU/CSU zustimmen.
Fritz Rudolf Körper, Parl. Staatssekretärs beim
undesminister des Innern: Wir sind uns einig in der Ein-
chätzung, dass die digitale Funktechnik mit ihren weit-
eichenden Möglichkeiten auch für die Sicherheitsinsti-
utionen unseres Landes nutzbar gemacht werden muss.
s steht außer Frage, dass der gegenwärtig genutzte Ana-
ogfunk, auch wenn er zuverlässig funktioniert, den stän-
ig wachsenden Anforderungen unserer Sicherheitsinsti-
utionen auf Dauer nicht gerecht werden kann, zum
eispiel in puncto Abhörsicherheit, Datenübertragung
der Teilnehmerflexibilität. Das gilt für die Polizeien in
und und Ländern, das gilt aber selbstverständlich auch
ür die Feuerwehren, Katastrophenschutzstellen, Ret-
ungsdienste und anderes mehr. Umstellung auf Digital-
unk bedeutet, die Arbeit dieser Institutionen effektiver
u machen im Interesse der Bevölkerung, aber auch um
en Menschen, die in diesen Institutionen arbeiten, mo-
erne Arbeitsmittel an die Hand zu geben.
Die Bundesregierung hat bereits mit Kabinettsbe-
chluss vom 27. März 2002 die Bedeutung der Einfüh-
ung digitaler Sprech- und Datenfunksysteme für die Be-
örden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben
ervorgehoben. Sie hat darüber hinaus bekräftigt, dass
ie Einrichtung digitaler Funksysteme für die Behörden
nd Organisationen mit Sicherheitsaufgaben in Deutsch-
and eine Aufgabe aller Beteiligten in Bund und Ländern
st und zwar eine gemeinsame Aufgabe. Es geht nicht
arum, jeder Sicherheitsinstitution für sich genommen
ie Möglichkeiten des Digitalfunks zu eröffnen, sondern
s geht darum, ein einheitliches, ein gemeinsames Netz
n Deutschland zu errichten.
Ein solches gemeinsames Netz ermöglicht rasche und
nkomplizierte Verständigung auch zwischen den ver-
chiedenen Polizeien von Bund und Ländern, aber natür-
ich auch zwischen Polizei und Rettungsdienst, Ret-
ungsdienst und Feuerwehr usw. Wie wichtig eine solche
änder- und behördenübergreifende Kommunikations-
öglichkeit in einer Zeit ist, in der Gefahrenabwehr und
icherheit immer stärker zur gemeinsamen Aufgabe
3638 Deutscher Bundestag 15. Wahlperiode 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2003
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ganz unterschiedlicher Stellen wird, muss ich an dieser
Stelle nicht weiter aufführen. Wir haben das spätestens
seit der Flutkatastrophe letztes Jahr alle ganz plastisch
vor unseren Augen.
Wenn unser Ziel ein gemeinsames, bundesweites
Digitalfunknetz ist, dann setzt dies selbstverständlich
voraus, dass sich Bund und Länder über die technischen,
organisatorischen und finanziellen Rahmenbedingungen
einig werden. Ich denke, man kann sagen, dass wir hier-
bei an vielen Stellen bereits gut vorangekommen sind
und zwar nicht zuletzt auch deshalb, weil sich der Bun-
desinnenminister diese Aufgabe zum persönlichen An-
liegen gemacht hat. Man sollte die bereits erzielten Ar-
beitserfolge nicht kleinreden, gerade in Anbetracht der
enormen technischen und organisatorischen Kompli-
ziertheit der Materie, mit der wir es hierzu tun haben.
Andererseits stehen wir vor der Situation, dass zwi-
schen Bund und Ländern noch bestimmte Meinungsver-
schiedenheiten über die Verteilung der Finanzlasten
bestehen. Die Behebung dieser Meinungsverschieden-
heiten ist Voraussetzung für die Etatreife des Projekts.
Ich denke, man sollte aber auch in diesem Punkt die
Dinge nicht schwarz malen. Finanzielle Interessensge-
gensätze sind bei föderalen Projekten dieses Zuschnitts
sozusagen gottgegeben und, was noch wichtiger ist,
wir befinden uns an dieser Stelle mitten in einem laufen-
den Diskussionsprozess zwischen Bund und Ländern
wie zwischen den Ländern untereinander.
Dieser Diskussionsprozess verläuft übrigens, was
vom CDU/CSU-Antrag vornehm verschwiegen wird,
völlig quer zu den parteipolitischen Grenzen. Es ist,
ohne dass ich hier Namen nennen möchte, auch nicht so,
dass die unionsregierten Ländern sich geradezu darin
überbieten würden, konstruktiv mit eigenen Beiträgen an
einer Lösung der Finanzierungsfragen mitzuwirken.
Was die Position der Bundesregierung betrifft, so
kann ich mir schwer vorstellen, dass sie politischen
Streit zwischen den verschiedenen Seiten dieses Hauses
hervorrufen könnte. Wir wollen, dass sich die Finanzie-
rungsanteile aller Beteiligten ungefähr an dem orientie-
ren, was von ihnen gegenwärtig jeweils für den Betrieb
und die Wartung des Analogfunks aufgewendet wird.
Mit anderen Worten: Die Einführung des Digitalfunks
darf nicht zur Folge haben, dass der Bund überproportio-
nal zahlt und damit letztlich einen Teil der sicherheitsbe-
hördlichen Aufgabenerfüllung in den Ländern mitfinan-
ziert. Alles andere liefe auf einen Finanzausgleich im
Kleinen hinaus, einen aufgabenbezogenen Finanzaus-
gleich, zu dem wir unsere Hand nicht reichen können
und wollen.
Ich bin aber zuversichtlich, dass es uns im Laufe der
nächsten Zeit gelingt, die bestehenden Hindernisse aus
dem Weg zu räumen. Der Bundesinnenminister wird
sich weiterhin persönlich dafür einsetzen. Es wäre,
meine ich, ein Beleg wohlverstandener bundespoliti-
scher Verantwortungsbereitschaft der Unionsfraktion,
wenn sie ihn hierbei unterstützen würde auch wenn
dies in parteipolitischer Hinsicht einige Unbequemlich-
keiten im Verhältnis zu bestimmten Bundesländern mit
sich brächte.
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nlage 7
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung der Anträge:
Zukunftsorientierte Energieforschung Fu-
sionsforschung in Deutschland und Europa
vorantreiben
Unterstützung für eine Bewerbung des
Standortes Greifswald/Lubmin für den
ITER (Internationaler Thermonuklearer
Experimenteller Reaktor) (Tagesordnungs-
punkt 12 und Zusatztagesordnungspunkt
13)
Ulrich Kasparick (SPD): Gestatten Sie mir zu-
ächst, dass ich als Abgeordneter aus Drucksachen des
eutschen Bundestages und seiner Ausschüsse zitiere.
ch zitiere aus der Dokumentation der öffentlichen An-
örung des Ausschusses für Bildung, Forschung und
echnikfolgenabschätzung zur Kernfusion vom
8. März 2001 ein paar Sachverhalte, die für unseren
usammenhang nicht unwesentlich sind.
Erstens: Für ITER und entsprechend ein Kraft-
werk muss eine industrielle Infrastruktur in der
Region vorhanden sein, wie dies für die Errichtung
einer jeden großen und komplexen Industrieanlage
notwendig erscheinen würde.
Das sagte der Direktor des Garchinger Max-Planck-In-
tituts für Plasmaphysik, Professor Alexander Bradshaw,
er zu Recht als weltweit führender Fusionsforscher be-
eichnet wird. Damit wird klar, dass es keine kleinen Fu-
ionskraftwerke geben wird, sondern nur sehr große Ein-
eiten. Großkraftwerke, zumal in einer nuklearen
echnologie, erfüllen nach dem 11. September 2001 die
icherheitsanforderungen an ein modernes Kraftwerk
icht mehr: Diese Großanlagen sind potenzielle Ziele für
erroristen.
Zweitens ich zitiere weiter :
Studien zu zukünftigen Fusionsreaktoren gehen da-
von aus, dass über die gesamte Lebensdauer eines
Fusionsreaktors radioaktive Abfälle in einer Menge
von 50 000 bis 100 000 Tonnen anfallen.
So sagte es Dr. Vetter vom Forschungszentrum Karls-
uhe zur Anhörung. Bei einem Fusionskraftwerk sollte
s jemals gebaut werden fällt also in erheblichem Um-
ang radioaktiver Abfall an. Wir halten fest: Fusionsre-
ktoren leisten demnach keinen Beitrag zur Lösung des
ndlagerproblems, vielmehr verschärfen sie es.
Drittens. Dr. Vetter berichtete weiterhin, dass in Fusi-
nsreaktoren waffenfähiges Plutonium erbrütet werden
ann. Zu einer ähnlichen Auffassung kommt das Büro
ür Technikfolgenabschätzung beim Deutschen Bundes-
ag in seinem Sachstandsbericht zur Kernfusion. Tri-
ium stellt daher ein wesentliches Proliferationsrisiko
eim Betrieb von Fusionsreaktoren dar, heißt es dort.
enn Fusionsreaktoren vor allem die zu erwartenden
nergieprobleme in den Entwicklungs- und Schwellen-
Deutscher Bundestag 15. Wahlperiode 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2003 3639
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ländern lösen sollen, dürfen wir dieses Risiko zur Ver-
breitung von Kernwaffen nicht außer Acht lassen.
Viertens. Die Fusionstechnologie ist eine äußerst kapi-
talintensive Technologie. Wie Professor Bruhns von der
EU-Kommission in der Anhörung sagte, seien bislang
etwa 10 Milliarden Euro in die Fusionsförderung geflos-
sen. Bis zum ersten vielleicht möglichen Kraftwerk in
50 Jahren kommen seiner Meinung nach noch einmal
mindestens 50 Milliarden Euro europäisches Geld dazu.
Zusätzlich hat die Bundesrepublik Deutschland allein in
den vergangenen acht Jahren mehr als 1 Milliarde Euro
für die nationale Fusionsforschung ausgeben. Diese teu-
ren Großkraftwerke sind wegen ihrer immensen Kapital-
intensität keine Lösung für die Dritte Welt, für die sie je-
doch eigentlich gedacht sind. Fusionskraftwerke seien
die Lastpferde für die Megacities der Dritten Welt hatte
Professor Bradshaw in der Anhörung vorgetragen. We-
gen ihrer Kapitalintensität werden sie jedoch genau diese
Bedingung nicht erfüllen können: Diese Technologie er-
höht vielmehr die Abhängigkeit der Dritten Welt von den
Industriestaaten.
Soweit zunächst die Zusammenstellung einiger nicht
unwesentlicher Fakten, zitiert aus dem Ausschussproto-
koll 14/43 vom 28. März 2001 und den Ausschussdruck-
sachen 14/383 a und 14/383 d zu eben derselben Anhö-
rung. Alle diese Aussagen stammen im Übrigen von den
leitenden Professoren in Deutschland, die in der Fusi-
onsforschung arbeiten, sind also irgendwelcher Funda-
mentalismen unverdächtig.
Für mich interessant war übrigens in diesem Zusam-
menhang das ausführliche Aktenstudium zum Thema
Fusion, weil sich viele der vorgetragenen Argumente
mittlerweile seit über 40 Jahren durch die Papiere zie-
hen: Die einen sehen schnelle Erfolge der Fusion schon
in den nächsten zehn Jahren so sah man es etwa in
den 60ern immer wieder findet man, dass das nächste
Experiment ganz sicher den Durchbruch bei der Strom-
erzeugung bringen werde, in allen Papieren allerdings
immer ohne die angekündigten Ergebnisse.
Heute beschäftigt uns ein Antrag der FDP, der die
Deutsche Teilnahme am ITER sichern, die Bewerbung
für den französischen Bewerberstandort Cadarache un-
terstützen, Wendelstein, Asdex und die Projekte in Kars-
ruhe und Jülich weiterhin fördern und im Haushalt 2003
einen entsprechenden Ansatz für Fusionsforschung ein-
stellen und Verpflichtungsermächtigungen für die Folge-
jahre vorsehen soll, Drucksache 15/685. Zunächst sieht
man an diesem Antrag die forschungspolitische Kompetenz
der FDP, denn noch vor Kurzem Drucksache 14/3813 vom
5. Juli 2000 hat sie beantragt, Deutschland solle sich um
den ITER bewerben. Jetzt verlangt sie, Deutschland
solle die französische Bewerbung unterstützen. Ja, was
denn nun?
Es ist im Übrigen wirklich putzig mit diesem Antrag:
Wenn sie beide Drucksachen nebeneinander legen, dann
sehen sie, dass die FDP ihren eigenen Antrag vom 5. Juli
2000 einfach als Textbaustein noch einmal hervorgezo-
gen und lediglich die Jahreszahl geändert hat. Beide An-
träge sind sonst beinahe zu 100 Prozent wortgleich. Ein-
mal also den ITER nach Deutschland, jetzt nun nach
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rankreich, eine solche parlamentarische Arbeit ist unse-
iös. Wir reden hier über Investitionen im mehrstelligen
illiardenbereich!
Einmal abgesehen von diesem nicht unwichtigen De-
ail, befindet sich Deutschland mitten in einem wichti-
en Prozess der Erarbeitung eines neuen nationalen En-
rgieforschungsprogramms. Der Koalitionsvertrag sieht
in solches neues Programm vor, weil die Gewichtungen
n der bisherigen Energieforschung nicht mehr den An-
prüchen der modernen Gesellschaft entsprochen haben:
ir hatten ein viel zu großes Gewicht bei den alten
nergien und viel zu wenig bei den erneuerbaren
nergien. Dies wollen wir im Energieforschungspro-
ramm zugunsten der erneuerbaren Energien und der
nergieeffizienz ändern. In der aktuellen Tagespolitik
tellen wir die Nationalökonomie Schritt für Schritt um
uf einen neuen Energiepfad: weg von der erdölabhängi-
en, zentralen alten Energieversorgung hin zu einer mo-
ernen, dezentralen, auf erneuerbaren Energien gestütz-
en Energieversorgung.
Wir sind mitten in einem Meinungsbildungsprozess
ur Neuausrichtung der Energieforschung in Deutsch-
and und da kommt die FDP daher und zieht einen alten
ntrag von 2000 aus dem PC. So kann es wirklich nicht
ehen.
Das TAB hat in seinem Sachstandsbericht zur Kernfu-
ion drei Handlungsoptionen aufgezeigt. Eine von die-
en ist die Option Neuausrichtung. Sie zeigt einen
usstiegspfad aus der Kernfusion, der meiner Meinung
ach folgende Bedingungen erfüllen müsste:
Erstens. Er müsste im internationalen Vertragsgefüge
vertragsverträglich sein: Pacta sunt servanda.
Zweitens. Er müsste den betroffenen Instituten ausrei-
hend Zeit zu einer Umstrukturierung geben, ohne dass
ersonal entlassen werden muss. Diesen Prozess der
mstrukturierung haben wir übrigens in Deutschland
ereits mehrfach sehr erfolgreich vollzogen.
Der Ausstiegspfad müsste ähnlich wie beim Atom-
usstieg geeignete Zeiträume berücksichtigen. For-
chung ist immer mittel- und langfristig angelegt, da
eht kaum etwas über Nacht.
Die Notwendigkeit, sehr rasch zu einer Neugewich-
ung der Prioritäten in der Energieforschung in Deutsch-
and zu kommen, die hat die Energie-Enquete ausdrück-
ich betont. Wir werden anders die Herausforderungen
n Klimaschutz und technologischen Wandel insbeson-
ere bei der notwendigen Effizienzsteigerung nicht be-
tehen können, vor denen unsere Volkswirtschaft steht.
ie Energie-Enquete hat darauf hingewiesen, dass wir
inen deutlichen Prioritätenwechsel brauchen. Der For-
chungsverbund Sonnenenergie, dem ja, wie sicher alle
issen, große Forschungseinrichtungen des Bundes an-
ehören, hat kürzlich Anforderungen an ein neues
nergieforschungsprogramm vorgelegt, die sehr hilfrei-
he Argumente bei der Erarbeitung dieses Forschungs-
rogramms bereitstellen. Ich empfehle dieses Papier
ehr der freundlichen Lektüre unter den Fachkollegen.
Ich habe eine Option der vom TAB empfohlenen
andlungsmöglichkeiten aufgezeigt. Wir sind mitten
3640 Deutscher Bundestag 15. Wahlperiode 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2003
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drin in einem sehr wichtigen Meinungsbildungsprozess.
Ich bin mir sicher, dass wir diesen Meinungsbildungs-
prozess im Vorfeld der Erarbeitung des neuen Ener-
gieforschungsprogramms parlamentarisch gut voran-
bringen werden, allerdings unter einer Voraussetzung:
Man muss sich etwas Mühe geben. Es genügt nicht, alte
Anträge aus dem Schubfach zu ziehen, wie es die FDP
tut. Wir lehnen diesen Antrag deshalb ab.
Die CDU möchte mit ihrem Antrag erreichen, dass
der Deutsche Bundestag die Bewerbung des Standortes
Lubmin für den ITER unterstützt. Das ist wirklich eine
Nummer zu klein. Um den ITER bewirbt sich ein inter-
nationales Konsortium und Standorte werden im interna-
tionalen Konzert der Nationalstaaten ausgehandelt.
Deutschland wird sich nicht um den ITER bewerben.
Das ist auf internationaler Ebene mehrfach laut und
deutlich gesagt worden.
Also, am besten wir reden nicht weiter über diesen
Antrag, man schmunzelt ohnehin schon genug.
Dr. Martin Mayer (Siegertsbrunn) (CDU/CSU): Der
Antrag der FDP, der eine verstärkte Förderung der Fusi-
onsforschung in Deutschland und Europa fordert, ist gut.
Er könnte von der Union sein. Wir unterstützen den An-
trag deshalb. Der Antrag der CDU/CSU ist noch besser.
Er fordert die Unterstützung für eine Bewerbung des
Standortes Greifswald/Lubmin für den ITER. Über die
besondere Eignung des Standortes Greifswald wird der
Kollege Michael Kretschmer sprechen. Er wird auch
deutlich machen, welch außergewöhnlicher Impuls für
Wissenschaft und Wirtschaft von einer Standortentschei-
dung zugunsten Greifswald ausgehen wird. Ich möchte
daher im Folgenden mehr über die Bedeutung der Kern-
fusion im Allgemeinen sprechen.
Zunächst noch einmal: Was ist die Kernfusion? Die
Kernfusionsforschung möchte den Prozess, der in der
Sonne natürlich abläuft, technisch auf der Erde zur
Stromgewinnung nutzbar machen. Das ist ein sehr ehr-
geiziges Vorhaben. Warum brauchen wir die Kernfu-
sion? Es ist unstrittig, dass der Weltenergiebedarf in den
nächsten Jahrzehnten steigen wird. Man denke nur da-
ran, was es heißt, wenn Länder wie China und Indien an-
nähernd den Lebensstandard wie Westeuropa erreichen
wollen. Auf der anderen Seite sollen fossile Energieträ-
ger wegen der CO2-Problematik weniger verbraucht
werden. Die Kernfusion bietet die Möglichkeit der Ener-
gieversorgung unter günstigen Bedingungen. Der Roh-
stoff für die Kernfusion ist unbegrenzt und in allen Län-
dern verfügbar. Es entsteht kein CO2. Im Vergleich zur
Kernspaltung gibt es deutlich weniger langlebige und
leichter handhabbare radioaktive Abfälle. Außerdem
sind Fusionskraftwerke nach den bisherigen Erkenntnis-
sen inhärent sicher.
Wenn wir also die Energieversorgung künftiger Gene-
rationen sichern wollen, müssen wir die technische Nut-
zung der Kernfusion vorantreiben. Gleichzeitig müssen
natürlich auch die erneuerbaren Energien mit allem
Nachdruck gefördert werden. Die Kernfusion ist keine
Alternative, sondern eine Ergänzung zu den regenerati-
ven Energien.
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Von den Gegnern der Kernfusion wird ins Feld ge-
ührt, die Kernfusion sei eine Großtechnologie, die des-
alb keine Zukunft habe, weil es künftig nur dezentrale
nergieversorgung gebe. Diese Kritiker übersehen, dass
s in Zukunft eher mehr und größere Ballungsräume ge-
en wird als weniger und kleine. Auch Industrien mit
ohem Energiebedarf verlangen eher nach großen Ener-
iequellen wie beispielsweise einem Fusionskraftwerk.
chließlich verlangt die Wasserstofftechnologie, die für
en KFZ-Verkehr genutzt werden soll, nach leistungsfä-
igen Energiequellen. Auch hier kann die Kernfusion ei-
en Beitrag leisten. Von Gegnern der Fusionsforschung
ird außerdem behauptet, das Wagnis für diese Entwick-
ung sei zu groß. In der Tat müssen weltweit Milliarden-
eträge aufgewendet werden, um in einigen Jahrzehnten
iese Energie nutzen zu können. Dem ist aber entgegen-
uhalten, dass kein Forschungs- und Entwicklungsvor-
aben ohne Wagnis ist. Ohne Wagnisbereitschaft hätte
olumbus nie Amerika entdeckt. Außerdem sprechen
ie mittlerweile vorliegenden Versuchsergebnisse dafür,
ass die Kernfusion mit aller Wahrscheinlichkeit tech-
isch zur Stromerzeugung nutzbar ist. Sie ist eine Option
ür die Zukunft. Nach meiner Meinung ist es auch eine
aszinierende Aufgabe, für die sich gerade junge Men-
chen begeistern könnten.
In der Kernfusionsforschung ist jetzt eine Entschei-
ung über ITER notwendig. Dieses internationale Pro-
ekt soll die Möglichkeit der Kernfusion im großtechni-
chen Maßstab beweisen. ITER soll in internationaler
usammenarbeit von EU, USA, Japan, Russland, Ka-
ada und China gebaut werden. Es wäre zum Schaden
eutschlands, wenn wir an diesem Projekt nicht beteiligt
ären. Technisches Wissen und Können würde von uns
bwandern. Die Chancen, später weltweit am Bau von
raftwerken beteiligt zu werden, würden sinken. Aus
iesen Gründen haben wir auch großes Interesse daran,
ass ITER in Europa gebaut wird.
Es ist aber nicht nur notwendig, bei ITER angemessen
eteiligt zu sein. Wir müssen auch in der nationalen For-
chung und Entwicklung die Spitzenstellung, die sich
ie Institute in Garching, Greifswald, Karlsruhe und Jü-
ich erarbeitet haben, erhalten und ausbauen. In Deutsch-
and sind wesentliche Elemente für ITER entdeckt und
ntwickelt worden. Wir sollten auch dabei sein, wenn
ie wirtschaftliche Nutzung beginnt. Deshalb müssen
ir uns gleichzeitig um eine angemessene Beteiligung
n ITER bemühen und unsere nationalen Fähigkeiten in
er Kernfusionsforschung halten oder noch besser
usbauen.
Von den Gegnern der Kemfusionsforschung wird im-
er wieder ins Feld geführt, dass die Ergebnisse zu
ange auf sich warten lassen. Diese Gegner verkennen,
ass sich die Entwicklung auch beschleunigen lässt,
enn alle Beteiligten dies wollten. Es ist jedenfalls un-
edlich, der Fusionsforschung Verzögerungen vorzuwer-
en, die man selbst im politischen Feld verursacht hat.
Nach wie vor ist unverständlich, warum grüne Ideolo-
en die Kernfusion, die eine umweltfreundliche, sichere
nd preiswerte Energieversorgung verspricht, bekämp-
en. Wenn man allerdings den Weg mancher Grünen von
Deutscher Bundestag 15. Wahlperiode 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2003 3641
(A) )
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der Forderung zur Abschaffung der Bundeswehr bis zum
Einsatz in Afghanistan betrachtet, können wir, so denke
ich, auch in der Kernfusionsforschung noch hoffen. Ich
appelliere aber ganz besonders an diejenigen in der Koa-
lition, die Realitätssinn mit der Fähigkeit zu Visionen
verbinden: Lassen Sie uns gemeinsam im Interesse unse-
rer Kinder und Enkel die Kernfusionsforschung voran-
treiben als Option für eine sichere, umweltfreundliche
und kostengünstige Energiequelle der Zukunft! Mit der
Bewerbung Greifswalds für den ITER sollten wir ein
Zeichen setzen.
Michael Kretschmer (CDU/CSU): Die Fläche auf
dem ehemaligen Kernkraftwerksgelände in Greifswald
eignet sich hervorragend für die Kernfusionsversuchsan-
lage ITER. Die Menschen in der Region sind aufge-
schlossen für neue Technologien und wissen, Kernfusion
hat nichts mit der bekannten Kernspaltung gemein. Das
positive Echo in der Öffentlichkeit auf die Arbeit des
ITER-Förderverbandes ist wichtig für diese Bewertung.
Kernfusion ist eine Zukunftstechnologie. Dass sich
die Welt an den Bau einer solchen Großforschungsan-
lage macht, ist eine grandiose wissenschaftliche und in-
genieurtechnische Leistung. Wir von der CDU/CSU-
Fraktion sind begeistert und stolz auf den übergroßen
Beitrag, den deutsche Wissenschaftlicher an diesem Er-
folg haben. Es ist ein Zeichen, welche Potenziale in un-
serem Land vorhanden sind und welche Zukunftsper-
spektiven wir haben, wenn sie nicht aus ideologischen
Gründen kaputt gemacht werden. Wir brauchen einen
Ausbau der Kernfusionsforschung in Deutschland. Eine
Reduzierung, wie sie offenbar in den Koalitionsfraktio-
nen diskutiert wird, kommt der Amputation gesunder
und starker Gliedmaßen gleich. Es wäre zudem ein hefti-
ger Schlag gegen die Wissenschaft in den neuen Bundes-
ländern, denn von den rund 1 000 Menschen, die derzeit
in Deutschland in der Kernfusionsforschung beschäftigt
sind, arbeitet rund ein Drittel in den NBL. Greifswald ist
dabei der Leuchtturm.
Mit der Kernfusion können viele tausend Arbeits-
plätze entstehen, wenn in nicht allzu ferner Zukunft
diese Technologie marktreif ist. ITER ist die letzte Stufe
vor dem Bau des ersten Kernfusionskraftwerks. Die vie-
len beteiligten Staaten haben erkannt: Hier entsteht eine
ökologisch verträgliche und ökonomisch vielverspre-
chende Energiequelle der Zukunft.
Auf den ökonomischen Effekt will ich aus gegebenem
Anlass besonders hinweisen. Erst gestern wurde uns ein
Bericht über die Möglichkeit geothermischer Strom-
erzeugung in Deutschland vorgestellt. Von 122 Seiten
widmen sich immerhin sechs der Frage, ob das Bohren
4 000 Meter tiefer Löcher und die Verwertung der
dort vorhandenen Gesteinswärme von durchschnitt-
lich 150 Grad Celsius wirtschaftlich ist. Am Ende steht
bei allergünstigster Annahme unter dem Strich eine 13,4.
13,4 Eurocent kostet die Kilowattstunde Energie.
8,4 Eurocent sind es bei Windenergie und nur 2,8 bzw.
3,2 bei Erdgas oder Steinkohle.
Der Bundeswirtschaftsminister hat völlig Recht,
wenn er gestern ebenfalls, allerdings im Europaaus-
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chuss, feststellte: Bei den Strompreisen ist die Ober-
ante Oberlippe erreicht! Es geht so nicht weiter, wir
achen unsere Unternehmen kaputt.
Hinzu kommt: Weder bei der Geothermie noch bei
er Windkraft sind große Innovationsschübe zu erwar-
en.
Es tut mir Leid, aber hier wird der Unterschied zwi-
chen Ihrer Welt und unser Politik überdeutlich: Uns be-
eistert nicht nur, wenn der Wind weht, wir wollen durch
echnischen Fortschritt das Lebensniveau der Menschen
eben. Mit der Kernfusion ist das möglich, darum unter-
tützen wir sie.
Ein Standort in Deutschland für ITER würde die deut-
che Spitzenstellung in diesem Bereich untermauern. Mit
er Ansiedlung der Anlage in Mecklenburg-Vorpommern
önnte die Regierung ein gegebenes Versprechen begin-
en einzulösen. Sie haben in ihrem Koalitionsvertrag
estgehalten, zur Förderung der wirtschaftlichen Ent-
icklung bevorzugt Großforschungseinrichtungen in den
euen Bundesländern anzusiedeln.
Das Gegenteil tun sie derzeit. Von den vier Einrich-
ungen in einem Gesamtvolumen von 1,6 Milliarden
uro, die von der Ministerin Bulmahn im Februar insge-
amt zugesagt wurden, befindet sich nur eine, die
leinste Einrichtung im Osten. Von den 1,6 Milliarden
ließen nur 24,5 Millionen in die neuen Bundesländer.
abei wissen Sie, wie die Arbeitslosigkeit steigt, die
irtschaftliche Entwicklung zwischen Ost und West aus-
inander geht und die richtigen Impulse zur Wachstums-
örderung der kleinen Unternehmen nicht ausreichen.
er Osten braucht weitere, neue Impulse. Bereits heute
rbeiten in Greifswald 300 Menschen in der Kernfu-
ionforschung, in einer Region, die mit 23,3 Prozent Ar-
eitslosigkeit leider an der Spitze der Statistik liegt. Mit
TER kann das Zwei- bis Dreifache an Arbeitsplätzen
ntstehen. Und dabei ist noch nicht beachtet, welche
irkung die Aufwertung des Wissenschaftsstandortes
ecklenburg für die Wirtschaft bringen könnte. Schon
llein aus diesem Grund lohnt sich der Einsatz für ITER.
ir jedenfalls sind dazu bereit.
Frau Bundesministerin, machen Sie sich die Bewer-
ung des ITER-Förderverbands zu Eigen und beginnen
ie umgehend mit der Suche nach Verbündeten. Sorgen
ie für einen Ausbau der Kernfusionsforschung in
eutschland und gebieten Sie den Ideologen in der Koa-
itionsfraktion Einhalt. Die Menschen in Deutschland
erden es Ihnen danken.
Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
er Kernfusions-Antrag der FDP ist eine Bankrotterklä-
ung für eine Partei, der früher einmal Wirtschaftskom-
etenz zugesprochen wurde. Die FDP setzt sich für eine
echnologie ein, die unvergleichlich erfolglos ist: Seit
ast 50 Jahren wird uns versprochen, dass sie in spätes-
ens 50 Jahren funktioniere, und auch heute spricht man
och von 50 Jahren. Der indische Physiker Baba hat
brigens bereits 1955 auf der Weltenergiekonferenz ge-
agt, in 20 Jahren werde der erste Reaktor am Netz
ein. Und auch die jüngste Geschichte zeigt, wie wenig
3642 Deutscher Bundestag 15. Wahlperiode 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2003
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von zeitlichen Prognosen zu halten ist: Schon nach we-
nigen Jahren Bauzeit ist das Fusionsexperiment Wen-
delstein 7 X in Greifswald um Jahre in Verzug. Das ein-
zige, was bei der Kernfusion herauskam, ist ein Anstieg
der Kosten und die Verlängerung der Erwartungszeit-
räume.
Hinzu kommt, dass die von den Anhängern der Fu-
sionsenergie erwarteten Stromerzeugungskosten so hoch
sein werden, dass diese Technologie niemals wettbe-
werbsfähig wäre. Erneuerbare Energien sind bereits
heute günstiger oder werden es in 50 Jahren sicher sein.
Ich frage mich im Übrigen auch, wie die FDP diesen
Antrag dem Mittelstand erklären will. Der Mittelstand
braucht dringend Geld für technologische Innovationen
und die FDP will das Forschungsgeld auf eine Technolo-
gie konzentrieren, von der der Mittelstand nichts hat. Al-
lenfalls würden einige Bauunternehmen und große Kon-
zerne am Bau von Forschungsreaktoren beteiligt
werden. Mehr ist aber auch nicht zu erwarten. Somit
wäre der Effekt des FDP-Vorschlages vor allem eine Be-
schäftigungsmaßnahme.
Die FDP spricht in der Überschrift des Antrages von
einer zukunftsorientierten Energieforschung. Doch sie
meint nicht die Windenergie, bei der wir Weltmeister
sind, sie meint auch nicht die Solarstromerzeugung, bei
der wir Vizeweltmeister sind, und sie meint auch nicht
die geothermische Stromerzeugung oder die Bioenergie
mit ihren riesigen Potenzialen in Deutschland. Sie sieht
nicht die vorhandenen und zukünftigen Märkte dieser
Technologien und sie missachtet die Wettbewerbssitua-
tion, in der sich die Unternehmen der Erneuerbaren-En-
ergie-Technologien befinden. All diese Technologien
finden sich im Forderungsteil des Antrages mit keinem
Wort wieder.
Leider hat die FDP ihren wirtschaftspolitischen Sach-
verstand in der Zwischenzeit einer nuklearen Utopie ge-
opfert. Ich fordere die Wirtschaftspolitiker der FDP ins-
besondere die Mittelständler auf, sich näher anzusehen,
welche Anträge von den eigenen Forschungspolitikern
vorgelegt werden.
Doch die FDP gibt nicht nur eine wirtschaftspoliti-
sche Bankrotterklärung ab. Mehr noch: Sie zeigt, dass
sie in keiner Weise den energie- und umweltpolitischen
Herausforderungen gewachsen ist, die sie selbst be-
nennt:
Die FDP zeigt zu Recht das Problem der Versorgungs-
sicherheit auf: Sie schlägt vor, das Problem mit einer
Technologie zu lösen, die, wenn alles gut läuft, in 50 Jah-
ren zur Verfügung stehen könnte. Sie ignoriert damit, dass
die Vorräte an Erdöl, Erdgas und billigem Uran bis dahin
drastisch zurückgehen. Und sie ignoriert auch, dass sich
die verbleibenden Vorräte auf immer weniger Länder
konzentrieren werden und vor allem die europäische Erd-
ölproduktion ihren Höhepunkt bereits überschritten hat.
Die Konzentration der FDP auf eine Zukunftsutopie trägt
zur Lösung der Versorgungsprobleme nichts bei. Bis in
großer Zahl Fusionskraftwerke gebaut werden könnten,
müssen diese Probleme längst gelöst sein.
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Die FDP spricht sich vollkommen zu Recht für den
rhalt einer lebenswerten Umwelt auch für künftige Ge-
erationen aus. Abgesehen davon, dass sie erneuerbare
nergien an jeder Ecke bekämpft, will sie jetzt die Um-
elt erneut mit einer Nukleartechnologie erhalten. Sie
gnoriert dabei, dass diese Nukleartechnologie weiterhin
n hohem Maße Radioaktivitätsprobleme mit sich führt.
ie Radioaktivität klingt zwar schneller ab als bei der
ernspaltung, geht aber mit höherer Strahlung einher.
Auch die Abfälle der Kernfusion werden die Men-
chen noch über Hunderte Jahre sicher verwahren müs-
en. Wie das sicher funktionieren soll, wissen wir be-
anntlich bis heute nicht. Des Weiteren gibt es keine
orstellung, wie die Tritiumrückhaltung gelingen soll.
abei sollte jedem bewusst sein, dass Tritium ein sehr
efährliches, stark diffundierendes Gas ist.
Auch will die FDP ein angemessen niedriges Energie-
reis-Niveau erhalten. Wie will sie das aber mit einer
echnologie erreichen, die nach Aussagen der Kernfusi-
nsforscher Strom zu Kosten von circa 7 bis 8 Cent er-
eugen soll? Und das erst ab dem zehnten Reaktor! Wer
inanziert die ersten neun Reaktoren in der Größenord-
ung von vermutlich jeweils einigen Tausend Megawatt
nd Dutzenden Milliarden Investitionskosten? Und
ieso sagt die FDP nichts dazu, dass die Entwicklung
er Kernfusion global 70 bis 80 Milliarden Euro kosten
oll? Wie kann die FDP hier von einem angemessenen,
iedrigen Energie-Preis-Niveau sprechen?
Die FDP will mit der Kernfusion die weltweiten ener-
iebedingten Spannungspotenziale verringern. Sie igno-
iert dabei, dass es schon heute Konflikte um Energieres-
ourcen gibt und diese mit der absehbaren Verknappung
on Erdöl und Erdgas weiter zunehmen werden. Wir
rauchen Strategien, die Konfliktpotenziale bereits heute
nd morgen minimieren und nicht erst in der zweiten
älfte des Jahrhunderts und auch dann nur vielleicht.
Es ist mehr als schade um jeden Euro, der für die Kern-
usionforschung verschwendet wird. Das Geld wäre bei
en erneuerbaren Energien viel besser aufgehoben. Diese
ecken trotz marginaler Forschungsmittel global schon
ber 12 Prozent des Weltenergiebedarfs. Bis zur Mitte
es Jahrhunderts wäre eine vollständige Deckung mög-
ich. Doch wurden OECD-weit in den letzten 50 Jahren
ie falschen Schwerpunkte gesetzt. 70 bis 80 Prozent der
nergieforschungsmittel flossen in die Kernfusion und
ernspaltung. Die Ergebnisse lauten: 5 Prozent Anteil
er Atomspaltung und 0 Prozent für die Kernfusion.
Wir haben wiederum das getan, was die FDP zu
echt in der Forschungspolitik einfordert: Wir haben
orschung evaluiert und wollen aus dem Ergebnis die
onsequenzen ziehen. Wir wollen daher im Sinne ande-
er Forschungsfelder bei der Kernfusion Mittel einspa-
en. Die einseitige Festlegung in Ihrem Antrag auf die
usion zeigt auf, dass Sie es mit Ihren Zielen nicht ernst
einen. Würden Sie Ihren eigenen genannten Zielen fol-
en, müssten Sie für den Ausstieg aus der Fusionsfor-
chung eintreten.
Widersprüchliche Anträge lehnen wir ab. Stattdessen
erden wir, wie im Koalitionsvertrag festgelegt, die
chwerpunkte auf erneuerbare Energien und Energie-
paren legen.
Deutscher Bundestag 15. Wahlperiode 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2003 3643
(A) )
(B) )
Ulrike Flach (FDP): Die rot-grüne Bundesregierung
hat den Ausstieg aus der Kernenergie gesetzlich gere-
gelt, die bisher 30 Prozent des Strombedarfs in Deutsch-
land deckt. Was uns diese Bundesregierung bis heute
schuldig blieb, ist ein in sich geschlossenes Konzept ei-
ner künftigen Energieversorgung in Deutschland. Das
Einzige, was Rot-Grün zu diesem Thema einfällt, ist,
durch die Förderung der erneuerbaren Energien, Kraft-
Wärme-Kopplung und Bioenergie gesetzlich an den
Dauertropf von Subventionen zu hängen. Bereits im ver-
gangenen Jahr wurden so den Deutschen über 2,2 Milli-
arden Euro Kaufkraft entzogen.
Meine Damen und Herren von der Koalition, Sie
brauchen sich nicht zu wundern, wenn so der wirtschaft-
liche Aufschwung ausbleibt!
Eine auf die Zukunft ausgerichtete Energiefor-
schungspolitik muss sich an völlig neuen Energiekon-
zepten orientieren, will sie den Herausforderungen des
Weltenergieverbrauchs und der Entwicklung in der
Dritten Welt gewachsen sein. Im Mittelpunkt stehen
auf der einen Seite die Erhaltung der Energieversor-
gungssicherheit, einer lebenswerten Umwelt auch für
künftige Generationen, die Erhaltung eines angemesse-
nen Energie-Preis-Niveaus und die Verringerung der
weltweiten energiebedingten Spannungspotenziale an-
gesichts der absehbaren Verknappung der Energie-
ressourcen. Es ist daher für Staat und Wirtschaft eine
Aufgabe ersten Ranges, den Ausbau der Nutzung er-
neuerbarer Energien und damit auch die Fusionsfor-
schung voranzubringen.
Die Fusionsforschung hat inzwischen ein Stadium er-
reicht, in dem es wissenschaftlich und technisch möglich
ist, mit dem Bau eines Experimentalreaktors als einer
Vorstufe zu einem Fusionskraftwerk zu beginnen. Daher
muss an der politischen Option Kernfusion für eine zu-
künftige Energieversorgung festgehalten und die dies-
bezüglichen Forschungs- und Entwicklungsprojekte in
Deutschland und Europa zielgerichtet durchgeführt wer-
den. Angesichts des großen internationalen Interesses an
der Fusionsforschung ist es sehr wichtig, die deutsche
Wissenschaftskompetenz und Technologieführerschaft
in ein derartiges Großprojekt einzubeziehen und unter
Beweis zu stellen.
Sie alle wissen, dass auch die USA sich zum Thema
Fusionsforschung und ITER wieder zurückgemeldet ha-
ben. Die USA werden sich an diesem wichtigen interna-
tionalen Projekt mit 10 Prozent der Bau- und Betriebs-
kosten wieder angemessen beteiligen. Dieses klare
Bekenntnis zur Fusionsforschung und zu ITER ist für
mich zugleich auch ein Beleg dafür, dass zukunftsorien-
tierte Forschungspolitiker, wozu ich auch die der FDP
zähle, den richtigen Weg beschreiten.
Eine zukunftsweisende Energieforschungspolitik
muss einen Beitrag zur Sicherung des Industrie- und
Wirtschaftsstandortes Deutschland leisten. Vor diesem
Hintergrund soll sich die zukünftige staatliche geförderte
Energieforschung stärker an den neuen Herausforderun-
gen ausrichten.
Die Grundlagenforschung muss in internationaler Ko-
operation nach neuen Möglichkeiten der Energieerzeu-
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ung und der Behandlung und des Verbleibs der Rück-
tands- und Abfallprodukte des Energiegewinnungs-
rozesses suchen. Hierzu zählen auf der einen Seite alle
rten der Nutzung regenerativer Energieträger, aber
uch innovative Kernreaktoren, die entscheidende Maß-
ahmen zum Schutz der schädlichen Wirkung ionisie-
ender Strahlen außerhalb des abgeschlossenen Gebäu-
es der Anlagen nicht erforderlich machen.
Die nachhaltige Zurückführung der energiebedingten
missionen in die Erdatmosphäre kann nur dann erreicht
erden, wenn global durch emissionsarme oder -freie
nergieträger Potenziale zur Energieeffizienzsteigerung
nd zur Energieeinsparung verfügbar und wettbewerbs-
ähig gemacht werden.
Die deutsche Forschung muss neben nationalen Akti-
itäten immer stärker in die europäische und internatio-
ale Energieforschung integriert werden.
Für den Zeitraum 2002 bis 2006 zeigt das 6. Rahmen-
rogramm der Europäischen Union im Bereich der For-
chung, der technologischen Entwicklung und Demons-
ration mit dem Förderungsrahmenprogramm der
uropäischen Atomgemeinschaft, EURATOM, den Weg
uf. Förderungsempfänger sind das Max-Planck-Institut
ür Plasmaphysik und die Forschungszentren Jülich so-
ie Karlsruhe als Mitglieder der Hermann v. Helmholtz-
emeinschaft Deutscher Forschungszentren. Gefördert
ird ausschließlich die Grundlagenforschung in Höhe
on 100 Prozent der entstehenden Kosten. Im Rahmen
ieses spezifischen Programms für Maßnahmen im Be-
eich der Forschung und Ausbildung ist die Leitaktion
Kontrollierte Kernfusion eingebunden. In dieser Leit-
ktion geht man davon aus, dass künftig alle Energie-
uellen genutzt werden müssen, um bis zum Jahre 2025
ie weltweite gestiegene Energienachfrage decken zu
önnen. Mit der Förderung der Fusionsforschung im
nternationalen Maßstab wird das Ziel verfolgt, einen
eaktorprototyp zu bauen.
Die Fusionsforschung ist zugleich ein fester Bestand-
eil der Energieforschung in Deutschland, die in ihrer
esamtheit auf die Lösung globaler Energieprobleme
usgerichtet ist und somit auch die Interessen der Länder
er Dritten Welt berücksichtigt. Sie orientiert sich aus-
chließlich an der friedlichen Nutzung dieser Ener-
ieform. Die darauf ausgerichteten Forschungen am
ax-Planck-Institut für Plasmaphysik in Garching bei
ünchen sowie am Außenstandort Greifswald müssen
neingeschränkt weiter betrieben werden.
Mit dem nationalen Fusionsforschungsprojekt Wen-
elstein 7-X, dem weltweit größten Fusionsexperiment
ach dem Stellarator-Prinzip, muss Deutschland mit fi-
anzieller Unterstützung der EU das Ziel verfolgen, ei-
en auf künftigen Dauerbetrieb ausgelegten Fusionsre-
ktor zu bauen und seine Funktionstüchtigkeit unter
eweis zu stellen.
Außer Frage steht für mich, dass auf der Grundlage der
mfangreichen wissenschaftlichen und technischen deut-
chen Kenntnisse in der Fusionsforschung Deutschland
ich an der Entwicklung und dem Bau des modifizierten
3644 Deutscher Bundestag 15. Wahlperiode 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2003
(A) (C)
(B) )
Internationalen Thermonuklearen Experimentierreak-
tors, ITER, beteiligt.
Deutschland muss dabei die Bewerbung Frankreichs
um den Standort für den Internationalen Thermonuklea-
ren Experimentierreaktor, ITER, unterstützen und sich
an der Planung, dem Bau und dem Forschungsbetrieb
beteiligen. Das entspricht der Rolle und Bedeutung bei-
der Länder als führende Industrienation in der Welt.
Christoph Matschie, Parl. Staatssekretär bei der
Weltweit wird zur Zeit über den Bau des nächsten
großen Fusionsexperiments, ITER, diskutiert. Nachdem
inzwischen auch die USA den Verhandlungen zum Bau
von ITER wieder beigetreten sind, sind alle großen In-
dustrienationen Europäische Union, Japan, USA, Ka-
nada und Russland sowie China an diesen Verhandlun-
gen beteiligt.
Wir sind inzwischen bei diesen Verhandlungen ein
gutes Stück weitergekommen. Standortbewerbungen für
ITER liegen aus Japan, Kanada und Europa vor. Europa
bietet derzeit noch zwei Standorte an: Cadarache in
Bundesminsterin für Bildung und Forschung: Wir sind
heute wahrscheinlich immer noch Jahrzehnte von einer
kommerziellen Nutzung der Fusionsenergie entfernt.
Mehr noch, wir wissen nicht, ob diese Energie tatsäch-
lich einmal genutzt werden kann. Wir sind uns auch der
teilweise kontroversen Diskussion zur Nutzung der Fu-
sion bewusst. Dennoch ist die Fusion aus heutiger Sicht
eine nicht auszuschließende Option. Daher setzt die
Bundesregierung in ihrer Forschungspolitik auf einen
Energiemix, um Optionen für die Zukunft offen zu hal-
ten.
Klar ist aber auch: Die drängenden Klimaprobleme
verlangen ein sofortiges Umsteuern in der Energiepoli-
tik. Darauf hat die Bundesregierung reagiert; denn wir
können nicht warten, bis die Fusionsenergie möglicher-
weise in 40 bis 50 Jahren zur Verfügung stünde.
Die Bundesregierung hat sich in der Koalitionsverein-
barung für eine Priorität der erneuerbaren Energien, der
rationellen Energieverwendung und von Energieeinspa-
rungsmaßnahmen ausgesprochen.
Folgerichtig heißt es daher auch in den forschungspo-
litischen Vorgaben für den Forschungsbereich Energie
der Helmholtz-Gemeinschaft, dass der vorgesehene fi-
nanzielle Aufwuchs auf die Gebiete erneuerbare Energien
und rationelle Energieumwandlung zu konzentrieren ist.
Fusionsforschung ist ohne steigenden finanziellen Ansatz
durchzuführen. Dies führt zu einer Diskussion über eine
Konzentration der Fusionsaktivitäten in Deutschland. Al-
lerdings muss die internationale Vernetzung dieser For-
schung dabei im Blick bleiben.
Die deutschen Fusionsforschungsinstitute sind eng
eingebunden in das europäische Forschungsprogramm.
Die laufenden Forschungsarbeiten werden zu einem er-
heblichen Teil über Euratom gefördert. Dies trifft insbe-
sondere auch auf das Stellaratorexperiment Wendelstein
7-X zu, das derzeit in Greifswald aufgebaut wird.
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rankreich und Vandellos in Spanien. Deutschland be-
irbt sich wegen anderer Prioritätensetzung nicht um ei-
en Standort. Wir bleiben damit in der Kontinuität der
orgängerregierung, die bereits 1996 eine Bewerbung
m einen ITER-Standort ausgeschlossen hat. Diese Dis-
ussion heute mit umgekehrtem Vorzeichen wieder auf-
ugreifen, zeigt entweder Unkenntnis und Konzeptions-
osigkeit oder unehrlichen Populismus.
Eine Reihe von Mitgliedstaaten drängt inzwischen bei
er EU-Kommission darauf, dass diese einen Prozess in
ie Wege leitet, um zu einem europäischen Standort zu
ommen. Deutschland sieht dies ähnlich.
Für die EU werden die Verhandlungen zu ITER durch
ie Europäische Kommission geführt, die dazu ein Ver-
andlungsmandat des Forschungsministerrats hat.
Mitte Mai wird es eine Diskussion der EU-For-
chungsminister über den Stand der Vertragsverhandlun-
en geben. Deutschland wird dabei weiter darauf drän-
en, dass es zu einer ausgewogenen Verteilung der
osten für den Bau von ITER kommt und dass eine trag-
ähige Struktur der zu gründenden internationalen Orga-
isation gefunden wird.
Im Haushalt des BMBF sind 2003 wie im Vorjahr
12 Millionen Euro für die Finanzierung der Fusionsfor-
chung vorgesehen. Darin ist auch die weitere Finanzie-
ung von Wendelstein 7-X enthalten. Die Verteilung der
ittel zwischen den drei deutschen Fusionsforschungs-
tandorten hängt entscheidend vom Ergebnis der gerade
tattgefundenen HGF-Begutachtung ab. Die Ergebnisse
er Begutachtung werden Ende 2003 im Senat der HGF
eraten.
Sie sehen: Der vorliegende Antrag der FDP fordert,
as die Bundesregierung längst tut, wiederholt einen
DP-Antrag aus der 14. Legislaturperiode und ist gerade
n seiner Einseitigkeit unausgewogen, der Antrag der
DU/CSU kommt wohl zehn Jahre zu spät. Ich bitte Sie
aher, beide Anträge abzulehnen.
43. Sitzung
Berlin, Donnerstag, den 8. Mai 2003
Inhalt:
Redetext
Anlagen zum Stenografischen Bericht
Anlage 1
Anlage 2
Anlage 3
Anlage 4
Anlage 5
Anlage 6
Anlage 7