Gesamtes Protokol
Guten Tag, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sit-
zung ist eröffnet.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 1 auf:
Fragestunde
– Drucksachen 15/413, 15/419 –
Zu Beginn der Fragestunde rufe ich gemäß Ziffer 10 der
Richtlinien für die Fragestunde die dringliche Frage des
Kollegen Eckart von Klaeden auf Drucksache 15/419 auf:
Geht die Berichterstattung des Nachrichtenmagazins „Der
Spiegel“ vom 10. Februar 2003 über einen „Alternativ-Plan der
Franzosen und Deutschen“ auf Informationen aus der Bundes-
regierung zurück, und wenn ja, von wem stammen diese Informa-
tionen?
Zur Beantwortung dieser Frage steht der Staatsminis-
ter Rolf Schwanitz zur Verfügung.
Herr von Klaeden, ich beantworte Ihre Frage wie folgt:
Ziel der Bundesregierung ist es, alle Möglichkeiten zu
einer friedlichen Lösung der Irakproblematik zu nutzen.
Der Bundeskanzler wird morgen in seiner Regierungser-
klärung die Haltung der Bundesregierung und ihr Vorge-
hen erläutern.
Gemeinsam mit Frankreich und Russland sind wir der
Auffassung, dass die vom Sicherheitsrat einstimmig ver-
abschiedete Resolution 1441 einen Rahmen bietet, dessen
Möglichkeiten noch nicht voll und ganz ausgeschöpft
sind. Wie der Regierungssprecher bereits am Montag
erläuterte, gibt es gemeinsame Überlegungen zwischen
Deutschland und Frankreich, die darauf zielen, das In-
spektionsteam unter Leitung von Herrn Blix und Herrn
al-Baradei zu stärken. Erste Vorschläge dazu hat der fran-
zösische Außenminister de Villepin in der Sicherheits-
ratssitzung am 5. Februar vorgetragen. Diese wurden vor
dem Hintergrund einer engen Abstimmung zwischen
Deutschland und Frankreich vom deutschen Außenminis-
ter Joschka Fischer unterstützt.
Weder ist es Aufgabe der Bundesregierung noch liegt
es im Rahmen ihrer Möglichkeiten, die Frage zu beant-
worten, auf welche Quellen sich die Berichterstattung in
den Medien im Einzelnen stützt.
Zusatzfrage des Kollegen von Klaeden.
Herr Staatsminister, ist es zutreffend, dass sich der
Bundeskanzler am Donnerstagabend letzter Woche, also
zwei Tage vor der Sicherheitskonferenz in München, mit
Redakteuren des „Spiegel“ im Kanzleramt getroffen hat
und ihnen dabei seine Vorstellungen zu den von Ihnen er-
wähnten möglichen Initiativen Deutschlands und Frank-
reichs erläutert hat?
Herr von Klaeden, der Bundeskanzler trifft sich regel-
mäßig mit Journalisten. Darunter sind auch Journalisten
des „Spiegel“.
Herr Staatsminister, ist es zutreffend, dass Außenminis-
ter Joseph Fischer und Verteidigungsminister Peter
Struck, die beide an der Sicherheitskonferenz in München
teilgenommen haben, nicht über dieses Gespräch und sei-
nen Inhalt informiert waren?
Herr von Klaeden, das kann ich nicht bestätigen. Es fin-
det zwischen den Ressorts wie auch im Kabinett eine enge
Abstimmung statt. Diese ist gerade in der Irakfrage sehr in-
tensiv und findet mitunter sogar mehrmals täglich statt.
Eine weitere Zusatzfrage des Kollegen Koppelin.
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 24. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. Februar 2003
Herr Staatsminister, war dieser Plan – man hat von ei-
nem Geheimplan gesprochen – so geheim, dass Bundes-
außenminister Joseph Fischer wie auch Verteidigungsmi-
nister Peter Struck nichts davon wussten? Sie haben von
einer Abstimmung zwischen den Ressorts gesprochen.
Stimmt es, dass man sich dabei am Telefon zum Teil sehr
lautstark äußert?
Herr Koppelin, es kann nicht Aufgabe der Bundesre-
gierung sein, Äußerungen und Mutmaßungen in Zeitun-
gen zu bewerten oder zu kommentieren.
Ich will noch einmal ausdrücklich darauf hinweisen
– auch der Regierungssprecher hat dies getan –, dass es
gemeinsame Überlegungen zwischen Deutschland und
Frankreich auf der Grundlage einer gemeinsamen Ein-
schätzung der Situation im Irak gibt. Dies wird von allen
Mitgliedern des Bundeskabinetts mitgetragen.
Die nächste Zusatzfrage hat der Kollege von und zu
Guttenberg.
Karl-Theodor Freiherr von und zu Guttenberg
:
Herr Staatsminister, wann, in welcher Form und auf
welcher Ebene hat die Kommunikation mit Frankreich
vor, während und nach der Sicherheitskonferenz stattge-
funden?
Herr Kollege, wir stehen insbesondere mit Frankreich
in ständigem Kontakt, also nicht nur vor, während oder
nach der Konferenz. Wir haben die feste Absicht – dies ist
insbesondere durch die Vorschläge, die der französische
Außenminister in der Sitzung des Sicherheitsrates am
5. Februar eingebracht hat, und die Unterstützung, die der
deutsche Außenminister dort kundgetan hat, deutlich ge-
worden –, im Interesse einer friedlichen Lösung des Irak-
konflikts weiterhin gemeinsam vorzugehen. Dabei haben
wir das Ziel, im Sicherheitsrat, aber auch darüber hinaus,
eine möglichst große Zustimmung für diese Überlegun-
gen zu finden.
Kollege Grindel.
Herr Staatsminister, bezüglich der Frage des Kollegen
von Klaeden, die sich nicht allgemein auf die Pressearbeit
des Bundeskanzlers bezogen hat, frage ich konkret nach,
ob Sie bereit sind, zu bestätigen, dass es am Donnerstag
ein Gespräch des Bundeskanzlers mit mehreren Redak-
teuren des „Spiegel“ im Kanzleramt gegeben hat.
Es hat am Donnerstag mehrere Kontakte zu Journalis-
ten gegeben. Darunter befanden sich auch Journalisten
des „Spiegel“.
Herr Kollege Fischer.
Ich frage Sie: Ist die Berichterstattung des „Tagesspie-
gel“ von gestern falsch, nach der in dem Gespräch mit den
„Spiegel“-Redakteuren am Donnerstagabend die Frage
der Blauhelmeinsätze das erste Mal erörtert worden ist,
und ist es richtig, dass Herr Struck in München erklärt hat,
er habe dies erst aus der Vorabveröffentlichung des „Spie-
gel“ erfahren?
Herr Abgeordneter, Hintergrundgespräche und das,
was einzelne Zeitungen in ihrer journalistischen Freiheit
interpretieren bzw. berichten, können nicht Gegenstand
der Berichterstattung der Bundesregierung sein.
Ich frage nach. – Sie haben Recht, es ist nicht zulässig,
eine zweite Frage zu stellen.
Nach den Regelungen der Fragestunde ist eine weitere
Zusatzfrage – außer durch den Fragesteller – nicht möglich.
Es liegen keine weiteren Fragen zu dieser Dringlich-
keitsfrage vor, sodass ich die Befragung der Bundesregie-
rung zu diesem Punkt abschließe.
Der Kollege von Klaeden möchte einen Geschäfts-
ordnungsantrag stellen.
Herr Präsident, im Namen meiner Fraktion stelle ich
den Antrag, wegen der unbefriedigenden und auswei-
chenden Beantwortung der Frage durch die Bundesregie-
rung im Anschluss an die Fragestunde eine Aktuelle
Stunde dazu abzuhalten.
Nach den Richtlinien für die Aktuelle Stunde – in die-sem Fall geht es um Ziffer 1 b – ist eine sich aus der Fra-gestunde entwickelnde Aktuelle Stunde unmittelbar imAnschluss an die Fragestunde durchzuführen. Dies hat zurFolge, dass die für heute angemeldete Aktuelle Stunde zueinem anderen Thema nicht stattfinden wird.Ich rufe nun die Fragen entsprechend der Ihnen be-kannt gemachten Reihenfolge auf. Wir kommen zunächst
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 24. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. Februar 2003 1825
zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Um-welt, Naturschutz und Reaktorsicherheit.Frage 1 des Kollegen Dietrich Austermann wirdschriftlich beantwortet.Wir kommen dann zum Geschäftsbereich des Bundes-ministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend.Zur Beantwortung der Fragen steht die ParlamentarischeStaatssekretärin Marieluise Beck zur Verfügung.Ich rufe die Frage 2 des Abgeordneten Reinhard Grindelauf:Treffen die Feststellungen eines Gutachtens der Friedrich-Ebert-Stiftung zu den bisherigen Wirkungen der Programme derBundesregierung gegen Rechtsextremismus – Xenos, Entimonund Civitas – zu, wonach die Sonderzuwendungen vor allem inden neuen Ländern für „normale“ Jugendarbeit verwendet wer-den, für welche die zuständigen Kommunen keine Finanzmittelmehr ausgeben können – „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ vom2. Januar 2003 –, und wenn ja, wie will die Bundesregierung dafürsorgen, dass die Mittel aus den entsprechenden Programmen künf-tig zielgerichteter eingesetzt werden?Marieluise Beck, Parl. Staatssekretärin bei der Bun-desministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend;Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flücht-linge und Integration:Gestatten Sie mir vorab eine Bemerkung, weil zu diesemKomplex eine große Vielzahl von Fragen vorliegt: In dervon der Friedrich-Ebert-Stiftung finanzierten Studie wirddas Aktionsprogramm ausdrücklich begrüßt. Ich zitiere auseiner Stellungnahme des Autors, die mir vorliegt:Ziel war und ist es, zur Verbesserung und Versteti-gung der Programme beizutragen. Nachdem einArtikel in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ am2. Januar 2003 dies vorgemacht hat, werden voninteressierter Seite selektiv einige kritische Anmer-kungen aufgegriffen, um generelle Zweifel am Nut-zen solcher Programme zu streuen. Dies wider-spricht den Intentionen der Expertise.Zu Ihrer Frage: Das Aktionsprogramm, das aus dendrei Teilen Entimon, Civitas und Xenos besteht, zielt aufdie Stärkung der Zivilgesellschaft zur Bekämpfung undPrävention von rechtsextremistischem, fremdenfeind-lichem und antisemitischem Gedankengut. Hauptziel-gruppe sind junge Menschen, aber auch Eltern, Erzieher,Lehrer und andere Multiplikatoren; denn über diese Ziel-gruppe können langfristig wirkende Einstellungsverände-rungen am besten erreicht werden.Mit dem Aktionsprogramm will die Bundesregierungim Rahmen ihrer Anregungsfunktion Zeichen setzen.Dies ist nach Einschätzung der Bundesregierung sichtbargelungen. Damit unterscheidet sich diese Zielsetzung von„normaler“ Jugendarbeit. Sie soll „normale“ Jugendarbeitnicht ersetzen.
Zusatzfrage des Kollegen Grindel.
Frau Staatssekretärin, die Studie besagt, dass nach den
Erkenntnissen der Wissenschaftler die Sonderzuwendun-
gen vor allem in den neuen Ländern für Projekte der „nor-
malen“ Jugendarbeit verwendet worden sind. Deswegen
möchte ich Sie fragen, wie viele neue Projekte angestoßen
worden sind, die mit einer gewissen Dauerhaftigkeit lau-
fen.
Marieluise Beck, Parl. Staatssekretärin bei der Bun-
desministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend;
Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flücht-
linge und Integration:
Eine Vielzahl von Projekten läuft in der Regel länger
als ein Jahr. Das ist auch so gewollt; denn der Aspekt der
Nachhaltigkeit steht dabei im Vordergrund. Eine Auf-
schlüsselung, welche Projekte wann gestartet worden
sind, möchte ich Ihnen schriftlich nachreichen.
Noch einmal: Es ist nicht Sinn des Aktionsprogramms,
„normale“ Jugendarbeit zu ersetzen. Ich möchte hier al-
lerdings ein Problem sehr deutlich benennen. Die Tatsa-
che, dass von den Ländern die Mittel für die allgemeine
Jugendarbeit deutlich zusammengestrichen werden, führt
zumindest bei den Trägern zu der Versuchung, nunmehr
aus anderen Projekten Mittel zu akquirieren. Aber die
Leitvorstellungen und Zielsetzungen der Programme be-
grenzen diese Möglichkeit eindeutig.
Eine weitere Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin, ist dann nach Ihrer Einschätzung
die Feststellung von Herrn Roth falsch, dass es sich im
Wesentlichen um Symbolpolitik handele, da viele Pro-
jekte wegen der auch von Ihnen angesprochenen schwie-
rigen Finanzlage der Kommunen gerade in den neuen
Ländern gestrichen werden, weil sie diese nicht mehr ko-
finanzieren können?
Marieluise Beck, Parl. Staatssekretärin bei der Bun-
desministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend;
Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flücht-
linge und Integration:
Es handelt sich bei diesen Modellprojekten – das kann
man dem Begriff schon entnehmen – um Modelle. Es ist
keine Förderung der Bundesregierung mit einer Dauer
von fünf, zehn oder 15 Jahren. Das läge auch nicht in der
Kompetenz des Bundes.
In dem Modell ist eine Anschubphase vorgesehen. Es
wird sich zeigen, ob es vor Ort Träger gibt, zum Beispiel
Kommunen, Kirchen, Unternehmen oder Einzelpersonen,
die bereit sind, diese Modelle in ihre Obhut zu nehmen
und damit zu einer Verankerung beizutragen. Wir haben
die Erfahrung gemacht, dass bei einigen Programmen
50 Prozent dieser Projekte dauerhaft übernommen wur-
den. Bei anderen Programmen gelingt das nicht.
Eine Zusatzfrage, Frau Kollegin Dümpe-Krüger.Vizepräsident Dr. Norbert Lammert
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 24. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. Februar 2003
Frau Staatssekretärin, die CDU/CSU unterstellt, in den
neuen Ländern würden Sonderzuwendungen aus dem
Programm „Jugend für Toleranz und Demokratie“ für die
„normale“ Jugendarbeit umgewidmet. Wenn das wirklich
der Fall wäre, müsste dann nicht dringend die Jugendar-
beit finanziell besser ausgestattet werden, statt hier die
Idee zu verfolgen, Programme zu streichen?
Marieluise Beck, Parl. Staatssekretärin bei der Bun-
desministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend;
Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flücht-
linge und Integration:
Ich habe eben schon auf das Problem hingewiesen,
dass angesichts leerer Kassen in Gemeinden und Ländern
die Jugendarbeit sehr geblutet hat – davon war vor allem
die so genannte normale Jugendarbeit betroffen – und
dass es deswegen aus einer Not heraus bei Trägern und
Verbänden die Überlegung gibt, möglicherweise woan-
ders – in diesem Fall beim Bund – Mittel zu akquirieren.
Aber da die Programme in ihrer Zielsetzung sehr genau
umrissen sind, ist dieser Weg verschlossen.
Eine weitere Zusatzfrage, bitte schön.
Frau Staatssekretärin, wenn Sie die Studie richtig gele-
sen haben, werden Sie wie auch die Fragesteller bei der
Frage, ob die Mittel in die allgemeine Jugendarbeit
fließen, die Möglichkeit erkannt haben, dass auch die all-
gemeine Jugendarbeit mit der Zielsetzung der Programme
in Verbindung gebracht wird. Stimmen Sie mir also zu,
dass die Jugendarbeit in den neuen Ländern auch dadurch
erfolgen kann, dass die Zielsetzungen von Entimon, Xenos
und Civitas übernommen werden, und dass es sich dabei
um etwas Sinnvolles handelt?
Marieluise Beck, Parl. Staatssekretärin bei der Bun-
desministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend;
Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flücht-
linge und Integration:
Wenn Sie es in dieser Weise und mit dieser Zielset-
zung formulieren, ist das richtig. Es sind auch Mittel
an große Träger geflossen. Wenn allgemeine Träger der
Jugendarbeit Projekte durchführen, mit denen sie zum
Beispiel im Sinne von politischer Bildungsarbeit einen
Ansatz verfolgen, mit dem ein demokratisches Gesell-
schaftsbild gegen Gewalt, Aggression und Fremden-
feindlichkeit erzeugt werden soll, dann sind auch sie be-
rechtigt, an diesen Programmen teilzunehmen. Das ist
sogar gewünscht.
Ich rufe die Frage 3 des Kollegen Grindel auf:
Welche Maßnahmen will die Bundesregierung ergreifen, um
sicherzustellen, dass von den Programmen gegen Rechtsextre-
mismus künftig auch Haupt- und Realschüler erreicht werden, die
nach den Ergebnissen des Gutachtens der Friedrich-Ebert-Stif-
tung als besonders anfällig für Fremdenfeindlichkeit und Extre-
mismus gelten?
Marieluise Beck, Parl. Staatssekretärin bei der Bun-
desministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend;
Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flücht-
linge und Integration:
Nach den Leitlinien von Entimon, Civitas und Xenos
gehören Haupt- und Berufsschülerinnen und -schüler zu
der Zielgruppe der Programme; denn aus Untersuchungen
ist bekannt, dass es in dieser Gruppe eine besondere An-
fälligkeit für Rechtsextremismus gibt.
Zu Entimon ist festzuhalten: Im Rahmen der statisti-
schen Auswertung durch die wissenschaftliche Begleitung
des Programms wurde festgestellt, dass im Vergleich zum
Jahr 2001 im Jahr 2002 die gewünschte Zielgruppe der
Haupt- und Berufsschülerinnen und -schüler überdurch-
schnittlich stark angesprochen wurde. So wurden in 64 Pro-
zent der Projekte Hauptschülerinnen und -schüler und in
46 Prozent der Projekte Realschülerinnen und und -schüler
erreicht. Insofern konnte mit diesem Programm dem Pro-
blem der politischen Bildung, dass von ihr zu wenig Haupt-
und Realschülerinnen und -schüler erreicht werden, entge-
gengewirkt werden. Auch in Zukunft wird bei der Förde-
rung der Fokus auf Projekten liegen, die sich an Haupt-,
Real- und Berufsschülerinnen und -schüler wenden.
Lassen Sie mich noch etwas zum Programm Civitas
ausführen. Das Programm Civitas ist nicht vorrangig auf
die Kinder- und Jugendarbeit ausgerichtet, sondern auf
alle Altersgruppen der Gesellschaft, weil Fremdenfeind-
lichkeit und undemokratische Einstellungen bekanntlich
nicht nur bei jungen Menschen, sondern durchaus in allen
Altersgruppen vertreten sind. Die spezifischen Ausprä-
gungen und das Ausmaß von Rechtsextremismus und
Fremdenfeindlichkeit im Osten Deutschlands verlangten
ein Sonderprogramm in den neuen Bundesländern.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Grindel.
Frau Staatssekretärin, wie stellen Sie sicher – zum Bei-spiel durch wissenschaftliche Begleitung oder andereMaßnahmen –, dass gerade gewaltbereite Jugendliche mitdiesem Programm erreicht werden? In der Studie istschließlich kritisiert worden, dass das nicht der Fall ist.Marieluise Beck, Parl. Staatssekretärin bei der Bun-desministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend;Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flücht-linge und Integration:Herr Grindel, es ist im Bereich der politischen Bildungnatürlich eine große Herausforderung, ganz zielgerichtet
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 24. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. Februar 2003 1827
die Menschen zu erreichen, die man erreichen möchte. Eshat vonseiten der Regierung Kohl in den Jahren 1992 bis1994 ein ähnliches Projekt namens AgAG, Aktionspro-gramm gegen Aggression und Gewalt, gegeben. Zu derZeit hat man sich sehr zielgenau auf die Jugendlichen mitrechtsgerichteter und gewaltorientierter Gesinnung kon-zentriert. In der Auswirkung hat das durchaus zu großenkritischen Unsicherheiten geführt, weil man das Gefühlhatte, dadurch würden im Rahmen der Jugendarbeit dieaggressiven Jugendlichen gestärkt, vielleicht sogar „be-lohnt“, und auf die anderen werde der Fokus nicht ge-lenkt. Deswegen orientieren sich die neuen Programmestärker an einer breiteren Zielsetzung allgemeinen zivil-gesellschaftlichen Denkens und Handelns.
Die zweite Zusatzfrage, Herr Kollege Grindel.
Frau Staatssekretärin, stellen Sie damit nicht jede Form
aufsuchender Jugendarbeit infrage? Wo immer problem-
beladene oder besonders gefährdete Jugendliche speziell
von Jugendsozialarbeit angesprochen werden, handelt es
sich um eine besonders betroffene Gruppe, sodass Ihr Ar-
gument im Grunde den völligen Verzicht aufsuchender
Jugendarbeit bedeuten würde, weil man sagt, damit würde
eine Auffälligkeit belohnt. Das geht weit über den Bereich
rechtsextremistischer oder gewaltbereiter Jugendlicher
hinaus.
Marieluise Beck, Parl. Staatssekretärin bei der Bun-
desministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend;
Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flücht-
linge und Integration:
Herr Grindel, ich bin weit davon entfernt, dass wir in
diesem schwierigen Bereich von politischer Bildung und
allgemeiner Pädagogik und bei der Beantwortung der
Frage, wie wir demokratische und zivile Grundhaltungen
bei jungen Menschen schaffen, den einen Ansatz gegen
den anderen ausspielen. Ich habe engen Kontakt gehabt zu
Projekten im Rahmen dieser akzeptierenden Jugendarbeit
und ich finde, dass es da auch sehr viel Gutes gegeben hat.
Trotzdem besteht die Gefahr, dass der Bereich der
Freundlichen, der Angepassten, der Stilleren aus den Au-
gen verloren wird, und deswegen hat es hier eine Um-
steuerung in Richtung allgemeines zivilgesellschaftliches
Denken gegeben. Das bedeutet aber nicht, dass damit der
Ansatz der akzeptierenden Jugendarbeit gänzlich beiseite
geschoben werden sollte.
Frau Griese.
Frau Staatssekretärin, wie beurteilen Sie die Ein-
schätzung der Studie, um die es hier geht, in der deut-
lich gesagt wird, dass im Vergleich zum früheren
AgAG-Programm „deutliche Vorzüge“ in den jetzt vom
Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und
Jugend geförderten Programmen liegen, da die Kritik
am AgAG-Programm genau die war, dass immer dann,
wenn irgendwo ein rechtsextremer Anschlag verübt
wurde, Geld dorthin gegeben wurde und eben keine
nachhaltige zivilgesellschaftliche Arbeit gemacht wur-
de, und – wenn ich einen zweiten Teil der Frage mit
„und“ anfügen darf – wie beurteilen Sie die Problema-
tik, dass uns von Trägern aus ostdeutschen Städten, zum
Beispiel in Sachsen-Anhalt, Nachrichten erreichen, dass
mit dem Wechsel der Landesregierung sinnvolle Pro-
jekte, die vor Ort zivilgesellschaftliches Engagement
gefördert haben, jetzt auslaufen müssen und nicht mehr
finanziert werden, weil Kommune und Land, in diesem
Fall das Land Sachsen-Anhalt, die Projekte nicht mehr
unterstützen?
Marieluise Beck, Parl. Staatssekretärin bei der Bun-
desministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend;
Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flücht-
linge und Integration:
Ihre Frage knüpft an die Frage des Kollegen Grindel
an. Es darf keine Belohnung für auffälliges Verhalten ge-
ben. Das ist der prekäre Punkt, wenn wir über akzeptie-
rende Jugendarbeit sprechen, obwohl natürlich der Ansatz
vernünftig ist zu sagen: Wir richten uns an und wir küm-
mern uns um diejenigen, die gefährdet sind, in diese
Milieus abzugleiten. Die Zielgruppe rechtsextremistisch
gefährdeter Jugendlicher ist durchaus auch in den Leit-
linien benannt. Trotzdem ist es richtig, nicht allein dieser
Belohnungsidee zu folgen, sondern jungen Menschen
auch Räume und Möglichkeiten der Vernetzung mit ei-
nem zivilgesellschaftlichen und demokratischen Grund-
gefühl zu bieten, die eigentlich die Hefe für unsere Ge-
sellschaft sein müssen.
Sie haben außerdem den Rückzug aus der Finanzie-
rung von Landesprogrammen angesprochen. Ich habe mit
großem Bedauern zur Kenntnis genommen, dass dem
Verein „Miteinander“ in Sachsen-Anhalt, der mit 20 ver-
teilten Anlaufstellen vor allen Dingen in der Fläche eine
sehr gute, auf Langfristigkeit angelegte Arbeit geleistet
hat, nun durch die Entscheidung der dortigen Landes-
regierung die Finanzbasis entzogen wird und deshalb ein
auf Langfristigkeit angelegtes Instrument nunmehr auf-
hört zu existieren.
Wir kommen zur Frage 4 des Kollegen MartinHohmann:Inwieweit schließt sich die Bundesregierung dem Gutachten– Friedrich-Ebert-Stiftung; Roland Roth: Bürgernetzwerke gegenRechts – an, das bei der Vergabe von Bundesmitteln für Maßnah-men gegen Rechtsextremismus – Johannes Leithäuser: „Viel Geldmit wenig Wirkung“ in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“vom 2. Januar 2003 – diese verstärkt in „Problemgebieten“ –Friedrich-Ebert-Stiftung; Roland Roth: Bürgernetzwerke gegenRechts, Seite 10 – eingesetzt sieht, und um welche Gebiete in derBundesrepublik Deutschland handelt es sich dabei?Parl. Staatssekretärin Marieluise Beck
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 24. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. Februar 2003
Marieluise Beck, Parl. Staatssekretärin bei der Bun-desministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend;Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flücht-linge und Integration:Die von Ihnen zitierte Aussage aus der genannten Stu-die bezieht sich auf einen besonderen Teil des im Jahre2001 im Rahmen des Kinder- und Jugendplans des Bun-des durchgeführten Programms „Maßnahmen gegenGewalt und Rechtsextremismus“. Das ist der Vorläuferdes Programms Entimon. Im Auftrag des BMFSFJ wur-den damals alle Jugendämter, in deren Zuständigkeitsbe-reich sich ein Fördergebiet aus der Bund-Länder-Verein-barung „Die soziale Stadt“ befindet, angeschrieben undüber die Möglichkeit zum Erstellen von lokalen Aktions-plänen für Toleranz und Demokratie informiert.Ziel der Förderung war, auf die Entwicklung von De-mokratie, Toleranz und Fremdenfreundlichkeit ausgerich-tete Handlungskonzepte in und für soziale Brennpunktezu implementieren. In Kooperation mit öffentlichen undfreien Trägern der Jugendhilfe, Quartiersmanagement, lo-kalen Initiativen und vielen engagierten lokalen Akteurenentstanden somit regionale Handlungskonzepte in 59 voninsgesamt 230 Gebieten aus dem Programm „Die sozialeStadt“. In 40 Gebieten in den alten Bundesländern undBerlin sowie in 19 Gebieten in den neuen Bundes-ländern wurden die Konzepte von den Jugendämterndurchgeführt.Nach Einschätzung des BMFSFJ entstanden mit denlokalen Aktionsplänen nachhaltige Finanzierungskon-zepte für integriertes Handeln in den sozialen Brenn-punkten. Darüber hinaus wurden mit den lokalenAktionsplänen Strategien zur Führung eines öffentlichenDiskurses zu Toleranz und Demokratie entwickelt und inAktionen und Maßnahmen mit örtlicher Breitenwirkungumgesetzt.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Hohmann.
Verehrte Frau Staatssekretärin, Sie haben gerade eine
sehr allgemeine Darstellung gegeben. Mich interessiert:
Gab es eine so starke Massierung, dass man von örtlich
genau umgrenzten Problemgebieten sprechen kann? Ich
hätte gern, dass Sie das nicht von der allgemeinen Seite
her beleuchten, sondern die einzelnen örtlichen Bereiche
ansprechen.
Marieluise Beck, Parl. Staatssekretärin bei der Bun-
desministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend;
Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flücht-
linge und Integration:
Herr Kollege Hohmann, ich habe Ihnen zunächst ein-
mal dargestellt – danach hatten Sie auch gefragt –, wie die
Gebiete ausgewählt worden sind. Grundlage für die Aus-
wahl war, wie gesagt, das Programm „Die soziale Stadt“.
Danach wurden durch die örtlichen Träger – das waren oft
die Jugendämter – die Gebiete genannt, die als problema-
tisch identifiziert waren.
Mir steht die genaue Auflistung zur Verfügung, aus der
hervorgeht, wo welche Programme letztlich gelaufen
sind. Ich möchte Ihnen aber ersparen, die jeweiligen Zah-
len aus 16 Bundesländern vorzulesen. Ich schlage vor,
dass Ihnen das schriftlich nachgereicht wird.
Wenn ich darf, möchte ich noch einmal etwas anmer-
ken. – Es wäre vielleicht interessant, die einzelnen
Schwerpunktbereiche darzustellen. Das muss doch mög-
lich sein, wenn Ihnen die genauen Ortsangaben vorliegen.
Marieluise Beck, Parl. Staatssekretärin bei der Bun-
desministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend;
Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flücht-
linge und Integration:
Wenn das Parlament das ertragen will, bin ich gerne be-
reit, Ihnen vorzulesen, in welchen Bundesländern welche
Anzahl von Projekten durchgeführt wurde. Wenn Sie das
wünschen, dann mache ich das: in Bayern drei, in Berlin
fünf, in Berlin (Ost) vier, in Baden-Württemberg
eines, in Brandenburg drei, in Bremen eines, in Hamburg
drei, in Hessen sieben, in Mecklenburg-Vorpommern
fünf, in Niedersachsen vier, in Nordrhein-Westfalen
zwölf, in Rheinland-Pfalz eines, im Saarland keines, in
Sachsen zwei, in Sachsen-Anhalt zwei, in Schleswig-
Holstein drei und in Thüringen drei.
Frau Kollegin Beck, es haben schon andere Mitgliederder Bundesregierung mehr Zeit in Anspruch genommen,um keine Information zu vermitteln, als es Ihnen in kür-zerer Zeit gelungen ist, Informationen zu vermitteln.
Insofern ist es schön, dass das auf diese Weise protokol-liert wird.
Weitere Zusatzfragen zu diesem Punkt liegen offen-kundig nicht vor.Ich rufe Frage 5 des Kollegen Hohmann auf:Wie bewertet die Bundesregierung die Befürchtungen aus demGutachten der Friedrich-Ebert-Stiftung – Friedrich-Ebert-Stif-tung; Roland Roth: Bürgernetzwerke gegen Rechts, Seite 15 –,dass angesichts der Maßnahmenfülle und der eingesetzten öffent-lichen Mittel die Gefahr bestehe, dass „gegen rechts“ als Förder-kriterium zum „Passepartout“ wird?Marieluise Beck, Parl. Staatssekretärin bei der Bun-desministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend;Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flücht-linge und Integration:Die zitierte Passage aus der genannten Studie wird sei-tens der Autoren und Autorinnen selbst als Zitat aus gele-gentlichen Zeitungsberichten vorgetragen und stellt kei-neswegs die Meinung der Autoren und Autorinnen dar.
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 24. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. Februar 2003 1829
Die von den Autoren und Autorinnen der Studie zu Rechtaufgeworfenen Fragestellungen zur Wirksamkeit vonFörderprogrammen werden nicht auf die Bundespro-gramme fokussiert, sondern beziehen sich allgemein aufdie Förderung durch Bund, Länder und Kommunen. Inder Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung wird ausdrücklichbetont – ich zitiere –:Positiv ist auch die große Fülle von zusätzlichen Ini-tiativen, Projekten und Maßnahmen, die durch dieBundesprogramme in diesem gesellschaftlichenProblembereich ermöglicht worden sind bzw. nochwerden. Sie sind regional breit gestreut und errei-chen zahlreiche lokale Initiativen und kleine Trä-ger.Die angesprochene Gefahr, dass die Programme zumPassepartout für die Jugendarbeit werden, ist aus Sicht derBundesregierung nicht gegeben. Auch die vorliegendenLeitlinien und Bewilligungsverfahren verhindern das.
Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin, Sie haben die Vermutung, die
sich aus dem Zitat entnehmen lässt, jetzt praktisch wider-
legt. Allerdings ist in dem Gutachten auch zu lesen, dass
der Autor befürchtet, zum Teil werde – jetzt zitiere ich
wieder wörtlich – Symbolpolitik gemacht. Wie verträgt
sich das mit der von Ihnen gerade getroffenen Aussage?
Marieluise Beck, Parl. Staatssekretärin bei der Bun-
desministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend;
Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flücht-
linge und Integration:
Herr Hohmann, bitte geben Sie mir eine Minute Zeit
zum Blättern. – Ich habe mir die Studie am Wochenende
sehr genau angeschaut
und möchte noch einmal auf den Stellenwert der Studie
hinweisen. Diese Studie ist nicht Ergebnis eigenständiger
Erhebungen, sondern sie ist eine Auswertung von Litera-
tur. Sie ist so vernünftig und fair, den Stellenwert der ein-
zelnen Aussagen etwas zurückzunehmen. Ich zitiere:
Sie
– also die Studie –
kann aber keine eigene systematische Untersuchung
anbieten, sondern stützt sich sekundäranalytisch auf
verstreut vorhandenes Wissen und die Informations-
bereitschaft von Beteiligten.
Dieses verstreut vorhandene Wissen ist zum Beispiel aus
solchen Zeitungsartikeln zusammengetragen worden.
Das ist aber keine belastbare Evaluation. Ich schlage da-
her vor, dass wir die Ergebnisse der wissenschaftlich an-
gelegten Evaluation, die ja läuft, abwarten.
Jetzt rufe ich die Frage 6 des Kollegen Stephan Mayer
auf:
Wie viele Personen bekamen als Angehörige von „Teams“
– Friedrich-Ebert-Stiftung; Roland Roth: Bürgernetzwerke gegen
Rechts, Seite 9 – Zuwendungen aus Bundesmitteln für ihre Tätig-
keit im Kampf gegen Rechtsextremismus und welche Einstel-
lungsvoraussetzungen wurden dabei zugrunde gelegt?
Marieluise Beck, Parl. Staatssekretärin bei der Bun-
desministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend;
Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flücht-
linge und Integration:
Herr Abgeordneter Mayer, ich beantworte die Fragen
wie folgt:
Die Aufgabengebiete der mobilen Beratungsteams
sind in den Programmleitlinien für „Civitas“ klar umris-
sen. Dort sind ebenfalls die Anforderungsprofile für die
ausgewählten Träger fixiert. Die hohen Anforderungen an
die Arbeit der mobilen Beratungsteams erfordern ein be-
sonderes Qualifikationsprofil der Mitarbeiter und Mitar-
beiterinnen dieser Projekte und eine permanente arbeits-
begleitende Fortbildung, die im Rahmen des Programms
„Civitas“ auch erfolgt.
Folgende Einstellungsvoraussetzungen sind für die
Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen in mobilen Beratungs-
teams seitens der Servicestelle „Civitas“ den Trägern vor-
gegeben worden: Fähigkeit zur selbstständigen Analyse
und Bewertung von kommunalen Prozessen und
Problemstellungen mit rechtsextremem Hintergrund,
fachliche Beratung der verschiedenen Akteure zivilge-
sellschaftlichen Engagements vor Ort, Entwicklung von
Konzepten und Strategien gegen rechtsextreme Entwick-
lungen und für zivilgesellschaftliches Engagement in Zu-
sammenarbeit mit örtlichen und regionalen Trägern, Erar-
beitung von Konzepten und Initiierung von Projekten mit
Akteuren und Partnern vor Ort.
Nach diesen Einstellungskriterien wurden dann in Ho-
heit der Träger Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen ausge-
wählt. Im Zuge der Verwendungsnachweisprüfung wird
die Einhaltung dieser Einstellungskriterien durch die Ser-
vicestelle des Programms „Civitas“ laufend überprüft.
Noch zur Zahl der geförderten Personalstellen, nach
der Sie gefragt haben. 33 Personen werden im Pro-
grammbereich „Mobile Beratungsteams“ gefördert.
Zusatzfrage, Herr Kollege Mayer.
Ist es möglich, dass dem Programmbeirat auch FrauAnetta Kahane angehört, die wegen ihrer Stasiver-strickungen unter anderem nicht die Nachfolge von FrauBarbara John als Ausländerbeauftragte von Berlin antre-ten konnte?Marieluise Beck, Parl. Staatssekretärin bei der Bun-desministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend;Parl. Staatssekretärin Marieluise Beck
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 24. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. Februar 2003
Pa
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich weiß, dass Frau Kahane dabei ist. Leider habe ich
den letzten Teil Ihrer Frage nicht verstanden.
Ich wiederhole meine Frage gern. Ist es möglich, dass
dem Programmbeirat Frau Anetta Kahane angehört, die
wegen ihrer Stasiverstrickungen unter anderem nicht die
Nachfolge von Frau Barbara John als Ausländerbeauf-
tragte von Berlin antreten konnte?
Ich empfehle, dass wir jetzt, nachdem die Frage ver-
ständlich formuliert worden ist, Gelegenheit zur ord-
nungsgemäßen Beantwortung geben. Empörungen sind
danach immer noch möglich.
Marieluise Beck, Parl. Staatssekretärin bei der Bun-
desministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend;
Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flücht-
linge und Integration:
Schönen Dank, Herr Präsident. – Frau Kahane ist Mit-
glied in diesem Beirat. Sie hat viele Jahre lang in den öst-
lichen Bundesländern, wo es sehr viel Nachholbedarf an
demokratischen und zivilgesellschaftlichen Erfahrungen
gibt, gearbeitet. Ich kann nicht bestätigen, dass sie nicht
als Nachfolgerin von Frau John ausgewählt worden ist.
Nach meiner Kenntnis hat die Wahl der Nachfolgerin von
Frau John noch keinen Abschluss gefunden.
Nun rufe ich die Frage 7 auf, die ebenfalls der Kollege
Mayer gestellt hat:
Wurden diese Mitarbeiter auf linksextremistische Tätigkeiten
in der Vergangenheit überprüft und, wenn ja, wäre eine links-
extremistische Betätigung Ausschlusskriterium für eine Mittelzu-
wendung?
Marieluise Beck, Parl. Staatssekretärin bei der Bun-
desministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend;
Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flücht-
linge und Integration:
Wie oben bereits dargelegt, erfolgt die Einstellung der
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter durch die Träger. An-
hand entsprechender Personalbögen wird die Erfüllung
der fachlichen Anforderungsprofile, die mit der entspre-
chenden, BAT-ähnlichen Vergütung korrelieren, durch die
Servicestelle von „Civitas“ geprüft. Das Prüfen des Vor-
liegens polizeilicher Führungszeugnisse ist nicht Aufgabe
der Servicestelle von „Civitas“.
Das ebenfalls oben beschriebene Anforderungsprofil
für die ausgewählten Träger beinhaltet auch, dass anhand
der veröffentlichten Angaben der Verfassungsschutzämter
von der Servicestelle von „Civitas“ geprüft wird, ob
die Träger vom Verfassungsschutz beobachtet werden.
Selbstverständlich wäre eine linksextreme Betätigung so-
wohl für die Einstellung von Personen als auch für die
Mittelzuweisung Ausschlusskriterium.
Ist es richtig, Frau Parlamentarische Staatssekretärin,
dass von den Mitarbeitern unter anderem eine Veranstal-
tung unter dem Titel „Beat the fascist insect“ – auf
Deutsch: Zerschlage das faschistische Insekt – abgehalten
und organisiert wurde? Allein der Titel deutet ganz klar
auf eine grundrechtsfeindliche Diffamierung hin.
Marieluise Beck, Parl. Staatssekretärin bei der Bun-
desministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend;
Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flücht-
linge und Integration:
Diese Veranstaltung ist mir nicht bekannt. Unser Haus
wird das gerne recherchieren.
Nun hat der Kollege Hohmann das Wort zu einer Zu-
satzfrage.
Verehrte Frau Staatssekretärin, ich habe dem Internetentnommen, dass die Organisation „Beat the fascistinsect“ wohl eine Privatorganisation ist. Auf einer Inter-netseite, die ich mir habe ausdrucken lassen, ist eineKüchenschabe abgebildet. Man hat dazu aufgerufen, denReinerlös einer Veranstaltung an die Amadeu-Antonio-Stiftung zu überweisen. Diese Stiftung hat wiederum un-seren Bundestagspräsidenten als Schirmherrn.Ich möchte fragen, ob das der Bundesregierung bekanntist und wie sie diesen Vorgang gegebenenfalls bewertet.Mir kommen doch erhebliche Bedenken, wenn ich Revuepassieren lasse, wie zu NS-Zeiten und zu stalinistischenZeiten Menschen – auch hier sind ja letztendlich Men-schen gemeint – mit Tieren verglichen werden. Der Film„Der ewige Jude“ ist uns in Erinnerung. Ebenso sind unsdie „räudigen Hunde“, die vor den stalinistischen Prozes-sen eine Rolle gespielt haben, drohend in Erinnerung. Gehtdas, was hier geschieht, vielleicht in dieselbe Richtung?Wenn ja, was will die Bundesregierung dagegen tun?Marieluise Beck, Parl. Staatssekretärin bei der Bun-desministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend;Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flücht-linge und Integration:Ich habe schon eben sehr deutlich gesagt, dass mirdiese Organisation und dieser Aufruf nicht bekannt sind.Ich müsste mir das anschauen.
1830
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 24. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. Februar 2003 1831
Ich will Ihnen aber sofort konzidieren, dass diese Art,Menschen mit Tieren zu vergleichen, vollkommen unak-zeptabel ist und nicht mehr in die Bandbreite von zivilge-sellschaftlichem und demokratischem Verhalten fällt.Schließlich möchte ich doch festhalten, dass dieAmadeu-Antonio-Stiftung sehr anerkannt ist und in denöstlichen Bundesländern sehr gute Arbeit geleistet hat.
Ich rufe die Frage 8 des Kollegen Dr. Schröder auf:
Inwieweit ist die Bundesregierung bereit, die als „in Reaktion
auf eine Welle von Anschlägen, die einen rechtsextremistischen
Hintergrund vermuten ließen“ – Friedrich-Ebert-Stiftung; Roland
Roth: Bürgernetzwerke gegen Rechts, Seite 54 – beschlossenen
Maßnahmen „gegen rechts“ im Hinblick auf die zu vermutende
bzw. teils erwiesene islamistische Urheberschaft der Anschläge
umzuwidmen?
Marieluise Beck, Parl. Staatssekretärin bei der Bun-
desministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend;
Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flücht-
linge und Integration:
In den letzten Jahren hat die Zahl rechtsextremistischer
Gewalttaten zugenommen. In den Jahren von 1998 bis
2000 hatte sich in dieser Folge der Trend zu einem jünge-
ren, gewaltbereiteren und aktionistischen Rechtsextre-
mismus verstärkt. Diese Aktivitäten sind aber nicht auf is-
lamische Urheberschaft zurückzuführen. Es gibt da keine
erkennbare Verbindung; ganz überwiegend gingen diese
Aktivitäten auf das Konto junger Menschen deutscher
Herkunft.
Für den Zuständigkeitsbereich des Bundesministeriums
für Familie, Senioren, Frauen und Jugend möchte ich beto-
nen, dass es ein wichtiges Anliegen des Aktionsprogramms
„Jugend für Toleranz und Demokratie – gegen Rechts-
extremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus“
ist, das faktische Wissen über andere Kulturen und ein ent-
sprechendes Verständnis für sie sowohl unter Jugendlichen
als auch unter den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in der
Jugendarbeit und Jugendbildung besser zu entwickeln.
Diesem Anliegen dient die Förderung und Weiterentwick-
lung von inter- bzw. transkulturellen und interreligiösen
Praxiskonzepten mit dem Ziel, einen Beitrag zur Anerken-
nung unterschiedlicher Kulturen und zur Verständigung
zwischen Angehörigen dieser Kulturen zu leisten. Es ist
nicht beabsichtigt, diese Zielsetzung aufzugeben.
Zusatzfrage, Herr Kollege Schröder?
Ja. – Es ist ja nun allseits bekannt, dass der Antisemi-
tismus Rechtsextremisten und islamistische Extremisten
eint. Die von der Bundesregierung bisher aufgelegten
Programme zur Bekämpfung von Antisemitismus richten
sich bislang nur an Rechtsextreme. Gedenkt die Bundes-
regierung denn, in Zukunft ihre Programme auch um die
Zielgruppe der islamistischen Extremisten zu erweitern?
Marieluise Beck, Parl. Staatssekretärin bei der Bun-
desministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend;
Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flücht-
linge und Integration:
Das allgemeine Programm für zivilgesellschaftliches
Verhalten, für Demokratie und damit gegen Rechtsextre-
mismus, das wir jetzt aufgelegt haben, impliziert selbst-
verständlich auch die Arbeit – so sie sich denn vor Ort
aufdrängt – mit jungen Menschen, die aus einem islamis-
tischen Denken heraus antisemitisch eingestellt sind. In-
sofern sehe ich da keinen Widerspruch. Die Hauptziel-
setzung ist die Bekämpfung von Rechtsextremismus.
Antisemitismus und Rechtsextremismus aus islamisti-
schem Umfeld wären dann auch Gegenstand dieses Pro-
gramms.
Zweite Zusatzfrage.
Sie gedenken also in Zukunft nicht, speziell etwas auf
dem Gebiet islamistisch-extremistischen Gruppen zu tun?
Marieluise Beck, Parl. Staatssekretärin bei der Bun-
desministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend;
Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flücht-
linge und Integration:
Eine spezielle Ausrichtung gibt es nicht; genauso gibt
es zum Beispiel auch keine spezielle Ausrichtung auf ju-
gendliche Spätaussiedler, auch wenn wir wissen, dass sie
oft noch große Schwierigkeiten mit demokratischen
Grundhaltungen haben und immer wieder auch antisemi-
tische Einstellungen aus den Wanderungsländern mitge-
bracht werden.
Ich möchte noch einmal sagen, dass nach amtlichen
Erkenntnissen allein von Januar bis September 2000
10000 rechtsextremistisch motivierte Straftaten begangen
worden sind. Das ist eine erschreckend hohe Zahl. Es deu-
tet nichts darauf hin, dass ein deutlich erkennbarer Teil da-
von aus islamistischer Orientierung heraus begangen wor-
den wäre, sodass ein Spezialprogramm notwendig wäre.
Ich würde wirklich vorschlagen, die gesamte Gesellschaft
in den Blick zu nehmen. Dazu gehören auch die Jugend-
lichen und Menschen, die islamischen Glaubens sind.
Ich habe nun Wünsche nach Zusatzfragen von den Kol-leginnen und Kollegen Dümpe-Krüger, Edathy undStrobl. Zunächst Frau Dümpe-Krüger.
Frau Staatssekretärin, geben Sie mir Recht, dass in denneuen Ländern eine Umwidmung der Mittel zugunstender Bekämpfung von Anschlägen mit angeblich islamisti-schem Hintergrund unsinnig wäre, weil es dort bei insge-samt rund 2 Prozent Ausländeranteil überhaupt keine nen-nenswerten islamistischen Gruppierungen gibt?Parl. Staatssekretärin Marieluise Beck
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Marieluise Beck, Parl. Staatssekretärin bei der Bun-desministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend;Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flücht-linge und Integration:Die Zahlen, die Sie für die neuen Bundesländer nen-nen, sind unabweisbar. In die neuen Bundesländer sind,anders als in die alten Bundesländer, kaum ausländischeBürgerinnen und Bürger gewandert, außer vielleicht ehe-malige vietnamesische Vertragsarbeitnehmer. Aufgrunddes Fehlens der entsprechenden Population ist die Wahr-scheinlichkeit, dass sich von dort aus Gewalttätigkeit, Ag-gressivität, Rechtsextremismus und Antisemitismus ent-wickeln, nicht sehr groß.
Herr Kollege Edathy.
Frau Staatssekretärin, würden Sie mir zustimmen, dass
es vor dem Hintergrund der Zahlen für das Jahr 2002, die
das Bundesinnenministerium mir Anfang der Woche
übermittelt hat, nämlich dass von 12 364 extremistisch
motivierten Straftaten 10 579 in den Bereich des Rechts-
extremismus fallen, sehr befremdet, wenn die CDU/CSU-
Fraktion, während hier von einer Umwidmung von Mit-
teln gesprochen wird, bei den Beratungen des Einzelplans
des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen
und Jugend im Haushaltsausschuss im Januar statt einer
Umwidmung beantragt hat, Mittel für Programme zur
Bekämpfung des Rechtsextremismus in Höhe von 20Mil-
lionen Euro zu streichen?
Marieluise Beck, Parl. Staatssekretärin bei der Bun-
desministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend;
Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flücht-
linge und Integration:
Da drängt sich, Herr Kollege, in der Tat die Erkenntnis
auf, dass es einen gewissen Widerspruch gibt. Angesichts
der Tatsache, dass es in unserer Gesellschaft eine rechts-
extremistische Gefahr gibt, wovon wir gemeinsam ausge-
hen, und angesichts der Debatte um das NPD-Verbot, bei
der diese Gefahr ja auch von Innenminister Beckstein aus
Bayern sehr deutlich gezeichnet wurde, ist der Vorschlag,
die Mittel für diese Programme zu streichen, schwer nach-
vollziehbar.
Herr Kollege Strobl.
Fra
Rede von: Unbekanntinfo_outline
bei dem gewaltbereiten Rechts-
extremismus oder bei den gewaltbereiten Islamisten?
Marieluise Beck, Parl. Staatssekretärin bei der Bun-
desministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend;
Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flücht-
linge und Integration:
Zunächst einmal schlage ich dem Parlament vor, die
Statistiken anzuschauen. Im Bereich des Rechtsextremis-
mus haben wir eine beunruhigend hohe Zahl von Über-
griffen und Straftaten. Ich kann Ihnen nicht sagen, dass
das für alle Zeiten so sein wird und dass es nicht auch Ge-
fährdungen aus anderen Quellen geben könnte. Aber Ih-
rer Bitte, das eine oder andere als größeres Gefährdungs-
potenzial zu benennen, möchte ich nicht nachkommen.
Ich bin der Meinung, dass alle Tendenzen in dieser Ge-
sellschaft, unsere demokratischen Grundsätze zu verlet-
zen, von uns bekämpft werden sollten.
Herr Kollege Grindel.
Fr
SindSie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass die Anträge imHaushaltsausschuss nicht so zu interpretieren sind, dasswir etwas gegen Maßnahmen gegen Rechtsextremismushätten, sondern so, dass offenbar die Qualität der Pro-gramme, um die es hier geht, infrage zu stellen ist unddass das der Ansatz unserer zahlreichen Fragen und derHintergrund dafür war, dass wir der Auffassung sind, dassdie Notwendigkeit dieser Programme fraglich ist?Marieluise Beck, Parl. Staatssekretärin bei der Bun-desministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend;Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flücht-linge und Integration:Ich war in den Beratungen des Haushaltsausschussesselber nicht dabei. Zunächst einmal scheint es das Faktumzu geben, dass Sie dort beantragt haben, die Mittel zustreichen,
und nicht vorgeschlagen haben, andere Programme auf-zulegen, die Ihrer Meinung nach besser wären.
Sie meinen, dass die Programme „offenbar“ – das wareben das entscheidende Wort – nicht erfolgreich seien;aber zumindest diese Studie legt dafür nicht Zeugnis ab.Deshalb wäre ich bei der Gesamtbewertung etwas vor-sichtiger.Wir sollten uns klarmachen, dass rechtsradikale, anti-semitische, undemokratische Einstellungen nicht perKnopfdruck verändert werden können. Das wissen wiralle; das wissen Sie und auch wir.Ich fand in dieser Studie den Satz „Es gibt keine poli-tische Feuerwehr“ sehr vernünftig. Auch die politischeBildung ist das nicht. Es würde uns gut tun, wenn wir uns
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 24. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. Februar 2003 1833
gemeinsam auf den Weg machen würden, Erfahrungen zusammeln, wie man Rechtsradikalismus, Radikalismusüberhaupt und undemokratischen Verhaltensweisen ambesten begegnet. Deswegen finde ich es sehr gut, dassdiese Programme wissenschaftlich begleitet werden. Ichhoffe, dass wir im Laufe der Zeit etwas klarer sehen, wodie besten Ansatzpunkte sind.
Ich rufe die Frage 9 des Kollegen Dr. Schröder auf:
Inwieweit ist die Bundesregierung angesichts der Kritik an der
„mangelnden Transparenz“ – Friedrich-Ebert-Stiftung; Roland
Roth: Bürgernetzwerke gegen Rechts, Seite 56 – ihrer Projekte
„gegen rechts“ bereit, Maßnahmen wie die kurzfristige Veröffent-
lichung von Kriterien für den Auswahlprozess und die Vorlage ei-
ner Übersicht über abgelehnte Projekte sowie bislang fehlender
Wirkungsanalysen – Friedrich-Ebert-Stiftung; Roland Roth: Bür-
gernetzwerke gegen Rechts, Seite 58 – zu ergreifen?
Marieluise Beck, Parl. Staatssekretärin bei der Bun-
desministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend;
Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flücht-
linge und Integration:
Die Umsetzung des Aktionsprogramms „Jugend für
Toleranz und Demokratie“ erfolgt auf der Basis von Pro-
grammleitlinien. In den Programmleitlinien werden kon-
krete Zielsetzungen benannt, deren Einhaltung durch die
mit der Programmumsetzung beauftragten Servicestellen
sowohl bei der Projektauswahl als auch bei der Projekt-
auswertung anhand detaillierter Indikatorenkataloge ge-
prüft wird. Darüber hinaus untersuchen die mit der wis-
senschaftlichen Begleitung der Programme „Entimon“
und „Civitas“ beauftragten Institute – das ist zum einen
das Deutsche Jugendinstitut in Leipzig und zum anderen
das Institut für Konflikt- und Gewaltforschung der Uni-
versität Bielefeld – die Programmebene und die Umset-
zungsebene bzw. die Vermittlungsinstanzen und die Pro-
jektebene, wodurch sich begründete Aussagen über die
Effekte des jeweiligen Programms machen lassen. Da ist
also noch etwas Geduld angesagt.
Die Informationen zu den Möglichkeiten der Antrag-
stellung ebenso wie zur Programmumsetzung, das heißt
auch die jeweiligen Programmleitlinien, werden auf eige-
nen Programmwebsites sowie den Websites des BMFSFJ
bzw. des BMWAveröffentlicht. Darüber hinaus informie-
ren die mit der Umsetzung der einzelnen Teilprogramme
des Aktionsprogramms betrauten Servicestellen mittels
Flyern, Mailings und Infoveranstaltungen unter anderem
über die Möglichkeiten der Antragstellung. Gemäß den
Programmzielsetzungen werden mithilfe der Programm-
beiräte gezielt Zielgruppen angesprochen, die über das
Aktionsprogramm informiert werden.
Auf den Programmwebsites werden die Programmer-
gebnisse veröffentlicht. Bereits seit 2002 wird darüber hi-
naus auf der Website der wissenschaftlichen Begleitung
des Programmes „Entimon“, des Deutschen Jugendinsti-
tuts, die Datenbank MAREG veröffentlicht, die Auskunft
zu den geförderten Projekten gibt. Außerdem werden den
obersten Landesjugendbehörden regelmäßig Informatio-
nen über die Umsetzung des Aktionsprogramms zur Ver-
fügung gestellt. Da sind dann auch die abgelehnten Pro-
jekte zu finden, nach denen Sie gefragt haben.
Die Bundesregierung hat in dem „Bericht über die ak-
tuellen und geplanten Maßnahmen und Aktivitäten der
Bundesregierung gegen Rechtsextremismus, Fremden-
feindlichkeit, Antisemitismus und Gewalt“ gemäß Zif-
fer 21 des Beschlusses des Deutschen Bundestages vom
30. März 2001 ausführlich über die Umsetzung des Ak-
tionsprogramms berichtet.
Zusatzfrage? – Bitte.
Also entnehme ich Ihren Ausführungen, dass Sie mit
der Transparenz, der Evaluierung der Effizienz und der
Effektivität dieser Projekte zufrieden sind und hier nichts
weiter unternehmen möchten?
Marieluise Beck, Parl. Staatssekretärin bei der Bun-
desministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend;
Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flücht-
linge und Integration:
In dem Gutachten der Friedrich-Ebert-Stiftung wird
deutlich hervorgehoben, dass es lobenswerterweise gerade
bei dem „Civitas“-Projekt schon in der ersten Phase eine
solche wissenschaftliche Begleitung und Evaluierung gab,
die dann herangezogen werden konnte, um aus den An-
merkungen der Institute Schlüsse zu ziehen und zu lernen.
Auch bei „Entimon“ gibt es diese Begleitung. Ich gehe da-
von aus, dass das Deutsche Jugendinstitut quer durch alle
gesellschaftlichen Gruppen und über die Parteien hinweg
einen hohen Respekt genießt. Ich glaube, dass die wissen-
schaftliche Evaluation dort gut aufgehoben ist.
Ich rufe die Frage 10 der Kollegin Dorothee Mantelauf:Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass im Bereich dervon ihr finanzierten Maßnahmen des „Aufstands der Anständi-gen“ Mittel und Maßnahmen zur Qualitätsentwicklung und -kon-trolle der Projekte fehlen, und, wenn nein, warum nicht?Marieluise Beck, Parl. Staatssekretärin bei der Bun-desministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend;Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flücht-linge und Integration:Frau Kollegin Mantel, ich beantworte Ihre Frage wiefolgt: In der Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung wird kei-neswegs pauschal die Behauptung aufgestellt, dass dasAktionsprogramm „Jugend für Toleranz und Demokratie“nicht wissenschaftlich begleitet wird. Vielmehr wird da-rauf hingewiesen, dass die Wirksamkeit solcher Pro-gramme im Detail schwer nachweisbar ist; darüber habenwir eben schon gesprochen. Ich möchte an dieser Stellewiederum aus der Stellungnahme des Autors der Studiezitieren, der sagt – ich glaube, das ist eine sehr ehrlicheHerangehensweise –:Sichere Wege und Instrumente, mit denen mit staat-lichen Mitteln erfolgreich in zivilgesellschaftlicheParl. Staatssekretärin Marieluise Beck
Metadaten/Kopzeile:
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Parl. Staatssekretärin Marieluise BeckEntwicklungen eingegriffen werden kann, gibt esnicht.Es ist schwer, objektiv belastbare Maßstäbe zu ent-wickeln.Darüber hinaus werden Forderungen zur Weiterent-wicklung der Evaluierungstheorien erhoben, die aus derSicht der Wissenschaft nachvollziehbar – Wissenschafthat auch ein Eigeninteresse, was durchaus legitim ist –,aber im Rahmen eines solchen Programmes nicht leistbarsind. Wenn bei einem solchen Programm ein hoher Anteilder Mittel zur wissenschaftlichen Begleitung ausgegebenwürde, gäbe es sicherlich ebenfalls – auch von Ihnen –kritische Nachfragen.In den Teilprogrammen „Civitas“ und „Entimon“ desAktionsprogramms „Jugend für Toleranz und Demokra-tie“ war die wissenschaftliche Begleitung von vornhereinBestandteil der Programmumsetzung. Die wissenschaft-liche Begleitung des Programms „Xenos“ wird gegen-wärtig vorbereitet.
Zusatzfrage.
Ist es Auffassung der Bundesregierung, dass schon al-
lein mit der Durchführung von Projekten gegen rechts
Zeichen gesetzt werden und daher eine Qualitätskontrolle
der Projekte nicht mehr notwendig ist?
Marieluise Beck, Parl. Staatssekretärin bei der Bun-
desministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend;
Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flücht-
linge und Integration:
Nein, das ist nicht Auffassung der Bundesregierung.
Ich habe Ihnen gerade gesagt, dass wir die Evaluierung
und die Begleitung solcher Programme für ausgesprochen
wichtig halten. Politik muss auch lernfähig sein. Es muss
Möglichkeiten geben, Anregungen aus der Praxis aufzu-
nehmen und diese bei der Fortentwicklung von Program-
men einfließen zu lassen.
Frau Griese zu einer Nachfrage.
In dieser Studie, über die wir hier sprechen, findet sich
ja durchaus eine Gesamtbewertung. So heißt es zum Pro-
gramm „Civitas“, es würden – ich zitiere –
sinnvolle neue Wege beschritten, indem Rechtsextre-
mismus nicht als Jugendproblem, sondern als eines
der ganzen Gesellschaft begriffen wird, und nicht als
psychosoziales Phänomen, sondern als politisches
gefasst wird, dem durch eine Stärkung der Demokra-
tiefähigkeit begegnet werden kann.
Teilen Sie, Frau Staatssekretärin, meine Auffassung, dass
die CDU/CSU ihren Fragen ausschließlich einen Artikel
aus der „Frankfurter Allgemeinen“ vom 2. Januar dieses
Jahres zugrunde gelegt und vergessen hat, sich die diffe-
renzierten Betrachtungen der Studie selbst anzusehen?
Denn die Tatsache, dass Rechtsextremismus ein gesamt-
gesellschaftliches Phänomen ist, dem wir als Demokraten
gemeinsam entgegenzutreten haben, wird doch hoffent-
lich in diesem Haus nicht bestritten.
Marieluise Beck, Parl. Staatssekretärin bei der Bun-
desministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend;
Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flücht-
linge und Integration:
Verehrte Frau Kollegin, die Kollegen der Union haben
mir vorher nicht mitgeteilt, welches Quellenmaterial sie
ihren Fragen zugrunde gelegt haben. Auch ich fände es al-
lerdings sehr gut, wenn die Fragesteller diese Studie sehr
genau läsen – so wie ich das am Wochenende getan habe.
Frau Kollegin Beck, nun haben Regierung wie Oppo-
sition ja jeweils so ihre Vorlieben, was das Vorenthalten
von Eigeninformationen betrifft.
– Ja, es wurde aber Bezug darauf genommen, dass das Ma-
terial vorher nicht angekündigt wurde. Das habe ich in der
Geschichte des deutschen Parlamentarismus vielfach mit
wechselseitigen Rollenverteilungen beobachten können.
Nächste Zusatzfrage, Kollege Hohmann.
Fra
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Es ist der Kampf gegen rechts angesagt. Wir hätten unsgewünscht, dass man dies in gleicher Weise gegen linksmacht.
Das ist unser gutes Recht. Schließlich gab es in dieser Re-publik über lange Zeit einen antitotalitären Konsens undkeiner hier in diesem Hause wird wohl sagen, dass das,was auf der linksextremen Seite geschieht, alles „PippiLangstrumpf“ ist.Wir sind natürlich dafür, dass das Geld, wenn es fürsolche Programme ausgegeben wird, zielgerichtet einge-
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 24. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. Februar 2003 1835
setzt wird. Vor diesem Hintergrund zitiere ich aus der Stu-die, die 83 Seiten hat. Damit möchte ich widerlegen, dasswir vielleicht nur den Artikel aus der „Frankfurter Allge-meinen Zeitung“ gelesen hätten. In der Studie heißt es zudem Programm „Civitas“:Geradezu fahrlässig ist die weitgehend fehlende kon-zeptionelle Berücksichtigung der besonderen Bedin-gungen in Ostdeutschland.
Wie stehen Sie dazu?Das war auch der Hintergrund meiner ersten Frage:Gab es besondere Problembereiche? Sie haben eine Auf-stellung vorgelesen, aus der ich nicht erkennen konnte,dass es eine konzeptionelle Berücksichtigung der beson-deren Bedingungen in Ostdeutschland gibt.
Wie stehen Sie zu dem zitierten Satz?Marieluise Beck, Parl. Staatssekretärin bei der Bun-desministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend;Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flücht-linge und Integration:Verehrter Herr Kollege, da scheint mir etwas durchein-ander zu gehen. Denn gerade das Programm „Civitas“ istein Programm, das sich ausschließlich an die fünf neuenBundesländer richtet. Deswegen bringe ich es im Augen-blick logisch nicht zusammen, dass an das Programm „Ci-vitas“ der Vorwurf geknüpft wird, es würde auf die Be-dingungen in den fünf neuen Ländern nicht ausreichendeingehen.
Kollege Koschyk hat sich zu einer Zwischenfrage ge-
meldet. Danach ist Kollege Edathy an der Reihe.
Frau Staatssekretärin, dem Kollegen Hohmann ging es
nicht darum, die Frage aufzuwerfen, ob das Programm
„Civitas“ nur für die neuen Bundesländer konzipiert wor-
den ist oder nicht. Er hat Sie vielmehr gefragt – ich wäre
Ihnen dankbar, wenn Sie diese Frage beantworten könn-
ten –, wie Sie zu der Aussage in der Studie stehen – ich
wiederhole diese noch einmal –:
Geradezu fahrlässig ist die weitgehend fehlende kon-
zeptionelle Berücksichtigung der besonderen Bedin-
gungen in Ostdeutschland.
Das heißt, der Autor meint – das steht auf Seite 10, Herr
Edathy, wenn Sie es nachlesen möchten –,
dass die Bundesregierung bei diesem Programm, das sich,
wie Sie, Frau Staatssekretärin, gesagt haben, in erster Li-
nie an die fünf neuen Bundesländer wendet, eine Fehl-
konstruktion geschaffen hat und es, wie er sagt, fahrlässig
ist, dass man bei der Ausrichtung des Programms auf die
neuen Länder die besonderen Bedingungen dort nicht
berücksichtigt hat.
Er begründet das dann noch an einigen anderen Stellen.
Marieluise Beck, Parl. Staatssekretärin bei der Bun-
desministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend;
Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flücht-
linge und Integration:
Verehrter Herr Kollege, mir wird gerade – denn alles
habe auch ich nicht präsent – ein Auszug aus der Studie
gereicht. Ich zitiere:
Gerade das Programm „Civitas“ ist in seinen Struk-
turen auf die besonderen Bedürfnisse in den neuen
Bundesländern zugeschnitten.
Vielleicht ist es doch möglich, dass sich auch in solch eine
Studie, an der mehrere Leute arbeiten, einmal ein Wider-
spruch einschleicht.
Herr Kollege Edathy.
Frau Staatssekretärin, abgesehen davon, dass ich hoffe,dass Sie meine Hoffnung zu teilen vermögen, dass derKollege Hohmann mit seinen Äußerungen nicht etwamehr Linksextremismus in Deutschland herbeiwünscht,den es dann zu bekämpfen gelte – ich denke, die Zahlensind da sehr eindeutig –, möchte ich fragen: Teilen Sie mitmir das Verständnis der Ausführungen von Herrn Roth inseiner Studie, in der er darauf hinweist, in manchen Re-gionen in den neuen Ländern hätten wir gerade deshalbeine besonders schwierige Situation, weil das Ziel derStärkung der Bürgergesellschaft das Vorhandensein derBürgergesellschaft voraussetzt, und dass er gerade des-halb dafür plädiert, Programme weiter zu schärfen und siezu verstetigen, und eben nicht dafür plädiert, etwas wie-der in die Schublade zu legen?Marieluise Beck, Parl. Staatssekretärin bei der Bun-desministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend;Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flücht-linge und Integration:Diese Auffassung teile ich. Wir alle wissen, dass – ohnedamit diskriminierende Aussagen gegenüber den neuenBundesländern machen zu wollen – in einem Land, in demes viele Jahre keine Demokratie gab und damit auch fürBürgerinnen und Bürger nicht die Möglichkeit, sich inDemokratie zu üben, zivilgesellschaftliches, bürgerschaft-liches und demokratisches Engagement tatsächlich erstwachsen muss. Auch die Erfahrung damit muss wachsen.Deswegen finde ich es besonders gut, wenn wir gerade denBlick auf die Jugend lenken; denn das ist die kommendeGeneration. Ihr müssen wir gerade in den bürgerschaft-lichen, demokratischen und zivilgesellschaftlichen Berei-chen die Möglichkeit geben, Erfahrungen zu sammeln, umdann schlichtweg zu guten Demokraten zu werden.Martin Hohmann
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 24. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. Februar 2003
Auch der Kollege Fischer erhält die Möglichkeit zu ei-
ner Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin, sind Sie bereit, dieses Projekt
vor dem Hintergrund der unterschiedlichen Begutachtun-
gen vom Bundesrechnungshof evaluieren zu lassen?
Marieluise Beck, Parl. Staatssekretärin bei der Bun-
desministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend;
Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flücht-
linge und Integration:
Ich gehe davon aus, dass der Bundesrechnungshof die
Mittelverwendung dieser Programme sowieso überprüft
– ich wäre sehr erstaunt, wenn er es nicht täte –, denn das
ist bei Geldern, die nach der Bundeshaushaltsordnung
ausgegeben werden, normal.
Nun kommen wir zur Frage 11 der Kollegin Dorothee
Mantel:
Hält die Bundesregierung die beim „Aufstand der Anständi-
gen“ im Vordergrund stehenden medienwirksamen Events wie
Wettbewerbe, Messen und Feste – vergleiche Friedrich-Ebert-
Stiftung; Roland Roth: „Bürgernetzwerke gegen Rechts“, Seite 21 –
für das geeignete Mittel, um eine Sensibilisierung für die Proble-
matik Extremismus zu erreichen?
Marieluise Beck, Parl. Staatssekretärin bei der Bun-
desministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend;
Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flücht-
linge und Integration:
Es ist nicht so, dass medienwirksame Events im Vor-
dergrund des Aktionsprogramms stehen. In der Regel sind
die Projekte des Aktionsprogramms auf Langfristigkeit
angelegt. Allerdings sind Wettbewerbe, Feste und Events
durchaus ein taugliches Mittel der politischen Bildungs-
arbeit und zur Förderung des zivilgesellschaftlichen En-
gagements.
Ich erinnere zum Beispiel an den Victor-Klemperer-
Wettbewerb der Dresdner Bank, der in Zusammenarbeit
mit dem „Bündnis für Demokratie und Toleranz“ mit sehr
großem Erfolg durchgeführt worden ist. Genau dieser
Wettbewerb hat viele junge Menschen motiviert, an den
Ausschreibungen in den Schulen teilzunehmen. Das ist
selbstverständlich ein vernünftiger Weg, der zur politi-
schen Bildung führen kann.
Zusatzfrage.
Welche Altersgruppe muss nach Ansicht der Bundes-
regierung bei den Projekten gegen rechts im Besonderen
angesprochen werden?
Marieluise Beck, Parl. Staatssekretärin bei der Bun-
desministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend;
Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flücht-
linge und Integration:
Generell kann man das nicht sagen; denn es ist sehr
eindeutig festzuhalten, dass undemokratische, rechtsex-
treme oder fremdenfeindliche Einstellungen in allen Al-
tersgruppen in der Gesellschaft zu finden sind. Trotzdem
ist eine Schwerpunktsetzung in Richtung pädagogische
Bildung der Jugend deswegen vernünftig, weil das die
Menschen betrifft, die unsere Gesellschaft bauen müssen.
Deswegen gibt es eine Schwerpunktsetzung bei den Ju-
gendlichen, aber das Programm „Entimon“ konzentriert
sich nicht ausschließlich auf Jugendliche, sondern richtet
sich auch an ältere Menschen. Ich weiß von Ausländerbe-
auftragten aus Brandenburg, dass dort neue Ansätze ge-
sucht werden. Dazu gehört der Austausch mit Senioren,
die als Großeltern das Denken der Kinder beeinflussen.
Auch das sind vernünftige Wege, die wir ausprobieren
sollten und die sicherlich ihren Beitrag zum Werben für
die Demokratie leisten können.
Ich bedanke mich bei Frau Beck für die Beantwortung
der Fragen.
Zur Beantwortung der weiteren Fragen zu diesem Ge-
schäftsbereich steht uns die Parlamentarische Staatsse-
kretärin Frau Riemann-Hanewinckel zur Verfügung.
Ich rufe zunächst die Frage 12 der Kollegin Ina Lenke
auf:
Inwiefern stellt das am 31. Januar 2003 vom Deutschen Bun-
destag in dritter Lesung verabschiedete Erste Zivildienstände-
rungsgesetz ab sofort sicher, dass alle für das Haushaltsjahr 2003
durch den Bund bereits eingegangenen Verpflichtungen in Form
von Einberufungen und verteilten Kontingenten für das gesamte
Haushaltsjahr 2003 vollständig finanziert sind?
Christel Riemann-Hanewinckel, Parl. Staatssekre-
tärin bei der Bundesministerin für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend:
Sehr geehrte Kollegin Lenke, mit der angesprochenen
Änderung der Kostenregelung im Zivildienstgesetz wird
der Bundeshaushalt deutlich entlastet und die insgesamt
zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel reichen aus, um
die im Haushaltsjahr 2003 bereits erfolgten Einberufun-
gen und die für spätere Einberufungen in 2003 freigege-
benen Kontingente finanzieren zu können.
Zusatzfrage, Frau Lenke.
Ich frage mich, Frau Staatssekretärin, warum es danneinen Finanzierungsvorbehalt von 20 Prozent gibt. Bis zurVeröffentlichung des Gesetzes im Bundesgesetzblatt wer-den nämlich nur 80 Prozent des Kontingentes an die Trä-ger gegeben und der Finanzierungsvorbehalt bleibt, dasheißt, die Träger werden von Ihnen nicht befriedigt.
1836
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 24. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. Februar 2003 1837
Ich befürchte eine längere Wartezeit für Zivildienstleis-tende. Es sind bereits Bescheide zurückgenommen wor-den, weil die Kontingente ausgeschöpft sind. Meine Frageist, ob Sie sich angesichts dieser hier vorgetragenen Tat-sachen nicht anders besinnen; denn dass alles bezahltwird, wie Sie das eben vorgetragen haben, stimmt nicht.Christel Riemann-Hanewinckel, Parl. Staatssekre-tärin bei der Bundesministerin für Familie, Senioren,Frauen und Jugend:Frau Kollegin Lenke, Ihre Frage war, inwiefern daserste Zivildienständerungsgesetz sicherstellt – –
– Sofort geht ja nicht, es muss erst einmal Gesetz werden.Sie wissen, dass das Gesetz am 1. März 2003 in Kraft tre-ten soll. Sie wissen vielleicht auch, dass mit den Verbän-den und den Verwaltungsstellen die Vereinbarung besteht,im seit Oktober 2002 laufenden Zivildienstjahr vorerstnur 80 Prozent der Kontingente zu vergeben. Das Zivil-dienstjahr läuft noch bis zum Oktober 2003 und auch imLaufe dieses Zivildienstjahres müssen noch Einberufun-gen möglich sein. Die verbleibenden 20 Prozent sollen beiIn-Kraft-Treten dieses Gesetzes freigegeben werden. Da-mit ist die Finanzierung der noch ausstehenden Einberu-fungen von 20 Prozent sichergestellt. Bedingung ist aberdie Kostenabsenkung wie im Gesetz festgeschrieben.
Zweite Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin, wie wollen Sie dies sicherstel-
len, wenn das Gesetz etwa aufgrund einer Verzögerung im
Bundesrat erst am 1. Juni 2003 in Kraft tritt?
Christel Riemann-Hanewinckel, Parl. Staatssekre-
tärin bei der Bundesministerin für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend:
Dies steht im Moment nicht zur Debatte. In unserem
Gesetzentwurf steht der 1. März. Vom 1. Juni kann über-
haupt nicht die Rede sein. Die Debatte im Bundesrat wird
am kommenden Freitag stattfinden, dann sehen wir weiter.
Wir kommen zur Frage 13 der Kollegin Lenke:
In welcher Höhe wird die Bundesregierung über die im Ein-
zelplan 17 des Haushaltes 2003 – Bundesministerium für Familie,
Senioren, Frauen und Jugend – bereits umgesetzten Einsparungen
von 90,676 Millionen Euro hinaus, von denen 80 Millionen Euro
auf die Titelgruppe 03 – Ausgaben für Zivildienstleistende – um-
gelegt wurden, im Jahr 2003 weitere Einsparungen vornehmen,
die auch den Zivildienst betreffen?
Christel Riemann-Hanewinckel, Parl. Staatssekre-
tärin bei der Bundesministerin für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend:
Im zweiten Regierungsentwurf zum Haushalt 2003
sind die entsprechenden Einsparungen in Kap. 1704 vor-
gesehen. Nach dem Beschluss des Haushaltsausschusses
des Deutschen Bundestages vom 16. Januar 2003 sind
in Kap. 1704 im Haushaltsjahr 2003 zusätzlich circa
9,4 Millionen Euro einzusparen.
Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin, wo genau will die Bundesregie-
rung diese 9,4 Millionen Euro einsparen?
Christel Riemann-Hanewinckel, Parl. Staatssekre-
tärin bei der Bundesministerin für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend:
Sie werden in Kap. 1704 eingespart. Insgesamt sind es
95,1 Millionen Euro und davon sind 5 Millionen Euro als
globale Minderausgabe ausgebracht worden.
Ich finde, dass Sie die Frage nicht beantwortet haben.
Ich habe gefragt, wo in Kap. 1704 dieser Betrag einge-
spart werden soll. Sie haben gesagt, dieser Betrag werde
pauschal eingespart. Ich frage Sie, welcher Haushaltstitel
mit diesen Einsparungen belastet wird.
Christel Riemann-Hanewinckel, Parl. Staatssekre-
tärin bei der Bundesministerin für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend:
Kapitel 1704 trägt die Überschrift „Bundesamt für den
Zivildienst“. Hier wird insgesamt entsprechend einge-
spart, und zwar mit der Maßgabe – das wissen Sie –, dass
die Gesetzesänderung am 1. März 2003 in Kraft tritt.
Weitere Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin, Sie wollen also in Kap. 1704,„Bundesamt für den Zivildienst“, neben den 90 Millio-nen Euro weitere circa 10 Millionen Euro einsparen. Mei-nen Sie denn, dass Sie als Bundesregierung auch dafürverantwortlich sind, dass die Wehr- und Zivildienst-ungerechtigkeit weiter steigt, weil aus Ihrem Haushaltweniger Zivildienststellen zur Verfügung gestellt werdenkönnen?Christel Riemann-Hanewinckel, Parl. Staatssekre-tärin bei der Bundesministerin für Familie, Senioren,Frauen und Jugend:Aus unserem Haushalt werden nicht weniger Zivil-dienststellen zur Verfügung gestellt. Die Zivildienststel-len werden so wie bisher in Absprache mit den entspre-chenden Verwaltungsstellen mit Zivildienstleistendenausgestattet werden.Ina Lenke
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 24. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. Februar 2003
Parl. Staatssekretärin Christel Riemann-HanewinckelInnerhalb eines Zivildienstjahres gibt es allerdingsSchwankungen. Diese hängen nicht nur damit zusammen,in welcher Höhe Gelder zur Verfügung stehen, sondernvor allen Dingen mit den Planungen der einzelnen Dienst-stellen und mit den Entscheidungen der einzelnen Zivil-dienstleistenden, wann sie den Zivildienst im Laufe einesHaushaltsjahres beginnen wollen. Insofern ist es gut mög-lich, dass entsprechende Schwankungen innerhalb einesZivildienstjahres auftreten können.Abschließend betone ich: Die 80 Prozent sind bisher si-chergestellt. Die 20 Prozent werden, wenn das Gesetz inKraft tritt und sich damit einiges im Bereich der Kostenändert, bei den Kontingenten ausgegeben. Es wird nichtsgekürzt, die Zahlen werden nicht geändert.
– Ja.
Eine weitere Zusatzfrage des Kollegen Schaaf.
Frau Staatssekretärin, müssten die Kontingente, die
jetzt noch freigegeben werden, reduziert werden, wenn
das Erste Zivildienständerungsgesetz nicht zum 1. März
in Kraft tritt, da dadurch die Einsparungen in diesem Be-
reich weniger hoch ausfallen? Das sollte nach Absprache
mit den Verbänden doch ausdrücklich verhindert werden.
Christel Riemann-Hanewinckel, Parl. Staatssekre-
tärin bei der Bundesministerin für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend:
Es ist unser Ziel, dass die Kontingente von 20 Prozent,
die noch ausstehen, wenn es geht, nicht gekürzt werden
müssen. An diesem Ziel hält die Bundesregierung fest.
Wir wollen vor allen Dingen sicherstellen, dass die jungen
Männer an ihrer bisherigen Lebensplanung für dieses Jahr
festhalten können. Aber auch die Dienststellen müssen
weiterhin die Möglichkeit haben, ihre Aufgaben zu erfül-
len. Deshalb hoffen wir sehr, dass wir dies mit der ent-
sprechenden Gesetzesänderung erreichen.
Dabei ist aber auch ein anderer Punkt von Bedeutung.
Auch von Ihrer Seite müssten Vorschläge kommen. Da-
von war bisher nichts zu sehen, Frau Kollegin Lenke. Das
muss einmal gesagt werden. Es liegt im Interesse der Bun-
desregierung, den Zivildienst in diesem Jahr so weit wie
möglich und so, wie es mit der Bundesarbeitsgemein-
schaft der Freien Wohlfahrtsverbände, mit den jeweiligen
Naturschutzverbänden und mit den kommunalen Spitzen-
verbänden abgesprochen worden ist, zu erhalten.
Im allerschlimmsten Fall könnte es Absenkungen ge-
ben. Das wollen wir nicht. Die Bundesregierung wird al-
les tun, damit genau das nicht passiert. In diesem Sinne
hoffe ich nach wie vor, dass auch im Bundesrat dieses
Problem gesehen wird und dass der Bundesrat darauf ver-
zichtet, den Vermittlungsausschuss anzurufen, der das
Gesetzesvorhaben lediglich verzögern würde. Das liegt
auch in der Verantwortung der Opposition.
Es liegen keine weiteren Fragen zu diesem Geschäftsbe-
reich vor.
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundes-
ministeriums für Gesundheit und Soziale Sicherung. Zur
Beantwortung steht die Parlamentarische Staatssekretärin
Frau Caspers-Merk zur Verfügung.
Wir kommen zur Frage 14 des Kollegen Gerald Weiß:
Ist der Bundesregierung bekannt, ob – und wenn ja, in wel-
chem vermuteten Umfang – mit fremden Krankenversicherungs-
karten auf nicht gesetzliche Weise Leistungen im deutschen Ge-
sundheitswesen in Anspruch genommen werden?
M
Herr Kollege Weiß, Ihre Frage beantworte ich wiefolgt: Der Bundesregierung liegen keine offiziellen undinsbesondere keine bundesweiten Zahlen zur missbräuch-lichen Verwendung der Krankenversicherungskarte vor.Die von verschiedenen Seiten hierzu in der Öffentlichkeitverbreiteten Angaben sind bislang Schätzungen. So istzum Beispiel die Diskrepanz der Ergebnisse verschiede-ner Untersuchungen aus Bayern zum Missbrauch derKrankenversicherungskarte erheblich. Nach Angaben derKassenärztlichen Vereinigung Bayern liegt Missbrauch beirund 33 000Versicherten vor. Die AOK Bayern erfasste imvierten Quartal 2001 dagegen lediglich 641 Krankenversi-cherungskarten, die durch häufige Inanspruchnahme vonÄrzten und eine hohe Anzahl von Arzneimittelverordnun-gen auffielen.Allein diese beiden Beispiele aus nur einem Bundes-land machen deutlich, dass keine abgesicherten Zahlen fürdie ganze Bundesrepublik vorliegen. Ich bin Ihnen für dieFrage allerdings sehr dankbar, weil sie mir die Gelegenheitgibt, an dieser Stelle darauf hinzuweisen, dass es die Auf-gabe sowohl der Krankenkassen als auch der KVen ist, ei-nem vermuteten Missbrauch in jedem Fall entgegenzutre-ten und die Prüfdichte erheblich zu erhöhen.Eine der Möglichkeiten wäre beispielsweise, wie es dieAOK Baden-Württemberg bereits tut, ein Lichtbild auf dieVersichertenkarte aufzubringen. Leider hat bei der AOKBaden-Württemberg – die Bundesregierung hat diesesModellprojekt mit veranlasst und gefördert – bislang nurein Drittel der Versicherten von dieser Möglichkeit Ge-brauch gemacht. Es handelt sich derzeit um 1,2 MillionenVersicherte. Dies wäre ein weiterer Schritt, um Miss-brauch der Krankenversicherungskarte zu beseitigen.Darüber hinaus will ich an dieser Stelle noch einmaldarauf hinweisen, dass wir mit Hochdruck daran arbeiten,die Chipkarte intelligenter und damit fälschungssichererzu machen. Wir wollen einen Notfalldatensatz – in An-lehnung an den europäischen Notfallausweis – auf derChipkarte anbringen, sodass sie auch in Notfällen genutztwerden kann.Ich bin gerade Ihnen für diese Fragestellung sehr dank-bar; denn ich habe mit großer Verwunderung festgestellt,dass die CDU/CSU-Fraktion heute bei der Haushaltsbera-tung im Ausschuss für Gesundheit und Soziale SicherungStreichungsanträge bezüglich der Unterstützung der elek-
1838
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 24. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. Februar 2003 1839
tronischen Chipkarte vorgelegt hat. Ihre Frage zeigt mir,dass wir mit der Chipkarte auf dem richtigen Weg sind.
Zusatzfrage, Herr Kollege Weiß.
Gerald Weiß (CDU/CSU):
Frau Staatssekretärin, halten Sie die Ergebnisse der Un-
tersuchung der Kassenärztlichen Vereinigung in Bayern,
die, wenn ich es so sagen darf, ein intelligentes neues
Rasterverfahren – ein Analyseraster – verwendet hat, für
plausibel? Sie kam zu dem Ergebnis, dass durch die ver-
schiedenen Formen der betrügerischen Inanspruchnahme
der Chipkarte ein enormer Schaden entstanden ist. Als
Stichworte wurden genannt: wandernde Chipkarte, Ge-
sundheitstouristen aus dem Ausland, die die Karten von
Verwandten oder Bekannten in der Bundesrepublik miss-
bräuchlich verwenden, und nicht versicherte Personen, die
die Karten von gesetzlich Versicherten illegalerweise in
Anspruch nehmen. Erscheinen die ermittelten Werte aus
Ihrer Sicht einigermaßen plausibel und stellen sie für Sie
einen Anlass dar, diesen Dingen etwas stringenter und
nachhaltiger nachzugehen?
M
Herr Kollege Weiß, diese Frage habe ich bereits in mei-
ner Einführung beantwortet. Ich habe Ihnen nämlich deut-
lich gemacht, dass es Aufgabe der Kassen und der KVen
ist, diesem Missbrauch durch verstärkte Prüfungen zu be-
gegnen. Es handelt sich hier nicht um eine hoheitliche
Aufgabe. Es geht um die Gelder der Beitragszahlerinnen
und -zahler; insofern begrüßen wir alle Maßnahmen, die
zu einer Verstärkung der Prüfdichte führen.
Ich habe Ihnen gerade am Beispiel Bayerns klar ge-
macht, dass es vonseiten der AOK und der KV Bayern
sehr unterschiedliche Angaben gibt. Ich glaube, dass es
wichtig ist, dass es hier zu einer größeren Datentranspa-
renz und zu einer besseren Zusammenarbeit kommt. Des-
wegen fördert die Bundesregierung insbesondere die
elektronische Patientenkarte, die Notfalldateien und die
Bemühungen um die Fälschungssicherheit.
Ich bin sehr froh, dass die AOK Niedersachsen im Auf-
trag aller AOKen der Frage der missbräuchlichen Nut-
zung der Karten von Toten nachgegangen ist. Sie hat ei-
nige Ergebnisse produziert, die uns aufhorchen lassen.
Ihre Frage, ob wir sichere Erkenntnisse für die Bundesre-
publik haben, muss ich verneinen. Es gibt einzelne Auf-
fälligkeiten. Durch unsere stark strukturierte Kassenland-
schaft und die unterschiedliche Struktur der KVen gibt es
aber keine sicheren Abschätzungen.
Es könnte sein, dass die Schätzung der KV Bayerns,
die auf 100Millionen Euro für Bayern kommt – dies rech-
net sie hoch und spricht von einem Missbrauch in der
Größenordnung von, wenn ich die Zahl richtig im Kopf
habe, 1 Milliarde Euro –, stimmt. Wir können es nicht si-
cher abschätzen. Die Kassen sagen uns, dass die Zahl dar-
unter liegt. Es ist aber ein Umstand, der uns besorgt
macht. Deswegen werden wir alle Maßnahmen, die zu ei-
ner verbesserten Prüfdichte führen, unterstützen.
Weitere Zusatzfrage, Herr Kollege Weiß.
Gerald Weiß (CDU/CSU):
Sie sagen, dass Sie besorgt sind. Ich verstehe Sie aber
richtig, dass Sie jetzt keinen Anlass für gesetzgeberisches
Handeln der Bundesregierung sehen?
M
Herr Kollege Weiß, wir haben heute im Gesundheits-
ausschuss die Eckpunkte der Bundesregierung zur Ge-
sundheitsstrukturreform diskutiert. Darunter befindet sich
zum Beispiel die Forderung nach einer elektronischen Pa-
tientenkarte, die fälschungssicher ist und mehr Informa-
tionen enthält. Insbesondere um diese einzuführen, haben
wir zusätzliche Haushaltsmittel beantragt. Ich bin sehr
froh, dass wir nun zügig an die Umsetzung herangehen.
Unterhalb dessen, was wir in Zukunft wollen, ist es aber
bereits jetzt möglich, dass die Kassen Plausibilitätstests
durchführen und dass die KVen die Prüfdichte erhöhen.
Es liegt auch in unserem Interesse, dass dies auf alle Fälle
erfolgt, um dem Missbrauch deutlich zu begegnen.
Die Fragen 15 und 16 des Kollegen Hofbauer werden
schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Fragen 17 des Kollegen Werner Lensing
auf:
Hat die Bundesregierung vor, das Embryonenschutzgesetz
zu ändern, wie es die Äußerung des Bundeskanzlers, Gerhard
Schröder: „Wir werden zu diskutieren haben, ob man das thera-
peutische Klonen von einem solchen Verbot ausnehmen kann und
muss“ – EZ, „Evangelische Zeitung Online“ vom 26. Januar
2003 –, nahe legt?
M
Herr Kollege Lensing, Ihre Frage beantworte ich wiefolgt: Die Bundesrepublik Deutschland hat mit dem Em-bryonenschutzgesetz ein Gesetz, das mit seinen klarenGrenzziehungen und seinem hohen Schutzstandard dieGewissheit bietet, sich den aktuellen Fragen und Be-fürchtungen mit der notwendigen Sorgfalt und Gelassen-heit stellen zu können.Vor der Entscheidung über die Notwendigkeit weiterergesetzlicher Regelungen in diesem Bereich sollte nachAuffassung der Bundesregierung die Debatte im Bundes-tag intensiv geführt werden. Die Bundesregierung willden Ergebnissen dieser Diskussion nicht vorgreifen. Siewissen, lieber Herr Kollege, dass es interfraktionelle An-träge zu der Forderung gibt, das Embryonenschutzgesetzmit seinen Schutzstandards international durchzusetzen.Deswegen glauben wir, dass intensive parlamentarischeBeratung Not tut.Parl. Staatssekretärin Marion Caspers-Merk
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 24. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. Februar 2003
Zusatzfrage.
Ich möchte gerne zwei Zusatzfragen stellen. Frau
Staatssekretärin, könnten wir uns darauf verständigen,
dass meine Frage, die sich auf die Aussage des Herrn
Bundeskanzlers bezog, durch Ihre Einlassung noch nicht
ausreichend beantwortet worden ist? Aus der Aussage des
Bundeskanzlers geht hervor, dass er sich sehr wohl vor-
stellen könne, eine bestimmte Form des therapeutischen
Klonens zuzulassen.
M
Ich glaube, die von Ihnen formulierte Frage lässt sich
nicht so eindeutig aus dem Bruchstück eines Interviews
ableiten. Ich habe Ihnen geantwortet, dass wir mit dem
Embryonenschutzgesetz einen sehr hohen und guten
Schutzstandard haben. Sollten weitere Beratungen erfol-
gen, muss das Parlament einbezogen werden. An dieser
Antwort möchte ich festhalten.
Sie wissen, dass das Herstellen von Embryonen zu
Forschungszwecken aufgrund § 1 Abs. 1 Nr. 2 des Em-
bryonenschutzgesetzes, das Klonen von Embryonen nach
§ 6 Abs. 1 des Embryonenschutzgesetzes und der Ver-
brauch von Embryonen zu Forschungszwecken aufgrund
§ 2 Abs. 1 des Embryonenschutzgesetzes in Deutschland
verboten und unter Strafe gestellt ist. Wir sehen hier kei-
nen aktuellen Handlungsbedarf. Sie wissen, dass wir eine
intensive und ethisch geprägte Diskussion zu diesem Be-
reich führen. Zudem wurde der Wunsch des Parlaments
nach Einsetzung einer neuen Enquete-Kommission
geäußert. Deswegen werden wir uns mit diesen Themen
ethisch vertretbar in dieser Legislaturperiode befassen.
Ich teile Ihre Auffassung im Hinblick auf den hohen
Schutz, den die Embryonen in Deutschland auch vor dem
Hintergrund des Stammzellgesetzes genießen, das wir in
der vorherigen Legislaturperiode verabschiedet haben.
Gleichwohl habe ich folgendes Problem: Das Klonen
insgesamt ist bekanntlich mit der hohen Achtung der
Menschenwürde universal verbunden. Ich bin der Auffas-
sung, dass man daher nicht zwischen dem so genannten
reproduktiven und dem therapeutischen Klonen unter-
scheiden kann und darf. Jetzt hört man, dass in der Bun-
desregierung Überlegungen dahin gehend angestellt wer-
den, sich zwar weiterhin gegen das reproduktive Klonen
zu engagieren, dass man aber dem therapeutischen Klo-
nen einige positive Aspekte – ich will das sehr vorsichtig
ausdrücken – abgewinnen kann. Wie ist das mit der Men-
schenwürde vereinbar?
M
Herr Kollege Lensing, es gibt aktuell keinen politi-
schen Handlungsbedarf. Sie sprechen ethische Fragen an,
die einer intensiven Beratung im Parlament bedürfen. Sie
sprechen Grundüberzeugungen eines jeden Abgeordneten
an. Ich erinnere mich an sehr gute Debatten im Parlament,
die darauf zurückzuführen waren, dass wir die Gewis-
sensentscheidung der Abgeordneten respektiert haben.
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Auswärti-
gen Amtes.
Ich rufe die Frage 33 auf:
Ist die Aussage, dass die Bundesregierung die Zeit bis nächs-
ten Herbst nutzen wird, um gemeinsam mit Frankreich die Bera-
tungen der VN-Arbeitsgruppe so vorzubereiten, dass die Initiative
Aussicht hat, in der Sitzung der Arbeitsgruppe Ende September
nächsten Jahres weitgehende Zustimmung zu finden, wie sie im
Bericht des Bundesministeriums für Bildung und Forschung in
der Ausschussdrucksache 15 38 auf Seite 3 geäußert wurde,
so zu verstehen, dass die Bundesregierung sich aus taktischen
Gründen mit dem Verbot allein des reproduktiven Klonens bei den
in der Drucksache erwähnten weiteren Beratungen der Arbeits-
gruppe der Vereinten Nationen zufrieden geben wird?1)
Zu ihrer Beantwortung steht freundlicherweise der
Staatsminister im Auswärtigen Amt, Hans Martin Bury,
zur Verfügung.
H
Herr Kollege Lensing, die Bundesregierung sieht die
Notwendigkeit, die deutsch-französische Initiative aktiv
fortzuentwickeln. Sie wird die Zeit bis zur nächsten Sit-
zung der Generalversammlung der Vereinten Nationen
nutzen, um gemeinsam mit der französischen Regierung
zu sondieren, auf welche Weise möglichst viele Staaten
von der Notwendigkeit eines schnellen Verhandlungser-
folgs über ein weltweit wirksames Verbot des Klonens
von Menschen überzeugt werden können. Die Bundesre-
gierung verfolgt also weiterhin das Ziel, das Klonen von
Menschen auf internationaler Ebene möglichst umfassend
zu verbieten.
Vielen Dank, Herr Staatsminister. Ihnen ist sicherlich ge-
nauso bekannt wie mir, dass wir bisher große Probleme hat-
ten, mit der gemeinsamen Aktion der Franzosen und der
Deutschen bei der UNO einen Erfolg zu erzielen. Von daher
ergibt sich meine Frage, ob Sie schon inhaltlich oder viel-
leicht sogar in Bezug auf weitere Schritte – ich will nicht den
Begriff „Taktik“ gebrauchen – konkretere Vorstellungen ha-
ben, aus denen hervorgehen könnte, dass wir diesmal im Ge-
gensatz zum letzten Anlauf erfolgreich sein könnten.
H
Herr Kollege Lensing, wir werden das Vorgehenzunächst mit dem französischen Partner eng abstimmen
18401) siehe hierzu auch Frage 17
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 24. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. Februar 2003 1841
und dann gemeinsam mit Frankreich Konsultationen mitanderen Staaten aufnehmen.
Daraus kann ich noch keinen Anflug von Optimismus
bei Ihnen erkennen, dass wir erfolgreich sein werden. Von
daher – wir müssen in der Politik immer weiter denken –
ergibt sich die Frage: Was wäre eigentlich, wenn die
deutsch-französische Initiative lediglich ein Verbot des
reproduktiven Klonens erreichen würde? Würden wir uns
mit dieser Situation abfinden oder nach neuen Möglich-
keiten suchen, um gegebenenfalls in einer weiteren Ak-
tion das Klonen insgesamt endgültig verbieten zu kön-
nen?
H
Herr Kollege Lensing, ich bin generell optimistisch.
Ich bin auch insbesondere optimistisch, was die Frage an-
geht, ob wir aus der gemeinsamen Initiative heraus zu ei-
ner internationalen Verständigung über ein wirksames
Verbot des Klonens von Menschen kommen. Über einen
möglichen anderen Ausgang der Verhandlungen mag ich
nicht spekulieren.
Ich rufe nun den Geschäftsbereich des Bundesministe-
riums für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen auf. Für die
Beantwortung der Fragen steht die Parlamentarische
Staatssekretärin Angelika Mertens zur Verfügung.
Ich rufe zunächst die Frage 18 des Kollegen Michael
Kretschmer auf:
Trifft es zu, dass polnische Finanzbehörden aufgrund angebli-
cher Steuerschulden Fahrzeuge deutscher Busunternehmen im
grenzüberschreitenden Personennahverkehr mit der Beschlag-
nahme bedrohen, und wenn ja, wie reagiert die Bundesregierung
darauf?
A
Lieber Kollege Kretschmer, nach Informationen der
Bundesregierung soll gegenüber der Verkehrsgesellschaft
Görlitz GmbH, die den grenzüberschreitenden öffentli-
chen Personenverkehr zwischen Görlitz auf deutscher
Seite und Zgorzelec auf polnischer Seite betreibt, unter
Hinweis auf angeblich bestehende Mehrwertsteuerschul-
den von polnischer Seite eine solche Beschlagnahme in
Aussicht gestellt worden sein. Hintergrund dürfte ein vom
polnischen Ministerium für Infrastruktur Ende Dezem-
ber 2002 an insgesamt 33 deutsche Verkehrsunternehmen
übermitteltes Schreiben sein. Diese betreiben oder betrie-
ben im grenzüberschreitenden Verkehr Omnibuslinien
nach Polen, allerdings bis auf das in Görlitz betroffene
Unternehmen nicht im Nah-, sondern im Fernverkehr.
In dem genannten Schreiben werden die Unternehmen
aufgefordert, ihre Geschäftstätigkeit als mehrwertsteuer-
pflichtiges Gewerbe bis zum 31. Januar 2003 bei der pol-
nischen Finanzverwaltung anzumelden. Sie sind dieser
Pflicht bisher nicht nachgekommen.
Für den Fall der Fristversäumnis wird im Hinblick auf
das Tätigwerden der polnischen Finanzbehörden darauf
hingewiesen, dass bei Zuwiderhandlungen gegen das gel-
tende polnische Steuerrecht mit der Möglichkeit gerech-
net werden müsse, dass die Omnibusse des jeweiligen Un-
ternehmens zur Deckung der festgestellten Steuerschuld
sichergestellt würden.
Die Bundesregierung hat das polnische Ministerium
für Infrastruktur umgehend gebeten, nicht an der zu kurz
bemessenen Anmeldefrist bis zum 31. Januar 2003 fest-
zuhalten bzw. diese Frist deutlich zu verlängern. Außer-
dem wurde um weitere Aufklärung über das von den deut-
schen Unternehmen konkret erwartete Vorgehen gebeten.
Eine Reaktion seitens des polnischen Ministeriums für In-
frastruktur steht noch aus.
Nach dem Eindruck der Bundesregierung geht es dem
polnischen Ministerium für Infrastruktur zunächst darum,
die Anmeldung der deutschen Unternehmen bei der pol-
nischen Finanzverwaltung durchzusetzen. Danach soll of-
fenbar die Veranlagung zur Mehrwertsteuer erfolgen, die
von Polen für den auf polnischem Gebiet liegenden
Streckenanteil der Omnibuslinienverkehre beansprucht
wird. Bislang ist kein Fall bekannt, in dem es zu den von
polnischer Seite als möglich dargestellten Zwangsmaß-
nahmen gekommen wäre.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Kretschmer.
Sie sehen, dass das ein großes Problem ist, gerade im
Hinblick auf die EU-Osterweiterung und das Zusammen-
wachsen der Grenzregionen. Deswegen ist der Vorgang
sehr ärgerlich. Es scheint so zu sein – ich möchte Sie bit-
ten, das zu bestätigen oder zu verneinen –, dass es auch an
der deutschen Seite liegt. In der deutsch-polnischen Ko-
ordinierungskommission auf Länderebene scheint es Ver-
säumnisse gegeben zu haben.
A
Diese Versäumnisse sehe ich nicht. In der gemischtenGruppe, in der die Länder und übrigens auch die Verbändemitarbeiten, gab es diese Informationen schon im Herbst2001. Das Gesetz auf polnischer Seite stammt aus demJahr 1993, ist also schon ziemlich alt; die polnischenBehörden haben es nur nie angewandt. Bei uns wäre dasübrigens gar nicht möglich, weil bei uns bei der Anmel-dung auch die Steuerpflicht eintritt.Es hat zum einen von unserer Seite sowohl aus der ge-mischten Gruppe als auch aus dem Ministerium Überset-zungshilfen gegeben. Also waren eigentlich alle darüberinformiert, dass irgendwann die Stunde schlägt. Insofernmüssen wir uns nichts vorwerfen. Zum anderen ist dieserFall vielleicht auch insofern etwas ganz Besonderes, als essich um den einzigen grenzüberschreitend ÖPNV handelt,der zwischen Deutschland und Polen betrieben wird. Fürden ÖPNV sind natürlich die Länder zuständig. Aber ichStaatsminister Hans Martin Bury
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 24. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. Februar 2003
Parl. Staatssekretärin Angelika Mertensglaube, dass sowohl das Land wie auch der Bund alles ge-tan haben, um hier Informationen zu geben, die man ver-wenden konnte, die aber wohl nicht verwandt worden sind.
Eine weitere Zusatzfrage.
Eine letzte Frage: Es ist gerade in diesem speziellen
Fall nicht so, dass gegenseitig die Mehrwertsteuer erlas-
sen wird, weil es sich um ein Verfahren handelt, in dem
die Leistungen kooperativ von polnischen Unternehmen
und einem deutschen Unternehmen erbracht werden. Es
ist also vielmehr so, dass beide, sowohl die Polen in
Deutschland als auch das deutsche Unternehmen in Polen,
Mehrwertsteuer zahlen müssen.
A
Bis jetzt war es so, dass wir für den Verkehr bei uns im-
mer Mehrwertsteuer erhoben haben, während die Polen
das bis jetzt nicht gemacht haben.
Ich rufe die Frage 19 des Kollegen Kretschmer auf:
Welche konzeptionellen Vorstellungen bezüglich Inhalt, Orga-
nisationsstruktur, Finanzierung und Standort verfolgt die Bundes-
regierung bei der Gründung eines Osteuropazentrums für Wirt-
schaft und Kultur?
A
Die Regierungsparteien haben vereinbart, in dieser
Wahlperiode ein Osteuropazentrum für Wirtschaft und
Kultur einrichten zu wollen. Hintergrund dieser Überle-
gungen ist die bevorstehende EU-Erweiterung. Die damit
verbundenen Chancen der grenzübergreifenden Zusam-
menarbeit sollen offensiv genutzt werden. Das Zentrum
soll in Kooperation mit wissenschaftlichen Institutionen,
Einrichtungen der Wirtschaft und kulturellen Vereinigun-
gen zur Stärkung der deutschen Beziehungen zu den Staa-
ten in Mittel- und Osteuropa beitragen. Insbesondere die
neuen Bundesländer haben mit der Erweiterung die
Chance, sich zu einer europäischen Verbindungsregion
mit gutem Zugang zu den Märkten speziell der EU-Er-
weiterungsstaaten fortzuentwickeln.
Die inhaltliche Aufgabenstellung des Osteuropazen-
trums und seine Organisationsstruktur bedingen einander.
Die Bundesregierung befindet sich hierzu noch in der Ab-
stimmungs- und Planungsphase, sodass zum jetzigen Zeit-
punkt noch keine Aussagen getroffen werden können. Eine
Entscheidung über den Standort wird erst zum Abschluss
der Überlegungen getroffen werden. Die Finanzierung soll
über den Haushalt des Bundesministeriums für Verkehr,
Bau- und Wohnungswesen sichergestellt werden.
Eine Zusatzfrage.
Es handelt sich um eine wissenschaftliche Einrichtung
und wir wundern uns darüber, dass sie beim Verkehrsmi-
nisterium angesiedelt wird. In welcher Form wird das Par-
lament und hier insbesondere der Ausschuss für For-
schung und Bildung in die konzeptionelle Planung
eingebunden?
A
Ich denke, in der üblichen Form. Wir werden, wenn wir
gefragt werden, jedes Mal darüber informieren.
Eine weitere Zusatzfrage.
Eine letzte Zusatzfrage: Frau Staatssekretärin, wann
rechnen Sie mit der Aufnahme der Arbeit dieses Osteuro-
pazentrums?
A
Zum jetzigen Zeitpunkt kann ich noch keinen konkre-
ten Monat nennen, weil das Ganze noch nicht so weit ge-
diehen ist.
Ich rufe die Frage 20 des Kollegen Kolbe auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung vor dem Hintergrund, dass
der Bundesminister für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen,
Manfred Stolpe, am 9. Dezember 2002 in Delitzsch auf einer
öffentlichen Kundgebung das Bestehenbleiben des Eisenbahnaus-
besserungswerkes Delitzsch zugesichert hat, den Schließungsbe-
schluss vom Sommer 2001 für die Eisenbahnausbesserungswerke
der Deutschen Bahn AG, deren Alleingesellschafter die Bundes-
republik Deutschland ist, und wirkt sie darauf hin, diesen Be-
schluss für einzelne Standorte auszusetzen bzw. zurückzuneh-
men?
A
Herr Kollege Kolbe, anlässlich des Besuchs am 9. De-zember 2002 in Delitzsch konnte von Herrn Bundesmi-nister Dr. Manfred Stolpe nach Absprache mit demVorstandsvorsitzenden der Deutschen Bahn AG derSchließungsbeschluss um zwei Jahre bis zum Jahresende2005 für ausgesetzt erklärt werden. Der Ministerpräsidentdes Freistaates Sachsen sagte bei seinem Besuch inDelitzsch eine angemessene Unterstützung durch denFreistaat zu, damit es für Delitzsch eine wirtschaftlichePerspektive gibt.Auch von der Landesregierung des Freistaates Sachsenwird akzeptiert, dass es innerhalb des Bahnkonzerns eineStraffung der Kapazitäten bei den Ausbesserungswerkengeben muss. Nach Angaben der Deutschen Bahn AG sinddie 18 Ausbesserungswerke nur zu 57 Prozent ausgelastet.
1842
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 24. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. Februar 2003 1843
Mit dem Sanierungskonzept des Vorstandes der DeutschenBahn AG von Juni 2001 werden die Kapazitäten an denkünftigen Bedarf der Fahrzeuginstandhaltung und -in-standsetzung angepasst. Das ist für die Konsolidierung desUnternehmens unbedingt erforderlich. Die Sanierungs-maßnahmen erfolgen im Konsens mit den Gewerkschaften.Der Vorstand der Deutschen BahnAG entscheidet hierin alleiniger unternehmerischer Verantwortung nach wirt-schaftlichen Gesichtspunkten. Dies entspricht der mit derBahnreform herbeigeführten sowie von Bundestag undBundesrat mit großer Mehrheit beschlossenen Trennungder staatlichen Aufgaben von der notwendigen Eigenver-antwortlichkeit der Deutschen BahnAG. Der Bund hat alsEigentümer in seinem Verhalten gegenüber der DeutschenBahn AG die aktienrechtlichen Vorgaben zu beachten.Nach der aktienrechtlichen Kompetenznorm des § 76 desAktiengesetzes leitet der Vorstand die Gesellschaft in ei-gener Verantwortung; das heißt, er ist in Fragen der Ge-schäftsführung nicht an Weisungen anderer Organe derGesellschaft oder des Bundesministeriums für Verkehr,Bau- und Wohnungswesen gebunden. Der Schließungs-beschluss kann daher nur vom Vorstand der DeutschenBahn AG zurückgenommen werden. Das ist nur für dieStandorte zu erwarten, bei denen ein Investor bereit ist,das jeweilige Werk zu übernehmen.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Kolbe.
Frau Staatssekretärin, ich möchte zitieren, was der
Bundesverkehrsminister Manfred Stolpe am 9. Dezember
2002 in Delitzsch gesagt hat, und Sie um Stellungnahme
dazu bitten. Manfred Stolpe hat wortwörtlich gesagt:
Wir haben eine klare Zusage, die mir heute früh noch
mal bestätigt worden ist von Herrn Mehdorn, dass er
ganz kurzfristig mit Ministerpräsident Milbradt und
mit mir über Perspektiven nicht nur für ein, zwei
Jahre, sondern über die Perspektiven dieses Stand-
orts reden wird.
Weiter sagte Manfred Stolpe wörtlich:
Aber es bleibt ganz sicher in den nächsten Jahren ein
Werk der Bahn und es wird Aufträge der Bahn haben.
So wurde es am 9. Dezember 2002 vor rund 2 000 Men-
schen in Delitzsch gesagt. Wie verträgt sich das mit Ihren
Ausführungen im Deutschen Bundestag, dass es sich nur
um einen Aussetzungsbeschluss für zwei Jahre handeln
solle? Ich sehe hier einen eklatanten Widerspruch.
A
Ich sehe darin keinen eklatanten Widerspruch, weil das
Werk zwei Jahre in den Händen der DBAG bleiben wird.
Sie wissen, dass dieses Werk ausgeschrieben werden soll.
Ich könnte mir vorstellen, dass dieser Standort mit dem
entsprechenden Auftrag ohne Weiteres erhalten bleibt. In
welcher Regie, ist eine andere Frage.
Eine weitere Zusatzfrage.
Uns allen ist natürlich bekannt, dass die Deutsche Bahn
eine Aktiengesellschaft ist. Aber die Bundesrepublik
Deutschland ist 100-prozentiger Eigentümer; sie ist also
Alleineigentümer. Deshalb frage ich noch einmal: Was
gedenkt die Bundesregierung jetzt zu tun, um das alles zu
begleiten, oder haben Sie schon etwas unternommen bzw.
werden Sie in den nächsten Wochen und Monaten etwas
unternehmen?
A
Ich weiß nicht, wie lange Sie schon Mitglied des Bun-
destags sind. Ich muss Ihnen vielleicht erklären, dass die
Bahnreform 1994 beschlossen worden ist.
– Wenn Sie, Herr Kollege Kolbe, in „Kürschners Volks-
handbuch“ vier Sterne neben Ihrem Namen stehen haben,
dann waren Sie schon damals Mitglied des Bundestags
und können sich sicherlich noch daran erinnern, dass be-
schlossen worden ist, aus der Deutschen Bundesbahn
keine GmbH, sondern eine Aktiengesellschaft zu machen.
Wenn aus der Bundesbahn eine GmbH gemacht worden
wäre, dann gäbe es jetzt einen Geschäftsführer, den man
anweisen könnte, dieses oder jenes zu tun. Das ist aber
nicht der Fall.
Was die Bahnwerke angeht, ist, im Konsens auch mit
den Ländern und den Ministerpräsidenten, gesagt wor-
den, dass sich die Länder und DB AG die jeweiligen Stand-
orte angucken sollen. Minister Stolpe hat hierbei eine, wie
ich finde, sehr erfolgreiche Moderatorenrolle eingenom-
men. Wir alle sollten uns darüber freuen, dass es mit
Delitzsch weitergeht.
Ich rufe die Frage 21 des Kollegen Manfred Kolbe auf:
Hält es die Bundesregierung und insbesondere der Bundes-
minister für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen, Manfred Stolpe,
in seiner Zuständigkeit für den Aufbau Ost für mit der Förderung
des Aufbaus Ost vereinbar, dass die Deutsche Bahn AG alle vier
Eisenbahnausbesserungswerke im Freistaat Sachsen schließen
will und von insgesamt 5 350 abzubauenden Arbeitsplätzen allein
2 341 Arbeitsplätze in Sachsen abgebaut werden sollen?
A
Zur Zukunft der sächsischen Ausbesserungswerkefand am 28. Januar 2003 ein weiteres Gespräch beim Vor-sitzenden der Deutschen Bahn AG unter Beteiligung vonHerrn Bundesminister Dr. Stolpe und des Ministerpräsi-denten des Freistaates Sachsen statt. Dabei wurde die Zu-sage vom 9. Dezember 2002 bekräftigt und es wurden ge-meinsame Maßnahmen zwischen der Deutschen BahnAG und dem Freistaat Sachsen zur Erhaltung des Stand-ortes Delitzsch abgestimmt. Zu den Werken ChemnitzParl. Staatssekretärin Angelika Mertens
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 24. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. Februar 2003
Parl. Staatssekretärin Angelika Mertensund Zwickau werden die von der Deutschen Bahn AGeingeleiteten Maßnahmen zur Privatisierung nach Ein-schätzung des Freistaates positiv bewertet. In den WerkenChemnitz, Delitzsch und Zwickau waren nach Angabender Deutschen Bahn AG am 31. Dezember 2002 noch1 208 vollzeitbeschäftigte Personen tätig. Das Werk Leip-zig/Engelsdorf, in dem überwiegend Güterwagen instandgehalten worden sind, ist seit 1. Januar 2002 kein Werkder Deutschen Bahn AG mehr. Es wurde zu diesem Zeit-punkt mit 151 Beschäftigten an die InvestorengruppeWils/Duroc/Til-Gutzen verkauft.
Zusatzfrage.
Fra
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Halten Sie es für sachgerecht, dass alle
vier sächsischen Eisenbahnausbesserungswerke geschlos-
sen werden, und halten Sie es auch für sachgerecht, dass
nach dem Stand der Beschlussfassung von 5 350 Arbeits-
plätzen bundesweit allein 2 341, also knapp die Hälfte, in
einem Bundesland, nämlich in Sachsen, abgebaut wer-
den?
A
Die Bahn modernisiert sich. Wir alle sind uns darüber
einig, glaube ich, dass gerade mit der Modernisierung des
Fuhrparks der Abbau bestimmter Kapazitäten einhergeht.
Dass Sachsen sehr viele Bahnwerke hat, hat mit der Struk-
tur der früheren DDR zu tun. Sie können ganz sicher sein,
dass hier kein Arbeitnehmer seinen Arbeitsplatz verlieren
wird; es gibt eine Übernahmegarantie. Insofern: Wir kön-
nen das eine nicht ohne das andere haben. Die DB AG
– das ist der Auftrag aus der Bahnreform – soll sich kon-
solidieren und am Markt bestehen können. Dazu gehört
der Personalabbau, der auch in anderen Bereichen statt-
findet. Dazu gehört ebenfalls, dass Ausbesserungswerke
geschlossen werden oder von anderen übernommen wer-
den und dann unter anderer Regie weiterbestehen. Wenn
wir ganz ehrlich sind, müssen wir sagen: Das ist der Auf-
trag, den wir als Politik an die DB AG gegeben haben. Sie
erfüllt ihn. Wenn jetzt davon abgewichen werden soll,
müssen Sie mir sagen, in welcher Form Sie Werke erhal-
ten wollen.
Herr Kollege Kolbe.
Frau Staatssekretärin, den Kern meiner Frage haben
Sie nicht beantwortet. Deshalb stelle ich jetzt fest und
bitte Sie um Zustimmung dazu: Bundesminister Manfred
Stolpe hält diesen einseitigen Abbau bei den Bahnwerken
in einem ostdeutschen Bundesland für regionalpolitisch
ausgewogen und sachgerecht. Ist das so?
A
Das habe ich in keiner Weise gesagt. Minister Stolpe
war noch gar nicht Minister, als beschlossen wurde, wie
die Bahn damit umzugehen gedenkt. Für jedes Werk ha-
ben wir Unterstützung signalisiert, was etwa eine Mo-
deratorenrolle angeht. Die Werke sind zum Teil nicht als
solche erhalten worden, sondern auch in andere Ge-
schäftsbereiche gegangen. Das haben wir in Sachsen ge-
nauso gemacht wie in allen anderen Bundesländern. Sie
können also nicht das schließen, was Sie eben gesagt ha-
ben. Das ist Ergebnis dessen, was Sie 1994 beschlossen
haben.
Wir sind damit am Ende dieses Geschäftsbereiches.
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundes-
ministeriums für Bildung und Forschung. Zur Beantwor-
tung steht der Parlamentarische Staatssekretär Christoph
Matschie zur Verfügung.
Ich rufe zunächst die Frage 22 des Kollegen Uwe
Schummer auf:
Wie viele unbesetzte Ausbildungsstellen in den neuen Bun-
desländern stehen aktuell den nicht untergebrachten Bewerbern
gegenüber und wie gestaltet sich aktuell die Situation für ost-
deutsche Hauptschulabsolventen auf dem Ausbildungsstellen-
markt?
C
Herr Kollege Schummer, der Vergleich von Bewerber-
zahlen und Ausbildungsstellen ist zu diesem Zeitpunkt
noch nicht aussagekräftig, da sich der Ausgleich von An-
gebot und Nachfrage auf dem Ausbildungsstellenmarkt er-
fahrungsgemäß erst im letzten Quartal des Vermittlungs-
jahres, das heißt von Juli bis Ende September, vollzieht.
Nach der Ausbildungsvermittlungsstatistik der Bundes-
anstalt für Arbeit für das Vermittlungsjahr 2002/2003 ste-
hen in den neuen Ländern aktuell – ich beziehe mich auf die
Zahl von Januar – 29528 unbesetzten Berufsausbildungs-
stellen 97977 unvermittelte Bewerber gegenüber.
Herr Kollege Schummer, Sie haben das Wort zu einer
Zusatzfrage.
Stimmt die Information der „Leipziger Volkszeitung“
vom 31. Januar dieses Jahres – dort wird die Bildungsmi-
nisterin, Frau Bulmahn, zitiert –, dass die im Bundes-
haushalt vorgesehene Kürzung beim Ausbildungsplatz-
sonderprogramm Ost um 12 Millionen Euro vollständig
zurückgenommen wird?
C
Bund und Länder haben vereinbart, dass dieses Ausbil-dungsplatzsonderprogramm weiter zurückgefahren wird,
1844
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 24. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. Februar 2003 1845
nämlich von derzeit 14 000 Stellen im letzten Ausbil-dungsjahr auf 12 000 Ausbildungsstellen. Das ist die Pla-nung. Im Moment gibt es Gespräche darüber, diesenRückgang nicht zu vollziehen. Das muss aber in den ab-schließenden Gesprächen über den Haushalt endgültiggeklärt werden.
Eine weitere Zusatzfrage.
Vor dem Hintergrund, dass eine Frage mit einer ähnli-
chen Information zwei Tage vor der Veröffentlichung in
der eben genannten Zeitung im Ausschuss gestellt und
nicht beantwortet wurde, richte ich an Sie folgende Frage:
Ist es üblich, dass Abgeordnete über zentrale Haushalts-
fragen des Bundes nicht im zuständigen Ausschuss, son-
dern über die Presse informiert werden?
C
Es ist üblich, dass Abgeordnete in den zuständigen
Ausschüssen informiert werden. Ich kann hier gegenwär-
tig kein Problem erkennen. Die Fragen, die im Ausschuss
gestellt worden sind, sind vonseiten unseres Ministeriums
beantwortet worden.
Ich rufe die Frage 23 des Kollegen Schummer auf:
Wie viele ostdeutsche Hauptschulabsolventen sind davon ak-
tuell unversorgt und wie hoch liegt ihr Anteil an den nicht vermit-
telten Bewerbern?
C
Unter allen Bewerbern in den neuen Bundesländern – das
sind insgesamt 121014 Jugendliche – sind 26577 Haupt-
schulabsolventen. Das sind 22 Prozent aller Bewerber.
Unter den noch nicht vermittelten Bewerbern sind
20 076 Hauptschulabsolventen. Das sind 20,5 Prozent al-
ler unvermittelten Bewerber.
Auch in diesem Jahr wird der Vermittlung von Haupt-
schulabsolventen besondere Aufmerksamkeit zu widmen
sein. In den zusätzlichen Länderprogrammen werden
Hauptschulabsolventen als besondere Zielgruppe berück-
sichtigt.
Eine Zusatzfrage.
Bestätigen Sie die Aussage von Bundesminister Clement
in der Bundestagsdebatte vom 30. Januar, wonach 51 Pro-
zent der Betriebe in den neuen Bundesländern derzeit
nicht ausbildungsberechtigt sind? Mit welchen Maßnah-
men gedenken Sie die Ausbildungsfähigkeit der Betriebe
im dualen System zu stärken?
C
Ich kenne die Aussage, auf die Sie soeben verwiesen
haben, nicht und kann dazu deshalb weder etwas Bestäti-
gendes noch etwas Dementierendes sagen.
Eine zweite Zusatzfrage.
Wie hoch ist die Zahl der Ausbildungsabbrecher im
Schnitt und in welchem Zeitraum wird die Bundesregie-
rung differenzierte und arbeitsmarktfähige zweijährige
Ausbildungsberufe oder Ausbildungsmodule mit Teilab-
schlüssen gesetzlich ermöglichen? Ist Ihnen bekannt, dass
eine solche Gesetzesinitiative von den Wirtschaftspoliti-
kern der SPD bereits formuliert ist?
C
Zu den Abbrecherquoten liegen mir jetzt keine Zahlen
vor, da sie nicht Gegenstand der Frage waren. Ich bin aber
gern bereit, Ihnen diese Zahlen, soweit sie uns zur Verfü-
gung stehen, nachzureichen.
Was die Gestaltung der Ausbildung angeht: In diesem
Jahr wird eine Novelle des Berufsbildungsgesetzes vor-
bereitet. Alle damit im Zusammenhang stehenden Fragen
werden im Rahmen der Beratung dieser Novelle vom Par-
lament diskutiert und beschlossen werden.
Ich rufe die Frage 24 des Kollegen Dr. Bergner auf:
Wie viele Bewerber für eine Lehrstelle gibt es aktuell Ende Ja-
nuar 2003 in den neuen Bundesländern, die sofort eine Lehrstelle
antreten möchten, aber unversorgt sind?1)
C
Herr Dr. Bergner, am 30. September 2002 gab es in denneuen Ländern 10 203 unvermittelte Bewerberinnen undBewerber, denen 882 unbesetzte Ausbildungsplätze ge-genüberstanden. Daneben gab es zu diesem Zeitpunktrund 7 900 Plätze aus den verschiedenen Sonderprogram-men, die noch nicht eingesetzt waren. Das betrifft Pro-grammplätze im Bund-Länder-Sonderprogramm 2002, inden ergänzenden Länderprogrammen sowie in dem abdem 1. Februar 2003 erneut einsetzbaren Jugendsofort-programm.Parl. Staatssekretär Christoph Matschie1) siehe hierzu auch Frage 52
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 24. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. Februar 2003
Parl. Staatssekretär Christoph MatschieDurch die Nachvermittlungsaktivitäten der Bundesan-stalt für Arbeit sank die Anzahl der Ende September nochnicht vermittelten Bewerber und Bewerberinnen bis zum31. Dezember 2002 um 5 428 oder rund 53,2 Prozent auf4 775. Zum Vergleich dazu: Ende Dezember 2001 warenes 3 309. Für diese Jugendlichen waren 269 betrieblicheAusbildungsplätze, über 600 Programmplätze des Bund-Länder-Sonderprogramms und der Länderprogramme so-wie bis zu maximal 2 100 außerbetriebliche Plätze nachArt. 4 des Jugendsofortprogramms verfügbar. Ende Ja-nuar 2003 waren noch 4 215 Bewerber und Bewerberin-nen unvermittelt. Die Bundesanstalt für Arbeit wird denverbliebenen Jugendlichen ein weiteres Angebot machen.
Herr Kollege Bergner.
Herr Staatssekretär Matschie, darf ich fragen, wie sich
diese Zahlen im Vergleich zu denen der Vorjahre darstel-
len, und geben Sie mir vor dem Hintergrund dieser Zah-
len Recht, dass Überlegungen zur Rückführung von Aus-
bildungsplatzsonderprogrammen unangebracht sind?
C
Herr Kollege, ich habe Ihnen ja die Vergleichszahl von
Ende Dezember 2001 genannt. Wir hatten Ende Dezem-
ber 2002 noch 4 775 unvermittelte Bewerberinnen und
Bewerber, Ende Dezember 2001 waren es 3 309, das heißt
etwas weniger.
Zum zweiten Teil Ihrer Frage kann ich sagen: Die
Rückführung des Ausbildungsplatzsonderprogramms ist
mit den Ländern verabredet gewesen. Hier gab es ja eine
längerfristige Planung, die über mehrere Jahre ging. Im
Moment ist im Gespräch, dass diese Rückführung so, wie
sie geplant war, nicht stattfinden soll. Die Gespräche da-
rüber sind aber noch nicht abgeschlossen; auch die Haus-
haltsberatungen für diesen Bereich sind ja, wie Sie wis-
sen, noch nicht abgeschlossen.
Weitere Zusatzfrage.
Können Sie bestätigen, dass in den Verhandlungen über
die Rückführung des Ausbildungsplatzsonderprogramms
die betroffenen Bundesländer unterschiedliche Positionen
einnehmen?
C
Ich kann Ihnen zum gegenwärtigen Verhandlungsstand
keine Auskunft geben, bin aber gern bereit, noch einmal
zu recherchieren, wie im Moment der Stand der Verhand-
lungen ist, und Ihnen dann gegebenenfalls im Ausschuss
die entsprechenden Auskünfte zu geben.
Zusatzfrage des Kollegen Fuchtel.
Wie verträgt sich eigentlich diese jetzt gerade so breit
dargestellte Sachlage mit den Zusicherungen in Ihrem
Wahlprogramm, dafür zu sorgen, dass die Jugendlichen
einen Ausbildungsplatz bekommen werden?
C
Es ist nach wie vor Ziel der Bundesregierung, allen, die
ausgebildet werden wollen, auch einen Ausbildungsplatz
zur Verfügung zu stellen. Sie wissen selbst, dass in aller-
erster Linie die Wirtschaft dafür verantwortlich ist, dass
die notwendigen Ausbildungsplätze zur Verfügung ge-
stellt werden. Die Bundesregierung hat in den letzten Jah-
ren erhebliche Anstrengungen unternommen, um die
Wirtschaft dabei zu unterstützen, aber auch um zusätzli-
che Ausbildungsmöglichkeiten zu finanzieren. Das wird
auch in Zukunft so bleiben.
Eine weitere Zusatzfrage des Kollegen Kretschmer.
Was unternimmt die Bundesregierung denn jetzt, wenn
es nicht dazu kommt, dass das Ausbildungsplatzpro-
gramm aufgestockt wird, wie es zwar in der Zeitung steht,
aber offensichtlich doch nicht der Fall ist, weil die Länder
ja nun der Meinung sind, man solle das kürzen – für Sach-
sen kann ich das nicht bestätigen, da hat man uns genau
das Gegenteil gesagt; aber wir können im Ausschuss gerne
darüber sprechen –, um für eine verbesserte Ausbildungs-
platzsituation gerade in den neuen Bundesländern, aber
mittlerweile auch in den alten Bundesländern zu sorgen?
C
Die Bundesregierung ist im Moment unter anderem inGesprächen mit der deutschen Wirtschaft über die Frage,inwieweit die Wirtschaft noch mehr Ausbildungsplätzezur Verfügung stellen kann. Ich bin mir auch sicher, dassIhnen nicht entgangen ist, dass beispielsweise Herr Hundtöffentlich zugesichert hat, dass die deutsche Wirtschaftbereit wäre, eine Ausbildungsplatzgarantie abzugeben.Er hat dann einige Bedingungen auch in Richtung der Ge-werkschaften formuliert. Das zeigt, dass in der Wirtschaftdurchaus das Potenzial vorhanden wäre, allen Jugend-lichen einen Ausbildungsplatz zur Verfügung zu stellen.Darüber hinaus gibt es verschiedene Programme der Bun-desregierung, zum Teil gemeinsam mit den Ländern, bei-spielsweise ein spezielles Programm, bei dem Lehrstel-lenentwickler Unternehmen helfen, weitere Lehrstellenanzubieten.
1846
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 24. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. Februar 2003 1847
Wir sind damit am Ende der für die Fragestunde vor-
gesehenen Zeit. Ich schließe die Fragestunde.
Die Fraktion der CDU/CSU hat zur Antwort der Bun-
desregierung auf die eingebrachte Dringlichkeitsfrage
eine Aktuelle Stunde verlangt. Diesem Verlangen ist nach
Anlage 5 I 1 b unserer Geschäftsordnung stattzugeben,
und zwar unmittelbar im Anschluss an die Fragestunde.
Deshalb rufe ich als neuen Zusatzpunkt 1 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion der CDU/CSU
Irakpolitik
Als erster Redner erhält der Kollege Eckart von
Klaeden für die CDU/CSU das Wort.
Frau Präsidentin! Herr Präsident! Meine Damen undHerren Kollegen! Die Aufregungen um die Veröffent-lichung im „Spiegel“ über einen angeblichen Alternativ-plan von Deutschland und Frankreich zeigen: Die Bun-desregierung, insbesondere der Bundeskanzler, ist mitihrem Latein am Ende.
Deutschland steckt in der schwersten außen- und sicher-heitspolitischen Krise seit Bestehen der Bundesrepublik.Sie haben gleich mehrere Fehler auf einmal gemacht.Mit Ihrem Hinweis, einen deutschen Weg zu gehen, habenSie das zarte Pflänzlein der Gemeinsamen Außen- und Si-cherheitspolitik in Europa zertreten. Mit Ihrer Verweige-rung der erforderlichen und erwünschten Unterstützungder Türkei im NATO-Rat am Montag gefährden Sie dieBündnisfähigkeit Deutschlands. Sie erhöhen mit Ihrer ab-soluten Weigerung, an einer von der UN sanktioniertenMaßnahme gegen den Irak teilzunehmen, die Notwendig-keit und die Gefahr einer Entwaffnung Saddam Husseinsmit militärischen Mitteln und Sie schwächen die Verein-ten Nationen und machen sie lächerlich,
indem Sie die völkerrechtliche Beweislast umkehren;denn durch Ihren Vorschlag, Blauhelme in den Irak zuschicken, erwecken Sie den Eindruck, die Vereinten Na-tionen und nicht Saddam Hussein müssten nachweisen,dass er die Massenvernichtungswaffen, deren Existenzihm nachgewiesen wurde, vernichtet hat.Das ist der vorläufige Höhepunkt einer außen- und si-cherheitspolitischen Geisterfahrt, die nicht das Ziel hatte,Saddam Hussein zu entwaffnen und den Frieden im Na-hen Osten – oder was Sie dafür halten – zu bewahren, son-dern allein das Ziel, die Bundestagswahl am 22. Sep-tember zu gewinnen und Gerhard Schröder wieder an dieMacht zu bringen.Den ersten Fehler haben Sie auf einer SPD-Wahl-kampfveranstaltung, der Auftaktveranstaltung am 5. Au-gust letzten Jahres, begangen, indem der Bundeskanzlererklärt hat, Deutschland werde sich an einer Maßnahmegegen den Irak nicht beteiligen, selbst wenn der UN-Si-cherheitsrat sie beschließen würde.
Niemand hat von Deutschland eine militärische oder fi-nanzielle Beteiligung verlangt. Das Einzige, was vonDeutschland erwartet wurde, war die politische und mo-ralische Unterstützung einer Drohkulisse gegen SaddamHussein innerhalb der Vereinten Nationen. Diese Droh-kulisse haben Sie entscheidend geschwächt.
Den zweiten Fehler hat der Bundeskanzler begangen,als er die Bundesjustizministerin nach ihrer Äußerung am19. September letzten Jahres, in der sie George Bush unddas Vorgehen gegen den Irak mit Adolf Hitler und dessenHandeln verglich, nicht sofort entlassen hat.
Der Bundeskanzler hat einen Brief an den amerikanischenPräsidenten geschrieben, in dem er den Eindruck erweckthat, diese Äußerung sei gar nicht gefallen. Er ist nicht aufden ungeheuerlichen diplomatischen Affront eingegan-gen, sondern hat die plumpe Ausrede der Ministerin vorder Bundespressekonferenz wiederholt und damit denEindruck erweckt, der amerikanische Präsident fühle sichzu Unrecht persönlich beleidigt.Der dritte Fehler geschah am 10. Januar dieses Jahres,als der Bundeskanzler UN-Botschafter Pleuger öffentlichmaßregelte, der lediglich die Position des Außenministerszur Frage einer weiteren UN-Resolution vorgetragen hatte.Der vierte Fehler geschah am 27. Januar in Goslar, alsGerhard Schröder von dort dem Außenminister, der sich inNew York aufhielt, in den Rücken fiel und unwiderspro-chen zuließ, dass sein damaliger Kronprinz Sigmar Gabriel
den Vereinigten Staaten unterstellte, sie wollten jungeMenschen für Öl in den Krieg schicken. Gabriel unter-stellte damit nur niedere, ökonomische Motive und derdaneben stehende Bundeskanzler applaudierte und wider-sprach nicht.
Den fünften Fehler haben Sie begangen, als der Bun-deskanzler am Donnerstag – der Staatsminister hat das aufeine entsprechende Frage des Kollegen Grindel zugeste-hen müssen – gegenüber „Spiegel“-Redakteuren seinenunausgegorenen Plan über den Einsatz von UN-Blauhel-men im Irak angesprochen hat. Er hat seine Minister zurSicherheitskonferenz nach München geschickt, ohne sievorher zu informieren.
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 24. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. Februar 2003
Eckart von KlaedenDie Folge war ein peinlicher Eiertanz für die Bundes-republik Deutschland. Bereits am Sonntag hat die franzö-sische Verteidigungsministerin die gemeinsame Initiative,über die im „Spiegel“ berichtet wurde, dementiert unddazu gesagt: Die Deutschen wollten sich wieder ins Spielbringen, sich also aus der selbst verschuldeten Isolationbefreien. – Damit haben Sie den „Spiegel“, der am Montagerschien, schon am Sonntag zu Altpapier gemacht.Der sechste Fehler, den Sie begangen haben, ist,dass Sie der Türkei, einem Land, das Sie in die Europä-ische Union aufnehmen wollen, die erforderliche undgewünschte militärische Unterstützung verweigert ha-ben.
In der Außen- und Sicherheitspolitik hat es noch nie ei-nen solchen Schaden für die Bundesrepublik Deutschlandgegeben.Als Letztes möchte ich mich an die Grünen wenden:Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, nochprofitieren Sie von dem Sinkflug der Sozialdemokraten.Noch wandert ein Teil der sozialdemokratischen Wählerzu Ihnen. Aber Außenminister Fischer hat immer wiedereine öffentliche Desavouierung ertragen müssen. JedesMal, wenn er sich bemüht hat, wieder ein Türchen inRichtung Vereinte Nationen oder USA zu öffnen,
hat der Bundeskanzler in öffentlichen Stellungnahmendiese Tür wieder zugeschlagen. Die Bedeutung der Wortevom Koch und vom Kellner ist nie so deutlich gewordenwie bei dieser Desavouierung des Außenministers durchden Bundeskanzler.
Herr Kollege, denken Sie bitte an Ihre Redezeit.
Frau Präsidentin, ich bin bei meinem letzten Satz. –
Mich würde es nicht wundern, wenn Fischer, wenn er
nicht endlich dazu bereit ist, zu einem Wechsel beizutra-
gen, als Schröders Pudel in die Geschichte Deutschlands
eingehen wird.
Nächster Redner ist der Kollege Markus Meckel, SPD-
Fraktion.
Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kol-legen! Verehrter Herr Kollege von Klaeden, wir habennicht deswegen einen Kanzler, damit er Latein kann, son-dern damit er regiert, Schaden vom deutschen Volke ab-wendet und sich für den Frieden einsetzt. Genau das tutunser Kanzler.
An seiner Seite – nicht im Zwist, sondern in Überein-stimmung mit ihm – tut dies übrigens auch der deutscheBundesaußenminister.
Einen Zickzackkurs sehe ich nicht bei dieser Bundes-regierung, sondern bei der Opposition im letzten halbenJahr.
Denn ich erinnere mich an die Diskussion im letzten Som-mer, als Herr Stoiber kurz nach Herrn Schröder klar ge-sagt hat: Wir wollen uns nicht beteiligen. Er ist weit darü-ber hinausgegangen. Er hat sogar infrage gestellt, ob dieAmerikaner in Deutschland liegende Basen nutzen undihnen Überflugrechte gewährt werden könnten. Das hatStoiber im letzten Sommer infrage gestellt. Vergessen Siebitte nicht, dass dies so war! Herr Schmidt, Sie sollten sichan die Worte Ihres Vorsitzenden erinnern.
In einem wichtigen Punkt hatte Herr Stoiber Recht. Erhat am letzten Sonnabendmorgen in München erklärt,dass es wichtig sei, den Inspektoren auf der Grundlage derResolution 1441 mehr Zeit zu geben und diese Resolutionwirklich zu nutzen. Das ist unsere Position.
Dafür hat sich Herr Stoiber in seinem Eingangsstatementunmittelbar nach der Rede von Herrn Rumsfeld einge-setzt.
– Sie haben Recht. Er hat seine Position geändert. In sei-ner Rede am Abend hat er Herrn Rumsfeld zugestimmt.Ich spreche ja von den Schlangenlinien. Dies sollten Siein Erinnerung behalten.
Sie sprechen von einem Geheimplan; das ist der Anlassfür diese Aktuelle Stunde gewesen. Sie meinen, den
1848
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„Spiegel“ bzw. entsprechende Hinweise retten zu müssen.Es hat nie einen Geheimplan gegeben.
Es hat auch nirgendwo geheime Verhandlungen gegeben.Es gibt die Bemühungen der deutschen Regierung, ge-meinsam mit anderen Mitgliedern des Sicherheitsratesdafür zu sorgen, dass der Weg der Resolution 1441 weiterverfolgt wird – so lange, bis die Inspektoren selber klar sa-gen, dass das bisher Beschlossene keine Chance mehr hat.Bisher weisen alle Signale der Inspektoren in die gegen-teilige Richtung. Sie waren letzte Woche in Bagdad. Nachall dem, was wir bisher vernehmen konnten – der Berichtwird ja erst am kommenden Freitag vorgelegt werden –,gibt es Fortschritte. Das heißt nicht, dass dies schon genü-gen würde. Aber offensichtlich sieht man die Chance– das ist auch unsere Position –, dass es sich lohnt, dieInspektionen weiterzuführen.Deutschland und Frankreich versuchen gegenwärtig– mit Unterstützung Russlands –, auf dieser Grundlageweiterzumachen, und sagen: Man sollte überlegen, inwie-weit es sinnvoll und möglich ist, die Inspektionen zu ver-stärken und auszubauen.
Diese Überlegung, die der französische Außenministerschon in der letzten Sicherheitsratssitzung geäußert hat,knüpft übrigens an eine Frage an, die man schon vor derVerabschiedung der Resolution 1441 gestellt hat – auchaufseiten der Amerikaner und der Briten –: Inwieweitist eine militärische Komponente zur Absicherung derInspektionen sinnvoll? Über diese Frage, die dann späternicht weiter verfolgt worden ist, kann man durchaus strei-ten; das letzte Urteil sollte in meinen Augen den Inspek-toren selbst zukommen. Heute als Anhängsel von Blau-helmen zu reden halte ich selbst für nicht so sinnvoll.
Es ist aber ohnehin nicht wesentlicher Bestandteil diesesVorschlages. Es geht lediglich darum, die Inspektionen zuverstärken und zu überlegen, mit welchen Methoden diesgeschehen kann. Klar ist: Sie brauchen Zeit.In Richtung der Opposition will ich noch eines sagen– meine Redezeit geht zu Ende –: Der europäische Zusam-menhalt ist wahrhaftig stark geschwächt. In der letzten Wo-che hatten die europäischen Außenminister eine gemein-same Position gefunden. Leider ist dieser Konsens vonTeilen Europas durch eine Aktion – die Erklärung der Acht–, die von anderen inszeniert war, aufgebrochen worden.
Ich halte es für sehr problematisch, wenn sich Ihre Frak-tion dem anschließt. Darüber wird auch morgen zu disku-tieren sein. Fragen Sie bitte Ihren Kollegen im Europä-ischen Parlament Elmar Brok, fragen Sie die griechischePräsidentschaft, was sie davon halten, wenn der europä-ische Zusammenhalt an dieser Stelle verlassen wird.
Wir halten das für ein großes Problem.Ich danke Ihnen.
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Werner Hoyer,
FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Immerhin, Herr Kollege Meckel, war dieser Geheimplanso geheim und derart nicht existent, dass der Bundesmi-nister der Verteidigung in München auf meine Frage dazugeantwortet hat, zwar könne er dazu nichts sagen, aber derBundeskanzler werde am Donnerstag in seiner Regie-rungserklärung vor dem Deutschen Bundestag dazu Stel-lung nehmen.
Was ist denn nun?München war wieder einmal ein wirklich faszinieren-des Erlebnis, eine tolle Konferenz. Wir empfangen dortjährlich sehr viele hochkarätige Gäste aus aller Welt.
Ich fürchte, in Zukunft werden wir uns auf die Rolle desGastgebers reduzieren müssen und nicht mehr als ernst-hafte Gesprächs- und Verhandlungspartner zur Kenntnisgenommen werden.
Es kann doch nicht sein, meine Damen und Herren, dassdie Konferenz in München bereits fünf, sechs Stundenläuft und erst dann, aufgrund einer von Agenturen ver-breiteten Vorabmeldung des „Spiegel“, die Frage gestelltwerden kann: Was ist an dieser Initiative eigentlich dran?,während die beiden Verteidigungsminister, die gerade ge-sprochen haben, der französische und der deutsche, sowieoffenbar weite Teile des Auswärtigen Amtes über die An-gelegenheit nicht informiert sind.
Das ist eine Düpierung all derjenigen, die dorthin gekom-men sind, um mit uns als Partner ernsthaft über Sicher-heitspolitik zu reden.
Wir werden über den Irak hier sicher noch oft – vorallem auch morgen – sprechen, aber heute steht etwasMarkus Meckel
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 24. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. Februar 2003
Dr. Werner Hoyeranderes im Vordergrund, nämlich die Frage, wie wir mitsolchen Themen umgehen.
Es ist die Frage, sehr verehrte Frau Kollegin Roth, ob derBundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland auf demAltar innenpolitischen Taktierens die Bündnisfähigkeit derBundesrepublik Deutschland geopfert hat. Darum geht es.
Wenn man dann in einer Situation, in der ein NATO-Partner unter Druck gerät, die notwendige Hilfe verwei-gert, dann schlägt man einen Nagel in den Sarg desBündnisses,
dem wir sehr, sehr viel in unserer deutschen Geschichtezu verdanken haben.
Das Kernprinzip der NATO ist tiefe Integration. Tiefe In-tegration setzt voraus, dass man bereit ist, sich voneinan-der abhängig zu machen, weil man dann nur noch ge-meinsam militärisch agieren kann. Sie setzt voraus, dassman die Kraft hat, zu gemeinsamen Entscheidungen zukommen, und sich nicht durch Vorfestlegungen von vorn-herein daran hindert, Einfluss auf das zu nehmen, was amEnde gemeinsame Entscheidung ist.
Deswegen ist die Bundesrepublik Deutschland vonBundeskanzler Schröder schlicht und ergreifend in dieIrrelevanz geführt worden. Der Bundesminister des Aus-wärtigen weiß das auch ganz genau. Die Bundesregierungwird in dieser Aktuellen Stunde erstaunlicherweise nichtStellung nehmen. Ich frage mich, wie lange der Außen-minister diesen Kurs eigentlich noch mittragen kann.
Wie glaubwürdig ist unser Bekenntnis zum Multilate-ralismus, wenn wir von vornherein sagen: „Egal, was derSicherheitsrat der Vereinten Nationen entscheidet, wirnicht!“? Wie glaubwürdig ist eigentlich unser Bekenntniszur NATO und wie glaubwürdig ist unser Bekenntnis zudem, was wir uns gemeinsam – zumindest bisher – alsgemeinsame Europäische Sicherheits- und Verteidigungs-politik erhofft haben? Die ESVP ist bereits tot, bevor wirdie ersten ernsthaften Schritte in ihre Richtung gemachthaben. Das wird man der Bundesregierung eines Tagesanrechnen müssen.
Kluge Außenpolitik besteht darin, Optionen zu schaf-fen, immer wieder neue zu öffnen und nicht vorzeitig Op-tionen zu schließen.
Genau gegen eine solche Grundregel der internationa-len Politik hat die Bundesregierung, hat insbesondereder Bundeskanzler verstoßen. Die BundesrepublikDeutschland hat international erheblichen Schaden ge-nommen.
Nächster Redner ist der Kollege Ludger Volmer, Bünd-
nis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich binschon seit einigen Jahren in diesem Parlament. Aber ichhabe noch nie eine Aktuelle Stunde erlebt, die so über-flüssig war wie die heutige.
Sie ist der Sache nach überflüssig.
Morgen wird der Bundeskanzler dazu eine ausführlicheRegierungserklärung abgeben.
Auch der Außenminister wird sich in aller Ausführlichkeitdazu äußern. Da kann über alles dem Grunde nach und sointensiv wie nötig diskutiert werden.Ich frage mich: Warum weichen Sie heute auf Neben-themen aus, zum Beispiel auf die Frage, wie über dieseaußerordentlich komplizierte und differenzierte Angele-genheit am Wochenende in der Presse berichtet wurde?Natürlich kann man darüber reden, wie die Berichterstat-tung ist. Man kann darüber reden, ob es richtig ist, nacheiner Recherche, bei der man dieses und jenes Elementüber Konsultationen, Ideen und Beratungen zusammen-getragen hat, diesen dann den Stempel „deutsch-französi-scher Geheimplan“ aufzudrücken und einen solchen Plan– gäbe es ihn wirklich – mit dieser Aktion sofort zu tor-pedieren. Man kann darüber reden, aber das, glaube ich,ist das absolute Nebenthema.Ich frage mich, mit welchem Maßstab Sie diese Kritikvorbringen. Ich könnte es verstehen, wenn jemand, derwie wir, wie Rot-Grün bzw. die Bundesregierung, inten-siv daran arbeitet, den Frieden zu sichern,
kritisch einwenden würde: „Ihr macht das nicht optimalund eure Kommunikationsstrategie hat manchmal Feh-ler.“ Eine solche Kritik würden wir uns anhören und dann
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würden wir versuchen, das zu verbessern. Aber das istnicht Ihr Maßstab.
Sie haben einen völlig anderen Maßstab. Sie wollen keinebessere Friedenspolitik, sondern Sie haben hinter der Kri-tik an der Bundesregierung monatelang ihre eigene Hal-tung verborgen,
und zwar deshalb, weil Sie keine eigene hatten. Sie warenvoller interner Widersprüche zwischen CDU und CSU.Auch heute noch kommen CSU-Abgeordnete zu uns undsagen: „Macht bloß weiter, wir werden in unserer Frak-tion rasiert.“ Das hören wir immer wieder.
Jetzt, nach den Landtagswahlen, hat Ihre Parteivorsit-zende endlich die Wahrheit aufgedeckt. Die CDU, so hatsie gesagt, steht hinter George Bush, das heißt, die CDUist für eine Politik, durch die – so ist die Einschätzungaller Experten – eine militärische Eskalation kaum nochin letzter Minute zu stoppen ist.
Unsere Politik, die Politik der Koalition und der Bun-desregierung, zielt darauf, die letzten Chancen zu nutzen,das letzte kleine Fenster zu nutzen, um den Ausbruch desKrieges zu verhindern.
Wenn es darum in der internationalen Politik geht, bleibtnur noch ein Skandal an diesem Wochenende und überdiesen muss geredet werden.
Der Skandal ist, dass die CDU/CSU in dem Moment, indem die Bundesregierung und die Koalition versuchen,den Frieden zu retten, sagt: Wir sind für die kriegerischeOption.
Das ist der Skandal.
Wenn Sie sagen, Sie seien für das Bedrohungsszenario,für die Androhung eines Krieges, dann müssen Sie auchsagen: Wir sind willens, ihn zu führen und daran teilzu-nehmen.
Ich erwarte von Frau Merkel, dass sie morgen, wennder Bundeskanzler seine Regierungserklärung abgibt undunsere Friedenspolitik darstellt,
ihre Strategie aufdeckt, sodass wir sie genauso intensivund kritisch diskutieren können, wie Sie unsere Politikunter die Lupe genommen haben. Das gehört zu einem of-fenen und ehrlichen Diskurs.Wir lassen Ihnen nicht mehr durchgehen, dass Sie sichdurch Kritteleien an einzelnen Elementen der rot-grünenPolitik vor einer klaren Stellungnahme drücken, weil SieAngst vor fundamentalem Zwist in den eigenen Reihenund davor haben, sich selber zu isolieren.
Es mag ja sein, dass Rot-Grün und die Bundesregierungin bestimmten Phasen dieser Diskussion
allein dazustehen schienen, aber urplötzlich – aus IhrerSicht sogar überraschend – waren wir in einer Allianz mitFrankreich.
Einen Tag später war Russland dabei. Nun sieht alles da-nach aus, dass China dieser Initiative beitreten wird. Eszeichnet sich die Mehrheit im Sicherheitsrat der VereintenNationen für die Verlängerung der Mission von Blix undel Baradei ab.
Ich möchte von Ihnen morgen eine klare Aussagehören: Sind Sie für den Versuch, die Mission von Blix undel Baradei zu verlängern, oder wollen Sie Ihre Option ei-ner direkten militärischen Eskalation sofort umsetzen?Wir verlangen morgen ein klares Wort von Frau Merkel.Danke.
Nächster Redner ist der Kollege Reinhard Grindel,
CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! LieberHerr Kollege Volmer, ich habe meine Zweifel daran, obder Bundesaußenminister die Informationspolitik am Wo-chenende wirklich als Nebensache empfunden hat. So wieich ihn kennen gelernt habe, hat er sich aufgeregt, undzwar mit Recht.
Dr. Ludger Volmer
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 24. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. Februar 2003
Reinhard GrindelDenn im „Spiegel“ am Montag war nicht nur etwasüber den deutsch-französischen Geheimplan zu lesen,sondern unter der Überschrift „Beziehung mit Knacks“auch eine Geschichte über massive Meinungsverschie-denheiten zwischen dem Bundeskanzler und dem Außen-minister,
und das ausgerechnet, nachdem, wie jetzt bestätigt, amDonnerstagabend Gerhard Schröder im Kanzleramt mit„Spiegel“-Redakteuren gesprochen hat.So etwas ist kein Zufall. Wer die Artikel gelesen hat,kann nur zu einer Schlussfolgerung kommen:
Hier ist gezielt durchgestochen worden, und zwar vomChef persönlich. Schröder hat Fischer mal wieder zeigenwollen, wer Koch und wer Kellner ist. Es geht in Wahr-heit um taktische Winkelzüge, es geht allein um innen-politische Ränkespiele.
Es ist offenbar völlig gleichgültig, ob außenpolitischerSchaden entsteht. Das ist der Geist von Goslar und das istein Ungeist.
Ein besonders jämmerliches Bild hat der Bundesver-teidigungsminister abgegeben, der in der Tat am Wochen-ende vor einer teuflischen Alternative stand: Gebe ich zu,dass ich keine Ahnung habe, oder glaube ich dem „Spie-gel“? Sozialdemokraten entscheiden sich in der Regel fürdie zweite Alternative.
Struck am Samstag zu Blauhelmen: „Da ist was dran.“Struck am Sonntag zu Blauhelmen: „Zum Umfang kannich nichts sagen.“ Struck am Montag zu Blauhelmen:„Das entspricht nicht der Realität.“ Meine Damen undHerren, wir haben es hier mit einem Abgrund an Unwis-senheit zu tun.
Der Kollege Gernot Erler hat dazu sehr einfühlsam ge-sagt: „Solche Pläne können nur in sehr kleinem Kreis be-sprochen werden. Da kann nicht jeder über alles Bescheidwissen.“
Ich weiß nicht, wer zu dem kleinen Kreis gehört hat. DerBundesaußenminister jedenfalls nicht und auch nicht derBundesverteidigungsminister,
obwohl es immerhin um den Blauhelmeinsatz von Bundes-wehrsoldaten ging. Das ist ja keine Kleinigkeit. Der Außen-minister wird vom „Spiegel“ und nicht vom Bundeskanzlerinformiert. Politiker mit Charakter würden angesichts einersolchen Behandlung anfangen, sich zu überlegen, ob siedem Kanzler nicht die Brocken vor die Füße werfen.
Zumindest hätte der Außenminister, Frau Kollegin Roth,zu diesem deutsch-französischen Geheimplan sagen kön-nen: Forget it! Zumindest das hätte er sagen können.
aufgeschrieben?)Bevor wir jetzt zu viel Mitlied mit dem Verteidigungs-minister bekommen, muss man darauf hinweisen, dass wirjetzt sehen, was passiert, wenn wichtige Regierungsämternicht nach fachlichen Gesichtspunkten, sondern aus-schließlich nach parteitaktischem Kalkül besetzt werden.Herr Struck hat eben wie ein Fraktionsvorsitzender,wie ein braver Parteisoldat, und nicht wie ein verantwor-tungsbewusster oberster Dienstvorgesetzter unserer Bun-deswehrsoldaten reagiert,
der sich an Fakten orientiert und auch einmal den Mut hat,zu widersprechen, wenn Pläne vorgelegt werden, diefachlich sehr fragwürdig sind.
Auch in meinem Wahlkreis machen sich die Menschenwegen der Entwicklung im Irak Sorgen. Ich glaube, dasses vielen Bürgern nicht leicht fällt, sich zwischen all denResolutionen, den Plänen, dem Sicherheitsrat, demNATO-Rat, den Beistandspflichten und den Inspekteurenzurechtzufinden. Die Menschen wollen jetzt politischeFührung. Sie wollen Orientierung. Sie haben es nicht ver-dient, dass man mit ihren Sorgen politische Geschäftemacht wie der, der diesen angeblichen Alternativplan im„Spiegel“ platziert hat. Dies ist ein fragwürdiger Regie-rungsstil, der mit den Menschen spielt.
Ich finde es richtig, dass meine journalistischen Be-rufskollegen nicht nur solche angeblichen Alternativplänetransportieren, sondern jetzt auch aufdecken, welche In-teressen dahinter stecken, wenn ihnen solche Pläne ver-kauft werden.Es ist gut, dass wir heute nachlesen können, was derBundeskanzler am Montag der SPD-Fraktion gesagt hat.Er hat gesagt, an der Irakfrage entscheide sich vieles fürdie SPD und auch für ihn.
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Nein, es geht nicht um die Sicherheit seines Kanzler-stuhls, sondern um die Sicherheit der Menschen geradeauch in unserem Land. Es geht um nationale Interessenund nicht um Machterhalt. Wir müssen in der Debatte dieMaßstäbe mal wieder zurechtrücken.
Joschka Fischer hat am Wochenende – da wusste ervon seinen Mitarbeitern bereits, was am Donnerstag imKanzleramt zwischen Schröder und dem „Spiegel“ gelau-fen war – auf der Münchner Konferenz gesagt: „Auch dieDeutschen müssen zugeben, dass sie nicht immer dieWeisheit mit Löffeln gefressen haben.“ Gerade mit Blickauf die Bundesregierung muss man sagen: Wo der MannRecht hat, hat er Recht.
Herr Kollege Grindel, ich gratuliere Ihnen recht herz-
lich zu Ihrer ersten Rede hier in diesem Hohen Hause und
wünsche Ihnen alles Gute.
Nächste Rednerin ist die Kollegin Uta Zapf, SPD-
Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Ich muss sagen, ich bin schockiert, ich bin tief erschüttert
über die Art und Weise, wie Sie bei dem so ernsten Thema„Krieg und Frieden“ hier sitzen, lachen und verdammteSpäße machen und ganz offensichtlich überhaupt nichtskapiert haben.
– Sie können noch so viel brüllen. Angesichts dessen, dassjemand wie Herr Glos sagt: „außenpolitisches Dilemmaohne Beispiel“, „Spaltung Europas“, „Schädigung derNATO“ – Frau Merkel sagt: „Verantwortungslosigkeit“ –,sage ich Ihnen: Diese Regierung versucht mit allen Mög-lichkeiten, die ihr zur Verfügung stehen,
einen Krieg abzuwenden.
– Das glaube ich sehr wohl, lieber Herr Merz.
Wenn Sie ab und zu auch andere Zeitungen lesen wür-den, dann kämen Sie nicht auf die idiotische Idee, dass dies,wie der „Spiegel“ zitiert hat, ein Geheimplan gewesen sei.
Frankreich hat diesen so genannten Geheimplan am 5. Fe-bruar im Sicherheitsrat vorgetragen.
Herr Fischer hat daneben gesessen.
– Das hat er nicht dementiert. Herr Fischer hat daneben ge-sessen und hat zum großen Entsetzen von Herrn Powell ge-nickt und so deutlich gemacht, dass er den Plan gut findet.
Am 11. Februar ist in der „Times“ der volle Wortlaut derVorschläge erschienen, die am 10. Februar Blix undel Baradei übergeben worden sind. Sie nennen dies eine an-gebliche Alternative, Herr von Klaeden. Das ist keine an-gebliche Alternative; es ist vielmehr ein sehr kluger Plan.
Herr Blix und Herr el Baradei haben gesagt, sie bräuch-ten zum einen mehr Zeit. Diese Initiative ist richtig, da da-durch den Inspektoren mehr Zeit gegeben wird. Sie habenzweitens noch intensivere Inspektionen gefordert. Dannist der Plan wiederum richtig, denn er gewährt eine höhereZahl von Inspektionen. Darüber hinaus werden weitereRahmenbedingungen geschildert, die mit einer besserenAusstattung mit Technologie und ähnlichem zu tun haben.
– Von Blauhelmen steht überhaupt nichts darin. Ich sageIhnen, woher der Vorschlag des Einsatzes von Blauhel-men kommt:
Deren Einsatz ist in einem Konzept der Carnegie Foun-dation der Amerikaner aufgetaucht und ist im Sicher-heitsrat auch diskutiert worden.
Der Einsatz von Blauhelmen ist in diesem Bereich alsnicht dienlich befunden worden.
– Ich kann doch nichts dafür, wenn Journalisten des„Spiegel“ unseriös berichten, Herrgott noch mal!
Reinhard Grindel
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Uta ZapfSie wissen doch ganz genau, wie diese Berichte entstehen.Da wird zusammengemischt, was überhaupt nicht zusam-mengehört.
Meine Damen und Herren, wir müssen, weil wir allewissen, welche Folgen kriegerische Auseinandersetzun-gen in dieser Region haben werden, alles daran setzen,diesen Krieg zu vermeiden. Gleichzeitig müssen wir er-reichen, dass Saddam Hussein nachweislich keine Mas-senvernichtungswaffen besitzt.
Ich glaube, dass dazu dieser von Ihnen so lächerlich ge-machte Alternativplan in der Tat ein Weg wäre.
Ich hoffe, dass dieser Plan eine Chance bekommt, damitder Frieden in unserem Land und der ganzen Welt gewahrtbleibt.Es gibt doch eine Diskussion darüber, welche Folgendies alles in der Region hat und welche Folgen es insgesamtin der Auseinandersetzung um den Terrorismus und in derFrage, ob es die Antiterrorkoalition sprengt, hat. WelcheFolgen hat das zum Beispiel in Bezug auf die islamischeWelt? Wir provozieren einen Kulturkampf, den wir eigent-lich vermeiden wollen. Wir müssen alles nutzen, was unszur Verfügung steht, wir müssen eine Politik der Präventionbetreiben. Das ist der Weg, den wir gehen müssen.Noch eine Anmerkung. Herr Volmer hat bereits daraufhingewiesen, wie der Grundsatz dieser Regierung lautet.Sehen Sie einmal in die Koalitionsvereinbarung hinein.Zur wirtschaftlichen Frage. Sie in der Opposition wis-sen doch, dass ein solcher Krieg weltwirtschaftliche Aus-wirkungen hat, die wir uns überhaupt noch nicht vorstel-len können. Auch das ist vielleicht ein Grund, demFrieden eine Chance zu geben. Diese Chance haben wirdurch den Einsatz der Inspektoren und durch die jetztmöglichen Überflüge über Irak. Ich glaube, es ist nichtverantwortungslos, eine solche Initiative zu unterstützen.Im Übrigen: Es gibt gerade einmal vier Länder imSicherheitsrat, die dem ablehnend gegenüberstehen. Dieanderen Länder stehen einer solchen Strategie positiv ge-genüber. Ich hoffe, dass die Diskussionen im Sicherheits-rat jetzt und nach dem 14. Februar dazu führen werden,dass wir diese Chance wirklich nutzen.Danke schön.
Nächster Redner ist der Kollege Christian Schmidt,
CDU/CSU-Fraktion.
Frau Kollegin Zapf, ich empfehle Ihnen, die Beurtei-lung der Gesichtsausdrücke zukünftig zu unterlassen,sonst fiele mir zur Ernsthaftigkeit der Diskussion, derForm der Diskussion und des Zustandes manches ein, wasich über Rot-Grün hier aber nicht sagen will.
– Ich muss schon sagen: Allein das Erhellende des unsäg-lichen Beitrags des ausgeschiedenen Staatsministers ausdem Auswärtigen Amt macht diese Debatte schon hörens-,lesens- und erlebenswert.
Diese Form kann nur so bezeichnet werden, wie es Hans-Ulrich Jörges im neuen „Stern“ getan hat. Er sagt: „Siebringen die Weltordnung ins Wanken. Amateure, Dilet-tanten zuweilen, die ihre Kugeln übers diplomatischeParkett donnern wie Bowlingspieler und dann staunendzuschauen, welche Kegel sie umgerissen haben.“ Das istdie Ernsthaftigkeit. Es geht um den Frieden.Frau Zapf, nach den ganzen Legendenbildern hat es ei-nen Geheimplan nicht gegeben. Zugegeben: Er war fürSie sicherlich so geheim, dass Sie ihn nicht gekannt ha-ben. Es stimmt ja vielleicht, dass es keinen Geheimplangegeben hat. Sie müssen sich dann aber schon entschei-den. Der Bundesverteidigungsminister – nicht irgendeinvon Ihnen neuerdings angegriffener „Spiegel“-Journalist –hat in einem Interview mit Reuters am 9. Februar auf dieFrage, ob die Initiative Blauhelme mit einschließt, Fol-gendes geantwortet – ich zitiere –:Struck bestätigte auch, dass die deutsch-französischeInitiative den Einsatz von UNO-Blauhelmsoldatenzur Entwaffnung Iraks vorsieht.
Er schloss zudem eine deutsche Beteiligung darannicht aus. Es sei unklar, wie viele Blauhelmsoldatendie UNO nach Irak entsenden würde, wenn ein sol-cher Beschluss gefasst werde, sagte er.Struck sagte ferner, dass unter ihrer Aufsicht die Massen-vernichtungswaffen des Landes zerstört werden sollten.Zur Blauhelmtruppe sagte er: Wir könnten uns daranschon beteiligen.
Am 10. Februar sagte Bela Anda – das muss die Veran-staltung gewesen sein, auf der er immer nach unten geblickthat; er wollte nicht nach oben schauen, weil er nicht insAuge der Journalisten blicken wollte – auf die Frage – –
– Die Sache ist wirklich zu ernst, als dass Sie sie wie das325-Euro-Gesetz behandeln können.
Wir waren hier. Ihr Bundeskanzler ist in einer Woche vier-mal – also fast jeden Tag – mit einer jeweils anderen Er-
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klärung daher gekommen, weil er nicht wusste, von waser redete. Er hat den Finger in den Wind gesteckt. Ich be-haupte, dass die Themen – es ging zunächst um dieArbeitsplätze, heute geht es um den Frieden in der Welt –nicht seine erste Priorität haben. Er will in die Presse undin die Medien; er will Stimmung machen. Das ist für ei-nen Bundeskanzler unerträglich.
Auf die Frage, ob dazu ein Blauhelmeinsatz notwendigsei, erklärte der Regierungssprecher Bela Anda, die Fragestelle sich nicht, weil es darum gehe, dass der Irak voll-ständig zu kooperieren habe. Lassen Sie nicht nur dieWeltöffentlichkeit, sondern auch uns darüber eine Minutenachdenken. Was sagt der Regierungssprecher? Der Bun-deskanzler hat es übrigens wortgleich im „Stern“-Inter-view wiederholt.
Er sagt: Also schloss ich messerscharf, dass nicht seinkann, was nicht sein darf; denn – damit hat er Recht – nachder Resolution 1441 und 16 anderen Resolutionen hat erzu kooperieren. Allein, Herr Bundeskanzler, Herr Regie-rungssprecher, die Realität ist eine andere – deswegengibt es 16 Resolutionen –: Herr Saddam Hussein koope-riert nicht.
– Ich gebe zu, dass ich das schlecht beurteilen kann, derSicherheitsrat der Vereinten Nationen kann dies aber sehrwohl.
– Wollen Sie bitte einmal die Resolution 1441 lesen! Wol-len Sie bitte die Öffentlichkeit ernsthaft darüber infor-mieren, was ist!
– Mit Ihnen da hinten rede ich gleich überhaupt nicht.Sie fragen, was ich will. Wir sind uns alle darüber ei-nig, dass es ideal wäre, wenn Saddam Hussein, ohne dassein Schuss fällt oder eine Kugel fliegt, seinen Verpflich-tungen, die seit dem Jahre 1990 sehr genau dokumentiertsind, nachkommen würde – nach Auffassung des Sicher-heitsrates der Vereinten Nationen, das ist unsere Vertre-tung der Weltgemeinschaft, gefährdet er aber den Welt-frieden – und bereit wäre, ein Quasi-Protektorat in seinemLand zuzulassen. Wenn Sie das jemals gewollt haben,dann haben Sie das mit der Art und Weise, in der dieser sogenannte Plan, bevor er überhaupt zu Ende gedacht war,mit all seinen Widersprüchen in der Öffentlichkeit darge-stellt wurde – ich erinnere an das Beispiel mit der Bow-lingkugel –, kaputtgemacht. Deswegen behaupte ich: Mitder Politik, die Sie machen, bringen Sie uns der militäri-schen Auseinandersetzung näher als dem Frieden.
Nächste Rednerin ist die Kollegin Ursula Mogg, SPD-
Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Ich denke, dass dieses Haus es verdient hätte, dass wirüber die Fragen von Krieg und Frieden in großer Ernst-haftigkeit miteinander diskutieren.
Sehr geehrter und geschätzter Kollege Schmidt, wir ken-nen uns lange genug, sodass ich Ihnen sagen kann: Ichfinde es schwer erträglich, wie Sie sich um Polemikbemühen.
Es ist in den Redebeiträgen der Kolleginnen und Kolle-gen sehr viel über die inhaltlichen Fragen diskutiert wor-den, über einen deutschen bzw. einen europäischen Ansatzzu einer friedlichen Lösung des Irakproblems. Ich möchtezwei Punkte herausarbeiten, die mich persönlich in dieserDiskussion sehr bewegen. Es geht um Angriffe vonseitender Opposition. Ich halte es für falsch, dass Sie wider bes-seres Wissen fortgesetzt behaupten, die deutsche Regie-rung und die Koalition seien ins Abseits geraten.
Eine große Mehrheit der Deutschen teilt unsere Hal-tung. Im Übrigen wird unsere Haltung auch von einerReihe von Mitgliedern Ihrer Partei geteilt, liebe Kollegin-nen und Kollegen von der Opposition.
Eine wachsende Zahl in der europäischen Bevölkerung istunserer Ansicht.
Auch in den USA gibt es jenseits der Intellektuellen undKünstler viele Menschen, die anders denken als ihre Re-gierung. Diese Haltung setzt sich auch im Senat und imRepräsentantenhaus fort.
Christian Schmidt
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Ursula MoggLiebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition,wir befinden uns – vielleicht nehmen Sie dieses Argumentbesonders ernst – in Übereinstimmung mit der Haltungdes Papstes. Vielleicht können Sie einmal nachlesen, waser zum Irakkonflikt gesagt hat.
– Ich habe gerade die Künstler und Intellektuellen ge-nannt. Nicht weit von diesem Hohen Haus entfernt kannman mit diesen Menschen über ihre Haltung zu diesenFragen diskutieren.Es ist mir auch ein großes Anliegen, in diesem HauseIhren Vorwurf zu diskutieren, Deutschland stünde nicht zuseinen internationalen Verpflichtungen. Das ist abgrund-tief falsch. Als ich 1998 Mitglied des Verteidigungsaus-schusses wurde, standen deutsche Soldaten schon in Bos-nien. Nach vier Jahren stehen deutsche Soldaten nicht nurin Bosnien, sondern auch im Kosovo, in Mazedonien, amHorn von Afrika, in Kuwait und Afghanistan tragen sieVerantwortung für den Frieden und für die Menschen. Dassind nur die wichtigsten Engagements der Bundesregie-rung und der Bundeswehr.Deutsche Soldaten bewachen amerikanische Einrich-tungen in Deutschland.
Wir stehen zu unserer Verantwortung im Kampf gegenden internationalen Terrorismus. Das tut nicht nur derBundeskanzler, sondern das tun auch der Außenminister,der Innenminister und der Verteidigungsminister. DerBundeskanzler hat in diesen Fragen – Sie werden sich andiese Diskussion erinnern – das gezeigt, was man in denUSA Leadership nennt. Vielleicht beziehen Sie auch daseinmal in Ihre Überlegungen ein.
Wir leisten wesentliche Beiträge zur Stabilisierungdemokratischer Strukturen auf dem Balkan und auch inAfghanistan. Es soll an dieser Stelle – das zu betonen darfich mir als Mitglied des Verteidigungsausschusses erlau-ben – nicht unerwähnt bleiben, dass diese internationalenEngagements der Bundesrepublik Deutschland von deut-schen Soldaten und ihren Familien einen höchstpersön-lichen Beitrag abverlangen. Wir diskutieren auch in an-deren Zusammenhängen über diesen Beitrag, den dieSoldaten und ihre Familien ganz persönlich zu leisten ha-ben
und den wir als Parlament ihnen abverlangen. Lassen Siees mich deshalb folgendermaßen zusammenfassen: Strei-ten Sie mit uns gemeinsam für eine nicht militärische undfriedliche Lösung und für eine Entwaffnung des Irak!
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Andreas
Schockenhoff, CDU/CSU-Fraktion.
Liebe Frau Kollegin Mogg, Sie haben mehr Stil in un-serer Diskussion über Krieg und Frieden angemahnt undmeinten, dieses Thema verdiene etwas mehr Ernsthaftig-keit. Dass dabei etwas schief gelaufen ist, ist offensicht-lich allen klar. Aber die Frage ist doch, ob das ThemaKrieg und Frieden instrumentalisiert wird, um damitWahlkampf zu machen. Jetzt sind wir noch eine Stufeweiter: Jetzt wird das Thema Krieg und Frieden instru-mentalisiert, um innerhalb der Regierung und der Koali-tionsfraktionen persönliche Grabenkämpfe auszutragen.
Die Art und Weise, wie Sie das dargestellt haben, istpeinlich. Wenn ich Ihre Rede zusammenfasse, Frau Kol-legin Zapf, dann haben Sie festgestellt: Es gibt keinenPlan, aber dieser Plan war sehr gut.
Viele Vorredner haben auf das, was in München ge-schehen ist, Bezug genommen. Zunächst kam die Agen-turmeldung. Der Bundesverteidigungsminister bestätigte,dass es diesen Plan gibt. Von Senatoren aus den Vereinig-ten Staaten nach diesem Plan gefragt, sagte er: Ja, es gibtden Plan, aber ich kann jetzt noch nichts dazu sagen; daswird der Bundeskanzler am nächsten Donnerstag in sei-ner Regierungserklärung machen.Der Bundesaußenminister weiß offensichtlich vonnichts, lässt aber durch seine Mitarbeiter streuen, dass erüber den Ablauf nicht amüsiert ist. Im Flugzeug auf demWeg nach Kabul erzählt Struck dann doch Einzelheiten– der Kollege Grindel hat es vorhin bereits dargelegt –,weil er über die Veränderungen in Berlin noch nicht in-formiert war.Herr Erler, Sie haben in dem Sender „Phoenix“ fest-gestellt, dass es keinen Plan gegeben hat,
Das wollen wir herausbekommen. Wir wollen wissen, obes in Deutschland Journalisten gibt, die mit einem solchenBerufsethos und auf eine so unseriöse Art und Weise mitder Frage Krieg und Frieden umgehen.
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Sie haben gesagt, Herr Meckel, es sei schade, dass esin Europa mangelnde Solidarität gebe und dass leider achtStaats- und Regierungschefs aus der Reihe getanzt sindund sich in einer Erklärung mit der Politik der Vereinig-ten Staaten solidarisiert haben.
Die Unsolidarität bestand doch aber darin, dass Deutsch-land und Frankreich den Eindruck erweckt hatten, siesprächen für Europa, sie könnten Europa majorisieren.Später hat Deutschland den Eindruck erweckt, es sprächefür Frankreich. Frankreich hat sich umgehend, noch bevorder „Spiegel“ veröffentlicht wurde, distanziert. Es gab einoffizielles Dementi. Warum aber hat Frankreich den Ge-heimplan dementiert, wenn es einen solchen Plan nichtgegeben hat?
Der Außenminister hat vor zweieinhalb Jahren in derHumboldt-Universität in Berlin eine bemerkenswerte Redeüber die künftige Integration Europas gehalten. Er hat vorallem auch darüber gesprochen, wie wichtig es ist, dass Eu-ropa außenpolitisch handlungsfähig wird. Herr Außenmi-nister, es ist das Ergebnis Ihrer Politik, dass Europa gespal-ten ist und als außenpolitischer Akteur keine Rolle spielt.Im Gegenteil: Wir haben große Rückschritte in die Zeit vorIhrer Rede in der Humboldt-Universität gemacht.
Herr Volmer, Sie betreiben seit Jahren eine bloße Frie-densrhetorik. Das bezeichnen Sie als Politik.Politik ist aber das, was man aktiv für den Frieden tut,
und nicht das, was man über den Frieden redet. Sie ge-hören zu einer Generation mit einer Geisteshaltung, diesich abgefunden hat mit dem Kalten Krieg,
die sich seinerzeit mit der Erpressbarkeit durch sowje-tische Raketen abgefunden hat.
Sie sind vor 20 Jahren Sturm gelaufen gegen den NATO-Doppelbeschluss.
Sie zeigen eine Geisteshaltung, die sich mit der Zweitei-lung Europas abgefunden hatte. Sie waren für zwei deut-sche Staaten und haben es als gegen den Frieden gerich-tete aggressive Politik bezeichnet, die Wiedervereinigungzu wollen.
In genau der gleichen Geisteshaltung finden Sie sich heuteab mit der Erpressbarkeit durch Massenvernichtungswaf-fen in den Händen von Terroristen und Diktatoren.
Wenn Sie für Multilateralismus sind, wenn Sie fürden Frieden sind, dann ist es höchste Zeit, die Autoritätder Vereinten Nationen wieder herzustellen, die dadurchschwer beschädigt ist, dass man zwar Resolutionen will,die Umsetzung der Resolutionen aber als Aggression be-zeichnet. Sie verwechseln denjenigen, der seit Jahrenmassiv gegen den Frieden vorgeht, mit dem, der den Frie-den wiederherstellen will.
Nächster Redner ist der Kollege Thomas Strobl,
CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Kol-legin Zapf hat auf meinen Zwischenruf „Lügt der ‚Spie-gel‘?“ uns wissen lassen: Der „Spiegel“ hat die Unwahr-heit geschrieben.
Die Frage ist nur, warum der Bundesverteidigungsminis-ter zunächst die Berichte des „Spiegel“ bestätigt hat. Dasist auch eines der Probleme, derentwegen wir heute dieseAktuelle Stunde beantragt haben.
Das ist aber nicht das eigentliche Problem, sondern daseigentliche Problem besteht darin, dass der deutsche Bun-deskanzler offensichtlich lieber mit „Spiegel“-Redakteu-ren redet
als mit den Kolleginnen und Kollegen aus der SPD-Frak-tion. Das ist im Übrigen nichts Neues. In früheren Zeitenwar es auch schon so, als der Bundeskanzler sich wichti-gen Problemen der Wirtschaftspolitik und der Arbeits-marktpolitik zugewandt und Sie über den „Spiegel“ auf-geklärt hat, beispielsweise über Hartz, Rürup oder Gerster.Diese Tatsache, liebe Kolleginnen und Kollegen, willich zum Anlass nehmen, einmal etwas zum Selbstver-ständnis von Ministern, aber auch von Abgeordneten zusagen. Artikel 38 Abs. 1 des Grundgesetzes besagt: Abge-ordnete sind nur ihrem Gewissen unterworfen. Da wun-dere ich mich schon, wenn 50 Jahre Staatsräson auf demMarktplatz von Goslar preisgegeben werden,
Dr. Andreas Schockenhoff
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Thomas Strobl
wenn in einer Rotweinrunde mit „Spiegel“-Redakteurendeutsche Außenpolitik gemacht wird.
Der Außenminister schweigt dazu – ich hoffe, er kriegtkein Magengeschwür –, der Verteidigungsminister schwa-droniert daher und die SPD-Fraktion pariert, einer wie derandere – mit wenigen Ausnahmen, Herr Kollege Erler undHerr Kollege Klose.
Parlamentarier sollten sich nicht wichtiger nehmen, alssie sind, Frau Kollegin Roth.
Aber sie sollten sich etwas wert sein. Und dann sollte mannicht so verfahren, wie Sie hier mit sich verfahren las-sen. Die SPD-Fraktion gleicht einem Plenum politischerPygmäen, aber Abgeordnete, die sich etwas wert sind,stellen sich anders dar.
Eigentlich könnte die Opposition Freude am Dilettan-tismus der Bundesregierung haben.
Die Landtagswahlen geben ja auch durchaus Anlass zurFreude. Aber, Herr Kollege Erler, die Sache ist schon zuernst, als dass man nur Freude daran haben kann. Die in-nenpolitischen Probleme sind riesengroß, 4,5 MillionenArbeitslose, beim Wirtschaftswachstum Schlusslicht inder Europäischen Union und, und, und.Aber fast noch schlimmer ist, dass dieser Bundeskanz-ler jetzt auf dem Feld der Außenpolitik weiter dilettiert,um die innenpolitischen Probleme zu übertünchen. Mün-chen ist an Peinlichkeit kaum zu überbieten. Die außen-politischen Kapriolen und die Beliebigkeit des Bundes-kanzlers sind ebenfalls nicht zu überbieten. Das Problemfür die Bundesrepublik Deutschland ist nicht, dass derBundeskanzler seinen Bundesaußenminister zum Deppenmacht und dass er ihm den diplomatischen Boden unterden Füßen wegzieht – manchmal habe ich den Eindruck,Herrn Fischer hat es auch die Hosen ausgezogen; jeden-falls steht er ohne Hosen da, was ein wenig erfreulicherAnblick ist –,
sondern ist der riesengroße außenpolitische Schaden, derunserem Land entsteht, weil in der Außenpolitik beliebigweiter dilettiert wird.
Bundesaußenminister Fischer, der ja, wenn ich michrichtig erinnere, einmal Ihr Chef war, Herr Volmer,
hat an dieser Stelle einmal gerufen – ich glaube, er hat da-mals den Bundeskanzler gemeint –: Avanti dilettanti! Dasmöchte ich wiederholen: Avanti dilettanti!
Besten Dank.
Letzter Redner in dieser Debatte ist Karl-TheodorFreiherr von und zu Guttenberg, CDU/CSU-Fraktion.Karl-Theodor Freiherr von und zu Guttenberg
:
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Auch nach dieser Debatte wird deutlich, dass dieletzte erkennbare Tradition unserer derzeitigen Außen-politik das taumelnde Beschreiten von Sonderwegenbleibt. Kalt lächelnd und lediglich einem innenpolitischenKalkül unterworfen, werden Sonderwege zum diploma-tischen Prinzip erhoben, allerdings zu einem Prinzip ver-antwortungslosen Handelns, wie es in der Nachkriegs-geschichte beispiellos ist.
Mit einem Handstreich werden die Autorität, die Hand-lungsfähigkeit und das Vertrauen internationaler Bünd-nisse unterwandert und erlangen Begriffe wie „Isolation“und „Irrelevanz“ bitterste Tagesaktualität.
Die Sonderwege, die Sie, Frau Roth, beschreiten, führenvorbei an der unverzichtbaren transatlantischen Freund-schaft,
vorbei an der engen Partnerschaft und der bisherigen ge-genseitigen Verlässlichkeit innerhalb der NATO und vor-bei an den Bestrebungen, eine gemeinsame europäischeAußenpolitik zu etablieren. Die enge Partnerschaft mitden Vereinigten Staaten und eine verlässliche europäischeZusammenarbeit werden auf dem Altar der Verhöhnunggewachsener außenpolitischer Strukturen dieses Landesgeopfert.
Die Außendarstellung des vergangenen Wochen-endes ist letztlich nur ein weiterer Gipfel der diplo-matischen Geisterfahrten. Angesichts dessen darf
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 24. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. Februar 2003 1859
man fragen, wo der Bundesaußenminister sitzt. Ichglaube, er bleibt willfähriger Beifahrer, bevor er sichnicht entsprechend von den Dingen distanziert, über dieman von Dritten erfährt, dass sie ihm eigentlich nichtpassen.
– Richtig, ein Geisterfahrer.
Herr Volmer, das alles erinnert mich an eine Geisterfahrtohne Rückspiegel – Sie hätten nur einen Rückspiegel,wenn Sie auch historische Errungenschaften und Zu-sammenhänge erkennen würden –, ohne Bremse und mitdurchgetretenem diplomatischen Gaspedal, den größtenaußenpolitischen Unfall – Stichwort „NATO“ – kühl kal-kulierend. Dieses Kalkül mag bei einigen seine Wurzelnin den 68er-Jahren haben.
Dabei wird ein Tonfall an den Tag gelegt, der sich, FrauRoth, nahtlos in die Diktion einiger während der Debatteüber den NATO-Doppelbeschluss einreiht.
Kollege Schockenhoff hat mit seiner Beschreibung dernahezu ideologischen Stufenleiter Recht: Man hat sichmit der deutschen Teilung, mit der Erpressbarkeit durchMassenvernichtungswaffen und letztlich mit der Spaltungder NATO und der Europäischen Union sowie mit demZusammenbrechen bzw. zumindest mit der Schwächungder Vereinten Nationen abgefunden.
Sehr interessant ist, was die zwangsläufige Folge wäre,Frau Roth, wenn Sie aus innenpolitischem Kalkül zu ei-ner klaren Verweigerung des notwendigen Beistands inBündnissen kämen. Die Folge wäre eine Renationalisie-rung unserer Außen- und Sicherheitspolitik. Das stündenun wirklich im Widerspruch zu allem, was Deutschlandnach 1945 aus der Geschichte gelernt haben sollte und ge-lernt haben muss. Zum Scheitern verurteilte Aktionismenwie die vom vergangenen Wochenende vermögen dieseGefahr auch nicht aufzuheben.In Ihrer Koalitionsvereinbarung – das ist schon eineWeile her – steht mehrfach, die Bundesregierung setze aufinternationale Zusammenarbeit und auf multinationaleOrganisationen.
Der Staub der Zeitgeschichte hat sich erstaunlich schnellauf dieses große Werk gelegt –
ein diplomatischer Steinbruch, in dem die Regierung täg-lich aufs Neue scheinbar spielerisch neues Dynamit in dieHand nimmt, ohne sich dabei an irgendwelche Spiel-regeln zu halten.Herzlichen Dank.
Die Aktuelle Stunde ist beendet.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesord-
nung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes-
tages auf morgen, Donnerstag, den 13. Februar 2003,
9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.