Protokoll:
14249

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 14

  • date_rangeSitzungsnummer: 249

  • date_rangeDatum: 5. Juli 2002

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:00 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 16:31 Uhr

  • account_circleMdBs dieser Rede
  • tocInhaltsverzeichnis
    Glückwünsche zum Geburtstag der Abgeord- neten Anke Fuchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25287 A Berufung der Abgeordneten Gudrun Kopp als stellvertretende Schriftführerin . . . . . . . . . . . . 25358 A Tagesordnungspunkt 7: a) Schlussbericht der Enquete-Kommis- sion: Nachhaltige Energieversorgung unter den Bedingungen der Globali- sierung und der Liberalisierung (Drucksache 14/9400) . . . . . . . . . . . . . 25287 B b) Antrag der Abgeordneten Kurt-Dieter Grill, Dr. Peter Paziorek, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Bürger über nukleare Entsorgung umgehend und kontinu- ierlich informieren (Drucksache 14/5554) . . . . . . . . . . . . . 25287 B c) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit – zu der Unterrichtung durch die Bun- desregierung: Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Par- laments und des Rates über ein System für den Handel mit Treib- hausgasemissionsberechtigungen in der Gemeinschaft und zur Än- derung der Richtlinie 96/61/EG des Rates – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Peter Paziorek, Matthias Wissmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Kein Emissionszertifikatehandel zum Nachteil des Wirtschafts- standortes Deutschland – zu dem Antrag der Abgeordneten Birgit Homburger, Marita Sehn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Kiotomechanis- men für die internationale Klima- politik Deutschlands nutzen – zu dem Antrag der Abgeordneten Birgit Homburger, Marita Sehn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Kiotomechanis- men für die nationale Klimapoli- tik Deutschlands nutzen – zu dem Antrag der Abgeordneten Birgit Homburger, Marita Sehn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Vereinbarkeit der Selbstverpflichtung der deut- schen Wirtschaft zur Klimavor- sorge mit den flexiblen Instru- menten des Kioto-Protokolls sicherstellen (Drucksachen 14/8179 Nr. 2.17, 14/8852, 14/7073, 14/7156, 14/8495, 14/9658) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25287 B d) Antrag der Abgeordneten Ulrike Flach, Dr. Werner Hoyer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Halbierung der Erhaltungssubventionen für die deutsche Steinkohle bis 2005 – Ende jeglicher Subventionierung der deut- schen Steinkohle nach 2005 – 15,4Mil- liarden DM für Investitionen in die Zukunft Deutschlands gewinnen (Drucksache 14/7082) . . . . . . . . . . . . . 25288 A Plenarprotokoll 14/249 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 249. Sitzung Berlin, Freitag, den 5. Juli 2002 I n h a l t : e) Antrag der Abgeordneten Volker Jung (Düsseldorf), Dr. Hans-Peter Bartels, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Michaele Hustedt, Hans-Josef Fell, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Strom kennzeichnen – Umwelt- und Verbraucherschutz im Strommarkt stärken (Drucksache 14/9670) . . . . . . . . . . . . . 25288 A f) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Tech- nologie zu dem Antrag der Abgeordne- ten Walter Hirche, Rainer Brüderle, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Marktwirtschaftliche Ori- entierung statt staatlicher Preislen- kung im Stromsektor (Drucksachen 14/8279, 14/9368) . . . . . 25288 A in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 10: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Wirtschaft und Technologie zu dem Antrag der Abgeordneten Rainer Brüderle, Paul K. Friedhoff, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion der FDP: Strom- rechnungen transparent gestalten (Drucksachen 14/5465, 14/9724) . . . . . . . 25288 B Dr. Axel Berg SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25288 B Dr. Peter Paziorek CDU/CSU . . . . . . . . . . . . 25290 D Michael Müller (Düsseldorf) SPD . . . . . . 25291 C Michaele Hustedt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25293 A Walter Hirche FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25296 C Dr. Klaus Grehn PDS . . . . . . . . . . . . . . . 25297 C Michaele Hustedt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25297 D Eva Bulling-Schröter PDS . . . . . . . . . . . . . . . 25299 C Ulrich Kasparick SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25301 A Franz Obermeier CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . 25302 B Rainer Brinkmann (Detmold) SPD . . . . . 25303 B Monika Ganseforth SPD . . . . . . . . . . . . . . . . 25304 A Walter Hirche FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25305 C Kurt-Dieter Grill CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . 25306 C Dr. Reinhard Loske BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25308 C Dr. Hermann Scheer SPD . . . . . . . . . . . . . . . . 25309 B Kurt-Dieter Grill CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . 25310 A Walter Hirche FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25310 C Dr. Hermann Scheer SPD . . . . . . . . . . . . . . . . 25311 B Walter Hirche FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25311 C Rolf Hempelmann SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . 25311 D Tagesordnungspunkt 21: a) Große Anfrage der Abgeordneten Jürgen Koppelin, Ina Albowitz, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: „Wir sind bereit“: Versprechen der Bundesregierung – Anspruch und Wirklichkeit (Drucksachen 14/7435, 14/9186) . . . . . 25314 B b) Antrag der Abgeordneten Rainer Brüderle, Paul K. Friedhoff, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Verantwortung fürWirtschaftspolitik beim Bundesministerium für Wirt- schaft konzentrieren (Drucksache 14/8142) . . . . . . . . . . . . . 25314 B c) Antrag der Abgeordneten Peter Rauen, Matthias Wissmann, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion der CDU/CSU: Versprechungen derBundesregierung einlösen – Deutschland wieder nach vorne bringen (Drucksache 14/9103) . . . . . . . . . . . . . 25314 C d) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zu dem Ent- schließungsantrag der Abgeordneten Christel Humme, Hildegard Wester, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Irmingard Schewe-Gerigk, Ekin Deligöz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN zu derAbgabe einer Regie- rungserklärung durch den Bundes- kanzler: Familie ist, wo Kinder sind – Politik für ein familien- und kinder- freundliches Deutschland (Drucksachen 14/8790, 14/9657) . . . . . 25314 C Rainer Brüderle FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25314 D Dr. Werner Müller, Bundesminister BMWi 25316 D Hartmut Schauerte CDU/CSU . . . . . . . . . 25319 D Ernst Hinsken CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . 25320 C Dr. Guido Westerwelle FDP . . . . . . . . . . . . . . 25321 A Dr. Werner Müller, Bundesminister BMWi . . 25321 C Dietrich Austermann CDU/CSU . . . . . . . . . . 25322 A Andrea Fischer (Berlin) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25324 B Jürgen Koppelin FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25327 C Roland Claus PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25328 B Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 249. Sitzung. Berlin, Freitag, den 5. Juli 2002II Joachim Poß SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25329 B Dr. Peter Ramsauer CDU/CSU . . . . . . . . . . . 25331 B Irmingard Schewe-Gerigk BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25333 A Paul K. Friedhoff FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25334 B Petra Pau PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25336 B Alfred Hartenbach SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . 25337 A Karl-Heinz Scherhag CDU/CSU . . . . . . . . . . 25338 B Hildegard Wester SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25340 A Wolfgang Dehnel CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . 25341 C Franz Müntefering SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . 25343 D Friedhelm Ost CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . 25346 A Tagesordnungspunkt 22: Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜND- NISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einrichtung eines Registers über unzuverlässige Un- ternehmen (Drucksachen 14/9356, 14/9710) . . . . . . . 25348 C Dr. Ditmar Staffelt, Parl. Staatssekretär BMWi 25348 C Hartmut Schauerte CDU/CSU . . . . . . . . . . . . 25349 D Hans-Christian Ströbele BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25352 A Gudrun Kopp FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25352 D Rolf Kutzmutz PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25353 D Klaus Wiesehügel SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . 25354 C Tagesordnungspunkt 23: a) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Johannes Singhammer, Horst Seehofer, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der CDU/CSU einge- brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung ehrenamtlicher Tätigkeit (Drucksachen 14/3778, 14/9108) . . . . 25356 C b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialord- nung zu dem Antrag der Abgeordneten Johannes Singhammer, Horst Seehofer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Neue Belastungen für ehrenamtlich Tätige zurücknehmen (Drucksachen 14/2989, 14/9108) . . . . 25356 C Brigitte Baumeister CDU/CSU . . . . . . . . . . . 25356 D Gerald Häfner BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 25358 B Gudrun Serowiecki FDP . . . . . . . . . . . . . . . . 25359 D Tagesordnungspunkt 24: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Ersten Gesetzes zur Än- derung des Telekommunikations- gesetzes (Drucksachen 14/9194, 14/9237, 14/9711) 25360 C b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Tech- nologie zu dem Antrag der Abgeordne- ten Klaus Barthel (Starnberg), Thomas Sauer, weiterer Abgeordneter der Frak- tion der SPD sowie der Abgeordneten Michaele Hustedt, Grietje Bettin, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Wettbewerb und Regulierung im Telekommunikationssektor (Drucksachen 14/5693, 14/7628) . . . . 25360 D Klaus Barthel (Starnberg) SPD . . . . . . . . . . . 25361 A Elmar Müller (Kirchheim) CDU/CSU . . . . . . 25363 B Rainer Funke FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25365 A Tagesordnungspunkt 25: Große Anfrage der Abgeordneten Dr. Martina Krogmann, Dr. Martin Mayer (Siegertsbrunn), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Chancen und Perspektiven der digitalen Wirt- schaft (Informationstechnologie, Multi- media, Internet, Telekommunikation) in Deutschland (Drucksache 14/8935) . . . . . . . . . . . . . . . . 25366 B Tagesordnungspunkt 26: Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu dem Antrag der Ab- geordneten Dr. Christian Ruck, Dr. Peter Paziorek, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Weißbuch der Kommission der Europäischen Gemein- schaften: Strategie für eine zukünftige Chemikalienpolitik (Drucksachen 14/8029, 14/9516) . . . . . . . 25366 C Tagesordnungspunkt 28: Antrag der Fraktion der PDS: In der inter- nationalen Krisenprävention und Kon- fliktbewältigung andere Prioritäten setzen (Drucksache 14/9150) . . . . . . . . . . . . . . . . 25366 D Heidi Lippmann PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25367 A Uta Zapf SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25368 B Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 249. Sitzung. Berlin, Freitag, den 5. Juli 2002 III Winfried Nachtwei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25370 B Hildebrecht Braun (Augsburg) FDP . . . . . . . 25371 B Dr. Ludger Volmer, Staatsminister AA . . . . . . 25372 A Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25373 C Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . . 25375 A Anlage 2 Erklärung des Abgeordneten Werner Labsch (SPD) zur namentlichen Abstimmung über den Antrag der Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN auf Zurück- weisung des Einspruchs des Bundesrates ge- gen das Sechste Gesetz zur Änderung des Hochschulrahmengesetzes (248. Sitzung, Tagesordnungspunkt 5) . . . . . . 25375 D Anlage 3 Erklärung des Abgeordneten Hans Büttner (In- golstadt) (SPD) zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Innenausschusses zum Tätigkeitsbericht 1999 und 2000 des Bun- desbeauftragten für den Datenschutz – 18. Tätig- keitsbericht (248. Sitzung, Tagesordnungspunkt 15) . . . . . . 25376 A Anlage 4 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Dr. Uwe Jens (SPD) zur Abstimmung über ein Gesetz zur Einrichtung eines Registers über unzuverlässige Unternehmen (Tagesordnungspunkt 22) . . . . . . . . . . . . . . . . 25376 A Anlage 5 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Ulrich Kelber (SPD) zur Abstimmung über ein Erstes Gesetz zur Änderung des Telekommuni- kationsgesetzes (Tagesordnungspunkt 24 a) 25376 C Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – Entwurf eines Gesetzes zur Förderung ehrenamtlicher Tätigkeit – Beschlussempfehlung und Bericht zu dem Antrag: Neue Belastungen für ehrenamt- lich Tätige zurücknehmen (Tagesordnungspunkt 23 a und b) . . . . . . . . . . 25377 B Ute Kumpf SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25377 B Dr. Klaus Grehn PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25379 A Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Ände- rung des Telekommunikationsgesetzes – Beschlussempfehlung und Bericht zu dem Antrag: Wettbewerb und Regulierung im Telekommunikationssektor (Tagesordnungspunkt 24 a und b) . . . . . . . . . 25379 C Michaele Hustedt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25379 C Gerhard Jüttemann PDS . . . . . . . . . . . . . . . . 25380 C Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Großen Anfrage: Chancen und Perspektiven der digitalen Wirtschaft (Informationstechno- logie, Multimedia, Internet, Telekommunika- tion) in Deutschland (Tagesordnungspunkt 25) 25381 A Hubertus Heil SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25381 A Dr. Martina Krogmann CDU/CSU . . . . . . . . . 25382 A Gudrun Kopp FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25383 C Wolfgang Bierstedt PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . 25384 A Margareta Wolf, Parl. Staatssekretärin BMWi 25384 C Anlage 9 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts zu dem Antrag: Weißbuch der Kommission der Euro- päischen Gemeinschaften: Strategien für eine zukünftige Chemikalienpolitik (Tagesord- nungspunkt 26) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25385 B Dr. Carola Reimann SPD . . . . . . . . . . . . . . . . 25385 B Marie-Luise Dött CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . 25386 B Winfried Hermann BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25387 B Birgit Homburger FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . 25388 C Eva Bulling-Schröter PDS . . . . . . . . . . . . . . . 25389 B Anlage 10 Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung des Antrags: In der internationalen Krisenpräven- tion und Konfliktbewältigung andere Prioritä- ten setzen (Tagesordnungspunkt 28) . . . . . . . . 25389 C Dr. Andreas Schockenhoff CDU/CSU . . . . . . 25389 D Anlage 11 Amtliche Mitteilungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25390 C Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 249. Sitzung. Berlin, Freitag, den 5. Juli 2002IV Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 249. Sitzung. Berlin, Freitag, den 5. Juli 2002
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    Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 249. Sitzung. Berlin, Freitag, den 5. Juli 2002 Staatsminister Dr. Ludger Volmer 25373 (C)(A) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 249. Sitzung. Berlin, Freitag, den 5. Juli 2002 25375 (C) (D) (A) (B) Balt, Monika PDS 05.07.2002 Dr. Bauer, Wolf CDU/CSU 05.07.2002 Bernhardt, Otto CDU/CSU 05.07.2002 Dr. Blank, CDU/CSU 05.07.2002 Joseph-Theodor Bohl, Friedrich CDU/CSU 05.07.2002 Böttcher, Maritta PDS 05.07.2002 Dörflinger, Thomas CDU/CSU 05.07.2002 Eymer (Lübeck), Anke CDU/CSU 05.07.2002 Friedrich (Altenburg), SPD 05.07.2002 Peter Dr. Gerhardt, Wolfgang FDP 05.07.2002 Girisch, Georg CDU/CSU 05.07.2002 Dr. Grygier, Bärbel PDS 05.07.2002 Hauser (Rednitz- CDU/CSU 05.07.2002 hembach), Hansgeorg Hiksch, Uwe PDS 05.07.2002 Hilsberg, Stephan SPD 05.07.2002 Hohmann, Martin CDU/CSU 05.07.2002 Homburger, Birgit FDP 05.07.2002 Imhof, Barbara SPD 05.07.2002 Irmer, Ulrich FDP 05.07.2002 Dr. Kahl, Harald CDU/CSU 05.07.2002 Klinkert, Ulrich CDU/CSU 05.07.2002 Dr. Kohl, Helmut CDU/CSU 05.07.2002 Leidinger, Robert SPD 05.07.2002 Dr. Lippold (Offenbach), CDU/CSU 05.07.2002 Klaus W. Mante, Winfried SPD 05.07.2002 Meckel, Markus SPD 05.07.2002 Mehl, Ulrike SPD 05.07.2002 Dr. Meister, Michael CDU/CSU 05.07.2002 Michels, Meinolf CDU/CSU 05.07.2002 Dr. Protzner, Bernd CDU/CSU 05.07.2002 Rauen, Peter CDU/CSU 05.07.2002 Dr. Schäuble, Wolfgang CDU/CSU 05.07.2002 Schmitz (Baesweiler), CDU/CSU 05.07.2 Hans Peter Dr. Schockenhoff, CDU/CSU 05.07.2002 Andreas Schultz (Everswinkel), SPD 05.07.2002 Reinhard Schütze (Berlin), CDU/CSU 05.07.2002 Diethard Schwalbe, Clemens CDU/CSU 05.07.2002 Seehofer, Horst CDU/CSU 05.07.2002 Siebert, Bernd CDU/CSU 05.07.2002 Dr. Solms, Hermann FDP 05.07.2002 Otto Spranger, Carl-Dieter CDU/CSU 05.07.2002 Thiele, Carl-Ludwig FDP 05.07.2002 Dr. Thomae, Dieter FDP 05.07.2002 Dr. Tiemann, Susanne CDU/CSU 05.07.2002 Türk, Jürgen FDP 05.07.2002 Wieczorek (Duisburg), SPD 05.07.2002 Helmut Wissmann, Matthias CDU/CSU 05.07.2002 Wöhrl, Dagmar CDU/CSU 05.07.2002 Anlage 2 Erklärung des Abgeordneten Werner Labsch (SPD) zur na- mentlichen Abstimmung über den Antrag der Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN auf Zurückweisung des Einspru- ches des Bundesrates gegen das Sechste Gesetz zur Änderung des Hochschulrahmengesetzes (248. Sitzung, Tagesordnungspunkt 5) In der Liste der Ergebnisse ist mein Name nicht aufge- führt. Mein Votum lautet Ja. entschuldigt bis Abgeordnete(r) einschließlich entschuldigt bis Abgeordnete(r) einschließlich Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Anlagen zum Stenographischen Bericht Anlage 3 Erklärung des Abgeordneten Hans Büttner (Ingolstadt) (SPD) zur Abstimmung über die Beschlussemp- fehlung des Innenausschusses zum Tätigkeitsbe- richt 1999 und 2000 des Bundesbeauftragten für den Datenschutz – 18. Tätigkeitsbericht – (248. Sitzung, Tagesordnungspunkt 15) Mein Votum lautet Nein. Anlage 4 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Dr. Uwe Jens (SPD) zur Ab- stimmung über ein Gesetz zur Einrichtung eines Registers über unzulässige Unternehmen (Tages- ordnungspunkt 22) Dr. Uwe Jens (SPD):Das Register, das beim Bundes- amt für Wirtschaft geführt werden soll, wird nicht nur Be- stechlichkeit und Bestechung nur durch Unternehmen (Korruption) erfassen, sondern neun weitere enumerativ aufgeführte Straftaten, die aktuell um Bilanzfälschungen, falsche Buchführung und unter anderem Insidergeschäfte ergänzt werden müssten. Diese Unternehmen, die im Re- gister aufgeführt werden sollen, sind nicht etwa rechts- kräftig verurteilt; vielmehr entscheidet die Bürokratie über Zuverlässigkeit der Unternehmer, wenn „kein ver- nünftiger Zweifel“ besteht. Dies ist stets Auslegungssa- che; der Einfluss der Bürokratie auf die Wirtschaft wird in unverantwortlicher Weise gesteigert. Nach aktuellen Vor- kommnissen müssten zum Beispiel Volkswagen, Deut- sche Bahn und Degussa und andere mehr als erste in dem Korruptionsregister aufgeführt werden und dürften keine Aufträge der öffentlichen Hand mehr bekommen. Verniedlichend wird gern behauptet, es gehe bei dem so genannten Korruptionsregister nur um eine zusätzli- che, umfassendere Information für die 30 000 öffentlichen Auftraggeber. Schon heute dürften an unzuverlässige Un- ternehmer keine öffentlichen Aufträge vergeben werden. Der Katalog der aufgeführten Straftaten, die zur Eintra- gung in das Register führen, geht jedoch so weit, dass sie mit der Auftragsdurchführung zum Teil gar nichts mehr zu tun haben. Wer auf der „Willkür“-Liste der Exekutive letztendlich aufgeführt wird, darf drei Jahre von allen öf- fentlichen Händen keine Aufträge bekommen. Wer mög- licherweise vorzeitig von der Liste genommen wird, ent- scheidet ebenfalls die Bürokratie, die politischem Einfluss ausgesetzt ist. Vor allem die Beschäftigten werden in ei- nem Unternehmen mit derart „korrupter“ Unternehmens- führung darunter zu leiden haben. Die Großunternehmen werden Mittel und Wege finden, gar nicht erst auf die Liste zu kommen; die kleinen und mittleren Unterneh- men, die stark von öffentlichen Aufträgen abhängig sind, können unter Umständen in den Konkurs gehen. Die zunehmende Korruption ist selbstverständlich ein gravierendes Problem, das unsere erfolgreiche Wirt- schaftsordnung auf Dauer zerstören kann. Wichtig wären mehr Transparenz auch schon über Aufträge deutlich un- ter 5 Millionen Euro der Ausbau und die bessere Nutzung des Gewerbezentralregisters, die stärkere Bestrafung der Verantwortlichen des Unternehmens und möglicherweise Schadensersatzansprüche der Unternehmen, die aufgrund der Bestechung anderer Unternehmen wirtschaftliche Nachteile erleiden. Auf alle Fälle nehmen der Einfluss und die Macht der Bürokratie gegenüber der Wirtschaft immer mehr zu. Dies ist ein schleichender Prozess und die Freiheit der Wirt- schaft und aller Menschen in unserer marktwirtschaftli- chen Ordnung stirbt immer nur scheibchenweise. Von der Macht, der Einflussmöglichkeit des Staates, geht mindes- tens genau so viel Gefahr für die Freiheit aus, wie von der ständig steigenden Machtballung in Großkonzernen. Beide Gefahrenpotenziale müssen wir erkennen und danach po- litisch handeln. Vor allem muss das Recht herrschen, das durch die Legislative überprüfbar ist, und nicht etwa die Willkür der Politiker oder der Exekutive. Ich lehne die Einführung eines Korruptionsregisters in der vorgesehenen Form deshalb strikt ab. Anlage 5 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Ulrich Kelber (SPD) zur Ab- stimmung über ein erstes Gesetz zur Änderung des Telekommunikationsgesetzes (Tagesordnungs- punkt 24 a) Ich werde dem Gesetz zustimmen, um Deutschland vor einer Klage der EU-Kommission und sich daraus eventu- ell ergebenden Bußgeldern und Staatshaftung zu bewah- ren, wenn ich diese Gefahr auch geringer einschätze als die Bundesregierung. Leider hatte die Bundesregierung unter Helmut Kohl in den Jahren 1997 und 1998 in Brüssel eine widersprüchli- che und unklare Beschlusslage mit herbeigeführt, die für die Unternehmen im deutschen Telekommunikations- markt jetzt sehr negative Auswirkungen haben können. Mit ihrem aktuellen Vorgehen verändert die EU-Kom- mission die früher unumstrittenen Paradigmen des Wett- bewerbs im Telekommunikationsmarkt dramatisch. Durch eine Reihe von Entscheidungen wurde die ursprünglich beschlossene Gleichstellung von Infrastruktur- und Dienste- wettbewerb einseitig zulasten der Investitionen in Infra- struktur beseitigt. Dies ist eine gefährliche Fehlentwick- lung in der EU, durch die Deutschland mit seiner am besten ausgebauten Telekommunikationsinfrastruktur be- sonders getroffen wird. Citycarrier, Regionalcarrier und die Deutsche Telekom haben in den letzten Jahren – im Vertrauen auf einen fairen Ausgleich zwischen Infrastruktur- und Dienstewettbewerb – Milliarden Euro in Erneuerung und Ausbau der Telekom- munikationsinfrastruktur investiert. Dadurch wurden in die- sen Firmen – im Gegensatz zu vielen Dienstewettbewer- bern mit einer Minizahl von Mitarbeitern zehntausende Arbeitsplätze geschaffen. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 249. Sitzung. Berlin, Freitag, den 5. Juli 200225376 (C) (D) (A) (B) Diese Arbeitsplätze sind akut gefährdet, wenn die end- gültige Regelung von Call-by-Call im Ortsnetz nicht den Schutz getätigter Investitionen gewährleistet und die Dienstewettbewerber zu einem Mindestmaß an lokaler Infrastruktur verpflichtet. Dieses Mindestmaß an Infra- struktur – Zusammenschaltpunkt im Einzugsbereich als Voraussetzung, Call-by-Call anbieten zu können – soll auch ineffektiven Verkehr über die Fernleitungen unter- binden helfen. Call-by-Call im Ortsnetz kann nur im Rahmen einer Gesamtlösung durch die Regulierungsbehörde eingeführt werden. Ansonsten drohen vor allem den City- und Re- gionalcarriern, bei denen Grundgebühren nur einen gerin- gen Teil der Einnahmen ausmachen, erhebliche Verluste. Dies könnte – bei anhaltenden hohen Abschreibungen für die errichtete Infrastruktur aufgrund der früheren Rechts- lage – zum Abspringen von Investoren führen. Call-by- Call im Ortsnetz würde dann zu einem kurzen Strohfeuer an Preissenkungen führen, nach dem es dann weniger Wettbewerb im Ortsnetz geben wird als heute und damit auch schnell wieder steigende Preise. Der bisher befolgte Weg, zu Infrastrukturwettbewerb zu ermuntern, ist und bleibt richtig. In Deutschland haben Konkurrenten der Telekom bereits über 700 000 Teilneh- meranschlussleitungen übernommen, deutlich mehr als im Rest der EU zusammen. Dieser Erfolg wird durch eine unverständliche europäische Regelung jetzt gefährdet. Durch den dem Gesetz angeschlossenen Entschlie- ßungsteil unterstreicht der Bundestag, dass er von der Re- gulierungsbehörde ein Gesamtkonzept für die Einführung von Call-by-Call verlangt, das den Schutz von Infra- struktur und getätigten Investitionen gewährleistet. Dies ist eine Mindestforderung, die im Interesse von Verbrau- chern und Arbeitnehmern nicht unterschritten werden darf und die auch den Anregungen der Expertenanhörung durch den Unterausschuss „Post und Telekommunika- tion“ entspricht. Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – Entwurf eines Gesetzes zur Förderung ehren- amtlicher Tätigkeit – Beschlussempfehlung und Bericht zu dem An- trag: Neue Belastungen für ehrenamtlich Tätige zurücknehmen (Tagesordnungspunkt 23 a und b) Ute Kumpf (SPD): Den Weg, den der Antrag der CDU/CSU zur Förderung ehrenamtlich Tätiger beschrei- ten will, gehen wir nicht mit, aber nicht etwa, weil wir mit Ehrenamtlichen nichts im Sinn haben – im Gegenteil – sondern weil dieser Weg in die Sackgasse führt. Das hat auch die Anhörung gezeigt. Ihr Antrag greift zu kurz, ist unausgegoren und nicht auf der Höhe der Zeit. Ihre eige- nen CDU-regierten Bundesländer haben von diesem Ent- wurf Abstand genommen, ihn gar nicht mehr im Bundes- rat weiter behandelt. Warum ist Ihr Gesetzentwurf zur Förderung ehrenamt- licher Tätigkeit falsch? Erstens: Ihr enger Engagementbe- griff. Bürgerschaftliches Engagement auf das Ehrenamt, noch dazu auf das mit einer kleinen Aufwandsentschädi- gung versehene Amt zu reduzieren, grenzt ein Millionen- heer engagierter Menschen von einer Förderung aus. Zweieinhalb Jahre hat die Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages „Zukunft des Bürgerschaftlichen Engagements“ intensiv gearbeitet; letzte Woche wurde der Bericht hier im Haus diskutiert. Eines ist über alle Parteigrenzen hinweg deutlich geworden, sogar den Kol- legen und Kolleginnen der CDU und CSU, die in der Kommission mitgearbeitet haben: Bürgerschaftliches En- gagement ist mehr als das klassische Ehrenamt. Bürger- schaftliches Engagement, der freiwillige gemeinwohl- orientierte und unentgeltliche Einsatz der Bürgerinnen und Bürger hat viele Gesichter, Orte und Facetten: Das sind der Übungsleiter in den Sportvereinen, der Dirigent bei den Musikvereinen, die gegenseitige Nachbarschafts- hilfe, der Dienst als Freiwilliger bei der Feuerwehr, beim Roten Kreuz, im Rettungsdienst, die Tätigkeit bei Um- weltinitiativen, Lokale Agenda oder Naturschutzprojek- ten, bei der Betreuung von Alten und Kranken, in der Hos- pizbewegung oder in Selbsthilfegruppen, in Bürger- und Elterninitiativen, die Elternarbeit in der Schule, das Be- treiben einer Schulmensa durch Mütter, Kinder- und Ju- gendinitiativen, Schulfördervereine oder Kulturprojekte. Die Liste ist endlos. In freiwilligem, ehrenamtlichem Engagement, in der Selbsthilfe, in Vereinen, Verbänden, Nichtregierungsor- ganisationen, Gewerkschaften, Netzwerken und Parteien engagieren sich circa 22 Millionen Menschen. Jeder Dritte bei uns engagiert sich für die eigenen und die In- teressen anderer, trägt damit zum Sozialkapital in unserer Gesellschaft bei. Bürgerschaftliches Engagement ist der Nährboden der Demokratie. Die Beteiligungsmöglichkei- ten und Engagementformen unterliegen einem Wandel, sind im Fluss, haben sich in den letzten zehn Jahren ver- ändert. Eine Mitgliedschaft, kontinuierlich, lebensläng- lich ist nicht mehr selbstverständlich, nicht nur der beruf- lichen Mobilität geschuldet. Mitmachmöglichkeiten auf Zeit werden gesucht, der Wunsch nach eigener Qualifizie- rung, die Tätigkeit, die Spaß machen soll, zeitlich nicht überfordert, stehen im Zentrum. Den Staat wollen die En- gagierten nicht vor der Nase, sondern an ihrer Seite, Be- teiligung und Anerkennung sind gewünscht. Diejenigen, die sich engagieren, wollen nicht zum Ausfallbürgen lee- rer Kassen werden und auch nicht als billiges Ersatzperso- nal für nicht vorhandene Arbeitsplätze ausgenutzt werden. Bei der Anhörung zu Ihrem Gesetzentwurf äußerte die Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege (BAGFW) die Sorge, „dass im politischen Raum die Dis- kussion um Ehrenamtsförderung sich zunehmend auf fi- nanzielle Anreize für Freiwillige konzentriert und da- durch das Einfallstor für Prinzipien der Erwerbsarbeit in den bürgerschaftlich organisierten Raum Zug um Zug geöffnet wird. Die Frage, in welcher Gesellschaft wir morgen miteinander leben wollen, beantwortet sich nicht in erster Linie im Einkommensteuergesetz.“ Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 249. Sitzung. Berlin, Freitag, den 5. Juli 2002 25377 (C) (D) (A) (B) Weitere Gründe, warum dieser Gesetzentwurf zur För- derung ehrenamtlich Tätiger inhaltlich falsch und zu spät kommt: In vier Jahren Regierungsverantwortung hat Rot- Grün für bürgerschaftliches Engagement mehr auf den Weg gebracht, als je in 16 Jahren Kohl angedacht, ge- schweige denn umgesetzt wurde. Im Gegensatz zu Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen der CDU und CSU, die Sie immer vollmundig über die Notwendigkeit und Be- deutung des Engagements sprechen: Die Enquete-Kommission – bei der Einsetzung waren wir uns ja ausnahmsweise einig – hat gute Arbeit geleis- tet und Handlungsempfehlungen beschlossen, die Stück für Stück umgesetzt werden sollen. Wir haben in der En- quete-Kommission nicht nur gearbeitet, wir reden nicht nur von der Stärkung des bürgerschaftlichen Engage- ments, wir tun auch etwas dafür, haben dafür etwas getan. Fördern nehmen wir ernst: Wir haben das Stiften leicht gemacht – durch ein neues Stiftungssteuerrecht. Stiften ist damit nicht nur ein Privileg der Reichen. Durch ein neues Stiftungszivilrecht wird die Stifterfreiheit gestärkt, büro- kratische Hürden für Stifterinnen und Stifter werden ge- senkt. Wir haben die Freiwilligendienste ausgebaut – durch Ausweitung der Plätze und der Einsatzfelder, auch auf das europäische Ausland, durch größere Dauer und Einbezie- hen der Haupt- und Realschüler. Denn wer bürgerschaftli- ches Engagement entwickeln und Menschen dauerhaft ge- winnen will, muss bei den jungen Menschen anfangen. Wir machen durch das Job-AQTIV-Gesetz möglich, dass auch Arbeitslose sich bürgerschaftlich engagieren können. Wir haben dafür gesorgt, dass auch eine ehren- amtliche Tätigkeit in einem Umfang von mehr als fünf- zehn Wochenstunden ausgeübt werden kann, ohne dass der Leistungsanspruch entfällt. Wir haben das Spendenrecht grundlegend überarbeitet und dafür gesorgt, dass Bürokratie abgebaut wird. An die- ser Stelle sei angemerkt: Bürokratie ist nicht immer nur ein Problem der Gesetzgebung, sondern auch der Gesetzesan- wendung. Bürokratieabbau verlangt nicht immer eine Ge- setzesänderung; häufig genügt es, wenn die Verwaltung vorhandene Ermessensspielräume klug ausschöpft. Wir haben das bürgerschaftliche Engagement in der Pflege gestärkt, denn die Pflege von Alten und Kranken ist ein Bereich, der neben den professionellen Leistungen und häuslicher Fürsorge ganz wesentlich vom bürger- schaftlichen Engagement lebt. Durch die Förderung von Modellprojekten werden Möglichkeiten geschaffen, das Zusammenwirken von Pflegeversicherung, Familie und bürgerschaftlichem Engagement weiterzuentwickeln. Das ist uns jährlich 10 Millionen Euro wert, wenn Länder und Kommunen 10 Millionen Euro dazugeben, macht das insgesamt 20 Millionen Euro aus. Wir haben die Finanzierungsbedingungen für die Hos- pizarbeit verbessert. Die bürgerschaftliche Teilhabe der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer an den betrieb- lichen Entscheidungsprozessen haben wir durch die Re- form der Betriebsverfassung entscheidend verbessert. Zu guter Letzt zu der Forderung, die vielen Verbänden im Sport, in des Musik, im Jugendbereich usw. wichtig war und ist: die steuerliche und sozialversicherungsrecht- liche Handhabe der Aufwandspauschale: Wir haben ge- handelt. Wir haben die Übungsleiterpauschale von zuvor 2 400 DM auf nun 3 600 DM – das sind 1 848 Euro – er- höht und in eine steuerfreie Einnahme umgewandelt. Zudem wurde der Kreis der Begünstigten erweitert. Also neben Übungsleitern kommen nun auch Ausbilder, Er- zieher und Betreuer in den Genuss. Sichergestellt ist dazu, dass diese Pauschale auch sozialversicherungsfrei bleibt. Damit wurden die Rahmenbedingungen für eh- renamtlichen Einsatz in gemeinnützigen Vereinen, Ver- bänden und Organisationen entscheidend verbessert. Denn die Aufwandspauschalen waren in den letzten 20 Jahren nicht mehr erhöht worden. Übrigens: Es waren immer sozialdemokratische Bun- deskanzler, die sich für die Übungsleiterpauschale stark gemacht haben. Wir reden nicht nur darüber, wir tun auch etwas dafür. Willy Brandt hat die Übungsleiterpauschale eingeführt. Das, was der Sport in den Bereichen Gesund- heitsprävention und Integration leistet, war ihm so wich- tig, dass für die freiwillig geleistete Mehrarbeit 100 DM steuerfrei gestellt wurden. Unter Helmut Schmidt wurde der Betrag auf 200 DM angehoben, 20 Jahre mussten vergehen, bis erneut wieder ein sozialdemokratischer Bundeskanzler, Gerhard Schröder, den Betrag erhöhte und zudem den Bezieher- kreis erweiterte. Wir sind noch einen Schritt weiter gegangen. Eine aus öffentlichen Kassen bezahlte Aufwandsentschädigung in Höhe bis zu 300 DM – 154 Euro – pro Monat wird der Übungsleiterpauschale gleichgestellt. Davon profitieren insbesondere freiwillige Feuerwehren und Katastrophen- schützer. Aber damit nicht genug: Wir werden den Weg der För- derung des bürgerschaftlichen Engagements weiter ge- hen. Das heißt für uns: Ausbau des Schutzes für Enga- gierte – das gilt vor allem für Unfallrisiken und für das Haftungsrisiko bei Vereinsvorständen – ; Schaffung einer echten steuerfreien Aufwandspauschale für alle bürger- schaftlich Engagierten in Höhe von 300 Euro; Anhebung der Besteuerungsfreigrenze für Vereine auf 40 000 Euro; Berücksichtigung der Zeitspende im Zuwendungsrecht; weiterer Ausbau der Freiwilligendienste durch den Aus- bau sozialer Schutzrechte auch auf europäischer Ebene; Förderung von Freiwilligen- und Netzwerkstrukturen und die Unterstützung von Freiwilligenagenturen, Selbsthilfe- stellen, Seniorenbüros und anderen Einrichtungen; über Modellprojekte soll das bürgerschaftliche Engagement von Migranten und Migrantinnen gestärkt werden; Wei- terentwicklung von „Corporate Citizenship“ als Unter- nehmenskultur; eine grundlegende Reform des Gem- einnützigkeitsrechts; Einführung der direkten Demokratie auf Bundesebene; Einführung eines Informationsfreiheit- gesetzes. Letztendlich wollen wir in der kommenden 15. Legis- laturperiode eine Kommission für bürgerschaftliches En- gagement im Bundestag einrichten, weil wir die Förde- rung nicht dem Zufall überlassen wollen. Wir brauchen eine Struktur, die weiterhin das umsetzt, was wir dem Be- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 249. Sitzung. Berlin, Freitag, den 5. Juli 200225378 (C) (D) (A) (B) richt der Enquete-Kommission zugrunde gelegt haben. Sie können sicher sein:Wir machen dies gern nach dem 23. September. Dr. Klaus Grehn (PDS): Im Grunde genommen sind die vorliegenden zwei Jahre alten Anträge der CDU/CSU- Fraktion durch das Leben überholt. Es sind alle Argu- mente, die gegen diese Anträge zum jetzigen Zeitpunkt sprechen, bereits mehrfach ausgesprochen und niemand sollte sich der Logik entziehen. Vieles ist dazu in der An- hörung am 4. Juli 2001 gesagt worden. Ein gleich lautender Antrag des Landes Bayern, der im Jahr 2000 eingebracht worden war, wurde vom Bundesrat nicht mitgetragen. Es liegt inzwischen der Abschlussbericht der Enquete- Kommission „Zukunft des Bürgerschaftlichen Engage- ments“ vor und fast alle Mitglieder aller Fraktionen haben ihm zugestimmt. Gegenstimmen gab es auch von der CDU/CSU nicht. Es gibt in diesem Bericht eine Fülle von Handlungsempfehlungen und wir alle sollten uns an die Spielregeln halten: Jede neue Regelung zur ehrenamtli- chen Tätigkeit muss von nun an im Zusammenhang vie- ler komplexer Regelungen gesehen werden, denn es gilt, ehrenamtliche Arbeit und bürgerschaftliches Engagement insgesamt zu fördern. Wir sollten die vielen Vorschläge der Enquete-Kommission in der kommenden Legislatur- periode als Paket behandeln. Das Vorziehen einzelner Re- gelungen bringt da nichts. So verhält es sich auch mit den vorliegenden Anträgen. Gewiss ist etwas dran an der For- derung nach einer steuerlichen Freistellung von Auf- wandsentschädigungen für ehrenamtliche Arbeit. Die Kommission hat dazu auch Position bezogen, wie man nachlesen kann. Die sehr alten vorliegenden Anträge mit den richtigen Überschriften verfolgen dennoch einen an- deren Zweck. Es geht CDU und CSU um die Aufwei- chung der aus gutem Grund eingeführten Grenzen ge- ringfügiger Beschäftigung, um die Abschaffung der Sozialversicherungspflicht in diesem Bereich, wobei die Grenzen zu ehrenamtlicher Arbeit bewusst fließend ge- halten werden. Die PDS verneint keineswegs den Rege- lungsbedarf; dennoch geht es uns in erster Linie darum, dass Organisationen, Vereinigungen und Bürgerinitiati- ven, die keinerlei Unterstützung von irgendeiner Seite oder bestenfalls geringfügige Mitgliedsbeiträge oder Spenden erhalten, überhaupt Aufwandsentschädigungen zahlen können – und das betrifft bei weitem die Mehrheit der bürgerschaftlich Engagierten. Uns drängt sich der Ver- dacht auf, dass in den vorliegenden Anträgen solche Art von „ehrenamtlicher Arbeit“ gemeint ist, die Erwerbsar- beit zum Teil ersetzt oder bei der steuerfreies Einkommen auf das übliche Arbeitsentgelt aufgeschlagen wird. Der vorgelegte Entwurf eines Gesetzes zur Förderung der ehrenamtlichen Tätigkeit geht mit seinem Titel weit über das hinaus, was dann tatsächlich vorgeschlagen wird. Auch hier wird lediglich der Versuch unternommen, mit einer im Lichte der Enquete-Kommission unzureichenden Definition der ehrenamtlichen Arbeit letztlich einzig und allein auf die Steuerfreiheit von Aufwandsentschädigun- gen abzuheben. Wir empfehlen den Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU, einige ihrer Vorschläge noch einmal zu durch- denken, nachdem nun so viele Experten angehört worden sind und, wie gesagt, der Abschlussbericht wertvolle Er- kenntnisse enthält. Möglichst gemeinsam sollten wir in der neuen Legislaturperiode dann Schritt für Schritt ver- suchen, die Empfehlungen in parlamentarische Initiativen umzusetzen. Möglicherweise kann ein tatsächliches Ge- setz zur Förderung ehrenamtlicher Tätigkeit dann einen wirksamen Beitrag leisten. Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Telekommunikationsgesetzes – Beschlussempfehlung und Bericht zu dem An- trag: Wettbewerb und Regulierung im Tele- kommunikationssektor (Tagesordnungspunkt 24 a und b) Michaele Hustedt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Mit der Novelle des Telekommunikationsgesetzes setzt die Koalition eine Richtlinie der Europäischen Union aus dem Jahr 1998 um. Diese vorgezogene kleine Novelle ist notwendig, weil die Kommission ein Vertragsverlet- zungsverfahren vorbereitet. Günstiger wäre es auch aus unserer Sicht, die Reform im Kontext der größeren TKG- Novelle in der nächsten Wahlperiode zu machen. Wir wer- den also zustimmen, obwohl wir diese Novelle nicht für hilfreich halten. Wir stimmen zu, um für den deutschen Steuerzahler die Gefahr abzuwenden, Bußgelder zahlen zu müssen. Denn Sie von der Opposition, die uns jetzt auf- fordern, die Novelle zurückzuweisen, wären doch die Ers- ten, die dann ein großes Geschrei erheben würden. Aller- dings haben die Koalitionsfraktionen diese Novelle auf ein absolutes Mindestmaß zurückgestutzt. Der Bundesregierung war es aus Sorge um ein Ver- tragverletzungsverfahren sehr wichtig, hier zügig umzu- setzen. Die Novelle wird zum 1. Dezember 2002 in Kraft treten, sofern der Bundesrat in seiner Sitzung am 27. Sep- tember zustimmt. In der nächsten Legislaturperiode wird jetzt die Notwendigkeit dringend sein, die große TKG- Novelle sehr schnell auf den Weg zu bringen, damit ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Dienstleistungs- und Investitionswettbewerb entsteht. Wenn wir dies zügig tun, wird eine Novelle keine negativen Auswirkungen in der Realität haben. Die konkrete Ausgestaltung wird dann die Aufgabe der Regulierungsbehörde für Post und Telekommunikation sein. Im Gesetzentwurf ist festgehalten, dass bei Entschei- dungen zur Entgeltregulierung und zur Zusammenschal- tung zu gewährleisten ist, dass Anreize zu effizienten In- vestitionen in Infrastruktureinrichtungen, die langfristig einen stärkeren Wettbewerb sichern, nicht entfallen und eine effiziente Nutzung durch ortsnahe Zuführung erfolgt. Der Bundestag wird dazu nach einem Antrag der Ko- alitionsfraktionen feststellen, dass nach seiner Auffassung Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 249. Sitzung. Berlin, Freitag, den 5. Juli 2002 25379 (C) (D) (A) (B) der Begriff „ortnahe Zuführung“ voraussetzt, dass die Un- ternehmen, die eine Zusammenschaltung begehren, um Call-by-Call bzw. Preselection im Ortsnetz anzubieten, in den jeweiligen Einzugsbereichen einen Zusammenschal- tungspunkt einrichten. Die Regulierungsbehörde hat darauf zu achten, vor- handene Investitionen nicht zu gefährden. Wir gehen da- von aus, dass sie die Interessen der Telekommunikations- unternehmen, die erheblich in eigene Infrastruktur investiert haben, berücksichtigen wird. Wir fordern die Regulierungsbehörde für Post und Telekommunikation darüber hinaus auf, ein neues Entgeltkonzept zu ent- wickeln, das faire Chancen für alle Anbieter schafft. Dazu gehört unter anderem ein vernünftiger Preis für die Miete der Teilnehmeranschlussleitung im Ortsnetz. Es ist kein fairer Wettbewerb, wenn die Miete einer Teilnehmeran- schlussleitung für Konkurrenten der Telekom höher ist als die Grundgebühr, die der Verbraucher als Kunde der Te- lekom zahlt. Hier hat die Regulierungsbehörde eine Fehl- entscheidung getroffen. Die Regulierungsbehörde muss ihre Politik noch stärker wettbewerbsorientiert ausrich- ten. Die Wettbewerber der Telekom beklagen sich immer wieder über Behinderungen bei der Bereitstellung von Vorleistungen. Bündnis 90/Die Grünen treten für eine starke und un- abhängige Regulierung ein. Effizienter Wettbewerb ist die Voraussetzung für die Schaffung neuer Arbeitsplätze. Kleine und mittlere Unternehmen müssen eine Chance auch gegen große Konkurrenten haben. Dann brauchen wir faire Wettbewerbsbedingungen. Monopole bringen Ineffizienzen und weniger Innovation. Wir treten daher für eine schnelle Reform des TKG nach der Wahl ein. Die Deutsche Telekom will die Regulierung bei der Gelegen- heit zurückfahren. Sie argumentiert, es würde ausreichen, die Preise einiger kritischer Infrastrukturen, so genannte Bottlenecks, zu regulieren. Wir halten eine umfassende Ex-ante-Regulierung des marktbeherrschenden Unternehmens nach wie vor für notwendig. Die Rücknahme von Regulierung würde der DTAG die Möglichkeit zur Quersubventionierung eröff- nen. Unsere Ziele für die Novelle des Telekommunikati- onsgesetzes sind: die Regulierungsbehörde in ihrer unab- hängigen Rolle zu stärken und die Möglichkeiten, die Wirksamkeit von Entscheidungen durch Klagen zu ver- zögern, zu beseitigen. Interessant ist ein Vorschlag der Monopolkommission. Sie will die Übertragung von Marktmacht der Deutschen Telekom AG von Märkten ohne Wettbewerb auf Märkte mit Wettbewerb durch institutionelle Trennung der Ge- schäftsbereiche der Deutschen Telekom ermöglichen. Eine solche institutionelle Trennung wurde zum Beispiel zu einer Rückführung der Regulierung über Fern- und Auslandsmärkte genutzt werden. Wir treten für ein Wettbewerbskonzept ein, dass Dienstewettbewerb und Infrastrukturwettbewerb verbin- det. Bei bestimmten Bottlenecks wird es immer sinnvoll sein, Dienstewettbewerb reguliert zu betreiben, so zum Beispiel bei der Teilnehmeranschlussleitung. Es wird nie effizient sein, eine zweite Leitung in das gleiche Haus zu legen. In anderen Bereichen, wie bei Fernleitungen ist auch Infrastrukturwettbewerb sinnvoll. Wir brauchen hier zunächst den Dienstewettbewerb, um neuen Anbietern Marktzugang zu verschaffen. Ein zu frühes Zurückführen der Regulierung würde ihnen die Luft abschnüren. Gerhard Jüttemann (PDS): Vor sechs Jahren wurde gegen die Stimmen der PDS das Telekommunikationsge- setz verabschiedet. Es gab damals drei Hauptgründe, warum wir dagegen waren. Wir befürchteten einen mas- siven Abbau von Tarifarbeitsplätzen bei der Telekom, die Spaltung der Gesellschaft, weil nicht alle gleichermaßen Zugriff auf die neuen Informationstechnologien haben würden, und schließlich eine unterschiedliche Versor- gungsqualität in Ballungsgebieten und im ländlichen Raum. Rückblickend muss man heute sagen: Die Katastrophe ist noch größer geworden, als wir geahnt haben. Zum ers- ten Mal seit der Privatisierung 1996 bilanzierte die Tele- kom in diesem Jahr ein negatives Geschäftsergebnis in Höhe von 3,5 Milliarden Euro. Die Aktien der gesamten Branche sind im Keller. 70 000 bis 80 000 Telekom- arbeitsplätze wurden abgebaut. Bis Ende 2004 sollen wei- tere 30 000 wegfallen. Bekommen haben wir befristete Beschäftigung, Leiharbeit, Scheinselbstständigkeit, Fle- xibilisierung der Arbeitszeit, Tarifflucht, das Ausschalten von Betriebsräten. Der so genannte Wettbewerb, dessen Förderung erstes Ziel des TKG ist, konnte und kann nur als Verdrängungs- wettbewerb funktionieren, der schließlich bei einem neuen, privaten Oligopol enden wird. Dies wird natürlich auch wieder zu steigenden Preisen und dazu führen, dass sich ein wachsender Teil der Bevölkerung bestimmte Te- lekommunikationsleistungen, die zu erschwinglichen Preisen nicht mehr zur Verfügung stehen werden, nicht mehr leisten können wird. Dieser Abwärtsprozess scheint jedoch einigen nicht schnell genug zu gehen. Mit einer fünf Minuten vor zwölf, sprich: vor Ablauf der Legislaturperiode initiierten klei- nen TKG-Novelle sollen jetzt die Ortsnetze für den Wett- bewerb reif gemacht werden. Welche Folgen wird das ha- ben? Die Sachverständigen haben uns am Montag in der Anhörung einhellig vor einem Desaster gewarnt. Wir be- kommen einen Schub im Arbeitsplatzabbau und ein Bün- del von Firmenpleiten bei heute auf dem Markt tätigen Teilnehmernetzbetreibern. Diese beschäftigen nach eige- nen Angaben für circa 10 000 Kunden durchschnittlich 400 Mitarbeiter. Gewinner werden die Call-by-Call-An- bieter ohne eigene Netze sein, die nur zehn Mitarbeiter für den Betrieb in ganz Deutschland benötigen. Dieser Wettbewerb bringt keine Innovation, vielmehr zerstört er sie. Außerdem haben uns die Sachverständigen gesagt, dass die kleine TKG-Novelle zur Rosinenpickerei und zu einer verstärkt unterschiedlichen Versorgung zwi- schen Stadt und Land führen wird. Call-by-Call lohnt sich im Ortsnetz nur in Ballungsgebieten. Die Telekom hat die Auflösung der bisherigen Tarifeinheit im Raum angekün- digt. Und schließlich hörten wir von den Experten, dass die ganze Novelle höchst überflüssig ist, weil ein von der EU verhängtes Bußgeld von Ihnen zwar als Popanz aufgebaut Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 249. Sitzung. Berlin, Freitag, den 5. Juli 200225380 (C) (D) (A) (B) wird, aber keine reale Gefahr ist. Vor dem Europäischen Gerichtshof jedenfalls hätte eine solche Forderung keinen Bestand. Sie muten uns heute ein Gesetz zu, das nicht ordentlich beraten worden ist und das absehbar katastrophale wirt- schaftspolitische und arbeitsmarktpolitische Folgen ha- ben wird. Sie muten den von Ihnen eingeladenen Sach- verständigen zu, dass Sie nicht ein einziges der mit großer Ernsthaftigkeit vorgetragenen Argumente prüfen und berücksichtigen. Sie machen damit das Parlament zur Ka- barettbühne. Daran werden wir uns nicht beteiligen. Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Großen Anfrage: Chancen und Perspektiven der digitalen Wirtschaft (Informa- tionstechnologie, Multimedia, Internet, Tele- kommunikation) in Deutschland (Tagesord- nungspunkt 25) Hubertus Heil (SPD): Kein Wirtschaftszweig kann sich heute der Nutzung neuer Medien verschließen. Fak- tisch kein Unternehmen in unserem Land kommt ohne die Nutzung moderner Informations- und Kommunikations- technologien aus. Auch wenn diese Erkenntnis heute zum Allgemeingut gehört, so war und ist sie nach wie vor eine wichtige Herausforderung für die Wirtschaft und die Po- litik in Deutschland. Die Modernisierung unserer Volks- wirtschaft ist auf das Engste mit der Entfaltung der Potenziale der digitalen Wirtschaft als einer Schlüssel- industrie verbunden. Mit dem Programm „Innovation und Arbeitsplätze in der Informationsgesellschaft des 21. Jahrhunderts“ hat die Bundesregierung frühzeitig einen Masterplan zur Entfal- tung der Potenziale der digitalen Wirtschaft am Standort Deutschland entworfen, den wir seit 1999 konsequent umsetzen. Lassen Sie mich im Folgenden stichwortartig die zen- tralen Elemente dieses Masterplans an sieben Punkten be- leuchten. Erstens. Deutschlands Weg an die Spitze in der euro- päischen Informationsgesellschaft konnte in den letzten drei Jahren nur deshalb gelingen, weil wir in Zusammen- arbeit von Politik und Wirtschaft auf den verbreiterten Zu- gang zu den neuen Medien gesetzt haben. Zu den Instru- menten, die wir hier einsetzen, gehört die Aktion „Internet für alle“, das „Forum Informationsgesellschaft“ und die Zu- sammenarbeit der Bundesregierung mit der Initiative D 21. Nur weil Bundeskanzler Gerhard Schröder im Gegensatz zu seinem Vorgänger den verbreiterten Zugang zum Internet zu seinem persönlichem Anliegen gemacht hat, sind wir in die- sem Bereich mit großen Schritten vorangekommen. So war es unser Ziel, alle deutschen Schulen an das Internet anzu- schließen. Wir haben dieses ehrgeizige Vorhaben über den Weg des Public Private Partnership erreicht. Zweitens. Deutschlands Weg in die Informationsge- sellschaft kann nur dann erfolgreich fortgesetzt werden, wenn wir den Einsatz von Multimedia in der Bildung för- dern. Wir haben dazu in den letzten Jahren auf folgende konkrete Schritte gesetzt: die Vernetzung der Schulen und die Bereitstellung von Lernsoftware, der verstärkte Ein- satz digitaler Medien an unseren Hochschulen und neue Möglichkeiten für Aus- und Weiterbildung in den Infor- mationstechnologien, die Förderung des Fachkräfteange- bots in der Informationswirtschaft und die Modernisie- rung von Berufsbildern, die den Anforderungen der modernen Informationswirtschaft entsprechen. Drittens. Der Weg in die digitale Wirtschaft kann nur dann gelingen, wenn Vertrauen und Sicherheit durch ei- nen weiterentwickelten und verbesserten Rechtsrahmen verstärkt werden. In der auslaufenden 14. Legislaturperi- ode hat dieser Deutsche Bundestag dazu wichtige Mei- lensteine gesetzt. Das Gesetz zur elektronischen Signatur, das elektronische Geschäftsverkehrgesetz, das Zugangs- kontrolldienstegesetz und die Abschaffung des Rabattge- setzes und der Zugabeverordnung waren wichtige Erfolge auf diesem Weg. Auch die Weiterentwicklung des Jugend- schutzes gehört in diesen Zusammenhang. In der kommenden Legislaturperiode werden uns Fragen des Datenschutzes, der Modernisierung der Kommunika- tionsordnung, des Wettbewerbs- und Kartellrechts und des Urheberrechts zu beschäftigen haben. Viertens. Innovative Arbeitsplätze in der Informations- und Kommunikationswirtschaft in Deutschland werden nur dann entstehen, wenn wir die Einführung dieser An- wendungen auch weiterhin konsequent fördern. Im elek- tronischen Geschäftsverkehr und bei innovativen Exis- tenzgründungen, durch den Aufbau digitaler Bibliotheken und im Gesundheitswesen haben wir begonnen, innova- tive Beschäftigungspotenziale zu erschließen. Darüber hinaus ergeben sich neue Chancen durch Telearbeit, Tele- matik im Verkehr und den Einsatz von Multimedia im Dienstleistungssektor sowie im Umweltschutz. Fünftens. Deutschland verfügt heute über eine her- vorragende technische Infrastruktur im Telekommuni- kationsbereich. Beispiele hierfür sind die hohe ISDN- Versorgung und die starke Dichte von Breitbandkabelan- schlüssen. Neue Potenziale ergeben sich durch die stär- kere Verwendung neuer Zugangstechnologien wie DSL. Auch im Mobilfunkbereich konnten in den vergangenen Jahren große Fortschritte erzielt werden. Wir stehen mitt- lerweile mit UMTS vor der dritten Mobilfunkgeneration. Zentrale Voraussetzung für die notwendige Infrastruktur ist ein vernünftiger Wettbewerb von Anbietern und Infra- struktur im deutschen Telekommunikationsmarkt. Sechstens. Auch der Staat muss bei sich durch den Ein- satz moderner Informationstechniken einen Impuls für die Modernisierung setzen. Mit dem Programm „Bund Online 2005“, zukunftsweisenden Modellprojekten, der elektro- nischen Steuererklärung ELSTER und dem Programm MEDIA@Komm hat diese Bundesregierung wichtige In- itiativen ergriffen, die weiterverfolgt werden müssen. Der siebte Bereich, der bei der Modernisierung Deutschlands auf dem Weg zur Informationsgesellschaft eine zentrale Rolle spielt, ist die Intensivierung der Zu- sammenarbeit im europäischen und internationalen Rah- men. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 249. Sitzung. Berlin, Freitag, den 5. Juli 2002 25381 (C) (D) (A) (B) Der Weg in die Informationsgesellschaft ist nicht nur ein wirtschaftspolitisches Thema. Es geht vielmehr um eine der zentralen sozialen Fragen unserer Zeit. Es gilt, den Digital Divide, also die digitale Spaltung, unserer Ge- sellschaft zu verhindern. Wir müssen dafür Sorge tragen, dass unser Land nicht in Angeschlossene und Ausge- schlossene zerfällt. Die SPD-geführte Bundesregierung hat bewiesen, dass sie dieser Herausforderung gewachsen ist. Während Helmut Kohl Datenautobahnen noch in den Bereich des Verkehrsministeriums einordnen wollte und in der damaligen Bonner Zeit noch Rohrpost statt E-Mail- Kommunikation für die Arbeit im Kanzleramt kennzeich- nend war, haben wir seit 1998 gemeinsam für einen neuen Aufbruch gesorgt. Diesen Weg wollen und werden wir mit einem Bundeskanzler fortsetzen, der sich auch persönlich engagiert. Dieser Bundeskanzler heißt Gerhard Schröder. Dr. Martina Krogmann (CDU/CSU): Die revolu- tionären Veränderungen von Internet und Telekommuni- kation entscheiden immer stärker über die internationale Wettbewerbsfähigkeit eines Landes. Deutschland hat die große Chance, Spitze zu sein. Die traurige Wahrheit nach vier Jahren Rot-Grün ist allerdings: Auch in diesem wich- tigen Zukunftsbereich liegen wir hinten. Internationale Studien zu allen Bereichen der digitalen Wirtschaft, zum E- Government, zur Internetnutzung oder auch zur Medien- kompetenz beweisen: Deutschland liegt zurück. Die Bun- desregierung hat außer großer Rhetorik und einem Haufen von unkoordinierten Aktionsplänen, Programmen und Ankündigungen unterm Strich eine ganz traurige Bilanz. Vor allem bei den wichtigen ordnungspolitischen Grund- satzentscheidungen hat Rot-Grün versagt. Die Internetwirt- schaft zeichnet sich durch einen globalen Wettbewerb aus. Nationale Alleingänge bei rechtlichen Rahmenbedingungen können zum unmittelbaren Wettbewerbsnachteil werden. Zudem wird das Entwicklungstempo immer schneller, In- novationszyklen werden immer kürzer. Für die Politik folgt daraus, dass die ordnungspolitischen Rahmenbedin- gungen so gestaltet werden müssen, dass Wettbewerb und Rechtssicherheit herrschen als Voraussetzungen dafür, dass sich die vorhandenen Wachstumspotenziale dyna- misch entfalten können. Ich will nur einige Bereiche ansprechen, in denen Sie mit Ihrer Politik versagt haben: Sie haben nichts zur Stärkung des Wettbewerbs in der Telekommunikation getan. Nach wie vor entfallen rund 97 Prozent aller Telefonanschlüsse und über 95 Prozent aller DSL-Breitbandzugänge für schnelle Internetan- schlüsse auf einen einzigen Anbieter der Telekommuni- kation. Die Frage der Wettbewerbsfähigkeit stellt sich aber auch bei der Übermittlung der Angebote an die Ver- braucher. Durch die Konvergenz der Medien wird es im- mer mehr vertikal integrierte Unternehmen geben, die so- wohl Netze als auch Inhalte in einer Hand halten. Ziel muss es deshalb sein, dass stets der diskriminierungsfreie Zugang vielfältiger Inhalte zu den technischen Infrastruk- turen gewahrt bleibt. Multimedia braucht offene Netze, Multimedia braucht offene Standards und offene Schnitt- stellen. Nur dann haben wir die größte Effizienz der Märkte und die größte Innovationskraft. Sie haben durch das Versteigerungsverfahren der UMTS-Lizenzen eine gigantische Kapitalvernichtung in Gang gesetzt und dafür gesorgt, dass Deutschland im Standortwettbewerb beim mobilen Breitband gegenüber anderen europäischen Staaten zurückfällt. Die deutsche Medienordnung stammt noch aus der Zeit des Schwarz-Weiß-Fernsehens. Während die Konvergenz der Medien durch das Breitband beschleunigt wird, hält der deutsche Rechtsrahmen an den überholten Trennun- gen fest. Ihnen ist zu diesem Thema lediglich eingefallen, eine neue Behörde mit zweifelhaftem Wert zu schaffen. Von größter Bedeutung ist ein klarer und verlässlicher Rechtsrahmen für immaterielle Rechte. Sie haben eine Novelle des Urheberrechts verabschiedet, die zu unnöti- ger Bürokratisierung und vor allem zu Planungsunsicher- heiten für Multimedia-Unternehmen im Contentbereich führt und damit den Standort Deutschland gerade für die digitale Wirtschaft weiter schwächt. Neuere Studien zeigen, dass Wachstum vor allem dort stattfindet, wo Wirtschaft auf Wissen trifft. Ein ganz wich- tiger Aspekt für die Nutzung der Chancen der digitalen Wirtschaft ist somit die Medienkompetenz. Der von der Regierung immer wieder hervorgekramte Satz: „Die Schulen sind alle am Netz.“, ist ein alter Hut und hat kei- nen Aussagewert. Noch immer landet Deutschland im eu- ropäischen Vergleich bei der Ausstattung der Schulen mit Computern auf einem der hinteren Plätze. Im Durch- schnitt teilen sich 100 Schüler zwei bis fünf PCs. 15 Pro- zent der Schüler in Deutschland benutzen regelmäßig den PC im Unterricht – in Großbritannien und Dänemark sind es über 55 Prozent, in Schweden und Finnland 35 Prozent, in den USA 30 Prozent. Besonders ist zu kritisieren, dass der Schritt nach der Hardware-Ausstattung von der Regierung noch über- haupt nicht in Angriff genommen wurde: So liegen er- hebliche Mängel bei der Wartung der Rechner und dem Datenmanagement vor. Lediglich drei Prozent der erzie- hungswissenschaftlichen Veranstaltungen in deutschen Lehramtsstudiengängen widmen sich dem Thema „Neue Medien“. Zum Vergleich: In Großbritannien muss jeder Lehrer zum Berufsstart nachweisen, dass er Medienkom- petenz erworben hat und im Unterricht einsetzen kann. Es fehlt Lernsoftware. Hier müssen sich Vertreter von Bund und Ländern mit Hard- und Software-Anbietern an einen Tisch setzen und über Standards reden. Die Bildungs- hoheit der Länder darf nicht dazu führen, dass nur in lan- desinternen Grenzen gedacht wird und so sinnvolle Marktgrößen bei der Entwicklung von Lernsoftware und IT-Systemen verhindert werden. Die digitale Wirtschaft braucht einen effektiven Staat. Im Bereich des E-Government sind wir im internationa- len Vergleich jedoch nicht einmal Mittelmaß. Hauptgrund dafür ist, dass Rot-Grün nicht verstanden hat, dass E-Go- vernment nicht einfach heißt, irgendwelche Formulare ins Internet zu stellen, die man sich dann runterladen kann. Die großen Vorteile der elektronischen Verwaltung be- kommen wir erst, wenn Veränderungen von Strukturen und Prozessen damit einhergehen. Man muss sich einmal vorstellen: Von den 376 internetfähigen Dienstleistungen sind gerade einmal 8 Prozent über das Internet abzu- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 249. Sitzung. Berlin, Freitag, den 5. Juli 200225382 (C) (D) (A) (B) wickeln, von Experten wird die Abwicklung bis 2005 in- zwischen stark bezweifelt. Vor kurzem sind zwei Studien herausgegeben worden. Beide attestieren Deutschland im internationalen Vergleich ein enormes Nachholbedürfnis beim bürgerorientierten E-Government: In einer von der Europäischen Kommission in Auftrag gegebenen Studie, die zum zweiten Mal die E-Government-Entwicklung der 15 Mitgliedsstaaten der EU sowie die Islands, Norwegens und der Schweiz untersucht, belegt Deutschland beim bürgerorientierten E-Government einen kläglichen 14. Platz. Bei der E-Government-Untersuchung der Un- ternehmensberatung accenture nimmt Deutschland eben- falls im entscheidenden Bereich „Qualität und Intensität der Online-Bürgerbeziehungen“ nur Platz 20 ein – von 23 möglichen. Dieses ist die Quittung für den falschen An- satz von Rot-Grün: Statt beim E-Government von den Be- dürfnissen der Bürger auszugehen und sich an diesen zu orientieren, hat die Bundesregierung den Bürgern „von oben herab“ E-Government-Projekte vor die Nase gesetzt. Auch beim „business to government“ lässt die Bun- desregierung alles irgendwie mit ruhiger Hand laufen. Schon heute haben wir dadurch enorme Wettbewerbs- nachteile. Die Unternehmen haben im Vergleich zu den Bürgern häufiger Kontakt mit dem Staat. Durch ein rich- tig verstandenes E-Government könnten diese zum größ- ten Teil routinemäßigen Abläufe – wie beispielsweise die Zahlung von Steuern, Zöllen oder Sozialbeiträgen oder der Erwerb von Lizenzen oder Gewerbescheinen – kom- plett elektronisch abgewickelt und Transaktionskosten ra- dikal gesenkt werden. Aufgrund seines wirtschaftlichen Potenzials ist ein besonderes Gewicht auf den Bereich E-Procurement – die öffentliche Beschaffung über das Internet – zu rich- ten. Das jährliche Beschaffungsvolumen der öffentli- chen Hand liegt bei über 250 Milliarden Euro. Fachleute schätzen hier das Einsparpotenzial durch den Einsatz von E-Procurement-Lösungen auf bis zu 10 Prozent. So- mit ist der Umstieg auf netzbasierte Beschaffungslösun- gen praktisch ein Muss für die jeweiligen Verantwortli- chen bei Bund, Länder und Kommunen. Der Start des E-Vergabe-Projektes der Bundesregie- rung ist grundsätzlich zu begrüßen – und zudem höchste Zeit; denn: Deutschland hinkt auch beim E-Procurement hinterher und landet im internationalen Vergleich nur auf einem Rang im letzten Drittel. Wünschenswert wäre in diesem Bereich eine bessere Koordinierung verschiede- ner Pilotprojekte gewesen: Neben dem E-Vergabe-Projekt des Bundes sammelten beispielsweise auch die ausge- zeichneten Städte des MEDIA@Komm-Wettbewerbs erste Erfahrungen mit E-Procurement. Durch ein gemein- sames Vorgehen hätten die vorhandenen Ressourcen bes- ser genutzt und Steuergelder gespart werden können. Ein letzter Punkt: Die breite Nutzung der Netze durch die Wirtschaft und die gesamte Bevölkerung stellt einen überragend wichtigen Standortfaktor dar. Doch auch bei der Internetpenetration sind wir im letzten Jahr gegenüber den führenden Ländern weiter zurückgefallen. Bis Mai 2002 gab es 26,7 Millionen deutsche Internetnutzer über 14 Jahre. Die Zahl und das Wachstum des letzten Jahres bleibt damit weit hinter den Erwartungen zurück. Mehr als die Hälfte der Deutschen nutzt das Internet nach wie vor nicht und hat auch nicht vor, das zu ändern. Die führenden Internetnationen USA, Großbritannien, die Niederlande und natürlich die skandinavischen Länder haben heute schon eine Penetrationsquote von 60 Prozent und darüber. Auf dem Weg in die Informationsgesell- schaft sitzen wir also im D-Zug, während uns andere Län- der im IC überholen. Fazit: Auch im Bereich der digitalen Wirtschaft könn- ten wir in Deutschland viel weiter sein – wenn wir eine bessere Regierung hätten. Gudrun Kopp (FDP): Es bedarf gezielter Impulse, um den Online-Commerce in Deutschland deutlich zu stärken. Die Politik muss mehr als bisher dazu beitragen, die zahlreich vorhandenen Ängste vor E-Commerce bei den Nutzern abzubauen. Wichtigste Aufgabe ist dabei, beständig an verlässli- chen Rahmenbedingungen für eine sichere Abwicklung des elektronischen Geschäftsverkehrs zu arbeiten. Dabei sollten wir uns vor allem abgewöhnen, immer wieder vor allem die Risiken des E-Commerce in den Mittelpunkt unserer Wahrnehmung zu stellen, statt die großen wirt- schaftlichen Chancen und den Nutzen für die Verbraucher hervorzuheben. Welche Maßnahmen sind geeignet, die Nutzung des In- ternets zu fördern? Hier nur drei Beispiele: Erstens. Um die Bekämpfung der Kriminalität im In- ternet effektiv zu gestalten, müssen nach Überzeugung der FDP Gesetze nicht verschärft, sondern besser und konsequenter durchgesetzt werden. Zudem müssen die Strafverfolgungsbehörden ihre internationale Zusammen- arbeit optimieren. Zweitens. Die Politik hat dafür Sorge zu tragen, dass die Kompatibilität zwischen den angebotenen Varianten der digitalen Signatur vorangetrieben wird. Die FDP hält nichts von staatlich verordneten Zwangsstandardisierun- gen. Die Liberalen setzen sich nachdrücklich dafür ein, dass der Nutzen der digitalen Signatur breiteren Bevölke- rungsschichten bekannt gemacht wird. Dies kann durch eine Vorbildfunktion der Verwaltung geschehen, indem diese selbst in verstärktem Maße im Dialog mit den Bür- gern und der Wirtschaft die digitale Signatur anbietet und einsetzt. Außerdem sollten den Bürgern sichtbare Anwen- dungen präsentiert werden. Denkbar wäre es zum Bei- spiel, die nächste Europawahl neben dem konventionellen Format auch online unter Verwendung der digitalen Si- gnatur durchzuführen. Im aufwendigen und bürokratischen Verkehr mit Ver- waltungen – zum Beispiel bei Melde- oder Antragsverfah- ren – lässt sich gerade für die Wirtschaft viel Zeit und Auf- wand sparen, wenn vermehrt das Internet eingesetzt wird. Drittens. Die FDP spricht sich für kostengünstige Inter- netgebühren aus. Im Interesse intensiver Nutzer des Inter- nets sollen nicht nur auf DSL-Ebene, sondern auch im ISDN-Bereich pauschale Nutzungsentgelte, so genannte Flatrates, etabliert werden. Um günstige Flatrates für den Nutzer auf den Markt bringen zu können, ist eine durch die Regulierungsbehörde für Post und Telekommunikation, Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 249. Sitzung. Berlin, Freitag, den 5. Juli 2002 25383 (C) (D) (A) (B) RegTP, regulierte, für die Wettbewerber der Deutschen Telekom akzeptable Großhandelsflatrate erforderlich. Eines ist klar: Die Politik hat in Deutschland einen ge- eigneten ordnungspolitischen Rahmen zu setzen, um die Dynamik der Internetwirtschaft gezielt zu befördern. Wolfgang Bierstedt (PDS): „Wir wissen noch wenig über die Informationsgesellschaft des 21. Jahrhunderts.“ Dieser Einschätzung in der Studie des BMBF – IT-For- schung 2006 – können wir zustimmen. Fest steht aber, dass die Ausbildung und Qualifizierung der notwen- digen Fachleute an vorderster Stelle unserer zukünftigen Bemühungen zur verantwortungsbewussten Ausformung der so genannten Informationsgesellschaft stehen sollte. Gerade die Fragen einer nationalen Bildungsoffensive im IT-Bereich vermissen wir in dem vorliegenden um- fangreichen Fragenkatalog der Großen Anfrage der CDU/CSU. Da die Opposition die Antwort auf ihre An- frage nicht abgewartet hat, ist es aus meiner Sicht augen- scheinlich, dass diese Anfrage vielleicht nur aus wahltak- tischen Gründen noch vor der Sommerpause eingebracht worden ist. Trotzdem haben wir aber Verständnis für das Anliegen der CDU/CSU-Fraktion, die einen Überblick über den gegenwärtigen Stand und die Perspektiven der digitalen Wirtschaft aus Sicht der Bundesregierung in Deutschland erhalten möchte. Der Erfolg moderner Volkswirtschaften hängt zuneh- mend von der Effizienz ihrer Basistechnologien in der Te- lekommunikation ab. Innovationen im IT-Bereich sind zugleich auch Wegbereiter für Neuerungen in anderen Wirtschaftssektoren. Es ist auch aus unserer Sicht unbe- stritten, dass der langfristige Bedarf an intelligenten Tele- kommunikationsanwendungen und damit einhergehend die Nachfrage nach höheren Bandbreiten ansteigen wird. Die Breitbandkabel-Infrastruktur in Deutschland ist die gegenwärtig am besten ausgebaute und eine weit verbrei- tete alternative Infrastruktur zum hergebrachten Telefon- netz. Über 22 Millionen Haushalte in diesem Land sind an Breitbandkabelnetze angeschlossen. Die Bundesregie- rung erwartet, dass die Netze der Betreiber künftig ver- stärkt für Breitband-Internet, das heißt für digitale Multi- mediaanwendungen, genutzt werden. In diesem Sinne unterstützen wir die Initiative der Bundesregierung und der Wirtschaft „Initiative D 21“, Deutsche Breitband-Ini- tiative, zur Entwicklung und Überleitung von Kommuni- kations- und Internetdiensten der nächsten Generation und zur Förderung der Strategie „eEurope 2005“. Meh- rere europäische Länder, die EU und auch die USAhaben bereits eigene Strategien zur Nutzung der Breitband- technologien – UMTS, DSL, Breitbandkabel und später Power-Line – formuliert. Diese Entwicklungen werden riesige Investitionen der Wirtschaft und der öffentlichen Hand in zweistelliger Milliardenhöhe erforderlich machen, denen wir zustim- men könnten, da aus unserer Sicht diese Mittel hoch in- novative und gut bezahlte Arbeitsplätze generieren kön- nen. In ihrem Bericht „Informationsgesellschaft Deutsch- land“ hat die Bundesregierung auf die wirtschaftliche Bedeutung der IT-Technologien hingewiesen. Wichtig bleibt, dass alle Mitglieder der Gesellschaft die Möglich- keit erhalten, an der Weiterentwicklung der neuen Medien zu partizipieren. Gerade angesichts der raschen Entwick- lung neuer Endgeräte und Dienste besteht die Gefahr wei- terhin, dass große Teile unserer Gesellschaft den An- schluss an die Informationsgesellschaft verlieren. Eine digitale Spaltung der Gesellschaft in Deutschland muss verhindert werden. Der Zugang zu den neuen Medien soll auch in Zukunft allen offen stehen. Selbst wenn wir noch wenig wissen, entbindet uns das nicht von einem klaren Bekenntnis zur Sicherung der sozialen Interessen aller in dieser Informationsgesellschaft. Wir hoffen, dass die ge- gebenenfalls noch erfolgende Beantwortung dieser An- frage durch die Bundesregierung auch dazu eine klare Aussage trifft. Margareta Wolf (Frankfurt) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die digitale Wirtschaft ist ohne Zweifel einer der wichtigsten Wachstums- und Beschäftigungsmotoren der deutschen Wirtschaft. 140 Milliarden Euro Umsatz und 820 000 Beschäftigte in der Branche der Informati- ons- und Kommunikationstechnologien sprechen eine deutliche Sprache. Und so verwundert es nicht, dass IuK hinter Elektrotechnik und Automobilbau bereits der dritt- größte Wirtschaftszweig in Deutschland ist. Zudem ist IuK der drittgrößte Arbeitgeber in Deutschland. Neue Infrastrukturen, neue Technologien und neue Dienste rund um das Internet haben einen tief greifenden Strukturwandel unserer Wirtschaft, unserer Gesellschaft und nicht zuletzt unseres Staates ausgelöst. Dieser Trend wird sich in Zukunft, wenn immer mehr Menschen ins In- ternet gehen und mit dem Internet arbeiten, noch be- schleunigen. Hierdurch entstehen ganz neue Chancen für Deutschland, sich im globalen Wettbewerb zu behaupten und seine Wettbewerbsfähigkeit auszubauen. Die Bundesregierung hat frühzeitig das Potenzial der Informations- und Kommunikationstechnologien, aber auch den Nachholbedarf Deutschlands etwa gegenüber den USA und den skandinavischen Ländern erkannt. Sie hat daher im Herbst 1999 mit dem Aktionsprogramm „In- novation und Arbeitsplätze in der Informationsgesellschaft des 21. Jahrhunderts“ eine umfassende Politikstrategie mit konkreten Zielmarken in zahlreichen Handlungsfeldern vorgelegt. Und der Erfolg gibt uns Recht: Es gibt heute in Deutschland mit weit über 30 Millionen mehr als doppelt so viele Internetnutzer als noch 1998. Alle Schulen sind ans Internet angeschlossen 1998 waren es noch beschei- dene 15 Prozent. Beim elektronischen Handel ist Deutschland klar die Nummer eins in Europa, im letzten Jahr betrug der Umsatz hier schon 20 Milliarden Euro. Insgesamt hat sich die Informationsgesellschaft Deutschland in der europäischen Spitze etablieren kön- nen. Die Bundesregierung hat mit den Maßnahmen des Aktionsprogramms hierzu wesentlich beitragen können: Mit unserer Initiative „Internet für alle“ haben wir die Menschen für die neuen Medien begeistern können. Mit einem neuen Rechtsrahmen für den elektronischen Ge- schäftsverkehr haben wir Vertrauen und Rechtssicherheit geschaffen. Mit Kompetenzzentren haben wir den Mittel- stand an das Internet und an E-Business herangeführt. Mit konsequenter Regulierung haben wir die Voraussetzun- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 249. Sitzung. Berlin, Freitag, den 5. Juli 200225384 (C) (D) (A) (B) gen für niedrige Zugangstarife und den Aufbau einer leis- tungsfähigen Infrastruktur geschaffen. Mit dem Pro- gramm „Neue Medien in der Bildung“ haben wir wichtige Impulse für multimedial aufbereitete Bildungsinhalte ge- schaffen. Und mit „Bund Online 2005“ haben wir die größte E-Government-Strategie Europas gestartet. Eine vollständige Bilanz dieser Aktivitäten hat die Bundesregierung mit ihrem Fortschrittsbericht „Informa- tionsgesellschaft Deutschland“ im März 2002 vorgelegt. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU, ich empfehle Ihnen die Lektüre dieses Berichts nachdrück- lich. Er gibt Antworten auf viele Einzelfragen, die Sie in Ihrer Großen Anfrage an die Bundesregierung gestellt ha- ben. Und – was weitaus wichtiger ist – er zeigt, dass die Bundesregierung auch für die Zukunft eine zielgerichtete Strategie für die Gestaltung der Informationsgesellschaft Deutschland hat. 70 Prozent der Bevölkerung im Netz bis 2005, Breit- band als dominierende Zugangstechnologie bis 2005, alle internetfähigen Dienstleistungen des Bundes online bis 2005 – das sind Zielmarken, die zeigen, dass die Bun- desregierung in ihren Bemühungen nicht nachlässt. Die deutsche Breitbandinitiative, das Förderprogramm „IT- Forschung 2006“, der Wettbewerb „Mobil Media“ zur Entwicklung mobiler Breitbanddienste sind Beispiele für neue Aktivitäten, die zeigen, dass wir am Ball bleiben. Auch in der kommenden Legislaturperiode werden wir gemeinsam mit der Wirtschaft, mit den Sozialpartnern, letztlich gemeinsam mit allen Bürgerinnen und Bürgern an der Informationsgesellschaft des 21. Jahrhunderts wei- terarbeiten. Ich bin sicher, dass wir dabei weiterhin ein hervorragendes Umfeld für die Entfaltung der digitalen Wirtschaft in Deutschland schaffen werden. Anlage 9 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und Bericht zu dem Antrag: Weißbuch der Kom- mission der Europäischen Gemeinschaften: Strategie für eine zukünftige Chemikalienpolitik (Tagesordnungspunkt 26) Carola Reimann (SPD): Wir freuen uns, dass auch die Union die Ziele der Europäischen Kommission für die Chemiepolitik, wie sie im Weißbuch „Strategie für eine künftige Chemikalienpolitik“ beschrieben ist, unterstützt. Das Weißbuch ist ein wichtiger Schritt und ein echter Fortschritt im Bereich der Chemikalienpolitik. Wegwei- send ist die grundsätzliche Umkehrung der Beweislast. Anders als früher sollen die Hersteller künftig die Unge- fährlichkeit ihrer Produkte nachweisen. Darüber hinaus sollen die Unternehmen auch für die Vorlage von Infor- mationen über die von ihnen in Zukunft produzierten Chemikalien verantwortlich sein. Positiv ist zudem, dass eine Risikobewertung auch für Stoffe vorgesehen ist, die bereits vor 1981 auf den Markt gekommen sind. Bislang sehen wir uns der unbefriedigenden Situation gegenüber, dass nur Stoffe, die nach 1981 neu auf den Markt gebracht wurden, einer Zulassung unterliegen, während alle Stoffe, – und das ist das Gros aller verwendeten Chemikalien –, deren Markteinführung vor 1981 erfolgt ist; niemals einer systematischen Bewertung im Hinblick auf ihre Risiken für Umwelt und Gesundheit von Verbraucherinnen und Verbrauchern unterzogen wurden. Das im Weißbuch vorgeschlagene REACH-System bietet eine realistische Perspektive, die enormen Daten- lücken und Bewertungsrückstände sowie Management- defizite bei Altstoffen zu beseitigen. REACH bedeutet: R für Registrierung, E für Evaluierung und A für Auto- risierung, also Zulassung von Chemikalien. REACH be- deutet vor allem eine Registrierung aller Substanzen in einer zentralen Datenbank, und zwar mit abgestufter Pri- orität. Chemikalien mit einer Jahresproduktion von über 1 000 Tonnen pro Jahr sollen bis Ende 2005 registriert werden. Ihrer Forderung, meine Damen und Herren von der Opposition, für diese Substanzen eine kurzfristige Regelung zur Registrierung und Evaluierung zu finden, ist damit längst Genüge getan. Substanzen mit einer Jah- resproduktion größer 100 Tonnen pro Jahr sollen bis Ende 2008 registriert werden. Auch weitere Forderungen sind in Vorbereitung der Rechtssetzung durch die Kommission längst erledigt. Die Einführung des REACH-Systems bedeutet, beson- ders gefährliche Substanzen prioritär einer Zulassung zu unterziehen. Dies betrifft voraussichtlich etwa 1 400 Sub- stanzen. Diese als CMR-Stoffe bezeichneten Substanzen sind die Gefährlichen unter den Gefährlichen. CMR heißt: C gleich carzinogen, M gleich mutagen und R gleich re- produktionstoxisch, also mit Auswirkung auf die Fort- pflanzung. Dazu gehören auch die POP-Substanzen (Persistant Organic Pollutants), das sind persistierende or- ganische Schadstoffe. Die Gefährlichkeit dieser persis- tierenden Substanzen besteht in ihrer Langzeitstabilität und in ihrer Tendenz, sich im Fettgewebe anzureichern. Ein markanter Vertreter diese Stoffgruppe ist natürlich DDT. Die Union möchte dazu in ihrem Antrag unbürokra- tische Alternativen entwickelt und installiert sehen. Eine Meinung, die nicht mal mehr von der betroffenen Indus- trie vertreten wird. Bürokratieabbau kann man aber nicht um jeden Preis betreiben. Bei diesen Substanzen muss der Schutz der Gesundheit der Verbraucherinnen und Ver- braucher im Vordergrund stehen. Verbraucherschutz ist übrigens ein Begriff, der im Antrag der Union gar nicht vorkommt. Ihr Antrag geht vor allem auf wirtschaftspolitische Aspekte ein. Natürlich ist das wichtig. Wir reden ja im- merhin von 36 000 kleinen und mittelständischen Unter- nehmen, wir reden also von einer Schlüsselbranche. Diese befindet sich in einem harten internationalen Wettbewerb. Gerade für diese internationale Wettbewerbsfähigkeit ge- genüber den USA und Japan sind Innovationen im Be- reich neuer Stoffe, neuer Verfahren und neuer Produkte von wesentlicher Bedeutung. Die Bundesregierung sieht im Weißbuch eine gute Grundlage, umwelt- und wirt- schaftspolitische Ziele zusammenzuführen und weitere Anreize für Innovationen zu bieten. Die nationalen Ge- setzgebungen im Bereich Umweltschutz haben in der Ver- gangenheit im Bereich des Maschinenbaus Innovationen, Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 249. Sitzung. Berlin, Freitag, den 5. Juli 2002 25385 (C) (D) (A) (B) Verfahren und Produkte entstehen lassen, die heute welt- weit exportiert werden. Der Bundeskanzler hat sich im März dieses Jahres in seiner Regierungserklärung zu den Ergebnissen des Europäischen Rates von Barcelona klar geäußert. Ich zitiere: „Allein in der chemischen Industrie arbeiten mehr als 64000 Personen im Bereich Forschung und Entwicklung. Die mit der deutschen Industrie verbun- denen ökonomischen Kräfte gilt es auch künftig zu sichern. Angesichts dieser Zahlen ist doch klar, dass Deutschland in besonderer Weise daran interessiert ist, dass Belange der In- dustrie und insbesondere der dort Beschäftigten in euro- päischen Vorhaben angemessen berücksichtigt werden.“ Angesichts dieser Worte ist doch klar, dass die Regie- rung keiner Aufforderung durch die Opposition bedarf, sich für die Interessen der deutschen chemischen Indus- trie einzusetzen. Die Union möchte mit ihrem Antrag zum Weißbuch kleine und mittelständische Unternehmen vor zu hohen Kosten bei den Zulassungsverfahren schützen. Diese Un- ternehmen wollen Sie vor einer unverhältnismäßigen Be- lastung bewahren, damit ihnen daraus keine Wettbewerbs- nachteile gegenüber den Großen erwachsen. Das ist in der Tat ein ehrenwertes Anliegen und ich kann Ihnen nur bei- pflichten. Aber es ist nicht gerade neu, denn schon im Frühjahr letzten Jahres haben wir alles das problematisiert. Ihren Antrag anzunehmen, liebe Kolleginnen und Kol- legen von der Union, hieße deshalb, auf dem Weg, den wir bereits ein gutes Stück vorangekommen sind, wieder zurückzustolpern. Der Ausschuss für Umwelt, Natur- schutz und Reaktorsicherheit ist daher folgerichtig mehr- heitlich zur Auffassung gelangt, Ihren Antrag abzulehnen. Marie-Luise Dött (CDU/CSU): Die Chemie muss stimmen. Wenn ich das sage, meine ich nicht nur das wirt- schaftliche Wohlergehen der Chemieunternehmen bei der Neuordnung der Chemikalienpolitik, sondern die Schaf- fung eines sinnvollen Ausgleichs zwischen Ökonomie und Ökologie, Arbeitsschutz und Verbraucheraspekten. Das Weißbuch der Kommission ist ein Schritt in die richtige Richtung. Denn das völlig unübersichtlich ge- wordene deutsche Chemikalienrecht wird gestrafft und entzerrt. Durch das Gleichsetzen von Neu- und Altstoffen wird das Datendefizit bei der Bewertung von Altstoffen abgebaut. Folge ist eine erhöhte Transparenz für Unter- nehmer und Bürger von der fraglos auch Forschung und Entwicklung profitieren werden. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion sieht im Rahmen dieser Neuerungen die Möglichkeit, bürokratische Hemm- nisse zu beseitigen und die deutsche Chemiewirtschaft auf dem Weltmarkt voranzubringen. Das funktioniert aber nur, wenn erstens gangbare Lösungen für den Mittelstand gefunden werden und zwei- tens die Novelle praxisgerecht umgesetzt wird und so in- ternationale Wettbewerbsverzerrungen vermieden wer- den. Zum ersten Punkt: Es müssen vertretbare Lösungen für die mittelständischen Unternehmen gefunden werden. Denn die deutsche Chemie ist in weitem Umfang mittel- ständisch strukturiert. Von den Neuerungen besonders betroffen ist der natio- nale Chemikalienhandel. Denn genauso wie die Herstel- ler sind die Händler zur Registrierung der Stoffe nach dem REACH-System verpflichtet. Das bedeutet, dass sie um- fangreiche Informationen über die Sicherheit der impor- tierten Chemikalien zur Verfügung zu stellen haben. Handelt es sich bei dem Hersteller um ein in der EU an- sässiges Unternehmen, so hat der Importeur nichts zu be- fürchten, denn er bekommt die erforderlichen Daten von seinem Zulieferer. Importiert der Händler die Chemikalie aber von einem Nicht-EU-Produzenten, so muss er im Zweifel selbst das Dossier erstellen. Vor allem wenn dem Hersteller der europäische Markt zu unbedeutend ist, wird er eher auf Lieferungen in die Europäische Union ver- zichten als eine finanziell aufwendige Datensammlung anzufertigen. Dem Importeur fällt es aber ungleich schwerer, die notwendigen Daten zusammenzustellen, da er weder den Produktionsablauf noch die Zusammenset- zung der Stoffe kennt. Gerade bei kleineren importierten Mengen lohnt sich dieser Aufwand nicht. Damit nicht ei- nige kleinere Importunternehmen hierdurch zum Aufge- ben gezwungen sind, ist die Gleichbehandlung von EU- und Nicht-EU-Produzenten im folgenden Gesetzge- bungsverfahren vermehrt zu diskutieren. Glücklicher- weise hat der Rat der Europäischen Union die Schwierig- keit erkannt und die Kommission zu einer Klärung aufgefordert. Die mittelständische Problematik erschöpft sich aber nicht nur in der Situation der Importeure, sondern greift auch auf die gewerblichen Endverbraucher durch. Es geht mir um den viel diskutierten Punkt der „down- stream-user“ – nachgeschalteten Anwender. Hinter die- sem Pseudonym verbirgt sich nämlich nichts anderes als der Schuster, Lackierer oder Metallbauer. All diese mit- telständischen ver- und bearbeitenden Gewerbe kommen ohne den Einsatz von Chemikalien nicht aus. Nach dem Willen des Weißbuches sollen diese Be- triebe, genau wie die Hersteller, fair die Bewertung der Chemikalien Informationen über Anwendungsszenarien und Verwendungszwecke zur Verfügung stellen. Das Sam- meln und Aufarbeiten der Daten bedeutet für die Betriebe erheblich mehr Bürokratie. Es handelt sich also um einen Kostenfaktor, den der durch die rot-grüne Politik eh schon schwer gebeutelte Mittelstand alleine nicht zu tragen ver- mag. Ich erinnere an dieser Stelle nur an das 630-Mark- Gesetz, das Betriebsverfassungsgesetz und die Ökosteuer. Auch praktisch wird es kleineren Unternehmen schwer fallen, den Anforderungen nachzukommen, denn sie ver- fügen nicht über den Personalbestand größerer Firmen und können keine Routine bei der Berichterstattung ent- wickeln. Hilfreich wäre deswegen eine Institution zur Beratung von kleinen und mittleren Unternehmen beim Chemika- lienmanagement, die die Betriebe direkt beim Registrieren und Evaluieren der Daten begleiten. Sollte diese Aufgabe vollumfänglich von den Verbänden und Kammern wahr- genommen werden können – was ich nicht glaube –, so ist zumindest eine finanzielle Unterstützung notwendig. Wenn der Rat der Europäischen Union Ende diesen Jahres einen Gesetzesvorschlag vorlegt, ist also ganz ge- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 249. Sitzung. Berlin, Freitag, den 5. Juli 200225386 (C) (D) (A) (B) nau darauf zu achten, dass diese für den Mittelstand exis- tenziellen Punkte berücksichtigt werden. Zum zweiten erwähnten Punkt: Insgesamt muss das im Weißbuch vorgesehene System pragmatisch, praxisgerecht und kosteneffizient ausgestaltet werden. Das hat die CDU/CSU-Fraktion bereits in Ihrem Antrag – Bundestags- drucksache 14/8029 – vom Januar dieses Jahres klargestellt. Zu den notwendigen Schritten gehört deswegen auch, dass die Daten, die die deutsche Chemie bereits auf freiwilliger Basis gesammelt hat, in das neue System einfließen. Das System der Bereitstellung von Informationen darf jedoch nicht zu offen gestaltet werden. Es ist darauf zu achten, dass die Eigentumsrechte an den Prüfdaten ge- wahrt werden und die Unternehmer vor Wettbewerbern geschützt werden. Konkurrenten, die den gleichen Stoff vermarkten wollen, dürfen nicht einfach auf die Daten an- derer Unternehmer zurückgreifen können, um sich das aufwendige Prüfverfahren zu sparen. Auch hier muss die Chemie stimmen. Das heißt, es muss ein Ausgleich zwischen dem Informationsbedürfnis der Verbraucher und dem Schutzbedürfnis der Hersteller an vertraulichen Informationen stattfinden. Die von der CDU/CSU angestrebte praxisgerechte Ausgestaltung des neuen Systems erfordert auch, dass Wettbewerbsnachteile auf dem internationalen Markt ver- mieden werden. Hier sehe ich ein Problem bei der Zulas- sungspflicht für sehr gefährliche Stoffe. Mir ist bewusst, dass vor allem gefährliche Stoffe, wie Krebs erregende und erbgutverändernde Substanzen, einer besonderen Be- handlung bedürfen. Das im Weißbuch vorgeschlagene strenge Zulassungsverfahren ist jedoch sehr zeitintensiv. Die daraus resultierende verspätete Produkteinführung führt nicht nur zu Imageverlusten, sondern auch zu finan- ziellen Nachteilen durch entgangene Renditen. Es sollte nicht riskiert werden, dass die europäische Produktion im- mer einen Schritt langsamer ist als der Weltmarkt. Des- halb plädiert die CDU/CSU-Fraktion in diesem Punkt für eine unbürokratische Alternative. In seiner Abstimmung vom November letzten Jahres hat das Europäische Parlament bereits einige Änderungen zum Weißbuch beschlossen. Dazu gehört auch die Anwendung des Substitutionsprinzips. Danach müssen bestimmte ge- fährliche Produkte durch andere Stoffe ersetzt werden. Bei der Umsetzung dieses Prinzips ist darauf zu achten, dass das Substitut ungefährlicher ist als der zu ersetzende Stoff. Denn sonst kann es passieren, dass ein risikoreicher Stoff durch einen anderen möglicherweise noch gefährli- cheren ersetzt wird. Es reicht nämlich nicht, nur auf be- stimmte gefährliche Eigenschaften abzustellen. Vielmehr muss ein Vergleich der beiden Stoffe über den gesamten Lebensweg erfolgen. Wie sie sehen, besteht also an dem insgesamt als posi- tiv zu bewertenden Weißbuch noch viel Handlungs- und Diskussionsbedarf. Der Gang der europäischen Gesetz- gebung muss daher aktiv von deutscher Seite begleitet werden! Winfried Hermann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir verhandeln heute das zweite Mal über einen Antrag der CDU/CSU, der – mit Verlaub – so viel nicht hergibt. Denn er kam zu spät und er ist überholt. Darum will ich auch nicht mehr viele Worte machen zu dem Antrag, zu dem das meiste schon bei der ersten Debatte und im Um- weltausschuss gesagt wurde. Es geht darin um das Weißbuch Chemikalienpolitik der Europäischen Kommission. Und darum geht es mir viel mehr. Eigentlich sind wir uns quer durch alle Fraktionen darüber einig, dass die Initiative der Europäischen Kom- mission mit dem Weißbuch Chemikalienpolitik unbedingt zu begrüßen ist. Das Weißbuch ist ein mutiger Schritt hin zu einer Chemiepolitik, die dem Vorsorgeprinzip ver- pflichtet ist. Es zeigt den Weg in Richtung einer nachhal- tigen Chemiepolitik. Denn eines ist sicher: Die bis heute übliche chemische Produktion ist alles andere als nachhaltig. So finden sich heute gefährliche Stoffe im entlegensten Winkel der Welt wieder. Hohe Schadstoffkonzentrationen in Eisbären oder Steinadlern sind heute keine Seltenheit. Immer größere Mengen an gefährlichen Chemikalien überwin- den weite Strecken (Ozeane und Gebirge), reichern sich in Organismen an und gelangen über die Nahrungskette zu den Verbrauchern. Es sind chemische Stoffe mit ge- fährlichen Eigenschaften: Sie sind langlebig, also schwer abbaubar, sie sind erbgutschädigend oder gar fortpflan- zungshemmend. Es war also hohe Zeit, dem weitgehend unkontrollier- ten Umgang mit schätzungsweise 100 000 Chemikalien in der Europäischen Union einen einheitlichen Ordnungs- rahmen zu setzen; Chemikalien, die selten oder niemals einer systematischen Bewertung unterzogen worden sind; Chemikalien, von denen heute niemand genau sagen kann, wie gefährlich sie tatsächlich für die Gesundheit der Verbraucher und für die Umwelt sind. Mit dem REACH-System (Registration: Registrie- rung, Evaluation: Bewertung, Authorisation: Zulassung of Chemicals) wurde im Weißbuch ein Zulassungsverfah- ren für gefährliche Stoffe vorgeschlagen, das ein wirksa- mes und effizientes Management von Chemikalien ermöglicht. Wir begrüßen diesen Vorschlag. Und vorder- gründig hat die Union das auch getan. In Ihrem Antrag wollen sie hingegen „zu dem (von der Kommission) vor- geschlagenen Zulassungsverfahren für besonders gefähr- liche Stoffe (POPs und CMR-Stoffe) unbürokratische Alternativen“ entwickeln. Sie wollen einen unbürokrati- schen Umgang gerade mit jenen circa 1 400 Stoffen, die als besonders gefährlich eingestuft werden. Die CMR-Stoffe gelten als kanzerogen, also Krebs er- regend, als mutagen, das heißt sie verändern die Erbsub- stanz und sie sind reproduktionstoxisch. Hinzu kommen die so genannten POPs (Persistent Organic Pollutants) – auch als „dreckiges Dutzend“ bekannt – die als beson- ders giftige Stoffe mit der „POP-Konvention“ weltweit verboten sind. Die Bundesregierung hat als einer der ers- ten Staaten das Übereinkommen von Stockholm ratifi- ziert. Das war ein wichtiger Schritt. Bei hoch gefährlichen Stoffen ist wirtschaftsliberale Lässigkeit völlig unangemessen. Denn wir brauchen im Interesse der Menschen und der Umwelt wirksame Ver- fahren zum Schutz vor diesen Stoffen. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 249. Sitzung. Berlin, Freitag, den 5. Juli 2002 25387 (C) (D) (A) (B) Ihnen, liebe Kollegen von der CDU/CSU, geht es aber in aller erster Linie um die Interessen der Wirtschaft: Be- lange des Gesundheits- und Umweltschutzes oder des Verbraucherschutzes kommen in Ihrem Antrag so gut wie gar nicht vor. Wir lehnen Ihren Antrag ab, weil er einsei- tig an wirtschaftlichen Interessen orientiert ist. Für eine Volkspartei ist das eine Schande. Sie sorgen sich zuerst um die Wettbewerbschancen der chemischen Großindus- trie und mittelständischer Unternehmen und wollen die- sen bürokratische Verfahren ersparen. Wir wollen dieses Anliegen nicht kleinreden. Interessen am Erhalt von Unter- nehmen und Arbeitsplätzen sind legitim, wir stellen sie nicht in Abrede. Aber weder das Weißbuch noch andere Umwelt- gesetze gefährden Arbeitsplätze. Vielmehr hat die chemi- sche Industrie ein Problem mit dem Umverteilen: Während sie seit 1980 ihren Umsatz auf 190 Milliarden DM fast verdoppeln konnte, sind in der Chemieindustrie im Ver- gleich zu den 590 000 vor der Wende gerade einmal 470 000 beschäftigt. Und das alles ohne Weißbuch. Jahrelang hat die Chemische Industrie bzw. ihr Ver- band, der VCI, das Gespenst vom „Ende des Chemie- standortes Deutschland“ an die Wand gemalt, um um- weltpolitische Forderungen abzuwehren. Doch die Chemische Industrie hat sich als lernfähig erwiesen. In ihrer gemeinsam mit der Bundesregierung und der IG BCE formulierten Stellungnahme zum Weißbuch im März diesen Jahres hat sie die Schaffung eines einheitli- chen Ordnungsrahmens für Chemikalien begrüßt. Viel- leicht war dies von der (späten) Einsicht getragen, dass man im Zeichen der Nachhaltigkeit im 21. Jahrhundert einen anderen Umgang mit Chemikalien und Gefah- renstoffen festschreiben muss. Oder aber es kam daher, weil man einsah, dass eine EU-Richtlinie ohnehin nicht mehr abzuwenden ist und letztlich von verantwortungs- vollen Managern als absolut sinnvolle Strategie angese- hen wird. Der um die Industrie so bedachte CDU/CSU-Antrag hat sich damit in der Sache eigentlich erledigt. Es ist viel- leicht eine Frage wert, warum Sie – meine Damen und Herren von der Union – einen Antrag aufrechterhalten, der hinter die Position der Chemieindustrie zurückfällt? – Es ist Wahlkampf und es steht zu vermuten, dass Sie sich hier als industriefreundlich profilieren wollten. Mit dieser einseitigen Interessenpolitik ist die Union alles andere als zukunftsfähig. Wir von Bündnis 90/Die Grünen stehen für eine vor- sorgeorientierte und damit zukunftsfähige Politik. Das gilt auch für die Chemische Industrie, die sich selbst das anspruchsvolle Motto „Responsible Care“ gegeben hat. Wenn wir von nachhaltiger Chemiepolitik sprechen, dann meinen wir auch soziale und ökonomische Nachhal- tigkeit, aber selbstverständlich auch ökologische Nach- haltigkeit. Dies heißt konkret: Schutz der Verbraucher, der Umwelt, Berücksichtigung der Interessen der Beschäftig- ten in der Chemieindustrie und Sicherung einer ökono- misch starken und nachhaltig gestalteten Chemieindus- trie. Nur eine nachhaltige Chemieindustrie hat Zukunft. In der kommenden Legislaturperiode stehen wir vor großen Herausforderungen. Die Umsetzung des Weiß- buchs und damit die Gestaltung einer nachhaltigen Che- mikalienpolitik ist eines unserer zentralen Projekte im Verbraucherschutz und Umweltschutz. Zweifellos spre- chen einige der Kritikpunkte des Antrags Probleme an, die erst noch gelöst werden müssen. Aber: Auf dem Weg zur Chemiewende stehen der dauerhafte Schutz von Mensch und Tier wie auch der Umwelt vor dem Ausbringen ge- fährlicher Stoffe im Zentrum. Mit dem Weißbuch liegt ein konkreter Fahrplan für die Prüfung von Stoffen vor. Wir erwarten im Sommer mit Spannung den Entwurf der EU-Kommission zu einer Richtlinie. Uns Grünen ist es wichtig, die bisher vorgesehenen Kriterien zur Einstufung von Stoffen noch zu erweitern. Wir werden deshalb bei der Formulierung der Richtlinie auf Verbesserungen drängen. Zum Beispiel halten wir es für unbedingt notwendig, bei der Zulassung weitere Kri- terien wie schwer abbaubar (persistent), in Organismen anreichernd (bio-akkumulativ) und umweltgefährlich zu berücksichtigen. Mit der Umsetzung der zu erwartenden Chemikalien- richtlinie heißt Nachhaltigkeit auch im Umgang mit Che- mikalien durchsetzen, das heißt Politik zum Schutz von Mensch und Umwelt zu gestalten. Dafür stehen wir von Bündnis 90/Die Grünen. Birgit Homburger (FDP): Die rechtlichen Rahmen- bedingungen, die für die Herstellung und Verwendung von Chemikalien in Deutschland und auf europäischer Ebene gelten, sind für einen wirksamen Schutz von Um- welt und Gesundheit von herausragender Bedeutung. Die Chemikalienpolitik muss für Mensch und Umwelt Si- cherheit im Umgang mit Chemikalien gewährleisten. Die FDP nimmt dieses Ziel sehr ernst. Es geht um eine wirk- same, praktikable und vernünftige Chemikaliengesetzge- bung. Erforderlich sind dazu möglichst effiziente und praktikable Regelungen, die auch die Wettbewerbsfähig- keit der deutschen Wirtschaft mit berücksichtigen. Der heute zur abschließenden Beratung vorliegende Antrag stimmt inhaltlich in seinen wesentlichen Punkten mit dem Antrag überein, den die FDP bereits ein Jahr zu- vor als erste Fraktion dem Deutschen Bundestag vorge- legt hat. Die FDPwird dem vorliegenden Antrag der Uni- onsfraktion zur Chemikalienpolitik zustimmen. Der vorliegende Antrag entspricht jedoch nicht nur inhaltlich weitgehend dem FDP-Antrag zu einer wirksamen und vernunftgeleiteten Chemikaliengesetzgebung. Es ist ab- sehbar, dass er auch das parlamentarische Schicksal sei- nes Vorgängers teilen wird. Die Mahnung der FDP, bei allem Aktionismus und rot- grüner Regulierungswut die wirtschaftliche Existenz auch der kleinen und mittelständischen Unternehmen in der deutschen Chemiewirtschaft nicht aus dem Auge zu verlie- ren, trifft bei der Bundesregierung immer nur auf spöttische Arroganz. Hochmütig hat Rot-Grün sowohl den FDP-An- trag als auch den Antrag der Unionsfraktion im Umwelt- ausschuss abgelehnt, ohne jedoch ein eigenes tragfähiges und verantwortungsbewusstes Konzept vorlegen zu kön- nen. Nachhaltige Verweigerung und ideologische Scheu- klappen sind das Markenzeichen rot-grüner Umweltpolitik. Diese Verweigerungshaltung der Bundesregierung ist unglaubwürdig und mehr als lächerlich. Auf der einen Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 249. Sitzung. Berlin, Freitag, den 5. Juli 200225388 (C) (D) (A) (B) Seite lehnen Umweltminister und rot-grüne Koalition die konstruktiven Vorschläge der FDP – und später auch der Union in Bausch und Bogen ab. Auf der anderen Seite wird die Angelegenheit zur Chefsache erklärt. Gemeinsam mit der Chemischen Industrie und der Chemiegewerkschaft hat der Kanzler eine gemeinsame Position zum Weißbuch der Europäischen Kommission formuliert, die den FDP- Forderungen in wesentlichen Teilen Rechnung trägt. Die FDP beglückwünscht Sie zu dieser Einsicht. Der politische Stil dieser Bundesregierung ist jedoch unerträglich. Für die Wählerinnen und Wähler hält Rot- Grün im Deutschen Bundestag Fensterreden. Dann folgt ein Kaffeekränzchen im Kanzleramt, bei dem Herr Schröder mit der Wirtschaft das Gegenteil verabredet. Re- den und politisches Handeln klaffen bei Rot-Grün weit auseinander. Die Verantwortung für Chemikalien im Sinne eines vernünftigen Sicherheitsmanagements muss weiter in ers- ter Linie bei den Herstellern, Weiterverarbeitern und An- wendern liegen. In Deutschland gelten strenge Vorschrif- ten für den umsichtigen Gebrauch von Chemikalien. Diese Standards müssen verpflichtend sein und bleiben; daran lässt die FDPkeinen Zweifel. Für die Sicherheit von Mensch und Natur entscheidend sind aber weniger die Stoffe als vielmehr deren sichere Anwendung. Diese ist entscheidend für eine sinnvolle Risikobewertung von Chemikalien. Auch eine noch so sorgfältige und vorsorg- liche Stoffbewertung kann Risiken also nicht völlig aus- schließen. Bei der Chemikaliensicherheit müssen alle Be- teiligten mit verantwortlichem Handeln angemessen in die Pflicht genommen werden. Der Schutz von Mensch und Umwelt vor gefährlichen Stoffen muss gewährleistet sein, ohne die Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Chemiewirtschaft unnötig zu beeinträchtigen. Eva Bulling-Schröter (PDS): Der Antrag der CDU/ CSU entspricht im Wesentlichen den Forderungen, die schon die FDP in einem früheren Antrag gestellt hat. An- gesichts dessen, dass die neuen Ansätze des EU-Weißbu- ches Chemikalienpolitik in vieler Hinsicht ein mehr an Vorsorge in Umwelt und Gesundheit bedeuten, ist dies nicht verwunderlich. Schließlich wird hier partiell in Wirtschaftsinteressen eingegriffen, die Union und FDP bekanntermaßen näher stehen als der Verbraucher- und Umweltschutz. Wie anders ist zu erklären, dass sich auch die Union ausgerechnet bei den Chemikalien, die als be- sonders gefährlich gelten, schwächere Regeln wünscht? Sie wollen ein Verfahren vom Tisch haben, welches diese Stoffe nicht einmal verbietet, sondern nur einer strengen Zulassungsrecht zuführt. Dabei ist in diesem Punkt das Weißbuch nicht einmal besonders konsequent. Die EU-Kommission schlägt vor, Krebs erregende, erb- gut- und fortpflanzungsschädigende Chemikalien einem Zulassungsverfahren zu unterwerfen. Eine Zulassungs- pflicht sollte aber auch für Chemikalien gelten, die schwer abbaubar sind, sich in der Nahrungskette anreichern kön- nen oder hormonelle Eigenschaften haben. Das Zulas- sungsverfahren sollte zum Ziel haben, dass solche Stoffe nicht mehr freigesetzt werden oder Konsumenten belasten. Es sind noch andere Punkte des EU-Weißbuchs kri- tikwürdig; die aber weder die Union, noch die Koalition aufgreifen: So fehlt ein konkretes Handlungsziel, etwa ein Termin, ab dem gefährliche Stoffe nicht mehr in die Um- welt gelangen dürfen. Die vorgeschlagenen Fristen für die Übermittlung von Daten über die Gefährlichkeit der 30 000 wichtigsten Chemikalien und für ihre Bewertung sollen sich bis über das Jahr 2018 erstrecken. Dies ist noch eine Generation – viel zu lang! Weiterhin sind Chemikalien, die sich in End- und Kon- sumentenprodukten wie Spielzeug befinden, und chemi- sche Stoffe, die außerhalb der EU bei der Herstellung von solchen Gebrauchsgegenständen verwendet werden, im Vorschlag der Kommission nicht ausreichend berücksich- tigt. Die Risikobewertung nach dem EU-Vorschlag sieht erst beim Nachweis von konkreten Schäden und Belas- tungen ein Handeln vor. Dies widerspricht dem Vorsorge- prinzip. Schon beim Verdacht auf Schäden wäre es not- wendig, vor entsprechenden Chemikalien zu schützen. Und analog zum Umweltaudit: Die Industrie darf nicht selbst die Bewertung zahlreicher von ihr produzierter Chemikalien durchführen, wie im Weißbuch vorgesehen. Diese muss durch die Behörden oder unabhängige Insti- tutionen erfolgen. Die Kommission sollte deshalb ein Konzept zur Finanzierung und Organisation dieser Arbei- ten erstellen. Anlage 10 Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung des Antrags: In der internationalen Krisenprävention und Konfliktbewältigung an- dere Prioritäten setzen (Tagesordnungspunkt 28) Dr. Andreas Schockenhoff (CDU/CSU):Der vorlie- gende Antrag der PDS steht ganz in der Reihe ihrer Ein- lassungen zu den Debatten über die Auslandseinsätze der Bundeswehr. Damit meine ich einerseits, dass der Antrag zumindest eine konsequente Haltung aufzeigt, anderer- seits ist aber nun zum wiederholten Male klar, dass eben diese Haltung ein geradezu absurdes Verständnis von Si- cherheitspolitik und von notwendigen Maßnahmen der internationalen Gemeinschaft zur Lösung schwerer und schwieriger Konflikte offenbart. Der beschreibende Teil des Antrags ist, wenn man es wohlwollend betrachtet und von den Analysen absieht, eine akademische Fleißarbeit. Er ist gut gemeint, aber eben nur gut gemeint. Sicherlich sind allgemein gültige Feststellungen richtig, wie: „Die Chancen zur erfolgrei- chen Konfliktlösung sind am größten, wenn auf Grund- lage einer soliden ständigen Konfliktanalyse frühzeitig gehandelt wird.“ Ein weiterer Allgemeinplatz aus diesem Antrag: „Zu einer zentralen Frage außenpolitischen Wir- kens müssen deshalb die Förderung eines gerechten In- teressenausgleiches, die Verbesserung der wirtschaftli- chen, sozialen, ökologischen und politischen Verhältnisse in den jeweiligen Ländern, die Beseitigung von Konfliktursa- chen und die Förderung von Mechanismen zur gewaltfreien Konfliktberatung werden.“ Wer würde dem widersprechen? Aber es sind eben nur Binsenweisheiten, Feststellungen, die jedem gefallen, die jeder gut und richtig findet, die aber Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 249. Sitzung. Berlin, Freitag, den 5. Juli 2002 25389 (C) (D) (A) (B) noch zu keinen Lösungen der Fragen führen, mit denen wir konfrontiert sind. Daneben ist diese akademische Arbeit auch in ihrem beschreibenden Teil oft unrichtig bzw. vergisst wichtige Maßnahmen der Konfliktprävention und Konfliktbewäl- tigung: Warum wird nicht das Konfliktverhütungszen- trum der OSZE diskutiert? Warum widmet sich die PDS nicht intensiver dem, was im Rahmen der ESVP zur zivi- len und militärischen Konfliktprävention aufgebaut wird? Die Antwort ist klar: Beides sind Mechanismen, die, wenn auch erst im Ansatz und noch nicht perfekt, wirken. Es sind Instrumente, die mühsam erarbeitet worden sind, um Konflikten im Ansatz zu begegnen und, vor allem was die ESVP betrifft, um Konflikte auch „europäisch“ regeln zu können. Natürlich sieht die PDS den Wert dieser Instru- mente nicht, möchte ihn nicht sehen, da er ihrer Grund- philosophie widerspricht. Stattdessen werden im Antrag Forderungen erhoben, die mit der gelebten Wirklichkeit nichts mehr zu tun ha- ben und die selbst von den Illusionen strammer Pazifisten abheben. Hat die PDS denn gar nichts dazugelernt? Ist denn immer noch nicht klar, dass kein Mensch ihr Glauben schenkt, wenn sie von „Kriegseinsätzen der Bundeswehr gegen andere Staaten“ spricht? Was soll die „Entmilitari- sierung und Zivilisierung“ der internationalen Beziehun- gen denn sein, angesichts der Herausforderungen, vor de- nen die „westliche“ Weit spätestens seit dem 11. September steht? Und: Redet denn selbst ein hartgesottener Kommu- nist heute noch ernsthaft von der Notwendigkeit der „Über- windung von Militärblöcken“? Nein, dieser Antrag der PDS ist genauso abwegig wie ihre grundsätzlich ableh- nende Haltung gegenüber Auslandseinsätzen der Bundes- wehr im Rahmen von friedenserhaltenden oder Frieden schaffenden Maßnahmen der Vereinten Nationen oder ge- genüber Koalitionen. Neben OSZE und ESVP, die ich be- reits erwähnt habe, verkennt die PDS auch die tatsächli- chen Leistungen der wirtschaftlichen Zusammenarbeit zur Krisenprävention und Konfliktbewältigung. Sie ver- kennt ebenso die grundsätzlichen Mechanismen und auch die Reformperspektiven der Vereinten Nationen. Vieles mehr könnte man an diesem Antrag kritisieren; ich will es bei dem Gesagten belassen. Wichtiger wäre es, angesichts der Herausforderungen vor denen Deutschland, Europa und die westliche Welt stehen, auch seitens der PDS, so wie es die Grünen gemacht haben: zuzugeben, dass man sich eben in seiner bisherigen Analyse geirrt hat, zuzugeben, dass Wehrhaftigkeit notwendig ist, um Freiheit zu erhalten, zuzugeben, dass auch mit militärischen Mit- teln, wenn auch als letztem Mittel, Frieden notfalls er- zwungen werden muss, um menschliches Leid zu lindern. Notwendig ist es, will man ernsthaft Krisenprävention und Konfliktbewältigung betreiben, vor allem den Rea- litäten ins Auge zu schauen. Sicherheit lässt sich eben nicht erträumen. Sicherheit wird es nur dort geben, wo Stabilität herrscht, und Stabilität ist heute eine umfas- sende Aufgabe. Sie beinhaltet einen verzahnten und inte- grierten Politikansatz. Krisenpräventive Maßnahmen, vor allem der Entwicklungshilfe und der Auswärtigen Kultur- politik, müssen ineinander greifen mit der Bereitschaft, konfliktbewältigend zu wirken, notfalls auch mit militäri- schen Mitteln. Es ist unser vitales Interesse, dass wir die Aufgaben, vor denen wir stehen, realistisch analysieren und die Mittel bereitstellen, diese Aufgaben gemeinsam mit unseren Partnern im Bündnis und der EU zu lösen. Die CDU/CSU wird gegen diesen Antrag stimmen. Anlage 11 Amtliche Mitteilung Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mit- geteilt, dass der Ausschuss gemäß §80 Abs. 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu der nach- stehenden Vorlage absieht: Auswärtiger Ausschuss – Unterrichtung durch die Delegation der Bundesrepublik Deutschland in der Parlamentarischen Versammlung des Europarates über die Tagung der Parlamentarischen Versammlung des Europarates vom 21. bis 25. Januar 2002 in Straß- burg – Drucksachen 14/8692, 14/8829 Nr. 1.11 – Finanzausschuss – Unterrichtung durch die Bundesregierung Nationaler Beschäftungspolitischer Aktionsplan der Bundesrepublik Deutschland 2002 – Drucksache 14/8715 – Haushaltsausschuss – Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht nach § 99 BHO über die Besteuerung der Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften mit Wertpapieren – Drucksachen 14/8863, 14/9133 Nr. 1.3 – Ausschuss fürWirtschaft und Technologie – Unterrichtung durch die Bundesregierung Einunddreißigster Rahmenplan der Gemeinschaftsauf- gabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruk- tur“ für den Zeitraum 2002 bis 2005 – Drucksachen 14/8463, 14/8829 Nr. 1.7 – – Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung über die Befassung des In- ternationalen Währungsfonds mit sektoralen Angele- genheiten im Rahmen seiner Kreditgewährung – Drucksachen 14/8742, 14/8829 Nr. 1.13 – Ausschuss für Kultur und Medien – Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und Tech- nikfolgenabschätzung (19. Ausschuss) gemäß § 56 der Geschäftsordnung Technikfolgenabschätzung hier: „Neue Medien und Kultur“ – Drucksache 14/8434 – Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mit- geteilt, daß der Ausschuss die nachstehenden EU-Vorla- gen bzw. Unterrichtungen durch das Europäische Parla- ment zur Kenntnis genommen oder von einer Beratung abgesehen hat. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 249. Sitzung. Berlin, Freitag, den 5. Juli 200225390 (C) (D) (A) (B) Auswärtiger Ausschuss Drucksache 14/9305 Nr. 1.10 Innenausschuss Drucksache 14/7129 Nr. 2.50 Drucksache 14/7409 Nr. 2.10 Drucksache 14/7522 Nr. 1.4 Drucksache 14/7708 Nr. 1.3 Drucksache 14/7708 Nr. 2.12 Drucksache 14/8081 Nr. 2.9 Drucksache 14/8428 Nr. 2.12 Drucksache 14/9137 Nr. 1.10 Finanzausschuss Drucksache 14/9137 Nr. 1.8 Drucksache 14/9305 Nr. 2.21 Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft Drucksache 14/9479 Nr. 2.23 Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Drucksache 14/8832 Nr. 2.2 Drucksache 14/9137 Nr. 1.14 Ausschuss für Gesundheit Drucksache 14/8562 Nr. 1.1 Drucksache 14/8562 Nr. 2.8 Drucksache 14/8832 Nr. 2.11 Drucksache 14/8940 Nr. 2.5 Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Drucksache 14/9305 Nr. 1.3 Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe Drucksache 14/9479 Nr. 1.4 Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Drucksache 14/9305 Nr. 1.9 Drucksache 14/9305 Nr. 1.13 Drucksache 14/9305 Nr. 2.24 Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Drucksache 14/9305 Nr. 1.7 Drucksache 14/9305 Nr. 2.6 Drucksache 14/9305 Nr. 2.7 Drucksache 14/9305 Nr. 2.22 Drucksache 14/9305 Nr. 2.34 Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Drucksache 14/9305 Nr. 1.1 Drucksache 14/9305 Nr. 1.8 Drucksache 14/9305 Nr. 1.11 Drucksache 14/9305 Nr. 2.3 Drucksache 14/9305 Nr. 2.14 Drucksache 14/9305 Nr. 2.28 Drucksache 14/9305 Nr. 2.29 Drucksache 14/9305 Nr. 2.35 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 249. Sitzung. Berlin, Freitag, den 5. Juli 2002 25391 (C)(A) Druck: MuK. Medien- und Kommunikations GmbH, Berlin
Gesamtes Protokol
Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1424900000
Guten Morgen, liebe
Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.

Heute feiert die Kollegin Anke Fuchs ihren 65. Ge-
burtstag. Herzlichen Glückwunsch!


(Beifall)

Da uns die Kollegin Fuchs mit dem Ende der Legisla-

turperiode verlässt, will ich schon jetzt die Gelegenheit
nehmen, ihr alles Gute für die nächsten 20, 30, 40 Jahre
zu wünschen.


(Beifall)

Der Ältestenrat hat vereinbart, dass am 12. und

13. September 2002 keine Befragung der Bundesregie-
rung, keine Fragestunden und keine Aktuellen Stunden
stattfinden. Sind Sie damit einverstanden? – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 7 a bis 7 f sowie Zu-
satzpunkt 10 auf:
7. a) Beratung des Schlussberichts der Enquete-Kom-

mission
Nachhaltige Energieversorgung unter den Be-
dingungen der Globalisierung und der Libera-
lisierung
– Drucksache 14/9400 –

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Kurt-
Dieter Grill, Dr. Peter Paziorek, Dr. Klaus W.
Lippold (Offenbach), weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der CDU/CSU
Bürger über nukleare Entsorgung umgehend
und kontinuierlich informieren
– Drucksache 14/5554 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen

c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss)


– zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Vorschlag für eine Richtlinie des Europä-
ischen Parlaments und des Rates über ein
System für den Handel mit Treibhausgas-
emissionsberechtigungen in derGemeinschaft
und zur Änderung der Richtlinie 96/61 EG
des Rates
KOM (2001) 581 endg.; Ratsdok. 14394/01

– zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Peter
Paziorek, Matthias Wissmann, Kurt-Dieter Grill,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
CDU/CSU
Kein Emissionszertifikatehandel zum Nach-
teil des Wirtschaftsstandortes Deutschland

– zu dem Antrag der Abgeordneten Birgit
Homburger, Marita Sehn, Ulrike Flach, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Kiotomechanismen für die internationale
Klimapolitik Deutschlands nutzen

– zu dem Antrag der Abgeordneten Birgit
Homburger, Marita Sehn, Ulrike Flach, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Kiotomechanismen für die nationale Klima-
politik Deutschlands nutzen

– zu dem Antrag der Abgeordneten Birgit
Homburger, Marita Sehn, Hildebrecht Braun

(Augsburg), weiterer Abgeordneter und der

Fraktion der FDP
Vereinbarkeit der Selbstverpflichtung der
deutschen Wirtschaft zur Klimavorsorge mit
den flexiblen Instrumenten des Kioto-Proto-
kolls sicherstellen

– Drucksachen 14/8179 Nr. 2.17, 14/8852,
14/7073, 14/7156, 14/8495, 14/9658
Berichterstattung:
Abgeordnete Monika Ganseforth
Dr. Paul Laufs
Dr. Reinhard Loske
Birgit Homburger
Eva Bulling-Schröter

25287


(C)



(D)



(A)



(B)


249. Sitzung

Berlin, Freitag, den 5. Juli 2002

Beginn: 9.00 Uhr

d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulrike
Flach, Dr. Werner Hoyer, Paul K. Friedhoff, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Halbierung der Erhaltungssubventionen für
die deutsche Steinkohle bis 2005 – Ende jeg-
licher Subventionierung der deutschen Stein-
kohle nach 2005 – 15,4 Milliarden DM für
Investitionen in die Zukunft Deutschlands ge-
winnen
– Drucksache 14/7082 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)

Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Haushaltsausschuss

e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Volker Jung

(Düsseldorf), Dr. Hans-Peter Bartels, Dr. Axel

Berg, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
SPD sowie der Abgeordneten Michaele Hustedt,
Hans-Josef Fell, Ulrike Höfken, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion des BÜNDNIS-
SES 90/DIE GRÜNEN
Strom kennzeichnen – Umwelt- und Verbrau-
cherschutz im Strommarkt stärken
– Drucksache 14/9670 –

f) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Wirtschaft und Technolo-
gie (9. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten
Walter Hirche, Rainer Brüderle, Paul K. Friedhoff,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Marktwirtschaftliche Orientierung statt staat-
licher Preislenkung im Stromsektor
– Drucksachen 14/8279, 14/9368 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Volker Jung (Düsseldorf)


ZP 10 Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Wirtschaft und Techno-
logie (9. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeord-
neten Rainer Brüderle, Paul K. Friedhoff, Gudrun
Kopp, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
FDP
Stromrechnung transparent gestalten
– Drucksachen 14/5465, 14/9724 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Kurt-Dieter Grill

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die
Aussprache eineinviertel Stunden vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen
Axel Berg, SPD-Fraktion, das Wort.


Dr. Axel Berg (SPD):
Rede ID: ID1424900100
Guten Morgen, Herr Präsident!
Guten Morgen, meine Damen und Herren! Beim Zwi-
schenbericht waren wir in unseren Positionen noch bei-
einander. Da gab es einen Konsens, und zwar darüber,

dass das gegenwärtige Energiesystem nicht nachhaltig ist.
Die Energieversorgung negiert die Umweltkosten, treibt
Raubbau an den knappen Ressourcen, missachtet Risiken
und schließt große Teile unserer Welt aus.

Eine der wichtigsten Botschaften unseres Schluss-
berichts ist, dass in Deutschland die Potenziale, ob wirt-
schaftlicher Art, ob technischer Art, riesig sind. Auch die
Zahl der praktischen und politischen Handlungsoptionen
in unserem Land ist sehr groß.

Wir haben in den letzten zweieinhalb Jahren drei Ziel-
szenarien erarbeitet. Bei allen war die Vorgabe, dass wir
bis in 50 Jahren zu einer Minderung der Treibhausgas-
emissionen um 80 Prozent kommen wollen. Wir kamen
zu dem Ergebnis: Dieses Ziel ist erreichbar. Es ist oh-
ne Kernenergie erreichbar. Wir gehen noch weiter: In
Deutschland ist sogar die Vollversorgung mit erneuerba-
ren Energien möglich. Die nachhaltige Energieversor-
gung mit erneuerbaren Energien und mit Effizienztech-
nologien ist technisch machbar, wirtschaftlich leistbar
und sogar vorteilhaft für den Industriestandort Deutsch-
land.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


Die Szenarien haben zunächst die externen Kosten nicht
berücksichtigt. Die nachträgliche Integration der externen
Kosten hat gezeigt, dass ein Atomszenario auch unter öko-
nomischem Gesichtspunkt nicht nachhaltig sein kann.

Angela Merkel verkündete letzte Woche auf dem Par-
teikongress der Union zur nachhaltigen Energiepolitik
– zur nachhaltigen Energiepolitik! – die weitere Nutzung
und nicht nur die Option der Kernenergie als Position der
Union. Dies kommentierte der Präsident des Umweltbun-
desamtes, Herr Professor Troge, wie folgt: Die geäußerten
Pläne seien bestenfalls auf dem Stand der frühen
80er-Jahre.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS – Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist das ganze Programm der CDU!)


Troge ist übrigens CDU-Mitglied. Ich halte also fest: Die
Union ist 20 Jahre hinterher; das sehen sogar die eigenen
Leute so.


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Im vorigen Jahrhundert!)


Wir haben in der Enquete-Kommission Entwicklungs-
pfade für eine nachhaltige Energieversorgung für das
Jahr 2050 untersucht. Die Union hat leider nichts Neues
entwickelt. Von ihr kommt ein Plädoyer für die Rückkehr
zur Atomenergie, zu Atomkraftwerken, so weit das Auge
reicht. Zunächst wollten Union und FDP rechnen lassen,
wie man mit Atomkraft den Ausstoß von Kohlendioxid
reduzieren kann. Unsere Institute haben festgestellt, dass
man dazu 50 bis 100 neue Atomkraftwerke in Deutsch-
land – nur dort; die Rede ist nicht von der Welt oder von
Europa – braucht. Sie wollen die Atomoption offen hal-
ten.




Präsident Wolfgang Thierse
25288


(C)



(D)



(A)



(B)


Wenn man Ihnen aber zeigt, was das bedeutet, dann
kneifen Sie. Sagen Sie uns doch, wohin wir die AKWs
stellen sollen!


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Die Menschen in Deutschland haben ein Recht darauf, zu
erfahren, wie weit sie vom nächsten Atomkraftwerk ent-
fernt wohnen. Wenn Ihre Vorstellungen Realität würden,
dann wäre für alle Bürger die Entfernung bis zum nächs-
ten Atomkraftwerk wahrscheinlich nicht größer als die bis
zur nächsten Autobahnausfahrt.

Sagen Sie uns bitte auch, wohin die Zwischenlager und
die Endlager sollen, Herr Hirche, Herr Grill! Wenn es da-
rum geht, Windkraftanlagen zu diskreditieren, dann sind
Sie und auch Ihre Parteifreunde Möllemann und Co. ganz
laut. Wenn es aber um die konkrete Bedeutung Ihrer Op-
tion geht, dann sind Sie still und feige obendrein. Egal ob
Sie sich jetzt das von Ihnen angeregte Enquete-Szenario
– eventuell auch nur mit 30 oder 50 Atomkraftwerken –
zu Eigen machen:


(Franz Obermeier [CDU/CSU]: Sie haben nichts verstanden! Drei Jahre umsonst!)


Mit der Umsetzung Ihres Konzepts wären wir in 50 Jahren
70 Jahre zurück. Aber das ist Ihr Problem. Wichtig ist die
Klarstellung für den Wähler, wohin die Reise in der Ener-
giepolitik geht. Ich sehe bei Ihnen keinen einzigen
Anhaltspunkt für eine wirklich nachhaltige Energiepolitik.

Zukunftsfähig ist Ihr ideologisches Festhalten an der
Atomenergie auch nicht.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Ihre Begründung für die Nutzung der Atomenergie setzt
immer wieder bei den Kosten an. Das finde ich wiederum
ganz witzig, weil Sie auf diese Weise das Ihren Überle-
gungen zugrunde liegende Primat der Ökonomie gegen-
über all den Risiken, die mit der Kernenergie verbunden
sind, praktisch dokumentieren, obwohl Sie doch selbst
immer wieder auf der Gleichrangigkeit der drei Säulen
Ökonomie, Ökologie und Soziales bestehen. Ein einziger
AKW-Unfall in Deutschland wäre mit Schadenssummen
in einer Größenordnung von 5 bis 6 Billionen Euro – das
entspricht dem Umfang von rund 25 Bundeshaushalten –
verbunden. Von dem unermesslichen Leid und von den
katastrophalen Folgen, zum Beispiel dass Teile unseres
Landes über Jahrhunderte nicht mehr bewohnbar wären,
will ich gar nicht reden.

Wer kommt im Schadensfall für diese Beträge auf? –
Wir alle, der Staat und nicht die Unternehmen, die jetzt
mit der Atomenergie Geld verdienen. Keine Versicherung
ist bereit, das atomare Risiko zu versichern. Wenn wir die
Versicherungen per Gesetz dazu zwängen, der Realität in
höherem Maße Rechnung zu tragen und das atomare Ri-
siko zu versichern, dann würden nicht einmal Sie noch
Atomstrom kaufen. Das nenne ich eine antichristliche
Energiepolitik.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die Bewahrung der Schöpfung gehört zum Christentum.

Doch selbst Ihr Atomszenario kostet den Verbraucher
in 50 Jahren ungefähr 20 bis 30 Euro im Jahr mehr. Das
entspricht dem, was unser Szenario für erneuerbare Ener-
gien und Effizienz vorsieht. Warum soll man also den ri-
sikoreichen Weg gehen? Sie suchen sich für Ihre Kosten-
argumentation ein Szenario heraus, das Sie mithilfe Ihrer
selbst gesetzten Annahmen billigrechnen. Das ist wissen-
schaftlich unseriös.


(Franz Obermeier [CDU/CSU]: Dann ist der Müller auch unseriös! Die Bundesregierung ist unseriös!)


Ähnlich verhält es sich übrigens mit den Kommentaren
in der Zusammenfassung. Ich wundere mich, dass Ihre
Wissenschaftler keine Angst davor haben, an Seriosität
einzubüßen. In der Zusammenfassung finden sich lauter
Dreizeiler.

In der Berechnung der Kosten der Szenarien wurden
die externen Kosten zunächst außen vor gelassen. Die
nachträgliche Integration der externen Kosten zeigt uns,
dass das Atomszenario auch unter ökonomischem Ge-
sichtspunkt nicht nachhaltig ist, weil es teurer als alle an-
deren ist.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Ihr Konzept steckt leider voller Widersprüche. Die
FDP hat sich, wie üblich, marktradikal gezeigt und befür-
wortet letztlich die Abschaffung jeglicher Energiepolitik.
Der Markt ist das goldene Kalb, um das Sie aber ohne uns
tanzen müssen.

Nun zu unserem Konzept. Wir müssen uns nicht ver-
stecken. Wir haben ein klares Ziel und kennen jetzt den
Weg. Wir stehen zu unserem Szenario einer Offensive für
erneuerbare Energien und für Effizienz auf allen Ebe-
nen. Wir sehen zur Antizipation des weltweit anstehenden
ökologischen Strukturwandels keine ökonomische und so-
ziale Alternative. Reines Risikomanagement reicht eben
nicht.

Wir alle sind hier, um Schaden von unserem Land ab-
zuwenden und seiner Wohlfahrt zu dienen.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Eine verantwortungsvoll gestaltete Politik tut Not. Sie ist
angesichts des Klimawandels und bereits stattfindender
Kriege um Öl und Gas unbedingt erforderlich. Der Pro-
zess zu einem zukunftsfähigen Energiesystem ist ökono-
misch umso erfolgreicher und er wird strukturell umso
friktionsloser ablaufen, je früher wir diesen Pfad ein-
schlagen. Wir haben dies gerade einmal vor lumpigen drei
Jahren getan und haben mit der Umsetzung richtig be-
gonnen. Bereits jetzt arbeiten mehr Menschen in der
Wind- und Sonnenenergieerzeugung als im gesamten fos-
sil-nuklearen Energiebereich zusammen. Das EEG und
das KWK-Gesetz haben auch internationale Maßstäbe ge-
setzt. Man schaut auf uns und man lernt von uns.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS – Franz Obermeier [CDU/CSU]: Mit 150 Millionen Euro subventioniert!)





Dr. Axel Berg

25289


(C)



(D)



(A)



(B)


An diesen Beispielen wird besonders deutlich, dass die
Union und die FDP aus lauter ideologischer Verbohrtheit
auf dem besten Wege sind, eine technologie- und indus-
triepolitisch gigantische Chance für die deutsche Wirt-
schaft zu verschlafen. Auf hoch effiziente Energiesysteme
und Technologien zur Nutzung erneuerbarer Energien
warten gewaltige Weltmärkte. Die Koalition hat in der
Enquete-Kommission Fantasie bewiesen.


(Walter Hirche [FDP]: Das ist unstreitig!)

– Aber wir sind keine Fantasten geworden, Herr Hirche.


(Franz Obermeier [CDU/CSU]: Sehr kreativ!)

Auch wir wissen, dass der Umbau unseres Systems nicht
von heute auf morgen geht, wahrscheinlich noch nicht
einmal in den nächsten 50 Jahren abgeschlossen sein
wird. Technologische Innovation ist die Stärke Deutsch-
lands. Wer, wenn nicht wir, hat eine so hervorragende For-
schungslandschaft, so gut ausgebildete Wissenschaftler
und so viele pfiffige Handwerker? Wer, wenn nicht wir,
wäre in der Lage, die gesteckten Ziele zu erreichen?


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Vielleicht doch noch ein Wort zur Arbeitsweise der
Kommission: Die Union und die FDP bewiesen sich ge-
radezu als beratungsunwillig oder sogar dialogunfähig.


(Walter Hirche [FDP]: Deswegen sind Sie zu den Sitzungen nicht gekommen, wenn wir Klausurtagungen gemacht haben! Zwölf SPDMitglieder und keiner kam!)


– Hören Sie mal gut zu, im Übrigen auch diejenigen, die
sich nicht für Energie interessieren: Das war vielleicht
gerade deswegen so, weil nur noch Verfahrensfragen dis-
kutiert wurden


(Walter Hirche [FDP]: Nein, wir hatten eine inhaltliche Diskussion!)


und es nicht mehr um Inhalte ging.

(Franz Obermeier [CDU/CSU]: Das wegen Ihnen!)

Auffällig ist ja auch, dass es in den anderen Enquete-
Kommissionen genauso lief. Da hat die Union eine ähn-
lich obstruktive Haltung eingenommen.


(Monika Ganseforth [SPD]: Aber nicht ganz so schlimm!)


– Es mag sein, dass es nicht ganz so schlimm war. –
Warum war es eigentlich so? Da müssten wir unseren Vor-
sitzenden, Herrn Grill, an der Nase packen, weil er immer
darauf geachtet hat, dass wir lange genug über Verfah-
rensfragen diskutieren. Ein guter Vorsitzender ist in mei-
nen Augen ein Moderator; Sie, Herr Grill, zeigten sich als
Agitator.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Sie legen jetzt ein 200-seitiges Minderheitsvotum
vor, an dem Ihre Leute seit Wochen geschrieben haben
müssen, während Sie uns noch showmastermäßig Ihr
Interesse am Konsens vorgegaukelt haben. Ihr Papier nen-

nen Sie auch noch Konzept; aber es genügt den An-
sprüchen von Nachhaltigkeit noch nicht einmal im An-
satz.

Insgesamt lässt das Verhalten der Opposition nur einen
Schluss zu: Union und FDP wollen keine wirklich nach-
haltige Energiewirtschaft. Die Qualität Ihrer Sondervoten
zeigt ja gerade, dass auch Ihre Wissenschaftler am unteren
Ende ihrer Möglichkeiten bleiben. Ich frage mich immer
wieder, ob das nicht peinlich für sie ist.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Da Enquete-Kommissionen nach dem Prinzip funktionie-
ren, dass der kleinste gemeinsame Nenner gesucht wird,
haben Sie dem Parlamentarismus mit Ihrer Taktik leider
einen Bärendienst erwiesen.

Ganz herzlich danken möchte ich den Abgeordneten,
den Kollegen, den Sachverständigen und allen Mitarbei-
tern des Sekretariats


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


sowie ganz besonders meinem Referenten Dieter Uh. Alle
haben nämlich in den letzten Wochen ganz enorme Arbeit
geleistet.

Die Politik der Nachhaltigkeit, auch im Energiesektor,
ist eine ökologische Notwendigkeit und eine ökonomi-
sche und soziale Chance für Deutschland. Der Endbericht
macht deutlich, dass die Koalition einen ganz konkreten
und wissenschaftlich untermauerten Entwicklungsweg
geht. Sie haben leider kein Konzept. Sie machen Business
as usual und wollen teilweise sogar zurück. Sie haben in-
sofern angesichts der der Kommission gestellten Aufgabe
versagt.

Am 22. September wird über die Zukunft der deutschen
Energiepolitik entschieden. Wir werden zwischen den Al-
ternativen „zurück ins Atomzeitalter“ oder „vorwärts ins
Effizienz- und Solarzeitalter“ zu entscheiden haben.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1424900200
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Peter Paziorek, CDU/CSU-Fraktion.


Dr. Peter Paziorek (CDU):
Rede ID: ID1424900300
Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! Heute behandeln wir nicht nur
die Ergebnisse der Enquete-Kommission, sondern auch
mehrere Anträge zur europäischen Klimapolitik. Mit dem
Richtlinienvorschlag zum Handeln mit Treibhausgas-
emissionsberechtigungen stehen die europäische und die
deutsche Klimapolitik vor einer gravierenden Richtungs-
entscheidung. Die Folgewirkung der Einführung dieses
Handels mit Emissionsrechten auf den Wirtschaftsstand-
ort Deutschland dürfen nicht unterschätzt werden. Wird
nämlich der Richtlinienvorschlag nach diesem Entwurf
umgesetzt, bleibt für nationale Entscheidungen im Inte-
resse der deutschen Wirtschaft kein ausreichender Spiel-
raum.




Dr. Axel Berg
25290


(C)



(D)



(A)



(B)


Am 8. und 9. Juli werden im Europäischen Parlament
die ersten Abstimmungen erfolgen. Es war somit unver-
antwortlich, dass die rot-grüne Mehrheit die Beratungen
zu diesem Thema im Umweltausschuss seit Wochen ver-
zögert hat, nur weil man sich bei Rot-Grün dazu nicht
einig war. Damit sind wichtige Wochen verloren gegan-
gen, in denen man aus deutscher Sicht hätte Einfluss auf
Brüssel nehmen können.


(Beifall bei der CDU/CSU – Kurt-Dieter Grill [CDU/CSU]: Aber Herr Berg hat doch gerade vorgetragen, dass sie alles besser wissen!)


Dass Sie sich als Regierungskoalition nicht einigen
konnten, erstaunt auch deshalb sehr, weil nach den Er-
kenntnissen Ihrer eigenen Regierungsarbeitsgruppe
„Emissionshandel zur Bekämpfung des Treibhausgasef-
fektes“ der von der Europäischen Union vorgesehene
Emissionshandel mit dem in Deutschland vorhandenen
Energieträgermix und den bestehenden Klimaschutzrege-
lungen, zum Beispiel der Selbstverpflichtungserklärung
der deutschen Wirtschaft, nicht vereinbar ist. Damit, dass
Sie in Ihrem Entschließungsantrag zum Beispiel nicht die
Bedenken dieser Regierungsarbeitsgruppe aufgegriffen
haben, zeigen Sie nur, dass Sie sich von dem Grundsatz
verabschiedet haben,


(Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Das stimmt nicht! Das ist falsch!)


dass umweltpolitisch richtige Ziele – das sagen wir aus-
drücklich – nur mit wirtschaftspolitisch sinnvollen Instru-
menten erreicht werden dürfen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Wer diesen Grundsatz nicht befolgt, verstößt auch ge-

gen den Grundsatz der Nachhaltigkeit,

(Walter Hirche [FDP]: So ist es!)


wonach Kosten und Nutzen immer in einem angemesse-
nen Verhältnis stehen müssen.

Somit ist es einfach ein Treppenwitz, wenn Sie in
Ihrem Antrag, den Sie ja auch verabschiedet haben,
schreiben – ich zitiere mit Erlaubnis des Präsidenten –:

Der Richtlinienentwurf der Kommission ist der Ver-
such, zu einer fairen Lastenverteilung zu kommen.

Ich will in diesem Zusammenhang gar nicht den BDI
zitieren; sonst gehen Sie sofort wieder emotional hoch.
Stattdessen zitiere ich aus einer Stellungnahme der Indus-
triegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie, IG BCE,
zu diesem Richtlinienentwurf:

Die institutionellen Details für einen funktionsfähi-
gen Zertifikatehandel auf Unternehmensebene ...
werfen derart viele Probleme auf, dass dem Klima-
schutz nicht gedient wird, stattdessen zusätzliche
bürokratische Kosten entstehen und im Ergebnis
Brennstoffeinsatz und Produktion in den energiein-
tensiven Unternehmen durch die staatlichen Planer
gesteuert werden. Produktionsverlagerungen außer-
halb der Europäischen Union werden die Folge sein.
Der vermeintlich marktwirtschaftliche Koordinati-
onsmechanismus „Handel“ erweist sich unter diesen

konkreten Ausgestaltungsbedingungen der EU-Richt-
linien als Hemmnis sowohl für Klimaschutz und
Markt.

Das ist die Haltung der IG BCE. Sie als Sozialdemo-
kraten aber sprechen bei diesem Richtlinienentwurf von
einem fairen Lastenausgleich. Sie müssen einem Arbeit-
nehmer in Deutschland erst einmal erklären, dass Sie es
für umweltgerechter halten, einen Arbeitsplatz in
Deutschland abzubauen und in Osteuropa wieder aufzu-
bauen. Das könnte nämlich die Konsequenz aus Ihrem
Vorschlag sein und das hat mit Umweltpolitik überhaupt
nichts zu tun.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1424900400
Kollege Paziorek, ge-
statten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Müller?


Dr. Peter Paziorek (CDU):
Rede ID: ID1424900500
Gerne.


Michael Müller (SPD):
Rede ID: ID1424900600
Herr Paziorek,
sowohl in unserem Schlussbericht als auch in Ihrem Son-
dervotum steht, dass das Instrument des Emissionshan-
dels als solches grundsätzlich begrüßt wird.


(Walter Hirche [FDP]: Das ist ja richtig!)

Wo ist denn da der große Unterschied zwischen uns?


Dr. Peter Paziorek (CDU):
Rede ID: ID1424900700
Sie geben mir durch
Ihre Frage die Chance, meine Redezeit zu verlängern. Ich
sage ganz klar und deutlich: Der Emissionshandel ist ein
geeignetes Instrument


(Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Aha!)

und wir als Union haben immer wieder deutlich erklärt,
dass wir nicht auf Ordnungsrecht setzen, sondern auf
Emissionshandel.


(Beifall der Abg. Monika Ganseforth [SPD])

Der entscheidende Ansatz ist: Der Emissionshandel, so
wie er von der Europäischen Union vorgeschlagen wird,
ist kein Emissionshandel im Sinne der deutschen Klima-
schutzpolitik und der deutschen Wirtschaft.


(Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Das sehen wir doch auch!)


Sie müssen das endlich einmal klar und deutlich sagen. Es
gibt doch keine abgestimmte Meinung der rot-grünen Re-
gierungskoalition zu diesem Thema. Davon wollen Sie
ablenken; aber Sie müssen diese Zielrichtung gegenüber
Brüssel vertreten.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Herr Paziorek, Sie können nicht lesen!)


Noch ein Stichwort zum Lastenausgleich. Europa hat
von Ausnahmen abgesehen seine Klimaschutzhausaufga-
ben noch immer nicht gemacht. In vielen Ländern stagniert
der Rückgang des CO2-Ausstoßes; in manchen Ländernnimmt der CO2-Ausstoß sogar wieder zu. Deutschland war




Dr. Peter Paziorek

25291


(C)



(D)



(A)



(B)


bis 1998 auf einem erfolgreichen Kurs und hat bei den
CO2-Emissionen gegenüber 1990 eine Reduktion um über15 Prozent erreicht.

Sie haben in den letzten Jahren Resultate erzielt, die im
Vergleich zu den Ergebnissen der Zeit vorher leider nur
als dürftig bezeichnet werden können. Wenn die wirt-
schaftliche Entwicklung in der letzten Zeit nicht so nega-
tiv gewesen wäre, hätten Sie selbst diese Reduktionszah-
len nicht erreicht.

Vor diesem Hintergrund eines Stillstandes der Klima-
schutzpolitik erscheint die Idee eines Handels mit Emis-
sionsrechten auf den ersten Blick einfach und bestechend.
Aber bei diesem Richtlinienentwurf auf europäischer
Ebene sind viele Fragen hinsichtlich der verträglichen
Realisierbarkeit des Emissionshandels offen geblieben.


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Nun machen Sie doch mal einen Vorschlag!)


Wir sehen tatsächlich auch Chancen, die mit dem
Emissionshandel verbunden sind.


(Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Also! Popanz!)


Aber wir sagen deutlich: Wir lehnen den Richtlinienent-
wurf erstens ab, weil er nicht kompatibel mit der Selbst-
verpflichtungserklärung der deutschen Wirtschaft ist.


(Monika Ganseforth [SPD]: Das ist nicht wahr! Er ist kompatibel!)


Wir lehnen den Richtlinienentwurf zweitens ab, weil er
Anreiz zu Produktionsverlagerungen gibt. Wir lehnen den
Richtlinienentwurf drittens ab, weil er keine Verbindung
zu anderen flexiblen Instrumenten der Klimaschutzpolitik
wie Clean-Development-Mechanismen und Joint Imple-
mentation herstellt, die mithelfen, Klimaschutzpolitik in
Südostasien, in Entwicklungsländern zu leisten. Das sind
drei zentrale Punkte der Kritik an diesem europäischen
Richtlinienentwurf. Deshalb lehnen wir ihn ab.


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Total falsch!)


Er enthält konzeptionelle Fehler, die man nicht akzeptie-
ren kann.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Aus unserer Sicht muss ein Richtlinienentwurf zum

Emissionshandel folgende Punkte berücksichtigen:
Erstens. Er muss kompatibel mit den übrigen deut-

schen Klimaschutzinstrumenten, zum Beispiel der
Selbstverpflichtungserklärung, sein.


(Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Das steht doch drin! – Ulrich Kasparick [SPD]: Lesen!)


Zweitens. Er muss die Vorleistungen der deutschen
Wirtschaft in der Umweltschutzpolitik seit 1990 honorie-
ren und diese anrechnen.


(Monika Ganseforth [SPD]: Das steht doch im Antrag!)


– Ich weiß gar nicht, weshalb Sie sich so aufregen. Sie
könnten eigentlich bei jedem Satz klatschen. Ich dachte,
Sie würden Beifall klatschen, als Sie sagten, das stehe al-
les drin.


(Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Lesen! – Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das haben Sie alles abgeschrieben!)


Ich habe doch nur kritisiert, dass Sie gesagt haben: Dieser
Entwurf zum Emissionshandel stellt einen fairen Lasten-
ausgleich in Europa dar. –


(Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Das steht da nicht! PISA, Herr Paziorek!)


Man muss klar und deutlich sagen, dass das nicht gilt.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1424900800
Kollege Paziorek, ge-
statten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Brinkmann?


Dr. Peter Paziorek (CDU):
Rede ID: ID1424900900
Danke schön, nein.
Drittens. Alle flexiblen Instrumente des Kioto-Proto-

kolls müssen einbezogen werden.
Wir sagen aus Sicht der Union noch einmal ganz deut-

lich: Es liegt uns fern, den Weg für ein neues Klima-
schutzinstrument zu blockieren. Aber Europa muss zur
Kenntnis nehmen, dass sich die Ausgangslage Deutsch-
lands in der Klimaschutzpolitik wesentlich von der ande-
rer europäischer Länder unterscheidet, weil wir schon
mehr zum Klimaschutz beigetragen haben als andere eu-
ropäische Staaten. Deshalb war es falsch, dass diese Bun-
desregierung in Brüssel bisher gekniffen und nicht deut-
lich auf diese Vorleistungen der deutschen Wirtschaft
hingewiesen hat. Das läge auch im Interesse der Umwelt-
politik, der Klimaschutzpolitik und der Energiepolitik. In
diesem Punkt haben Sie versagt.

Viele Staaten stehen nämlich noch am Anfang einer ef-
fektiven Klimaschutzpolitik. Aus diesem Grunde sagen
wir ganz deutlich: Wir müssen den Druck europaweit
durchaus verschärfen, damit alle Staaten Klimaschutz als
ein ernsthaftes Ziel ansehen. Wir sagen genauso deutlich,
dass wir in Deutschland, dem größten Wirtschaftsstaat
mitten in Europa, in Zukunft Vorreiter in der Klimaschutz-
politik bleiben wollen, wie wir es in der Vergangenheit im-
mer gewesen sind.

Wenn diese Töne und Signale aus dem Regierungsla-
ger, dass Sie diesen Entwurf unterstützen, weitergehen,
wenn Sie auch an einigen Stellen sagen, Sie hofften oder
Sie gingen davon aus, dass es hier und da noch Verbesse-
rungen geben werde, dann kann ich nur sagen: Wir müs-
sen aufpassen, dass wir keine falschen Akzente setzen und
in völligem Übereifer die wirtschaftliche Basis des hohen
deutschen Umweltniveaus zerstören. Das wäre auch nicht
im Interesse der deutschen Umweltpolitik.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Die Zeit drängt. Denn schon im Herbst soll nach den

Vorstellungen der amtierenden dänischen Ratspräsident-
schaft die Entscheidung fallen. Ich hoffe nicht, dass die




Dr. Peter Paziorek
25292


(C)



(D)



(A)



(B)


deutsche Wirtschaft eines Tages für das Nichthandeln der
jetzigen Bundesregierung wird zahlen müssen. Der Kli-
maschutz kann nur gelingen, wenn er bei der Instrumen-
tenwahl flexibel bleibt, auf unterschiedliche Entwick-
lungsstandards Rücksicht nimmt und Unterschiede in
der Wirtschaftsstruktur akzeptiert. Beim Richtlinienent-
wurf über den Handel mit Emissionsrechten kommt es da-
rauf an, die Weichen richtig zu stellen.

Der Emissionshandel ist heute noch eine Gleichung
mit vielen Unbekannten. Deshalb ist es wichtig, dass
diese Bundesregierung in Brüssel jetzt Klartext redet.
Nach dem 22. September werden wir es tun.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1424901000
Ich erteile das Wort
Kollegin Michaele Hustedt, Bündnis 90/Die Grünen.


Michaele Hustedt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1424901100

Verehrter Präsident! Meine Damen und Herren! Bevor ich
zum Schlussbericht der Enquete-Kommission komme,
möchte ich zwei oder drei Worte zu Herrn Paziorek sagen.
Ich weiß gar nicht, wo Sie leben und warum Sie hier so ei-
nen Popanz aufbauen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wenn Sie unseren Antrag gelesen haben, müssen Sie ge-
merkt haben, dass wir uns inhaltlich anscheinend einig
sind:

Erstens. Wir alle finden – das geht aus dem Schlussbe-
richt und Ihrem Minderheitsvotum hervor – das Instru-
ment Emissionshandel prinzipiell gut, weil es sehr markt-
nah ist.

Zweitens. Wir alle sagen, die EU-Richtlinie ist noch
nicht das Gelbe vom Ei; wesentliche Dinge müssen ver-
bessert werden, zum Beispiel die Einbeziehung der Kioto-
Instrumente; auch unsere Vorleistungen müssen berück-
sichtigt werden.

Wenn Sie hier künstlich polarisieren, dann führe ich
das auf den Wahlkampf zurück.


(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Überhaupt nicht! Das war bei Ihnen vorher im Ausschuss so!)


Das ist im besten Fall wirkungslos; im schlimmsten Fall
aber verschlechtert es die Möglichkeit, unsere deutsche
Position in Brüssel tatsächlich durchzusetzen.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Am 8. September wird schon abgestimmt!)


Die Bundesregierung, Jürgen Trittin voran, verhandelt
bereits seit langem in diesem Sinne und hat auch schon
– ich weiß nicht, ob Ihnen das vielleicht entgangen ist –
einiges erreicht. Denn Frau Wallström hat erste Signale
gesetzt, dass wir das, was Sie fordern und was wir schon
lange verhandeln, tatsächlich in Brüssel durchsetzen kön-
nen. Das ist Fakt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Tatsächlich? Da waren wir als CDU/CSU aber Vorreiter!)


Ich möchte an Axel Berg anknüpfen und Dank an alle
Sachverständigen und an das gesamte Sekretariat der En-
quete-Kommission aussprechen. Ohne das Sekretariat
und ohne die Sachverständigen wäre dieser Bericht in kei-
ner Weise möglich gewesen. Vielen Dank auch im Namen
meiner Fraktion, Bündnis 90/Die Grünen!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der PDS)


Das Ergebnis ist: Die Energieversorgung in unserem
Land ist nicht zukunftsfähig. Der Treibhauseffekt hat
schon begonnen; der Temperaturanstieg ist messbar; der
Meeresspiegel steigt; Wüsten breiten sich aus; Gletscher
brechen ab; Wirbelstürme und Überschwemmungen neh-
men an Zahl und an Heftigkeit zu; Infektionskrankheiten
verbreiten sich stärker; die Verfügbarkeit der Süßwasser-
ressourcen nimmt ab; wir haben bereits mehr Flüchtlinge
aus Umweltgründen als aus anderen Gründen.

Wenn wir jetzt das Referenzszenario im Bericht der
Enquete-Kommission sehen, das den Trend beschreibt,
dann merken wir, dass es überhaupt keine Entwarnung
gibt. Selbst wenn man sehr optimistische Annahmen über
die automatische Steigerung der Energieeffizienz durch
den freien Markt trifft, wird das Problem nicht zu lösen
sein. Es gibt in Deutschland beträchtlichen Handlungsbe-
darf. Beim Zwischenbericht war das noch Konsens; beim
Endbericht war es – anscheinend vor dem Hintergrund des
Wahlkampfes – auf einmal nicht mehr so. Ich aber sage:
Wir haben uns im Kioto-Protokoll international ver-
pflichtet zu handeln. Zumindest wir nehmen diese Ver-
pflichtung ernst und wollen sie auch erfüllen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Weil das Trendszenario nicht automatisch mithilfe des
Marktes zum Ergebnis Klimaschutz führt, ist der Ansatz
der FDP von Grund auf falsch. Der Markt allein wird es
nicht richten. Wer das sagt, will keinen Klimaschutz.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Zuruf von der FDP: So ein Quatsch!)


Wenn die FDPbehauptet, auch sie hätte das Leitbild nach-
haltige Entwicklung, dann ist das schlichtweg falsch. Bei
Ihnen ist von der Gleichberechtigung dieser drei Säulen
– ökologische, soziale und ökonomische Aspekte gleich-
zeitig zu beachten und zu einer gemeinsamen Entwick-
lung zu kommen – nichts zu spüren. Sozial und ökolo-
gisch sind für Sie doch Fremdwörter. Umweltschutz ist
nur ein Störfaktor für den freien Markt. Sie glauben, dass
sich freies Unternehmertum und Regelungen des Staates
widersprechen.

Wir glauben, dass der Mensch nicht nur freier Unter-
nehmer ist, sondern dass er auch Luft zum Atmen braucht,
Wasser zum Trinken und dass er die Umwelt als Lebens-
grundlage braucht, und zwar nicht nur er, sondern auch




Dr. Peter Paziorek

25293


(C)



(D)



(A)



(B)


seine Kinder und Kindeskinder. Da ist ein aktiver Staat
dringend geboten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Wir müssen Rahmenbedingungen schaffen, um die
marktwirtschaftlichen Kräfte zu einer Dynamik zu
führen, die sich zum Wohl der Menschen entfaltet. Das
bedeutet eine engagierte Energiepolitik für den Klima-
schutz. In diesem Punkt unterscheiden wir uns von Ihnen.

Ein zweiter Grund für eine aktive Energiepolitik ist die
Begleitung des Liberalisierungsprozesses. Wir brauchen
ein schärferes Kartellrecht, eine stärkere Fusionskon-
trolle und den fairen Zugang zu den Netzen. Dabei ist eine
Regulierung kein Widerspruch zur Liberalisierung, wie
man an den Ansätzen in Großbritannien, in den USA, aber
auch in Skandinavien sieht. Hier sind die Rahmenbedin-
gungen, die der Staat setzt, damit es eine Vielfalt von Ak-
teuren gibt, die Voraussetzung, um die Wettbewerbsinten-
sität in ehemaligen Monopolmärkten zu erhöhen.

Vor diesem Hintergrund ist es aus meiner Sicht sehr be-
dauerlich, dass heute die Ministererlaubnis zu der Fu-
sion Eon/Ruhrgas erteilt wird.


(Beifall des Abg. Rolf Kutzmutz [PDS])

Ich glaube, dass sie ein Nachteil für den Verbraucher und
für die Industrie sein wird, weil es gefangene Kunden ge-
ben wird, die nicht mehr die freie Wahl haben und auch
wieder Monopolpreise werden zahlen müssen.

Allerdings werden Auflagen erteilt. Dies führe ich
auch auf die Tätigkeiten der grünen Fraktion und der Ver-
braucherministerin zurück,


(Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


die sich unter Verbraucherschutzgesichtspunkten selbst-
verständlich auch in dieses Verfahren eingemischt hat;


(Zuruf von der CDU/CSU: Vier Jahre verschlafen! – Walter Hirche [FDP]: Absolut lächerlich!)


im Gegensatz zur Opposition, die sich anscheinend – trotz
ihrer Wahlkampfspektakel bei vielen Themen – an diesem
Punkt den Mund zugenäht hat.


( Wahlkampf?)


Wir wissen auch, warum. Herr Rexrodt zum Beispiel ver-
dient direkt an der Fusion – er war der erste, der diese Fu-
sion begrüßt hat –,


(Kurt-Dieter Grill [CDU/CSU]: In einer Stunde wird der Wirtschaftsminister das genehmigt haben!)


weil er Teilhaber einer PR-Agentur ist, die direkt von die-
ser Fusion profitiert.


(Walter Hirche [FDP]: Diffamieren Sie nicht immer Leute, die eine andere Meinung haben als Sie! Typisch Ihre Methode! Diffamierung von anderen! – Weitere Zurufe von der CDU/CSU und der FDP)


Das also ist der große Liberalisierer Rexrodt!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der PDS – Zuruf von der CDU: Das ist wirklich unglaublich, was Sie hier tun! – Walter Hirche [FDP]: Und wovon profitieren Sie in diesem Zusammenhang?)


In der Enquete-Kommission haben wir drei Szenarien
durchgerechnet. Eine Vorgabe war, dass wir, um tatsäch-
lich Klimaschutz zu betreiben, bis zum Jahre 2050 eine
Reduktion in Höhe von 80 Prozent brauchen. Wir haben
gesehen: Viele Wege führen nach Rom. Wir sagen ganz
klar: Szenario zwei basiert auf einem angestrebten Anteil
an erneuerbaren Energien in Höhe von 50 Prozent bis zum
Jahre 2050, auf Energieeinsparung, auf Energieeffizienz
und auf der Verbesserung der Energieproduktivität um
drei Prozent pro Jahr in den nächsten 30 Jahren. Wir wol-
len die Kraft-Wärme-Kopplung bis zum Jahre 2050 ver-
dreifachen und eine engagierte Altbausanierungsstrategie
durchführen. Insgesamt wollen wir die CO2-Emissionenbis zum Jahre 2020 um 40 Prozent reduzieren. Das Sze-
nario zwei ist dasjenige, das die rot-grüne Energiepolitik
am besten beschreibt.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


Deshalb fühlen wir uns von dem Bericht der Enquete-
Kommission in unserer Politik der vergangenen vier
Jahre 100-prozentig bestätigt. Das gilt sowohl für den
Pfad, den wir eingeschlagen haben, als auch für die In-
strumente, die wir in der Energiepolitik gewählt haben.
Sie sagen in dieser Legislaturperiode immer von uns, wir
hätten kein Energiekonzept.


(Zuruf von der CDU/CSU: Das stimmt auch!)

Jetzt haben wir deutlich etwas vorzuweisen. Die Wis-
senschaftler haben vier Jahre lang gerechnet. Das Er-
gebnis ist, dass sie unsere Energiepolitik, die wir prag-
matisch durchgeführt haben, 100-prozentig bestätigen.
Das ist auch der Weg, den wir in der Zukunft fortsetzen
wollen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Aber ich gebe die Frage einmal an Sie zurück: Haben
Sie denn eigentlich ein Energiekonzept? Unseres liegt
klar auf dem Tisch.


(Zuruf von der CDU/CSU: Wo sind denn Ihre Energieleute?)


Sie kritisieren alles, was wir tun. Sie wettern gegen das
KWK-Gesetz. Sie kritisieren die Förderung der erneuer-
baren Energien,


(Zuruf von der CDU/CSU: Zu Recht!)

Sie unterstützen uns nicht in der Bereitstellung von Haus-
haltsmitteln für die Altbausanierung


(Walter Hirche [FDP]: Sie haben überhaupt keine beantragt!)


und die Ökosteuer ist natürlich des Teufels. Sie verurtei-
len unseren Weg in Bausch und Bogen.




Michaele Hustedt
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(C)



(D)



(A)



(B)



(Kurt-Dieter Grill [CDU/CSU]: Das ist die Fortsetzung der Verleumdung! Das ist unglaublich!)


Stattdessen wollen Sie – das sagen Sie auch immer
wieder – Klimaschutz durch Atomkraft. Wenn wir aber
einmal durchrechnen, was es heißt, wenn man statt unse-
res Weges Ihren Weg – Klimaschutz durch Atomkraft –
beschreiten würde, dann sagen Sie: Nein, 50 bis 70 Atom-
kraftwerke wollen natürlich auch wir nicht. Das kann ich
sehr gut verstehen. Denn in der letzten Umfrage bezüglich
des Umweltbewusstseins in Deutschland wurde festge-
stellt: Umweltschutz ist nach wie vor ein wichtiges
Thema. In Westdeutschland liegt es auf Platz drei, in Ost-
deutschland leider erst auf Platz vier.


(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Die meisten dieser Menschen wollen CDU und CSU wählen!)


Das erste Problem, das genannt wird, ist nach wie vor die
Atomkraft. Deswegen kann ich es gut verstehen, dass Sie
von der konkreten Umsetzung der Strategie Klimaschutz
durch Atomkraft nichts mehr wissen wollen. Aber wenn Sie
auch das nicht wollen, dann muss man ganz klar sagen: Sie
haben keine Strategie. Da ist die FDP ja durchaus ehrlicher,
da sie in ihrem Wahlprogramm ganz klar sagt, dass sie das
EEG und das KWK-Gesetz abschaffen will. Diese Aussage
ist eindeutig. Wer also den Einstieg in das Solarzeitalter
fortsetzen will, darf definitiv nicht FDP wählen.


(Dirk Niebel [FDP]: So ein Quatsch!)

Wie ist das nun bei der CDU?

(Walter Hirche [FDP]: Sie haben Ihre grünen Existenzsorgen und tragen sie auf dem Rücken dieses Themas aus!)


Frau Merkel sagt: „Es ist nicht einsehbar, warum dem
starken Wachstum der regenerativen Energiequellen so
viel Aufmerksamkeit geschenkt wird; wir brauchen keine
einseitige ökologische Orientierung.“


(Walter Hirche [FDP]: Richtig!)

Konkreter wurde Herr Grill in seinem Energiepro-

gramm aus dem Jahr 2000. Da sagte er: Für die Bundesre-
publik Deutschland soll eine bestimmte Summe festgelegt
werden, die für erneuerbare Energien zur Verfügung
steht. Die Summe wird auf die einzelnen Energieträger
aufgeteilt und es soll einen Bieterwettbewerb geben.


(Franz Obermeier [CDU/CSU]: Also haben wir doch ein Konzept!)


Das steht in Ihrem Energieprogramm von 2000, von Kurt-
Dieter Grill geschrieben. Ich hoffe, er steht noch dazu,
denn das würde bedeuten, dass Sie den Wechsel zu einem
Instrument, wie es in Großbritannien eingesetzt wird,
wollen.


(Franz Obermeier [CDU/CSU]: Haben wir jetzt ein Konzept oder haben wir keines?)


Ich vergleiche einmal: In Deutschland sind über 6 000 Me-
gawatt auf Basis des EEG installiert, in Großbritannien,
ganz bestimmt keine schlechte Windlage, auf der Basis
des von Ihnen favorisierten Instruments genau 406Mega-

watt. Was bedeutet das? – Das bedeutet, dass sie genau
wie die konservative Regierung in Dänemark zwar sagen,
dass sie die erneuerbaren Energien fördern wollen, dass
Sie aber mit dem Wechsel zu einem unwirksamen Instru-
ment tatsächlich den Abbruch dieser Entwicklung vorbe-
reiten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Allerdings – manchmal weiß man es nicht – wollen Sie
das vielleicht ja doch nicht; denn Ihr Mitglied im Kompe-
tenzteam, Herr Dr. h. c. Lothar Späth,


(Zuruf von der CDU/CSU: Ein guter Mann! – Zuruf von der SPD: Inkompetenzteam!)


investiert zurzeit zum Beispiel in eine Solarzellenfabrik.

(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Das wird in Gelsenkirchen gefördert!)

Er sagt: Wir haben den Know-how-Transfer in den ver-
gangenen Jahren konsequent vorangetrieben und sind da-
mit in einer weiteren Industrie präsent, die in den kom-
menden Jahren stark wachsen und an Bedeutung gewinnen
wird. – Wie ist es denn nun? Wenn Herr Lothar Späth in-
vestiert, glaubt er doch an die Zukunft dieser Energie.


(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Wir glauben auch daran! Dagegen sagt keiner etwas!)


Sie aber sagen: Die Subventionen müssen begrenzt wer-
den. Auf wie viele Jahre? Auf vier Jahre? Auf zehn Jahre?
Wenn Sie sagen, die Subventionen müssen begrenzt wer-
den, dann müssen Sie hier und jetzt deutlich sagen, auf
welchen Zeitraum,


(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Das hätten Sie wohl gern!)


und dann müssen Sie auch Herrn Dr. Lothar Späth sagen,
dass seine Investitionen für diese Fabrik sich nicht lohnen
werden, wenn Sie an die Regierung kommen. Das ist die
Wahrheit.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Franz Obermeier [CDU/CSU]: Machen Sie Dauersubvention? – Walter Hirche [FDP]: Lassen Sie doch mal einen Unternehmer eigenständig entscheiden!)


130 000 Menschen in diesem Land erwarten Ihre Antwort
auf die Frage, ob Sie bereit sind, die Strategie weiterzu-
entwickeln. Diese Menschen wollen vor der Wahl und
nicht erst nach der Wahl wissen, ob ihre Arbeitsplätze eine
Zukunft haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Das haben wir schon längst geklärt, Frau Hustedt!)


Da Sie in der Frage der technologischen Entwicklung
kein Argument haben – denn der von uns eingeschlagene
Pfad ist der einzige, der sinnvoll erscheint –, kommen Sie
mit dem Kostenargument. Sie bemühen dabei unter ande-
rem die Zahlen des Wirtschaftsministeriums.


(Walter Hirche [FDP]: Das ist zuständig für Energiepolitik!)





Michaele Hustedt

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(D)



(A)



(B)


Dazu muss man sagen: Nach den Berechnungen unserer
Wissenschaftler haben diese Zahlen keine wissenschaftli-
che Grundlage.


(Walter Hirche [FDP]: Wir dürfen doch noch den zuständigen Minister der Bundesregierung zitieren!)


Die Berechnungen der Enquete-Kommission – Herr
Hirche, Sie waren Mitglied dieser Kommission und soll-
ten die Zahlen eigentlich kennen – sagen sehr deutlich:


(Walter Hirche [FDP]: Ich bin sehr beeindruckt durch die Zahlen des Wirtschaftsministers, das muss ich zugeben!)


Der Pfad, den wir gehen – erneuerbare Energien, Energie-
einsparung, Erhöhung der Energieeffizienz –, ist genauso
teuer wie der Pfad Klimaschutz durch Atomkraft. Wenn
wir insgesamt vergleichen, ist der Anteil am Bruttosozial-
produkt bei diesem Pfad unter dem Strich nicht höher als
der, den wir heute für unsere Energiepolitik ausgeben.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Walter Hirche [FDP]: Adam Riese war noch nie Ihr Freund!)


Der Pfad, den wir eingeschlagen haben, ist nicht nur tech-
nologisch machbar, sondern auch bezahlbar.


(Franz Obermeier [CDU/CSU]: PISA lässt grüßen!)


Auch das ist ein Ergebnis der Enquete-Kommission.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS)

Ihr Kostenargument ist also eine bewusste Lüge, die von
Ihrer Konzeptlosigkeit ablenken soll.


(Walter Hirche [FDP]: Vorsicht mit solchen Begriffen!)


Wenn man die externen Kosten einberechnet, kommt
man auf noch dramatischere Unterschiede. Im Jahr 2050
wäre die Energieversorgung unter Einbeziehung der Fol-
gekosten nach unserem Pfad 286 Euro billiger im Ver-
gleich zum Atompfad, nach dem die Energieversorgung
pro Kopf der Bevölkerung 1 915 Euro pro Jahr kosten
würde. Auch unter Berücksichtigung der Kosten kann ich
nur sagen: Nur unser Pfad ist zukunftsfähig.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Ich bedauere, dass wir nicht ein Minimum an Einigung
erzielen konnten. Vor dem Hintergrund, dass in der nächs-
ten Zeit die Hälfte der Kraftwerkskapazitäten ersetzt wer-
den muss, wäre das ein Beitrag zur Investitionssicherheit
gewesen.

Die Alternativen sind jetzt klar: Die Bürger können am
22. September entscheiden, ob sie eine Renaissance der
Atomkraft wollen oder wollen, dass erste Atomkraft-
werke abgeschaltet werden.


(Zuruf von der CDU/CSU: Quatsch!)

Sie können entscheiden, ob es einen Abbruch in der Ent-
wicklung der erneuerbaren Energie gibt oder wir den Weg

ins Solarzeitalter fortsetzen. Sie können entscheiden, ob
wir den Widerspruch zwischen Ökonomie und Ökologie
künstlich hochhalten oder beides miteinander versöhnen.
Sie können auch darüber entscheiden, ob wir eine inno-
vative Technologiepolitik im Bereich der Energiewirt-
schaft betreiben und damit beweisen können, dass es zur
Sicherung des Standorts Deutschland wichtig ist, Vorrei-
ter im Klimaschutz zu sein.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie des Abg. Rolf Kutzmutz [PDS])



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1424901200
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Wolfgang Hirche, FDP-Fraktion.


(Walter Hirche [FDP]: Walter!)

– Aber Wolfgang ist auch ein schöner Name.


(Heiterkeit)



Walter Hirche (FDP):
Rede ID: ID1424901300
Herr Präsident! Meine Damen
und Herren! Der Wolfgang, der unserer Fraktion vorsitzt,
hat mich in den 60er-Jahren für die FDP geworben. Des-
wegen finde ich Ihre Worterteilung durchaus ehrenvoll.

Bedauerlicherweise – in dieser Wertung stimme ich Frau
Hustedt zu – kann die Enquete-Kommission keinen gemein-
samen Bericht vorlegen. Ein vollständiger eigener Minder-
heitsbericht zweier Fraktionen dürfte ein Novum sein.


(Zuruf von der SPD: Allerdings!)

Wegen dieser Situation möchte ich insbesondere den

Mitarbeitern des Sekretariats meinen Dank sagen, denn
sie hatten das zum Teil auszubaden. Ganz besonders
danke ich den Sachverständigen.

Tatsache bleibt, dass die SPD weder ihren Wirtschafts-
sprecher noch ihren Energiesprecher in die Kommission
geschickt hat.


(Michaele Hustedt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die CDU auch nicht!)


Auch heute Morgen ist keiner von beiden in diesem
Raum. Das ist bemerkenswert, weil schon daran zu er-
kennen ist, worin die Schwierigkeiten bestanden. Wir hat-
ten es nur mit bestimmten Aspekten und Meinungen aus
der SPD-Fraktion und nicht mit der SPD zu tun.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Volker Jung als energiepolitischer Sprecher hat in der

Diskussion in dieser Woche noch einmal betont, dass
Grundannahmen, die wir gegen das setzen, was die SPD-
Umweltpolitiker hier vorschlagen, richtig sind. Er geht
wie wir und der Wirtschaftsminister davon aus, dass es ei-
nen Gleichklang sozialer, ökologischer und ökonomi-
scher Aspekte geben muss


(Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Wer streitet das denn ab?)


und dass es Kostengesichtspunkte gibt, die aus sozialen
Gründen eine Rolle spielen müssen.

Anders ist es in diesem Bericht. Herr Berg hat gerade
zum Primat der Ökologie vorgetragen. Daraus wird abge-




Michaele Hustedt
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(D)



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(B)


leitet, dass der Staat in besonderer Weise in alles eingrei-
fen müsse.


(Monika Ganseforth [SPD]: Er trägt in besonderer Weise Verantwortung!)


Das ist ein Gedankengebäude, das in sich durchaus stim-
mig ist. Man sagt: Das Vorsorgeprinzip, das wir für nötig
halten, reicht nicht; stattdessen geht man von einer un-
mittelbaren Gefahrenabwehr aus. Das bedeutet, der Staat
kann und muss in alles eingreifen.

Im europäischen und internationalen Vergleich ist
Deutschland in der Energiepolitik aufgrund seiner Anstren-
gungen zum Klimaschutz weiter als jedes andere Land,


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

und zwar mit den marktwirtschaftlichen Instrumenten,
die den Wohlstand unserer Gesellschaft ausmachen. Sie
wollen genau diesen Erfolg unserer Politik kaputtmachen,


(Monika Ganseforth [SPD]: Glauben Sie das, was Sie sagen? Das ist doch falsch!)


indem Sie versuchen, an die Stelle des Marktes staatliche
Regeln, festgelegte Instrumente, definierte Techniken mit
gezielter Förderung und garantierte Preise zu setzen. Damit
schaden Sie dem Standort Deutschland und schaffen keine
neuen Arbeitsplätze. Das ist der grundlegende Unterschied.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Widerspruch bei der SPD)


Erstens. Für uns bleibt das Vorsorgeprinzip weiterhin
Leitschnur des Handelns.


(Zuruf von der SPD: Das wäre schön!)

Zweitens. Der Gleichklang ökonomischer, ökologi-

scher und sozialer Aspekte muss erhalten bleiben. Wir
halten staatliche Technikvorgaben für falsch.


(Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Wer will das denn?)


– Das machen Sie, Herr Müller. Sie sprechen ein Verbot
für die Kernenergie aus.


(Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Richtig!)

Sie sprechen Gebote aus, indem Sie Marktanteile für be-
stimmte Branchen reservieren. Sie machen Ge- und Ver-
bote und wenn ich Ihnen das vorhalte, widersprechen Sie.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Entweder haben Sie selber nicht verstanden, was Sie ma-
chen, oder Sie verbreiten öffentlich Unsinn.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1424901400
Kollege Hirche, ge-
statten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Grehn, PDS-
Fraktion?


Walter Hirche (FDP):
Rede ID: ID1424901500
Natürlich.

(Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Wie soll man so eine rationale Debatte hinbekommen? Herr Hirche, seien Sie doch einmal rational!)



Dr. Klaus Grehn (PDS):
Rede ID: ID1424901600
Danke schön, Herr Kollege
Hirche. – Ich habe Ihre Erfolgsbilanz gerade zur Kenntnis
genommen. Gestatten Sie mir die Frage, wie viel Prozent
der CO2-Einsparungen der Deindustrialisierung der DDRentstammen?


(Zuruf von der FDP: Sehr interessante Frage!)



Walter Hirche (FDP):
Rede ID: ID1424901700
Herr Kollege, vielen Dank für
die Frage.


(Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Jetzt bin ich mal gespannt!)


Sie gibt mir Gelegenheit, darauf hinzuweisen, dass die
drei Staaten in Europa, die erhebliche Fortschritte bei der
Senkung der Treibhausgasemissionen zu verzeichnen
haben, nämlich Deutschland, Großbritannien und Luxem-
burg,


(Monika Ganseforth [SPD]: Polen gehört auch dazu!)


genau die Staaten sind, die ihre Industrie am stärksten mo-
dernisiert haben.


(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist der Punkt!)

Diese Modernisierung der Industrie ist der eigentliche
Treibsatz für die Senkung der Emission von Treibhausga-
sen.


(Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Regulierungsbehörde in Großbritannien!)


An diesem Zusammenhang müssen wir festhalten.
Alles, was in Ostdeutschland neu aufgebaut worden

ist, hat Investitionen und Produktionen an anderer Stelle
vorausgesetzt. Deswegen schlägt das nicht negativ, son-
dern positiv zu Buche.

Modernisierung bedeutet immer, dass sich die Indus-
trie weiterentwickelt und immer effizientere Techniken
einsetzt. Auf diesem Wege wollen wir weitermachen,
meine Damen und Herren,


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

nicht aber mit staatlich verfügten, nicht wettbewerbsfähi-
gen Energietechniken.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1424901800
Kollege Hirche, ge-
statten sie eine zweite Zwischenfrage der Kollegin
Hustedt?


Walter Hirche (FDP):
Rede ID: ID1424901900
Selbstverständlich.


Michaele Hustedt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1424902000

Sie waren ja auch einmal Mitglied der Enquete-Kommis-
sion, Herr Hirche. Ist Ihnen entgangen, dass wir beim
Trendszenario genau Ihren Ansatz gewählt haben, indem
wir sehr optimistische Annahmen über automatische Effi-
zienzsteigerungen durch den Markt zugrunde gelegt ha-
ben, und dass das Ergebnis dieses Trendszenarios darin
bestand, dass die notwendigen Klimaschutzziele nicht er-
reicht werden?




Walter Hirche

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(C)



(D)



(A)



(B)



(Monika Ganseforth [SPD]: Die FDP hat ja auch die Klimaschutzziele aufgegeben!)



Walter Hirche (FDP):
Rede ID: ID1424902100
Frau Kollegin, auch für diese
Frage bedanke ich mich. Man kann an ihr wieder einmal
deutlich machen, wie Sie in bestimmten Fragen gerechnet
haben.


(Zuruf von der SPD: Nicht wir! Unabhängige Institute!)


Wir hatten in den Jahren 1990 bis 2001 eine durch-
schnittliche Verbesserung der Energieeffizienz um
1,4 Prozent.


(Dr. Axel Berg [SPD]: Das ist zu wenig!)

Sie unterstellen für die Zukunft, damit Ihr Modell stimmt,
als Rechengrundlage 3 Prozent Effizienzverbesserung pro
Jahr. Das ist aber eine gegriffene Zahl, deren Zweck darin
besteht, dass das Modell zu einem bestimmten Ergebnis
kommt.


(Michaele Hustedt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist keine Antwort!)


Das ist auch der Grund, Frau Hustedt – ich antworte Ih-
nen noch –, warum der Wirtschaftsminister – –


(Michaele Hustedt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie reden doch gar nicht über das Szenario!)


– Darf ich zu Ende antworten, ehe Sie weiter dazwi-
schenreden?

Das ist der Grund, warum Wirtschaftsminister Müller
in seinem Energiebericht festgehalten hat, dass die Maß-
nahmen, die mit Ihrem Hauptszenario verbunden sind, die
deutsche Volkswirtschaft im Zeitraum bis 2020 zusätzlich
256 Milliarden Euro kosteten. Das muss die Öffentlich-
keit wissen. Diese horrenden Kosten sind auch der Grund
dafür, dass der wirtschaftspolitische Sprecher und der
energiepolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion
an dieser Debatte nicht teilnehmen: weil sie diese Kosten
bestätigen müssten, meine Damen und Herren.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Die Öffentlichkeit muss das zur Kenntnis nehmen. Im lau-
fenden Bundestagswahlkampf werden wir natürlich auf
diese unterschiedlichen Stimmen aus der SPD aufmerk-
sam machen.

Bevor die Zwischenfragen kamen, sprach ich davon,
dass staatliche Technikvorgaben falsch seien. Der Bun-
deswirtschaftsminister hat sogar darauf hingewiesen, dass
es aus seiner Sicht falsch sei, heute das Ziel einer Senkung
um 40 Prozent bis 2020 zu beschließen, weil es voraus-
setzte, dass unsere internationalen Konkurrenten im
Gleichklang vorgingen. Wenn das im Rahmen der inter-
nationalen Klimapolitik nicht erreicht würde, schlüge es
sich in erhöhter Arbeitslosigkeit in Deutschland nieder.
Dann fielen wettbewerbsfähige Arbeitsplätze weg.


(Zuruf von der SPD: Das widerspricht jeder Erfahrung!)


Lassen Sie mich Ihnen ein konkretes Beispiel für die
Wirkungen nennen, die derzeit allein durch das von Ihnen

beschlossene EEG entstehen: Es betrifft eine Alumini-
umhütte in Essen. Ich weiß, dass Sie, Frau Hustedt, den
Betrieb kennen, denn er hat sich an Sie gewandt. Die
Mehrkosten durch das EEG liegen bei 0,37 Eurocent pro
Kilowattstunde. Dies hört sich nach wenig an, jedoch be-
laufen sich die Mehrkosten für diesen Betrieb auf über
9 Millionen Euro. Das entspricht 30 Prozent der Perso-
nalkosten. Das EEG unterscheidet nicht zwischen Energie
für Produktionszwecke und Energie zum Konsum. Es gibt
auch keine Härteklausel für produzierende Betriebe. Die
durch das EEG entstehenden Belastungen werden deshalb
für einen energieintensiven Produktionsstandort schlicht
und einfach zur Existenzfrage.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich finde, dass Sie sich auf diese Kostenüberlegungen
einlassen müssen, so wie ich mich gern auf die Klima-
überlegungen einlasse. Dies haben wir auch in der Kom-
mission getan und deswegen gesagt: Wir brauchen erstens
eine Effizienzverbesserung, brauchen zweitens Energie-
einsparung und sind drittens auch zu einer weiteren För-
derung erneuerbarer Energien bereit, aber bitte mit einer
marktnäheren Orientierung der Preise. Viertens möchten
wir gerne, dass die Forschungsförderung nicht mit Verbo-
ten und Beschränkungen fortgeführt wird.

Wir brauchen Forschungsförderung in allen Berei-
chen. Wir brauchen Forschungsförderung erstens im Be-
reich der erneuerbaren Energien, damit endlich Wir-
kungsgrade erreicht werden, mit denen man preisgünstig
Energie erzeugen kann. Zweitens brauchen wir die For-
schungsförderung im Bereich der Kohletechnologien.
Wir brauchen die sauberen Kohletechnologien, um die
Braunkohle und die Steinkohle weiter einsetzen zu kön-
nen. Drittens brauchen wir Forschungsförderung im Be-
reich der Kerntechniken, um das Angebot zu erweitern.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Viertens – dies sage ich gern dazu, obwohl viele dies als
zum ersten Punkt gehörend ansehen – brauchen wir wei-
tere Forschungsförderung explizit im Bereich der Wasser-
stofftechnologie, Stichwort Brennstoffzelle und anderes.


(Zuruf von der SPD: Sie reden nur! Wir machen es!)


Für neue Techniken brauchen wir – Sie versuchen, hier
einen Popanz aufzubauen – weiterhin Markteinführungs-
programme. Aber Markteinführung, Herr Kollege
Müller, ist dem Wort nach eine Einführung.


(Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Deshalb degressiv!)


Nach zehn bis 15 Jahren muss sich ein Produkt am Markt
bewährt haben.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Dann können wir nicht mehr mit den Größenordnungen
arbeiten, die Sie in Ihren Gesetzen fixiert haben. Preisga-
rantien haben noch nie wirklich die Kräfte am Markt frei-
gesetzt.


(Monika Ganseforth [SPD]: Schauen Sie sich das Gesetz doch einmal an!)







(C)



(D)



(A)



(B)


Lassen Sie mich einen letzten Punkt ansprechen: In der
Enquete-Kommission gab es einen Dissens darüber, in
welcher Weise Deutschland eine Vorreiterrolle spielen
sollte oder in welcher Weise Globalisierungseffekte
berücksichtigt werden müssten.

Ich habe vorhin bereits einen Punkt genannt, den auch
der Wirtschaftsminister in die Öffentlichkeit gebracht
hatte, nämlich dass die Wettbewerbsfähigkeit unseres
Staates und unserer Arbeitsplätze ein wichtiger Punkt ist.
Wir müssen schauen, was die Nachbarstaaten machen.
Kein Schwellen- oder Entwicklungsland in der Welt wird
die Technik im Bereich der erneuerbaren Energien bei
dem Wirkungsgrad, den diese heute haben, bezahlen kön-
nen. Darum geht es eigentlich.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zuruf von der SPD: Aber Fusionskernkraftwerke werden sie bezahlen können, ja?)


Wir müssen eine nachhaltige Energiepolitik zusammen
mit den Entwicklungsländern machen. Dieser Aspekt der
Globalisierung wird von Ihnen nicht ausreichend berück-
sichtigt, genauso wie Sie die Liberalisierung wieder ka-
puttmachen. Wir hatten mit einer Entlastung für die Bür-
ger in Höhe von 15 Milliarden DM eine soziale Großtat
für die Bevölkerung vollbracht.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Widerspruch bei der SPD)


Mit Ihren Gesetzesvorhaben wird diese Entlastung für die
Bürger wieder zunichte gemacht. Sie brauchen sich nicht
darüber zu wundern, dass der Konsum nicht anzieht und
dass an anderer Stelle die Arbeitsplätze verloren gehen. Ich
bedaure, dass Sie nicht zum Dialog hierüber bereit waren.

Ich hoffe sehr, dass die Diskussion über diese Thema-
tik, die weit über diese Legislaturperiode hinausreicht, in
der nächsten Legislaturperiode fortgesetzt wird, vielleicht
dann unter Teilnahme –


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1424902200
Kollege Hirche, Sie
müssen bitte zum Ende kommen.


Walter Hirche (FDP):
Rede ID: ID1424902300
– aller Kollegen, auch der aus
der SPD-Fraktion.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, werter Herr
Präsident, dies war meine letzte Rede in diesem Bundes-
tag. Ich möchte mich bei allen – selbstverständlich auch
bei denen, mit denen ich Sachkontroversen ausgetragen
habe – sehr herzlich für Gespräche und Dialoge bedanken.
Die Tatsache, dass es hier – wie überall im Leben – Kon-
troversen gibt, sollte nie dazu führen, dass daraus persön-
liche Animositäten entstehen. Ich möchte das gerade auch
einmal für die Öffentlichkeit sagen, die sich ja oft darüber
wundert, dass sich Kollegen in ihrer Erregung über einen
Sachverhalt hier gegenseitig hart angehen. Ich denke,
dass darunter die persönliche Wertschätzung – das sage
ich bewusst – nicht leiden sollte, was sie bei mir auch
nicht getan hat. Ich möchte mich bei allen entschuldigen,
die ich eventuell durch irgendeine Bemerkung verletzt
habe. Es war der Sache und nicht der Person geschuldet.


(Dr. Ditmar Staffelt [SPD]: Das hätten Sie mal letzte Woche sagen können!)


Herr Präsident, das darf ich vielleicht auch noch sagen:
Ich bedanke mich bei meiner Fraktion, die mir die Mög-
lichkeit gegeben hat, Aufgaben im Auswärtigen Aus-
schuss, im Wirtschaftsausschuss und als energiepoliti-
scher Sprecher wahrzunehmen. Ich hoffe, dass diese
Arbeit eine gewisse Resonanz erfahren hat und dass ich
sie mit einer entsprechenden Wirkung durchgeführt habe;
denn Effizienz und etwas für Arbeitsplätze in Deutschland
zu tun, bleibt mir auch in Zukunft eine Verpflichtung. Das
halte ich für das wichtigste Ziel unserer gemeinsamen Ar-
beit.

Vielen Dank.

(Beifall im ganzen Hause)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1424902400
Lieber Kollege
Hirche, ich möchte Ihnen auch im Namen des Hauses
herzlich für Ihre Arbeit danken und Ihnen alles Gute für
Ihr weiteres Leben wünschen. Ich darf mir eine persönli-
che Bemerkung erlauben: Möglicherweise werden mir
ein paar Zwischenrufe von rechts fehlen.


(Heiterkeit und Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP – Dirk Niebel [FDP]: Ich bleibe ja hier! Ich komme wieder!)


Ich erteile der Kollegin Eva Bulling-Schröter,
PDS-Fraktion, das Wort.


Eva-Maria Bulling-Schröter (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1424902500
Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Die PDS-Fraktion kann die
beiden Wege zur Energieversorgung, die von der Regie-
rungskoalition bzw. von der CDU/CSU und der FDP be-
schrieben werden, nicht als nachhaltig bezeichnen.


(Beifall bei der PDS)

Wir haben daher Alternativen formuliert, die wir in un-

seren Sondervoten beschreiben. In unserer Position wer-
den wir unter anderem durch das für die UN-Konferenz in
Johannesburg von UNEP in dem Bericht Geo 3 vorgelegte
Szenario „Sustainability first“ bestärkt. Nicht nachhaltig
ist danach der Weg der Regierungskoalition, weil sie
Atomkraftwerke noch jahrelang weiter laufen lässt und
die Dringlichkeit einer Verkehrswende zur Reduktion der
Treibhausgase eben nicht erkannt hat.


(Zuruf von der SPD: Das ist falsch!)

Noch weniger nachhaltig ist der Weg der CDU/CSU

und der FDP, die Klimaschutz mit noch mehr und neuen
Atomkraftwerken betreiben möchten und die die wesent-
lichen Elemente einer nachhaltigen Energieversorgung,
wie Dezentralität und forcierte Nutzung regenerativer En-
ergiequellen, als unnötig erachten. Insgesamt möchte die
große Oppositionsgruppe weniger den Klimawandel
bremsen als vielmehr die Anpassungen an ihn beschleu-
nigen.

Unser Vorschlag beruht auf von uns formulierten
Grundsätzen der Nachhaltigkeit, die wir zur Beendi-
gung der globalisierten Diktatur der Ökonomie und des
Marktes – so hat es auch Viviane Forrester formuliert –
für notwendig halten. Wir greifen damit Vorstellungen




Walter Hirche

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(B)


des Sachverständigenrates für Umweltfragen auf, der
zum Erreichen eines Pfades der Nachhaltigkeit ebenfalls
eine grundsätzliche Transformation unseres Wirtschaf-
tens und unserer Gesellschaft für notwendig hält.


(Beifall bei der PDS)

Mit unserem Vorschlag verknüpfen wir die ökologi-

sche und soziale Dimension so stark, wie es angesichts
der fortschreitenden Zerstörung der natürlichen und so-
zialen Lebensgrundlagen und -bedingungen durch
Globalisierung und Liberalisierung geboten ist. Uns geht
es also nicht allein um einen beschleunigten praktischen
Klimaschutz, sondern wir wollen diesen mit einem Schutz
vor Arbeitslosigkeit verknüpft sehen, indem wir das Recht
auf Arbeit ebenso einfordern wie die Verpflichtung der
Ökonomie zur Erhaltung der natürlichen Lebensgrundla-
gen.


(Beifall bei der PDS)

Diese Vorstellungen sind denjenigen der großen Mehr-

heit der Kommission diametral entgegengesetzt. Die übri-
gen Fraktionen setzen weiter auf die Kräfte des Marktes
und des Wachstums. Wir wissen: So funktioniert das
nicht.


(Walter Hirche [FDP]: Doch! Das Gegenteil wissen wir aus der DDR!)


Sie verkennen dabei, dass die gegenwärtige Situation der
Welt mit dem schon begonnenen Klimawandel, mit mil-
lionenfacher Arbeitslosigkeit, millionenfacher Armut und
millionenfachem Hunger das Ergebnis genau dieser öko-
nomischen Kräfte ist. Ich verstehe nicht, wie jemand sa-
gen kann, dass das in Ordnung ist.

Im Einzelnen ergeben sich aus unserem so genannten
Grundgesetz der Nachhaltigkeit Maßnahmepakete, die
deutlich über die Forderungen der Regierungskoalition
hinausgehen. Für die PDS muss eine Offensive bei den
regenerativen Energieträgern und bei der Verbesserung
der Effizienz der Energienutzung durch folgende Maß-
nahmen ergänzt werden: An erster Stelle muss eine bal-
dige Verkehrswende eintreten, und zwar zugunsten des
öffentlichen und nicht motorisierten Verkehrs,


(Beifall bei Abgeordneten der PDS)

insbesondere zugunsten des Schienenverkehrs für Perso-
nen wie auch für Güter. Immerhin handelt es sich dabei
um den Wirtschaftssektor mit den stärksten Steigerungs-
raten bei den Emissionen von Treibhausgasen.

Sich wie die Kommission in ihrer Gänze lediglich mit
der Effizienzverbesserung von Kraftfahrzeugen zu be-
schäftigen übersieht die nötigen Prioritäten. Die von uns
beschriebene Verkehrswende ist selbstverständlich mit
Tempolimits auf den Straßen und der Verlagerung der Ka-
pazitäten des innerdeutschen Flugverkehrs auf die
Schiene verknüpft.

Priorität hat weiterhin eine Öffentlichkeitskampagne
und eine Bildungsoffensive, die für eine Verankerung des
Nachhaltigkeitsgedankens in der breiten Bevölkerung
sorgt. Nur wenn sich Verbrauchsverhalten, Produktions-
und Konsumstile grundlegend ändern und die Menschen
tatsächlich die Möglichkeit zu einer Änderung haben

– das ist immerhin eine in der Agenda 21 formulierte Er-
gänzung –, werden sich ehrgeizige Klimaschutz- und
Nachhaltigkeitsziele wirklich erreichen lassen.


(V o r s i t z: Vizepräsidentin Anke Fuchs)

Schließlich müssen die Klimaschutz- und Nachhaltig-

keitsziele ordnungspolitisch abgesichert werden. Nach
unseren Vorstellungen muss dies durch ein Klimaschutz-
gesetz und eine Technische Anleitung Energie erfolgen,
wie dies beim klassischen und sehr erfolgreichen Immis-
sionsschutz vor Jahren geschehen ist. Damit wird vorge-
schrieben, bei welchen Produkten, Produktionen, An-
lagen und Gebäuden in welchem Zeitraum auf welche
Weise wie viel Energie einzusparen ist.

Flankiert werden muss dieser gesetzliche Ansatz durch
ökonomische Lenkungsmaßnahmen: Abbau sämtlicher
klimaschädlichen Subventionen, Einführung einer Pri-
märenergiesteuer ohne Ausnahmeregelungen anstelle der
Ökosteuer, Einführung von Abgaben auf Flugbenzin.
Auch das EEG muss so reformiert werden, dass kosten-
deckende Einspeisevergütungen die Nutzung von Solar-
energie und Biogas aus landwirtschaftlichen Abfällen be-
trächtlich voranbringen.


(Beifall bei der PDS – Michaele Hustedt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das haben wir doch schon!)


– Weiter so.
Um den erneuerbaren Energieträgern einen weltweiten

Schub zu verleihen, fordern wir immer wieder eine bal-
dige Anhebung der Entwicklungshilfe auf die internatio-
nal zugesagten 0,7 Prozent des Bruttosozialproduktes und
einen konsequenten Prozess der Entschuldung der ärms-
ten Entwicklungsländer. Mit den damit zur Verfügung ste-
henden Mitteln muss eine Energieversorgung auf der Ba-
sis erneuerbarer Energieträger, den Ländern angepasster
Technik und der Zunahme von Beschäftigung aufgebaut
werden.

Selbstverständlich kann dieses von uns vorgeschlagene
Politikmodell eben nur dann erfolgreich sein, wenn auch
auf internationaler Ebene grundlegende Veränderungen
stattfinden.


(Beifall bei der PDS)

Vorrangig ist die herrschende Geopolitik zu entmilitari-
sieren. Die Hegemoniebestrebungen der verbliebenen Su-
permacht sind durch eine konsequente Demokratisierung
der UNO und ihrer Institutionen, vor allem durch eine
demokratische Balance zwischen Industrie- und Entwick-
lungsländern zu bremsen.


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Was ist mit der Atomkraft?)


Zum Schluss möchte ich mich genauso wie meine Kol-
legen der anderen Fraktionen beim Sekretariat und den
Sachverständigen für ihre Geduld und ihre Beharrlichkeit
bedanken. Es war sicherlich keine einfache Enquete-
Kommission.

Vielen Dank.

(Beifall bei der PDS)





Eva Bulling-Schröter
25300


(C)



(D)



(A)



(B)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1424902600
Ich erteile dem Kolle-
gen Ulrich Kasparick für die SPD-Fraktion das Wort.


Ulrich Kasparick (SPD):
Rede ID: ID1424902700
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Bevor ich anfange, möchte
ich eine kurze Bemerkung an Herrn Hirche richten. Er hat
sich darüber beklagt, die SPD würde ausschließlich öko-
logische Ziele verfolgen. Deswegen eine kurze Auf-
klärung: Das Wort Ökologie kommt aus dem Griechi-
schen und ist die Lehre vom richtigen Haushalten mit der
Natur. Es geht darum, mit den vorhandenen Ressourcen
so umzugehen, dass auch die jüngeren Generationen – die
heute ebenfalls im Hause vertreten sind – eine gute Zu-
kunft haben werden. Darum geht es bei dem Thema Öko-
logie.


(Beifall bei der SPD – Walter Hirche [FDP]: Darüber habe ich schon längst Vorträge gehalten! Das brauchen Sie mir nicht zu erzählen!)


Lassen Sie mich eine Äußerung von Al Gore zitieren:
Eine politische Entscheidung ist dann richtig, wenn
sie noch in der siebten Generation Bestand hat.

Am Beispiel der deutschen Energieforschung können wir
feststellen, wie wichtig die Beherzigung dieser Regel in
der Vergangenheit gewesen wäre. Wir haben nämlich in
der Enquete-Kommission übereinstimmend festgestellt,
dass das derzeitige Energiesystem nicht nachhaltig ist.
Das ist das Ergebnis falscher Forschungspolitik in der
Vergangenheit.

Wir haben in der Vergangenheit in der Energiefor-
schungspolitik die falschen Prioritäten gesetzt. Wir haben
zu sehr auf die Fusion, auf die Kohleforschung und auf die
Atomforschung gesetzt. Deswegen haben wir gegenwär-
tig eine Energieversorgungsstruktur, die nicht nachhaltig
ist. Darüber besteht ein Konsens zwischen uns.


(Franz Obermeier [CDU/CSU]: Das wird die Babcock-Leute freuen!)


Mir ist es wichtig, diesen Konsens zu Beginn meines De-
battenbeitrags noch einmal festzuhalten. Dass das derzei-
tige Energiesystem nicht nachhaltig ist, meinen sowohl
die CDU/CSU als auch die SPD. Dieses Energiesystem ist
das Ergebnis einer falschen Forschungspolitik. Die En-
quete-Kommission meint deshalb, dass ein Prioritäten-
wechsel erforderlich ist. Wir müssen in der Forschung
umsteuern. Das bedeutet, dass insbesondere für die Effi-
zienzforschung wie auch für die erneuerbaren Energien
und – das ist besonders in forschungspolitischer Hinsicht
interessant – für die inter- und transdisziplinären Projekte
eine Mittelaufstockung notwendig ist. Denn die Fachwis-
senschaftler haben uns darauf hingewiesen, dass die In-
novationen gerade an den Grenzflächen zwischen den
Disziplinen zu erwarten sind. In dieser Hinsicht sind in
Deutschland Verbesserungen notwendig. Auch das ist ein
Ergebnis der Enquete-Kommission.

Ein wichtiges Beispiel für die Interdisziplinarität ist die
Erforschung neuer Materialien. Die Materialforschung
ist ein zentrales Arbeitsgebiet bei der Reduzierung von
verschiedenen Formen des Energieverbrauchs geworden.
Wer die leichteren Motoren bauen kann, hat einen wirt-

schaftlichen Vorteil. Wer Maschinen mit einem geringe-
ren Verbrauch bauen kann, gewinnt wirtschaftlich. Wer
durch den Einsatz neuer Technologien erst gar nicht mehr
Energie einsetzen muss, handelt klug. Wir sehen: Wer in
die Effizienz investiert, liegt auch international vorn. Wer
sich anschaut, wie auf internationaler Ebene Energiefor-
schungsmittel eingesetzt werden, erkennt, dass sich
Deutschland in diesem Bereich verbessern muss.


(Beifall bei der SPD)

Die Enquete-Kommission unterstützt deshalb die Forde-
rung des Wissenschaftsrats. Für die Energieforschung ist
eine Aufstockung um mindestens 30 Prozent der Mittel
gegenüber dem Jahr 1990 notwendig.

Wir dürfen nicht übersehen, dass die Energieforschung
in Deutschland mittlerweile ein Hochtechnologiebereich
geworden ist. Die meisten meinen, in der Energiefor-
schung gehe es darum, die Wirkungsgrade von Solarzel-
len zu verbessern. Weit gefehlt! Es geht vielmehr um ei-
nen Bereich, dessen wissenschaftliches wie auch
wirtschaftliches Potenzial gleichwertig neben dem der
Biotechnologie steht. Um diese Industrie geht es. Wir
brauchen ein neues nationales Energieforschungspro-
gramm mit neuen Prioritäten. Ich verstehe deshalb die
Position der Opposition nicht, weiterhin Forschungsmit-
tel in alte Technologien investieren zu wollen. Das ist ein
falscher Weg, der nicht zukunftsfähig ist.


(Kurt-Dieter Grill [CDU/CSU]: Wo steht denn das, Herr Kasparick? – Franz Obermeier [CDU/ CSU]: Auf welcher Seite steht das?)


– Das werde ich Ihnen gleich genau sagen. Sie fordern
zum Beispiel eine Weiterführung in dieser Größenord-
nung und sogar noch eine Aufstockung der Fu-
sionsforschungsmittel. Wir haben aber in der Anhörung
zur Fusion gehört, dass die Fusion in energiepolitischer
Hinsicht keine Option darstellt.


(Walter Hirche [FDP]: Das hat man über die Brennstoffzellen viele Jahre gesagt!)


Deswegen wird sie in keinem der von uns durchgerech-
neten Szenarien berücksichtigt. Sie tauchen auch in Ihren
eigenen Szenarien nicht auf. Dennoch verlangen Sie eine
Aufstockung der Forschungsmittel in diesen Bereichen.
Das ist nicht zu verstehen und völlig unlogisch.


(Beifall bei der SPD)

Gute Energieforschung ist bekanntlich international,

insbesondere europäisch. Wenn wir in diesem Bereich zu
einer Neuausrichtung kommen wollen, müssen wir insbe-
sondere auch über den Euratom-Vertrag sprechen. Wir
haben deshalb im Abschlussbericht mehrheitlich formu-
liert:

Die Kommission empfiehlt eine Beendigung des
Euratom-Vertrages und eine Überführung der
verbleibenden Regelungstatbestände in den EU-
Vertrag.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich freue mich sehr, dass der Deutsche Bundestag diese
Empfehlung vor kurzer Zeit mit einem mehrheitlichen
Bundestagsbeschluss aufgenommen hat, in dem es heißt:






(C)



(D)



(A)



(B)


Der Deutsche Bundestag hält den Euratom-Vertrag
für nicht mehr zeitgemäß.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Ich darf noch einmal genauer den Abschlussbericht un-

serer Enquete-Kommission zitieren:
Vor diesem Hintergrund hält die Enquete-Kommis-
sion es für unverzichtbar, dass parlamentarische
Kontrolle und Einfluss auch im europäischen Kon-
text sichergestellt werden. Es kann nicht sein, dass
die großen Euratom-Mittel ohne parlamentarische
Kontrolle weitergegeben werden.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie wissen, ich war
aus gesundheitlichen Gründen nicht bei allen Sitzungen
der Enquete-Kommission anwesend. Glücklicherweise
gibt es E-Mail. Das heißt, man ist angekoppelt an den
Fortschritt der Debatte. Ich habe nie verstanden, weshalb
die Opposition die Enquete-Kommission benutzt hat, die
Atomlobby wieder in Stellung zu bringen. Wir hätten
viele Chancen gehabt, zu neuen Einsichten zu kommen.


(Franz Obermeier [CDU/CSU]: Wenn Sie nicht dabei waren, enthalten Sie sich dieser Wertung!)


Wir hätten sehr gute Chancen gehabt; diese Chancen sind
leider verpasst worden.


(Walter Hirche [FDP]: Dass Sie nicht mehr für den Wahlkampf haben, ist überraschend!)


Es ist ein einmaliger Vorgang, dass wir im Grunde einen
zweiten Bericht der Opposition haben. Das, so finde ich,
ist eine verschenkte Chance.

Wir wissen, dass wir ein neues Energieforschungspro-
gramm brauchen, weil das alte, das Sie wesentlich zu ver-
antworten haben, nicht zukunftsfähig ist. Wir erkennen
das an dem jetzigen Energiesystem. Wir brauchen eine
stärkere Berücksichtigung der erneuerbaren Energien.
Wir brauchen ein Energieforschungsprogramm, das auch
noch vor der siebten Generation Bestand hat.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Walter Hirche [FDP]: Das hätten Sie doch in den letzten Jahren machen können!)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1424902800
Jetzt hat das Wort der
Kollege Franz Obermeier für die CDU/CSU-Fraktion.


Franz Obermeier (CSU):
Rede ID: ID1424902900
Frau Präsidentin!
Kolleginnen und Kollegen! Herr Kasparick, Ihre for-
schungspolitischen Aussagen können wir weitgehend
mittragen. Den Schluss hätten Sie sich sparen können, zu-
mal Sie in der Kommission gar nicht immer anwesend
waren. Das, was hier von Berg und Hustedt hochgezogen
wird, ist sachlich, fachlich, inhaltlich falsch.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Es gibt ein Szenario, das als extremes Szenario mit

Kernenergie und fossilen Energieträgern umschrieben ist.

Genauso gibt es auf der anderen Seite ein Szenario mit
Vollversorgung mit erneuerbaren Energien. Innerhalb die-
ser Bandbreite wird jede vernünftige Volkswirtschaft
ihren energiepolitischen Weg suchen. So ist es metho-
disch-wissenschaftlich richtig.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Meine Damen und Herren, ich möchte mich zunächst

bei unserem Vorsitzenden Kurt-Dieter Grill bedanken. Er
hat eine glänzende Arbeit geleistet. Kurt-Dieter, du hast
sehr viel Geduld aufbringen müssen. Wenn es jetzt nicht
zu einem gemeinsamen Bericht gekommen ist, so ist das
alles andere als die Schuld des Vorsitzenden, allerdings
auch nicht die Schuld des Sekretariats und der Mitarbei-
ter in den Fraktionen, denen ich auch ausdrücklich für ihre
Arbeit danken will.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Es gab von Anfang an fundamentale Unterschiede in

den Ansichten über eine nachhaltige Energieversorgung.
Warum haben wir denn ein Dreivierteljahr gebraucht, um
überhaupt den Einsetzungsbeschluss einvernehmlich zu-
stande zu bringen? Nur deswegen, weil auch hier schon
die fundamentalen Unterschiede erkennbar waren. Dann
haben wir festgestellt, dass wir bei der Definition des
Nachhaltigkeitsbegriffs schon weit auseinander lagen.
Es ist schlicht und einfach nicht wahr, was Herr Berg hier
sagt. Dass wir einen Konsens beim ersten Bericht gehabt
hätten, stimmt eben nicht. Wir hatten beim ersten Bericht
eine Teilung in Dissens- und Konsensteile. Der entschei-
dende Punkt war damals schon, dass SPD und Grüne das
Primat der Ökologie herausgestellt haben, bei dem wir lei-
der nicht mitmachen können.

Wenn ich die jetzige Debatte verfolge, erkenne ich,
dass sie genau das widerspiegelt. Sie definieren nachhal-
tige Energieversorgung in erster Linie vom Klimaschutz
her und die beiden anderen wesentlichen Dimensionen,
die ökonomische und die soziale, werden bei Ihnen weit-
gehend ausgeblendet. Das spielt auch in die Regierungs-
politik hinein. Nicht umsonst sind wir die Letzten beim
Wirtschaftswachstum in Europa, aber die Ersten, wenn es
um die Arbeitslosigkeit geht.


(Lachen bei der SPD – Zurufe von der SPD: Das ist falsch! – So ein Schmarren!)


Wirtschaftsminister Müller hat den entscheidenden Punkt
angesprochen, als er gesagt hat, dass er den nationalen
Alleingang beenden möchte, weil er zu teuer sei. 250Mil-
liarden Euro seien für unsere Volkswirtschaft nicht leist-
bar. Das hat wohlgemerkt Ihr Wirtschaftsminister gesagt.
Wir haben ihn – das kann ich Ihnen bestätigen – nicht ge-
wählt.


(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Das stimmt!)

Ein weiterer wesentlicher Punkt, in dem unsere Posi-

tionen weit auseinander gehen, sind die volkswirtschaft-
lichen Grundansichten. Wir stehen nach wie vor zur
sozialen Marktwirtschaft. Sie dagegen betreiben Staats-
interventionismus in Reinstkultur.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Lachen bei der SPD)





Ulrich Kasparick
25302


(C)



(D)



(A)



(B)


– Wenn Sie das nicht glauben, dann muss ich vermuten,
dass Sie Ihre eigenen Berichte nicht gelesen haben. – Ich
erkläre Ihnen gerne, was Sie eigentlich wollen. Sie wol-
len weitere Ökosteuerstufen, Subventionen, Garantie-
preise und Lenkungsmaßnahmen. Sie wollen, dass
Deutschland beim Umweltschutz die Vorreiterrolle in der
Welt hat. Sie wollen außerdem den Euratom-Vertrag kün-
digen, der die Klammer für den hier zur Diskussion ste-
henden Bereich darstellt. So sieht Ihre Politik aus. Dann
beschweren Sie sich auch noch, dass man Ihnen das vor-
hält. Das müssen Sie schon aushalten.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Ich möchte nun auf die ökonomischen Folgen einge-

hen, über die hier noch niemand gesprochen hat.

(Monika Ganseforth [SPD]: Was wollen Sie denn?)

– Darauf komme ich noch zu sprechen –. Der Ursprungs-
text enthielt eine Passage, aus der eindeutig hervorging,
welche Belastungen Ihr Szenario haben wird, das auf der
Vollversorgung durch erneuerbare Energien basiert.
In dieser Passage war zu lesen: 1 225 Euro je Einwohner
und Jahr. In der letzten Fassung haben Sie diese Passage
gestrichen, weil Sie den Bürgern dies verschweigen wol-
len. Sie treten also als Täuscher, Trickser und Blender auf,
damit in der Öffentlichkeit nicht über die wirtschaftlichen
Folgen Ihres Energiekonzepts diskutiert wird. Wir brin-
gen das aber an die Öffentlichkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1424903000
Herr Kollege, gestat-
ten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Brinkmann?


Franz Obermeier (CSU):
Rede ID: ID1424903100
Selbstverständlich.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1424903200
Bitte sehr.


Rainer Brinkmann (SPD):
Rede ID: ID1424903300
Lieber Kollege
Obermeier, da nach dem Handbuch der Volkswirtschaft
Subventionen immer staatliche Transferleistungen sind,
was nach meiner Ansicht nicht auf das EEG zutrifft, Sie
aber das EEG als Subventionsinstrument bezeichnen,
möchte ich Sie fragen: Was war in Ihren Augen eigentlich
das Stromeinspeisungsgesetz der alten Bundesregierung?


Franz Obermeier (CSU):
Rede ID: ID1424903400
Von der Systematik
her war das Stromeinspeisungsgesetz genau das Gleiche
wie das Erneuerbare-Energien-Gesetz. Es hatte die glei-
che Wirkung. Die jetzige Situation ist insofern anders, als
die volkswirtschaftlichen Auswirkungen Ihres Gesetzes
– das ist ein Hauptbestandteil Ihrer Politik – zur Belastung
für die Familien und die Betriebe werden. Das dürfen wir
uns zumindest in der jetzigen Zeit nicht leisten.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Sie wollen die Ökosteuer über das Jahr 2003 fort-

schreiben. Es reicht Ihnen nicht, dass schon jetzt 17 Cent
auf Benzin sowie je 2 Cent auf Heizöl und Strom erhoben
werden. Sie wollen weitere Ökosteuerstufen. Hören Sie

genau hin, was das Volk sagt! Dann werden Sie feststel-
len, dass die Bürger der Bundesrepublik Deutschland die
Schnauze voll von Ihrer Ökosteuer haben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Wir wollen zwar eine Ökosteuer, aber nicht Ihre, da sie
mehr oder weniger willkürlich und ungerecht ist. Nichts-
destotrotz veranstaltet die Bundesregierung einen Teuro-
gipfel. Das ist scheinheilig; denn Sie sind die größten
Preistreiber in der Bundesrepublik Deutschland.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Es ist Ihnen völlig egal, wie es den Familien ergeht. Den-
ken Sie nur einmal daran, welche Belastungen eine mehr-
köpfige Familie heute zu tragen hat. Soziale Aspekte spie-
len für Rot-Grün überhaupt keine Rolle. Sie interessieren
sich überhaupt nicht für die Belastungen – das hat schon
Herr Hirche ausgeführt –, die durch die hohen Energie-
preise für unsere Betriebe entstehen.

Vorhin wurde die Frage gestellt, was wir denn eigent-
lich wollten. Das kann ich Ihnen genau sagen. Wir haben
eine klare, nachvollziehbare Nachhaltigkeitsstrategie, die
sich an den drei Dimensionen Ökologie, Ökonomie und
Soziales orientiert. Für uns sind die volkswirtschaftlichen
Kosten bei der Durchsetzung der Nachhaltigkeitsziele so-
wie bei der Auswahl der Maßnahmen und Mittel eine ent-
scheidende Größe. Die Klimaziele sind langfristig zu den
volkswirtschaftlich niedrigsten Kosten zu verwirklichen.
Sie blenden das völlig aus. Eine Abwägung zwischen
Kosten und Nutzen findet bei Ihnen überhaupt nicht statt.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Walter Hirche [FDP])


Der Staat hat nach unserer Überzeugung vier wesent-
liche Gestaltungsaufgaben:

Er muss einen langfristig orientierten Ordnungs-
rahmen schaffen und für den Marktmechanismus sorgen.


(Michaele Hustedt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Blablabla! Luftblasen!)


Was machen Sie? Sie blenden den Markt aus. In der Rede
von Dr. Berg kamen die beiden Begriffe „Marktwirt-
schaft“ und „Wettbewerb“ überhaupt nicht vor.


(Zuruf von der SPD: Was?)

Wir sind für die Internalisierung externer Effekte,

und zwar europaweit. Kein Wort von Ihnen zu diesem
Steuerungsinstrument, zu dieser forschungspolitischen
Herausforderung, die damit auf uns zukommt, um diese
Probleme zu lösen.

Wir wollen die Hemmnisse abbauen, die den Markt-
mechanismen entgegenstehen.


(Michaele Hustedt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das reicht aber nicht aus!)


Schließlich sind wir für die Intensivierung der For-
schung und Entwicklung in diesen Bereichen.

Lassen Sie mich zum Schluss kommen.

(Zuruf von der SPD: Gott sei Dank, dass Sie zum Schluss kommen!)





Franz Obermeier

25303


(C)



(D)



(A)



(B)


Ich danke den Sachverständigen, die weitgehend glän-
zende Arbeit geleistet haben. Es tut Ihnen weh, wenn Ih-
nen jemand die Wahrheit sagt. Wir regen an, die energie-
politische Debatte in der nächsten Legislaturperiode
fortzusetzen – unter der Voraussetzung, dass sie dann
nicht unter den Fundamentalisten stattfindet.

Danke schön.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord neten der FDP)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1424903500
Das Wort hat jetzt die
Kollegin Monika Ganseforth für die SPD-Fraktion.


Prof. Monika Ganseforth (SPD):
Rede ID: ID1424903600
Frau Präsidentin! Liebe
Kollegen und Kolleginnen! Das wird meine letzte Rede.
Ich möchte darin etwas zur Enquete-Kommission sagen.
Ich bin im Laufe meiner politischen Arbeit Mitglied meh-
rerer Enquete-Kommissionen gewesen. Dies war die dritte.
Alle Enquete-Kommissionen hatten zu wenig Zeit. Sie sind
immer zu spät eingesetzt worden und zum Schluss war es
zeitlich eng. Das war allen gemeinsam. Allen gemeinsam
war auch, dass zwischen Wissenschaftlern verschiedener
Schulen und Politikern ein fruchtbarer Dialog geführt wor-
den ist. Insofern allerdings bildet die letzte Enquete-Kom-
mission eine Ausnahme. Wenn es heißt, das hänge mit dem
Wahlkampf zusammen, muss ich sagen: Das kann nicht
sein; denn auch bei allen anderen Enquete-Kommissionen
fiel das Ende in die Wahlkampfphase, in der die Bereit-
schaft zum Kompromiss natürlich geringer war.

Gerade in der Energiepolitik wäre es ungeheuer wich-
tig gewesen, die Gemeinsamkeiten in den Vordergrund zu
stellen. Dass wir uns über Atomenergie nicht einigen kön-
nen, ist klar. Aber damit muss man nicht anfangen. Man
hätte versuchen müssen, die Gemeinsamkeiten auszuloten
und zusammenzuschreiben. Ich bin sicher: Gemeinsam-
keiten hätte es gegeben. Das wäre bei einem so wichtigen
Thema wie der Energiepolitik auch der Mühe wert gewe-
sen, nicht zuletzt um Investitionssicherheit zu schaffen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Allerdings bedarf das eines Vorsitzes, der zusammen-
führt und nicht polarisiert, der moderiert und nicht trickst.


(Kurt-Dieter Grill [CDU/CSU]: Sie wiederholen bloß die Vorwürfe!)


Ich möchte in dem Zusammenhang dem stellvertretenden
Vorsitzenden Hempelmann ausdrücklich Dank sagen, der
das so gemacht hat, wie man sich das wünscht.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Dem Vorsitzenden ist das – das kann man an vielen Bei-
spielen deutlich machen – leider nicht gelungen. Man
kann es vor allem am Bericht sehen. Wir haben keinen ge-
meinsamen Bericht. Wir haben keinen Dialog mit den
Wissenschaftlern der anderen Seite führen können.


(Ilse Falk [CDU/CSU]: Das muss nicht automatisch am Vorsitzenden liegen!)


Wir haben einen Bericht der Koalition und ein Abschluss-
kapitel der anderen Seite, das wir erst vor zehn Tagen ge-
sehen haben. Die Einlassungen zu unserer Zusammenfas-
sung haben wir sogar erst am Dienstag gesehen.


(Walter Hirche [FDP]: Wir haben das von Ihnen formal erst am Tag der Übergabe des Schlussberichts bekommen! Unglaublich!)


Ich habe gestern eine Mail von einem unserer Wissen-
schaftler bekommen. Er hat Folgendes geschrieben:

... nach intensiver Lektüre der Sondervoten in der
Zusammenfassung des Enquete-Berichts drängt es
mich noch zu folgenden Anmerkungen:
... Verwundert bin ich über die vielfältigen Voten des
sonst so stillen Kollegen Schindler. Mir erscheint
dies fast wie ein geistiger Amoklauf, denn hier hat je-
mand zu einer Fülle von Aspekten Stellung genom-
men, von denen er nun nachweislich überhaupt
nichts versteht

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

(zum Beispiel KWK-Gesetz, Mietrecht, Szenario-
rechnungen, Effizienzfonds etc.).


(Walter Hirche [FDP]: Arrogante Besserwisserei!)


– Ich zitiere!
... Auch der sonst so moderate Kollege Hake zeigt
sich von einer anderen Seite: Eingriffsstaat, Kaschie-
ren dirigistischer Eingriffe, der Euratom-Vertrag hat
sich außerordentlich bewährt und sollte auf keinen
Fall (!) aufgegeben werden etc. sind ein paar Stich-
worte, die ich so nicht erwartet hatte.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Sie haben sich auch nicht aus dem Dialog in der En-
quete-Kommission ergeben.


(Zuruf von der SPD: Da ist ein Teil der Trickserei!)


– Genauso ist es.
Zum Schluss des Textes heißt es:
Insgesamt ist diese Sondervoten-Inflation jedoch
meines Erachtens ein geistiges Armutszeugnis der
schwarz-gelben Opposition und sollte von uns auch
als solches in der Öffentlichkeit herausgestellt wer-
den.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – KurtDieter Grill [CDU/CSU]: Jetzt sind wir aber stolz!)


Auch in den Reden, die eben gehalten wurden, haben
wir nicht gehört, was Sie konkret wollen. Sie sind in der
heutigen Debatte in Deckung gegangen, weil Sie nicht
möchten, dass die Konsequenzen Ihrer allgemeinen Vor-
stellungen zutage treten; stattdessen kritisieren Sie nur
unsere Politikvorschläge. Was Sie wollen, bleibt vage.




Franz Obermeier
25304


(C)



(D)



(A)



(B)


Ich sage Ihnen: Die Menschen haben es satt, Sie nur auf
der Seite der Miesmacher zu sehen und nur zu hören, was
Sie nicht wollen. Die Menschen wollen wissen, was sie
von Ihnen zu erwarten haben und was Sie konkret wollen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Sie bezeichnen das Erneuerbare-Energien-Gesetz als
Subventionsgesetz, obwohl mit ihm keine Subventionen
verbunden sind, und lehnen es ab. Sie haben eben selbst auf
die Parallelen zum Stromeinspeisungsgesetz verwiesen.


(Walter Hirche [FDP]: Wir haben konkrete Änderungsvorschläge gemacht!)


Ich komme auf die Effizienz zu sprechen. Sie kritisieren,
dass wir die Effizienz erhöhen wollen. Außerdem kritisieren
Sie die Instrumente, mit denen wir das tun wollen, zum Bei-
spiel mit Marktunterstützung, mit Informationskampagnen,
mit einem Energieeffizienzfonds. Sie lehnen das ab.

Was wollen Sie denn?

(Walter Hirche [FDP]: Nebenhaushalte lehnen wir allerdings ab!)

Sie lehnen die Stärkung kleiner Energieproduzenten und
Selbstversorger ab. Aber was wollen Sie?


(Kurt-Dieter Grill [CDU/CSU]: Lesen Sie doch einmal die 250 Seiten! Dann können Sie es beantworten!)


Sie sind – das hat mich am meisten gewundert – gegen den
Export von Wind- und Photovoltaikanlagen in Entwick-
lungs- und Schwellenländer. Das steht auf Seite 84 des Be-
richts. Lesen Sie es nach! Was wollen Sie denn? Sie wol-
len – das haben wir hier gehört – von der Vorreiterrolle, die
Deutschland im Klimaschutz spielt, Abschied nehmen.

Es ist klar, was Sie wollen: Sie wollen den Markt auf
die Renaissance derAtomenergie vorbereiten.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Sie wollen, dass bis zur Mitte des nächsten Jahrhunderts
50 bis 100 neue Atomkraftwerke gebaut werden. Rund
10 Prozent dieser Atomkraftwerke sollen mit Kraft-
Wärme-Kopplung betrieben werden und die Hälfte soll
zur Erzeugung von Wasserstoff für die Brennstoffzelle
und für die Wasserstofftechnologie dienen. Wohin soll der
Atommüll? Nach Gorleben! Das steht zwar nicht im Be-
richt; aber Sie haben es an anderer Stelle gesagt. Herr Grill
weiß, wovon ich rede.

Schon aus wirtschaftlichen Gründen wird kein Atom-
kraftwerk mehr auf dem Markt bestehen können. Sie sa-
gen das allerdings nicht direkt.


(Kurt-Dieter Grill [CDU/CSU]: Alles Unterstellungen, was Sie hier sagen!)


Stattdessen bedienen Sie sich eines Tricks; schließlich sie-
deln Sie angeblich die Wirtschaftlichkeit, also die ökono-
mische Effizienz, ganz oben an.


(Walter Hirche [FDP]: Nicht angeblich, sondern tatsächlich!)


Sie behaupten, dass Sie die Markthemmnisse abbauen
und die externen Kosten integrieren wollen. Wenn das ge-
schieht, dann wird es der Markt schon richten.

Doch was steht im Schlussbericht der Enquete-Kom-
mission? „Zusätzliche Kosten internalisieren“ heißt nach
Ihren Berechnungen, dass die zusätzlichen Kosten für
Braunkohle 3,7 Cent pro Kilowattstunde, für Steinkohle
2,5 Cent pro Kilowattstunde und für Gas im Rahmen von
GuD 1,1 Cent pro Kilowattstunde betragen. Nach Ihren
Berechnungen ist die Atomenergie nach der Wasserkraft
am zweitgünstigsten, und zwar mit zusätzlichen Kosten
von nur 0,2 Cent pro Kilowattstunde. Wenn man diese
Kosten auf den Markt abwälzt, dann müssen bis zur Mitte
des nächsten Jahrhunderts 50 bis 100 Atomkraftwerke
gebaut werden und das soll dann Nachhaltigkeit sein.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1424903700
Frau Kollegin, gestat-
ten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Hirche?


Prof. Monika Ganseforth (SPD):
Rede ID: ID1424903800
Ja.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1424903900
Bitte sehr.


Walter Hirche (FDP):
Rede ID: ID1424904000
Frau Kollegin, ist Ihnen be-
wusst, dass Sie eben die Zahlen der EU-Studie EXTERNe,
die wir in unseren Bericht übernommen haben, zitiert ha-
ben?


Prof. Monika Ganseforth (SPD):
Rede ID: ID1424904100
Ich habe ihn gelesen;
deswegen bin ich mir dessen bewusst.


(Walter Hirche [FDP]: Gut, dann ist das für die Öffentlichkeit klargestellt!)


Sie legen diese Zahlen Ihren Berechnungen zugrunde. Vor
dem Ergebnis dieser Berechnungen wollen Sie jetzt in
Deckung gehen. Man sieht es an allen Ecken und Enden.


(Walter Hirche [FDP]: Überhaupt nicht! Wir sitzen hier ganz entspannt und hören Ihnen zu!)


Es ist ganz wichtig, dass vor der Wahl klar wird, wohin
die Reise geht. Mit Ihnen bekommen wir beides: die Ri-
siken der Klimaänderung und die atomaren Risiken. Es
gibt nur eine Lösung für eine nachhaltige Energiepolitik,
die Ökonomie, Ökologie und Soziales zusammenbringt,
aber auch die von der Natur gesetzten Schranken beach-
tet, nämlich effiziente Nutzung von Energie, verstärkte
Nutzung erneuerbarer Energien und Energiesparen. Nur
so kann man dem Ziel der Nachhaltigkeit gerecht werden.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Rot-Grün hat sich auf den Weg dorthin aufgemacht. Es
lohnt sich für alle, den vorliegenden Bericht zu lesen. Es
sind viele hervorragende Vorschläge zum Beispiel zu Ma-
terialeffizienz, zu virtuellen Kraftwerken, zu neuen Kraft-
werkstechnologien – von der Nutzung erneuerbarer Ener-
gien bis hin zum Umgang mit Atomkraftwerken –, zur
Deponierung von CO2 usw. darin enthalten. Blättern Sie




Monika Ganseforth

25305


(C)



(D)



(A)



(B)


im Bericht, lesen Sie das! Ich hoffe, dass viele der Vor-
schläge, die auf Nachhaltigkeit abzielen, in der nächsten
Legislaturperiode umgesetzt werden bzw. schon auf den
Weg Gebrachtes weitergeführt wird.

Heute stimmen wir noch über zwei wichtige Anträge
ab, die ich doch noch erwähnen möchte:

Ein Antrag befasst sich mit der Stromkennzeichnung.
Es soll für den Verbraucher deutlich werden, woher sein
Strom kommt; er soll den Anteil von Atomenergie, erneu-
erbarer Energie, Kohle usw. ablesen können. Damit wer-
den dem mündigen Verbraucher Entscheidungsmöglich-
keiten an die Hand gegeben.

Außerdem stimmen wir über den Antrag zur europä-
ischen Richtlinie zum Emissionshandel ab. Das ist ein fle-
xibles Instrument des Kioto-Protokolls. Herr Paziorek hat
dazu heute reine Märchen erzählt.


(Widerspruch des Abg. Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU])


Wir wollen diesen Handel, er darf aber der deutschen
Wirtschaft nicht schaden.


(Walter Hirche [FDP]: Dann müssen Sie gegen die Richtlinie sein! – Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Warum haben Sie Ihren Antrag nicht vorgelegt?)


Wir wollen, dass die Vorleistungen – Grandfathering,
Early Actions – berücksichtigt werden. Wir wollen, dass
geprüft wird, wie das mit den bestehenden und bewährten
Instrumenten zusammengeht. Diesen Weg wollen wir ge-
hen.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1424904200
Frau Kollegin, Sie
müssen bitte zum Schluss kommen.


Prof. Monika Ganseforth (SPD):
Rede ID: ID1424904300
Ja, Frau Präsidentin. –
Ich habe gesagt, dass dies meine letzte Rede im Bundes-
tag ist. Ich möchte sie doch noch dazu nutzen, den Kolle-
ginnen und Kollegen, mit denen ich über viele Jahre mehr
oder weniger verträglich zusammengearbeitet habe,
manchmal auch gestritten habe – jedenfalls hat man von-
einander gelernt –, zu danken. Ich habe sicher den einen
oder anderen geärgert, manchmal mit Absicht – das ge-
stehe ich durchaus zu; es wäre falsch, wenn ich das leug-
nen würde.


(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Jetzt gerade noch, Frau Ganseforth! Bis zur letzten Minute!)


Denen, die weitermachen, wünsche ich viel Erfolg bei
der Umsetzung einer nachhaltigen Energiepolitik. Den-
ken Sie daran: Sie sind die Vertretung des Souveräns, des
Volkes, Sie haben eine große Verantwortung, vielleicht
eine größere als nach der Einschätzung des Ministerpräsi-
denten von Bayern. Ich denke, Sie wissen das. Sie sind
nicht nur den Verbänden und Lobbyisten gegenüber ver-
antwortlich, sondern auch unseren Kindern und Kindes-
kindern bis zur siebten Generation.


(Walter Hirche [FDP]: Sehr wahr! Aber in vernünftiger Abwägung!)


Wir haben eine große Aufgabe vor uns. Wir haben den
Weg dahin eingeschlagen. Ich werde von außen beobach-
ten und hoffe sehr, dass weiterhin das Ziel einer nachhal-
tigen Energieversorgung, wie es im dicken Schlussbericht
beschrieben steht, verfolgt wird und im Interesse des
Ganzen Erfolge verzeichnet werden.

Schönen Dank.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS sowie bei Abgeordneten der FDP)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1424904400
Frau Kollegin
Ganseforth, wir alle kennen Ihr Engagement und Ihre
nachhaltigen Bemühungen, manchmal im Streit, manch-
mal im Konsens. Das ganze Haus dankt Ihnen sehr herz-
lich für Ihr Engagement und wünscht Ihnen für die Zu-
kunft alles Gute.


(Beifall)

Nun sind wir auf die Ausführungen des Kollegen Kurt-

Dieter Grill, CDU/CSU-Fraktion, gespannt.

Kurt-Dieter Grill (CDU/CSU) (von der CDU/CSU
mit Beifall begrüßt): Frau Präsidentin! Meine sehr geehr-
ten Damen und Herren! Ich möchte mich zunächst einmal
als Vorsitzender dieser Enquete-Kommission sehr herz-
lich bei den Mitarbeitern des Sekretariats und den Sach-
verständigen und auch bei meinen Kolleginnen und Kol-
legen bedanken.


(Beifall des Abg. Dr. Axel Berg [SPD])

Ich denke, dass wir uns auch deswegen beim Sekretariat
bedanken können, weil es die Spannungen, die wir im po-
litischen Raum und unter den Sachverständigen hatten, in
einer nicht unerheblichen Weise aushalten musste.

Weil das eigentlich etwas Mitmenschliches ist, was mit
der Frage, ob man dieser oder jener Meinung ist, nichts zu
tun hat, bin ich mehr als enttäuscht, dass die Kollegin
Hustedt Herrn Rexrodt hier in dieser Art und Weise ange-
griffen hat. Wenn man selber parlamentarische Abende
mit Rechtsanwälten veranstaltet, Kollegin Hustedt, sollte
man mit solchen Vorwürfen vorsichtig sein.


(Michaele Hustedt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich verdiene aber nicht daran!)


– Die werden daran verdienen.
Das Zweite. Ich weise mit allem Nachdruck das

zurück, was Frau Ganseforth hier als anonymes Schreiben
eines wissenschaftlichen Sachverständigen der Enquete-
Kommission gegen einen Kollegen vorgetragen hat. Es ist
unerhört, dass hier im Zusammenhang mit sachlichen
Auseinandersetzungen Wörter wie Amoklauf benutzt
werden.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Ein Drittes. Von den Rednern insbesondere der Sozial-

demokraten, aber auch der Grünen ist der Eindruck er-
weckt worden, das, was von der Mehrheit als Bericht der
Enquete-Kommission beschlossen wurde, sei die Politik




Monika Ganseforth
25306


(C)



(D)



(A)



(B)


der nächsten Legislaturperioden. Der energiepolitische
Sprecher der SPD hat am Mittwochabend in einer nicht zu
überbietenden Klarheit gesagt, der Zeitraum von 50 Jah-
ren interessiere ihn nicht, er könne so weit sowieso nicht
schauen, die Vergütung aus dem EEG sei zu hoch und
müsse gekürzt werden. Er hat deutlich gemacht, dass die
SPD diesen Bericht der Enquete-Kommission nicht zum
Maßstab ihrer Energiepolitik für die Zukunft machen
wird. Nur so viel zur Klarstellung durch den energiepoli-
tischen Sprecher der SPD!


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wir kennen Ihr Verhalten in diesem Zusammenhang ja

langsam. Ich will Ihnen nur in Erinnerung rufen: Den Ti-
tel vom „Weltmeister in Sachen Windenergie“ haben Sie
von uns übernommen. Damit Sie das nicht vergessen: Das
war nicht Ihr Werk, sondern Sie haben auf unseren Leis-
tungen in der Klimapolitik und bei den erneuerbaren
Energien aufbauen können.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Ein weiterer interessanter Punkt. Frau Hustedt hat vor-

hin hier gesagt, wir seien die Ursache dafür, dass man die
deutschen Interessen bei dem Thema Emissionshandel in
Brüssel nicht durchsetzen könne. Aber Sie verzichten
heute auf eine dezidierte Stellungnahme des Deutschen
Bundestages. Sie schimpfen über unseren Ent-
schließungsantrag, aber Ihren haben wir nur im Ausschuss
gesehen, sodass der Deutsche Bundestag heute keine de-
zidierte Stellungnahme gegenüber Brüssel abgibt. Sparen
Sie sich die Vorwürfe an die Opposition; denn Sie nehmen
Positionen ein, die Sie in den Ausschüssen beschreiben,
bei denen Sie aber offensichtlich zu feige sind, sie hier im
Deutschen Bundestag zur Abstimmung zu stellen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Dann haben Sie gesagt, was wir machen, sei alles
Wahlkampf.


(Dr. Axel Berg [SPD]: Das hat niemand gesagt! Aber die Wähler interessiert das Ergebnis!)


Die Verleumdungskampagne – wir sind ja mittlerweile
schon bei 100 Kernkraftwerken –, die Sie inszenieren, ist
unglaublich.


(Walter Hirche [FDP]: Und gleichzeitig lachhaft!)


Wenn Sie die Dinge so darstellen, dann sollten Sie auch
die Ursachen beschreiben, die dazu führen. Dann müssen
Sie auch sagen, dass das Wuppertal-Institut insbesondere
die Frage des Einsatzes von Wasserstoff als Treibstoff mit
einbezogen hat.


(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Aha!)

Ich sage für die deutsche Öffentlichkeit noch einmal aus-
drücklich: Niemand in der CDU/CSU macht sich dieses
Referenzszenario zu Eigen.


(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: So ist es!)

Sie werden, wenn Sie das weiterhin draußen erzählen,
nichts anderes als die Unwahrheit verbreiten.


(Beifall bei der CDU/CSU)


In diesen Katalog gehört genauso die Behauptung, wir
wollten das EEG abschaffen. Wir wollen es in Richtung
ökonomische Effizienz umbauen. Wir reden hier nicht
über Staatsgeld, sondern über das Geld von Bürgerinnen
und Bürgern dieses Landes, die mit ihrer Stromrechnung
die Windenergie und die Solarenergie bezahlen. Deshalb
haben sie einen Anspruch darauf, dass das Geld sinnvoll
ausgegeben wird. Es darf nicht jedem, der irgendetwas
machen will, in die Hand gegeben werden.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Es gibt Wissenschaftler – ich habe Ihnen das schon vor-
getragen –, die sagen, mit dem gleichen Geld könne man
das Fünffache schaffen.


(Walter Hirche [FDP]: Das ist auch das Fünffache an Arbeitsplätzen!)


Wenn glaubwürdige Wissenschaftler so etwas sagen,
dann muss ich dem nachgehen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich habe den Kronzeugen, den Sie gegen Frau Merkel

aufgerufen haben, den Präsidenten des Umweltbundes-
amtes, gefragt und er hat gesagt, er habe mit der „Berliner
Zeitung“ nie darüber gesprochen. Also können Sie ihn
auch nicht gegen uns in Stellung bringen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich will noch einmal deutlich machen, warum wir in

der Frage der Nachhaltigkeit bei den zentralen Elementen
nicht zusammenkommen:

Erstens. Wir hatten in der letzten Legislaturperiode ei-
nen Konsens über die Definition und die Operationalisie-
rung von Nachhaltigkeit. Den haben Sie aufgegeben,
nicht wir. Wir haben an den Konsens der letzten Legisla-
turperiode angeknüpft.

Zweitens. Mit einer bestimmten Argumentation aus der
Klimapolitik, mit Naturschranken, rechtfertigen Sie eine
staatsmonopolistische Wirtschaft, die im krassen Gegen-
satz zu dem steht, was die Bundesregierung zu Wettbe-
werb, Markt und Subventionsfreiheit im Energiebereich
dargestellt hat.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Walter Hirche [FDP])


Das Denkverbot bezieht sich nicht nur auf die Kern-
energie. Wie mühsam haben wir Ihnen Positionierungen
für die Kohle abringen müssen! Sie haben den Vertreter
der IG BCE mit einem klaren Nein abgebürstet, was die
Kohlepolitik angeht.


(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Das ist erstaunlich!)


Bevor Sie anderen die Schuld zuweisen, sollten Sie sich
einmal überlegen, ob die Ursache für die Tatsache, dass
wir keinen Konsens gefunden haben, nicht darin liegt,
dass Sie erhebliche Mühe hatten, sich zwischen Rot und
Grün zu verständigen.


(Widerspruch bei der SPD)





Kurt-Dieter Grill

25307


(C)



(D)



(A)



(B)


– Wie oft haben wir auf Vorlagen gewartet! Wie oft sind
sie geändert worden, weil Sie unter sich keinen Konsens
gefunden haben!


(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Wie beim Emissionshandel! – Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir haben einen Konsens mit der Atomwirtschaft erzielt!)


Lieber Herr Kasparick, es gibt überhaupt keinen Zwei-
fel: Die Zukunft der Energieversorgung wird dezentraler
werden.


(Walter Hirche [FDP]: Aber zentral und dezentral! Ein Mix!)


Darüber und auch über manches, was Sie hier zur For-
schung gesagt haben, können wir uns verständigen. Ich
frage nur: Warum haben Sie in den letzten vier Jahren
nicht das gemacht, was Sie hier zur Energieforschung
vorgetragen haben?

Auch in Ihrem Haushalt für 2003 steht nach wie vor die
Milliarde für die Kernfusionsforschung. Sie müssen end-
lich einmal aufhören, in der Öffentlichkeit den Eindruck
zu erwecken, Sie wären an der Kernfusion und an der
Kernenergie nicht mehr dran. Sie forschen weiter. Es war
interessant, dass Herr Catenhusen beim Vortrag in der En-
quete-Kommission alles zur Energieforschung vorgetra-
gen hat, aber die Milliarde für die Kernfusion nicht er-
wähnt hat.

Das ist genauso schön wie die Tatsache, dass Sie zwar
stets die gewaltigen Weltmärkte für Solar-, Wind- und
ähnliche Energien betonen, Ihren Entwicklungshaushalt
2003 dann aber um 80 Millionen Euro kürzen. Das ist die
Wahrheit. Fangen Sie doch einmal an, das Human Capital
und das Geld zur Verfügung zu stellen, damit diejenigen,
die unsere Hightechprodukte kaufen sollen, sie überhaupt
bezahlen und betreiben können! Sie sind in dieser Politik
doch unglaubwürdig.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Wir haben oft genug erlebt, dass Sie sich darüber be-

schweren, dass die Energieversorger die Strompreise er-
höhen. Was für einen Job machen Sie? Sie erwecken den
Eindruck, es sei schlimm, wenn Eon, RWE oder wer auch
immer die Strompreise um 10 Prozent erhöht, und feiern
sich selbst für weitere Erhöhungen der Ökosteuer. Erklä-
ren Sie mir einmal den Unterschied zwischen 5 Cent Er-
höhung durch die Ökosteuer und 5 Cent Erhöhung durch
RWE! Das kriegen Sie nicht hin. Am Schluss muss man
immer 5 Cent mehr bezahlen. Deswegen sollten Sie diese
Diffamierungskampagne einstellen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Walter Hirche [FDP])


Ich komme zum Abschluss. Die Schlussbemerkung
von Frau Hustedt hat mich eigentlich gar nicht überrascht.
Sie hat gesagt: Nur unser Pfad ist zukunftsfähig.


(Zurufe von der SPD: So ist es!)

– Es ist ja schön, dass Sie das glauben. Aber darin liegt die
Arroganz, im Besitz der einzigen Wahrheit zu sein, die Sie
im Grunde genommen nur in die Irre führen kann.


(Walter Hirche [FDP]: Das ist der alte deutsche Oberlehrer! Eine Oberlehrerin in diesem Falle!)


Die Wahrheit ist keine Frage der Mehrheit. Der Eindruck,
den Sie draußen erwecken wollen – nur Sie seien zu-
kunftsfähig –, hält einer Prüfung nicht stand. Denn in
Wahrheit wollen Sie einen Staat, der alles reguliert.


(Widerspruch bei der SPD)

Sie haben die Monopole kritisiert. Jetzt kritisieren Sie die
Liberalisierung und wollen zurück zur Staatsintervention.
Einen solchen Staat können Sie mit uns nicht machen.

Ich wünsche meinem Freund Walter Hirche viel Spaß
nicht nur am 22. September, sondern auch am 2. Februar,
damit wir dann wieder gemeinsam in der Regierung ar-
beiten können.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1424904500
Es gibt Wünsche nach
Kurzinterventionen von den Kollegen Reinhard Loske
und Hermann Scheer. Darauf antwortet dann Herr Grill,
wenn er mag. Das ist es aber dann auch, weil wir weiter-
machen wollen.

Kollege Loske, bitte.


Dr. Reinhard Loske (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1424904600

Schönen Dank, Frau Präsidentin.

Herr Grill, Sie haben gerade darüber geklagt, dass in
der Kommission kein Konsens zustande gekommen ist.
Aber die Art und Weise, in der Sie hier vorgetragen haben,
macht, glaube ich, jedem klar, warum das so ist. Das war
selbstredend.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)


Ich möchte einige Punkte herausgreifen, erstens den
Emissionshandel. Herr Kollege Grill, wie war denn das
Verfahren? Die Kommission hat einen Vorschlag ge-
macht. An diesem Vorschlag gibt es von deutscher Seite
aus Kritik. Diese Kritik ist in Brüssel vorgetragen worden
und die Koalitionsfraktionen haben dazu einen Beschluss
gefasst. Der gewaltige Unterschied zwischen Ihnen und
uns besteht darin, dass wir im Verfahren auf die Ausge-
staltung des Emissionshandels Einfluss nehmen wollen
und auf Kooperation statt auf Obstruktion setzen. Ihre Li-
nie wäre ein deutscher Sonderweg in Europa, den wir
nicht wollen. Wir wollen die Vorlage so verändern, dass
sie zielführend ist; das ist der Unterschied.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Zweiter Punkt. Herr Kollege Obermeier, für Sie sind
die Kraft-Wärme-Kopplung und die erneuerbaren Ener-
gien lediglich schreckliche Subventionstatbestände. Wir
alle wissen: Diese Instrumente werden im Umlageverfah-
ren finanziert; es sind keine Subventionstatbestände.


(Walter Hirche [FDP]: Das ist natürlich Subvention!)





Kurt-Dieter Grill
25308


(C)



(D)



(A)



(B)


Abgesehen davon hieß es, diese Dinge könnten wir uns zur-
zeit nicht leisten. Ich möchte noch einmal darauf hinweisen:
Tatsache ist, dass durch das KWK-Gesetz und durch das Er-
neuerbare-Energien-Gesetz die Strompreise in Deutschland
um 0,24 Pfennig pro Kilowattstunde gestiegen sind. Das ist
die Auskunft des Verbandes der Industriellen Energie- und
Kraftwirtschaft. Bei einem durchschnittlichen Strompreis
von 25 Pfennig ist das weniger als 1 Prozent. Das heißt, der
Union ist Klimaschutz weniger als 1 Prozent der Energie-
preise wert. Das ist skandalös.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Zur Ökosteuer wurde auch schon mehrfach etwas ge-
sagt. Ich möchte gar nicht weiter darüber sprechen, dass
in den 90er-Jahren die andere Seite des Hauses die Mine-
ralölsteuer insgesamt um fast 50 Pfennig erhöht hat und
das in den schwarzen Löchern von Theo Waigel hat un-
tergehen lassen. Auch heute wurde mehrmals moniert,
dass die Ökosteuer ein riesiges Problem darstelle. Wenn
Sie, meine Damen und Herren von der Union, sagen, die
Ökosteuer sei so problematisch, warum schaffen Sie sie
dann nicht ab? Offenbar hat auch Stoiber mittlerweile
eingesehen, dass sie bleiben muss.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


Sie wissen nämlich genau, dass die Rentenversicherungs-
beiträge ansonsten von heute 19,1 Prozent auf 21 Prozent
ansteigen würden. Sagen Sie das bitte den Menschen, die
uns hier zuhören: Sie wollen höhere Rentenversiche-
rungsbeiträge oder Sie wollen die Rente kürzen. Das ist
die Wahrheit.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ein letzter Punkt, zum Kollegen Hirche. Sie haben ei-
nen künstlichen Widerspruch zwischen Zielorientierung
und Technologieorientierung aufgebaut und gesagt: Wir
wollen nur die Ziele festlegen und keine Technologien
fördern. Abgesehen davon, dass das natürlich Quatsch ist
– man braucht beides; in der Vergangenheit sind immer
auch Technologien gefördert worden, das ist gar keine
Frage –, ist der Unterschied zwischen Ihnen und uns, dass
wir dem Fortschritt eine Richtung geben wollen. Wir wol-
len in das solare Zeitalter vorstoßen. Das passiert nicht
von selbst, sondern durch politische Rahmensetzungen.
Diese wollen wir. Das ist der Unterschied, den wir im
Wahlkampf klar machen werden.

Danke schön.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1424904700
Nun hat zu einer
Kurzintervention das Wort der Kollege Hermann Scheer.


Dr. Hermann Scheer (SPD):
Rede ID: ID1424904800
Ich möchte nicht zum
Bericht der Enquete-Kommission Stellung nehmen, weil
ich dort nicht selbst mitgearbeitet habe. Aber ich möchte
einiges zur Debatte sagen. Es ist gespenstisch und pro-
vinziell, wenn der Hintergrund dieser Debatte, der die Ar-

beit der Enquete-Kommission überhaupt erst ausgelöst
hat – ein existenzielles Weltenergieproblem, das aus
Gründen der ökologischen Begrenzung des herkömmli-
chen Energieverbrauchs und aus Gründen der begrenzten
Verfügbarkeit von fossilen Ressourcen entstanden ist –,
auf eine reine Preiskategorie verengt wird. Damit werden
wir weder der globalen noch der nationalen wirtschaftli-
chen, ökologischen und sozialen Herausforderung auch
nur annähernd gerecht.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


Bestimmte Debattenbeiträge zeigen auch: Der Ver-
such, eine objektive Wahrheit zu finden – das war gewis-
sermaßen die Idee der Enquete-Kommission –, ist offen-
sichtlich dann zum Scheitern verurteilt, wenn die
Prämissen, die die Beteiligten haben, nicht klar auf dem
Tisch liegen. Es gibt nämlich keine objektive Wahrheit. Es
gibt Prämissen, welche die einen für gegeben ansehen und
die anderen nicht. Es ist wichtig, diese Prämissen auf den
Tisch zu legen.

Die Prämisse, die Herr Hirche offenkundig zugrunde
legt, ist: Markt geht vor Umwelt. Zu Ende gedacht, be-
deutet dies im Kern: Wir hätten vielleicht irgendwann die
globale Umwelt retten oder das Energieproblem überwin-
den können, aber weil das mit den Marktinstrumenten, so
wie man sie sich vorstellt, nicht vereinbar war, war es uns
dann schade um die Welt. – Das wäre die konsequente
Durchsetzung des Marktprinzips in der Energieversor-
gung. Damit kommen Sie keinen Schritt weiter, vor allem
nicht auf Alternativen bezogen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


Ich komme nun zu einer zweiten Kontroverse. Nie-
mand kann die Augen davor verschließen, dass sich die
fossilen wie auch die atomaren Energievorräte dem Ende
zuneigen. Es gibt aber eine unerschöpfliche Energie-
quelle, nämlich die erneuerbaren Energien, wenn man
einmal von der Schimäre der Fusionsenergie absieht. Die
Zukunftsfrage ist also: Solar- oder Atomenergie? Zu den-
ken, dass Euratom oder die Fusionsforschung nicht mit
einer Staatsintervention einhergingen, ist falsch. Das ist
ebenfalls Staatsintervention.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Das heißt, in Wahrheit wird das Marktprinzip gar nicht
durchgehalten. Es wird aufgegeben, wenn die Prämisse
der Fortsetzung der atomaren Energieversorgung ins Feld
geführt wird. Das ist die eigentliche Kontroverse in der
energiepolitischen Debatte, die die Enquete-Kommission
ganz offensichtlich gelähmt hat.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1424904900
Nun erteile ich das
Wort dem Kollegen Grill, dann dem Kollegen Hirche. Sie
sind sicher einverstanden, wenn wir danach mit dem Re-
debeitrag des Kollegen Hempelmann fortfahren.

Zunächst Herr Grill. Bitte sehr.




Dr. Reinhard Loske

25309


(C)



(D)



(A)



(B)



Kurt-Dieter Grill (CDU):
Rede ID: ID1424905000
Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren! Herr Kollege Loske, was Sie
über den Konsens gesagt haben, hake ich ab; denn das
können Sie gar nicht beurteilen.


(Dr. Axel Berg [SPD]: Sie sind hier nicht der Schiedsrichter, Herr Grill!)


– Sie schon gar nicht, Herr Berg. Ich darf Sie daran erin-
nern, dass niemand von Ihnen an der Klausurtagung teil-
genommen hat, kein einziger von zwölf SPD-Abgeordne-
ten. Ich will mich damit aber gar nicht aufhalten; denn
das, was Sie hier tun, ist lächerlich.

Sie haben den Emissionshandel angesprochen. Da
muss ich Sie aber schon fragen: Warum liegt Ihr Antrag
aus dem Ausschuss hier nicht vor? Ich lasse mir doch
nicht von Frau Hustedt vorwerfen, wir würden Sie hin-
dern, in Brüssel etwas Vernünftiges zu tun, wenn wir an-
schließend feststellen müssen, dass sich das deutsche Par-
lament in Sachen Zertifikatehandel gar nicht positioniert,
weil Sie Ihren Antrag nicht vorlegen.


(Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Doch! Er liegt vor!)


– Der Antrag aus dem Ausschuss liegt hier nicht vor.

(Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Natürlich liegt er vor, in der Beschlussempfehlung!)

– Nein.


(Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Sicher, in der Beschlussempfehlung! Sie können nicht lesen! Überfordert sind Sie! – Monika Ganseforth [SPD]: So ein Vorsitzender!)


Ich möchte noch einige Bemerkungen zur Ökosteuer
machen. Ihr Bundeskanzler wird in der Zeitschrift des
ADAC mit einer Aussage abgedruckt so nach dem Motto,
mit dem Quatsch Ökosteuer sei ab 2003 Schluss. Sie aber
vertreten die Position, dass die Ökosteuer kontinuierlich
erhöht werden muss. Als Opposition werden Sie uns des-
halb schon die Frage erlauben müssen, was denn nun gilt:
Gilt Gerhard Schröders Aussage in dieser Zeitschrift ge-
genüber 2Millionen Mitgliedern des ADAC, die alle Auto
fahren und genau wissen, worum es geht? Oder gilt das,
was Sie heute verkünden, nämlich die ständige Erhöhung
der Ökosteuer?


(Dr. Axel Berg [SPD]: Sie entwerten die Arbeit der Kommission, die Sie selber geleitet haben!)


Diese Frage müssen Sie sich schon gefallen lassen.
Nun zu dem, was der Kollege Scheer gerade gesagt hat.

Herr Kollege Scheer, die Position „Markt vor Umwelt“
vertritt hier niemand. Es war immer die Politik der Union,
den Markt für die Umwelt zu mobilisieren.


(Dr. Reinhard Loske [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da lachen ja die Hühner!)


Wir können die Marktwirtschaft im Bereich der Ökologie
einsetzen.

Sie müssen sich nur einmal die Situation aller Staats-
wirtschaften und Marktwirtschaften vor Augen führen, als
1990 die Mauer gefallen ist. Dann haben Sie überhaupt

keine Veranlassung zu behaupten, dass der Markt keine
ökologische Wirkung habe. Auch in dieser Hinsicht ist die
Marktwirtschaft besser als alle Planwirtschaften, die wir
auf dieser Welt erlebt haben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1424905100
Ich bitte Sie herzlich,
jetzt zum Schluss zu kommen, Herr Kollege. Ihre Rede-
zeit ist abgelaufen.


Kurt-Dieter Grill (CDU):
Rede ID: ID1424905200
Ich möchte nur noch
einen Satz sagen, Frau Präsidentin. – Herr Scheer, die Al-
ternative ist nicht: Solar oder Atom. Ich kann die beiden
Sachen – das unterscheidet uns – durchaus miteinander
verbinden. Viele Probleme entstehen nur deshalb, weil Sie
immer glauben, Sie müssten uns auf die Kernenergie fest-
nageln.


(Dr. Axel Berg [SPD]: Der Vorsitzende richtet sich selbst!)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1424905300
Herr Hirche, bitte.


Walter Hirche (FDP):
Rede ID: ID1424905400
Frau Präsidentin! Da ich den
Kollegen Hermann Scheer schon aus meiner Heidelberger
Studentenzeit kenne, weiß ich, dass er wortgewaltig ist
und manchmal auch einen Popanz aufbaut, indem er sich
Sachverhalte so zurecht legt, dass man nachher umso bes-
ser draufschlagen kann.

Wenn du meine Rede wirklich verfolgt hättest, hättest
du gehört, dass ich dafür plädiere, die Marktinstrumente
für die Umwelt einzusetzen. Nicht Markt vor Umwelt,
sondern Markt für Umwelt.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das ist ein gewisser Unterschied, auch wenn sich das ent-
scheidende Wort nur durch zwei Buchstaben unterscheidet.

Ich bleibe auch angesichts dieser Kontroverse dabei,
dass wir in Deutschland mit Marktinstrumenten am
erfolgreichsten waren. Das bestreiten weder der Wirt-
schaftsminister noch, wenn ich es richtig sehe, der Kol-
lege Michael Müller. Deshalb sollten wir die Marktinstru-
mente auch in Zukunft einsetzen – auch wenn die Ziele
möglicherweise unterschiedlich definiert werden.


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das tun wir doch!)


Zumindest aber sollten wir nicht, wie das Hermann
Scheer eben getan hat


(Zuruf der Abg. Michaele Hustedt [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])


– Sie sind doch gar nicht angesprochen –, künstlich pola-
risieren, um anschließend polemisieren zu können. Lieber
Hermann Scheer, ich kenne dich gut genug, um zu wissen:
Das ist nicht etwa Selbsttäuschung, sondern der Versuch
– das finde ich schade –, eine andere Position polemisch
zu diffamieren.






(C)



(D)



(A)



(B)


Ich würde es begrüßen, wenn wir trotz gegensätzlicher
Positionen, zum Beispiel beim Thema Kernenergie, ver-
nünftig miteinander reden könnten. Das gilt – weil ich ne-
ben dir gerade den Kollegen Werner Labsch sitzen sehe –
auch für das Thema Kohle: neue Kohletechnologien als
Alternative zu erneuerbaren Energien.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich bleibe dabei: Es ist nicht entscheidend, welche
Techniken dazu führen, dass wir die Treibhausgase sen-
ken. Wenn wir uns in dem Ziel einig sind, dass wir die Kli-
maschädlichkeit des heutigen Energiesystems verringern
wollen, dann können wir doch über den Prozess reden.
Der Unterschied zwischen uns ist – das sage ich jetzt sehr
dezidiert –, dass du als Interessenvertreter einer Branche
natürlich deine Interessen einbringst, während ich
möchte, dass wir hier offen miteinander diskutieren, und
zwar marktoffen und technikoffen, damit wir die Ziele,
die wir gemeinsam vor uns haben, realisieren können.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Abg. Dr. Hermann Scheer [SPD] meldet sich zu einer weiteren Kurzintervention)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1424905500
Herr Kollege Scheer,
ich habe vorhin gesagt, dass wir keine weiteren Wortmel-
dungen zulassen.


(Zurufe von der SPD)

– Es ist richtig, es ist der Vorwurf der Interessenvertretung
erhoben worden. Insofern sollte der Kollege Scheer dazu
das Wort bekommen und sollte Herr Hirche darauf auch
noch einmal antworten dürfen.


(Franz Obermeier [CDU/CSU]: Was ist denn mit Herrn Rexrodt?)


Das ist richtig: Solche Vorwürfe sollten wir nicht stehen
lassen. Deswegen bitte ich um Verständnis, wenn ich eine
weitere Intervention des Kollegen Scheer zulasse, auf die
der Kollege Hirche dann kurz antworten darf.


Dr. Hermann Scheer (SPD):
Rede ID: ID1424905600
Schönen Dank, Frau
Präsidentin. – Ich bin an der Stelle sehr akkurat, weil ich
einen solchen Vorwurf prinzipiell nicht auf mir sitzen las-
sen will, egal woher er kommt. Er ist auch schon aus der
eigenen Partei gekommen.

Ich bin ehrenamtlicher Präsident einer gemeinnützigen
Vereinigung für erneuerbare Energien und nicht Präsident
eines Interessenverbandes. Ich habe jede Verbindung zu
einem wirtschaftlichen Interesse bisher strikt abgelehnt.
Ich nehme Aufsichtsratsmandate und dergleichen nicht
an. Ich lege höchsten Wert darauf, dieses festzustellen,
weil ich es für eine ungute Erscheinung halte, wenn Ab-
geordnete zum Beispiel in Aufsichtsräten sitzen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


Das ist für mich ein prinzipieller Standpunkt, der etwas
mit meiner parlamentarisch-politischen Ethik zu tun hat.

Deswegen bitte ich Walter Hirche, seinen Vorwurf
zurückzunehmen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1424905700
Jetzt hat der Kollege
Hirche das Wort.


Walter Hirche (FDP):
Rede ID: ID1424905800
Frau Präsidentin, ich möchte
mich dafür bedanken, dass Sie dem Kollegen Hermann
Scheer die Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben haben.
Ich sage ausdrücklich – bitte nehmen Sie mir das ab –: Ich
habe das Wort „Interessenvertreter“ nicht im Sinne wirt-
schaftlicher Interessenvertretung gemeint. Wenn du das so
verstanden hast, Hermann, nehme ich das zurück.

Ich bleibe dabei – das ist auch nicht ehrenrührig –, dass
du ein Interessenvertreter bist und bleibst; denn du ver-
trittst die Idee, die Solarenergie zur wichtigsten Energie-
quelle zu machen. Dafür bist du angetreten. Das werde ich
doch wohl öffentlich feststellen können.


(Beifall bei der FDP)

Ich möchte, dass wir in Deutschland eine Diskussion

über solche Differenzierungen führen. Es wäre vielleicht
für alle hilfreich, wenn das Wort „Interessenvertreter“
nicht mehr automatisch von vielen – deswegen nehme ich
das Wort auch zurück – mit wirtschaftlichen Interessen
verknüpft würde.

Ich bleibe dabei: Du nimmst mit aller Rigorosität die
Interessen eines Sektors der Energiewirtschaft wahr. Das
ist nichts Ehrenrühriges, sondern das ist offen. Wenn darin
jemand eine Unterstellung sieht, dann möchte ich sie zu-
rückweisen. Ich möchte ausdrücklich sagen: Ich schätze
die Trennung, die Hermann Scheer im Unterschied zu
manch anderem macht, sehr.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP, der SPD und der CDU/CSU)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1424905900
Das Wort hat nun der
Kollege Rolf Hempelmann für die SPD-Fraktion.


Rolf Hempelmann (SPD):
Rede ID: ID1424906000
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Zweieinhalb Jahre hat die Enquete-
Kommission Energieversorgung getagt. Es war nicht im-
mer einfach, es war auch in der Rolle des stellvertretenden
Vorsitzenden nicht immer einfach. Ich will dennoch den
Versuch machen, heute zum Abschluss dieser Debatte vor
dem Hohen Hause, das vielleicht nicht alle so wertschät-
zen, wie wir das tun, zur Versachlichung der Debatte bei-
zutragen, weil ich aus meiner Rolle auch nicht raus kann.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Einige Behauptungen sind hier aufgestellt worden, bei-

spielsweise die, unser Antrag zum Emissionshandel liege
nicht vor. Er liegt vor und ist Teil der Berichterstattung des
Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsi-
cherheit. Wenn man sich diese Unterlage vornimmt, weiß
man, was in unserem Antrag steht. Man weiß auch, dass
hier ein Popanz aufgebaut worden ist; denn unser Antrag




Walter Hirche

25311


(C)



(D)



(A)



(B)


unterscheidet sich in den wesentlichen Punkten nicht von
dem, was hier der Kollege Paziorek gefordert hat. Ich
bitte, das zur Kenntnis zu nehmen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Polarisierungen haben in der Politik gelegentlich einen
Sinn, aber sie müssen in der Tat sachliche Unterschiede
betreffen. Dass diese hier nicht vorhanden sind, sollten
wir festhalten.


(V o r s i t z : Vizepräsidentin Petra Bläss)

Mein zweiter Punkt bezieht sich auf die Fusionsfor-

schung.Wir, insbesondere unser Fachpolitiker in diesem
Bereich, Ulrich Kasparick, haben – ich denke, zu Recht –
deutlich gemacht, dass wir der Auffassung sind, dass die
Gelder, die in diesen Bereich fließen, fehlalloziert sind
und wir in Zukunft umdenken müssen. Es wird uns zum
Vorwurf gemacht, dass im nächsten Haushalt für diesen
Bereich Mittel eingesetzt sind. Es bleibt festzuhalten, dass
wir Verträge erfüllen, Verträge, die zu Ihrer Regierungs-
zeit abgeschlossen worden sind. Ich denke, das Einhalten
von Verträgen ist eine gute Tugend, nicht nur in diesem
Bereich, sondern auch in anderen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir haben anderthalb Jahre für einen ersten Bericht ge-
braucht. Dabei haben wir uns sehr viel Mühe gegeben, ei-
nen Konsens zu erzielen. Natürlich haben wir ihn nicht in
allen Punkten erreicht, aber wir haben einen gemeinsamen
Bericht abgegeben, in dem gezielt in einzelnen Punkten
auf unterschiedliche Auffassungen hingewiesen wurde.
Das war der Abschluss eines Dialogs. Dieser Dialog ist lei-
der zum Ende der Kommissionsarbeit auf der Strecke ge-
blieben und wir haben keinen gemeinsamen Bericht zu-
stande gebracht.

Ich sage ausdrücklich, dass ich mir für die nächste Le-
gislaturperiode wünsche, dass wir, wenn auch nicht in einer
Enquete-Kommission, sondern hier im Deutschen Bundes-
tag und in den Ausschüssen, diesen Dialog fortsetzen und
beharrlich an dem Ziel, einen breiten Konsens in Sachen
Energiepolitik zu erreichen, festhalten. Wir brauchen ihn
zur Planungssicherheit für die Energiewirtschaft, aber auch
für sichere Perspektiven unserer gesamten Gesellschaft.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Im Vergleich von Votum und Minderheitsvotum dieses
Berichts wird fundamental deutlich, wo – jedenfalls bis-
her – die Unterschiede liegen. Union und FDP können
sich nicht herausreden: Sie bevorzugen ein Szenario, in
dem die Kernkraft eine zentrale Bedeutung hat und nach
dem ein umfangreicher Zubau von Atomkraftwerken er-
folgen soll. In den einzelnen Minderheitsvoten in der Zu-
sammenfassung wird deutlich, was abgelehnt wird; in ih-
nen wird aber wenig klar, was von Ihnen als Alternative
vorgeschlagen wird.


(Kurt-Dieter Grill [CDU/CSU]: Das ist auf 250 Seiten dargestellt! –Walter Hirche [FDP]: In der Zusammenfassung musste man sich auf Ihren Text beziehen! – Zuruf von der CDU/CSU: Man muss schon alles lesen!)


– Ich gehöre zu denen, die alles gelesen haben.
Rot-Grün bevorzugt dagegen ein Szenario, das auf die

Steigerung von Energieeffizienz und auf den Ausbau er-
neuerbarer Energien setzt. Unter Berücksichtigung aller
Kosten, auch der vermiedenen Kosten, ist dies das billigs-
te aller Szenarien. Es berücksichtigt also, Walter Hirche,
die volkswirtschaftlichen Kosten; auch hier wird ein Po-
panz aufgebaut. Dieses Szenario, das auf Effizienz und
auf erneuerbare Energien setzt, ist auf Dauer – wir hatten
einen sehr langen Zeitraum zu betrachten – das kosten-
günstigste.


(Beifall bei der SPD)

Ich sage auch etwas zur Kohle; dieses Stichwort hat

Walter Hirche eben genannt. Wir halten hier eine ganz
klare Linie ein. Bei uns gibt es keinen Wechselkurs zwi-
schen den Spitzenkandidaten Stoiber und Westerwelle,
die fordern, aus den Subventionen vollständig herauszu-
gehen, und den Fraktionen von CDU/CSU und FDP, die
zum Beispiel fordern, die Förderung der Kohletechnolo-
gien ins Visier zu nehmen.

Wir haben in unserem Bericht deutlich gemacht, dass
die Kohle auch in einem Szenario, das auf die Senkung
von Treibhausgasen und CO2 setzt, eine Rolle spielenkann, allerdings nur dann, wenn sichergestellt wird, dass
die Kohlekraftwerkstechnologie noch effizienter wird.
Hier hat es zwar Fortschritte gegeben, hier muss es aber
in den nächsten Jahren noch weitere Fortschritte geben.
Insbesondere muss eine entsprechende Forschung und
Entwicklung stattfinden, um zu CO2-freien Kraftwerkenzu kommen. In diesem Zusammenhang gibt es noch eine
Menge Unsicherheiten: beispielsweise über die Kosten
der CO2-Abtrennung und die Einlagerungspotenziale.Wenn diese Fragen beantwortet sein werden, wird die
Kohle – auch die heimische Kohle – für die Zukunft
durchaus eine Chance haben. Das ist auch richtig so, weil
wir selbstverständlich wissen, dass der Einsatz von Kohle
insbesondere in der Verstromung weltweit zunimmt.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Walter Hirche [FDP]: Das ist aber ein persönlicher Beitrag zu Ihrem Mehrheitsvotum!)


Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, was wir in
der nächsten Legislaturperiode nicht tun sollten, ist, un-
terschiedliche Schwerpunktsetzungen der Bundesregie-
rung und einer Enquete-Kommission gegeneinander aus-
zuspielen. Wir haben grundsätzlich unterschiedliche
Aufträge.


(Walter Hirche [FDP]: Deswegen brauchen Sie noch keine unterschiedlichen Auffassungen zu haben!)


Wir hatten einen sehr langen Zeitraum von 50 Jahren zu
betrachten. So wie Sie hier Volker Jung zitiert haben, mit
dem Sie am Mittwochabend zusammen waren – er hat mir
am nächsten Tag davon erzählt –, haben Sie ihn schlicht
verzerrt zitiert.


(Beifall der Abg. Michaele Hustedt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Er hatte sich mit Tagespolitik auseinander zu setzen,
während unser Betrachtungszeitraum 50 Jahre betrug.




Rolf Hempelmann
25312


(C)



(D)



(A)



(B)


Im Hinblick auf diesen langen Betrachtungszeitraum
haben wir zum Ausdruck gebracht, dass es zwar eine theo-
retische Gleichrangigkeit der drei Dimensionen Soziales,
Ökonomie und Ökologie gibt, dass wir aber darauf ach-
ten müssen – hier ist es mir egal, ob wir von Naturschran-
ken oder Leitplanken sprechen –, dass unsere Umwelt
keine irreparablen Schäden nimmt. Dieser Leitgedanke
sorgt in der langfristigen Betrachtung gelegentlich auch
einmal für ein Primat der Ökologie.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


In der kurzfristigen Betrachtung haben wir gezeigt,
dass wir durchaus in der Lage sind, Prioritäten anders
zu setzen und die Gleichrangigkeit aufzugeben. Wenn
wir beispielsweise bei der KWK energieintensive Bran-
chen von Belastungen ausnehmen, geben wir der Wett-
bewerbssicherheit der Betriebe und damit der Ökono-
mie und zugleich der sozialen Komponente den
Vorrang, weil wir hiermit auch Arbeitsplätze sichern
wollen.

Walter Hirche, herzlichen Dank für die Vorlage in Sa-
chen Aluminium Essen. Es ist bekannt – ich habe dies
heute auch farblich dokumentiert –, dass Essen meine
Heimatstadt ist. Mir ist das genannte Problem natürlich
bekannt.


(Walter Hirche [FDP]: Davon gehe ich aus!)

Auch ich habe Bemühungen und Anstrengungen unter-
nommen, um hier hilfreich zu sein.


(Walter Hirche [FDP]: Aber?)

Man muss aber auch zur Kenntnis nehmen, dass das

Bundeswirtschaftsministerium einen Bericht zur Über-
prüfung der Wirksamkeit des EEG, das wir vor anderthalb
Jahren implementiert haben, in Auftrag gegeben hat, der
gerade vorgelegt worden ist. Es ist gute Sitte, einen sol-
chen Bericht abzuwarten, bevor man Schlüsse zieht und
handelt. Ich bin ganz zuversichtlich – und die Signale aus
dem Bundeswirtschaftsministerium sind entsprechend –,
dass wir hier zügig zu einer vernünftigen Lösung kom-
men, –


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1424906100
Herr Kollege, Sie
müssen jetzt zügig zum Schluss kommen, weil Sie Ihre
Redezeit überschritten haben.


Rolf Hempelmann (SPD):
Rede ID: ID1424906200
– die einen Ausgleich zwi-
schen den ökologischen Interessen einerseits und den
ökonomischen Interessen andererseits schafft.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Walter Hirche [FDP]: Interessant ist, dass uns dieser Bericht nächste Woche vorgelegt wird, damit wir in dieser Woche nicht darüber diskutieren können!)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte mich am
Schluss ganz herzlich bei Ihnen allen, bei den Kollegin-
nen und Kollegen der Enquete-Kommission, bei den Wis-
senschaftlern und natürlich auch beim Sekretariat bedan-

ken. Es war eine nicht immer einfache Arbeit, aber viele
von uns haben in dieser Zeit manches gelernt.

Herzlichen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1424906300
Ich schließe die Aus-
sprache.

Ich gehe davon aus, dass Sie den Schlussbericht der
Enquete-Kommission auf Drucksache 14/9400 mit dem
Titel „Nachhaltige Energieversorgung unter den Bedin-
gungen der Globalisierung und der Liberalisierung“ zur
Kenntnis genommen haben.

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 14/5554 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. – Ich sehe keinen Wi-
derspruch. Dann ist die Überweisung so beschlossen.

Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit auf Drucksache 14/9658. Der Aus-
schuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung,
in Kenntnis der Unterrichtung durch die Bundesregierung
über einen Richtlinienvorschlag über ein System für den
Handel mit Treibhausgasemissionsberechtigungen und zur
Änderung einer EG-Richtlinie eine Entschließung anzu-
nehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? –
Gegenprobe! – Enthaltungen? – Die Beschlussempfeh-
lung ist gegen die Stimmen von CDU/CSU-, FDP- und
PDS-Fraktion angenommen.

Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der
Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion der
CDU/CSU auf Drucksache 14/8852 mit dem Titel „Kein
Emissionszertifikatehandel zum Nachteil des Wirt-
schaftsstandortes Deutschland“. Wer stimmt für diese Be-
schlussempfehlung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? –
Diese Beschlussempfehlung ist gegen die Stimmen von
CDU/CSU und FDP angenommen.

Unter Nr. 3 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der
Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion der
FDP auf Drucksache 14/7073 mit dem Titel „Kiotome-
chanismen für die internationale Klimapolitik Deutsch-
lands nutzen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? – Auch diese
Beschlussempfehlung ist gegen die Stimmen von
CDU/CSU und FDP angenommen.

Weiterhin empfiehlt der Ausschuss unter Nr. 4 seiner Be-
schlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der FDP auf
Drucksache 14/7156 mit dem Titel „Kiotomechanismen für
die nationale Klimapolitik Deutschlands nutzen“. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenprobe! –
Enthaltungen? – Auch diese Beschlussempfehlung ist gegen
die Stimmen von CDU/CSU und FDP angenommen.

Schließlich empfiehlt der Ausschuss für Umwelt, Natur-
schutz und Reaktorsicherheit unter Nr. 5 seiner Beschluss-
empfehlung auf Drucksache 14/9658 die Ablehnung des
Antrags der Fraktion der FDP auf Drucksache 14/8495
mit dem Titel „Vereinbarkeit der Selbstverpflichtung der




Rolf Hempelmann

25313


(C)



(D)



(A)



(B)


deutschen Wirtschaft zur Klimavorsorge mit den flexiblen
Instrumenten des Kioto-Protokolls sicherstellen“. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenprobe! –
Enthaltungen? – Auch diese Beschlussempfehlung ist mit
den Gegenstimmen von CDU/CSU und FDPangenommen.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 14/7082 an die in der Tagesordnung aufgeführ-
ten Ausschüsse vorgeschlagen. – Auch hier sehe ich keinen
Widerspruch. Dann ist die Überweisung so beschlossen.

Wir kommen damit zur Abstimmung über den Antrag
der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grü-
nen mit dem Titel „Strom kennzeichnen – Umwelt- und
Verbraucherschutz im Strommarkt stärken“. Wer stimmt
für den Antrag auf Drucksache 14/9670? – Gegenprobe –
Enthaltungen? – Der Antrag ist gegen die Stimmen von
CDU/CSU und FDP angenommen.

Schließlich kommen wir zur Beschlussempfehlung des
Ausschusses für Wirtschaft und Technologie auf Druck-
sache 14/9368 zu dem Antrag der Fraktion der FDP mit
dem Titel „Marktwirtschaftliche Orientierung statt staat-
licher Preislenkung im Stromsektor“. Der Ausschuss
empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/8279 abzulehnen.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt
dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist
mit den Stimmen der SPD, des Bündnisses 90/Die Grünen
und der PDS gegen die Stimmen der FDP-Fraktion und
bei einigen Gegenstimmen sowie Enthaltungen aus der
CDU/CSU-Fraktion angenommen.

Als Letztes rufe ich jetzt die Beschlussempfehlung des
Ausschusses für Wirtschaft und Technologie auf Druck-
sache 14/9724 zu dem Antrag der Fraktion der FDP mit
dem Titel „Stromrechnungen transparent gestalten“ auf.
Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache
14/5465 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussemp-
fehlung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? – Die Be-
schlussempfehlung ist gegen die Stimmen der CDU/CSU,
der FDP und der PDS angenommen.

Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 21 a bis 21 d auf:
a) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten

Jürgen Koppelin, Ina Albowitz, Rainer Brüderle,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
„Wir sind bereit“: Versprechen der Bundesre-
gierung – Anspruch und Wirklichkeit
– Drucksachen 14/7435, 14/9186 –

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Rainer
Brüderle, Paul K. Friedhoff, Dirk Niebel, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Verantwortung fürWirtschaftspoltik beim Bun-
desministerium fürWirtschaft konzentrieren
– Drucksachen 14/8142 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)

Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Peter
Rauen, Matthias Wissmann, Wolfgang Börnsen

(Bönstrup), weiterer Abgeordneter und der Frak-

tion der CDU/CSU
Versprechungen derBundesregierung einlösen –
Deutschland wieder nach vorne bringen
– Drucksache 14/9103 –

d) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend (13. Ausschuss) zu dem Ent-
schließungsantrag der Abgeordneten Christel
Humme, Hildegard Wester, Ingrid Arndt-Brauer,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
sowie der Abgeordneten Imingard Schewe-
Gerigk, Ekin Deligöz, Katrin Göring-Eckardt,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
zu der Abgabe einer Regierungserklärung
durch den Bundeskanzler
Familie ist, wo Kinder sind – Politik für ein fa-
milien- und kinderfreundliches Deutschland
–Drucksachen 14/8790 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Christel Humme
Maria Eichhorn
Irmingard Schewe-Gerigk
Ina Lenke
Monika Balt

Es liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion der FDP
zu ihrer Großen Anfrage vor.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die
Aussprache zwei Stunden vorgesehen. – Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Erster Redner ist der Kol-
lege Rainer Brüderle für die FDP-Fraktion.


Rainer Brüderle (FDP):
Rede ID: ID1424906400
Frau Präsidentin! Meine Da-
men und Herren! Grün-Rot hatte ein zentrales Wahlver-
sprechen. An einer einzigen Zahl wollte sich der Kanzler
messen lassen, und zwar jederzeit und nicht erst am Wahl-
tag – ich zitiere –: Wenn wir die Arbeitslosigkeit nicht sig-
nifikant senken, haben wir es nicht verdient, wiederge-
wählt zu werden. Wir werden auch nicht wiedergewählt.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Die Messlatte lag erst bei 3 Millionen und dann bei

3,5 Millionen Menschen ohne Arbeit. Selbst das wenig
mutige Minimalziel wurde nicht erreicht. Grün-Rot hat
versagt, weil die Richtung nicht stimmt.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Zwei Jahre hintereinander gab es quasi ein Nullwachs-
tum, es gibt über 4 Millionen Arbeitslose, einen Pleite-
rekord, steigende Sozialbeiträge, steigende Steuern,
steigende Schulden und ein Explodieren der Gesundheits-
kosten.


(Joachim Poß [SPD]: Explodierender Brüderle!)





Vizepräsidentin Petra Bläss
25314


(C)



(D)



(A)



(B)


Das ist die grün-rote Regierungsbilanz. Sie liegt in der
Verantwortung von Grün-Rot.

Jeder weiß, dass die deutsche Krankheit am Arbeits-
markt anfängt.


(Joachim Poß [SPD]: Die deutsche Krankheit fängt bei Brüderle an!)


Was macht Grün-Rot? Sie haben den Arbeitsmarkt verre-
gelt und verriestert. Herr Poß, dass Sie schreien, ist be-
gründet. Sie schreien nämlich vor Verzweiflung.


(Joachim Poß [SPD]: Die deutsche Krankheit fängt bei Ihnen an!)


Als die Arbeitsmarktkatastrophe nicht mehr zu verber-
gen war, haben Sie Heftpflaster und Placebos ausgepackt.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Kurz vor Ende der Legislaturperiode spricht die Regie-
rung jetzt von Hartz; gemacht hat sie vier Jahre lang
Riester: siehe Mitbestimmung, siehe Zwangsteilzeit,
siehe Scheinselbstständigkeit, siehe 630-Mark-Jobs. Die
Hartz-Kommission hat nichts anderes als die Selbstauf-
lösungsurkunde des Bündnisses für Arbeit ausgestellt;
denn gebracht hat es nichts.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Durch Guido Westerwelle haben wir gestern hier im
Plenum ausdrücklich angeboten, jederzeit zu Sondersit-
zungen – 24 Stunden an jedem Tag – zusammenzukom-
men, um diese Beschlüsse umzusetzen.


(Dr. Werner Müller, Bundesminister: Angeber!)


Herr Müller, Sie wollen sie aber gar nicht umsetzen, sonst
hätten Sie ja nicht vier Jahre lang gewartet.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Es ist wirklich faszinierend: Sie machen vier Jahre lang
alles falsch und kurz vor Ende kommen Sie mit der Wun-
dertüte, die von dem niedersächsischen VW-Konzern ge-
füllt wurde. Wer etwas Arges denkt, ist sicherlich über-
rascht.


(Dieter Grasedieck [SPD]: Brüderle!)

– So ist es leider.

Heute sitzt der Bundeskanzler mit den Gewerkschafts-
spitzen – von Genosse zu Genosse – zusammen.


(Dieter Grasedieck [SPD]: Das ist doch schön!)


Dort wird gesagt: Haltet still, wir betreiben mit Hartz ein
wenig Wahlkampf. Nach der Wahl verschwindet das Pa-
pier wieder in der Schublade. So sieht das Modell aus.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Der Regierung fehlt der ernsthafte Wille und auch das
Können zu einem richtigen Politikwechsel. Es zeigt sich

hier: null Ahnung, null Wachstum, null Arbeitsplätze. So
ist das Resultat.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Joachim Poß [SPD]: Das müssen gerade Sie sagen! – Ilse Janz [SPD]: Das waren doch Sie!)


Sie fahren Ihre Verdrängungsstrategie, nach der das an den
Sonderfällen in der Bauwirtschaft und in den neuen Bun-
desländern liegt. Wenn man die Bauwirtschaft und die
neuen Bundesländer herausrechnet, sieht die Statistik
schon viel besser aus. Sie brauchen nur noch die Arbeits-
losen herauszurechnen, dann haben Sie Vollbeschäftigung,
Herr Müller. Aber das ist keine Lösung der Probleme.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich finde es besonders zynisch, dass die Regierung auf
Amerika hofft, aber gleichzeitig der Bundeskanzler und
andere Regierungen vor amerikanischen Verhältnissen in
Deutschland warnen. Sie verurteilen in Sonntagsreden
das amerikanische Wirtschaftsmodell. Gleichzeitig
verknüpfen Sie das Schicksal der deutschen Volkswirt-
schaft mit genau diesem Wirtschaftsmodell. Das ist Zy-
nismus pur.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die amerikanische Strategie aus flexiblen Gütern, fle-
xiblen Arbeitsmärkten und niedrigen Steuern ist erfolg-
reicher als grün-rote Betonierungspolitik.

Grün-Rot hat Deutschland zum Hochsteuerland ge-
macht.


(Alfred Hartenbach [SPD]: Was haben wir gemacht?)


Sie haben die Steuerquote von 22,6 Prozent zu Beginn Ih-
rer Regierung auf 23 Prozent erhöht.


(Alfred Hartenbach [SPD]: Das sind deutlich mehr als 18 Prozent!)


Das heißt in absoluten Zahlen, dass das Steuervolumen
eine Zunahme von 10 Milliarden Euro erreicht hat. Ihre
Bilanz ist eine höhere Steuerbelastung.


(Walter Hirche [FDP]: Genauso ist es!)

Dem steht aufgrund der besonderen Lage bei den stillen
Reserven ein Körperschaftsteueraufkommen von fast
Null entgegen.

Das kann nur eines bedeuten: Das bisschen, das Sie den
Menschen bei der Einkommensteuer gegeben haben, ha-
ben Sie Ihnen durch die Ökosteuer, die Versicherungsteuer
und die Tabaksteuer gnadenlos genommen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Eigentlich müssten Sozialdemokraten einen roten Kopf
bekommen; denn die Erhöhung der indirekten Steuern
trifft die Bezieher unterster Einkommen überproportional.
Die großen Kapitalgesellschaften werden vorrangig ent-
lastet. Dafür werden Tausende von Mitarbeitern entlassen.
Das ist Ihre Politik.




Rainer Brüderle

25315


(C)



(D)



(A)



(B)


Dafür bekommen Ihre Hausmarken Zusatzprivilegien:
die Stromriesen einen Energiesockel, die Post Umsatz-
steuererleichterungen und Monopolzusagen, VW ein
keimfreies Übernahmeverhinderungsgesetz, die Telekom
einen Schutz bei der letzten Meile. Der Mittelstand und
die privaten Haushalte müssen dafür mit Wettbewerbs-
nachteilen, höheren Steuern und höheren Preisen zahlen.

Das Schlimmste daran ist: Der Wirtschaftsminister, der
eigentlich ordnungspolitisches Gewissen einer Regierung
sein sollte, steht an der Spitze dieser interventionistischen
Industriepolitik.


(Beifall bei der FDP)

Herr Müller wird als Schutzpatron der Monopole in die
Geschichte eingehen. Als letzte Amtshandlung wird noch
schnell die Fusion von Eon und Ruhrgas durchgepaukt.
Die Begründung dafür lautet, dass die Versorgungssicher-
heit nun national, nicht europäisch gesehen wird. Das al-
les sind kurz vor der Wahl sehr merkwürdige Vorgehens-
weisen. Aber so ist das, wenn man monopolistisch
vorgeht.

Eines kann ich Ihnen versprechen: Die FDPwird in der
nächsten Legislaturperiode dafür sorgen, dass das Wirt-
schaftsministerium wieder ordnungspolitisches Gewis-
sen der Regierung wird und wieder Substanz bekommt.
Es darf nicht nur ein Handelsministerium sein.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Sie können Qualität verzögern, aber nicht aufhalten. Wir
kommen und mit uns die bessere Lösung.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Was wäre der Mittelstand in Deutschland froh gewe-
sen, Grün-Rot hätte sich einmal so intensiv um den Mit-
telstand wie um Holzmann, die Ruhrkohle, Telekom, VW
oder Eon gekümmert! Den kleinen Handwerker, der sich
streckt, damit er seinen Gesellen in Arbeit halten kann,
den kleinen Einzelhändler, der nachts nicht schlafen kann,
weil er nicht weiß, ob er seinen Lehrling behalten kann,
die Leistungsträger, die stillen Stars in Deutschland, gän-
geln und schröpfen Sie. Für sie tun Sie nichts.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Diese bekommen ein Mikrodarlehen und zudem die
Last der Mitbestimmungsteuer von 2 Milliarden Euro zu
spüren. Das ist eine grün-rote AB-Maßnahme für Be-
triebsräte und Gewerkschaftsfunktionäre wie Sie.


(Beifall bei der FDP)

Die Kleinen und Schwachen müssen die Kosten der Öko-
steuer tragen. Und da kommen Sie mit dem Argument:
Dafür senken wir die Sozialbeiträge. – Sie tun so, als ob
die Einnahmen von 15 Milliarden Euro aus der Öko-
steuer vom Himmel fallen würden. Nein, viele Menschen
zahlen dafür und haben nichts von einer Senkung der so-
zialen Nebenkosten. Darunter fallen die Rentner, die Ar-
beitnehmer und auch viele kleine Betriebe. Die Dienst-
wagenbesitzer von Grün-Rot merken das nicht. Aber nicht

umsonst klagen kinderreiche Familien vor dem Bundes-
verfassungsgericht gegen die Ökosteuer.
Wir fordern als einzige Partei die Abschaffung der Öko-
steuer, weil sie vom Konzept her falsch ist.


(Beifall bei der FDP – Joachim Poß [SPD]: Dann steigt aber der Rentenversicherungsbeitrag!)


Es hilft nichts, an der Ökosteuer geringe Korrekturen vor-
zunehmen. Sie muss insgesamt weg, weil sie ein Etiket-
tenschwindel ist, Herr Poß. Die Kosten der Ökosteuer
müssten sich bei ökologischem Verhalten aufheben. Sie
müsste zielorientiert sein. Wenn aber jemand weniger
Auto fährt, vergrößert sich, wie Sie wissen, das Loch in
der Rentenkasse noch weiter.


(Joachim Poß [SPD]: Aber Sie haben die Finanzierungsfrage gelöst! Klasse!)


Deshalb ist es geradezu eine patriotische Pflicht, nicht we-
niger Auto zu fahren. Daher ist dieser Ansatz falsch.

Ähnlich sieht es bei der Rente aus. Auch hier haben Sie
einen falschen Ansatz gewählt. Das ist keine Politik der
ruhigen Hand; Sie haben vielmehr eingeschlafene Füße.


(Beifall bei der FDP)

Aber wir rufen den Menschen im Lande zu: Haltet noch
durch! Am 22. September ist Freiheitstag; dann darf ge-
wählt werden und wir können Grün-Rot abwählen und zu
einer neuen Mehrheit kommen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1424906500
Das Wort hat der Bun-
desminister für Wirtschaft und Technologie, Dr. Werner
Müller.

Dr. Werner Müller, Bundesminister für Wirtschaft

(von der SPD sowie von Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN mit Beifall begrüßt)

statten Sie, dass ich mit zwei kurzen Vorbemerkungen be-
ginne.

Erstens. Mir ist das Parlament wichtig.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Deshalb waren Sie gestern ja auch nicht da!)


– Ich war gestern nicht da, Herr Westerwelle, weil ich erst
vor drei oder vier Stunden von meiner Reise nach Japan
und China zurückgekehrt bin, wo ich auf Einladung der
dortigen Regierungen die gemeinsamen Wirtschafts-
kommissionen der Bundesrepublik und dieser Ländern
geleitet habe.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dirk Niebel [FDP]: Wir hatten Sitzungswoche! – Weiterer Zuruf von der FDP: Die letzte Sitzungswoche!)





Rainer Brüderle
25316


(C)



(D)



(A)



(B)


Zweitens. Ich erachte es ehrlich gesagt als eine Zumu-
tung, dass Sie 253 Fragen über teilweise lächerliche
Sachverhalte an die Bundesregierung stellen.


(Rainer Brüderle [FDP]: Legen Sie fest, was wir fragen dürfen, Herr Müller?)


Diese Fragen konnten zwar abgearbeitet werden – das ist
auch auf 162 Seiten geschehen –,


(Joachim Poß [SPD]: Das ist jetzt aber eine gute Zusammenstellung! Das hat sich gelohnt!)


aber es bleibt festzuhalten: Das ist genau der Stil, mit dem
Sie die Verwaltung schon seit 30 Jahren aufgebläht haben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Wollen Sie dem Parlament die Rechte beschneiden? – Nichtabgeordnete beschimpfen das Parlament! – Gegenruf des Abg. Alfred Hartenbach [SPD]: Herr Westerwelle, lehnen Sie sich ein bisschen zurück und genießen Sie das!)


Ich verstehe nicht, mit welcher Berechtigung sich ge-
rade die FDP in diesem Bundestag aufplustert und die
Leistungen dieser Bundesregierung in den vergangenen
vier Jahre in irgendeiner Weise schlecht reden will.


(Dirk Niebel [FDP]: Dann regieren Sie doch erst einmal! Mal sehen, was die Leute von Ihrer Politik haben!)


Die FDP hat 26 Jahre lang in diesem Land den Wirt-
schaftsminister gestellt, und zwar von Ende 1972 bis Ende
1998. In diesen 26 Jahren liberaler Wirtschaftspolitik der
FDP ist die Verschuldung des Bundeshaushalts von
32 Milliarden Euro auf 740 Milliarden Euro verfünfund-
zwanzigfacht worden.


(Kerstin Müller [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hört! Hört!)


26 Jahre FDP-Wirtschaftspolitik bedeuten, dass der Anteil
der Bundesschuld am Bruttoinlandsprodukt von 7 auf
39 Prozent angestiegen ist. 26 Jahre liberale Wirtschafts-
politik bedeuten, dass die Sozialversicherungsbeiträge
von Ende 1972 bis Ende 1998 von 28 auf 42 Prozent ge-
stiegen sind. 26 Jahre liberale Wirtschaftspolitik bedeu-
ten, dass die Subventionen von Ende 1972 bis Ende 1998
von 17 Milliarden auf mehr als 60 Milliarden Euro ge-
steigert wurden.

Ich will Ihnen deutlich machen – damit Sie wissen, wo-
mit wir Ende 1998 angefangen haben –, dass die FDP
26 Jahre lang Garant für einen schleichenden Sozialis-
mus, für den Weg in die Staatswirtschaft


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Lachen bei der FDP)


und für den Weg in einen Schuldenstaat war. Das waren
26 Jahre liberale Wirtschaftspolitik! Ende 1998 haben wir
bei all diesen Eckpunkten einen Kurswechsel eingeleitet.


(Klaus Haupt [FDP]: Das sagt der Konzernminister!)


Sie regen sich gelegentlich auf und behaupten, wir hät-
ten zwei Jahre lang ein Nullwachstum gehabt. Das ist sta-

tistisch gesehen gelogen. Wir haben in jedem Jahr ein
Wachstum gehabt, zwar nicht immer in der gewünschten
Höhe, aber es gab jedes Jahr ein positives Wirtschafts-
wachstum.


(Beifall bei der SPD – Rainer Brüderle [FDP]: Unter 1 Prozent!)


Sie können sich darüber aufregen, dass es vielleicht ein-
mal ein Quartal mit einem Minuswachstum gab. Dabei
weise ich aber darauf hin, dass Sie in Ihren 26 Regie-
rungsjahren 37 Quartale mit Minuswachstum hatten. Das
haben wir in diesem Ausmaß bei weitem nicht zu bieten.


(Rainer Brüderle [FDP]: Das Volksvermögen hat sich aufgelöst, Herr Müller!)


Alles in allem ist festzuhalten: Sie müssen sich nicht
aufblasen und sollten den Gebrauch Ihrer Stimmbänder
etwas mäßigen.


(Beifall bei der SPD – Rainer Brüderle [FDP]: Sie stehen auf der Gehaltsliste von Eon!)


Ich will nicht bestreiten, dass das Wachstum in den ver-
gangenen vier Jahren nicht das Niveau erreicht hat, das
wir uns Ende 1998 vorgestellt hatten. Aber Sie haben in
den 26 Jahren Ihrer liberalen Wirtschaftspolitik die
Wachstumsraten in diesem Land kontinuierlich gegen
null gedrückt, mit dem Ergebnis, dass wir von 1992 bis
1998 noch durchschnittlich 1,3 Prozent Wirtschafts-
wachstum hatten und mit diesem geringen Durchschnitt
in diesem Zeitraum am unteren Ende aller EU-Staaten an-
gekommen sind. Ende 1998 haben wir zu regieren begon-
nen, und wir haben Ende 1998 mit Wachstumspolitik be-
gonnen. Wir haben in den ersten vier Jahren der
Regierung Schröder ein Durchschnittswachstum von
1,6 Prozent erzielt. Das ist nicht sehr viel mehr als das,
was Sie in den 90er-Jahren erreicht haben, aber es ist
schon einmal mehr, und das trotz der Krise an den Börsen,
trotz der permanenten Baukrise, trotz des Subventionsab-
baus und trotz der Konsolidierungspolitik im Bundes-
haushalt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Das heißt, wir haben wirklich das Steuer umgelegt, und
wir werden im nächsten Jahr bis zu 3 Prozent Wirt-
schaftswachstum haben.


(Widerspruch bei der CDU/CSU)

Wenn Sie gelegentlich so viel mit Wirtschaftsdelegatio-

nen über die Erde reisen würden, wie ich das tue, würden
Sie wissen, dass das AuslandDeutschland wesentlich bes-
ser einschätzt, als Sie das hier im Bundestag tun wollen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Rainer Brüderle [FDP]: Trotz dieser Regierung!)


Sie müssen schlicht zur Kenntnis nehmen: Die Wachs-
tumspositionen, die wir im Inland haben, resultieren vor-
wiegend aus zwei Ergebnissen. Erstens hat das Ausland
nach der Reformpolitik dieser Bundesregierung wieder
Vertrauen in den Standort Deutschland.


(Zuruf von der FDP: Dank Müller!)





Bundesminister Dr. Werner Müller

25317


(C)



(D)



(A)



(B)


Allein im letzten Jahr hat das Ausland in Deutschland
etwa 45 Milliarden Euro investiert. In einem Jahr! Sie
müssen erkennen, dass das mehr war als in den vier Jah-
ren von 1995 bis 1998 zusammen; da waren es gerade ein-
mal 30 Milliarden Euro.


(Beifall bei der SPD – Karl-Heinz Scherhag [CDU/CSU]: Mit Vodafone! Feindliche Übernahme war das! Augenwischerei ist das!)


Das Ausland hat in den ersten drei Jahren der Regierung
Schröder in Deutschland über 320 Milliarden Euro inves-
tiert. Das ist weit mehr als das Zehnfache der letzten vier
Jahre der alten Regierung. Ich frage mich: Wieso inves-
tiert das Ausland in Deutschland dermaßen viel, wo an-
geblich der Standort so schlecht ist. Entweder ist das Aus-
land verrückt oder... Das können Sie sich selber
überlegen.


(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Zweitens. In den 90er-Jahren ist der Anteil der deut-
schen Exporte am Welthandel permanent gesunken. Ei-
genartigerweise haben wir ein so schlappes und schwa-
ches Land, dass unsere Produkte auf den Weltmärkten
plötzlich stark nachgefragt werden. Unser Anteil am
Welthandel ist permanent gestiegen, und keineswegs nur
eurobedingt; denn nur 15 Prozent der Exporte werden
nach Auskunft des DIHK in Dollar fakturiert.

Wenn der Welthandel um 12 Prozent gestiegen ist, ist
der deutsche Export um 17 Prozent gestiegen. Wenn wie
im letzten Jahr der Welthandel stagnierte, ist der deutsche
Export um 6 Prozent gestiegen. Gucken Sie sich die Auf-
tragseingänge seit Anfang dieses Jahres an! Das Ausland
hat im Mai 2002 10 Prozent mehr bestellt als im Mai des
vergangenen Jahres.


(Friedhelm Ost [CDU/CSU]: Und die Inlandsbestellungen? – Hartmut Schauerte [CDU/ CSU]: Sie haben den Binnenmarkt ruiniert!)


Ich erlebe, wenn ich mit den deutschen Unternehmern
Reisen ins Ausland mache, dass sie überall mit ihrer In-
vestitionstätigkeit willkommen sind, dass überall ihre
Produkte nachgefragt sind. Sie müssen es nur irgendwann
einmal zur Kenntnis nehmen. Die Zeiten haben sich geän-
dert. Sie leben mit der Meinung, die Deutschen seien nicht
wettbewerbsfähig. Warum sind sie wettbewerbsfähig?
Warum investiert das Ausland so viel hier im Inland?
Dazu will ich Ihnen deutlich sagen: weil wir die Rah-
mendaten im Inland geändert haben. Natürlich investiert
das Ausland wieder in Deutschland, weil wir inzwischen
wieder eines der international attraktivsten Systeme der
Unternehmensbesteuerung haben.

Sie haben in Ihren 26 Jahren liberaler Wirtschaftspoli-
tik Ihr Heil darin gesehen, den Unternehmern durch per-
manente Steuererhöhung das Leben schmackhaft zu ma-
chen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Sie haben zum Schluss sogar den Eingangssteuersatz
noch auf 26 Prozent hochgesetzt; denn Ihre Hauptklientel

ist der Mittelstand, wie Sie immer sagen, und der Mittel-
stand, wenn er bei der FDP gut untergebracht werden soll,
braucht besonders hohe Eingangssteuersätze. Das war
Ihre Politik.

Wir haben heute ein international wettbewerbsfähiges
Steuersystem; denn wir haben Ecksätze, die im Durch-
schnitt liegen. Wir haben weiterhin große Freiheitsmög-
lichkeiten für die Unternehmen. Denken Sie nur an die pe-
riodenübergreifende Verlustverrechnung. Wir haben die
Liberalisierung der Telekommunikations-, teilweise der
Postmärkte, jedenfalls des Strom- und des Gasmarkts vo-
rangetrieben.


(Rainer Brüderle [FDP]: Gegen Ihren Widerstand wurde das gemacht!)


Wir haben dadurch der deutschen Gesellschaft insgesamt
weit über 50 Milliarden DM an Kosten erspart. Das Volu-
men der Kostensenkung durch die Liberalisierung in die-
sen Märkten ist erheblich größer als beispielsweise das
der Steuerreform bisher. Aber beides zusammengenom-
men entlastet die Wirtschaft um Kosten in der Größen-
ordnung von 70Milliarden Euro. Das ist ein Ergebnis von
vier Jahren rot-grüner Politik.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir stellen fest, dass das Ausland wieder Vertrauen in
Deutschland setzt. Schauen Sie sich doch einmal alle Ihre
Reden an, die Sie gehalten haben, als der Außenwert des
Euro im Verhältnis zum Dollar von 1,05 Euro auf
0,86 Euro gesunken war. Damals haben Sie einen Abge-
sang auf Deutschland gehalten. Wo bleibt Ihre Umkehr?
Wo bleibt Ihr Lob für die deutsche Wirtschaftspolitik, de-
ren Erfolg am Wertanstieg des Euro deutlich abzulesen ist?


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – KarlHeinz Scherhag [CDU/CSU]: Die Firmen gehen doch Pleite!)


Der Wertanstieg des Euro bedeutet nichts anderes, als
dass die Perspektiven der europäischen Wirtschaft nun
besser eingeschätzt werden. Diese Einschätzung wird
maßgeblich dadurch bedingt, dass die größte Volkswirt-
schaft in Europa wieder auf einem guten Kurs ist.


(Beifall bei der SPD – Karl-Heinz Scherhag [CDU/CSU]: Was sagen Sie denn zu den Insolvenzen?)


– Ich weiß gar nicht, warum Sie sich so aufregen, wenn
ich sage, dass wir auf einem guten Kurs sind. Sie erinnern
mich an Herrn Rogowski, der mit Ihnen zusammenarbei-
tet.


(Karl-Heinz Scherhag [CDU/CSU]: Sie brauchen sich gar nicht so aufzuplustern!)


Rogowski warnt die Unternehmer in diesem Land ja im-
mer vor Optimismus.


(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Karl-Heinz Scherhag [CDU/CSU]: So ein Blödsinn!)





Bundesminister Dr. Werner Müller
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(C)



(D)



(A)



(B)


Ich halte es letztendlich für völlig unverantwortlich,
dass Sie sich beim Schlechtreden des Standortes Deutsch-
land permanent hervortun.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Sie haben den Standort zu loben; denn er ist gut und ver-
dient nicht – um das in aller Deutlichkeit zu sagen – Ihre
permanente Nörgelei.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Sie sollten nichts zu Herrn Rogowski, sondern etwas zu Herrn Zwickel sagen!)


– Ich kann Ihnen dazu viel sagen. Ich weiß, dass wir in
diesem Land noch einiges zu tun haben; denn die mo-
mentanen Wachstumsraten sind nicht so, wie wir es uns
gewünscht haben.


(Zurufe von der CDU/CSU: Aha!)

Ich weiß auch, dass die Zahl der Insolvenzen in diesem
Land gestiegen ist. Ich möchte Ihnen aber Folgendes sa-
gen: Ohne Bayern ist die Zahl der Insolvenzen in
Deutschland durchschnittlich um 10 Prozent angestiegen.
In Bayern dagegen ist die Zahl der Insolvenzen um
30 Prozent gestiegen. Bayern weist heute die zweitgrößte
Zahl der Insolvenzen auf. Dort ist ein Anstieg bei den In-
solvenzen von 3 079 auf 4 000 zu verzeichnen. Diese Zah-
len weist das Statistische Bundesamt aus. Sie müssen sich
die Rahmendaten der bayerischen Wirtschaftspolitik


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Die besten in der Bundesrepublik Deutschland!)


einmal genauer anschauen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Tun Sie mir einmal einen Gefallen. Rufen Sie nicht im-

mer dazwischen: Das stimmt nicht! Wenn Sie eine faire
Fraktion wären, dann würden Sie solche Zurufe unterlas-
sen. Als ich meine letzte Parlamentsrede nachgelesen
habe, habe ich festgestellt, dass Sie bei jeder Zahl, die ich
genannt habe, dazwischengerufen haben: Das stimmt
nicht!


(Joachim Poß [SPD]: Das stört die nicht!)

Ich habe Ihrem Fraktionsvorsitzenden daraufhin vor vier
Wochen einen Brief geschrieben, in dem ich anhand der
Angaben des Statistischen Bundesamtes nachgewiesen
habe, dass jeder Ihrer Zwischenrufe falsch war und dass
sämtliche von mir genannten Zahlen stimmen. Deshalb
bitte ich Sie, bevor Sie das nächste Mal dazwischenrufen:
„Das stimmt nicht!“,


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Weil es in Bayern einfach keine 30 Prozent sind!)


zu bedenken, dass der Wirtschaftsminister die Zahlen so
darstellt, wie sie tatsächlich sind, und dass er keine Zah-
len türkt, wie Sie das immer machen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir haben auch in den einzelnen Bereichen des Wirt-
schaftslebens große Fortschritte erzielt. Trotz Konsolidie-
rungskurs haben wir die Aufwendungen dort deutlich er-
höht, wo es uns wichtig war. Wir haben beispielsweise die
Aufwendungen für die Forschung, für den Energiebe-
reich und für die Familien deutlich erhöht, und das alles
trotz eines Konsolidierungshaushaltes. Wir haben auch
die Gelder für den Mittelstand erhöht. Wir haben übri-
gens in schwieriger finanzpolitischer Lage die Rahmen-
daten für den Aufbau Ost durch den Solidarpakt bis zum
Jahr 2019 festgeschrieben, und zwar in der Sorge, dass Sie
bis dahin wieder regieren könnten. Das wollen wir aber
verhindern.


(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1424906600
Herr Minister, gestat-
ten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schauerte?

Dr. Werner Müller, Bundesminister für Wirtschaft
und Technologie: Herr Schauerte, ich bin gerade in Fahrt.
Lassen Sie mal.


(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dirk Niebel [FDP]: Sie sind in Fahrt? Das ist aber ein Scharping! – Zuruf des Abg. Hartmut Schauerte [CDU/CSU])


– Wenn Herr Schauerte das Wasser nicht halten kann,
dann soll er seine Zwischenfrage stellen. – Will er jetzt
oder will er nicht, Frau Präsidentin?


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1424906700
Herr Kollege
Schauerte, Sie dürfen doch eine Zwischenfrage stellen.


Hartmut Schauerte (CDU):
Rede ID: ID1424906800
Sehr geehrte Frau
Präsidentin, wenn ein Minister, der diesem Haus nicht an-
gehört, auf den Wunsch eines Abgeordneten hin, eine
Zwischenfrage zu stellen, sagt, wenn der das Wasser nicht
halten könne, dann solle er eine stellen, dann finde ich das
unanständig.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Offensichtlich ist der Wirtschaftsminister in der Tat sehr
in Fahrt.

Nun meine Frage: Im Jahr 2001 hat es pro 10 000 Un-
ternehmen – nur diese Bezugsgröße ist vernünftig und
nachvollziehbar – in Bayern 79, in Nordrhein-Westfalen
106 und in Niedersachsen 117 Insolvenzen gegeben. Er-
wecken Sie mit Ihren Behauptungen hier bitte keinen
falschen Eindruck!


(Beifall bei der CDU/CSU)


Dr. Werner Müller, Bundesminister für Wirtschaft
und Technologie: Herr Schauerte, zwei Dinge:

Erstens. Ich nehme meine Eingangsbemerkung mit
dem Ausdruck des Bedauerns zurück.




Bundesminister Dr. Werner Müller

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(C)



(D)



(A)



(B)


Zweitens. Ich habe das überhaupt nicht kommentiert.
Ich habe gesagt: Der Anstieg der Zahl der Insolvenzen ist
in Bayern dreimal schneller als im Bund ohne Bayern.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der CDU/CSU: Das ist doch unseriös!)


Noch können Sie sagen, dass je 1 000 Unternehmen die
Zahl der Insolvenzen in Bayern schwach darunter liegt.
Wenn Sie in Bayern noch ein solches Jahr erleben, sind
Sie in Bayern an der Spitze der Insolvenzstatistik, auch
bei der Zahl der Insolvenzen je 1 000 Unternehmen.

Zurück zum eigentlichen Thema. – Wir haben die
Energiesituation deutlich verbessert. Sie gehen so leicht
darüber hinweg, dass wir eine erhebliche gesellschafts-
politische Kontroverse in Sachen Kernenergie gehabt
haben. Diese Kontroverse ist befriedet, und zwar zwi-
schen den wesentlichen gesellschaftlichen Gruppen ei-
nerseits und der Industrie andererseits. Auch wenn es Ih-
nen völlig undenkbar erscheint, werden Sie erleben:
Dieser Streit führt nicht mehr zu großer öffentlicher Auf-
merksamkeit.

Wir haben die Zukunft der Kohle gesichert. Ich weiß,
dass viele zur Kohle eine andere Position haben als diese
Bundesregierung. Es geht aber nicht an, Verträge mit dem
Bergbau zu schließen, in den Haushalt jedoch kein Geld
einzustellen und sich in keiner Weise darum zu kümmern,
wie in Brüssel die von Ihrer Bundesregierung mit dem
Bergbau geschlossenen Verträge abgesichert werden. All
diese Aufgaben haben wir gelöst.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir haben die regenerativen Energien ausgebaut. Wir
installieren in Deutschland heute so viele Windenergie-
anlagen, wie im Rest der Welt zusammen installiert wer-
den. Das sind Leistungen, die beispielsweise 150 000
Arbeitsplätze im Mittelstand gesichert haben – allein
durch diese einzelne Maßnahme der Förderung der rege-
nerativen Energien.


(Gudrun Kopp [FDP]: Und wie viele Subventionen?)


Ich sagte schon: Wir haben den Wettbewerb geregelt.
Wir haben überhaupt etwas für den Wettbewerb getan.
Damit komme ich mal wieder zur FDP.


(Gudrun Kopp [FDP]: Ja, gern!)

26 Jahre lang haben Sie hier den Wirtschaftsminister ge-
stellt. 26 Jahre lang ist es Ihnen nicht gelungen, das Ra-
battgesetz abzuschaffen. Es ist stets an Ihrem persönli-
chen Widerstand gescheitert. Ich weiß das aus den Akten
des BMWi. Herr Brüderle hat in diesem Punkt permanent
die Initiierung von Wettbewerb irgendwie verhindert.


(Kerstin Müller [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sind die Liberalen: mehr Bürokratie! – Michaele Hustedt [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Gespaltene Zunge!)


Wir werden das Leben im Alltag wesentlich lebendiger
gestalten. Wenn ich feststelle, dass einzelne Häuser bei

Rabattaktionen noch durch irgendwelche Relikte des
Wettbewerbsrechts behindert werden, dann werden wir
diese Relikte beseitigen. Ich möchte, dass der deutsche
Einzelhandel mit Rabattaktionen und Zugaben einen we-
sentlich blumigeren Wettbewerb veranstalten kann.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1424906900
Herr Minister, jetzt
gibt es einen weiteren Wunsch nach einer Zwischenfrage,
und zwar des Kollegen Hinsken.


(Joachim Tappe [SPD]: Der legt ihm den Ball auf den Elfmeterpunkt!)



Ernst Hinsken (CSU):
Rede ID: ID1424907000
Herr Minister, weil Sie
auf das Schaffen von neuen Arbeitsplätzen verwiesen ha-
ben, möchte ich nur fragen, ob Ihnen bekannt ist, dass al-
lein durch die Einführung des Rechtsanspruchs auf Teil-
zeitarbeit 250000 Arbeitsplätze in mittelständischen
Betrieben nicht geschaffen wurden, dass insoweit ver-
mehrt Zurückhaltung geübt und dringend darauf gewartet
wird, dass dieses Gesetz wieder geändert wird.


(Margot von Renesse [SPD]: Und Familienpolitik gibt es nicht?)


Dr. Werner Müller, Bundesminister für Wirtschaft
und Technologie: Herr Hinsken, hier kann ich Ihnen nicht
folgen. Die ersten Analysen der Wirkungen des Teilzeit-
gesetzes zeigen, dass es etwas genützt hat – die Zahl der
Teilzeitarbeitsplätze ist gestiegen – und dass die Befürch-
tung, dieses Gesetz werde zu vielen Prozessen vor
Arbeitsgerichten führen, nicht eingetreten ist. In der
nächsten Legislaturperiode werden wir seitens der Bun-
desregierung einen genaueren Bericht vorlegen. Alles,
was Sie gesagt haben, wird durch die bisherige Erfahrung
nicht bestätigt.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Walter Hirche [FDP]: Sie gehen jetzt auf Teilzeit!)


Weil Sie das Thema Arbeitslosigkeit ansprechen: Wir
haben die Arbeitslosigkeit nicht so abgebaut wie ange-
nommen. Wir haben das Thema Arbeitslosigkeit nicht so
erfolgreich gestalten können wie vorgesehen, aber im-
merhin – nehmen Sie das bitte zur Kenntnis –: Gegenüber
dem Jahresdurchschnitt 1998 sind es im Durchschnitt
über 400 000 Arbeitslose weniger. Wir werden das Wachs-
tum weiter steigern müssen, um die Arbeitslosigkeit stär-
ker abzubauen. In den Jahren 2003 folgende werden wir
das Wachstum auf über 2 Prozent im Durchschnitt stei-
gern und der ostdeutsche Durchschnitt muss noch etwas
darüber liegen.

Eines will ich abschließend in aller Deutlichkeit sagen
– ich könnte noch lange Reden darüber halten, was in
26 Jahren FDP-Wirtschaftspolitik in diesem Land alles
den Bach runtergegangen ist –: Ein Zurück zu einer
FDP-Wirtschaftspolitik wäre ein riesiger Rückschritt in
diesem Lande; wir wollen aber Fortschritt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)





Bundesminister Dr. Werner Müller
25320


(C)



(D)



(A)



(B)


Warum wäre das ein riesiger Rückschritt? Weil die
FDP-Wirtschaftspolitik, insbesondere die unter einer kon-
servativen Führung, der sie unterlegen ist, bisher von
nichts anderem lebte, als die Chancen der Zukunft im Jetzt
zu verbraten. Das ist keine Basis für Wirtschaftspolitik.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich sage Ihnen in aller Deutlichkeit: Wir stehen heute,
was alle Eckzahlen dieser Volkswirtschaft angeht, um
Längen besser als Ende 1998 da. Die Bürgerinnen und
Bürger werden das am 22. September bestätigen. Sie wer-
den sich wundern.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Rainer Brüderle [FDP]: Eine starke Abschiedsrede, Herr Müller)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1424907100
Zu einer Kurzinter-
vention erteile ich jetzt dem Kollegen Guido Westerwelle
das Wort.


(Margot von Renesse [SPD]: Das tat ihm weh!)



Dr. Guido Westerwelle (FDP):
Rede ID: ID1424907200
Frau Präsidentin!
Herr Minister Müller, ich will nichts zu Ihren sachlichen
Ausführungen sagen. Das hat Herr Brüderle bereits getan
und das wird auch Herr Friedhoff tun. Ich will hier nur die
am Anfang Ihrer Rede vorgetragene Bewertung unserer
Großen Anfrage so nicht stehen lassen.

Ich sage Ihnen in großer Klarheit: Herr Minister
Müller, Sie werden vom Steuerzahler bezahlt.


(Dr. Ruth Fuchs [PDS]: Sie auch!)

Das Volk, also auch die Steuerzahlerinnen und Steuerzah-
ler, hat uns als Abgeordnete gewählt, damit wir Sie kriti-
sieren, damit wir Sie kontrollieren, damit wir unserem
Mandat nachgehen.


(Margot von Renesse [SPD]: Aber bitte bei der Wahrheit bleiben!)


Es ist nicht Ihre Aufgabe, das parlamentarische Recht der
Abgeordneten zu bestreiten. Ich kann es in keiner Weise
akzeptieren, dass Sie als Minister ohne Bundestagsman-
dat – Sie sind ernannt worden, wie es der Verfassung ent-
spricht; aber Sie haben kein Mandat vom Volk bekom-
men – Abgeordnete dafür kritisieren – Sie haben hier von
einer Zumutung gesprochen –, dass sie ihr Fragerecht
nach dem Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland
wahrnehmen. So etwas ist selbstverständlich; das ist un-
ser Auftrag.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Ilse Janz [SPD]: Mein Gott, dieser Wahlkampf!)


Auch als ausscheidender Minister müssen Sie die Form
mindestens insoweit wahren, als Sie dem Parlament ge-
genüber Ihren Respekt zum Ausdruck bringen. Gestern
haben die Sozialdemokraten Herrn Stoiber für eine Be-
merkung, die ich ebenfalls nicht akzeptabel finde, heftig
kritisiert. Einen Tag später äußern Sie sich als Minister
ohne Bundestagsmandat,


(Hildegard Wester [SPD]: Jetzt reicht es!)

der hier, im Parlament, reden kann und dem wir zuhören,
zu Zwischenrufen, indem Sie entgegnen, die Beschäfti-
gung mit der Großen Anfrage sei Ihnen zu arbeitsintensiv
gewesen. Wir haben festgestellt, womit Sie sich beschäf-
tigt haben, nämlich mit der Kontrolle und mit der Nach-
bearbeitung von Zwischenrufen von Parlamentariern.
Kein Wunder, was aus Ihrem Ministerium wird, wenn Sie
sich damit beschäftigen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Dr. Ruth Fuchs [PDS]: Das war unter 5 Prozent!)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1424907300
Zur Erwiderung Herr
Bundesminister Müller, bitte.

Dr. Werner Müller, Bundesminister für Wirtschaft
und Technologie: Sehr geehrter Herr Westerwelle, ich be-
streite doch nicht das Recht des Parlaments, hier der Bun-
desregierung Fragen zu stellen. Dass es das darf, habe ich
schon gelernt, als ich die Grundschule besucht habe.

Erstens. Ich werde doch wohl meine Meinung dazu
äußern dürfen, von welchem Standpunkt aus ich diese
ganze Aktion betrachte.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Meine persönliche Meinung werden Sie mir nicht nehmen
können. Ich kann sie auch in diesem Hause äußern. Es ist
ganz einfach: Zeigen Sie der deutschen Öffentlichkeit
doch einmal die 253 Fragen, damit sie weiß, wie Sie Ihr
Recht ausnutzen und welche Kapazitäten Sie binden.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Margot von Renesse [SPD]: Das werden wir schon tun! – Dirk Niebel [FDP]: Die Antworten sind interessant!)


– Ja, natürlich sind die Antworten interessant.
Zweitens. Ich könnte den Spieß umdrehen und sagen:

Durch die Beantwortung von 253 Fragen geben Sie uns
durchaus die Gelegenheit, bis ins Detail nachzuweisen,


(Margot von Renesse [SPD]: Das ist der Wahlkampftext! Ein hervorragender Text!)


dass die Regierungserklärung dieses Bundeskanzlers in den
allermeisten Fällen erfüllt, wenn nicht übertroffen wurde.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Auf den 162 Seiten der Antwort der Bundesregierung auf
Ihre Große Anfrage wird dies dargestellt.

Ich will Ihnen noch Folgendes sagen: Es ist richtig,
dass ich gestern nicht hier war; denn ich war in Asien und
habe die 9. Tagung der Asien-Pazifik-Konferenz der
Deutschen Wirtschaft geleitet.


(Michaele Hustedt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und das ist gut so!)





Bundesminister Dr. Werner Müller

25321


(C)



(D)



(A)



(B)


Außerdem war ich bei meinem japanischen Kollegen.
Deswegen konnte ich erst heute Morgen hier ankommen.
Ich mache solche Reisen alle naselang. Sie wissen das. Ich
habe dieses den Fraktionsvorsitzenden auch mitgeteilt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


Wenn diese Entschuldigung, die ich, wenn ich mich rich-
tig erinnere, etwa zwei Wochen vorher rundgesandt habe,
nicht akzeptiert worden wäre, hätte ich meine Reisepla-
nung geändert. Hernach aber solche Dinge zu sagen ist
schlicht hinterfotzig.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1424907400
Wir fahren in der
Debatte fort. Es spricht jetzt der Kollege Dietrich
Austermann für die Fraktion der CDU/CSU.


(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Frau Präsidentin, der Begriff „hinterfotzig“ ist nicht akzeptabel! Das ist eine ausgemachte Sauerei!)



Dietrich Austermann (CDU):
Rede ID: ID1424907500
Frau Präsiden-
tin! Meine Damen und Herren! Ich glaube, dass die Art
und Weise, wie Herr Müller zuletzt gesprochen hat, gera-
dezu kongenial zum Inhalt seiner Abschiedsrede war. Es
war einfach unbrauchbar, was Sie hier abgeliefert haben.
Unbrauchbar, um die Öffentlichkeit zu informieren. Über-
legen Sie sich einmal, dass er sich hier hingestellt hat und
das kommentiert hat, was in den 26 Jahren der Regie-
rungsbeteiligung der FDP passiert bzw. nicht passiert sein
soll.


(Ilse Janz [SPD]: „Nicht passiert“ wohl eher!)

An sich ist diese Debatte ja in der Absicht aufgesetzt wor-
den, damit Sie, Herr Müller, darstellen, was Sie in den vier
Jahren erreicht haben.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Margot von Renesse [SPD]: Hat er doch! – Joachim Poß [SPD]: Sie müssen lesen! – Dieter Grasedieck [SPD]: Sie hören nicht hin!)


Wenn Sie eine Bilanz ziehen, müssen Sie sicherlich die
Reaktionen der Bevölkerung, wie auf sie Ihre Beschrei-
bung dessen wirkt, was Sie in Deutschland gemacht ha-
ben, zur Kenntnis nehmen.


(Joachim Poß [SPD]: Vermittelt durch Herrn Austermann, das Sprachrohr der Regierung?)


Da ist es ganz eindeutig so, dass 72 Prozent der Menschen
in Deutschland meinen, sie werden schlecht regiert. Auch
34 Prozent der sozialdemokratischen Wählerschaft haben
die gleiche Auffassung. Sie haben daran einen wesentli-
chen Anteil, dass schlecht regiert wird. Sie haben nämlich
Ihre Aufgabe nicht wahrgenommen, wie ich gleich im De-
tail deutlich machen werde.

Herr Müller, Sie tragen die Verantwortung für die Wirt-
schaftspolitik in Deutschland. Wenn man einen Schluss-

strich unter die vier Jahre zieht, nach denen Sie sich ge-
wissermaßen verabschieden, dann stellt man fest, dass die
Daten heute in wesentlichen Bereichen schlechter sind.
Wahrscheinlich haben Sie in Ihren Vergleich auch die Zeit
einbezogen, wo die FDP an der Regierung unter Helmut
Schmidt beteiligt war. Wenn Sie damals schon politisch
interessiert waren, werden Sie sich vielleicht daran erin-
nern, warum dieses Bündnis gescheitert ist. Denken Sie
nur an die damaligen Bedingungen der Liberalen und an
das, was Helmut Schmidt über seine eigene Partei gesagt
hat.

Nun wollen wir uns daran erinnern und bewerten, was
1998 wirklich war und wo wir heute stehen. Sie können
das Wirtschaftswachstum nehmen: Von 1990 bis 1998
ist das Wirtschaftswachstum in Deutschland stärker als im
EU-Durchschnitt gewesen, von 1999 bis 2002 ist das
Wirtschaftswachstum in Deutschland schwächer als im
EU-Durchschnitt gewesen. Sie müssten uns bitte erklä-
ren, woher dieser Unterschied kommt. Sie geben zu allen
möglichen Zeitpunkten Prognosen von sich, in denen Sie
sagen, dass Sie davon ausgingen, dass das Ganze im
nächsten Jahr so oder so aussehe. Es hat noch nie ge-
stimmt, was Prognosen-Müller gesagt hat. Keine einzige
Prognose war bisher zutreffend.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Eine Arbeitslosenzahl von 3,5 Millionen sollte in die-

sem Jahr erreicht werden. Wollen wir doch einmal den Ar-
beitsmarkt von 1998 zum Vergleich heranziehen und Ihre
Zielvorstellungen auseinander nehmen. Der höchste Be-
schäftigungsstand herrscht üblicherweise im Juni. Alle,
die in etwa die Daten kennen, die in der nächsten Woche
bekannt gegeben werden, wissen, dass die Zahl heute
deutlich höher liegt als zu dem Zeitpunkt, zu dem wir die
Regierung abgeben mussten.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: So ist es!)

Die Situation für die Menschen, die Arbeit suchen, hat
sich also während Ihrer Regierungszeit verschlechtert.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Sie können das Wirtschaftswachstum, den Arbeitsmarkt,
aber auch andere Dinge nehmen. Man könnte jeden die-
ser Bereiche im Detail sezieren und käme dabei zu ent-
sprechenden Ergebnissen.

Sie haben gesagt, Sie hätten viel für Windenergie ge-
tan. Für Windenergie haben wir uns schon eingesetzt, als
Sie noch Lobbyarbeit für Kernkraftwerke gemacht haben.
Ich will Ihnen auch dazu anhand der Daten sagen, wie das
bei der Aufstellung des Haushalts 2003 abgelaufen ist. Sie
haben zunächst die Fördergelder für die Windenergie um
70 Millionen heruntergesetzt. Dann sind diese im Kabi-
nett um 100 Millionen aufgestockt worden, gewisser-
maßen als Morgengabe für die Grünen, damit die Erfol-
ge vermelden können. Diesen Betrag von zusätzlich
100 Millionen haben Sie als höhere globale Minderaus-
gabe ausgewiesen. Das heißt, der Mittelstand bezahlt jetzt
die angeblich stärkere Förderung für erneuerbare Ener-
gien. Dann haben Sie hier behauptet, der Mittelstand
werde stärker gefördert, da Sie die Fördergelder für den
Mittelstand erhöht hätten.




Bundesminister Dr. Werner Müller
25322


(C)



(D)



(A)



(B)


Es zog sich wie ein roter Faden durch das, was Sie ne-
ben Ihrer Kritik an der FDP noch gesagt haben, dass wirk-
lich keine einzige Zahl stimmte.

Wenn wir Vergleiche ziehen hinsichtlich der For-
schungsförderung Ost, der Förderung des Mittelstandes
ganz allgemein, der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesse-
rung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ Ost und West ge-
meinsam, stellen wir fest, dass Sie die Förderung des
Mittelstandes in den vier Jahren praktisch halbiert haben.
Ich fordere Sie auf, Ihre falsche Behauptung zurückzu-
nehmen, solange Sie hier im Parlament noch als Minister
berechtigt sind zu reden. Der Mittelstand leidet unter Ih-
rer falschen Politik und vor allen Dingen unter Ihren
falschen und ständig irreführenden Prognosen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich habe Ihnen zu dem Thema wirtschaftliches Wachs-

tum die Zahlen dargestellt. Sie können sie gerne auch
schriftlich haben. Da Sie in der Darstellung der Realität so
viel Unfug verzapft haben, war es wohl nötig, das eine
oder andere etwas abweichend von dem, was ursprünglich
gesagt werden sollte, zu korrigieren.

Ich komme zum Thema steigende Arbeitslosigkeit.
Was ist aus dem Versprechen, die Arbeitslosigkeit zu sen-
ken, geworden? Das Jahr 1998 sah so aus: 3 Prozent wirt-
schaftliches Wachstum, Rückgang der Arbeitslosigkeit
um 400 000 innerhalb eines Jahres.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Hört! Hört!)

Wie sieht die Situation zurzeit aus? Steigerung der Ar-
beitslosigkeit zwischen 200000 und 250000 im Vergleich
zum Vorjahr. Das ist der Unterschied: im Jahre 1998 Ar-
beitslosigkeit runter, Beschäftigung rauf.

Sie haben es noch nicht wiederholt, aber ich nehme an,
Herr Müntefering wird das nachher wieder tun, deswegen
sage ich gleich, dass die Zahl der Beschäftigten, wie Sie
sie darstellen, falsch ist. Es wird immer gesagt – auch der
Kanzler tut das –, 1 bis 1,2 Millionen – das variiert bei den
Wahlkämpfern – zusätzliche Arbeitsplätze in den letzten
vier Jahren. Wenn wir die geleisteten Arbeitsstunden ver-
gleichen – wir hatten 1998 wie 2002 die 35-Stunden-Wo-
che –, dann stellen wir fest, dass die Zahl der geleisteten Ar-
beitsstunden in diesem Jahr niedriger ist als 1998. Wenn wir
jetzt tatsächlich 1,2 Millionen Beschäftigte hinzuaddieren
sollten, würde das bedeuten, dass alle weniger arbeiten als
im Jahr 1998. Auf jeden Fall ist die Produktivität, sind die
geleisteten Arbeitsstunden nicht mehr geworden.

Wenn das so ist, kann man doch wohl unterstellen, dass
sich die Zahl der zusätzlichen Beschäftigten nur aus ei-
nem Taschenspielertrick in der Statistik ergibt, weil Sie
bisherige Minijobinhaber als tatsächlich Beschäftigte hin-
zugerechnet haben und damit den Eindruck vermitteln
wollen, mehr Leute hätten Arbeit. Nein, diese Beschäftig-
ten haben vorher gearbeitet und arbeiten auch jetzt. Wenn
Sie weiter regieren würden, würden es wahrscheinlich
ständig weniger, aber das wollen wir konkret verhindern.

Die Zahl der Beschäftigten ist nicht gestiegen, die Zahl
der Arbeitslosen ist angestiegen. Aus heutiger Sicht sieht
es so aus, dass wir eine Regierung haben, die keine Per-
spektive hat, die ohne Perspektive gearbeitet hat und die
Situation in Deutschland verschlechtert hat.

Nun sagt der eine oder andere von Ihnen, in der Union
gebe es unterschiedliche Meinungen zu dem Hartz-Pa-
pier. Ich will nur eines erwähnen, was der staunenden Öf-
fentlichkeit bisher entgangen ist, was aber die Kollegen
aus dem Haushaltsausschuss bestätigen können. Das so
genannte Hartz-Papier enthält verschiedene Komponen-
ten. Eine Komponente lautet: Einführung eines so ge-
nannten Sozialgeldes.Herr Eichel hat letzten Mittwoch im
Haushaltsausschuss gesagt, die Einführung des Sozialgel-
des – ein wesentlicher Bestandteil dieses Papiers – sei mit
ihm nicht zu machen, weil dadurch die Gemeinden entlas-
tet und der Bund belastet würde. Dass Sie die Situation der
Gemeinden in den letzten vier Jahren dramatisch ver-
schlechtert haben, dass damit Investitionskraft zusammen-
gebrochen ist, dass sich dadurch konkret die Situation der
Bürger in den Gemeinden verschlechtert hat, weil die Ver-
einsbeiträge und die Abgaben steigen, das alles wird damit
offensichtlich ignoriert. Wenn Sie sich zu den Vorschlägen
der Hartz-Kommission tatsächlich räuspern, sage ich Ih-
nen: Ordnen Sie erst einmal Ihre eigenen Truppen.

Ich nenne ein weiteres Beispiel: die Jugendarbeits-
losigkeit. Dieses Thema wird immer wieder angespro-
chen; es ist viel Geld dafür ausgegeben worden, heute
muss man sagen: verplempert worden. Die Jugend-
arbeitslosigkeit war im Mai 2002 um 7 Prozent höher als
im Mai 1998. Seit mehr als einem Jahr ist der Anstieg der
Jugendarbeitslosigkeit dramatisch. Im Mai 2002 gab es
fast 16 Prozent mehr arbeitslose Jugendliche als im
Mai 2001. Ich weiß nicht, wie angesichts dessen jemand
den Eindruck zu vermitteln versuchen kann, die Situation
habe sich verbessert.

Herr Müller, in Ihrer Zeit und durch Ihr Unterlassen,
vor allen Dingen durch das Unterlassen, ist die Situation
vielmehr schlechter geworden. Ich könnte das an einem
Beispiel deutlich machen. Sie haben das Thema Öko-
steuer angesprochen, allerdings nur am Rande. Die Steu-
ern werden nächstes Jahr weiter erhöht, wenn wir das
nicht ändern sollten, aber wir werden das ändern. Das
Aufkommen der Ökosteuer ist genau dreimal so hoch wie
der Etat des Wirtschaftsministers. Man könnte sagen, das
sei ganz gut, weil die Subventionen in dieser Zeit viel-
leicht zurückgegangen seien. Aber wenn man eine Bilanz
für den Zeitraum von 1998 bis 2002 zieht, dann muss
man feststellen, dass die Finanz- und Steuersubventionen
in Ihrer Regierungszeit ebenfalls gestiegen sind. Ord-
nungspolitisch können Sie der FDP und jeder anderen
Fraktion im Hause rechts von den Grünen keinen Vor-
wurf machen.

Die Privatisierungspolitik ist gescheitert. Schauen Sie
sich die Privatisierungen bei der Telekom und der Bun-
desdruckerei an. In dem Bestreben, durch Verkäufe die
schnelle Mark zu machen, haben Sie die Unternehmen
fast an den Rand des Ruins gebracht.


(Widerspruch des Abg. Alfred Hartenbach [SPD])


– Sie sollten sich einmal mit den Fakten befassen.

(Alfred Hartenbach [SPD]: Wer hat denn pri vatisiert? Das waren doch Sie!)

Ich fasse zusammen: Die rot-grüne Politik hat eine

Glaubwürdigkeitslücke hinterlassen. Statt Wachstum ha-




Dietrich Austermann

25323


(C)



(D)



(A)



(B)


ben wir Stagnation, statt Senkung der Arbeitslosigkeit ha-
ben wir eine steigende Arbeitslosigkeit, statt Senkung der
Abgabenbelastung haben wir höhere Abgaben, statt
Schuldenabbau haben wir Schuldenaufbau und statt einer
wachstumsstimulierenden Steuerreform haben wir eine
verkorkste Steuerreform. Wahrscheinlich war das der
Grund, warum bis vor einer Woche die Formulare für die
Körperschaftsteuer 2001 noch nicht gedruckt waren.
Trotzdem wurden die Unternehmen gemahnt, eine Steuer-
erklärung abzugeben, obwohl jeder weiß, dass unter den
Sozialdemokraten Körperschaften in Deutschland keine
Steuern mehr zahlen.

Mitten in der Rezession wurden die Steuern erhöht:
Ökosteuer, Tabaksteuer und Versicherungsteuer. Das soll
zum 1. Januar weitergehen. Bei einer Fortsetzung von
Rot-Grün würden die Steuerzahler durch weitere massive
Steuererhöhungen zur Kasse gebeten. Sie haben – das gilt
speziell für den Wirtschaftsminister – vier Jahre lang ver-
sagt. Der Wähler wird Ihnen keinen Tag länger gewähren.
Man kann auch gut regieren; Sie werden es sehen. Es ist
Zeit für den Wechsel und Zeit für Taten.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord neten der FDP)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1424907600
Das Wort für die Frak-
tion des Bündnisses 90/Die Grünen hat die Kollegin
Andrea Fischer.

Andrea Fischer (Berlin) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kolle-
gen! Wir hatten in letzter Zeit einigen Grund, über die
FDP zu spotten. Aber man kann immer noch einen neuen
Grund finden. Manchmal ist es schon absurd: Der Kollege
Koppelin hat sich vor wenigen Tagen – er hat auch die
Große Anfrage der FDP zu verantworten – in das kleine
Drama um die Enten des Jakob-Kaiser-Hauses einge-
mischt. Er hat ein großes grünes Plastikkrokodil mit einer
Ente im Maul in das Bassin gelassen. Zunächst einmal
muss man feststellen, dass die Aktion stilistische Mängel
hat; denn das Krokodil ist nicht an einem Fallschirm hän-
gend ins Bassin geschwebt und es hat auch nicht die Zahl
18 unter dem Bauch gehabt.


(Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Während sich alle Entenfreunde im Hause mit spitzen
Instrumenten bereit machten, die Enten notfalls gegen das
Krokodil zu verteidigen, stellte sich heraus, dass das Kro-
kodil gar nicht aggressiv war. Seitdem es in diesem Bas-
sin ist, liegt es in einer Ecke – meistens in der rechten –
und dreht sich um sich selbst.


(Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Dr. Reinhard Loske [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und das Wichtigste: Die Ente lebt!)


Die Große Anfrage ist sicherlich ein Teil der Strategie
der FDP. Ich teile die Meinung des Wirtschaftsministers
völlig, dass wir es bei dieser Anfrage nicht mit einem star-

ken Angriff, sondern mit einem echten Eigentor zu tun ha-
ben. Die FDP hat Fragen, wir haben Antworten. Ich weiß
nicht, ob Sie das Stellen von 253 Fragen für schlanke Op-
position halten. Aber ich weiß, dass Sie eine schlanke Ver-
waltung auf diese Weise nicht hinbekommen werden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Wir fragen uns natürlich schon, warum Sie eigentlich die
Antworten auf die Fragen – es handelt sich um Beschluss-
lagen – nicht selber zusammentragen wollten.


(Wolfgang Dehnel [CDU/CSU]: Was haben Sie in 16 Jahren Opposition gemacht?)


Fakt ist aber auch, dass Sie uns damit eine Art Kom-
pendium für die Regierungspolitik geliefert haben. Am
Ende einer Legislaturperiode fragt man sich selbstkri-
tisch, ob man gut genug gewesen sei. Seitdem ich die Ant-
wort der Bundesregierung gelesen habe, kann ich nur sa-
gen: Ja, wir waren gut genug.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


In diesem Sinne vielen Dank, dass Sie uns eine Motiva-
tion für den Wahlkampf geliefert haben.

Da der Wirtschaftsminister meines Erachtens schon al-
les Richtige und Notwendige zur Wirtschaftspolitik ge-
sagt hat, will ich mich jetzt der Fragestellung zuwenden,
was Sie fragen bzw. was Sie nicht fragen und was uns das
sagt.

Bei Ihren Fragen ist auffällig, dass Sie einen großen
Schwerpunkt auf das Feld der Außenpolitik gelegt ha-
ben. Das ist deswegen ein bisschen verwunderlich, weil es
sich hier um ein traditionell eher fraktionsübergreifendes
Politikfeld handelt, in dem gegenseitig gut informiert
wird. Man wundert sich daher schon, wie groß der Frage-
bedarf diesbezüglich ist.

Man wundert sich auch vor dem Hintergrund, dass die
Bundesregierung im Bereich der Außenpolitik in den letz-
ten vier Jahren die veränderte Rolle Deutschlands ange-
nommen und sowohl visionär als auch umsichtig ausgefüllt
hat. Sie hat unglaublich schwierige Entscheidungen vorbe-
reiten und treffen und der Bevölkerung vermitteln müssen.
Sie hat Deutschlands Ansehen in der Welt gemehrt. Wir ha-
ben diese gewandelte Rolle angenommen, angefangen bei
Militäreinsätzen – das fiel uns besonders schwer – bis hin
zu der wegweisenden Initiative zur Entschuldigung der
ärmsten Staaten. Deutschland hat in der Europäischen
Union eine aktive, vorantreibende Rolle gespielt.

Auch wenn man als Parlamentarierin weiß, dass die
Opposition kritisieren muss, fragt man sich, warum Sie
angesichts des hohen Ansehens, das die Bundesregierung
in den letzten Jahren für Deutschland erwerben konnte,
ausgerechnet in diesem Punkt so kritisch sind. Ich per-
sönlich meine, dass Sie Grund zur Selbstkritik haben.
Wenn jemand in den letzten Jahren dem Ansehen
Deutschlands in der Welt geschadet hat, dann war es der
Amoklauf von Jürgen W. Möllemann.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)





Dietrich Austermann
25324


(C)



(D)



(A)



(B)


Im Ausland hat man sich gefragt, ob die deutsche Bevöl-
kerung wirklich so verirrt sein kann, eine Partei an der Re-
gierung zu beteiligen, deren führende Vertreter den Un-
terschied zwischen der konkreten Kritik an einer Person
und der Diffamierung einer ganzen Personengruppe nicht
verstehen


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


und die nicht erkannt haben, dass wir das Existenzrecht Is-
raels jeden Tag verteidigen müssen und wir auf dieser
Grundlage die Berechtigung und sogar die Pflicht zur Kri-
tik an der Regierungspolitik Israels haben.

Die deutschen Wähler sind, was diese Frage anbelangt,
offensichtlich klüger. Ich entnehme einer Umfrage, dass
selbst 53 Prozent der FDP-Anhänger den selbst ernannten
Kanzlerkandidaten der FDP nicht als Außenminister ak-
zeptieren, sondern den amtierenden Außenminister auch
nach dem 22. September im Amt sehen wollen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Kerstin Müller [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Darüber muss Westerwelle einmal nachdenken!)


Schauen wir uns an, wonach Sie in Ihrer Großen An-
frage nicht gefragt haben. Nicht nur, dass sich Conny
Pieper angesichts der Aufgabe des Aufbaus Ost so er-
schrocken hat, dass sie sofort wieder flüchten will, Ihnen
ist der Aufbau Ost von 253 Fragen genau zwei wert.


(Kerstin Müller [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aha! Interessant!)


Herzlichen Glückwunsch zu diesem starken gesamtdeut-
schen Engagement!

Es gibt ein anderes Feld, bei dem man sich wirklich
wundert. Die beiden Bereiche der Haushaltskonsolidie-
rung und der Steuerpolitik finden keinen Niederschlag.


(Kerstin Müller [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wundert uns nicht!)


Warum wohl? Angesichts dessen, dass immerhin mehrere
Fragen nach einem Gesetz zur Abschöpfung von Vermö-
gensvorteilen bei Straftaten gestellt werden oder auch die
Frage nach den Trassenpreisen der Bahn große Beachtung
findet, möchten Sie offenkundig nicht nach dem erfolg-
reichsten politischen Projekt der Bundesregierung fragen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Gudrun Kopp [FDP]: Ach, gibt es eines? – Rainer Brüderle [FDP]: Die Gesundheitspolitik von Frau Fischer?)


Wir haben in den letzten vier Jahren damit angefangen,
eine Hypothek abzutragen, die uns – das hat der Wirt-
schaftsminister deutlich ausgeführt – von Ihnen überlas-
sen worden ist.


(Abg. Jürgen Koppelin [FDP] meldet sich zu einer Zwischenfrage)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1424907700
Frau Kollegin, gestat-
ten Sie eine Zwischenfrage?


(Dr. Reinhard Loske [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die 254. Frage muss jetzt wirklich nicht sein!)


Andrea Fischer (Berlin) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN): Nein, ich möchte jetzt keine Zwischenfrage zulas-
sen.

Wir haben den Schuldenanstieg verlangsamt. Wir ha-
ben das Verhältnis von Steuereinnahmen und Ausgaben
deutlich verbessert. Wir haben die Nettokreditaufnahme
zurückgeführt und dabei die Investitionen konstant gehal-
ten. Wir haben die Bürger und die Unternehmen bei den
Steuern um 62 Milliarden Euro entlastet.

Auch ich wäre kleinlaut, wenn ich, wie es die „Finan-
cial Times Deutschland“ festgestellt hat, das teuerste
Wahlprogramm Deutschlands hätte.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Sie versprechen zwar, die Bürger bei den Steuern um
72 Milliarden Euro zu entlasten; aber nur im Hinblick auf
20 Milliarden Euro sagen Sie, wie Sie das umsetzen wol-
len. Die Wählerinnen und Wähler wissen nicht, welche
Katze im Sack sie kaufen. Sie fragen sich, wer am Ende
die Entlastung der Besserverdienenden bezahlen muss.


(Margot von Renesse [SPD]: Unsere Enkel!)

Ein Thema, das Sie auch nicht interessiert – gestatten

Sie mir, das aus meiner persönlichen Sicht darzustellen –,
ist die Behindertenpolitik.


(Rainer Brüderle [FDP]: Warum nicht die Gesundheitspolitik von Frau Fischer? Da wurden Sie entlassen!)


Ich vermute, dass Sie dieses Thema nicht interessiert, weil
es ein besonders erfolgreicher Bereich unserer Politik war.


(Rainer Brüderle [FDP]: Sie haben vergessen, die Gesundheitspolitik zu erwähnen! – Wolfgang Dehnel [CDU/CSU]: Sie haben die Große Anfrage gar nicht gelesen!)


– Zu meinem eigenen Leidwesen habe ich die 253 Fragen
wirklich gelesen.


(Dr. Reinhard Loske [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Tolle Selbstdisziplin!)


Nicht zuletzt vor dem Hintergrund dessen, was ich in
der Opposition in den vier Jahren vor unserer Regie-
rungszeit erlebt habe, finde ich das Wort Stolz fast unan-
gemessen für das, was wir in der Behindertenpolitik er-
reicht haben. Wir haben in den letzten vier Jahren
deutliche Verbesserungen, was den Zugang zum Arbeits-
markt anbelangt, erreicht. Wir haben die Bedingungen der
Rehabilitation deutlich verbessert und wir haben das
Gleichstellungsgesetz verabschiedet. Das hat für Milli-
onen von Menschen mit Behinderungen und deren Fami-
lien eine große Bedeutung. Das kann man nicht hoch ge-
nug einschätzen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)





Andrea Fischer (Berlin)


25325


(C)



(D)



(A)



(B)


Es bedeutet darüber hinaus, dass wir Schluss mit der
bisherigen paternalistischen Behindertenpolitik und da-
mit gemacht haben, dass Nichtbehinderte meinen, sie
wüssten es besser als die Behinderten. Wir haben endlich
anerkannt, dass wir es hier mit Expertinnen und Experten
in eigener Sache zu tun haben und wir ihnen entspre-
chende Rahmenbedingungen vorgeben müssen, damit sie
ihren Anspruch auf Selbstbestimmung auch tatsächlich
durchsetzen können.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich gestatte mir in dieser Debatte, nicht nur einfach da-
rüber zu sprechen, welche Erfolge die Bundesregierung
erzielt hat; das werden sicherlich noch viele andere tun.
Ich möchte abschließend im Hinblick auf meine Zeit hier
im Bundestag einige grundsätzliche Anmerkungen zur
Sozialpolitik machen.


(Rainer Brüderle [FDP]: Zur Gesundheitspolitik!)


Als ich vor acht Jahren in den Bundestag kam, traf ich
auf die Gralshüter des Sozialstaates, die meinten, dass
man, wenn man behaupte, Rentenpolitik sei auch ein
Thema für junge Leute, die Rentenpolitik wohl nicht ver-
standen habe. Ich habe damals gelernt, dass es unglaub-
lich lange braucht, bis gesellschaftliche Veränderungen
bei der Politik ankommen, und dass es ein unglaublich
großes Beharrungsvermögen gibt, das auch gut organi-
siert ist. Wir haben allerdings in den letzten Jahren in der
Rentenpolitik gezeigt, dass Veränderung möglich ist.
Auch dieses dicke Brett konnte also gebohrt werden.

Sozialpolitiker sind zu Recht immer vorsichtig mit
Veränderungen; denn sie wissen, dass sich jede noch so
kleine Gesetzesänderung am Ende auf den Alltag, die Le-
bensumstände der Menschen auswirkt. Deswegen kommt
es in der Sozialpolitik nicht zur Revolution. Ich glaube
aber, dass vieles, was wir in den letzten Jahren erlebt ha-
ben, nicht aufgrund kluger Vorsicht geschehen ist. Wir ha-
ben es vielmehr mit Besitzstandswahrung, Unbeweglich-
keit und Egoismus zu tun.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Oft verbirgt sich hinter dem Vorwurf, etwas sei unso-
zial, im Grunde nur der Versuch, die eigenen Interessen zu
wahren. Ist es wirklich unsozial, den Generationenvertrag
in ein neues Gleichgewicht zu bringen, bevor er durch die
demographische Entwicklung gebrochen wird? Ist es
wirklich unsozial, das solidarische Gesundheitssystem
davor zu bewahren, durch Intransparenz, schlechte Qua-
lität und das Selbstbestimmungsrecht der Selbstverwal-
tungsorgane zerstört zu werden? Ist es wirklich unsozial,
gegebenenfalls auch Leistungseinschränkungen vorzu-
nehmen, obwohl diese dazu beitragen, ein Solidarsystem
zukunftsfest zu machen?

Nach diesen acht Jahren habe ich noch immer meinen
Traum von Sozialpolitik. Ich möchte, dass wir uns den
Veränderungen stellen und Mut zu Neuem haben und dass
es hier Politiker mit Mut zur Führung gibt. Ich möchte,
dass wir die lebendige Seite des Sozialstaats wahrnehmen
und den Menschen helfen, in ihrem Alltag Großzügigkeit

und Solidaritätsbereitschaft zu leben. Ich möchte, dass
wir die Mythen des Sozialstaats entschleiern und nachfra-
gen, wo unsere Solidarität gefordert ist und wo sie heute
vielleicht nicht mehr gebraucht wird.


(Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Sehr wahr!)

Ich möchte, dass sich die Sozialpolitik vom Bild des

mündigen Menschen leiten lässt, der Eigeninitiative hat
und von dem wir erwarten können, dass er Eigenverant-
wortung praktiziert. Gleichzeitig müssen wir darauf ach-
ten, wo die Eigeninitiative nicht weiterhilft und wir Un-
terstützung leisten müssen. Ich wünsche mir vor allem,
dass dies nicht nur in warmen Abschiedsreden oder Sonn-
tagsreden eine Rolle spielt und dass die Debatten hierzu
nicht so ritualisiert ablaufen, dass alle Seiten nur Gründe
suchen, sich der Veränderung zu verweigern, dann aber
über die schlechte Lage klagen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich habe noch einen Wunsch, nämlich den Wunsch
nach Aufmerksamkeit für das, was man in Politik und Me-
dien gerne die weichen Themen nennt. Diese Themen ha-
ben in der Regel am meisten mit dem Alltag der Menschen
zu tun. Ich habe es eben schon gesagt: Es ist bemerkens-
wert, dass die Behindertenpolitik, ein Thema, das Milli-
onen Menschen in unserem Land sehr berührt, in der Öf-
fentlichkeit so wenig Aufmerksamkeit findet. Das halte
ich für einen schweren Fehler.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)


Ich möchte dies noch an einem anderen Punkt fest-
machen, nämlich an der Pflege. Die Pflege ist klassi-
scherweise ein Thema für die Fachleute der Sozialpolitik.
Aber das ist mir zu wenig. Es ist eine Herausforderung,
der sich jeden Tag Millionen von Menschen stellen. Die
Gesellschaft muss sich in Zukunft anders organisieren,
wenn sie diese Herausforderung unter den veränderten
Bedingungen bewältigen will. Sie wird darüber nach-
denken müssen, wie den Menschen sowohl die Erwerbs-
tätigkeit als auch die Pflege der Angehörigen ermöglicht
wird. Es wird sich vieles ändern müssen. Wir werden neue
Netze und mehr Unterstützung brauchen. Wir werden
auch im Arbeitsleben ein anderes Denken verfolgen
müssen. Wir müssen die Menschen vor der Über-
forderung schützen, indem wir alle gemeinsam gegen die
Gleichgültigkeit streiten. Deswegen geht dieses Thema
uns alle an.


(Beifall im ganzen Hause)

Ich habe als Parlamentarierin in relativ kurzer Zeit alle

Höhen und Tiefen erlebt, die man als Politikerin erleben
kann. Trotzdem möchte ich keinen Tag missen. Politik ist
ein schöner Beruf, der von uns viel verlangt, der uns viel
ermöglicht und in dem wir viel lernen können.

Was ich nicht vermissen werde, sind langweilige, un-
inspirierte, abgelesene Reden und ritualisierte Debatten in
diesem Haus. Was ich vermissen werde, sind der Adre-
nalinstoß vor einer Rede und die leidenschaftliche De-




Andrea Fischer (Berlin)

25326


(C)



(D)



(A)



(B)


batte. Was ich nicht vermissen werde, sind Neid, Häme
und Intrigen, die mit jeder Stufe der Karriereleiter stärker
werden. Was ich vermissen werde, sind Loyalität und
Freundschaft; denn die gibt es auch in der Politik. Ich
danke all denen in meiner Fraktion, die wissen, dass sie
gemeint sind.


(Manfred Grund [CDU/CSU]: Das werden wenige sein! – Rainer Brüderle [FDP]: Das sind wahrscheinlich wenige!)


Was ich nicht vermissen werde, ist der mangelnde Sinn
für Ironie und Humor in Politik und Öffentlichkeit. Was
ich vermissen werde, sind die nächtlichen Debatten im
Plenum, am liebsten damals in Bonn und am liebsten mit
dem Rechtsausschuss, wo Sachkunde, persönliche Bezie-
hungen und manchmal unfreiwillige Komik eine unheim-
liche Mischung eingingen.


(Alfred Hartenbach [SPD]: Ich danke Ihnen ganz persönlich, Frau Fischer!)


Was ich nicht vermissen werde, ist der ständige Kampf
mit populistischen Vorurteilen gegen Politiker. Was ich
vermissen werde, ist die Gelegenheit zur Zusammenarbeit
mit großartigen Menschen, auch jenseits des eigenen La-
gers, wo ich insbesondere natürlich Frau von Renesse,
Frau Böhmer, Karl-Josef Laumann und Gisela Babel nen-
nen möchte.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP)


Was ich nicht vermissen werde, ist die Goldwaage, auf die
die Worte einer Politikerin gelegt werden. Was ich sehr
vermissen werde, sind die klugen und wunderbaren Mit-
arbeiter, die mir in diesen acht Jahren geholfen haben.

Entgegen landläufiger Meinung bin ich nicht der Mei-
nung, Politiker seien Menschen, die einer Sucht anheim
gefallen sind. Vielmehr sind es Menschen, die einen Be-
ruf ausüben, der ihnen aus gutem Grund auch viel Freude
macht, weil er ihnen unter anderem die Möglichkeit zur
Gestaltung bietet. Deshalb ist es auch nicht leicht, diesen
Beruf zu verlassen, aber es ist möglich. Ich tue das mit ei-
nem freundlichen Blick zurück und einem neugierigen
nach vorne.

Ich danke Ihnen.

(Beifall im ganzen Hause)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1424907800
Frau Kollegin Fischer,
Sie haben den Beifall aller Kolleginnen und Kollegen im
Hohen Hause entgegengenommen. Nehmen Sie ihn als
ein symbolisches Dankeschön für Ihr engagiertes Wirken
in den letzten acht Jahren, in diesen zwei Legislaturperi-
oden. Wir alle wissen, dass Sie in entscheidendem Maße
die sozialpolitischen Debatten hier im Parlament mitbe-
stimmt haben.

Ich sage ganz bewusst: Es war Ihre vorerst letzte Rede
im Deutschen Bundestag. Ich denke, in unserer Genera-
tion sollte man gar nichts ausschließen, auch nicht, dass
man zu späterer Zeit vielleicht noch einmal wieder-
kommt. Wir wünschen Ihnen auf jeden Fall – sicher alle
gerührt durch Ihren Rückblick, der für uns alle ein pro-

duktiver Rückblick war – alles Gute für die kommenden
Jahre. Ich denke schon, dass man sich wiedersieht.


(Beifall)

Jetzt erteile ich das Wort zu einer Kurzintervention

dem Kollegen Jürgen Koppelin.

(Alfred Hartenbach [SPD]: Muss das jetzt sein?)



Dr. h.c. Jürgen Koppelin (FDP):
Rede ID: ID1424907900
Verehrte Kollegin Fischer,
vor allem der letzte Teil Ihrer Rede hat mir natürlich sehr
gut gefallen und ich will ausdrücklich sagen, dass ich Ih-
nen persönlich für den weiteren Werdegang wirklich alles
Gute wünsche. Das wissen Sie auch aus persönlichen Ge-
sprächen.

Ich habe mich zum ersten Teil Ihrer Rede gemeldet.
Was Sie da gesagt haben, kann so nicht stehen bleiben.
Das werden Sie verstehen.


(Margot von Renesse [SPD]: Sie meinen das Krokodil?)


– Nicht das Krokodil. Dieses Krokodil heißt übrigens
Joseph und wird Joschka gerufen. Und wenn es da so still
in der Ecke liegt und dann noch in der rechten Ecke, wie
die Kollegin eben berichtet hat, möge sie das selber kom-
mentieren. Im Übrigen können Sie gar nicht sehen, ob bei
der Ente irgendwo die 18 aufgemalt ist, weil das Kroko-
dil diese Ente bereits fast gefressen hat. Im Augenblick
fehlt übrigens eine Ihrer drei Enten. Vielleicht gucken Sie
noch einmal nach. Aber das regeln wir später.

Ich habe mich aus folgendem Grund gemeldet, Kolle-
gin Fischer: Sie können unsere Anfrage nicht in der Form
kritisieren, wie Sie es hier getan haben. Warum hat denn
zum Beispiel in sieben Ministerien ein Wechsel stattge-
funden? So erfolgreich kann diese Regierung insgesamt ja
nicht gewesen sein. Ich will hier nicht nur an Ihren Rück-
tritt erinnern, der – so war jedenfalls mein Eindruck – ja
auch in Ihrer eigenen Partei betrieben worden ist. Da sind
Dinge zurückgeblieben. Da können Sie doch nicht von
erfolgreicher Politik reden. Sie haben zurücktreten müs-
sen. Wegen erfolgreicher Politik? Oder warum haben Sie
zurücktreten müssen?


(Alfred Hartenbach [SPD]: Das war jetzt sehr hässlich, Herr Kollege!)


Nun komme ich zu Ihrem Namensvetter Joseph
Fischer. Die Kollegin hat ihn gelobt; das ist natürlich ihre
Pflicht als Fraktionsmitglied. Damit Sie aber sehen, wie
erfolgreich seine Politik auch bei den Grünen gesehen
wird, zitiere ich die „Lübecker Nachrichten“ von gestern.
Danach hat der Kreisverband der Grünen in Lübeck ein
Stadtverbot für Joschka Fischer, den Außenminister, be-
schlossen. Man will ihn im Wahlkampf innerhalb Lübecks
nicht sehen und begründet das wie folgt: „Wir haben uns
und unsere Glaubwürdigkeit anzubieten“, sagen die Grü-
nen. Deshalb darf er nicht kommen. „Eine Glaubwürdig-
keit, die Außenminister Fischer nicht verkörpere“, Ich zi-
tiere die „Lübecker Nachrichten“; dort heißt es weiter:

„Wir brauchen die Reklamesprüche ... nicht.“ ... Seit
Fischer in der Bundesregierung sei, hätten die Grünen




Andrea Fischer (Berlin)


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(D)



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bei jeder Landtagswahl Stimmen verloren. Für die
Partei komme bei den Auftritten der Spitzenkräfte
nichts heraus. ... „Wenn 1 000 Leute bei Fischer Bei-
fall klatschen, wählen trotzdem nur zehn von denen
die Grünen.“

Anschließend wird vom Kreisverband in Lübeck zur
Außenpolitik von Joschka Fischer Stellung genommen.

Sie werden also verstehen, dass das Lob für Ihren Spit-
zenmann nicht ganz so einheitlich ist. Ich könnte Ihnen
auch andere grüne Kreisverbände in Schleswig-Holstein
nennen, die sich entweder aufgelöst haben oder das ge-
nauso kritisieren. Sie wissen, dass Sie dieses Problem ha-
ben und die Außenpolitik Ihres Außenministers nicht so
anerkannt wird, wie Sie es sich mit Blick auf die Bundes-
tagswahl vielleicht wünschen.

Rot-Grün hat so viele Auslandseinsätze befürwortet,
wie ich es mir nie habe träumen lassen. Es ist eine Verän-
derung innerhalb der Außenpolitik, die durchaus kritisch
zu würdigen ist. Dazu haben Sie nicht Stellung genom-
men.


(Beifall bei Abgeordneten der PDS – Alfred Hartenbach [SPD]: Beifall von der PDS, Herr Koppelin! Das sollte Ihnen zu denken geben!)


Was mich aber am meisten stört – das sage ich als über-
zeugter Parlamentarier –, ist, dass Sie unsere Anfrage
– das war eine Fleißarbeit, für die wir die Regierungser-
klärung und die Koalitionsvereinbarung herangezogen
und dazu Fragen formuliert haben – in dieser Form kriti-
sieren. Ich finde es bedauerlich, wenn Sie das so kritisie-
ren; denn es ist das Recht des Parlamentariers, nach die-
sen Dingen zu fragen. Ihr Minister Müller hat das vorhin
in wesentlich arroganterer Art getan; Sie haben es noch
nett und freundlich gemacht. Ich finde das nicht in Ord-
nung. Wenn wir unsere Pflicht tun, sollten Sie das aner-
kennen.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1424908000
Herr Kollege
Koppelin, Sie hatten zwei Sätze angekündigt. Jetzt haben
Sie ein wenig länger gesprochen.

Eine Erwiderung gibt es nicht. Ich denke, die Kroko-
dil- und Entenfrage können wir in der parlamentarischen
Sommerpause klären.

Wir fahren jetzt in der Debatte fort. Ich erteile das Wort
dem Fraktionsvorsitzenden der PDS Roland Claus.


Roland Claus (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1424908100
Frau Präsidentin! Ich möchte
mich zunächst Ihrer Würdigung für Frau Fischer sehr gern
anschließen.

Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, ich hatte ges-
tern Gelegenheit zur Kritik an der Arbeit der Bundesre-
gierung. Dafür gab es reichlich Anlass. Ich will heute die
Gelegenheit nutzen, eine kritische Analyse der Anträge
und Vorlagen der konservativen und liberalen Opposition
vorzunehmen, um anschließend zu erklären, warum ich
diese Alternative nicht für eine wirkliche halte.

Da ich nicht an einen FDP-Kanzler glaube, beschäftige
ich mich vorrangig mit den Unionsanträgen. Um nicht

missverstanden zu werden: An einen Unionskanzler
glaube ich natürlich auch nicht.


(Beifall bei der PDS)

Die FDP hat uns schon einiges vorgeführt. Das Ein-

zige, was ich noch an Steigerung erwarte, ist der Versuch,
sich vor Gericht in das Kanzleramt einzuklagen. Die An-
träge und Vorschläge der Union erinnern mich an eine
Liedzeile, die die Rocklady Nummer eins in der DDR,
Tamara Danz, einst so schön gesungen hat: Wo wir sind,
ist vorn; wenn wir hinten sind, ist hinten vorn.


(Beifall bei der PDS – Manfred Grund [CDU/ CSU]: Mein Gott, ist das platt!)


– Das ist nicht platt. Das ist ein schönes Lied.

(Dr. Ruth Fuchs [PDS]: Das ist Kunst!)


Das Unionsprogramm bedeutet soziale Kälte und
Ellenbogengesellschaft, wirtschaftspolitische Rückstän-
digkeit,


(Manfred Grund [CDU/CSU]: Proletenkunst ist das!)


finanzpolitisches Wunschdenken, kulturelles Roll-back
und europapolitisches Versagen. Ich verstehe Ihr Begeh-
ren zu einer späten Rache an den 68ern, meine Damen und
Herren von der Union, aber ein Zukunftsprojekt entsteht
daraus noch lange nicht.


(Beifall bei der PDS)

Ich will Ihre Vorschläge an drei Beispielen untersu-

chen: Erstens. Sie wollen die Staatsquote in vier Jahren
unter 40 Prozent senken.


(Zuruf des Abg. Manfred Grund [CDU/CSU])

– Das ist Ihr Vorschlag; das können Sie jetzt nicht ab-
streiten. – Das bedeutet umgerechnet einen ganzen Bun-
deshaushalt weniger. Diese Umrechnung habe ich nicht
allein vorgenommen. 80 Milliarden Euro pro Jahr weni-
ger bringen Sie, meine Damen und Herren von der Union,
mit der Logik von Ludwig Erhard nicht in Einklang. Das
ginge nur mit der Logik von Wladimir Iljitsch Lenin und
das wären nicht zwei Schritte vorwärts, sondern deutlich
ein Schritt zurück.


(Beifall bei Abgeordneten der PDS)

Sie hatten ein K-Problem in der Kanzlerfrage, jetzt haben
Sie ein K-Problem in der Kompetenzfrage.

Zweitens. Sie wollen Lebensrisiken weiter privatisie-
ren: bei der Rente und der Arbeitslosigkeit. Ein Lieb-
lingsspruch aus dem Sprüchebeutel Ihres Fraktionsvorsit-
zenden lautet: Wir haben es jetzt mit einer Kombination
von Sozialhilfe und Schwarzarbeit zu tun; deshalb muss
man den Sozialhilfeempfängern auf die Finger klopfen.
Wir sagen Ihnen dazu ganz deutlich: Es gibt keinen
Schwarzarbeiter, ohne dass es vorher einen Schwarzar-
beitgeber gegeben hätte. Die Arbeitslosigkeit als die
größte Unfreiheit der Neuzeit dadurch bekämpfen zu wol-
len, dass man diese Unfreien, die Arbeit Suchenden und
Arbeitslosen, beschimpft und verhöhnt – eine solche Po-
litik machen wir nicht mit.


(Beifall bei der PDS)





Jürgen Koppelin
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Deutschland braucht eine Reform der Arbeitswelt und
nicht der Arbeitslosenwelt. Das bleibt auch angesichts
neuer Vorschläge gültig.

Um soziale Projekte zu finanzieren, brauchen wir in
Deutschland eine wirkliche Vermögensbesteuerung und
nicht nur eine Vermögensvergrößerungsbesteuerung. Das
Fehlen einer solchen Besteuerung ist der eigentliche
Grund dafür, dass sich die Reichen hierzulande im Hin-
blick auf die Steuer immer wieder arm rechnen können.
Noch nie aber konnten sich Arme reich rechnen.


(Beifall bei der PDS)

Ein dritter Punkt: Die Union entdeckt den Osten.

Lothar Späth schwärmt von einem kommunalen Investi-
tionsprogramm. Man muss fragen: Warum haben Sie An-
trägen nicht zugestimmt, die wir in diesem Hause einge-
bracht haben? Aber Sie befinden sich ja auf dem Weg der
Besserung, da Sie in der vorigen Woche zum ersten Mal
einem PDS-Antrag zur Pflege zugestimmt haben. Der
Kanzlerkandidat Stoiber war in meinem Wohnort Halle
und hat dort herausgefunden, dass Hallorenkugeln essbar
sind. Was uns aber an dieser Politik nervt, ist, dass Sie sich
den neuen Bundesländern immer nur dann zuwenden,
wenn Wahlen vor der Tür stehen.


(Beifall bei der PDS)

Wir hielten viel davon – einer solchen Erwartung be-

gegnen wir wie auch Sie immer wieder in Gesprächen in
unseren Wahlkreisen –, wenn die Abgeordneten aus den
neuen Bundesländern es schafften, einmal gemeinsam die
Ärmel aufzukrempeln, anstatt sich immer nur darüber zu
streiten, wer die meiste Schuld hat. Einen solchen An-
spruch halte ich nach wie vor für richtig; wir sollten ihn
umsetzen. Er ist aber unglaubwürdig, wenn die Kanzler-
kandidaten immer nur kurz vor der Wahl auftauchen.

Mein Fazit: Ich kann viele Bayern gut verstehen, wenn
sie Ministerpräsident Stoiber loswerden wollen. Aber ich
bitte die Bayerinnen und Bayern: nicht nach Berlin.


(Beifall bei der PDS – Manfred Grund [CDU/CSU]: Oh, ist das platt!)


Jedem, der das so sieht wie ich, kann ich nur sagen:
Ganz sicher wählen Sie Stoiber nur dann nicht, wenn Sie
die PDS wählen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der PDS)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1424908200
Als Nächster spricht
der Kollege Joachim Poß für die Fraktion der SPD.


Joachim Poß (SPD):
Rede ID: ID1424908300
Frau Präsidentin! Meine Damen
und Herren! Im Gegensatz zu mancher Kritik, die hier
geäußert wurde, halte ich die Anfrage der FDP wirklich
für verdienstvoll, bietet sie den Regierungsfraktionen
doch eine hervorragende Grundlage, in den nächsten Wo-
chen und Monaten zu argumentieren.


(Rainer Brüderle [FDP]: So war es gedacht! – Heiterkeit bei der CDU/CSU)


Ich hoffe, Herr Brüderle, dass Sie sich jetzt entgegen
Ihren sonstigen Gewohnheiten einmal dazu bequemen,

die Inhalte zur Kenntnis zu nehmen, die aufgrund Ihrer
Fragen in dieser eindrucksvollen Bilanz ausgebreitet sind.

Dazu zählen auch die Frage, wie wir hier miteinander
umgehen, sowie die Tatsache, dass Fakten und Zahlen aus-
geblendet werden. Herr Claus – ich will jetzt nicht nur die
CDU/CSU und die FDPansprechen – hat eben ein Beispiel
dafür geliefert. Seit dem Regierungswechsel zahlen Ein-
kommensmillionäre in der Bundesrepublik Deutschland
wieder Einkommensteuer. Das war vorher nicht der Fall.
Sagen Sie das einmal Ihrer Klientel auf Ihren Parteiveran-
staltungen,


(Beifall bei der SPD)

anstatt immer nur ein Zerrbild von der Wirklichkeit zu
malen. Wir, die Grünen und die Sozialdemokraten, haben
gemeinsam mehr Steuergerechtigkeit hergestellt.


(Lachen bei der CDU/CSU)

Herr Claus, das gehört auch zu den Fakten, die ver-
schwiegen werden.


(Albrecht Feibel [CDU/CSU]: Genosse der Bosse!)


– Wissen Sie, meine Kollegen von der Union, zu Ihrer Re-
gierungszeit wurden Einkommensmillionären noch Steu-
ern erstattet. Lesen Sie den Bericht des Landesrech-
nungshofes Baden-Württemberg oder andere ideologisch
unverdächtige Quellen, die ich Ihnen nennen könnte, und
setzen Sie sich einmal mit der Wirklichkeit auseinander.
Dass Sie das nicht machen, ist Ihre Schwäche. Der Re-
gierungswechsel hat sich nämlich für die Lebenswirk-
lichkeit von Millionen von Menschen gelohnt: für Arbeit-
nehmerinnen und Arbeitnehmer, für Familien mit Kindern
und auch für den Mittelstand.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Dann sagten Sie, Herr Claus, die Kanzlerkandidaten kä-
men nur kurz vor der Wahl nach Ostdeutschland und küm-
merten sich ansonsten nicht um die neuen Länder. Das ist
schlicht die Unwahrheit. Wer hat denn dafür gesorgt, dass
wir im Juni letzten Jahres den Solidarpakt mit einem Vo-
lumen von 156 Milliarden Euro gestemmt haben? Wer hat
das denn gemacht? Hat das nicht diese Bundesregierung
und hat das nicht diese Mehrheit im Bundestag betrieben?
Herr Claus, das müssen Sie doch einmal zur Kenntnis
nehmen und können dies nicht so ohne weiteres ignorie-
ren.


(Beifall bei der SPD)

Zur politischen Auseinandersetzung gehört auch, dass

sich Herr Stoiber vergegenwärtigen muss, wie denn Mit-
glieder seines Inkompetenzteams – oder wie man dies
auch immer nennen soll – oder auch der CDU/CSU-Bun-
destagsfraktion unsere Politik beurteilen. Es ist interes-
sant, wie sie beurteilt wird. Danach sind wir gar nicht das
Armenhaus Europas. Herr Späth – ein Kollege von mir,
Herr Wend, hat ihn gestern schon zitiert – hat dem Bun-
deskanzler noch im letzten Jahr attestiert, dass er einen
hervorragenden Job macht.

Noch am letzten Wochenende hat Herr Schäuble die
von Rudolf Scharping konzipierte und durchgesetzte




Roland Claus

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(D)



(A)



(B)


Bundeswehrreform als in die richtige Richtung gehend
begrüßt. Wir alle hier im Bundestag wissen, dass der saar-
ländische Ministerpräsident Peter Müller, wenn es nach
ihm gegangen wäre, unserem Zuwanderungsgesetz aus
vollster Überzeugung zugestimmt hätte. Schließlich fin-
den sich in ihm viele seiner Überzeugungen und Vorstel-
lungen wieder. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat
unserer BAföG-Reform, unserer Wohngeldreform und
anderen wichtigen gesellschaftspolitischen Schritten hier
im Deutschen Bundestag zugestimmt.


(Wolfgang Gehrcke [PDS]: Große Koalition!)

Was wir bei der CDU/CSU antreffen, ist ein offenkun-

diges geistiges Durcheinander. Ein besonders krasser Fall
in dem Durcheinander, das die Union immer stärker bie-
tet, ist der Berater von Herrn Stoiber, der vor elf Jahren
vom Amt des baden-württembergischen Ministerpräsi-
denten zurücktreten musste.


(Alfred Hartenbach [SPD]: Entbunden wurde!)

Herr Späth hat nicht nur unsere Steuerreform begrüßt, er
war auch sehr angetan von den Überlegungen und Vor-
schlägen der Hartz-Kommission. Dies allerdings war
seine Meinung, bevor er vom Kanzlerkandidaten Stoiber
zurückgepfiffen worden ist. Der ehemalige Ministerpräsi-
dent von Baden-Württemberg muss sich bei seiner Selbst-
darstellungslust und Eitelkeit offensichtlich erst noch
daran gewöhnen, dass nicht gilt, was er in irgendeiner
Talkshow sagt, sondern nur gilt, was sein Chef meint.
Dies ist für ihn so eine Art Déjà-vu-Erlebnis: Er erinnert
sich an Kohl zurück. Dies liegt allerdings schon etwas
mehr als ein Jahrzehnt zurück.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir können aber auch andere Themen nehmen, so bei-
spielsweise die Widersprüchlichkeit und das Durcheinan-
der beim Thema Gemeindefinanzen. Unbeeindruckt von
der endgültigen Fassung seines eigenen Programms und
von der eindeutigen Position der kommunalen Spitzen-
verbände hat Herr Merz – Herr Merz ist ja die Nachhut in
Stoibers Kompetenzteam, dies ist der Mann, der dafür be-
kannt ist, dass er flüssig im Reden ist, allerdings mit Zah-
len und Fakten besonders große Schwierigkeiten hat;


(Alfred Hartenbach [SPD]: PISA! PISA lässt grüßen! – Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Sie sind doch nur neidisch!)


gestern hat er wieder ein Beispiel dafür abgelegt – kürz-
lich vor einem kommunalen Spitzenverband noch immer
die Forderung des BDI nach der Abschaffung der Gewer-
besteuer und deren Ersatz durch Zuschläge zum örtlichen
Einkommen- und Körperschaftsteueraufkommen vertre-
ten. Dies sollte überall in der kommunalen Familie ver-
breitet werden, so etwa bei den Kommunalpolitikerinnen
und -politikern der CDU, die diese Regierung so sehr an-
greifen. Denen ist noch gar nicht bekannt, was Herr Merz
da vertritt.


(Beifall bei der SPD)

Wie den Kommunen auf diesem Wege ein verläss-

liches Steueraufkommen in der bisherigen Größenord-
nung der Gewerbesteuer von jährlich rund 25 Milliarden

Euro gesichert werden soll, ist aber ein komplettes Rätsel.
Hier wird es konkret und hier taucht die Union weg.

Worum geht es konkret? Nach der Mai-Steuerschät-
zung beläuft sich das Aufkommen von Lohn- und Ein-
kommensteuer sowie der Körperschaftsteuer in diesem
Jahr auf rund 150 Milliarden Euro. Auf dieses Steuerauf-
kommen müsste der Ausfall der gesamten Gewerbesteuer
aufgeschlagen werden. Demnach würden 25 Milliar-
den Euro zusätzlich eine sofortige Steigerung des Auf-
kommens an Lohnsteuer, Einkommensteuer und Kör-
perschaftsteuer um über 15 Prozent erfordern. Es geht
also keineswegs bloß um Zuschläge der Kommunen von
2,3 oder 5 Prozent auf ihren jeweiligen Steueranteil.

Wie aber passt eine solche Erhöhung der Lohn-, Ein-
kommen- und Körperschaftsteuer mit der angekündigten
weiteren Absenkung zumindest des Spitzensteuersatzes
der Einkommensteuer zusammen? Auf Ihrem Parteitag
haben Sie von der CDU beschlossen, den Spitzensteuer-
satz auf 35 Prozent zu senken. Herr Koch hat dieses Vor-
haben kürzlich wiederholt. Herr Koch hat im Übrigen
vorgeschlagen, allen Pensionären die 13. Pension zu strei-
chen. Diese Forderung ist in den letzten Wochen auch un-
tergegangen.


(Alfred Hartenbach [SPD]: Was? Das sollte man mal dem Deutschen Beamtenbund erzählen!)


Mit Ihrer Forderung nach Senkung des Spitzensteuer-
satzes auf 35 Prozent – nicht nur auf unter 40 Prozent –
werden die Finanzierungsschwierigkeiten offenkundig
immer größer. Wer genau soll diese Steuererhöhungen
denn bezahlen, etwa die Arbeitnehmerinnen und Arbeit-
nehmer?

So könnte man fortfahren, wenn man sich in der Tat
einmal konkret anschaut, was Sie auf Ihrem Parteitag be-
schlossen haben und wie Ihr jetziges Wahlprogramm aus-
sieht. Herr Austermann, was gilt denn nun in der Steuer-
und Finanzpolitik der Union?


(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Die Steuern müssen herunter!)


Ich kann es Ihnen sagen: Es gilt das Chaos, und zwar das
gleiche Chaos, das bereits am Anfang dieses Jahres bei Ih-
nen herrschte. Sie sind in der Steuer- und Finanzpolitik
zutiefst zerstritten. Ihre unvereinbaren Positionen konn-
ten Sie von Februar bis heute durch Sprachregelungen
mühsam übertünchen. Jetzt ist es wieder so weit: Chaos
und keine klare Linie – und das nicht nur in der Steuer-
und Finanzpolitik.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Der deutlichste Beleg dafür sind Ihre Überlegungen,
die Staatsquote radikal auf unter 40 Prozent abzubauen.
Dieser Abbau wäre nur realisierbar – das weiß jede kun-
dige Politikerin und jeder kundige Politiker; von der FDP,
die 35 Prozent anstrebt, will ich gar nicht sprechen –,
wenn in der kommenden Legislaturperiode nicht nur die
Ausgaben des Bundes, sondern auch die aller Länder,
Kommunen und Sozialversicherungen massiv, und zwar
um insgesamt mehr als 170 Milliarden Euro, zusammen-




Joachim Poß
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gestrichen würden. Das würde massive Kürzungen bei
Rentnern und Arbeitslosen sowie vermutlich auch mas-
sive Einschnitte bei den öffentlichen Infrastrukturinves-
titionen zur Folge haben.

Im Kern ist das, was Stoiber und noch stärker die FDP
wollen, nichts anderes als die Aufkündigung des sozialen
Zusammenhalts hier in der Bundesrepublik Deutschland.
Das ist bei uns in der Bundesrepublik Deutschland nicht
mehrheitsfähig: weder bei den Gewerkschaften noch mei-
nes Erachtens bei den Arbeitgebern, auch nicht bei den
Kirchen; das wissen Sie auch.


(Beifall bei der SPD – Alfred Hartenbach [SPD]: Auch nicht bei den Rentnern!)


Ein sozial gespaltenes Deutschland kann kein wirt-
schaftlich erfolgreiches Deutschland sein. Insofern führt
die von Ihnen angestrebte radikale Verzichts- und Abbau-
politik nicht nur sozial- und gesellschaftspolitisch, son-
dern auch ökonomisch ins Abseits.

Meine Damen und Herren, Sie spüren es ja: Je mehr
sich die Stimmung zugunsten der SPD verändert, desto
stärker werden die Auflösungstendenzen bei Ihnen, die
wir, wenn wir die Medien aufmerksam verfolgen, Tag für
Tag beobachten können. Immer deutlicher tritt hervor,
wie schwer es den Amts- und Würdenträgern der CDU
fällt, sich vor den Karren des Vorsitzenden der kleineren
Schwesterpartei spannen zu lassen. Immer mehr Bürge-
rinnen und Bürger werden in den nächsten Wochen zu
dem Ergebnis kommen, dass die rückwärts gewandte Po-
litik der Union – von der FDP rede ich gar nicht, das ist
wirklich eine Gagapartei; ihr Vorsitzender Westerwelle
hat heute Morgen bewiesen, dass er zu Recht deren Vor-
sitzender ist –


(Beifall bei der SPD – Alfred Hartenbach [SPD]: Das war jetzt aber hart!)


keine Zukunft haben darf und wird. Die Kanzlerkandida-
ten Stoiber und Westerwelle sind nun wirklich keine Al-
ternativen zu Gerhard Schröder.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Manfred Grund [CDU/CSU]: Sie sind ein Possenreißer! – Gegenruf des Abg. Joachim Poß [SPD]: Das ist mir nicht neu!)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1424908400
Jetzt spricht der Kol-
lege Dr. Peter Ramsauer für die Fraktion der CDU/CSU.


(Alfred Hartenbach [SPD]: Jetzt kommt der Dolchstoß aus dem Voralpenland!)



Dr. Peter Ramsauer (CSU):
Rede ID: ID1424908500
Sehr geehrte Frau
Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Da-
men und Herren! Ich bedauere, dass die Kollegin Andrea
Fischer schon gehen musste; denn ich wollte ihr sagen
– Frau Schewe-Gerigk und Frau Göring-Eckardt, viel-
leicht können Sie ihr dies mitteilen –, dass sie mir heute
in einigen Punkten wider Erwarten voll aus dem Herzen
gesprochen hat. Vielleicht lag das ja auch an unserer ge-
meinsamen Vergangenheit. Wir waren nämlich in der vor-
letzten Legislaturperiode im Arbeits- und Sozialausschuss
des Deutschen Bundestages.

Ich kann nur sagen: Das, was sie zum Beispiel bezüg-
lich der grundsätzlichen Austarierung zwischen Solida-
rität auf der einen Seite und Eigenverantwortung auf der
anderen Seite gesagt hat, wäre durchaus eine Grundlage,
auf der man sich auf wichtige Positionen einigen könnte.
Leider Gottes steht dies im Gegensatz zu der konkreten
Sozial- und Arbeitspolitik dieser Bundesregierung in der
laufenden Legislaturperiode.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Im Übrigen: Von dem, was Andrea Fischer im letzten

Teil ihrer Rede zu den Grundsätzen für unsere parlamen-
tarische Arbeit gesagt hat, kann man sich wirklich man-
ches – –


(Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das können Sie sich ins Stammbuch schreiben!)


– Wieso wir uns? Wir können vielleicht alle miteinander
etwas davon lernen. Wir als Parlamentarier und Politiker
brauchen uns nämlich nicht darüber zu wundern, dass die
Öffentlichkeit uns nicht mehr Respekt entgegenbringt.
Die Öffentlichkeit wird uns nicht mehr Respekt entge-
genbringen, als wir untereinander bereit sind, uns gegen-
seitig an Respekt entgegenzubringen.


(Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und der PDS – Joachim Poß [SPD]: Sie sind ein geeigneter Vertreter dafür!)


– Lieber Herr Kollege Poß, ein nicht gerade gutes Beispiel
dafür war Ihr Umspringen mit der Opposition gerade
eben.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das müssen ausgerechnet Sie erzählen! – Joachim Poß [SPD]: Sie sind dafür bekannt, Herr Ramsauer!)


Geben Sie das weiter. Ich finde es schade, dass eine so
couragierte Frau wie Andrea Fischer das Parlament ver-
lässt. Sagen Sie ihr, sie soll das Kompliment eines CSU-
Mannes nicht als Beleidigung auffassen; es ist ehrlich ge-
meint.


(Manfred Grund [CDU/CSU]: Es könnte ihr schaden!)


– Es soll ihr nicht schaden.
Wir haben heute die 120 Seiten umfassende Antwort

auf die Große Anfrage der FDP zu debattieren.

(Alfred Hartenbach [SPD]: 160 Seiten!)


Es trifft sich gut, dass ausgerechnet heute, am letzten re-
gulären Sitzungstag dieser Legislaturperiode, eine Art
Schlussbilanz rot-grüner Politik gezogen werden kann.
Zusammengefasst kann man sagen: Die Ergebnisse und
Leistungen dieser Bundesregierung stehen im umgekehr-
ten Verhältnis zu all den Ankündigungen, die am Anfang
dieser Legislaturperiode von dieser Regierung gemacht
worden sind.

In diesem Zusammenhang rate ich Ihnen, lieber Herr
Kollege Poß: Lesen Sie sich einmal – Sie haben pro-
grammatische Aussagen des Kanzlerkandidaten Edmund
Stoiber angesprochen – unser Regierungsprogramm
durch. Es lohnt sich, es zu lesen. Sie werden dabei fest-




Joachim Poß

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stellen, dass die darin gemachten Vorschläge eine ver-
nünftige und umsetzbare Grundlage für die nächste Bun-
desregierung sind. Sie unterscheiden sich in dem Punkt
von Ihrem Regierungsprogramm von vor vier Jahren. Von
Ihren Ergebnissen will ich dabei gar nicht reden.

Schauen Sie sich an, was von Ihnen im Einzelnen alles
versprochen worden ist.


(Joachim Poß [SPD]: 40 Prozent Staatsquote!)

Mehr soziale Gerechtigkeit hat es geheißen. Ein Blick in
die soziale Realität genügt, um festzustellen, dass bei-
spielsweise die Rentner mit stagnierenden Einkommen
auskommen müssen, während die Vorstandsbezüge bei
staatlich kontrollierten Unternehmen regelrecht explo-
diert sind. Was ist aus dem Schröder-Aufschwung gewor-
den? – Lausige 0,6 Prozent Wirtschaftswachstum. Das ist
praktisch Stagnation.

Oder der Arbeitsmarkt:Offiziell sind 4 Millionen Ar-
beitslose gemeldet. Dazu kommen noch die 1 Million Ar-
beitslose in arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen. 5,2 oder
5,3 Millionen Arbeitslose sind eine verheerende Bilanz.
Durch die Herausnahme von Arbeitslosen, die 58 Jahre
und älter sind, aus der Statistik und durch statistische Ma-
nipulationen betreiben Sie Kosmetik. Bei den Hartz-Vor-
schlägen, nach denen bereits Leute ab 55 Jahren aus der
Statistik herausgenommen und sozusagen dem alten Ei-
sen zugeordnet werden sollen, verstehe ich eines nicht:
Ein Zweck Ihres Zuwanderungsgesetzes besteht doch
darin, Arbeitskräfte aus Drittländern ins Land zu holen.
Auch diese werden eines Tages 55 Jahre und älter sein. Es
passt nicht zusammen, bei uns gute Leute ab 55 Jahren
auszusortieren und durch importierte Arbeitskräfte aus
Drittländern zu ersetzen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Oder die Altersversorgung: Die blümsche Renten-

reform haben Sie zurückgenommen. Sie haben aber
schnell erkannt, dass dies ein gravierender Fehler war.
Herr Riester selbst kam nicht umhin, massivste Ein-
schnitte ins Rentenniveau vorzunehmen.

Oder Gesundheit: Versprochen war eine Rundumver-
sorgung der Bevölkerung mit Gesundheitsleistungen zu
stabilen Beiträgen. Herausgekommen ist eine Zwei-Klas-
sen-Medizin.

Vom Ziel sinkender Lohnnebenkosten und einer Sen-
kung des Gesamtsozialversicherungsbeitrages sind wir
am Ende dieser Legislaturperiode trotz Einführung der
Ökosteuer weiter denn je entfernt.

Überhaupt die Ökosteuer: Anspruch und Wirklichkeit
der Ökosteuer klaffen weit auseinander. Der Anspruch
der Ökosteuer war, eine Lenkungswirkung in Richtung
weniger Energieverbrauch zu erzeugen. Damit sollten die
gesetzlichen Lohnnebenkosten gesenkt werden. Beides
ist in die Hose gegangen. Eine Lenkungswirkung ist nicht
erzielt worden. Der Gesamtsozialversicherungsbeitrag
konnte nicht gesenkt werden. Der Treibsatz ist bereits
enthalten. Die Beiträge werden weiter steigen.


(Beifall des Abg. Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU])


Was wäre passiert, wenn eine Lenkungswirkung ent-
faltet worden wäre? Im schlimmsten Fall hätte es passie-

ren können – das sage ich an die Adresse des Wirtschafts-
ministers und auch an die von Herrn Riester –, dass der
Energieverbrauch stark zurückgegangen wäre, dass da-
durch auch die Einnahmen aus der Ökosteuer entspre-
chend gesunken wären und damit die Zuflüsse zur ge-
setzlichen Rentenversicherung geringer geworden wären.
Herr Riester hat aber von vornherein nicht mit einer Len-
kungswirkung gerechnet, sondern er hat damit kalkuliert,
dass die Einnahmen aus der Ökosteuer dauerhaft sprudeln
und in die Sozialversicherung fließen. Diese Regierung
setzt hinsichtlich der dauerhaften Finanzierbarkeit der ge-
setzlichen Renten darauf, dass sich die Bevölkerung in
Deutschland dauerhaft ökologisch falsch verhält: Nur,
wenn sich die Menschen in Deutschland dauerhaft ökolo-
gisch falsch verhalten, also möglichst viel Energie ver-
brauchen, sind die Renten gesichert. Allein darin kommt
der komplette Widersinn der Ökosteuer zum Ausdruck.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Am Ende dieser Legislaturperiode kann man daraus

nur eine Lehre ziehen: Man kann sich nicht um grundle-
gende Reformen bei den Sozialversicherungen herummo-
geln, indem man immer wieder frisches Geld in die Sozi-
alkassen pumpt. Sie haben es versucht und sind damit
gescheitert. Daraus sollten Sie die Lehre ziehen, dass die
Ökosteuer untauglich ist.

Die Ökosteuer hat ein Weiteres bewirkt. Sie geben bis
heute nicht zu, dass die Erhöhung der Benzinpreise
selbstverständlich auch mit der Ökosteuer zu tun hat:
Wenn eine Regierung jahraus, jahrein verkündet, dass das
Heil der Welt in möglichst hohen Energie- und Spritprei-
sen liegt, dann ist es doch völlig klar, dass sich die Mine-
ralölwirtschaft an dieser guten Tat beteiligen will. Das ist
doch selbstverständlich.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Sie lässt es sich nicht nehmen, die Ökosteuer in dieser Be-
ziehung als Aufforderung zum Tanz zu begreifen und
kräftig mit abzusahnen.

Die Regierung Schröder ist, ab heute gerechnet, noch
79 Tage im Amt.


(Alfred Hartenbach [SPD]: Das stimmt überhaupt nicht!)


Die Regierung Schröder ist am Ende. Wichtige Projekte
– das Bündnis für Arbeit, um nur ein Stichwort zu nennen –
sind gescheitert. Das Resümee ist: Außer Spesen nichts
gewesen. Es gab überflüssige Streiks. Projekte, die zur
Chefsache erklärt wurden, wie die Greencard-Aktion oder
der Aufbau Ost, sind den Bach hinuntergegangen.

Dieses Land hat eine andere Regierung verdient.
Deutschland hat Rot-Grün nicht verdient.


(Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: So ein schlechtes Gedächtnis haben die Menschen nicht!)


Die Zeit für eine politische Wende ist reif. Diese Wende
werden die Wählerinnen und Wähler heute in 79 Tagen
herbeiführen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)





Dr. Peter Ramsauer
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Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1424908600
Das Wort hat jetzt die
Kollegin Irmingard Schewe-Gerigk für die Fraktion des
Bündnisses 90/Die Grünen.


(Alfred Hartenbach [SPD]: Bleiben Sie gelassen, Frau Kollegin!)



(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Kollegen! Herr Ramsauer, die Menschen haben kein so
schlechtes Gedächtnis, wie Sie glauben. Sie werden diese
Regierung nicht abwählen. Sie wissen nämlich, was sie
während der 16 Jahre Ihrer Regierungszeit durchgemacht
haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Alfred Hartenbach [SPD]: Gelitten! – Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Immerhin ist Deutschland wiedervereinigt!)


Ich werde an dieser Stelle nicht die Große Anfrage der
FDP – Herr Koppelin ist leider nicht da – kritisieren. Es
handelte sich dabei um eine Fleißarbeit Ihrer Fraktion und
ein Beschäftigungsprogramm für die Bundesregierung. In
meinen Augen ist das eine wunderbare Wahlkampfargu-
mentation, die mir zeigt, was wir in den letzten vier Jah-
ren erreicht haben.


(Rainer Brüderle [FDP]: Also: Danke!)

Ich beziehe mich auf die Familienpolitik, über die wir

bisher überhaupt noch nicht diskutiert haben. Ich kann sa-
gen: Das ist eine Erfolgsbilanz. Die rot-grüne Koalition
hat die Situation der Familien nachhaltig verbessert.


(Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Das glauben ja nicht einmal Sie!)


– Hören Sie einmal zu! – Innerhalb der letzten vier Jahre
haben wir 13 Milliarden Euro mehr für Familien ausge-
geben; das lässt sich durchaus sehen. Eine durchschnittli-
che Familie mit einem Jahreseinkommen von 30 000 Euro
und zwei Kindern wird um 1 500 Euro entlastet. Herr
Ramsauer, Sie erwähnten in Ihrer Rede die Ökosteuer.
Wir haben die Ökosteuer bei dieser Rechnung bereits ab-
gezogen: Den Familien bleiben diese 1 500 Euro. Das
Kindergeld haben wir dreimal erhöht, insgesamt um
80 DM. Die Einkommensgrenzen beim Erziehungsgeld
und beim Wohngeld haben wir angehoben. Wir haben das
BAföG, das den Familien zugute kommt, erhöht. Frau
Kollegin Lenke, wir haben das Kinderunterhaltsrecht neu
geregelt, damit das Existenzminimum eines jeden Kindes
sichergestellt wird. Wir haben außerdem den Rechtsan-
spruch auf Teilzeitarbeit, aber auch auf Elternzeit festge-
schrieben. Jetzt können endlich auch die Väter mit Fug
und Recht sagen:


(Zuruf von der CDU/CSU: Wir sind gleichberechtigt!)


Ich nehme mir mehr Zeit für mein Kind und kann die Ar-
beitszeit reduzieren.

All das kann sich sehen lassen, im Gegensatz zu der Bi-
lanz, die Sie uns nach 16 Jahren hinterlassen haben. Das
Resultat Ihrer Familienpolitik war ein Verfassungsbruch.

Durch ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts von
1998 musste Ihre Politik korrigiert werden.

Wenn Sie, verehrte Kolleginnen und Kollegen von der
FDP, jetzt so tun, als hätten Sie mit dieser konservativen
Familienpolitik nichts zu tun gehabt, und stattdessen jetzt
auf „Protestpartei“ machen, dann kann ich wirklich nur la-
chen. Sie sind mit dafür verantwortlich, dass die Einkom-
mensgrenzen beim Erziehungsgeld 13 Jahre lang nicht
angehoben und das Wohngeld nicht erhöht wurde. Das al-
les haben wir jetzt erledigt und das ist auch gut so.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich frage mich: Was hat denn die FDP gegen die rück-
wärts gewandte Familienpolitik der CDU/CSU getan? –
Sie können es gleich einmal sagen. Sie haben die Mütter
vor die Wahl gestellt, sich für den Beruf oder für die Fa-
milie zu entscheiden. Wir werden künftig als eines der
vorrangigsten Ziele Väter, Mütter und Kinder intensiv un-
terstützen.

Und noch eine Sache würde ich gern mit Ihnen, Frau
Kollegin Lenke, besprechen. Gebührenfreie Kindergär-
ten, keine Steuern für Familien mit 30 000 Euro Einkom-
men – das alles haben Sie vor der Sachsen-Anhalt-Wahl
versprochen. Heute sagen Sie dazu nichts mehr.

Die CDU fordert 600 Euro Familiengeld für alle, ob
sie es brauchen oder nicht. Wozu brauchen beispielsweise
Bundestagsabgeordnete 600 Euro Familiengeld? Diese
Frage möchte ich von Ihnen einmal beantwortet haben.
Finanzieren sollen das, wie uns Herr Merz in der letzten
Debatte gesagt hat, die Arbeitslosen. Dafür sollen die
Mütter zu Hause bleiben.


(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: So ein Quatsch!)


Denn in Ihrem Vorzeigebundesland Bayern gibt es für
1 000 Kinder unter drei Jahren gerade einmal vier Kita-
Plätze. Das ist wirklich ein Armutszeugnis!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wie wenig Sie in der neuen Zeit angekommen sind, die
Sie ja gern für sich reklamieren, zeigt auch die unsägliche
Diskussion um die Kollegin Reiche im Stoiber-Team. Als
forsche Genpolitikerin hat sie sich einen Namen gemacht.
Zur Familienministerin soll es offensichtlich ausreichen,
wenn frau Kinder hat. Können Sie sich eigentlich eine
Justizministerin vorstellen, die nicht Juristin ist? – So viel
zum Stellenwert der Familienpolitik, den Sie hier deutlich
machen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dass Frau Reiche dank enormen Drucks nun für die Fa-
milie zuständig sein darf, ist sicherlich der Kollegin
Angela Merkel zu verdanken. Die konnte nämlich bei die-
ser Gelegenheit gleich alte Rechnungen begleichen; denn
als Merkel ohne Trauschein Ministerin werden wollte, hat
man ihr das Familienressort entzogen. Frau Nolte hat es
dann bekommen, weil sie zumindest zu dieser Zeit ver-
heiratet war.

Frau Reiche sagt, sie stehe für eine moderne Familien-
politik. Im nächsten Satz sagt sie, das Ideal der bürgerlichen






(C)



(D)



(A)



(B)


Familie stehe für sie außer Frage. Das klingt so ungefähr
wie: Die Union steht mitten im Leben – im Leben Anfang
des letzten Jahrhunderts. Das kann man wirklich sagen.

Dagegen steht Rot-Grün. Wir haben eine Menge er-
reicht – das haben Sie in der Anfrage gelesen –, aber wir
haben in der Familienpolitik noch viel vor. Wir wollen,
dass alle erwerbsbedingten Betreuungskosten künftig ab
dem ersten Euro von der Steuer absetzbar sind.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir sorgen mit dem Projekt Kindergrundsicherung

dafür, dass Eltern, wenn sie ein Kind bekommen, nicht mehr
in die Sozialhilfe fallen. Davon profitieren im Übrigen
4 Millionen Kinder. Finanzieren werden wir das über eine
Reform des Ehegattensplittings. Wir werden nicht länger
den Trauschein fördern, sondern das Leben mit Kindern.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1424908700
Frau Kollegin
Schewe-Gerigk, es gibt noch eine Frage der Kollegin
Lenke und ich frage, ob Sie diese zulassen.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ausschuss diese Themen diskutiert. Ich glaube, das lassen
wir, Frau Kollegin.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Alfred Hartenbach [SPD]: Und die ist auch zu spät gekommen! Das gibt es nicht!)


– Wer zu spät kommt, hat natürlich Fragen.
Die Bekämpfung der Kinderarmut und die Schaffung

ausreichender Ganztagsbetreuung sind die beiden famili-
enpolitischen Projekte, die wir in der nächsten Legisla-
turperiode in diesem Bereich umsetzen werden.

Ich danke Ihnen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1424908800
Nächster Redner ist
der Kollege Paul Friedhoff für die Fraktion der FDP.


Paul K. Friedhoff (FDP):
Rede ID: ID1424908900
Frau Präsidentin! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Ich erlebe das immer wieder, jeden Tag;
Sie haben das auch ganz toll gemacht, als Sie Bilanz ge-
zogen haben. Die Bilanz der Regierung ist völlig klar. Sie
haben mehr Ausgaben, Sie haben überall draufgelegt, Sie
nehmen weniger Steuern ein und selbstverständlich bauen
Sie die Schulden rapide ab. Das hört sich ganz toll an.


(Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Weniger Steuern einnehmen wollen Sie doch!)


– Ihre Steuerreform führt doch zu weniger Steuereinnah-
men. Aber Sie werfen der Union oder der FDP vor, dass
sie diesbezüglich keine vernünftigen Vorschläge machen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Sie schreiben in der Vorbemerkung zu der Antwort auf
unserer Große Anfrage:

Die Bundesregierung hat bei ihrer Amtsübernahme
im Oktober 1998 eine desolate ... Lage vorgefunden
... Die vorherige Bundesregierung hatte die Schulden
des Bundes in unverantwortliche Höhen getrieben.
Die Arbeitslosigkeit war dramatisch gestiegen ...


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

So einfach ist das also. Deswegen ist völlig klar: Es
konnte mit Ihrer Politik nur aufwärts gehen. Denn wenn
die Situation tatsächlich so desolat gewesen wäre, dann
hätte es ja gar nicht mehr schlechter werden können. Da-
mit machen Sie sich Mut.

Wie sah aber die Wirklichkeit tatsächlich aus, als Sie
1998 die Regierung übernommen haben? Die Vorgänger-
regierung meisterte die deutsche Einheit. Sie änderte die
sozialistische Kommandowirtschaft in eine soziale
Marktwirtschaft um. Die Produktivität erhöhte sich da-
durch von 28 auf 68 Prozent. Hier liegen die Ursachen für
die hohe Arbeitslosigkeit, für die hohen Schulden sowie
für die hohen Steuern und Abgaben, die Sie vorgefunden
haben.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


An diesen Tatsachen können Sie sich nicht vorbeimogeln.
Sie mögen glauben, dass dies unverantwortlich war. Wir
stehen dazu.

Zwölf Jahre nach der deutschen Einheit sind zwar nicht
alle Aufgaben gelöst. Aber die Hauptaufgaben sind erle-
digt. Trotz geringerer Transferleistungen in die neuen
Länder senken Sie die Steuern nicht und Sie sparen auch
keineswegs, wie Sie eben wieder behauptet haben. Sie fi-
nanzieren lediglich um. Sie senken die direkten Steuern
und erhöhen dafür die indirekten Steuern. Was das mit
Steuersenkung zu tun hat, bleibt Ihr Geheimnis.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Sie schaffen es nicht, die Lohnnebenkosten, wie an-
gekündigt, auf unter 40 Prozent zu senken, weil Sie die
Kosten nicht dämpfen. Diese haben Sie überhaupt nicht
im Auge. Sie erhöhen die Ausgaben des Bundeshaus-
halts. Sie senken sie also nicht, wie Sie den Menschen
weismachen wollen. Damit machen Sie deutlich, dass Sie
die Staatsfinanzen nicht durch eine Verringerung der Aus-
gaben senken, sondern auf hohem Niveau durch hohe
Steuern und Abgaben halten wollen. Sie machen weiter
hohe Schulden und lassen sich auch durch das Androhen
blauer Briefe nicht beeindrucken.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Sie werfen der Union und uns vor, dass wir die Staats-
quote senken wollen, weil Sie sich überhaupt nicht vor-
stellen können, dass ein Staat nicht so aktiv in das Ge-
schehen eingreift, wie das bei Ihnen der Fall ist. Sie
zementieren damit eine Position, die dazu führt, dass die
Wirtschaft stranguliert wird und Arbeit so verteuert wird,
dass keine ausreichende Beschäftigung entstehen kann.




Irmingard Schewe-Gerigk
25334


(C)



(D)



(A)



(B)


Zusätzlich lassen Sie Ihrer Regulierungswut freien
Lauf. Die 630-Mark-Jobs haben Sie weitgehend weg-
bürokratisiert und in die Schwarzarbeit verdrängt. Selbst-
ständigkeit ist vielfach nur durch kreative Umgehung der
Paragraphen des Gesetzes zur Bekämpfung der Schein-
selbstständigkeit erreichbar. Das neue Betriebsverfas-
sungsgesetz mit seinen bürokratischen und teuren Rege-
lungen bedeutet mehr Fremdbestimmung und weniger
Mitbestimmung in den Betrieben.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das Kündigungsschutzgesetz haben Sie verschärft.
Dieses Gesetz hat noch keinen Arbeitsplatz geschaffen.
Möglicherweise hat es Arbeitsplätze im öffentlichen
Dienst gesichert.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP)

Diese müssen aber wiederum von anderen Arbeitsplätzen
mit finanziert werden. Lernen wir doch von den Dänen,
die ein ähnliches Gesetz abgeschafft haben und die sich
nun der Vollbeschäftigung nähern. Warum schließen Sie
Betriebsräte von der Lohnfindung aus? Deutschland ist
das letzte industrialisierte Land mit einem so zentralen
Lohnfindungssystem.

Arbeitsplätze entstehen durch Aufträge. Diese erhält
man nur, wenn man Produkte liefern kann, bei denen Preis
und Leistung stimmen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Wenn in Produkten viel menschliche Arbeitskraft enthal-
ten ist, dann spielen Personalkosten die entscheidende
Rolle. Unsere bürokratischen Arbeitsmarktgesetze, un-
sere extensiven Arbeitnehmerschutzgesetze, verbunden
mit hohen Löhnen, die nicht frei zwischen den direkt Be-
troffenen ausgehandelt werden dürfen, und unsere hohen
Lohnnebenkosten sind das explosive Gemisch gegen
Arbeitsplätze in Deutschland.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Schaut man sich die Wettbewerbsposition der deut-
schen Unternehmen an, dann stellt man fest: Je weniger
Mitarbeiter ein Unternehmen hat, desto wettbewerbsfähi-
ger ist es.


(Alfred Hartenbach [SPD]: Eine schlimme Aussage, die Sie da machen!)


Diese Gleichung ist vielleicht noch für Großbetriebe er-
träglich; denn dort werden nur Blaupausen hergestellt.
Die personalintensive Fertigung der Komponenten er-
folgt im Ausland, wo das billig ist. Günstigstenfalls mon-
tieren Roboter die Komponenten zu hochwertigen Syste-
men. Das ist das Modell Schröder, Riester oder Müller.
Das verstehen Sie unter Wirtschaft. Das ist das Modell,
wie es auch von den Funktionären in Ihren Reihen ver-
standen wird. Damit sind höchstens Arbeitsplätze im Aus-
land, aber nicht bei uns geschaffen worden.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Der Mittelstand ist personalintensiv. Nur er kann das

Arbeitsmarktproblem lösen.

Doch dieser Mittelstand ist die Zielscheibe rot-grüner Po-
litik. Ihre bürokratischen Gesetze, Ihre Unternehmensteu-
erreform zum Vorteil der Großunternehmen und die Auf-
rechterhaltung der hohen Lohnnebenkosten haben den
Mittelstand entscheidend benachteiligt und ihn an der
empfindlichsten Stelle getroffen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Bei Handwerkern und Dienstleistern ist Personal meist

nicht durch Maschinen ersetzbar – deswegen die vielen
Pleiten bei personalintensiven Unternehmen, die ihre
Wettbewerbsfähigkeit verloren haben, deswegen die vie-
len Pleiten bei regional tätigen personalintensiven Unter-
nehmen, die wegen der hohen Personalkosten ihre Pro-
dukte zu so hohen Preisen anbieten müssen, dass sie nicht
mehr nachgefragt werden.

Die nächste Regierung wird sich den Reformen des Ar-
beitsmarktes, die Sie trotz aller Versprechen nicht einge-
leitet haben, widmen müssen. Weshalb haben Sie denn die
Hartz-Kommission berufen, wenn Sie doch, wie wir im-
mer hören, den Reformstau aufgelöst haben?


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Am Ende der Legislaturperiode kommen die Vorschläge
für die nächste Legislaturperiode und Sie verkünden – das
steht in Ihren Papieren –: Reformstau aufgelöst.


(V o r s i t z : Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer)


Dabei wird man nicht daran vorbeikommen, auch bei
der Beschäftigungspolitik wesentlich mehr auf das
Marktprinzip zu setzen. Unser Arbeitsmarkt hat wenig mit
Markt, aber sehr viel mit bürokratischer Regulierung bis
hin zur Preisvorgabe durch ein Monopol für die Ware Ar-
beit zu tun.

Bei 4 Millionen Arbeitslosen kann und muss man mehr
tun, als am Ende der vier Regierungsjahre eine Kommis-
sion zu bitten, Reformen für die Zeit nach der Wahl vor-
zuschlagen. Wir Liberalen setzen darauf, dass die nächs-
ten vier Jahre nicht wieder so verlorene Jahre für die
Beschäftigung in Deutschland werden.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Lassen Sie mich zum Abschluss meiner letzten Rede

im Deutschen Bundestag allen Kollegen danken, die kol-
legial mit mir zusammengearbeitet haben und mit denen
ich kollegial zusammenarbeiten durfte. Für mich waren
diese Jahre eine Bereicherung. Ich habe sehr viel gelernt.
Ich glaube auch, dass ich gelegentlich etwas dazu beitra-
gen konnte, dass in diesem Parlament Meinungen gebil-
det wurden, die das Wohl des Volkes, das Wohl unser Bür-
ger und Bürgerinnen, gemehrt haben.

Ich möchte eine Bitte äußern, die nicht so ganz weit
von dem entfernt ist, was Frau Fischer vorhin gesagt hat.
Es ist dringend notwendig – das ist zumindest mein Re-
sümee nach zwölf Jahren im Deutschen Bundestag –, dass
sich das Parlament etwas mehr auf seine Aufgaben
zurückbesinnt. Die Koalition ist kein Kanzlerwahlverein.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hätte ich auch gern!)





Paul K. Friedhoff

25335


(C)



(D)



(A)



(B)


Die Opposition ist auch keine Ablehnungsmaschine, die
automatisch immer die Vorschläge der Koalition bekämpft.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich glaube, dass wir dringend offenere Diskussionen im
Parlament und in den Ausschüssen benötigen.


(Beifall des Abg. Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Vielleicht brauchen wir dann auch nicht so viele teure
Kommissionen, die uns Vorschläge machen, die wir alle
schon gehört haben, auf die wir uns dann möglicherweise
unverdächtig zurückziehen können, damit das Ritual in
diesem Haus weitergehen kann. Das ist teuer. Das ist un-
effizient.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr richtig!)


Ich glaube, dass wir das in diesem Parlament ändern müs-
sen. Ich hoffe, dass das in Zukunft gelingt.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wahre Worte, Herr Kollege!)


Weniger Kommissionen und mehr Arbeit hier, Herr
Ströbele, das ist, glaube ich, wichtig.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP sowie des Abg. Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])


Damit möchte ich schließen. Ich bedanke mich noch
einmal.


(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1424909000
Lieber Herr
Kollege Friedhoff, ich möchte Ihnen auch im Namen des
Hauses für Ihre Arbeit danken. Wir können sagen, dass
Sie eine Bereicherung für das Parlament gewesen sind.


(Beifall)

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Petra Pau.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1424909100
Frau Präsidentin! Liebe Kollegin-
nen und Kollegen! Es geht heute nicht um ein Sach- oder
Fachproblem. Es geht auch nicht um ein Projekt oder um
ein Gesetz. Es geht heute eigentlich nur um eines: Die Op-
position zur Rechten möchte Rot-Grün so oft wie möglich
vorwerfen: „Erst versprochen, dann gebrochen“.


(Zurufe von der CDU/CSU: So ist es! – Das ist die Wahrheit!)


Die Koalition in der Mitte versucht natürlich, das ebenso
heftig als puren Wahlkampf zurückzuweisen. Es fehlt nur
noch, dass die Geschäftsführer den Beifall aus den eige-
nen Reihen mit der Stoppuhr messen und zu Protokoll ge-
ben.

Das mit dem gebrochenen Versprechen ist so eine Sa-
che. Vor der Bundestagswahl 1998 hatte Rot-Grün zum

Beispiel mehr Demokratie versprochen, gerade auf Bun-
desebene. Die PDS hat dazu Anträge gestellt. Wir sind da-
mit auch an Rot-Grün gescheitert. Das Dumme ist nur:
Die Opposition zur Rechten kann ihren Wählerinnen und
Wählern ehrlichen Herzens versprechen: Wir haben in
dieser Legislatur mehr Mitbestimmung verhindert und
wir werden das auch in der nächsten Legislatur tun.

Vor der Wahl hat Rot-Grün darüber hinaus verspro-
chen: Das große Kapital muss wieder in die soziale Ver-
antwortung. Wir haben die Wiedereinführung der Vermö-
gensteuer gefordert und wir haben auch beantragt, das
spekulierende Kapital zu besteuern.


(Beifall bei der PDS)

Unsere Mühe war vergebens.

Aber Sie, meine Damen und Herren zur Rechten,
einschließlich der FDP, denken nicht einmal im Traum da-
ran, den gesellschaftlichen Reichtum gerechter zu vertei-
len. Sie wollen doch Steuerflucht noch weitreichender le-
galisieren und den Sozialstaat noch mehr schröpfen. Um
das Credo der FDP zu bemühen: Privat geht vor Kata-
strophe! Auf solche Versprechen können wir gern ver-
zichten.

Rot-Grün hat des Weiteren versprochen, die Arbeitslo-
senzahl radikal zu senken. Das Ergebnis ist nicht nur ma-
ger, sondern für Millionen in diesem Land hoffnungslos.
Wir haben Vorschläge unterbreitet, deren Umsetzung
1,3 Millionen Arbeitsuchende in Lohn und Brot bringen
würde. Die Opposition zur Rechten aber nimmt davon
nicht einmal Notiz. Sie bekämpft weiterhin die Statistik
und nicht etwa das Problem.


(Heinz Wiese [Ehingen] [CDU/CSU]: Das macht doch nur Schröder! So ein Quatsch!)


Nun noch eine Bemerkung zum Lieblingswort von
CDU/CSU: Kompetenz. Ich habe mir in dieser Woche die
Pressekonferenz angesehen, auf der Frau Reiche als kom-
petent in Sachen Frauen und Familie präsentiert wurde.
Ich muss sagen: Es war erhellend. Kanzlerkandidat
Stoiber drängte die Medien:

Sollte es Fragen zum neuen Familienbild der
CDU/CSU geben, dann wenden Sie sich nicht an
Frau Reiche, sondern gleich an mich.

Ein solches neues, altes Frauen-, Familien- und Pascha-
bild, das Herr Stoiber damit demonstrierte, würde ich mir
in meiner Partei kräftig verbitten.


(Beifall bei der PDS sowie des Abg. Joachim Stünker [SPD])


Ein letztes Wort. Zur Beurteilung der Wirtschafts- und
Finanzkompetenz der CDU empfehle ich Ihnen einen
schlichten Blick nach Berlin. Dort hat eine große Koali-
tion unter Führung der CDU den größten Schuldenberg
und den teuersten Bankenskandal in der Geschichte der
Bundesrepublik hinterlassen. Versprochen war das zwar
nicht; aber es ist leider wahr.


(Beifall bei der PDS)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1424909200
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Alfred Hartenbach.




Paul K. Friedhoff
25336


(C)



(D)



(A)



(B)



Alfred Hartenbach (SPD):
Rede ID: ID1424909300
Verehrte Frau Präsidentin!
Verehrtes Präsidium! Liebe Kolleginnen und Kollegen
Was als Generalangriff auf die Regierung in dieser hoch-
mittäglichen Stunde geplant war, ist als Rohrkrepierer
kläglich geendet. Offensichtlich hat noch nicht einmal die
FDP an ihren Sieg bei diesem Generalangriff geglaubt.
Ich habe einmal nachgezählt: Mehr als zehn ihrer Abge-
ordneten waren hier nie zur gleichen Zeit anwesend. Sie
haben heute noch nicht einmal 18 Sitze füllen können.
Wie wollen Sie da 18 Prozent erreichen?


(Gudrun Kopp [FDP]: Das lassen Sie einmal unsere Sorge sein!)


Was Sie heute veranstalten, das erinnert mich ein biss-
chen an „Die Geschichte von dem wilden Jäger“ aus dem
„Struwelpeter“. Es geht dort um einen bösen Jäger und um
einen klugen Hasen. Genauso haben Sie sich aufgeführt:
Der böse Jäger schläft ein; der kluge Hase holt sich das
Gewehr und schickt den bösen Jäger in den Brunnen. –
Plumps, da liegen Ihre 18 Prozent!

Im Gegensatz zu den Vorrednern von Rot-Grün bin ich
über diese Große Anfrage richtig erfreut. Ich habe gar
nicht gewusst, was für eine tolle Public Relations die FDP


(Beifall des Abg. Walter Hirche [FDP])

für die SPD macht. Als Dankeschön dafür habe ich heute
Morgen extra blaugelb geflaggt.

Wir haben heute über vieles geredet, aber noch nicht
über die Justizpolitik. Das möchte ich jetzt machen. Ich
glaube nämlich, wir haben gerade in der Justizpolitik, wie
ja aus den Antworten auf Ihre Fragen hervorgeht, eine
ganze Menge sehr guter und positiver Ergebnisse vorzu-
weisen. Wir haben uns in den vier Jahren immer nach vier
Maximen gerichtet: erstens Hilfe für die Schwächeren,
zweitens moderne Justiz, drittens wirksames Strafrecht
und viertens ein Handels- und Wirtschaftsrecht, das un-
sere Unternehmen für den europäischen Wettbewerb fit
macht.

Im Zusammenhang mit Hilfen für Schwächere haben
wir insbesondere die Rechte der Kinder gestärkt. Wir ha-
ben mit dem Yokohama-Abkommen – das hat nichts mit
Fußball zu tun – auf internationaler Ebene die Rechte der
Kinder gestärkt und dafür gesorgt, dass sie vor sexueller
Ausbeutung geschützt werden.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir haben durch Gewaltverbote in der Erziehung und Ge-
waltverbote in Bezug auf Frauen dafür gesorgt, dass Kin-
der und Frauen in gewaltfreier Atmosphäre leben können
und der Schläger das Haus verlassen muss.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir haben mit weiteren guten Gesetzen wie zum Bei-
spiel dem Urhebervertragsrecht den Schwächeren gehol-
fen und dafür gesorgt, dass Kreative, Künstler und Schaf-
fende gegenüber den Verlegern Rechte bekommen, die sie
bis dahin nicht hatten. Leider haben Sie Ihre Zustimmung
dazu verweigert. Wir haben mit vielen Maßnahmen dafür
gesorgt, dass die Schwächeren zu ihren Rechten kommen,

unter anderem auch mit dem letzten Gesetz, das wir hier
eingebracht haben, durch das die Rechte von behinderten
Menschen im Zivilrecht deutlich gestärkt werden.

Wir haben im Zusammenhang mit unserer Maxime
„moderne Justiz“ dafür gesorgt, dass die außergerichtli-
che Streitschlichtung in einem sehr viel stärkeren Maße in
den Vordergrund rückt. Mit unserer Zivilprozessreform
haben wir dafür gesorgt, dass die Menschen schneller zu
ihrem Recht kommen. Letztlich gehört dazu auch unser
Gesetz zum Schadensersatzrecht, durch das wir die
Rechte der Kinder gestärkt haben: Kinder im Straßen-
verkehr werden erst ab zehn Jahren, nicht wie bisher ab
sieben Jahren, für deliktisches Verhalten haftbar gemacht.

Wir haben im Arzneimittelrecht auch dafür gesorgt,
dass nicht mehr der geschädigte Patient die Beweislast
hat, sondern die Unternehmen der Pharmaindustrie die
Verpflichtung haben, nachzuweisen, dass das Präparat für
einen eingetretenen Schaden nicht verantwortlich ist.

Wir haben festgestellt, dass unsere Juristenausbildung
internationalen Vergleichen nicht standhält. Wir haben
– jetzt mag die Opposition einmal zuhören – dann ge-
meinsam mit CDU/CSU, PDS und Grünen ein Gesetz zur
verbesserten Ausbildung der Juristinnen und Juristen ge-
schaffen, um sie an europäische Standards heranzuführen.
Leider hat sich die Partei, die die Große Anfrage gestellt
hat und jetzt nur noch mit drei Personen und keinem
Justizpolitiker vertreten ist, daran überhaupt nicht betei-
ligt.

Wir haben, um zum dritten Punkt zu kommen, ein
wirksames Strafrecht geschaffen. Ich will dabei sagen,
dass das Strafrecht für uns kein Allheilmittel zur Bewälti-
gung gesellschaftlicher Konflikte darstellt, wie das insbe-
sondere bei der CDU/CSU mit ihrer Knüppel-aus-dem-
Sack-Politik der Fall ist, sondern allenfalls als Ultima
Ratio anzusehen ist.


(Albrecht Feibel [CDU/CSU]: Berlin lässt grüßen!)


Wir haben zugleich begleitende Maßnahmen ergriffen.
Wir haben uns auch sehr deutlich positioniert, als es da-

rum ging, Antiterrorgesetze zu schaffen. Dabei haben wir
insbesondere auch die Frage beantwortet, was mit denen
geschieht, die als so genannte Schläfer in der Bun-
desrepublik tätig sind. Auf die hat man ja 16 Jahre kein
Auge geworfen.


(Albrecht Feibel [CDU/CSU]: Das habt ihr alles vorher gewusst?)


– Sie verstehen es doch sowieso nicht.
Wir haben uns als erste und einzige Partei zusammen

mit den Grünen mit dem Thema „vorbehaltene Siche-
rungsverwahrung“ befasst. In diesem Bereich war bisher
überhaupt nichts geregelt. Wir haben als Einzige hierfür
rechtsstaatliche Möglichkeiten geschaffen.

Mit unserem Schuldrechtsmodernisierungsgesetz
haben wir auch ein europaweit anerkanntes neues Schuld-
recht geschaffen. Da waren wir bisher nämlich hoff-
nungslos im Hintertreffen. Wir haben mit dem Fernab-
satzgesetz und dem Signaturgesetz Gesetze geschaffen,






(C)



(D)



(A)



(B)


die den internationalen Handel und die Wirtschaftsbezie-
hungen erleichtern.

Das alles sind Punkte, an denen sich die FDP so gut wie
überhaupt nicht beteiligt hat, die CDU/CSU wenigstens
hin und wieder einmal.

Wir gehen nach dieser Zwischenbilanz – nicht Schluss-
bilanz, wie Herr Ramsauer gemeint hat – gestärkt und mu-
tig in die vor uns liegende Zeit der Auseinandersetzung,
die wir mit Ihnen schon vier Jahre führen. Wir sind davon
überzeugt, dass die Bürger sehr genau wissen, dass wir
gerade in der Justizpolitik noch nicht am Ende sind, dass
wir noch weitere Vorhaben durchführen müssen, zu denen
Sie nie fähig waren und auch nie fähig sein werden.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir müssen das zivilrechtliche Antidiskriminierungs-
gesetz in vollem Umfang in das Gesetzgebungsverfahren
bringen und die Rechte der Behinderten stärken. Wir wol-
len mit einem modernen Sanktionensystem den Heraus-
forderungen im Strafrecht begegnen.


(Beifall des Abg. Joachim Stünker [SPD])

Wir wollen weiterhin die Modernisierung der Justiz auch
im Strafprozess und vor allen Dingen auf dem Gebiet der
freiwilligen Gerichtsbarkeit.Wir wollen letztlich auch,
dass unsere Wirtschaft durch vernünftige gesetzliche Re-
gelungen auf dem Gebiet des Gesellschafts- und Han-
delsrechts international wettbewerbsfähig bleibt.

Sie sind gerne dazu eingeladen, in den nächsten vier
Jahren daran mitzuwirken. Aber ich habe nach der heuti-
gen Debatte einen anderen Eindruck. Übrigens nochmals
herzlichen Dank; ich habe allen meinen Kolleginnen und
Kollegen empfohlen, Ihr Papier mit zur Podiumsdiskus-
sion zu nehmen, weil sie dann mit den hervorragenden
Antworten der Bundesregierung glänzend bestehen kön-
nen.


(Beifall bei der SPD)

Aber die heutige Debatte hat doch gezeigt, dass Ihr

Motto für die nächsten vier Jahre ist: Wir sind bereit für
weitere vier Jahre Opposition.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1424909400
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Karl-Heinz Scherhag.


Karl-Heinz Scherhag (CDU):
Rede ID: ID1424909500
Frau Präsiden-
tin! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich zur Beurtei-
lung der derzeitigen Lage in der Wirtschaftspolitik ein
Bild aus meiner Arbeitswelt wählen. Wie einige von Ih-
nen wissen, führe ich einen Automobilbetrieb. Daher ist
mir der Umgang mit Autos bestens vertraut.

Die jetzige Bundesregierung hat, bildlich gesprochen,
vor vier Jahren eine robuste Limousine übernommen, die
gar nicht so schlecht in Schuss war.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Lachen auf der Regierungsbank)


Sicherlich waren Inspektionen erforderlich; aber der Wa-
gen war ein Markenwagen der Oberklasse, ein Wagen, der
auf der Autobahn auf der Überholspur fuhr und nicht, wie
jetzt, auf dem Standstreifen stand.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Doch wie sieht die Lage heute aus? Trotz zahlreicher

Reparatürchen und Reförmchen ist der Wagen alles an-
dere als in Schuss; er ist sozusagen TÜV-reif.

Dies gilt insbesondere für die Wirtschaft. Heute bildet
die deutsche Wirtschaft mit Blick auf das Wirtschafts-
wachstum, die Arbeitslosenzahlen und den Abbau der
Staatsverschuldung das Schlusslicht in Europa. Deutsch-
land wurde ausgebremst, und dies trotz der damals durch-
aus guten wirtschaftlichen Impulse, die in den letzten Jah-
ren aufgrund der eingeleiteten Maßnahmen der
Kohl-Regierung und der Sonderkonjunktur durch die
Euroumstellung gegeben waren. Davon haben zahlreiche
Branchen profitiert. Die Umstellung brachte Milliarden-
umsätze.

Der Motor unserer Wirtschaft ist der Mittelstand. Die
rund 3,3 Millionen kleinen und mittleren Unternehmen in
Handwerk, industriellem Gewerbe, Handel und Dienstleis-
tung stellen rund 70 Prozent der Arbeitsplätze und 80 Pro-
zent der Ausbildungsplätze in Deutschland. Die mittel-
ständischen Unternehmen bilden mehr als 564 000
Lehrlinge aus und beschäftigen 15 Prozent aller Erwerbs-
tätigen und 34 Prozent aller Lehrlinge.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Sie sichern in hohem Maße den Nachwuchs an qualifi-
zierten Arbeitskräften. Per saldo hat der Mittelstand im
Durchschnitt 2 Millionen neue Jobs geschaffen. Jede
Existenzgründung schafft durchschnittlich zweieinhalb
neue Arbeitsplätze. Je mehr mittelständische Unterneh-
men existieren, desto entspannter ist die Lage auf dem Ar-
beitsmarkt.

Genau dieser Mittelstand ist von den gesetzlichen Än-
derungen der Bundesregierung besonders stark betroffen.
Er zahlt die Rechnungen für Reparaturen, die er so gar
nicht wollte und die von Bundeskanzler Schröder anders
zugesagt waren.

Die Steuer- und Finanzpolitik der rot-grünen Regie-
rung ist eine Bremse für die wirtschaftliche Entwicklung
in Deutschland.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dieser Vergleich hinkt!)


Die Auswirkungen der einzelnen Gesetze auf die Wirt-
schaft sind zum Teil erst mit erheblicher Zeitverzögerung
negativ spürbar geworden. Ich erinnere nur an die Öko-
steuer, das 325-Euro-Gesetz, das Gesetz zur Schein-
selbstständigkeit, das Gesetz zur Teilzeitarbeit oder das
Betriebsverfassungsgesetz. Die vielen kleinen Gesetzes-
änderungen schaffen ein hemmendes Geflecht an Büro-
kratie.


(Albrecht Feibel [CDU/CSU]: Sehr richtig!)





Alfred Hartenbach
25338


(C)



(D)



(A)



(B)


Sie treffen besonders den größten Steuerzahler, nämlich
die mittelständische Wirtschaft, die nicht ins Ausland aus-
weichen kann.

Die Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik der Bun-
desregierung erinnert mich an das Manövrieren eines
Fahranfängers beim Einparken in eine zu kleine Park-
lücke. Es funktioniert nicht und der Wagen bekommt im-
mer mehr Beulen und Kratzer. Da die Bundesregierung
die derzeitige Talfahrt nicht stoppen kann, muss sie jetzt
mit Kommissionsvorschlägen, siehe Hartz-Papier, für
gute Stimmung sorgen.

Eines ist klar: Der Motor unserer Wirtschaft stottert.
Seit Januar 2001 steigen die Arbeitslosenzahlen. Für die
kommenden Monate ist mit einer Besserung nicht zu
rechnen. Allein in diesem Jahr werden über 40 000 Un-
ternehmensinsolvenzen erwartet, dazu 20 000 Personen-
insolvenzen. Das sind 20 000 Einzelschicksale. Voraus-
sichtlich über 550 000 Beschäftigte werden ihren
Arbeitsplatz verlieren. Gut die Hälfte der Insolvenzen be-
trifft Betriebe mit weniger als 500 Beschäftigten. Fast
20 Prozent der mittelständischen Unternehmen wollen die
Personaldecke verkleinern oder müssen sie verkleinern.

Auch das Handwerk ist mehr und mehr betroffen. Im
Jahr 2001 lag die Zahl der Insolvenzen bei circa 4 000. Für
dieses Jahr wird eine Steigerung auf etwa 4 500 erwartet.
Das heißt, täglich gibt es mehr als 100 Insolvenzen und täg-
lich verlieren circa 1 000 Mitarbeiter ihren Arbeitsplatz.


(Heinz Wiese [Ehingen] [CDU/CSU]: Wahnsinn!)


Daher kann von einem leistungsstarken Mittelstand und
Handwerk nicht mehr die Rede sein.

Wenn aber die Leistungsfähigkeit des Mittelstandes so
eingeschränkt ist, belastet das auch automatisch unsere
Spielräume bei der Lehrlingsausbildung. Wer sich mit
Bürokratie und ständig steigenden Kosten konfrontiert
sieht, wird weniger Lehrlinge ausbilden.


(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Sehr richtig!)


Damit sinken die Chancen auf eine Verringerung der
Jugendarbeitslosigkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Zur Behebung unseres Fachkräftemangels, der trotz der
Arbeitslosigkeit besteht, brauchen wir aber genau die In-
vestitionen in die Zukunft.

In jedem guten und sicheren Wagen erwartet man heute
serienmäßig einen Airbag. In kritischen Momenten soll er
Sicherheit bieten, soll die Insassen auffangen. Doch er
hilft nur dann wirklich, wenn noch ausreichend Luft vor-
handen ist. Der Bundesregierung aber ist die Luft ausge-
gangen.


(Albrecht Feibel [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

Um den Motor wieder zu starten, braucht Deutschland ei-
nen Fahrerwechsel.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie reiten den Vergleich wirklich tot!)


Die Union wird Deutschland wieder nach vorne bringen.
Ein „Weiter so!“ wie im Regierungsprogramm der SPD
wird es mit uns nicht geben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Wir brauchen flexible Lösungen, um die Wirtschaft

wieder flottzumachen; wir brauchen – um im Bild zu blei-
ben – eine Servolenkung. Deshalb wird es zunächst eine
weitere Stufe der Ökosteuer nicht geben. Die angekün-
digte Senkung der Sozialabgaben wurde nicht erreicht. Es
wird im Gegenteil eine Steigerung nicht ausgeschlossen.

Darüber hinaus wird es darauf ankommen, den Mittel-
stand, die Länder und die Kommunen massiv zu entlasten.
Gleichzeitig wird die Ungleichbehandlung von Kapital-
gesellschaften im Vergleich zu Personenunternehmen
rückgängig gemacht.

Politik für den Mittelstand ist Politik für die Zukunft
unseres Landes.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Insbesondere für junge, innovative Unternehmer müssen
sich Investitionen wieder lohnen. Gerade auf diesem Sek-
tor ist es wichtig, bürokratische Hemmnisse abzubauen, da-
mit Ausbildungsplätze geschaffen werden können. Junge,
gut ausgebildete Fachkräfte müssen solide unterstützt und
dürfen nicht durch ein Antragschaos entmutigt werden.

Lassen Sie mich nochmals das Bild des Automobils
bemühen:


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach du liebe Zeit!)


Ist der Wagen erst gegen die Wand gefahren worden, kann
man ihn meist nur verschrotten.


(Heiterkeit bei der CDU/CSU)

Die rot-grüne Regierungszeit ist eine Zeit von Pleiten,
Pech und Pannen


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Schrott! – Manfred Grund [CDU/CSU]: Achsenbruch!)


und kann nur unter dem Motto „Versprochen – gebro-
chen!“ stehen. Um den Wagen wieder flottzumachen, ste-
hen wir in der Union zu unserer Verantwortung für die Zu-
kunft unseres Landes.

Meine Damen und Herren, da dies meine letzte Rede
im Deutschen Bundestag ist, möchte ich im Interesse der
Entstehung neuer Arbeitsplätze an Sie appellieren: Stär-
ken Sie den Mittelstand! Helfen Sie den kleinen und mitt-
leren Betrieben! Dies ist unser stärkstes Kapital.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Erhalten Sie das duale Ausbildungssystem und den
Großen Befähigungsnachweis! Dies ist unsere Zukunft.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte mich am
Schluss bei allen, mit denen ich gut und fair zusammen-
gearbeitet habe, und bei meiner Fraktion bedanken. Ich
wünsche uns Gottes Segen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)





Karl-Heinz Scherhag

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(C)



(D)



(A)



(B)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1424909600
Lieber Herr
Kollege Scherhag, auch wir möchten uns bei Ihnen be-
danken und wünschen Ihnen alles Gute für die Zukunft.


(Beifall)

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Hildegard Wester.


Hildegard Wester (SPD):
Rede ID: ID1424909700
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Auch ich möchte mich bei der FDP-
Fraktion dafür bedanken, dass sie uns mit ihrer Großen
Anfrage die Möglichkeit zu einer ausführlichen Antwort
gegeben hat. Wir können hier eine positive Bilanz ziehen.
Auf zwei Bereiche dieser positiven Bilanz möchte ich
mich konzentrieren: auf den Bereich der Familienpolitik
und auf den Bereich der Gesundheitspolitik.

Ich glaube, dass es uns als rot-grüner Koalition gelun-
gen ist, deutlich zu machen, dass wir gerade in der Fami-
lienpolitik einen Paradigmenwechsel herbeigeführt ha-
ben. Wir haben nämlich Schluss damit gemacht, dass
Familien nur in Sonntagsreden vorkamen und nur dann
bemüht wurden, wenn es darum ging, in der Gesellschaft
aufzudecken, welche Verpflichtungen und Verantwortun-
gen zum Beispiel im Hinblick auf die Jugend wahrzuneh-
men sind. Dabei entstehende Probleme wurden mehr oder
weniger bei den Familien abgeladen. Letzten Endes sind
sie bei der Erfüllung dieser Aufgabe allein geblieben.

Wir haben bewiesen – und dies ohne Aufforderung des
Bundesverfassungsgerichtes, sondern bereits in unseren
Aussagen vor der letzten Wahl –, dass wir die finanziell
ungerechte Behandlung von Familien beseitigen wollen.
Dazu hat Frau Schewe-Gerigk bereits ausführlich Stel-
lung genommen; deswegen möchte ich diesen finanziel-
len Aspekt etwas vernachlässigen, obwohl er eigentlich
nicht häufig genug betont werden kann.

Wir haben auch deutlich gemacht, dass Familienpolitik
nicht nur die finanzielle Seite, sondern weitere Bereiche
zu berücksichtigen hat. Wir haben die schwere Aufgabe
zu schultern, aus Deutschland wieder eine Gesellschaft zu
machen, die sich dem Kind und der Familie zuwendet, die
also gegenüber Familien nicht strukturell rücksichtslos
ist. Dazu haben wir eine Reihe von Reformen auf den Weg
gebracht und durchgeführt.

Wir haben – das wurde bereits kurz erwähnt – das
Recht auf gewaltfreie Erziehung in das BGB aufge-
nommen. Ich halte das für einen gravierenden und we-
sentlichen Fortschritt in unserer Gesellschaft. Denn hier
wird endlich einmal deutlich, dass die Wesen, die in un-
serer Gesellschaft am schutzwürdigsten sind, weil sie in
ihrer Entwicklung und Entfaltung auf die Erwachsenen
angewiesen sind, mit dem besonderen Respekt der Erzie-
henden und auch der Gesellschaft rechnen können und ih-
nen dieser Respekt auch garantiert wird.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir haben ferner bewiesen, dass bei Problemen der
häuslichen Gewalt, die leider wieder häufig Kinder – aber
auch Frauen – trifft, nicht diejenigen, die dieser Gewalt
ausgesetzt sind, das Feld, also die Wohnung, räumen müs-
sen, sondern dass das die Täter tun müssen. Die Geschä-

digten werden also aus diesem Konflikt herausgehalten.
Sie können in Ruhe ihre Situation analysieren und über
weitere Schritte nachdenken.

Das alles sind wesentliche Maßnahmen. Es reicht eben
nicht aus, die finanzielle bzw. materielle Situation der Fa-
milien zu verbessern. Es muss auch ein anderes Klima in
der Gesellschaft herrschen.

Wir müssen aber auch andere Strukturen verbessern,
und zwar dahin gehend, dass es den Familien ermöglicht
wird, so zu leben, wie sie es wünschen. Die Menschen
wissen selber am besten, was sie wollen. Sie lassen sich
nicht durch eine 600-Euro-Prämie oder eine Küchenprä-
mie – wie immer man das nennen mag – vorschreiben,
wie sie zu leben haben.


(Beifall des Abg. Joachim Poß [SPD])

Sie möchten nicht, von welcher Instanz auch immer, ge-
sagt bekommen, dass die klassische Rollenverteilung für
sie und ihre Kinder die beste Lösung ist. Sie wollen viel-
mehr, dass sie ihre Potenziale, Wünsche und Vorstellun-
gen realisieren können und dass der Rahmen entspre-
chend gesteckt wird.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Männer und Frauen müssen die Möglichkeit haben,
Beruf und Familie miteinander zu vereinbaren. Dazu ha-
ben wir wesentliche Weichenstellungen vorgenommen.
Wir haben, wie Sie wissen, im Rahmen der Reform des
Erziehungsgeld- und -urlaubsgesetzes, das unter Ihrer Re-
gierung 13 Jahre lang ein kümmerliches Dasein gefristet
hatte, die Elternzeit eingeführt. Wir haben nicht nur für
eine bessere finanzielle Ausstattung gesorgt, sondern
auch strukturelle Veränderungen vorgenommen. Jetzt be-
steht tatsächlich eine Wahlfreiheit. Zudem ist es möglich,
dass Männer und Frauen gleichzeitig ihre beiden wesent-
lichen gesellschaftlichen Aufgaben erfüllen können,
wenn sie es denn wollen. Das Prinzip der Freiwilligkeit
haben wir groß geschrieben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir wissen, dass es nicht ausreicht, Gesetze zu flexibi-
lisieren und die Möglichkeiten der Eltern so theoretisch zu
verbessern; denn dies stößt an eine Grenze, wenn nicht
genügend Betreuungseinrichtungen vorhanden sind, die
flankierend zur Verfügung stehen müssen. Deswegen wird
hier in der nächsten Wahlperiode einer unserer Schwer-
punkte liegen. Wir werden Geld in die Hand nehmen und
die Versorgung mit Betreuungseinrichtungen verbessern,
sowohl in quantitativer als auch in qualitativer Form.

Die Verbesserung der Versorgung allein wird den An-
forderungen eines jeden Menschen, eines jeden Kindes,
aber auch einer modernen Gesellschaft nicht gerecht.
Deshalb betreiben wir mit 1 Milliarde Euro pro Jahr eine
Qualitäts- und Betreuungsoffensive und eine Bildungs-
offensive. Damit werden wir zukunftsweisend für unsere
Gesellschaft tätig.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)







(C)



(D)



(A)



(B)


Es reicht in diesen Bereichen nicht, wie es zum Bei-
spiel die FDP vorhat, darauf zu hoffen, dass der Markt es
schon richten werde. Dem liegt der Gedanke zugrunde,
dass die Nachfrage, die aufgrund einer erhöhten Erwerbs-
tätigkeit von Eltern entstehen könnte, zu einem entspre-
chenden Angebot an Betreuungseinrichtungen führen
wird. Es bedarf aber eines gezielten, strukturierten Ange-
bots für Eltern und Kinder, das die Merkmale der Qualität,
der Betreuung und der Flexibilität in sich vereint. Dafür
werden wir stehen.

Ich möchte mich nun dem zweiten Bereich, der Ge-
sundheitspolitik, zuwenden und zunächst einen Blick
zurück werfen. Bevor wir die Regierungsverantwortung
übernommen haben, mussten die Patientinnen und Pati-
enten insgesamt 2,8Milliarden Euro an Zuzahlungen leis-
ten. Insgesamt ist die Summe der Zuzahlungen von 1991
bis 1998, also unter Ihrer Regierungsverantwortung, von
0,6 Milliarden Euro auf 2,8 Milliarden Euro gestiegen.


(Jörg Tauss [SPD]: Abzocker!)

Wir haben diese Belastungen um circa 1 Milliarde Euro
zurückgefahren und damit unser Versprechen gehalten.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir haben dafür gesorgt, dass die Leistungen, die die
Union und die FDP aus dem Leistungskatalog gestrichen
haben, wieder allen zur Verfügung stehen. Ich erinnere da-
ran, dass wir die Erstattung für Zahnersatz bei Jugendli-
chen wieder eingeführt haben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir haben dadurch den Menschen die Verunsicherung,
die Sie bei Patientinnen und Patienten zugelassen und her-
vorgerufen haben, wieder genommen. An diese Verunsi-
cherung scheinen Sie sich nicht mehr erinnern zu können.
Gerade so, als wäre nichts gewesen, kommen Sie wieder
mit Ihrem Allheilmittel gegen Beitragssteigerungen, mit
Selbstbeteiligung, Selbstbehalten und Tarifen für ver-
schiedene Optionen. Das bedeutet schlicht und ergrei-
fend, dass Sie wieder auf Kosten der Patienten sparen
wollen. Sie können sich nicht vorstellen, ein Gesund-
heitssystem zu sanieren und zu reformieren, ohne die Pa-
tienten, für die das System eigentlich da sein sollte, selber
zur Kasse zu bitten.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Walter Hirche [FDP]: Aber mit Ihren Lohnnebenkosten treiben Sie die Leute in die Arbeitslosigkeit!)


Solche simplen Vorschläge sind nicht zukunftstauglich.
Sie wollen weiter das Sachleistungssystem durch das

Kostenerstattungssystem ersetzen. Sie wollen letzten En-
des – das ist das Fazit – die Schwächung des Solidarsys-
tems. Das wird mit der SPD nicht zu machen sein.


(Beifall bei der SPD – Irmingard ScheweGerigk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mit uns auch nicht!)


Sie wollen die Verantwortung für die Krankenversorgung
in private Hände legen. Sie haben kein Zukunftskonzept,
das den Menschen verspricht, dass Sie mehr in Prävention
investieren wollen, sondern Sie wollen selbst diese Zu-
kunftsvorsorge durch Eigenleistungen der Patientinnen
und Patienten bezahlen lassen. Sie wollen, dass letzten
Endes jeder sich selbst der Nächste ist. Sie wollen die So-
lidarität in diesem Lande, jedenfalls im Gesundheitssys-
tem, aufheben. Das werden wir nicht zulassen, und das
werden die Wähler Ihnen am 22. September auch nicht
honorieren.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1424909800
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Wolfgang Dehnel.


Wolfgang Dehnel (CDU):
Rede ID: ID1424909900
Frau Präsidentin!
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Frau Wester, Sie
wissen, dass ich Sie als Kollegin sehr schätze. Aber dass
Sie zum Thema Ihres Antrags, „Familie ist, wo Kinder
sind“, gar nichts gesagt und Ihren eigenen Antrag hier
überhaupt nicht erwähnt haben, enttäuscht mich doch
sehr.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Im Januar dieses Jahres veröffentlichte das Institut für

Demoskopie Allensbach eine Studie, aus deren Analysen
man entnehmen konnte, dass die Familie für die Deut-
schen kein Auslaufmodell ist, sondern in den Aussagen der
Befragten wieder an erster Stelle steht. Erstaunlich ist da-
bei für mich, dass weder Beruf noch Freunde oder Hobbys
einen ähnlichen Stellenwert einnehmen. Das stimmt mich
als Vater von zwei Kindern, der selber in einer Familie mit
sechs Kindern aufgewachsen ist, ziemlich zuversichtlich.

Aber gleichzeitig müssen wir feststellen, dass mit zu-
nehmendem Wohlstand in Deutschland, aber auch in Eu-
ropa, die Geburtenzahlen stark zurück gehen. Allein in
Berlin sind 80 Prozent der Haushalte ohne Kinder. Da
frage ich mich schon: Wäre es nicht schön, wenn statt ei-
ner Love-Parade oder eines Christopher Street Day ein
Familientag oder eine Family-Parade stattfinden würde?
Das wäre doch eine tolle Sache!


(Beifall bei der CDU/CSU – Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die ganze Familie ist bei der Love-Parade! – Jörg Tauss [SPD]: Organisieren Sie mal eine!)


– Ich habe ja bald Zeit dazu.

(Zuruf von der SPD: Ist das auch Ihre letzte Rede?)

Ja, das ist so. – Die Geburtenzahlen müssten sich verdop-
peln, wenn die Bevölkerung in Deutschland nicht bis zum
Jahr 2050 um 17 Millionen Menschen abnehmen soll. Das
ist ungefähr die Zahl der Bürger in der ehemaligen DDR;
das muss man sich einmal vorstellen. Dann würde ein Drit-
tel der Bürger über 60 Jahre alt sein. Ergänzend zu dieser
dramatischen Entwicklung wird noch von jährlich circa




Hildegard Wester

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(C)



(D)



(A)



(B)


200000 Ehescheidungen und von circa 130000 Schwan-
gerschaftsabbrüchen gesprochen. Deshalb müssen wir in
unseren politischen Überlegungen, Anstrengungen und
Planungen danach fragen, wie wir dieser verhängnisvollen
Entwicklung entgegenwirken können. Dabei ist die finan-
zielle Absicherung von Familien mit Kindern nur eine
Rahmenbedingung unter anderen.


(Jörg Tauss [SPD]: Aber eine wesentliche!)

Die Regierung Schröder, kaum im Amt, hat auf

schnellstem Wege

(Zuruf von der CDU/CSU: Nein! – Jörg Tauss [SPD]: Das Kindergeld erhöht!)

Aufwand und Energie verschwendet, um gleichge-
schlechtlichen Lebensgemeinschaften eine eheähnliche
Rechtsbeziehung einzuräumen, statt einen nachhaltigen
Beitrag für die Familienförderung zu leisten. Ich frage
mich: Sieht so eine zukunftsweisende Familienpolitik aus?


(Jörg Tauss [SPD]: Sagen Sie was zum Familiengeld!)


Auch die Planungen des Bundeskanzlers, einen Zu-
schuss für Kinderbetreuungseinrichtungen zu geben und
dafür das Kindergeld geringer zu erhöhen, geht eindeutig
in die falsche Richtung. Sie richten sich gegen die Län-
derkompetenz und vor allem gegen den Osten. Dort sind
Kindergartenplätze bekanntlich in ausreichender Anzahl
vorhanden und wir haben viele Millionen DM bzw. Euro
investiert, sodass die Kinder dort heute sehr gut aufgeho-
ben sind, viel besser als jemals zu DDR-Zeiten.


(Jörg Tauss [SPD]: Davon profitieren wir!)

– Ja, Sachsen und Thüringen sind geradezu vorbildlich.
Ich glaube, das ist ein großer Vorteil der neuen Bundes-
länder. –


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Barbara Höll [PDS]: Die Krippenplätze werden auch in Sachsen langsam knapp!)


Daran kann man erkennen: So sehen die Chefsachen des
Kanzlers aus.

Auch das ist eine Mogelpackung: Familien finanzieren
Familien. Bei Eltern mit größeren Kindern wird zuguns-
ten von Eltern mit kleineren Kindern gespart. So kann
man nicht mit den Familien spielen. Die CDU/CSU hat in
ihrer Regierungszeit von 1982 bis 1998 das Kindergeld –


(Jörg Tauss [SPD]: Das Kindergeld nicht erhöht!)


– was schwätzen Sie da, Herr Tauss? Wo waren Sie denn?
Reden Sie nicht so daher! – von 70 auf 220 DM erhöht,
also verdreifacht.


(Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf von der CDU/CSU: Der Tauss kann doch nicht rechnen!)


Wir haben das Erziehungsgeld und den Erziehungsur-
laub eingeführt sowie die Anerkennung der Kindererzie-
hungszeiten in der Rentenberechnung und den Rechtsan-
spruch auf einen Kindergartenplatz durchgesetzt.


(Jörg Tauss [SPD]: Ohne einen Pfennig für die Gemeinden)


Das alles will die rot-grüne Koalition einfach negieren
und sich selbst als die große Reformerin darstellen. Das
geht einfach zu weit.

So ist auch der uns vorliegende Entschließungsantrag
der rot-grünen Koalition „Familie ist, wo Kinder sind ...“
eine Mogelpackung. Aus der Sicht vieler ostdeutscher Fa-
milien haben der Bundeskanzler und seine Genossen jäm-
merlich versagt. Leider ist keiner mehr vertreten, nicht
mal der „Ostminister“ Schwanitz ist noch zu sehen, denn
die interessiert das Thema anscheinend überhaupt nicht.

Diese Regierung wollte „nicht alles anders, aber vieles
besser machen“. Was ist daraus geworden? Tatsache ist,
dass die Familien vom Erzgebirge bis zur Ostsee und vom
Harz bis zur Oder in die Kohl-Regierung und den Auf-
schwung Ost entschieden mehr Vertrauen hatten als ge-
genwärtig in die Schröder-Regierung.


(Joachim Poß [SPD]: Sie wurden ja ausreichend getäuscht! Blühende Landschaften!)


Dafür gibt es einen ganz eindeutigen Seismographen:
die Abwanderung von Familien aus dem Osten Deutsch-
lands. Von 1991 bis 1998 nahm die Abwanderung von
rund 90 000 Menschen auf 10 000 Menschen jährlich ab.
Seit 1998 ist sie schon wieder Jahr für Jahr auf jetzt über
60 000 Menschen jährlich gestiegen. So viele enttäuschte
Bürger, vor allem jüngere, gibt es, die den neuen Bundes-
ländern wegen des Abschwungs Ost den Rücken kehren.


(Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf von der CDU/CSU: Chefsache Ost! – Joachim Poß [SPD]: Wegen Ihrer falschen Weichenstellungen in den 90er-Jahren!)


Das ist auch kein Wunder: Die Arbeitslosigkeit sollte
halbiert werden, aber im Osten stagniert sie nicht nur, sie
ist heute sogar höher als 1998. Solche Wahrheiten müssen
Sie sich schon anhören. Aber diese Tatsachen verschwei-
gen Sie von der Koalition; denn es sind niederschmet-
ternde Urteile für vier Jahre rot-grüner Politik, und zwar
auf allen politischen Feldern.

Eine florierende Wirtschaft und deren Wachstum – das
ist ganz wichtig – sind nun mal die wichtigsten Rahmen-
bedingungen, damit sich Familien und deren Umfeld fa-
milienfreundlich entwickeln können. Ich sage Ihnen,
dafür wird ab dem 22. September unser Kanzlerkandidat
Helmut, nein Edmund Stoiber mit seiner Mannschaft sor-
gen.


(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Lachen bei der SPD)


– Helmut kommt gleich noch.
Von diesem Kapitän und seiner Mannschaft wird das an-
geschlagene Schiff Deutschland wieder flott gemacht
werden; dessen bin ich mir ganz sicher.


(Beifall bei der CDU/CSU – Jörg Tauss [SPD]: Wie 1998!)


Meine Damen und Herren, es wird Zeit, dass der Osten
wieder mit Herz und nicht mit der winkenden ruhigen
Hand angepackt wird. Letzeres haben wir nämlich leider
schon 40 Jahre lang im Osten erleben müssen. Der Jubel
durch und für die Genossen war verordnet, bis die Men-




Wolfgang Dehnel
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(C)



(D)



(A)



(B)


schen mit Füßen, brennenden Kerzen und Gebeten abge-
stimmt haben.


(Dr. Ditmar Staffelt, Parl. Staatssekretär: Der Vergleich ist wohl ein bisschen schwierig!)


– Den müssen Sie sich aber von mir schon anhören, weil
ich nämlich seit der ersten Demo dabei war.


(Dr. Ditmar Staffelt, Parl. Staatssekretär: Das geht ein bisschen weit!)


Meine Damen und Herren, ich möchte dies heute bei
meiner letzten Rede im Deutschen Bundestag in die Erin-
nerung zurückholen.


(Joachim Poß [SPD]: Falsche Vergleiche!)

Ich bin sehr glücklich und gleichzeitig sehr dankbar, er-
lebt zu haben, wie ein fester Glaube Mut macht und Mau-
ern zerbricht, sodass Familien wieder zusammengeführt
wurden und heute in Freiheit, Frieden und Demokratie le-
ben können. Vor über 50 Jahren hatten sich die Väter und
Mütter des Grundgesetzes dieses Ziel gestellt. Viele Bür-
ger haben sich haupt- oder ehrenamtlich immer wieder in
den Dienst dieses Landes gestellt.

Dass dieses Land nun schon fast 12 Jahre lang ein ge-
eintes Vaterland ist, finde ich ganz toll. Besonders danke
ich heute noch einmal Altkanzler Dr. Helmut Kohl dafür,


(Joachim Poß [SPD]: Auch wegen seiner falschen Versprechungen!)


dass er den Ruf der Menschen „Wir sind ein Volk“ zu den
Siegermächten getragen und diesen Auftrag gegen viele
Widerstände innerhalb und außerhalb des Landes umge-
setzt hat.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Ich danke aber auch Dr. Wolfgang Schäuble für seine

beharrliche Vertretung ostdeutscher Interessen bei den
Verhandlungen zum Einigungsvertrag, an denen ich als
frei gewählter Volkskammerabgeordneter eine Woche lang
teilnehmen konnte. Ich habe noch im Ohr, wie die Staats-
sekretäre aus den SPD-geführten Ländern damals gegen
die Finanzierung der deutschen Einheit gestimmt haben.


(Jörg Tauss [SPD]: Hören Sie mit den Legenden auf!)


Ich danke auch Frau Dr. Angela Merkel und Herrn
Friedrich Merz dafür, dass sie das CDU-Schiff aus einer
schwierigen Lage wieder auf Kurs „40 plus x“ gebracht
haben.


(Lachen bei der SPD)

Ich danke allen Kollegen in der Fraktion, in der Landes-
gruppe und in der Arbeitsgruppe, besonders den vielen
Frauen, die mich hier so treu unterstützen.


(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Ich danke ferner den Kollegen auf der linken Seite des
Hauses, die mir Achtung und Respekt entgegengebracht
haben, wie auch ich es in diesem Hause ihnen gegenüber
immer getan habe. Ich danke dem gesamten Hohen Haus,
der freundlichen Bundestagsverwaltung sowie den zuvor-

kommenden Saaldienern. Ich danke auch denen, die in
Bonn geblieben und nicht in den großen Kessel Berlin
mitgekommen sind. Auch danke ich den Bürgern und
Wählern in meinem Wahlkreis, die mir jahrelang ihr Ver-
trauen ausgesprochen haben.

Ich danke meinen Eltern und meiner Familie. Mein Va-
ter wird in diesem Jahr 90 Jahre alt. Er hat im Ersten Welt-
krieg seinen Vater verloren und nahm am Zweiten Welt-
krieg selbst teil und kam in Gefangenschaft. Jetzt konnte
er die deutsche Einheit erleben, die auch für die ältere Ge-
neration ein großes Glück ist. Meiner Frau und meinen
Kindern danke ich für ihr Verständnis, wenn ich so oft
nicht zu Hause war.

Ich hoffe, dass ich meine erzgebirgisch-vogtländische
Heimat und das Sachsenland hier in diesem Hohen Hause
würdig vertreten habe. Abschließend wünsche ich, dass
auch in der kommenden Legislaturperiode für das Glück
von Familien und deren Wohlstand in Frieden und Freiheit
parteienübergreifend gestritten, aber auch wieder Konsens
gesucht und gefunden werden wird, wo es nötig ist.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1424910000
Lieber Herr
Kollege Dehnel, ich danke Ihnen auch im Namen des
Hauses für Ihre Arbeit. Sie waren vier Legislaturperioden
Mitglied dieses Hauses und haben in Ihrer Rede selbst ge-
sagt, welch eine wichtige Zeit das für die deutsche De-
mokratie war. Ich bin sicher, dass Sie dorthin gehen, wo
Sie sich wirklich wohlfühlen, nämlich nach Hause.


(Beifall – Wolfgang Dehnel [CDU/CSU]: Vielen Dank!)


Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Franz Müntefering.

Franz Müntefering (SPD) (von der SPD mit Beifall
begrüßt): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kolle-
gen! Liebe drei Abgeordnete von der FDP, ich begrüße Sie
hier ganz herzlich.


(Zuruf: Vier!)

Gerhard Schröder hat durchaus signifikante Reformen
wie die Haushaltskonsolidierung, zwei Steuerreformen,
die Rentenreform und die Reform des Staatsbürgerrechts
bis hin zum umstrittenen Zuwanderungsgesetz umgesetzt.
Seine Regierung hat in vier Jahren mehr Reformen durch-
geführt als Helmut Kohl in seinen letzten acht Jahren.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dietrich Austermann [CDU/ CSU]: Keine ist gelungen! – Manfred Grund [CDU/CSU]: Mehr Reformen zurückgenommen!)


Dies ist ein Zitat von Roland Berger aus dem „Handels-
blatt“ vom 3. Juni dieses Jahres.


(Beifall bei der SPD)

Vielleicht lesen Sie es noch einmal ein bisschen gründli-
cher durch.




Wolfgang Dehnel

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(C)



(D)



(A)



(B)


Heute Morgen ist viel darüber philosophiert worden,
was eine solche Anfrage der FDP bringt. Ich sage: Res-
pekt, dass Sie bei den wenigen Aktiven, die Sie haben,
253 Fragen zusammenbekommen haben.


(Beifall bei der SPD)

Dank und Respekt auch an die Bundesregierung für die
sorgfältige Antwort. Ich habe allerdings den Eindruck,
dass es sich nicht gelohnt hat.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Denn das, was Sie hier heute vorgetragen haben, hät-

ten Sie auch ohne die Antwort der Bundesregierung vor-
tragen können. Sie haben sich nämlich offensichtlich
durch nichts beirren lassen,


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben sie wahrscheinlich gar nicht gelesen!)


sondern haben das, was Sie sich vorher aufgeschrieben
haben, heute vorgetragen.

Die gockelhafte Aufregung, mit der Herr Westerwelle
hier heute Morgen aufgetreten ist, hat noch einmal ge-
zeigt, dass es ihm vor allen Dingen um eines geht: großen
Effekt haben, Show machen. Aber – das wird in diesen
Wochen immer klarer erkennbar – die Menschen in
Deutschland wissen: Schuhgröße 18 ist für einen Kanz-
lerkandidaten doch zu wenig.


(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1424910100
Herr Kollege
Müntefering, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kolle-
gen Hirche?


Franz Müntefering (SPD):
Rede ID: ID1424910200
Ich möchte meine Aussa-
gen zur FDP zu Ende bringen. Vielleicht kann er dann
noch mehr anmerken.


(Heiterkeit bei der SPD – Walter Hirche [FDP]: Wenig Mut und Selbstbewusstsein!)


Wenn man sich das Programm der FDP anschaut,
sieht man, dass dieses Land nicht in die Hände der FDP
geraten sollte.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Walter Hirche [FDP]: Das entscheidet nicht der Bundesgeschäftsführer der SPD!)


Denn wenn Sie das, was Sie aufgeschrieben haben, ernst-
haft machen, bedeutet das, dass der Staat handlungsun-
fähig wird und der Sozialstaat am Ende ist. Eine Staats-
quote und einen Spitzensteuersatz von unter 35 Prozent
können Sie nur finanzieren, wenn Sie massiv in die Hand-
lungsfähigkeit des Staates einschneiden. Dies kann man
nur, wenn man an die Rentner geht oder den Solidarpakt II
oder die Investitionen massiv zusammenstreicht.

Der Staat ist die frei vereinbarte Form der gesell-
schaftlichen Ordnung, in der wir leben. Wir wollen und

brauchen für die Menschen in diesem Land einen hand-
lungsfähigen Staat.


(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Neue Regierung!)


Wir Sozialdemokraten sorgen dafür, dass es diesen auch
in Zukunft gibt.


(Beifall bei der SPD – Walter Hirche [FDP]: Lassen Sie uns zu den Lohnzusatzkosten unter Willy Brandt zurückkehren! Das war doch kein unsozialer Mensch!)


Sie werden sich als FDP zu entscheiden haben, ob sie
als Bewegung, die demagogisch-populistisch versucht
nachzuholen, was in anderen europäischen Ländern statt-
findet, agieren will oder ob sie sich an die alte FDP erin-
nert, die durchaus Respekt verdient hat. Wenn man sich
die FDP heute anschaut – der Vorsitzende im Schwitz-
kasten von Herrn Möllemann –, weiß man: Das ist nicht
mehr das, was wir in den vergangenen Jahren und Jahr-
zehnten als FDP gekannt haben.


(Beifall bei der SPD)

Die FDP hat ihren Platz im Haus der Geschichte. Für das
Regieren taugt sie im Augenblick ganz sicher nicht.


(Zuruf von der FDP: Aber Sie, was?)

Ich will etwas zur Schnittmenge zwischen CDU/CSU

und FDP sagen. Was sich dort andeutet, ist das Tandem
Stoiber-Möllemann: innenpolitisch ein Graus, außenpoli-
tisch ein Risiko.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Das werden die Menschen auch so einschätzen und die
entsprechende Konsequenz daraus ziehen.

Dass Stoiber kein Mutiger ist, dass er feige ist, wenn es
darum geht, sich der Debatte zu stellen, haben wir schon
länger gewusst.


(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Ach Gott!)

Dass er das gestern mit der Feststellung verbunden hat,
der Bundestag sei überbewertet, ist von besonderer Deli-
katesse.


(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Er hat an diesen Redner gedacht!)


Stellen Sie dies in den Zeitungen offiziell richtig. Falsch
ist die Aussage, der Bundestag sei überbewertet. Richtig
ist die Aussage: Stoiber ist überflüssig. Das kann man
schreiben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Zurufe von der SPD: Sehr gut!)


Er ist gewogen und für zu leicht befunden. Dies will ich
anhand eines Punktes noch etwas näher beschreiben, weil
sich der Kollege, der unmittelbar vor mir gesprochen hat,
ganz besonders auf die Situation in Ostdeutschland be-
zogen hat.


(Walter Hirche [FDP]: Sie trauen sich ja noch nicht einmal, Zwischenfragen zuzulassen!)





Franz Müntefering
25344


(C)



(D)



(A)



(B)


Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolle-
ginnen und Kollegen, Herr Stoiber hat im letzten Jahr ver-
sucht, den ostdeutschen Ländern durch das Beklagen des
Länderfinanzausgleichs Geld wegzunehmen. Er ist Gott
sei Dank vor Gericht gescheitert. Während er jetzt durchs
Land geht und Hände schüttelt, klagt er gegen den Risi-
kostrukturausgleich. Er ist einer, der das Land gespalten
hat und der in sehr separatistischer, egoistischer Manier
mit den Interessen der Länder umgeht, denen es zurzeit
nicht so gut geht wie Bayern.

Wenn man meine Altersklasse hat und erfahren hat, wie
die Situation in den vergangenen 30 oder 40 Jahren in
Deutschland gewesen ist, weiß man, dass Bayern in der
Zeit nach 1950 ein sehr schönes Urlaubsland war. Alle
Länder im Westen der Bundesrepublik, denen es gut
ging – den Länderfinanzausgleich gibt es ja nicht erst seit
jetzt –, hatten sich zusammengetan; Nordrhein-Westfalen,
Hamburg und Hessen waren dabei. Nach dem Prinzip der
kommunizierenden Röhren haben diese Länder Geld an
Bayern abgegeben. Über 30 Jahre lang hat Bayern zu
Recht Geld aus der gemeinsamen Kasse der Länder und
des Bundes erhalten. Ein Land, das über so viele Jahre un-
terstützt worden ist, damit es seine eigene Politik betrei-
ben und seine Industrien aufbauen konnte, muss heute
aber auch bereit sein, Geld an die Länder zu geben, die
heute darauf angewiesen sind, dass ihnen geholfen wird.
Das gilt in besonderer Weise für Ostdeutschland.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie des Abg. Rolf Kutzmutz [PDS])


Herr Stoiber soll seine Klage gegen den Risikostruktur-
ausgleich bitte zurücknehmen. Dann kann man vielleicht
darüber sprechen.


(Walter Hirche [FDP]: Der Risikostrukturausgleich hat nichts mit dem Länderfinanzausgleich zu tun!)


Ein letztes Wort zu der Sache mit Helmut Kohl: Rich-
tig ist, dass Helmut Kohl Kanzler war, als die deutsche
Einheit möglich wurde. Das bestreiten wir ihm nicht und
das wird immer sein Verdienst bleiben. Das hat aber zwei
Vorgeschichten. Die erste Vorgeschichte lautet: Nicht
Helmut Kohl hat die Mauer vom Westen her eingerissen,
sondern tapfere Frauen und Männer, die im Osten auf die
Straße gegangen sind, haben die Mauer vom Osten her
umgeschmissen; so ist das gewesen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Manfred Grund [CDU/CSU]: Während ihr beim ZK und auf dem Schoß von Honecker gesessen habt!)


Neben der Vorgeschichte im Osten hat es eine weitere
Vorgeschichte im Westen der Bundesrepublik Deutsch-
land gegeben. Denken Sie an 1969 und 1972; Sie werden
sich noch gut daran erinnern. Damals wurde die Koalition
zwischen Brandt und Scheel möglich. Wir haben den War-
schauer und den Moskauer Vertrag gegen Ihre ausdrück-
liche Intervention durchgesetzt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Zurufe von der CDU/CSU)


Willy Brandt ist nach Warschau gefahren und hat dort ge-
kniet. Sie haben ihn verspottet und über ihn geredet, als
sei er ein Vaterlandsverräter. Deshalb sage ich Ihnen hier
noch einmal: Richtig ist, dass Kohl Kanzler war, als es
möglich wurde; aber die Menschen im Osten, in der da-
maligen DDR, haben die Mauer von dort aus umge-
schmissen,


(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Thema verfehlt!)


und wenn es die Carlo Schmids, Fritz Erlers, Willy
Brandts und Helmut Schmidts nicht gegeben hätte, wären
der Niedergang des Kommunismus und die deutsche Ein-
heit so nicht möglich gewesen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Zurufe von der CDU/CSU)


In diesen vier Jahren haben wir eine Menge in Bewe-
gung gesetzt. Die jetzige Regierung – das muss man an-
erkennen – hat Themen angepackt, die vorher nicht um-
gesetzt werden konnten oder liegen geblieben sind. Die
Steuerreform hat uns nach vorne gebracht und die Ren-
tenreform hat zumindest die Tür in die richtige Richtung
geöffnet.


(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Deshalb die Insolvenzen!)


Das sagte Herr Schulte-Noelle, der Vorstandsvorsitzende
der Allianz AG. Vielleicht lesen Sie seine Ausführungen
noch einmal genau, er kann Ihnen nämlich auch noch ei-
nen guten Ratschlag geben.


(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Er verdient dadurch auch am meisten!)


Das wird auch in den nächsten vier Jahren weiterhin so sein.

(Manfred Grund [CDU/CSU]: Immer bei den Bossen! – Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Das war doch Ihre letzte Rede!)


Sie werden sehen – das haben wir in den letzten Wo-
chen in diesem Land erlebt –: Die Stimmung dreht sich.
Die Menschen wissen: Stoiber wurde gewogen und für zu
leicht befunden. Sie können ihn als Kanzlerkandidaten
noch 79 Tage hochhalten. Das ist der Höhepunkt im poli-
tischen Leben von Edmund Stoiber. Nach diesen 79 Tagen
ist Schluss mit der ganzen Sache.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Anhaltender Beifall bei der SPD – Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Vergessen Sie Köln, Wuppertal und Remscheid nicht! Wir müssen ihm noch für die letzte Rede danken! – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Schönen Dank für die Große Anfrage! – Jörg Tauss [SPD]: Stellt mal wieder eine!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1424910300
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Friedhelm Ost.


(Wolfgang Weiermann [SPD]: Der Ost gibt seine Rede jetzt zu Protokoll!)





Franz Müntefering

25345


(C)



(D)



(A)



(B)



Friedhelm Ost (CDU):
Rede ID: ID1424910400
Frau Präsidentin! Ver-
ehrte Kolleginnen und Kollegen! Nach diesen Aus-
führungen von Herrn Müntefering kann ich meine Rede
nicht zu Protokoll geben.


(Zuruf von der SPD: Erfrischende Rede!)

– Sie sagen, sie war erfrischend, aber in letzter Zeit hat er
häufiger Lücken in seiner Erinnerung. Er muss sich viel-
leicht einmal selbst eine Frischzellenkur verordnen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Lieber Herr Müntefering, was Sie bezüglich der deut-

schen Einheit hier geboten haben, war wirklich eine
Falschheit.


(Zuruf von der SPD: Das ist die Wahrheit! – Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Geschichtsklitterung!)


Es war eine Unwahrheit und Geschichtsklitterung son-
dergleichen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Sie wissen ganz genau, wie sich Willy Brandt in den letz-
ten Tagen seines Lebens über Lafontaine und viele andere
Sozialdemokraten geäußert hat. Wenn Sie es nicht mehr
wissen, fragen Sie bitte Frau Seebacher-Brandt. Sie kön-
nen sich die Welt doch nicht so machen, wie Sie wollen;
das tun Sie aber. Dass Sie den Beifall hier genießen, ist
natürlich klar. Wenn Sie nach Köln-Nippes, Köln-Ehren-
feld oder Wuppertal fahren, dann bekommen Sie keinen
Beifall mehr.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Remscheid!)


Treten Sie weiter so auf wie bisher. Sie sind die beste Wer-
benummer für Edmund Stoiber und die CDU/CSU; das
sage ich Ihnen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Diese unterschwellige Diffamierung von Ihnen ist un-
glaublich. Helmut Kohl ist der Kanzler der deutschen Ein-
heit.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und der Schwarzkonten!)


Wenn es nach Ihnen gegangen wäre, wären die Menschen
in der DDR als zweitklassig verkauft worden. Das haben
Sie doch vorgehabt. Die Abkommen über die zweite
Staatsbürgerschaft waren doch schon fertig. Das ist die
Wahrheit.


(Beifall bei der CDU/CSU – Widerspruch bei der SPD)


Herr Bundeswirtschaftsminister, wenn jemand aus der
asiatischen Region zurückkommt, dann erwarte ich, dass
er gelassener ist. Sie hingegen sind fürchterlich aufgeregt,
was ich gut verstehe.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Lachen bei der SPD)


Sie machen doch immer einen wunderbaren Jahreswirt-
schaftsbericht. Aber dies ist sozusagen eine Sekundäraus-
gabe, die offiziell gar nicht zur Kenntnis genommen wird,
noch nicht einmal von Ihren Genossen, von Ihren Freun-
den. Ich verstehe deshalb auch, warum Sie nicht in die
SPD eintreten wollen; das ist völlig klar.

In Ihrem Jahreswirtschaftsbericht steht nämlich vieles,
was wir durchaus begrüßen und wo wir gemeinsame Li-
nien entwickelt haben, was aber nie umgesetzt worden ist.
Sie sind dabei auf der klaren Linie der sozialen Markt-
wirtschaft. Dabei sind sie immer von dem Ehrgeiz beseelt,
der Ludwig Erhard dieses neuen Jahrhunderts zu werden.


(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Westentaschen-Erhard!)


Aber ich sage Ihnen: Das reicht nicht. Sie werden nie das
Maß und Format von Ludwig Erhard bekommen.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das Körpermaß wäre auch nicht so gut!)


Mit dem, was Sie heute geboten haben, werden Sie noch
nicht einmal Heinz Erhardt einholen, auch wenn Sie wei-
terhin so herumtoben.


(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die Fragen in unserer Anfrage scheinen Sie ein wenig
überfordert zu haben. Ich weiß nicht, ob es zu viele Fra-
gen waren. Aber nach dem, was der Bundeswirtschafts-
minister gesagt hat, scheint das der Fall gewesen zu sein.
Schauen Sie sich einmal die Zahlen an. Lieber Herr
Müntefering, betrachten Sie einmal die investiven Aus-
gaben im Bundeshaushalt. 1998 lagen sie noch bei
12,5 Prozent. Heute liegen sie bei 10,1 Prozent. Die Steu-
erquote liegt bei 23,1 Prozent. Wo sind denn die Riesen-
fortschritte?

Verdummen Sie doch bitte die Menschen nicht! Sie
können nur statische Rechnungen anstellen. Eine Wirt-
schaft entwickelt sich jedoch dynamisch. Wenn das Brut-
toinlandsprodukt durch kräftiges Wachstum, das Sie im-
mer ausgebremst haben, größer wird, dann können Sie die
Staatsquote zurückfahren. Das haben wir Ihnen doch vor-
gemacht. Das haben Ihnen auch die Amerikaner und die
Engländer vorgemacht. Alle haben Ihnen das vorgemacht:
Wenn das Bruttoinlandsprodukt, das heißt der Kuchen
größer wird, können Sie größere Stücke verteilen. Die
Staatsquote kann dabei allmählich zurückgeführt werden.

Hören Sie mit diesem dummen Unsinn auf, Sie müss-
ten den Rentnern oder wem auch immer 170 Milliar-
den Euro wegnehmen! Das wäre das Ergebnis Ihrer stati-
schen und rückwärts gewandten Politik. Wir hingegen
werden das mit einer wachstumsorientierten und dynami-
schen Politik anders machen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Ilse Janz [SPD]: Seiltänzerei!)


Mein Kollege Scherhag hat Ihnen bereits das Beispiel
vom Auto genannt. Sie berufen alle möglichen Kommis-
sionen, runden Tische und Bündnisse für Arbeit ein und






(C)



(D)



(A)



(B)


erklären manches zur Chefsache, weil der Reifendruck
bei Ihrem Auto nicht in Ordnung war. Dies mag alles rich-
tig sein. Schaffen Sie so viele Gremien, wie Sie wollen.
Das bringt aber die Volkswirtschaft, das Wachstum und
die Beschäftigung nicht nach vorne.

Sie können jetzt mit der Hartz-Kommission noch so
viele Dinge ändern. Mich wundert, dass Sie so viele Vor-
schläge begrüßen und von der Hartz-Kommission sozu-
sagen Wunderwerke erwarten. Sie selber haben aber doch
die Scheinselbstständigkeit im Gesetz bekämpft und ver-
boten. Jetzt auf einmal jubeln Sie über die Idee der
Ich-AG. Wie soll denn die Ich-AG aussehen? Das müssen
Sie den Menschen einmal erklären. Sie haben vorher im-
mer alles reguliert. Jetzt sagt Herr Hartz ganz klug: Das
muss alles dereguliert werden. – Sie betreiben eine schi-
zophrene Politik. Sie treten auf die Bremse, geben gleich-
zeitig Gas und erklären dann: Das Getriebe ist kaputt. Das
liegt vermutlich an der Hartz-Kommission, weil der Vor-
sitzende von einem großen Automobilhersteller kommt.

Was uns alle gemeinsam umtreiben sollte, sind Dere-
gulierung, Abbau von Bürokratie und vieles mehr. Da-
rüber können wir streiten. Das Wichtigste für die Zukunft
aber wird sein, dass wir dafür sorgen, dass unsere Volks-
wirtschaft wieder kräftig wächst.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

1 Prozent mehr Wachstum bedeuten ein um 20 Milliar-
den Euro höheres Bruttoinlandsprodukt


(Zuruf von der SPD: Schlaumeier!)

– vielleicht können Sie ja nicht rechnen – und 10 Milliar-
den Euro mehr für die öffentlichen Kassen und für die So-
zialversicherungskassen.

Sie haben immer die Grenzen des Wachstums be-
schworen, waren auf der Seite der Krisen- und Schlan-
genbeschwörer. Wir brauchen aber über einen langen
Zeitraum einen Wachstumszyklus, wie es uns die Ameri-
kaner vorgemacht haben. Ihr großer Kanzler geht zum
DGB-Kongress und sagt, dass er keine amerikanischen
Verhältnisse wolle. Warum wollen wir denn keine Wachs-
tumsraten von 4 oder 5 Prozent über zehn Jahre? Nur
Voodoo-Ökonomen sagen: Nein, das wollen wir nicht;
wir wollen lieber bei einem Nullwachstum bleiben.

Jetzt wird plötzlich von einem kräftigen Aufschwung
gesprochen: Im ersten Quartal lag das Wachstum bei mi-
nus 0,2 Prozent; das ist doch kein Wachstum und kein ge-
festigter Aufschwung. Selbst wenn Sie sich die Auf-
tragseingänge, die der Kanzler hier gestern beschworen
hat, anschauen, stellen Sie fest, dass wir zwar Gott sei
Dank einige schöne Großaufträge aus dem Ausland zu
verzeichnen haben, dass es bei den Auftragseingängen aus
dem Inland aber ein deutliches Minus gibt. Das können
Sie nachlesen. Bei der Industrie insgesamt lag das Minus
bei 3,2 Prozent; bei den Investitionsgüterbestellungen lag
das Minus sogar bei 5,8 Prozent.

Die Investitionen von heute sind die Arbeitsplätze von
morgen und die Einkommen von übermorgen. Wenn auf
diesem Gebiet ein Minus von 5,8 Prozent zu registrieren
ist, wird es kein Wachstum und keine neuen Arbeitsplätze
geben.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1424910500
Herr Kollege
Ost, gestatten Sie eine Zwischenfrage?


Friedhelm Ost (CDU):
Rede ID: ID1424910600
Ich will zum Schluss
kommen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Sie haben sich ehrgeizige Ziele gesteckt. Lieber Herr

Müntefering, Sie haben sogar entsprechende Karten
drucken lassen. Warum haben Sie sie eigentlich ein-
stampfen lassen? Der Preis für Altpapier ist zurzeit doch
gar nicht so hoch. Sie haben keinen der neun Punkte, die
Sie auf diesen Karten nennen, erfüllt. Ihre Garantie ist
nichts wert, ist ein Muster ohne Wert. Das hätten Sie sich
sparen können. Das ist aber nicht schlimm; man kann
Fehler auch einmal eingestehen.

Ich glaube, Deutschland steht an einer Wegscheide:
Entweder marschieren wir gemeinsam voran und schaffen
mithilfe der Leistungen von Arbeitern und Unternehmern
mehr Wachstum, Beschäftigung und Wohlstand und eine
Zukunftsperspektive oder wir verharren weiter in rot-grü-
ner Erstarrung mit einem Wachstum, das nahe null liegt,
immer höherer Arbeitslosigkeit, steigender Umverteilung
und ohne Zukunftsperspektive.

Ich hätte mich von Ihnen gern mit freundlicheren Per-
spektiven für uns alle, unser Land und die Menschen ver-
abschiedet. Ich habe meinen Wahlkreis Paderborn im
Deutschen Bundestag zwölf Jahre lang gerne vertreten.
Ich gebe auch zu, dass ich mit sehr vielen Kolleginnen
und Kollegen aus allen Fraktionen gut zusammengearbei-
tet habe. Vor allem in den acht Jahren, in denen ich Vor-
sitzender des Wirtschaftsausschusses war, entstanden
auch über Parteigrenzen hinweg viele Freundschaften,
von denen ich sicher bin, dass sie über die Zeit im Bun-
destag hinweg halten werden.

Ich möchte einen Wunsch äußern: Ich glaube, das Par-
lament sollte in Zukunft der Ort sein, an dem wir streiten
sollten. Über viele Ziele sind wir uns einig, vor allem in
den großen Volksparteien. Über die Wege, Mittel und In-
strumente sollte man hier ruhig streiten. Das wäre besser
als immer wieder neue Kommissionen, Gremien oder Zir-
kel einzuberufen. Die Parlamentarier – das gilt für alle
Seiten – verfügen über einen hohen Sachverstand und
viele Kenntnisse aus der Praxis. Ich glaube, so könnten
auch in Zukunft gute Lösungen für die Menschen und für
unser Land gefunden werden.


(Zuruf von der SPD: Sagen Sie das dem Ministerpräsidenten von Bayern!)


Walther Rathenau hat vor mehr als 100 Jahren hier in
Berlin einmal gesagt: „Die Wirtschaft ist unser Schicksal.“


(Ludwig Stiegler [SPD]: Die Weltwirtschaft!)

– Nein, er hat „die Wirtschaft“ gesagt. Sie sollten nicht
immer so tun, als ob Sie alles besser wüssten.


(Ilse Janz [SPD]: Aber er weiß es vielleicht besser als Sie!)





Friedhelm Ost

25347


(C)



(D)



(A)



(B)


Sie wollen doch eine neue Bildungspolitik machen: In der
Schule antwortet man auch nur, wenn man gefragt wird.


(Lachen bei Abgeordneten der SPD)

Walther Rathenau hat wörtlich gesagt: „Die Wirtschaft

ist unser Schicksal.“

(Zuruf von der PDS)


– Ich kann Walther Rathenau nur richtig zitieren, selbst
wenn Herr Stiegler meint, Walther Rathenau posthum
korrigieren zu müssen.


(Ilse Janz [SPD]: Sie sollten das vielleicht noch einmal nachlesen!)


Dieser Spruch ist nach wie vor gültig. Schicksalhafte He-
rausforderungen für unser Volk und unser Land müssen
wir gemeinsam annehmen, damit es zu einer Steigerung
von Wachstum, Beschäftigung und Wohlstand kommt.

Dazu wünsche ich allen Kolleginnen und Kollegen, die
Mitglied des nächsten Bundestages sein werden, eine
glückliche Hand und Gottes Segen.

Herzlichen Dank.

(Beifall im ganzen Hause)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1424910700
Lieber Herr
Kollege Ost, ich möchte auch Ihnen im Namen des Hau-
ses für Ihre Arbeit danken, besonders im Wirtschaftsaus-
schuss. Eine Rede mit Walter Rathenau zu beenden, ist
immer gut. Ihnen und auch Ihrer Familie wünsche ich per-
sönlich für die Zukunft alles Gute.


(Beifall)

Ich schließe damit die Aussprache. Wir kommen zur

Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion
der FDP auf Drucksache 14/9723 zu ihrer Großen An-
frage. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Ge-
genstimmen? – Enthaltungen? – Der Entschließungsan-
trag ist mit den Stimmen des ganzen Hauses gegen die
Stimmen der FDP abgelehnt worden.

Tagesordnungspunkt 21 b: Interfraktionell wird Über-
weisung der Vorlage auf Drucksache 14/8142 an die in der
Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann
sind die Überweisungen so beschlossen.

Abstimmung über den Antrag der Fraktion der
CDU/CSU mit dem Titel „Versprechungen der Bundesre-
gierung einlösen – Deutschland wieder nach vorne brin-
gen“. Wer stimmt für diesen Antrag auf Drucksache
14/9103? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der An-
trag ist mit den Koalitionsfraktionen und der PDS gegen
die Stimmen von CDU/CSU und FDP abgelehnt.

Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Aus-
schusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend auf
Drucksache 14/9657 zu dem Entschließungsantrag der
Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen
zu der Abgabe einer Regierungserklärung durch den Bun-
deskanzler mit dem Titel „Familie ist, wo Kinder sind –
Politik für ein familien- und kinderfreundliches Deutsch-
land“. Der Ausschuss empfiehlt, den Entschließungs-

antrag anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschluss-
empfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die
Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koali-
tionsfraktionen und der PDS gegen die Stimmen von
CDU/CSU und FDP angenommen worden.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 22 auf:
Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen
der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ-
NEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Einrichtung eines Registers über unzuverläs-
sige Unternehmen
– Drucksache 14/9356 –

(Erste Beratung 245. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Aussschus-
ses für Wirtschaft und Technologie (9. Ausschuss)

– Drucksache 14/9710 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Wolfgang Weiermann

Es liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion der
CDU/CSU vor. Für die Aussprache ist eine halbe Stunde
vorgesehen. – Widerspruch höre ich nicht. Dann ist so be-
schlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst der
Parlamentarische Staatssekretär Ditmar Staffelt.

D
Dr. Ditmar Staffelt (SPD):
Rede ID: ID1424910800
Frau Präsiden-
tin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Heute ha-
ben wir die Gelegenheit, ein vor vielen Jahren gestartetes
Projekt umzusetzen, nämlich in unserem Lande ein Kor-
ruptionsregister einzurichten.

In der Vergangenheit galt, dass der Wunsch nach Ein-
richtung eines solchen Registers parteiübergreifend und
– ich darf das anmerken – auch länderübergreifend be-
stand, weil es für unser Land natürlich von besonderer Be-
deutung ist, dass Unternehmen, die als unzuverlässig gel-
ten, keine öffentlichen Aufträge erhalten können. Die
Innenministerkonferenz hat uns ausdrücklich aufgefor-
dert, als Deutscher Bundestag zu handeln.

Sie wissen sehr wohl, dass in manchen unserer Bun-
desländer solche Korruptionsregister bereits heute beste-
hen. Sie haben, wie wir wissen, gute Erfahrungen damit
gemacht. Dieses Register hat sich als ein effizientes In-
strument der Korruptionsbekämpfung herausgestellt.
Deshalb wollen wir es jetzt auch für die gesamte Bundes-
republik Deutschland wirksam werden lassen und ein-
richten.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir werden deshalb die §§ 126 a und 127 des Gesetzes
gegen Wettbewerbsbeschränkungen ändern, damit die
Bundesregierung ermächtigt wird, mit Zustimmung des
Bundesrates eine Rechtsverordnung zu erlassen, die ein
solches Register dann Realität werden lässt.

Das Register selbst ist ein reines Informationsregister
über jene Unternehmen, die als unzuverlässig gelten. Es




Friedhelm Ost
25348


(C)



(D)



(A)



(B)


geht darum, dass solche unzuverlässigen Unternehmen
nicht nur in einem Bundesland oder in einem regionalen
Zusammenhang von Aufträgen ausgeschlossen werden,
sondern dass alle öffentlichen Auftraggeber in Deutsch-
land – Kommunen, Länder und auch der Bund – von der
Unzuverlässigkeit Kenntnis erhalten und damit selbst ent-
scheiden können, ob sie ein solches Unternehmen über-
haupt mit einem Auftrag versehen können.

Wenn wir über Unzuverlässigkeit und Korruption spre-
chen, dann meinen wir Bestechung, Betrug und Untreue. Ich
glaube, dass wir uns selbst einen guten Dienst erweisen,
wenn wir neben den bekannten gesetzlichen Bestimmungen
wie dem GWB und den Verdingungsverordnungen mit dem
gerade von mir beschriebenen Informationsaustausch sozu-
sagen einen Background für all diejenigen schaffen, die öf-
fentliche Aufträge erteilen, und damit helfen, dass wieder
Anständigkeit in bestimmten Bereichen unseres Landes
einkehren kann. Ich glaube, dass eine zentrale Listung un-
zuverlässiger Unternehmen beim Bundesamt für Wirt-
schaft und Ausfuhrkontrolle in Eschborn der richtige Weg
ist, dass die Anfrage für öffentliche Auftraggeber ein Muss
sein muss und dass daran niemand vorbeikommen darf.
Gleichwohl muss aber festgehalten werden, dass jeder ei-
genverantwortlich entscheiden kann, ob er die in Eschborn
registrierten Unternehmen beauftragt oder nicht. Die öffent-
lichen Auftraggeber haben also selber die Verantwortung.
Es gibt keine Vorbestimmung durch Eintrag in das Register.

Es ist darüber hinaus wichtig, festzuhalten, dass jeder,
der öffentliche Aufträge vergibt, eine sorgfältige Prüfung
vorzunehmen hat, dass aber auch jedes registrierte Unter-
nehmen die Chance hat, seinen Eintrag im Korruptionsre-
gister zu löschen, wenn es nachweisen kann, dass die Be-
anstandung, die zur Einschätzung der Unzuverlässigkeit
geführt hat, nicht stimmt. Das ist ein faires Angebot an
alle Beteiligten. Wir meinen, dass gerade diese Flexibi-
lität einen gewissen Schutz für die Unternehmen selbst
sowie für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer dar-
stellt; denn mit der Möglichkeit, Änderungen im Unter-
nehmen vorzunehmen und sich zu bewähren, wird jedem
Unternehmen, das einmal gegen Recht und Gesetz ver-
stoßen hat, die Chance zur Rehabilitierung gegeben. Das
halte ich für wichtig und in Ordnung. Wenn kein entspre-
chender Nachweis erbracht werden kann, wird die Lis-
tung drei Jahre dauern.

Nun haben einige erbitterten Widerstand gegen das
Korruptionsregister geleistet. Die Sorge war groß, es
werde nach Einführung eines solchen Registers in be-
stimmten Branchen, speziell in der Bauwirtschaft, im Ein-
zelfall keine öffentlichen Aufträge mehr geben. Ich kann
nur sagen: Das ist richtig. Das ist übrigens der Sinn des
Korruptionsregisters. Wir wollen doch eines festhalten:
Deutschland hat sich im Vergleich zu anderen Ländern
viele Jahre als korruptionsunanfällig dargestellt. Inzwi-
schen wissen wir aufgrund der vielen durchgeführten
Kontrollen – egal ob es um Schwarzarbeit, um das Unter-
laufen von Tarifen oder um Bestechung geht –, dass sich
die Situation in Deutschland in den letzten Jahren leider
Gottes ganz erheblich verändert hat. Jeder Marktwirt-
schaftler wird sagen: Gerade Korruption ist der Feind
des Marktes und des Wettbewerbs sowie auch aus der

Sicht ausländischer Investoren ein schwerer Nachteil für
einen Wirtschaftsstandort.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)


Deshalb wollen wir mit dem Korruptionsregister auch ei-
nen Beitrag dazu leisten, dass der ehrbare Kaufmann und
der ehrbare Handwerksmeister in unserem Land nicht von
denjenigen vom Markt verdrängt werden, die sich nicht
mehr an Recht und Gesetz halten wollen. Das ist die Auf-
gabe des Gesetzgebers und der Bundesregierung.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Dieses Gesetz, verbunden mit der Verordnung, ist ein
wirklich angemessenes Mittel. Die Expertenanhörung hat
das bestätigt. Die Meinung der Bundesländer hierzu war,
jedenfalls noch bis vor kurzem, sehr positiv. Sowohl die
A- als auch die B-Länder sollten die Einigkeit nicht auf-
geben. Meine Bitte an Sie alle ist, ein solch wichtiges Ge-
setz nicht wegen der bevorstehenden Bundestagswahl
und wegen möglicherweise vorhandenen parteipoliti-
schen Wahlkalküls zu blockieren. Ich hoffe das auch im
Hinblick auf den Bundesrat, dessen Zustimmung zur Ver-
ordnung ja notwendig ist. Wir alle sollten uns in den
Dienst der Korruptionsbekämpfung stellen. Damit tun wir
der Wirtschaft in unserem Land einen guten Dienst.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS sowie bei Abgeordneten der FDP)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1424910900
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Hartmut Schauerte.


(Wolfgang Weiermann [SPD]: Der sieht schon richtig nachdenklich aus!)



Hartmut Schauerte (CDU):
Rede ID: ID1424911000
Frau Präsidentin!
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Es ist
eigentlich schade, dass Herr Müntefering nicht noch die
paar Minuten gehabt habt, um an dieser Debatte teilzu-
nehmen. Wir führen die Debatte über dieses schwerwie-
gende und notwendige Vorhaben zu diesem Zeitpunkt, in
dieser Hektik letztlich wegen der Entwicklung in Köln
und Solingen, die uns alle erschreckt hat.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann stimmen Sie mal zu!)


Er war dort Landesvorsitzender und hätte gut zuhören sol-
len, um zu erfahren, welche Probleme das alles bereitet
und wie wir nun damit umgehen wollen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Klaus Wiesehügel [SPD]: Was war denn in Solingen?)


Die Korruption ist kein Kavaliersdelikt. Sie ist ein un-
erträgliches Übel. Sie muss wirksam bekämpft werden.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr richtig!)





Parl. Staatssekretär Dr. Ditmar Staffelt

25349


(C)



(D)



(A)



(B)


Wir haben das auch international getan, als klar war – das
war immer die Linie der CDU –, dass wir es international
durchsetzen können. Ich darf noch einmal daran erinnern:
Wir waren seinerzeit etwas reserviert. In einer Zeit, in der
alle Welt um uns herum korrumpiert und Aufträge über
Bestechung geholt hat – das war das Problem –, konnten
wir im Interesse von Arbeitsplätzen in Deutschland nicht
allein in die Welt treten und sagen: Mit uns unter keinen
Umständen mehr! – Als durch Transparency International
der Durchbruch kam, haben wir einvernehmlich gesagt:
Jetzt können wir endlich weltweit die Korruption
bekämpfen.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bei Ihnen konnte man das von der Steuer abziehen!)


Nun müssen wir im Inland sehen, was zusätzlich getan
werden kann und getan werden muss, um die Korruption
zu bekämpfen. Sie ist ein permanenter latenter, nicht zu
akzeptierender Verstoß gegen die Regeln der sozialen
Marktwirtschaft. Sie bestraft rechtschaffene Unterneh-
men. Sie bestraft alle die, die sich an Gesetz und Ordnung
halten. In dieser Beurteilung und in der Suche nach pas-
senden, zielführenden und wirkungsvollen Antworten las-
sen wir uns von niemandem überholen. Damit ist es uns
ganz Ernst.

Doch was machen wir hier? – Wir machen in ganz
großer Geschwindigkeit,


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Weil die Zeit drängt!)


ohne Anhörung von Sachverständigen, nicht ein Antikor-
ruptionsregister, wie es ursprünglich hieß, sondern ein
Register über unzuverlässige Unternehmen. Dazwischen
können Welten liegen. Das eine ist wirklich konzentriert
die massive Bekämpfung von Korruption ohne jede
Scheu. In Ihrer Vorlage aber steht sinngemäß „Unzuver-
lässige Unternehmen sind insbesondere ... “. Der Kata-
log, in dem schon jetzt zehn bis zwölf Straftatbestände
aufgelistet sind, ist beliebig erweiterbar. Am Ende dieser
Aufzählung steht sinngemäß, dass im Einzelfall auch
noch andere Verhaltensweisen zur Eintragung in die Liste
führen. Das heißt, Sie setzen die Unternehmen in
Deutschland im Prinzip der Gefährdung aus, in dieses Re-
gister aufgenommen zu werden. Das ist breit gestreut,
nicht mehr zu bremsen und weit weg von Korruptionstat-
beständen.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das steht doch nur in der Begründung!)


– Herr Ströbele, als Jurist wissen Sie aber doch, dass die
Begründung bei der Interpretation eines Gesetzes nicht
unwichtig ist. Streichen Sie es heraus!

Das war auch genau der Ansatz der B-Länder im Bun-
desrat. Sie haben gesagt: Wir möchten es auf das Korrup-
tionsregister konzentriert haben und wir möchten auch die
Begründung des Gesetzentwurfs auf Korruption konzen-
triert haben. – Sie lehnen das ab. Ich verstehe das nicht. Da
Sie das ablehnen, besteht die Gefahr, dass dieser Gesetz-
entwurf so nicht verabschiedet wird. Die B-Länder werden

ihre Linie konsequent verfolgen. Wir können die Unter-
nehmer in Deutschland nicht unter einen Generalverdacht
stellen, indem sie kollektiv der Gefahr ausgesetzt sind, in
einem Register über unzuverlässige Unternehmen zu ste-
hen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Mit einem solchen Register wären nicht nur Gefähr-

dungen für betroffene Unternehmer oder Geschäftsführer
verbunden; wir operieren vielmehr an einem zentralen
Punkt der deutschen Volkswirtschaft. Herr Wiesehügel,
durch das von Ihnen geplante Vorgehen werden Tausende
von Arbeitgebern in Kollektivhaft genommen. Denn Un-
ternehmen, die in hohem Maße auf die Vergabe öffentlicher
Aufträge angewiesen sind, werden vom Markt verdrängt.
Ein solcher Ausschluss wirkt – so soll es wohl sein – wie
ein Fallbeil.

Wenn beispielsweise bei Trienekens plötzlich
4 000 Arbeitsplätze in Gefahr wären, dann würde die Lan-
desregierung beschließen, das Unternehmen durch eine
Landesbürgschaft zu retten. So geht es doch nicht. Was
machen Sie mit Unternehmen wie Siemens? Wen wollen
Sie da ins Register stellen? Immer nur die Unterabtei-
lung? Oder den Konzern? Was machen Sie mit Unterneh-
men wie VW?


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das haben wir doch alles erörtert!)


Es geht nicht nur um Korruption. Nehmen wir den Tat-
bestand „Verstöße gegen das Wettbewerbsrecht“. VW ist
von der Europäischen Kommission wegen Verstoßes ge-
gen das Kartellgesetz zweimal zu vielen Hundert Milli-
onen DM Strafe rechtswirksam verurteilt worden. Was
machen Sie mit so einem Unternehmen? Lassen Sie die
Großen laufen und hängen Sie die Kleinen? Wie soll das
ablaufen? Was machen Sie mit der Telekom? Das Kartell-
amt führt gerade wieder ein Verfahren durch. All das ha-
ben Sie in Ihrem übereilten, nicht konzentrierten und ver-
fassungsrechtlich nicht durchhaltbaren Gesetzentwurf
nicht beachtet.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Wir können Ihrem Gesetzentwurf nicht zustimmen.

Wir müssen in dieser Situation nämlich die betroffenen
Arbeitsplätze schützen. Gehen Sie zielgenau und wir-
kungsgerecht vor, aber bitte nicht mit der Schrotflinte!
Man darf es nicht in das Benehmen irgendeines Beamten
stellen, wer in dieses Register kommt und wer nicht.

Ein solches Register wirkt auf Gewerbefreiheit und
Arbeitsplätze einschneidender als manches Strafgesetz;
denn falsches Vorgehen kann Existenzen vernichten.
Ohne die Garantie eines rechtlich einwandfreien Ver-
fahrens kann man die Verantwortung für ein solches Ge-
setz nicht übernehmen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Es reicht nicht, ein Generalgesetz zu verabschieden, das
sozusagen in jede Himmelsrichtung geöffnet ist: in Rich-
tung gesamtes Strafrecht, in Richtung gesamtes Wettbe-
werbsrecht und in Richtung gesamtes Ordnungsrecht. In




Hartmut Schauerte
25350


(C)



(D)



(A)



(B)


Ihrem Gesetz ist keine vernünftige Grenze vorgesehen.
Ich warne Neugierige.

Ich kann nur wiederholen: Passen Sie auf! Nehmen Sie
eine Konzentration vor! Nehmen Sie unsere Ansätze
ernst! Vielleicht besteht die Möglichkeit, über den Bun-
desrat Änderungen vorzunehmen. Versuchen Sie in der
nächsten Runde, sich darauf zu konzentrieren, wirklich
die Korruption zu bekämpfen! Wenn Sie das tun, dann
können wir noch vor der Wahl etwas machen. Sollten Sie
nicht den von mir beschriebenen Weg gehen, dann werden
wir nach der Wahl ein vernünftiges, rechtlich einwand-
freies Gesetz verabschieden.

Ich möchte dem staunenden Publikum hier beschrei-
ben, in welcher Hektik dieser Gesetzentwurf zustande ge-
kommen ist. Am letzten Freitagmorgen um halb zwei
habe ich hier als Einziger – alle anderen hielten es nicht
mehr für wichtig – zu diesem Thema eine einsame Rede
gehalten.


(Dr. Ditmar Staffelt, Parl. Staatssekretär: Ich war dabei!)


– Ja, Herr Staffelt, Sie waren wirklich dabei. Das war auch
eine Freude. – Am nächsten Morgen, also am Freitagmor-
gen desselben Tages, haben wir im Ausschuss um neun
Uhr beschlossen, eine Anhörung zu diesem Thema
durchzuführen. Um elf Uhr mussten wir die Namen derer,
die wir anhören wollten, nennen. Am Montagmittag um
zwölf Uhr mussten die Gutachter, aus der ganzen Bun-
desrepublik und aus Europa eingeladen, angereist sein,
um uns zu sagen, was sie von einem Gesetz halten, das sie
bis dahin nicht kannten. Das nennen wir seriöse Rechts-
beratung in schwierigstem Gelände.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das steht doch schon im Tariftreuegesetz alles drin!)


Was dort geschehen ist, ist unverantwortlich.
Ich kann der Koalition nur bescheinigen: Dies war das

schnellste Anhörungsverfahren in der Geschichte der
Bundesrepublik Deutschland und natürlich auch das er-
gebnisloseste. Es gab Sachverständige, die gar nicht
wussten, worum es ging. Sie mussten ihre Nachbarn um
die Vorlage bitten, um Fragen beantworten zu können. Es
war wirklich unerträglich. Man konnte sich bei den Sach-
verständigen für diese Art des Verfahrens nur entschuldi-
gen. Man musste ihnen herzlich danken, dass sie diese
Mühe auf sich genommen hatten.

Das, was bei dieser Anhörung herauskam, war verhee-
rend. Professor Battis von der Humboldt-Universität, ein
wirklich anerkannter Staats- und Verfassungsrechtler, hat
in einer Eindeutigkeit, wie ich es in meinen mittlerweile
22 Jahren Parlamentserfahrung in Düsseldorf und in Bonn
noch nicht erlebt habe, erklärt: Er müsse das gar nicht be-
gründen; das sei schlicht und ergreifend offen verfas-
sungswidrig.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum hat er das gesagt? Er will überhaupt kein Korruptionsregister!)


Sie wollen die Leute zum Beispiel ohne rechtskräftige
Verurteilung in einem Register aufführen. Sie machen

überhaupt keinen Vorschlag dazu, wer denn entscheiden
soll, ab wann jemand in das Register kommt.

Es ist natürlich auch eine sehr spitzfindige Geschichte,
wenn Sie hingehen und sagen, die Aufnahme in das Re-
gister sei keine Bestrafung. Das ist sicher altes, klassi-
sches, römisch-rechtliches juristisches Denken. Aber die
Wirkung der Maßnahme bei den Menschen ist ja viel um-
fassender – ich habe es vorhin gesagt – als eine Strafe.
Deswegen können wir uns nicht formal zurückziehen und
sagen, dass überhaupt nichts passiert. Nein, es werden
Existenzen vernichtet; es werden eine Vielzahl von Ar-
beitsplätzen von Unschuldigen betroffen sein; Arbeitneh-
merinnen und Arbeitnehmer, die daran nichts ändern
konnten, werden in Kollektivhaftung genommen werden.
Das ist in der Wirkung schlimmer und heftiger als jedes
Bußgeld einer Kartellbehörde. All diese Fragen sind nicht
sorgfältig gelöst. So geht das nicht.


(Wolfgang Weiermann [SPD]: Der Unternehmer muss doch erst einmal korrupt sein!)


– Ja, gut, es ist immer die Frage, wer denn korrupt sein
muss, damit das ganze Unternehmen in ein solches Regis-
ter aufgenommen wird.

Ich darf noch einmal einen kurzen Hinweis auf Hessen
geben. Wenn Sie genau hinschauen, werden Sie feststel-
len, dass in der hessischen Regelung die ausufernden
Klauseln wie „insbesondere“ und „weiteres“ nicht enthal-
ten sind. Die hessische Regelung ist sehr präzise. Sie ist
deswegen nicht völlig in Ordnung. Wir müssen darüber
reden, ob das in Hessen so bleiben kann. Wir werden
gründliche Beratungen durchführen, bevor ein Korrupti-
onsregister aufgestellt wird, das dann auch bundesweite
Auswirkungen hat. Die Idee für das Gesetz in Hessen, auf
das Sie sich berufen


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist kein Gesetz, sondern ein Runderlass!)


– natürlich, Runderlass –, stammt aus dem Jahre 1995 und
die entsprechende Regelung wurde 1997 von der rot-grü-
nen Landesregierung in Hessen festgeschrieben. Das
muss kein leuchtendes Vorbild für uns sein.

Ich fordere Sie auf: Werden Sie vernünftig, beschrän-
ken Sie die Sache auf das Wesentliche, konzentrieren Sie
sich auf Korruptionsbekämpfung! Dann können wir das
noch vor der Wahl umsetzen. Wenn Sie das nicht machen,
werden Sie hier vielleicht eine Mehrheit, aber im Bun-
desrat ganz bestimmt keine Mehrheit erhalten. Wir wer-
den dann nach der Wahl mit der nötigen Ruhe und Sach-
lichkeit dieses Gesetz auf den Weg bringen, um
Korruption dauerhaft, wirksam und mit breiter Akzeptanz
bekämpfen zu können.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Klaus Wiesehügel [SPD]: Da haben die korrupten Unternehmen noch einmal Glück gehabt!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1424911100
Das Wort hat der
Abgeordnete Hans-Christian Ströbele.




Hartmut Schauerte

25351


(C)



(D)



(A)



(B)



(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

legen! Alle sind sich einig: Wir müssen etwas gegen die
Korruption in diesem Lande tun. Wir verlangen das von
anderen Ländern, so in Afrika, in Lateinamerika und in
Asien. Dann müssen wir auch etwas bei uns dagegen tun.
Wir können Korruption wirksam bekämpfen, wenn wir
endlich bundesweit ein Antikorruptionsregister ein-
führen. Das ist richtig und notwendig. Das muss so
schnell wie möglich geschehen. Wir haben gar keine Zeit
mehr und müssen da jetzt handeln. So weit, so gut.

Wir machen jetzt ein Gesetz. Das Ziel des Gesetzes ist
gut; das wird, wie ich glaube, von allen anerkannt. Ich
gebe Ihnen Recht: Leider ist das Gesetz nicht ganz so gut.
Trotzdem bin ich dafür, dass wir dieses Gesetz heute ver-
abschieden, denn das Gesetz hat einen höheren Stellen-
wert als die Runderlasse, die es in Baden-Württemberg, in
Bayern, in Hessen und in Nordrhein-Westfalen gibt und
für die überhaupt keine gesetzliche Grundlage besteht.
Wir schaffen hier eine gesetzliche Grundlage, damit die
Bundesregierung eine entsprechende Verordnung über ein
in der ganzen Bundesrepublik geltendes Antikorruptions-
register erlassen kann.

Ich sehe, dass es da eine ganze Reihe von rechtlichen
Problemen gibt. Da muss man in Zukunft, vielleicht in der
nächsten Wahlperiode, nachbessern. Man muss das aber
jetzt angehen. Ich sehe vor allen Dingen das Problem
– das hat auch der Bundesbeauftragte für Datenschutz kri-
tisiert –, dass man in das Recht auf informelle Selbstbe-
stimmung eingreifende Regeln nicht auf dem Ver-
ordnungsweg erlassen kann, sondern hierfür eine
gesetzliche Grundlage nötig ist. Wir müssen das also noch
etwas detaillierter ins Gesetz hineinschreiben. Aber auf
dieser gesetzlichen Grundlage könnte schon einmal eine
entsprechende Verordnung erlassen werden.

Herr Schauerte, die Bedenken, die Sie vorgebracht ha-
ben, ziehen gar nicht. Herr Battis hat tatsächlich gesagt,
dass das verfassungswidrig ist, denn er will überhaupt
kein Antikorruptionsregister haben, jedenfalls keines, das
bereits ohne eine rechtskräftige Verurteilung wirkt.

Ich sage Ihnen: Wenn wir auf die rechtskräftige Ver-
urteilungwarten, dann müssen wir in Kauf nehmen, dass
ein solches Unternehmen unter Umständen nicht nur wei-
tere Monate, sondern viele weitere Jahre am Markt ist,
ohne dass es in ein solches Register aufgenommen wird,
denn das kann sehr lange dauern. Es ist doch überhaupt
nicht einzusehen, warum man ein Unternehmen, bei dem
beispielsweise der Geschäftsführer oder eine andere han-
delnde Person offen oder gegenüber der Staatsanwalt-
schaft zugegeben hat, dass man bestochen hat, dass man
strafbare Vorteile gewährt und Geld zugewendet hat, wei-
terhin auf dem Markt lässt, es mit öffentlichen Aufträgen
füttert und am Leben erhält. Das kann doch nicht richtig
sein. Es muss auch schon jetzt, wenn keine vernünftigen
Zweifel an einer solchen Verfehlung bestehen, möglich
sein, ein solches Unternehmen in ein Antikorruptionsre-
gister aufzunehmen. Alles andere würden der Bürger und
die Bürgerin im Lande nicht verstehen.

Das wird auch schon praktiziert. Die Formulierungen
sind wörtlich aus den Runderlassen übernommen, die in

Kraft sind. Auch dort ist eine entsprechende Regelung
enthalten. Das wird in Hessen – wir haben uns darüber
informieren lassen – sehr vorsichtig praktiziert. Die Fir-
men, die in Betracht kommen, werden angehört, bevor sie
in ein solches Register kommen, und haben darüber hi-
naus die Möglichkeit, eine solche Eintragung zu umge-
hen, indem sie Konsequenzen ziehen, indem sie die Ge-
schäftsführung, die solche Korruption praktiziert hat,
oder andere entsprechend Handelnde aus dem Verkehr
ziehen, aus dem Unternehmen entlassen. Sie können in ei-
nem solchen Verfahren eine ganze Reihe von Möglich-
keiten nutzen, um zu vermeiden, dass sie in ein solches
Register aufgenommen werden.

So, wie das in Hessen, Nordrhein-Westfalen und ande-
ren Bundesländern praktiziert wird, soll das jetzt auch auf
Bundesebene angegangen werden. Voraussetzung dafür
ist, dass wir dieses Gesetz verabschieden. Das Gesetz ist
in seiner Sprache sehr dürftig, es ist sehr kurz gefasst; aber
das Entscheidende wird in der Rechtsverordnung stehen,
die die Bundesregierung auf dieser Grundlage erlässt.

Ich kann Ihnen nur sagen: Wenn Sie diesem Gesetz hier
widersprechen und versuchen, im Bundesrat entgegen der
Praxis der Länder zu stimmen – wenn also beispielsweise
Hessen dagegen stimmt, obwohl dort täglich eine solche
Regelung praktiziert wird –, dann setzen Sie sich dem
dringenden Verdacht aus, dass Sie Korruption in der Bun-
desrepublik Deutschland im Grunde genommen gar nicht
bekämpfen wollen, sondern die Unternehmen, die Kor-
ruption praktizieren, so weitermachen lassen wollen.
Dann bleiben Sie die Partei, die den Geruch der Korrup-
tion weiter an ihren Hacken haben wird.


(Elmar Müller [Kirchheim] [CDU/CSU]: Das sagt ein Vorbestrafter!)


Deshalb geben Sie sich einen Ruck und stimmen Sie
hier zu und sagen das auch den Ländern, in denen Sie in
der Regierung sind!


(Beifall bei der SPD)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1424911200
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Gudrun Kopp.


Gudrun Kopp (FDP):
Rede ID: ID1424911300
Frau Präsidentin! Sehr geehrte
Herren und Damen! Auch die FDP ist wild entschlossen,
gegen Korruption vorzugehen. Das ist überhaupt keine
Frage.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der SPD)


In dem Ziel sind wir uns alle einig. Aber Sie muten uns
hier einen Gesetzentwurf zu, dem wir nicht zustimmen
können. Herr Ströbele, Sie haben völlig Recht: Dieses Ge-
setz ist mehr als dürftig.


(Beifall bei der FDP)

Es öffnet Willkür Tür und Tor, es ist eine Willkürgesetz-
gebung,


(Beifall bei der FDP)

die auch noch als Schnellschuss auf den Weg gebracht
wird.






(C)



(D)



(A)



(B)


Sie überlassen dem weiteren Verfahren die Verabschie-
dung einer Verordnung – was allerlei Missbrauch Tür und
Tor öffnet. Dieses schwammige, ungenaue Gesetz ist so-
gar geeignet, unser Rechtsstaatssystem ins Schwanken zu
bringen, wenn – wie Sie das wollen – zum Beispiel ein
Vergabebeamter vor Ort in der Kommune darüber ent-
scheiden kann, ob ein Unternehmen ohne rechtskräftige
Verurteilung in ein solches Register gelangt oder nicht.
Das ist ein Bruch mit unserem Rechtssystem.


(Beifall bei der FDP)

In Deutschland gilt nämlich immer noch die Unschulds-
vermutung bis zum Beweis des Gegenteils. Dieses Prin-
zip kehren Sie um, was ich für höchst problematisch halte.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: In Hessen machen Sie alle mit! Sie sind doch da in der Regierung!)


Herr Ströbele, wissen Sie, was hinter der im Gesetz
enthaltenen Rechtsverordnung steckt? Die Verwendung
der mithilfe dieser Verordnung gewonnenen Informatio-
nen ist die schärfste Waffe, die die Kommunen gegen die
Wirtschaft richten können.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!)


Dieses Gesetz und diese Verordnung sind geeignet, Fir-
men und Einzelpersonen auf bloßen Verdacht hin zu dif-
famieren. Ich gebe heute zu Protokoll, dass das mehr als
schlimm ist.


(Beifall bei der FDPund der CDU/CSU – HansChristian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum praktizieren Sie das in Hessen? Sagen Sie einmal ein Wort dazu!)


Dieses Gesetz, das – wie Herr Schauerte eben ganz
richtig bemerkte – auf den letzten Metern quasi im
Schweinsgalopp durch das Parlament gebracht wird, hat
in der Anhörung eine eindeutige Abfuhr erfahren.


(Wolfgang Weiermann [SPD]: Das ist nicht wahr!)


Keiner meiner Vorredner hat erwähnt, dass es für wegen
Korruption rechtskräftig verurteilte Firmen und Personen
schon jetzt ein Bundeszentralregister und ein Gewerbe-
zentralregister gibt. Der Korruption überführte Firmen und
Unternehmer werden bereits heute in diese Register ein-
getragen. Es sollte üblich sein – und ist es auch –, dass die
öffentliche Hand vor der Auftragsvergabe in diese Register
hineinschaut und sich informiert. Es mag ja sein, dass man
die bestehenden Register ergänzen kann. Aber mit diesem
neuen Gesetz wird ein völlig anderer Rechtsbegriff auf den
Weg gebracht. Das ist wirklich katastrophal.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Da Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD
und den Grünen, mir nicht glauben, möchte ich einmal
den Kollegen Dr. Uwe Jens von der SPD zitieren,


(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Das ist ein Kronzeuge!)


den ich menschlich und aufgrund seines Sachverstandes
sehr schätze.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Dr. Ditmar Staffelt, Parl. Staatssekretär: Wir auch!)


Der Kollege Jens hat davon gesprochen, dass in Zukunft
neben der Macht der Konzerne auch die Macht der öf-
fentlichen Hand offenbar werden wird, weil sie zukünf-
tig bestimmen kann, über wen ein Urteil gesprochen wird.
Wir von der FDP sind der Ansicht, dass allein die Macht
des Rechts ausschlaggebend sein darf. Wir sind dafür,
dass rechtsstaatliche Mindeststandards eingehalten wer-
den müssen.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist selbstverständlich!)


Das muss der Maßstab bei der Korruptionsbekämpfung
sein.

Wir werden gerne bei der Verbesserung der Korrupti-
onsbekämpfung helfen. Aber ein solches Gesetz zu ver-
abschieden, von dem Sie, Herr Ströbele, eben noch sag-
ten, es müsse nachgebessert werden,


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Richtig!)


ist unsinnig. Wir haben in dieser Legislaturperiode schon
öfter die Erfahrung gemacht, dass sich Gesetz für Gesetz
als untauglich erwiesen hat. Sie sollten nicht auf den letz-
ten Metern ein Gesetz auf den Weg bringen, von dem wir
schon heute wissen, dass es mehr Schaden als Nutzen
bringen wird.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Daher werden wir als FDP einem solchen Vorhaben natür-
lich nicht zustimmen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Wolfgang Weiermann [SPD]: Das aber wild entschlossen! – Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Am Abend wird der Faule fleißig, liebe Kollegen von der SPD!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1424911400
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Rolf Kutzmutz.


Rolf Kutzmutz (PDS):
Rede ID: ID1424911500
Frau Präsidentin! Liebe Kolle-
ginnen und Kollegen! Ein Teil der Aufregung ist nur
schwer zu verstehen. Herr Schauerte, Sie haben mit aller
Intensität geschildert, wie Sie ganz allein mit dem Herrn
Staatssekretär nachts diskutiert haben. Sie haben aber ver-
gessen, mitzuteilen – das sollen die Menschen auch er-
fahren –, dass wir uns einen Teil dieser Aufregung hätten
ersparen können, wenn Sie im Bundesrat nicht gegen das
Tariftreuegesetz gestimmt hätten.


(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der SPD)


Worüber wir heute diskutieren, ist ein Teil des Tariftreue-
gesetzes. Man muss schon feststellen, dass wir weiter sein
könnten.




Gudrun Kopp

25353


(C)



(D)



(A)



(B)



(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Wir wollten das Vermittlungsverfahren! Das ist von den ALändern abgelehnt worden!)


Ich will es wiederholen: Es geht hier um eine Rechts-
grundlage für ein Informationsinstrument über Unzuver-
lässigkeit von Unternehmen. Es geht noch nicht um ein
Sanktionsinstrument; denn die Entscheidung, ob ein Un-
ternehmen für einen konkreten Auftrag als unzuverlässig
anzusehen ist, bleibt weiter beim Auftraggeber.

Wer könnte eigentlich etwas dagegen haben, dass agie-
rende Unternehmen, die unzuverlässig sind, durch eine ent-
sprechende Information von öffentlichen Aufträgen ausge-
schlossen werden? Ich sage es immer wieder: Es geht um
öffentliche Aufträge. Ich verstehe nicht, warum die öffent-
liche Hand Aufträge an jemanden vergeben soll, von dem
sie betrogen worden ist. Das ist schwer nachvollziehbar.
Wenn man das im privaten Bereich tut, ist das eine andere
Sache. Aber die öffentliche Hand sollte anders vorgehen.


(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der SPD)


Eine Zuverlässigkeitsprüfung liegt im Interesse der
Steuerzahler. Denn für sie wird Kriminalität letztlich teuer.
Auch liegt sie im Interesse der ehrlichen Unternehmen;
denn sie würden so leichter an Aufträge herankommen.

Wenn man sich mit Unternehmern unterhält, dann stellt
man manchmal fest – auch bei Ihnen, Herr Schauerte,
hatte ich ein bisschen diesen Eindruck; ich unterstelle Ih-
nen das aber nicht, sondern will darauf hinweisen, wie
dies bei Außenstehenden ankommt –: Offenbar gibt es nur
noch zwei Kategorien von Unternehmen, dumme und
kriminelle. Damit die ehrlichen nicht weiter die dummen
sind, brauchen wir ein Register über unzuverlässige Un-
ternehmen.


(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der SPD – Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Ein richtiges Register! Kein falsches!)


Wenn in diesem Zusammenhang Nachbesserungen erfor-
derlich sein sollten, dann müssen wir sie durchführen.

Richtig ist auch: Der Eintrag in ein solches Register ist
ein schwerwiegender Eingriff in die Gewerbebetriebe.
Darauf haben Sie von der CDU/CSU hingewiesen; auch
ich sehe das so. Aber die weitere Duldung von Korruption
wäre unverantwortlich. Für uns ist dieses Gesetz ein ers-
ter bescheidener präventiver Schritt zur Bekämpfung von
Korruption und anderen Delikten rund um öffentliche
Aufträge.

Seine präventive Wirkung – um sie geht es zualler-
erst, nicht um die unmittelbare Sanktion – hängt aber
letztlich – da stimme ich Ihnen wieder zu – von der kon-
kreten Ausgestaltung ab. Wir appellieren deshalb an die
Bundesregierung und den Bundesrat, in der Verordnung
folgende Aspekte zu berücksichtigen:

Erstens. Für die Betroffenen, soweit sie nicht rechts-
kräftig verurteilt worden sind, muss ein Rechtsweg zur
Überprüfung der Aufnahme in ein solches Register vor-
handen sein.

Zweitens. Es muss die Möglichkeit zur Streichung aus
dem Register gegeben sein, sobald das Unternehmen die

Abstellung seiner Unzuverlässigkeit – aber wirklich erst
dann! – nachgewiesen hat. Die jetzt erwogene Dreijah-
resfrist nach Aufnahme in das Register ist rechtsstaatlich
zumindest bedenklich. Zudem ist die Präventivwirkung
fragwürdig. Wenn man ohnehin eine bestimmte Zeit im
Register bleibt, warum sollte man dann sein Verhalten
schnell oder überhaupt ändern? Nach drei Jahren wird
man sowieso aus dem Register gestrichen.

Drittens. Um Missbrauchsmöglichkeiten unter Kon-
kurrenten auszuschließen, sollte die wieder erlangte Zu-
verlässigkeit von einer unabhängigen Stelle nachgewie-
sen und nicht nur in das Ermessen des ursprünglichen
ausschließenden Auftraggebers gestellt werden.

Es gibt in der Bundesrepublik Deutschland Erfahrun-
gen damit, wie man auf diesem Gebiet vorgehen kann.
Hessen ist in diesem Zusammenhang mehrfach angespro-
chen worden. Ich meine, es ist wichtig, diese Erfahrungen
zu nutzen und etwas Gutes zu gestalten.

Danke schön.

(Beifall bei der PDS und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1424911600
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Klaus Wiesehügel.


Klaus Wiesehügel (SPD):
Rede ID: ID1424911700
Frau Präsidentin! Meine
sehr geehrten Damen und Herren! Was mich mitunter
stört, ist die beschränkte Wahrnehmungsfähigkeit.


(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Das ist Ihr Markenzeichen! – Gudrun Kopp [FDP]: Die stört mich auch!)


Wenn Ihnen, Herr Schauerte, bei Fragen der Korruption
Köln und Solingen einfallen, dann frage ich mich: Was
war denn in Solingen? In Köln ist die Situation klar.
Da haben ehemalige Parteimitglieder der SPD, Norbert
Rüther und andere, korrupte Handlungen betrieben. Dafür
sitzen sie zu Recht im Knast.

Darauf weisen Sie immer gerne hin. Aber dass Reiner
Schreiber, der Fraktionsvorsitzende der CDU nebenan, in
Bonn, wegen dergleichen Vorwürfe im Knast sitzt, das
unterschlagen Sie hier im Hause jedes Mal.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Das nenne ich beschränkte Wahrnehmungsfähigkeit. Für
mich ist das ein unlauterer Umgang mit solchen Angele-
genheiten.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Friedhelm Julius Beucher [SPD]: Die Kölner kommen noch dazu!)


Es ist schon ein starkes Stück, dass Herr Schauerte da-
rüber jammert, dass der vorliegende Gesetzentwurf in
kurzer Zeit durchgepeitscht werden soll, und er diesem
Hohen Hause dabei nicht sagt, dass wir über den gleichen
Tatbestand schon einmal in erster, zweiter und dritter Le-
sung beschlossen hatten. Dass das Tariftreuegesetz nicht
angenommen wurde, das ist, Herr Schauerte, ein starkes




Rolf Kutzmutz
25354


(C)



(D)



(A)



(B)


Stück gewesen. Hier scheint es Parallelen zu anderen Vor-
gängen zu geben. Ich vermute, auch in der Diskussion
über den jetzigen Gesetzentwurf wird es mit dem Hinweis
darauf, dass man dessen Verabschiedung im Bundesrat
blockieren wird, diese Parallelen geben.

Was beim Tariftreuegesetz, das die Überschrift für die
Einführung eines Korruptionsregisters war, passiert ist,
dazu sollte man schon einmal zwei Takte sagen, um die
Situation zu verdeutlichen. Nachdem Sie, obwohl einige
der Bundesländer, in denen Sie regieren, zum Beispiel
Bayern, Ähnliches beschlossen haben, dieses Gesetz zu
Fall gebracht haben, bin ich – denn Herr Stoiber hat ge-
sagt, vielleicht finde sich ja noch eine Lösung; das größte
Problem schien wohl die Bindung der ostdeutschen Bau-
unternehmer an den Tarifvertrag zu sein – in die Bayeri-
sche Staatskanzlei gefahren, obwohl mich viele meiner
Kolleginnen und Kollegen aus der SPD davor gewarnt ha-
ben: Mach Stoiber bloß nicht öffentlich doch noch zum
Retter des Tariftreuegesetzes! Mir ging es aber um die Sa-
che und deshalb bin ich dort hingefahren.


(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Das ist eine sehr interessante Feststellung! Wer hat das denn gesagt?)


– Hören Sie doch einmal weiter zu, bevor Sie sich hier wie
ein Pfau aufspielen!


(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Wer war das denn?)


Wissen Sie, was mir dort gesagt worden ist? – Es hieß,
wir könnten einmal sehen, ob wir im Vermittlungsaus-
schuss einen Kompromiss finden. Wir haben also im Ver-
mittlungsausschuss einen Kompromiss gesucht, aber
nachdem einer drohte – ich war ja sehr wohl kompromiss-
bereit und hatte mittlerweile viele andere dazu bewegt, ei-
nen Kompromiss zu suchen –, hieß es plötzlich: Wir müs-
sen den ÖPNV herausnehmen; er hat in diesem Gesetz
nichts zu suchen. Das ist für uns ausschlaggebend für ei-
nen Kompromiss. – Es gab eine völlige Umkehr in der
Diskussion, nur um nicht zustimmen zu müssen und
auf der Argumentationslinie zu bleiben. Vonseiten des
Saarlands habe ich mir anhören müssen, man könne dies
auf Bundesebene regeln, aber nicht auf Landesebene. Das
alles diente dem Ziel, sich hinter der eigenen Gesetz-
gebung zu verstecken.

Weiter im Text: In derselben Sitzung des Vermittlungs-
ausschusses stand das Gesetz gegen Illegalität und
Schwarzarbeit auf der Tagesordnung. Wir haben lange
darüber diskutiert. Ich habe versucht, dieses Gesetz
durchzubringen. Auf allen Veranstaltungen erklären Ihre
Mitglieder aus dem Bereich des Handwerks – Herr
Scherhag ist nicht mehr da –, aber auch die Mitglieder
Ihrer Fraktion: Wir sind gegen Schwarzarbeit. – Natürlich
sind Sie gegen Schwarzarbeit, aber Sie sind nur dann für
die Verfolgung und Bestrafung dieses Vergehens, wenn
ein kleiner Malermeister am Samstag dabei erwischt wird,
wie er bei seinem Nachbarn die Wohnung tapeziert.


(Beifall des Abg. Wolfgang Weiermann [SPD])

Aber immer dann, wenn es um Unternehmen geht, schüt-
zen Sie Ihre Klientel.


(Beifall bei der SPD und der PDS)

Genauso ist es bei der Gesetzgebung in diesem Be-

reich. In dem Gesetzentwurf stand: Der Unternehmer, der
Schwarzarbeit und Illegalität zulässt, haftet für die Sozi-
alversicherungsbeiträge. Diese Haftung hat Sie dazu be-
wogen, das Gesetz gegen Schwarzarbeit nicht den Bun-
desrat passieren zu lassen. Seien Sie doch einmal ehrlich:
Sie schützen Ihre Klientel unentwegt, auch bei diesem
Gesetz.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS – Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Was soll man davon halten?)


Herr Schauerte, ich finde es immer herrlich, wie Sie
sich hier hinstellen und – das haben Sie auch im Aus-
schuss so gemacht – die Arbeitnehmer immer dann aus
der Kiste holen, wenn es Ihnen passt. Dann heißt es: Wenn
die Unternehmen im Korruptionsregister stehen, sind
doch unter Umständen Tausende Arbeitsplätze in Gefahr.
Das habe ich zeit meiner politischen Tätigkeit erlebt, bei
Ihnen ebenso wie bei vielen Ihrer Kolleginnen und Kolle-
gen.

Immer wenn die Unternehmen belastet werden, zum
Beispiel mit Umweltauflagen, holt man schnell die Ar-
beitnehmer und deren Gewerkschaften und sagt: Ihr
müsst uns helfen! Die Arbeitsplätze sind in Gefahr. –
Reingerissen hat sie aber einzig und allein die Unterneh-
mensleitung. Ich erlebe es wirklich oft – auch dieser
Tage –: Wenn die Überschuldung eingetreten ist, fragt
niemand, welches Management versagt hat. Nein, man
ruft nach den Arbeitnehmern und den Gewerkschaften
und sagt: Es geht um eure Arbeitsplätze. Ihr müsst mit
dafür sorgen, dass die Arbeitsplätze gesichert werden. –
Sie reagieren immer nur, wenn es um Belastungen der Un-
ternehmer geht, so auch in Bezug auf das Korruptions-
register. Und dann greifen Sie auf die Arbeitnehmer
zurück.


(Beifall bei der SPD und der PDS – Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Sie reden wie ein Blinder von der Farbe! Von persönlicher Haftung haben Sie wohl noch nie etwas gehört!)


Ich will Ihnen noch etwas sagen: Das Märchen, dass
ein Unternehmer ein Unternehmen gründet, nur weil er
Arbeitsplätze schaffen will, können Sie wer weiß wem er-
zählen, aber nicht mir. Ein Unternehmer schafft Ar-
beitsplätze, weil er eine Idee, eine Vision verwirklichen
möchte und eine Menge Geld verdienen will. Zufällig
braucht er dafür Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.
Die Schaffung von Arbeitsplätzen nimmt im Denken des
Unternehmers keine besonders große Rolle ein. Das wis-
sen Sie selber; die meisten geben es auch zu. Sie müssen
dieses Märchen also nicht länger erzählen.


(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Sie haben ein eigenartiges, eingeschränktes Unternehmerbild! Wo soll das enden? – Gudrun Serowiecki [FDP]: Schämen Sie sich!)


Wenn Sie es wirklich Ernst meinen mit den Arbeitneh-
mern, dann müssten Sie bereit sein, zum Beispiel dem Öko-
audit zuzustimmen. Beim Betriebsverfassungsgesetz, als es




Klaus Wiesehügel

25355


(C)



(D)



(A)



(B)


um die Ausdehnung der Mitbestimmungsrechte ging, also
darum, mit zu bestimmen, was produziert wird und wie
man sich auf dem Markt präsentiert, haben Sie laut Nein ge-
rufen. Das ist doch das eigentliche Problem: Immer dann,
wenn es um Korruption oder allgemein um Belastungen für
Unternehmen geht, führen Sie die Arbeitsplätze ins Feld
und sagen: Das könnt ihr doch nicht machen.

Ich will Ihnen etwas sagen: Wer in diesem Land korrupt
ist, der soll bestraft werden und er soll in ein Register hinein.


(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Richtig, egal, wie er heißt!)


Das müssen wir jetzt festlegen. Dieses Gesetz ist eindeu-
tig und sagt klar: Derjenige, der korrupt handelt und durch
Bestechung und andere Maßnahmen öffentliche Aufträge
an sich zieht, muss zukünftig ausgeschlossen werden.

Ich hoffe, dass Sie wenigstens bei diesem Gesetz mit-
ziehen und nicht wieder zu sehr an Ihre Klientel denken.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Hartmut Schauerte [CDU/ CSU]: Einer der Oberklientelvertreter erhebt solche Vorwürfe! Er macht nichts anderes, als gewerkschaftliche Interessen zu vertreten!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1424911800
Ich schließe die
Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung. Es liegt eine
schriftliche Erklärung nach § 31 der Geschäftsordnung
des Abgeordneten Jens vor, die wir mit Ihrer Zustimmung
zu Protokoll nehmen.1)

Abstimmung über den von den Fraktionen der SPD
und des Bündnisses 90/Die Grünen eingebrachten Ge-
setzentwurf zur Einrichtung eines Registers über unzu-
verlässige Unternehmen. Der Ausschuss für Wirtschaft
und Technologie empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 14/9710, den Gesetzentwurf in der
Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte Sie um das
Handzeichen, wenn Sie dem Gesetzentwurf in der Aus-
schussfassung zustimmen wollen. – Wer stimmt dage-
gen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist damit in
zweiter Beratung angenommen worden mit den Stimmen
der Koalitionsfraktionen und der PDS gegen die Stimmen
von CDU/CSU und FDP.

Wir kommen zur
dritten Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte Sie, sich zu erheben,
wenn Sie dem Gesetzentwurf zustimmen wollen. – Ge-
genprobe! – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist damit
in dritter Lesung angenommen worden mit den Stimmen
der Koalitionsfraktionen und der PDS gegen die Stimmen
von CDU/CSU und FDP.

Abstimmung über den Entschließungsantrag der Frak-
tion der CDU/CSU, Drucksache 14/9721. Wer stimmt für
den Entschließungsantrag? – Gegenstimmen? – Enthal-
tungen? – Der Entschließungsantrag ist abgelehnt worden
mit den Stimmen des ganzen Hauses gegen die Stimmen
der CDU/CSU.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 23 a und 23 b auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeord-

neten Johannes Singhammer, Horst Seehofer,
Karl-Josef Laumann, weiteren Abgeordneten und
der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Ent-
wurfs eines Gesetzes zur Förderung ehrenamt-
licher Tätigkeit
– Drucksache 14/3778 –

(Erste Beratung 124. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Arbeit und Sozialordnung (11. Ausschuss)

– Drucksache 14/9108 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Heinrich L. Kolb

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Arbeit und Sozialord-
nung (11. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeord-
neten Johannes Singhammer, Horst Seehofer, Max
Straubinger, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion der CDU/CSU
Neue Belastungen für ehrenamtlich Tätige zu-
rücknehmen
– Drucksachen 14/2989, 14/9108 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Heinrich L. Kolb

Nach interfraktioneller Vereinbarung ist für die Aus-
sprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Zunächst möchte ich Sie fragen, ob Sie damit einver-
standen sind, dass wir die Reden der Kollegin Kumpf und
des Abgeordneten Grehn zu Protokoll nehmen.2) – Das ist
der Fall; dann verfahren wir so.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst die
Abgeordnete Brigitte Baumeister.


Brigitte Baumeister (CDU):
Rede ID: ID1424911900
Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Es gibt nichts Gutes
außer – man tut es.“ Das könnte von Jürgen Koppelin sein,
aber die Weisheit ist von Erich Kästner und ihr folgen
22 Millionen Menschen in unserem Lande, die ein Ehren-
amt ausüben. Das machen sie freiwillig, uneigennützig
und unentgeltlich.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Sie tun damit Dienst an der Gemeinschaft. Sie tun das,
weil sie es wollen und weil es notwendig ist.

Sie tun das aber nicht nur mit Lust, sondern zunehmend
mit Frust. Die gesetzgeberischen Maßnahmen von Rot-
Grün in den zurückliegenden vier Jahren, etwa im April
1999 die Neuregelung der 630-Mark-Jobs und der Schein-
selbstständigkeit, aber auch die ständige Erhöhung der
Verbrauchsteuern, haben gemeinnützige Organisationen,




Klaus Wiesehügel
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(C)



(D)



(A)



(B)


1) Anlage 4 2) Anlage 6

Vereine und Verbände wirtschaftlich geschwächt und eh-
renamtlich Engagierte sehr belastet.


(Beifall bei der FDP)

Klar ist: Die Bürgerinnen und Bürger in unserem

Lande wollen sich engagieren. Das wissen wir alle. Das
bürgerliche Engagement ist auch notwendig. Wir als Ge-
setzgeber müssen aber alles tun, um die Bedingungen für
die ehrenamtlich Tätigen zu verbessern. Wir sind gefor-
dert, ja, aufgerufen, die Bürger bei ihrem freiwilligen En-
gagement zu unterstützen. Das erwarten diese Menschen
von ihrem Staat.

Sie erwarten aber auch, dass ihre Arbeit erleichtert, ge-
würdigt und respektiert wird und dass mögliche Hin-
dernisse aus dem Weg geräumt werden. Wir, die
CDU/CSU-Fraktion, sind der Meinung, dass der Staat die
ehrenamtliche Tätigkeit nicht behindern sollte. Im Eh-
renamt werden viele gesellschaftliche Aufgaben wahr-
genommen, die der Staat selbst nicht wahrnehmen kann
und nach unserem Gesellschaftsverständnis auch nicht
wahrnehmen soll. Der Staat soll vielmehr den Rahmen ge-
ben, in dem sich das Engagement frei entfalten kann.

Die effektivste Möglichkeit dafür – das wissen wir alle
ganz genau – ist die Entbürokratisierung.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Aus vielen Gesprächen mit ehrenamtlich Tätigen weiß

ich, dass manchmal mehr Zeit für Formulare und Anträge
benötigt wird als für die ehrenamtliche Arbeit selbst. Das
bringt wie die Regelung bei den 325-Euro-Jobs Verdruss.


(V o r s i t z: Vizepräsidentin Petra Bläss)

Es kann zum Beispiel nicht sein, dass Aufwandsent-

schädigungen für freiwillige Feuerwehrleute der Lohn-
steuerpflicht unterliegen und insofern ein Arbeitsentgelt
im Sinne der Sozialversicherung darstellen. Diese sozial-
versicherungsrechtliche Behandlung von Aufwandsent-
schädigungen für ehrenamtlich Tätige beschädigt nach
meinem Verständnis die ehrenamtliche Kultur in unserem
Land.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Sozialversicherungsbeiträge für Aufwandsentschädi-

gungen setzen das Ehrenamt mit einer Tätigkeit gleich,
die auf die Erzielung eines Einkommens ausgerichtet ist.
Gerade dies widerspricht dem Sinn und Zweck einer eh-
renamtlichen Tätigkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Ehrenämter werden ihrem Wesen nach – das spricht für

sich selbst – freiwillig und unentgeltlich ausgeübt. Pau-
schale Aufwandsentschädigungen stellen eben kein
Beschäftigungsentgelt im sozialversicherungsrechtlichen
Sinne dar.

SPD und Grüne tun so, als ob viele ehrenamtlich Tätige
ihre Tätigkeit ausüben, um in den Genuss der Aufwands-
entschädigung zu kommen. Ich denke, das ist eine Aus-
sage, die wir so nicht unterstützen können.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Ein Ehrenamt ist kein Beschäftigungsverhältnis und kann
in keiner Weise mit einem solchen gleichgesetzt werden.

Die Aufwandsentschädigung ist vielmehr ein Ersatz
für den entstandenen Aufwand und bestenfalls und hof-
fentlich Anerkennung für die geopferte Freizeit und das
persönlich eingebrachte Engagement.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Die Behauptung, dass die Sozialversicherungspflicht

der Steuerpflicht folgt, ist in diesem Zusammenhang mei-
ner Meinung nach völlig irreführend. Das Steuerrecht be-
steuert Einnahmen unter gewisser Anrechnung der hierfür
notwendigen finanziellen Aufwendungen. Ob die Einnah-
men aus selbstständiger Tätigkeit, aus abhängiger Be-
schäftigung oder als sonstige Einkünfte zufließen, ist da-
bei völlig unbedeutend. Steuerfreistellungen werden aus
unterschiedlichen Gründen, auch nach gesellschaftspoli-
tischen Gesichtspunkten, gewährt.

Bei der Steuerfreistellung von Einnahmen aus ehren-
amtlicher Tätigkeit wird dagegen darauf abgestellt, in-
wieweit tatsächlich materielle Aufwendungen anzurech-
nen sind. Deshalb ist steuerrechtlich konsequenterweise
nur der Teil der Aufwandsentschädigung nicht steuerfrei,
der für den Zeitverlust und das ehrenamtliche Tätigsein
gewährt wird.

Bei der so genannten Übungsleiterpauschale werden
1 840 Euro im Jahr steuerfrei gestellt. Steuerrechtlich
wird damit der fiktive materielle Aufwand einer gesell-
schaftspolitisch wünschenswerten Tätigkeit pauschal
– ohne Nachweispflicht – steuerfrei gestellt. Höhere Aus-
gaben dagegen sind nicht als Ausgaben anzusehen, son-
dern als Einnahmen für den Zeitverlust und das Tätigsein
und sind damit steuerpflichtig.

Sozialversicherungsrechtlich betrachtet liegt deshalb
bei der ehrenamtlichen Tätigkeit keine Beschäftigung vor.
Die Aufwandsentschädigung stellt somit kein Arbeitsent-
gelt dar. Daher sollte der Gesetzgeber klarstellen, dass
pauschale Aufwandsentschädigungen für ehrenamtliche
Tätigkeiten von Sozialversicherungsbeiträgen freigestellt
werden.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Diese Freistellung ist grundsätzlich notwendig, um Scha-
den von der ausgeprägten ehrenamtlichen Kultur in unse-
rem Land, von der wir leben, abzuwenden.

„Es gibt nichts Gutes außer – man tut es“, diese Worte
Erich Kästners sollten sich Grüne und SPD zu Herzen
nehmen. Tun Sie den ehrenamtlich Tätigen in unserem
Land etwas Gutes: Stellen Sie die pauschalen Aufwands-
entschädigungen von den Sozialversicherungsbeiträgen
frei.

Darüber hinaus plädiere ich: Finden Sie eine Regelung
für die 325-Euro-Jobs und die Scheinselbstständigkeit.
Nehmen Sie sie so vor, dass unsere Vereine und Verbände
von den wirtschaftlichen und bürokratischen Benachteili-
gungen tatsächlich befreit werden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)





Brigitte Baumeister

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(C)



(D)



(A)



(B)


Wenn uns dies entsprechend unserem Antrag in dieser Le-
gislaturperiode nicht mehr gelingen wird, so hoffe ich da-
rauf, auch wenn ich nicht wiederkomme, dass wir dies in
der nächsten Legislaturperiode schaffen werden.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte mich an
dieser Stelle ganz herzlich bedanken: für neun tolle und
drei weniger gute Jahre. Mein Dank gilt denjenigen in
meiner Fraktion, die mich unterstützt haben. Darüber hi-
naus möchte ich mich für die Kollegialität und Toleranz,
die ich aus der Regierungskoalition und aus der FDP er-
fahren habe, bedanken. Ihnen allen wünsche ich eine gute
Zukunft.


(Beifall im ganzen Hause)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1424912000
Frau Kollegin
Baumeister, das war, wie Sie bereits gesagt haben, Ihre
letzte Rede im Plenum des Deutschen Bundestages. Im
Namen aller Kolleginnen und Kollegen sage ich Ihnen ein
großes Dankeschön für Ihr engagiertes Wirken in den
letzten drei Legislaturperioden und wünsche Ihnen für
den kommenden Lebens- und Arbeitsweg alles Gute.


(Beifall)

Bevor ich dem nächsten Redner das Wort erteile, gebe

ich bekannt, dass ich soeben nach § 8 Abs. 3 der Ge-
schäftsordnung des Deutschen Bundestages die Kollegin
Gudrun Kopp als stellvertretende Schriftführerin berufen
habe.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Jetzt spricht der Kollege Gerald Häfner für die Fraktion
des Bündnisses 90/Die Grünen.


Gerald Häfner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1424912100
Frau
Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der An-
trag der Unionsfraktion, der uns heute vorliegt, soll das
Ehrenamt stärken. Wir – das gilt für mich, für meine Frak-
tion und auch für die gesamte Koalition – teilen dieses An-
sinnen ausdrücklich; auch Ihre Sicht des im Antrag an-
gesprochenen sozialversicherungsrechtlichen Problems
teile ich. Ich teile aber nicht das, was Sie zur Lösung vor-
schlagen: nicht deswegen, weil ich es als grundfalsch
empfände, sondern deswegen, weil es nicht zu Ende ge-
dacht ist. Es wäre zu kurz gesprungen, wenn wir Ihrem
Antrag folgen würden.

Da ich nur wenig Redezeit habe, kann ich nur ganz ge-
nerell darauf hinweisen, dass wir alle Fragen, die mit der
steuerrechtlichen und sozialrechtlichen Behandlung eh-
renamtlicher Tätigkeiten zusammenhängen, neu erörtern
müssen. Die Enquete-Kommission des Deutschen Bun-
destages zum bürgerschaftlichen Engagement hat sich mit
diesen Fragen sehr ausgiebig und gründlich befasst. Die
CDU/CSU-Fraktion hat ihren Antrag allerdings vorher
eingebracht. Mir schiene es sinnvoll zu sein, das Thema im
Lichte dessen, was die Enquete-Kommission mit großer
Sachkompetenz und großem Aufwand hierzu erarbeitet
hat, in der nächsten Legislaturperiode gemeinsam von
Grund auf und vor allem auch in dem Geist anzugehen, mit
dem – so wurde mir das jedenfalls berichtet – auch in der

Kommission überwiegend gearbeitet wurde: an der Sache
orientiert und über die Fraktionsgrenzen hinweg.

Mir scheint in diesem Zusammenhang vieles reform-
bedürftig zu sein, zum Beispiel das Gemeinnützig-
keitsrecht. Manches, was heute in Vereinsform und ge-
meinnützig organisiert ist, ist – zum Beispiel in den
großen Sportvereinen – längst auf Gewinnerzielung ori-
entiert. Dagegen ist manches, was in der Form eines Un-
ternehmens – als GmbH oder HG – organisiert ist, im
Grunde gemeinnützig. Nicht das äußere Gewand ist maß-
geblich, sondern der Charakter der Sache. Wir haben es
noch nicht geschafft, das steuer- und sozialrechtlich im-
mer richtig zu behandeln. Deshalb lauten meine Bitte und
mein Wunsch an Sie, auf einen Schnellschuss zum Ende
der Legislaturperiode zu verzichten – die Munition dieses
Schnellschusses wäre ohnehin längst veraltet –, sondern
dieses Problem in der nächsten Legislaturperiode ge-
meinsam anzugehen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Mir scheint im Übrigen Handlungsbedarf weit über

den von Ihnen angesprochenen Aspekt hinaus zu beste-
hen. Da in den Debatten dieses Hauses vieles über das Eh-
renamt schon gesagt wurde, möchte ich heute bewusst
zwei Punkte ansprechen, die bislang weniger zur Sprache
gekommen sind: Ehrenamtliche Tätigkeit ist mehr als nur
das Salz in der Suppe der Demokratie. Das Wichtigste im
Leben ist immer Geschenk und wird nicht bezahlt. Ohne
freiwilliges Engagement von Bürgern ist jede Gesell-
schaft auf Dauer lebensunfähig. Das, was wir heute eh-
renamtliche Tätigkeit zu nennen uns angewöhnt haben, ist
im Grunde nichts anderes als die selbstverständliche Be-
reitschaft von Bürgerinnen und Bürgern, füreinander ein-
zustehen, einander zu helfen, Gutes zu tun, die Umwelt,
die Menschen in der Umgebung, die Menschen in ärme-
ren Ländern der Welt, die Kranken und Sterbenden nicht
zu vergessen, sondern ihnen zu helfen.

Allerdings wird in einer Welt, die schon ihren Heran-
wachsenden – das meine ich jetzt nicht so sehr im Hinblick
auf das, was abstrakt an Zielen vermittelt wird, sondern
mehr im Hinblick auf die Art, wie wir miteinander umzu-
gehen uns angewöhnt haben und wie heute vielfach auch
schon mit den Schülern bzw. Jugendlichen umgegangen
wird – ständig demonstriert, man solle sich nicht für an-
dere, sondern nur für sich einsetzen, in einer Gesellschaft,
die den Menschen ständig einflüstert, nur das eigene Fort-
kommen, der eigene Erfolg und das egoistische Interesse
seien von Belang und das Interesse für andere halte dabei
eher auf, in einer Welt, die von allem den Preis und von fast
nichts mehr den Wert kennt, diese Selbstverständlichkeit
zum zunehmend seltener werdenden Luxus. Wenn wir
über ehrenamtliche Tätigkeit und bürgerschaftliches En-
gagement reden, müssen wir auch über solche Zusam-
menhänge sprechen, sonst wird sich wenig ändern.

Sie alle kennen die Formel von Adam Smith, die ja die
Grundlage unseres Wirtschafts- und Gesellschaftssystems
bildet, wonach der Wohlstand einer Nation oder Gruppe
von Menschen umso größer sei, je mehr jeder Einzelne
darin nur seinen Eigennutzen verfolgt. Ich halte dies für
einen Irrtum, der durch die Entwicklungen weltweit mehr
und mehr widerlegt wird. Das heißt nicht, dass ich nicht




Brigitte Baumeister
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(C)



(D)



(A)



(B)


für freie Initiative, für freies Unternehmertum wäre. Im
Gegenteil! Vieles an Freiheit werden wir in Zukunft noch
erweitern oder überhaupt erst erkämpfen müssen.

Ich glaube aber, dass das Wohl einer Gesamtheit von zu-
sammenlebenden Menschen gerade umgekehrt letzten En-
des umso größer ist, je mehr jeder Einzelne nicht nur an sich
denkt bzw. für sich sorgt, sondern je mehr er für andere
Menschen tätig ist und einsteht und je mehr umgekehrt der
Einzelne von dem Hervorbringen dessen lebt, was andere
Menschen tun. Dies hat sinngemäß übrigens Rudolf Steiner
gesagt, ein Mensch, der in diesem Hause vergleichsweise
selten zitiert wird, dies aber nicht nur in diesem Zusam-
menhang mehr als verdient. Wenn man das, was ich gerade
auszudrücken versucht habe, wirklich ernst nimmt, so hat
das unmittelbare Konsequenzen für unser Denken und
Handeln in wirtschaftlicher und politischer Hinsicht.

Ich will noch einen zweiten Aspekt kurz ansprechen:
Wenn wir bürgerschaftliches Engagement stärken und
fördern wollen, müssen wir auch so weit gehen, mit den
Bürgern auf gleicher Augenhöhe zu sprechen. Dann müs-
sen wir endlich auch bereit sein, den Bürgern dort, wo sie
sich ins Gemeinwesen einbringen wollen, diese Möglich-
keit wirklich und wirkungsvoll zu geben, und zwar nicht
nur dort, wo sie Nischen besetzen oder Inseln schaffen
und bebauen könnten, sondern auch und gerade dort, wo
sie als Souverän, wie es unser Grundgesetz sagt, in
den zentralen Fragen des Zusammenlebens, des Gemein-
wesens handeln, mitreden und mitentscheiden wollen.

Dies fängt auf kommunaler Ebene zum Beispiel mit
Bürgeranträgen, Bürgerforen und Bürgerversammlungen
an, geht weiter zum Beispiel über Planungszellen, über
tatsächliche Beteiligung an Planungsverfahren, über Me-
diationsverfahren und vieles mehr und endet bei der Be-
teiligung in Form von Bürgerbegehren, Bürgerentscheid,
Volksinitiative, Volksbegehren und Volksentscheid.

Sie haben diesen Zusammenhang im Bericht Ihrer En-
quete-Kommission, wie ich finde, ganz hervorragend he-
rausgearbeitet. Ihnen fehlt aber bei der Umsetzung dieses
Berichts der Enquete-Kommission offenbar gänzlich der
Mut, daraus auch Konsequenzen zu ziehen.

Deshalb lassen Sie mich zum Schluss sagen: Wenn wir
diesen Mut nicht endlich haben, den Bürgern deutlich zu
machen: tua res agitur, es geht um euch, um euer Leben,
um eure Res publica, um das Gemeinwesen, für das wir
Politiker nur auf Zeit Verantwortung tragen, und das letzt-
lich in euer aller Hände gelegt ist – wenn wir diesen Mut
nicht endlich aufbringen, habe ich Sorge, dass das „bür-
gerschaftliche Engagement“ letztlich nur Lückenfüller
bleibt in einer Gesellschaft, in der es eigentlich der Hu-
mus sein muss, aus dem alles andere hervorgeht.

Ich selbst werde mit dieser Rede und mit dem Ablauf
dieser Legislaturperiode aus dem Parlament ausscheiden.
Ich bin immer außerordentlich gerne Volksvertreter ge-
wesen. Ich sage dies bewusst in dieser Formulierung,
denn ich habe es beständig so empfunden, dass ich hier
nicht für mich tätig war, sondern für die Menschen mei-
nes großartigen Landes, denen ich mich verpflichtet fühle
und die mich – wie Sie, verehrte Kolleginnen und Kolle-
gen auch – gewählt haben.

Deshalb möchte ich in meinen abschließenden Dank
nicht nur meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die
Großartiges geleistet haben, und die Mitarbeiter dieses
Hauses, die alle ständig für uns da sind, nicht nur die Kol-
leginnen und Kollegen aus allen Fraktionen, sondern be-
wusst auch diejenigen Menschen einbeziehen, die mir
dieses eminente Vertrauen auf Zeit gegeben haben.

Ich werde mich nun anderen Tätigkeiten zuwenden,
dabei aber ganz bestimmt nicht das Anliegen, für das ich
in diesem Haus über zweieinhalb Legislaturperioden vor
allem gewirkt habe, nämlich das Anliegen, unsere eigene
Macht – so schwer uns das fällt – teilweise zu begrenzen
und die Macht und die Möglichkeiten der Bürgerinnen
und Bürger unseres Landes zu mehren und zu stärken, aus
der Hand lassen, sondern ich werde weiter mit aller Kraft
daran arbeiten. Ich würde mich freuen, wenn ich in die-
sem Zusammenhang mit Ihnen allen auch weiterhin in
Verbindung bleiben könnte. Es ist mir ein Anliegen, dass
das, was ich hier mit großer Intensität begonnen habe, in
guter Weise zu Ende gebracht wird.

Ich danke Ihnen ganz herzlich.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD, der FDP und der PDS sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1424912200
Herr Kollege Häfner,
Sie hören den Beifall der Kolleginnen und Kollegen des
gesamten Hauses. Nehmen Sie ihn als symbolischen
Dank für Ihr engagiertes Wirken hier im Parlament. Wir
wünschen Ihnen alles Gute für Ihren kommenden Lebens-
und Arbeitsabschnitt.


(Beifall)

Die nächste Rednerin in dieser Debatte ist die Kollegin

Serowiecki von der FDP-Fraktion.


Gudrun Serowiecki (FDP):
Rede ID: ID1424912300
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Ich weiß, dass mein Name
schwierig ist. Es ist nicht so einfach, Serowiecki auszu-
sprechen, weshalb ich es auch niemandem übel nehme,
wenn er ihn falsch ausspricht.

Schon Wilhelm Busch schrieb:
Willst du froh und glücklich leben, lass kein Ehren-
amt dir geben, willst du nicht zu früh ins Grab, lehne
jedes Amt gleich ab.

Diese Zeilen machen deutlich, wie viel persönlicher
Einsatz hinter jedem Ehrenamt steckt. Was wäre unsere
Gesellschaft ohne die Vielfalt des persönlichen Engage-
ments! Ich denke beispielsweise an die zahlreichen Ver-
eine, Verbände, Kirchen, Selbsthilfegruppen, Nachbar-
schaftshilfen und an vieles mehr.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Diese Bürgerinnen und Bürger leisten täglich Hervorra-
gendes. Sie sind das Bindeglied in unserer Gesellschaft.


(Beifall des Abg. Jürgen Koppelin [FDP])





Gerald Häfner

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(C)



(D)



(A)



(B)


Von dieser Stelle aus möchte ich allen ehrenamtlich Täti-
gen in Deutschland für ihr Engagement Dank sagen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der PDS)


Es ist für mich unverständlich, dass die rot-grüne Re-
gierung am Beginn dieser Legislaturperiode eine Ände-
rung des 325-Euro-Gesetzes beschlossen hat; denn dies
hat dem Ehrenamt geschadet.


(Beifall bei der FDP)

Eines hat die Bundesregierung mit diesem Gesetz aller-
dings erreicht: Mit den geringfügig Beschäftigten und den
Hunderttausenden ehrenamtlich Engagierten, die auf-
grund der Aufwandsentschädigung plötzlich als Beschäf-
tigte angesehen wurden, hat sie die Beschäftigungsstatis-
tik künstlich aufgebläht. Diese arbeitsmarktpolitische
Trickserei hatte zur Folge, dass zahlreiche Vereine zu-
sätzliche Aufgaben, wie zum Beispiel die Führung eines
Lohnbüros, wahrnehmen mussten. Sie waren gar nicht in
der Lage, diese Aufgaben zu erfüllen.

Die FDP unterstützt den durchaus richtigen Ansatz der
CDU/CSU zur Förderung der ehrenamtlichen Tätigkeit.
Darüber hinaus fordert die FDP aber nachdrücklich die
grundlegende Reform der Gemeinnützigkeit.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Sehr geehrte Damen und Herren, die Zukunft des bür-

gerlichen Engagements liegt in den Händen der jungen
Generation. Sie ist auch bereit, sich zu engagieren. Ich
sehe das am Beispiel meines 15-jährigen Sohnes, der mit
seinen Freunden sehr engagiert und leidenschaftlich in
der Jugendfeuerwehr tätig ist. Diesen jungen Leuten muss
Anerkennung zukommen.


(Beifall im ganzen Hause)

Die Schule trägt hierbei eine große Verantwortung. Zu-
kunftsgerichtete Politik muss in der Schule ansetzen. Ich
denke, die FDP fordert hier zu Recht, dass sich die Schu-
len stärker für das ehrenamtliche Engagement von
Schülern öffnen.

Lieber Kollege Häfner, ich begrüße es, dass Sie an die-
ser Stelle der Meinung sind, dass Veränderungen im Inte-
resse der Engagierten und ihrer Verbände notwendig sind.
Es wäre deswegen sehr begrüßenswert, wenn Rot-Grün
dem vorliegenden Gesetzentwurf heute zustimmen
würde.

Ich hoffe von ganzem Herzen, dass der neue Bundes-
tag die Kraft hat, bürgerliches Engagement aus dem
steuer- und sozialrechtlichen Regelungsdickicht zu be-
freien und auf der Grundlage der Leitlinien der Enquete-
Kommission tatsächlich eine zukunftsgerichtete Politik
zu gestalten.

Danke schön.

(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1424912400
Herr Kollege
Dr. Klaus Grehn hat seine Rede zu Protokoll gegeben. –

Ich sehe keinen Widerspruch. Damit schließe ich die Aus-
sprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den von der Frak-
tion der CDU/CSU eingebrachten Gesetzentwurf auf
Drucksache 14/3778 zur Förderung ehrenamtlicher Tätig-
keit. Der Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung emp-
fiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung auf Druck-
sache 14/9108, den Gesetzentwurf abzulehnen. Ich bitte
diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen,
um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Bera-
tung gegen die Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und der
FDP-Fraktion abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Ge-
schäftsordnung die weitere Beratung.

Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Be-
schlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und So-
zialordnung auf Drucksache 14/9108 zu dem Antrag der
Fraktion der CDU/CSU mit dem Titel „Neue Belastungen
für ehrenamtlich Tätige zurücknehmen“. Der Ausschuss
empfiehlt unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung, den
Antrag auf Drucksache 14/2989 abzulehnen. Wer stimmt
für diese Beschlussempfehlung? – Gegenprobe! – Enthal-
tungen? – Auch diese Beschlussempfehlung ist gegen die
Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und der FDP-Fraktion
angenommen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 24 a und b auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-

gierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Ge-
setzes zur Änderung des Telekommunikations-
gesetzes
– Drucksachen 14/9194, 14/9237 –

(Erste Beratung 239. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Aussschus-
ses für Wirtschaft und Technologie (9. Ausschuss)

– Drucksache 14/9711 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Klaus Barthel (Starnberg)


b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Wirtschaft und Techno-
logie (9. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeord-
neten Klaus Barthel (Starnberg), Thomas Sauer,
Dr. Axel Berg, weiterer Abgeordneter der Fraktion
der SPD sowie der Abgeordneten Michaele
Hustedt, Grietje Bettin, Andrea Fischer (Berlin),
weiterer Abgeordneter und der Fraktion des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Wettbewerb und Regulierung im Telekom-
munikationssektor
– Drucksachen 14/5693, 14/7628 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Klaus Barthel (Starnberg)


Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Der erste Redner für die
SPD-Fraktion ist der Kollege Klaus Barthel.




Gudrun Serowiecki
25360


(C)



(D)



(A)



(B)



Klaus Barthel (SPD):
Rede ID: ID1424912500
Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im internationalen
Vergleich der Telekommunikationsmärkte hat Deutsch-
land eine Spitzenposition erreicht. Das Telefonnetz in
Deutschland zählt zu den modernsten der Welt. Die
Durchdringung des Marktes im Bereich von ISDN bei uns
ist weltweit einzigartig. Fast 40 Prozent der Telefonkanäle
sind digital.

Die Preise für das Telefonieren sind nach einer turbu-
lenten Phase während der neuen Wettbewerbssituation in-
zwischen stabil. Sie haben sich auf einem für die Ver-
braucher sehr günstigen Niveau stabilisiert. Auch hier ist
es so, dass Deutschland im internationalen Vergleich ent-
gegen manchem Gerede im Kommunikationsbereich zu
den günstigsten Ländern gehört. Die Preise für diese
Dienstleistungen sind in der Zeit von 1998 bis heute um
durchschnittlich 30 Prozent gesunken, der Preis für die
Telefondienstleistungen im Fernbereich um über 80 Pro-
zent. Der Durchschnittspreis für ein dreiminütiges Ge-
spräch ist in Deutschland europaweit mit am günstigsten.
Ähnliches gilt für ein zehnminütiges Ferngespräch.

Auch beim Internet – das ist uns besonders wichtig –
hat Deutschland im internationalen Vergleich eine Spit-
zenposition erreicht. Die Deutschen surfen sehr billig und
deshalb auch länger. Mit acht Stunden pro Monat liegen
sie in Europa an der Spitze. Bei den Preisen ist es genauso.
Der Durchschnittspreis für die Internetnutzung in
Deutschland ist der niedrigste in Europa.

Es passt ins Bild, dass Deutschland auch bei den DSL-
Anschlüssen im Spitzenfeld liegt. Wir haben zehn An-
schlüsse pro 1 000 Einwohner, was eine zehnmal so hohe
Nutzung gegenüber dem Musterland Großbritannien ist.

Alles in allem ist der Telekommunikationssektor ein
Markt mit einem überdurchschnittlichen Wachstum. Seit
1999 ist der Umsatz im Durchschnitt jährlich um mehr als
10 Prozent gestiegen. In den vier Jahren, auf die wir jetzt
zurückzublicken haben, hat sich die Zahl der Beschäftig-
ten in diesem Bereich um 20 000 erhöht.


(Beifall bei der SPD)

Es ist schon richtig: Bei den Ortsnetzen besteht Hand-

lungsbedarf. Hier sind die Preise für die Kunden weitge-
hend auf dem alten Niveau geblieben, liegen aber trotz-
dem im europäischen Mittelfeld. Hier hat die Deutsche
Telekom noch quasi ein Monopol. Die Frage ist also nicht,
ob an diesem Bottleneck etwas geschehen muss, sondern
wann und was in diesem Bereich geschehen muss.

Deswegen will ich Folgendes besonders herausstellen:
Die heute zu beschließende Neuregelung im Telekommu-
nikationsgesetz ist für uns nicht die optimale Antwort auf
die Frage, was im Ortsnetz geschehen muss, sondern die
Umsetzung dessen, was die Regierung von Union und
FDP in Brüssel seinerzeit vereinbart hat. Liebe Kollegin-
nen und Kollegen von der Opposition, die Kritik der
Sachverständigen, die Sie sich in Ihrer Argumentation of-
fensichtlich zu Eigen machen, geht insbesondere auf das
Konto der FDP, Herr Funke. Die FDP hat seinerzeit den
Wirtschaftsminister gestellt.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Weil wir heute milde gestimmt sind, werfen wir Ihnen
das aber nur begrenzt vor. Viele Entwicklungen waren im
Zuge einer totalen Umkrempelung in dieser Branche von
staatlicher Dienstleistung im Monopol hin zu völliger
Liberalisierung nicht absehbar. Weder der enorme Boom
noch die jetzige Katerstimmung noch die Details der
Marktentwicklung waren berechenbar. Deswegen ge-
währen wir Ihnen mildernde Umstände.

Die auf Dauer durchaus zwiespältigen Auswirkungen
des Call-by-Call bei Fern- und Auslandsgesprächen wer-
den jetzt nach und nach erkennbar. Inzwischen werden auf
diesem Gebiet Nachsteuerungen erforderlich. Besser
wäre eine Übertragung der Strukturen auf den Ortsbe-
reich.

Es ist richtig – dies wurde auch öffentlich –, dass wir
mit dem vorliegenden Gesetz nicht restlos glücklich sind.
Wir verbinden damit die Sorge, dass getätigte Investitio-
nen entwertet werden, dass bei falscher Anwendung An-
reize für den Infrastrukturwettbewerb entfallen könnten
und dass es zu einer Tarifstruktur kommt, nach der – zum
Nachteil des Endverbrauchers – günstige Minutenpreise
für Ortsgespräche durch hohe Grundgebühren aufgefan-
gen werden. Auf dem Strommarkt haben wir beispiels-
weise gesehen, wie sich solche Angebote und Strukturen
entwickeln können. Die Zeche für diese Entwicklung zah-
len die privaten Kleinkunden, während große Geschäfts-
kunden tendenziell entlastet werden.

Zu fürchten ist auch, dass es für die Anbieter nicht
mehr rentabel ist, die Nutzer in ländlichen Regionen mit
Telekommunikationsdienstleistungen zu versorgen, und
diese Menschen langfristig von technologischen Ent-
wicklungen abgekoppelt werden.

Eine weitere Sorge bei der Umsetzung der Brüsseler
Richtlinie ist, dass bisherige Netzbetreiber günstig ge-
mietete Fernstrecken für die Schaltung einzelner Ortsge-
spräche nutzen, teilweise um noch nicht vorhandene
Zusammenschaltungspunkte zu umgehen, teilweise um
die gemieteten Leitungen auszunutzen. Diese ineffizien-
ten Verkehre im Telekommunikationsnetz müssen wir
verhindern.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir mussten in der jetzigen Situation eine Abwägung
vornehmen. Die befürchteten Nachteile, die ich gerade
angesprochen habe, greifen wir in unserem Antrag auf,
der durch seine heutige Annahme durch den Bundestag
Teil der Gesetzesbegründung wird und der Rechtsanwen-
dung damit klare Vorgaben macht.


(Rainer Funke [FDP]: Das stimmt doch gar nicht! Das geht doch gar nicht!)


Wir tun das an zwei zentralen Punkten: Wir beziehen die
getätigten Investitionen in die regulatorische Umsetzung
ein, beispielsweise bei den Entgelten, und wir definieren
die so genannte ortsnahe Zuführung unter Nennung der lo-
kalen Einzugsbereiche. Mit Blick auf das jeweilige Inter-
connection-Regime weiß jeder, was gemeint ist. Damit set-
zen wir ein ganz klares Signal für den Markt: Wir bleiben
bei der Grundposition unserer Telekommunikationspolitik,






(C)



(D)



(A)



(B)


nämlich dass Investitionen in den Ausbau und die Moder-
nisierung von Infrastruktur ein zentrales Ziel unseres Re-
gulierungsregimes sind.

Die Bundesregierung hat dargelegt – darauf können
und müssen wir vertrauen –, dass eine Klage aus Brüssel,
daraus folgende Zahlungen und eine Staatshaftung unmit-
telbar bevorstehen. Alle Länder in der EU mit Ausnahme
von Griechenland und der Bundesrepublik Deutschland
hätten die Richtlinie umgesetzt. Unabhängig davon, wer
letzten Endes in Europa vor dem EuGH Recht bekäme,
wäre es ein gefundenes Fressen für die jetzige Opposition
– sie wird auch die zukünftige Opposition sein –, wenn die
Bundesregierung auf diesem Gebiet am Pranger stünde,
sei es durch eine strafbewehrte Klage oder durch Staats-
haftung, die auf Kosten der Steuerzahler geht. Uns würde
es nichts nützen, wenn wir in zwei Jahren Recht bekämen.

Durch eine solche Klage und die dadurch ausgelöste
Intervention Brüssels würde nochmals eine Verunsiche-
rung auf den Märkten, die momentan ohnehin mehr als
nervös sind, entstehen. Das würde den Unternehmen
mehr schaden als nützen. Deswegen sind wir uns im Kla-
ren darüber, dass wir möglichst bald nach den Wahlen die
große Novelle des Telekommunikationsgesetzes in An-
griff nehmen müssen.


(Beifall bei der SPD)

Wir sehen – den Ausblick haben wir in unserem heute

vorliegenden Antrag festgehalten – folgende Schwer-
punkte für die Erneuerung des Telekommunika-
tionsrahmens:

Erstens: Überprüfung der Regulierung hinsichtlich der
Möglichkeit der Reduzierung von Regulierungsmaßnah-
men, insbesondere eine neue Auslegung des Marktbe-
herrschungsbegriffs.

Zweitens: Erarbeitung eines tragfähigen Teilmarktkon-
zepts. Dazu liegen Eckpunkte der Regulierungsbehörde
vor, die wir in einem Gesetz klarstellen müssen.

Drittens: Mehr wirtschaftliche Kompetenz für die Re-
gulierungsbehörde. Eine Behörde, die Märkte beobach-
ten, analysieren und regulieren soll, muss auf der Basis ei-
gener Daten und deren Bewertung arbeiten können und
darf nicht darauf angewiesen sein, Daten von den betrof-
fenen Wettbewerbern abfragen zu müssen.

Viertens: Voraussschauende Regulierungspolitik, um
die Berechenbarkeit für die Unternehmen zu verbessern.

Fünftens: Sicherstellung eines flächendeckenden breit-
bandigen Angebots, das für alle zugänglich und bezahlbar
ist.


(Beifall bei der SPD)

Derzeit besteht noch die Tendenz aus dem Markt selbst
heraus, aber der Universaldienstbegriff gibt uns die
Möglichkeit, das auch rechtlich abzusichern, ohne dass
vielleicht zunächst ein Eingriff nötig ist. Aber gleichzei-
tig müssen wir den Universaldienstbegriff auch den tech-
nischen Entwicklungen, den Entwicklungen auf dem
Markt anpassen, um die Möglichkeit des Nachsteuerns,
der Sicherstellung von Modernisierung, von Qualität und
Umfang des Universaldienstes zu erhalten. Stichwort ist

hier noch einmal das Gebot – das jetzt schon im Tele-
kommunikationsgesetz enthalten ist – der Förderung von
Telekommunikationsdiensten bei öffentlichen Einrich-
tungen.

Sechstens: Die von uns angesprochene und von den Ex-
perten immer wieder betonte Konvergenz der Telekom-
munikations- und Medienmärkte zwingt dazu und muss
uns dazu bringen, einen kohärenten Regulierungsrahmen
für diese zusammenwachsenden Bereiche zu schaffen, das
heißt also für die Medien, für den Telekommunikations-
und für den Telekommunikationsdienstebereich.

Siebtens – das ist jetzt wieder ganz aktuell –: Wir brau-
chen eine Harmonisierung der europäischen Telekommu-
nikationsmärkte. Wir sehen gerade jetzt wieder, dass es
durchaus gefährlich ist, wenn die europäische Ebene über-
eilt in nationale Märkte eingreift, vor allen Dingen dann,
wenn dem keine Analyse der tatsächlichen Marktbedin-
gungen zugrunde liegt. Die Debatte über Call-by-Call im
Ortsnetz hat erneut gezeigt, dass die technische, ökono-
mische und regulatorische Telekommunikationsland-
schaft in den Mitgliedstaaten ganz unterschiedliche
Bedingungen aufweist, für die keine europäische Regu-
lierung nach Schema F greifen kann. Nur die Tatsache
zum Beispiel, dass in den anderen Mitgliedstaaten prak-
tisch kein Ortsnetzwettbewerb auf der Basis von alterna-
tiven Infrastrukturen besteht, also wie bei uns mit den Re-
gionalcarriern, kann den Eifer der Kommission bei dieser
Betreibervorauswahl im Ortsnetz erklären. Das heißt also,
Ziel europäischer Telekommunikationspolitik muss zual-
lererst die Zugrundelegung und Angleichung der tatsäch-
lichen Wettbewerbsbedingungen im Rahmen eines euro-
päischen Modernisierungsmodells sein.

Schließlich und endlich – das Stichwort habe ich ge-
nannt – Regulierung, Öffnung des Ortsnetzes; dazu ist
in letzter Zeit viel gesagt und diskutiert worden.

Meine Damen und Herren, ich möchte noch einmal da-
rauf hinweisen, was für Widersprüche es in der Argumen-
tation der Opposition gibt. Marktprozesse, wie wir sie
hier zum Teil beobachten, werden beliebig interpretiert
und politisch instrumentalisiert. In der Zeit des Booms
waren es die Unternehmen, da waren es die Manager von
Sommer bis Schmid, da war es die alte Bundesregierung,
die das alles geleistet haben. Jetzt, im Börsencrash, ist
Sommer plötzlich Schröders Mann und die Mobilcoms
und Kwests sind rot-grüne Pleiten. Da passt irgendetwas
nicht zusammen. Leider reden Union und FDP alles noch
schlechter als in ihrer Zeit. Sie beschädigen damit das in-
ternationale Ansehen der deutschen Unternehmen und des
deutschen Standorts.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir sind darüber im Klaren: Die internationalen
Marktmechanismen dominieren das Geschehen längst.
Das heißt leider nicht, dass es dabei immer rational zu-
geht. Aber Politik hat gerade eben nicht Hysterien und
Unsicherheiten zu schüren, was fast immer funktioniert.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1424912600
Herr Kollege Barthel,
ich will hier keine Hysterie schüren, aber ich möchte Sie
an die Zeit erinnern.




Klaus Barthel (Starnberg)

25362


(C)



(D)



(A)



(B)



Klaus Barthel (SPD):
Rede ID: ID1424912700
Sie haben Recht. –
Politik hat vielmehr Stabilität und Verlässlichkeit zu ge-
währleisten. Deshalb haben wir die besondere Motiva-
tion, gleich nach den Wahlen die TKG-Novelle anzuge-
hen.

Ich will zum Schluss noch sagen: Wir haben in dieser
Legislaturperiode im Unterausschuss für Telekommuni-
kation und Post bei allen Meinungsunterschieden in der
Sache sehr konstruktiv zusammengearbeitet.


(Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Schluss ist!)

Deswegen ist mir auch für die Zukunft nicht bange.


(Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Schluss ist! Aus!)


Großen Anteil daran hat auch mein Stellvertreter und
Sprecher seiner Fraktion Elmar Müller, der, wenn ich es
richtig sehe, heute seine letzte Rede halten wird.


(Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Ausgebarthelt hat es sich!)


Da es auch ein Leben nach dem Bundestag und außerhalb
des Bundestages geben soll, möchte ich heute nicht von
diesem Pult gehen, ohne ihm meinen Dank und meine An-
erkennung auszusprechen und ihm alles Gute für die Zu-
kunft zu wünschen.


(Beifall im ganzen Hause)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1424912800
Das Wort hat nun der
Kollege Elmar Müller für die CDU/CSU-Fraktion.


Elmar Müller (CDU):
Rede ID: ID1424912900
Frau Präsi-
dentin! Herr Kollege Barthel, vielen Dank für Ihre guten
Wünsche. Ich bitte allerdings, von Nachrufen abzusehen.


(Heiterkeit – Horst Kubatschka [SPD]: Sie sehen noch quicklebendig aus!)


Nach 47-jähriger beruflicher Tätigkeit habe ich mir vor-
genommen, für fünf Jahre in die Wirtschaft zurückzukeh-
ren. Insofern ist mein Ausscheiden aus dem Bundestag
noch nicht das Ende meiner beruflichen Laufbahn. Vielen
Dank.

Eine zur Betreibervorauswahl ergangene EU-Richtli-
nie aus dem Jahr 1998 legt fest, dass Telefonkunden bei
jedem Gespräch und damit also auch bei Ortsgesprächen
durch Call-by-Call die Angebote anderer Netzbetreiber
und Wettbewerbsunternehmen nutzen dürfen. Diese
Richtlinie hätte seit dem 31. Dezember 1998, also seit
über dreieinhalb Jahren, in nationales Recht umgesetzt
werden müssen. Aufgrund der Nichtumsetzung ist nun ein
Verfahren gegen die Bundesrepublik wegen Vertragsver-
letzung anhängig.

Die Öffnung der Ortsnetze und die Anpassung an die in
den europäischen Gremien verabschiedeten Richtlinien
wurden von uns immer wieder gefordert. Insofern be-
grüßen wir jeden Schritt, der dem Verbraucher mehr Aus-
wahl bietet und vor allem den Wettbewerb fördert. Die
Umsetzung der europäischen Vorgabe, dass es jedem Nut-
zer möglich sein soll, bei jedem getätigten Anruf eine Be-

treiberauswahl zu treffen, das heißt, den Zugriff auf den
bis jetzt verschlossenen Bereich des Ortsnetzes zu er-
möglichen, ist längst überfällig. Bis dato hat die Deutsche
Telekom trotz der vierjährigen Regulierung noch immer
einen Marktanteil im Ortsnetz von über 97 Prozent. Allein
die Tatsache, dass es alternative Anbieter auch auf Orts-
netzebene gibt, hatte nicht zur Folge, dass ein tatsächli-
cher Wettbewerb in diesem Bereich begonnen hat. Von
Wettbewerb im Ortsnetz kann daher im Gegensatz zum
Fernverbindungsmarkt keine Rede sein. Zudem mutet es
schier grotesk an, dass Ortsverbindungen von der Deut-
schen Telekom teurer abgerechnet werden als Fernver-
bindungen.

Damit nicht der bislang instabile Wettbewerb weiter
geschwächt wird und der aktuelle Insolvenztrend nicht
noch zusätzlich durch eine unzureichende Gesetzes-
formulierung verstärkt wird, haben wir es für dringend
notwendig erachtet, dass eine Öffnung zum jetzigen Zeit-
punkt im Rahmen einer ordnungspolitischen Systematik
erfolgen muss, die nur im Zusammenhang mit der vorhin
vom Kollegen Barthel angesprochenen geplanten großen
Reform des Telekommunikationsgesetzes erreicht wer-
den kann. Deshalb ist es unverzichtbar, dass in das Gesetz
eine Regelung aufgenommen wird, die die getätigten In-
vestitionen der Wettbewerber in die Netzinfrastruktur
ausreichend berücksichtigt und die auch hilft, zu verhin-
dern, dass der Markt von einem zweiten Mobilcom-Syn-
drom erschüttert wird. Angesichts der schon hinreichend
instabilen Marktsituation würde eine Duplizierung der
vergangenen Erfahrung einer ökonomischen Katastrophe
gleichkommen. Immerhin soll noch der Begriff „ortsnahe
Zuführung“ durch den vorliegenden Antrag etwas präzi-
siert werden. Das ist zwar nur ein geringer Beitrag, der
aber begrüßt werden darf.

Vor dem Hintergrund eines Wahlkampfes mit steigen-
den Arbeitslosenzahlen sind nach Aussage der Verbände
von den 60 000 Arbeitsplätzen, die private TK-Investoren
unmittelbar im deutschen Telekommunikationsmarkt ge-
schaffen haben, etwa 40 000 durch das vorhandene Gesetz
bedroht, wenn nicht relativ schnell das große TKG auf den
Weg gebracht wird. Ich hoffe, dass wir das schaffen wer-
den. Die gesamte Branche befindet sich schließlich in ei-
ner sich zuspitzenden Krise, die für eine wachsende Zahl
von Unternehmen existenzbedrohend ist. Nicht umsonst hat
gestern früh mein Fraktionsvorsitzender zum Thema Deut-
sche Telekom zwei kritische Fragen an den Bundeskanzler
gerichtet. Wir hoffen, dass wir noch rechtzeitig Auskunft
erhalten werden.

Aus der schnellen, mutigen Liberalisierung der An-
fangsphase – wir haben sie in unserer Regierungszeit ein-
geleitet, Herr Kollege Funke – ist eine Investitionsfalle
geworden. Das inzwischen festzustellende Zurückdrehen
des Wettbewerbs hat dafür gesorgt, dass in Deutschland
bereits Milliarden Euro ausländischer Investoren verloren
gegangen sind. Es werden durch die nun anstehende Ent-
scheidung voraussichtlich noch weitere Investitionen
verloren gehen.

Die so gelobte Liberalisierung des Marktes sieht in
Wirklichkeit wie folgt aus: Im Ortsnetz verfügt die Deut-
sche Telekom über 97 Prozent Marktanteil. Bei der neuen






(C)



(D)



(A)



(B)


DSL-Technik hat die Deutsche Telekom ihren Markt-
anteil bis heute auf 96 Prozent ausbauen können – mit
steigender Tendenz. Der alte Monopolist ist also der neue.
Er verteidigt seine Macht, die er durch die Verfügungsge-
walt über das Festnetz besitzt, mit allen Mitteln.

Die zuständige Regulierungsbehörde für Telekommu-
nikation und Post ist bisher außerstande, den Wettbewer-
bern einen ungehinderten und fairen Zugang zum Netz
und damit zum Kunden zu schaffen. Seit 1998 warten die
privaten Wettbewerber nicht selten weit über ein Jahr auf
die notwendigen und vom Gesetz vorgesehenen Infra-
strukturen, die von der Deutschen Telekom AG zur Ver-
fügung gestellt werden müssen und ohne die sie ihr An-
gebot wiederum nicht auf den Markt bringen könnten.
Inzwischen hat sich das durch Druck der Reg TP in eini-
gen Punkten verbessert, aber noch nicht ausreichend.

Mehrfach hat die Deutsche Telekom mit Endkunden-
preisen unter ihren eigenen Kosten wirtschaftlich sinn-
volle Angebote der Wettbewerber von vornherein unmög-
lich gemacht. Gegen die zum Teil sogar von der
Regulierungsbehörde als zu niedrig festgestellten Preise
ging die Behörde allerdings nicht vor. Das bedauern wir
sehr. Die Begründung der Reg TP lautete, eine Verdrän-
gungswirkung sei nicht erwiesen. Erst fast ein Jahr später
hat die Reg TP Maßnahmen ergriffen, die in einigen Be-
reichen zu geringen Preiskorrekturen durch die Deutsche
Telekom AG geführt haben.

Heute macht die Telekom AG mit Kampfpreisen wie
aus dem Lehrbuch der Monopolisten die Geschäftspläne
ihrer Wettbewerber in Deutschland zur Makulatur. Dafür
nimmt sie zum Teil auch gewaltige Verluste in Kauf. Ich
erinnere nur an den DSL-Preis. Da hat die Telekom nach
unseren Berechnungen auf jährliche Einnahmen in Höhe
von über 2 Milliarden DM verzichtet – und das in einer
Situation, in der sie dieses Geld eigentlich dringend
bräuchte.

Andererseits steigen die Preise genau in den Bereichen
wieder an, in denen die Wettbewerbsintensität gering ist,
beispielsweise im Ortsnetz. Auch bei DSLmüssen wir uns
auf weiter steigende Preise bis auf ein kostendeckendes
Niveau gefasst machen. Die Strategie der DT AG dürfte
dann aufgehen: keine Billigpreise mehr für die Bürger,
aber dank Dumpingpreisen auch kein Wettbewerber in
diesem Zukunftsmarkt. „Marktanteil über alles und sei es
auf Kosten möglicher Gewinne“, das kann kein erfolgrei-
ches Zukunftskonzept sein. Deshalb auch die Fragen, die
mein Fraktionsvorsitzender, wie ich vorhin schon gesagt
habe, gestern gestellt hat.

Am Montag dieser Woche hatten wir zu diesem Ge-
setzentwurf eine Anhörung mit 14 Sachverständigen.
Selten gab es wohl eine Anhörung, in der die Ablehnung
eines Gesetzentwurfs so einhellig war. Kritikpunkte wa-
ren die Folgenden:

Es gab Befürchtungen, dass Investitionen, die in die
Netzinfrastruktur getätigt worden sind, mit einem Feder-
strich vernichtet würden. Diese Befürchtungen richten
sich vor allem auf die Reaktionen am Kapitalmarkt als
Folge dieser Kapitalvernichtung. Durch Monopolverlän-
gerung – das ist ein anderer Vergleich – bekommt in ei-
nigen Bereichen der Paketpost schon heute kein Unter-

nehmen mehr Kredite. Wir befürchten, dass durch diese
Entscheidung im Telekommunikationsmarkt eine ähnli-
che Entwicklung mit ähnlichen Folgen eintritt. Im Post-
bereich – ich habe es an dieser Stelle kürzlich schon ge-
sagt – gab es allein in den letzten vier Monaten mehr als
50 Unternehmensaufgaben.

In der Anhörung wurde davor gewarnt, dass die
Flächenländer in Zukunft benachteiligt werden, dass es
also zu unterschiedlichen Preisen für Land und Stadt
kommt.

Ein Konzept zur Entgeltregulierung ist ebenfalls nicht
in Sicht. Das wäre aber die Voraussetzung, um dieses Ge-
setz zeitnah umzusetzen. Die Citynetzbetreiber warnen
vor Vernichtung bestehender Arbeitsplätze – und das wohl
zu Recht.

Vor allem wurde immer wieder darauf verwiesen, dass
die Hauptursache für fehlenden Wettbewerb nicht die
Netzbetreibervorauswahl ist, sondern es sind die hohen
Tarife für Miete und Entgelt für die Teilnehmeran-
schlussleitung, die so genannte TAL. Wir wissen, dass
der heutige Wirtschaftsminister schon im Jahr 1998, we-
nige Wochen nach seinem Amtsantritt, ein besseres und
verbraucherfreundlicheres Tarifgefüge verhindert hat.

Aus all diesen Gründen waren sich die Abgeordneten
meiner Fraktion, der FDP, der SPD, der Grünen und auch
der PDS über Wochen hinweg einig, dass wir das Gesetz
in dieser Form in dieser Legislaturperiode nicht mehr ver-
abschieden wollen; vielmehr wollten wir es gemeinsam
mit der großen Novelle des TKG verabschieden. Auch
Befürchtungen im Hinblick auf das Bußgeldverfahren der
EU wurden von den Experten deutlich zurückgewiesen.
Sie sagten: Wenn wir in wenigen Wochen das große TKG
hätten, dann wäre damit keine Gefahr verbunden.

Die SPD hat am Dienstag dieser Woche – sie war bis
dahin unserer Meinung – eine Trendwende vollzogen. Da
von Partei und Regierung Druck ausgeübt wurde, hat sich
die SPD-Fraktion mittlerweile entschlossen, dieses Ge-
setz kurzfristig zu verabschieden. Ich muss sagen: Diese
Entwicklung ist bedauerlich. Die Folgen dieser Entschei-
dung wollen wir nicht mittragen. Das haben die SPD und
die Grünen allein auszubaden. Wir sind auch nicht bereit,
in Mithaftung genommen zu werden, wenn das Bußgeld-
verfahren einsetzt.


(Klaus Barthel [Starnberg] [SPD]: Sie sind in der Haftung! Bötsch hat das unterschrieben!)


Wir werden diesem Gesetz also nicht zustimmen.
Ich komme zum Schluss. Lieber Kollege Klaus Barthel,

ich bedanke mich für deine freundlichen Worte. Trotz all
des Streits, den wir hatten, darf ich gleichfalls sagen: Der
Streit zwischen uns war immer angenehm und wir sind
letztendlich immer versöhnlich auseinander gegangen.

Vielen Dank.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1424913000
Herr Kollege Müller,
ich wurde ausdrücklich gebeten, nicht zu erwähnen, dass




Elmar Müller (Kirchheim)

25364


(C)



(D)



(A)



(B)


dies Ihre letzte Rede war. Nun hat aber der Kollege Barthel
selbiges verraten. Deshalb an dieser Stelle: Vielen Dank für
Ihr großes Engagement in diesem Hohen Hause und alles
Gute für den kommenden Lebens- und Arbeitsabschnitt!


(Beifall – Elmar Müller [Kirchheim] [CDU/CSU]: Vielen Dank!)


Da die Kollegin Michaele Hustedt und der Kollege
Gerhard Jüttemann ihre Reden zu Protokoll gegeben ha-
ben1), ist der letzte Redner in dieser Debatte der Kollege
Rainer Funke für die FDP-Fraktion.


Rainer Funke (FDP):
Rede ID: ID1424913100
Frau Präsidentin! Meine Da-
men und Herren! Der Kollege Barthel hat natürlich völlig
Recht: Was von der Politik verlangt wird, sind Stabilität
und Verlässlichkeit, auch bei der Gesetzgebung. Ich bin
als rechtspolitischer Sprecher meiner Fraktion in dieser
Legislaturperiode von der Bundesjustizministerin einiges
gewohnt, was das Durchpeitschen von Gesetzen angeht.
Aber der Bundeswirtschaftsminister hat es getoppt. Herz-
lichen Glückwunsch!

Das bisher praktizierte Verfahren – Herr Müller hat es
hier angesprochen – ist schon sehr merkwürdig. Die eu-
ropäische Richtlinie aus dem Jahre 1998 hat offensicht-
lich lange Zeit niemanden im Bundeswirtschaftsministe-
rium interessiert. Wir haben darüber nur bruchstückhaft
Informationen bekommen. Über das Vertragsverlet-
zungsverfahren haben wir überhaupt keine Informatio-
nen bekommen. Nach einer langen Zeit des Wartens – fast
drei Jahre – hat die Bundesregierung am 3. Juni 2002 den
Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Tele-
kommunikationsgesetzes vorgelegt, Herr Kollege
Staffelt. Dann sollte dieses Gesetz im Eilverfahren durch
das Parlament gepeitscht werden.

Im Zuge der dann einsetzenden Beratungen hat am
1. Juli 2002, also am Montag dieser Woche – Herr Müller
hat es erwähnt –, eine Sachverständigenanhörung statt-
gefunden. Die 14 geladenen Sachverständigen haben
unisono gesagt: Lasst den Unsinn mit der kleinen TKG-
Novelle, macht eine große TKG-Novelle! Die Professo-
ren unter den Sachverständigen haben gesagt: Daraus
kann kein Nachteil entstehen. Die Kollegen der SPD und
der Grünen haben in der Anhörung gesagt: Gott sei Dank,
wir brauchen in dieser Legislaturperiode im Grunde ge-
nommen keinen entsprechenden Gesetzentwurf mehr in
das Gesetzgebungsverfahren einzubringen.

In der Nacht von Dienstag auf Mittwoch ist auf die ar-
men Kollegen von den Koalitionsfraktionen so viel Druck
ausgeübt worden,


(Lachen bei der SPD)

dass sie sich zu einer abgespeckten Form der kleinen
TKG-Novelle durchgerungen haben.


(Horst Kubatschka [SPD]: Herr Kollege, brauchen Sie ein Taschentuch?)


– Ja, ich habe es da. Die Tränen habe ich schon beim Dik-
tieren meiner Rede vergossen; deswegen fällt mir das jetzt
nicht so schwer.

Am Mittwoch haben wir um 8.05 Uhr eine Tischvor-
lage mit einer abgespeckten TKG-Novelle bekommen.
Nun könnte man sagen: Das ist eine kleine TKG-Novelle;
man kann darüber reden, das kann man vielleicht einmal
hinnehmen. Aber es geht hier um Milliarden. Das wissen
auch Sie, Herr Kollege Barthel. Hier müssen Investitio-
nen durchdacht sein und geschützt werden, die den Wett-
bewerb herstellen sollen.


(Klaus Barthel [Starnberg] [SPD]: Das hätte Herr Rexrodt auch wissen können! Wir haben den Käse nicht unterschrieben!)


All das können wir doch nicht in der Zeit von 8.05 Uhr bis
8.10 Uhr, als Sie endlich verspätet eingetroffen sind,
durcharbeiten. Das geht nicht. So kann man doch kein Ge-
setzgebungsverfahren betreiben.


(Beifall bei der FDP)

Das ist wirklich in einem hohen Maß unseriös und parla-
mentarisch nicht zu vertreten.


(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Elmar Müller [Kirchheim] [CDU/CSU])


Herr Kollege Wieczorek, Sie als guter alter, gestande-
ner Sozialdemokrat achten den Parlamentarismus doch
ganz besonders. Sie können nicht damit einverstanden
sein, dass mit dem Parlament so umgegangen wird.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Dr. Norbert Wieczorek [SPD]: Wenn so lange verzögert wird, dass die Kommission Recht hat, dann ist der Punkt gegeben!)


Es ist vom Bundeswirtschaftsministerium absichtlich
verzögert worden, um dann das Parlament in dieser Weise
vorzuführen. Das geht doch so nicht! Das ist der eigentli-
che Skandal.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Ulrich Heinrich [FDP]: Das ist nicht der einzige Fall, Herr Funke! Wir sind laufend brüskiert worden!)


Wir sind nicht bereit, solche Dinge mitzumachen. Des-
wegen lehnen wir dieses Gesetz ab.

Ich möchte aber meine letzte Rede in dieser Legisla-
turperiode nicht beenden, ohne meinem Kollegen Elmar
Müller sehr herzlich zu danken – nicht nur für die Arbeit
in dieser Legislaturperiode; schließlich haben wir ge-
meinsam an der Postreform II und im Übrigen auch an
diesem TKG mitgewirkt, das nämlich nicht so schlecht
ist, wie es jetzt von einigen interessierten Leuten gemacht
wird. Für diese Zusammenarbeit bedanke ich mich ganz
besonders. Ich wünsche Ihnen alles Gute, auch für Ihren
weiteren wirtschaftlichen Weg.


(Beifall bei der FDP – Elmar Müller [Kirchheim] [CDU/CSU]: Vielen Dank!)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1424913200
Ich schließe die Aus-
sprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur
Änderung des Telekommunikationsgesetzes, Drucksa-
chen 14/9194 und 14/9237. Ich verweise darauf, dass der
Kollege Ulrich Kelber eine schriftliche persönliche Er-




Vizepräsidentin Petra Bläss

25365


(C)



(D)



(A)



(B)


1) Anlage 7

klärung zur Abstimmung gemäß § 31 unserer Geschäfts-
ordnung abgegeben hat.1)


(Rainer Funke [FDP]: Ja, aus gutem Grund!)

Der Ausschuss für Wirtschaft und Technologie emp-

fiehlt unter Ziffer I seiner Beschlussempfehlung auf Druck-
sache 14/9711, den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung
anzunehmen. Ich bitte jetzt diejenigen, die dem Gesetzent-
wurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das
Handzeichen. – Gegenprobe! – Enthaltungen? – Der Ge-
setzentwurf ist damit gegen die Stimmen von FDPund PDS
bei Enthaltung der CDU/CSU angenommen.

Wir kommen zur
dritten Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte jetzt diejenigen, die
dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz-
entwurf ist damit gegen die Stimmen von FDP und PDS
bei Enthaltung der CDU/CSU angenommen.

Unter Ziffer II seiner Beschlussempfehlung auf Druck-
sache 14/9711 empfiehlt der Ausschuss für Wirtschaft und
Technologie, eine Entschließung anzunehmen. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenprobe! –
Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist gegen die
Stimmen der FDP-Fraktion bei Enthaltung der CDU/CSU
angenommen.

Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Techno-
logie auf Drucksache 14/7628 zu dem Antrag der Fraktio-
nen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen mit dem
Titel „Wettbewerb und Regulierung im Telekommunikati-
onssektor“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf
Drucksache 14/5693 anzunehmen. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? –
Die Beschlussempfehlung ist gegen die Stimmen von
CDU/CSU und FDP angenommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 25 auf:
Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten
Dr. Martina Krogmann, Dr. Martin Mayer

(Siegertsbrunn), Matthias Wissmann, weiterer

Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU
Chancen und Perspektiven der digitalen Wirt-

(Informationstechnologie, Multimedia, Internet, Telekommunikation)

– Drucksache 14/8935 –

Die Kolleginnen und Kollegen Dr. Martina Krogmann,
Hubertus Heil, Gudrun Kopp, Wolfgang Bierstedt sowie
die Parlamentarische Staatssekretärin Margareta Wolf ha-
ben ihre Reden sämtlich zu Protokoll gegeben.2) – Ich
höre keinen Widerspruch.

Dann kann ich sofort den Tagesordnungspunkt 26 auf-
rufen:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss) zu dem An-
trag der Abgeordneten Dr. Christian Ruck,

(Offenbach)

CDU/CSU
Weißbuch der Kommission der Europäischen
Gemeinschaften: Strategie für eine zukünftige
Chemikalienpolitik
– Drucksachen 14/8029, 14/9516 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Carola Reimann
Dr. Christian Ruck
Winfried Hermann
Birgit Homburger
Eva Bulling-Schröter

Die Kolleginnen und Kollegen Dr. Carola Reimann,
Marie-Luise Dött, Winfried Hermann, Birgit Homburger
sowie Eva Bulling-Schröter haben ihre Reden ebenfalls
zu Protokoll gegeben.3) – Ich sehe Begeisterung im
ganzen Saale.


(Beifall im ganzen Hause)

Wir kommen deshalb zur Abstimmung über die Be-

schlussempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Natur-
schutz und Reaktorsicherheit auf Drucksache 14/9516 zu
dem Antrag der Fraktion der CDU/CSU mit dem Titel
„Weißbuch der Kommission der Europäischen Gemein-
schaften: Strategie für eine zukünftige Chemikalienpoli-
tik“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksa-
che 14/8029 abzulehnen. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? –
Diese Beschlussempfehlung ist gegen die Stimmen von
CDU/CSU und FDP angenommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 28, der zugleich un-
ser letzter ist, auf:

Beratung des Antrags der Fraktion der PDS
In der internationalen Krisenprävention und
Konfliktbewältigung andere Prioritäten setzen
– Drucksache 14/9150 –
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss (f)

Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die PDS
fünf Minuten erhalten soll.– Ich höre keinen Widerspruch.
Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Erste Rednerin für die
PDS-Fraktion ist die Kollegin Heidi Lippmann.




Vizepräsidentin Petra Bläss
25366


(C)



(D)



(A)



(B)


1) Anlage 5
2) Anlage 8 3) Anlage 9


Heidi Lippmann-Kasten (PDS):
Rede ID: ID1424913300
Frau Präsidentin! Meine Da-
men und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Über
40-mal habe ich in den vergangenen vier Jahren in diesem
Haus über Militär, Abrüstung, Rüstungskontrolle, Krieg
und Frieden geredet


(Elmar Müller [Kirchheim] [CDU/CSU]: Das ist ja eine Bilanz!)


und von Ihnen, wie wohl auch heute, viel Widerspruch ge-
erntet. Oft kam der Vorwurf, die von mir im Namen der
PDS-Fraktion vorgetragenen Positionen seien einseitig
und rückwärts gewandt. Doch man kann die Probleme der
Gegenwart nicht bewältigen, indem man die Geschichte
ausblendet,


(Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Richtig! Die Geschichte der letzten sechs Jahre zum Beispiel! Die Geschichte hört nicht mit 45 auf!)


und man kann die Zukunft nicht gestalten, ohne Visionen
zu haben.

In der jüngsten Geschichte waren die Hoffnungen auf
eine Friedensdividende, auf ein Ende bewaffneter Kon-
flikte, auf eine starke Rolle der Vereinten Nationen nach
dem Ende des Kalten Krieges groß. Während einige den
weltweiten Siegeszug des Kapitalismus als Ende der Ge-
schichte interpretierten, war es für andere nur eine Frage
der Zeit, wann der bis dato visionäre Zustand weltweiter
Demokratie und Marktwirtschaft und damit die glo-
bale Harmonie erreicht sei. Heute wissen wir: Die Visio-
nen haben sich nicht erfüllt.


(Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das waren aber nicht unsere!)


Die Welt ist seitdem nicht friedlicher geworden, ganz im
Gegenteil; viele blutige Kriege sind hinzugekommen.


(Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Richtig! Und was sind da die konkreten Antworten?)


Versäumt wurde, darüber nachzudenken, inwieweit die
Gewalteskalation in der Welt bis hin zum Terrorismus
mit dem rapiden Vormarsch der neoliberalen Globalisie-
rung zusammenhängt. Versäumt wurde darüber nachzu-
denken, welche Verbindungen es zwischen der egoisti-
schen Politik der großen Machtkartelle der Welt und der
Zunahme von Armut und gesellschaftlicher Zerrüttung
gibt, die wiederum den Nährboden für Gewalt abgeben.


(Beifall bei Abgeordneten der PDS – Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Diskussion nicht mitbekommen! Geschlafen!)


Versäumt wurde auch, darüber nachzudenken, wie die
Kumpanei der großen Demokratien mit korrupten bis des-
potischen Regimen von Riad bis Manila zu dieser Pro-
blemlage beiträgt.


(Beifall bei der PDS)

Statt hierüber nachzudenken,


(Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das haben wir!)


wird die Welt wieder in gut und böse, in modern und vor-
modern, in zivilisiert und unzivilisiert geteilt. Wieder ein-
mal sind es die anderen, die das Schlimme in der Welt her-
vorrufen. Gegen diese anderen, als „Schurkenstaaten“, als
„Achse des Bösen“ usw. deklarierten Länder, führt die Al-
lianz der selbst ernannten „Achse der Guten“ ihre Kriege.
Statt über neue Antworten und Wege nachzudenken, greift
man auf die überkommenen Mittel der Menschheitsge-
schichte zurück. Krieg ist wieder legitim, Krieg ist wie-
der Mittel der Politik geworden.


(Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein!)


Zu dieser engstirnigen Rückwärtsgewandtheit sagt die
PDS Nein.


(Beifall bei Abgeordneten der PDS)

Wir wollen nicht mehr und nicht weniger als einen Para-
digmenwechsel in der internationalen Politik.


(V o r s i t z: Präsident Wolfgang Thierse)

Konfliktursachen müssen endlich angegangen werden,
statt militärisch genutzte Nach- oder Verschlimmbesse-
rung zu betreiben. Das Völkerrecht und die Vereinten Na-
tionen müssen gestärkt werden


(Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das tun wir!)


statt der globalen Weltpolizeianmaßung durch die USA,
die NATO oder wen auch immer.

Die Beziehungen der Völker und Staaten in der Welt
müssen auf verlässliche, rechtsverbindliche und gleichbe-
rechtigtere Grundlagen gestellt werden statt der Willkür-
herrschaft der Mächtigen. Rüstungskontrolle und radi-
kale Abrüstung müssen ganz oben auf die Tagesordnung,
statt Ressourcen fressende und vergeudende neue Auf-
rüstungsprogramme zu finanzieren.

Für die Konflikte in der Welt – auf dem Balkan, im
Nahen Osten, in Afrika, am Golf oder in Südasien –
müssen unter dem Dach der UNO durch konzentrierte
diplomatische Anstrengungen gerechte Lösungen ge-
funden werden, statt immer wieder Machtinteressen,
auf Rohstoffe bezogene oder bornierte Interessen zu be-
dienen.


(Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo tut das die Bundesrepublik?)


Die PDS unterbreitet in ihrem Antrag viele konkrete
Vorschläge, wie diese Politik ziviler Krisenvorbeugung
endlich umgesetzt werden könnte. Eine Bundesregierung,
die sich einer solchen Politik verschriebe, könnte interna-
tional hohes Ansehen erwerben.


(Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hat sie doch schon!)


Sie würde der internationalen Verantwortung, wie es ei-
nem so einflussreichen Lande wie der Bundesrepublik
entspräche, entschieden gerechter werden, wenn sie
nicht immer nur neue militärische Auslandseinsätze be-
schließen würde und wenn sie den Rüstungshaushalt






(C)



(D)



(A)



(B)


zulasten umfassender Entwicklungszusammenarbeit
nicht weiter nach oben treiben würde.


(Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Stimmt ja nicht!)


Ich weiß, dass es auch unter Ihnen, liebe Kolleginnen
und Kollegen, nicht wenige gibt, die so denken. Doch was
uns unterscheidet, ist die Tatsache, dass sie sich kollektiv,
partei- und fraktionsübergreifend, den Strukturen und
Mechanismen der vermeintlichen Macht unterwerfen und
sich selbst Denkverbote auferlegen bzw. auferlegen las-
sen.


(Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Völliger Unsinn! – Horst Kubatschka [SPD]: Da liegen Sie aber völlig falsch!)


Visionär, wie ich bin,

(Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Visionär? Parteitaktisch, mehr nicht!)


wünsche ich mir, dass der nächste Bundestag die Kon-
flikte um den Irak oder um andere Staaten diplomatisch
oder durch so genannte präemptive Kriegsaktionen lösen
wird, wenn er wieder vor entsprechenden Entscheidungen
steht.

Ich wünsche mir, dass Sie sich für zivilisiertes Handeln
entscheiden werden und dass nicht allein die PDS zu wei-
teren Kriegen und zur Aufrüstung Nein sagen wird.


(Horst Kubatschka [SPD]: Wir versuchen, Kriege zu verhindern!)


Krieg ist kein legitimes Mittel der Politik und Frieden ist
nicht nur ein Wort.


(Beifall bei der PDS)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1424913400
Kollegin Lippmann,
da ich gehört habe, dass Sie Ihre letzte Rede gehalten ha-
ben, möchte ich Ihnen alles Gute wünschen. Sie haben die
Möglichkeit, Ihre interessante Kleidung an anderer Stelle
vorzuführen, aber nicht mehr in diesem Hause.


(Beifall der Abg. Rita Grießhaber [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])


Jetzt erteile ich das Wort der Kollegin Uta Zapf von der
SPD-Fraktion.


Uta Zapf (SPD):
Rede ID: ID1424913500
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Ich habe mich eigentlich nur deshalb ent-
schlossen, meinen Redebeitrag nicht zu Protokoll zu ge-
ben, weil ich die Kollegin Heidi Lippmann als Mitglied
meines Unterausschusses menschlich schätzen gelernt
habe. Ihre Rede lässt mich aber zweifeln, ob das ein rich-
tiger Entschluss war. Ich glaube nämlich, dass Ihre Rede
nicht vollkommen Ihrer tieferen Überzeugung entspricht.
Das sage ich, obwohl wir sehr häufig unterschiedlicher
Auffassung waren.

Ich freue mich immer, wenn im Deutschen Bundestag
über das wichtige Thema Krisenprävention diskutiert
wird. Leider ist die Beteiligung häufig nicht sehr hoch.
Deshalb kann man nicht oft genug darüber debattieren.

Es ist schade, dass wir diese Debatte auf Grundlage ei-
nes Antrages führen müssen, der die Realitäten völlig ver-
kennt. In diesem Antrag werden Fakten einfach nicht zur
Kenntnis genommen; er ist wirr und unlogisch. Daher
muss man sagen, dass er keine gute Diskussionsgrundlage
bietet.

In Ihrem Beitrag, liebe Frau Lippmann, haben Sie so
getan, als wenn es die letzten Jahre in der politischen Ent-
wicklung überhaupt nicht gegeben hätte.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Sie stellen Forderungen auf, die längst erfüllt sind. Sie
stellen Behauptungen auf, die in keiner Weise der Realität
entsprechen. Es sieht so aus, als hätten Sie überhaupt nicht
wahrgenommen, über welche Politik wir in diesem Hause
diskutiert und entschieden haben. Das ist ziemlich schade.

Sie haben offensichtlich auch den Gang der Geschichte
seit 1989 nicht mehr vollständig mitbekommen. Die Krö-
nung ist die Forderung unter Punkt 6 in Ihrem Antrag:

Die Bundesregierung setzt sich aktiv für die Über-
windung von Militärblöcken ein.

Da muss ich mir erstaunt die Augen reiben und fragen:
Wo finden Sie heute noch Militärblöcke? Es gibt die
NATO, die sich wandelt und öffnet und die eine einzigar-
tige Kooperation mit dem Nicht-NATO-Mitglied Russ-
land eingegangen ist. Diese Entwicklung hat Vorläufer,
die weiß Gott nicht auf Blockkonfrontation, sondern auf
Kooperation ausgerichtet waren.

Auf dem NATO-Gipfel in Prag wird höchstwahr-
scheinlich ein großer Teil der ehemaligen Warschauer-
Pakt-Mitglieder in die NATO aufgenommen.


(Horst Kubatschka [SPD]: Sie drängeln ja!)

Das heißt doch, dass wir damit einen einzigartigen Si-
cherheitsraum in Europa schaffen, einen Sicherheitsraum,
der auf Kooperation beruht und nicht auf Konfrontation.
Vielleicht können wir also in Zukunft von dieser Basis aus
weitere Diskussionen führen.

Ihnen geht es nicht – das wissen wir aus früheren An-
trägen Ihrer Fraktion – um eine Verbesserung der Instru-
mente der Krisenprävention, sondern um die Ablehnung
der NATO und – auch das haben Sie zum Ausdruck ge-
bracht – um die Ablehnung von Auslandseinsätzen deut-
scher Soldaten.


(Dr. Ilja Seifert [PDS]: Richtig!)

Allerdings frage ich mich, warum Sie in Ihrem Antrag den
Einsatz von Blauhelmen gemäß Kap. VI des UN-Vertra-
ges fordern. Denn auch hier werden Soldaten zu militäri-
schen Aktionen geschickt. Oder sollen wir uns hier fein
heraushalten? Sie wollen die Taskforce Fox in Mazedo-
nien, die KFOR im Kosovo und die SFOR in Bosnien-
Herzegowina abziehen. Diese Missionen sind ausdrück-
lich friedenserhaltend.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)


Dort würde es in dem Moment eine Gewalteskalation ge-
ben, in dem wir diese Soldaten abziehen. Ein solcher Ab-




Heidi Lippmann
25368


(C)



(D)



(A)



(B)


zug würde keine Befriedung bringen. Derzeit sind die Sol-
daten, die wir und andere Nationen in diese Regionen ge-
schickt haben, diejenigen, die den dortigen Friedensprozess
absichern. Das sollten wir einmal zur Kenntnis nehmen.


(Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die PDS will UN-Treue à la carte! Nichts anderes!)


Es ist ein Jammer, mit welcher Blindheit in dem vor-
liegenden Antrag ignoriert wird, wie viele zivile Struktu-
ren wir seit dem Zeitpunkt, seit dem diese Regierung im
Amt ist, aufgebaut haben. Die Koalition hat in kurzer Zeit
ein funktionierendes nationales ziviles Instrumentarium
aufgebaut. Dies ist nachzulesen in dem „Konzept zur zi-
vilen Krisenprävention, Konfliktlösung und Friedenslö-
sung“ von 1999. Sie hat ihre Entwicklungspolitik nach
neuen Grundsätzen ausgerichtet. Das, was Sie fordern,
wird getan: Strukturelle Konfliktursachen sollen abgebaut
und eine gewaltfreie Konfliktbearbeitung soll gefördert
werden. Genau dafür haben wir den zivilen Friedens-
dienst, der früher leider immer abgelehnt worden ist, auf-
gebaut. Mittlerweile sind mehr als 100 ausgebildete Frie-
densfachkräfte in verschiedenen Krisenregionen tätig.


(Widerspruch der Abg. Heidi Lippmann [PDS])


Zudem, liebe Frau Lippmann, ist die Kooperation mit den
NGOs noch nie so gut gewesen wie derzeit. Sie wird stän-
dig ausgebaut. Hier haben wir keinen Nachholbedarf. Wir
haben das so weit institutionalisiert, dass man dies nicht
kritisieren kann.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Das Evaluationsgutachten, das jetzt im Hinblick auf
den Aufbau des zivilen Friedensdienstes erstellt worden
ist – es ist eine erste Auswertung –, besagt ausdrücklich,
dass die durchgeführten Maßnahmen durch ihre partner-
bezogene Projektarbeit erste Ansätze für eine längerfris-
tige Wirkung einer stärker friedenspolitisch ausgerichte-
ten Entwicklungszusammenarbeit erkennen lassen. Was
kann man sich mehr wünschen, als dass eine Regierung so
etwas aufbaut? 9,9 Millionen Euro haben wir im laufen-
den Haushaltsjahr nur für die Finanzierung des Friedens-
dienstes vorgesehen.

Darüber hinaus gibt es weitere Maßnahmen, zum Bei-
spiel, beim Auswärtigen Amt angesiedelt, Kurse für die-
jenigen, die in Konflikten auf zivile Art und Weise ver-
mitteln sollen. 468 Teilnehmerinnen und Teilnehmer sind
ausgebildet worden. Mittlerweile gibt es eine Personalre-
serve von circa 700 Experten, die für solche Einsätze vor-
gehalten werden. Ich denke, das ist eine enorme Leistung,
die wir auch einmal loben sollten.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Widerspruch der Abg. Heidi Lippmann [PDS])


Es geht noch weiter: Vor ein paar Wochen, am
25.April, haben wir ein neues Institut, das Zentrum für in-
ternationale Friedenseinsätze, eingeweiht, in dem in Zu-
kunft ausgebildet und eine weitere Vernetzung mit den
NGOs vorgenommen wird sowie nach dem Motto „Les-

sons learned“ Analysen und Auswertungen von Einsätzen
gemacht werden, um eine ständige Verbesserung dieser
friedenspolitischen Arbeit zu gewährleisten und einen
Pool von einsetzbaren Leuten aufzubauen.

Wir haben in der OSZE dafür gesorgt, dass mit den Re-
act- und mit den Polizeikräften, die dort tätig sind, eben-
solche Strukturen aufgebaut worden sind. 540 deutsche
Polizisten sind in internationalen Einsätzen tätig, davon
allein 510 auf dem Balkan. Die Polizei ist eine zivile Or-
ganisation. Also sagen Sie doch nicht, dass wir nichts ge-
macht hätten!


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Im Rahmen der ESVP haben wir ein Kontingent von
910 Polizisten zur Verfügung gestellt. Ich finde, dies ist
eine hervorragende Leistung.

Darüber hinaus – leider scheint das niemand so richtig
zur Kenntnis zu nehmen – haben wir im europäischen
Rahmen beim Aufbau der Gemeinsamen Außen- und Si-
cherheitspolitik und bei der gemeinsamen Verteidigungs-
politik dafür gesorgt, dass es neben der militärischen
Komponente eine gleichberechtigte zivile Komponente
gibt. Ja, wir bauen europäische Krisenreaktionskräfte in
einer Stärke von 60 000 Mann auf. Gleichzeitig gibt es
neben dem Militärkomitee aber das zivile Komitee, das
sich ausdrücklich der zivilen Krisenprävention und der
Konfliktbearbeitung widmet, das ähnliche Strukturen der
Polizei aufbaut und im Bereich der Demokratisierungsar-
beit sowie im Bereich des Rechtstaatsaufbaus tätig ist.

Ich glaube, all die Forderungen, die Sie in Ihrem An-
trag – der recht lang ist – aufgelistet haben, sind entweder
bereits völlig erfüllt oder sind in manchen Bereichen gar
nicht erfüllbar.

Ich will noch auf eine Sache hinweisen: Wir haben
nach den Kriegen auf dem Balkan eine deutsche Initiative
gestartet, die ich für die größte Friedensinitiative halte,
die es jemals gegeben hat, nämlich den Stabilitätspakt
für Südosteuropa. Dies war eine deutsche Initiative. Sie
wird immer wieder verlängert und wird von allen Geber-
ländern mit Geld unterstützt. Der ganze Bereich der Eu-
ropäischen Union hat sich da engagiert, aber auch über die
Europäische Union hinaus gab es Engagement. Gerade in
diesem Rahmen werden Grundsätze, die für uns sehr
wichtig sind und die Sie als Forderungen angeführt haben,
nämlich regionale Zusammenarbeit und regionale Abrüs-
tung, mit als wichtigste Komponenten durchgeführt.

Kollegin Lippmann, Sie haben mit Recht gesagt,
Abrüstung sei ein wichtiger Bestandteil. Nur, gerade Sie
als Mitglied in dem Unterausschuss Abrüstung, Rü-
stungskontrolle und Nichtverbreitung wissen, dass Abrüs-
tung in der Regel keine einseitige Angelegenheit ist – dann
würde sie nämlich gar nicht funktionieren –, sondern dass
das ein langer, schwieriger Verhandlungsprozess in inter-
nationalen Organisationen ist und dass die Bundesregie-
rung in der Tat einen großen Beitrag geleistet hat, zum
Beispiel im Bereich Kleinwaffen bzw. „small arms“. Ge-
rade letztens ist hier in diesem Hause ein Fortschritt in der
Frage der Landminen beschlossen worden. Ich denke, wir
brauchen uns nicht zu verstecken.




Uta Zapf

25369


(C)



(D)



(A)



(B)


Zur Entwicklungspolitik könnte man dasselbe sagen;
denn nicht nur im nationalen Rahmen ist die Frage der De-
mokratisierung, die Frage von „good governance“, die
Frage von geringen Rüstungsetats gebunden an die Frage
der Projektdurchführung von deutscher Seite. Vielmehr
ist dies mittlerweile auch im europäischen Rahmen der
Fall. Das ist in den Dokumenten so niedergelegt. Das
heißt, wir haben in den letzten Jahren tatsächlich einen Pa-
radigmenwechsel in der Entwicklungspolitik, aber auch
im Bereich der Sicherheitspolitik gehabt, da die zivilen
Instrumente in einem Maße ausgebaut worden sind, das
ich mir nicht hätte träumen lassen, als ich in diesem Bun-
destag angefangen habe.

Seit 1990 habe ich versucht, hier im Bundestag auf die-
ses Thema aufmerksam zu machen und Fortschritte auf
diesem Gebiet zu erreichen. Wir haben es jetzt, nach dem
Regierungswechsel, in der Tat in Strukturen gegossen. Ich
bin froh, dass ich noch dazusagen kann, Kollegin
Lippmann, dass das Haus im Prinzip diesem Weg folgt,
weil wir erkannt haben, dass dies ein richtiger und ein
wichtiger Weg ist.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Heidi Lippmann [PDS]: Und deshalb haben Sie den Entwicklungsetat zusammengestrichen!)


– Darauf gehe ich jetzt nicht mehr ein. Ich habe noch
30 Sekunden und habe Ihrem Kollegen versprochen, nicht
alle Zeit auszuschöpfen, weil er gerne nach Hause will.

Trotzdem wünsche ich Ihnen ganz herzlich viel Glück
auf Ihrem zukünftigen Berufs- und Lebensweg.

Danke schön.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1424913600
Der Kollege
Schockenhoff hat seine Rede zu Protokoll gegeben. 1)

Deswegen erteile ich jetzt das Wort dem Kollegen
Winfried Nachtwei, Bündnis 90/Die Grünen.


Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1424913700

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im
PDS-Antrag wird die Notwendigkeit betont, der interna-
tionalen Krisenprävention höhere Priorität einzuräumen.
Wie wahr!


(Hildebrecht Braun [Augsburg] [FDP]: Das ist aber auch das Einzige, was wahr ist an dem Antrag!)


Die PDS wirft Rot-Grün vor, Anspruch und Wirklichkeit
würden weit auseinander klaffen. Um das zu „belegen“,
arbeiten Sie allerdings nicht mit scharfer Kritik, sondern
mit Unterstellungen und Feindbildpropaganda – so muss
man das deutlich benennen –


(Beifall bei der SPD und der FDP – Widerspruch der Abg. Heidi Lippmann [PDS])


und mit Auslassungen. Sie ignorieren völlig die bisheri-
gen Anstrengungen dieser Regierung – de facto auch von
der Breite des Hauses mitgetragen – auf dem Feld der Kri-
senprävention in der tatsächlichen Politik der Gewalt- und
Kriegseindämmung und -verhütung, vor allem auf dem
Balkan, in Mazedonien.

Ohne das Vorgehen der Bundesrepublik, der EU und
der NATO hätten wir auf dem Balkan seit einem Jahr wie-
der Krieg.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP)


Ist es denn nichts, das mit verhindert zu haben? Sie igno-
rieren völlig das – die Kollegin Uta Zapf hat es gerade
angeführt –, was wir dazu beigetragen haben und was wir
im Koalitionsvertrag versprochen haben: Aufbau einer
Infrastruktur für die zivile Konfliktbearbeitung, Wieder-
aufnahme der Bundesförderung der Friedens- und Kon-
fliktforschung, eine ganz andere Verankerung der Krisen-
prävention in der Entwicklungszusammenarbeit – nicht
nur im zivilen Friedensdienst, sondern auch in der Ge-
sellschaft für Technische Zusammenarbeit, die da inzwi-
schen sehr viel macht.

Unsere Hilfen sind überall auch in die Ausbildung ein-
geflossen. Zum Zentrum Internationale Friedenseinsätze
sage ich gleich noch etwas. Sie ignorieren die Unterstüt-
zung von verschiedensten Nichtregierungsorganisationen
mit Verständigungsprojekten, die es vorher so nicht gege-
ben hat, und die Stärkung von Polizeimissionen. Hier
werden tatsächlich neue Fähigkeiten der multilateralen
Friedensförderung entwickelt. Die sind noch nicht zurei-
chend, aber vergleichen Sie das bitte einmal mit den in-
ternationalen Anstrengungen. Dann werden Sie feststel-
len: Im Polizeibereich und in anderen Bereichen ist die
Bundesrepublik mit im Spitzenfeld.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP)


Die Forderungen der PDS strotzen von Widersprüch-
lichkeiten und Leerstellen. Die Widersprüchlichkeiten hat
Kollegin Zapf schon angesprochen. Ich nenne jetzt nur
noch die Leerstellen, gerade im Bereich der operativen
kurzfristigen Krisenprävention. Hierzu sagen Sie in Ihrem
Antrag, der es ja eigentlich im Titel verspricht, rein gar
nichts. Der Antrag bleibt völlig auf der plakativen Ebene.

Offenkundig hat die PDS die Diskussion und die reale
Praxis der letzten vier Jahre auf nationaler Ebene und auf
internationaler Ebene völlig verschlafen – nein, sie hat es
nicht verschlafen, sondern mutwillig nicht zur Kenntnis ge-
nommen, weil es eben einfach nicht in ihr Feindbild passt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP)


Anspruch und Wirklichkeit: Der vorliegende Antrag
beweist, wie gerade bei der PDS Anspruch und Wirklich-
keit krass auseinander klaffen.


(Widerspruch der Abg. Heidi Lippmann [PDS])


Ihr Anspruch ist der der alleinigen Friedenspartei. Sie
sind stark im Bekenntnis gegen Krieg. Im Bekenntnis sind




Uta Zapf
25370


(C)



(D)



(A)



(B)


1) Anlage 10

Sie stark, aber in der Wirklichkeit, wenn es konkret um In-
strumente und Fähigkeiten geht, die notwendig sind, um
realen Kriegen und Gewaltbedrohungen entgegenzuwir-
ken, sind Sie – das zeigt die heutige Debatte, das zeigen
andere Debatten, das zeigt Ihr Antrag – so inkompetent
wie nichts. Da sind Sie von keiner Fraktion im Bundestag
zu übertreffen. Da sind Sie wirklich Spitze.


(Hildebrecht Braun [Augsburg] [FDP]: So ist es leider!)


Es bestätigt sich das Ergebnis einer Umfrage, die Anfang
des Jahres von der PDS selbst in Auftrag gegeben wurde.
Auf die Frage, welcher Partei die größte Friedenskompe-
tenz zugesprochen werde, erhielten die Grünen 35 Prozent
und die PDS als letzte aller Parteien ganze 15 Prozent.


(Wolfgang Gehrcke [PDS]: Immerhin!)

Die Bundestagsdebatten der letzten Wochen haben ge-

zeigt, dass die PDS auf dem Feld der Friedens- und Sicher-
heitspolitik unbestreitbar nur über eine Kernkompetenz
verfügt, nämlich bei der Vertretung der Belange ehemaliger
NVA-Angehöriger. Das hat sich auch am letzten Freitag in
dem von Ihnen vorgelegten Antrag gezeigt. Ich konstatiere
das ausdrücklich nicht mit Häme, sondern mit Bedauern;
denn deutsche Außenpolitik, die Friedenspolitik sein soll,
braucht Friedenskompetenz in allen Parteien


(Wolfgang Gehrcke [PDS]: Das sagt gerade ihr!)


und produktive Kontroverse und nicht bloße Bekennt-
nisse, Feindbildwahrnehmung und Lernunfähigkeit, wie
sie von der PDS vorgeführt werden.


(Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Redezeit!)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1424913800
Kollege Nachtwei,
Sie müssen bitte zum Ende kommen.


Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1424913900

Liebe Heidi Lippmann, ich wünsche dir und deiner Fami-
lie nach deiner Zeit im Bundestag alles Gute und zugleich
in der Befreiung von Fraktions- und Parteizwängen mehr
politische Offenheit.

Danke schön.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1424914000
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Hildebrecht Braun, FDP-Fraktion.


Hildebrecht Braun (FDP):
Rede ID: ID1424914100
Herr Präsi-
dent! Meine Damen und Herren! Internationale Krisen-
prävention und Konfliktbewältigung sind ein wahrhaft
geeignetes Thema für den letzten Tagesordnungspunkt
vor der Sommerpause. Es hätte ein Highlight werden kön-
nen, aber mit diesem Antrag ist das schlechterdings nicht
möglich.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Dieser Antrag wird dem Thema nicht gerecht. Er ist ge-
nau das, was mein Kollege Nachtwei immer wieder ge-
sagt hat: ein von Feindbildern strotzendes Konglomerat
von Gedanken, die am Thema voll vorbeigehen. Ich be-
dauere dies von Herzen.

Es handelt sich um einen Antrag von immerhin sechs
Seiten Länge. Hätten Sie doch wenigstens den Antrag der
FDP vom November letzten Jahres – zum Nachlesen:
Drucksache 14/7445 – durchgelesen und meinetwegen
auch abgeschrieben. Hätten Sie unsere Ideen geklaut,
wäre die Sache wenigstens richtig behandelt worden.

Jetzt haben Sie aber tatsächlich ein Produkt geliefert,
das an Propaganda aus schlechtester DDR-Zeit erinnert.
Es ist unglaublich, wie man die Entwicklungen der letz-
ten Jahre überhaupt nicht zur Kenntnis nehmen kann. Es
ist unglaublich, dass Sie heute noch auftreten und glauben
machen können, dass sich die Situation auf dem Balkan
durch den Einsatz der internationalen Gemeinschaft ver-
schlechtert hätte. Sie behaupten, es sei Militarisierung
entstanden. Stattdessen wurde dieser Region durch den
Einsatz der Soldaten der internationalen Gemeinschaft
eine Friedensperspektive gegeben.

Lassen Sie uns über Afghanistan reden. Dort waren
wir erst vor wenigen Wochen. Dass dort Mädchen wieder
in die Schule gehen und Frauen wieder ihrer Arbeit nach-
gehen können, sind Erfolge, über die wir reden müssen;
denn sie wurden von außen erzwungen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Dort gäbe es doch noch die Situation von vor einem Jahr,
wenn diese Aktion nicht stattgefunden hätte und nicht
auch Soldaten – ich betone: auch Soldaten – nach der ei-
gentlichen Militäraktion die friedliche Entwicklung abge-
sichert hätten.

Der gesamte Balkan ist von der Angst vor dem serbi-
schen Nationalismus befreit worden. In allen Staaten und
Regionen entwickeln sich demokratische Mehrparteien-
strukturen. Die Menschen kehren freiwillig in ihre Heimat
zurück, weil sie nicht mehr in Angst leben müssen. Es
wird dort eine friedliche Gesellschaft nicht nur mit der
Hilfe der Soldaten, sondern auch und gerade durch viele
Organisationen außerhalb des Regierungsbereichs, aber
auch durch die EU, die OSZE usw. aufgebaut. Das sind
doch Bemühungen, die wir hier ansprechen müssen. Sie
sind die Realität. Diesen Bemühungen verdanken Milli-
onen Menschen in dieser Region eine friedliche Zukunft.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Stattdessen legen Sie einen Antrag vor, der uns glauben
machen soll, es gehe um Weltmarktanteile. Weltmarkt-
anteile in Afghanistan?


(Wolfgang Gehrcke [PDS]: Geht es auch!)

So eine Dummheit! Sie schreiben, es gehe um politische
Einflusszonen im Kosovo oder in Mazedonien. Können
Sie mir erläutern, wo da die Relevanz für strategische
Ausrichtungen und Weltpolitik ist? Nein, es geht um die
Menschen und die Hilfe für die Menschen, die in ihrer
Heimat zukünftig ohne Angst leben wollen.




Winfried Nachtwei

25371


(C)



(D)



(A)



(B)


Das aber hat die PDS alles nicht gemerkt. Sie ist in unse-
rer Zeit einfach noch nicht angekommen. Jetzt ist es wirk-
lich an der Zeit: Nutzen Sie die Sommerpause, um einmal
nachzulesen, wie die Realität in diesen Ländern ist! Viel-
leicht können Sie dann zu Beginn der nächsten Legislatur-
periode, wenn Sie wieder dabei sein sollten, vernünftig mit
uns über Konzepte sprechen, mit denen wir in Zukunft die
Krisen- und Konfliktprävention verbessern können.

Sie hätten so viele Dinge ansprechen können, bei de-
nen in der Tat noch Defizite bestehen. Beispielsweise
hätte man die Tatsache ansprechen können, dass bei der
Stiftung „Wissenschaft und Politik“ das internationale
Krisenpräventionszentrum von der Europäischen Union
abgezogen und an ihrer Stelle kein neues Zentrum errich-
tet oder das bestehende wiedererrichtet worden ist. Aber
nichts von alledem wurde thematisiert; es gab nur Propa-
ganda am laufenden Meter. Einen solchen Antrag habe ich
in der gesamten Zeit meiner Parlamentszugehörigkeit
noch nicht gelesen. Das war eine Schande für die PDS.
Das sage ich auch in meiner letzten Rede dieser Legisla-
turperiode in aller Deutlichkeit.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und der SPD)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1424914200
Ich erteile dem Staats-
minister Ludger Volmer das Wort.

D
Dr. Ludger Volmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1424914300
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Bundeswehreinsätze ja oder nein, auf diese Frage
war in den 90er-Jahren weithin – nicht nur von der Poli-
tik, sondern auch in der Öffentlichkeit – die Suche nach
der neuen Rolle Deutschlands in der Welt verengt worden.
Rot-Grün dagegen verpflichtete sich im Koalitionsver-
trag, „sich mit aller Kraft um die Entwicklung und An-
wendung von wirksamen Strategien und Instrumenten der
Krisenprävention und der friedlichen Konfliktregelung“
zu „bemühen.“ Dieses Versprechen wurde erfüllt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Auch wenn Krisenprävention in der medialen Ein-
druckskonkurrenz und einer auf das Militärische konditio-
nierten Öffentlichkeit aus Mangel an Action-Bildern mi-
litärischen Auftritten immer noch nicht den Rang ablaufen
kann, ist sie in Wirklichkeit zum weltweit geachteten Gü-
tezeichen der rot-grün akzentuierten deutschen Außenpo-
litik geworden. Bei aller Kritik im Einzelnen bestätigt dies
auch die Friedensforschung in ihrem Jahresbericht.

Die Bundesregierung verankerte unter Federführung
des Auswärtigen Amtes Prävention als Neuansatz mo-
derner Sicherheitspolitik im April 2000 in einem eigenen
Rahmenkonzept und machte dies auch zum Leitthema
des G-8-Außenministertreffens im Dezember 2000. Der
Europäische Rat hatte 1999 auf deutsche Initiative hin ei-
nen entsprechenden Aktionsplan beschlossen, ähnlich der
OSZE-Gipfel im selben Jahr.

Die praktischen Erfolge dieser Außenpolitik sind be-
eindruckend. Beispiel Balkan: Der deutsche Friedens-

plan machte der völkermörderischen Politik Milosevics
und dem umstrittenen NATO-Luftkrieg zugleich ein
Ende. Auf dieser Basis entstand, auch als Ergebnis einer
rot-grünen Initiative, der Stabilitätspakt – ein Musterbei-
spiel für integratives und auf Versöhnung ausgerichtetes
Post-Conflict-Peacebuilding.

Noch vor wenigen Monaten drohte in Mazedonien ein
weiterer grausamer Bürgerkrieg. Die Deeskalation ging
auch hier von der deutschen Außenpolitik aus und wurde
von der EU aufgenommen und umgesetzt. Zum ersten
Mal wurde ein drohender Bürgerkrieg auf dem Balkan ab-
gewendet. Während die PDS das deutsche Engagement
als weiteren Beleg für eine rot-grüne Kriegslüsternheit
geißelte, feiert alle Welt diesen Einsatz als Paradebeispiel
für eine gelungene Kriegsverhinderungspolitik.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie des Abg. Hildebrecht Braun [Augsburg] [FDP])


Beispiel Kampf gegen den Terror: Prävention begann
schon bei der Definition des Konflikts. Gegen die anfangs
dominante Meinung, der 11. September sei das Fanal für
den ersten Krieg der Kulturen, konnte eine präzise Defini-
tion des Problems, eine eingrenzbare Terrororganisation,
durchgesetzt werden. Das ist ein dramatischer Unterschied;
denn unsere Deutung beförderte nicht den Kampf der Kul-
turen, sondern einen Dialog der Kulturen, wie er bereits im
rot-grünen Koalitionsvertrag programmiert worden war.
Die intensive Diplomatie und die Kapazitätsausweitung im
Auswärtigen Amt zur Verstärkung des Dialogs mit der isla-
mischen Welt folgen diesem Postulat. Als Anerkennung ih-
rer Leistung betraute die UNO die Bundesregierung mit der
Durchführung der Afghanistan-Konferenz.

Ohnehin wurden unter grüner Führung die Beziehun-
gen zur Dritten Welt im Auswärtigen Amt neu definiert.
An die Stelle der zehn Jahre alten, viel zu allgemeinen und
wirtschaftslastigen Kontinentalkonzepte für Afrika, Asien
und Lateinamerika setzte das Auswärtige Amt nun spezi-
fische Regionalkonzepte. Diese rücken auf regionaler und
subregionaler Ebene den politischen und kulturellen Dia-
log sowie die Entwicklungszusammenarbeit im Sinne ei-
nes erweiterten Sicherheitsbegriffs gezielt in den Vorder-
grund. Integration als präventive Sicherheitspolitik
schlägt sich den Staaten gegenüber nieder, die von ande-
ren als Schurken oder gar als Achse des Bösen ausge-
grenzt werden. Die Resonanz in den Regionen ist einhel-
lig positiv.

Auch die eigene Infrastruktur für krisenpräventive
Politik wurde entscheidend verbessert. Das BMZ hat die
zivilen Friedenskräfte gegründet. Das Auswärtige Amt
hat nun einen eigenen Topf zur Kofinanzierung von frie-
denspolitischen Aktivitäten nicht nur der UNO, sondern
auch von Nichtregierungsorganisationen. Das „Zentrum
für internationale Friedenseinsätze“ ist nun in der Lage,
einen Personalpool aufzubauen und zu pflegen, den wir
für internationale Friedensmissionen brauchen.

Diese Politik der rot-grünen Bundesregierung gilt
weltweit in vielen Punkten als beispielgebend. Ich denke,
dass diese Regierung die Chance verdient hat, ihre Er-
folge vier weitere Jahre lang zu konsolidieren.




Hildebrecht Braun (Ausburg)

25372


(C)



(D)



(A)



(B)


Ich danke Ihnen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war ein richtiges Schlusswort!)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1424914400
Dies war der letzte
Redner in dieser Debatte und damit auch der letzte Red-
ner vor der Sommerpause.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 14/9150 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.

Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesord-
nung und damit am Schluss der ordentlichen Sitzungen
dieser Legislaturperiode.

Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes-
tages auf Donnerstag, den 12. September 2002, 10 Uhr,
ein: Dann steht die erste Beratung des Haushalts für das
Jahr 2003 auf der Tagesordnung.

Ich wünsche Ihnen allen einen schönen Sommer und
– so der Wähler will – dass wir uns in freundlicher Atmo-
sphäre und heiter wiedersehen. Alles Gute für Sie!


(Beifall im ganzen Hause)

Die Sitzung ist geschlossen.