Protokoll:
14246

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 14

  • date_rangeSitzungsnummer: 246

  • date_rangeDatum: 28. Juni 2002

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:00 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 17:02 Uhr

  • account_circleMdBs dieser Rede
  • tocInhaltsverzeichnis
    Erweiterung der Tagesordnung . . . . . . . . . . . . 24855 A Begrüßung einer rumänischen Parlamenta- riergruppe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24858 D Zusatztagesordnungspunkt 18: Beschlussempfehlung des Ausschusses nach Art. 77 des Grundgesetzes zu dem Gesetz zur Erleichterung der Bekämp- fung von illegaler Beschäftigung und Schwarzarbeit (Drucksachen 14/8221, 14/8288, 14/8625, 14/8957, 14/9630) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24855 C Zusatztagesordnungspunkt 19: Beschlussempfehlung des Ausschusses nach Art. 77 des Grundgesetzes zu dem Fünften Gesetz zur Änderung des Steu- erbeamten-Ausbildungsgesetzes und zur Änderung von Steuergesetzen (Drucksachen 14/8286, 14/8887, 14/9343, 14/9631) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24855 D Zusatztagesordnungspunkt 20: Beschlussempfehlung des Ausschusses nach Art. 77 des Grundgesetzes zu dem Ge- setz zur Änderung futtermittelrechtli- cher Vorschriften sowie zur Änderung sonstiger Gesetze (Drucksachen 14/9034, 14/9249, 14/9532, 14/9632) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24856 A Zusatztagesordnungspunkt 21: Beschlussempfehlung des Ausschusses nach Art. 77 des Grundgesetzes zu dem Gesetz zur Änderung des Rechts der Vertretung durch Rechtsanwälte vor den Oberlandesgerichten (OLG-Vertretungs- änderungsgesetz) (Drucksachen 14/8763, 14/9266, 14/9531, 14/9633) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24856 A Zusatztagesordnungspunkt 22: Beschlussempfehlung des Ausschusses nach Art. 77 des Grundgesetzes zu dem Ersten Gesetz zur Änderung des Geset- zes zur Neuregelung des Energiewirt- schaftsrechts (Drucksachen 14/5969, 14/9081, 14/9534, 14/9634) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24856 B Tagesordnungspunkt 22: a) Unterrichtung durch die Bundesregie- rung: 6. Bericht der Bundesregierung über ihre Menschenrechtspolitik in den Auswärtigen Beziehungen und in anderen Politikbereichen (Drucksache 14/9323) . . . . . . . . . . . . . 24856 C b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Helmut Haussmann, Ulrich Irmer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Sklaverei weltweit verhindern (Drucksachen 14/8280, 14/9471) . . . . . 24856 C c) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe zu dem Antrag der Plenarprotokoll 14/246 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 246. Sitzung Berlin, Freitag, den 28. Juni 2002 I n h a l t : Abgeordneten Hermann Gröhe, Monika Brudlewsky, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Lage der Menschen- und Minderheitenrechte in Vietnam (Drucksachen 14/8483, 14/9484) . . . . . 24856 D d) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe zu dem Antrag der Abgeordneten Hermann Gröhe, Monika Brudlewsky, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Dr. Helmut Haussmann, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion der FDP: Den Friedensprozess im Sudan in Gang setzen und nachhaltig fördern (Drucksachen 14/8481, 14/9485) . . . . . 24856 D e) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe zu dem Antrag der Abgeordneten Carsten Hübner, Petra Bläss, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der PDS: Konkrete Maßnah- men zur Stärkung wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Rechte er- greifen (Drucksachen 14/8502, 14/9486) . . . . . 24857 A Rudolf Bindig SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24857 B Hermann Gröhe CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 24859 A Christa Nickels BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 24860 D Sabine Leutheusser-Schnarrenberger FDP 24862 B Carsten Hübner PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24863 D Heide Mattischeck SPD . . . . . . . . . . . . . . . . 24864 D Monika Brudlewsky CDU/CSU . . . . . . . . . . 24866 C Joseph Fischer, Bundesminister AA . . . . . . . . 24867 D Hermann Gröhe CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 24869 C Tagesordnungspunkt 23: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Arbeit und Sozialordnung zu dem Antrag der Abgeordneten Gerald Weiß (Groß-Gerau), Karl-Josef Laumann, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Kapitalteilhabe stärken – Vermögensbildungsförderung altersvor- sorgegerecht ausbauen (Drucksachen 14/6639, 14/9401) . . . . . . . 24870 B Silvia Schmidt (Eisleben) SPD . . . . . . . . . . . 24870 B Gerald Weiß (Groß-Gerau) CDU/CSU . . . . . 24871 C Peter Dreßen SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24872 C Christine Scheel BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24873 D Wolfgang Meckelburg CDU/CSU . . . . . . 24874 D Dr. Irmgard Schwaetzer FDP . . . . . . . . . . . . 24876 A Roland Claus PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24877 B Wolfgang Grotthaus SPD . . . . . . . . . . . . . . . 24878 A Hartmut Schauerte CDU/CSU . . . . . . . . . 24879 C Rainer Eppelmann CDU/CSU . . . . . . . . . . . . 24880 B Tagesordnungspunkt 24: a) Schlussbericht der Enquete-Kommis- sion: Globalisierung der Weltwirt- schaft – Herausforderungen und Antworten (Drucksache 14/9200) . . . . . . . . . . . . . 24881 C b) Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses – zu dem Antrag der Abgeordneten Jörg-Otto Spiller, Adelheid Tröscher, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abge- ordneten Angelika Beer, Andrea Fischer (Berlin), weiterer Abgeord- neter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Reform der internationalen Fi- nanzarchitektur – zu dem Antrag der Abgeordneten Rainer Brüderle, Gudrun Kopp, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Für eine mutige Reform des Internationalen Wäh- rungsfonds (IWF) – zu dem Antrag der Abgeordneten Ursula Lötzer, Dr. Barbara Höll, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der PDS: Reform der in- ternationalen Finanzarchitektur (Drucksachen 14/9359, 14/3861, 14/4069, 14/9590) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24881 C Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk SPD . . . . . . . . . . 24881 D Hartmut Schauerte CDU/CSU . . . . . . . . . . . 24884 A Annelie Buntenbach BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24886 D Gudrun Kopp FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24889 D Ursula Lötzer PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24891 C Dr. Ernst Ulrich von Weizsäcker SPD . . . . . . 24892 D Thomas Rachel CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 24894 B Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk SPD . . . . . . . 24895 C Ottmar Schreiner SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24896 C Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 246. Sitzung. Berlin, Freitag, den 28. Juni 2002II Leo Dautzenberg CDU/CSU . . . . . . . . . . . . 24898 A Detlev von Larcher SPD . . . . . . . . . . . . . . . . 24899 B Tagesordnungspunkt 25: a) Große Anfrage der Abgeordneten Klaus Riegert, Peter Letzgus, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Zur umfassenden und nachhaltigen Förderung der Ent- wicklung des Sports in Deutschland (Drucksachen 14/7114, 14/8865) . . . . 24901 D b) Beschlussempfehlung und Bericht des Sportausschusses zu dem Entschlie- ßungsantrag der Abgeordneten Klaus Riegert, Friedrich Bohl, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion der CDU/ CSU zu der Großen Anfrage der Abge- ordneten Klaus Riegert, Friedrich Bohl, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Sicherung der Zu- kunft der Vereine durch wirtschaftli- che und bürokratische Entlastung – Erhöhung der Gestaltungsmöglich- keiten und Freiräume (Drucksachen 14/3680, 14/5445, 14/8035, 14/9327) . . . . . . . . . . . . . . . . 24901 D c) Beschlussempfehlung und Bericht des Sportausschusses zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: 9. Sport- bericht der Bundesregierung (Drucksachen 14/1859, 14/6122) . . . . 24902 A in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 14: Unterrichtung durch die Bundesregierung: 10. Sportbericht der Bundesregierung (Drucksache 14/9517) . . . . . . . . . . . . . . . . 24902 A Klaus Riegert CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . 24902 A Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast, Parl. Staats- sekretärin BMI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24903 D Dr. Klaus Kinkel FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24905 C Winfried Hermann BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24907 A Gustav-Adolf Schur PDS . . . . . . . . . . . . . . . 24909 A Dagmar Freitag SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24910 A Eckart von Klaeden CDU/CSU . . . . . . . . 24910 C Walter Link (Diepholz) CDU/CSU . . . . . . . . 24911 D Wieland Sorge SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24913 A Tagesordnungspunkt 26: Bericht des Petitionsausschusses: Bitten und Beschwerden an den Deutschen Bundestag – Die Tätigkeit des Petitions- ausschusses des Deutschen Bundestages im Jahr 2001 (Drucksache 14/9146) . . . . . . . . . . . . . . . . 24914 D Heidemarie Lüth PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24915 A Klaus Hagemann SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . 24916 A Hubert Deittert CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 24917 C Helmut Wilhelm (Amberg) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24918 D Dr. Karlheinz Guttmacher FDP . . . . . . . . . . . 24920 C Gabriele Lösekrug-Möller SPD . . . . . . . . . . 24921 B Günter Baumann CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . 24922 C Bernd Reuter SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24923 C Heidemarie Lüth PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24924 C Marion Seib CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . 24925 C Tagesordnungspunkt 27: a) Große Anfrage der Abgeordneten Dr. Gerhard Friedrich (Erlangen), Thomas Rachel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: For- schungsförderung in Deutschland (Drucksachen 14/7183, 14/8949) . . . . 24926 C b) Unterrichtung durch die Bundesregie- rung: Bericht zur technologischen Leistungsfähigkeit Deutschlands 2001 und Stellungnahme der Bundesregie- rung (Drucksache 14/9331) . . . . . . . . . . . . . 24926 C c) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung – zu dem Antrag der Abgeordneten Ulrike Flach, Cornelia Pieper, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Förderung der Energie- speicherforschung – zu dem Antrag der Abgeordneten Ulrike Flach, Birgit Homburger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Gegen ein For- schungsverbot in der Gashydrat- forschung – zu der Unterrichtung durch die Bun- desregierung: Faktenbericht For- schung 2002 zum Bundesbericht Forschung 2000 (Drucksachen 14/5576, 14/9392, 14/8040, 14/8829 Nr. 1.6, 14/9586) . . . . . . . . . . 24926 D Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 246. Sitzung. Berlin, Freitag, den 28. Juni 2002 III d) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung zu dem Antrag der Abgeordneten Brigitte Wimmer (Karlsruhe), Dr. Peter Eckardt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeord- neten Dr. Reinhard Loske, Grietje Bettin, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Mehr Frauen an die Spitze von Wissenschaft und For- schung – durch Gender Mainstrea- ming Frauen in Wissenschaft und Forschung stärken (Drucksachen 14/7627, 14/8509) . . . . . 24927 A e) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung zu dem Antrag der Abgeordneten Ulrike Flach, Cornelia Pieper, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Ressortfor- schung überprüfen – Effizienz der Forschung steigern (Drucksachen 14/5329, 14/8096) . . . . . 24927 A f) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung – zu dem Antrag der Abgeordneten Ulrike Flach, Walter Hirche, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Die Brennstoffzelle – Technik des 3. Jahrtausends – zu dem Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technik- folgenabschätzung gemäß § 56 a der Geschäftsordnung: Technikfolgen- abschätzung hier: TA-Projekt „Brennstoffzellen-Technologie“ (Drucksachen 14/8282, 14/5054, 14/9496) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24927 B in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 15: Antrag der Abgeordneten Dr. Gerhard Friedrich (Erlangen), Thomas Rachel, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Eine neue Offensive für eine moderne Forschungspolitik (Drucksache 14/9538) . . . . . . . . . . . . . . . . 24927 C in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 16: Antrag der Abgeordneten Ulrike Flach, Birgit Homburger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Wissenschaft und Forschung als Motor der gesell- schaftlichen Entwicklung und des wirt- schaftlichen Aufschwungs in Deutsch- land nutzen (Drucksache 14/9567) . . . . . . . . . . . . . . . . 24927 C Ulrike Flach FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24927 C Wolf-Michael Catenhusen, Parl. Staatssekretär BMBF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24929 A Bärbel Sothmann CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . 24931 A Dr.-Ing. Joachim Schmidt (Halsbrücke) CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24932 D Tagesordnungspunkt 28: Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Fünften Gesetzes zur Än- derung des Stasi-Unterlagen-Gesetzes (5. StUÄndG) (Drucksache 14/9219) . . . . . . . . . . . . . . . . 24935 B Tagesordnungspunkt 29: Antrag der Abgeordneten Jörg van Essen, Günther Friedrich Nolting, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion der FDP: Rechtssicherheit für die bewaffneten Einsätze deutscher Streitkräfte schaffen – ein Gesetz zur Mitwirkung des Deut- schen Bundestages bei Auslandsein- sätzen der Bundeswehr einbringen (Drucksache 14/9402) . . . . . . . . . . . . . . . . 24935 D Jörg van Essen FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24936 A Anni Brandt-Elsweier SPD . . . . . . . . . . . . . . 24936 D Winfried Nachtwei BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24938 C Tagesordnungspunkt 30: a) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN ein- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der Vorsorge und Rehabilitation für Mütter (Drucksachen 14/9035, 14/9563, 14/9611) 24940 A b) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN ein- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 246. Sitzung. Berlin, Freitag, den 28. Juni 2002IV zur Sicherung der Betreuung und Pflege schwerstkranker Kinder (Drucksachen 14/9031, 14/9585) . . . . 24940 A Tagesordnungspunkt 31: a) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit zu dem Antrag der Abgeordneten Helga Kühn- Mengel, Hildegard Wester, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Monika Knoche, Christa Nickels, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Brustkrebs – Mehr Qualität bei Früherkennung, Versorgung und Forschung – Für ein Mammogra- phie-Screening nach europäischen Leitlinien (Drucksachen 14/6453, 14/9122) . . . . 24940 C b) Antrag der Abgeordneten Detlef Parr, Dr. Dieter Thomae, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion der FDP: Für ein Gesamtkonzept zur Verbesse- rung der Versorgung bei Brustkrebs (Drucksache 14/9099) . . . . . . . . . . . . . 24940 D Tagesordnungspunkt 32: Antrag der Abgeordneten Heidi Lippmann, Monika Balt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der PDS: Deutsche Einheit in der Bundeswehr herstellen (Drucksache 14/8920) . . . . . . . . . . . . . . . . 24941 A Wolfgang Gehrcke PDS . . . . . . . . . . . . . . . . 24941 B Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24942 C Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 24943 A Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – Große Anfrage: Forschungsförderung in Deutschland – Unterrichtung: Bericht zur technologi- schen Leistungsfähigkeit Deutschlands 2001 und Stellungnahme der Bundesregie- rung – Beschlussempfehlung und Bericht: – Förderung der Energiespeicherforschung – Gegen ein Forschungsverbot in der Gashydratforschung – Faktenbericht Forschung 2002 zum Bundesbericht Forschung 2000 – Beschlussempfehlung und Bericht: Mehr Frauen an die Spitze von Wissenschaft und Forschung – durch Gender Mainstreaming Frauen in Wissenschaft und Forschung stärken – Beschlussempfehlung und Bericht: Res- sortforschung überprüfen – Effizienz der Forschung steigern – Beschlussempfehlung und Bericht: – Die Brennstoffzelle – Technik des 3. Jahrtausends – Technikfolgenabschätzung: hier: TA- Projekt „Brennstoffzellen-Technologie“ – Antrag: Eine neue Offensive für eine mo- derne Forschungspolitik – Antrag: Wissenschaft und Forschung als Motor der gesellschaftlichen Entwicklung und des wirtschaftlichen Aufschwungs in Deutschland nutzen (Tagesordnungspunkt 27 a bis f, Zusatztages- ordnungspunkte 15 und 16) . . . . . . . . . . . . . . 24944 A Hans-Josef Fell BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 24944 D Maritta Böttcher PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24946 B Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Stasi-Unterlagen-Gesetzes (5. StUÄndG) (Tagesordnungspunkt 28) . . . . . . . . . . . . . . . . 24947 C Dieter Wiefelspütz SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . 24947 C Sylvia Bonitz CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . 24948 A Hartmut Büttner (Schönebeck) CDU/CSU 24948 C Cem Özdemir BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 24950 B Dr. Edzard Schmidt-Jortzig FDP . . . . . . . . . 24951 A Petra Pau PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24951 B Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Rechtssicherheit für die bewaffneten Einsätze deutscher Streitkräfte schaf- fen – ein Gesetz zur Mitwirkung des Deutschen Bundestages bei Auslandseinsätzen der Bun- deswehr einbringen (Tagesordnungspunkt 29) 24951 D Eckart von Klaeden CDU/CSU . . . . . . . . . . 24951 D Dr. Evelyn Kenzler PDS . . . . . . . . . . . . . . . . 24953 B Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 246. Sitzung. Berlin, Freitag, den 28. Juni 2002 V Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Vorsorge und Rehabilitation von Müt- tern – Entwurf eines Gesetzes zur Sicherung der Betreung und Pflege schwerstkranker Kin- der (Tagesordnungspunkt 30 a und b) . . . . . . . . . . 24954 A Dr. Martin Pfaff SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24954 A Hubert Hüppe CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . 24955 C Wolfgang Zöller CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 24956 B Katrin Göring-Eckardt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24957 A Detlef Parr FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24957 C Dr. Ruth Fuchs PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24958 B Ulla Schmidt, Bundesministerin BMG . . . . . . 24959 A Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – Beschlussempfehlung und Bericht: Brust- krebs – Mehr Qualität bei Früherkennung, Versorgung und Forschung – Für ein Mam- mographie-Screening nach europäischen Leitlinien – Antrag: Für ein Gesamtkonzept zur Verbes- serung der Versorgung bei Brustkrebs (Tagesordnungspunkt 31 a und b) . . . . . . . . . . 24959 C Helga Kühn-Mengel SPD . . . . . . . . . . . . . . . 24959 D Annette Widmann-Mauz CDU/CSU . . . . . . . 24961 B Monika Knoche BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 24963 A Detlef Parr FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24964 A Petra Bläss PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24964 D Ulla Schmidt, Bundesministerin BMG . . . . . . 24965 A Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Deutsche Einheit in der Bundeswehr herstellen (Tagesordnungspunkt 32) . . . . . . . . 24965 D Uwe Göllner SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24965 D Kurt Palis SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24967 B Paul Breuer CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . 24968 A Winfried Nachtwei BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24969 C Dirk Niebel FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24970 D Anlage 8 Amtliche Mitteilungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24971 B Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 246. Sitzung. Berlin, Freitag, den 28. Juni 2002VI Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 246. Sitzung. Berlin, Freitag, den 28. Juni 2002
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    Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 246. Sitzung. Berlin, Freitag, den 28. Juni 2002 Wolfgang Gehrcke 24942 (C)(A) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 246. Sitzung. Berlin, Freitag, den 28. Juni 2002 24943 (C) (D) (A) (B) Altmaier, Peter CDU/CSU 28.06.2002 Altmann (Aurich), BÜNDNIS 90/ 28.06.2002 Gila DIE GRÜNEN Behrendt, Wolfgang SPD 28.06.2002* Bierwirth, Petra SPD 28.06.2002 Dr. Bötsch, Wolfgang CDU/CSU 28.06.2002 Bohl, Friedrich CDU/CSU 28.06.2002 Bühler (Bruchsal), CDU/CSU 28.06.2002* Klaus Buwitt, Dankward CDU/CSU 28.06.2002* Dr. Däubler-Gmelin, SPD 28.06.2002 Herta Dr. Doss, Hansjürgen CDU/CSU 28.06.2002 Dr. Eid, Uschi BÜNDNIS 90/ 28.06.2002 DIE GRÜNEN Eymer (Lübeck), Anke CDU/CSU 28.06.2002 Friedrich (Altenburg), SPD 28.06.2002 Peter Dr. Grygier, Bärbel PDS 28.06.2002 Hartnagel, Anke SPD 28.06.2002 Hauser (Rednitz- CDU/CSU 28.06.2002 hembach), Hansgeorg Helling, Detlef CDU/CSU 28.06.2002 Hermenau, Antje BÜNDNIS 90/ 28.06.2002 DIE GRÜNEN Hilsberg, Stephan SPD 28.06.2002 Höfken, Ulrike BÜNDNIS 90/ 28.06.2002 DIE GRÜNEN Hoffmann (Chemnitz), SPD 28.06.2002 Jelena Dr. Hornhues, CDU/CSU 28.06.2002* Karl-Heinz Hornung, Siegfried CDU/CSU 28.06.2002* Hovermann, Eike Maria SPD 28.06.2002 Hustedt, Michaele BÜNDNIS 90/ 28.06.2002 DIE GRÜNEN Irmer, Ulrich FDP 28.06.2002 Karwatzki, Irmgard CDU/CSU 28.06.2002 Kasparick, Ulrich SPD 28.06.2002 Körper, Fritz Rudolf SPD 28.06.2002 Dr. Kohl, Helmut CDU/CSU 28.06.2002 Koppelin, Jürgen FDP 28.06.2002 Koschyk, Hartmut CDU/CSU 28.06.2002 Dr. Küster, Uwe SPD 28.06.2002 Lange (Backnang), SPD 28.06.2002 Christian Lehn, Waltraud SPD 28.06.2002 Dr. Leonhard, Elke SPD 28.06.2002 Lintner, Eduard CDU/CSU 28.06.2002* Dr. Lippold CDU/CSU 28.06.2002 (Offenbach), Klaus W. Maaß (Wilhelmshaven), CDU/CSU 28.06.2002* Erich Mante, Winfried SPD 28.06.2002 Dr. Meyer (Ulm), SPD 28.06.2002 Jürgen Müller (Berlin), PDS 28.06.2002* Manfred Neumann (Bremen), CDU/CSU 28.06.2002 Bernd Neumann (Gotha), SPD 28.06.2002 Gerhard Nietan, Dietmar SPD 28.06.2002 Nolte, Claudia CDU/CSU 28.06.2002 Ost, Friedhelm CDU/CSU 28.06.2002 Ostrowski, Christine PDS 28.06.2002 Dr. Protzner, Bernd CDU/CSU 28.06.2002 Ronsöhr, CDU/CSU 28.06.2002 Heinrich-Wilhelm Dr. Schäuble, Wolfgang CDU/CSU 28.06.2002 Dr. Scheer, Hermann SPD 28.06.2002* Schily, Otto SPD 28.06.2002 entschuldigt bis Abgeordnete(r) einschließlich entschuldigt bis Abgeordnete(r) einschließlich Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Anlagen zum Stenographischen Bericht – Beschlussempfehlung und Bericht: – Förderung der Energiespeicherforschung – Gegen ein Forschungsverbot in der Gashy- dratforschung – Faktenbericht Forschung 2002 zum Bundes- bericht Forschung 2000 – Beschlussempfehlung und Bericht: Mehr Frauen an die Spitze von Wissenschaft und Forschung – durch GenderMainstreaming Frauen in Wissen- schaft und Forschung stärken – Beschlussempfehlung und Bericht: Ressortfor- schung überprüfen – Effizienz der Forschung steigern – Beschlussempfehlung und Bericht: – Die Brennstoffzelle – Technik des 3. Jahrtau- sends – Technikfolgenabschätzung: hier: TA-Projekt „Brennstoffzellen-Technologie“ – Antrag: Eine neue Offensive für eine moderne Forschungspolitik – Antrag: Wissenschaft und Forschung als Motor der gesellschaftlichen Entwicklung und des wirt- schaftlichen Aufschwungs in Deutschland nutzen (Tagesordnungspunkt 27 a bis f, Zusatztagesord- nungspunkte 15 und 16) Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Regierung Kohl hatte bei der Bildungs- und Forschungs- politik massiv gestrichen. Rot-Grün hat dagegen die Mit- tel sehr deutlich angehoben. Schwarz-Gelb versucht dies zu ignorieren und verspricht deutliche Mittelerhöhungen. Der FDP ist es sogar gelungen, beim Hochschulbau eine Mittelanhebung zu versprechen, die unter dem derzeiti- gen Mittelansatz liegt. War das nur ein Fehler oder will die FDP hier wirklich kürzen? Seit 1998 sind die Mittel für Bildung und Forschung um 21 Prozent auf 8,8 Milliarden Euro gestiegen. Wir werden so weitermachen. Der Regie- rungsentwurf enthält eine weitere deutliche Steigerung auf 9,3 Milliarden Euro. Das Schlimmste, was diesem Lande passieren könnte, wäre, dass Schwarz-Gelb die Forschungspolitik der Vergangenheit wieder aufgreifen und die Mittel erneut kürzen würde. Unter Kohl und Rüttgers wurden zwischen 1993 und 1998 die Mittel um 358 Millionen Euro abgesenkt. Ich bin mir ganz sicher, dass Herr Rüttgers unsere Forschungsministerin Edelgard Bulmahn beneidet. Vermutlich drückt Herr Rüttgers Rot- Grün heimlich die Daumen und wer weiß, vielleicht tun dies auch einige Damen und Herren der Union und FDP in diesem Hause. Bei der Forschungspolitik darf es kein Zurück in die Vergangenheit geben. Im Folgenden nenne ich einige Erfolge unserer Politik, die deutlich machen, dass es am 22. September bei der rotgrünen Regierungs- verantwortung bleiben muss: Mit dem Zukunftsinvestitionsprogramm und dem Ver- netzungsfonds für erneuerbare Energien haben wir die nicht nukleare Energieforschung gestärkt. Die Forschung an neuen Reaktoren haben wir in Deutschland eingestellt. Schlauch, Rezzo BÜNDNIS 90/ 28.06.2002 DIE GRÜNEN Schlee, Dietmar CDU/CSU 28.06.2002 Schloten, Dieter SPD 28.06.2002* Schmitz (Baesweiler), CDU/CSU 28.06.2002 Hans Peter von Schmude, Michael CDU/CSU 28.06.2002* Dr. Schockenhoff, CDU/CSU 28.06.2002 Andreas Dr. Scholz, Rupert CDU/CSU 28.06.2002 Schröder, Gerhard SPD 28.06.2002 Schultz (Everswinkel), SPD 28.06.2002 Reinhard Seehofer, Horst CDU/CSU 28.06.2002 Dr. Stadler, Max FDP 28.06.2002 Dr. Freiherr von CDU/CSU 28.06.2002 Stetten, Wolfgang Dr. Struck, Peter SPD 28.06.2002 Thiele, Carl-Ludwig FDP 28.06.2002 Trittin, Jürgen BÜNDNIS 90/ 28.06.2002 DIE GRÜNEN Türk, Jürgen FDP 28.06.2002 Vogt (Pforzheim), Ute SPD 28.06.2002 Wagner, Hans Georg SPD 28.06.2002 Dr. Waigel, Theodor CDU/CSU 28.06.2002 Wieczorek (Duisburg), SPD 28.06.2002 Helmut Wohlleben, Verena SPD 28.06.2002 Zierer, Benno CDU/CSU 28.06.2002* * für die Teilnahme an den Sitzungen der Parlamentarischen Ver- sammlung des Europarates Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – Große Anfrage: Forschungsförderung in Deutsch- land – Unterrichtung: Bericht zur technologischen Leistungsfähigkeit Deutschlands 2001 und Stel- lungnahme der Bundesregierung Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 246. Sitzung. Berlin, Freitag, den 28. Juni 200224944 (C) (D) (A) (B) entschuldigt bis Abgeordnete(r) einschließlich Darüber hinaus haben wir erreicht, dass die For- schungsförderung für neue Atomkraftwerke europaweit auch im 6. Forschungsrahmenprogramm der Europä- ischen Union eingestellt wird. Wir haben dafür gesorgt, dass bei der Genehmigung des Neutronen-Forschungsreaktors München II nach Recht und Gesetz vorgegangen wird und keine politische Genehmigung ausgesprochen wird wie zum Beispiel da- mals unter Kohl bei dem längst stillgelegten Reaktor Mül- heim-Kärlich. Nur ein grünes Umweltministerium kommt garantiert seiner Aufsichtspflicht nach. Wer Gefälligkeits- bewilligungen möchte, sollte Schwarz wählen. Wir haben das erfolgreiche Forschungsprogramm für Pflanzenöltraktoren initiiert. Nur mit uns wird es ein Nachfolgeprogramm geben, in dessen Rahmen die neuen Traktoren auf Pflanzenöle umgestellt werden. Rot-Grün hat die Mittel für Technikfolgenabschätzung mehr als verdoppelt und die Mittel für Nachhaltigkeits- forschung um 44,3 Millionen Euro erhöht. Davon haben insbesondere die Geistes- und Sozialwissenschaften pro- fitiert. Die Bundesregierung fördert die von der Union so ver- schmähte Friedensforschung wieder und hat die „Deut- sche Stiftung Friedensforschung“ gegründet. Wir stehen hier eindeutig im Kontrast zur FDP, die in ihrem Wahlpro- gramm eine Verstärkung der Rüstungsforschung fordert. Wir nehmen die Ängste vor dem Mobilfunk in der Be- völkerung ernst. Daher haben wir die Mittel für vorsor- gende Mobilfunkforschung verdreifacht. Die Mittel fließen in die Erforschung gesundheitlicher Gefahren und die Erforschung neuer Mobilfunktechniken mit weit nied- rigeren Strahlenemissionen. Gentechnik: Wir haben Mittel für Sicherheitsfor- schung und Ethik im Bereich der Gentechnik um 11,5 Millionen Euro erhöht und liegen damit an der Welt- spitze. Zudem haben wir uns erfolgreich für ein möglichst restriktives Stammzellengesetz eingesetzt, das den ver- brauchenden Embryonenschutz verbietet. Wir haben fraktionsübergreifend mit den meisten an- deren Fraktionen die Tötung von Embryonen für die Stammzellenforschung verhindert. Nur für die FDP spielt es leider keine Rolle, ob für die Stammzellenforschung Embryonen getötet werden oder nicht. Gesundheitsforschung: Auch die gentechnik-unabhän- gige Gesundheitsforschung – darunter die Vorsorge- und Pflegeforschung – hat deutlich zugelegt. 2002 werden 13,8 Millionen Euro mehr als 1998 ausgegeben. Wir haben ein Forschungsinstitut für ökologischen Landbau in Trenthorst in Schleswig-Holstein gegründet und die Forschung für den ökologischen Landbau ge- stärkt. Wir haben mit einer Vielzahl von Maßnahmen gezielt die Forschung in den neuen Bundesländern gefördert. Hervorheben möchte ich hier die Wettbewerbe „lnno-Re- gio“ und „Innovative regionale Wachstumskerne“ sowie das „Programm zur Förderung innovativer Forschungs- strukturen“. Wir haben die Gleichstellung von Frauen und Männern wieder zu einem großen gesellschaftlichen Reformprojekt und einem Schwerpunkt unserer Politik gemacht. Gender Mainstreaming haben wir sowohl im Bildungshaushalt als auch an den Forschungseinrichtungen durchgesetzt. Wir haben das Programm „Chancengleichheit für Frauen in Forschung und Lehre“ mit jährlich 60 Millionen DM aufgelegt. Die Bundesregierung hat darüber hinaus neue Kompetenzzentren für die Frauenförderungen ge- schaffen. Hierzu zählen die Zentren Frauen in der Infor- mationsgesellschaft und Technologie sowie Frauen in Wissenschaft und Forschung. Hervorheben möchte ich auch das umfangreiche Programm „Anstoß zum Auf- stieg“, das zum Ziel hat, Frauen in Hochschulen und For- schungseinrichtungen auf Führungspositionen vorzube- reiten. Ich komme zu den Anträgen zu Methanhydraten: Die Diskussion um die Forschungsförderung für die energeti- sche Nutzung der Methanhydrate hat erneut deutlich ge- macht: Wir alle sind für die Grundlagenforschung bei Methanhydraten. Diese ist wichtig für die Klimafor- schung. Aber damit hören die Gemeinsamkeiten schon auf. Wir wollen, dass die Methanhydrate auf dem Mee- resboden bleiben. Die Union und die FDP hingegen möchten die Methanhydrate nutzen ohne Rücksicht auf die Folgen für den Klimaschutz. Dies wird besonders deutlich in der Union-Pressemitteilung der Herren Wissmann und Börnsen vom Zehnten dieses Monats. Ich zitiere aus der Pressemitteilung der Union: „Die Ent- wicklung der Meerestechnik wird durch die rot-grüne Bundesregierung gehemmt, wenn sie Wissenschaft und Forschung unter das Diktat der Klima- und Umwelt- schutzziele stellt.“ Die Union und FDP gehen mit ihren Anträgen wissentlich und verantwortungslos gegen den Klimaschutz vor. Dies zeigt dem Wähler, dass er die Wahl hat zwischen rot-grüner Vorsorgepolitik oder einer schwarz-gelben Politik. Der Antrag der FDP zu Brennstoffzellen kann besten- falls mit gut gemeint bewertet werden. Brennstoffzellen werden sehr wahrscheinlich eine große Zukunft als de- zentrale Energieerzeugungstechnologie zur Strom- und Wärmeversorgung haben. Für den stationären Markt scheint sich die FDP aber nicht zu interessieren. Vielmehr sorgt sie sich um die Atomenergie. Sie kommt daher nicht zu der offen liegenden Erkenntnis, dass Brennstoffzellen Atomkraftwerke verdrängen werden. Nein, die FDP will Brennstoffzellen sogar mit Atomstrom betreiben. Dazu wären alleine im Verkehrssektor vermutlich über 100 zu- sätzliche Atomkraftwerke in Deutschland erforderlich. Aus dem Antrag der FDPmüssen wir entnehmen, dass sie dazu bereit ist, das politisch durchzusetzen. Wir freuen uns sehr auf diese Auseinandersetzung. Im Übrigen läuft der Brennstoffzellenantrag der FDP in großem Maße den Erkenntnissen der Brennstoffzellenstudie des Büros für Technikfolgenabschätzung zuwider. Ich möchte der FDP und allen wirklich Interessierten diese Studie sehr emp- fehlen. Ähnlich erheiternd ist der Antrag der FDP zur Energie- speicherung. Willkürlich wird hier ein Förderanteil für große zentrale Energieforschungstechnologien in Höhe Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 246. Sitzung. Berlin, Freitag, den 28. Juni 2002 24945 (C) (D) (A) (B) von 30 Prozent der Energieforschungsmittel gefordert. Leider sagt die FDP nicht, wo sie die Mittel einsparen will. Ich vermute, dass die FDP dabei an die von ihr un- geliebte Photovoltaik denkt. Oder an die von ihr bekämpfte Windenergie? Vielleicht auch an die Brenn- stoffzelle, die sie scheinbar nicht richtig ernst nimmt. Ich kann nur vermuten, dass das Lieblingsspielzeug der FDP, die Kernfusion, von Einsparungen verschont werden soll. Die FDP erklärt ebenfalls nicht, wieso sie gerade auf 30 Prozent kommt, unabhängig davon, wie hochwer- tig gerade die Forschungsprojekte sind, die in den einzel- nen Energieforschungsbereichen anstehen. Im Übrigen möchte ich auf Folgendes hinweisen. Würde die FDP ihre übrigen Anträge zur Energiepolitik ernst nehmen, bräuchte sie sich um die Energiespeicherung nicht zu kümmern. Die FDP tat alles, um Wind- und Sonnenener- gie zu bekämpfen. Wer dies so aggressiv wie die FDP tut, braucht sich um die Speicherung von Wind- und Solar- strom keine Gedanken zu machen. Wir hingegen nehmen die erneuerbaren Energien und die Brennstoffzellentech- nologie ernst. Deswegen haben wir in dieser Wahlperiode die Mittel für Speicherforschung unter anderem für Bat- terien und Wasserstoff deutlich erhöht. Die rot-grüne Zwischenbilanz kann sich sehen lassen. Wir haben die Forschung an dem Prinzip der Nachhaltig- keit ausgerichtet. Wir nehmen die Ergebnisse der Tech- nikfolgenabschätzung ernst und wir übernehmen damit Verantwortung für die Gesellschaft. Ich möchte der Union und der FDP ausdrücklich für ihre Anträge danken, die aufzeigen, dass die schwarz-gelbe Forschungspolitik nicht mehr zu bieten hat als die Konzepte der Vergangen- heit. Maritta Böttcher (PDS): Zur Beratung des Faktenbe- richts Forschung im Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung haben SPD und Bündnis 90/ Die Grünen einen bemerkenswerten Entschließungs- antrag vorgelegt, der in die vorliegende Beschlussemp- fehlung eingegangen ist. Bemerkenswert ist er nicht des- halb, weil die Koalitionsfraktionen zunächst in einer Lobeshymne auf die Wohltaten der rot-grünen Bundesre- gierung anstimmen – daran haben wir uns schon gewöhnt. Ungewöhnlich ist es aber, dass SPD und Grüne darüber hinaus auf konkrete Defizite der bisherigen rot-grünen Forschungspolitik aufmerksam machen. So fordern die Koalitionsfraktionen beispielsweise von der Regierung einen stärkeren Beitrag zum Klimaschutz. In der Gesund- heitsforschung müsse Prävention und Gesundheitsfor- schung eine höhere Priorität erhalten. Die Energiefor- schung habe sich auf Energieeffizienz und erneuerbare Energien zu konzentrieren. Durch zielgerichtete Pro- gramme seien Perspektiven für Forscherinnen und For- scher in den neuen Ländern zu eröffnen. All dies findet die Zustimmung der PDS. Ich respektiere das Eingeständnis der beiden Regierungsparteien, dass die Forschungspoli- tik der Bundesregierung eine Reihe von Schwachstellen aufweist. Eine kritische Lektüre des aktuellen Faktenberichts Forschung fördere jedoch noch weitere Probleme zutage, die in der Stellungnahme von SPD und Grünen nicht zur Sprache kommen. Beispiel erneuerbare Energien/ratio- nelle Energieverwendung: Warum werden im Jahr 2002 ausgerechnet in diesem Bereich von einer Regierung, die vorgibt, aus der Nutzung der Atomenergie aussteigen zu wollen, die Forschungs- und Entwicklungsausgaben um 16 Prozent gegenüber dem Vorjahr gesenkt? Und warum stagnieren in diesem Jahr darüber hinaus die Ausgaben für nachhaltige Entwicklung, für sozial-ökologische For- schung und für Bildungsforschung? Warum wird die För- derung der Geistes-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaf- ten zurückgefahren? Die PDS ist der festen Überzeugung: Wir brauchen eine sozial-ökologische Umorientierung der Forschungspolitik; es ist das falsche Signal, aus- gerechnet im PISA-Jahr, den Aufwand für die Bildungs- forschung einzufrieren; unsere Gesellschaft ist auf Orientierungen durch eine solide geistes- und sozialwis- senschaftliche Forschung angewiesen. Nach der Bundes- tagswahl soll es nach dem Willen von SPD und Grünen nicht besser, sondern schlechter werden. Dies belegt ein Blick in den jüngsten Entwurf der Bundesregierung für Bundeshaushalt und Finanzplan. Mit Steigerungen des Bildungs- und Forschungsetats soll ab 2004 Schluss sein: Erstmals seit der Regierung Kohl soll der BMBF-Haus- halt wieder schrumpfen, und zwar um satte 2,8 Prozent. Die Kritik der PDS wiegt umso schwerer, als höchst umstrittene und früher von SPD und Grünen massiv kriti- sierte Forschungsbereiche jede Haushaltskonsolidierung ungeschoren überstanden haben. So können Weltraum- forschung und Weltraumtechnik auch unter einer sozial- demokratischen Ministerin seit 1998 kontinuierliche Zu- wächse verzeichnen. Fast 800 Millionen Euro werden Jahr für Jahr im All verpulvert – elfmal so viel, wie für die Bildungsforschung ausgegeben wird. Investitionen in Ra- keten statt in die Köpfe, scheint auch die Devise von Rot- Grün zu lauten. Richtig ist: Die Struktur der deutschen Forschungs- landschaft bedarf einer grundlegenden Überprüfung. An- zuerkennen ist: Durch Einführung der Programmsteue- rung bei den HGF-Großforschungseinrichtungen hat die Bundesregierung die ersten Schritte zu einer Neuordnung eingeleitet. Die Chance des neuen Förderinstruments sehe ich darin, dass der politische Gestaltungsanspruch von Politik und Gesellschaft gestärkt werden könnte. Es geht in der Forschungspolitik um ein angemessenes Verhältnis zwischen staatlicher Steuerung, wissenschaftlicher Auto- nomie und der Einflussnahme von gesellschaftlichen Ak- teuren. Die SPD selbst hat dieses Leitbild vor zehn Jahren in einem Antrag „Zur Zukunft der Großforschungsein- richtungen“, Bundestagsdrucksache 12/2064, formuliert, von dem sie heute nichts mehr wissen will: Parlamente, Gewerkschaften und Umweltverbände bleiben im Prozess der Programmsteuerung der Großforschungseinrichtun- gen außen vor. Die Strukturreform der Bundesregierung zielt nicht auf eine Demokratisierung, sondern auf eine Ökonomisierung der Forschungsförderung ab, vorhan- dene wissenschaftliche Kapazitäten werden nicht pro- duktiv umgesteuert, sondern substanziell gefährdet. Schließlich ist die Gefahr nicht ausgeräumt, dass die Pro- grammsteuerung mit einer weiteren Flexibilisierung von Arbeitsverhältnissen des Forschungspersonals ein- hergeht. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 246. Sitzung. Berlin, Freitag, den 28. Juni 200224946 (C) (D) (A) (B) Die PDS unterstützt die Forderung der Gewerkschaf- ten, endlich auch allen Beschäftigten in Wissenschaft und Forschung tarifvertraglichen Schutz zu gewährleisten. Ob die Tarifpartner dies im Rahmen eines neuen Tarifvertrags Wissenschaft leisten oder unter dem Dach des guten alten BAT, ist allein ihre Sache. Die Politik darf sich in diese Frage nicht einmischen. Ihre Aufgabe ist es jedoch, Ar- beitgebern und Gewerkschaften überhaupt den recht- lichen Spielraum für Tarifverhandlungen zu eröffnen. Die PDS hat daher bereits zweimal – in Änderungsanträgen zur fünften und zur sechsten HRG-Novelle – eine Öff- nung der Tarifsperre im Hochschulrahmengesetz bean- tragt. Leider vergeblich: SPD und Grüne konnten sich le- diglich zu einer eingeschränkten Experimentierklausel für einzelne Fachrichtungen oder Forschungsbereiche durch- ringen. Ein flächendeckender Tarifvertrag ist weiterhin ausgeschlossen. In Sachen Wissenschaftstarif ist erneut die Bundesregierung am Zug. Mit der Art und Weise der Beratung des Antrags von SPD und Grünen zum Gender Mainstreaming in Wissen- schaft und Forschung machen Sie deutlich, wie man nach den Prinzipien des Gender Mainstreaming gerade nicht mit den Belangen von Frauen umgehen sollte: das Thema Frauenförderung einfach in letzter Minute an eine Debatte anhängen und in den zentralen Vorlagen zur Forschungs- politik souverän ignorieren. Gender Mainstreaming ernst nehmen heißt, Chancengleichheit als durchgehendes Leit- prinzip in allen Politikbereichen zu verankern. Weder der vorgelegte Faktenbericht noch die zu beratenden Anträge vermochten dies auch nur in Ansätzen zu leisten. „Chan- cengleichheit für Frauen“ – dieses Stichwort taucht in Ihrem Bericht in Form eines kurzen Abschnitts im Kapi- tel „Übrige, anderen Bereichen nicht zugeordnete Akti- vitäten“ auf – deutlicher könnte nicht ausgedrückt wer- den, dass der Grad der Realisierung von Gender Mainstreaming in der Forschungspolitik gegen null ten- diert. Der Bericht erschöpft sich schließlich in einigen we- nig aussagekräftigen Angaben zum Frauenanteil am For- schungspersonal. Dabei sind längst sehr viel präzisere Daten der BLK zugänglich. Was diese Zahlen belegen, ist verheerend: Der Frauenanteil bei den Führungspositionen an Forschungseinrichtungen in den alten Bundesländern liegt zum Beispiel bei nur zwei Prozent. In diesem Be- reich steht die rot-grüne Gleichstellungspolitik noch ganz am Anfang. Die Bundesregierung hat es versäumt, bei der Reform des Hochschuldienstrechts zu einem wirklichen Durch- bruch bei der Gleichstellung von Frauen in Wissenschaft und Forschung zu kommen. Warum hat Bundesministerin Bulmahn die Vergabe der Fördermittel für Juniorprofes- suren nicht mit der verbindlichen Auflage verbunden, dass die Hochschulen die Hälfte ihrer Juniorprofessuren mit Frauen besetzen müssen? Das fragt sie nicht nur die PDS, sondern auch die Bundeskonferenz der Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten an Hochschulen. Es kann sie doch nicht ernstlich überraschen, dass ein freundliches Rundschreiben an die Hochschulleitungen nicht aus- reicht. Die Bundesregierung ist Weltmeister im Schreiben blumiger Anträge und Berichte. Doch die kritische Öf- fentlichkeit ist an nüchternen Daten und Fakten interes- siert. Der haben Sie 1998 einen Politikwechsel verspro- chen, sind aber beim Regierungswechsel stehen geblie- ben. Die PDS wird weiter auf einer qualitativen, sozial-ökologischen Veränderung der Forschungspolitik bestehen, in der auch die Interessen von Frauen nicht un- ter den Tisch fallen. Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Stasi-Unterlagen-Gesetzes (5. StUÄndG) (Tagesordnungspunkt 28) Dieter Wiefelspütz (SPD): Es gibt im Deutschen Bundestag eine breite Übereinstimmung, dass eine No- velle des Stasi-Unterlagen-Gesetzes notwendig ist. Dies belegen der Gesetzentwurf der Koalition und die Ände- rungsanträge der Opposition. Im Bundestag und außerhalb des Bundestags existiert ein breiter Konsens, dass § 14 StUG gestrichen werden sollte. Wir wollen nicht dazu beitragen, dass auch nur Teile der Stasi-Akten unwiderruflich zerstört werden. Es ist vielmehr unser gemeinsames Ziel, die Stasi-Akten zu vervollständigen. Denken Sie an die Rosenholz-CDs, an die Wiederherstellung vorvernichteter Akten und der Ein- gliederung vagabundierender Aktenteile in den Bestand der Birthler-Behörde. Umstritten ist hingegen, ob und vor allem in welchem Umfang die Stasi-Akten von Personen der Zeitgeschichte der Öffentlichkeit zugänglich sein können. Ja, über diese Fragen darf man, muss man intensiv ringen, wenn nötig auch streiten. Davon zeugen zwei öffentliche Anhörungen vor dem Innenausschuss und eine intensive, dem Gegen- stand angemessene Beratung vorgestern im Innenaus- schuss des Bundestages. Ich bin der festen Überzeugung, dass das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts in Sachen unseres Kollegen Dr. Kohl nicht das letzte Wort sein kann. Ich betone: Das Urteil kritisiere ich nicht; den Kläger kritisiere ich nicht. In einem Rechtsstaat darf jeder klagen, ohne Ansehen der Person. Wenn das Bundesverwaltungsgericht allerdings das StUG so versteht, dass die gesamte Stasi-Akte einer Person der Zeitgeschichte ohne Zustimmung des Betroffenen ge- schlossen bleibt, dann muss nach meiner Überzeugung der Wortlaut des StUG geändert werden. Andernfalls wür- den die Intentionen, die mit dem Gesetz von Anfang an verfolgt werden, auf den Kopf gestellt. Ja, Opferschutz hat Vorrang. Menschen dürfen nicht instrumentalisiert werden. Die Stasi darf nicht mehr als zehn Jahre nach ihrem Untergang erneut Menschen zu Opfern machen. Dazu dürfte der Bundestag niemals seine Hand reichen. Der Opferschutz darf und muss äußerstenfalls so weit rei- chen, wie die Person der Zeitgeschichte Opfer gewesen ist. Da, wo Persönlichkeitsrechtsverletzungen nicht er- kennbar sind, wo jemand nicht Opfer ist, kann und muss die Akte öffentlich zugänglich sein. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 246. Sitzung. Berlin, Freitag, den 28. Juni 2002 24947 (C) (D) (A) (B) Die nicht immer einfache Abgrenzung wird nach der neuen Fassung des § 32 StUG durch eine Abwägung vor- genommen. Danach wird in Zukunft die Akte einer Person der Zeitgeschichte auch ohne ihre Zustimmung so weit öf- fentlich zugänglich sein, soweit überwiegende schutzwür- dige Interessen dieser Person nicht beeinträchtigt werden. Bei der Abwägung der schutzwürdigen Interessen sind insbesondere Inhalt und Art der Informationserhebung von Bedeutung. Personenbezogene Informationen, die von der Stasi erkennbar durch Drohung, Folter, Lauschangriffe, Bruch des Fernmeldegeheimnisses oder ähnliche schwere Rechtsverletzungen erhoben wurden, dürfen nur mit Zustimmung des Betroffenen der Öffent- lichkeit zugänglich gemacht werden. Wir haben darüber eindringlich im Innenausschuss gesprochen. Ich verweise auf meine Ausführungen dort. Die Interessenlage der Per- son der Zeitgeschichte muss umfassend gewürdigt wer- den. Dem dient das Verfahren nach § 32 a StUG. Dieser „Grundrechtsschutz durch Verfahren“ ist längst Praxis der Birthler-Behörde. Er erhält jetzt eine gesetzliche Grund- lage. Sylvia Bonitz (CDU/CSU):Die heute anstehende Än- derung des Stasi-Unterlagen-Gesetzes bringt mich per- sönlich in einen Zwiespalt: Zum einen halte ich die Auf- arbeitung der SED-Diktatur und des Unrechtsregimes der DDR für eine historisch bedeutsame Pflicht. Denn allzu schnell hat sich der Mantel des Vergessens oder gar des Beschönigens und Verklärens über dieses dunkle Kapitel deutscher Geschichte gelegt. Auch endet der Geschichts- unterricht allzu häufig mit der Darstellung von National- sozialismus und Zweitem Weltkrieg. Die menschen- verachtende und entwürdigende Behandlung der Bürgerinnen und Bürger im SED-dominierten „Schnüf- fel-Staat“ DDR wird mitunter leider gar nicht oder nur am Rande behandelt. Insofern habe ich ein elementares Interesse daran; dass die Stasi-Unterlagen soweit, wie es nur irgend möglich ist, für Wissenschaft und Forschung geöffnet bleiben. Dieses gilt umso mehr, als zahlreiche Dokumente, die die Ma- chenschaften und Täterstrukturen der Stasi belegen könn- ten, immer noch nicht rekonstruiert und ausgewertet wor- den sind. Zum anderen bin ich in besonderer Weise den Opfern der Stasi verpflichtet, die – ganz gleich, ob in Ost oder West – als Objekt staatlicher Schnüffelei und Repressa- lien missbraucht und entehrt wurden. Würden Informa- tionen, die durch die Stasi in grundrechtswidriger Weise gewonnen wurden, gegen den ausdrücklichen Willen der Opfer herausgegeben werden, so wäre dies ihre erneute, diesmal öffentliche Vergewaltigung. Als Abgeordnete eines demokratischen Rechtsstaates will ich bei einem solchen Tun nicht zum Handlanger werden. Dies gilt auch für die Behandlung von Personen der Zeitgeschichte. Gewiss, diese müssen sich schon auf- grund des geltenden Presserechtes einige Einschränkun- gen ihrer Rechte gefallen lassen. Aber auch sie dürfen nicht völlig schutzlos gestellt werden, wenn es um die Preisgabe von Informationen geht, die mit rechtswidrigen Methoden gewonnen wurden. Ich bin mir bei meiner heutigen Entscheidung schmerzlich bewusst, dass aus dem Gedanken des Opfer- schutzes heraus Restriktionen erforderlich sind, die leider auch einen Personenkreis begünstigen, der am schamlo- sesten von unserem Rechtsstaat profitiert: Es sind dieje- nigen, die bislang als Täter noch unentdeckt geblieben sind und bei denen der Nachweis ihrer Täterschaft erst durch eine noch ausstehende umfangreiche wissenschaft- liche Forschung erbracht werden kann. Gerade diese Denunzianten und Schmarotzer des DDR-Unrechtsregimes könnten sich bis zum Beweis des Gegenteils als vermeintliche Opfer tarnen und darauf hof- fen, dass ihre Täterschaft aufgrund eingeschränkter wis- senschaftlicher Recherchemöglichkeiten für immer uner- kannt bleibt. Das wäre in der Tat bitter, gerade auch aus der Sicht ihrer Opfer, die vielfach heute noch unter einem schlimmen persönlichen Leidensdruck stehen. Gerade dieser Respekt vor den Opfern ist es jedoch, der mich persönlich zwingt, den Opferschutz stärker zu ge- wichten und die bislang unerkannten Täter der Stasi einer anderen, einer höheren Gerechtigkeit zu überantworten. Würde ich dem Gesetzentwurf von SPD und Grünen zu- stimmen, so würden die Herren Honecker und Mielke sowie ihre skrupellosen Schergen heute erneut über ihre Opfer und über unseren Rechtsstaat triumphieren. Aus diesem Grunde werde ich dem Gesetzentwurf von Rot- Grün meine Zustimmung verweigern. Hartmut Büttner (Schönebeck) (CDU): Zehn Jahre nach seiner Verabschiedung steht das Stasi-Unterlagen- Gesetz vor seiner wohl größten Belastungsprobe. Die Aufgeregtheit dieser Tage über die Auswirkungen eines Urteils des Bundesverwaltungsgerichtes zur Verwendung von Stasi-Unterlagen für Forschung und Medien, droht die großartige Akzeptanz des Stasi-Unterlagen-Gesetzes in den Hintergrund zu drängen. Dabei sind die Verursacher der manchmal etwas schie- fen Diskussion politisch sehr breit gestreut. Da wird von dem einen ein grundsätzliches Umdenken im Umgang mit dem politischen Erbe der DDR gefordert. Es wird sugge- riert, dass „der im Osten Aufgewachsene im Zweifel an- hand der Stasi-Akten belegen muss, dass er kein Täter war, während der geborene Westdeutsche diesbezüglich nur Opfer war“. Andere nahmen diesen politischen Ball gern auf und begrüßten die Äußerungen: „Das ist ja fast wortwörtlich so, wie ich das schon vor Jahren gesagt habe. Man kann die Schatten der DDR Vergangenheit nicht auf das MfS und seine Akten reduzieren. Da kommt man schon ins Staunen.“ zitiere ich einen Kommentar von PDS-Frakti- onschef Roland Claus. Er kommentierte übrigens eine Äußerung von Bundeskanzler Gerhard Schröder vom 11. März dieses Jahres gegenüber der „Leipziger Volks- zeitung“. Kein Wunder, dass zusätzlich auch die PDS Bundesvorsitzende Gabi Zimmer die Äußerung des Bun- deskanzlers ausdrücklich begrüßte. Ein weiterer analysierte: „Die Zeit der Regelanfrage bei der Behörde ist vorbei. In Zukunft sollten Überprü- fungen nur noch im konkreten Verdachtsfalle erfolgen Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 246. Sitzung. Berlin, Freitag, den 28. Juni 200224948 (C) (D) (A) (B) oder bei besonders herausgehobenen Funktionen.“ Diese Analyse provozierte gleich einen ganzen Sturm von Re- aktionen. Der Kollege Schulz von den Grünen meinte hierzu, der Analyst sei „ahnungslos“. Man könne nicht pauschal sa- gen, dass Stasi-Informanten zwangsläufig wegen ihrer veröffentlichten Akten im wiedervereinigten Deutschland gestrauchelt seien. Im Bundestag würden beispielsweise etliche IMs sitzen, welche demokratisch gewählt seien. Das Bürgerkomitee Leipzig betonte, mit dieser Äuße- rung reihe sich der Autor, nämlich kein geringerer als un- ser Kollege Wolfgang Thierse, in den Kreis der Schluss- strich-Protagonisten ein. Ich zitiere weiter: „Wenn der Bundestagspräsident eine solche Schlussfolgerung aus dem Urteil zieht, dann hat er es entweder nicht verstanden oder nutzt es bewusst, um Polemik zu verbreiten.“ Diese Diskussion könnte ich noch um viele Seiten Zi- tate von halbrichtigen, halbfalschen, richtigen und falschen Informationen aus vielen politischen Richtungen erweitern. Die Art der Diskussion hat auch zur absoluten Verwirrung der Öffentlichkeit geführt. Ich kann hier nur zu Besonnenheit und Augenmaß und zu einer realistischen Beurteilung der tatsächlichen Fak- ten raten: Wirklich betroffen von dem Urteil sind etwa 80 Prozent der 1 700 vorliegenden Anträge von For- schung und Medien. Alle anderen Teile der Arbeit der Stasi-Unterlagen- Behörde werden durch die Urteile überhaupt nicht tan- giert. So kann das Herzstück des Gesetzes, die Aktenein- sicht für die ehemals bespitzelten Bürger, genauso weitergehen wie bisher. Auch die Informationen der Behörde an öffentliche und nicht öffentliche Stellen für die vielfältigen im Gesetz genannten Verwendungs- zwecke werden wie bisher fortgeführt. Fragen der Reha- bilitierung, rentenrechtliche Probleme, Informationen an Strafverfolgungsbehörden über Straftaten und Verbre- chen, die im Zusammenhang mit dem SED-Regime be- gangen worden sind, werden ungeschmälert fortgeführt. Soweit es noch einen Bedarf für eine Überprüfung auf eine frühere Stasi-Mitarbeit gibt, kann auch diese weiter- geführt werden. Ob diese Überprüfung allerdings tatsäch- lich vorgenommen wird, richtet sich allein danach, ob die anfragende Stelle dies wünscht. Ein Zusammenhang mit den Urteilen und einem Ende der Überprüfungspraxis, wie vom Bundeskanzler und vom Bundestagspräsidenten hergestellt, gibt es jedenfalls überhaupt nicht. Die Überprüfungsmöglichkeit auf eine MfS-Mitarbeit besteht nur noch bis zum 20. Dezember 2006. Danach darf eine Stasi-Mitarbeit nicht mehr vorge- halten werden. Der deutsche Bundestag wäre gut beraten, mit Blick auf dieses Datum, etwa in der Mitte der nächsten Legisla- turperiode, endgültige Regelungen für die Endlagerung des Stasiaktenbestandes zu treffen. Aktuellen Regelungsbedarf haben wir aber jetzt in je- dem Fall zum § 14 des Stasi-Unterlagen-Gesetzes. Wenn nichts geschieht, tritt am 31. Dezember 2002 die Vernich- tung oder Schwärzung von Originalunterlagen in Kraft. Für die Entscheidungsfindung meiner Fraktion war die Einschätzung der Sachverständigen und der Opferver- bände bei der Anhörung des Innenausschusses sehr wich- tig. Das Fazit ist: Wir können den § 14 ersatzlos streichen, ohne dass der Opferschutz darunter leidet. Der Innenaus- schuss hat diese Streichung deshalb auch einstimmig empfohlen. Ich finde es richtig und gut, dass durch das Urteil der Persönlichkeitsschutz der Bespitzelten und Abgehörten verstärkt wird, auch wenn diese Bespitzelten Politiker, Amtsträger oder Personen der Zeitgeschichte sind. In der Urteilsbegründung wird die Entstehungsge- schichte des Stasi-Unterlagen-Gesetzes herangezogen. Vollkommen korrekt wird dargestellt, dass Politiker und Personen der Zeitgeschichte, wenn sie Betroffene oder Dritte sind, keineswegs weniger geschützt werden dürfen als sonstige Betroffene. Damit ist die auch von mir seit langem vertretene Interpretation von den Verwaltungsge- richten als korrekt anerkannt worden. Keinesfalls dürfen die Grundsätze der Entscheidungen der Verwaltungsgerichte durch neue gesetzliche Bestim- mungen in ihr Gegenteil verkehrt werden. Das klare Pri- mat des Opferschutzes darf nicht relativiert werden. Die- ser Anforderung wird der rot-grüne Gesetzentwurf nicht gerecht. In der Anhörung am Montag sind sogar „massive verfassungsrechtliche Bedenken“ vorgetragen worden. Der Gesetzentwurf stelle Opfer und Täter gleich und verletze den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und den Per- sönlichkeitsschutz. Jochen Gauck hatte uns in der Anhörung noch einmal eindringlich gemahnt, den fraktionsübergreifenden Kon- sens nicht leichtfertig auf dem Altar des Wahlkampfes zu opfern. Recht hat er. Dies ist auch der Grund, warum ich bis zur letzten Minute versucht habe, jede Chance zu nut- zen, um doch noch zu einer einvernehmlichen Lösung zu kommen. Wir haben uns deshalb auch für die Beratungen im Innenausschuss einen Formulierungsvorschlag des Bundesdatenschutzbeauftragten zu Eigen gemacht und zur Abstimmung gestellt. Aber nichts hat geholfen. Das von SPD und Grünen einst mit Stolz verkündete „Grundrecht auf informatio- nelle Selbstbestimmung“ wird jetzt offensichtlich als nicht mehr so wichtig angesehen. Wir wollen eine Regelung, welche die Verwendung von sämtlichen offenkundigen Informationen auch von Personen der Zeitgeschichte, Politikern und Amtsträgern für Aufarbeitung und Medien ermöglicht. Ebenso sollen die Unterlagen genutzt werden, die keine personenbezo- genen Informationen enthalten. Wir stimmen auch der Einführung eines neuen § 32 a zu, der eine Information des Betroffenen über die heraus- zugebenden Unterlagen vorsieht. Im Gegensatz zur rot- grünen Koalition wollen wir allerdings dem Betroffenen hierbei das Recht der letzten Entscheidung geben. Sollte der Betroffene nicht von der Behörde überzeugt werden, dass er einer Herausgabe an Medien oder für die For- schung in Gänze oder in Teilen zustimmt, hat er in jedem Fall das letzte Wort. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 246. Sitzung. Berlin, Freitag, den 28. Juni 2002 24949 (C) (D) (A) (B) Zur besonders sensiblen Frage, ob wir nicht verhindern können, dass sich Hilde Benjamin und andere prominente Systemträger der DDR als juristische Trittbrettfahrer betätigen können, hatte Dr. Jacob eine verfassungsfeste Lösung vorgeschlagen. Durch diese Lösung wäre die Nutzung von Unterlagen von solchen Personen, die das staatliche oder gesell- schaftliche Herrschaftssystem der DDR in herausgehobe- ner Position aktiv mitgetragen oder unterstützt haben, er- möglicht worden. Zu diesem sinnvollen Vorschlag ist sofort ein immer noch wirksames Totschlagargument ak- tiviert worden: Damit würde eine neue Ost-West-Tren- nung vorgenommen werden. Auf eine entsprechende Frage des Kollegen Özdemir war es wieder Joachim Gauck, der uns in der Anhörung ins Stammbuch schrieb: „Es würde jedoch einen Fort- schritt bringen, Herr Özdemir, wenn diese Funktionsträ- ger eines nicht demokratischen Systems als eine extra Personengruppe qualifiziert würden. Es ist ja nicht so, dass wir diese Qualifizierung nachträglich schaffen, son- dern sie liegt auf der Hand. Es ist nicht jeder persönlich, moralisch oder strafrecht- lich belastet; aber alle sind strukturell belastet, weil sie ein gegen die Normen des Rechtsstaates gerichtetes System auch gegen die Interessen ihrer eigenen Staatsinsassen an- gewendet haben. Das macht sie zu Personen, die einen an- deren politischen Charakter als die Funktionsträger des Rechtsstaates haben.“ Im Übrigen ist hier jede Menge Heuchelei im Spiel: Das Stasi-Unterlagen-Gesetz wimmelt von faktischen Ost-West-Unterscheidungen. Eine Reihe von Personen- gruppen gab es nur in der DDR und nicht in der Bundes- republik Deutschland. Ich nenne hier nur beispielhaft: Hauptamtliche MfS-Mitarbeiter, Mitglieder der K 1 oder Begünstigte, die von der Stasi erhebliche berufliche Vor- teile erhalten hatten. Ausgerechnet in dieser wichtigen Frage die Ost-West-Karte auszuspielen, ist der billige Ver- such, Vorurteile zu schüren. Bei aller politischen Kontroverse sollten wir den Be- reich, in dem wir einig sind, auch separat abstimmen. Ich beantrage hiermit formell die gesonderte Abstimmung über eine Streichung des § 14. Trotz der Rückschläge in diesen Tagen wollen wir uns weiterhin um eine Zusam- menarbeit im Rahmen der Koalition der Vernunft bemühen. Die große Akzeptanz des StUG ist vor allem er- reicht worden, weil es in der Vergangenheit zu Problem- bereichen eben keinen kleinkarierten parteipolitischen Streit gab. Wir sind zu einer Erneuerung der Zusammen- arbeit bereit. Cem Özdemir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Der nunmehr zustande gekommene Gesetzentwurf der Koali- tion ist auch nach der Verständigung mit der FDP abge- wogen und für alle Beteiligten akzeptabel. Er greift viele Vorschläge und Überlegungen der Anhörung des Innen- ausschusses des Bundestags vom April auf und setzt diese um. Er beseitigt die Missverständlichkeit der Formulie- rung in § 32 StUG, die uns die Urteile des Verwaltungs- gerichts Berlin und des Bundesverwaltungsgerichts im Fall Kohl eingebrockt haben. Der Koalitionsentwurf sieht eine Änderung des § 32 StUG selbst und die Einfügung eines neuen § 32 a StUG vor. Dieser von uns im Parlament eingebrachte Gesetz- entwurf, Bundestagsdrucksache 14/19290, stellt für die Zukunft die Herausgabe von personenbezogenen Infor- mationen über Personen der Zeitgeschichte und Inhabern politischer Funktionen sicher. Wir greifen die Richtlinie der Behörde der Bundesbeauftragten auf und schreiben faktisch deren Wesensgehalt im Gesetz fest. Ich weiß, dass diese Richtlinie vonseiten der Aufarbeitungsinitiati- ven durchaus auch kritisch gesehen wird, weil sie die Ak- teneinsicht für die Antragsteller schwieriger und langwie- riger macht. Nach dem Stand der Rechtsprechung und nach dem Stand der politischen Debatte ist diese Richtli- nie aber unumgänglich, um die Zweckbindung bei der Herausgabe zu präzisieren und den Betroffenen durch In- formation besser einzubinden. Scheitert das Gesetz in dieser Legislaturperiode an der Verzögerungstaktik der Union in Bundestag und Bundes- rat, würden auch weiterhin die Inhaber politischer Funk- tionen und Amtsträger in jedem Falle selbst darüber ent- scheiden können, welche Informationen über ihre amtliche Tätigkeit in den Prozess der wissenschaftlichen oder publizistischen Aufbereitung der Stasi-Tätigkeit fließen und welche nicht. Ein Bürgermeister oder ein Schulleiter oder ein Richter können im Schlepptau des Urteils zu Helmut Kohl die Weitergabe sperren. Dies kann und darf nicht geschehen. Für die Wissenschaft wäre eine Fortdauer der durch die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts hervorge- rufenen Sperre des Zugangs eine erhebliche Blockade. Faktisch wären wichtige Bereiche der Geschichte so sehr geschwärzt, dass die Arbeitsweise der Stasi nicht mehr nachvollziehbar wäre. Beispiel: Maßnahmebefehle, um die Stimmung in bestimmten Personengruppen in Erfah- rung zu bringen. Wie soll der Aufarbeitungsprozess funk- tionieren, wenn alle genannten Personen und ihre Funk- tion nicht mehr kenntlich sein dürfen? Der Gesetzentwurf regelt neben dem § 32 StUG noch einen weiteren wichtigen Bereich, die Aufhebung des An- spruchs auf Anonymisierung der Akten in § 14 des Geset- zes. Auch hier warnen uns Archivare und Wissenschaftler mit Nachdruck, Akten zu schwärzen und damit zu ver- nichten, weil sie personenbezogene Informationen ent- halten. Als dieser Anspruch mit einer Frist ins Gesetz ge- schrieben wurde, konnte niemand ahnen, dass auch nach zehn Jahren längst nicht alle Unterlagen aufgearbeitet wurden. Würde die Anonymisierung zum Jahresende Pflicht werden, wäre die Einsicht von Betroffenen in ihre Akten behindert, weil Daten Dritter in diesen Akten ge- schwärzt werden müssten. Eine Verschleppung der Ge- setzesänderung an dieser Stelle wäre verheerend. Ich möchte noch einmal auch im Namen der Opferver- bände an die Union und an die Bundesländer appellieren, den Weg für die Rückkehr in die Koalition der Vernunft offen zu halten. Die mahnende Stimme der Initiativen und der Verbände der Opfer des SED-Regimes sollten ihre Wirkung nicht verfehlen. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 246. Sitzung. Berlin, Freitag, den 28. Juni 200224950 (C) (D) (A) (B) Dr. Edzard Schmidt-Jortzig (FDP): Wir stimmen der Streichung des § 14 StUG ohne Wenn und Aber zu und sind auch bei der vorgeschlagenen Verfahrensregelung in § 32 a StUG durchaus konsensbereit. Hinsichtlich des § 32 hatten die Sachverständigen der Koalition ins Stammbuch geschrieben, dass die gewählte Form erheb- liche verfassungs- und datenschutzrechtliche Bedenken aufwerfe. Der ursprüngliche Entwurf war daher mit den Liberalen nicht zu machen. Für uns hat der Opferschutz Priorität. Deshalb hatten wir einen auf die Sicherung des Opferschutzes abstellenden Änderungsantrag vorgelegt. Nun haben sich SPD und Bündnis 90/Die Grünen je- doch in Richtung dieses FDP-Vorschlags bewegt. Wir hal- ten gerade in Sachen Stasi-Unterlagen einen fraktions- übergreifenden Konsens der Demokraten nach wie vor für notwendig. Nur so erlangt die Änderung des Stasi-Unter- lagen-Gesetzes die Autorität, die für eine gesamtgesell- schaftliche Akzeptanz der Novellierung unerlässlich ist. Deshalb haben wir uns mit der Regierungskoalition auf eine Neuformulierung des § 32 StUG geeinigt, die Opfer- schutzrechte weitestgehend berücksichtigt. Die Birthler-Behörde muss zukünftig bei ihrer Ent- scheidung über die Herausgabe von Akten exakt zwischen den Persönlichkeitsrechten der Betroffenen und dem Informationsrecht der Öffentlichkeit abwägen. Bei der Abwägung ist insbesondere zu berücksichtigen, ob die In- formationserhebung erkennbar auf einer Menschen- rechtsverletzung beruht. Von besonderer Bedeutung sind dabei Eingriffe in das Brief-, Post- und Fernmelde- geheimnis, in die Unverletzlichkeit der Wohnung oder in das Berufsgeheimnis. Wird die Verletzung von Menschenrechten im Rahmen der Abwägung festgestellt, hindert dies die Aktenheraus- gabe. Von der Herausgabe per se ausgeschlossen sind In- formationen, die unter der Anwendung von Folter erlangt worden sind. Aus Sicht der Liberalen sind damit die Op- ferrechte hinreichend berücksichtigt und – im Vergleich zum bisherigen Vorschlag von Rot-Grün – weitgehend ge- stärkt worden. Petra Pau (PDS): Die PDS wird sich bei der Abstim- mung über diesen Gesetzentwurf der Stimme enthalten. Der Gesetzentwurf greift zwar wichtige Forderungen auf, die im Zusammenhang mit der Entscheidung des Bundes- verwaltungsgerichts über die Klage von Helmut Kohl ge- gen die Herausgabe ihn betreffender Stasi-Akten erhoben worden sind. Insbesondere werden in ihm Anregungen umgesetzt, die von mehreren Sachverständigen auf An- hörungen des Bundestags-Innenausschusses zu diesem Thema vorgebracht wurden. Gleichwohl trägt der Gesetz- entwurf nicht in ausreichendem Maße den schwerwie- genden datenschutz- und verfassungsrechtlichen Beden- ken Rechnung, die mehrere Sachverständige in der Diskussion erhoben haben. Die PDS verkennt nicht den Novellierungsbedarf. Sie betont ihn sogar ausdrücklich. Aber jetzt wird wieder von der Regierungskoalition ein Gesetzentwurf durch die Gremien gejagt, ohne dass man sich Zeit genommen hätte, saubere und tragfähige Lösungen zu erarbeiten. Wir werden in der 15. Legislaturperiode deshalb erneut über den Problemkomplex Stasi-Unterlagen beraten müssen. Dabei kommt es der PDS auf folgende Gesichtspunkte, die wir auch in einem Entschließungsantrag hervorgeho- ben haben, ganz besonders an: Das Änderungsgesetz kann nur den Einstieg in eine weitere Novellierung des StUG mit dem Ziel seiner schrittweisen Überführung in die Ar- chivgesetzgebung darstellen. Opfern der Ausspähung durch das MfS muss weiterhin ein uneingeschränktes Recht auf Einsicht in ihre Akten zugesichert werden. Per- sonenbezogene Informationen, die die Privatsphäre be- treffen, müssen in jedem Fall – unabhängig davon, wel- che Fallgruppe nach dem StUG betroffen ist – für die Öffentlichkeit unzugänglich sein. Die PDS schließt sich den Bedenken des Bundesbe- auftragten für den Datenschutz an, wonach ein derart schwerwiegender Eingriff in das Grundrecht auf informa- tionelle Selbstbestimmung, wie ihn die Herausgabe von Akten auch gegen den Willen der betroffenen Personen darstellt, „besonders problematisch“ erscheint, weil er fast zwölf Jahre nach der Wiedervereinigung kaum noch mit der Zweckbestimmung „Forschung zum Zwecke der politischen und historischen Aufarbeitung der Tätigkeit des Staatssicherheitsdienstes sowie für die Zwecke der politischen Bildung“ begründet werden kann. Viele Un- terlagen werden gerade von Journalisten nur genutzt, weil sie bestimmte Personen betreffen, nicht aber um die Ar- beit der Stasi aufzuarbeiten. Ziel der weiteren Novellierungen muss es sein, die Er- forschung der Funktionsweisen und Tätigkeiten von Ge- heimdiensten möglich zu machen. Für ein vollständiges Bild sowohl der DDR-Geschichte als auch der deutsch- deutschen Beziehungen sind die „Gegenstücke“ zu den Stasi-Unterlagen in den Akten der westdeutschen Ge- heimdienste unverzichtbar. Vor diesem Hintergrund kriti- siert die PDS, dass die Regierungskoalition ihr Verspre- chen, ein Informationsfreiheitsgesetz vorzulegen, nicht eingehalten hat. Diese Punkte in unserem Ent- schließungsantrag sind wichtige Elemente für die not- wendige weitere Diskussion über den Umgang mit den Stasi-Unterlagen. Deshalb bitte ich Sie hierfür um Ihre Zustimmung. Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Reden zurBeratung des Antrags: Rechtssicherheit fürdie bewaffneten Einsätze deutscher Streitkräfte schaf- fen – ein Gesetz zur Mitwirkung des Deutschen Bundestages bei Auslandseinsätzen der Bundes- wehr einbringen (Tagesordnungspunkt 29) Eckart von Klaeden (CDU/CSU): Seit ihrem Beste- hen hat sich die Bundeswehr an weit mehr als 130 Hilfs- aktionen in über 50 Ländern der Welt beteiligt. Im März 2002 beteiligten sich unsere Streitkräfte an Einsätzen auf vier Kontinenten: im Rahmen der internationalen Frie- denstruppen SFOR in Bosnien-Herzegowina sowie KFOR im Kosovo, die Taskforce FOX in Mazedonien, durch die Mission „Enduring Freedom“ in Afghanistan, am Horn von Afrika, Kuwait und Usbekistan, im Rahmen Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 246. Sitzung. Berlin, Freitag, den 28. Juni 2002 24951 (C) (D) (A) (B) der International Security Assistance Force (ISAF) in der afghanischen Hauptstadt Kabul sowie der UN-Mission in Georgien (UNOMIG). Zudem waren deutsche Soldaten an der Luftraumüberwachung in den USA beteiligt. Bis heute waren über 80 000 deutsche Soldaten im Ausland im Einsatz! Am lebendigsten in Erinnerung dürfte uns allen die Ab- stimmung über den Einsatz deutscher Soldaten in Afgha- nistan sein: zum einen deshalb, weil er bedauerlicher- weise mit der Vertrauensfrage des Bundeskanzlers verknüpft war; zum anderen aber, weil hier besonders deutlich wurde, dass der Bundestag nicht nur Verantwor- tung für die Soldaten trägt, die er ins Ausland schickt, son- dern auch Verantwortung für das Renommee der Bundes- republik im Ausland. An dieser Entscheidung, die sich viele Parlamentarier nicht ohne Grund so schwer gemacht haben und die das gespaltene Verhältnis von Rot-Grün zu einer verlässlichen Sicherheitspolitik gezeigt hat, wurde deutlich, worin das Problem von Auslandseinsätzen der Bundeswehr liegt: Es geht um die verfassungspolititsche Balance von Regie- rung und Parlament und zugleich um die außenpolitische Handlungsfähigkeit Deutschlands. Wie ist die Situation zurzeit? Die Außenpolitik ist vor- rangig Angelegenheit der Regierung. Sie muss es auch sein. Das bedeutet nicht, dass das Parlament keinen Ein- fluss auf außenpolitische Grundsatzentscheidungen hat. Doch die Entscheidungsbefugnis liegt in erster Linie bei der Regierung. Zur so genannten operativen Außenpolitik gehört auch der Einsatz von Streitkräften. Da dieser, was die Bundeswehr betrifft, ausschließlich im Rahmen von Bündnissen erfolgt, ist die Entscheidung über ihn bereits das Ergebnis eines komplizierten Abstimmungsprozesses innerhalb dieser Bündnisse. Beteiligt an diesem Abstim- mungsprozess ist aber ausschließlich die Regierung. Auch künftig werden Kriseneinsätze der Bundeswehr ausschließlich im Rahmen der Vereinten Nationen, der OSZE, der NATO stattfinden; die EU und so genannte Ad- hoc-Koalitionen, wie sie beispielweise nach dem 11. Sep- tember gebildet wurden, nicht zu vergessen. Klar ist, dass die Bundesregierung in diesen Gremien ihre Zustimmung zur Beteiligung deutscher Truppen nur unter der Bedingung erklärt, dass der Bundestag sie nachträglich billigt. Dieser ist damit in der Zwickmühle, entweder zuzustimmen oder aber durch eine Ablehnung das Ansehen der Bundesregierung und der Bundesrepu- blik im Ausland zu beschädigen. Durch die geplanten Krisenkräfte der EU wird diese Zwickmühle noch verschärft, da die Krisenkräfte und ihre Einsatzfähigkeit ein wesentlicher Teil der für die Weiter- entwicklung der politischen Integration unerlässlichen Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik sein wer- den. Das Fehlen deutscher Truppen bei einer militärischen oder polizeilichen Maßnahme der EU wäre politisch äußerst problematisch und würde den Einsatz bewusst multinationaler Verbände unmöglich machen oder zumin- dest erschweren. Im Vergleich zum außenpolitischen Schaden, den der Bundestag theoretisch anrichten kann, sind seine Mög- lichkeiten, über einen Einsatz der Bundeswehr und die Modalitäten eines solchen Einsatzes zu entscheiden, eher gering. Das Initiativrecht für einen Bundeswehreinsatz steht nur der Bundesregierung zu. Sie hat über die Modalitäten, den Umfang und die Dauer eines Einsatzes, die notwen- dige Koordination in und mit Organen internationaler Organisationen zu entscheiden. Der Jurist würde sagen, der Bundesregierung obliegt die Entscheidung über die essentialia negotii eines solchen Einsatzes. Hinzu kommt, dass der Bundestag mit seinen Ent- scheidungen über Auslandseinsätze oft zu spät kommt. Dies wurde besonders deutlich beim Einsatz „Essential Harvest“. Als der Bundestag endlich zugestimmt hatte und die Bundeswehr am Einsatzort angekommen war, war der Großteil der Waffen bereits eingesammelt. In seiner Entscheidung vom 12. Juli 1994 hat das Bun- desverfassungsgericht eine weitere Einschränkung ge- macht. Die verfassungsrechtlich gebotene Mitwirkung des Bundestages bei Entscheidungen über den Einsatz be- waffneter Streitkräfte darf nach Auffassung des Bundes- verfassungsgerichtes die militärische Wehrfähigkeit und die Bündnisfähigkeit der Bundesrepublik Deutschland nicht beeinträchtigen. Das bedeutet, dass es der Bundes- regierung obliegt, in welchem Umfang sie das Parlament über Art und Ausmaß des Einsatzes informiert. Ist aber eine Zustimmung erst einmal erteilt, kann der Bundestag nicht über die Rückholung der Soldaten ent- scheiden, sondern muss den Ablauf der Einsatzfrist oder einen neuen Antrag abwarten. In der eben von mir genannten Entscheidung hat das Bundesverfassungsgericht darauf hingewiesen, ja gera- dezu angeregt, dass der Gesetzgeber ein Entsendegesetz erlassen kann, in dem er Form und Ausmaß der parla- mentarischen Mitwirkung näher ausgestaltet. Über den Antrag der FDP-Fraktion, die Bundesregierung zu ver- pflichten, ein solches Entsendegesetz zu erlassen, spre- chen wir heute. Mit diesem Antrag hat die FDP eine Forderung aufge- griffen, die aus der CDU/CSU-Bundestagsfraktion heraus bereits seit langem erhoben wurde. Ich erinnere in diesem Zusammenhang insbesondere an Wolfgang Schäuble, der, als er erstmals nach einem Entsendegesetz verlangte, noch massiv vom Regierungslager kritisiert wurde. In- zwischen hat zumindest die SPD, wie so oft in letzter Zeit und seitdem die Wahlen näher rücken, ihre Meinung geändert. Kritiker eines Entsendegesetzes, zum Beispiel die PDS auf ihrer Fraktions-Homepage, behaupten, dass der Bun- destag durch ein „Entsendegesetz“ seine Entmachtung be- schließen solle. Dies ist nicht der Fall. Auch der Vergleich mit dem Ermächtigungsgesetz, den ich in einer Veröffentlichung las, ist mehr als an den Haa- ren herbeigezogen. Es geht nicht darum, dass sich das Par- lament seiner Verantwortung entzieht und die Regierung ermächtigt, künftig allein über Einsätze abzustimmen. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 246. Sitzung. Berlin, Freitag, den 28. Juni 200224952 (C) (D) (A) (B) Kritiker eines deutschen Entsendegesetzes weisen da- rauf hin, dass selbst in den Vereinigten Staaten der Kon- gress über Kriegseinsätze entscheiden müsse. Was er nicht erwähnt, ist, dass der Präsident der Vereinigten Staa- ten die Entscheidung über einen solchen Einsatz zunächst trifft und anschließend den Kongress binnen 48 Stunden über den Einsatz der Truppen unterrichten muss. Nur wenn das Parlament die Operation nicht genehmigt, hat er sie nach 60 Tagen zurückzuholen. Die Vereinigten Staaten haben damit das gefunden, an dem auch wir uns ausrichten könnten: einen vernünftigen Ausgleich zu finden zwischen den Rechten des Parla- ments und den Aufgaben der Regierung. Die Zustimmung des Parlaments soll auch künftig erforderlich sein, aber die Formen, wie man solche Entscheidungen trifft und wie man die Verantwortung zwischen Regierung und Par- lament genau justiert, sollten gründlicher bedacht und ge- nau geregelt werden. Dies ist in dem Antrag der FDP-Fraktion noch nicht ge- schehen und dies ist auch der Grund, warum wir uns bei einer Entscheidung über den Antrag enthalten werden. Die Linien eines solchen Gesetzes, das einige Tragweite für künftige Entscheidungen hat, jetzt, so kurz vor dem Ende der Legislaturperiode, übers Knie brechen zu wol- len, können wir nicht vertreten. Es bedarf zunächst einer profunden und tragfähigen Analyse, die wir in der Zeit nach dem 22. September erheben werden. Für den Einsatz deutscher Streitkräfte könnte folgen- des Verfahren eingeführt werden: Die Bundesregierung sollte den Bundestag in Form eines vertraulichen Gremi- ums fortlaufend unterrichten. Die politischen und mi- litärischen Strukturen müssten darauf überprüft werden, ob sie in der Vorbereitung und während Kriseneinsätzen jederzeit eine aufgabengerechte Kommunikation mit den wichtigsten Partnern zulassen. Darüber hinaus bedürften bei Gefahr im Verzug ohne parlamentarische Konsulta- tion getroffene Einsatzentscheidungen der baldmöglichen nachträglichen Zustimmung des Bundestages. Das Recht des Bundestages, Einsatzentscheidungen zu widerrufen, müsste gesetzlich geregelt werden. Ein solches Verfahren würde besser als das gegenwär- tige die von der Verfassung beabsichtigte Balance zwi- schen Parlament und Regierung in außenpolitischen Fra- gen gewährleisten. Es entspräche der weitgehenden Integration der deutschen Streitkräfte im Bündnis und si- cherte die außenpolitische Handlungs- und Bündnisfähig- keit Deutschlands. Dr. Evelyn Kenzler (PDS):Lassen Sie mich für meine Fraktion sagen, dass wir dafür sind, den Einsatz der Bun- deswehr im Ausland auf eine klare gesetzliche Grundlage zu stellen, auch wenn wir den Auftrag der Bundeswehr strikt auf die Verteidigung beschränken wollen, wie es das Grundgesetz in Art. 87 a vorsieht. Dies nicht zuletzt des- wegen, weil das Bundesverfassungsgericht in seinem Ur- teil vom 12. Juli 1994 festgestellt hat, dass es Sache des Gesetzgebers ist, „die Form und das Ausmaß der parla- mentarischen Mitwirkung näher auszugestalten“. Ge- nauso deutlich möchte ich aber auch sagen, dass wir ei- nem eventuellen Gesetzentwurf der Bundesregierung keinesfalls zustimmen werden, der dem Parlament im Entscheidungsprozess eine Nebenrolle zuweist. Die Fest- legung des Bundesverfassungsgerichts, dass das Grund- gesetz die Bundesregierung verpflichtet, „für einen Einsatz bewaffneter Streitkräfte die – grundsätzlich vorherige – konstitutive Zustimmung des Deutschen Bundestages einzuholen“, darf nicht unterlaufen werden. Die Bundeswehr ist ein Parlamentsheer, und bei dieser guten bundesrepublikanischen Tradition soll es auch blei- ben, solange die Bundeswehr besteht. Es gibt überhaupt keinen Grund, daran etwas zu ändern, vor allem keinen si- cherheitspolitischen, es sei denn, man möchte das „Mi- litärische enttabuisieren“, wie der Herr Bundeskanzler. Andere Länder haben ihre Traditionen, wir haben unsere, und da braucht man überhaupt keine verschämten Blicke über den Zaun nach England oder Amerika zu werfen. Wenn es um Aufträge geht, die Leib und Leben der Sol- daten bedrohen, wäre es der falsche Weg, der Exekutive zu viel Spielraum zu überlassen. Deswegen gilt für uns als Richtschnur für ein Gesetz: Es darf in keinem Fall hinter die derzeitig praktizierten Verfahren zurückfallen, das die Kompetenzen des Bundestages angeht. Das Bundesver- fassungsgericht hat im Urteil vom 22. November 2001 zu dem von meiner Fraktion angestrengten Organstreit den Parlamentsvorbehalt noch einmal ausdrücklich bekräf- tigt. Ich bin der Auffassung, dass für Auslandseinsätze künftig dieselbe Hürde im Parlament gelten muss, wie bei der Feststellung des Verteidigungsfalles nach Art. 115 a GG, also zwei Drittel der abgegebenen Stimmen, mindes- tens die Mehrheit der Mitglieder des Bundestags und Zu- stimmung des Bundesrats. Es wird mit uns auch keine Regelungen geben, die bündnistechnische Verfahren über die Parlamentsrechte stellen. Wir halten das für ein recht eigenartiges Verfas- sungsverständnis, um es milde auszudrücken. So etwas wäre im Übrigen in keinem anderen NATO-Land auch nur denkbar. Wenn die Kolleginnen und Kollegen von der FDPglau- ben, dieses Parlament würde jemals von einem Rückhol- recht Gebrauch machen, kann ich nur sagen: Welche Blauäugigkeit angesichts des Verhaltens dieses Hauses in den einschlägigen Debatten der letzten vier Jahre, die von Vokabeln wie außenpolitische Zuverlässigkeit, Ansehens- verlust, Dankbarkeit und uneingeschränkte Solidarität ge- prägt waren. Wir würden auch einem Gesetz unsere Zu- stimmung verweigern, das Sonderregelungen für Fälle vorsieht, in denen vorgeblich Gefahr im Verzuge ist. We- der wollen wir neue Geheimgremien, noch ist unser Ver- trauen in die Bundesregierung, in jede Bundesregierung, groß genug, als dass wir bereit wären, ihr eine „Carte Blanche“ zuzugestehen. Nein, die Gewichte in diesem Land sind ohnehin bereits zulasten des Parlaments und zugunsten der Exekutive verschoben. Ein Gesetz, das die Rechte des Parlaments beschneidet, wäre ein Verstoß gegen das Grundgesetz und gegen Ur- teile des Bundesverfassungsgerichts. An einer solchen Produktion von Sargnägeln für den Bundestag beteiligen wir uns nicht. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 246. Sitzung. Berlin, Freitag, den 28. Juni 2002 24953 (C) (D) (A) (B) Anlage 5 Zu Protokoll gegeben Reden zur Beratung – Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Vorsorge und Rehabilitation von Müttern – Entwurf eines Gesetzes zur Sicherung der Be- treuung und Pflege schwerstkranker Kinder (Tagesordnungspunkt 30 a und b) Dr. Martin Pfaff (SPD):Bei einzelnen Mitbürgerinnen und auch einigen Mitbürgern kann eine Doppelbelastung zwischen überlebensnotwendigem Job und zu organisie- rendem Kind in bestimmten Konstellationen zu Gesund- heitsschäden führen. Vor allem Mütter, die eine Dreifach- belastung von Job, Haushalt und Kind zu bewältigen haben, sind oft überfordert. Dies ist erst recht der Fall, wenn kritische Lebensumstände oder andere psychoso- ziale Faktoren zusätzlich zur bestehenden Mehrfachbelas- tung auftreten. Wir sollten beachten: Die berufliche Leis- tungsfähigkeit dieser Menschen ist gefährdet oder steht unserer Gesellschaft im schlimmsten Fall auf Dauer nicht mehr zur Verfügung, wenn erstens eine ernsthafte, womöglich chronische Erkrankung droht und zweitens keine präventive oder bei akutem Fall rehabilitative Maß- nahme ergriffen werden kann. Notwendig wird in solchen Fällen in der Regel eine Kur, die zur Entlastung vor allem der Elternteile zusam- men mit dem Kind angetreten wird. Gesundheitspolitisch sind solche so genannten Mütter-Kind-Kuren sehr wün- schenswert, sowohl im Rahmen einer sinnvollen Präven- tion wie auch einer notwendigen Rehabilitation. Natürlich in beiden Fällen ausschließlich, wenn sie medizinisch in- diziert sind. Lassen Sie mich zwei Beispiele skizzieren: Frau M., 32 Jahre, verheiratet, Hausfrau, Mutter von zwei Kindern im Alter von zehn und zwei Jahren – bei je- dem Kind gab es während der Schwangerschaft schwere, zum Teil lebensbedrohliche Komplikationen –, ist derzeit zum dritten Mal schwanger in der 31. Schwangerschafts- woche. Sechs Monate vorher gab es einen Selbstmord- versuch der schwer an Depression erkrankten Mutter. Die Indikation zu einer Mütterkur ergibt sich aus einem schweren physischen und psychischen Erschöpfungszu- stand, in dem Frau M. nicht mehr in der Lage ist, die der- zeitige Lebenssituation emotional zu bewältigen und den Alltagsanforderungen zu entsprechen. Es bestehen ausge- prägte innere Unruhe, Nervosität, Schlaflosigkeit, große Angst vor einer erneuten Schwangerschaftskomplikation und zum Teil erhebliche körperliche Beschwerden mit Rückenschmerzen und Kopfschmerzen. Während der Mütterkur wird die Therapie spezifisch auf die persönli- che Situation der Patientin ausgerichtet. Zur Stabilisie- rung der vegetativen Dysfunktion und körperlichen Beschwerden werden balneophysikalische Therapiemaß- nahmen und Bewegungstherapie mit besonderer Rück- sicht auf die Schwangerschaft angewendet. Im Bereich der Soziopsychotherapie wird die Patientin unterstützt in der Bearbeitung ihrer persönlichen Lebenssituation, be- sonders bei der Verarbeitung des Todes ihrer Mutter und in der Vorbereitung auf die dritte Geburt. Sowohl im kör- perlichen als auch im psychischen Bereich werden kon- krete Hilfen und Verhaltensmaßnahmen erarbeitet, die Frau M. in ihrem Alltag zu Hause erleichternd umsetzen kann. Durch den Abstand von dem belastenden häusli- chen Umfeld und den Alltagsverpflichtungen gelingt es Frau M., psychisch und physisch wieder zu neuen Kräf- ten und innerer Ruhe zu gelangen. Die körperlichen Be- schwerden haben sich weitgehend gebessert. Frau M. blickt der Zukunft mit Zuversicht entgegen und fühlt sich den häuslichen Belastungen und zukünftigen Anforderun- gen gewachsen. Zweitens. Eine Mutter von zwei Töchtern – acht und zwölf Jahre –, verheiratet, leitende Angestellte, erkrankt im April 2000 an Gebärmutterhalskrebs. Es erfolgen OP, Chemotherapie und Bestrahlungen. Durch Bestrahlungs- schäden entsteht in der Folge Nierenstau, es müssen alle sechs Wochen Nierenschienen gelegt werden; ein Eier- stock, Teile des Magens und der Bauchspeicheldrüse wer- den entfernt. Die Patientin hat in eineinhalb Jahren zwölf Krankenhausaufenthalte. Onkologische Nachsorgemaß- nahmen ohne Kinder lehnt sie ab, um den Kindern nicht weitere Trennungen zuzumuten. Bei beiden Kindern ent- wickeln sich zunehmend Verlust- und Trennungsängste, Schulschwierigkeiten und Schlafstörungen. Besonders die ältere Tochter zeigt massive Verhaltensstörungen. Es kommen finanzielle Probleme durch den Verdienstausfall der Frau hinzu. Dies ist die Ausgangssituation, als die Mutter mit beiden Töchtern im Frühjahr 2002 zur Schwer- punktkur für krebserkrankte Mütter mit ihren Kindern in das „Haus am Kurpark“ kommt. Nach 28 Tagen Kurdauer verlassen Mutter und Kinder deutlich gestärkt – körper- lich und seelisch – mit neuen Perspektiven, neuem Mut und Hoffnung und mit der Unterstützung hier geschlosse- ner Kontakte und Freundschaften zu ebenfalls Betroffe- nen das Haus. Gemeinsam besprochene Nachsorge- empfehlungen werden den Kurerfolg stabilisieren. Die verbesserte psychische Befindlichkeit verbessert nach- weislich auch Therapie- und Heilungsverlauf bei Krebs- erkrankungen. Wenn so viel für Mütter-Kind-Kuren spricht, wo liegt dann das Problem, das der Lösung durch einen Beschluss des Deutschen Bundestages bedarf? Solche so genannten Mütter-Kind-Kuren sind Bestandteil des Leistungsspek- trums der gesetzlichen Krankenversicherungen. Die der- zeitige gesetzliche Regelung sieht vor, dass die Kranken- kassen in ihren Satzungen individuell bestimmen können, dass die Kosten für bewilligte Maßnahmen nicht voll, sondern nur anteilig übernommen werden. Von dieser Möglichkeit machten die Kassen bisher nicht Gebrauch. Allerdings gehen jetzt einige Kassen – die AOK Bayern mit Vorreiterrolle – dazu über, die Vollfinanzierung durch eine nur anteilige Finanzierung von Mütter-Kind-Kuren zu ersetzen. Die aktuelle Gesetzeslage bedeutet also für den Einzelnen keine sichere vollständige Erstattung der Kosten für Mütter-Kind-Kuren. Zusätzlich ist bundesweit keine Einheitlichkeit gegeben. Zwar erlaubt generell der Gesetzgeber den Kassen in Grenzen Unterschiedlichkeit beim Leistungskatalog, und dies aus gutem Grund: Wett- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 246. Sitzung. Berlin, Freitag, den 28. Juni 200224954 (C) (D) (A) (B) bewerb. Aber im vorliegenden Fall gibt es aus meiner Sicht Regelungsbedarf, weil erstens gerade die Mutter- schaft bzw. die Erziehung eines Kindes ein besonders schützenswertes Gut ist, zweitens, weil wir im Rahmen der demographischen Entwicklung seitens des Gesetzge- bers alles tun sollten, um Mutterschaft zu ermöglichen oder organisatorisch zu unterstützen und drittens, weil es nicht sein kann und nicht vermittelbar ist, dass eine Mut- ter in Bayern gegenüber einer Mutter in Schleswig-Hol- stein benachteiligt wird. Unser Gesetzentwurf sieht deshalb vor, eine Sicherung der vollen Finanzierung von Mütter-Kind-Kuren in der gesetzlichen Krankenversicherung für die Zukunft sicher- zustellen. Im Zeitalter der Gleichberechtigung sind Väter hier natürlich gleichgestellt, woraus sich im Beamten-Ab- kürzungsdeutsch für den Gesetzentwurf die wunderbaren Silben „MüVäKiKuGe“ ergeben haben. Die Sicherstel- lung der Finanzierung geschieht technisch durch Um- wandlung der bisherigen satzungsgemäßen „Mehrleis- tung“ in den Erhalt einer „Ermessensleistung“. Als kurzen Hinweis für unsere anwesenden Experten möchte ich be- tonen, dass es sich damit nicht um eine Umwandlung in eine so genannte Regelleistung handelt, die andere, wei- ter gehende Probleme und Verpflichtungen mit sich brin- gen würde. Dies bedeutet aber trotzdem eine Sicherstel- lung: Wenn die sozialversicherungsrechtlichen und sozialmedizinischen Voraussetzungen vorliegen, ist eine pflichtgemäße Ermessensausübung mit dem Ergebnis ei- ner Ablehnung nicht vorstellbar. Das heißt, dass die von uns nun im Gesetzentwurf vorgesehene Gestaltung als „Ermessensleistung“ eine Sicherstellung des Geldstroms für die Bürgerinnen und Bürger bedeutet, ohne dass für die Kassen weiter gehende interne Probleme entstehen. Ein solches Thema sollte, ja darf über die Parteien hin- weg nicht strittig sein. Vielmehr ist der Schutz von Müt- tern ein Konsensthema, das hier im Haus aus meiner Sicht eine breite Mehrheit finden müsste. Für meine Behaup- tung spricht auch eine launige blauweiße Geschichte, die sich im April – nicht dem 1. April – dieses Jahres zu- getragen hat: Die bayerische SPD-Fraktion hatte am 17. April einen Dringlichkeitsantrag in den bayerischen Landtag einge- bracht, der den Fortbestand der Mütter-Kind-Kuren si- chern sollte. Dieser Antrag wurde von der CSU-Land- tagsfraktion mit der ortsüblichen parteipolitischen Ignoranz ohne große fachliche Befassung abgelehnt. Glücklicherweise hat die bayerische Sozial- und Famili- enministerin Stewens dann wenig später, am 25. April, ganz selbstständig die Forderung nach der Sicherung von Mütter-Kind-Kuren an die Presse gegeben. Deshalb bin ich sicher und guten Mutes, dass zumindest die anwesen- den CSU-Kollegen heute mit uns stimmen. Aber allen Ernstes: Ein Thema wie dieses sollte unser Haus im Ziele einen. Zumal es noch weitere Argumente gibt, die für eine schnelle und klare Regelung sprechen: Erstens. Die Mehrbelastung der GKV durch dieses Ge- setz beträgt circa 5 Millionen Euro. Dies ist ein Betrag, der trotz der angespannten Finanzlage der Kassen ver- träglich ist. Zweitens. Für das Jahr 2001 geht aus vorläufigen Rechnungsergebnissen hervor, dass bei einer Reihe kleinerer Betriebskrankenkassen – betroffen sind circa 40 000 Mitglieder – keine Ausgaben für Mütterkuren an- gefallen sind. Hieraus kann man zwar nicht schließen, dass in den Satzungen dieser Kassen keine Leistungsan- sprüche vorgesehen sind. Aber bei einer so wichtigen ge- sellschaftlichen Aufgabe – Leistungen für Mütter und Vä- ter – ist, so meine ich, jeder vereinheitlichende Schritt ein richtiger Schritt. Ich komme zum Fazit: Der Gesetzentwurf der Koaliti- onsfraktionen schafft für Bürgerinnen und Bürger unab- hängig vom Einkommen die Möglichkeit, Mütter- bezie- hungsweise Väter-Kind-Kuren wahrzunehmen, sofern die medizinische Indikation vorliegt. Hubert Hüppe (CDU/CSU):Die Behandlung des vor- liegenden Gesetzentwurfes zur Sicherung der Betreuung und Pflege schwerstkranker Kinder ist aus meiner Sicht ein gutes Beispiel dafür, dass es auch in heißen Wahl- kampfzeiten politische Themen gibt, über die unter den Parteien nicht gestritten wird, um einen politischen Vor- teil daraus zu ziehen. Und in der Tat, wenn es um ster- benskranke Kinder geht, werden wir einen Antrag als Op- position nicht deshalb ablehnen, weil er von den Regierungsparteien eingebracht worden ist. Wir stimmen dem vorliegenden Gesetzentwurf zu, weil auch wir wol- len, dass zumindest ein Elternteil die Möglichkeit hat, sich um ihr schwerstkrankes Kind zu kümmern und den Betreuungs- und pflegerischen Pflichten nachzukommen. Wenn es jetzt in Zukunft einen Anspruch auf Kranken- geld gibt, der nicht der zeitlichen Begrenzung des § 45 Abs. 2 des Fünften Sozialgesetzbuches – Gesetzliche Krankenversicherung – unterliegt, wird man der besonde- ren Situation sterbender Kinder und ihrer Eltern gerecht. Wichtig ist dies besonders für Alleinerziehende. Wichtig ist dies aber auch in den Fällen, in denen beide Elternteile berufstätig sind. Die Anhörung des Gesundheitsausschusses hat die Notwendigkeit einer solchen Regelung bestätigt. Aller- dings wurde in der Anhörung durchgängig die Begren- zung des Anspruches auf Kinder bis zum zwölften Le- bensjahr kritisiert, weil viele der tödlich verlaufenden Erkrankungen im Kinder- und Jugendalter eine „altersge- rechte Entwicklung“ des Kindes nicht zulassen. Deswe- gen halten wir auch den Änderungsantrag für richtig, dass das Krankengeld über das zwölfte Lebensjahr hinaus ge- währt werden soll, wenn das Kind behindert und auf Hilfe angewiesen ist. Sollte sich herausstellen, dass es Fälle gibt – zum Beispiel Kinder und Jugendliche mit Krebserkran- kungen oder AIDS im Endstadium –, die durch diese Regelung nicht erfasst sind, müssen wir darüber nach- denken, die Altersgrenze generell zu erhöhen, weil ich glaube, dass auch dreizehn- und vierzehnjährige Kinder in ihrer letzten Lebensphase die Begleitung ihrer Eltern brauchen. Die Gewährung von Krankengeld kann natürlich in den genannten Fällen nur ein Mosaikstein in dem Bereich Sterbebegleitung bei Kindern und Jugendlichen und natürlich auch bei Erwachsenen sein. Ich sage dies auch Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 246. Sitzung. Berlin, Freitag, den 28. Juni 2002 24955 (C) (D) (A) (B) besonders vor dem Hintergrund, dass seit April dieses Jahres in unserem Nachbarland, den Niederlanden, eine Regelung existiert, nach der zwölfjährige Kinder ihre ei- gene Tötung verlangen und einfordern können, wenn ein Elternteil dieser Tötung zustimmt. Bei sechzehnjährigen Jugendlichen ist die Tötung auf Verlangen sogar möglich, ohne dass die Zustimmung der Eltern vorliegt. Diese Ju- gendlichen dürfen also in den Niederlanden zwar kein Auto fahren, aber sich töten lassen. Wenn wir eine solche Entwicklung in unserem Land vermeiden wollen – und ich hoffe, wir sind uns hier im Hause alle darüber einig, dass wir sie auch vermeiden wollen – dann müssen wir die Möglichkeiten der Hilfe für die Betroffenen bedarfsgerecht ausgestalten. Die Anhörung des Gesundheitsausschusses hat ge- zeigt, dass die noch nicht sehr lange existierenden Kin- derhospize in Deutschland einen wertvollen Beitrag hierzu leisten. Allerdings gibt es in anderen Ländern, so zum Beispiel in Großbritannien, bereits seit vielen Jahren ein quantitativ wie qualitativ gut ausgebautes Netz von Kinderhospizen mit jahrzehntelanger Erfahrung. Auch diese Erfahrungen sollten wir nutzen. Dabei gehört natür- lich auch eine schnelle Krisenintervention durch intensive pflegerische und therapeutische Bemühungen ebenso zum Konzept wie die zielgerechte Entlastung der pfle- genden Angehörigen. Ich hoffe, dass wir die Gesamtproblematik der Hilfe beim Sterben nach den Wahlen wieder aufnehmen und dass wir dann die Situation der Betroffenen weiter ver- bessern können; wenn möglich im Konsens, wie es heute auch der Fall ist. Wolfgang Zöller (CDU/CSU):Die Union begrüßt den Gesetzentwurf der Koalition zur Verbesserung der Vor- sorge und Rehabilitation von Müttern und Vätern und un- terstützt ausdrücklich die Forderung nach einer Vollfinan- zierung der Mütter- bzw. Mutter-Kind-Kuren. Obgleich durch diesen Gesetzentwurf auch Väter in den Genuss dieser Maßnahme gelangen, richtet sich die Maßnahme primär an Frauen. Sie sind häufiger als Männer Mehr- fachbelastungen durch Beruf, Familie und Haushalt aus- gesetzt. Nach der gegenwärtigen Rechtslage können die Kran- kenkassen durch Satzungsbestimmungen die Leistungen für Mutter-Kind-Kuren mit einer Teilfinanzierung verse- hen. In den vergangenen zwei Jahren, also unter rot-grü- ner Verantwortung, ist es immer häufiger zu Satzungsän- derungen gekommen mit der Folge, dass nur noch 20 Prozent der Krankenkassen eine Mutter-Kind-Maß- nahme finanzieren und zwar mit einem Zuschuss in Höhe von 90, 50 oder sogar nur 10 Prozent der Kosten. Die Be- troffenen beklagen zudem, dass die Härtefallregelung nach § 61 SGB V bei Anteilsfinanzierungen nicht greift. Bedürftige Mütter müssen daher zunehmend die Rest- finanzierung bei den Kommunen als Träger der Sozial- hilfe beantragen. Typisch für ein derartiges Verhalten ist die AOK in Bayern. Unter Hinweis auf die desolate Finanzsituation der Krankenkassen hat der Verwaltungsrat der AOK Bay- ern unter Vorsitz des SPD-Bundestagsabgeordneten Fritz Schösser in seiner Sitzung am 2. April 2002 beschlossen, künftig die Kosten einer Mutter-Kind-Kur nicht mehr voll zu übernehmen, sondern nur Festzuschüsse zu gewähren, die nach Patienten und Begleitkinder gestaffelt werden. Das Verhalten der AOK Bayern ist Anlass für die bayeri- sche Sozialministerin Stewens gewesen, sich mit Schrei- ben vom 23. April 2002 an Bundesgesundheitsministerin Schmidt zu wenden. Ministerin Stewens hat nicht zu Un- recht befürchtet, dass das Verhalten der AOK Bayern dazu führt, dass ein Großteil der Familien bis zur Hälfte der Kosten einer Mutter-Kind-Kur selbst tragen müssten, was letztlich einer Streichung der Mutter-Kind-Kuren gleich kommt. Familienpolitisch ist dies nicht vertretbar; denn auf- grund der hohen sozialen und gesundheitlichen Belastun- gen für Frauen sind Mütter-Kind-Kuren notwendiger denn je. Die Zunahme der Erwerbstätigkeit bei Frauen und damit die Zunahme der Doppelbelastung mit Berufs- und Familienarbeit, die Veränderung der familiären Struk- turen, insbesondere die gestiegene Zahl allein erziehender Eltern und die Situation von Familien in besonders schwierigen Lebenssituationen bedeuten für viele Eltern eine Belastung, die sie an den Rand ihrer physischen und psychischen Möglichkeiten bringt. Oft kommen dazu noch wirtschaftliche Probleme, insbesondere bei kinder- reichen Familien. Durch die Teilnahme an Mütter/Väter- Kind-Kuren haben Eltern die Möglichkeit, sich gemein- sam mit ihren Kindern zu regenerieren und neue Kräfte für den Alltag zu gewinnen. Diesen Kuren kommt deshalb größte Bedeutung als präventive Maßnahme zu. Der Brief von Ministerin Stewens hat Bundesgesund- heitsministerin Schmidt und die Koalitionsfraktionen nicht unbeeindruckt gelassen. Der vorliegende Gesetzent- wurf ist relativ zügig entstanden. Allerdings ist die von der Union geforderte Umwandlung einer Satzungsleis- tung in eine Pflichtleistung nicht erfolgt. Die öffentliche Anhörung zu diesem Gesetzentwurf hat überraschend deutlich gemacht, dass dies kein Verband mehr fordert. Den berechtigten Befürchtungen des Müttergene- sungswerkes, durch diesen Gesetzentwurf könnte der Be- standsschutz für bestehende Einrichtungen infrage ge- stellt werden, wurde durch eine Übergangsregelung Rechnung getragen. Einrichtungen des Müttergenesungs- werkes, die vor dem In-Kraft-Treten dieses Gesetzes be- reits stationäre medizinische Leistungen für die Kassen erbracht haben, erhalten einen Versorgungsvertrag in dem Umfang der im Jahr 2001 erbrachten Leistungen. Es ist je- doch auch aus Gründen der Qualitätssicherung durchaus vertretbar, diesen Bestandsschutz nicht zu gewähren, wenn eine Einrichtung die Qualitätsanforderungen nach § 111 Abs. 2 nicht erfüllt. Mit der Übergangsregelung wird nunmehr sichergestellt, dass Einrichtungen des Müt- tergenesungswerkes auch ausreichend Zeit haben, sich auf die gesetzlich geforderten Qualitätsstandards einzu- stellen. Ich denke, dass mit dieser Lösung ein guter Aus- gleich zwischen den berechtigten Interessen des Mütter- genesungswerkes und der Gewährleistung einer hohen Qualität gefunden wurde. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 246. Sitzung. Berlin, Freitag, den 28. Juni 200224956 (C) (D) (A) (B) Aus Sicht der betroffenen Mütter und Väter ist das Ge- setz ein willkommendes Geschenk. Es sorgt dafür, dass sie eine genehmigte Kur auch wirklich antreten können in einer Einrichtung, die für höchste Qualität bürgt. Es bleibt nun zu hoffen, dass jetzt nicht durch die von den Kran- kenkassen beeinflusste Genehmigungspraxis des MDK dazu führt, dass weniger Mütter/Väter-Kind-Kuren ge- nehmigt werden. Wir werden diese Entwicklung auf- merksam beobachten. Nunmehr freuen wir uns aber ge- meinsam mit den Müttern und Vätern und dem Müttergenesungswerk, dass es parteiübergreifend gelun- gen ist, die Vollfinanzierung von Mütter/Väter-Kind-Ku- ren sicherzustellen. Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Bündnis 90/Die Grünen haben gemeinsam mit der SPD heute einen Gesetzentwurf vorgelegt, der auf die Be- dürfnisse der Menschen eingeht. Anders als die ange- drohte Gesundheitspolitik der Union erwarten lässt, wis- sen wir, wo die Menschen Hilfe brauchen. Wir lassen vom Schicksal Gezeichnete nicht im Regen stehen. Bei uns muss sich keiner mit 20 entscheiden, ob er mit 70 mal eine Prothese brauchen könnte und sich deshalb doch versi- chern sollte. Der vorliegende Gesetzentwurf betrifft eine schwierige Lebensphase von Kindern und deren Eltern. Polemik ist hier fehl am Platz. Zur Sache: Nach dem geltenden Kran- kenversicherungsrecht ist der Anspruch auf Krankengeld bei Erkrankung eines Kindes zeitlich begrenzt. Nach § 45 Abs. 2 KVG besteht der Anspruch in jedem Kalenderjahr für jedes Kind längstens für zehn Arbeitstage, für allein erziehende Versicherte längstens für 20 Arbeitstage. Diese Begrenzung gilt auch bei schwersten, lebensbedro- henden Erkrankungen des Kindes und führt in diesen Fäl- len zu unzumutbaren Belastungen der Eltern. Insbesondere für berufstätige Alleinerziehende, aber auch in Fällen, in denen beide Elternteile berufstätig sind, kollidiert der erhöhte Betreuungsbedarf für das Kind mit den beruflichen Verpflichtungen. Wir wollen deshalb die Begrenzung des Krankengel- des für schwerstkranke Kinder, die nach ärzlichem Zeug- nis nur noch eine Lebenserwartung von Wochen oder we- nigen Monaten haben, aufheben, damit sie in dieser Phase von einem Elternteil betreut und begleitet werden können. Wir wollen einen Anspruch auf Krankengeld bei schwe- rer, unheilbarer Erkrankung eines Kindes für einen El- ternteil schaffen, der nicht einer zeitlichen Begrenzung bei Erkrankung eines Kindes unterliegt. Für die Dauer dieses Anspruchs auf Krankengeld soll zudem ein An- spruch auf unbezahlte Freistellung von der Arbeitsleis- tung gelten. Die bisherigen Regelungen auf Kinderkrankengeld und Freistellung konnten für Kinder, die das 12. Lebens- jahr noch nicht vollendet hatten, in Anspruch genommen werden. Die von uns vorgeschlagene Verlängerung des Krankengeldes auf mehr als zehn Tage je Elternteil bedarf eines ärztlichen Attestes, welches die Anspruchvorausset- zung bestätigt. Neu ist, dass der Anspruch auf verlänger- tes Kinderkrankengeld auch dann besteht, wenn die er- krankten Kinder älter als zwölf Jahre sind und aufgrund einer Behinderung auf Hilfe angewiesen sind. Mit den von den Koalitionsfraktionen eingebrachten Regelungen verschaffen wir den betroffenen Familien ein wenig Frei- raum, um in einer für sie besonders schweren Zeit sich um ihre Angehörigen in einem menschenwürdigen Umfang widmen zu können. Im Zuge einer einheitlichen und nachvollziehbaren Po- litik kann ein Anspruch auf unbezahlte Freistellung im Falle eines schwerstkranken Kindes nicht nur für Versi- cherte der Gesetzlichen Krankenversicherung gelten. Deshalb umfasst unser Gesetzentwurf auch die Versicher- ten der Privaten Krankenversicherung. Denn eine Zwei- klassenmedizin, egal, wer schlechter oder besser gestellt sein soll, wird es mit uns nicht geben. Detlef Parr (FDP): In unserem Sozialsystem dürfen nicht die Findigen belohnt werden, vielmehr müssen die finanziellen Mittel bei den wirklich Bedürftigen ankom- men. In dieser Debatte geht es zum einen um Mütter und Kinder, die nicht auf der Sonnenseite des Lebens stehen und zum anderen um Väter und Mütter in einer Lebens- situation, in der wir ihnen eine besonders intensive Zu- wendung zu ihrem Kind ermöglichen müssen. Auch wir sehen uns in der Verpflichtung, hier mehr als bisher zu tun. Dies vor allem vor dem Hintergrund unklar definier- ter Leistungen, die zu ungerechtfertigten Einschränkun- gen und zu Ungleichbehandlungen geführt haben, wie wir in den Anhörungen erfahren mussten. Die PISA-Studie hat uns auf viele Missstände im Bildungssystem hin- gewiesen. Nicht zuletzt die zunehmenden Verhaltens- störungen vieler Kinder führen zu Defiziten, die wir nach- drücklich abbauen müssen. Steigende Scheidungsraten, negative Umwelteinflüsse wie Reizüberflutung und schwierige Lebensumstände wie Arbeitslosigkeit sind Gründe für diesen Zustand, mit dem viele Mütter und Kinder nicht mehr fertig werden. Deshalb ist es richtig, bei körperlicher und vor allem seelischer Überforderung die Hilfsangebote zu verbes- sern. Wir müssen möglichst frühzeitig diese Probleme er- kennen und gegensteuern, damit nicht bleibende Schäden entstehen, die uns später volkswirtschaftlich wesentlich teurer zu stehen kommen. Wenn man den Experten der Anhörung glauben darf, ist der Erfolg der bisherigen Maßnahmen im Rahmen der üblichen Grenzen gesichert. Die Forderungen nach Qualität und Effizienz der Vor- sorge- und Rehabilitationsleistungen sind berechtigt und finden unsere volle Unterstützung. Wir müssen aber sorg- sam darauf achten, dass wir des Guten nicht zu viel tun. Wenn die Anforderungen so hoch geschraubt sind, dass sie die Existenz bestehender Einrichtungen gefährden, müssen wir sie noch einmal überprüfen. Wir stimmen dem Gesetzentwurf unter der Vorausset- zung zu, dass sichergestellt ist, dass alle Einrichtungen, die einen Versorgungsvertrag nach § 111 SGB V haben und die im Bereich der Mutter-Kind-Maßnahmen in der Vergangenheit mit Zustimmung der Kostenträger beson- dere bedarfsgerechte und qualitativ hochwertige Versor- gungsstrukturen entwickelt und entsprechende Maßnah- men durchgeführt haben, dies mit Bestandsschutz auch weiterhin tun können. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 246. Sitzung. Berlin, Freitag, den 28. Juni 2002 24957 (C) (D) (A) (B) Beim zweiten Gesetzentwurf, den wir heute beraten, habe ich mich an eine fraktionsübergreifende Initiative der Vergangenheit erinnert gefühlt. Mit vielen anderen Kolleginnen und Kollegen habe ich mich 1994 dafür ein- gesetzt, Mitmenschlichkeit und Toleranz in unsere Ver- fassung aufzunehmen – leider ohne Erfolg. Es ist eigent- lich ein Trauerspiel, wenn für die Betreuung und Begleitung eines sterbenden Kindes gesetzliche Regelun- gen notwendig werden. Bei einer so tiefen seelischen Not- lage müsste es doch eigentlich eine Selbstverständlichkeit in einer humanen Gesellschaft sein, dass Arbeitnehmer und Arbeitgeber sich entgegenkommen und eine dieser Ausnahmesituation angemessene Lösung finden. Jetzt schaffen wir wieder neue Ansprüche, wo doch eigentlich für uns alle hier im Bundestag klar sein sollte: gelingt es uns nicht, das Anspruchsdenken in der Bevölkerung zu re- duzieren und gleichzeitig die Eigenverantwortung zu stär- ken, ist unser Sozialsystem auf Dauer nicht mehr zu fi- nanzieren. Der Gesetzentwurf ist mit der heißen Nadel gestrickt in einen Beratungsschnelldurchgang geschickt worden, der der Bedeutung des Themas nicht gerecht wird. Dazu kam eine nur einstündige Anhörung. Wir hät- ten uns ausreichend Beratungszeit gewünscht – dazu hat es mit Blick auf die zu Ende gehende Legislaturperiode nicht mehr gereicht. Die FDP geht davon aus, dass nach der heutigen Zu- stimmung des Bundestages – auch durch uns – dieses Ge- setz nach dem 22. September auf der Grundlage eines Er- fahrungsberichts noch einmal diskutiert und bewertet wird. Dr. Ruth Fuchs (PDS):Die Krankenkassen können in ihrem Satzungsrecht festlegen, die Kosten für Mütter- genesungskuren nicht vollständig, sondern nur anteilig zu übernehmen. Vor dem Hintergrund des wachsenden Fi- nanzdrucks haben in jüngster Zeit immer mehr Kranken- kassen von diesem Recht Gebrauch gemacht. Die bisher vollständige Kostenübernahme wurde zum Teil drastisch reduziert. Die Praxis, die Kuren in unterschiedlicher Höhe zu bezuschussen, führt dazu, dass vor allem Frauen mit mehreren Kindern und geringem Familieneinkommen dringend erforderliche Kuren nicht mehr wahrnehmen können. Dabei sind es gerade diese Frauen – oft durch Beruf, Familie und Haushalt mehrfach belastet – die eine Stärkung und Unterstützung ihrer Gesundheit am nötigs- ten haben. Bekanntlich handelt es sich häufig um Allein- erziehende, um Mütter, die von Sozialhilfe leben müssen, um Mütter mit eigenen Behinderungen oder um Mütter mit chronisch kranken oder behinderten Kindern. Gerade sie sollten am wenigsten auf solche Gesundheitsleistun- gen verzichten müssen. Nicht fehlende finanzielle Mittel, sondern allein die gesundheitlichen Notwendigkeiten müssen für die Inanspruchnahme dieser Leistungen be- stimmend sein. Die PDS hat die berechtigten Forderungen der betrof- fenen Frauen sowie der Vertreterinnen des Müttergene- sungswerkes nach Vollfinanzierung der Mütterkuren von Anfang an unterstützt. Mit einer Kleinen Anfrage an die Bundesregierung haben wir im ersten Halbjahr 2002 auf die restriktive Bewilligungspraxis einer zunehmenden Zahl von Krankenkassen und auf die so entstandene gesundheits- und sozialpolitisch unhaltbare Situation hin- gewiesen. Zugleich haben wir auf die damit einher- gehende Gefährdung der entsprechenden Genesungsein- richtungen und der sie tragenden Verbände aufmerksam gemacht. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf werden die Krankenkassen grundsätzlich dazu verpflichtet, die ent- sprechenden Vorsorge- und Rehabilitationsmaßnahmen für Mütter in Häusern des Müttergenesungswerkes und anderen gleichartigen Einrichtungen in voller Höhe zu fi- nanzieren. Das ist ein dringend notwendiger Schritt, den wir begrüßen und dem wir zustimmen. Er wird dazu führen, diese medizinischen Maßnahmen allen Müttern, die sie benötigen, besser zu ermöglichen. Die mit der Neuregelung einhergehenden Mehraus- gaben von circa 5 Millionen Euro dienen damit einem richtigen Zweck. Gleichzeitig wird – analog zum ge- nerellen Verfahren bei Kur- und Rehabilitationsein- richtungen – auch für Einrichtungen des Mütterge- nesungswerkes zu einem geregelten Vertragssystem übergegangen, das heißt zum Beispiel, dass Mütterkuren für GKV-versicherte Mütter nur noch dort durchgeführt werden können, wo ein Versorgungsvertrag mit den Krankenkassen besteht. Die Krankenkassen können auf diese Weise systematischer als bisher auf die Qualität der Leistungen achten. Sinnvollerweise erhalten dabei Ein- richtungen Bestandsschutz, die bisher schon Müttergene- sungskuren auf Kosten der Krankenkassen durchgeführt haben. Wir halten es auch für zweckmäßig, dass die Spitzenverbände der Krankenkassen Ende 2005 einen Er- fahrungsbericht über die entstandene Situation vorlegen sollen. Dem ebenfalls zur Debatte stehenden Gesetz zur Sicherung der Betreuung und Pflege schwerstkranker Kinder, das die Koalitionsfraktionen eingebracht haben, kann sich vom Anliegen her niemand verschließen, dem Würde und Lebensqualität von kranken Kindern, ins- besondere von schwer und unheilbar erkrankten Kindern am Herzen liegen. Auch die außergewöhnlich hohen Be- lastungen von Eltern und Familienangehörigen dieser Kinder verlangen dringlichst nach einer Unterstützung. Allerdings weckt der Gesetzentwurf mehr Hoffnungen, als er erfüllen kann. Es geht hier nur um punktuelle, statt um umfassende Regelungen. Die Vorschläge sind nicht eindeutig und nicht ausreichend finanziell abgesichert. Darauf wurde bereits in der Anhörung hingewiesen. Auf dieser Grundlage sind Rechtsunsicherheiten und -strei- tigkeiten vorprogrammiert. Dabei sind gerade im Bereich der Betreuung und Pflege chronisch kranker und behin- derter Kinder viele Dinge offen. Insofern ist bedauerlich und unverständlich, dass der PDS-Antrag „Pflege reformieren – Lebensqualität in Gegenwart und Zukunft sichern“ abgelehnt wurde, ob- wohl in ihm generell die Sicherstellung einer am in- dividuellen Bedarf orientierten Pflege, Betreuung und Versorgung von chronisch Kranken, Behinderten und Pflegebedürftigen gefordert wird. Besonders auch Kinder sollen dabei in stärkerem Maße berücksichtigt werden. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 246. Sitzung. Berlin, Freitag, den 28. Juni 200224958 (C) (D) (A) (B) Wie weit geht aber die Sorge der Koalition um schwerst- betroffene Kinder bzw. um deren Eltern und Familien- angehörige, wenn sie einen solchen Antrag ablehnt? Dennoch begrüßen wir den vorliegenden Gesetzent- wurf als einen ersten – wenn auch nicht ausreichenden – Schritt in die richtige Richtung. Deshalb werden wir ihm trotz der bestehenden Unklarheiten und offenen Fragen zustimmen. Gleichzeitig hoffen wir, dass sich in der nächs- ten Legislaturperiode auf der Grundlage einer breiten gesellschaftlichen Diskussion über Fraktionsgrenzen hin- weg eine Mehrheit für eine grundlegende Reform der Pflege findet. Ulla Schmidt, Bundesministerin für Gesundheit: Viele von Ihnen sind Eltern. Sie wissen aus eigener Er- fahrung, wie groß die Belastungen durch Kinder, Haus- halt, Beruf und manchmal auch durch pflegebedürftige Angehörige sind. Und Sie können die Belastungen für eine Familie erahnen, wenn ein Kind schwer erkrankt. Wir sorgen dafür, dass Eltern, die ihre todkranken Kin- der betreuen, unbegrenzt Krankengeld erhalten. Wir sorgen dafür, dass Eltern wieder Anspruch auf eine Vollfinanzierung von Mutter-Kind- bzw. Vater-Kind- Kuren haben. Das Kind ist krank und die Mutter bzw. der Vater am Ende ihrer Kräfte. Oder die Eltern sind krank und das Kind leidet mit. In diesen Fällen hilft die Mutter- Kind- bzw. Vater-Kind-Kur. Das wichtigste Ziel ist: Den Eltern und ihren Kindern neue Kraft zu geben. Kraft im Kampf gegen Krankheiten, Kraft für den Alltag und Kraft für neue Perspektiven. Diese Kuren erfüllen noch einen wichtigen Zweck: Sie sind praktische Prävention. Denn die Kinder lernen schon frühzeitig, was zu einem gesunden Lebensstil gehört: Zum Beispiel ausgewogene Ernährung und ausreichend Bewegung. Sie lernen es gemeinsam mit Mutter oder Va- ter und motivieren sich zu Hause gegenseitig, sie ermun- tern sich, sie spornen sich an. In der Vergangenheit haben die Krankenkassen die Kosten für Kuren oder andere Rehabilitations- und Vor- sorgemaßnahmen für Mütter vollständig übernommen. In letzter Zeit sind einige Kassen dazu übergegangen, nur noch Zuschüsse zu gewähren. Das geltende Gesetz räumt den Kassen diese Möglichkeit ein, weil diese Kuren Sat- zungsleistungen sind. Wir dürfen nicht zulassen, dass die- jenigen, die es vielleicht am dringendsten brauchen – zum Beispiel allein erziehende oder kinderreiche Mütter – dies mit ihrer und ihrer Kinder Gesundheit bezahlen müssen, weil sie sich die Mutter-Kind-Kur nicht leisten können Unser Gesetzentwurf nimmt die Krankenkassen bei der Finanzierung von Mütter-Kuren und Mutter-Kind- Kuren wieder in die volle finanzielle Verantwortung. Wir sorgen für eine flächendeckende Vollfinanzierung dieser wichtigen gesundheits- und familienpolitischen Leistung. Gleichzeitig sichern wir die Qualität und Effizienz dieser Leistungen auf einem hohen Niveau, denn die Kuren dür- fen nur noch in Einrichtungen erbracht werden, mit denen die Krankenkassen einen Versorgungsvertrag abgeschlos- sen haben. Voraussetzung für den Versorgungsvertrag ist, dass die Einrichtung fachlich medizinisch unter ständiger ärztlicher Verantwortung steht. Für Eltern gibt es nichts Schlimmeres als eine schwere Erkrankung ihrer Kinder. Die Tatsache, dass der weitere Krankheitsverlauf nicht mehr aufzuhalten ist, ist schwer genug zu akzeptieren. Diese Tatsache ist aber auch eine Herausforderung für die Gesundheitspolitik. Für mich be- deutet dies konkret, dass wir ein Umfeld gestalten müs- sen, dass den kleinen Patienten ein menschenwürdiges Sterben und den Familien die Betreuung ihrer Kinder er- möglicht. Ein erster Schritt war das Gesetz zur Förderung der ambulanten Hospitzarbeit. Ein zweiter Schritt ist un- ser Gesetzentwurf zur Sicherung der Betreuung und Pflege schwerstkranker Kinder. Wir wollen, dass die be- troffenen Familien sich in ihrer schwierigen Situation nicht auch noch mit finanziellen Problemen oder Schwie- rigkeiten am Arbeitsplatz belasten müssen. Eltern, die ihre todkranken Kinder betreuen, sollen unbegrenzt Kran- kengeld erhalten. Solange sie Krankengeld beziehen, sind sie unbezahlt von ihrer Arbeit freigestellt. Beide Gesetzentwürfe sind wichtige gesundheitspoli- tische und familienpolitische Maßnahmen. Mit Ihrer Zu- stimmung können Sie zeigen, dass Familienpolitik für Sie mehr ist, als nur ein Lippenbekenntnis. Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – Beschlussempfehlung und Bericht: Brustkrebs – Mehr Qualität bei Früherkennung, Versorgung und Forschung – Für ein Mammographie-Scree- ning nach europäischen Leitlinien – Antrag: Für ein Gesamtkonzept zur Verbesse- rung der Versorgung bei Brustkrebs (Tagesordnungspunkt 31 a und b) Helga Kühn-Mengel (SPD): Heute ist ein guter Tag für alle Frauen: Wir beschließen heute die qualitätsgesi- cherte Früherkennung von Brustkrebs nach europäischen Leitlinien in Deutschland. Dies ist ein Durchbruch, ein wichtiger Schritt unserer Qualitätsoffensive im Bereich Gesundheit. Wir haben ein leistungsfähiges Gesundheits- wesen, um das uns viele auf der Welt beneiden. Zu seinen unverwechselbaren Stärken gehören die solidarische Fi- nanzierung, ein umfassender Gesundheitsschutz für alle, die wohnortnahe Versorgung durch qualifiziertes Perso- nal unterschiedlicher Professionen und ein Leistungsan- spruch, der allein durch den medizinischen Bedarf defi- niert wird. Wir wissen aber auch, dass unser Gesundheitswesen Mängel hat. Die meisten Qualitätsverluste haben wir, wenn Leistungen nicht aufeinander abgestimmt sind, be- sonders bei der Behandlung chronisch kranker Menschen. Das dritte Gutachten des von uns eingesetzten Sach- verständigenrates für die Konzertierte Aktion im Gesund- heitswesen fasst es prägnant zusammen: „Bei allen Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 246. Sitzung. Berlin, Freitag, den 28. Juni 2002 24959 (C) (D) (A) (B) Krankheitsgruppen sieht der Rat erheblichen Bedarf zur Verbesserung ihrer Versorgungskette...“ Während Liberale und Christdemokraten nur noch von Wahlleistungen und Eigenverantwortung reden und damit eigentlich den Kahlschlag des solidarischen Systems mei- nen, haben wir genau hingeschaut, wo die Versorgung nicht stimmig ist, wo es Defizite gibt. Wir haben Qualität im Gesundheitssystem zum Thema gemacht. Ein Beispiel für die Struktur- und Qualitätsprobleme ist die Versorgung beim Brustkrebs. Die Zahlen sind bekannt: Jedes Jahr er- kranken 47 000 Frauen an dieser Krebsart, 17 000 sterben jährlich daran. Brustkrebs ist die häufigste Krebserkran- kung bei Frauen. Internationale Studien belegen, dass sich die Zahl der Todesfälle bei Frauen zwischen 50 und 70 Jahren, wenn sie an einem Screening teilnehmen, deut- lich, um 30 Prozent, verringern ließe, wenn die Früher- kennung unter gesicherten Qualitätsbedingungen statt- fände. Wir kennen die Defizite in allen Bereichen der Brust- krebsversorgungskette. Sie reichen von der nicht vorhan- denen qualitätsgesicherten Früherkennung bis hin zur fast ausschließlich technisch-operativ orientierten Nachsorge. Keine Frau kann es ertragen, dass circa 200 000 falsch- positive Befunde produziert werden, dass im Bereich Brustkrebs-Diagnostik circa 100 000 unnötige operative Biopsien vorgenommen werden und dass in Deutschland zu viele Brüste amputiert werden, wie der „Essener Skan- dal“ gezeigt hat, und dass jedes Jahr rund 3 500 Frauen unnötig sterben. Es wird in Deutschland viel Geld rund um den Brust- krebs verdient: Besonders das bislang außerhalb von qua- litätsgesicherten Programmen durchgeführte so genannte graue Mammographie-Screening beschert einigen ein lu- kratives Einkommen, ohne dass Frauen sicher sein kön- nen, flächendeckend auf höchster Qualitätsstufe behandelt zu werden. Die derzeitige Praxis der grauen Mammogra- phie ist nicht nur medizinisch fragwürdig; sie ist auch ethisch nicht vertretbar und teuer durch fehlende Qualität und unnötige Folgeuntersuchungen. Hier ergeben sich ro- buste Potenziale für die Verbesserung der Versorgungs- qualität, verbunden mit einer langfristigen Kosten- senkung. Vor einem Jahr haben wir unseren Antrag hier eingebracht. Er ist ausführlich diskutiert worden, mit Frauen und Selbsthilfegruppen, im Ausschuss, bei An- hörungen, im Gespräch mit vielen Akteuren, mit Wissen- schaftlern und Wissenschaftlerinnen hier im Parlament. In der letzten Zeit wurde – insbesondere aufgrund des Cochrane-Reviews und damit zusammenhängenden Pu- blikationen – die Frage des Nutzens eines Mammogra- phie-Screenings noch einmal eingehend beleuchtet. Da- bei stand keineswegs die Kosten/Nutzen-Frage im Vordergrund, sondern die Nutzen/Risiko-Frage, da es sich bei der Mammographie um eine Röntgenuntersuchung handelt und somit zu einer Exposition gegenüber ionisie- renden Strahlen führt. Die Strahlenschutzkommission hat in einer Stellung- nahme vom 27. Februar 2002 nach Würdigung der wis- senschaftlichen Argumente und Daten unter anderem festgestellt, dass der von einem Mammographie-Scree- ning-Programm zu erwartende Nutzen das geringe Risiko durch die Strahlenexposition überwiegt. Allerdings weist die Strahlenschutzkommission auch darauf hin, dass dies nur bei Zugrundelegung der hohen Qualitätsanforderun- gen gemäß den europäischen Leitlinien gilt. Im März hat sich die International Agency for Research on Cancer, ARC, eine weltweit anerkannte Einrichtung der WHO, zur Evidenz des Mammographie-Screenings geäußert. Die dabei versammelten 24 Experten aus elf Ländern haben die vorliegende Datenlage sehr kritisch geprüft und sind zu dem Schluss gekommen, dass bei Frauen zwischen dem 50. und 69. Lebensjahr die Teil- nahme, insbesondere an organisierten Mammographie- Screening-Programmen, zu einer geschätzten Reduktion der Brustkrebsmortalität von circa 35 Prozent führt. Das internationale Gremium zog die Schlussfolgerung, dass in Studien ausreichend die Evidenz des mammographischen Screenings bei Frauen vorgelegt wurde. Insoweit darf davon ausgegangen werden, dass die Einführung eines Mammographie Screenings für Frauen zwischen dem der 50. und 69. Lebensjahr in Deutschland berechtigt und nützlich ist unter der Voraussetzung, dass es sich um ein qualitätsgesichertes Programm gemäß den europäischen Leitlinien handelt. Es bleibt also hier und heute festzuhalten: Unser An- trag wurde in allen Punkten bestätigt. Wir haben die Zeit aber auch bereits genutzt, um folgende Maßnahmen zur Qualitätssicherung in der Brustkrebsversorgung zu errei- chen: Aufgrund der bekannten Vorfälle sind erhebliche Zweifel aufgekommen, ob alle Ärztinnen und Ärzte, die bereits heute legitim zu diagnostischen Zwecken Mam- mographien durchführen, ausreichend qualifiziert sind und bleiben. Deshalb wurden stringente Qualitätssiche- rungsregelungen für die so genannte kurative Mammo- graphie vereinbart, die zum 1. April 2002 in Kraft getre- ten sind. Dazu gehören Eingangsprüfungen für Ärztinnen und Ärzte, Stichprobenkontrollen bei jedem mammogra- phierenden Arzt, die standardisierte Dokumentation und die Evaluation aller Maßnahmen durch die Planungsstelle Mammographie-Screening. Brustkrebs wurde als eine der vorrangig zu behandeln- den Gesundheitsziele ausgewählt. Eine Arbeitsgruppe ar- beitet hier bereits auf Hochtouren. Des Weiteren haben wir uns dafür eingesetzt, dass Brustkrebs als eine der vier Krankheiten für die Disease-Management-Programme benannt worden ist. Am 13. Juli hat der Koordinierungsausschuss seine Empfehlungen für die strukturierten Behandlungspro- gramme, die Disease-Management-Programme, ein- vernehmlich beschlossen. Die Behandlungsprogramme werden insbesondere sicherstellen, dass unnötige Brust- amputationen vermieden, notwendige Maßnahmen gesi- chert sind und dass der psychosozialen Betreuung und Begleitung erkrankter Patientinnen ein größerer Stellen- wert eingeräumt wird. Empört war ich, als ich die Pressemitteilung des Kol- legen Parr dazu las. Das möllemannsche Virus mit den be- kannten Symptomen scheint sich auszubreiten: Schlag- zeilen um jeden Preis, auch wenn sie zulasten der Frauen gehen, die durch solche Falschmeldungen unnötig verun- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 246. Sitzung. Berlin, Freitag, den 28. Juni 200224960 (C) (D) (A) (B) sichert werden. Die Vorwürfe des Kollegen sind haltlos: Es wurden keine Fachgesellschaften ausgeschlossen, die Brustkrebsversorgung wird nicht verschlechtert, sondern erfährt eine qualitative Verbesserung. Der Koordinierungsausschuss hat mit seiner einver- nehmlichen Empfehlung dem Bundesministerium für Ge- sundheit die Grundlage für die anstehende Rechtsverord- nung geliefert. Daran beteiligt waren die Deutsche Krebsgesellschaft, die Deutsche Krebshilfe, die Gesell- schaft für Senologie. Damit ist ein wesentliches Etappen- ziel zu einer Verbesserung der gesamten Behandlungs- kette getan, von dem alle Patientinnen profitieren werden, die sich in das Programm einschreiben lassen Es ist also nicht richtig, wenn die FDP behauptet, dass die Empfeh- lungen nicht von den zuständigen Fachgesellschaften ge- prüft werden konnten. Es ist schlicht unseriöse Wahl- kampfpropaganda, zu behaupten, Patientinnen seien durch diese Programme „gefährdet“ bzw. die Programme ver- schlechterten gar die Brustkrebsversorgung. Einige glauben wohl noch immer, dass Frauen in die- sem Land nicht wissen, was gut für sie ist. Das nenne ich eine gefährliche Fehleinschätzung: In dem aktuellen Auf- ruf der Stiftung „Koalition Brustkrebs im Paritätischen Stifterverbund NRW“ für eine verstärkte Brustkrebs- bekämpfung in Deutschland kommen die Verfasserinnen zu folgendem Urteil über unsere Anstrengungen: „Die jetzt beschlossenen Gesetze zu den DRGs Brustkrebs und dem Antrag „Mammographie-Screening nach europä- ischen Leitlinien“ sind ein Durchbruch. Wir sind auf dem richtigen Weg und wir werden ihn konsequent zu Ende gehen. Und ich hoffe, dass sich hier im Hause alle Abgeordneten dem Votum des Gesund- heitsausschusses anschließen und interfraktionell unse- rem Antrag zustimmen. Allen Frauen möchte ich versi- chern, dass wir nicht nachlassen werden, für eine wirksame Brustkrebserkennung und -behandlung nach europäischem Qualitätsstandard zu kämpfen. Die verbes- serte Früherkennung auf höchstem Qualitätsniveau ist der erste wichtige Schritt zur Verbesserung der gesamten Ver- sorgungskette. Unser Auftrag ist unmissverständlich: Sollte der Bun- desausschuss der Ärzte und Krankenkassen nicht alle nötigen Maßnahmen ergreifen, damit im nächsten Jahr die nach der europäischen Leitlinie erforderlichen Maßnah- men umgesetzt werden, dann wird Rot-Grün mit einem Gesetz für die Einführung des Krebsfrüherkennungspro- grammes nach europäischen Leitlinien sorgen. Es darf keine Kompromisse bei der Behandlung von Brustkrebs geben. Frauen fordern allerbeste Qualität – wir unterstüt- zen sie darin. Annette Widmann-Mauz (CDU/CSU): Etwa 47 000 Frauen erkranken jährlich in Deutschland an Brustkrebs, bei 40 bis 80 Prozent wird die Brust amputiert, circa 18 000 sterben daran. Diese hohe Anzahl an Erkrankun- gen bedeutet, dass alle 12 Minuten in Deutschland eine Brustkrebserkrankung neu diagnostiziert wird, und dass bei einer Amputationsrate von 50 Prozent alle 24 Minuten eine Brust amputiert wird. Brustkrebs, der früher lediglich als „Alterskrankheit“ galt, ist heute die häufigste Todesursache bei 45- bis 60- jährigen Frauen. Hinzu kommt: Immer mehr und immer jüngere Frauen erkranken daran, und die Tumore werden immer aggressiver. Diese schrecklichen Zahlen und Fakten, hinter denen Tausende von traurigen Schicksalen von Frauen stehen, haben mich in den letzten Jahren dazu bewegt, mich in- tensiv diesem Thema zu widmen, mich massiv für Ver- besserungen in der Frauengesundheit einzusetzen und mich nicht mit halbherzigen Lösungsansätzen zufrieden zu geben. Angesichts der viel zu hohen Sterberate, der oftmals viel zu spät erkannten Brustkrebserkrankung und der noch immer viel zu schlechten Behandlungsmöglichkei- ten in Deutschland habe ich es mir mit den Kolleginnen und Kollegen meiner Fraktion zur Aufgabe gemacht, grundlegende Verbesserungen in der Frauengesundheit voran zu bringen. Wie Sie wissen, kämpfe ich an dieser Stelle wie eine Löwin und werde nicht davon ablassen, bis eine grundlegende Verbesserung der Brustkrebsvorsorge und der Brustkrebsbehandlung für Frauen in Deutschland erreicht ist. Leider bin ich mit diesem Anliegen und den richtigen Ansätzen und Konzepten der Unionsfraktion bei den Re- gierungsfraktionen nicht von Anfang an und – wie ich finde – noch immer nicht ausreichend auf offene Ohren und Zustimmung gestoßen. Bereits im Jahr 2000 hat meine Fraktion mit dem Antrag „Konkrete Gesundheitspolitik für Frauen“ auf die große Wichtigkeit der Brustkrebsfrüher- kennung aufmerksam gemacht und Verbesserungswege in der Frauengesundheit aufgezeigt. Wir haben schon damals unter anderem ein qualitätsgesichertes, flächendeckendes Mammographie-Screening gefordert. Unser Antrag wurde jedoch von den Regierungsfraktionen abgelehnt. In den vergangenen Debatten zum Thema Frauenge- sundheit und zahlreichen Stellungnahmen haben wir von der CDU/CSU immer wieder darauf hingewiesen, dass keine Zeit für die betroffenen Frauen verloren werden darf. Heute, nach nunmehr bald zwei Jahren, sind wir ein Stück weiter – jedoch noch immer nicht weit genug. Wir sind uns heute hoffentlich darüber einig, dass es gar keine Frage mehr ist, dass ein qualitätsgesichertes Screening- Verfahren die beste Methode zur Erkennung von Brust- krebs ist. Wir sind uns auch erfreulicherweise darüber ei- nig geworden, dass es nicht reicht, weitere fünf bis sechs Jahre zu warten, bis die laufenden Modellversuche zum Brustkrebs ausgewertet worden sind. Vor ein paar Monaten noch waren Sie, meine Damen und Herren der Regierungsfraktionen, da ganz anderer Meinung. Noch in der letzten Debatte Ende Januar dieses Jahres haben Sie lediglich auf die Modellversuche ver- wiesen. Jetzt aber ist hoffentlich klar: Unsere Forderun- gen nach einem flächendeckenden, qualitätsgesicherten und fachübergreifenden Brustkrebs-Früherkennungskon- zept waren von Anfang an richtig. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 246. Sitzung. Berlin, Freitag, den 28. Juni 2002 24961 (C) (D) (A) (B) Nach monatelangem Drängen unsererseits ist es uns im Mai dieses Jahres im Gesundheitsausschuss gelungen, ei- nen Durchbruch bei der Verbesserung der Brustkrebs- früherkennung zu erreichen. Nach dem Änderungsantrag aller Fraktionen zu dem heute zu diskutierenden Antrag der Regierungsfraktionen sollen bis 2003 die Vorausset- zungen für ein flächendeckendes Screening-Programm für Frauen nach den europäischen Leitlinien durch zerti- fizierte Mammographie-Einrichtungen geschaffen wer- den. Dieser Erfolg ist viel wert und ich möchte auch ganz klar sagen: Es war sehr wichtig und notwendig, dass diese Erkenntnis nun endlich von allen Fraktionen mitgetragen wird. In diesem Zusammenhang war mir persönlich fol- gender Punkt des Änderungsantrages besonders wichtig: Wenn bis 2003 vonseiten der gemeinsamen Selbstverwal- tung von Ärzten und Krankenkassen dieses wichtige Vor- haben nicht umgesetzt wird, soll eine gesetzliche Rege- lung auf den Weg gebracht werden. Die Einführung des flächendeckenden Screening-Programmes soll so nach- haltig beschleunigt werden. Die Forderung nach einer qualitätsgesicherten und flächendeckenden Früherkennung muss mit der Nutzung der in Deutschland vorhandenen Versorgungsstrukturen verknüpft werden. Diese sind nicht immer unmittelbar vergleichbar mit denen anderer europäischer Länder und dieser Tatsache muss Rechnung getragen werden. Eine ausschließliche Konzentration auf Frauengesundheits- zentren schränkt unsere Chancen auf eine bessere Frau- engesundheit ein. Wir brauchen die Möglichkeit, auf ge- wachsene und flächendeckende Strukturen zurückgreifen zu können. Die Spitzenverbände der Krankenkassen und die Kas- senärztliche Bundesvereinigung haben angekündigt, die- ser Forderung nachzukommen. Dies begrüße ich nach- drücklich. Gleichzeitig möchte ich an dieser Stelle an die Verantwortung erinnern, die dieser Ankündigung inne- wohnt. Ich appelliere an dieser Stelle an die Krankenkas- sen und Ärzte: Enttäuschen Sie die Hoffnungen vieler Frauen nicht. Viele Menschenleben können auf diesem Wege gerettet werden. Wenn der heute vorliegende Antrag mit unseren Ände- rungen bald umgesetzt wird, können sich bald alle betrof- fenen Frauen einem qualitätsgesicherten Screening unter- ziehen: nicht mehr nur jene, die in Modellregionen wohnen. Dies ist eine Chance im Kampf gegen den Brust- krebs, die wir nicht verstreichen lassen dürfen. Die Ver- einbarung, auf die Länder einzuwirken, ein vollständiges, flächendeckendes Krebsregister einzurichten, ist eben- falls mehr als sinnvoll. Ein solches Krebsregister ist not- wendig für eine nachhaltige Gesundheitsberichterstat- tung, die weitere Forschung und für den Aufbau verbesserter Behandlungsqualität. Jetzt muss nachdrück- lich darauf hingewirkt werden, dass diese Vereinbarung auch umgesetzt wird. An dieser Stelle möchte ich nochmals deutlich machen: Mindestens ebenso wichtig wie die richtige Bekämpfung einer Krankheit ist die Prävention. Erfolgreiche Früherkennung braucht hohe Beteiligungsquoten. Deshalb brauchen wir mehr Öffent- lichkeitsarbeit und eine verstärkte Patientinnenberatung. Hier muss die Politik ansetzen. Das von der Union gefor- derte „Aktionsprogramm Prävention“ ist hier der richtige Weg zum Ziel. Um die verschiedenen Anreizsysteme zur Verbesserung der Inanspruchnahme von Präventionsleis- tungen sinnvoll zu nutzen und auszubauen, brauchen wir ein Präventionsgesetz, mit dem eine Bündelung der Vor- gaben erreicht werden kann. Die Zeit drängt. Mehr Vor- sorge ist vordringlich. Um mehr in der Bekämpfung des Brustkrebses erreichen zu können, ist ein ganzheitliches Vorgehen notwendig. Die Brustkrebs-Vorsorge und die Brustkrebs-Behandlung sind hierbei zwei Aspekte, die nicht auseinander dividiert werden dürfen. Die Qualität der Brustkrebs-Behandlung muss gesichert werden. Die Bundesregierung versucht derzeit, eine Qualitätsver- besserung durch das Disease-Management-Programm „Brustkrebs“ zu erreichen. Dabei hapert es gewaltig. Mit großer Enttäuschung musste ich am vergangenen Mittwoch in der Fragestunde feststellen, dass die Bun- desregierung, vertreten durch die Parlamentarische Staatssekretärin Schaich-Walch, von der berechtigten Kritik der „Konzertierten Aktion Brustkrebs-Früherken- nung in Deutschland“ bislang keine Kenntnis genommen hat. Es ist ein Skandal, dass ein Offener Brief an die Bun- desgesundheitsministerin vom 20. Juni 2002 einfach ignoriert wird. Qualitätssicherung in der Behandlung ist mit einer derartigen Scheuklappenpolitik und einem ignoranten Umgang mit berechtigter Kritik nie und nim- mer zu erreichen. Die Bundesregierung ist offensichtlich der Ansicht, dass eine notwendige enge Verzahnung der Brustkrebsfrüherkennung und -versorgung mit dem Disease-Management-Programm weder gegeben noch beabsichtigt sein soll. Dies halten wir für einen grundle- genden Fehler. Ich möchte Sie über die Kritikpunkte der „Konzertierten Aktion zur Brustkrebs-Früherkennung“ nicht weiter in Unkenntnis verweilen lassen. Es wird kri- tisiert, dass die Beschlussvorlage zur Umsetzung des Disease-Management-Programms ungeeignet ist, um die Versorgung von Frauen mit Brustkrebs substanziell zu verbessern und die Früherkennung grundlegend voranzu- bringen. Diese Kritik hat Hand und Fuß, denn für ein wir- kungsvolles Disease-Management-Programm Brustkrebs sind folgende Prämissen notwendig: Erstens: Eine leitli- nienkonforme Ausgestaltung des Programms muss gewährleistet sein. Nur dann ist es möglich, Qualität zu sichern und ein Datenmanagement zu begründen. Zwei- tens: Das Disease-Management-Programm darf nicht los- gelöst von einem Konzept der Brustkrebsfrüherkennung betrachtet werden. Drittens: Den negativen Erfahrungen bei den Modellversuchen muss Rechnung getragen wer- den: Die Gewährleistung der Funktionsfähigkeit der multidisziplinären Versorgungskette ist dringend erfor- derlich. Diese unverzichtbaren Voraussetzungen sind im Programm der Bundesregierung nicht erfüllt. Auch von- seiten der Women’s Health Coalition wird darauf hinge- wiesen, dass der derzeitige Entwurf zu einem Disease-Management-Programm Brustkrebs nicht nur unbrauchbar sei, sondern sogar Risiken für die Versor- gung an Brustkrebs erkrankter Frauen erwarten lasse. Vor diesem Hintergrund ist Folgendes nicht mehr von der Hand zu weisen: Sie wollen von dem Zeitrahmen, der zu einer Erstellung einer leitlinienkonformen Beschlussvor- lage notwendig ist, abrücken, um noch vor der Bundes- tagswahl – wenn auch zweifelhafte – Ergebnisse in der Frauengesundheitspolitik vorweisen zu können. Sie be- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 246. Sitzung. Berlin, Freitag, den 28. Juni 200224962 (C) (D) (A) (B) treiben Wahlkampf auf Kosten der Frauengesundheit in Deutschland und nehmen dabei sehenden Auges Ver- schlechterungen für die betroffenen Frauen in Kauf. Wir stellen uns einem solchen Vorgehen entgegen. Die Qualität bei der geplanten Verbesserung der Brustkrebs- früherkennung darf nicht einem Wahlkampfaktionismus zum Opfer fallen. Die Kritik der Fachleute muss aufge- nommen werden, um ein Versagen der Versorgungs- kette in Zukunft verhindern zu können. Wir in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion werden eine Mogel- packung nicht unterstützen. Nach dem Wahlsieg der Union am 22. September dieses Jahres werden wir grund- legende Verbesserungen in der Frauengesundheit durch- setzen. Monika Knoche (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wenn wir, von einem „Gesamtkonzept zur Verbesserung der Versorgung bei Brustkrebs“ sprechen, dann sprechen wir über geschlechtsspezifische Gesundheitsversorgung in einem Gesamtsystem, das bislang eklatante Qualitäts- mängel in der Früherkennung und in der Ausschlussdia- gnostik sowie in den Behandlungsstandards hervorge- bracht hat. Ich möchte sagen: Gäbe es uns Frauen in der Schaltstelle der Gesundheitspolitik nicht, dann hätte sich daran auch noch eine Weile nichts Wesentliches geändert. Lange genug wurde das unterdurchschnittliche Pro- blembewusstsein in Deutschland bei Kassen, Politik und organisierter Ärzteschaft nacht skandalisiert. Deshalb lobe ich uns Frauen im Parlament und in der Öffentlich- keit, das Engagement der Patientinnengruppe, ohne die es nicht zu diesem qualitativen Sprung gekommen wäre. Als Nebeneffekt oder Mitnahmeeffekt lernt das System insge- samt, wie aus der Perspektive von Erkrankten – „potenzi- ell betroffene Nutznießerinnen“ – von Veränderungen. Sie werden durch qualifizierte Früherkennungsangebote, Re- formmaßnahmen, die diesen Namen verdienen, in das deutsche Gesundheitswesen Einzug finden können. Sie geben Beispiel, wie das Gesundheitssystem zukunftsfähi- ger und effizienter gemacht wird. Es sei hier noch einmal betont: Die Selbstverwaltung, Ärzte, Krankenkassen, die für die Etablierung und Wei- terentwicklung von Gesundheitsversorgung die Zustän- digkeit haben, haben an Lösungsoptionen am Überwin- den lebenszeitfressender Fehlallokationen kein echtes Interesse gezeigt. Anders in anderen europäischen Staa- ten. Dort wurden Qualitätsstandards entwickelt und im- plementiert. Hier bei uns bedurfte es ausdrücklicher par- lamentarischer Einflussnahme, weil sonst wieder im Interessendschungel von Fachgesellschaften, kassenärzt- lichem Sicherstellungsauftrag und separiertem Versor- gungssektor die Gesundheit der Frau der nachrangigste Faktor geblieben wäre, um den man sich streitet. Obgleich – das sei auch gesagt – es hervorragende me- dizinische Angebote gibt, Frauen mit Brustkrebs mit hochinnovativen Verfahren zu therapieren, bleiben doch die Standards unterschiedlich. Und für die betroffenen Pa- tientinnen ist es meist unklar, ob sie die beste Therapie zum richtigen Zeitpunkt erfahren. Das Disease-Management-Program, so lautet das Vor- haben der Ministerin, soll hier zu einheitlichen oder ver- gleichbar hohen Standards an allen Orten der Kranken- versorgung führen. So wie die Lage der DMP nach dem Scheitern auf der Ebene der Kassenärztlichen Bundesver- einigung sich darstellt, kann ich Stand heute nicht sagen, ob sich überall für alle an Brustkrebs erkrankten Frauen gleiche Bedingungen nach dem Behandlungsprogramm vorfinden lassen werden. DMP an den Risikostrukturaus- gleich zu koppeln, das war von Anfang an klar, ist pro- blematisch, weil es eigentlich RSA-System fremd sind. Aber heute geht es darum, nach einem guten Bera- tungsverlauf den von Frau Kühn-Mengel und mir maß- geblich entwickelten Antrag zu beschließen. Er beinhaltet im Detail, darauf hinzuwirken, dass die Spitzenverbände der Krankenkassen und die Kassenärztliche Bundesverei- nigung ab dem Jahr 2003 ein flächendeckendes Scree- ning-Programm für Frauen nach den europäischen Leit- linien durch zertifizierte Mammographie-Einrichtungen einführen müssen, was sie angekündigt haben und an die- ser Stelle zu würdigen ist. Und für den Fall, dass das nicht so kommt, eine gesetzliche Regelung auf den Weg zu bringen. Die am Screening teilnehmenden Zentren müssen nach Leitlinien der Europäischen Union von den Spitzenver- bänden der Krankenkassen unter Einbeziehung unabhän- gigen wissenschaftlichen Sachverstands nach den EUREF- Standard zertifiziert werden. Darüber hinaus soll die Selbstverwaltung bis zum Jahr 2005 alle ambulant durch- geführten Mammographien, das heißt auch die der Ab- klärung von verdächtigen Befunden dienenden Mammo- graphien, in die am Screening teilnehmenden Zentren überführen. In die Finanzierung der Screening-Pro- gramme sind die bisher von den Krankenkassen über die Gesamtvergütung für Mammographie aufgebrachten Mit- tel einzubringen. Im Weiteren soll auf die Länder einge- wirkt werden, ein vollständiges, flächendeckendes Krebs- register nach IARC-Standard einzurichten, welches als Grundlage für die Gesundheitsberichterstattung sowie für weitere klinische epidemilogische Forschung und damit auch dem Aufbau verbesserter Behandlungsqualität dient. Darüber hinaus ist es nötig, die Zertifizierung von Ein- richtungen zu fördern, die leitlinienorientierte, qualitäts- gesicherte Mammographie anbieten, die Qualität der Behandlung zu fördern, die Öffentlichkeit und die Patien- tinnenberatung zu verstärken sowie die Versorgungsfor- schung zu intensivieren. Dies zeigt auf, wie genau wir uns um die tatsächliche Implementierbarkeit der europäischen Standards ins spezielle deutsche System verständigt ha- ben. Denn wir wollen im Einzelnen erreichen, dass der mit dem GKV-Gesundheitsreformgesetz eingeschlagene Weg der Qualitätssicherung, der Möglichkeit zur inte- grierten Versorgung, der evidenzbasierten Medizin kon- sequent ausgebaut und gezielt die Qualitätsverbesserung in der Brustkrebsfrüherkennung gefördert wird. Dazu sind alle Voraussetzungen für die Einführung eines flächendeckenden Mammographie-Screenings nach eu- ropäischen Leitlinien zu schaffen. Mammographie-Screening ist eine Früherkennungs- maßnahme. Sie kann die Genesungschancen von Frauen mit Brustkrebs verbessern und in vielen Fällen Lebenszeit verlängern. Sie kann den Weg zu einer Therapie früher Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 246. Sitzung. Berlin, Freitag, den 28. Juni 2002 24963 (C) (D) (A) (B) öffnen. Sie ist ein Angebot, das nur für Frauen ab dem 50. Lebensjahr sinnvoll ist. Mammographie-Screening ist für jüngere Frauen kein regelrechtes Angebot. Den eige- nen Körper kennen, die Brust ertasten, keine Ängste vor dem Älterwerden zu entwickeln, sorgsam mit der eigenen Brust sein, das ist etwas Wichtiges, das Frauen selbstver- ständlich leben können sollten. Und wenn eine Frau diese Krankheit trifft, soll sie sich gewiss sein können, dass sie die bestmögliche Medizin und menschliche Unterstützung findet. Denn gute Tech- nik und Chirurgie sind eben doch nur eine Weise, die hel- fen kann, eine Krankheit, die einer wiederfährt, zu durch- leben. Die andere Seite ist die seelische, die individuelle, die soziale Seite, die auch gelebt wird. Und deshalb ist eine ganzheitliche Betrachtung und eine multidisziplinäre Versorgung eine ebenfalls unverzichtbare Komponente im Behandlungsverlauf. Das kommt nach dem Befund „Brustkrebs“. Ob eine Frau an Brustkrebs erkrankt ist, ist unter Anwendung bester Diagnostik im Rahmen von Mammographie-Screening die entscheidende Frage. Erst wenn nicht „Nein“ gesagt werden kann, wenn ein positi- ver Befund vorliegt, kann die qualitätsgerichtete Behand- lungsleitlinie ihren Sinn erfüllen. Deshalb sollte von allen Parteien „Ja“ gesagt werden zu unserem Antrag einer ver- besserten Früherkennung für Frauen ab den Wechsel- jahren. Detlef Parr (FDP): Seit Wochen steht die Frage der Brustkrebs-Früherkennung auf der Agenda des Gesund- heitsausschusses – die Debatte hat der Sache leider bisher nicht so gedient, wie wir alle uns das gewünscht haben. Es gibt Streit bei den laufenden Modellversuchen, es gibt Streit bei der Implementierung des Disease-Management- Programms Brustkrebs. Es muss uns schon zu denken geben, wenn in Bremen ein namhaftes Institut aus dem Modellprojekt des Mammographie-Screenings mit der Begründung aussteigt, die Daten des Projektes sollten gar nicht erst ausgewertet werden, weil die politische Entscheidung über die Einführung eines bundesweiten Screenings im Jahre 2003 bereits gefallen sei. Die FDP hat auf dieses Problem bereits vor Wochen hingewiesen und die übereilte Festlegung der Regierungsfraktionen kritisiert. Laut Ärztezeitung vom 13. Juni 2002 ist damit die Basis für ein wirkungsvolles Screening in Gefahr, nämlich Vertrauen und Akzeptanz. Eine Konsens-Fin- dung ist eben unverzichtbar. Es muss uns ebenfalls zu denken geben, wenn die „Kon- zertierte Aktion Brustkrebs-Früherkennung in Deutsch- land“ nach einer Anhörung zur Beschlussvorlage des Koordinierungsausschusses zum Thema „Disease-Manage- ment-Programm Mammakarzinom“ Alarm schlägt – auch hier wieder wegen des Zeitdrucks, mehr aber noch wegen inhaltlicher Mängel und fehlender Abstimmung mit den Fachgesellschaften und Berufsverbänden. Danach verschlechtert sich sogar die Versorgungs- situation bis hin zu einer Gefährdung betroffener Frauen im Einzelfall. Die medizinischen Inhalte richten sich nicht an den Leitlinien aus. Folglich können Anforderungen an die notwendige Qualitätssicherung, die wir alle ja zu Recht immer wieder betonen, nicht formuliert werden. Auch die fach- und sektorübergreifende Zusammenarbeit als entscheidende Voraussetzung für den Erfolg eines Chroniker-Programms ist nicht geregelt. Um die Frage des Datenmanagements, die hochsensibel ist, weil den Krankenkassen erstmals über den bisherigen Rahmen hi- naus ohne Zustimmung der Betroffenen Daten übermittelt werden sollen, hat man sich herumgedrückt. Die Techni- ker-Krankenkasse beklagt den fehlenden verbindlichen Umfang an Prüfungen sowie wirksame Sanktionen bei festgestellten Fehlern und befürchtet Manipulationen im Zusammenhang mit dem RSA. Die FDP hat in ihrem Antrag, der noch in der Beratung ist, neben dem Selbstbestimmungsrecht der Frau zwei For- derungen in den Mittelpunkt gerückt: Erstens. Eine qualitätsgesicherte Diagnosekette ist an- stelle einer Fokussierung auf die Mammographie zu ga- rantieren. Zweitens. Zur Sicherung einer qualitätsgesicherten Brustkrebs-Früherkennung muss eine systematisch evi- denz- und konsensbasierte Leitlinie für eine Diagnose- kette implementiert werden. So einig wir uns in der Zielsetzung sind, so unter- schiedlich sind die Schwerpunkte, die wir setzen. Die wachsende Kritik an den Vorstellungen von Rot-Grün sollte dazu führen, den Antrag noch einmal zu überarbei- ten. Wir lehnen ihn in der vorliegenden Fassung ab, ste- hen aber gerne zu Abstimmungsgesprächen der dringen- den Sache wegen zur Verfügung. Petra Bläss (PDS): Spät, aber nicht zu spät kommt die über die Jahre geführte Parlamentsdebatte über die Brustkrebsprävention und -bekämpfung zu einem vorläu- figen Abschluss. Mittlerweile erkrankt jede zehnte Frau in Deutschland an Brustkrebs. Dabei ist die Brustkrebsrate hier zu Lande nicht wesentlich höher als in anderen euro- päischen Staaten – jedoch die Sterblichkeitsrate ist es. Durch das Fehlen von Früherkennungsprogrammen ster- ben bei uns ein Drittel mehr Frauen an dieser Krankheit als in den Niederlanden, Großbritannien und Schweden. Das ist ein Skandal. Seit Jahren verweisen Brustkrebsinitiativen darauf, dass sich die Zahl der Todesfällle durch Brustkrebs durch qualitätsgesicherte Früherkennung nach europäischen Leitlinien erheblich senken lässt. Deswegen stimmen wir den beiden vorliegenden Anträgen der Koalition und der FDP zu, mit denen das Screening für Frauen ab 50 Jahren, flächendeckend eingeführt werden soll. Hierbei muss je- doch beachtet werden, dass in Deutschland Frauen nicht nur wegen fehlenden qualitätsgesicherten Mammogra- phien sterben, sondern auch traumatischen körperlichen und psychischen Belastungen ausgesetzt sind. Deshalb unterstützen wir vor allem die in den Anträgen geforderte Einführung von verbindlichen Qualitätsstandards und ex- ternem Qualitätsmonitoring. Denn es darf nicht länger sein, dass die Qualität der Beratung, Diagnose, Therapie und Nachsorge und somit die Überlebenschance von Brustkrebspatientinnen von Ärzten zu Ärzten unter- schiedlich ist. Frauen dürfen hierzulande nicht länger von der Willkür der Ärtze und Ärztinnen abhängig sein, ob bei Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 246. Sitzung. Berlin, Freitag, den 28. Juni 200224964 (C) (D) (A) (B) ihnen eine Mammographie durchgeführt wird oder nicht. Außerdem ist es eine Schande, dass in Deutschland Ärzte und Ärztinnen Untersuchungen durchführen dürfen, für die sie nicht speziell geschult sind und obendrauf auch noch Apparaturen verwenden, die schon längst veraltet sind. So wurde in Essen 300 Frauen eine Brust amputiert, weil der Arzt die Mammographiebilder nicht lesen konnte. Kein Wunder, denn nur sehr gut ausgebildete Ärzte und Ärztinnen sind in der Lage, Mammographien richtig zu interpretieren sowie brusterhaltende Krebs- therapien vorzunehmen. All dies ist aber nicht genug, denn Mammographien helfen vorrangig nur den 50- bis 70-jährigen Frauen. Was passiert mit allen anderen, die ebenfalls von Brustkrebs betroffen sind? Nicht nur in andern Ländern, sondern auch in Deutschland muss es letztlich darum gehen, den Brustkrebs vollständig auszurotten. Was wir brauchen ist also nicht nur eine intensivere Versorgungsforschung, wie von der Koalition gefordert, sondern auch eine stärkere Finanzierung der Krebsursachenforschung und Krebs- prävention. Denn seit Jahren stellen wir eine Zunahme von Brustkrebserkrankungen fest und wissen noch immer relativ wenig über die Ursachen. Die Erstellung eines flächendeckendes Krebsregisters, wie in den Anträgen ge- fordert, ist dazu nur ein erster Schritt. Ulla Schmidt, Bundesministerin für Gesundheit: Die Früherkennung und Versorgung bei Brustkrebs müssen verbessert werden, weil sie Leben retten können. Darüber sind wir uns alle einig. Im Gegensatz zu einigen Nach- barländern gibt es in Deutschland noch kein Mammo- graphie-Screening-Programm nach europäischen Leit- linien. Das heißt: keine Doppelbefundung, keine tägliche Qualitätskontrolle der Technik, die Mindestzahl von 5 000 Mammographien pro Jahr und Auswerter wird oft nicht erreicht und es gibt kein Einladesystem für die be- troffenen Frauen. Das alles soll sich ändern durch ein qua- litätsgesichertes Mammographie-Screening-Programm für Deutschland. Zu viel Zeit ist in der Vergangenheit vertan worden. Schon Anfang 1998 habe ich dem Kollegen Seehofer ge- schrieben, dass ich die Einführung des Screenings in Deutschland und eine systematische Qualitätssicherung für einen wichtigen und längst überfälligen Schritt halte. Rund ein halbes Jahr später hat mir Herr Seehofer seine Unterstützung bei der Durchführung von Modellversu- chen zugesagt. Aber erst nach dem Regierungswechsel haben wir er- reicht, dass der Bundesausschuss der Ärzte und Kranken- kassen die Modellversuche zum Mammographie-Scree- ning beschlossen hat. Sie sind gut angelaufen und die Basis für den Beschluss des Bundesausschusses zur flächendeckenden Einführung eines Mammographie- Screening-Programms im nächsten Jahr. Ich habe keinen Zweifel, dass der Bundesausschuss alle notwendigen Maßnahmen ergreift, damit ab nächstem Jahr alle Frauen zwischen 50 und 70 mammographiert werden können, und zwar nach strengen Regularien, die für eine qualitäts- gesicherte Durchführung nach den europäischen Leitli- nien unverzichtbar sind. Ich verspreche Ihnen: Sollte die Selbstverwaltung wi- der Erwarten ihre selbstgesteckten Ziele nicht erreichen, dann werde ich die Initiative ergreifen. Ich bin aber optimistisch, denn die Selbstverwaltung hat ihre Handlungsfähigkeit mit neuen, stringenten Qua- litätssicherungsregelungen für die kurative Mammogra- phie bewiesen. Neben der Mammographie gibt es bereits heute Angebote zur Brustkrebsfrüherkennung im Rahmen des jährlichen Krebsfrüherkennungsprogramms. Wir müssen die Frauen noch stärker als bisher motivieren, diese Angebote anzunehmen. Wir haben das umgesetzt, was die Opposition während ihrer Regierungszeit nicht geschafft hat: Den Beginn ei- nes flächendeckenden, qualitätsgesicherten Früherken- nungsprogramms und eine bessere Versorgung von Brust- krebspatientinnen. Ab dem 1. Juli können Brustkrebspatientinnen an Di- sease-Management-Programmen teilnehmen. Diese Pro- gramme stellen sicher, dass in Zukunft unnötige Brust- amputationen vermieden, notwendige Bestrahlungen gesichert und der psychosozialen Betreuung und Beglei- tung der Patientinnen ein großer Stellenwert eingeräumt wird. Alle diese Maßnahmen: Mammographie-Screening, Qualitätssicherungsvereinbarung der Selbstverwaltung, Früherkennung für Frauen ab 30, aber auch die novellierte Strahlenschutzverordnung des Bundesministeriums für Umwelt, Brustkrebs als Gesundheitsziel, die Einrichtung des Brustkrebstelefons beim Deutschen Krebsfor- schungszentrum und die laufende finanzielle Unterstüt- zung der Krebsregister der Länder zeigen: Wir machen keine leeren Versprechungen. Wir haben ein umfassendes Programm. Wir verbessern die Früherkennung, Diagnos- tik und Behandlung bei Brustkrebs entscheidend. Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrages: Deutsche Einheit in der Bundeswehr herstellen (Tagesordnungs- punkt 32) Uwe Göllner (SPD): Schon der Titel des Antrages transportiert, die Deutsche Einheit sei in der Bundeswehr noch nicht vollendet. Ich wage zu behaupten, diese Mei- nung vertritt nur eine Fraktion in diesem Hause, nämlich die Antragsfraktion. Ich habe nichts dagegen, dass uns vornehmlich durch die PDS-Fraktion die jüngste Vergangenheit immer wie- der einholt. Ihr selbst geht es trotz stets versicherter in- nerparteilicher Aufarbeitung ja ebenso. Auch wenn der Weg der wirtschaftlichen und sozialen Angleichung zwi- schen Ost und West noch nicht abgeschlossen ist, möchte ich hier und heute betonen, dass gerade die Bundeswehr ein Schrittmacher der inneren Einheit Deutschlands ist. Nirgendwo sonst wurde eine engere deutsch-deutsche Integration und Zusammengehörigkeit befördert. Denn Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 246. Sitzung. Berlin, Freitag, den 28. Juni 2002 24965 (C) (D) (A) (B) obwohl die Kreiswehrersatzämter versuchen, die Wehr- pflichtigen möglichst heimatnah einzusetzen, geht es doch häufig über die Bundesländergrenzen hinaus. Die PDS erweckt mit ihrem Antrag hingegen den Ein- druck, die Bundeswehr sei von einer „Einheit“ noch wei- ter entfernt als beisammen. Dass dem nicht so ist, zeigen rund 11 000 Zeit- und Berufssoldaten sowie 50 000 zivile Mitarbeiter der ehemaligen NVA, die in die Bundeswehr integriert wurden. Das ist menschlich und organisatorisch eine einmalige Leistung. 18 bedeutende Führungs- und Ausbildungszentren der Bundeswehr befinden sich in den neuen Bundesländern, darunter die Offiziersschule des Heeres in Dresden, das Gefechtsübungszentrum des Heeres in der Altmark, ein Marineamt in Rostock, die Bundeswehrkrankenhäuser in Berlin und Leipzig, das zentrale Institut des Sanitätsdiens- tes der Bundeswehr in Berlin und das militärgeschichtli- che Forschungsinstitut in Potsdam. Als stellvertretender Vorsitzender des Unterausschus- ses „Streitkräftefragen in den neuen Bundesländern“ überzeuge ich mich regelmäßig bei Besuchen der Stand- orte von den Fortschritten dieses Entwicklungsprozesses. Vor dieser Bilanz schlägt die PDS dagegen das Jahr 1990 und sogar das Jahr 1962 im Buch der Weltgeschichte wieder auf: Kuba-Krise, Führungsmächte, NATO, Warschauer Pakt – der altbekannte geschichtspolitische Exkurs der PDS: Kalter Krieg zur Erhaltung des Weltfrie- dens. Mit dem Antrag, der hier beraten wird, möchte sie der NVA endlich einen gebührenden Platz in der deut- schen Geschichte verschaffen. Bedauerlich, dass sie dafür geltendes Recht in einen falschen Zusammenhang stellt bzw. die Intention relevanter Gesetze verfremdet. Dies tut sie zum Beispiel mit der Forderung „Wehr- dienst in fremden Streitkräften“. Zu Beginn ihres Antra- ges stellt die PDS-Fraktion noch korrekt fest, dass die Bundesrepublik gemäß Einigungsvertrag nicht die Rechtsnachfolge für die NVA angetreten hat. Das heißt, die NVAwurde vor dem Beitritt aufgelöst und nicht in das staatliche Ordnungsgefüge übernommen. Für die unter 25-jährigen Männer hätte eine solche institutionelle Übernahme unter Umständen bedeutet, dass ihr bereits in der DDR abgeleisteter Grundwehrdienst nicht zwangs- läufig angerechnet worden wäre. Um zu verhindern, dass sie erneut zum Grundwehrdienst eingezogen werden, fand für die betroffenen Jahrgänge stattdessen § 8 des Wehrpflichtgesetzes Anwendung. Danach kann das Bun- desministerium der Verteidigung den Wehrdienst als ge- leisteten anderen Dienst anerkennen, wenn er in fremden Streitkräften bereits geleistet wurde. Sie sehen, sehr geehrte Damen und Herren, die PDS versucht hier mit ihrer Forderung, ehemalige Soldaten der NVA nicht länger als „Gediente in fremden Streitkräften“ zu beurteilen, eine in meinen Augen Begünstigung in eine Benachteiligung zu verkehren. Im Übrigen bezeichnet § 8 des Wehrpflichtgesetzes seit 1956 jeglichen Dienst in einer anderen Armee als der Bundeswehr als „Wehrdienst in fremden Streitkräften“, ohne dass daran jemals Betrof- fene oder fremde Staaten Anstoß genommen hätten. Dieselbe Umkehrung von Ursache und Wirkung findet sich bei der Forderung nach voller bzw. genereller Aner- kennung der Laufbahn, von NVA-Vordienstzeiten, von Dienstgradbezeichnungen der NVAund von militärischen Bildungsabschlüssen. Für das Weiterführen von NVA-Dienstgraden mit dem Zusatz „a. D.“ oder „d. R.“ fehlt ebenfalls die Rechts- grundlage. Die Reservistenverordnung der DDR wurde nicht in den Einigungsvertrag übernommen, wodurch die früher geltenden Befugnisse erloschen. Das Bundesver- teidigungsministerium stellte bei gegebenen Anlässen stets klar, dass in der DDR erworbene Dienstgradbe- zeichnungen mit und ohne Zusätzen nicht geführt werden dürfen. Dasselbe gilt im Übrigen auch für die anderen Teilbereiche des öffentlichen Dienstes, wie zum Beispiel bei der Polizei, beim Zoll, beim Auswärtigen Dienst und als Minister. Aus diesen Bereichen wurden allerdings auch nie Forderungen der Art erhoben, Amts- und Dienst- bezeichnungen aus der DDR weiterzuführen. In einem weiteren Punkt wird die Übernahme von Sanitätsoffizieren auf Zeit zu Berufsoffizieren gefordert. Wie die PDS in der Begründung dazu ausführt, sind es nur wenige Sanitätsoffiziere auf Zeit, die bis heute wegen der soldatenrechtlichen Bestimmungen im Einigungsvertrag nicht in Dienstverhältnisse von Berufssoldaten übernom- men werden konnten. Denn danach durfte der Zeitsoldat zum Zeitpunkt der Umwandlung des Dienstverhältnisses das 50. Lebensjahr nicht vollendet haben. Ähnliche Alters- vorgaben finden wir im Öffentlichen Dienstrecht. Hier lie- gen die Altersgrenzen für Beamtenanwärter in der Regel noch wesentlich unter der eben genannten. Hinzu kam, dass durch einen Überhang von geeigneten jüngeren Bewerbern zum damaligen Zeitpunkt auch kein Raum für Ausnahme- zustimmungen des Bundesfinanzministers blieb. Den lebensälteren Sanitätssoldaten wurde jedoch – wo immer möglich – eine Dienstverlängerung als Soldat auf Zeit bis zum Erreichen der geltenden Altersgrenzen ange- boten. Ausscheidende Sanitätsoffiziere wurden mit zu- sätzlichen Haushaltsmitteln bei der zivilen Weiterbe- schäftigung unterstützt. Mit der Ausplanung des Personalstrukturmodells 2000 ergab sich in der Sanitäts- gruppe ein erhöhter Personalbedarf, sodass den Betref- fenden erneut Dienstverlängerungen angeboten wurden. Mit dieser Maßnahme wurde auch die letzte Lücke bei den Sanitätsoffizieren zwischen Dienstzeit und gesetzli- chem Rentenanspruch geschlossen. Die Forderung der PDS aus Gerechtigkeitsgründen ist demzufolge längst überholt. Noch einige Worte zu der Forderung, Soldaten und zi- vile Beschäftigte in der Bundeswehr in Ost und West ein- heitlich mit 100 Prozent zu besolden. Ich verrate kein Ge- heimnis, wenn ich Ihnen sage, dass es ein wesentliches politisches Ziel der Bundesregierung bleibt, die ostdeut- schen Bezüge an das westdeutsche Niveau anzugleichen. Immer wieder hat sie mit Unterstützung des Verteidi- gungsausschusses Anlauf genommen, eine Angleichung der Besoldung herbeizuführen. Seit der Herstellung der deutschen Einheit ist es jedoch bewährte Praxis, die von den Tarifparteien für den öffent- lichen Dienst in den neuen Bundesländern getroffenen Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 246. Sitzung. Berlin, Freitag, den 28. Juni 200224966 (C) (D) (A) (B) Vereinbarungen zeit- und inhaltsgleich auf Beamte, Richter und Soldaten zu übertragen: Da die meisten Be- amten im Dienste der Länder stehen und die Regelungen den Bundesrat passieren müssen, war die vollständige An- passung bislang wegen der fehlenden Zustimmung der Länder nicht möglich. Dazu zählen auch Länder, in denen die PDS an der Regierung beteiligt ist. Die Laufzeit der derzeitigen Tarifvereinbarung endet am 31. Dezember 2002. Bundeskanzler Schröder hat bereits auf dem Partei- tag im März dieses Jahres in Magdeburg den Vorschlag aus Sachsen-Anhalt unterstützt, die Ost-Tarife bis spätes- tens 2007 auf 100 Prozent anzuheben. Eine eigenständige Besoldung für die Bundeswehr, über die ebenfalls von uns diskutiert wurde, lehnte der Deutsche Bundeswehrverband ab. Er befürchtet, dass sich die Vorteile, die sich kurzfristig aus einer Abkopplung vom übrigen öffentlichen Dienst ergeben, sich mittel- oder langfristig bei Tarifverhandlungen vielleicht als Nachteil entpuppen könnten. Soweit die Zuständigkeit allein beim Bund liegt, hat der seine Hausaufgaben gemacht. Der Wehrsold für un- sere Wehrpflichtigen wird seit dem Zusammenschluss von NVAund Bundeswehr überall in der Republik in ein- heitlicher Höhe gezahlt. Dass wir bei der „Herstellung der deutschen Einheit in der Bundeswehr“ schon so weit vorangekommen sind, ist das Verdienst aller Parteien hier im Deutschen Bundestag und aller Menschen hier im Land. Bei der vorhin vorge- tragenen Bilanz um das Erreichen gleicher Verhältnisse – auch in der Bundeswehr – ist deutlich geworden: Es ist immer Raum für Kritik bzw. es gibt stets beste Gründe für weitere Verbesserungen. Doch ebenso lohnt sich gerade hier auch der Blick auf bereits Erreichtes. Die PDS reißt auch mit diesem Antrag wieder Tatsachen aus dem Zu- sammenhang und verallgemeinert. Keine von ihr aufge- zählte Benachteiligung hält einer Überprüfung stand. Ich bitte Sie daher, den Antrag abzulehnen. Kurt Palis (SPD): Die PDS trägt auch mit diesem An- trag wieder ein selbstgewirktes Banner sozialer Gerech- tigkeit vor ihr Wahlvolk. Diesmal geht es ihr darum, in der Bundeswehr „die Deutsche Einheit ... herzustellen“. Wir Sozialdemokraten halten den Antragstellern ent- gegen: Die Bundeswehr verdient das Lob, das mit dem Begriff „Armee der Einheit“ ausgedrückt wird, zu Recht. In kaum einem anderen gesellschaftlichen Bereich ist der Prozess des Zusammenwachsens so zügig, so konfliktfrei und so erfolgreich für die Beteiligten auf beiden Seiten vonstatten gegangen wie bei unseren Soldatinnen und Soldaten. Die PDS sollte sich mit mir darüber freuen, statt zu behaupten, die Realität sehe anders aus. Sie sollte wei- terhin den Begriff der „Armee der Einheit“ nicht länger als bloßes Schlagwort diffamieren sowie die dreiste For- mulierung nicht weiter verwenden, die Zusammen- führung beider Armeen sei „einseitig zulasten der Solda- ten der NVA“ gegangen. Zulasten der NVA, das wäre sogar richtig, nicht aber zulasten der Soldaten! Ich hatte in der auslaufenden Wahlperiode Gelegen- heit, fast alle wichtigen Standorte in den ostdeutschen Ländern zu besuchen. Im Unterausschuss „Streitkräfte- fragen in den Neuen Bundesländern“ haben wir gesehen, wie stark die Investitionen in Material und Unterbringung nach Osten verlagert worden sind. Haben Sie von der PDS eine Ahnung, warum das geschehen ist? Mich würde nicht wundern, wenn Sie es nicht wüssten. Denn in den vier Jahren habe ich aus Ihren Reihen keine nennenswerte Mitarbeit beobachten können. Auch die Gespräche mit Soldaten und zivilen Mitarbeitern der Bundeswehr in Ost- deutschland haben wir in Ihrer Abwesenheit bestritten. Menschenwürdige Bedingungen zur Verrichtung des Dienstes sind doch nicht von der NVA hinterlassen wor- den. Sie sind mit erheblichem Aufwand erst nach der Deut- schen Einigung geschaffen worden. Und dafür sind auch die Ehemaligen der NVA immer wieder dankbar gewesen. Natürlich, bei unseren Gesprächen kamen auch Pro- bleme zur Sprache. Immer wiederkehrend und bis heute unbefriedigend geregelt: die Angleichung der Besoldung von Ost und West. Wir haben immer wieder deutlich ge- macht, dass dies ein wesentliches politisches Ziel sein muss. Wir haben in dieser Frage auch die Unterstützung des Bundesverteidigungsministeriums. Auch dort weiß man, dass die noch bestehenden Unterschiede in der Be- soldung den Soldaten und zivilen Mitarbeitern der Bun- deswehr in den ostdeutschen Bundesländern kaum noch zu vermitteln sind. Aber mit Ausnahme der PDS und der FDP, die mit der Scheinlösung einer eigenen Soldatenbe- soldungsordnung Don Quichotes Siege nachstellen will, wissen alle in diesem Hause, dass die weitere Anglei- chung den Tarifparteien überlassen bleiben muss. Ihre Vereinbarungen für den öffentlichen Dienst in den ostdeutschen Ländern werden alsdann im Wesentlichen inhalts- und zeitgleich auf die Beamten- und Soldatenbe- soldung übertragen. Die letzte Anpassung wurde mit Ge- setzesdatum vom 19. April 2001 vollzogen. Ich nutze gern die Gelegenheit, die Entwicklung der Bemessungssätze seit 1991 kurz darzustellen: 1. Juli 1991 : 60 von Hundert; 1. Mai 1991 : 70 von Hundert; 1. Dezember 1992 : 74 von Hundert; 1. Juli 1993 : 80 von Hundert; 1. Oktober 1994 : 82 von Hundert; 1. Oktober 1995 : 84 von Hundert; 1. Sep- tember 1997 : 85 von Hundert; 1. September 1998 : 86,5 von Hundert; 1. August 2000 : 87 von Hundert; 1. Januar 2001 : 88,5 von Hundert; 1. Januar 2002 : 90 von Hundert. Die Laufzeit der derzeitigen Tarifvereinbarung endet am 31. Dezember 2002. Die Frage der weiteren Anpas- sungsschritte wird in den nächsten Tarifverhandlungen si- cherlich eingehend erörtert werden. Bundeskanzler Schröder hat in einer Rede am 10. März dieses Jahres aus- geführt, dass er sich vorstellen könne, dass die Tarife im Osten bis 2007 schrittweise auf 100 Prozent angehoben werden und dies mit einem Verhandlungsangebot an die Gewerkschaften verbunden. Hier zeichnet sich also mit- telfristig eine Lösung ab. Wer die sofortige Anhebung auf 100 Prozent fordert wie die PDS, sollte sich tunlichst mit seinen Parteifreunden in ostdeutscher Regierungsverantwortung abstimmen. Die haben nämlich nicht das Geld, um auf Landesebene mit- zuziehen. Letzteres ist aber verfassungsrechtlich geboten. Meine Zeit erlaubt es nicht, auf all die anderen Forde- rungen des PDS-Antrages einzugehen. Mein Kollege Göllner hat in seiner protokollierten Rede im Einzelnen Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 246. Sitzung. Berlin, Freitag, den 28. Juni 2002 24967 (C) (D) (A) (B) Stellung dazu bezogen. Da die aktiven Bundeswehrsolda- ten mit NVA-Vordienstzeiten Forderungen etwa nach Ab- schaffung von Begriffen wie „Wehrdienst in fremden Streitkräften“ für NVA-Dienstzeiten oder nach Weiter- führen von NVA-Dienstgraden mit dem Zusatz „a. D.“ oder „d. R.“ in meiner Gegenwart nicht erhoben haben, empfinde ich den Leitmangel nicht einmal als schwer- wiegend. Wenn Ihnen von der PDS das Wohlergehen der ehema- ligen NVA-Soldaten ein echtes Anliegen ist, so beteiligen Sie sich bitte laufend an den diesbezüglichen Beratungen. Soweit es Ihnen jedoch um die Ehre der ostdeutschen Bundeswehrsoldaten geht, so streiten Sie weniger um Dienstgrade mit Zusatz „a. D.“ oder „i. R.“, sondern schneiden Sie bitte künftig diesen jungen Männern nicht länger die Ehre ab, indem Sie deren risikoreichen Aus- landsdienst zur Friedenssicherung in Parlamentarischen Debatten mit Begriffen wie „Agression“, „NATO-An- griffskrieg“ und Schlimmerem belegen. Überdenken Sie Ihre realitätsfernen Urteile über die Aufträge, mit denen alle übrigen Fraktionen dieses Parlaments unsere Solda- ten hinausschicken. 10 000 Soldaten in verschiedenen Missionen eingesetzt, zum Teil seit Jahren. Kein Einziger von ihnen erobert Länder oder schießt auf Menschen. Sie werden nicht wirklich im Deutschland des 21. Jahrhun- derts ankommen, wenn Sie fortfahren, Ihre Klischees aus vergangener Zeit einem modernen, demokratischen und friedliebenden Deutschland anzuheften. Paul Breuer (CDU/CSU): Bevor ich mich dem An- trag der PDS zuwende, möchte ich – im Namen meiner Fraktion – den Mitgliedern im Unterausschuss „Streit- kräftefragen in den Neuen Bundesländern“ unter Vorsitz unseres Kollegen Georg Janovsky aufrichtig danken für die Arbeit in den vergangenen Jahren. In vielen Besuchen und Gesprächskontakten hat der Unterausschuss die Sor- gen, Nöte und Probleme der Soldaten und Soldatinnen in den Neuen Ländern aufgenommen und politisch einer Lö- sung zugeführt. Die Fortschritte, die dabei erreicht wur- den, sind im Wesentlichen Ihr Verdienst. Dafür unser aller Dank. Die PDS fordert mit ihrem Antrag, die deutsche Einheit in der Bundeswehr herzustellen. Bereits mit dem Titel des Antrages wird eine Situation konstruiert, die so nicht exis- tiert. Sie von der PDS unterstellen, dass Soldaten der ehe- maligen NVA in der Bundeswehr einen Status der Zweit- klassigkeit einnehmen. Das ist die typische Spalterei der PDS, blanker Unsinn aus purem Populismus. Wenn es in unserem Land eine gesellschaftliche Gruppe gibt, in der die Einheit vorbildlich verwirklicht ist, dann ist es die Bundeswehr. Die Bundeswehr als „Ar- mee der Einheit“ ist in der Tat eine Erfolgsgeschichte. In der Bundeswehr wird schon lange nicht mehr von Ost und West, von Wessis und Ossis gesprochen. Männer und Frauen aus allen Teilen unseres Landes dienen heute Seite an Seite in den Garnisonen, aber auch und vor allem bei Auslandseinsätzen. Unterschiede sind allenfalls noch in den Dialekten festzustellen, deren Vielfalt durch die Vereinigung unseres Landes zugenommen hat. So, und nicht anders, sieht die Realität in der Bundeswehr aus. Sprechen Sie doch einmal mit den Soldaten und Sie werden ein völlig anderes Bild erhalten. Die Soldaten der früheren NVA hatten eine faire Chance, in die gesamt- deutsche Bundeswehr übernommen zu werden. Das Aus- wahlverfahren war transparent und für jedermann nach- vollziehbar. Einige unserer Kollegen aus dem damaligen Deutschen Bundestag haben daran maßgeblich mitge- wirkt. Wer heute etwas anderes behauptet, verfolgt poli- tisch andere Absichten. Ausgerechnet jene Partei, die für vier Jahrzehnte der Spaltung in unserem Lande maßgeblich verantwortlich ist, spielt sich heute als Mentor für die Einheit auf; eine Partei, die die Menschen in der DDR und die NVA-Sol- daten zum Hass auf den Klassenfeind indoktriniert hat und eine Partei, die Kritik im eigenen Lager mit Repres- sion und Drangsalierung beantwortet hat. Der Mauerpar- tei PDS spreche ich das Recht ab, uns moralisch zu be- lehren. Die PDS kritisiert beispielsweise, dass Dienst in der NVAnur als „gedient in fremden Streitkräften“ anerkannt wird. Damit wurde jedoch verhindert, dass junge Männer, die Wehrdienst in der DDR geleistet hatten, nicht erneut Wehrdienst in der Bundeswehr leisten mussten. Der von Ihnen kritisierte Begriff soll also nicht diskriminieren, sondern hat einen rein formal-juristischen Charakter. Ei- gentlich sind „andere“ Streitkräfte gemeint. Das ist viel- leicht auch der bessere Begriff. Sie bemängeln weiter, dass ehemalige Dienstgrade der NVA nicht anerkannt würden. Die Bundeswehr ist durch den Einigungsvertrag bewusst und aus vielen guten Grün- den nicht zur Rechtsnachfolgerin der NVA geworden. Eine gesetzliche Regelung, die NVA-Soldaten erlaubt, ihren NVA-Dienstgrad mit dem Zusatz „a.D.“ zu führen, kommt also nicht in Betracht. Ungeachtet dessen steht es jedem ehemaligen NVA-Soldaten frei, jederzeit seinen NVA-Dienstgrad kenntlich zu machen und im privaten Schriftverkehr zu führen. Ein weiterer Kritikpunkt bezieht sich darauf, dass Vor- dienstzeiten in der NVA und Bildungsabschlüsse angeb- lich nicht ausreichend gewürdigt würden. Sie wissen ge- nau, dass die in der DDR erworbenen Abschlüsse und akademischen Grade durchaus weitergelten. Artikel 37 des Einigungsvertrages macht hierzu klare Aussagen. Dies gilt auch für Abschlüsse, die in der NVA erworben wurden. Ausgenommen sind jedoch Qualifikationen, die sich ausschließlich auf das politische System der DDR kon- zentrierten und wie sie vor allem „Politoffiziere“ in der NVA erwarben. Wir werden Ihnen nicht die Hand dazu reichen, Systemstützen der DDR nachträglich auf eine Stufe mit unbescholtenen NVA-Soldaten zu stellen. Geradezu Legenden werden gestrickt um die so ge- nannte Versorgungslücke. Diese Lücke gab es in der Tat. Sie wurde jedoch mit dem Versorgungsreformgesetz vom 29. Juni 1998 weitgehend geschlossen. Danach wird der Ruhegehaltssatz vorübergehend um 1 Prozent für jedes Jahr rentenversicherungspflichtiger Tätigkeit in der frühe- ren DDR bis auf maximal 70 Prozent der ruhegehaltsfähi- gen Dienstbezüge erhöht. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 246. Sitzung. Berlin, Freitag, den 28. Juni 200224968 (C) (D) (A) (B) Im Übrigen darf ich auf die Beschäftigungs- und Ver- sorgungssituation außerhalb der Bundeswehr in den neuen Ländern hinweisen. Viele Mitbürger würden sich wünschen, eine Beschäftigung und spätere Versorgung wie die von der Bundeswehr übernommenen Soldaten der früheren NVA zu haben. Mit Rücksicht auf die Grundsatzentscheidung im Eini- gungsvertrag, NVA-Dienstzeiten wie Zeiten anderer Be- rufsgruppen der DDR als rentenrechtliche Zeit zu berück- sichtigen, ist eine Gleichgewichtung der NVA-Dienstzeit bei der Ruhegehaltsfestsetzung mit der Dienstzeit bei der Bundeswehr, 1,875 Prozent als Ruhegehaltssatz für jedes Jahr, nicht möglich. Es sollte zudem auch bedacht werden, dass Zeiten in der ehemaligen DDR nach früheren Überlegungen mit le- diglich 0,75 Prozent pro Jahr berücksichtigt werden soll- ten. Insofern konnten wir hier bereits eine erhebliche Ver- besserung für die Kameraden und Kameradinnen der früheren NVA erreichen. Die CDU/CSU plant deshalb wegen der eindeutigen Regelung im Einigungsvertrag und im Hinblick auf die angespannte Lage bei den Versorgungssystemen im öf- fentlichen Dienst nach einer Regierungsübernahme keine Änderung der geltenden Rechtslage. Mit ihrem Antrag versuchen Sie von der PDS ernsthaft den Eindruck zu erwecken, Bundeswehr und NVA seien gleichwertige Armeen in gleichwertigen Militärbündnis- sen gewesen. Die UdSSR steht bei Ihnen gleichrangig zu den Vereinigten Staaten von Amerika. Dass Sie Meister im Verdrängen der Tatsachen sind, ist ja hinreichend be- kannt. Dass Sie offenbar auch ein anderes Werteverständ- nis haben, zeigen Sie mit diesem Antrag. Die alte Sowjetunion – ein Staat mit Gulags, politischer Verfolgung und aggressiv-antidemokratischer Politik – auf eine Stufe mit der Führungsmacht der westlichen De- mokratien stellen zu wollen, offenbart, dass Sie noch im- mer nicht den Unterschied zwischen Demokratie und To- talitarismus verinnerlicht haben. Wir werden Ihnen nicht erlauben, sich aus Ihrer historischen Verantwortung zu stehlen. Natürlich sehen auch wir Nachbesserungsbedarf für die Soldaten aus den neuen Bundesländern. Dies gilt ins- besondere für den Grundsatz gleiches Geld für gleiche Leistung und steht für die so genannte Ostbesoldung; wo- bei allerdings nicht der Herkunftsort, sondern der Einstel- lungsort entscheidend ist. Während der Dresdner, der in München einrückt, die volle Westbesoldung bekommt, er- hält der Münchner, der in Dresden einrückt, lediglich Ost- besoldung. Da wir die Einheit der Besoldung im öffentlichen Dienst nicht gefährden wollen, verbietet es sich, die Be- züge der Bundesbediensteten – also auch der Soldaten – alleine, das heißt ohne die meisten Beschäftigten im öf- fentlichen Dienst in den neuen Ländern, auf das West- niveau anzuheben. Würden die Länder bzw. Kommunen dies tun, dann wären sie pleite. Oder sie müssten Leistungen für die Bür- ger abschaffen bzw. in erheblicher Weise kürzen. Ich bin davon überzeugt, dass die PDS gerade dieses Ziel ver- folgt, um dann den Protest auf ihre politischen Mühlen zu leiten. Die CDU/CSU hingegen spricht sich in ihrem Regie- rungsprogramm – realistisch, wie ich denke – für die stu- fenweise Angleichung der Besoldung bis 2007 aus. Wir unterstützen auch, dass Soldaten, die vor einem Auslands- einsatz mit dem Osttarif besoldet wurden, nicht nur während des Einsatzes 100 Prozent der Westbesoldung erhalten, sondern auch nach ihrer Rückkehr. Lassen Sie mich zum Abschluss aus dem Bericht des Unterausschusses zitieren, der Probleme sachlich und of- fen anspricht. Demnach hat die Bundeswehr bei den Men- schen in den neuen Ländern ein außerordentlich hohes Ansehen. Die Infrastrukturlage hat ein Niveau erreicht, dass von Standortnachteilen in den neuen Ländern keine Rede mehr sein kann. Insgesamt ist – mit Ausnahme der Besoldungsfrage –, weitgehende Angleichung der Ver- hältnisse in der Bundeswehr erreicht. Ihr Antrag, meine Damen und Herren der PDS, geht hingegen aus durch- schaubaren ideologischen Gründen an den Realitäten weit vorbei. Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die PDS bringt heute, also kurz vor Ende der Le- gislaturperiode, einen Antrag in den Bundestag ein, in dem sie sich für Belange ehemaliger Soldaten der NVA einsetzt. Die Frage drängt sich auf, warum der Antrag so spät kommt, wo eine vernünftige parlamentarische Bera- tung in den Ausschüssen nicht mehr möglich ist. Wa- rum wurde nicht die Möglichkeit des Unterausschusses „Streitkräftefragen in den Neuen Bundesländern“ genutzt, in dem die PDS auffällig sporadisch präsent ist? Wir fragen uns natürlich auch, warum der Antrag na- mentlich in erster Linie von Abgeordneten wie Frau Lippmann, Herrn Gehrke oder Herrn Wolf unterstützt wird, die nicht aus Ostdeutschland kommen und sich als die Friedensapostel der PDS präsentieren. Dies ist vor al- lem auch deshalb bemerkenswert, weil sie in diesem Antrag ein Loblied auf das deutsche Soldatentum, das Wettrüsten und die militärische Abschreckung singen. Wir kennen das aus den Hochzeiten der Nachrüstungs- debatte. Während die Grünen immer darauf bestanden ha- ben, dass Mittelstreckenwaffen in Ost und West geächtet werden müssen, haben unsere so genannten Friedens- freunde aus dem kommunistischen Spektrum die Statio- nierung von Mittelstreckenraketen in der DDR gerecht- fertigt. Die PDS fordert eine „differenzierte Beurteilung der Rolle der NVA im Rahmen der zwischen den beiden da- maligem Supermächten verabredeten gegenseitigen Ab- schreckung durch militärische Stärke“. „Differenzierte Beurteilungen“ kann man selbstverständlich nur be- fürworten. Es gibt keine Pauschalverurteilung der circa 2,5 Millionen Menschen, die ihren Dienst in der NVA geleistet haben. Was wir hier aber von der PDS im ideo- logischen Teil präsentiert bekommen, ist alles andere als differenziert. Ich hätte gerne auch ein selbstkritisches Wort zur Rolle und Verantwortung der SED gehört. Es kann doch nicht sein, dass man sich hier hinstellt und so Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 246. Sitzung. Berlin, Freitag, den 28. Juni 2002 24969 (C) (D) (A) (B) tut, als seien die Entscheidungen nur in Moskau getroffen worden und ansonsten hätten die Soldaten der NVA nur ihre soldatische Pflicht erfüllt. Diese Argumentation ist uns vonseiten ehemaliger Wehrmachtsangehöriger wohl vertraut. Der Tenor des Antrages läuft darauf hinaus, die höchst unterschiedlichen Armeen der beiden deutschen Staaten „gleichzumachen“. Die PDS tut so, als sei auch die NVA der Demokratie verpflichtet und rechtsstaatlich eingebun- den gewesen, als hätte es keine ideologische Ausrichtung auf die Partei, keine militärische Offensivorientierung und keine Auslandseinsätze der NVA gegeben. Völlig begründet ist allerdings die Kritik an einer bun- desrepublikanischen Praxis, die den Dienst in der Wehr- macht höher bewertet als den Dienst in der NVA. Vergli- chen mit der verbreiteten „differenzierten“ Beurteilung der Wehrmacht ist die Bewertung der NVA vielfach auf- fällig pauschal. Wenn die Bundeswehr, wie jüngst zu Pfingsten geschehen, in Anwesenheit von hakenkreuz- tragenden Wehrmachtsveteranen Gebirgsjäger der Wehr- macht durch Kranzniederlegung ehrt, ist das aus meiner Sicht unverantwortbar. Diese Praxis muss überdacht wer- den. Ich hoffe, dass der Fingerzeig der PDS auf die „eh- renrührige“ Zentrale Dienstvorschrift 10/8 keine Auffor- derung ist, künftig auch NVA-Generäle mit militärischen Ehren beizusetzen. Warum die Bezeichnung des NVA-Dienstes als „Wehr- dienst in fremden Streitkräften“ als entwürdigend emp- funden wird, ist angesichts des Anspruchs der früheren DDR auf staatliche Eigenständigkeit nicht nachvollzieh- bar. Dienstgrade haben in den hierarchischen Organisatio- nen von Armeen generell einen besonderen Stellenwert. Sie gehören deshalb auch zum Selbstverständnis vieler – ehemaliger – Soldaten. Dienstgradbezeichnungen auch außer Dienst tragen zu dürfen, betrifft das Selbstwert- gefühl etlicher ehemaliger Armeeangehöriger. Dies kön- nen ehemalige NVA-Angehörige im Rahmen einer Sachverhaltsschilderung tun. So führt zum Beispiel das Inhaltsverzeichnis des von einer Arbeitsgruppe beim Lan- desvorstand Ost des Deutschen Bundeswehrverbandes herausgegebenen Werkes „Was war die NVA?“ lauter ehemalige NVA-Offiziere mit Dienstgradbezeichnung an. Verkompliziert wird der Umgang mit militärischen Dienstgradbezeichnungen der DDR durch die Tatsache, dass auch Angehörige der Grenztruppen und des Ministe- riums für Staatssicherheit als NVA-Reservisten einen NVA-Dienstgrad mit den Zusätzen „d. R.“ bzw. „a. D.“ trugen. Außerdem muss man darauf hinweisen, dass das wiederholt unterbreitete Angebot, den Dienstgrad mit dem Zusatz „der NVA“ von den Betroffenen abgelehnt wurde. Einen Handlungsbedarf, der auf eine rechtliche Gleichstellung mit den Soldaten der Bundeswehr hinaus- laufen würde, sehen wir nicht. Die PDS fordert, in der NVA erworbene Bildungsab- schlüsse und akademische Grade nach dem Äquivalenz- prinzip anzuerkennen. Dabei wird verschwiegen, dass es in diesem Bereich bereits eine weit gehende Anerkennung von Abschlüssen gibt. Die Feststellung der Gleichwer- tigkeit liegt in der Zuständigkeit der Länder und kann nur differenziert erfolgen. Im Ergebnis gibt es etliche Abschlüsse, die gleichwertig sind mit Abschlüssen an Universitäten und Fachhochschulen der alten Bundes- republik. Wo aber bestimmte Ausbildungsprofile weitest- gehend auf militärische Qualifikationen und auf das Ge- sellschaftssystem der DDR bezogen waren, konnte und kann Gleichwertigkeit nicht festgestellt werden. Die Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit erlaubt es nicht, auf die anderen Punkte einzugehen. Eine Schlussbemerkung ist allerdings notwendig. Dass sich die PDS besonders für die Belange ehemali- ger NVA-Angehöriger einsetzt, ist selbstverständlich le- gitim und angesichts ihres hohen Anteils an der PDS- Mitgliedschaft nahe liegend. Ihr Engagement und ihr Bemühen um eine „Rehabilitierung“ der besonders mili- taristischen NVAsteht aber zugleich in bemerkenswertem Kontrast zu ihrem sonstigen Anspruch, einzige antimilita- ristische Friedenspartei in Deutschland zu sein. Wenn die PDS in ihrem Wahlprogramm bekräftigt, „ein Deutschland ohne Bundeswehr“ bleibe ihr Ziel, dann ist die Vermeidung des pazifistischen „Bundesrepublik ohne Armee“ offensichtlich nicht zufällig, sondern ge- wollt. Der vorliegende Antrag beweist, dass es der PDS nicht um Überwindung von Militär insgesamt geht, son- dern um eine indirekte nachträgliche Relegitimierung der SED-Armee. Vielleicht wurde deshalb der Antrag so spät in den Bundestag eingebracht, um Aufsehen in der Frie- densbewegung zu vermeiden, um zugleich gegenüber der eigenen Klientel etwas vorweisen zu können. Dirk Niebel (FDP): Im September 2000 verteilte die Bundesregierung eine ihrer vielen Hochglanzbroschüren. Herausgeber war das Bundesministerium der Verteidi- gung. Die Broschüre trug den Namen „Armee der Ein- heit“. Zehn Jahre Bundeswehr wurden dargestellt, von 1990 bis 2000. In der Bilanzierung der zehn Jahre heißt es dann: „Zur Vollendung der deutschen Einheit hat die Bun- deswehr von Beginn an ihren Beitrag geleistet. Der Auf- bau der Armee der Einheit war menschlich und organisa- torisch eine in der Geschichte beispiellose Leistung der gesamten Bundeswehr.“ Das ist wohl wahr! Alle Soldaten und zivilen Mitarbeiter der Bundeswehr haben eine großartige Leistung vollbracht; alle, also auch diejenigen, die vormals in der Nationalen Volksarmee, der NVA, ihren Dienst geleistet haben. Es gibt nicht den geringsten Leistungsunterschied zwi- schen denen aus den alten Bundesländern und denen aus Ostdeutschland – aber es gibt gravierende Unterschiede in der Behandlung durch die Bundesregierung. Beispiel 1: In 2001 haben von 31 005 in den östlichen Bundesländern stationierten Soldaten 14 867 – oder 48 Prozent – die abgesenkte Ostbesoldung erhalten. Auch in diesem Jahr, dem zwölften nach der deutschen Eini- gung, wird ihr Gehalt um 10 Prozent gekürzt. Die FDP- Fraktion hat in den letzten drei Jahren die Angleichung der Gehälter gefordert und stieß jedes Mal auf die Ableh- nung von CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen. Nur eine Besoldungsordnung S für Soldaten und Solda- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 246. Sitzung. Berlin, Freitag, den 28. Juni 200224970 (C) (D) (A) (B) tinnen analog zur Besoldungsordnung R für Richter und Staatsanwälte kann kurzfristig das Problem der Wahrung der finanziellen Möglichkeiten lösen. Beispiel 2: Ehemaligen Soldaten der NVA ist es unver- ändert untersagt, ihren früheren Dienstgrad mit dem Zu- satz a. D. zu führen. Als Begründung wird der Einigungs- vertrag herangezogen. Völlig außer Acht gelassen wird dabei, dass sich Europa nach dem Einigungsvertrag grundlegend verändert hat. Polen, Tschechien und Ungarn sind heute Mitglieder der NATO. Estland, Lettland, Li- tauen, Slowenien, die Slowakei, Bulgarien und Rumänien werden bald folgen und Russland ist mittlerweile eng mit der Altantischen Allianz verbunden. Deren ehemalige Soldaten dürfen selbstverständlich den Zusatz a. D. führen, nur Deutschland verbietet es den ehemaligen Sol- daten der NVA. Was hat das mit Einheit, mit der ,,Armee der Einheit“ zu tun? Beispiel 3: Die Bundesrepublik Deutschland hat die DDR nie als souveränen Staat anerkannt und in der Präambel des Grundgesetzes bis zur Vollendung der deut- schen Einheit den Alleinvertretungsanspruch für das ganze deutsche Volk erhoben. Wie kann dann der in der NVAgeleistete Wehrdienst durch die Bundesregierung als Wehrdienst in fremden Streitkräften gewertet werden? Beispiel 4: Die Bundesregierung hält ausdrücklich an der Versorgungslücke bei den Soldaten fest, die von der NVA in die Bundeswehr übernommen wurden. Bei einem Stabsfeldwebel, der Mitte 2003 im Alter von 53 Jahren in Pension geht, bedeutet der auf 56,8 Prozent gekürzte Versorgungsanspruch konkret, dass er eine Pension von 1 070 Euro erhält. Aufgrund der gesetzlichen Bestimmun- gen darf er in einem anderen Beschäftigungsverhältnis le- diglich 315 Euro hinzuverdienen, das heißt, er hat maximal 1385 Euro zur Verfügung und ist dadurch seinem west- deutschen Kameraden gegenüber deutlich benachteiligt. Nein, das kann den Soldatinnen und Soldaten sowie den zivilen Bediensteten der „Armee der Einheit“ nicht länger zugemutet werden. Abhilfe ist dringend angezeigt. Die Bundesregierung, der für die Bundeswehr zuständige Bundesminister der Verteidigung hat nicht nur die „Ar- mee der Einheit“ im Glanzdruck zu propagieren, sondern die in dieser Armee dienenden Menschen sind auch schleunigst gleich zu behandeln, und das in jeder Bezie- hung! Anlage 8 Amtliche Mitteilungen Der Bundesrat hat in seiner 777. Sitzung am 21. Juni 2002 beschlossen, den nachstehenden Gesetzen zuzu- stimmen, bzw. einen Antrag gemäß Artikel 77 Absatz 2 Grundgesetz nicht zu stellen: – Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes (Staats- ziel Tierschutz) – Gesetz zur Änderung des Absatzfondsgesetzes – Gesetz zur Einführung einer kapitalgedeckten Hütten- knappschaftlichen Zusatzversicherung und zur Ände- rung anderer Gesetze (Hüttenknappschaftliches Zu- satzversicherungs-Neuregelungs-Gesetz – HZvNG) – Neuntes Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Errichtung einer Stiftung „Hilfswerk für be- hinderte Kinder“ – Gesetz zur Änderung des Gesetzes zum NATO-Trup- penstatut und anderer Gesetze (Verteidigungslasten- zuständigkeitsänderungsgesetz – VertLastÄndG) – Zweites Gesetz zur Änderung des Kraftfahrzeug- steuergesetzes – Gesetz zur Änderung des Mineralölsteuergesetzes und anderer Gesetze – Gesetz zurÄnderung des Solidarpaktfortführungs- gesetzes – Zweites Gesetz zur Änderung des Gentechnikge- setzes (2. GenTG-ÄndG) – Zweites Gesetz zur Änderung des Sprengstoffge- setzes und anderer Vorschriften (2. SprengÄndG) – Gesetz zur Verbesserung der Bekämpfung der Geld- wäsche und der Bekämpfung der Finanzierung des Terrorismus (Geldwäschebekämpfungsgesetz) – Gesetz zur weiteren Reform des Aktien- und Bilanz- rechts, zu Transparenz und Publizität (Transparenz- und Publizitätsgesetz) – Gesetz zur Änderung des Pflichtversicherungs- gesetzes und anderer versicherungsrechtlicher Vorschriften – Gesetz zur Änderung der Strafprozessordnung – Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Aufhebung nationalsozialistischer Unrechtsurteile in der Strafrechtspflege (NS-AufhGÄndG) – Gesetz zur Änderung des Fernstraßenbauprivat- finanzierungsgesetzes und straßenverkehrsrecht- licherVorschriften (FstrPrivFinÄndG) – Gesetz zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes und anderer straßenverkehrsrechtlicher Vor- schriften (StVRÄndG) – Gesetz zur Erleichterung des Marktzugangs im Luftverkehr – Gesetz zur Neuregelung der Energiestatistik und zur Änderung des Statistikregistergesetzes und des Umsatzsteuergesetzes – Gesetz zur Änderung wohnungsrechtlicher Vor- schriften – Gesetz zu dem Protokoll vom 30. November 2000 zur Änderung des Europol-Ubereinkommens – Gesetz zur Durchführung der Rechtsakte der Europä- ischen Gemeinschaft über die Etikettierung von Fischen und Fischereierzeugnissen (Fischetikettierungsge- setz – FischEtikettG) – Gesetz zurNeuregelung des Zollfahndungsdienstes (Zollfahndungsneuregelungsgesetz – ZFnrG) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 246. Sitzung. Berlin, Freitag, den 28. Juni 2002 24971 (C) (D) (A) (B) – Gesetz zur Neuregelung des Waffenrechts (WaffR- NeuRegG) – Gesetz zur Änderung des Bewachungsgewerbe- rechts – Gesetz zu dem Protokoll vom 3. Juni 1999 betref- fend die Änderung des Übereinkommens vom 9. Mai 1980 über den internationalen Eisenbahn- verkehr (COTIF) – Gesetz zur Steuerfreistellung von Arbeitnehmer- trinkgeldern – Elftes Gesetz zur Änderung des Arzneimittelgeset- zes Der Bundesrat hat ferner folgende Entschließung ge- fasst: 1. Der Bundesrat begrüßt die Entscheidung des Deutschen Bundestages, auf der Grundlage von Vorschlägen des Bundesrates die tierarzneimittel- rechtlichen Vorschriften neu zu ordnen, insbeson- dere die Regelungen über Fütterungsarzneimittel, zur Umwidmung von Arzneimitteln und über Mel- depflichten zum Bezug von Stoffen mit pharma- kologischer Wirkung. 2. Der Bundesrat hält die vom Deutschen Bundestag verabschiedeten Regelungen jedoch für noch nicht ausreichend, um einen angemessenen vorsorgen- den Verbraucherschutz – insbesondere vor dem Hintergrund der zunehmenden Antibiotika-Resis- tenz – zu gewährleisten. Daher ist beispielsweise ausdrücklich die Auf- nahme der Antibiotika-Leitlinien in die Rechtsvor- schriften erforderlich. Auch die Nichtberücksichtigung des Erlaubnisver- fahrens zum Führen einer tierärztlichen Hausapo- theke – wie es zum Führen einer Apotheke vorge- schrieben ist – ermöglicht es den Ländern beim Vollzug der arzneimittelrechtlichen Vorschriften nicht, in ausreichendem Maße präventiv tätig zu werden. Darüber hinaus ist es besonders bedauerlich, dass die vom Bundesrat vorgeschlagenen konkreten Rahmenbedingungen zur Etablierung einer zeit- gemäßen Bestandsbetreuung nicht aufgegriffen worden sind. Dadurch wird – anders als dies vom Deutschen Bundestag gesehen wird – eine Ein- schränkung der Selbstmedikation von Tieren durch deren Halter nicht zu erreichen sein. 3. Vor dem Hintergrund der Dringlichkeit einer Anpassung der geltenden Rechtslage stimmt der Bundesrat dem Gesetz mit den Änderungen des Deutschen Bundestages zu, hält es darüber hinaus- gehend aber für notwendig, die Diskussion über die vom Deutschen Bundestag abgelehnten arznei- mittelrechtlichen Änderungen fortzuführen und diese bei weiteren anstehenden Änderungsvorha- ben erneut in ein Rechtssetzungsverfahren einzu- bringen. Ferner wird die Bundesregierung gebeten, die im Zusammenhang mit der Novelle des Arzneimittel- gesetzes stehenden erforderlichen Anpassungen der einschlägigen Rechtverordnungen unverzüg- lich zu erarbeiten und diese dem Bundesrat vorzu- legen. – Jugendschutzgesetz (JuSchG) Entschließung zum Jugendschutzgesetz (JuSchG) 1. Der Bundesrat stellt fest, dass der Schutz von Kin- dern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen vor schädlichen Einflüssen auf ihre Persönlichkeits- und Werteentwicklung nachhaltig verbessert wer- den muss. Der wachsenden Gewaltbereitschaft gerade bei der jüngeren Generation muss entschie- den entgegengetreten werden. Nachdem es der Bundesregierung trotz anders lautenden Ankündi- gungen im Koalitionsvertrag in dieser Legislatur- periode nicht gelungen ist, eine mit den Ländern abgestimmte Novelle des Jugendschutzgesetzes zu erarbeiten, wurde nach dem schrecklichen Vorfall in Erfurt in höchster Eile eine fachlich unzurei- chende Änderung des Jugendschutzgesetzes auf den Weg gebracht. Dieses Jugendschutzgesetz wird seinem Anspruch nicht gerecht, nicht zuletzt auf Grund der Tatsache, dass es als Fraktionsent- wurf in den Deutschen Bundestag eingebracht wurde und damit eine Einbringung des Sachver- stands der Länder über einen ersten Durchgang im Bundesrat nicht erfolgen konnte. 2. Das Jugendschutzgesetz schafft den erforderlichen Rechtsrahmen, den die Länder benötigen, um den Jugendschutz in den Telemedien im Jugendme- dienschutz-Staatsvertrag zu regeln. Es setzt die zwischen den Ministerpräsidenten am 8. März 2002 beschlossenen Eckpunkte für die Reform der Medienordnung um. Jedoch sollte die mit den Län- dern abgestimmte Definition für Telemedien aus dem Jugendmedienschutz-Staatsvertrag übernom- men werden, um Abgrenzungsschwierigkeiten und terminologische Verwirrungen zu vermeiden. 3. Allerdings bedarf das Jugendschutzgesetz in zahl- reichen Punkten der Nachbesserung, um jungen Menschen ein effektives Schutzsystem zu schaf- fen. Der Bundesrat erwartet daher, dass baldmög- lichst die im Folgenden genannten erforderlichen Nachbesserungen umgesetzt werden. 4. Obwohl der Bundeskanzler mit den Ministerpräsi- denten den politischen Konsens erzielt hat, dass neben einer verbindlichen Alterskennzeichnung für Video- und Computerspiele analog den Rege- lungen der Video- und Kinofilme auch ein gene- relles, altersunabhängiges Vermiet- und Verleih- verbot schwer jugendgefährdender Videofilme, Video- und Computerspiele sowie ein Verbot ge- werblicher Videoverleihautomaten in das Jugend- schutzgesetz aufgenommen werden sollte, ist dies nicht erfolgt. Im Gegenteil: Im Bereich der Video- verleihautomaten wurde die bestehende Gesetzes- lage „aufgeweicht“, indem nunmehr Automaten Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 246. Sitzung. Berlin, Freitag, den 28. Juni 200224972 (C) (D) (A) (B) öffentlich aufgestellt werden dürfen. Der Bundes- rat kritisiert, dass ein wirksamer Schutz der Kinder und Jugendlichen vor schwer jugendgefährdenden Darstellungen dadurch nicht bewirkt wird und for- dert weiterhin ein altersunabhängiges Vermiet- und Verleihverbot schwer jugendgefährdender Bildträger sowie das Verbot von Videoverleihauto- maten. 5. Der Bundesrat stellt fest, dass eine Reihe von Neu- regelungen (§ 1 und § 27 Abs. 4 JuSchG) mit zen- tralen Begriffen und Jugendschutzregelungen des Strafgesetzbuchs nicht in Einklang steht. Dies gilt namentlich für den strafrechtlichen Schriftenbe- griff (§ 11 Abs. 3 StGB), das in zahlreichen Straf- vorschriften enthaltene Merkmal des Verbreitens, den Begriff des Versandhandels (§ 184 Abs. l Nr. 4 StGB) sowie das sog. Erzieherprivileg (§ 27 Abs. 4 JuSchG einerseits, § 131 Abs. 4 und § 184 Abs. 6 Satz 1 StGB andererseits). Der Bundesrat hält es für unerträglich, dass das Gesetz eine un- terschiedliche Rechtsanwendung sowie beträchtli- che Rechtsunsicherheiten bewusst in Kauf nimmt. Eine Harmonisierung ist dringend erforderlich. 6. Der Bundesrat weist ferner darauf hin und bedau- ert, dass der Bundeskanzler ebenfalls seine Zu- sage, sog. Killerspiele wie Gotcha Paintball oder Laserdrome-Spektakel, bei denen real an Mitspie- lern Verletzungs- oder Tötungshandlungen simu- liert werden, im Ordnungswidrigkeitengesetz zu verbieten, nicht eingehalten hat. Den Worten folg- ten keine Taten. Derartige Spiele sind aber geeig- net, die allgemeinen Hemmschwellen zur Gewalt- anwendung abzubauen und eine Abstumpfung gegenüber Verletzungs- und Tötungshandlungen zu fördern, weshalb der Bundesrat das Verbot wei- terhin für dringend erforderlich hält. 7. Der Bundesrat bemängelt, dass das Jugendschutz- gesetz Lockerungen vorsieht, die die Eltern in ih- rer Erziehungsverantwortung weder stärken noch unterstützen. Erziehungskompetenz stärken heißt auch Grenzen setzen. Die Erziehungsleistungen der Eltern dürfen durch gesetzliche Regelungen nicht konterkariert werden. Nicht zuletzt aus die- sem Grunde sollte es Kindern im Alter von sechs bis elf Jahren nicht erlaubt werden, in Begleitung eines Erziehungsberechtigten einen Film im Kino zu sehen, der die Altersfreigabe „frei ab 12 Jahren“ hat. Alterskennzeichnungen der Freiwilligen Selbstkontrolle der Filmwirtschaft (FSK) sind ver- bindlich; das Verfahren hierzu ist anerkannt und bewährt. Sie berücksichtigen die Wirkung auf Kin- der und Jugendliche. Eltern können sich nicht in allen Fällen vorab so umfassend informieren, wel- che Wirkung Filme auf ihre Kinder haben. Die Neuregelung bewirkt, dass Kinder und Jugendli- chen den Wirkungen von Filmen ausgesetzt wer- den, die für ihre Altersstufe als nicht angemessen erachtet wurden. 8. Für den Bundesrat ist auch die Lockerung der Schutzbestimmungen bei Spielautomaten nicht nachvollziehbar. Das Jugendschutzgesetz ermög- licht es, dass Bildschirmgeräte entgegen der bishe- rigen Rechtslage auf Kindern und Jugendlichen zugänglichen öffentlichen Verkehrsflächen aufge- stellt werden können. Bei diesen Bildschirmspiel- geräten handelt es sich in der Regel um niveaulose „Ballerspiele“. Die von diesen Spielautomaten ausgehende Sogwirkung gilt es zu vermeiden und nicht dadurch zu erhöhen, dass das Spielen Kin- dern und Jugendlichen erlaubt wird. 9. Ebenfalls ablehnend steht der Bundesrat der Ein- führung des Begriffs der „erziehungsbeauftragten Person“ gegenüber. Er erfüllt ebenfalls nicht das Ziel, Elternkompetenzen zu stärken. Für das Ver- hältnis des Minderjährigen zu einer „erziehungs- beauftragten Person“ ist es nicht erforderlich, dass ein Autoritätsverhältnis besteht. Dies ist aber bei dem Verhältnis Minderjähriger zu Erziehungsbe- rechtigten der Fall. In der Praxis wird es sich zukünftig in der Regel um den volljährigen er- wachsenen Freund handeln, der sich als Erzie- hungsbeauftragter ausgeben wird. Nach einem modernen Partnerschaftsverständnis kann aber in einer Beziehung nicht ein Partner die Erziehungs- berechtigung über den anderen ausüben. Unter dem Gesichtspunkt des mädchenspezifischen er- zieherischen Jugendschutzes ist diese Regelung daher kontraproduktiv. 10.Der Bundesrat ist der Auffassung, dass das Ju- gendschutzgesetz auch nicht dem Schutzinteresse von Kindern und Jugendlichen gerecht wird, die auf Trägermedien in unnatürlicher, geschlechtsbe- tonter Körperhaltung dargestellt sind. Diese Art der Darstellungen soll gerade auch von Erwachse- nen nicht erworben werden können. Kinder und Jugendliche sind keine Sexualobjekte. Die Sensibilisierung der Öffentlichkeit hierfür darf nicht in den Hintergrund rücken. Kinder und Ju- gendliche müssen davor geschützt werden, dass Erwachsene mit pädophilen Neigungen ihre Dar- stellungen zur Animation benutzen. Pädophile Er- wachsene sollen nicht mit diesen Darstellungen ihren Opfern die Normalität ihres Tuns vermitteln können und sie damit gefügig machen. 11. Der Bundesrat betont, dass er eine Erhöhung des Bußgeldrahmens für unabdingbar hält. Verstöße gegen das Jugendschutzgesetz dürfen sich für Gewerbetreibende und Veranstalter nicht lohnen. Angesichts der bestehenden Wirtschaftskraft ins- besondere der Medienbranche muss der Bußgeld- rahmen auch hier die Möglichkeit eröffnen, den re- pressiven Charakter der Schutzregelungen zu unterstreichen. Darüber hinaus steigert ein erhöh- ter Bußgeldrahmen nicht nur das Verfolgungsin- teresse, sondern auch das Bestreben der Gewerbe- treibenden, Anbieter und Veranstalter an der Einhaltung der Bestimmungen, was letztlich zu ei- ner Verbesserung des Jugendschutzes führt. 12.Der Bundesrat betont die große Verantwortung der Medienwirtschaft. Auch eine zunehmende Inter- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 246. Sitzung. Berlin, Freitag, den 28. Juni 2002 24973 (C) (D) (A) (B) nationalisierung beseitigt nicht das Bedürfnis, die wirtschaftlichen Interessen mit denn Schutzbe- dürfnis junger Menschen und den Erziehungswer- ten unseres Gemeinwesens in ein ausgewogeneres Verhältnis zu bringen. Der Bundesrat appelliert an alle Medienverantwortlichen im Online- und Off- linebereich, dem Schutz der jungen Menschen ins- besondere vor Gewalt in den Medien einen höhe- ren Stellenwert einzuräumen. Mehr als andere gesellschaftliche Kräfte sind die Medien gefordert, Verantwortung für die Vermittlung von Normen und Werten zu übernehmen, die unverzichtbare Voraussetzung unserer Gesellschafts- und Sozial- ordnung sind. – Gesetz zur Änderung des Apothekengesetzes Entschließungen zum Gesetz zur Änderung des Apo- thekengesetzes 1. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, die durch die Änderung des Apothekengesetzes in § 11 Abs. 3 eingeführte neue Rechtssituation bei der Herstellung und Abgabe von Rezepturen (hier anwendungsfertige Zytostatika-Zubereitun- gen) durch öffentliche und Krankenhausapotheken zeitnah mit den notwendigen Folgeregelungen und Klarstellungen des Gewollten in der Apothekenbe- triebsordnung und im Arzneimittelgesetz zu unter- legen. Die Sicherung einer angemessenen Qualität der Herstellung und ein geordneter Vertriebsweg sind sicherzustellen. Ungleichbehandlungen von Betrieben mit Herstellungserlaubnis gem. § 13 Arzneimittelgesetz und öffentlichen sowie Kran- kenhausapotheken mit Betriebserlaubnis gem. § 1 Apothekengesetz sind zu vermeiden. Es müssen die Rahmenbedingungen für die Her- stellung und Abgabe dieser Rezepturunikate hin- sichtlich der folgenden Aspekte geprüft und fest- gelegt werden: Verantwortlichkeit für die Herstellung; Qualitäts- niveau der Herstellung; anzuwendende Rechtsvor- schriften (Apothekenbetriebsordnung oder Phar- mabetriebsverordnung) und daraus sich ableitende Dokumentationspflichten, verantwortliche Perso- nen und Qualitätssicherungsmaßnahmen; räum- liche Anbindung der Herstellungsräume an die übrigen Apothekenbetriebsräume; Verantwortlich- keiten der abgebenden Apotheke (u. a. für Plausi- bilitätsprüfung der onkologischen Verschreibung, Produktkennzeichnung); Vertriebsweg (z. B. Ent- fernung zwischen herstellender und abgebender Apotheke, möglicher Versand oder Botendienst, Transportstandards für diese i. d. R. auch krebser- regenden Arzneimittel); Haftungsfragen bei Her- stellung und Abgabe. Die vorgesehene Formulierung des § 11 Abs. 3 Apothekengesetz wird dem Anliegen des Geset- zesvorhabens im Hinblick auf die sichere Versor- gung der Bevölkerung mit anwendungsbereiten Zytostatika-Zubereitungen nicht umfassend ge- recht. Begründung: Die vorgesehene Änderung beinhaltet, dass von öffentlichen und Krankenhausapotheken an End- verbraucher anwendungsfertige Zytostatika-Zube- reitungen (Rezepturen) abgegeben werden dürfen, die nicht dort in dieser rezeptbeliefernden Apo- theke hergestellt wurden. Diese individuell ver- ordneten Rezepturen (Unikate) sollen in einer an- deren öffentlichen oder Krankenhausapotheke hergestellt und an die rezeptbeliefernde Apotheke abgegeben werden dürfen. Dazu soll es eines Ver- sorgungsvertrages nach § 14 Abs. 5 Apothekenge- setz, wie er bei der Arzneimittelversorgung von Krankenhäusern durch öffentliche krankenhaus- versorgende oder andere Krankenhausapotheken vorgesehen ist, nicht bedürfen. Die Regelung ist nicht praktikabel, da die hierfür ggf. erforderliche Herstellungserlaubnis gem. § 13 Arzneimittelgesetz und sonstige ggf. notwendige Folgeregelungen in der Apothekenbetriebsord- nung sowie haftungsrechtliche Konsequenzen un- berücksichtigt geblieben sind. Darüber hinaus ist diese Verfahrensweise nicht zwingend erforderlich, da die Versorgung mit an- wendungsfertigen Zytostatika-Zubereitungen über herstellende und gleichzeitig beliefernde Apothe- ken sowie über Hersteller mit Herstellungserlaub- nis flächendeckend gesichert ist. Die Regelung würde die Belieferung einer Ver- schreibung von der tatsächlichen Herstellung der verschriebenen Rezeptur abkoppeln. Dies würde dem bisherigen rechtlich verankerten Grundsatz der Einheit von Herstellung und Abgabe bei der re- zepturmäßigen Versorgung der Bevölkerung durch Apotheken widersprechen. Im Rahmen des üblichen Apothekenbetriebs benötigt eine Apotheke zur Herstellung und Ab- gabe von Arzneimitteln an die Verbraucher (Ein- zelhandel) keine arzneimittelrechtliche Herstel- lungserlaubnis. Nach derzeitiger Rechtslage ist für die herstellende Apotheke jedoch dann eine Her- stellungserlaubnis erforderlich, wenn sie anwen- dungsfertige Zytostatika-Zubereitungen an andere Apotheken abgibt (Verkauf an andere Wiederver- käufer), denn damit wird die herstellende Apotheke zum Großhändler. Diese Tätigkeit ist durch die er- teilte Apothekenbetriebserlaubnis nicht abgedeckt. Die lediglich in der Begründung aufgeführte Über- legung zur Haftung für das abgegebene Rezeptur- arzneimittel entspricht nicht den wirklichen Gege- benheiten, denn die Herstellung erfolgte eben nicht im Rahmen des üblichen Apothekenbetrie- bes. Die rezeptbeliefernde Apotheke kann die Qualität des eingekauften Rezepturarzneimittels weder prüfen noch beurteilen. Ein Anbruch zur Probenahme verbietet sich sowohl aufgrund des Re- zepturcharakters .als auch aufgrund der Natur der Zubereitung (anwendungsfertig und üblicherweise steril). Die Qualität der Unikate ist ausschließlich durch das Herstellungsverfahren gesichert. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 246. Sitzung. Berlin, Freitag, den 28. Juni 200224974 (C) (D) (A) (B) Die vorgesehene mögliche Vermischung von Herstellung in einer Krankenhausapotheke und Abgabe durch eine öffentliche Apotheke kann auf- grund unterschiedlicher Preiskalkulationsgrundla- gen sowie abweichender Steuer- und Gewinnver- pflichtungen zu einer Marktverzerrung führen. 2. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, die durch Artikel 2 Nr. 2 des Gesetzes zur Änderung des Apothekengesetzes eingeführte neue Fassung des § 73 Abs. 3 Satz 2 Arzneimittelgesetz im nächsten anstehenden Gesetzgebungsverfahren zum Arzneimittelgesetz einer weiteren Änderung zu unterziehen. Es sollte die Möglichkeit eröffnet werden, dass die in Rede stehenden Arzneimittel von Apotheken nicht nur dann bezogen und in Not- fällen auf Einzelverschreibung abgegeben werden dürfen, „soweit sie nach den apothekenrechtlichen Vorschriften für Notfälle vorrätig gehalten oder kurzfristig beschaffbar sein müssen“, sondern dass diese Arzneimittel von Apotheken auch bezogen und ohne vorliegende Einzelverschreibung an an- dere Empfänger abgegeben werden dürfen, wenn diese Empfänger nachweislich nach anderen Vor- gaben, insbesondere berufsgenossenschaftlichen Sicherheitsregein, eigene Notfallvorräte anlegen und pflegen müssen. Begründung: Tierparks und Zoos halten einheimische und nichteinheimische Gifttiere und sind als Unterneh- mer aufgrund der berufsgenossenschaftlichen Unfallverhütungsvorschriften ZH 1/70 „Sicher- heitsregeln für die Haltung von Wildtieren“ ver- pflichtet, eine Mindestmenge jederzeit voll wirk- samer Seren gegen die Gifte der vorhandenen Gifttiere vorrätig zu halten. Die erforderlichen Seren sind größtenteils nicht als in Deutschland bzw. der EU zugelassene Fertig- arzneimittel erhältlich, sondern werden meist aus- schließlich in den jeweiligen Drittländern produ- ziert, wo die Tiere natürlich vorkommen. Durch Produktionseinstellungen von pharmazeutischen Unternehmern in Deutschland und Europa wird verstärkt darauf zurückgegriffen werden müssen. Neben Zoos und Tierparks können auch sog. Schlangenfarmen sowie jeder Tierhändler, der Gifttiere vertreibt und dem Schutz seiner Ange- stellten verpflichtet ist, betroffen sein. Der Import der betreffenden Seren für die genann- ten Einrichtungen als Voraussetzung für das Anle- gen und Betreiben eines solchen Depots war bis- lang und ist auch nach der jetzigen Fassung des § 73 Abs. 3 Satz 2 Arzneimittelgesetz rechtlich nicht möglich, da sie nicht unter das einschlägige Recht fallen. Der Import zur Abgabe der Seren durch Apotheken an betroffene Einrichtungen sollte unabhängig von der Notwendigkeit einer Einzelverschreibung ermöglicht werden, damit diese ihre berufsgenossenschaftlichen Verpflich- tungen erfüllen können. In Anbetracht fehlender Alternativen und im Sinne des vorbeugenden Ge- sundheitsschutzes und der Gefahrenabwehr ist diese Vorsorgemaßnahme rechtlich abzusichern. – Gesetz zur Einführung des Völkerstrafgesetz- buches Der Bundesrat hat ferner folgende Entschließung an- genommen: 1. Der Bundesrat vertritt die Auffassung, dass den Strafverfolgungsbehörden bei der Verfolgung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit und von Kriegsverbrechen ein effektives Ermittlungsin- strumentarium zur Verfügung gestellt werden muss. Er hält es deswegen weiterhin für unabding- bar, die Deliktskataloge für die Überwachung der Telekommunikation, den Einsatz technischer Mit- tel und die Anordnung der Untersuchungshaft auf diese schwersten Verbrechen zu erstrecken. Es ist dem Bundesrat unverständlich, dass der Gesetzes- beschluss des Deutschen Bundestages zur Ein- führung eines Völkerstrafgesetzbuches den Forde- rungen des Bundesrates nicht Rechnung trägt. 2. Der Bundesrat fordert die Bundesregierung auf, un- verzüglich Vorschläge in das Gesetzgebungsver- fahren zu bringen, mit denen die Anliegen des Bundesrates baldmöglichst umgesetzt werden kön- nen. Die Fraktion der CDU/CSU hat mit Schreiben vom 14. Juni 2002 mitgeteilt, dass sie den Antrag RUGMARK stärken und eigenständig erhalten auf Drucksache 14/5553 zurückgezogen hat. Die Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN haben mit Schreiben vom 24. Juni 2002 mitgeteilt, dass sie den Antrag Sicherung und Optimierung der kind- gerechten medizinischen Versorgung auf Drucksache 14/8652 zurückgezogen haben. Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, dass der Ausschuss gemäß § 80 Abs. 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu der nachstehenden Vorlagen absieht: Auswärtiger Ausschuss – Unterrichtung durch die Delegation der Bundesrepublik Deutschland in der Parlamentarischen Versammlung des Eu- roparates über die Tagung der Parlamentarischen Versammlung des Europarates vom 24. bis 28. September 2001 in Straßburg und die Debatte der Erweiterten Parlamentarischen Ver- sammlung über die Aktivitäten der OECD am 26. Sep- tember 2001 – Drucksachen 14/8329, 14/8681 Nr. 2 – – Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung zum Stand der Bemühungen um Abrüstung, Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung so- wie über die Entwicklung der Streitkräftepotenziale (Jah- resabrüstungsbericht 2001) – Drucksache 14/8941 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 246. Sitzung. Berlin, Freitag, den 28. Juni 2002 24975 (C) (D) (A) (B) – Unterrichtung durch die Bundesregierung Bilanzierender Gesamtbericht zum Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte bei der Unterstützung der gemein- samen Reaktion auf terroristische Angriffe gegen die USA auf Grundlage des Artikels 51 der Satzung der Ver- einten Nationen und des Artikels 5 des Nordatlantikver- trags sowie der Resolution 1368 (2001) und 1373 (2001) des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen – Drucksache 14/8990 – Haushaltsausschuss – Unterrichtung durch die Bundesregierung Haushaltsführung 2000 Über- und außerplanmäßige Ausgaben und Verpflich- tungsermächtigungen im ersten Vierteljahr des Haus- haltsjahres 2000 – Drucksachen 14/3488, 14/3574 Nr. 1.5 – – Unterrichtung durch die Bundesregierung Haushaltsführung 2000 Über- und außerplanmäßige Ausgaben und Verpflich- tungsermächtigungen im zweiten Vierteljahr des Haus- haltsjahres 2000 – Drucksachen 14/3996, 14/4093 Nr. 1.11 – – Unterrichtung durch die Bundesregierung Haushaltsführung 2000 Über- und außerplanmäßige Ausgaben und Verpflich- tungsermächtigungen im dritten Vierteljahr des Haus- haltsjahres 2000 – Drucksachen 14/4877, 14/5112 Nr. 4 – – Unterrichtung durch die Bundesregierung Haushaltsführung 2000 Über- und außerplanmäßige Ausgaben und Verpflich- tungsermächtigungen im vierten Vierteljahr des Haus- haltsjahres 2000 – Drucksachen 14/5631, 14/5729 Nr. 4 – – Unterrichtung durch die Bundesregierung Haushaltsführung 2002 Überplanmäßige Ausgabe bei Kapitel 12 26 Titel 5264 44 – Planungskosten für Baumaßnahmen im Parlaments- viertel – – Drucksachen 14/9012, 14/9133 Nr. 1.4 – Ausschuss fürWirtschaft und Technologie – Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung über die Neugestaltung des OECD-Schiffbau-Übereinkommens – Drucksachen 14/8741, 14/8829 Nr. 1.12 – Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Land- wirtschaft – Unterrichtung durch die Bundesregierung Rahmenplan der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ für den Zeitraum 2001 bis 2004 – Drucksache 14/5900 – – Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung über die künftige Gestal- tung der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ (GAK) hier: Rahmenplan 2002 bis 2005 – Drucksachen 14/7057, 14/7413 Nr. 3 – – Unterrichtung durch die Bundesregierung Rahmenplan der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes für den Zeitraum 2002 bis 2005 – Drucksachen 14/9009, 14/9309 Nr. 8 – Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen – Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht zum Ausbau der Schienenwege 2001 – Drucksache 14/7945 – Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit – Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung über die Perspektiven für Deutschland – Nationale Strategie für eine nachhaltige Entwicklung – Drucksache 14/8953 – Ausschuss für Kultur und Medien – Unterrichtung durch die Bundesregierung Konzeption der künftigen Gedenkstättenförderung des Bundes und Bericht der Bundesregierung über die Beteiligung des Bundes an Gedenkstätten in der Bundesrepublik Deutschland – Drucksache 14/1569 – – Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung über die Beteiligung des Bundes an Gedenkstätten in der Bundesrepublik Deutschland – Drucksache 13/8486 – Berichtigung Im Stenographischen Bericht der 243. Sitzung des Deutschen Bundestages ist auf Seite 24561 (B) die – Unterrichtung durch den Bundesbeauftragten für den Datenschutz Tätigkeitsbericht 1999 und 2000 des Bundesbeauf- tragten fürden Datenschutz – 18. Tätigkeitsbericht – – Drucksachen 14/5555, 14/8829 Nr. 1.1 – als Kenntnisnahme gemäß § 80 Abs. 3 Satz 2 der Ge- schäftsordnung gemeldet worden. Diese Mitteilung ist hinfällig, da der Innenausschuss eine Beschlussempfeh- lung und Bericht auf Druckasche 14/9490 vorgelegt hat. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 246. Sitzung. Berlin, Freitag, den 28. Juni 200224976 (C) (D) (A) (B) Amtliche Mitteilung ohne Verlesung Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, daß der Ausschuss die nachstehenden EU-Vor- lagen bzw. Unterrichtungen durch das Europäische Parla- ment zur Kenntnis genommen oder von einer Beratung abgesehen hat. Auswärtiger Ausschuss Drucksache 14/7708 Nr. 1.11 Drucksache 14/7883 Nr. 2.26 Drucksache 14/8339 Nr. 2.45 Drucksache 14/9137 Nr. 1.4 Finanzausschuss Drucksache 14/8832 Nr. 1.1 Drucksache 14/8832 Nr. 2.16 Drucksache 14/8940 Nr. 2.11 Drucksache 14/8940 Nr. 2.12 Drucksache 14/8940 Nr. 2.25 Ausschuss fürWirtschaft und Technologie Drucksache 14/8940 Nr. 1.1 Drucksache 14/8940 Nr. 2.13 Drucksache 14/8940 Nr. 2.14 Drucksache 14/8940 Nr. 2.15 Drucksache 14/8940 Nr. 2.27 Drucksache 14/8940 Nr. 2.29 Drucksache 14/8940 Nr. 2.30 Drucksache 14/8940 Nr. 2.31 Drucksache 14/9137 Nr. 1.5 Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft Drucksache 14/8940 Nr. 2.17 Drucksache 14/9137 Nr. 1.1 Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen Drucksache 14/6026 Nr. 2.34 Drucksache 14/7708 Nr. 2.5 Drucksache 14/8179 Nr. 2.48 Drucksache 14/8562 Nr. 2.43 Drucksache 14/8562 Nr. 2.44 Drucksache 14/8691 Nr. 2.3 Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Drucksache 14/8179 Nr. 2.57 Drucksache 14/8339 Nr. 2.19 Drucksache 14/8339 Nr. 2.20 Drucksache 14/8339 Nr. 2.22 Drucksache 14/8562 Nr. 1.3 Drucksache 14/8562 Nr. 2.47 Drucksache 14/8562 Nr. 2.50 Drucksache 14/8691 Nr. 2.4 Drucksache 14/8832 Nr. 1.2 Drucksache 14/8832 Nr. 2.3 Drucksache 14/8832 Nr. 2.4 Drucksache 14/8832 Nr. 2.5 Drucksache 14/8832 Nr. 2.23 Drucksache 14/8940 Nr. 1.4 Drucksache 14/8940 Nr. 2.10 Drucksache 14/8940 Nr. 2.2 Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Drucksache 14/9137 Nr. 1.15 Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Drucksache 14/8940 Nr. 2.7 Drucksache 14/8940 Nr. 2.8 Drucksache 14/8940 Nr. 2.37 Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Drucksache 14/7883 Nr. 2.14 Drucksache 14/8339 Nr. 1.3 Drucksache 14/8428 Nr. 2.15 Drucksache 14/8562 Nr. 2.6 Drucksache 14/9137 Nr. 1.6 Drucksache 14/9137 Nr. 1.9 Drucksache 14/9305 Nr. 2.36 Ausschuss für Kultur und Medien Drucksache 14/7409 Nr. 1.2 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 246. Sitzung. Berlin, Freitag, den 28. Juni 2002 24977 (C) (D) (A) (B) Druck: MuK. Medien- und Kommunikations GmbH, Berlin
Gesamtes Protokol
Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1424600000
Einen schö-
nen guten Morgen! Die Sitzung ist eröffnet.

Der Ältestenrat hat in seiner gestrigen Sitzung verein-
bart, dass am Mittwoch der kommenden Sitzungswoche
keine Befragung der Bundesregierung und keine Aktuelle
Stunde stattfinden.

Interfraktionell ist vereinbart worden, die heutige
Tagesordnung um einige Ergebnisse des Vermittlungs-
ausschusses, die Ihnen in der Zusatzpunktliste vorliegen,
zu erweitern:
ZP 18 Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses nach

Art. 77 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuss) zu dem
Gesetz zur Erleichterung der Bekämpfung von illegaler Be-
schäftigung und Schwarzarbeit – Drucksachen 14/8221,
14/8288, 14/8625, 14/8957, 14/9630 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Franz Thönnes

ZP 19 Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses nach
Art. 77 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuss) zu dem
Fünften Gesetz zur Änderung des Steuerbeamten-Ausbil-
dungsgesetzes und zur Änderung von Steuergesetzen
– Drucksachen 14/8286, 14/8887, 14/9343, 14/9631 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Wilhelm Schmidt (Salzgitter)


ZP 20 Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses nach
Art. 77 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuss) zu dem Ge-
setz zur Änderung futtermittelrechtlicher Vorschriften so-
wie zur Änderung sonstiger Gesetze – Drucksachen 14/9034,
14/9249, 14/9532, 14/9632 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Norbert Wieczorek

ZP 21 Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses nach
Art. 77 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuss) zu dem
Gesetz zur Änderung des Rechts der Vertretung durch

(OLG-Vertretungsänderungsgesetz – OLGVertrÄndG)

14/8763, 14/9266, 14/9531, 14/9633 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Ludwig Stiegler

ZP 22 Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses nach
Art. 77 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuss) zu dem
Ersten Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Neuregelung
des Energiewirtschaftsrechts – Drucksachen 14/5969, 14/9081,
14/9534, 14/9634 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Norbert Wieczorek

Sind Sie damit einverstanden? – Das Haus ist damit
einverstanden.

Ich rufe den Zusatzpunkt 18 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschus-

(Vermittlungsausschuss)

Bekämpfung von illegaler Beschäftigung und
Schwarzarbeit
– Drucksachen 14/8221, 14/8288, 14/8625,
14/8957, 14/9630 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Franz Thönnes

Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? – Das
ist nicht der Fall. Wird das Wort zur Erklärung ge-
wünscht? – Auch das ist nicht der Fall. Dann kommen wir
zur Abstimmung.

Der Vermittlungsausschuss hat gemäß § 10 Abs. 3
Satz 1 seiner Geschäftsordnung beschlossen, dass im
Bundestag über die Änderungen gemeinsam abzustim-
men ist. Das Gleiche gilt für die folgenden drei
Beschlussempfehlungen des Vermittlungsausschusses bei
den Zusatzpunkten 19 bis 21. Wer stimmt für die Be-
schlussempfehlung des Vermittlungsausschusses auf
Drucksache 14/9630? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stim-
men von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und CDU/CSU
gegen die Stimmen von FDP und PDS angenommen.

Ich rufe den Zusatzpunkt 19 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschus-

(Vermittlungsausschuss)

des Steuerbeamten-Ausbildungsgesetzes und
zur Änderung von Steuergesetzen
– Drucksachen 14/8286, 14/8887, 14/9343,
14/9631 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Wilhelm Schmidt (Salzgitter)


Auch hier wünscht der Berichterstatter nicht das Wort
zur Berichterstattung. Ebenso wünscht niemand das Wort

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(C)



(D)



(A)



(B)


246. Sitzung

Berlin, Freitag, den 28. Juni 2002

Beginn: 9.00 Uhr

zu einer Erklärung. Wir kommen auch hier zur Abstim-
mung. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung des
Vermittlungsausschusses auf Drucksache 14/9631? – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschluss-
empfehlung ist mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/
Die Grünen und CDU/CSU gegen die Stimmen der FDP
bei Stimmenthaltung der PDS angenommen.

Ich rufe den Zusatzpunkt 20 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung des Aus-

(Vermittlungsausschuss)

futtermittelrechtlicher Vorschriften sowie zur
Änderung sonstiger Gesetze
– Drucksachen 14/9034, 14/9249, 14/9532,
14/9632 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Norbert Wieczorek

Das Wort zur Berichterstattung und zur Erklärung wird
nicht gewünscht. Wir kommen zur Abstimmung. Wer
stimmt für die Beschlussempfehlung des Vermitt-
lungsausschusses auf Drucksache 14/9632? – Wer stimmt
dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist
einstimmig angenommen.

Ich rufe nunmehr den Zusatzpunkt 21 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschus-

(Vermittlungsausschuss)

Rechts der Vertretung durch Rechtsanwälte

(OLG-Vertretungsänderungsgesetz – OLGVertrÄndG)

– Drucksachen 14/8763, 14/9266, 14/9531,
14/9633 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Ludwig Stiegler

Das Wort zur Berichterstattung und zur Erklärung wird
nicht gewünscht. Deswegen frage ich: Wer stimmt für die
Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschusses auf
Drucksache 14/9633? – Gegenprobe? – Enthaltungen? –
Auch diese Beschlussempfehlung ist einstimmig an-
genommen.

Wir kommen zu Zusatzpunkt 22:
Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschus-

(Vermittlungsausschuss)

des Gesetzes zur Neuregelung des Energiewirt-
schaftsrechts
– Drucksachen 14/5969, 14/9081, 14/9534,
14/9634 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Norbert Wieczorek

Auf die Berichterstattung wird auch hier verzichtet.
Wer stimmt für die Beschlussempfehlung des Vermitt-

lungsausschusses auf Drucksache 14/9634? – Wer stimmt
dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist
mit den Stimmen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen

gegen die Stimmen von CDU/CSU, FDP und PDS ange-
nommen.

Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 22 a bis 22 e
auf:

a) Beratung der Unterrichtung durch die Bundes-
regierung
6. Bericht der Bundesregierung über ihre
Menschenrechtspolitik in den Auswärtigen
Beziehungen und in anderen Politikbereichen
– Drucksache 14/9323 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe (f)

Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Menschenrechte und
humanitäre Hilfe (18. Ausschuss) zu dem Antrag
der Abgeordneten Dr. Helmut Haussmann, Ulrich
Irmer, Ina Albowitz, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der FDP
Sklaverei weltweit verhindern
– Drucksachen 14/8280, 14/9471 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Heide Mattischeck
Monika Brudlewsky
Christa Nickels
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
Carsten Hübner

c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Menschenrechte und
humanitäre Hilfe (18. Ausschuss) zu dem Antrag
der Abgeordneten Hermann Gröhe, Monika
Brudlewsky, Dr. Heiner Geißler, weiterer Abge-
ordneter und der Fraktion der CDU/CSU
Lage der Menschen- und Minderheitenrechte
in Vietnam
– Drucksachen 14/8483, 14/9484 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Rolf Stöckel
Hermann Gröhe
Christa Nickels
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
Carsten Hübner

d) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Menschenrechte und
humanitäre Hilfe (18. Ausschuss) zu dem Antrag
der Abgeordneten Hermann Gröhe, Monika
Brudlewsky, Dr. Heiner Geißler, weiterer Abge-
ordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der
Abgeordneten Sabine Leutheusser-Schnarrenberger,
Dr. Helmut Haussmann, Dr. Klaus Kinkel, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Den Friedensprozess im Sudan in Gang setzen
und nachhaltig fördern
– Drucksachen 14/8481, 14/9485 –




Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters
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(C)



(D)



(A)



(B)


Berichterstattung:
Abgeordnete Heide Mattischeck
Monika Brudlewsky
Christa Nickels
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
Carsten Hübner

e) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Menschenrechte und
humanitäre Hilfe (18. Ausschuss) zu dem Antrag
der Abgeordneten Carsten Hübner, Petra Bläss,
Wolfgang Gehrcke, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der PDS
Konkrete Maßnahmen zur Stärkung wirt-
schaftlicher, sozialer und kultureller Rechte
ergreifen
– Drucksachen 14/8502, 14/9486 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Heide Mattischeck
Hermann Gröhe
Christa Nickels
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
Carsten Hübner

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red-
ner dem Kollegen Rudolf Bindig für die Fraktion der SPD
das Wort.


Rudolf Bindig (SPD):
Rede ID: ID1424600100
Herr Präsident! Verehrte Kol-
leginnen und Kollegen! Die heutige Debatte bietet die Ge-
legenheit, eine kleine Bilanz der rot-grünen Menschen-
rechtspolitik zu ziehen. Die Bundesregierung hat mit dem
6. Menschenrechtsbericht ihre Bilanz schriftlich vorge-
legt und diese Bilanz kann sich wahrhaft sehen lassen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Es ist der umfangreichste Menschenrechtsbericht, der
je von einer Bundesregierung erstellt worden ist, und es
ist auch der inhaltsreichste. Vor allem ist es ein Bericht,
der deutlich macht, dass Menschenrechtspolitik eine
komplizierte Querschnittsaufgabe ist.

Wir haben angekündigt, nicht alles anders, aber vieles
besser zu machen. Der Menschenrechtsbericht ist ein
gutes Beispiel dafür. Er ist der beste Bericht, der dem
Deutschen Bundestag bisher von einer Bundesregierung
vorgelegt worden ist.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Franziska Eichstädt-Bohlig [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Menschenrechte sind wichtige Elemente der Außen-,
Entwicklungs- und Sicherheitspolitik; sie berühren aber
auch die Wirtschafts-, die Frauen- und die Innenpolitik.
Es gilt, im täglichen politischen Handeln eine menschen-
rechtliche Kohärenz dieser Politikfelder herzustellen. Der
vorliegende Menschenrechtsbericht zeigt, dass die rot-
grüne Koalition hier deutlich vorangekommen ist.

Was den Stellenwert der Menschenrechte in der Arbeit
des Deutschen Bundestags angeht, kann festgestellt wer-
den, dass die Menschenrechte noch nie eine bessere
Lobby im Bundestag gehabt haben als in dieser 14. Le-
gislaturperiode.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Lassen Sie mich das an einigen Beispielen konkretisieren.
Erstens. Wir haben die Menschenrechtspolitik als ei-

genständiges Politikfeld etabliert. Erstmals in seiner Ge-
schichte hat der Deutsche Bundestag einen ordentlichen
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe ge-
bildet. Damit hat er auch in institutioneller Hinsicht die
wachsende Bedeutung der Menschenrechte in der politi-
schen Praxis unterstrichen. Wenn wir andere Fachaus-
schüsse oder das eine oder andere Ministerium mit unse-
rer spezifisch menschenrechtlichen Sicht der Dinge
konfrontiert oder vielleicht sogar herausgefordert haben,
dann spricht das nur für den Menschenrechtsausschuss.
Engagierte Menschenrechtspolitik bedeutet nämlich im-
mer auch sich einzumischen. Deshalb ist es wichtig, dass
der Ausschuss auch in der nächsten Legislaturperiode er-
halten bleibt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der Abg. Sabine LeutheusserSchnarrenberger [FDP])


Ich wünsche mir, dass alle Fraktionen hier und heute ein
klares Bekenntnis zur Existenz dieses wichtigen Aus-
schusses ablegen.

Zweitens. Wir haben das Deutsche Institut für
Menschenrechte geschaffen und damit eines unserer
wichtigsten Menschenrechtsprojekte verwirklicht. Nach
einem vergeblichem Anlauf in der letzten Legislaturperi-
ode haben wir uns in dieser Legislaturperiode um ein ge-
meinsames Konzept bemüht. Dies ist uns auch gelungen.
Wir haben das Institut mit einem einstimmigen Beschluss
des Deutschen Bundestages ins Leben gerufen und es
– hoffentlich – zugleich politisch wetterfest gemacht. Die
grundlegenden Aufbauarbeiten des Instituts sind inzwi-
schen abgeschlossen. Jetzt beginnt die inhaltliche Arbeit.
Ich wünsche uns, dass das Institut ein guter Anwalt für die
Menschenrechte wird.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der Abg. Sabine LeutheusserSchnarrenberger [FDP])


Drittens haben wir uns besonders um die Rechte von
Frauen sowohl im Ausland als auch in unserem Land
gekümmert. Wie umfassend Frauen und Mädchen ihrer
Rechte beraubt werden können, haben uns die Taliban in
Afghanistan vorgeführt. Sie haben Frauen aus dem öf-
fentlichen Leben ausgeschlossen, ihnen Bildung und Ar-
beit verwehrt und damit jegliche Zukunftsperspektive
verbaut.

Nur graduell geht es vielen Frauen in anderen, auch
nicht islamischen Regionen der Welt besser. Frauenrechte
rütteln an gesellschaftlichen Machtstrukturen. Selbst die




Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters

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(C)



(D)



(A)



(B)


grausame Praxis der Genitalverstümmelung dient in ers-
ter Linie dem Erhalt traditioneller patriarchalischer Wer-
tesysteme. Nur verstümmelte Frauen gelten als gute
Frauen. Diese unheilvolle Praxis nachhaltig zu bekämp-
fen, haben wir uns gemeinsam mit dem Außen- und dem
Entwicklungsministerium vorgenommen. Zahlreiche bi-
laterale und multilaterale Programme widmen sich jetzt
dieser Aufgabe.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Am Thema Genitalverstümmelung lässt sich auch der
Querschnittscharakter der Menschenrechtspolitik deut-
lich machen. Über Migrantenfamilien ist das Problem
auch zu uns nach Deutschland gekommen und berührt in-
nenpolitische Aspekte wie Aufklärung in den Familien
der Mädchen, Sensibilisierung des Personals in Behörden
und Beratungsstellen sowie asylrechtliche Fragen.

Auch das neue Zuwanderungsgesetz soll den Schutz
verfolgter Frauen stärken. Nicht staatliche und ge-
schlechtsspezifische Verfolgung werden nunmehr als
Gründe für die Anerkennung als Flüchtling im Sinne der
Genfer Flüchtlingskonvention akzeptiert. Leider mussten
wir diese Regelung gegen den heftigen Widerstand der
Union durchsetzen. Um vor sich selbst rechtfertigen zu
können, dass junge Mädchen aus Deutschland in ein Land
wie den Sudan abgeschoben werden, in dem ihnen die Ge-
nitalverstümmelung droht, müssen humanitäre und christ-
liche Grundsätze schon ziemlich verdrängt werden. Ich
möchte so etwas nicht verantworten müssen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie der Abg. Dr. Barbara Höll [PDS])


Nicht zuletzt deshalb hoffe ich, dass das Zuwanderungs-
gesetz in seiner gegenwärtigen Fassung erhalten bleibt.

Viertens. Wir haben uns auch intensiv für die Präven-
tion von Menschenrechtsverletzungen eingesetzt. Die bes-
te Menschenrechtspolitik ist nämlich jene, die dazu
beiträgt, dass Menschenrechte erst gar nicht verletzt wer-
den. Strukturelle Ursachen für Krisen sind in der Regel
lange vor der Gewalteskalation bekannt. Deshalb muss in-
ternational die Bereitschaft gestärkt werden, rechtzeitig
und entschlossen gegenzusteuern. Das von der Koalition
erarbeitete Konzept zur zivilen Krisenprävention sowie
der in dieser Legislaturperiode ins Leben gerufene zivile
Friedensdienst steht für diese Politik der Prävention.
Diese konsequent fortzusetzen wird eine der Herausfor-
derungen der nächsten Legislaturperiode sein.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Fünftens. Wir haben zahlreiche weitere Themen aufge-
griffen und konnten die Dinge zum Teil in unserem Sinne
beeinflussen: Haftbedingungen in der Türkei,Bekämp-
fung der Folter, Kinder- und Minderheitenrechte, Ab-
schaffung der Todesstrafe, Aussetzung der Abschiebung
von Tschetschenen sowie regelmäßige Auseinanderset-
zung mit Ländern, in denen die Menschenrechte verletzt
werden. Insbesondere bei der Bewertung der Menschen-
rechtssituation in anderen Ländern gab es auch viel Über-

einstimmung mit der Opposition. In diesem Sinne werden
wir heute den beiden Anträgen zu Vietnam und zum Su-
dan zustimmen, die von der CDU/CSU und der FDP erar-
beitet worden sind.

Abschließend noch einige Worte zu den Folgen des
11. September für die Menschenrechte. Über einige poli-
tische Tendenzen bin ich zutiefst beunruhigt. Zum einen
darf dieser Kampf nicht für andere Zwecke instrumenta-
lisiert werden. Im schlimmsten Falle gehen Regierungen
unter dem Vorwand der Terroristenbekämpfung mit bru-
taler Härte gegen politisch und religiös Andersdenkende
oder gegen missliebige Minderheiten vor. Das darf die in-
ternationale Gemeinschaft nicht dulden.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Zum anderen wird das Völkerrecht ausgehöhlt, wenn in
öffentlichen Vereinbarungen die Anwendung von Folter
kein Tabu ist. Überlegungen, von inhaftierten Terroristen
und des Terrorismus Verdächtigen Informationen auch
durch Folter zu erlangen oder diese Personen zu diesem
Zweck in so genannte hilfsbereite Staaten zu bringen, sind
absolut inakzeptabel.


(Beifall im ganzen Hause)

Wir brauchen nicht nur eine Koalition gegen den Terro-
rismus; wir brauchen auch eine Koalition für die Men-
schenrechte.

Menschenrechtspolitik ist immer mit neuen Problemen
konfrontiert. So wie die Welt heute beschaffen ist, rückt die
Ziellinie stets aufs Neue in weite Ferne. Umso wichtiger
ist es, dass es uns in dieser Legislaturperiode gelungen ist,
dieses schwierige Politikfeld deutlich aufzuwerten.

Zufrieden bin ich auch darüber, dass es im Ausschuss
trotz manch unterschiedlicher politischer Bewertung ein
grundsätzlich sachorientiertes und engagiertes Arbeiten
über die Fraktionsgrenzen hinweg gegeben hat. Dazu ha-
ben beide Ausschussvorsitzende, Claudia Roth und
Christa Nickels, ihren Teil beigetragen. Ihnen sowie den
Obleuten und den übrigen Mitgliedern des Ausschusses
gilt an dieser Stelle mein herzlicher Dank.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Auch in der kommenden Legislaturperiode werden wir
für die Menschenrechte kämpfen müssen.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP und der PDS)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1424600200
Liebe Kolle-
ginnen und Kollegen, auf der Besuchertribüne hat eine
rumänische Parlamentariergruppe Platz genommen. Ich be-
grüße unsere Gäste aus Bukarest, wünsche ihnen gute Ge-
spräche und einen angenehmen Aufenthalt in Deutschland.


(Beifall)





Rudolf Bindig
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(C)



(D)



(A)



(B)


Ich gebe nunmehr dem Kollegen Hermann Gröhe das
Wort. Er spricht für die CDU/CSU-Fraktion.


Hermann Gröhe (CDU):
Rede ID: ID1424600300
Herr Präsident! Sehr
geehrte Damen und Herren! Die heutige Debatte über den
6. Bericht der Bundesregierung über ihre Menschen-
rechtspolitik und einige Anträge zur Menschenrechtspoli-
tik – übrigens allesamt Anträge aus den Reihen der Op-
positionsfraktionen – ist die letzte Menschenrechtsdebatte
in dieser Legislaturperiode, also auch für uns Anlass,
Bilanz zu ziehen.

Da erliegen eine Regierung und die sie tragenden Frak-
tionen schnell der Versuchung, sich gewaltig selbst auf die
Schulter zu klopfen. Sie sollten das aber nicht so laut tun,
dass sie die vielen kritischen Stimmen, etwa aus dem Be-
reich der Nichtregierungsorganisationen, zur derzeitigen
Menschenrechtspolitik nicht mehr hören.


(Detlev von Larcher [SPD]: Das müssen Sie uns aber nicht erzählen!)


Ich will nun nicht der Versuchung erliegen, nur über
Kritikwürdiges zu sprechen. Nach den ersten Jahren des
neu ins Leben gerufenen Menschenrechtsausschusses
will auch ich mich zunächst bei allen Kolleginnen und
Kollegen, besonders bei den Vorsitzenden Claudia Roth
und Christa Nickels und unserem stellvertretenden Vor-
sitzenden Dr. Christian Schwarz-Schilling, für ein über-
aus gutes Miteinander bedanken, das bei allem Ringen um
den richtigen Weg in der Menschenrechtspolitik in erster
Linie von dem gemeinsamen Bewusstsein bestimmt war,
zuallererst den Menschen verpflichtet zu sein, die in vie-
len Teilen der Welt unter schrecklichen Menschenrechts-
verletzungen leiden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Ich denke, es wird mir niemand als parteipolitische Ein-
seitigkeit auslegen, wenn ich sage, dass gerade auch jün-
gere Kolleginnen und Kollegen Christian Schwarz-
Schilling viel verdanken als einem echten Vorbild, wenn
es darum geht, mit großer Sachkenntnis, Beharrlichkeit
und Leidenschaft, aber auch mit großer innerer Unabhän-
gigkeit für die Sache der Menschenrechte zu streiten. Vie-
len Dank!


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP sowie bei Abgeordneten der PDS)


Es ist auch Ausdruck des guten Miteinanders in unse-
rem Ausschuss, wenn heute zwei Anträge der Union ein-
stimmig zur Annahme empfohlen werden: ein Antrag zur
Lage in Vietnam und ein gemeinsam mit der FDP erar-
beiteter und eingebrachter Antrag zur Lage im Sudan.
Umgekehrt stimmte seinerzeit die Union einem Antrag
der Koalitionsfraktionen zur Todesstrafe in den USA zu,
obwohl lange koalitionsinterne Abstimmungen die Einbe-
ziehung der Opposition in die Antragserarbeitung verhin-
derten. Ich erwähne diesen einstimmigen Bundestags-
beschluss auch deshalb, weil wir sicher alle mit großer
Genugtuung eine Entscheidung des Obersten Gerichts-
hofs der Vereinigten Staaten in der letzten Woche zur

Kenntnis genommen haben, der die Hinrichtung geistig
Behinderter, bislang immerhin möglich, in 18 Bundes-
staaten der USA künftig untersagt.


(Beifall der Abg. Christa Nickels [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Das ist ein wichtiger Schritt, dem hoffentlich weitere
Schritte hin zur Abschaffung der Todesstrafe insgesamt
folgen.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP und der PDS)


Meine Damen und Herren, ich sage voller Selbstbe-
wusstsein als Parlamentarier, dass die Mitglieder des Aus-
schusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe etwas
aus diesem Ausschuss gemacht haben. Deshalb halte ich
es für sinnvoll, dass es einen solchen Ausschuss auch
zukünftig gibt.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Es ist bemerkenswert, dass sich ganz wichtige Be-
schlüsse des Ausschusses, die sich anschließend der
Bundestag zu Eigen machte, aus der gemeinsamen parla-
mentarischen Arbeit über Fraktionsgrenzen hinweg ent-
wickelten. Ich denke vor allem an den Gruppenantrag
„Humanitäre Grundsätze in der Flüchtlingspolitik beach-
ten“, aber auch an den im Tibet-Gesprächskreis erarbeite-
ten Antrag „Menschenrechte und Entwicklung in Tibet“,
der an einen sehr bedeutsamen, ebenfalls interfraktionell
erarbeiteten Grundsatzbeschluss aus der vergangenen Le-
gislaturperiode zur Lage in Tibet anknüpfen konnte. Ich
will auch ausdrücklich das erfolgreiche Bemühen in un-
serem Ausschuss um einen fraktionsübergreifenden Kon-
sens im Hinblick auf die Schaffung des Deutschen Insti-
tuts für Menschenrechte würdigen.

Was die Bundesregierung angeht, muss ich allerdings
feststellen, dass man sich dort immer wieder schwer da-
mit tat, den neu ins Leben gerufenen Ausschuss als voll-
wertigen Ausschuss wahrzunehmen. Immer wieder, zu-
letzt in dieser Sitzungswoche, mussten wir bei politisch
wichtigen Fragen feststellen, dass die Ministerien durch
sachkompetente und geschätzte Beamte aus den einzelnen
Fachbereichen vertreten waren, die politisch Verantwort-
lichen aus der Spitze der Häuser sich aber rar machten.
Gerade für das Bundesinnenministerium galt, dass es uns
eher brüskierte als beehrte.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP und der PDS)


Es reicht nicht aus, einen eigenen Ausschuss einzurichten.
Man muss ihn auch angemessen behandeln.

Auch die Vorlage der inhaltlich in vielem durchaus
sehr gelungenen Menschenrechtsberichte ließ den not-
wendigen Respekt vor der Arbeitsweise des Parlaments
vermissen. So hatte der Deutsche Bundestag 1996 – übri-
gens auf Antrag der Grünen – beschlossen, dass der alle
zwei Jahre zu erstellende Menschenrechtsbericht rechtzei-
tig vor dem Tag der Menschenrechte, dem 10. Dezember,
vorzulegen sei. Doch der 5. Menschenrechtsbericht wurde
nicht im Herbst 1999, sondern im Juni 2000 vorgelegt. Der




Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters

24859


(C)



(D)



(A)



(B)


6.Menschenrechtsbericht, über den wir heute diskutieren,
ging den Ausschussmitgliedern erst am 10. Juni zu. Die
zwei Sitzungswochen bis zur heutigen Debatte ließen
kaum Zeit, das 387-Seiten-Werk in den Arbeitsgruppen
der Fraktionen oder gar mit Nichtregierungsorganisatio-
nen angemessen zu diskutieren.

Ein Antrag der Grünen aus dem Jahr 1995 mit dem Ti-
tel „Menschenrechtsberichte und Lageberichte der Bun-
desregierung für die Arbeit nutzbar machen“ – er trägt die
Unterschrift „Joseph Fischer und Fraktion“ – enthielt noch
die Forderung, dass der Bericht den Fachausschüssen – ich
zitiere wörtlich aus diesem Antrag der Grünen – „mindes-
tens einen Monat vor der Debatte vorliegen muss“.

Zur Bilanz gehört auch die bisherige Arbeit des
Menschenrechtsbeauftragten im Auswärtigen Amt. Wir
schätzen den aktiven Einsatz von Gerd Poppe für die
Menschenrechte. Wenn es dennoch nicht gelang, dieses
Amt mit einem prägenden Einfluss auf die deutsche Außen-
politik zu versehen, so liegt das weniger an seiner enga-
gierten Arbeit als vielmehr an der unzureichenden Ausstat-
tung und Einbindung dieses Amtes, wofür die politische
Spitze des Auswärtigen Amtes die Verantwortung trägt.

Lassen Sie mich zwei inhaltliche Bemerkungen zum
Menschenrechtsbericht machen. Dabei möchte ich die
erste mit einigen wenigen Anmerkungen zu unserem An-
trag zur Menschenrechtslage in Vietnam verbinden.

Wie Sie wissen, ist der Einsatz für Religionsfreiheit ein
Schwerpunkt der Menschenrechtsarbeit der CDU/CSU-
Bundestagsfraktion. Wir setzen uns für Bahai im Iran ein,
für das Recht der Tibeter, ihre religiösen Traditionen zu
pflegen, und für Muslime in Xinjiang. Zu besonderer So-
lidarität fühlen wir uns gegenüber bedrängten und ver-
folgten Christen verpflichtet. In unserem Antrag zur Lage
in Vietnam setzen wir uns für katholische Priester, für
evangelische Hausgemeinden, aber auch für die Verei-
nigte Buddhistische Kirche Vietnams ein und wir prangern
die zum Teil brutale Verletzung der Religionsfreiheit in
Vietnam an, unter der gerade indigene Bergvölker leiden.

Es freut uns deshalb, wenn die Bundesregierung in
dem nunmehr vorgelegten Menschenrechtsbericht fest-
stellt, dass das Eintreten für Religionsfreiheit weltweit ein
fester und wichtiger Bestandteil ihrer Menschenrechts-
politik sei. Mit großer Zustimmung lesen wir in diesem
Bericht unter Bezugnahme auf den Einsatz für Religions-
freiheit für alle religiösen Überzeugungen – ich zitiere aus
dem Bericht –:

Dem widerspricht nicht, wenn in der Praxis das Ein-
treten Deutschlands für die Freiheit aller Religionen
auch durch die religiöse Prägung der deutschen und
europäischen Geschichte bestimmt ist. Dies zeigt
sich im durch christlichen Glauben motivierten per-
sönlichen Einsatz zahlreicher Menschen in Deutsch-
land für die Menschenrechte und bedrängte Glau-
bensbrüder und -schwestern, aber auch für die
Freiheit anderer Religionen in aller Welt; ...

Mancher Beitrag aus den Koalitionsfraktionen anlässlich
der Debatte über unsere Große Anfrage zur Situation be-
drängter und verfolgter Christen hatte noch ganz anders
geklungen.

Kritikwürdig ist unseres Erachtens die Behandlung der
Menschenrechtslage in China im Menschenrechts-
bericht. Dort ist von der „häufigen“ Verhängung der To-
desstrafe die Rede. Diese Formulierung wird in keiner
Weise dem dramatischen Umstand gerecht, dass Amnesty
International für das Jahr 2001 mindestens 4 015 To-
desurteile und 2 468 Hinrichtungen feststellte. Wenn-
gleich der Bericht erwähnt, dass „Gläubige verhaftet und
teilweise in Straflager eingewiesen werden“, so wird
doch, anders als im Fall von Belarus, die Administrativ-
haft als ein ganz wesentliches Menschenrechtsproblem in
China mit keiner Silbe erwähnt. Dabei war gerade dieses
Thema bei allen Diskussionen im Menschenrechtsaus-
schuss von zentraler Bedeutung.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Sieht man sich zudem die Anträge der Koalitionsfrak-
tionen zu China in dieser Legislaturperiode an, in denen
Kritik an China zumeist in eher homöopathischer Ver-
dünnung geäußert wurde, so denkt man fast wehmütig an
die markigen Worte zurück, zu denen grüne Politiker in
der Lage waren, als sie noch in der Opposition waren, also
bevor sie der diplomatische Weichspülgang ereilte.


(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Nun mag mancher sagen: Willkommen in der Realität!

Ich sage dagegen: Es ist möglich und geboten, mehr Klar-
text zu sprechen. Man denke an manch üble persönliche
Beschimpfungen, mit denen unser heutiger Außenminister
seinen Vorgänger Klaus Kinkel in Sachen Menschen-
rechtspolitik, gerade wenn es um China ging, bedachte.


(Dr. Irmgard Schwaetzer [FDP]: Das ist wohl wahr!)


Ich gehe davon aus, dass es hierfür längst eine Entschul-
digung gegeben hat. Stil zu haben ist mehr als eine neue
Liebe zu Zweireihern und Manschettenknöpfen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dr. Irmgard Schwaetzer [FDP]: Was habt ihr den Mund voll genommen und wie wenig ist herausgekommen! – Zuruf von der SPD: Er redet beim Thema Menschenrechte über Manschettenknöpfe!)


Menschenrechtspolitik bleibt nicht zuletzt ange-
sichts des Versuchs mancher Menschenschinder, Unter-
drückungsmaßnahmen als Kampf gegen den Terrorismus
zu bemänteln, für uns alle eine zentrale Aufgabe. An ihr
kann und muss sich die Wertorientierung unserer Politik
beweisen.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1424600400
Nun gebe
ich der Kollegin Christa Nickels von der Fraktion des
Bündnisses 90/Die Grünen das Wort.


Christa Nickels (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1424600500

Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen!




Hermann Gröhe
24860


(C)



(D)



(A)



(B)


Lieber Hermann Gröhe, zuerst möchte ich feststellen,
dass sich der Fortschritt auch darin zeigt, dass man, ob-
wohl man einer Koalition angehört, nicht mehr vier bis
fünf Jahre braucht, um eine Mehrheit für eine Anhörung
zu einem kritischen Thema zu finden. Der Fortschritt
zeigt sich auch darin, dass die Koalitionsfraktionen selbst-
verständlich zu kritischen Punkten Anhörungen durch-
führen und Anträge einbringen. Ich bin seit vier Legis-
laturperioden Mitglied des Bundestages. Ein solches
Verhalten war früher nicht Usus. Als wir noch in der Op-
position waren, mussten wir sehr viel Druck ausüben, da-
mit manche Themen, die heute ganz selbstverständlich im
Parlament und in den Ministerien behandelt werden, über-
haupt besprochen wurden. Es ist allerdings klar, dass es
noch viel zu tun gibt. Es ist schade, dass du deine Rede in
dieser Form beendet hast, weil dich das den Beifall von-
seiten der Koalitionsfraktionen gekostet hat.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich komme zum eigentlichen Thema: Trotz unbestreit-
barer weltweiter Fortschritte hinsichtlich des Menschen-
rechtsschutzes muss man sagen, dass diejenigen, die
Menschenrechtspolitik machen, ganz gleich in welchen
Institutionen, Parteien oder Ländern, immer noch einen
langen Atem brauchen. Das liegt daran, dass seit dem
11. September der Grundkonsens bezüglich der Men-
schenrechte in vielen Punkten weltweit brüchig geworden
zu sein scheint und dass wir nun Standards absichern müs-
sen, von denen wir bisher gehofft haben, sie hätten sich
bereits endgültig durchgesetzt. Außerdem liegt das daran,
dass die alte Forderung der Grünen nach Nachhaltigkeit
auch für die Menschenrechtspolitik gelten muss.

Das zeigt das Beispiel Afghanistan besonders deut-
lich. Die Zeit des Taliban-Regimes ist beendet. Die große
Ratsversammlung, die Loya Jirga, hat Hamid Karzai für
weitere zwei Jahre als Übergangspräsident bestätigt. Die
Grundlagen für einen Neubeginn sind geschaffen. Die
Karawane ausländischer Medienkorrespondenten zieht
weiter in andere Krisenregionen der Welt. Die Geber-
länder dürfen aber gerade jetzt in ihrem Engagement nicht
nachlassen, weil sonst das verspielt wird, was wir bereits
erreicht haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie der Abg. Sabine Leutheusser-Schnarrenberger [FDP])


Ich bin besorgt darüber, dass dem Flügel der Moderni-
sierer in der Regierung Karzai zwar der Finanzbereich,
den islamischen Traditionalisten aber der rechtspolitische
Bereich zugeordnet wird. Was bedeutet das für die Zu-
kunft der Mädchen und Frauen in Afghanistan, deren Be-
freiung doch eines der stärksten Argumente im Kampf
gegen die Taliban gewesen ist? Was bedeutet es für die
Durchsetzungsfähigkeit der Regierung Karzai, wenn die
Ausdehnung der ISAF-Kräfte abgelehnt wird, aber zu-
gleich die Natter an der Brust der demokratischen Regie-
rung durch Gelder gemästet wird, die den Warlords im
Rahmen der Unterstützung von „Enduring Freedom“ zu-
fließen? Was wird aus der erwünschten Rückkehr aller
Flüchtlinge, wenn der erfreulich große Rückkehrerstrom
offensichtlich schon jetzt die bereitgestellten Finanzmit-
tel aufgezehrt hat?

Darum freue ich mich sehr darüber, dass das Auswär-
tige Amt uns in der gestrigen Ausschusssitzung versichert
hat, dass es in diesem Jahr mehr Geld als geplant für
Afghanistan ausgeben will und dass die Stelle in der deut-
schen Botschaft zur Förderung der Belange der afghani-
schen Frauen auch nach der Versetzung von Frau Müller,
die bisher dafür zuständig war, in vollem Umfang erhal-
ten bleibt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie der Abg. Sabine Leutheusser-Schnarrenberger [FDP])


Ich glaube, dass das Engagement der Parlamentarier auf
diesem Gebiet über alle Fraktionsgrenzen hinweg und die
gute Zusammenarbeit mit den zuständigen Häusern, dem
Auswärtigen Amt und dem Ministerium für wirtschaftliche
Zusammenarbeit, es ermöglicht haben, innerhalb kurzer
Zeit viel für die Frauen und Mädchen in Afghanistan zu tun.

Gleichzeitig droht der Antiterrorkampf alle Fortschritte
in wesentlichen Bereichen der internationalen Menschen-
rechtspolitik zu unterlaufen. Ein besonders bedrückendes
Beispiel ist die drohende Aufweichung der Antifolter-
konvention. Es mehren sich die Hinweise darauf, dass
mutmaßliche Terroristen zum Verhör in Staaten gebracht
worden sind, in denen Folter angewandt wird. Diese
schmutzige Arbeitsteilung dürfen wir nicht zulassen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Wenn Menschenrechtskonventionen von denjenigen
Staaten unterlaufen werden, die im Namen der Men-
schenrechte gegen den Terrorismus kämpfen, dann ist
dies Wasser auf die Mühlen aller Menschenschinder die-
ser Welt, die schon immer behauptet haben, dass Men-
schenrechte störten, wenn es ans Eingemachte geht. In der
realen Politik werden die Menschenrechte dann in Gold-
schnittfolianten und Festvorträge verbannt. Käme es
tatsächlich so weit, dass der Zweck im Antiterrorkampf
die grausamen Mittel heiligt, dann wäre das die Selbst-
aufgabe aller anständigen Demokraten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordenten der PDS)


Ein ähnlicher Verlust an Glaubwürdigkeit droht wegen
der gerade bekannt bewordenen Vereinbarung im Ab-
kommen über die militärisch-technische Zusammen-
arbeit, durch die sich die Mitglieder der Schutztruppe in
Afghanistan von der Übergangsregierung vertraglich
Immunität für ihre Soldaten haben garantieren lassen.
Der Vorgang ist fatal: Die Nachricht, dass die Europäer
die ISAF-Angehörigen vor einer etwaigen Verfolgung
durch den Internationalen Strafgerichtshof schützen woll-
ten, gelangte just in dem Moment in die Medien, als der
Sicherheitsrat der Vereinten Nationen im Rahmen der
Verlängerung des Bosnien-Mandats über einen Resoluti-
onsentwurf der USAberaten sollte, mit dem die USAeine
generelle Immunität für alle ihre Staatsbürger verlangen,
und zwar für sämtliche von den Vereinten Nationen man-
datierten oder gebilligten Einsätze.

Die Nachricht über eine entsprechende Immunitäts-
klausel im Abkommen für die ISAF-Truppen ist offenbar




Christa Nickels

24861


(C)



(D)



(A)



(B)


bewusst lanciert worden, um die Europäer der Doppel-
moral zu überführen und damit ihren Widerstand gegen
die Immunitätsforderung der USA im Sicherheitsrat zu
brechen. Ginge dieses Kalkül auf, dann wäre einer der
größten Erfolge der internationalen ebenso wie der bun-
desdeutschen Menschenrechtspolitik der letzten Jahre zu-
nichte gemacht. Daher muss die EU nochmals unmiss-
verständlich klar machen, dass sie sich selbstverständlich
der Gerichtsbarkeit des Internationalen Strafgerichts-
hofs unterwirft, und die USA auffordern, dasselbe zu tun,
denn ein europäischer Unilateralismus bringt die Men-
schenrechte weltweit nicht voran.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie des Abg. Carsten Hübner [PDS])


Es bringt uns keinen Deut weiter, die USAin einer Pose
selbstgerechter Besserwisserei verbal radikal zu attackie-
ren, wenn wir für die Durchsetzung der Menschenrechte
gleichzeitig auf amerikanische Mitwirkung angewiesen
bleiben. Gemeinsam mit den USA muss es uns gelingen,
die bestehenden Menschenrechtssysteme auszubauen;
denn sie sind den Herausforderungen, die seit dem
11. September verstärkt auf sie zukommen, ganz offen-
sichtlich noch längst nicht gewachsen.

Rosige Aussichten sind das nicht. Trotzdem gab es ge-
wichtige Fortschritte. Der 6. Menschenrechtsbericht be-
legt, auf wie vielen Ebenen die Regierung erfolgreich
tätig geworden ist, um die Menschenrechte institutionell
zu stärken. Ich benenne jetzt die Punkte nicht mehr, son-
dern bedanke mich zum Abschluss bei allen Mitarbeite-
rinnen und Mitarbeitern sowie bei den Kolleginnen und
Kollegen. Besonders bedanke ich mich bei denjenigen
Kolleginnen und Kollegen, die uns am Ende dieser Le-
gislaturperiode verlassen. Sie haben sich sehr engagiert
für die Menschenrechte eingesetzt und können sicher
sein, dass wir diese Maßstäbe auch in der nächsten Legis-
laturperiode anlegen werden.

Herzlichen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP und der PDS)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1424600600
Für die
FDP-Fraktion spricht die Kollegin Sabine Leutheusser-
Schnarrenberger.


Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP):
Rede ID: ID1424600700
Herr
Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Zehn
Monate nach den Terroranschlägen am 11. September
2001 befinden sich die Menschenrechte weltweit in der
Defensive. Forderungen nach zumindest befristeter Ein-
schränkung der Menschenrechte und nach so genannten
Menschenrechtsrabatten prägen zunehmend das öffentli-
che Klima. Die 58. Menschenrechtskonferenz in Genf war
froh, dass sie den Standard einigermaßen halten konnte
und es nicht zu gravierenden Rückschritten gekommen ist.
Deshalb brauchen Menschenrechte starke Anwälte.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das sind nicht in erster Linie Regierungen, sondern Par-
lamentarierinnen und Parlamentarier. Deshalb ist es un-
verzichtbar, dass auch in der nächsten Legislaturperiode
im Deutschen Bundestag ein Menschenrechtsausschuss
als voll anerkannter eigenständiger Ausschuss arbeiten


(Beifall im ganzen Hause)

und im Spannungsfeld mit dem Auswärtigen Amt und an-
deren Ressorts, besonders aber mit den Innenpolitikern
Menschenrechts- und Flüchtlingsfragen stärker in den
Vordergrund bringen kann.

Die heutige Debatte gibt natürlich Anlass zur Würdi-
gung von vier Jahren rot-grüner Menschenrechtspolitik.
Die großen Erwartungen und Hoffnungen zu Beginn der
Legislaturperiode sind der Ernüchterung und teilweise
auch der Enttäuschung gewichen, denn von sehr nachhal-
tigen deutschen Impulsen für die Verbesserung der Men-
schenrechtssituation kann in dieser Bilanz am Ende der
Wahlperiode nicht gesprochen werden.


(Rudolf Bindig [SPD]: Na, na, na!)

Sogar auflagenstarke Publikationen wie „Spiegel“ und

„Tagesspiegel“, die den 6. Menschenrechtsbericht mit Si-
cherheit eher wohlwollend bewerten – er ist sehr umfang-
reich, eine hervorragende Fleißarbeit –, kommen in ihrer
Analyse zu folgendem Ergebnis: Der Anspruch zu Beginn
der Legislaturperiode und die Wirklichkeit klaffen ausei-
nander.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der PDS)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, betrachten wir die
Situation in zwei Ländern, die immer im Zusammenhang
mit der Intensität von Menschenrechtspolitik genannt
werden, dann wird klar: Es geht darum, die Menschen-
rechte gegenüber der Volksrepublik China und auch im
Hinblick auf Tschetschenien zu betonen und einzufor-
dern. Hierbei sind kritische Anmerkungen, wie wir sie in
der gesamten Legislaturperiode gemacht haben, auch
heute am Platz, denn der viel zitierte Rechtsstaatsdialog,
den wir richtig finden, bezieht sich eben in erster Linie auf
wichtige Wirtschaftsfragen; hingegen haben die Men-
schenrechte kein eigenständiges Gewicht und spielen
nicht die Rolle, die ihnen zukommt. Das haben wir auch
im Ausschuss erörtert.

Herr Fischer, ich wähle ein Zitat von Ihnen, das sich
auf das schwierige Spannungsfeld von Menschenrech-
ten und Wirtschaftspolitik in China bezieht. Sie nennen
das ein „Spannungsverhältnis zwischen Prinzipien und
den Notwendigkeiten und Unzulänglichkeiten der Poli-
tik“. Diese Formulierung bringt die Problematik zum
Ausdruck, aber es muss hinzukommen, dass Menschen-
rechte trotz dieses Spannungsfeldes bei jeder Gelegenheit
deutlich angesprochen und eingefordert werden.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die Politik des Wandels durch Handel, die von der Opposi-
tion aus SPD und Grünen bis 1998 immer massiv kritisiert
wurde, ist jetzt wohl die einzige, durch die man eine Ver-
besserung der Menschenrechtssituation zu erreichen hofft.


(Beifall bei der FDP)





Christa Nickels
24862


(C)



(D)



(A)



(B)


Das gilt auch für das Eintreten für die Menschenrech-
te gegenüber Russland und besonders in Bezug auf
Tschetschenien. Ich muss ausdrücklich sagen, dass wir
hierzu im Ausschuss nahezu einer Meinung waren. Wir
von der Opposition waren gerade von dem, was Sie, Herr
Bindig, von Ihren Eindrücken und von Ihrem Einsatz für
Menschenrechte in Tschetschenien eingebracht haben,
sehr beeindruckt.

Herr Fischer, als Sie 1995 in der Opposition waren,
sprachen Sie im Hinblick auf den ersten Tschetschenien-
Konflikt zu Recht von einem „barbarischen Krieg und
grausamen Morden einer nuklearen Supermacht gegen
ein kleines Kaukasusvolk“. Sie beschworen die damalige
Bundesregierung, „endlich eine westliche Initiative gegen
Moskau“ zu ergreifen. Sie haben nun Ihre Aufwartung im
Kreml gemacht, Sie haben mit Herrn Putin gesprochen,
Sie haben auch verbal die Menschenrechte erwähnt, aber
Sie haben das gemacht, was Sie an der damaligen Regie-
rung immer kritisiert haben. Sie haben damals gesagt, das
sei „windelweiche Servilität“. Das ist ein Zitat aus einer
Ihrer Reden in der Opposition.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Es ist natürlich schwierig, in diesem Spannungsfeld

Menschenrechtspolitik zu machen. Das Parlament muss
sich da sehr viel kritischer äußern und versuchen, Druck
auszuüben. Der Einsatz für Menschenrechte heißt, sich
einzumischen; Herr Bindig, Sie haben es zu Recht gesagt.


(Dr. Irmgard Schwaetzer [FDP]: Das ist Servilität bei der eigenen Regierung!)


Es gibt gravierende Menschenrechtsverletzungen in
vielen Teilen der Welt. Deshalb hat die FDP-Bundestags-
fraktion in der gesamten Legislaturperiode eine Vielzahl
von Anträgen zu den Menschenrechten in verschiedenen
Teilen dieser Welt eingebracht, die sich zum Beispiel für
die China-Resolution im Zusammenhang mit der Men-
schenrechtskommission in Genf oder für die Einhaltung
der Menschenrechte in Tschetschenien einsetzten. Ich
verstehe es, dass diese Anträge von den Koalitionsfrak-
tionen abgelehnt worden sind, weil sie sehr scharf formu-
liert waren.

Wir haben jedoch im Menschenrechtsausschuss auch
gemeinsame Initiativen auf den Weg gebracht. Wir hatten
in diesem Ausschuss ein wirklich gutes, sachbezogenes
und auch sehr kollegiales Klima. Dennoch habe ich be-
dauert, dass zum Beispiel unsere Anträge „Für eine deut-
sche Initiative zum Schutz der Binnenvertriebenen“,
„Kinderhandel in Afrika verhindern“ und „Für eine Ver-
einte-Nationen-Resolution zur Ächtung der Gewalt auf
dem ‚Weltkindergipfel‘ in New York“ wohl deshalb, weil
sie von der falschen Fraktion eingebracht wurden, keine
Mehrheit gefunden haben.

Ich freue mich sehr, dass die Initiative von CDU/CSU
und FDP, die auch vom Sonderberichterstatter für den
Sudan, Gerhart Baum, ausgegangen ist, die einstimmige
Zustimmung im Ausschuss gefunden hat. Denn die Men-
schenrechtslage ist dort wieder zunehmend angespannt.
Wir können also nicht sagen, alles sei schon auf einem ei-
nigermaßen zufrieden stellenden Weg.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich würde mich
freuen, wenn Sie dem Antrag der FDP-Fraktion „Skla-

verei weltweit verhindern“ hier doch zustimmen könnten.
Im Ausschuss haben Sie ihn abgelehnt. Ich appelliere an
Sie: Nehmen Sie doch das auf, was Kofi Annan, als er
diese Initiative vorgestellt hat, gesagt hat! Er fordert welt-
weit verstärkte Anstrengungen zur Beseitigung jeglicher
Sklaverei ein. Wenn wir das hier zusammen beschließen
könnten, hätten wir auch eine gute Ausgangslage für un-
sere Haushaltsforderungen, die wir ja schon im Septem-
ber wieder einbringen werden.

Ich bedanke mich für die gute Zusammenarbeit, auch
bei Herrn Poppe. Er hat uns im Ausschuss immer wichtige
Informationen gegeben. Ich bedanke mich besonders bei
all denen, die heute hier das letzte Mal bei einer Men-
schenrechtsdebatte dabei sind und die wir sehr vermissen
werden. Herr Schwarz-Schilling, Herr Geißler, Herr Blüm,
Sie haben sich in Menschenrechtsfragen wirklich sehr ein-
gebracht. Von Ihnen konnte ich immer sehr viel lernen.

Vielen Dank.

(Beifall im ganzen Hause)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1424600800
Dem nächs-
ten Redner gebe ich besonders gern das Wort. Er wurde in
dem Jahr geboren, in dem ich zum ersten Mal in dieses
Parlament gewählt wurde. So vergeht die Zeit.


(Heiterkeit)

Das Wort hat der Kollege Carsten Hübner für die Fraktion
der PDS.


Carsten Hübner (PDS):
Rede ID: ID1424600900
Vielen Dank, Herr Präsident,
für diese freundliche Ansprache.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich werde hier aus
Zeitgründen keine Bilanz der letzten vier Jahre ziehen
können, sondern versuchen, den Bereich der WSK-
Rechte und den Antrag, den wir dazu eingereicht haben,
ins Zentrum meines Beitrags zu rücken.

Vor einigen Monaten hatten wir hier bereits die Gele-
genheit, anhand eines Antrags der Regierungskoalition
über die Bedeutung der wirtschaftlichen, sozialen und
kulturellen Menschenrechte als unverzichtbarer Be-
standteile eines umfassenden Menschenrechtsbegriffs
und der daraus resultierenden Politik zu diskutieren. Da-
mals war mein Einwand, dass im Antrag von Rot-Grün
die Relevanz der wirtschaftlichen, sozialen und kulturel-
len Rechte zwar durchaus richtig beschrieben wurde, dass
aber sämtliche Forderungen an die Bundesregierung völ-
lig unkonkret gehalten wurden und damit wohl auf ab-
sehbare Zeit wirkungslos bleiben werden.

Auch beim jetzt vorgelegten Menschenrechtsbericht
der Bundesregierung ist, von wenigen Ausnahmen abge-
sehen, eher zu konstatieren, dass Papier geduldig ist, als
dass im Bereich der WSK-Rechte die dringend notwendi-
gen Reformschritte auch nur eingeleitet worden wären.
Ich will nicht noch einmal die Zahlen der weltweit Hun-
gernden, der täglich Verhungernden, der Analphabeten,
der Menschen ohne Bildungschancen oder Krankenver-
sorgung bemühen. Sie wissen wie ich, dass es Hunderte
von Millionen sind, die auf diese Weise ihrer fundamen-
talsten Menschenrechte beraubt sind.




Sabine Leutheusser-Schnarrenberger

24863


(C)



(D)



(A)



(B)


Sie wissen wie ich, dass die Bundesrepublik, wenn es
um ihren Entwicklungshilfehaushalt geht, als eines der
reichsten Länder der Erde ein äußerst kritikwürdiges Bild
abgibt. Statt die vor 30 Jahren international vereinbarten
0,7 Prozent des Bruttosozialprodukts für die öffentliche
Entwicklungszusammenarbeit einzusetzen, lag dieser
Anteil 2001 bei gerade 0,27 Prozent. Auch die für das
nächste Jahr angekündigte minimale Erhöhung ändert an
dieser Misere nichts, bleibt sie doch weit hinter den Not-
wendigkeiten zurück. Bis 2006 wird eine Erhöhung des
Etats auf gerade 0,33 Prozent angestrebt, und das, obwohl
sich doch die EU-Staaten insgesamt erst kürzlich immer-
hin auf einen durchschnittlichen Wert von 0,39 Prozent
des Bruttosozialprodukts bis 2006 geeinigt hatten.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, diese Zahlen sagen
deutlich mehr über die politische Wirklichkeit aus als alle
schönen Reden und Papiere. Die Zahlen sind, gemessen
an den Herausforderungen im Bereich der wirtschaftli-
chen, sozialen und kulturellen Rechte, geradezu nieder-
schmetternd. Um es mit einem Wort von Jean Ziegler,
Professor an der Pariser Sorbonne und UNO-Sonderbe-
richterstatter für das Recht auf Nahrung, zu sagen: Wir ha-
ben es, global gesehen, mit einem tagtäglichen „Hunger-
massaker“ zu tun. Deutlicher kann man es wohl nicht
formulieren.

Das aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, hat weder
verhindert, dass die reichsten Staaten mit ihrer Verweige-
rungshaltung die Entwicklungsfinanzierungskonferenz
von Monterrey geradezu ad absurdum geführt haben,
noch dass es in Sevilla unter anderem die Bundesregie-
rung war, die die Streichung der Entwicklungshilfe in Fäl-
len für vertretbar hielt, in denen sich Empfängerländer bei
der Rücknahme von Flüchtlingen nicht kooperativ zeigen.
Nur die Intervention Schwedens und Frankreichs hat die-
ses Sanktionsinstrument – zumindest vorerst – verhindert.
Es gäbe noch eine Reihe weiterer Beispiele. Aus diesem
Grunde muss unzweideutig festgestellt werden: Weder
die Bundesrepublik noch die rot-grüne Bundesregierung
sind, was substanzielle Schritte anbetrifft, gegenwärtig
Trendsetter bei der Durchsetzung der wirtschaftlichen, so-
zialen und kulturellen Rechte auf internationaler Ebene.
Im Gegenteil: Wir sind immer dann Bremser und Schluss-
licht, sobald unsere eigenen Interessen gefährdet erschei-
nen, seien sie nun innenpolitischer, geostrategischer oder
außenwirtschaftspolitischer Natur.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, der vorliegende
Antrag der PDS-Bundestagsfraktion zur Stärkung der
wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte ist im
Gegensatz zum rot-grünen Antrag an konkreten Reform-
schritten ausgerichtet. Er hat sich mit der Debatte von vor
einigen Monaten deshalb nicht erledigt. Ob es um die
Rücknahme der Vorbehalte der Bundesrepublik gegen-
über der UN-Kinderrechtskonvention geht – übrigens ein
bis heute nicht umgesetzter Bundestagsbeschluss –, ob es
analog zum Zivilpakt um die Implementierung eines In-
dividualbeschwerdeverfahrens im Bereich der WSK-
Rechte geht, ob es um die von der UNO angemahnte volle
Gewährleistung der WSK-Rechte gegenüber den hier le-
benden Flüchtlingen geht, ob es um die UN-Konvention
zum Schutz der Rechte von Wanderarbeitern oder um die
ebenfalls vom WSK-Ausschuss der UNO angemeldete

Anhebung der in Ostdeutschland gezahlten Löhne auf
Westniveau geht, in diesen und in vielen weiteren Fällen
ist unser Antrag weitaus konkreter. Wir haben im Grunde
genommen die Forderungen aufgenommen, die auch von
internationaler Seite an die Bundesregierung gestellt und
bis heute nicht erfüllt worden sind. Ich möchte Sie des-
halb bitten, unserem Antrag zuzustimmen. Was hier ge-
fordert wird, entspricht dem Anforderungsprofil, dem die
Bundesrepublik gerecht werden muss.

Dies war meine letzte menschenrechtspolitische Rede,
jedenfalls auf absehbare Zeit. Ich möchte mich für die
sehr kollegiale Zusammenarbeit mit den Mitgliedern des
Ausschusses aus allen Fraktionen bedanken, sowohl für
die Kontroverse als auch für den Dialog.

Danke.

(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU, des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN und der FDP)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1424601000
Die so ge-
nannten letzten Reden in diesem Parlament häufen sich.
Wir haben das gestern auch schon festgestellt. Herr Kol-
lege Hübner, ich danke Ihnen für Ihre Arbeit und wünsche
Ihnen für die Zukunft alles Gute.


(Beifall im ganzen Hause)

Nun erteile ich das Wort der Kollegin Heide

Mattischeck von der SPD-Fraktion.


Heide Mattischeck (SPD):
Rede ID: ID1424601100
Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Noch eine letzte Rede! Ich
freue mich, dass es gelungen ist – nicht meinetwegen,
sondern wegen der Menschenrechte –, zu einer solch pro-
minenten Tageszeit eine Debatte zu den Menschenrechten
stattfinden zu lassen. Ich will mich – die Zeit ist ja immer
relativ knapp – vor allem auf zwei Themen konzentrieren,
die wir in der zu Ende gehenden Legislaturperiode be-
sonders intensiv behandelt haben, und zwar auf die wirt-
schaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte, den so ge-
nannten Sozialpakt, und auf die Menschenrechte im
Zeichen zunehmender Globalisierung.

Die weltweite Durchsetzung der Menschenrechte ist
eine besonders große Herausforderung für Politik, Wirt-
schaft, Gewerkschaften und die Zivilgesellschaft. Sie ist
Voraussetzung für nachhaltige politische Stabilität sowie
für wirtschaftliche und soziale Entwicklung auf der Welt.
Die Entwicklung der Menschenrechte, der bürgerlichen,
politischen, aber vor allem der wirtschaftlichen, sozialen
und kulturellen Rechte, hat mit der technologischen und
der wirtschaftlichen Globalisierung auf der Welt bislang
nicht Schritt gehalten.

In der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte
vom Dezember 1948 stand neben den bürgerlichen und
politischen Rechten ein Katalog der wirtschaftlichen, so-
zialen und kulturellen Rechte. Für Jahrzehnte – das wis-
sen wir besonders im Westen – standen erstere im Mittel-
punkt der öffentlichen Aufmerksamkeit. Doch angesichts
wachsender Umweltzerstörung und hemmungsloser Aus-
beutung der Natur sowie wachsender Armut wurde die




Carsten Hübner
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(D)



(A)



(B)


Forderung nach globalen Vereinbarungen und Verabre-
dungen über Sozial- und Umweltstandards erhoben.
Der Ruf nach Verwirklichung der wirtschaftlichen, sozia-
len und kulturellen Rechte wurde immer lauter. Es reicht
eben nicht aus, dass Individuen frei von Angst leben kön-
nen – so wichtig das auch ist –; es gehört genauso dazu,
dass sie frei von Not leben können.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP und der PDS)


Das internationale Menschenrechtssystem ist die brei-
teste internationale Verabredung über Standards und ver-
tragliche Verpflichtungen, die es gibt. Es ist ein Konsens,
der aber in vielen Ländern der Welt immer wieder grob
missachtet und verletzt wird.

Angesichts der oben erwähnten Auswirkungen der
Globalisierung sind neue Initiativen und breite Dialoge
zur Verwirklichung der wirtschaftlichen, sozialen und
kulturellen Rechte notwendig; denn Gesellschaften, in
denen die WSK-Rechte geachtet und gefördert werden,
sind politisch stabiler und wirtschaftlich erfolgreicher als
solche, in denen gravierende Defizite bestehen. Beispiele
dafür gibt es genug.

Die Bundesregierung hat sich international erfolgreich
dafür eingesetzt, Carsten Hübner, dass die wirtschaft-
lichen, sozialen und kulturellen Rechte in die Europä-
ische Grundrechte-Charta aufgenommen wurden. Ich
gehe davon aus, dass diese Rechte damit auch Bestandteil
einer künftigen europäischen Verfassung sein werden.
Das ist ein wichtiger Beitrag dazu.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Die Bundesregierung hat auch – das wurde vorhin ve-
hement abgestritten – die Frage eines Zusatzprotokolls
zum Internationalen Pakt über die WSK-Rechte in der
Menschenrechtskommission in den letzten Jahren wieder
thematisiert. Davor war der entsprechende Prozess sozu-
sagen eingeschlafen. Dadurch ist der jahrelange Stillstand
bei Verhandlungen über ein Zusatzprotokoll überwunden
worden. Wir wissen aber alle, wie schwierig es ist, im
Rahmen der MRK etwas zu bewirken.

Die Bundesregierung hat sich im Berichtszeitraum in
der MRK aktiv am Verhandlungsprozess zu vielen WSK-
Resolutionen beteiligt: beispielsweise beim Recht auf
Bildung, beim Recht auf Nahrung und beim Recht auf an-
gemessenes Wohnen.

Um die Voraussetzung für eine umfassende Beachtung
der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte zu
verbessern, ist die Schaffung neuer und die Stärkung be-
stehender Durchsetzungs- und Überprüfungsmecha-
nismen ein wichtiges Aufgabenfeld. Das ist auch im Men-
schenrechtsbericht nachzulesen.

Dazu zählt insbesondere die Entwicklung von Indika-
toren und Richtwerten, in erster Linie aber auch die Frage
eines individuellen Beschwerdeverfahrens im Rahmen ei-
nes Zusatzprotokolls. Das haben wir auch in unserem An-
trag zu den WSK-Rechten sehr deutlich gemacht. Wir
meinen, dass hier dringender Handlungsbedarf besteht.

Wir würden uns freuen, wenn die neue Bundesregierung
in diesem Sinne weiter agieren würde.

Die Bundesregierung steht – das ist neu in dieser Le-
gislaturperiode – einem Beschwerdeverfahren zur Einhal-
tung der WSK-Rechte trotz noch ungeklärter Fragen bei
der Justiziabilität aufgeschlossen gegenüber. Ich denke
– ich beschäftige mich schon relativ lange mit diesem
Thema –, das ist ein Fortschritt gegenüber den letzten Jah-
ren.

Nun ist es aber so, dass Pakte, Normen und – so heißt
es heute – Benchmarking die eine Seite sind. Die Realität,
dass über 800 Millionen Menschen auf der Welt hungern,
ist die andere Seite. Armut ist das Grundproblem des be-
ginnenden neuen Jahrhunderts. Vor diesem Hintergrund
haben sich die Staats- und Regierungschefs dem Ziel ver-
pflichtet, bis zum Jahre 2015 den Anteil der extrem armen
Menschen in der Welt zu halbieren.

Die Bekämpfung der weltweiten Armut ist vorrangig
eine globale Aufgabe, die über die herkömmliche Ent-
wicklungspolitik hinausgeht. Das ehrgeizige Ziel, die Ar-
mutshalbierung bis zum Jahr 2015 zu erreichen, ist nicht
in erster Linie mit Haushaltsmitteln aus der Entwick-
lungszusammenarbeit zu erzielen. Aber keine noch so an-
gespannte Haushaltssituation darf uns daran hindern, die
Haushaltsmittel für Entwicklungshilfe kontinuierlich
zu erhöhen. Das ist mein Appell an das neue Parlament im
Herbst.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Die universelle Wahrung der Menschenrechte ist vor
allem eine Aufgabe von Staaten. Darüber sind wir uns ei-
nig. Aber bereits die Allgemeine Erklärung der Men-
schenrechte von 1948 verpflichtet auch Einzelne und alle
Organe der Gesellschaft, zu ihrer Verwirklichung beizu-
tragen. Ich meine, dass gerade die großen internationalen
Akteure, die so genannten Global Players, in der Ver-
pflichtung stehen.

Vor diesem Hintergrund hatte Kofi Annan auf dem
Weltwirtschaftsforum in Davos im Jahre 1999 seine Ini-
tiative zu einem globalen Pakt vorgestellt. Dieser globale
Pakt hat das Ziel, die Zusammenarbeit zwischen der
UNO und Wirtschaftsunternehmen im Sinne der
Durchsetzung der Menschenrechte nutzbar zu machen.
Die beteiligten Unternehmen sind aufgefordert, sich neun
der zentralen Prinzipien zum Schutz der Menschenrechte
und zu Sozial- und Umweltstandards zu Eigen zu machen.
Drei davon möchte ich nennen: Sie sollen sicherstellen,
dass sie sich nicht zum Komplizen von Menschenrechts-
verletzungen in anderen Ländern machen. Sie sollen zur
tatsächlichen Abschaffung der Kinderarbeit beitragen und
sie sollen Initiativen zur Förderung eines verantwortli-
cheren Umgangs mit der Umwelt durchführen. Ende 2001
betrug die Zahl der mitwirkenden Firmen weltweit mehr
als 500. Es werden zwar ständig mehr; aber das reicht
noch lange nicht aus. Die Bundesregierung unterstützt
diesen Global Compact in vielfältiger Weise, zum Bei-
spiel durch Anschubfinanzierungen.

Ob allerdings auf Dauer – auch das möchte ich an die-
ser Stelle ansprechen; denn es gab daran breite Kritik –




Heide Mattischeck

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freiwillige Vereinbarungen ausreichen, um Menschen-
rechte zu globalisieren, daran kann man füglich zweifeln.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Dies muss auch durch andere Initiativen befördert wer-
den – ich habe bereits davon gesprochen –: durch die Ge-
währung wirtschaftlicher und sozialer Rechte und die Be-
achtung des Fakultativprotokolls. So gut und wichtig
freiwillige Vereinbarungen sind, so wichtig ist es, die
Rahmenbedingungen anders zu gestalten.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die Globalisierung braucht ein politisch gestalteri-
sches Korrektiv, sonst wird sich die Ungerechtigkeit
in der Welt weiter vermehren.

So Außenminister Fischer auf der 55. UN-Vollversamm-
lung. Ich füge hinzu: Nicht nur die Ungerechtigkeit wird
sich vermehren, sondern auch die Instabilität.

Von der weiten Welt komme ich nun wieder zu uns
zurück: Wir können mit unseren relativ großen Möglich-
keiten dazu beitragen, Gerechtigkeit und Stabilität auf
der Welt zu verbessern und sicherzustellen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der FDP und der PDS)


Wir haben also noch sehr viel zu tun. Wenn ich sage „wir“,
dann meine ich damit, dass ich auch in der nächsten Le-
gislaturperiode von außen die eine oder andere E-Mail
schicken werde, um darauf hinzuweisen, was es noch zu
tun gibt und was zu unterstützen ist.

Wie ich schon erwähnte, gehöre ich in die Reihe derje-
nigen, die in diesen Tagen ihre letzte Rede im Deutschen
Bundestag halten. Ich möchte trotz einiger kleiner Seiten-
hiebe, die in solch einer Debatte natürlich auch vorkom-
men – über Stilfragen zum Beispiel würde ich mich gerne
einmal unterhalten –, Dank sagen an die Kollegen und
Kolleginnen im Ausschuss. Ich kann nur sagen, dass un-
sere Zusammenarbeit gut war und dass man immer darum
bemüht war, ein positives Ergebnis zu erzielen. Wenn wir
nicht immer zu Übereinstimmungen gekommen sind,
dann ist das ein Zeichen für ein demokratisches Parla-
ment.

Bei aller Kritik, die ich zum Teil teile, möchte ich auch
Dank an die vielen Ministerien sagen, die wir inzwischen
mit unseren Problemen beschäftigen. Wir sind ja nicht
nur, wie es früher war, mit dem Auswärtigen Amt verban-
delt, sondern auch mit dem Ministerium für Arbeit und
Sozialordnung, dem für wirtschaftliche Zusammenarbeit
und Entwicklung, dem der Justiz, dem für Familie, Seni-
oren, Frauen und Jugend und weiteren. Diese mussten
sich erst – zum Teil haben sie es noch nicht ganz getan –
an unsere „Einmischung“ gewöhnen. Wir haben noch ei-
niges zu tun. Aber ich glaube, wir sind auf diesem Wege
ein gutes Stück vorangekommen.

Ich wünsche dem künftigen Ausschuss für Menschen-
rechte und humanitäre Hilfe ein weiterhin gutes Klima

und vor allen Dingen weitere wichtige Erfolge bei der
Verbesserung der Situation der Menschenrechte bei uns
und weltweit.

Herzlichen Dank.

(Beifall im ganzen Hause)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1424601200
Die Kolle-
gin Mattischeck gehört dem Deutschen Bundestag seit
zwölf Jahren, seit 1990, an. Das Gleiche gilt für die
nächste Rednerin, die Kollegin Monika Brudlewsky. Bei-
den danken wir für ihre Arbeit und beiden wünschen wir
alles Gute für die Zukunft.


(Beifall im ganzen Hause)

Nun hat für die CDU/CSU-Fraktion die Kollegin

Brudlewsky das Wort zu ihrer letzten Rede.


Monika Brudlewsky (CDU):
Rede ID: ID1424601300
Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! In den vergangenen
zwei Jahren begab ich mich in Begleitung der Menschen-
rechtsorganisation „Hoffnungszeichen“ in eigentlich völ-
lig unzugängliche Rebellengebiete im Süden des Sudans.
Mit Zelten waren wir unterwegs und konnten so in klei-
nen Ortschaften mit den Einheimischen leichter ins Ge-
spräch kommen. Die Menschen dort leben zum großen
Teil in Angst vor Bombardierung oder gewaltsamer Ent-
führung.

Nach einer Anhörung mit dem UNO-Sonderbeauftrag-
ten für den Sudan Gerhart Baum ist der Antrag, der sich
mit dem Friedensprozess im Sudan befasst, entstanden.

In dem Antrag wird gleich zu Beginn als positives Zei-
chen auf den Waffenstillstand in den Nuba-Bergen, der
seit Januar dieses Jahres von beiden Seiten eingehalten
und jetzt sogar für weitere sechs Monate verlängert
wurde, hingewiesen – ein wirklich gutes Zeichen, das
aber leider wieder von negativen Ereignissen in anderen
Teilen diesen größten Landes Afrikas überschattet wird.

Durch einige sehr achtbare Organisationen wissen wir,
dass noch am 13. Juni 36 Flugpisten von der Regierung für
Hilfsflüge der UN – „Operation Lebenslinie Sudan“ – ge-
sperrt waren und damit 39 Orte von jeder humanitären
Hilfe ausgenommen wären. Wenn das nicht unterdessen
geändert worden ist, sind jetzt zu Beginn der Regenzeit
rund 1,7 Millionen Menschen dem Hunger überlassen.

Von der Botschaft der Republik Sudan hier in Berlin
wurde uns eine Erklärung zu unserem Antrag zugesandt.
Darin wird unter anderem sehr deutlich die Glaubwürdig-
keit derer angezweifelt, welche über Bombardements auf
zivile Ziele im Süden des Sudans berichten.

Wir haben bei unseren Reisen im Süden wiederholt
feststellen müssen, dass Bombardements wahllos auf
Dörfer, auf Kirchen, auf Krankenhäuser erfolgten, bei de-
nen nicht eine Spur von militärischen Einrichtungen der
Rebellen zu entdecken waren. Die letzte uns bekannt
gewordene Bombardierung fand am 23. Juni, also erst
vor fünf Tagen, in der Ortschaft Malwal Kon im Gebiet
Bahr-el-Ghazal statt. Wiederum sind vier zivile Opfer zu
beklagen.




Heide Mattischeck
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(D)



(A)



(B)


Zum Thema Entführungen wurde mir in Khartoum
das Phänomen der Stammesfehden um Wasser und Wei-
deland, das seit Jahrhunderten bestehe, immer wieder als
Begründung genannt. Dazu muss ich sagen, dass ich bei
meinen Reisen in den vergangenen Jahren im Süden viele
Menschen in den verschiedensten Gebieten und Dörfern
befragen konnte. Hier war vielmehr von furchtbaren
Überfällen die Rede, von berittenen Arabern, teilweise als
Soldaten der Regierung, teilweise als regierungskontrol-
lierte Milizen erkennbar, die in großer Schar meistens im
Morgengrauen in die Ortschaften eindrangen, alles, was
sich ihnen in den Weg stellte, töteten, Frauen und Kinder
gewaltsam verschleppten. Frauen wurden vergewaltigt,
Kinder in Lagern unter Repressalien zum islamischen
Glauben umerzogen.

Was ich hier sage, ist in vielen Berichten von NGOs, so
auch von der Menschenrechtsgruppe „Hoffnungszei-
chen“, dokumentiert und könnte ohne Namenspreisgabe
im Auswärtigen Amt eingesehen werden.

Die Kritik der sudanesischen Regierung an den so ge-
nannten Sklavenfreikäufen möchte ich allerdings aus-
drücklich unterstützen, weil das wirklich kein Weg ist, die
Entführungen zu unterbinden. Und ich möchte von dieser
Stelle aus meinen Appell vor allem nach Amerika und in
die Schweiz wiederholen, mit diesen unsinnigen Freikäu-
fen nicht fortzufahren.

Die Regierung in Khartoum betont stets die Religions-
freiheit in ihrem Lande. Man weist auf überfüllte Kirchen
und auf die Kathedrale in Khartoum hin. Jedoch wenige
hierzulande wissen, dass in den letzten Jahren zwar viele
kirchliche Bauten zerstört wurden, dass aber kein kirchli-
cher Neubau genehmigt wurde und dass immer wieder
Bulldozer unter Armeeschutz primitivste Versammlungs-
räume von Christen zusammenschieben, oft unter dem
Vorwand, dass dort eine Straße entstehen solle oder dass
dieser Raum ohne Genehmigung gebaut worden sei.

Der Religionsminister hat in einem internen Gespräch
mit einem Repräsentanten unseres Landes meine Aussage
indirekt bestätigt, indem er zugab, dass es seit Jahr und
Tag keinen Antrag auf einen Kirchenneubau gegeben
habe. Natürlich haben die christlichen Gemeinschaften
solcherlei Antragstellung vor Jahren irgendwann sein ge-
lassen, weil es stets nur Ablehnungen gab.

Es gibt vor allem im Norden des Landes eine zermür-
bende und schleichende Diskriminierung von Christen,
die in der Welt kaum noch zur Kenntnis genommen und
oft einfach ignoriert wird.

Im Gespräch mit Vertretern verschiedenster christli-
cher Kirchen wurde mir die Ohnmacht gegenüber den
Verhältnissen vor Augen geführt. Besonders gefährlich ist
die Situation bei einer Konversion vom Islam zum christ-
lichen Glauben. Von da an sind diese Menschen in Todes-
gefahr; denn laut Scharia, die im Norden für alle gilt,
droht Menschen, die dem Islam den Rücken kehren, heute
noch die Todesstrafe.

Ein großes Problem stellt im Sudan weiterhin das
Thema Genitalverstümmelung dar, obwohl sie seit eini-
ger Zeit gesetzlich verboten ist. Man berichtete mir, dass
dieser Tage sogar eine Klinik eröffnet wurde, in der Be-

schneidungen der leichteren Form vorgenommen werden
sollen. Dabei wurde argumentiert, dass dort wenigstens
unter sterilen Bedingungen gearbeitet wird, während Kur-
pfuscherinnen mehr Schaden anrichten.

Zum Abschluss meiner Reise vom 1. bis 6. Juni in
Khartoum durfte ich das Frauengefängnis von Omdur-
man, das auch schon Herrn Gerhart Baum präsentiert
wurde, besichtigten. Als ich die vielen jungen Mütter mit
ihren Kindern auf engstem Raum versammelt sah, ging
mir deren Schicksal sehr nahe. Ein großer Teil der Frauen
saß wegen Zahlung mit ungedeckten Schecks ein, ein Ver-
gehen, das aus lauter Verzweiflung aufgrund der Armut
unsinnigerweise begangen wird. Auf meine Frage, wann
diese Frauen aus dem Gefängnis freikämen, sagte man
mir: wenn sie ihre Schulden bezahlt hätten. Wann werden
diese Frauen wohl freikommen?

Bei dem Bemühen um den Friedensprozess möchte ich
ausdrücklich unserem deutschen Botschafter Matthias
Meyer und seinem Arbeitsstab in der Botschaft in Khar-
toum danken. Herr Botschafter Meyer lässt es an der nöti-
gen Diplomatie nicht fehlen, aber er spricht auch da, wo
er es für nötig hält, eine deutliche Sprache. Er wird von
Regierungsvertretern und oppositionellen Gruppen als
Gesprächspartner sehr geschätzt.

Frieden kann nur werden, wenn Gerechtigkeit und Ver-
gebung gleichermaßen zur Sprache kommen. Wir deut-
schen Parlamentarier wünschen den liebenswerten Men-
schen im Sudan so sehr, dass der Frieden kein Traum
bleibt.

Da dies meine letzte Rede in diesem Parlament ist,
möchte ich auf diesem Wege noch einmal allen Kollegin-
nen und Kollegen für das gute Miteinander in all den
zwölf Jahren danken. Ich wünsche mir, dass von diesem
Parlament weiterhin gute Entscheidungen für unser Va-
terland ausgehen. Dazu wünsche ich Gottes Segen.

Danke.

(Beifall im ganzen Hause)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1424601400
Ich gebe
nunmehr dem Bundesaußenminister Joseph Fischer das
Wort.


(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Noch eine Abschiedsrede!)



Joseph Fischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1424601500

Herr Merz, Sie werden sich täuschen, wie schon so oft.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Ich sehe, Sie bewerben sich hier. Das ist auch so in Ord-
nung. Ich glaube nur, die Wählerinnen und Wähler wer-
den Ihnen eine klare Absage erteilen.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Friedrich Merz [CDU/CSU]: Rauschender Beifall!)


Ich möchte zu unserem ernsten Thema zurückkom-
men. Ich würde gerne Ihre Polemik aufnehmen, aber ich




Monika Brudlewsky

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(D)



(A)



(B)


lasse das, weil das Thema dafür zu ernst ist. In meiner kur-
zen Redezeit ist es sehr schwierig, auf das gesamte Spek-
trum einzugehen. Menschenrechtspolitik ist die zentrale
Aufgabe deutscher Außenpolitik, ich behaupte sogar, es
ist die Hauptaufgabe der internationalen Politik im
21. Jahrhundert. Das werde ich gleich noch begründen.
Die Abgeordneten haben heute zu Recht die ganze Band-
breite der Menschenrechtsproblematik angesprochen.
Dazu gehören die wirtschaftlichen und sozialen Rechte
sowie die strukturellen Fragen der Entwicklung und der
Krisenbewältigung. Diese sind besonders wichtig, da es
im Rahmen der aktuellen Konflikte – dazu gehören re-
gionale, Gruppen-, aber auch länderübergreifende Kon-
flikte – immer wieder zu lang anhaltenden schwersten
Menschenrechtsverletzungen kommt. Das alles haben wir
im Menschenrechtsbericht ausführlich dargestellt, des-
halb werde ich darauf in der mir verbleibenden Redezeit
nicht im Einzelnen eingehen.

Für uns war die Menschenrechtspolitik von zentraler
Bedeutung. Wir haben in den Länderberichten dokumen-
tiert, wie wir die Akzente neu setzen werden. Lassen Sie
mich hinzufügen: Wir sehen auch im eigenständigen
Menschenrechtsausschuss – das ist meine Erfahrung –
einen großen Fortschritt. Ich möchte mich hier für die gute
Zusammenarbeit nochmals recht herzlich bedanken.

Mir ist klar, dass diejenigen, die sich für die Men-
schenrechte einsetzen – einzelne Abgeordnete, die Frak-
tionen, auch die Opposition, vor allen Dingen aber die
Nichtregierungsorganisationen –, immer wieder Druck
ausüben müssen. In einer Welt, in der es zu schwersten
Menschenrechtsverletzungen kommt, ist dieser Druck
notwendig. Das bedeutet auch Kritik und mit dieser Kri-
tik muss jede Regierung leben und versuchen, ein Maxi-
mum davon umzusetzen. Wir haben in den vergangenen
Jahren versucht, das in der Menschenrechtspolitik zu tun.

Es wurde zu Recht gefordert – die Kollegin Nickels hat
viele sehr bedenkenswerte und auch meine Sorgen betref-
fende Fragen im Zusammenhang mit der Bekämpfung
des Terrorismus aufgeworfen –, dass es hier keinen An-
titerrorrabatt geben darf. Dem stimme ich ausdrücklich
zu. Aber ich möchte auch darauf hinweisen, dass der
Kampf gegen den internationalen Terrorismus zugleich
klar macht, dass die Bedeutung der Menschenrechte für
Frieden und Stabilität im 21. Jahrhundert jetzt ein ganz
anderes Gewicht bekommen hat. Denn wenn wir die Lek-
tion des 11. September wirklich ernst nehmen, so ist das
Erste, was wir zu lernen haben, dass sich die erste Welt in
dieser globalisierten Welt, der einen Welt, nicht von den
Problemen der dritten Welt wird trennen können. Wenn
diese Probleme dort nicht gelöst werden, werden sie uns
über kurz oder lang in der ersten Welt einholen. Insofern
ist die Konsequenz aus dem 11. September, aus dem in-
ternationalen Terrorismus, natürlich nicht nur, dass man
dem Terror entgegentreten muss, nicht nur, dass man ihn
bekämpfen muss, sondern dass man die Lebenschancen
für viele Menschen in dieser einen Welt verbessern muss.


(Beifall im ganzen Hause)

Verbesserung der Lebenschancen heißt außerdem – da

geht Menschenrechtspolitik heute weit über die klassi-
sche Menschenrechtspolitik hinaus –: Es wird keine Ver-

besserung der Lebenschancen in weiten Teilen der Welt
geben, wenn dort nicht Verfassungsstaat, Demokratie
und Achtung derMenschenrechte durchgesetzt werden.
Das ist doch die Erfahrung, die wir gegenwärtig machen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Das ist auch das, was wir mit Russland im Zusam-

menhang mit Tschetschenien diskutieren. Tschetsche-
nien ist nicht nur eine humanitäre Katastrophe, es ist nicht
nur moralisch verwerflich, was dort geschieht, sondern es
blockiert auch die Entwicklung der russischen Demokra-
tie. Eine Demokratie kann so nicht mit ihren eigenen Bür-
gerinnen und Bürgern umgehen, wie dies in Tschetsche-
nien geschieht. Dies hat die Bundesregierung, dies habe
ich immer wieder mit allem Nachdruck der russischen
Seite gegenüber klar gemacht. Wir brauchen dort eine po-
litische Lösung auf der Grundlage der Menschenrechte.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der PDS)


Ich habe auch der chinesischen Seite immer wieder
klar gemacht: Es ist auch eine Frage des Minderheiten-
rechtes, des Minderheitenschutzes. Man kann aufbegeh-
rende Minderheiten, die dies friedlich, die dies gewaltfrei
tun, nicht mit Terroristen sozusagen unter einen Hut
stecken. Das geschieht jetzt sehr weit. In Zentralasien, in
anderen Ländern begegnet mir dies immer wieder. Ich
habe der chinesischen Seite in vielen Gesprächen klar ge-
macht – Sie werden das den Berichten entnehmen können,
die für den Ausschuss zugänglich sind –, dass es für uns
auf der Grundlage der Ein-China-Politik – wir unterstüt-
zen keinen Separatismus – eine Selbstverständlichkeit ist,
dass Minderheiten in ihrer kulturellen Identität, in ihren
Autonomierechten geschützt werden müssen und dass
dies nicht im Widerspruch zur Ein-China-Politik steht.
Moderne Entwicklung bedeutet nicht nur, Marktwirt-
schaft einzuführen, sondern diese marktwirtschaftliche
Entwicklung wird meines Erachtens das Problem in sich
bergen, dass sie starke korruptive Kräfte befördert, wenn
es keine Transparenz gibt, wenn es nicht Demokratie und
Rechtsstaat gibt.

Das heißt hier: Der Schutz von Dissidenten, der Schutz
von Demokraten, die immer noch zu schwersten Strafen
verurteilt werden, ist eine unserer Hauptsorgen. Ich habe
das zuletzt nochmals in einer sehr offenen und klaren
Rede vor der Menschenrechtskommission in Genf ange-
sprochen. Die chinesische Seite hat ja auch entsprechend
reagiert.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Das gilt auch für religiöse Minderheiten. Uns ist in

der Tat nicht nur hier im Inland religiöse Toleranz ein ho-
hes Gut, sondern selbstverständlich setzen wir uns für re-
ligiöse Minderheiten – das heißt in diesem Falle: auch für
christliche Minderheiten beider großen christlichen Kon-
fessionen – ein, nicht nur in Vietnam, sondern auch in
China. Auch das ist ein ständiges Thema.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Die Todesstrafe ist ein weiterer wichtiger Punkt, bei
dem Europa eine Leitfunktion hat. Ich bin mir sicher, die




Bundesminister Joseph Fischer
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(D)



(A)



(B)


Europäer werden das dickschädelig durchsetzen. Wir
werden, wenn wir langen Atem behalten, letztendlich die
Ächtung der Todesstrafe durchsetzen, nicht überall, aber
weitgehend, zumindest bei unseren wichtigsten Partnern.
Insofern war es auch wichtig, dass die Bundesregierung
gegenüber den USA die Klage vor dem Internationalen
Gerichtshof durchgehalten und gewonnen hat.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)


Meine Damen und Herren, ich könnte noch viele Ein-
zelpunkte ansprechen, die mir am Herzen liegen. Wir
werden es nicht akzeptieren – das würde bei uns zu einer
Veränderung der Politik führen –, wenn Afghanistan
Frauenrechte wieder einschränken oder gar zum Scharia-
recht à la Taliban zurückkehren würde. Dies halten wir
nicht für vereinbar mit unseren Grundpositionen, mit den
Menschenrechtspositionen, die unser Land prägen. Das
ist eine Grundlage unserer Politik, ich hoffe unser aller
Politik; das ist nicht nur eine Position der Bundesregie-
rung, sondern des gesamten Hauses.

Lassen Sie mich noch eines ansprechen, was mich ganz
aktuell sehr bedrängt. Das ist Simbabwe.Was wir dort er-
leben, geschieht aus wirklich verwerflichen politischen
Machterhaltungsgründen. Ein Freiheitskämpfer wird dort
zu einem Unterdrücker.

In Simbabwe erleben wir jetzt schwerste Menschen-
rechtsverletzungen zum Zwecke des Machterhalts. Wir
erleben, wie eines der reichsten Länder des südlichen
Afrikas, das eigentlich gemeinsam mit Südafrika im Rah-
men eines Regionalansatzes Stabilität, Nahrungsmittel
sowie Konfliktlösungen auf friedlichem Wege exportie-
ren müsste, im Chaos versinkt. Wir werden demnächst vor
schlimmen Bedrohungen für die Menschen dort stehen,
nämlich dem Hunger, während gleichzeitig den Farmern
verboten wird, anzubauen und zu arbeiten. Wenn es nicht
so schlimm wäre, wäre es eine Groteske. Es ist aber viel
zu schlimm, um als Groteske bezeichnet zu werden.

Auch dies macht klar, wie wichtig Regionalansätze
sowie die Verknüpfung von Demokratie und wirt-
schaftlicher Entwicklung sind. Wenn wir im 21. Jahr-
hundert eines zu beherzigen haben – deswegen halte ich
den selbstständigen Menschenrechtsausschuss für unbe-
dingt geboten –, dann ist es eine Politik, die darauf zielt,
dass Menschenrechte nicht mehr nur eine Frage des aktu-
ellen Gruppenschutzes oder der aktuellen Konfliktinter-
vention sind, sondern eine Frage der Durchsetzung
rechtsstaatlicher Grundsätze.

Nur rechtsstaatliche Grundsätze, die dauerhaft im-
plementiert werden, garantieren Entwicklungschancen.
Ohne diese Entwicklungschancen gibt es keinen Frieden.
Ohne diese Entwicklungschancen gibt es keine wirkliche
Terrorbekämpfung, die nachhaltig ist und in den Köpfen
und Herzen von Millionen von Menschen eine andere
Perspektive eröffnet. Deswegen hat die Menschenrechts-
politik meines Erachtens eine zentrale Bedeutung in der
Friedens- und Sicherheitspolitik für unsere Zukunft und
für die Welt im 21. Jahrhundert.

Ich möchte mich bei allen Kollegen, die jetzt ausschei-
den, recht herzlich bedanken. Darunter sind einige – Herr

Schwarz-Schilling, an diesem Punkt bezeichne ich mich
auch noch als jünger –, von denen wir zwei Dinge gelernt
haben: zum einen in der Sache ganz energisch – auch ge-
gen Mehrheiten – zu kämpfen und zum anderen nicht auf
die Position im eigenen Verein zu schauen. Ich erwähne
hier besonders die Opposition, könnte aber auch in die ei-
genen Reihen schauen. Es ist aber oft besser, auf die an-
deren zu schauen.

Wir haben immer wieder versucht, Frau Leutheusser-
Schnarrenberger, auch auf die Erfahrungen von Op-
positionsabgeordneten oder ehemaligen Regierungsmit-
gliedern wie von Ihnen oder dem Kollegen Baum
zurückzugreifen. Ich finde, dieser gemeinsame Ansatz hat
– trotz aller Kritik, die es selbstverständlich geben muss –
unsere Position als Land und unsere Menschenrechtspoli-
tik gestärkt. Ich möchte mich bei allen Kollegen, die aus-
scheiden, auch beim Kollegen Hübner – wir haben uns
oft gestritten, dennoch habe ich Ihre Arbeit als sehr wert-
voll empfunden –, recht herzlich bedanken und wünsche
Ihnen alles Gute.


(Beifall im ganzen Hause)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1424601600
Zu einer
Kurzintervention gebe ich dem Kollegen Hermann Gröhe
das Wort.


Hermann Gröhe (CDU):
Rede ID: ID1424601700
Herr Bundesaußenmi-
nister, ich möchte mich ausdrücklich für Ihre deutlichen
Worte zur Lage in Simbabwe bedanken. Ich glaube, dass
an der Situation in diesem Land besonders der Zusam-
menhang zwischen Freiheitsrechten sowie sozialen und
kulturellen Rechten deutlich wird. Es begann sozusagen
mit einem Wahlbetrug, mit dem Entzug von politischen
Freiheitsrechten und droht jetzt zu einer Hungerkata-
strophe zu werden.

Ich hätte mich aber gefreut, wenn ein Antrag der Uni-
onsfraktion, der genau diese Lage in Simbabwe in diesen
Tagen anspricht, die Zustimmung im Hause hätte finden
können. Für die Klarstellung heute dennoch herzlichen
Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1424601800
Ich schließe
die Aussprache.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 14/9323 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. – Das Haus ist damit
einverstanden. Dann ist die Überweisung so beschlossen.

Tagesordnungspunkt 22 b: Wir kommen zur Abstim-
mung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für
Menschenrechte und humanitäre Hilfe auf Drucksa-
che 14/9471 zu dem Antrag der Fraktion der FDPmit dem
Titel „Sklaverei weltweit verhindern“. Der Ausschuss
empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/8280 abzuleh-
nen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer
stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussemp-
fehlung ist mit den Stimmen von SPD und Bündnis 90/
Die Grünen gegen die Stimmen von CDU/CSU, FDP und
PDS angenommen.




Bundesminister Joseph Fischer

24869


(C)



(D)



(A)



(B)


Tagesordnungspunkt 22 c: Abstimmung über die Be-
schlussempfehlung des Ausschusses für Menschenrechte
und humanitäre Hilfe auf Drucksache 14/9484 zu dem
Antrag der Fraktion der CDU/CSU mit dem Titel „Lage
der Menschen- und Minderheitenrechte in Vietnam“. Der
Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/8483
in der Ausschussfassung anzunehmen. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? –
Enthaltungen? – Diese Beschlussempfehlung ist einstim-
mig angenommen.

Tagesordnungspunkt 22 d: Abstimmung über die Be-
schlussempfehlung des Ausschusses für Menschenrechte
und humanitäre Hilfe auf Drucksache 14/9485 zu dem
Antrag der Fraktion der CDU/CSU und der Fraktion der
FDP mit dem Titel „Den Friedensprozess im Sudan in
Gang setzen und nachhaltig fördern“. Der Ausschuss
empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/8481 anzuneh-
men. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussemp-
fehlung ist mit den Stimmen des Hauses bei Enthaltung
der Fraktion der PDS angenommen.

Tagesordnungspunkt 22 e: Abstimmung über die Be-
schlussempfehlung des Ausschusses für Menschenrechte
und humanitäre Hilfe auf Drucksache 14/9486 zu dem
Antrag der Fraktion der PDS mit dem Titel „Konkrete
Maßnahmen zur Stärkung wirtschaftlicher, sozialer und
kultureller Rechte ergreifen“. Der Ausschuss empfiehlt,
den Antrag auf Drucksache 14/8502 abzulehnen. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt da-
gegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist
mit den Stimmen des Hauses gegen die Stimmen der PDS
angenommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 23 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Arbeit und Sozialord-
nung (11. Ausschuss) zu dem Antrag der Abge-
ordneten Gerald Weiß (Groß-Gerau), Karl-Josef
Laumann, Brigitte Baumeister, weiterer Abgeord-
neter und der Fraktion der CDU/CSU
Kapitalteilhabe stärken – Vermögensbildungs-
förderung altersvorsorgegerecht ausbauen
– Drucksachen 14/6639, 14/9401 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Wolfgang Grotthaus

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und gebe als erster Redne-
rin der Kollegin Silvia Schmidt für die Fraktion der SPD
das Wort.


Silvia Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1424601900
Sehr geehrter Herr
Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich
weiß nicht recht, ob der vorliegende Antrag der
CDU/CSU-Fraktion immer noch ernst gemeint ist.
Schließlich ist er schon ein Jahr alt. In der Zwischenzeit
hat die Position der CDU/CSU zur privaten Altersvor-
sorge einige Kapriolen geschlagen. Soweit ich informiert

bin, lehnen Sie im Augenblick das Altersvermögensgesetz
ab, weil es Ihnen zu kompliziert erscheint.


(Klaus Brandner [SPD]: PISA! – Dr. Irmgard Schwaetzer [FDP]: Frau Kollegin, irgendwie reden Sie über etwas anderes!)


Ich weiß zwar nicht, welche Position Sie dazu in den
nächsten Wochen vertreten werden, aber Ihre augenblick-
lichen Verlautbarungen passen nun wirklich nicht zu dem
vorliegenden Antrag.


(Beifall bei der SPD)

Der Antrag würde die Materie Altersversorgung

tatsächlich viel komplizierter machen. Deshalb sagte ich
schon eingangs, dass ich ratlos bin, ob ich Ihren Antrag
ernst nehmen soll. Sie schreiben in Ihrem Antrag, dass die
Bundesregierung die Mitarbeiterbeteiligung „ohne trif-
tigen Grund“ beim Altersvermögensgesetz nicht berück-
sichtigt hat. Ohne triftigen Grund? Wenn Sie das noch im-
mer behaupten – das sollten Sie wissen –, dann stehen Sie
mit Ihrer Aussage ziemlich allein da.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Was sagte zum Beispiel Herr Professor Dr. Wagner
vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung bei der
Anhörung? Produktivvermögen im Sinne von direkten
Beteiligungen an Unternehmen ist als eine Anlageform
für breite Bevölkerungsgruppen nur bedingt geeignet, ins-
besondere nicht für Zwecke der Altersversorgung. Er
sagte weiter: Es ist daher sinnvoll, dass die Mitarbeiter-
beteiligung nicht in die Förderung nach dem Altersver-
mögensgesetz aufgenommen worden ist.


(Dr. Irmgard Schwaetzer [FDP]: Auch eine inhaltliche Begründung wäre gut!)


Selbst die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeit-
geberverbände mahnt für die Altersversorgung eine an-
gemessene Risikostreuung an. Davon kann natürlich
bei unmittelbaren Unternehmensbeteiligungen überhaupt
nicht ausgegangen werden.

Als Abgeordnete aus den neuen Bundesländern erlebe
ich immer wieder, dass man um seinen Arbeitsplatz ban-
gen muss, weil die Unternehmen in ihrer Existenz bedroht
sind. Wollen Sie tatsächlich, dass Arbeitnehmer beim Ver-
lust des Arbeitsplatzes auch noch den Verlust ihrer Alters-
versorgung befürchten müssen? Ich unterstelle Ihnen ein-
mal, dass Sie das nicht wollen. Verstehen Sie jetzt, warum
die Ernsthaftigkeit Ihres Antrags bezweifelt werden muss?

Kommen wir nun zu den Kosten, die Ihr Vorhaben
nach sich ziehen würde. Dabei geht es um etwa 1 Milli-
arde Euro. Mir ist zwar bekannt, dass Sie in Sachen Schul-
den machen auf eine langjährige Erfahrung zurückgreifen
können – Ihr Wahlprogramm zeigt auch, dass Sie noch
nichts davon verlernt haben –,


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


aber dann seien Sie bitte auch so ehrlich, die Bürgerinnen
und Bürger darauf hinzuweisen, dass für die Umsetzung
Ihres Vorschlags ein Griff in das Staatssäckel nötig ist.
Stattdessen behaupten Sie aber ernsthaft, die Kosten




Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters
24870


(C)



(D)



(A)



(B)


durch so genannte Umschichtungen decken zu können.
Weniger konkret und weniger realistisch geht es wohl
kaum noch.

Wenn Sie Ihre milliardenschweren Versprechungen
durch Umschichtungen finanzieren wollen, können Sie so
viel umschichten, wie Sie wollen, eine wundersame Geld-
vermehrung wird Ihnen dadurch nicht gelingen.

In Ihrem Antrag gibt es noch weitere Ungereimtheiten.
In den Diskussionen um das Betriebsverfassungsgesetz
haben Sie Farbe bekannt und eine Ausweitung der be-
trieblichen Mitbestimmung deutlich abgelehnt. Was aber
dürfen wir in dem Antrag lesen, den Sie jetzt vorgelegt ha-
ben? Sie fordern die Beteiligung derArbeitnehmer und
Arbeitnehmerinnen am Produktivvermögen, weil das
gesellschaftspolitisch gewünscht wird. Wie soll denn das
zusammenpassen?

Ich meine, zu dem vorliegendem Antrag ist genug ge-
sagt. Eine solide Altersvorsorge und eine solide Renten-
politik sehen anders aus. Durch unsere Rentenreform hat
die Rente wieder den Verlässlichkeitsstandard erreicht,
den sie benötigt. Was Sie dagegen vorhaben, ist eine Po-
litik auf dem Rücken der Klein- und Kleinstrentner. Ich
nenne als Beispiel Ihre Ankündigung, Herr Merz, in den
kommenden Jahren das Rentenniveau absenken zu wol-
len. Diese Ankündigung macht deutlich, dass die Union
ihre Absicht, das Rentenniveau auf 64 Prozent zu
drücken, nie vergessen hat.

Ich spreche aber auch von den Ankündigungen im CDU/
CSU-Wahlprogramm, das In-Kraft-Treten der Alters-
grundsicherung zu verhindern. Ziel der Grundsicherung
ist, die verschämte Altersarmut, von der vor allem Frauen
betroffen sind, zu beenden.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Frauen, die keine Chance hatten, selbst ausreichende Ren-
tenansprüche zu erarbeiten, soll mit diesem Gesetz end-
lich geholfen werden. Erzählen Sie das einmal den ost-
deutschen Frauen!

Die Grundsicherung betrifft aber auch unsere behinder-
ten Mitbürger und Mitbürgerinnen. Die Bundesarbeitsge-
meinschaft Werkstätten für Behinderte hat mich in dieser
Woche eindringlich aufgefordert, für das In-Kraft-Treten
der Grundsicherung einzutreten. Das tun wir auch.

Herr Moser von der BAG schreibt:
Das Grundsicherungsgesetz ist ein ganz entscheiden-
der Schritt unseres Staates auf dem Weg zu einer
neuen sozialen Wirklichkeit, in der behinderungsbe-
dingt erwerbsunfähigen Erwachsenen aus den Soli-
darmitteln der gesamten Gesellschaft die gleichbe-
rechtigte Teilhabe am Leben in unserer Gesellschaft
ermöglicht wird.

Dieses Gesetz wollen Sie verhindern. Ist das Ihre ver-
antwortungsbewusste Politik?

In unserer Reformpolitik, die wir auch in der nächsten
Legislaturperiode fortsetzen werden, haben wir die Ren-
ten und die soziale Grundsicherung auf ein solides Fun-
dament gestellt. Wir machen keine Geschenke und
Versprechungen, die wir nicht bezahlen können. Ich for-

dere die Opposition auf, ebenfalls konstruktive Vor-
schläge zu machen, statt einen Wahlkampf mit Verspre-
chungen zu führen, die niemand finanzieren kann. Die
Wähler merken das.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1424602000
Für die
CDU/CSU-Fraktion spricht der Kollege Gerald Weiß.

Gerald Weiß (Groß-Gerau) (CDU/CSU): Herr Präsi-
dent! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ja, Frau
Schmidt, es ist uns sehr ernst mit diesem Antrag,


(Klaus Brandner [SPD]: Davon merkt man aber nichts! Wo sind die Sozialpolitiker? Allein auf weiter Flur!)


der eines zum Ziel hat, nämlich Eigentum für alle zu
schaffen,


(Silvia Schmidt [Eisleben] [SPD]: In welcher Partei sind Sie: „Eigentum für alle“?)


auch deshalb, weil Eigentum die Grundlage für Einkom-
men – vor allem auch für Alterseinkommen –, aber auch
für Sicherheit, Teilhabe und Freiheit bildet. Deshalb blei-
ben wir bei der Intention unseres Antrags.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir sind der Meinung, dass die Förderung der Vermö-

gensbildung viel stärker in den Dienst der Altersvorsorge
gestellt werden muss. Eigentum und Kapitaleinkommen
werden für die Alterssicherung in Zukunft eine viel größere
Bedeutung haben müssen. Deshalb muss eine langfristige
Bindung in den Förderkriterien sozusagen besonders be-
lohnt werden, wie es unser Antrag auch vorsieht.

Vermögensbildung, Mitarbeiterbeteiligung und be-
triebliche Alterssicherung müssen in Zukunft besser mit-
einander verzahnt werden.


(Peter Dreßen [SPD]: Das machen wir doch!)

Eines lassen wir nicht durchgehen, Frau Schmidt, näm-

lich dass Sie heute die Ziele, die Sie gestern noch in Ihrem
Wahlprogramm propagiert und in den Vordergrund
gerückt haben, denunzieren und als eine nicht ernst ge-
meinte Spinnerei abtun.


(Peter Dreßen [SPD]: Das hätten Sie wohl gern!)


Wir scheinen die Einzigen zu sein, die Ihr Wahlprogramm
von 1998 nicht weggeworfen haben. Darin sprechen Sie
von der Anhebung der Einkommensgrenzen in der Ver-
mögensbildungsförderung auf 50 000 DM/100 000 DM.
Das steht auch in unserem Antrag. Das ist ein Bekenntnis
zur Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand.

In das Schlupfloch der Riester-Förderung, das Sie eben
in der Argumentation wieder aufgesucht haben, lassen wir
Sie nicht hinein. Der Unionsantrag hat sich durch das, was
mit der Riester-Rente – in aller Unzulänglichkeit – getan
wurde, natürlich nicht erübrigt. Von den Unzulänglichkeiten




Silvia Schmidt (Eisleben)


24871


(C)



(D)



(A)



(B)


und Ungerechtigkeiten der Riester-Rente will ich jetzt gar
nicht weiter sprechen; sie sind offenkundig. Ich weise nur
darauf hin, dass die betriebliche und private Vorsorge, nicht
jedoch die Beteiligung der Mitarbeiter am eigenen Unter-
nehmen gefördert wird, was Sie aber in Ihrem Wahlpro-
gramm 1998 gefordert haben.


(Dr. Irmgard Schwaetzer [FDP]: Und der Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung!)


Darin haben Sie vier Säulen gefordert. Erste Säule: ge-
setzliche Rentenversicherung. Zweite Säule: betriebliche
Altersvorsorge. Dritte Säule: private Vorsorge. Vierte
Säule – ich zitiere, Frau Schmidt –:

Als neue zusätzliche Säule der Alterssicherung wol-
len wir eine stärkere Beteiligung der Arbeitnehme-
rinnen und Arbeitnehmer am Kapitalstock der Volks-
wirtschaft, am Produktivkapital und am Gewinn des
Unternehmens.

Sie wollen nicht mehr wahrhaben, was Sie den Leuten ges-
tern versprochen haben, als Sie noch Opposition waren.


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Irmgard Schwaetzer [FDP]: Der Kanzler hat das noch in seiner Regierungserklärung gesagt!)


– Und am 1. Mai vor zwei Jahren!

(Wolfgang Grotthaus [SPD]: Aber nicht so, wie Sie es wollen!)

– Ich werde gleich noch ein Zitat dazu bringen. – Politi-
sche Fehlanzeige in der Vermögensbildung, Schall und
Rauch, versprochen und gebrochen wie auf so vielen an-
deren Feldern auch.


(Beifall bei der CDU/CSU – Peter Dreßen [SPD]: Nun bleiben Sie doch auf dem Teppich!)


In der Benchmarkingstudie, die Sie selbst bestellt ha-
ben, die offiziell sozusagen nicht ans Licht kommen
durfte, die aber jeder Interessierte gelesen hat, ist dar-
gestellt, dass Deutschland bei der Verbreitung von Mit-
arbeiterbeteiligungsmodellen schlecht dasteht. Frank-
reich 58 Prozent der Betriebe, Großbritannien 51 Prozent
der Betriebe, Deutschland nur 16 Prozent der Betriebe.


(Peter Dreßen [SPD]: Dafür haben die auch ein schlechteres Rentensystem! Gucken Sie sich mal die Rentensysteme in den Ländern an!)


Wir sind also nicht nur bei den wirtschaftlichen Kennzah-
len, sondern auch in diesem Bereich Schlusslicht. Alle Ar-
gumente, nicht nur soziale, sondern auch handfeste be-
triebswirtschaftliche und volkswirtschaftliche, sprechen
dafür, die Mitarbeiterbeteiligung auszuweiten. Sie haben
es nicht getan – entgegen Ihren Ankündigungen.


Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1424602100
Herr Kol-
lege Weiß, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abge-
ordneten Dreßen?

Gerald Weiß (Groß-Gerau) (CDU/CSU): Ja.

(Uwe Göllner [SPD]: Peter, du verlängerst den Betrieb!)



Peter Dreßen (SPD):
Rede ID: ID1424602200
Ja, aber ich mache es kurz.
Kollege Weiß, Sie haben gerade die betriebliche Al-

tersvorsorge in Frankreich und England angesprochen.
Würden Sie zugestehen, dass die Leute in England und
Frankreich bei den niedrigen Renten dort – Sie wissen, es
gibt dort feste Beträge, in England zum Beispiel 90 Pfund
in der Woche – natürlich auf die betriebliche Altersvor-
sorge angewiesen sind, während wir ja mit der beitrags-
bezogenen Rente ein ganz anderes System haben, was
vielleicht mit ein Grund dafür ist, dass die betriebliche Al-
tersvorsorge bei uns leider Gottes noch nicht so ausgebaut
ist, wie sie sein sollte, dass die Riester-Rente aber einen
wesentlichen Fortschritt bringen wird?

Gerald Weiß (Groß-Gerau) (CDU/CSU): Verehrter
Kollege, Sie haben ja gerade dafür gesorgt, dass unser
Rentenniveau sinkt. Das ist doch das Ergebnis Ihrer Ren-
tenreform.


(Widerspruch bei der SPD)

Deswegen brauchen wir zusätzlich intelligente, kapital-
gedeckte Instrumente. Versicherungsprodukte sind eben
etwas anderes als die Beteiligung der Mitarbeiter am ei-
genen Betrieb.

Jetzt nehme ich ein Argument von Ihnen, Frau
Schmidt, auf. Sie sagten, dann gebe es ja ein doppeltes
Risiko, Arbeitsplatz plus Beteiligung am Betrieb, der
vielleicht nicht reüssiert und vielleicht sogar untergeht.
Für die Absicherung dieses Risikos haben verschiedene
Unternehmen Vorschläge im Sinne einer Versicherung ge-
macht, die sozusagen hinter den Kapitalanteil gestellt
wird. So wird sichergestellt, dass mindestens das Kapital,
im günstigeren Fall – der hoffentlich der Normalfall sein
wird – auch der wirtschaftliche Erfolg in Form der Kapi-
talmehrung den Arbeitnehmern unmittelbar zugute
kommt. Mit dem Doppelrisiko haben Sie keinen stichhal-
tigen Einwand gebracht, weil genau das ausgeschlossen
werden kann, wie auch in der Anhörung vorgetragen
wurde.


(Silvia Schmidt [Eisleben] [SPD]: Es gibt Sachverständige, die anderer Meinung sind!)


Ich kehre zu den wirtschaftlichen Argumenten zurück.
Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung hat in
einer Studie unmissverständlich gesagt: Im Produkti-
vitätsvergleich schließen die Unternehmen, die Mit-
arbeiterbeteiligungen haben, ungleich besser ab als die
Unternehmen, die sie nicht haben. Im Vergleich der Wert-
schöpfung pro Beschäftigten gibt es eine Spanne zwi-
schen Betrieben mit Mitarbeiterbeteiligung und ohne Mit-
arbeiterbeteiligung von 125 000 DM zu 79 400 DM.
Diese Spanne gilt auch für die Betriebe im Osten. Deshalb
ist es auch eine betriebswirtschaftlich und volkswirt-
schaftlich überlegene Strategie, verstärkt auf die Mit-
arbeiterbeteiligung zu setzen. Die Mitarbeiterbeteiligung
hat über ihre Bedeutung für die Produktivität hinaus eine
wachstumsstrategische und damit letztlich auch, wie die
Benchmarkingstudie zeigt, eine beschäftigungspolitische
Bedeutung.

Wenn Sie das nicht erkannt haben und Nichternsthaf-
tigkeit des Vorhabens reklamieren, können Sie einem nur




Gerald Weiß (Groß-Gerau)

24872


(C)



(D)



(A)



(B)


Leid tun, Frau Schmidt. Sie haben ein wesentliches Feld
nicht nur nicht beackert, sondern dessen Bedeutung für
die Zukunft offenkundig nicht erkannt.


(Peter Dreßen [SPD]: Das hätten Sie 16 Jahre lang machen können!)


Das kann man nur bedauern. Es steht auch in einem
großen Widerspruch zu dem, was Sie jetzt sagen.

Im Übrigen sagte Ihr Kanzler anlässlich der 50. Jahres-
tagung der Arbeitsgemeinschaft Partnerschaft in der Wirt-
schaft im März 2000 – Originalton Gerhard Schröder –:

Es zeigt sich deutlich, dass beide Seiten, Unterneh-
mer und Beschäftigte, davon profitieren, wenn Mit-
arbeiter zu Mitunternehmern werden.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Mitarbeiter werden zu Mitunternehmern –


(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Es ist Zeit für Taten!)


eine geradezu christlich-soziale Formulierung. An diesem
Tag trug Ihr Bundeskanzler das christlich-soziale Mäntel-
chen. Aber das war eine Eintagsfliege wie so viele andere
Eintagsfliegen, die er kreiert hat. Es sind keine Taten ge-
folgt. Ich sage noch einmal: Schall und Rauch, verspro-
chen, gebrochen, nicht eingelöst. Im Übrigen hat er das
am 1. Mai 2000 vor sehr vielen Gewerkschaftern
nochmals ausgeführt. Das sind Sonntagsreden, wie wir sie
immer wieder hören mussten. Wohl klingende Reden am
Sonntag, ruhige Hand am Werktag – das geht nicht und
das lassen wir Ihnen auch nicht durchgehen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Dr. Irmgard Schwaetzer [FDP] – Wolfgang Grotthaus [SPD]: Ach Gott!)


Ich wiederhole: Bei der Riester-Rente haben Sie neben
anderen Anlageformen die Mitarbeiterbeteiligung nicht
eingebaut. Die anderen Anlageformen haben Sie sehr
kompliziert kreiert; das merkt man auch an der zögerlichen
Inanspruchnahme dieser Mittel. Die Förderung ist sozial
ungerecht, weil sie Schwächere nur schwach fördert, so-
dass diese die Riester-Rente nach allen Ergebnissen, die
uns bisher vorliegen, auch nur in geringem Umfang in An-
spruch nehmen. Es war ein strategischer Fehler und ein
schwer wiegendes Versäumnis, dass Sie die Mitarbeiter-
beteiligung ausgeklinkt und nicht eingebaut haben, natür-
lich mit einer Sicherung gegen das Doppelrisiko, das Sie
mit Recht geschildert haben, das aber kein ernsthaftes Ar-
gument gegen die Mitarbeiterbeteiligung darstellt. Sie ha-
ben damit Ihr Versprechen von gestern nicht erfüllt.

Bei der Gelegenheit will ich Ihnen sagen, dass Sie ja
auch auf anderen Feldern der Mitarbeiterbeteiligung Ihre
Zusagen nicht eingelöst haben. Frau Staatssekretärin Wolf
hat in der „Welt“ am 19. Februar 2001 gesagt: Wir brau-
chen eine neue Form der Besteuerung von Aktienoptio-
nen. Bis heute sind Sie untätig geblieben. Jetzt wollen Sie
unseren Antrag ablehnen.

Ich will noch einmal sagen, dass wir mit der Zustim-
mung durch Gewerkschaften, kirchliche Verbände und Ar-
beitgeberverbände in der Anhörung sehr zufrieden sind.
Die Forderung nach Anhebung des Freibetrages gemäß
§ 19 a des Einkommensteuergesetzes hat breite Unterstüt-

zung gefunden, beispielsweise auch durch die AGP, die
das als die wichtigste Förderform der betrieblichen Mit-
arbeiterbeteiligung in Deutschland bezeichnet hat.


(Peter Dreßen [SPD]: Ihr wollt doch 80 Milliarden einsparen! Das ist alles Schall und Rauch!)


Frau Schmidt, denken Sie dynamisch! Wenn die Mit-
arbeiterbeteiligung die Produktion fördert und damit von
beschäftigungspolitischer Bedeutung ist, dann wird sie in
der Zukunft mehr Wachstum, mehr Sozialversicherung-
beiträge und höhere Steuererträge zur Folge haben. In die-
sem Sinne ist die Mitarbeiterbeteiligung eine Investition
in die Zukunft. Eine solche Investition lehnen Sie ab, weil
Sie Mitarbeiter als Mitunternehmer in Wahrheit gar nicht
haben wollen.

Wir kommen auf dieses Thema nach dem 22. Septem-
ber zurück.


(Zurufe von der SPD: Oh!)

Dann werden wir bessere Rahmenbedingungen für die
Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand schaffen.

Danke.

(Beifall bei der CDU/CSU – Peter Dreßen [SPD]: Darauf warten wir! – Jörg Tauss [SPD]: Wie 16 Jahre davor! – Wolfgang Weiermann [SPD]: Verwegen ist das!)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1424602300
Ich gebe das
Wort der Kollegin Christine Scheel für die Fraktion des
Bündnisses 90/Die Grünen.


Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1424602400

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr
Weiß, Sie müssen sich langsam entscheiden: Sie können
nicht auf der einen Seite im Wahlkampf immer wieder von
einer Senkung des Spitzensteuersatzes, der Beiträge zu
den Sozialversicherungen und der Staatsquote auf 40 Pro-
zent sprechen und auf der anderen Seite hier immer wie-
der Anträge stellen, ohne zu sagen, wie Sie die kostenin-
tensive Umsetzung dieser Anträge finanzieren wollen.
Das geht so nicht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Auch der Ausschuss hat auf eine Kostenerörterung ver-
zichtet. Wir wissen, dass mit der Umsetzung Ihres Vorha-
bens Kosten in Höhe von etwa 1Milliarde Euro verbunden
sind. Man kann darüber streiten, ob es sinnvoll ist, dieses
Geld auszugeben. Am meisten kritisieren wir, dass Sie sich
nur für den Inhalt interessieren und dabei den Aspekt der
wachsenden Staatsverschuldung völlig außer Acht lassen.

Hand aufs Herz: Wessen Vermögensbildung wollen Sie
eigentlich fördern? Derzeit ist die Situation so, dass ledig-
lich diejenigen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer
keine Förderung nach dem Fünften Vermögensbildungs-
gesetz erhalten, die zum oberen Einkommensdrittel
gehören. Ihr Antrag enthält die Forderung, die Grenzen so
anzuheben, dass Verheiratete mit einem Jahreseinkommen
von 50 000 Euro und Ledige mit einem Jahreseinkommen
von 25 000 Euro ebenfalls diese Förderung erhalten. Dies
käme denjenigen, die zum oberen Einkommensdrittel




Gerald Weiß (Groß-Gerau)


24873


(C)



(D)



(A)



(B)


gehören, zugute. Etwa 90 Prozent aller Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmer würden dann gefördert.

So gut das auch klingt, das eigentliche Ziel einer so-
zialen Ausgleich schaffenden Förderung würde durch die
Umsetzung Ihrer Pläne auf den Kopf gestellt. Wir wollen
zielgenau fördern. Das heißt, wir wollen diejenigen ge-
zielt fördern – es handelt sich um Leute mit kleinen oder
mittleren Einkommen und um viele Familien in diesem
Land –, deren Einkommenssituation nicht ausreicht, Ver-
mögensbildung zu betreiben und eine private Altersvor-
sorge aufzubauen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Es soll nicht wieder so sein, dass der Eindruck „Der Geld-
beutel wird aufgemacht und Manna fällt vom Himmel“
entsteht, während die Finanzierung völlig offen bleibt.


(Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Das ist doch nicht wahr!)


Wir wollen mit unserer Politik – das unterscheidet uns
so stark von Ihnen – soziale Gerechtigkeit zwischen den
Generationen herstellen. Das heißt schlicht und einfach:
Wir lösen Probleme, ohne neue Schulden zu machen. Wir
handeln sachgerecht und konzentrieren uns auf diejeni-
gen, die die Unterstützung brauchen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Teil unserer Steuerpolitik war es – das haben Sie an-
scheinend vergessen oder verdrängt –, umfangreiche
Steuersenkungen vorzunehmen. Sie verweisen immer
wieder auf die Ökosteuer nach dem Motto: Hier gebt ihr
und da nehmt ihr wieder. Selbst wenn man die Belastun-
gen durch die Ökosteuer einbezieht, hat zum Beispiel eine
Familie mit zwei Kindern, deren Jahreseinkommen bei
30 000 Euro liegt, im Vergleich zum Jahr 1998, in dem
Rot-Grün die Regierung übernommen hat, eine jährliche
Entlastung von fast 1 700 Euro. Darauf sind wir stolz. Sie
haben die Steuern im Prinzip jahrelang angehoben. Wir
haben diesen Trend umgekehrt. Seit 1998 haben wir dafür
gesorgt, dass die Steuerbelastung der Bezieher kleiner und
mittlerer Einkommen Jahr für Jahr gesenkt wurde.


(Erich G. Fritz [CDU/CSU]: Das sehen die Familien aber ganz anders! – Zuruf der Abg. Dr. Barbara Höll [PDS])


– Wir haben eine Steuerprogression; das wissen Sie, Frau
Dr. Höll. Deswegen ist es völlig klar, dass die Entlas-
tungsmuster so sind, wie sie sind. Ansonsten müssten Sie
gegen die Progression vorgehen, aber das macht die PDS
ja nicht.

Zum Zweiten haben wir den Trend zu steigenden
Lohnnebenkosten gestoppt. Ich darf Sie noch einmal da-
ran erinnern – anscheinend ist auch das in Vergessenheit
geraten –: Von Anfang der 90er-Jahre bis zu dem Ende Ih-
rer Regierungszeit 1998 sind die Sozialversicherungs-
beiträge um 6,3 Prozentpunkte gestiegen. Seit 1998, als
wir die Regierung übernommen haben, sind die Sozial-
versicherungsbeiträge gesunken.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Aufgrund der konjunkturellen Situation nicht in der Höhe,
wie wir uns das alle gewünscht hätten,


(Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Sagen Sie, wo Sie sie erhöht haben!)


aber wir haben sie um 1 Prozentpunkt gesenkt. Auch das
sollte man nicht vergessen, ehe man von 40, 40, 40
spricht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Dr. Irmgard Schwaetzer [FDP]: Es ist doch egal, ob Ökosteuer oder Beiträge! Das ist eine Umfinanzierung!)


Durch die Senkung der Steuern und der Sozialversi-
cherungsbeiträge wurde überhaupt erst die Voraussetzung
geschaffen, um Vermögen aufbauen zu können.


(Widerspruch bei der CDU/CSU)

Diese Situation finden wir doch jetzt vor. Hinzu kommt
eine gezielte Förderung, indem Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmern, die für das Alter privat oder über den Be-
trieb vorsorgen wollen, Zulagen dafür gewährt werden.


(Dr. Irmgard Schwaetzer [FDP]: Sagen Sie einmal etwas zum Antrag!)


Die Förderung steigt auf 10 Milliarden Euro pro Jahr, das
heißt, der Staat zahlt kontinuierlich pro Jahr rund 10 Mil-
liarden Euro für den Aufbau einer betrieblichen bzw. pri-
vaten Altersvorsorge aus.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Das Geld hierfür ist in den Haushalt eingestellt. Das ist
gut für die Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen. Das ist
sozial ausgewogen und unterstützt vor allem auch Fami-
lien mit Kindern; so bekommt eine Familie mit zwei Kin-
dern insgesamt 678 Euro pro Jahr an staatlicher Zulage für
den Aufbau einer Altersvorsorge im privaten oder be-
trieblichen Bereich.


Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1424602500
Frau Kolle-
gin Scheel, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abge-
ordneten Meckelburg?


Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1424602600
Ja,
gerne. Bitte.


Wolfgang Meckelburg (CDU):
Rede ID: ID1424602700
Frau Kollegin
Scheel, auch ich sitze etwas unruhig auf dem Stuhl und
möchte die Zeit der Kollegen nicht weiter beanspruchen.
Aber da Sie so eindringlich von der sozialen Ausgewo-
genheit Ihrer Politik sprechen, möchte ich Sie fragen, ob
Sie es wirklich für sozial ausgewogen halten, wenn eine
Verkäuferin mit normalem Einkommen im Rahmen der
Förderung durch die Riester-Rente 154 Euro bekommt,
während der Filialleiter zu seinem Verdienst, der wesent-
lich höher liegt, auch noch 650 Euro dazu bekommt.


(Peter Dreßen [SPD]: Das ist prozentual! Das habt ihr eingeführt!)


Sie müssen den Leuten einmal klar machen, welche so-
ziale Gerechtigkeit dahinter steht. Meinen Sie, dass das




Christine Scheel
24874


(C)



(D)



(A)



(B)


ein Modell ist, das man weiter propagieren sollte und das
Sicherheit gibt?

Würden Sie auch zur Kenntnis nehmen, dass die Ren-
tenversicherungsbeiträge zwar formal gesunken sind, in
Wirklichkeit aber 1,5 Prozentpunkte bei der Ökosteuer
versteckt wurden und eine Erhöhung um weitere 0,3 Pro-
zentpunkte nur ausgeschlossen werden konnte, indem Sie
an die Rentenrücklage gegangen sind? Was Sie hier sa-
gen, ist doch hinten und vorne nicht stimmig.


(Zuruf von der CDU/CSU: Lug und Trug! – Klaus Brandner [SPD]: Was wollten Sie jetzt fragen?)



Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1424602800

Ich habe mir das angehört.


(Dr. Irmgard Schwaetzer [FDP]: Aber nicht verstanden!)


Das heißt, ich nehme es dahin gehend zur Kenntnis, dass
ich sage, dass ich Ihnen zugehört habe. Ich kann aber Ih-
rer Logik nicht folgen. Es geht ja um Folgendes: Zunächst
einmal haben wir nichts versteckt, sondern klar gesagt,
dass die Einnahmen aus der Ökosteuer bis auf eine ganz
kleine Summe, die im Haushalt eingestellt ist, für die Sen-
kung der Rentenversicherungsbeiträge verwandt werden.
Das steht fest.


(Dr. Irmgard Schwaetzer [FDP]: Das ist doch keine Senkung! Ihr finanziert schlicht um!)


Sie machen ja immer diese komische Milchmädchen-
bzw. Milchmannrechnung auf,


(Dr. Irmgard Schwaetzer [FDP]: Das ist doch keine Milchmädchenrechnung!)


indem Sie sagen: Ihr habt jetzt so und so viel Milliarden
über die Ökosteuer eingenommen, aber die Senkung der
Versicherungsbeiträge zur Rentenkasse ist ja gar nicht adä-
quat in dieser Größenordnung erfolgt; deswegen muss das
Geld irgendwo versickert sein. Das ist völliger Unsinn,
denn Sie wissen doch ganz genau, dass aufgrund der de-
mographischen Entwicklung die Beiträge ohne diese Maß-
nahme nicht stabil geblieben wären. Sie wären gestiegen.


(Dr. Irmgard Schwaetzer [FDP]: Das tun sie trotz Ihrer Maßnahme!)


Man muss die eigentlich erforderliche Anhebung im Ver-
hältnis zur Absenkung sehen. Aber das haben Sie an-
scheinend immer noch nicht kapiert.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Vielmehr versuchen Sie den Leuten zu suggerieren, dass
wir irgendwelche eigenartigen Rechnungen aufmachen
würden und sie fast schon betrügen würden.

Beim anderen Punkt, den Sie angesprochen haben,
geht es um die progressiv zunehmende Höhe der Förde-
rung. Wenn Sie Ihren Gedanken konsequent fortführen
würden, dann müssten Sie den linear-progressiven Tarif,
wie er zurzeit in der Einkommensteuer existiert,


(Jörg Tauss [SPD]: Familienfreibeträge!)


und dessen Entlastungswirkung über Familien- und Kin-
derfreibeträge im Speziellen genauso anprangern und sa-
gen, dass ein Kind, das bei Eltern mit niedrigem Einkom-
men aufwächst, vom Staat nur Kindergeld bekommt,
während ein Kind von Eltern mit höherem Einkommen,
die auch Freibeträge erhalten, dem Staat mehr wert ist.
Aber das tun Sie ja nicht.


(Widerspruch bei der CDU/CSU)

Vielmehr sagen Sie, es sei leistungsgerecht und in Ord-
nung, dass die Freibeträge so wirken. Wir versuchen,
diese Schere bei jeder Stufe der Kindergelderhöhung wei-
ter zu schließen, weil wir sie als ungerecht empfinden.


(Dr. Barbara Höll [PDS]: Erst 2005!)

Wir bauen diese Ungerechtigkeiten ab, wo es Not tut. Sie
aber sind hier in Ihrer Argumentation völlig unlogisch.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Dr. Irmgard Schwaetzer [FDP]: Überzeugung ersetzt nicht Durchblick!)


Ich komme auf die Beteiligung der Mitarbeiterinnen
und Mitarbeiter an dem Unternehmen, in dem sie arbei-
ten, zurück. Auch ich bin der Auffassung, dass man das
stärker fördern kann. In modernen Unternehmen flachen
Hierarchien ab; die Unterscheidung von oben und unten
schwindet immer mehr. Eine stärkere Beteiligung der
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter entspricht auch der Phi-
losophie von mehr Entscheidungskompetenz und damit
auch mehr Verantwortung des bzw. der Einzelnen.

Wenn wir über den eigenen Tellerrand blicken,

(Gerald Weiß [Groß-Gerau] [CDU/CSU]: Hört, Hört!)

sehen wir, dass in fast allen OECD-Staaten Mitarbeiter-
beteiligungsprogramme steuerbegünstigt sind. Die Folge
ist natürlich, dass die Beteiligung von Mitarbeiterinnen
und Mitarbeitern am Unternehmenserfolg in anderen
Staaten wesentlich stärker ausgeprägt ist. Das hat für die
Unternehmen, aber auch für die Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter Vorteile.

Es gibt hier aber auch ein Problem, auf das ich ab-
schließend hinweise. Ich habe in meiner eigenen Region
erlebt, dass nach dem Konkurs eines Unternehmens so-
wohl der Arbeitsplatz als auch das Geld weg waren. Wir
müssen weiter darüber nachdenken, wie wir ein solches
doppeltes Risiko für den Arbeitnehmer in den Griff be-
kommen und wie das im Rahmen der Beteiligung einge-
brachte Kapital abgesichert werden kann. Jedenfalls kann
es nicht die Lösung sein, zu sagen, dieses Problem inte-
ressiere uns nicht. Wir müssen hier auch an die Arbeit-
nehmerinnen und Arbeitnehmer denken.

Danke schön.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Gerald Weiß [Groß-Gerau] [CDU/CSU]: Das ist doch gelöst!)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1424602900
Für die
FDP-Fraktion spricht die Kollegin Irmgard Schwaetzer.


(Wolfgang Grotthaus [SPD]: Jetzt sind wir mal gespannt!)





Wolfgang Meckelburg

24875


(C)



(D)



(A)



(B)



Dr. Irmgard Adam-Schwaetzer (FDP):
Rede ID: ID1424603000
Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die FDP befürwortet
eine Kapitalteilhabe der Arbeitnehmer. Mitarbeiterbeteili-
gung ist Bestandteil der liberalen Wirtschaftsordnung,
wie wir sie uns vorstellen. Diese Teilhabe an einer Kultur
der Selbstständigkeit ist auch für die Identifikation der
Mitarbeiter mit ihrem Unternehmen wichtig.


(Beifall bei der FDP)

Darüber hinaus ist es auch ein personalpolitisches In-

strument für kleinere und mittlere Unternehmen. Im Übri-
gen ist auch bekannt – Frau Scheel hat gerade darauf
hingewiesen –, dass Unternehmen mit flachen Hierar-
chien für motivierte Mitarbeiter sorgen, wofür flexiblere
Lohnmodelle ohne starre Flächentarife von Vorteil sind.
Dies hat auch der Bundeskanzler gesehen; denn nicht um-
sonst – vielleicht doch umsonst, denn getan haben Sie
bisher nichts – hatte er in seiner Regierungserklärung die
Mitarbeiterbeteiligung als vierten gleichwertigen Punkt
hinter die Reform der gesetzlichen Rentenversicherung,
den Ausbau der privaten Altersversorgung und den Aus-
bau der betrieblichen Altersversorgung gesetzt. Hier ist
aber nichts passiert.


(Jörg Tauss [SPD]: Warten Sie mal ab!)

In der vergangenen Legislaturperiode haben CDU/

CSU und FDPdas Vermögensbildungsgesetz geändert und
die Einkommensgrenzen auf 35 000 DM bzw. 70 000 DM
für Verheiratete heraufgesetzt. Das war ein wichtiger
Schritt. Natürlich kann man darüber nachdenken, ob die-
sem Schritt weitere folgen sollten, wie es die CDU/CSU
vorschlägt. Aber der CDU/CSU-Antrag kommt mir ein
bisschen wie der letzte verzweifelte Versuch vor, den
Trend der Zeit aufzuhalten.


(Jörg Tauss [SPD]: Da hat sie Recht!)

Ich bedaure das durchaus; denn auch nach unserer Auf-
fassung gehört die Mitarbeiterbeteiligung gleichberech-
tigt neben den Ausbau der betrieblichen und der privaten
Altersvorsorge.


(Beifall bei der FDP)

Sie kann ein wichtiger Teil der Altersvorsorge sein. Ich
teile aber nicht Ihre Auffassung, dass sie in das Altersver-
mögensgesetz integriert werden sollte. Vielmehr sollte sie
weiterhin daneben bestehen bleiben.

Wir können natürlich nicht vernachlässigen, dass jeder
Euro nur einmal ausgegeben werden kann. Deswegen ist
zu vermuten – viele Anzeichen und insbesondere die Tat-
sache, dass sich die Tarifvertragsparteien ebenfalls dieses
Themas angenommen haben, sprechen dafür –, dass der
Ausbau der betrieblichen Altersversorgung, so wie er im
Altersvermögensgesetz vorgegeben ist, in den nächsten
Jahren durchaus Vorrang haben wird.

Deswegen sind Ihre hier angestellten Finanzierungs-
überlegungen ziemlich absurd, Frau Scheel. Ich glaube,
Sie stimmen mit mir überein, dass sich ein Arbeitnehmer
überlegt, wofür er seine Mitarbeiterbeteiligung oder seine
Gehaltsumwandlung einsetzt, über die er nur einmal ver-
fügen kann. Deswegen wird entweder die Förderung nach
dem Altersvermögensgesetz oder die Förderung nach

dem Vermögensbildungsgesetz infrage kommen, aber
eben keine Doppelförderung, wie Sie das eben in Ihrer
merkwürdigen Rechnung unterstellt haben. Daher wür-
den nach dem Vermögensbildungsgesetz tatsächlich
Mehrausgaben, aber nach dem Altersvermögensgesetz
konsequenterweise Minderausgaben entstehen.

Trotzdem werden wir dem Antrag der Union nicht zu-
stimmen. Die Gründe dafür möchte ich kurz erläutern.
Die Union hat bedauerlicherweise nicht präzise ausge-
führt, wie die von ihr vorgeschlagene zusätzliche Förde-
rung ausgestaltet werden könnte. Meine Damen und Her-
ren von der Union, in Ihrem Antrag fehlt die
Ausformulierung des Grundsatzes der Freiwilligkeit und
der Wahlfreiheit im Hinblick auf die Anlageform. Das
heißt, nach Ihrem Antrag ist nicht ausgeschlossen, dass
neue Tariffonds entstehen, die damit dem Arbeitnehmer
die Wahlfreiheit nehmen. Das wäre nach unserer Auffas-
sung der falsche Weg.


(Beifall bei der FDP – Jörg Tauss [SPD]: Das ist ja lächerlich!)


Darüber hinaus fehlt bei Ihnen schon der Hinweis da-
rauf, dass der Tarifvorbehalt nach § 77 Abs. 3 des Be-
triebsverfassungsgesetzes geändert werden müsste,
wenn Sie eine freiwillige Mitarbeiterbeteiligung, mög-
lichst mit im Unternehmen oder im Rahmen des Unter-
nehmens entstandenen Verträgen, fördern wollten.


(Peter Dreßen [SPD]: Das wollen Sie!)

– In der Tat. Ich bin ganz sicher, Herr Kollege Dreßen, das
wird in der nächsten Legislaturperiode kommen. Die
Hartz-Kommission hat gesagt – das ist ganz witzig –, es
wären eigentlich auch noch andere Dinge im Tarifver-
tragsrecht nötig;


(Jörg Tauss [SPD]: Aber nicht die!)

das tun wir aber im Moment nicht, um die Gewerkschaf-
ten nicht weiter zu reizen.


(Wolfgang Weiermann [SPD]: Sie kommen vom Thema ab!)


Das bedeutet nichts anderes als Folgendes: Abgesehen
von den Gewerkschaften gibt es inzwischen in der Wirt-
schaft eine breite Übereinstimmung, dass zumindest § 77
Abs. 3 des Betriebsverfassungsgesetzes geändert werden
muss, weil die Wirtschaft sehr viel individueller gewor-
den ist,


(Erika Lotz [SPD]: Tagesordnung!)

weil die Unternehmen in der Zukunft mit mehr Individu-
alität bessere Ergebnisse für ihre Arbeitnehmer, aber auch
insgesamt für die Wirtschaft erzielen.


(Beifall bei der FDP)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, in dem Uni-

onsantrag fehlt ein weiterer Punkt: die steuerliche Be-
handlung von Aktienoptionen. Herr Weiß, Sie haben
eben meiner Meinung nach zu Recht kritisiert, von den
Grünen sei zwar immer wieder darauf hingewiesen wor-
den, dass Aktienoptionen nicht nur in der New Economy,
sondern bei einer ganzen Reihe von kleinen und mittleren
Unternehmen auch aus anderen Wirtschaftsbereichen ein






(C)



(D)



(A)



(B)


wichtiger Punkt der Mitarbeitermotivierung seien; sie
hätten sich damit gegenüber ihrem Koalitionspartner, der
SPD, oder auch gegenüber Herrn Eichel aber nie durch-
setzen können.


(Jörg Tauss [SPD]: Alle Pleite! Seien Sie vorsichtig!)


Möglicherweise haben sie es in vorauseilendem Gehor-
sam, von einem Koalitionspartner bloß nicht zu viel zu
verlangen, nicht einmal probiert.

Die bislang geltende steuerliche Behandlung von Ak-
tienoptionen macht dieses Instrument völlig uninteres-
sant. Sie werden bisher als steuerpflichtige Gehaltsbe-
standteile gewertet.


(Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was haben Sie eigentlich 29 Jahre lang gemacht?)


Damit sind sie natürlich nur schlecht einsetzbar.

(V o r s i t z : Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, Mitarbeiter-

beteiligung kann ein zusätzlicher Aspekt der Altersvor-
sorge sein, wenn sie neben den anderen Formen betrieben
wird. Sie ist geeignet, Arbeitsplätze in Deutschland siche-
rer zu machen, größere Wettbewerbsfähigkeit der deut-
schen Unternehmen herzustellen und darüber hinaus ein
wichtiges Stück einer verfassten, auf den Schultern von
Arbeitnehmern wie Arbeitgebern ruhenden Unterneh-
menskultur in Deutschland zu sein.


(Beifall bei der FDP – Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich hätte ein bisschen mehr Redlichkeit erwartet! – Jörg Tauss [SPD]: Sie wollen nur die eine!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1424603100
Das Wort
hat jetzt der Kollege Roland Claus von der PDS-Fraktion.


Roland Claus (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1424603200
Herr Präsident! Meine sehr ver-
ehrten Damen und Herren! Der uns vorliegende Antrag
der Unionsfraktion ist ein Lehrstück für die Folgen
falscher Weichenstellung in der Politik. Die falsche
Weichenstellung in der Rentenpolitik haben allerdings die
Koalitionsfraktionen und die Bundesregierung zu verant-
worten.


(Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Na, na!)


Ich erinnere mich, dass wir Arbeitsminister Riester in
den Streitdiskussionen 2000 und 2001 entgegengehalten
haben, er betreibe eine Art Zwangsprivatisierung der
Rente. Er hat das immer brüsk zurückgewiesen und ge-
sagt: Was wollen Sie denn, Herr Claus? Es sind doch nur
4 Prozent. – Wir haben stets entgegnet, das sei der Ein-
stieg in den Ausstieg aus der paritätischen Rentenver-
sicherung.

Wir haben seinerzeit gesagt, eine andere Bundesregie-
rung als die jetzt zusammengesetzte würde diesen Schritt
benutzen, um noch radikaler gegen die Parität in der Rente

vorzugehen. Minister Riester konnte sich damals nie vor-
stellen, dass es einmal so kommen könnte.


(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Aber es wird so kommen!)


Auch ich will mir das nicht vorstellen. Aber unser Vor-
wurf lautet an dieser Stelle nach wie vor, dass bei der Ren-
tenreform niemals nach einem Mitte-Links-Konsens,
auch mit den Gewerkschaften und den Kirchen, gesucht
wurde, sondern immer nur nach einem Mitte-Rechts-
Konsens.

Nun noch ein Wort zum CDU/CSU-Antrag. Dieser An-
trag wäre ein Stück glaubwürdiger, wenn Sie sich nicht
nur bei der Rente für Mitarbeiterrechte einsetzen würden,
sondern auch vehement für mehr Mitbestimmungsrechte
der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gekämpft hät-
ten. Wir haben nicht vergessen, wie Sie sich damals ver-
halten haben. Sie haben sich in diesem Punkt verweigert.
Das passt mit der Politik, die Sie jetzt hier betreiben, ein-
fach nicht zusammen.


(Beifall bei der PDS)

Außerdem lässt der Antrag Arbeitslose, Teilzeitbeschäf-
tigte und Geringverdienende außen vor. Sie gaukeln mit
dem Antrag Sozialstaat vor und machen doch nur Ellen-
bogenpolitik. Diesen Marsch in die schwarze Republik
wollen wir nicht.

Allerdings haben Bundesregierung und Koalition mit
ihrer Rentenreform der Union den Weg gebahnt. Alterna-
tiven wären möglich gewesen; sie sind es noch immer.
Statt dieser Rentenreform wäre es nötig gewesen, durch
eine andere Einnahmenpolitik einer Stärkung und Stabili-
sierung der gesetzlichen Rentenversicherung zum Durch-
bruch zu verhelfen. Ich finde den Spruch aus der Schweiz
ganz zutreffend: Die Millionäre brauchen die gesetzliche
Rentenversicherung nicht, aber die gesetzliche Renten-
versicherung könnte die Millionäre gut gebrauchen, und
zwar als Einzahlerinnen und Einzahler.


(Beifall bei der PDS – Dr. Irmgard Schwaetzer [FDP]: Will die PDS die Beitragsbemessungsgrenze abschaffen?)


Warum eigentlich, habe ich mich schon öfter gefragt,
wird die Riester-Rente in der Werbung Riester-Rente ge-
nannt? Das hat doch nicht der Minister angeordnet; dazu
ist er viel zu IG-metallig. Dieser Begriff ist durch die pri-
vaten Versicherungen geprägt worden. Warum haben die
das wohl gemacht? – Natürlich, weil sie mit dieser Rente
Profit für sich wittern, und nicht, weil sie die Bedingun-
gen für die Bürgerinnen und Bürger verbessern wollen.


(Beifall bei Abgeordneten der PDS)

Deshalb ist leider festzustellen: Auch im Zuge dieser Ren-
tenreform werden unter einer Regierung von Gerhard
Schröder die Reichen in diesem Lande reicher und die
Armen zahlreicher.

Wir können Ihnen auch nicht den Vorwurf ersparen,
dass Sie im Zuge dieser Rentenreform ein weiteres Ver-
sprechen gebrochen haben. Sie hatten öffentlich erklärt,
nach der großen Rentenreform, in der Sie die Anglei-
chung von Ost- und Westrenten ausgespart hatten, das




Dr. Irmgard Schwaetzer

24877


(C)



(D)



(A)



(B)


Problem der Angleichung des Ostrentenniveaus an das
Westrentenniveau anzupacken, Versorgungslücken zu
schließen und die Strafrente abzuschaffen. Ein entspre-
chender PDS-Antrag liegt vor. Den Nachweis – weil uns
immer unterstellt wird, wir würden das erfinden – finden
Sie in der Rede von Harald Ringstorff, nach seinem fata-
len Alleingang im Bundesrat, wo er erklärt hat, dass eine
gemeinsame Arbeitsgruppe von Bund und Land Meck-
lenburg-Vorpommern sich dieses Problems der Ostrenten
annehmen werde. Sie haben dieses Versprechen, wie viele
andere auch, gebrochen.

Eine gerechte Rentenreform ist noch immer möglich.
Die Bürgerinnen und Bürger in diesem Lande brauchen
soziale Sicherheit statt Verunsicherung. Wir wollen mehr
Sozialstaat und nicht das Ellenbogenprinzip.

Vielen Dank.

(Beifall bei der PDS)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1424603300
Das Wort
hat jetzt der Kollege Wolfgang Grotthaus von der SPD-
Fraktion.


(Dr. Irmgard Schwaetzer [FDP]: Der wird uns jetzt erklären, wie sich die SPD die Mitarbeiterbeteiligung vorstellt!)



Wolfgang Grotthaus (SPD):
Rede ID: ID1424603400
Herr Präsident! Meine
sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte zunächst
zwei Anmerkungen machen: Erstens. Herr Weiß, Sie und
die CDU/CSU haben sich hier als glaubhafte Vertreter der
Arbeitnehmer dargestellt. Vor diesem Hintergrund ist es
für mich erstaunlich, dass von den 15 Mitgliedern Ihrer
Fraktion, die im Sozialausschuss vertreten sind, nur zwei
und ein Vertreter hier sitzen. Wenn Sie hier viel stärker
vertreten wären, würden Sie signalisieren, dass Sie diese
Problematik und Thematik tatsächlich ernst nehmen.

Zweitens. Bei der Anhörung, die Sie erwähnt haben,
scheinen Sie in einem anderen Raum gesessen zu haben.
Ich unterstelle natürlich, dass jeder, der parteipolitisch ak-
tiv ist, nur das hört, was er hören will. Ich würde Ihnen
aber empfehlen, doch einmal das Protokoll nachzuvoll-
ziehen. Dann werden Sie feststellen, dass die Mehrheit
der dort anwesenden Experten gesagt hat, dass das, was
Sie in Ihrem Antrag vorgeschlagen haben, nicht umsetz-
bar ist und von der Mehrheit nicht gewünscht wird.


(Beifall bei der SPD)

Die CDU/CSU hat in ihrem Antrag auf den jüngst vor-

gelegten Armuts- und Reichtumsbericht verwiesen – ich
möchte darauf aufmerksam machen, dass es zum ersten
Mal nicht nur einen Armutsbericht, sondern auch einen
Reichtumsbericht gibt –, aus dem hervorgeht, dass das Ka-
pital in dieser Republik unterschiedlich verteilt ist. Des
Weiteren haben Sie festgestellt, dass die Beteiligung der
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer am Produktiv-
vermögen zu einer gleichmäßigen Vermögensverteilung
beiträgt und dass dies gesellschaftspolitisch wünschens-
wert ist. Dies hört sich zunächst einmal sehr gut an und ist
auch nicht falsch. Ihnen ist aber schon von mehreren Dis-
kussionsrednern deutlich gesagt worden, dass das, was Sie

machen, nicht dazu beiträgt, eine bessere Verteilung zu-
gunsten derjenigen, die es in dieser Republik nötig haben,
vorzunehmen. Wenn wir eine bessere Verteilung der Ver-
mögenswerte in unserer Republik erreichen wollen, dann
kommt es eben nicht darauf an, diejenigen zu stärken, die
schon viel haben oder das, was sie haben, aus eigener Kraft
vermehren können – dies schlagen Sie jedoch in Ihrem An-
trag vor –, sondern darauf, gezielt diejenigen zu unterstüt-
zen, die zu den unteren und mittleren Einkommensschich-
ten gehören. Das vermissen wir in Ihrem Antrag.

Ich schildere Ihnen einmal, wie die Situation heute aus-
sieht: Schon heute werden nach dem Vermögensbildungs-
gesetz etwa zwei Drittel aller Arbeitnehmerinnen und Ar-
beitnehmer gefördert und schon heute bildet ein großer
Teil der gut und besser Verdienenden Vermögen, ohne
dafür eine staatliche Förderung zu erhalten. Ihr Vorschlag,
die Einkommensgrenzen im Vermögensbildungsgesetz
anzuheben und damit die gut und besser Verdienenden in
die staatliche Förderung einzubeziehen, würde dazu
führen, dass diejenigen, die heute schon gefördert werden,
von dem nur einmal zu verteilenden Kuchen etwas abge-
ben müssten, und zwar zugunsten derjenigen, die heute
nicht förderungswürdig sind, weil sie aufgrund ihres Ein-
kommens in der Lage sind, Vermögen zu bilden. Sie
schlagen in Ihrem Antrag zwar vor, mehr finanzielle Mit-
tel zur Verfügung zu stellen. Allerdings sagen Sie nicht, in
welcher Form Sie diese finanziellen Mittel aufbringen
wollen. Sie sagen nur sehr vage, dass Sie eine Umvertei-
lung herbeiführen wollen. Zu wessen Lasten Sie diese
Umverteilung herbeiführen wollen, wird nicht deutlich.

Ich möchte Ihnen ein Beispiel nennen. Sie schlagen
vor, die Steuersätze für die Großunternehmen und besser
Verdienenden auf unter 40 Prozent zu senken. Gleichzei-
tig sagt der Vorsitzende Ihrer Mittelstandsvereinigung
und des Wirtschaftsrates, dass das Geld, das dann fehlt,
durch eine Besteuerung von Sonn- und Feiertagszulagen
sowie Überstundenzulagen erzielt werden könne. Das ist
genau die Umverteilung, die Sie in dieser Republik 16 Jah-
re lang vorgenommen haben. Ich sage Ihnen: Wir werden
nicht nur dagegen stimmen, sondern dies den Menschen
in der Republik sagen und Ihnen gehörig auf die Finger
klopfen, wenn Sie glauben, diese Umverteilung durch-
führen zu können.


(Beifall bei der SPD)

Sie geben in Ihrem Antrag die Konzentration auf die

Förderung der unteren und mittleren Einkommensschich-
ten auf. Stattdessen wollen Sie jene Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmer, die es nicht nötig haben, in die Förde-
rung einbeziehen. Dies kann keiner wollen; doch genau
dies fordern Sie in Ihrem Antrag. Ich sage Ihnen an dieser
Stelle: Aus diesem Grund, aber nicht nur aus diesem
Grund, werden wir Ihren Antrag ablehnen.

In Ihrem Antrag fordern Sie weiterhin, dass das
Altersvermögensgesetz mit der Vermögensbildung als
eine weitere Option der Altersvorsorge gekoppelt werden
soll. Doch seit der Verabschiedung des Altersvermögens-
gesetzes beklagen Sie als Opposition, dass das Gesetz
ohnehin viel zu kompliziert sei.


(Dr. Irmgard Schwaetzer [FDP]: Stimmt ja auch!)





Roland Claus
24878


(C)



(D)



(A)



(B)


– Frau Schwaetzer, jetzt hören Sie einmal genau zu!

(Dr. Irmgard Schwaetzer [FDP]: Ich höre Ih nen zu! Ich warte auf Ihr Modell!)

Dies ist schlicht unrichtig.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wenn Sie aber meinen, es sei kompliziert, dann müssten
Sie dem Antrag der CDU/CSU eigentlich widersprechen.


(Dr. Irmgard Schwaetzer [FDP]: Tun wir auch! Herr Grotthaus, ich habe doch gesagt, wir lehnen ihn ab!)


Denn durch diese zusätzliche Koppelung – Sie als
CDU/CSU hätten diesen Antrag gar nicht einbringen dür-
fen – würde das Altersvermögensgesetz noch komplizier-
ter werden. Es geht nur eines: Entweder ist das Gesetz
kompliziert, dann können Sie keine Ergänzungen bringen,
oder es ist nicht kompliziert, dann müssen Sie dies auch
eingestehen. Beides geht nicht.

Lassen Sie mich einmal auf die Ergänzungsvariante
eingehen. Dabei geht es um die Einführung der Mitarbei-
terbeteiligung am Produktivvermögen in den Förderkata-
log des Alltersvermögensgesetzes. Dazu sage ich Ihnen in
aller Deutlichkeit: Jetzt wird es abenteuerlich. Ich habe ja
keine Probleme damit, wenn jemand selbst entscheidet,
sich am Produktivvermögen seines Betriebes durch Ein-
bringung von Lohn, durch Aktienkauf oder Ähnliches zu
beteiligen. Dies macht aus unserer Sicht aber nur dann
Sinn, wenn es eine qualifizierte Mitbestimmung in wirt-
schaftlichen Fragen gibt. Wenn Geld zur Verfügung ge-
stellt wird und dem Unternehmer das alleinige Verfü-
gungsrecht darüber überlassen wird, wie er mit dem Geld
umgeht, dann frage ich mich: Wie ist es eigentlich mit der
Gleichheit unter den Kapitalgebern bestellt?

Ich möchte Ihnen ein Beispiel aus dem täglichen Leben
nennen, das ich persönlich derzeit erlebe: Ich war bei
Babcock Borsig – der Name dieser Firma sagt ja einiges,
zumindest zurzeit – beschäftigt. Vor einigen Monaten be-
fand sich der Aktienkurs noch im zweistelligen Eurobe-
reich. Durch Missmanagement ist er zwischenzeitlich auf
unter 2 Euro gefallen.


(Jörg Tauss [SPD]: Schöne Alterssicherung!)

Was glauben Sie, wie groß die Freude der Arbeitnehme-
rinnen und Arbeitnehmer ist, die sich in Form von Aktien
an der nach Ihren Vorstellungen geforderten Mitarbeiter-
beteiligung eingebracht haben?


(Beifall bei der SPD)

Jetzt kommt das i-Tüpfelchen: Sie werden den Medien

entnommen haben, dass die Arbeitnehmerinnen und Ar-
beitnehmer jetzt zusätzlich zu ihren Verlusten noch ein-
mal 50 Millionen Euro durch Lohnverzicht einbringen
müssen, damit andere Kapitalgeber versuchen, diese
Firma zu retten. Hier werden die Arbeitnehmer doppelt
zur Kasse gebeten: zum einen durch die finanziellen Ver-
luste durch die Mitarbeiterbeteiligung und zum anderen
über das Risiko des Arbeitsplatzverlustes.


(Klaus Brandner [SPD]: Turborendite nennt man das!)


Jetzt hören Sie einmal genau zu: Diejenigen, die die
Misere verursacht haben, stehlen sich als Erste davon. Sie
verlassen als Erste das sinkende Schiff und heuern auf
dem nächsten Schiff an, wo sie noch mehr Geld bekom-
men und nicht nachweisen müssen, warum sie in der an-
deren Firma solch ein Missmanagement betrieben haben.
Wie blauäugig, glauben Sie, sind wir oder die Arbeitneh-
merinnen und Arbeitnehmer? Sie fordern uns jetzt mit
Ihrem Antrag auf, diese Form von Mitarbeiterbeteiligung
auch noch in das Altersvermögensgesetz aufzunehmen!


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1424603500
Herr Kol-
lege Grotthaus, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kol-
legen Schauerte?


Wolfgang Grotthaus (SPD):
Rede ID: ID1424603600
Gerne.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1424603700
Herr
Schauerte, bitte schön.


Hartmut Schauerte (CDU):
Rede ID: ID1424603800
Herr Kollege, Sie
beklagen mit Recht, welche Konsequenzen das für die be-
troffenen Arbeitnehmer in solchen Unternehmen haben
kann. Wir diskutieren gerade darüber, ein Register für un-
zuverlässige Firmen anzulegen. Sind Sie sich eigentlich
im Klaren darüber, dass die Firma Babcock Borsig dann
in ein solches Register käme und die Arbeitnehmer auch
noch ihren Arbeitsplatz verlieren würden?


Wolfgang Grotthaus (SPD):
Rede ID: ID1424603900
Nein, das ist falsch.
Herr Schauerte, Sie müssten die Vorgänge kennen. Wenn
Sie darauf abheben, dass die Firma Babcock eine Firma
übernommen hat und dadurch unzuverlässig geworden
ist, müssen Sie auch sagen, dass es Altlasten gab, für die
der neue Eigentümer nicht verantwortlich gemacht wer-
den kann. Auch ist im Gesetz nicht vorgesehen, dass Alt-
lasten auf rechtsverantwortlicher Basis in die nächste
Firma übernommen werden. Sie sollten das Gesetz ein
bisschen differenzierter lesen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Hartmut Schauerte [CDU/ CSU]: Da passen Sie einmal schön auf!)


Ich will festhalten, dass die von Ihnen vorgeschlagene
Gesetzesinitiative bedeuten würde, dass Arbeitnehmerin-
nen und Arbeitnehmer nicht nur bezüglich ihres Arbeits-
platzes, sondern auch bezüglich ihrer Altersvorsorge vom
Erfolg bzw. vom Misserfolg ihres Unternehmens abhän-
gig sind und dass sie dies ohne die Möglichkeit einer wirt-
schaftlichen Einflussnahme nicht akzeptieren können.

Meine Damen und Herren, Ihr Antrag trägt nicht zur
Stärkung der Kapitalteilhabe bei. Er ist ein Rückfall in die
Zeit vor 1998. Ich sage Ihnen ganz deutlich: Das ist ver-
ständlich; denn Sie haben Ihre Köpfe nicht ausgewechselt
und Ihre Ideologie nicht verändert. Sie stützen Ihre Poli-
tik immer noch auf jene Personen, die zu dieser Zeit, näm-
lich von 1982 bis 1998, Politik gemacht haben. Sie treten
mit einer alten Mannschaft an. Daher kann man von Ihnen
keine neue Politik erwarten. Sie haben Ihre Überzeugungen




Wolfgang Grotthaus

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(C)



(D)



(A)



(B)


nicht geändert. Sie haben nur olle und nicht verdauliche
Kamellen in ein neues Papier gewickelt.


(Walter Hirche [FDP]: Warum präsentiert dann jetzt Peter Hartz die Vorschläge, die seit Jahren gemacht werden?)


Dass dies schlecht bekömmlich ist, wissen Sie. Das wis-
sen auch die Menschen in dieser Republik. Das werden
wir immer wieder deutlich machen und wir sind davon
überzeugt, dass es uns bis zum 22. September gelingen
wird, dies den Menschen auch wirklich klar zu machen.
Die SPD-Fraktion wird Ihren Antrag also ablehnen.

Als ich Ihren Antrag zur Kenntnis genommen und
gehört habe, wie lange ich hier sprechen soll, habe ich ge-
dacht: Mein Gott, so lange kann man über einen solch
miesen Antrag nicht reden. Ich habe mir Mühe gegeben,
die mir zur Verfügung stehende Zeit auszufüllen. Mir ist
es nicht gelungen. Aber meine Kolleginnen und Kollegen
sind mir sicherlich dankbar, dass ich vor dem vorgesehe-
nen Zeitpunkt Schluss mache.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Walter Hirche [FDP]: Herr Kollege, das war hoffentlich Ihre letzte Rede!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1424604000
Das Wort
hat jetzt der Kollege Rainer Eppelmann von der
CDU/CSU-Fraktion.


Rainer Eppelmann (CDU):
Rede ID: ID1424604100
Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich kann es mir nicht
verkneifen, ein paar Vorbemerkungen zu dem zu machen,
was ich in den letzten 50 Minuten gehört habe.


(Wolfgang Grotthaus [SPD]: Sie bekommen aber nicht meine eingesparte Redezeit!)


Wenn ich Ihre Redebeiträge und Ihre Zurufe so höre, dann
habe ich fast Angst davor, dass wir am 22. September die
Wahl gewinnen.


(Susanne Kastner [SPD]: Die Angst können wir Ihnen gerne nehmen!)


Ich will Ihnen erklären, warum: Es würde sich da bei uns
wohl viel ändern. Denn es scheint so zu sein, dass Sie
beim Wechsel von der Oppositionsbank auf die Regie-
rungsbank und während Ihrer vierjährigen Regierungser-
fahrung andere Menschen geworden sind. Fragen Sie sich
das doch einmal!


(Susanne Kastner [SPD]: Lassen Sie doch diese Psychologie! – Klaus Brandner [SPD]: Wir gucken jeden Morgen in den Spiegel!)


Ein Weiteres möchte ich feststellen: Ich kann verstehen
– das gehört zu einer verantwortlichen Politik –, dass man
sich fragt: Ist dieses Vorhaben bezahlbar? Die erste Frage
müsste doch aber lauten: Ist es sinnvoll oder ist es nicht
sinnvoll? Wenn man zu der Antwort kommt: „Es ist oder
könnte sinnvoll sein“, dann werden wir meiner Meinung
nach auch so fantasiereich und klug sein, die dafür erfor-
derlichen Mittel zur Verfügung zu stellen.

Ich meine, dass unser Vorhaben sinnvoll ist. Genaueres
steht in unserem Antrag. – Es böte ein größeres Maß an
gesellschaftlicher Gerechtigkeit. Es gäbe besonders in
den mittelständischen und kleinen Betrieben in den neuen
Bundesländern erheblich mehr Eigenkapital.Aus Erfah-
rung wissen wir, dass es eine zusätzliche Motivation für
die Beschäftigten und Beteiligten bedeuten würde. Das
würde zu mehr Effektivität führen. Dies wiederum würde
mehr Wachstum, sichere Arbeitsplätze, mehr Steuerein-
nahmen und mehr Beitragseinnahmen bedeuten. Sie mer-
ken: Zumindest ein Teil des erforderlichen Geldes könnte
auf diese Weise zurückfließen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Zu dem, was Sie, verehrte Frau Kollegin Schwaetzer,

gesagt haben, ist festzustellen: Hätten Sie das doch vorher
gesagt! Außerdem ist das, worüber wir heute debattieren,
nur ein Antrag und noch kein fertiger Gesetzentwurf. Las-
sen Sie es uns doch also wagen, zu einer sinnvollen Sache
Ja zu sagen! Auf dem Wege der Gesetzgebung haben wir
noch ausreichend Möglichkeiten, daraus etwas noch Ver-
nünftigeres zu machen.

Ich darf darauf hinweisen, dass wir damit eine weitere
Auswahlmöglichkeit im Hinblick auf den Verdienst und
die Alterssicherung schaffen wollen und dass wir uns
natürlich Gedanken darüber machen, dass das Risiko des
Arbeitnehmers an dieser Stelle durch eine Versicherung
abgesichert werden muss.

Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht. Ich erinnere mich
noch – deswegen meine erste Bemerkung – an den
Kampf um den Ausbau der Förderung der Vermögensbil-
dung in der letzten Wahlperiode. Wir als Sozialaus-
schüsse der CDU haben damals gemeinsam mit anderen
christlich-sozialen Verbänden unter der Überschrift „In-
vestivlohn jetzt!“ für Verbesserungen im Vermögensbil-
dungsgesetz gefochten – auch in der eigenen Partei ist
das nicht ganz einfach gewesen –, und zwar, wie ich
meine, mit Erfolg; denn im September 1998 ist es uns
noch gelungen, das Dritte Vermögensbeteiligungsge-
setz zu verabschieden.

Wichtige Fortschritte wurden erreicht, zum Beispiel
die Anhebung der Einkommensgrenzen, wobei die Regel-
befugnis der Tarifpartner klargestellt wurde. Zudem ha-
ben wir das Vermögensbildungsgesetz nach dem Konzept
der zwei Förderkörbe – Bausparen und Vermögensbetei-
ligung – fortentwickelt und, wie ich meine, bessere För-
derbedingungen erreicht.

Ich erinnere mich noch sehr gut an das, was Ottmar
Schreiner und Gerd Andres für die SPD-Fraktion damals
zu unserem Gesetz gesagt haben. Vom Doppelspiel der
CDU/CSU war die Rede, vom Feigenblatt und vom Pla-
cebo-Effekt. Unser Gesetz ging Ihnen nicht weit genug.
Deswegen haben Sie es zunächst ablehnen wollen. Nach
der Debatte haben Sie sich dann aber der Stimme enthal-
ten, weil Sie meinten, wenn ein Schritt nicht groß genug
sei, aber in die richtige Richtung gehe, sollte man zumin-
dest nicht mit Nein dazu stimmen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wir haben vor vier Jahren gesagt: Unser Gesetz ist aus-

baufähig. Mehr bekommen wir im Augenblick nicht hin,




Wolfgang Grotthaus
24880


(C)



(D)



(A)



(B)


aber wir möchten in der nächsten Legislaturperiode mehr
machen.


(Klaus Brandner [SPD]: Das ist Mutlosigkeit! Sie haben von Fantasie gesprochen!)


Jetzt wollen wir es ausbauen. Da Sie noch die Mehrheit ha-
ben, könnten wir es gemeinsam tun. Aber nun machen Sie
merkwürdigerweise nicht mit – und das, obwohl Ottmar
Schreiner 1998 für die SPD noch gefordert hat – ich zitie-
re –, ein Durchbruch bei der Beteiligung der Arbeit-
nehmer am Produktivkapital sei absolut überfällig. Ge-
schehen aber ist seit Ihrer Regierungsübernahme auf
diesem Feld nichts. Es wird noch trauriger, wenn Sie heute
unseren Antrag ablehnen, der in großen Teilen genau die
gleichen Forderungen enthält, die Sie 1998 gestellt haben.


(Zuruf von der CDU/CSU: Hört! Hört!)

Noch in Ihrem Wahlprogramm zur Bundestagswahl

hatten Sie – Gerald Weiß hat eingangs darauf hingewie-
sen – den Ausbau der Beteiligung der Arbeitnehmer am
Produktivvermögen zusätzlich zur privaten und betriebli-
chen Altersvorsorge gefordert. Privatvorsorge und Be-
triebsrente fördern Sie, allerdings auf ungerechte Weise:
höhere Förderung für Gutverdiener, niedrige Förderung
für Geringverdiener. Das ist das Ungerechte dabei. Beim
Vermögensbildungsgesetz bleiben Sie völlig untätig.

Darum bedauere ich es zutiefst, dass Sie nicht einmal
über einzelne Forderungen unseres Antrages mit sich haben
reden lassen. Eine solche Forderung wäre zum Beispiel, die
gezielte Förderung ostdeutscher Arbeitnehmer auch über
2004 hinaus beizubehalten. Die Arbeitnehmersparzulage
für Produktivkapitalbeteiligung beträgt 20 Prozent im Wes-
ten, aber – wegen des Nachholbedarfs – 25 Prozent in den
neuen Bundesländern. Wir würden dies gern entfristen. Ich
zitiere, was der Christliche Gewerkschaftsbund dazu ge-
sagt hat – Ähnliches erklärten auch DGB und KAB –: Das
Entfristen kann nicht ernsthaft strittig sein. Solange die
Arbeitseinkommen in Ost und West nicht annähernd gleich
sind, muss diese Förderung fortgesetzt werden. – Dem ist
eigentlich nichts hinzuzufügen.

Wir brauchen Fortschritte bei der Produktivkapitalbe-
teiligung, beim Investivlohn. Wir brauchen endlich eine
investive Lohn- und Tarifpolitik, gerade im Osten. Nam-
hafte Wissenschaftler haben nach der friedlichen Revolu-
tion zu Investivlohnvereinbarungen geraten und viele
sagen heute: Hättet ihr von Anfang an darauf gesetzt, hät-
tet ihr heute im Osten höhere Einkommen und mehr
Arbeitsplätze.

Ich bin davon überzeugt, dass es für eine verantwortli-
che Politik, für mehr Gerechtigkeit und Sicherheit nie zu
spät ist. Doch die Tarifpartner brauchen andere rechtliche
Bedingungen, das heißt: unser Tun. Mit unserem Antrag
wollen wir einen notwendigen Beitrag dazu leisten. Ich
bitte Sie trotz all Ihrer Worte und Reden um Ihre Zustim-
mung.

Danke.

(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1424604200
Ich
schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussemp-
fehlung des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung
auf Drucksache 14/9401 zu dem Antrag der Fraktion der
CDU/CSU mit dem Titel „Kapitalteilhabe stärken – Ver-
mögensbildungsförderung altersvorsorgegerecht aus-
bauen“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Druck-
sache 14/6639 abzulehnen. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stim-
men von SPD, Bündnis 90/Die Grünen, FDP und PDS bei
Gegenstimmen der CDU/CSU-Fraktion angenommen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 24 a und 24 b auf:
a) Beratung des Schlussberichts der Enquete-Kom-

mission
Globalisierung der Weltwirtschaft – Heraus-
forderungen und Antworten
– Drucksache 14/9200 –

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Finanzausschusses (7. Ausschuss)

– zu dem Antrag der Abgeordneten Jörg-Otto
Spiller, Adelheid Tröscher, Dr. Ernst Ulrich von
Weizsäcker, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten
Angelika Beer, Andrea Fischer (Berlin), Rita
Grießhaber, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Reform der internationalen Finanzarchitektur

– zu dem Antrag der Abgeordneten Rainer
Brüderle, Gudrun Kopp, Dr. Hermann Otto
Solms, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der FDP
Für eine mutige Reform des Internationalen
Währungsfonds (IWF)


– zu dem Antrag der Abgeordneten Ursula Lötzer,
Dr. Barbara Höll, Rolf Kutzmutz, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion der PDS
Reform der internationalen Finanzarchitektur
– Drucksachen 14/9359, 14/3861, 14/4069,
14/9590 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Detlev von Larcher
Leo Dautzenberg
Dr. Barbara Höll

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die
Aussprache eineinviertel Stunden vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Als erste Rednerin hat die
Kollegin Sigrid Skarpelis-Sperk von der SPD-Fraktion
das Wort.


Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk (SPD):
Rede ID: ID1424604300
Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Enquete-Kommis-
sion „Globalisierung der Weltwirtschaft“ gibt mit ihrem
umfangreichen Bericht und 200 Empfehlungen viele Ant-
worten auf wichtige internationale Fragen. Viel Arbeit,




Rainer Eppelmann

24881


(C)



(D)



(A)



(B)


Zeit und ernsthafte, gelegentlich hitzige Diskussionen
sind in den Bericht eingegangen. Ich möchte an dieser
Stelle allen Sachverständigen und Kollegen, den Mitar-
beiterinnen und Mitarbeitern des Sekretariats und der
Fraktionen, die sich dieser zeitraubenden Arbeit und
Mühe unterzogen haben, an ihrer Spitze dem Vorsitzen-
den Ernst Ulrich von Weizsäcker, herzlich danken.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Meine Damen und Herren, unsere Aufgabenstellung
war sehr breit und anspruchsvoll und ihre Bewältigung im
Grunde in der uns zur Verfügung stehenden Zeit nicht zu
leisten. Das hat viel mit der Komplexität der Globalisie-
rung, aber auch mit dem Versuch zu tun, diesen schillern-
den Begriff operational zu fassen. Es hat auch damit zu
tun, dass es bisher weltweit weder eine Einigung über die
wichtigsten Globalisierungsindikatoren noch eine verläss-
liche international wirklich vergleichbare Datenbasis gibt.
Das machte empirisch fundierte Aussagen über weltweite
Entwicklungen gelegentlich schwierig und hat politischen
Streit vorprogrammiert. Wir haben deswegen einstimmig
empfohlen, die Verbesserung der einschlägigen Statisti-
ken energisch zu verfolgen.

Sehr viele unserer Feststellungen haben wir einver-
nehmlich getroffen, die Hälfte der Empfehlungen sogar
einstimmig. Das sollten wir trotz des immer heißer wer-
denden Wahlkampfes nicht ausblenden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


Einige unserer wichtigen Feststellungen will ich hier
darstellen:

Erstens. Der Globalisierung genannte Prozess hat sich
in den letzten 20 Jahren rapide beschleunigt. Treiber die-
ser Entwicklungen waren die sinkenden Transportkosten
sowie die Informations- und Kommunikationskosten und
das Streben der großen multinationalen Konzerne nach
neuen Märkten, die von einem immer härter werdenden
Wettbewerb angetrieben werden.

Zweitens. Politik, auch nationale Politik, ist dabei nicht
ohnmächtig, sondern hat in den vergangenen Jahrzehnten
diesen Prozess aktiv gestaltet und in seiner Breite und Ge-
schwindigkeit erst möglich gemacht. Warum? Ohne
Politik und viel öffentliches Geld hätte es weder den Aus-
bau von Häfen, Flughäfen, Straßen und Satelliten noch
das Internet und den damit zusammenhängenden rasanten
technologischen Fortschritt, weder die systematische
Handelsliberalisierung mit deutlichen Zollreduzierungen
noch die Welthandelsorganisation, die WTO, gegeben.
Die rasante Expansion der internationalen Finanzmärkte
wäre auch ohne sehr weit gehende Deregulierungen nicht
denkbar. Ohne systematische Politik hätte es auch nicht
die Bildung der zwei größten Weltwirtschaftsregionen
gegeben, der Europäischen Union und der NAFTA – das
ist der Zusammenschluss von Kanada, Mexiko und den
USA –, die mit Japan zusammen einen großen Teil des
Welthandels unter sich aufteilen.

Drittens. Wir haben festgestellt, dass der Welthandel
gar nicht so global ist, wie die meisten denken. Die Euro-

päische Union wickelt mit ihren unmittelbaren Nachbarn
über 40 Prozent des Welthandelsvolumens ab; gerade ein-
mal 15 Prozent wurden 1998 wirklich global, das heißt:
zwischen den Kontinenten, gehandelt.

EU und NAFTAhaben als große Weltwirtschaftsregio-
nen, bei denen jeweils nur zehn Prozent ihres Sozialpro-
duktes nach außen gehandelt wird, mehr Gewicht, mehr
politische Handlungsmöglichkeiten, aber auch mehr Ver-
antwortung für die Weltwirtschaft und das Wohl der Men-
schen als je zuvor.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Viertens. Die Globalisierung hat viel Wohlstand und
Chancen mit sich gebracht, aber auch viele Risiken und
Anpassungslasten.Diese sind aber sehr ungleich verteilt,
weltweit und innerhalb der meisten Nationen. Marktöff-
nung und Zollreduzierung führen zu mehr Wettbewerb,
Kostensenkung und schnellerem Strukturwandel. Das er-
fordert von allen Beteiligten, Unternehmen wie Arbeit-
nehmerinnen und Arbeitnehmern, ein hohes Maß an An-
passungsbereitschaft und -fähigkeit. Wenig Qualifizierte
oder Nichtqualifizierte, kleine Unternehmen und kleine
Länder haben dabei in der Regel weniger Chancen und
müssen härtere Anpassungslasten auf sich nehmen.

Fünftens. Deutschland und Europa haben sich im Pro-
zess der Globalisierung gut behauptet und werden das
auch künftig tun. Aber ohne mehr soziale Gerechtigkeit
und Verteilungsgerechtigkeit zu Hause und weltweit wird
das künftig nicht mehr möglich sein. Darauf hat der Bun-
despräsident zu Recht hingewiesen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


Nur, mit dieser angemessenen weltweiten Verteilung ist
es schlecht bestellt. 75 Prozent des Welthandels finden zwi-
schen 25 Prozent der Menschen statt. Ein Drittel des Welt-
handels läuft innerhalb der Zulieferketten der multinatio-
nalen Konzerne. Die ärmeren Länder profitieren dabei nur
sehr wenig, wie der jüngste UNCTAD-Bericht gezeigt hat.
Den ärmsten Ländern drohen Ausschluss und Abkopplung
von den internationalen Märkten. Lateinamerikas Anteil ist
rückläufig; Afrika hat gerade mal einen Anteil von drei Pro-
zent. Der Abstand zwischen den 20 Prozent ärmsten zu den
20 Prozent reichsten Ländern hat sich in den letzten 20 Jah-
ren nicht verkleinert, sondern stark vergrößert, nämlich von
1:34 auf 1:75. Das ist ein Skandal!


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Hundert Millionen mehr Arme bevölkern die Welt; 70 Pro-
zent von ihnen sind Frauen. Hunderte von Millionen Kin-
dern haben keine Chance, jemals eine Schule zu besuchen.

Die offenkundigen Schwächen der gegenwärtigen
Weltwirtschaftsordnung und des Weltfinanzsystems
machen unserer Meinung nach deren Stabilisierung und
Neuordnung unabweisbar und drängend. Deswegen ist es
bedauerlich, dass sich CDU und CSU und die FDP dieser
Notwendigkeit verschließen


(Zuruf von der CDU/CSU: Das tun wir gar nicht!)





Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk
24882


(C)



(D)



(A)



(B)


und Globalisierung unkritisch als Motor und Katalysa-
tor verklären. Sie fördere Wohlstand und Wachstum,
schreiben Sie, schaffe Raum für Innovation und Kreati-
vität,


(Walter Hirche [FDP]: Das stimmt ja auch!)

vergrößere die individuelle Freiheit, schaffe Arbeitsplätze
und Wissen.


(Gudrun Kopp [FDP]: Richtig!)

Das ist für einen Teil der Menschheit wahr, aber für drei
Viertel der Menschen ist es objektiv falsch und schlichter
Zynismus.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS – Walter Hirche [FDP]: Es ist dort wahr, wo zu Hause die richtigen Weichen gestellt worden sind!)


Wir Sozialdemokraten wollen im Gegensatz zu Ihnen des-
wegen eine Stabilisierung der internationalen Finanz-
märkte und eine ökologische und soziale Marktwirtschaft
weltweit,


(Thomas Rachel [CDU/CSU]: Die wollen wir auch!)


nicht nur für uns in Deutschland und in Europa.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Hartmut Schauerte [CDU/ CSU]: Im Gegensatz zu uns? Sie sind mir ja eine! Was sind Sie überhaupt für eine?)


Sie sagen in Ihrem Minderheitsvotum, die freien, un-
gezügelten Finanzmärkte würden es schon richten. Aber
in den letzten zehn Jahren hatten wir spätestens alle zwei
Jahre eine größere Finanzkrise – die letzte jetzt in Ar-
gentinien und vorher eine in Südostasien –, die Hunderte
von Millionen Menschen in bittere Armut gestürzt hat und
die Steuerzahler der betreffenden Länder zugunsten der
Spekulation 20 bis 40 Prozent ihres Bruttonationalein-
kommens in den Haushalten gekostet hat. Und die nächste
Krise kommt bestimmt!

Deswegen haben wir eine neue internationale Finanz-
ordnung vorgeschlagen, die Spekulation eindämmt, Geld-
wäsche aus organisierter Kriminalität und massiver
Steuerflucht reduziert, die Entschuldung der höchstver-
schuldeten Länder vorantreibt und einen frischen Schub
zur Bekämpfung der weltweiten Armut geben soll.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wir haben dazu eine Fülle von Empfehlungen gege-

ben, von einer Reform des Internationalen Währungs-
fonds und der Weltbank bis hin zu mehr Währungskoope-
ration, der Einführung einer Devisentransaktionssteuer
und einer internationalen Finanzordnung.

Wir glauben auch nicht, dass die existierende Welthan-
delsordnung im Selbstlauf zu ökologischen, sozialen und
fairen Ergebnissen führt. Denn auch bei uns in Deutsch-
land muss der Markt erst sozial gebändigt und ökologisch
ergänzt werden. Ich sehe besorgt, wie Union und FDP un-
ter dem Deckmantel der Globalisierung über internatio-
nale Handelsabkommen die soziale Marktwirtschaft un-

terlaufen und unsere Wirtschaft am US-Muster ausrichten
wollen.


(Thomas Rachel [CDU/CSU]: Wir verstehen mehr von sozialer Marktwirtschaft als die SPD!)


Deswegen wollen Sie auch die Verankerung von Sozial-
standards in der Welthandelsordnung wie das Verbot der
ausbeuterischen Kinderarbeit, der Lohnsklaverei, der
Zwangsarbeit und der Nichtzulassung von Gewerkschaf-
ten nicht mittragen.


(Gudrun Kopp [FDP]: Das stimmt überhaupt nicht!)


Auch beim Umweltschutz sind Sie widersprüchlich.
Zwar sollten umweltschädliche Subventionen im Trans-
portbereich eingestellt werden – darin waren wir uns ei-
nig –, aber Sie sind gegen die Besteuerung der Emissio-
nen des Luftverkehrs, das heißt gegen eine Kerosinsteuer.


(Thomas Rachel [CDU/CSU]: Macht es doch! Ihr seid doch noch an der Regierung!)


Auch lassen Sie die Frauen bei der Herstellung von Ge-
schlechtergerechtigkeit im Stich. Sie wollen nicht sehen,
dass auch dann, wenn eine Minderheit hoch qualifizierter
Frauen in der Welt auf der Gewinnerseite steht, die große
Mehrheit zu den Verliererinnen gehört. Aber wenn wir
fordern: „Lasst uns prüfen, ob die Frauen bei der Vergabe
öffentlicher Mittel nicht benachteiligt werden“, sagen Sie:
Das machen wir nicht, das ist uns zu bürokratisch und
kostet zu viel.


(Detlev von Larcher [SPD]: Hört! Hört!)

Mir scheint, dass Sie hier vorwiegend nach dem Motto

vorgehen: Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß. –
Dies alles war für uns Sozialdemokraten, war für Rot-
Grün nicht akzeptabel. Wenn es uns nicht gelingt, alle
Menschen fair und sozial gerecht an den Erträgen und
Chancen der Wirtschaft zu beteiligen, werden wir die
großen Herausforderungen dieser unserer einen Welt
nicht angehen können.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und der PDS)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1424604400
Kommen
Sie bitte zum Schluss, Frau Kollegin.


Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk (SPD):
Rede ID: ID1424604500
Wer Stabilität,
Arbeit, Sicherheit, Wohlstand und eine gesunde Umwelt
haben will, muss für eine ökologische, soziale und faire
Gestaltung der Globalisierung kämpfen.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und der PDS)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1424604600
Das Wort
hat der Kollege Hartmut Schauerte von der CDU/CSU-
Fraktion.


(Ottmar Schreiner [SPD]: Jetzt wird es düster! Jetzt wird es schauerlich dunkel!)





Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk

24883


(C)



(D)



(A)



(B)



Hartmut Schauerte (CDU):
Rede ID: ID1424604700
Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! Liebe Frau Skarpelis-Sperk,
ich halte es für bezeichnend, dass Sie auch hier in dieser
Schlussdebatte ein Zerrbild unserer Ansätze zeichnen


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk [SPD]: Das kann man nachlesen!)


und es heftig mit Polemik würzen. Ich werde mich nicht
daran beteiligen.


(Ottmar Schreiner [SPD]: Das ist aber etwas ganz Neues! – Annelie Buntenbach [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das erste Mal!)


Mit der Vorlage dieses Berichtes geht eine lange Arbeit
zu Ende, die effektiver hätte sein können, wenn sie nicht
immer wieder durch vermeidbare Belastungen gestört
worden wäre. Deswegen ist das Ergebnis auch enttäu-
schend.

Ich möchte aber nun die Zeit nutzen, um klar zu ma-
chen, wie die Union über diesen Gesamtkomplex, der
unglaublich wichtig ist, denkt. Globalisierung ist tech-
nologiebedingt, wissensbasiert, unvermeidbar, aber ge-
staltbar. Sie ist umfassend und unteilbar, sie besteht aus
vielen Bausteinen und es ist schädlich, wenn man sie in
einzelne Abteilungen zerlegt. Zu ihr gehören die Kunst,
die Kultur – auch die Weltmeisterschaft –, der Touris-
mus, das Wissen, die Medien, aber auch die Weltflücht-
linge, das Weltklima, der Weltfrieden, die Frage der
Frauen und ihre Lage in der Welt, Welthandel und welt-
weiter Terror.


(Dr. Ernst Ulrich von Weizsäcker [SPD]: Gute Liste!)


All dies sind die Elemente, die zur Globalisierung
gehören. Man kann sich nicht die Rosinen herauspicken
oder – wenn man negativ an dieses Thema herangeht – vor
allem die Problemfelder betrachten. Man kann sie nur ins-
gesamt haben oder gar nicht. Das Problem wird deutlich,
wenn wir uns die Welt einmal ohne die Globalisierung
vorstellen.


(Thomas Rachel [CDU/CSU]: Das ist wohl wahr!)


Stellen Sie sich bitte einmal vor, wo unsere Volkswirt-
schaft stünde, wie unsere Gesellschaft strukturiert wäre,
wo unser Wohlstand stünde. Es wäre ein finsteres Bild, ein
schreckliches Bild; auch weltweit. Ich bin froh, dass wir
die Globalisierung haben. Es kommt darauf an, sie an-
ständig zu entwickeln, intelligent zu nutzen, ihre Chancen
zu erhöhen und ihre Risiken zu verringern.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Die Globalisierung erhöht die Vergleichbarkeit und da-

mit den Wettbewerb. Sie belohnt gute nationale Politik.
Der Staat und insbesondere die Diktatoren haben keine
Chance mehr, ihre Bürger dauerhaft zu belügen und sie in
Unfreiheit zu halten. All das sind ausgesprochen positive
Teile des Globalisierungsprozesses.


(Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk [SPD]: Das ist ein bisschen naiv!)


– Lassen Sie das bitte. Sie haben sich vorhin schon in Ih-
rer ganzen Pracht dargestellt.


(Annelie Buntenbach [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt tun Sie das ja! – Gegenruf der Abg. Susanne Kastner [SPD]: Es wird ihm nicht gelingen, sich in seiner ganzen Pracht darzustellen!)


Ich bleibe dabei: Die Globalisierung ist durchaus positiv.
Die Gegner der Globalisierung – derer gibt es genug –

unterstellen ihr Wirkungen, die nicht in der Globalisie-
rung begründet sind. Vielmehr könnte die Globalisierung
eine Lösung für die entsprechenden Probleme sein. Ich
möchte die Lage der Frauen ansprechen. Die Lage der
Frauen in derWelt – so unbefriedigend sie in vielen Län-
dern und Kulturkreisen ist – ist nicht das Ergebnis von
Globalisierung. Wir sind vielmehr der festen Überzeu-
gung, dass wir mit und nicht ohne den globalen Diskus-
sionsprozess die Lage der Frauen ändern können.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Der Hunger in der Welt wird nicht von der Globalisie-

rung ausgelöst und hat seine Ursache nicht in der Globa-
lisierung, sondern er hat seine Ursache in der nach wie vor
viel zu hohen Bevölkerungsentwicklung in der Welt.


(Lachen bei Abgeordneten der SPD)

– Die Zahlen sind eindeutig, gnädige Frau. Dagegen hilft
kein breites Lachen.

Der Hunger hat seine Ursache in dem Wachstum der
Bevölkerung. Wir können und müssen darüber reden, ob
dieses Problem im Rahmen der Globalisierung intensiv
genug angepackt wird, ob man es noch besser, noch
schneller und noch intensiver anpacken kann. Aber wir
dürfen nicht sagen: Der Hunger in der Welt ist ein Ergeb-
nis des Globalisierungsprozesses.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber sicher!)


Das geht an jeder Wirklichkeit vorbei.

(Beifall der Abg. Gudrun Kopp [FDP])


Die Abholzung der Wälder ist kein von der Globalisie-
rung ausgelöster Prozess. Vielmehr reden wir über die Ab-
holzung der Wälder, weil wir die Globalisierung im Kopf
haben und diese Probleme weltweit sehen. Militärkon-
flikte sind nicht ein von der Globalisierung verursachtes
Problem. Vielmehr werden wir sie nur mit globalem Den-
ken und globalem Handeln lösen können, zum Beispiel
mit Peacekeeping-Maßnahmen. Das ist die Wahrheit. Das
müssen Sie dann auch so beschreiben, sonst verhetzen Sie
die Menschen. Damit gefährden Sie einen Prozess, der
Gott sei Dank unvermeidbar ist. Es kommt jetzt darauf an,
dass er richtig gestaltet wird.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie schönen ununterbrochen!)


Die Globalisierung ist die Voraussetzung für Lösungs-
ansätze bei diesen Problemen. Sie ist nicht ihre Ursache.
Die notwendigen Veränderungen, die in dem einen oder
anderen Fall schmerzhaft sein werden, werden der Globa-
lisierung angelastet. Ich bin dankbar, dass der Herr Kollege






(C)



(D)



(A)



(B)


Schreiner in der Arbeitsgruppe Arbeitsmärkte zu Anfang
erklärt hat, dass die Probleme am deutschen Arbeitsmarkt
– das wird in diesen Bereich gern hineininterpretiert –
nicht Ergebnis des Globalisierungsprozesses, sondern
selbst gemachte Probleme sind, die wir lösen müssen. Das
ist endlich eine klare Position. Etwas Ähnliches gilt für
die anderen von mir angesprochenen Bereiche.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Lassen Sie es mich auf den Punkt bringen: Wer die Pro-

bleme der Welt lösen will, kann auf die Globalisierung
nicht verzichten.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Sie ist notwendiger Bestandteil des Lösungspotenzials.
Wir müssen Deutschland fit machen. Ich habe gesagt:
Globalisierung erhöht den Wettbewerb. Das ist in Ord-
nung. Aber auch ohne den Prozess der Globalisierung ha-
ben sich in Deutschland Dinge verändert. Deswegen müs-
sen wir in Deutschland Maßnahmen anpacken. Wir
müssen unsere Reformanstrengungen verstärken. Diese
Regierung hat vier Jahre Zeit gehabt. Sie ist in diesem
Prozess leider nicht viel weitergekommen. Ich hoffe, dass
sich in den nächsten vier Jahren neue Chancen ergeben.

Wir müssen den Teil unserer politischen Arbeit, der
sich mit internationalen Dingen befasst, stärken. Das ist
von zentraler Bedeutung. Die Rolle der Außen- und Ent-
wicklungspolitik, der Anteil in jedem Fachressort, der
sich internationalen Beziehungen widmet, wird zuneh-
mend wichtiger. Ich habe den Eindruck, dass wir uns über
diese Entwicklung noch nicht genügend im Klaren sind.
Wir schauen immer noch zu sehr auf unsere jeweiligen
Bereiche und gehen nicht breit genug vor.

Deswegen ist es wichtig, dass wir die Institutionen, die
wir haben – den IWF, die UNCTAD, die ILO, das UNEP
und die UN –, ernst nehmen und stärken. Wir dürfen nicht
gegen sie streiken und auf der Straße Emotionen gegen sie
erzeugen, sondern wir müssen sie entwickeln und in die
Lage versetzen, die wichtigen Aufgaben zu erfüllen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Sie sind die einzigen Instrumente, die wir haben. Wer sie
kaputtmacht, muss sagen, welche Instrumente er neu ein-
richten will. Ich habe dazu nicht wirklich Neues gehört.

Ich komme zu einzelnen Punkten. Die Außen- und Ent-
wicklungspolitik habe ich angesprochen. Beim Thema Ent-
schuldung sind wir unterschiedlicher Meinung. Auch wir
wollen die Entschuldung der hoch verschuldeten armen
Länder. Aber wir meinen, sie muss als pädagogischer Pro-
zess für bessere Regierungsarbeit aufgefasst werden. Ent-
schuldung darf nicht dazu führen, dass man Zinsen spart, um
Rüstungsausgaben finanzieren zu können. Entschuldung
muss dazu führen, dass Bildungsinvestitionen verstärkt und
Demokratie und Menschenrechte gestärkt werden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk [SPD]: Das ist in allen Entschuldungsabkommen drin! – Dr. Norbert Wieczorek [SPD]: Sie kennen die Entschuldungsabkommen gar nicht! Sie sind schlecht vorbereitet!)


Das möchten wir gesichert sehen, aber wir finden es in
dem von der Mehrheit getragenen Bericht nicht in der not-
wendigen Klarheit.

Wenn Sie ein internationales Insolvenzrecht vorschla-
gen, ist das doch eigenartig. Es wird wohl keinen interna-
tionalen Konkursverwalter geben. Wir sind zwar auf dem
Weg, einige neue Elemente zu entwickeln, aber Ihr Ansatz
führt nicht weiter.

Was das Kartellrecht angeht, wollen wir Instrumente
einführen und einen Lernprozess einleiten, der weltweit
faire Wettbewerbsregeln verankert und durchsetzen hilft.


(Zuruf von der SPD: Völliger Konsens!)

Ob man dafür ein Weltkartellamt braucht, darüber lässt
sich reden. Da werden wir aber hinkommen. Wenn sich
die drei großen Wirtschaftsblöcke der Welt über Kartelle
und Marktmacht einigen könnten, würden sich die übri-
gen Länder sicherlich fügen. Denn die Wirtschaftsblöcke
würden wesentliche Dinge vorgeben und ich kann mir
nicht vorstellen, dass diese Vorgaben nicht weltweit
durchsetzbar wären.

Was Marktöffnungen angeht, so können diese zwar
durchgeführt werden. Aber passen Sie auf, dass keine
Standards formuliert werden, die die formal beschlossenen
Marktöffnungen tatsächlich wieder rückgängig machen.

Auch die Verbraucherschutzproblematik ist ein
hoch interessantes Thema. Wenn wir all das, was wir von
uns verlangen, von den Entwicklungsländern bei den Pro-
dukten verlangen, die sie liefern können, werden wir uns
wundern. Dann geben wir ihnen nämlich Steine statt Brot.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Das gilt auch für die Diskussionen über die Standards

im Allgemeinen. Kein vernünftiger Mensch kann doch
meinen, wir wollten Kinderarbeit nicht verbieten und
keine sozialen Standards einführen.


(Gudrun Kopp [FDP]: So ist es!)

Das ist eine so bösartige Unterstellung, dass ich mich
wundere, wie vernünftige Menschen so etwas formulieren
können.


(Beifall bei der CDU/CSU – Gudrun Kopp [FDP]: Völlig unsachlich!)


Wir haben es auf der WTO-Konferenz in Katar doch
erlebt. Wenn uns 70 Nationen dort – zwar mit unter-
schiedlichen Begründungen – auffordern, die Anforde-
rungen bei den Standards nicht so hoch zu schrauben, dass
sie keine Chance mehr haben, uns ihre Güter und Waren
zu liefern, dann ist das doch ernst zu nehmen.


(Gudrun Kopp [FDP]: Sehr unsozial!)

Sie verstehen unsere von oben herab geführte Diskussion
über Standards so, dass wir sie ausgrenzen und verhindern
wollen, dass sie unsere Märkte bedienen. Nur in diesem
Punkt sind wir unterschiedlicher Auffassung.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk [SPD]: Das ist doch Unsinn!)


Wir möchten ihnen mit einem intelligenten und hof-
fentlich beschleunigten Prozess der Anpassung an




Hartmut Schauerte

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(C)



(D)



(A)



(B)


vernünftige Standards die Chance geben, mit uns Handel
zu treiben. Wir würden sie aus den Weltmärkten heraus-
katapultieren, wenn wir ideologische oder in sonst einer
Weise wünschenswerte Standards durchsetzen wollten.
Das kann es aber nicht sein.

Was das Thema Offshore angeht, frage ich Sie, welche
Anstrengungen die Bundesregierung unternommen hat,
um die nicht kooperationsbereiten Offshore-Zentren
wirksam zu bekämpfen. Von Ägypten über Russland bis
hin zu Israel sind die interessantesten Staaten dabei,


(Zuruf von der CDU/CSU: Sogar in der EU!)

die nicht bereit sind, faire Regeln in bezug auf Geld und
Steuern zu akzeptieren. Diese brauchen wir aber, damit die
Schlupflöcher der internationalen Kriminalität bekämpft
werden können. Was hat denn die Regierung in diesem Zu-
sammenhang getan? Ich kann fast nichts erkennen.


(Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk [SPD]: Geldwäschegesetze! Neue Richtlinien!)


Dabei gibt es genügend Ansatzpunkte, um voranzukom-
men und die Schlupflöcher zu stopfen.

Auch die NGOs sind ein interessanter Punkt. Wir sa-
gen klipp und klar, dass die NGOs nötig, hilfreich und
nützlich sind. Aber entscheiden müssen die demokratisch
gewählten Regierungen und Parlamente.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Derselben Auffassung war auch der Vorsitzende der

Enquete-Kommission von Weizsäcker. Deshalb hat er in
seiner Einleitung zu dem Bericht geschrieben – ich hätte
es selber nicht besser sagen können –:

Eine positivere Rolle können die NGOs auf Dauer
allerdings nicht spielen, wenn sie nicht stets aufs
Neue ihre Glaubwürdigkeit beweisen. Vor allem
müssen sie um der Glaubwürdigkeit und um des
Rechtsstaats willen den Primat der parlamentari-
schen Demokratie und ihrer Regierungen respektie-
ren. Das gilt insbesondere bei der Gesetzgebung,
beim Gewaltmonopol und bei der Verhand-
lungsführung in internationalen Konferenzen. Zum
Respekt vor den Regeln der Demokratie gehört
selbstverständlich auch die Ablehnung von Gewalt.
Ferner muss ihre Finanzierung transparent sein.

Das ist ein absolut sauberer Text.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Der SPD aber war dieser Text zu kritisch. Sie hat ihrem
eigenen Ausschussvorsitzenden untersagt, eine so ver-
nünftige Passage in die Einleitung zu übernehmen. Das ist
der Ansatz, den Rot-Grün verfolgen will:


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

auf verschiedenen Ebenen spielen, Feuerchen machen,


(Detlev von Larcher [SPD]: Sie spinnen ja!)

auf allen Hochzeiten tanzen und eine Situation her-
beiführen, die von Demonstrationen auf den Straßen ge-
prägt ist.


(Detlev von Larcher [SPD]: Sie spinnen! – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Ausge rechnet Sie! Es sind wieder die Brandstifter, die hier „Feuer“ rufen!)


Das wird es nach der Wahl geben, wenn Sie in der Oppo-
sition sind.


(Detlev von Larcher [SPD]: Ein Spinner!)

Jetzt haben Sie sich mit Blick auf die Regierung noch
zurückgehalten. In Zukunft wird das anders sein. Ich be-
dauere das sehr.


(Zurufe von der SPD)

Ich möchte fortfahren


(Dr. Norbert Wieczorek [SPD]: Das wollen wir aber nicht, dass Sie das tun!)


und damit zum Kern zurückkommen. Die Globalisierung
ist ein hoch pädagogischer Prozess weltweit,


(Lachen bei der SPD)

mit psychologischen Elementen und allem, was dazu-
gehört.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Da ist aber einiges an Ihnen vorbei gegangen!)


Wir müssen miteinander lernen. Solche Prozesse, die un-
vermeidbar sind, kann man nicht steuern, indem man
Angst macht, sondern kann man nur steuern, indem man
Mut macht. Wer Angst macht und Angst vergrößert,
gefährdet den Prozess und erhöht die Risiken.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer schönfärbt, macht sich mitschuldig!)


Sie tragen in wesentlichen Teilen dazu bei, dass Angst ge-
macht wird.


(Detlev von Larcher [SPD]: Das ist Quatsch, was Sie erzählen!)


Deutschland muss – auch die Koalition – seiner größer
gewordenen Verantwortung gerecht werden. Deutschland
und Europa müssen dieser Verantwortung gerecht wer-
den. Es geht um den entscheidenden Prozess, die Welt un-
ter den modernen Bedingungen friedlich, ökologisch und
demokratisch zu entwickeln.


(Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk [SPD]: „Sozial“ hat er wieder vergessen!)


Daran wollen wir arbeiten, jetzt und in Zukunft.
Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP– HansChristian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war kein Glanzstück! – Detlev von Larcher [SPD]: Wie kann man so viel Quatsch erzählen?)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1424604800
Das Wort
hat jetzt die Kollegin Annelie Buntenbach vom Bündnis 90/
Die Grünen.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)





Hartmut Schauerte
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Globalisierung ist kein Sachzwang. Sie ist beeinflussbar
und kann gestaltet werden.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Genau das zeigen die 200 zum Teil sehr konkreten Hand-
lungsempfehlungen, die die Enquete-Kommission „Glo-
balisierung der Weltwirtschaft“ in ihrem Schlussbericht
vorgelegt hat. Sie sind eine Aufforderung an das Parla-
ment, an die Öffentlichkeit und an die Betroffenen, sich
einzumischen. Die Sonntagsreden über eine bessere Zu-
kunft der Welt können sich jetzt an den praktischen Schrit-
ten hin zu einer stärkeren Berücksichtigung sozialer und
ökologischer Belange, zu mehr Demokratie und Transpa-
renz messen lassen. Dafür bietet der Bericht eine Fülle
von Ansatzpunkten. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich
hoffe, dass unsere Empfehlungen auch für Sie überzeu-
gend sind und dass Sie viele davon in der nächsten Legis-
laturperiode umsetzen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)


Zwar führt die Globalisierung insgesamt zu einem Zu-
gewinn an gesellschaftlichem Reichtum, aber dieser
Reichtum ist ungerecht verteilt. Ganze Länder sind von
der Entwicklung abgekoppelt. Wer abgekoppelt ist, wer
hoch verschuldet ist, wer zum Beispiel gar nicht über die
Mittel verfügt, um seine Rohstoffe ausbeuten zu können,
der hat erst gar keine Chance, am internationalen Wettbe-
werb auf gleicher Augenhöhe oder sogar mit Gewinn teil-
zunehmen.


(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Dann seid mit den Standards vorsichtig!)


Wenn jeden Tag mehr als 100 000 Menschen an Hun-
ger oder seinen unmittelbaren Folgen sterben, wenn
828Millionen Kinder, Männer und Frauen im letzten Jahr
schwerstens unterernährt waren und wenn trotz des wach-
senden Reichtums die Schere zwischen Arm und Reich
immer weiter auseinander geht, wenn die Lebenschancen
und die Chancen der Teilhabe immer ungleicher verteilt
werden, dann ist doch offenkundig, dass Handlungsbedarf
besteht.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der PDS)


Soziale und ökologische Interessen erfordern im Prozess
der Globalisierung politische Einmischung.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS)


Herr Schauerte, Sie bauen Pappkameraden auf. Hier
hat doch niemand die Forderung „Zurück auf die
Bäume!“ oder „Zurück in die Gräben der Autarkie!“ er-
hoben. Das ist doch albern. Dass es Internationalisie-
rung gibt, dass es sie geben soll und dass es sie geben
muss, ist völlig klar. Die Frage ist nur, wie sie aussieht und
wie sie gestaltet wird. Dass es hier Handlungsbedarf gibt,
wird kaum jemand ernsthaft bestreiten.

Die Auseinandersetzung um diese Gestaltung – das
sage ich nochmals in Ihre Richtung – ist kein Glaubens-
kampf. Hierbei geht es nicht um Wortklauberei. Mich er-

staunt immer wieder, wenn ideologische Scheuklappen,
wie vorhin geschehen, dazu führen, dass die Probleme der
Realität gar nicht wahrgenommen werden und damit auch
die Verantwortung der Politik dafür, diese Zustände zu
verändern, nicht ernst genommen wird. Dafür gibt es kei-
nen einfachen Weg, sondern das erfordert eine langwie-
rige und schwierige Auseinandersetzung in der Sache, der
sich die Enquete-Kommission gestellt hat.

An dieser Stelle möchte ich ganz herzlich all denen
danken, ohne die es diesen fundierten Bericht gar nicht
geben würde. Damit meine ich die Mitglieder der En-
quete-Kommission aus allen Fraktionen, Abgeordnete
wie Sachverständige, die sich an dem spannenden und
nicht immer einfachen Erarbeitungsprozess beteiligt ha-
ben. Damit meine ich aber auch die Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter im Sekretariat und in den verschiedenen Frak-
tionen.


(Beifall bei Abgeordneten aller Fraktionen)

Mein ganz besonderer persönlicher Dank gilt Professor
Dr. Franz Nuscheler, den meine Fraktion als Sachverstän-
digen gewinnen konnte und mit dem die Zusammenarbeit
viel Spaß gemacht hat.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD, der FDP und der PDS)


Jetzt zu den Handlungsempfehlungen, von denen ich
hier nur einige wenige nennen kann.

Stichwort Finanzmärkte. Es ist erstaunlich, dass sich
die Reaktionen auf die Veröffentlichung unseres Berichts
in manchen Stellungnahmen auf die Frage beschränken,
ob sich die Enquete nun für oder gegen die Tobinsteuer
ausspricht. Die Tobinsteuer ist eine logische und notwen-
dige Maßnahme gegen schädliche Kurzfristspekulationen,


(Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Was ist das denn? – Walter Hirche [FDP]: Weder logisch noch notwendig!)


nicht weniger, aber auch nicht mehr. Unsere Empfehlun-
gen im Finanzbereich gehen viel weiter. So müssen Gläu-
biger künftig in die Risiken von Finanzkrisen mit einbe-
zogen werden, denn nur so kann gewährleistet werden,
dass sie verantwortungsvoller investieren.


(Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Das ist nichts Neues!)


Und es muss klar sein: Wer sich der Kontrolle und den in-
ternationalen Standards entzieht und von so genannten
Offshore-Zentren – die einen nennen das Steuerparadiese,
die anderen Geldwaschanlagen – aus agiert, muss härtere
Eigenkapitalanforderungen erfüllen und in ein spezielles
Unternehmensregister eingetragen werden. Das ist auch
ein Schritt dahin, die Geldwäsche wenigstens etwas mehr
einzudämmen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Nicht nur die immense Beschleunigung der zum Teil
hoch spekulativen Transaktionen belastet die Finanz-
märkte, auch die Verschuldung von Entwicklungsländern
ist ein sehr ernstes Problem. Deshalb fordert die Enquete,




Annelie Buntenbach

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(C)



(D)



(A)



(B)


die Entschuldungsinitiativen voranzutreiben, natürlich
nicht, Herr Schauerte, um Mittel für Rüstung freizuma-
chen. Das will niemand, das war in der Enquete auch nie
Thema. Das kann vernünftigerweise auch niemand wol-
len. Vielmehr geht es natürlich um Mittel für Bildung und
anderes.


(Gudrun Kopp [FDP]: Wir wollen auch keine Kinderarbeit! – Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Man muss zuhören!)


Ich kenne auch kein Entschuldungsabkommen, das nicht
genau an dieser Stelle die Bremse anzieht.

Deshalb fordert die Enquete, die Entschuldungsinitia-
tiven voranzutreiben und ein internationales Insolvenz-
verfahren einzurichten, das im Fall schwerer Finanz- und
Schuldenkrisen Ländern einen wirtschaftlichen Neuan-
fang ermöglicht.

Stichwort öffentliche Güter. Ein Kernelement der
Globalisierung ist die Liberalisierung und Privatisierung
der Finanz-, Güter- und Dienstleistungsmärkte. Alles soll
zur frei handelbaren Ware werden. Nun gibt es Bereiche,
die zu den Grundbedürfnissen der Menschen oder der Ge-
sellschaft gehören, und ihre Sicherstellung ist eine der ori-
ginären Aufgaben der öffentlichen Hand, was – das sage
ich gleich dazu – übrigens nicht heißt, dass alle Dienste
staatlich organisiert werden müssen. Aber die letzte Ver-
antwortung muss beim Staat verbleiben.

Die UNO zählt auf der internationalen Ebene zu den
öffentlichen Gütern, den so genannten „global public
goods“, neben Klima und Biodiversität zum Beispiel auch
Frieden, ökonomische, soziale und finanzielle Stabilität.
Globale öffentliche Güter haben eines gemeinsam: Alle
Menschen und Länder sind darauf angewiesen und kein
Land kann sie allein sicherstellen. Welche Güter eine
Gesellschaft als Teil der öffentlichen Daseinsvorsorge
versteht, muss letztlich in der Gesellschaft selbst breit dis-
kutiert und entschieden werden und kann nicht den Pro-
fitinteressen transnationaler Konzerne überlassen bleiben
oder dem Gutdünken von Verhandlungsdelegationen, die
hinter verschlossenen Türen tagen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS)


Die wichtigsten Weichenstellungen für die Liberalisie-
rung im Dienstleistungsbereich werden im Rahmen der
Verhandlungen zum GATS-Abkommen getroffen. Hier
empfiehlt die Enquete, keine weiteren Liberalisierungs-
verpflichtungen einzugehen, ohne die sozialen Folgen
vorher abzuschätzen, und die Betroffenen viel stärker in
den Entscheidungsprozess einzubeziehen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS)


Die Leistungen der öffentlichen Daseinsvorsorge, wie
zum Beispiel Bildung und Kultur, sollten aus den Ver-
handlungen des GATS ganz ausgenommen werden.

Stichwort Global Governance. Die internationalen In-
stitutionen müssen demokratischer werden. Die Staaten
aus dem Süden, in denen die Mehrheit der Weltbevölke-
rung lebt, müssen in den internationalen Institutionen

mehr Gewicht erhalten. Ohne ihre gleichberechtigte Teil-
habe an Entscheidungen, also ohne Nord-Süd-Parität, kön-
nen globale Probleme überhaupt nicht bewältigt werden.

Es geht aber auch um eine Verschiebung der Gewichte
zwischen einzelnen Institutionen. So ist der Vorrang, der
der Handelspolitik gegenüber anderen Feldern wie der
Umwelt- oder der Sozialpolitik eingeräumt wird, abzu-
bauen. Die Enquete-Kommission fordert dementspre-
chend die Stärkung und die Aufwertung des Umwelt-
programms der Vereinten Nationen, UNEP, indem man es
zu einer eigenständigen Weltumweltorganisation ausbaut,
sowie eine Stärkung der ILO. Die Enquete-Kommission
empfiehlt darüber hinaus, UNEP und ILO an den Streit-
schlichtungsverfahren der Welthandelsorganisation künf-
tig zu beteiligen. Bei Konflikten über international gültige
handelspolitische Regeln, wie sie beispielsweise die
WTO aufstellt, und bei internationalen Konventionen zur
Durchsetzung von Menschenrechten, von Friedenszielen,
sozialpolitischen Zielen und Umweltzielen muss den
Letzteren Priorität eingeräumt werden.

Wir brauchen die Kohärenz zwischen den verschiede-
nen Politikbereichen, auf internationaler, aber auch auf
nationaler Ebene. Um das zu erreichen, müssen wir die
Debatten im Parlament anders organisieren und die The-
men bündeln.

Zurück zur WTO. Die Welthandelsorganisation muss
insgesamt transparenter werden. Das ist die einhellige
Auffassung der Kommission. Ein erster Schritt wäre es,
Nichtregierungsorganisationen, Gewerkschaften und Ver-
bänden einen Beobachterstatus und Zugang zu allen Sit-
zungen der Welthandelsorganisation einzuräumen.

Die Zivilgesellschaft und die Nichtregierungsorganisa-
tionen haben eine sehr wichtige Rolle dabei gespielt – ich
hoffe, dass sie sie weiterhin spielen werden –, das Thema
Globalisierung über die Kreise der Experten und Fachab-
geordneten hinaus in die breite Öffentlichkeit zu tragen.
Sie haben durch ihre Demonstrationen und Proteste auf
der Straße die Tagesordnungen der internationalen Insti-
tutionen durcheinander gebracht. Zu Recht haben sie
dafür gesorgt, neben der Debatte über die Handelslibera-
lisierung auch eine Diskussion über die sozialen und öko-
logischen Folgen in Gang zu setzen. Wir sollten diese Ver-
änderungen nutzen und auch in unserem Parlament
vollziehen. Im Zusammenhang mit der Diskussion über
die Gestaltung der Globalisierung haben wir der Zivil-
gesellschaft und insbesondere den Demonstrationen auf
der Straße sehr viel zu verdanken.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Unter dem Stichwort „Global Governance“ geht es
nicht allein um eine Reform der internationalen Institu-
tionen, sondern auch um den Einbezug neuer Akteure. Die
tatsächliche Umsetzung von Kernarbeitsnormen, die in
der Welthandelsorganisation verankert werden sollen,
und von Umwelt- und Sozialstandards vor Ort hängen von
strategischen Allianzen zwischen Konsumenten und Pro-
duzentinnen einerseits und zwischen Nord und Süd ande-
rerseits ab. Die Absichtserklärungen multinationaler Kon-
zerne, Umwelt- und Sozialstandards zu respektieren,
dürfen nicht zu einer folgenlosen Werbestrategie im Nor-




Annelie Buntenbach
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(C)



(D)



(A)



(B)


den verkommen. Sie müssen genutzt werden, um kon-
krete Verbesserungen der Arbeits- und Lebensbedingun-
gen der Menschen im Süden zu erreichen. Darüber war
sich die Enquete-Kommission weitgehend einig.

Auf die konkreten Arbeits- und Lebenssituationen von
Frauen wirkt sich der Globalisierungsprozess sehr unter-
schiedlich aus. Insbesondere die Frauen in den Ent-
wicklungsländern laufen Gefahr, zu den Verliererinnen zu
gehören. Sie bilden mehr als zwei Drittel der in Ar-
mut lebenden Bevölkerung. Viele von ihnen arbeiten
im informellen Sektor ohne soziale Absicherung. Die
Enquete-Kommission fordert eine bewusste und aktive
Frauenpolitik mit dem Ziel, die Benachteiligung von
Frauen auf den unterschiedlichen Ebenen zu beseitigen.

In die gerechte, soziale, ökologische und menschliche
Gestaltung der Globalisierung sowie in die zivile Kon-
flikt- und Gewaltprävention Energien und Finanzmittel zu
investieren hätte gerade den reichen Industrieländern wie
auch der Bundesrepublik Deutschland in den letzten
Jahren sehr gut angestanden. Im kommenden Haushalt
ist, entsprechend den Ergebnissen der Konferenz von
Monterrey, der Ansatz für eine Entwicklungszusam-
menarbeit zwar erhöht worden – ich begrüße das aus-
drücklich –; wir sind aber immer noch sehr weit vom in-
ternational vereinbarten Ziel eines Bruttoinlandsprodukts
in Höhe von 0,7 Prozent entfernt.

Erlauben Sie mir eine persönliche Bemerkung in mei-
ner letzten Rede im Bundestag: Ich hatte gehofft, dass
nach dem Ende des Kalten Krieges diejenigen Mittel frei-
gesetzt würden, die früher in irrsinnige Rüstungspro-
gramme gesteckt wurden. Leider stehen jetzt neue um-
fangreiche Rüstungsprogramme auf der Tagesordnung,
die öffentliche Mittel bei gleichzeitig sinkender Staats-
quote auf die Investition in neue Waffensysteme festle-
gen, und zwar in einer bislang unvorstellbaren Größen-
ordnung. Während der US-Militärhaushalt 1998 noch
259 Milliarden Dollar betrug, so sind für 2007 450 Milli-
arden Dollar vorgesehen. Diese Mittel gehen zulasten
anderer öffentlicher Ausgaben: Soziales, Bildung, Ge-
sundheit, Umwelt, Entwicklungszusammenarbeit. Kriege
scheinen wieder führbar und gewinnbar. Das ist die eine
zutiefst beunruhigende Nachricht.


(Walter Hirche [FDP]: Das hat mit dem Kampf gegen den Terrorismus zu tun! Das bitte ich nicht zu vernachlässigen!)


– Der furchtbare Terroranschlag vom 11. September hat
den Prozess lediglich beschleunigt, er hat ihn nicht aus-
gelöst.

Die andere zutiefst beunruhigende Nachricht ist: Die
Rüstungsspirale dreht sich erneut, auch in anderen Län-
dern. Nicht nur die Bundesrepublik, Europa und die
NATO werden in diesen fürchterlichen Kreislauf einstei-
gen und ihre knappen Mittel in die besten und effektivsten
Systeme investieren, um Kriege zu führen, statt in die Zu-
kunftsaufgaben der Menschheit. Das halte ich für eine
grundfalsche gesellschaftliche Weichenstellung.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)


Statt mehr Rüstung und einer Renaissance des Militäri-
schen als Mittel der Politik brauchen wir eine gerechte
Weltwirtschaftsordnung und demokratische Teilhabe an
deren Gestaltung.

Herr Präsident, lassen Sie mich noch einen letzten Satz
sagen: Stabiler Frieden muss einen für alle Beteiligten
wenigstens halbwegs akzeptablen Interessenausgleich
zur Grundlage haben. Das ist eben nicht über Aus-
grenzung, sondern nur über Teilhabe am Aushandlungs-
prozess zu erreichen. Interessen dürfen nicht unilateral
durchgesetzt werden; ein nachvollziehbares multilatera-
les Rechtssystem ist nötig, dessen Entscheidungen im In-
teresse der Schwächeren jeweils auch vernünftig über-
prüfbar sind. Schwächere gibt es leider mehr als genug,
denn unsere Welt ist trotz bzw. wegen der Globalisierung
gespalten. So international wie unsere Märkte ist unsere
Solidarität offensichtlich nicht. Das müssen wir verän-
dern.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1424604900
Frau Kol-
legin Buntenbach, nach Ihrer letzten Rede danke ich Ih-
nen im Namen des Hauses für Ihre kollegiale und enga-
gierte Arbeit im Deutschen Bundestag und wünsche Ihnen
für die Zukunft alles Gute.


(Beifall im ganzen Hause)

Das Wort hat jetzt die Kollegin Gudrun Kopp von der

FDP-Fraktion.


Gudrun Kopp (FDP):
Rede ID: ID1424605000
Herr Präsident! Sehr geehrte
Herren und Damen! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die Arbeit der Enquete-Kommission stand nach zweiein-
halb Jahren unter keinem leuchtenden Stern mehr – so
habe ich es empfunden –, sondern vollzog sich eher in ei-
nem schwachen Schummerlicht, und zwar in einem
Schummerlicht längst überkommen geglaubter Uralt-
ideologien. Wir haben das heute Morgen auch hier im Ple-
num schon vermerken können. In der Sache bestehen ei-
gentlich wenige Unterschiede; es kann doch niemand
wirklich annehmen, liebe Sigrid Skarpelis-Sperk, dass
sich die FDP – unsere Partei wurde ja angesprochen –
tatsächlich für Kinderarbeit ausspreche,


(Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk [SPD]: Aber ihr seid gegen das Verbot!)


Armut fördern oder die Entschuldung nicht zurückführen
wolle. Das ist doch pure Polemik; hier kommt ein gehöri-
ger Schuss an Ideologie herein.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das Ganze lässt sich dadurch erklären, dass in der ei-
nen Ecke des Hauses die Globalisierung mit einer hässli-
chen Fratze gezeichnet wird, während in der anderen Ecke
des Hauses – dazu gehört auch die FDP – versucht wird,
mit realistischen und vor allen Dingen auch freiheitlichen
Elementen die Globalisierung positiv zu gestalten.


(Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk [SPD]: Verklärend!)





Annelie Buntenbach

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(C)



(D)



(A)



(B)


Genau das ist unsere Aufgabe.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Was haben wir getan? Wir hatten am Anfang sehr lang-
atmige Diskussionen, es gab heftige Kompetenzstreitigkei-
ten, wir haben einen gehörigen Zeitverlust bei unserer ei-
gentlichen Arbeit, nämlich einer zielgerichteten und
intensiven Suche nach Problemlösungen, hinnehmen müs-
sen. So ist es natürlich zu einer gewissen Enttäuschung
gekommen – das trifft auch auf mich zu –, weil wir einen
riesengroßen Fragenkatalog von wichtigen Themenkom-
plexen in der Enquete-Kommission überhaupt nicht mehr
behandeln konnten. Das müssen wir jetzt auf die nächste
Legislaturperiode verschieben. Das finde ich sehr bedauer-
lich, denn wir hätten mehr Kraft, mehr Zeit und mehr Effi-
zienz in die eigentliche Arbeit stecken können und müssen.


(Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk [SPD]: Wenn ihr da gewesen wäret, wäre es besser gewesen!)


Für die FDP steht schon seit langem fest, dass die Glo-
balisierung viel mehr Chancen als Risiken bietet. Wir sind
uns der Risiken absolut bewusst, sehen aber, dass es nicht –
schon gar nicht auf Knopfdruck – totale Gerechtigkeit und
gerechte Verteilung aller Güter geben kann. Veränderungen
brauchen Zeit und dafür ist intensivste Arbeit vonnöten.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Insofern geht es hier darum, geeignete Rahmenbedingun-
gen zu schaffen. Im Wege steht dabei aber die Ideologie
eines so genannten Gutmenschentums, mit der wir nichts
erreichen werden.

Als FDP-Fraktion haben wir zu dem über 600 Seiten
umfassenden Schlussbericht unser Minderheitenvotum
eingebracht. Ich nenne hier zwei zentrale Punkte, in de-
nen wir uns sehr unterscheiden. Zum einen lehnen wir die
Devisentransaktionssteuer oder Tobin Tax als ungeeigne-
tes Instrument für irgendwelche Regulierungen ab.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Walter Hirche [FDP]: Wie auch Professor Tobin am Ende seines Lebens! – Gegenruf des Abg. Detlev von Larcher [SPD]: Auch das ist nicht wahr!)


Diese Tobinsteuer beeinträchtigt den Handel mit Gütern
und Dienstleistungen. Eigentlich ist sie als zusätzliche
Einnahmequelle gedacht. Insoweit ist sie Sand im Ge-
triebe des internationalen Finanztransfers. Sie ist ord-
nungspolitisch bedenklich. Vor allem zementiert sie die
Steueroasen und die Steuerflucht und bekämpft nicht die
Offshore Centers.

Zum anderen lehnt die FDP die Verbindung von Um-
welt-, Arbeits- und Sozialstandards mit Handelsaktivi-
täten ab.


(Beifall des Abg. Walter Hirche [FDP])

Damit befinden wir uns, wie ich ausdrücklich betonen
möchte, im Konsens mit den betroffenen Entwicklungs-
ländern.


(Walter Hirche [FDP]: Genau das ist der Punkt! Sie bitten uns darum, das nicht miteinander zu verknüpfen!)


Sie sagen selbst, dass wir damit eine riesige Hürde auf-
bauten und Marktabschottung betrieben.

In diesem Zusammenhang müssen wir uns auch fra-
gen, inwieweit wir bereit und in der Lage sind, unsere ei-
genen Märkte zu öffnen. Ich denke hier an die Agrar- und
Textilmärkte. Hier passiert nicht viel. Ich habe auch kei-
nerlei Kritik seitens des Bundeskanzlers oder des Außen-
ministers daran gehört, dass die Vereinigten Staaten vor
kurzem entgegen dem auf der letzten WTO-Konferenz in
Doha geschlossenen Abkommen ihre Agrarsubventio-
nen sukzessive um weitere 70 Prozent auf 180 Milliar-
den Dollar erhöhen werden. So etwas läuft den Bedürf-
nissen der Entwicklungsländer zuwider. Ich sehe dies als
einen so wichtigen Punkt an, dass ich fürchte, dass da-
durch die WTO-Konferenz im Jahre 2003 gefährdet sein
könnte. Die Entwicklungsländer fühlen sich hier nicht
ernst genommen. Ein solches Gefühl dürfen wir ihnen
aber nicht geben.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD – Detlev von Larcher [SPD]: Haben Sie Frau Wieczorek-Zeul nicht zugehört?)


Nur eine globale Handelsordnung kann gegen den pro-
tektionistischen Missbrauch von Antidumpingmaßnah-
men wirksam sein und den Verbrauchern mehr Transpa-
renz und Informationen liefern. Wir treten sogar – ich sage
„sogar“, weil das viele überrascht – für einen internatio-
nalen Wettbewerb mit geordneten Rahmenbedingungen,
also nicht etwa nach Wildwestmanier, ein. In vier Schrit-
ten soll das Ziel einer international funktionierenden
Wettbewerbsordnung erreicht werden: erstens erwei-
terte Notifizierungspflichten, zweitens eine Wettbewerbs-
politik als Teil der WTO-Überprüfungsmechanismen,
drittens eine Vereinbarung gemeinsamer Wettbewerbs-
regeln und viertens die Errichtung eines Weltkartellamtes
mit eigener Klagebefugnis.


(Beifall des Abg. Walter Hirche [FDP] – Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk [SPD]: Da waren sich aber alle in der Enquete einig, Frau Kollegin!)


Zum Thema Entwicklungshilfe erinnere ich die Regie-
rungsfraktionen daran, dass sie in den letzten vier Jahren ihr
hoch gestecktes Ziel von 0,7 Prozent des Bruttosozialpro-
dukts – dieses Ziel war in ihren Wahlprogrammen enthal-
ten – nicht erreicht haben. Im Haushalt 2002 kommt
Deutschland gerade einmal auf 0,27 Prozent,


(Dagmar Schmidt [Meschede] [SPD]: Dieses Ziel ist unter Ihrer Regierung heruntergewirtschaftet worden!)


während die Niederlande und Schweden sogar das Rio-
Ziel von 0,7 Prozent überschritten haben und bei 0,8 Pro-
zent liegen. Großbritannien liegt bei 0,31 Prozent, die
Schweiz bei 0,34 Prozent.


(Zuruf der Bundesministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul – Gegenruf des Abg. Walter Hirche [FDP]: Ihre Zwischenrufe können Sie woanders rufen!)


– Die aufgeregten Zwischenrufe kann ich sehr gut verste-
hen, lieber Walter Hirche, denn es ist ein wunder Punkt,




Gudrun Kopp
24890


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wenn man einerseits hier predigt, was man alles tun muss,
die Worte und die Taten aber andererseits sehr weit ausei-
nander klaffen. Das sehen wir sehr wohl.


(Walter Hirche [FDP]: Drei Jahre gekürzt und dann ein Jahr erhöht, um wieder zum Anfangsniveau zu kommen! – Gegenruf des Abg. Detlev von Larcher [SPD]: Wer hat das gesenkt?)


Weil der Vorsitzende unserer Enquete-Kommission,
Herr von Weizsäcker, gleich noch sprechen wird, bitte ich
um eine Klarstellung. Ich musste gestern in einer Presse-
mitteilung lesen: „Wir müssen die Demokratie neu erfin-
den.“


(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Ja, das ist ein starker Satz!)


Weiter fand sich der Satz: Die „Vorsitzenden der parla-
mentarischen Fachausschüsse müssen an internationalen
Verhandlungen beteiligt werden.“

Ich war einigermaßen geschockt. Ich finde diese Äuße-
rung schädlich, denn wir leben in einer funktionierenden
Demokratie. Nicht überall auf der Welt gibt es demokra-
tische Strukturen, aber gerade daran müssen wir gemein-
sam arbeiten. Dem dient auch die Globalisierung, weil sie
mehr Transparenz, mehr Menschenrechte, mehr Bildung
und mehr Wohlstand für immer mehr Menschen bringen
kann – bei allen Problemen, die ohne Zweifel bestehen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Walter Hirche [FDP]: Das ist das Misstrauen gegenüber der eigenen Regierung! Das ist ganz einfach!)


– So ist es.

(Lachen bei der SPD – Walter Hirche [FDP]: Sonst müsste die SPD so etwas nicht beantragen!)


Zum Thema Arbeitsmarkt. Ich fand die Analyse der
Experten wirklich sehr interessant, wonach unsere Pro-
bleme auf dem Arbeitsmarkt in der Tat hausgemacht sind.
Dazu kann ich nur anmerken: Wer die Globalisierung als
Alibi für Untätigkeit in Sachen nationaler Reformen be-
nutzt, der muss entlarvt werden; ich finde das sehr arro-
gant.

Fangen wir doch im eigenen Haus an! Bemühen wir
uns, den eigenen Markt in Ordnung zu bringen, und gehen
wir erst dann dazu über, anderen irgendwelche Vorschrif-
ten zu machen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1424605100
Frau Kol-
legin Kopp, kommen Sie bitte zum Schluss.


Gudrun Kopp (FDP):
Rede ID: ID1424605200
Ich komme zum Schluss und
richte meinen Dank für das sehr gute persönliche Mitei-
nander in der Enquete-Kommission zum einen an die Kol-
legen, zum anderen aber auch an die Experten. Damit
meine ich ausdrücklich alle Experten gleichermaßen. Ich
mache keinen Unterschied, von welchen Fraktionen sie je-

weils benannt wurden; politische Differenzierungen fände
ich in diesem Zusammenhang kleingeistig. Herzlichen
Dank für den Sachverstand, den Sie eingebracht haben.


(Beifall im ganzen Hause)

Lassen Sie mich die Frage danach, wie es weitergeht

und ob wir eine neue Enquete-Kommission brauchen, fol-
gendermaßen beantworten: Ich wünsche mir, dass wir in
der nächsten Legislaturperiode diesen Komplex Globali-
sierung, der uns weiter begleiten wird und den wir drin-
gend gestalten müssen, zum Beispiel im Wirtschaftsaus-
schuss behandeln,


(Walter Hirche [FDP]: Sehr gut!)

nicht aber im Rahmen einer Kommission, die kaum wahr-
genommen und von außen kaum ernst genommen wird;


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das war nur bei Ihnen der Fall!)


dafür ist mir dieses Thema zu ernst und zu wichtig. Ich
hoffe, dass wir dann zu einem effizienteren Arbeiten kom-
men.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1424605300
Das Wort
hat jetzt die Kollegin Ulla Lötzer von der PDS-Fraktion.


Ursula Lötzer (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1424605400
Herr Präsident! Kolleginnen
und Kollegen! Der Endbericht macht zunächst einmal ei-
nes deutlich: Es war höchste Zeit. Die Demonstrationen
von Seattle bis Sevilla haben längst verdeutlicht, dass die
Gesellschaft die mit der Globalisierung verbundene Un-
gleichheit der Entwicklung zu Recht zunehmend als Pro-
blem empfindet. Die kritische Öffentlichkeit wächst und
stellt berechtigte Fragen. Das Weltsozialforum von Porto
Alegre hat eine intensive Diskussion von Alternativen be-
gonnen.

Herr Kollege Schauerte, Ihre wie unsere Alternative
heißt nicht Rückzug ins Schneckenhaus, sondern koope-
rative, solidarische Internationalisierung, die allen eine
Chance gibt. Deshalb richtet sich Ihre wie unsere Kritik
auch nicht gegen Globalisierung an sich,


(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Aha! Es ist schön, das mal von Ihnen zu hören!)


sondern gegen ihre neoliberale Deformation. Sie war von
Anfang an auch ein politisches Projekt, eng verbunden
mit Reagan, Thatcher und Kohl. Die G 8 bildet in diesem
Zusammenhang ein politisches Machtzentrum. Bedauer-
lich ist, heute feststellen zu müssen, dass sich die Gipfel-
teilnehmer in Kanada vor der kritischen Bewegung in ein
unzugängliches Bergdorf zurückziehen. Damit verfesti-
gen sie eher die undemokratischen Strukturen.

Wer Transparenz und Demokratie durch den ständigen
Verweis auf Sachzwänge der Globalisierung ersetzt, der
befördert Politikverdrossenheit bis hin zu Rechtspopulis-
mus. Das wird in Europa in den letzten Monaten mehr als
deutlich. Parlamente haben bisher die Rolle stummer
Zaungäste eingenommen. Deshalb war es höchste Zeit,
die Diskussion aufzunehmen und Schlüsse zu ziehen.




Gudrun Kopp

24891


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(D)



(A)



(B)


Jetzt haben wir gemeinsam mit Vertreterinnen und Ver-
tretern von Wissenschaft, Gewerkschaften, Verbänden
und NGOs die Entwicklung untersucht und 200 Empfeh-
lungen vorgelegt. Mit ihrer Unterstützung ist ein Endbe-
richt gelungen, der es ermöglicht, Handlungsfähigkeit für
uns im Parlament zurückzugewinnen. Der Diskussions-
prozess um Alternativen in der Öffentlichkeit wird beför-
dert.

In der Kürze nur einige für uns wichtige Ergebnisse:
Empfehlungen zur Stabilisierung der Finanzmärkte

und hier besonders zur europäischen Einführung der To-
binsteuer.

Empfehlungen zum Schutz öffentlicher Güter; Eva-
luierung hinsichtlich der sozialen Folgen und des Aus-
schlusses der Bildung und weiterer Leistungen der Da-
seinsvorsorge aus den folgenden GATS-Verhandlungen.

Sicherung der Nachhaltigkeit von Wissen gegenüber
zunehmendem privatwirtschaftlichen Verwertungsdruck.
Das erfordert unter anderem eine Revision des TRIPs-Ab-
kommens und der EU-Richtlinie zur Patentierung unter
Federführung der UN. Hierbei haben Menschenrechtsab-
kommen, das Recht auf Gesundheit, Nahrungssicherheit
und biologische Vielfalt absolute Priorität.

Bekämpfung von Arbeitslosigkeit, Schutz sozialer
Standards und Rechte sowie Maßnahmen zur Umvertei-
lung. Der Endbericht empfiehlt Maßnahmen zur koordi-
nierten makroökonomischen Politik auf europäischer
Ebene.

Stärkung der Demokratie im globalen Maßstab. Dazu
gehören die Reform der Stimmrechte im IWF zugunsten
einer Nord-Süd-Parität und eine Vertretung aller Regio-
nen im Weltsicherheitsrat mit Sitz und Stimme.

Mit einigen Analysen und Empfehlungen sind wir
leider in der Minderheit geblieben. Darum kümmern wir
uns nächstes Mal erneut. Wir betrachten die „diszipli-
nierende“ Wirkung der großen Finanzmarktakteure als
Aushebelung von Demokratie und Gefährdung des So-
zialstaats. Große Akteure auf den europäischen Finanz-
märkten müssen wieder in nachhaltige Wirtschaftspolitik
eingebunden werden. Für uns gilt es zudem, die demo-
kratische Gestaltungsmacht gegenüber transnationalen
Konzernen weiter gehend zu stärken. Die Bekämpfung
von Arbeitslosigkeit setzt neben einer engen europäischen
Koordinierung Schritte zur Binnenmarktorientierung in
der Wirtschaftspolitik voraus.

Um das zu erreichen, haben wir nicht nur intensiv am
Endbericht und seinen Empfehlungen mitgearbeitet, son-
dern auch ergänzende Analysen und Empfehlungen zu
diesen Schwerpunkten in unserem Minderheitenvotum
vorgelegt.

Die Umsetzung der Empfehlungen der Enquete-Kom-
mission erfordert einen Politikwechsel auch der Bundes-
regierung. Nur ein Beispiel: Mehrere asiatische Staaten
haben sich mit Kapitalverkehrskontrollen vor Finanz-
marktkrisen geschützt. Jetzt fordert die EU von ihnen das
Fallenlassen all dieser Schranken. Das ist Destabilisie-
rung von Finanzmärkten statt der von uns gemeinsam ge-
forderten Stabilisierung. Die EU fordert von den USA

Schritte zur Bildungsliberalisierung. Damit trägt sie nicht
zum Schutz öffentlicher Güter bei, im Gegenteil.

Ein Politikwechsel auf diesem Gebiet wäre allerdings
mit Ihnen von CDU/CSU und FDP nicht zu machen.


(Gudrun Kopp [FDP]: Das stimmt!)

Sie singen im Wesentlichen das Hohelied von den Chan-
cen der Globalisierung und der Fähigkeit des Marktes,
alle Probleme zu lösen.


(Walter Hirche [FDP]: Richtig! Im Unterschied zu den Sozialisten!)


In Ihrem Votum ignorieren Sie die Probleme und die Rea-
lität der Verlierer und stellen sich nur auf die Seite der Ge-
winner.


(Beifall bei der PDS – Hartmut Schauerte [CDU/ CSU]: Das ist doch gar nicht wahr!)


Das ist das Problem. Sie sind nicht für Kinderarbeit, aber
Sie verweigern die notwendigen Mittel, um sie zu
bekämpfen.


(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der SPD)


Eine Umsetzung der Empfehlungen in der Politik
kann auch nicht passives Abwarten heißen; sie setzt ge-
meinsames Handeln in der nächsten Legislaturperiode
voraus. Einem gemeinsamen, fraktionsübergreifenden
Antrag zur europäischen Einführung der Tobinsteuer
dürfte nach den gemeinsamen Empfehlungen eigentlich
endgültig nichts mehr im Wege stehen. Gemeinsam soll-
ten wir dafür sorgen, dass die empfohlene Taskforce zur
Klärung einer angemessenen parlamentarischen Befas-
sung in der nächsten Wahlperiode eingerichtet wird. Ge-
meinsam sollten wir auch dafür sorgen, dass der Dialog
mit den zivilgesellschaftlichen Kräften im Zusammen-
hang mit Fragen der Globalisierung eine ständige Ein-
richtung des Parlaments wird. Gemeinsam sollten wir im
Rahmen der GATS-Verhandlungen dafür streiten, dass öf-
fentliche Güter den notwendigen Schutz bekommen, den
wir ihnen in unserer Empfehlung zugemessen haben.


(Beifall bei der PDS)

Zum Schluss bleibt auch mir nur noch, den Sachver-

ständigen, den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aus
dem Sekretariat und den Fraktionen für die Zusammen-
arbeit zu danken. Es war nicht nur anstrengend, sondern
es hat auch Spaß gemacht und uns viele neue Erkenntnisse
gebracht.

Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der PDS, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1424605500
Als
nächster Redner hat der Kollege Dr. Ernst Ulrich von
Weizsäcker von der SPD-Fraktion das Wort.


Dr. Ernst Ulrich von Weizsäcker (SPD):
Rede ID: ID1424605600
Herr Präsi-
dent! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Dankbar
und mit ein wenig Stolz können wir dem Hohen Hause




Ursula Lötzer
24892


(C)



(D)



(A)



(B)


den Abschlussbericht unserer Kommission – mit 600 Sei-
ten und 200 Empfehlungen – überreichen. Wir, das sind
die 13 Abgeordneten mit ihren Vertreterinnen und Vertre-
tern und die 13 sachverständigen Mitglieder. Diesen
möchte ich ganz herzlich danken. In diesen Dank einbe-
ziehen möchte ich natürlich die Mitarbeiterinnen und Mit-
arbeiter im Sekretariat der Enquete-Kommission und in
den Fraktionen, die Gutachter, diejenigen, die zu unseren
Anhörungen gekommen sind, die Vertreterinnen und Ver-
treter der Ministerien, die uns sehr geholfen haben, und all
die anderen Beteiligten, die nur selten genannt werden.
Wenn man die Seitenzahlen all dessen, was produziert
worden ist, addiert, kommen wir wahrscheinlich auf meh-
rere tausend Seiten. Wir sorgen dafür, dass das über Inter-
net sorgfältig strukturiert zugänglich wird.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP und der PDS)


Die Globalisierung hat die Welt radikal verändert, und
zwar – das ist gar keine Frage – in vielerlei Hinsicht zum
Guten. Eine Rückkehr ins Schneckenhaus gibt es nicht
und will auch niemand. Ich stimme Frau Kollegin Kopp
und der Ministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul vollstän-
dig zu, dass das, was die Amerikaner mit ihrer Farm Bill
machen, eine Katastrophe für den Freihandel ist.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der FDP)


Die Globalisierung hat auch die Firmen und die
Arbeitsplätze sehr verändert. Mit Software aus Indien,
Rohstoffen aus Indonesien, Zulieferteilen aus Kanada,
Krediten aus London produzieren deutsche Firmen in
Tschechien für den Export nach Saudi-Arabien und Bra-
silien. Man hat manchmal das Gefühl, dass dort niemand
mehr durchblickt.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wer hat das alles noch unter Kontrolle? Vor allem für die
kleinen und mittleren Unternehmen ist das eine enorme
Herausforderung. Sie werden von den Großen mehr und
mehr in die Rolle der Zulieferer abgedrängt. Nun kommt
die Erschwerung der Kreditbedingungen, die man im Zu-
sammenhang mit Basel II befürchtet, hinzu.

Vor diesem Hintergrund ist es kein großes Wunder, dass
sich viele Menschen im Land und insbesondere kleine und
mittlere Gewerbetreibende erst einmal verängstigt fühlen.
Lieber Kollege Schauerte, nicht wir sind es doch, die
Angst schüren!


(Walter Hirche [FDP]: Oh! Nicht der Vorsitzende!)


Wir bemühen uns – hier versuchen wir, einen parteipoli-
tischen Konsens herzustellen –, diese Angst abzubauen
und zu zeigen, wie die Wege erstens der eigenen Kompe-
tenzverstärkung und zweitens der Gestaltung von Globa-
lisierung sind.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Hartmut Schauerte [CDU/ CSU]: Das ist Wunschdenken!)


Was mir als Demokraten allerdings Sorge macht
– nicht Angst! –, ist nicht die mangelnde Gemütlichkeit
– an Wettbewerb und Hektik bin ich ja gewöhnt –, sondern
eine Art Umkehr der Dominanz zwischen Demokratie

und Wirtschaft. In den 60er- und 70er-Jahren war es doch
noch völlig selbstverständlich, dass der Staat den Firmen
sagte, wie sie sich zu benehmen haben, damit sie in unse-
rem Land willkommen sind. Heute ist es leider in vielen
Fällen umgekehrt.
Die internationalen Unternehmen sagen dem Staat, wie er
sich zu benehmen hat, damit sie gnädigerweise bei ihm
investieren.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Dies ist eine Besorgnis für die Demokratie. Darauf, liebe
Kollegin Kopp, bezog sich meine Aussage, wir müssten
die Demokratie neu erfinden. Natürlich bedeutet das
keine Kritik am heutigen Staat. Es bedeutet vielmehr, dass
wir demokratische Strukturen nunmehr auch auf Welt-
ebene verstärken müssen, damit wieder eine Art Gleich-
gewicht entstehen kann.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Die Firmen sagen nicht nur unserem Staat, wie er sich
zu verhalten hat, sondern sagen es allen Staaten. So ent-
steht eine Art Steuerwettbewerb unter den Staaten, den die
OECD mit Recht als schädlich bezeichnet hat. Es kommt
eine Stimmung auf, wie sie am Anfang der 90er-Jahre mit
Beginn der Globalisierung zu beobachten war: Wer Steu-
ern zahlt, ist selber schuld. Ulrich Wickert hat dies verall-
gemeinert und gesagt: „Der Ehrliche ist der Dumme.“

Die Globalisierung hat neben all den großen Vorteilen,
die sie geschaffen hat, und auch ohne dass es jemand ge-
wollt hat, einem Verfall der guten Sitten Vorschub geleis-
tet. Geldwäsche, Korruption, Steuerhinterziehung und
Umweltraubbau haben sich leider weltweit ausgebreitet.
Das ist eine der Herausforderungen, mit der wir es zu tun
haben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


Durch diese Situation wird die Pflege der öffentlichen
Güter – der Bildung, der Infrastruktur und der Umwelt –
gegenüber den, wie es scheint, nimmersatten Ansprüchen
des privaten Sektors erschwert. Die Nationalstaaten be-
kommen in dieser Situation, in der sie erpressbar sind, das
Problem der Balance zwischen öffentlichen und privaten
Anliegen einfach nicht mehr in den Griff. Sie müssen sich
zusammenschließen, gemeinsame Regeln schaffen und
sie im Sinne des Subsidiaritätsprinzips auf sehr unter-
schiedlichen Ebenen – einschließlich der Weltebene –
durchsetzen. Dort nennt man es globale Strukturpolitik
oder auch Global Governance.

Dazu gehört auch – wie beispielsweise Frau Ministerin
Wieczorek-Zeul oft betont – eine Demokratisierung der
internationalen Finanzorganisationen. Es geht doch
nicht an, dass nach dem guten alten Prinzip der Demo-
kratie „ein Mensch – eine Stimme“ es nun auf einmal „ein
Dollar – eine Stimme“ heißt. Das ist doch oft die Realität
in der internationalen Wirtschaft.


(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Das ist genau das Angstmachen, von dem wir reden! – Gegenruf der Abg. Annelie Buntenbach [BÜND Dr. Ernst Ulrich von Weizsäcker 24893 NIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist die Beschreibung der Realität! – Zuruf des Abg. Thomas Rachel [CDU/CSU])





(C)


(D)


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– „Ein Dollar – eine Stimme“ soll Polemik sein? Das ist
die Realität.


(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Das ist keine Realität!)


Die Gestaltung der Globalisierung durch globale
Strukturpolitik ist der Inhalt des 10. Kapitels unseres Be-
richts, gewissermaßen die Summe unserer Arbeit. Wir
sind uns dabei klar geworden, dass die Kräfte des Staates
und der Staatengemeinschaft allein noch nicht ausreichen,
um die genannte Balance zwischen öffentlichen und pri-
vaten Anliegen wieder herzustellen.

Die Zivilgesellschaft muss eingeladen werden, mit der
Demokratie, mit Demokratinnen und Demokraten in allen
Staaten zusammenzuarbeiten. Da sind die Kirchen, die
Gewerkschaften, die Frauenorganisationen und die Um-
weltschutzverbände sowie die Millionen ehrenamtlich
Tätigen gefragt, die bereit sind, sich für ihre jeweiligen öf-
fentlichen Anliegen einzusetzen. Auch auf die Einhaltung
von Regeln muss geachtet werden, die allerdings – das hat
der Kollege Schauerte ganz richtig zitiert – nur vom Staat
oder von der Staatengemeinschaft beschlossen werden
können.

Frau Kollegin Kopp, Sie haben mich danach gefragt,
was es mit dem Vorschlag auf sich hat, dass die Vorsit-
zenden der Fachausschüsse in den internationalen Ver-
handlungen dabei sein sollen. Das ist in den USA schlicht
Praxis und ist Gegenstand unserer Empfehlung 10-15. Sie
können es nachlesen.

Die Globalisierung erfordert den Einsatz aller demo-
kratischen Kräfte. Wir rufen ihnen also zu: Nur Mut! Das
muss in der 15. Legislaturperiode auf der Basis unserer
200 Empfehlungen Wirklichkeit werden.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1424605700
Das Wort
hat jetzt der Kollege Thomas Rachel von der CDU/CSU-
Fraktion.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Aber jetzt nicht wieder Angst machen!)



Thomas Rachel (CDU):
Rede ID: ID1424605800
Herr Präsident! Meine
sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Angesichts des vorliegenden Berichts von
600 Seiten möchte ich dem Vorsitzenden unserer En-
quete-Kommission, den Sachverständigen – ich sehe ei-
nige auf der Tribüne – und den Mitarbeitern des Sekre-
tariats – denn sie haben dieses Werk unter besonderem
Einsatz zusammengestellt – herzlich danken.


(Beifall im ganzen Hause)

Es wäre gut gewesen, wenn auch der Wirtschaftsmi-

nister, der letztendlich für die Wirtschaft zuständig ist, an

der Debatte über die Globalisierung der Weltwirtschaft
teilgenommen hätte.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Jetzt wieder mit kleiner Münze!)


Wir haben einen interessanten Bericht vorgelegt. Er
enthält viel Konsens im Hinblick auf Analysen und Vor-
schläge. Es bestehen aber auch gravierende Unterschiede.
Insofern spiegelt der Gesamtbericht mit dem rot-grünen
Mehrheitsvotum und den Minderheitsvoten von CDU/
CSU, FDP und PDS ein repräsentatives Bild des Parla-
mentes wider.

Dissens gab es vor allem in der Frage der Vor- und
Nachteile der Globalisierung.Aus Sicht der CDU/CSU
überwiegen eindeutig die Vorteile der Globalisierung ge-
genüber den zweifelsohne auch vorhandenen Nachteilen.
Es geht deshalb darum, die Vorteile der Globalisierung zu
nutzen und die Risiken zu minimieren. Die Globalisie-
rung zu verteufeln oder sich national abzuschotten, dies
wäre ein Irrweg.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Eine Dämonisierung der Globalisierung hilft uns

nicht weiter. Auch Begriffe können Ängste erzeugen.
„Globalisierungsfalle“ ist zum Beispiel so ein Schlag-
wort, das das Bewusstsein einschläfert und eine sach-
gerechte und hilfreiche Diskussion eher verhindert.
Globalisierung ist nichts anderes als eine verstärkte in-
ternationale Arbeitsteilung, die durch neue Technolo-
gien beflügelt und beschleunigt wird. Ausdrucksformen
dieser Globalisierung sind die Zunahme des grenzüber-
schreitenden Handelsverkehrs, der weltweiten Investi-
tionen, des internationalen Kapitalverkehrs und des Wis-
senstransfers. Globalisierung ist unabwendbar; aber sie
ist gestaltbar.

Im Mehrheitsbericht klingt es an vielen Stellen so, als
wenn die heutige Situation der Welt sehr negativ sei und
es vor der Globalisierung besser gewesen sei. Das ist
natürlich falsch.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist unterschiedlich!)


Das Weltvolkseinkommen ist höher als jemals zuvor. Der
Anteil der in absoluter Armut lebenden Menschen ist ge-
ringer geworden.


(Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk [SPD]: 100 Millionen mehr Arme gibt es!)


Das Bildungsniveau ist höher geworden. Die Kinder-
sterblichkeit hat abgenommen, aber natürlich noch nicht
ausreichend. Die Menschen werden älter und bleiben län-
ger gesund. Internationale Arbeitsteilung und ein wirt-
schaftlicher Austausch tragen dazu bei, Demokratisierung
und Menschenrechte international zu verbreiten. Wahr ist
allerdings, dass auch in Deutschland die Außenpolitik
eine gänzlich neue Bedeutung und Dimension im Zeit-
alter der Globalisierung bekommen muss.

Der geschätzte Vorsitzende unserer Enquete-Kommis-
sion, Ernst Ulrich von Weizsäcker, hat mit Bezug auf die




Dr. Ernst Ulrich von Weizsäcker
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(C)



(D)



(A)



(B)


Globalisierung folgende These aufgestellt: „Wir müssen
die Demokratie neu erfinden.“ Das ist falsch.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das hat er doch gerade begründet! Sie hören nicht zu! Sie können nicht von Ihrem Manuskript abweichen!)


Wir dürfen den Menschen keine Angst machen. Die De-
mokratie ist durch die Globalisierung nicht gefährdet.
Zwar nimmt der Einfluss der Wirtschaft tendenziell zu,
aber dadurch wird die Demokratie eben nicht auf den
Kopf gestellt. Es bleiben in der nationalen Politik Hand-
lungsoptionen bestehen, die allerdings richtig und klug
genutzt werden müssen. Dazu gehört, die richtigen
Rahmenbedingungen zu setzen, sodass der Wettbewerb
um die richtigen Lösungen und Ideen aufrechterhalten
bleibt.

Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz,
Karl Lehmann, hat den Sachverhalt vor einiger Zeit in
einer Rede zur Globalisierung auf den Punkt gebracht:

Die Macht allzu beharrender einheimischer Inte-
ressengruppen wird durch internationale Einflüsse
beschränkt. Weltoffene Märkte können eher Innova-
tionen und Strukturwandel begünstigen.


(Zuruf von der CDU/CSU: Recht hat er!)

Die Wahrheit ist: Viele Länder in der Welt profitieren

von der Globalisierung. Wachstum und Wohlstand haben
sich besonders in den Ländern ausgeprägt, die sich dem
internationalen Wettbewerb geöffnet haben, für Rechts-
staatlichkeit sowie stabile und ausgewogene Verhältnisse
sorgen und wirtschaftliche Freiheiten zulassen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Widerspruch des Abg. Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


– Herr Ströbele, die Daten sind eindeutig. Volkswirt-
schaften, die sich dem Prozess der Globalisierung geöff-
net haben, sind drei- bis viermal schneller gewachsen als
Volkswirtschaften, die sich diesem Prozess verschlossen
haben. Das gilt für Entwicklungsländer genauso wie für
Industriestaaten.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Deshalb ist die Empfehlung größerer Abschottung ein Irr-
weg; er ist sogar lebensgefährlich für die Entwicklung
dieser Völker.

Rot-Grün stellt die These auf, dass in einer Welt global
agierender Unternehmen die Fähigkeit nationaler Staaten
abnimmt, öffentliche Güter wie Infrastruktur, sozialen
Ausgleich und Gesundheit zu sichern.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1424605900
Herr Kol-
lege Rachel, entschuldigen Sie. Erlauben Sie eine Zwi-
schenfrage der Kollegin Skarpelis-Sperk?


Thomas Rachel (CDU):
Rede ID: ID1424606000
Aber gerne.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1424606100
Bitte
schön.


Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk (SPD):
Rede ID: ID1424606200
Herr Kollege
Rachel, ist Ihnen bekannt, dass die UNCTAD vor knapp
zehn Tagen einen Bericht veröffentlicht hat, den World
Trade Report 2002, in dem sie genau auf diese Proble-
matik eingegangen ist und sehr differenziert nachgewie-
sen hat, dass es eine Menge Länder gegeben hat, die ihre
Märkte geöffnet haben, aber gleichwohl an diesem
Wachstumsprozess nicht teilhaben konnten? Das Ergeb-
nis war: Marktöffnung und übrigens auch gute Politik al-
lein genügen nicht.


Thomas Rachel (CDU):
Rede ID: ID1424606300
Liebe Frau Kollegin
Skarpelis-Sperk, natürlich ist mir das bekannt. Wenn Sie
aufmerksam zugehört haben, haben Sie gemerkt, dass ich
mehrere Bedingungen genannt habe. Ich habe gesagt: Die
Volkswirtschaften profitieren von der Globalisierung, die
sich dem internationalen Wettbewerb öffnen, die in ihren
eigenen Ländern Rechtsstaatlichkeit garantieren – das hat
auch etwas mit Investitionen von ausländischen Firmen
zu tun –, die für stabile politische und sozial ausgewogene
Verhältnisse sorgen – das hat etwas mit den autoritären
Regimes und den klassenkämpferischen Verhältnissen in
einigen Ländern Schwarzafrikas zu tun – und die auch
wirtschaftliche Freiheiten zugestehen.


(Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk [SPD]: Das reicht aber nicht!)


All dies gehört zusammen. Die Zahlen zeigen eindeutig,
dass die Länder, die diese Bedingungen erfüllen, ganz er-
heblich profitieren und ihre Volkswirtschaften drei- bis
viermal schneller gewachsen sind als die anderer Länder.

Nach der These von Rot-Grün führt Globalisierung zu
einer Verlagerung von Geld aus dem öffentlichen in den
privaten Sektor. Dahinter steht der Glaube, der Staat
müsse alle Fragen selber regeln. Dem stellen wir aller-
dings entgegen, dass es Aufgabe der Politik ist, meine Da-
men und Herren, die Staatsquote zurückzuführen. Das
war übrigens auch einmal Ihre Auffassung; denn Bundes-
kanzler Schröder hat das im Zusammenhang mit der Idee
der Neuen Mitte selber als sein Ziel formuliert. Rot-Grün
ist aber nach links und damit von diesem Ziel abgerückt.

Richtig ist: Die Globalisierung erzwingt die Beantwor-
tung der Frage, ob der Staat oder die private Wirtschaft ein
Gut, zum Beispiel das soziale Gut der Pflegedienstleis-
tungen, anbieten soll. Im Zweifel soll es der machen, der
es besser macht, der es effizienter und für die Volkswirt-
schaft preisgünstiger anbieten kann.


(Detlev von Larcher [SPD]: Und vielleicht auch für die Menschen besser macht!)


Dies ist jedenfalls unsere Auffassung.
Meine Damen und Herren, eine wichtige Aufgabe der

Politik im Zeitalter der Globalisierung ist es, den Wettbe-
werb zu erhalten. Wir müssen verhindern, dass wir eine
Vermachtung weltweiter Märkte durch Unternehmens-
konzentration bekommen. Dies ist tatsächlich eine enorme
Herausforderung. Wir müssen die Funktionsfähigkeit des
Wettbewerbs sichern; denn Wettbewerb verhindert Macht-
missbrauch im politischen und wirtschaftlichen Bereich.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU)





Thomas Rachel

24895


(C)



(D)



(A)



(B)


Deshalb brauchen wir eine internationale Wettbewerbs-
politik.

Wir können auf die Erfahrungen unserer sozialen
Marktwirtschaft zurückgreifen. Ein Grundpfeiler ihres
Erfolges ist es, dass sie die Märkte von Vermachtung frei
hält. Die uns bekannten Strukturen müssen wir auf die
internationale Ebene übertragen.

Dazu gehören eine effiziente Wettbewerbsaufsicht und
das Kartellrecht. Sie sind die Chance für die Politik, den
Prozess der Globalisierung zu gestalten. Dafür brauchen
wir bilaterale, plurilaterale und multilaterale Ansätze.
Auch ein Weltkartellamt kann man nicht ausschließen,
aber es ist noch Zukunftsmusik. Jetzt geht es darum, dem
Gedanken der internationalen Wettbewerbspolitik zum
Durchbruch zu verhelfen und die existierenden Wettbe-
werbsbehörden international zu vernetzen.

Meine Damen und Herren, der Kollege Dautzenberg
wird nachher noch etwas zur Tobinsteuer sagen. Deswe-
gen lasse ich das weg.

Ich will an dieser Stelle noch einmal Kardinal Lehmann
zitieren. Er hat gesagt:

Die verschärfte Wettbewerbssituation ist chancen-
reich für qualifizierte, flexible, mobile und risiko-
freudige Personen und problematischer für gering
qualifizierte, fehlqualifizierte Personen.

Ich denke, das ist eine nachdenkliche und richtige Ana-
lyse. Der Mensch gewinnt im Zeitalter der Globalisierung
an Bedeutung gegenüber den alten Produktionsfaktoren
Kapital und Rohstoffe, aber der Weg der Wissensgesell-
schaft und der Globalisierung führt dazu, dass wir hoch
qualifizierte Menschen brauchen. So haben wir auch in
der Bundesrepublik Deutschland von 1991 bis 1995
1 Million Arbeitsplätze für unqualifizierte Arbeitskräfte
verloren. Deshalb wird es besonders darauf ankommen,
dass wir im Prozess der Globalisierung erkennen: Die
Frage nach Gewinnern und Verlierern ist auch die Frage
nach Bildung und Qualifikation.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)


Deshalb muss unser ganz besonderes Engagement darauf
gerichtet sein.

Lassen Sie mich abschließend sagen: Globalisierung
heißt auch Vergleichbarkeit, Transparenz und Offenle-
gung von Schwächen. Die Antwort darauf darf aber nicht
Angst sein, vielmehr sollten wir die Chancen erkennen,
uns für eine internationale soziale Marktwirtschaft einset-
zen und unser Land und die Menschen in unserem Land
fit machen. Packen wir es an!

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und der PDS)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1424606400
Als
nächster Redner hat der Kollege Ottmar Schreiner von der
SPD-Fraktion das Wort.


Ottmar Schreiner (SPD):
Rede ID: ID1424606500
Herr Präsident! Liebe Kol-
leginnen und Kollegen! Ich kann zunächst an das an-
knüpfen, was die Kollegen Schauerte und Rachel gesagt
haben. Die Ausgangslage bezüglich des Themas Globali-
sierung und Arbeitsmärkte ist von uns einvernehmlich be-
schrieben worden. Wir waren gemeinsam der Auffassung,
dass der Wirtschaftsstandort Deutschland gut ist und es
keinen Anlass zur Sorge um die Konkurrenzfähigkeit der
deutschen Unternehmungen und ihrer Produkte auf den
Weltmärkten gibt.

Daraus haben wir geschlussfolgert, dass die Globali-
sierung im engeren Sinne nicht für die relative Schwäche
des deutschen Arbeitsmarktes im internationalen und ins-
besondere europäischen Vergleich ursächlich sein kann.
Darüber besteht Konsens.

Konsens besteht nach dem Beitrag des Kollegen
Rachel auch bezüglich der Funktion von Bildung und
Qualifikation. Ich will auf diesen Aspekt mit Blick auf
meine Redezeit nur kurz eingehen. Wir waren in der Ar-
beitsgruppe „Globalisierung und Arbeitsmärkte“ der Mei-
nung, dass die Globalisierung den rasanten Strukturwan-
del in Deutschland sehr wohl beeinflusst. Eine genaue
Messung globalisierungsbedingter Komponenten ist zwar
nicht möglich, gleichwohl bestand Einverständnis darü-
ber, dass die Globalisierung den Strukturwandel wesent-
lich beschleunigt.

Das wesentliche Kennzeichen dieser Entwicklung sind
die ständig steigenden Anforderungen an die Qualifika-
tionen der Beschäftigten. Das ist völlig unbestritten. Die
Kehrseite dieser Entwicklung ist, dass die spezifische
Arbeitslosenquote Geringqualifizierter in Deutschland
seit geraumer Zeit wesentlich höher ist als die allgemeine
Arbeitslosenquote und in den letzten 25 Jahren spürbar
und nachhaltig gestiegen ist.

Die Globalisierung verschärft insoweit tendenziell die
Arbeitsmarktprobleme Geringqualifizierter. Darüber be-
steht absoluter Konsens mit dem Kollegen Rachel, der ge-
rade gesagt hat, dass die Zugehörigkeit zu den Gewinnern
oder Verlierern wesentlich von der Bildung und Qualifi-
kation abhängt.

Mit anderen Worten: Bildung und Qualifikation haben
als Antwort auf die Globalisierung eine Schlüsselfunk-
tion auf dem deutschen Arbeitsmarkt. Sie beeinflussen
nicht nur die internationale Wettbewerbsfähigkeit der
deutschen Volkswirtschaft und das Wirtschaftswachs-
tum, sondern auch ganz wesentlich die Fähigkeit der Be-
schäftigten, dem Innovations- und Flexibilisierungs-
druck positiv standzuhalten. Deshalb haben wir uns bei
den Empfehlungen zur Arbeitsmarktpolitik im Wesentli-
chen auf die Frage nach Qualifizierung und Bildung kon-
zentriert.

Ich will kurz zwei Aspekte nennen: Ich halte es für
absolut überfällig, dass wir zu einer besseren voraus-
schauenden Abschätzung der Qualifizierungsbedarfe in
den Betrieben und Unternehmungen kommen. Es müsste
möglich sein, mittelfristige Voraussagen zu treffen, um
die notwendigen Qualifizierungsmaßnahmen wesentlich
zielgenauer zu gestalten, als dies gegenwärtig der Fall ist.
Im Übrigen bin ich der festen Überzeugung, dass wir eine
ständige kritische Überprüfung der Wirksamkeit von




Thomas Rachel
24896


(C)



(D)



(A)



(B)


Qualifizierungsmaßnahmen auf dem deutschen Arbeits-
markt brauchen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die Schlüsselfunktion von Bildung und Qualifikation
wird durch die widersprüchliche mittelfristige Entwick-
lung auf dem deutschen Arbeitsmarkt eher noch bestärkt.
Wir werden es in etwa zehn Jahren aus demographischen
Gründen in der ganzen Breite des Arbeitsmarktes mit
Arbeitskräfteverknappungsproblemen, die es jetzt schon
in einigen Ballungsräumen und branchenspezifisch in ei-
nigen Bereichen gibt, zu tun haben. Die denkbar schlech-
teste Entwicklung des deutschen Arbeitsmarktes wäre,
wenn wir bei wachsender Arbeitskräfteverknappung
gleichzeitig eine hohe Zahl von unqualifizierten Arbeits-
losen hätten. Deshalb sage ich es noch einmal: Qualifi-
zierung und Bildung sind das Gebot der Stunde und der
zukünftigen Entwicklung.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich möchte jetzt zu einem zweiten Aspekt einige we-
nige Bemerkungen machen. Wir haben gefragt, inwieweit
Globalisierung dazu führen kann, die arbeits- und sozial-
politische Handlungsfähigkeit des Nationalstaates zu
beeinträchtigen. Kann man von einem potenziellen Ver-
lust der staatlichen Autonomie in der Arbeits- und Sozial-
politik reden? Weltweiter Wettbewerb und starke Außen-
wirtschaftsverflechtungen sind historisch an sich nicht
neu. Während aber traditionell nationale Unternehmen
mit ihren an festen Standorten produzierten Gütern auf
den Absatzmärkten konkurrieren, hat sich nunmehr die
Produktion selbst internationalisiert, sodass international
operierende Unternehmen und Unternehmensketten welt-
weit nach den besten Standorten suchen. Dieser Globa-
lisierungsprozess weist jedoch eine starke regionale
Komponente auf, da es sich überwiegend um einen Stand-
ortwettbewerb innerhalb verschiedener regionaler Inte-
grationsgemeinschaften, insbesondere der Europäischen
Union, handelt.

Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamt-
wirtschaftlichen Entwicklung hat dazu schon 1997/98 in
seinem Gutachten geschrieben:

Es entsteht ein wachsender Standortwettbewerb zu-
lasten der an einen Standort gebundenen Faktoren,
vor allem der überwiegend immobil bleibenden Ar-
beitskräfte, mit dem Ziel, die Attraktivität ihres Stan-
dortes für die mobilen Faktoren zu erhöhen.

Das ist nun ein ganz entscheidender Punkt, bei dem ein
Einvernehmen nicht mehr möglich war. Denn durch diese
Entwicklung sind die Staaten innerhalb der Europäischen
Union gezwungen, der drohenden Abwanderung der mo-
bilen Produktionsfaktoren durch immer weitergehende
Steuererleichterungen, Deregulierungen, Umverteilung zu
ihren Gunsten, Druck auf die Löhne usw. entgegenzuwir-
ken und die entsprechenden mobilen Produktionsfakto-
ren, also Unternehmen aus dem Ausland, anzulocken. Das
bezeichnen wir als tendenziell ruinösen Standortwett-
bewerb innerhalb der Europäischen Union.

Die Empfehlungen gehen – grob gesagt – dahin, dass
eine Harmonisierung insbesondere der europäischen Ge-
winnbesteuerung, der europäischen Unternehmensbe-
steuerung zwingend notwendig ist, um den tendenziell
seit Jahren beobachtbaren Rückgang endlich aufzuhalten
und zu einer gerechten Besteuerung zurückzukehren. Wir
fordern die Prüfung der Einführung einer europäischen
Mindestsozialleistungsquote, um angesichts dieses rui-
nösen Standortwettbewerbs zu verhindern, dass die sozi-
ale Einbettung der Marktwirtschaft auf der europäischen
Ebene immer problematischer wird.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Es ist geradezu ein humoristischer Beitrag – ich habe
eben auf die Ausführungen des Sachverständigenrates
hingewiesen –, wenn die FDP in ihrem Minderheitsvotum
den Hinweis von uns auf die tendenziell ruinösen Stand-
ortkonkurrenzen wie folgt qualifiziert: Sie spricht davon,
dass die Mehrheit eine ganz neue Dimension von sozial-
demokratischem Werteimperialismus pflege. Das ist ein
interessanter Beitrag zur humorvollen Gestaltung von
Parlamentsdebatten, liebe Kolleginnen und Kollegen von
der FDP.

Dritter und abschließender Punkt: Wir haben uns sehr
sorgfältig mit der Frage auseinander gesetzt, welche Rolle
eine europäische Beschäftigungspolitik zur Verbesse-
rung der Wachstumsraten in Deutschland, aber auch in
Europa spielt. Die Voraussetzungen sind gut. Der europä-
ische Gipfel 2000 in Lissabon hatte formuliert: Ziel der
Europäischen Union bis 2010 ist Vollbeschäftigung. Der
Kölner Gipfel hatte kurze Zeit vorher, 1999, empfohlen:
makroökonomischer Dialog. Das heißt, dass im Kern das,
was auf der nationalen Ebene an klassischen Beschäfti-
gungselementen verloren gegangen ist, auf der europä-
ischen Ebene wiederzugewinnen ist. Ein klassisches Be-
schäftigungsinstrument ist die Koordination zwischen
Finanzpolitik, Geldpolitik und den Tarifpolitiken. Das ist
auf der nationalen Ebene aufgrund der gewachsenen öko-
nomischen Integration in Europa nicht mehr möglich; das
muss auf der europäischen Ebene viel stärker wiederge-
funden werden, als dies gegenwärtig der Fall ist.

Wir empfehlen, die vorhandenen Ansätze deutlich aus-
zuweiten, um zu erreichen, dass gerade auf der Ebene der
Europäischen Union die klassische Beschäftigungspolitik
ihren Beitrag zu einem verstärkten Wachstum und damit
zu mehr Beschäftigung in Deutschland und in Europa
leisten kann.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Dazu gibt es auch einen kuriosen Beitrag der CDU/CSU
im Minderheitsvotum. Dort heißt es, bezogen auf die Vor-
schläge von uns: Die Mehrheit will die Aufgabenstellung
der Globalisierung mit nationalen und mehr oder weniger
sozialistisch-planwirtschaftlichen Antworten lösen.


(Heiterkeit bei der SPD)

Auch hier herzlichen Glückwunsch zum parlamentari-
schen Humor, liebe Kolleginnen und Kollegen von der
CDU/CSU.


(Beifall bei der SPD)





Ottmar Schreiner

24897


(C)



(D)



(A)



(B)


Das gehört einfach zum Geschäft. Wir sind zwar noch
ein bisschen weit vom Fasching entfernt, aber man kann
sich ja rechtzeitig auf die jeweiligen Jahreszeiten vorbe-
reiten.

Abschließend – da der Präsident mir ständig rote
Blinkzeichen zusendet – möchte auch ich mich sehr herz-
lich bei all den Kolleginnen und Kollegen, den Sachver-
ständigen, den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern bedan-
ken, die mit dazu beigetragen haben, dass wir während der
Beratungen ein sehr einvernehmliches Klima hatten und
dass wir, wie ich glaube, ein wirklich beachtliches Ergeb-
nis vorzeigen können. Meine persönliche Schlussfolge-
rung ist: Trotz der Enge der Zeit hat es sich wirklich ge-
lohnt, in dieser Kommission mitzuarbeiten.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1424606600
Das Wort
hat jetzt der Kollege Leo Dautzenberg von der
CDU/CSU-Fraktion.


Leo Dautzenberg (CDU):
Rede ID: ID1424606700
Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! In meinen Ausführungen für
die CDU/CSU-Fraktion möchte ich mich zum überwie-
genden Teil auf die Struktur des Internationalen
Währungsfonds und der internationalen Finanzarchitek-
tur konzentrieren. Dazu liegen uns drei Anträge vor. Mit
dem Antrag der Fraktion der FDPmit dem Titel „Für eine
mutige Reform des Internationalen Währungsfonds“ so-
wie mit den beiden Anträgen mit dem Titel „Reform der
internationalen Finanzarchitektur“ der Fraktionen der
SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen sowie der Frak-
tion der PDS liegen uns drei Anträge zur Reform des In-
ternationalen Währungsfonds und der Finanzmärkte vor,
wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten.

Uns liegt ebenfalls der Schlussbericht – dazu haben
sich die Hauptredner in erster Linie geäußert – der
Enquete-Kommission „Globalisierung der Weltwirt-
schaft – Herausforderungen und Antworten“ vor. Die En-
quete-Kommission empfiehlt mehrheitlich die Ein-
führung einer Devisentransaktionssteuer zunächst auf
europäischer, dann aber auch auf internationaler Ebene
sowie die Einrichtung eines internationalen Insolvenz-
verfahrens für die Entschuldung von in Finanzkrisen ge-
ratenen Staaten.

Die CDU/CSU-Arbeitsgruppe hat in ihrem Minderhei-
tenvotum die Einführung einer Devisentransaktionssteuer
abgelehnt, da eine solche Steuer den Handel direkt träfe.
Bei Finanzkrisen sollten nach unserer Auffassung eher
Krisenprävention und -management von IWF und Welt-
bank gestärkt und darauf gesetzt werden.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber wie? Sagen Sie doch einmal, wie!)


– Dann hören Sie zu.
Der Antrag der PDS enthält Vorstellungen, die

der sozialistischen Steinzeit näher stehen, als dass sie

einem modernen, dynamischen Finanzmarkt gerecht
werden.


(Walter Hirche [FDP]: Bei deren Tradition kann das nicht verwundern!)


Ich nenne nur das Verbot bestimmter Derivatgeschäfte,
die Tobinsteuer, die Kapitalsteuer und deren Kontrolle
oder die Transaktionssteuer. Diese Vorschläge sind völlig
indiskutabel und führen sich selbst ad absurdum.

Der Antrag von SPD und Bündnis 90/Die Grünen ist in
zentralen Punkten auch nicht besser und beinhaltet rück-
wärts gewandte Vorstellungen von Wirtschaftspolitik, die
den dynamischen Anforderungen der Weltwirtschaft und
den globalen Verflechtungen in einer zukunftsgerichteten
internationalen Finanzarchitektur nicht gerecht werden.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich erwähne hier beispielhaft die in Ziffer 6 des rot-grü-

nen Antrags enthaltene Aufforderung an die Bundesregie-
rung, dafür zu sorgen, dass eine weltweite, auf europäischer
Ebene abgestimmte Devisenumsatzsteuer eingeführt
wird. Frau Wieczorek-Zeul hat diese Prüfung für sich of-
fenbar bereits positiv abgeschlossen und zeigt dies, indem
sie offensiv die Tobinsteuer fordert.


(Walter Hirche [FDP]: Im Gegensatz zum Bundesfinanzminister!)


Hier lässt Tobin grüßen. Wer aber seine letzten Veröf-
fentlichungen gelesen hat, muss feststellen, dass er seine
eigenen Vorschläge als „idiotische Idee“ bezeichnet hat.

Dem FDP-Antrag können wir deshalb nicht zustimmen
– wir werden uns der Stimme enthalten –, weil er unter
Ziffer 8 Vorstellungen enthält, die die Unabhängigkeit der
Bundesbank und der Europäischen Zentralbank auf euro-
päischer Ebene gefährden könnten.

Die aktuelle Diskussion zur internationalen Finanz-
architektur – Stichwort Krueger-Plan, der sich für eine in-
ternationale Insolvenzordnung ausspricht – hat einen Vor-
lauf: Wir haben bereits im Jahre 2000 hier im Deutschen
Bundestag über IWF, Weltbank und Finanzarchitektur
diskutiert. Am 2. April 2001 diskutierten wir in drei
Ausschüssen mit Herrn Köhler vom IWF und mit Herrn
Wolfensohn von der Weltbank.

Die Globalisierung zwingt uns zur Weiterentwick-
lung der internationalen Finanzsysteme. Die Verschul-
dungskrisen der letzen Jahre haben uns die Notwendigkeit
von Reformen vor Augen geführt. Notwendig ist eine
Rückbesinnung des IWF auf seine Kernaufgaben. Dies
sind die Wachstumsförderung, die Wahrung der makro-
ökonomischen Stabilität, die Sicherung stabiler globaler
Finanzmärkte, ferner eine wirtschaftspolitische Überwa-
chung auch für die Offshoregebiete sowie die stärkere
Einbindung des Privatsektors in Bezug auf die Verhinde-
rung und Lösung von Währungs- und Finanzkrisen.

IWF und Weltbank müssen sich stärker auf ihre eige-
nen Aufgaben konzentrieren. Der Aufgabenbereich des
IWF ist nun einmal die Sicherung der Finanzmarktstabilität
durch Krisenprävention. Wirtschaftsprofessor Meltzer hat
damals im Namen der Sonderkommission an den Kon-
gress die Empfehlung gegeben, dass sich der IWF aus den




Ottmar Schreiner
24898


(C)



(D)



(A)



(B)


langfristigen Entwicklungs- und Strukturanpassungsfinan-
zierungen stärker zurückziehen und sich dafür durch die
Bereitstellung von kurzfristigen Liquiditätshilfen stärker
auf die in Not geratenen Staaten konzentrieren solle.

Dank des Krueger-Plans sind innerhalb des IWF Vor-
stellungen entwickelt worden. Wir müssen auf der ande-
ren Seite aber auch sehen, dass es für Länder immer Indi-
viduallösungen geben muss. Es muss klar sein, dass die in
Bezug auf Investitionen, die unter Nichtbeachtung des Ri-
sikos getätigt werden – so genannter Moral-Hazard-Ef-
fekt –, und die verfügbaren Finanzmittel des Fonds keine
Mittel für die Lösung von Problemen eingesetzt werden
dürfen, die privat verursacht worden sind und bei denen
sich jeder darauf verlassen kann, dass die Verursacher für
die Risikoprävention selber aufkommen.


(V o r s i t z : Vizepräsidentin Petra Bläss)

Wir brauchen weiterhin die Umsetzung internationaler

Standards. Wir brauchen die Weiterentwicklung einer
Weltwirtschaftsordnung, die durch unsere Grundlagen ei-
ner sozialen Marktwirtschaft gekennzeichnet sein muss.
Das ist nun einmal die richtige Symbiose zwischen dem
Markt als Ordnungsform der Wirtschaft und der Demo-
kratie als Ordnungsform der Politik. Wenn wir uns dafür
einsetzen, dass dies Weltstandard wird, dann wird für die
Menschen durch die Globalisierung mehr Freiheit und
Selbstverwirklichung erreicht. Sie dagegen haben Angst
gesät und diesen Weg damit versperrt.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1424606800
Der letzte Redner in
dieser Debatte ist der Kollege Detlev von Larcher für die
Fraktion der SPD.


Detlev von Larcher (SPD):
Rede ID: ID1424606900
Frau Präsidentin! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Mit der Verabschie-
dung unseres Antrages „Reform der internationalen Fi-
nanzarchitektur“ gleich nach meiner Rede werden wir aus
einigen Empfehlungen der Enquete-Kommission Be-
schlüsse des Deutschen Bundestages machen.

Mit großer Befriedigung stelle ich fest, dass in dem Be-
richt der Enquete-Kommission und in unserem Antrag
Themen und Forderungen aufgegriffen werden, die in
Nichtregierungsorganisationen und auf den Weltsozial-
foren, zuletzt in Porto Alegre, schon lange diskutiert wer-
den. Es zeigt sich, dass beharrliches Bohren dicker Bret-
ter nicht nur gute Politik auszeichnet, sondern letztendlich
zum Erfolg führt. Die Nichtregierungsorganisationen,
Dritte- und Eine-Welt-Bewegungen, Erlassjahr und
ATTAC haben dafür gesorgt, dass die Diskussion über ein
stabiles und sozial nachhaltiges Finanzsystem aus Exper-
tenzirkeln in die Gesellschaft getragen wurde. Dafür ge-
bühren ihnen großer Respekt und viel Dank.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Freilich muss auch festgestellt werden, dass sich dieser
Erfolg nur allmählich und für viele Millionen Menschen
zu spät einstellt. Viele Handlungsempfehlungen der En-

quete-Kommission wurden zu Beginn meiner Zugehörig-
keit zum Deutschen Bundestag Anfang der 90er-Jahre und
auch noch später als absurd bezeichnet. Ich denke bei-
spielsweise an den Schuldenerlass oder an die Forderung
nach einem internationalen Insolvenzrecht, aber auch an
die Bekämpfung von Steueroasen oder die Beendigung
des ruinösen Steuerwettbewerbs. Leute wie ich, die solche
Forderungen auch im Finanzausschuss und im Plenum
vorgetragen haben, wurden als Illusionisten belächelt.
Heute beschließen wir dazu ganz in meinem Sinn. Sie
werden verstehen, dass mich das fröhlich stimmt.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS – Walter Hirche [FDP]: Deshalb ist es nicht besser!)


Die Globalisierung löst zweifellos – hören Sie jetzt
zu! – einen Modernisierungsprozess aus. Er erfasst Poli-
tik, Wirtschaft und Gesellschaft. Er eröffnet Potenziale
und Chancen für mehr Wohlstand und Wachstum auf
der ganzen Welt. Allerdings realisieren sich diese Chan-
cen heute längst nicht für alle Länder und erst recht nicht
für alle Menschen.

Der Abstand der 20 reichsten Nationen zu den 20 ärms-
ten Nationen hat sich von 1960 bis 1998 mehr als ver-
doppelt. Fast die Hälfte der Menschen lebt heute von we-
niger als 2 Euro pro Tag. Ein Viertel der Menschheit hat
keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser. Hunderte Mil-
lionen Kinder haben keine Chance, jemals eine Schule zu
besuchen. Täglich verhungern über 20 000 Menschen auf
der Welt, meist Kinder. Wir müssen national und interna-
tional noch sehr viel tun, damit alle Menschen die Chan-
cen der Globalisierung nutzen können.


(Beifall bei der SPD und der PDS)

Diesen Chancen stehen große Risiken gegenüber. In

den 90er-Jahren gab es schwere Finanzkrisen. Diese Kri-
sen führten zur Verarmung von Millionen Menschen und
destabilisierten ganze Staaten. Es ist insofern kein Wun-
der, dass der Begriff Globalisierung in weiten Teilen der
Welt alles andere als Jubel auslöst.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!)


Deswegen ist die Reform der internationalen Finanzarchi-
tektur eine aktuelle Aufgabe der Politik, gerade auch we-
gen der ungelösten Verschuldungskrisen vieler Länder.

Der IWF ist berechtigter Kritik ausgesetzt. Mangelnde
Krisenprävention und die kaum entwickelte soziale und
politische Flankierung der IWF-Programme stehen im
Mittelpunkt der Kritik. Der IWF räumt selbst ein, dass die
Intervention durch seine Programme besonders in den
asiatischen Ländern die negativen Auswirkungen nicht
entscheidend vermindert habe.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!)


Die Weltbank geht noch weiter. Sie spricht von einem
verlorenen Entwicklungsjahrzehnt für einzelne Länder.
Reformen sind also zwingend geboten.


(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Richtig!)

Ich kann nun nicht zu allen 25 Forderungen in unserem

Antrag Stellung nehmen. Sie sind alle wichtig und gehören




Leo Dautzenberg

24899


(C)



(D)



(A)



(B)


zusammen. Ich kann jedoch leider nur einige heraus-
greifen, die mir besonders wichtig sind.

Die bisher weitgehend ungezügelte Dynamik der glo-
balen wirtschaftlichen Entwicklung muss durch wirt-
schaftspolitische, soziale und ökologische Leitlinien poli-
tisch gestaltet werden.


(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Aber durch die richtigen!)


Die Menschen, besonders die in den Entwicklungslän-
dern, erwarten mit Recht, dass sie an den Chancen, die die
Globalisierung bietet, teilhaben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Hartmut Schauerte [CDU/ CSU]: Sie müssen es richtig machen, Herr von Larcher!)


In einem breiten Ansatz müssen alle Instrumente zur
Erreichung stabiler und nachhaltig funktionierender inter-
nationaler Finanzmärkte geprüft und bei positivem Er-
gebnis auch durchgesetzt werden. Dazu gehört auch die
Einführung einer Devisenumsatzsteuer.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist es!)


Unser Antrag fordert die Bundesregierung auf, dieses
Instrument in einem offenen und transparenten Verfahren
auf der Ebene der EU und im Kontext der Weltwirtschaft
zu prüfen und sich im Falle eines positiven Ergebnisses
für eine international koordinierte Einführung einzuset-
zen. Ich gestehe freimütig: Ich selbst wäre für einen noch
mutigeren Beschluss.

Dass dieses Instrument machbar ist, beweisen viele
Studien, wie zuletzt die Studie von Professor Dr. Paul
Bernd Spahn. Er hält die Einführung dieser Steuer
zunächst in der europäischen Zeitzone für machbar und
erklärt:

Die wirklichen Probleme liegen nicht auf techni-
schem Gebiet, sondern auf dem Gebiet des politi-
schen Willens, der internationalen Kooperation zwi-
schen Staaten und der legalen Durchsetzung.

(Zuruf von der SPD: Wohl wahr! – Walter Hirche [FDP]: Das hat Herr Tobin anders gesehen!)


– Herr Tobin hat auf die Schwierigkeiten der politischen
Koordination hingewiesen; er hat nicht seine Steuer ad ab-
surdum geführt.


(Walter Hirche [FDP]: Das hat er sehr wohl!)

– Das zitieren Sie immer falsch.

Professor Spahn gibt denen, die dogmatisch bei ihrem
Nein bleiben, die richtige Antwort:

Die Gegner von Visionen haben bisher in der Regel
Unrecht behalten.

(Beifall bei der SPD – Heidemarie Wieczorek Zeul, Bundesministerin: So ist es!)

Von den täglich auf Devisenmärkten gehandelten
etwa 1,2 Billionen US-Dollar dienen allenfalls 5 Pro-

zent der Finanzierung von Handelsgeschäften und
Direktinvestitionen. Der große Rest sind Arbitrage-
und Spekulationsgeschäfte zwischen den internatio-
nal operierenden Finanzinstituten. Sie haben nur
sehr vermittelt mit den realen Prozessen der Produk-
tion zu tun.

Die Reregulierung vor allem der kurzfristigen Kapital-
bewegungen ist für die Gesellschaft billiger als die Kos-
ten der Finanzkrisen, die natürlich, anders als die Ge-
winne, sozialisiert werden.

Notwendig sind die verbesserte Koordination der
Geld- und Währungspolitik innerhalb und zwischen den
großen Währungsräumen und der Zusammenschluss
kleinerer Währungsräume. Eine Devisentransaktions-
steuer kann die Volatilität der Finanzströme verringern.
Bei einem Steuersatz von weniger als 0,1 Prozent vom
Umsatz würden langfristige Investitionen die Belastung
kaum spüren. Kurzfristige Transaktionen, bei denen
große Summen oft mehrmals am Tage bewegt werden,
um minimale Geldhandelsspannen auszunutzen, wären
aber außer bei großen Kursveränderungen unrentabel
und würden daher unterbleiben. Das würde zur Beruhi-
gung der Finanzmärkte beitragen. Auch kann, solange es
ein Aufkommen aus dieser Steuer gibt, damit ein Fonds
für die Entwicklung der unterentwickelten Länder aufge-
füllt werden.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. HansChristian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Ich empfehle, diesen Vorschlag ernsthaft weiterzuverfol-
gen. Er findet breite Unterstützung auf der ganzen Welt.

Mit der Entwicklung eines internationalen Insol-
venzverfahrens sind wir inzwischen gut vorangekom-
men. Es geht dabei darum, den Ländern, die in einer
schweren Schuldenkrise stecken, einen wirtschaftlichen
Neuanfang zu ermöglichen.

Nach langem Widerstand von Gläubigerländern gegen
ein solches Verfahren gibt es jetzt eine breite Zustim-
mung. Nun muss dafür gesorgt werden, dass das Schieds-
gericht wirklich unabhängig ist. Keinesfalls darf es vom
IWF als einem der Gläubiger berufen werden. Ich höre
von unserer Ministerin Wieczorek-Zeul, dass inzwischen
darüber Einigkeit besteht. Offenbar aber muss gegenüber
dem IWF noch durchgesetzt werden, dass das Schiedsge-
richt Herr des Verfahrens ist. Die Definition der Schul-
dentragfähigkeit und die Definition der Bedingungen für
den Schuldenerlass dürfen natürlich nur durch das
Schiedsgericht und nicht durch den IWF erfolgen, Frau
Ministerin.


(Beifall bei der SPD – Heidemarie WieczorekZeul, Bundesministerin: Doch, ja!)


An den Kosten einer Krisenbereinigung müssen sich
die Gläubiger beteiligen. Private Investoren sollen nicht
mehr damit rechnen können, dass die Kosten für die von
ihnen eingegangenen Risiken von den Steuerzahlern
übernommen werden.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)





Detlev von Larcher
24900


(C)



(D)



(A)



(B)


Lange genug haben viele von ihnen Finanzhilfen des IWF
als kostenlose Kreditversicherung angesehen.


(Beifall der Abg. Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk [SPD])


Für Entwicklungs- und Schwellenländer ist es von
großer Bedeutung, Instrumente zu haben, mit denen sie
kurzfristige Kapitalzu- und -abflüsse, die ihr Finanz-
system bedrohen, begrenzen können. Unser Antrag
spricht von marktkonformen Mitteln zur Kontrolle von
Kapitalflüssen, zum Beispiel Bardepotpflichten.

Am letzten Montag ist mir und Kollegen in der Euro-
päischen Zentralbank gesagt worden, dass das, was sich
jetzt in Brasilien andeutet, nicht ein Überschwappen der
Krise Argentiniens ist, dass es sich vielmehr um Kapital-
flucht vor der anstehenden Wahl handelt. Es muss uns al-
len, meine Damen und Herren, doch die Zornesröte ins
Gesicht treiben, wenn wirtschaftliche Macht darüber ent-
scheidet, wer in einem demokratischen Staat in der Re-
gierung sein darf und wer in die Opposition kommt.

Das Ziel aller Forderungen in unserem Antrag sind die
faire und nachhaltige Gestaltung des Weltwirtschaftssys-
tems und die bessere Integration von Entwicklungs- und
Schwellenländern.

Die Menschen erwarten von der Politik mit Recht, dass
sie den ungebändigten Turbokapitalismus zähmt. Sie wis-
sen aus Erfahrung, dass die Marktwirtschaft noch nie von
allein für das Wohl aller gesorgt hat. Es war und bleibt die
Aufgabe des Staates und der Staaten in weltweiter Ko-
operation, für ausgleichende Gerechtigkeit und für eine
breite Verteilung des erwirtschafteten Wohlstands zu sor-
gen. Dieser Aufgabe gerecht zu werden ist auch im Inte-
resse der reichen Länder und der Reichen in dieser Welt.
Versagen wir, werden die Protestbewegungen weltweit
zunehmen, werden die Menschen ihre Menschenrechte
mit Macht einfordern.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1424607000
Herr Kollege von
Larcher!


Detlev von Larcher (SPD):
Rede ID: ID1424607100
Ich bin beim Schluss-
satz. – Eines ist gewiss: Die Macht der Millionen ist letzt-
lich sehr viel größer als die Macht der Millionäre.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1424607200
Es ist bekannt, dass
wir dann, wenn es um eine letzte Rede in diesem Parla-
ment geht, bei der Redezeit ein wenig großzügiger sind.
Herr Kollege Detlev von Larcher, das war Ihre letzte Rede
im Plenum des Deutschen Bundestages. Im Namen aller
Kolleginnen und Kollegen danke ich für Ihre engagierte
Mitarbeit im vergangenen Jahrzehnt und wünsche Ihnen
alles Gute für den kommenden Lebens- und Arbeitsab-
schnitt.


(Beifall im ganzen Hause)

Ich schließe die Aussprache.

Ich gehe davon aus, dass Sie den Schlussbericht
der Enquete-Kommission auf Drucksache 14/9200 mit
dem Titel „Globalisierung der Weltwirtschaft – Heraus-
forderungen und Antworten“ zur Kenntnis genommen
haben.

Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Be-
schlussempfehlung des Finanzausschusses auf Drucksa-
che 14/9590. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a
seiner Beschlussempfehlung die Annahme des Antrags
der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grü-
nen auf Drucksache 14/9359 mit dem Titel „Reform der
internationalen Finanzarchitektur“. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? –
Die Beschlussempfehlung ist gegen die Stimmen von
CDU/CSU und FDP angenommen.

Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung emp-
fiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Frak-
tion der FDP auf Drucksache 14/3861 mit dem Titel „Für
eine mutige Reform des Internationalen Währungsfonds

(IWF)“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? –

Gegenprobe! – Enthaltungen? – Die Beschlussempfeh-
lung ist gegen die Stimmen der FDP-Fraktion bei Enthal-
tung der CDU/CSU angenommen.

Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Buchstube c
seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags
der Fraktion der PDS auf Drucksache 14/4069 mit dem
Titel „Reform der internationalen Finanzarchitektur“.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegen-
probe! – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist
gegen die Stimmen der PDS-Fraktion angenommen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 25 a bis 25 c sowie
den Zusatzpunkt 14 auf:
25. a) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten

Klaus Riegert, Peter Letzgus, Dr. Klaus Rose, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/
CSU
Zur umfassenden und nachhaltigen Förderung
der Entwicklung des Sports in Deutschland
– Drucksachen 14/7114, 14/8865 –

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Sportausschusses (5. Ausschuss) zu dem
Entschließungsantrag der Abgeordneten Klaus
Riegert, Friedrich Bohl, Peter Letzgus, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU zu
der Großen Anfrage der Abgeordneten Klaus
Riegert, Friedrich Bohl, Peter Letzgus, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU
Sicherung der Zukunft der Vereine durch wirt-
schaftliche und bürokratische Entlastung –
Erhöhung der Gestaltungsmöglichkeiten und
Freiräume
– Drucksachen 14/3680, 14/5445, 14/8035,
14/9327 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Dagmar Freitag
Klaus Riegert




Detlev von Larcher

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c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Sportausschusses (5. Ausschuss) zu der
Unterrichtung durch die Bundesregierung
9. Sportbericht der Bundesregierung
– Drucksachen 14/1859, 14/6122 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Dagmar Freitag
Klaus Riegert

ZP 14 Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre-
gierung
10. Sportbericht der Bundesregierung
– Drucksache 14/9517 –
Überweisungsvorschlag:
Sportausschuss (f)

Finanzausschuss
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder
Ausschuss für Tourismus

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Erster Redner für die
CDU/CSU-Fraktion ist der Kollege Klaus Riegert.


Klaus Riegert (CDU):
Rede ID: ID1424607300
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Die Bedeutung und Faszination des
Sports zeigt sich in diesen Tagen weltweit. Die Fußball-
weltmeisterschaft in Japan und Südkorea zieht zig Milli-
onen Menschen in ihren Bann. Übermorgen werden wir
mit unserer Mannschaft fiebern und uns über die Mann-
schaft bewusst mit unserem Land identifizieren. Wir alle
hoffen auf ein gutes Endspiel und einen Sieg unserer
Mannschaft.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Solche sportlichen Großereignisse veranschaulichen
die gesellschaftliche Dimension des Sports in besonderer
Weise. Den Sport, die Sportvereine und Organisationen
ihrer gesellschaftlichen Bedeutung angemessen zu unter-
stützen, den Spitzensport, den Behinderten- und den Brei-
tensport gleichermaßen zu fördern ist Anliegen einer
nachhaltigen Sportpolitik. Jeder Euro für den Sport ist ein
gut angelegter Euro, ist eine lohnende Investition in die
Zukunft.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)


Wir beraten heute den 9. Sportbericht der Bundesre-
gierung aus der 13. Legislaturperiode. Er ist Beleg einer
auf Kontinuität und Verlässlichkeit angelegten Sportpoli-
tik von 1994 bis 1998. Wir beraten auch die Antworten der
Bundesregierung auf die Großen Anfragen der CDU/
CSU-Bundestagsfraktion. Diese Antworten zeigen keine
Perspektiven zur Entwicklung des Sports, zur Stärkung
der Vereine und zur Entlastung von Bürokratie auf.


(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Das haben wir befürchtet! Das haben wir kommen sehen!)


Es sind Dokumente der Hilflosigkeit und der konzeptio-
nellen Armut. Bei dieser Bundesregierung und bei Rot-
Grün und Rot-Rot in den Ländern ist der Sport nicht gut
aufgehoben.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Der 10. Sportbericht der Bundesregierung, der uns vor-

gestern erreichte, gleicht mehr einer Bilanzfälschung als
einer Leistungsbilanz. Sie sprechen von Stabilisierung der
Spitzenförderung auf hohem Niveau.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir waren doch erfolgreich, wie man in Japan und Südkorea sieht!)


Wahr ist: Für den Spitzensport in Deutschland wurden
2001 so wenig Mittel bereitgestellt wie seit der Wieder-
vereinigung nicht mehr: ganze 107 Millionen Euro für
zentrale Maßnahmen des Sports, für IAT und FES, für In-
vestitionen in Einrichtungen des Spitzensports,


(Winfried Hermann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt rechnen Sie es aber wirklich schlecht! Man kann es hinbiegen, wie man will!)


0,048 Prozent des Gesamthaushalts oder 1,3 Euro pro
Kopf der Bevölkerung. Das ist ein Minusrekord.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Trotzdem wird Deutschland Weltmeister!)


1998 waren es noch 112,6 Millionen Euro, also über
5 Millionen Euro mehr.

143 Millionen Euro für die Stadien in Berlin und
Leipzig und den „Goldenen Plan Ost“ sind keine Mittel
für den Spitzensport. Vor der Wahl 1998 haben Sie 51Mil-
lionen Euro im Rahmen des „Goldenen Plans Ost“ zu-
sätzlich für den Sport versprochen. Keinen einzigen Euro
hat der Sport zusätzlich bekommen. Sie finanzieren den
so genannten „Goldenen Plan Ost“ ausschließlich durch
Kürzungen beim Spitzensport.


(Zuruf von der SPD: Da hat die PISA-Studie voll durchgeschlagen! – Dagmar Freitag [SPD]: Können Sie rechnen, Herr Riegert?)


Hier gilt wieder: Versprochen – gebrochen.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Wenn der Herr Minister die Möglichkeit bekäme, seine
Investitionspolitik fortzusetzen, könnte er sich zukünftig
nicht mehr medienwirksam bei der Übergabe von Sport-
stätten ablichten lassen, sondern höchstens vor Plakat-
wänden. Er investiert in die Einrichtungen des Spitzen-
sports in 16 Bundesländern noch nicht einmal so viel, wie
bis 1998 unter den CDU/CSU-geführten Bundesregierun-
gen in die Einrichtungen des Spitzensports allein in den
neuen Ländern investiert wurde.

Die Bilanz in der Bekämpfung des Dopingsmüsste lau-
ten: Es hat sich nicht viel geändert. Zwei Jahre Mindest-
strafe für des Dopings überführte Sportler hat der Minister
1999 gefordert. Mehr Geld für Dopingforschung, mehr
Kontrollen und einheitliche Sanktionen hat er versprochen.
Zur Mindeststrafe haben die Juristen den Minister belehrt,




Vizepräsidentin Petra Bläss
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zur höheren Mittelbereitstellung der Finanzminister. Keine
Mindeststrafe von zwei Jahren, nicht mehr Geld für Do-
pingforschung, geringfügige Ausweitung der Kontrollen,
keine einheitlichen Sanktionen – das ist die Bilanz.


(Dagmar Freitag [SPD]: Wir machen ein Antidopinggesetz, dann haben wir es!)


Hervorgetan hat sich der Minister nur mit der Weigerung,
der WADA nationale Mittel zur Finanzierung zuzuweisen.
Das war peinlich und ein Armutszeugnis für eine der größ-
ten Sportnationen. Erst auf Druck sind 500000 Euro bereit-
gestellt worden.

Wir begrüßen ausdrücklich die Gründung der Natio-
nalen Anti-Doping-Agentur am 15. Juli. Wir erwarten
verstärkt Maßnahmen im präventiven Bereich, einheitli-
che Sanktionierungen bei Verstößen, zusätzliche Kontrol-
len vornehmlich im Nachwuchsbereich und gezielte
Forschungen. Statt eines vollmundig angekündigten Stif-
tungskapitals in Höhe von 30 Millionen Euro sind es nur
6 Millionen geworden. Wir bedauern, dass es dem Minis-
ter nicht gelungen ist, die Wirtschaft von der Notwendig-
keit von Zustiftungen zu überzeugen.

Herr Schily hat unsere volle Unterstützung in seiner
ablehnenden Haltung, was ein eigens gegen den Sport ge-
richtetes Anti-Doping-Gesetz angeht. Das Achte Gesetz
zur Änderung des Arzneimittelgesetzes schafft den erfor-
derlichen gesetzlichen Rahmen. Wir brauchen einen
strengen Vollzug und keine neuen Gesetze. Wer für die
Freigabe weicher Drogen plädiert, der sollte unsere Spit-
zensportler nicht in die Ecke der Kriminalität drängen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dagmar Freitag [SPD]: Das ist absolut unglaublich!)


Schön ist unsere große Übereinstimmung beim Behin-
dertensport. Wir begrüßen die Erhöhung der Mittel für
den Leistungssport der Behinderten, die Sie durch Um-
schichtungen bei den zentralen Maßnahmen erreicht ha-
ben. Wir werden um eine echte Erhöhung der Mittel in
den nächsten Jahren jedoch nicht herumkommen. Dies er-
fordert die internationale Entwicklung im Behinderten-
sport. Wir freuen uns auch über die stärkere Medienauf-
merksamkeit bei internationalen Ereignissen. Das haben
wir durch gemeinsame Anstrengungen erreicht.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Die Förderung der Sportwissenschaft haben Sie aller-

dings gekürzt. Die Evaluierung des Bundesinstituts für
Sportwissenschaft war eher ein Vorwand zum kontinu-
ierlichen Rückzug aus der Förderung der Sportwissen-
schaft. Die Belegschaft dieses Instituts konnten Sie nicht
schnell genug aus dem Gebäude treiben. Das Gebäude
steht seit einem Jahr leer. Ergebnis: Keine 5,1 Milli-
onen Euro Verkaufserlös, sondern die Übernahme von
Renovierungskosten.

Kürzungen des Bundes bei den Olympiastützpunkten
und beim Bundesleistungszentrum um rund 2 Milli-
onen Euro müssen die Länder tragen. Das heißt bei Ihnen
„effiziente Sportförderung“. Wir nennen dies „Sanierung
des Bundes zulasten der Länder“.


(Heinz Wiese [Ehingen] [CDU/CSU]: Verschiebebahnhöfe!)


Zur Übungsleiterpauschale und zu den Neuregelungen
der 325-Euro-Jobs wird mein Kollege Link etwas sagen.

Herr Minister Schily, Ihre sportpolitische Bilanz ist un-
genügend. Die Sportpolitik der 14.Wahlperiode hat der Fi-
nanzminister geprägt. Er hat diktiert und die Sportpolitiker
der Koalition haben abgenickt. Sie haben Initiativen der
CDU/CSU-Bundestagsfraktion, die die Belange des deut-
schen Sports unterstützt haben, ausnahmslos abgelehnt.

Die Antworten der Bundesregierung auf Große Anfra-
gen waren kein Eigentor der Opposition, wie Frau Kolle-
gin Freitag gern glauben machen möchte;


(Dagmar Freitag [SPD]: Na, warten Sie einmal ab!)


sie waren vielmehr eine Steilvorlage. Die Kürzungen der
Mittel für den Spitzensport können Sie zwar schönreden,
aber nicht wegreden. Die Antwort auf unsere Große An-
frage zeigt, dass für die Förderung des Sports eine einfa-
che Faustregel gilt: Wo CDU und CSU Verantwortung
tragen, geht es dem Sport am besten und die Pro-Kopf-
Ausgaben sowie die Investitionen für den Sport sind am
höchsten; wo rot-grüne oder rot-rote Regierungen Verant-
wortung tragen, sind die Pro-Kopf-Ausgaben und die In-
vestitionen für den Sport niedrig. Je länger Sie Verant-
wortung tragen, desto schlechter geht es dem Sport. Die
Sportförderung ist Ihr zweites PISA.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir brauchen eine verlässliche und nachhaltige Sport-

politik. Wir wollen, dass in den Sport investiert wird und
dass der Sport nicht von den Launen des Finanzministers
abhängig ist. Die Förderung des Sports hat für die CDU
und für die CSU Priorität.


(Dagmar Freitag [SPD]: Das steht auch so im Wahlprogramm!)


Minister Schily macht einen großen Bogen um den Sport-
ausschuss. Auch was seine heutige Anwesenheit angeht,
gilt: Fehlanzeige! Er zeigt sich lieber als Propagandami-
nister.


(Dagmar Freitag [SPD]: Das ist ja unsäglich!)

Wir werden nach dem 22. September eine verlässliche

Politik für den und mit dem Sport machen. Dafür sind
CDU und CSU sichere Garanten.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1424607400
Das Wort hat die Par-
lamentarische Staatssekretärin Dr. Cornelie Sonntag-
Wolgast.

Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast, Parl. Staatssekretä-

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1424607500
Frau Präsidentin!
Liebe Kollegen und Kolleginnen! Herr Kollege Riegert,
nachdem ich Ihnen so zugehört habe, habe ich doch stark
den Eindruck, dass Sie die letzten dreidreiviertel Jahre,
was den Sport betrifft, auf einer anderen Veranstaltung
gewesen sind.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Eckart von Klaeden [CDU/ CSU]: Wir waren jedenfalls im Bundestag!)





Klaus Riegert

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Die Sportpolitik der Bundesregierung und der sie tragen-
den Parteien ist nämlich eine Erfolgsstory. Sport ist bei
uns in den besten Händen.


(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Wie war das mit dem Eigenlob?)


Das ist unser Fazit dieser Legislaturperiode. Ich freue
mich deshalb sehr, dass wir das bei dieser Debatte heute
noch einmal darlegen können.

Wir haben 1998 nicht nur die Sportförderung als eines
unserer wichtigsten Ziele in die Koalitionsvereinbarung
aufgenommen;


(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Wie die Senkung der Arbeitslosigkeit!)


wir haben auch gehandelt. Die Bundesregierung hat
grundlegende Verbesserungen sowohl für den Spitzen- als
auch für den Breitensport durchgesetzt. Paradebeispiel,
auch wenn Sie es nicht wahrhaben wollen, ist das Son-
derförderprogramm „Goldener Plan Ost“, das von der
Vorgängerregierung stets abgelehnt wurde.


(Zuruf von der SPD: Sehr wahr!)

Mit Bundesmitteln in Höhe von 52 Millionen Euro wer-
den Gesamtinvestitionen für den Sportstättenbau in den
neuen Bundesländern von über 200 Millionen Euro er-
möglicht und 350 Sportbaumaßnahmen geschaffen.

Auch bei den Rahmenbedingungen für den Sport
– auch das ist ja wichtig – haben wir den Stillstand, der
vor 1998 herrschte, überwunden. So wurde der von Ihnen
in einer ganz anderen Art und Weise bewertete Übungs-
leiterfreibetrag um 50 Prozent auf 1 848 Euro im Jahr an-
gehoben und auf Betreuer ausgedehnt. Außerdem können
Sportvereine die ihnen zugeflossenen Spenden nun selbst
quittieren. Das befreit sie von allerhand Bürokratie.

Ich bin froh, dass wir trotz knapper Kassen das hohe
Niveau der Förderung des Spitzensports sichern konn-
ten. Bei den zentralen Maßnahmen haben wir drohende
Kürzungen abgewendet und die vom Deutschen Sport-
bund geforderten 140 Millionen DM halten können. Auf
anderen wichtigen Feldern des Spitzensports sieht der
Deutsche Sportbund seine Erwartungen sogar übertrof-
fen, was ja nicht alle Tage vorkommt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


So wurden die Plätze für Grundwehrdienst leistende Spit-
zensportler von 704 um 40 auf 744 Stellen angehoben. Die
erfolgreiche Spitzensportförderung des Bundesgrenzschut-
zes haben wir um 29 Stellen für Polizeivollzugsbeamtinnen
und -beamte in drei Sommersportarten ausgeweitet.


(Beifall bei der SPD)

Auch die Förderung des Leistungssports behinderter
Menschen wurde stark verbessert, und zwar nicht nur fi-
nanziell. Für den Behindertensport etwas zu tun – da sind
wir uns ja wohl einig – ist dieser Bundesregierung wich-
tig, zumal die Aktiven einen ganz besonderen Respekt
verdienen.

Die Erfolge bei den Olympischen Winterspielen und bei
den Paralympics in Salt Lake City, wo beide deutschen

Mannschaften den ersten Platz in der Nationenwertung er-
reichen konnten, bestätigen, dass wir mit unseren Sport-
förderungsgrundsätzen richtig liegen; die führende deut-
sche Rolle im Wintersport wurde ja eindrucksvoll
bewiesen.


(Walter Link [Diepholz] [CDU/CSU]: Trotz Ihrer Regierung!)


Es gibt natürlich keinen Grund, sich selbstzufrieden
zurückzulehnen. Ein Blick auf die Olympischen Som-
merspiele in Sydney im Jahre 2000 zeigt deutlich, dass
wir die Effizienz des Spitzensportsystems und damit auch
der Förderung weiter steigern müssen.

Die Bundesregierung hat aber ebenso erfolgreich auch
die Schattenseiten des Sports bekämpft. Doping bedroht
den Sport und die staatliche Förderung dafür. Deswegen
haben wir mit zusätzlichen Mitteln die Dopingkontrollen
erhöht und die Anti-Doping-Forschung ausgeweitet. Mit
einer Förderung von rund 5 Millionen Euro ermöglicht
der Bund die Gründung der Nationalen Anti-Doping-
Agentur, die ja, wie Sie erwähnt haben, in wenigen Tagen
aus der Taufe gehoben wird. Die Sportlerinnen und Sport-
ler, die durch das staatlich verordnete Dopingsystem in
der ehemaligen DDR unwissentlich geschädigt wurden,
erhalten jetzt aus humanitären Gründen über einen eigens
eingerichteten Fonds finanzielle und moralische Unter-
stützung. Ich möchte an dieser Stelle dem Hohen Haus
dafür, dass es das erforderliche Gesetz nach einer sehr ein-
drucksvollen Debatte in der vorvergangenen Woche so
zügig verabschiedet hat, sodass es noch in dieser Legisla-
turperiode in Kraft treten kann, herzlich danken.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Klaus Kinkel [FDP])


Liebe Kollegen und Kolleginnen, wer fordert, ist
zunächst selbst gefordert. Diese Messlatte gilt auch für
den politischen Forderungskatalog des deutschen Sports.
Ein Blick auf den Beitrag des deutschen Sports für die
Nationale Anti-Doping-Agentur und den Dopingopfer-
Hilfefonds liefert eher ernüchternde Erkenntnisse. Beim
Hilfefonds ist er enttäuschend. Ich hoffe, dass über den
Beitrag des deutschen Sports noch nicht das letzte Wort
gesprochen ist.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Hier geht es ja auch um Glaubwürdigkeit.
Zurzeit befinden wir uns im Fussballfieber. Deshalb ist

es umso elektrisierender, auf kommende Großereignisse
zu schauen. Eines der herausragenden Ereignisse dieser
Legislaturperiode war die Vergabe der Fussball-Welt-
meisterschaft 2006 an Deutschland.


(Friedhelm Julius Beucher [SPD]: Sehr wahr!)

Die Bundesregierung hat das Ihre zu diesem Erfolg bei-
getragen: sowohl mit den Bewerbungsunterlagen des
Deutschen Fussball-Bundes als auch bei der sportpoliti-
schen Unterstützung.


(Friedhelm Julius Beucher [SPD]: Auch das ist richtig!)





Parl. Staatssekretärin Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast
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Meine Damen und Herren, wir wollen heitere und
friedliche, sympathische und völkerverbindende Spiele,
von denen eine Welle der Gastfreundschaft und Interna-
tionalität ausgehen soll.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der PDS)


Dem wiedervereinigten Deutschland können dadurch
neue Freunde in aller Welt zuwachsen. Die Bundesregie-
rung hat dafür die Weichen gestellt. Ich nenne zum Bei-
spiel die Förderung der Stadien in Berlin und Leipzig, da-
mit die Sportfans in den neuen Bundesländern Spiele auch
wohnortnah sehen können.

Die Bundesregierung setzt darauf, dass für die Olym-
pischen Sommerspiele 2012 eine gleichermaßen über-
zeugende Bewerbung und Sympathiearbeit gelingt.
Olympische Spiele entfalten vielfältige positive Wirkun-
gen. Zudem könnte Deutschland auch hier seinen Ruf als
weltoffenes, gastfreundliches und natürlich auch sportbe-
geistertes Land weiter festigen. Das Nationale Olympi-
sche Komitee kann auf die Unterstützung der Bundesre-
gierung setzen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es bleibt mir nicht ge-
nug Zeit, um die erfolgreiche Sportpolitik der Bundesregie-
rung in allen Einzelheiten darzustellen. Aber die Antworten
auf 90 Fragen der Großen Anfrage zur Sportförderung und
insbesondere der heute eingebrachte 10. Sportbericht der
Bundesregierung, der die erfolgreiche Sportpolitik der letz-
ten Jahre bilanziert, geben darüber Auskunft. Die Lektüre
kann ich nur wärmstens empfehlen.

Bei dem Anliegen, den Sport zu fördern, gibt es im
Prinzip eine große Koalition. Angesichts der Erfolge, die
wir zu verbuchen haben, ist es für die Opposition natür-
lich nicht einfach, sportpolitisch wahrgenommen zu wer-
den. Sicherlich ist es legitim, die Mittel der Großen An-
frage und von Entschließungsanträgen zu nutzen. Es wirkt
jedoch manchmal etwas hilflos, wenn geforderte Maß-
nahmen längst durchgeführt worden sind. Wenn dies beim
Entschließungsantrag zur Sicherung der Zukunft der Ver-
eine deutlich wird, dann muss man es zumindest einmal
erwähnen.

Meine Damen und Herren, die rot-grüne Bundesregie-
rung zieht am Ende ihrer ersten Amtszeit


(Klaus Riegert [CDU/CSU]: Und letzten!)

eine positive Bilanz. Die Arbeit war von einer engen part-
nerschaftlichen Zusammenarbeit mit den Organisationen
des Sports gestützt und von gegenseitiger Achtung und
Vertrauen geprägt. Die Bundesregierung ist und bleibt ein
verlässlicher Partner.

Diese Aussage verbinde ich mit dem Wunsch, am
Sonntag ein spannendes und faires Spiel zu erleben. Das
Ergebnis wird uns in jedem Falle Anlass zur Freude ge-
ben, gleich ob Deutschland Weltmeister oder Vizewelt-
meister wird.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1424607600
Nun spricht der Kol-
lege Dr. Klaus Kinkel für die FDP-Fraktion.


Dr. Klaus Kinkel (FDP):
Rede ID: ID1424607700
Frau Präsidentin! Liebe Kol-
leginnen und Kollegen! Deutschland ist das zwölftgrößte
Land der Welt. Wir sind Gott sei Dank immer noch die
drittgrößte Wirtschaftsmacht und die zweitstärkste Ex-
portnation. Wir waren immer und bleiben hoffentlich
auch eine große Sportnation. Darauf sind wir gemeinsam
stolz.

Liebe Frau Staatssekretärin, aus meiner eigenen Re-
gierungserfahrung weiß ich, dass die Regierung eigent-
lich relativ wenig zum Leistungsport beitragen kann. Wir
fördern ihn mit einem eher bescheidenen Beitrag. Ich
wäre also etwas zurückhaltender, wenn es um den Ein-
fluss der Regierung geht.

Wir können auch stolz auf die Erfolge bei den Olym-
pischen Spiele sein. Persönlich bin ich besonders stolz da-
rauf, dass wir bei den Paralympics so gut abgeschnitten
haben.


(Beifall im ganzen Hause)

Ich bin auch stolz darauf, dass wir uns im Sportausschuss
des Deutschen Bundestages des Behindertensports an-
genommen haben, über den man Menschen, die es schwe-
rer als andere haben, helfen kann, ihr Leben besser zu
meistern und zusätzliche Freude zu gewinnen. Das war in
der zurückliegenden Legislaturperiode besonders positiv.

Wir dürfen nicht nur bei des Deutschen liebstem Kind,
dem Fußball, glänzen, auch wenn ich unserer National-
mannschaft am kommenden Sonntag natürlich einen
großen Erfolg wünsche. Als Abgeordnete des Deutschen
Bundestages sind wir für Leistungs- und Spitzensport zu-
ständig und müssen über den Fußballhorizont hinaus
blicken. In diesem Zusammenhang kommt man nicht da-
ran vorbei, festzustellen, dass im deutschen Sport einiges
im Argen liegt.


(Detlef Parr [FDP]: So ist es!)

Erstens. Die finanziellen Leistungen des Bundes auf

diesem Gebiet sind nicht so toll. Ich will sie jetzt nicht ge-
nerell kritisieren, weil ich auch an die Zeit unserer Regie-
rung zurückdenke. Ich wünschte mir jedenfalls, dass „Va-
ter Staat“ für das Aushängeschild Sport mehr aufbringen
könnte und mehr aufbrächte. Um so wichtiger ist es – ich
freue mich, dass heute Bundeswehrangehörige hier im
Hause sind –, dass die Sportfördergruppen von Zoll,
Bundeswehr, Bundesgrenzschutz und Polizei so außer-
ordentlich viel leisten. Sie müssen uneingeschränkt und
unbeeinflusst so erhalten bleiben, wie sie im Augenblick
bestehen,


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie des Abg. Wieland Sorge [SPD])


denn diejenigen, die für uns herausragende Leistungen er-
bringen, kommen überwiegend aus diesem Bereich. Dank
und Anerkennung gelten ebenso den Bundesleistungszen-
tren und den Olympiastützpunkten.

Zweitens. Ich mache mir allergrößte Sorgen über die
Kommerzialisierung; wir haben uns im Sportausschuss




Parl. Staatssekretärin Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast

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darüber unterhalten und ich habe das die „Hollywoodisie-
rung“ des Sports genannt. Der Profisport soll gut bezahlt
werden, wenn der Markt es hergibt, aber wenn Geld und
Vermarktbarkeit zur einzigen Messlatte für sportliche
Spitzenleistungen werden, führt das zu einer Schieflage
der ethischen Grundlagen des Sports.


(Winfried Hermann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gut, dass Sie als Liberaler das sagen!)


Das müssen wir ansprechen und wissen.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Diese Kommerzialisierung hat schlimme Auswirkungen
auf die angestrebte Vorbildfunktion des Sports und hat
ohne Zweifel unerwünschte Nebenwirkungen im Hin-
blick auf Doping.

Wenn die Devise „Immer höher, immer schneller, im-
mer weiter“ lautet, aber der Körper nicht mehr mitmacht,
nicht mehr die Leistungen erbringt, über die man Finan-
zen erwerben will, dann kommt man zwangsläufig zum
Doping, greift zur Pille und zur Spritze. Deshalb muss das
Doping, eine der Sportgeißeln, bekämpft werden. Ich bin
froh, dass jetzt endlich die NADA kommt, an der wir
lange gearbeitet haben. Leider hat die Wirtschaft da bis-
her relativ wenig getan.

Für meine Fraktion und auch für mich selber sage ich
deutlich und klar: Ich bin nach wie vor gegen ein staatli-
ches Anti-Doping-Gesetz, weil für mich die Subsidiarität
des Sports absolut im Vordergrund steht. Der Staat sollte
beim Sport nur und erst dann eingreifen, wenn es tatsäch-
lich nicht anders geht; anderenfalls bedeutete es, die Un-
abhängigkeit des Sports anzugreifen.


(Widerspruch bei der SPD)

– Ich weiß, hinsichtlich dieses Punktes sind wir verschie-
dener Meinung, aber ich vertrete diese Auffassung.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Drittens. Die enorme Bedeutung des Breitensports
braucht nicht hervorgehoben zu werden. Der Einstieg in
den Breitensport läuft über den Schulsport. Damit sind
wir bei meinem Lieblingskind; die Kolleginnen und Kol-
legen aus dem Bundestag wissen das. Wir sind angefein-
det worden, weil wir uns um den Schulsport in Deutsch-
land gekümmert haben. Das sei Ländersache und nicht
Sache des Bundes. Ich habe damals erklärt, sie sollten ei-
gentlich froh sein, dass wir uns darum kümmern,


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und der PDS)


denn ohne Schulsport gibt es keinen Breitensport und ohne
Breitensport keinen Leistungssport. So einfach ist das.

Viertens. Im Schulsport liegt nun wahrhaftig vieles im
Argen. Ich will das nicht im Einzelnen aufzählen. Unsere
Kinder sind zu dick, sie haben Rückenleiden und Koordi-
nationsstörungen; das ist wissenschaftlich nachgewiesen.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nicht nur die Kinder!)


Wir haben zu wenig Sportstunden, eine überalterte Sport-
lehrerschaft und Kompetenzgerangel. Eigentlich müsste
der Schulsport in den Ländern absolute Chefsache sein.
Ich habe immer einen runden Tisch all derer gefordert, die
für den Schulsport Verantwortung tragen.

Fünftens. Den Behindertensport hatte ich bereits ange-
sprochen.

Sechstens. Die Sportvereine in Deutschland sind nach
wie vor die tragenden Säulen. Sie haben gewaltige Pro-
bleme, die Ihnen bekannt sind. Dieser Problematik haben
wir uns im Sportausschuss angenommen. Das war auch
dringend notwendig. Auf diesem Gebiet muss in der
nächsten Legislaturperiode gerade seitens des Bundes ei-
niges in Angriff genommen werden, angefangen vom Eh-
renamt, das stärker hervorgehoben werden muss, bis hin
zu Haftungsfragen und steuerrechtlichen Hürden sowie
vielen anderen Problemen, die uns bekannt sind.

Zum Schluss: Ich habe die Arbeit im Sportausschuss,
die ich nach dem Ausscheiden aus der Bundesregierung
angepeilt habe, nicht bereut. Ich hatte das Gefühl, dass der
Sportausschuss, der immer ein wenig um seine Anerken-
nung ringen muss, etwas politischer sein könnte. Ich weiß,
dass ich darin parteiübergreifend Unterstützung habe.


(Beifall des Abg. Winfried Hermann NIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der SPD: Wir sind auf dem besten Weg!)


– Ja, wir sind auf einem guten Weg.
Wir können – das habe ich in den vier Jahren erfah-

ren – vieles aufgreifen, anregen, manchmal auch konkret
helfen, aber vor allem immer versuchen, den Interessen
des Sports Gehör zu verschaffen. Die unzähligen Sport-
begeisterten in Deutschland erwarten und würdigen das.

Ich meine, dass wir einiges voranbringen konnten. Ich
würde mich freuen, wenn der Bund weit mehr, als das bis-
her geschehen ist, natürlich im Rahmen seiner finanziel-
len Möglichkeiten, für den Sport in Deutschland täte. Da
liegt leider Gottes noch einiges im Argen. Auf der ande-
ren Seite können wir stolz auf das sein, was wir an Spit-
zenleistungen und durchaus auch im Breitensport insge-
samt erreicht haben. Es möge so bleiben.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1424607800
Herr Dr. Kinkel, wir
gehen davon aus, dass das Ihre letzte Rede war.


(Dr. Klaus Kinkel [FDP]: Sie täuschen sich vielleicht!)


– Dann sage ich: Ihre vorerst letzte Rede. Ihre Kollegin-
nen und Kollegen haben mir das so signalisiert.


(Abg. Detlef Parr [FDP] überreicht Abg. Dr. Klaus Kinkel [FDP] ein T-Shirt)


– Es gibt sogar das passende Präsent dazu.

(Beifall im ganzen Hause)





Dr. Klaus Kinkel
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(B)


Ich möchte die Gelegenheit nutzen, mich im Namen
aller Kolleginnen und Kollegen recht herzlich für Ihr
Engagement hier in diesem Hause zu bedanken. Ich
glaube, es würde viel Zeit kosten, all die Ämter aufzu-
zählen, die Sie bekleidet haben. Ganz gewiss haben wir
Sie vor allem noch als Außenminister unseres Landes
vor Augen. Vielen Dank für Ihr Engagement hier! Wir
gehen aber davon aus, dass Sie uns allen im Dialog er-
halten bleiben. Alles Gute für den kommenden Lebens-
und Arbeitsabschnitt!


(Beifall im ganzen Hause)

Wir fahren in der Debatte fort. Ich erteile jetzt dem Kol-

legen Winfried Hermann für die Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen das Wort.


Winfried Hermann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1424607900

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren!
Lieber Kollege Kinkel, ich darf mich auch im Namen
meiner Fraktion – ich sehe, auch andere tun das gerade –
herzlich für die gute, kollegiale, erfrischende und faire
Zusammenarbeit bedanken. Es ist wahr: Sie haben ab und
zu Rauch reingelassen, waren ungeduldig wie der Ex-
Außenminister und haben sicherlich dazu beigetragen,
dass der Sportausschuss insgesamt sich auch politisch
geäußert hat. Das war gut so. Vielen Dank!


(Beifall im ganzen Hause)

Ich will nicht verhehlen, dass ich mich ziemlich freue,

dass die deutsche Mannschaft am Sonntag bei der Fuß-
ballweltmeinsterschaft im Endspiel steht.


(Zuruf von der PDS: Wir auch!)

Das ist schon jetzt ein Riesenerfolg. Ich sage: Alles Gute,
toi, toi, toi, damit es am Sonntag wirklich klappt!

Die Tatsache, dass die deutsche Mannschaft im End-
spiel steht, könnte uns Politikerinnen und Politikern ein
Zeichen sein: Viele haben sie im Vorfeld abgeschrieben,
aber sie hat sich nicht abschreiben lassen, sie hat an ihre
Qualitäten und ihre Chancen geglaubt, sie genutzt und
sich ins Endspiel gespielt. Das richte ich an Sie, Herr
Riegert von der Opposition; man sollte uns nicht zu früh
abschreiben. Das ist unser Motto.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Zuruf von der CDU/CSU: Wo gibt es denn da eine Verbindung?)


Kollege Riegert, Ihre Rede hat mich an die alten Der-
bys im Westen erinnert. Wenn Schalke gegen Borussia
Dortmund oder umgekehrt gespielt hat, hat die jeweilige
Auswärtsmannschaft eigentlich nie eine Chance gehabt,
weil der Gegner zu gut war. Dann hat man gesagt: Wenn
wir schon nicht gewinnen können, dann machen wir we-
nigstens ihren Rasen kaputt.


(Heiterkeit)

So kam es mir fast vor: Sie wollten partout unsere gute
Politik,


(Zustimmung beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


die Sie eigentlich nicht bestreiten können, kaputtreden;
aber da das nicht ging, mussten Sie mit diesen Zahlen al-
lerhand schräge Rechnungen aufmachen und die Zahlen
verbiegen. Dabei ist schon bei den vielen Zahlenkolonnen
in Ihrer Großen Anfrage eines klar geworden – das sage
ich durchaus auch als Kompliment in Bezug auf Ihre Re-
gierungszeit –: Sport ist in Deutschland immer auf hohem
Niveau gefördert worden und Rot-Grün hat hier weiter-
gemacht und noch eins draufgesetzt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Wir haben uns als rot-grüne Regierung zwei Bereiche
vorgenommen: den Spitzensport zu fördern, aber glei-
chermaßen auch auf den Breitensport zu setzen. Das war
uns wichtig. Wir wollten die Rahmenbedingungen im
Sport insgesamt verbessern. Ich will in beiden Bereichen
beispielhaft deutlich machen, was wir geleistet und er-
reicht haben und wo noch Zukunftsaufgaben bestehen.

Zunächst zum Breitensport.Auch das an die Adresse
der CDU/CSU: Alle haben in den 90er-Jahren davon
geredet, dass wir einen „Goldenen Plan Ost“ brauchen.
Sie haben zwar allerhand geschafft, aber das nicht. Wir
haben es geschafft, dass immerhin insgesamt 200 Milli-
onen Euro im Osten in Sportstätten investiert wurden; da-
von waren 50 Millionen Euro Unterstützung durch den
Bund. Das war wirklich ein Erfolg.


(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Richtig! – Walter Hirche [FDP]: Da müsst ihr klatschen! – Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Sie haben versucht, das Investitionsfördergesetz als be-
sondere Leistung Ihrer Regierungszeit darzustellen. Man
kann über alle Jahre hinweg nachprüfen: Es ist
auch während unserer Regierungszeit viel geschehen. Es
wurde nichts reduziert. Wenn Sie sagen, wir hätten insge-
samt weniger für den Spitzensport getan, dann müssen Sie
immer etwas – zum Beispiel die Millionen für die Stadien
in Berlin und Leipzig – herausrechnen, denn sonst stimmt
Ihre Rechnung nicht.

Wir haben insbesondere mit dem Goldenen Plan Ost
nicht nur Geld zur Verfügung gestellt, sondern auch Ak-
zente gesetzt. Wenn man schon als Bund Sportstätten fi-
nanziert, dann muss man das beispielhaft machen. Wir
haben gesagt, wir wollen sozial und ökologisch modell-
hafte Vorhaben unterstützen, weil es für die Jugendarbeit
in den Kommunen, wo Jugendliche oft perspektivlos sind,
sinnvoll ist und weil es für den Sport insgesamt wichtig
ist, dass es modellhafte Vorhaben gibt, die man übrigens
auch im Westen realisieren kann. Insofern war der Gol-
dene Plan Ost auch ein Modell für den Westen.

Meine Damen und Herren, Breitensport ist vielfältig.
Ich konnte mit einigen anderen unlängst in Leipzig das
Deutsche Turnfest besuchen. Zusammen mit Täve Schur
war ich, glaube ich, der erste Abgeordnete, der es ge-
schafft hat, den ganzen Umzug mitzuerleben. Mehr als vier
Stunden lang sind 80 000 Menschen, junge, alte, behin-
derte, nicht behinderte Sportler aller Art, durch die Stadt
gelaufen und haben vorgeführt, was sie alles machen. Sie
haben deutlich gemacht: Die deutsche Turnbewegung ist




Vizepräsidentin Petra Bläss

24907


(C)



(D)



(A)



(B)


nichts Historisches, sondern sie lebt, modernisiert sich
ständig. Sport ist Bewegung.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP und der PDS)


Uns ist klar geworden, dass die vielfältigen Bewegun-
gen in der Gesellschaft ein gemeinschaftliches Kulturgut
sind, das es politisch zu unterstützen gilt, und zwar in
der Breite und in der Spitze. Das haben wir in den letzten
vier Jahren auch getan.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Das habt ihr nicht gemacht!)


Wir haben auch die Spitzensportförderung kontinuier-
lich ausgebaut und verbessert. Ich will nicht behaupten,
dass Sie das schlecht gemacht haben. Wir haben die Spit-
zensportförderung auf hohem Niveau begonnen und das
Niveau gehalten, was nicht einfach war, weil wir Konso-
lidierungserfordernisse mit dem Haushalt insgesamt zu
beachten hatten. Herr Kinkel, als alter Hase werden Sie
wissen, dass es schwierig ist, in Zeiten, in denen überall
Finanzmittel gekürzt werden, die Sportförderung nicht
nur auf hohem Niveau zu halten, sondern – im Gegenteil –
sogar die Finanzmittel zu erhöhen. Hier haben wir Sport-
politiker gezeigt, dass wir durchsetzungsfähig waren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Wir haben bewusst nach dem Motto gehandelt: Wir in-
vestieren im Sport in Steine, also in Stadien und Sport-
stätten, in Beine, also in die Sportler, und in Köpfe, also
in die Trainer und Wissenschaftler. Auch das ist gesche-
hen. Herzlichen Dank an all diejenigen, die dafür sorgen,
dass daraus sportliche Erfolge werden!

Darüber hinaus haben wir kontinuierlich die Rahmen-
bedingungen für den Sport verbessert. Sie haben von der
Erhöhung der Übungsleiterpauschale immer nur gespro-
chen. Wir haben sie um 50 Prozent erhöht. Im Übrigen ha-
ben wir in vielen Details die Vereinsarbeit verbessert.
Beispielsweise können jetzt Jugendliche im Rahmen des
Freiwilligen Sozialen Jahres auch in die Sportvereine ge-
hen. Wir haben die Spendenmöglichkeiten für Sport-
vereine verbessert und vereinfacht. Auch das ist von den
Sportorganisationen anerkannt worden.

Ich möchte jetzt etwas zu Ihren Gesetzentwürfen und
Anträgen sagen, die wir in der Tat immer abgelehnt haben.
Ein Grund dafür war, dass es im Grunde genommen im-
mer Schattengesetzentwürfe waren. Sie waren aber nicht
wirklich finanziert. Das heißt, Sie haben nie ein seriöses
Finanzkonzept vorgelegt. Sie haben natürlich die Freiheit
der Opposition genutzt, etwas zu fordern, was man selber
in der Regierung nicht durchsetzen könnte. Sonst hätten
Sie das schon Jahre zuvor durchgesetzt. Das haben Sie je-
doch nicht gemacht.


(Friedhelm Julius Beucher [SPD]: Sehr wahr!)

Insofern kann man sagen: Wir haben realistische Politik
betrieben und einiges durchgesetzt.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


Ich möchte noch einen aus grüner Sicht wichtigen
Aspekt ansprechen. Wir haben auch die Bereiche Ökolo-
gie und Nachhaltigkeit unterstützt. Sie haben immer
wieder versucht, über den Sport eine Anti-Ökosteuer-
Kampagne hochzuziehen. Das hat übrigens nicht ver-
fangen. Der Deutsche Sportbund hat in seinem neuesten
Forderungskatalog ausgeführt, dass nachhaltiger Sport-
stättenbau die Zukunft ist. Es kommt jetzt darauf an, dass
wir die Sportstätten ökologisch modern sanieren und da-
bei Energie und Wasser sparen, also insgesamt nachhaltig
entwickeln und nicht gegen die Ökosteuer wettern. Nach-
haltige Sportentwicklung hat auf Dauer Erfolg.

Im Zusammenhang mit dem Naturschutzgesetz haben
wir dafür gesorgt, dass es endlich keinen falschen Kon-
flikt mehr zwischen Sport und Umwelt gibt. Wir haben die
Versöhnung zwischen den Sportinteressen und den Na-
turschutzinteressen erreicht. Es gibt eine klare Definition,
was natur- und umweltverträglicher Sport ist. Darüber
hinaus haben wir es den Sportorganisationen mit diesem
Gesetz ermöglicht, dass sie sich im Naturschutzbereich
beteiligen können. Wenn sie naturverträglichen Sport trei-
ben und naturverträgliche Jugendarbeit leisten, haben sie
die gleichen Mitspracherechte wie die Umweltverbände.
Das ist ein riesiger Fortschritt für die Sportorganisationen.
Auch das hat große Anerkennung gefunden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1424608000
Herr Kollege
Hermann, jetzt müssten Sie aber zum Schluss kommen.


Winfried Hermann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1424608100

Ich komme zum Schluss.

Ich möchte noch darauf hinweisen, was wir im Do-
ping-Bereich gemacht haben. Ich nenne drei Punkte: Wir
haben den Dopingopfer-Hilfsfonds geschaffen und haben
eine nationale Anti-Doping-Agentur durchgesetzt. Außer-
dem haben wir immerhin die Grundzüge eines Anti-Do-
ping-Gesetzes verabschiedet. Wir haben also von drei
Punkten zweieinhalb erledigt. Das ist ein großer Erfolg.

Was steht noch an? Was müssen wir in der nächsten Le-
gislaturperiode tun? Herr Kollege Kinkel hat es schon an-
gesprochen: Wir werden den Vorschlag bezüglich einer
Verbesserung des Schulsports aufgreifen. Die PISA-De-
batte ist doch sozusagen eine kopflastige Debatte; denn
der Sport wird in der Studie außen vor gelassen. Die
PISA-Studie hat die Köpfe untersucht. Die Körper der
Kinder hat man vergessen. Wir als Sportpolitiker müssen
die Schüler auch im Bereich des Sports fördern. Damit
wird sich der Sportausschuss in der nächsten Legislatur-
periode befassen.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1424608200
Herr Kollege Hermann,
Sie wissen, dass es auch und gerade im Sport auf die Zeit
ankommt.


(Heiterkeit)



Winfried Hermann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1424608300

Das weiß ich. Deshalb komme ich zum Schluss.




Winfried Hermann
24908


(C)



(D)



(A)



(B)


Ich bedanke mich für die gute Zusammenarbeit. Ich
freue mich auf die nächste Legislaturperiode. Wir werden
da weitermachen, wo wir jetzt aufgehört haben. Um im
Sportjargon zu bleiben: Die erste Spielhälfte von Rot-
Grün war gut. Wir setzen darauf, dass Rot-Grün auch wei-
terhin gut spielen wird.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1424608400
Wir bleiben beim Ren-
nen. Das Wort hat jetzt der Kollege Gustav-Adolf Schur
für die PDS-Fraktion.


Gustav-Adolf Schur (PDS):
Rede ID: ID1424608500
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Hier in 240 Sekunden über
einen Entschließungsantrag, den 9. Sportbericht und den
10. Sportbericht etwas Entscheidendes zu sagen ist sehr
schwierig. Gelänge mir das innerhalb dieser 240 Sekun-
den, wäre das eine Eintragung im Guinnessbuch der Re-
korde wert.

Die vorliegenden Berichte erwecken den Eindruck ei-
ner umfassenden und nachhaltigen, also einer zufrieden-
stellenden Förderung und Entwicklung des Sports in
Deutschland. Ist also alles seit über einem Jahrzehnt in
Ordnung und kann es deshalb heißen „weiter so!“? Ich
möchte warnend sagen: Nichts verleitet mehr zur Selbst-
zufriedenheit als Berichte über Erfolge. Als aktiver Sport-
ler musste ich durch manche Erfahrung lernen, Ergeb-
nisse zuerst zu analysieren, ehe ich sie bejubeln konnte.

Die Ergebnisse müssen am Weltniveau gemessen wer-
den – sowohl hinsichtlich des Resultats als auch hinsicht-
lich des Weges, der dorthin führt. Wer das nicht so sieht,
nicht sehen will oder auch nicht sehen kann, sieht sich
ganz schnell mit überraschenden Niederlagen konfron-
tiert. Der Vergleich beider Sportberichte und die Kenntnis
unserer Sportlandschaft signalisieren mir: Es ist höchste
Zeit für wichtige, einschneidende Veränderungen – und
zwar auf allen Ebenen –, wobei den ursächlichen Zusam-
menhängen zwischen Kinder- und Jugendsport, Freizeit-
und Erholungssport, Nachwuchs- und Hochleistungs-
sport – das alles gilt auch für den Behindertenbereich, wie
schon gesagt wurde – Rechnung getragen werden muss.


(Beifall bei der PDS)

Tore beim Fußball sind ein Grund zur Freude; sie rei-

chen aber nicht, um die deutsche Sportlandschaft zu ver-
ändern. Das belegen auch Expertenanhörungen im Sport-
ausschuss. Es waren teilweise alarmierende Berichte, die
negative Tendenzen aufzeigten. Die Stellung des Sports
im Wertesystem der Gesellschaft ist schon seit langem
durch die Praxis neu definiert worden.

Verlässliche politische Rahmenbedingungen für den
Sport sind eine unabdingbare Forderung an den Staat. Mit
14,3 Milliarden DM an sportbezogenen Ausgaben von
Bund, Ländern und Kommunen jährlich war und ist der
Staat – auch das haben wir schon gehört – der bei weitem
größte Sponsor des Sports. Das ist eine stolze Summe. Sie
kann allerdings nicht optimal wirksam werden, weil der
Sport in unserem Lande nicht als Querschnittsaufgabe ge-

sehen wurde und gesehen wird – sowohl vom Deutschen
Sportbund selbst als auch von der Politik. Sportliche Er-
folge ohne Zusammenwirken mit der Gesundheits- und
Sozialpolitik, mit Senioren-, Frauen-, Familien-, Kinder-
und Jugendpolitik genauso wie mit der Außen-, Verteidi-
gungs- und Bildungspolitik sind auf Dauer undenkbar.

Lassen Sie mich das abschließend an einem konkreten
Beispiel erläutern: In der auch gestern wieder viel disku-
tierten PISA-Studie, die ebenso heute angesprochen wor-
den ist, war vom Sport, wie meine Kollegin sagte, kaum
die Rede. Eigentlich überhaupt nicht! Ich füge hinzu:
Welch ein Glück für Bayern! Denn wie wir durch den
Deutschen Sportlehrerverband wissen, steht es dort um
den Schulsport nicht sonderlich gut. Dort tendiert der
Sportunterricht zu zwei Stunden pro Woche. Dazu möchte
ich nicht mehr sagen; denn die Kollegen Kinkel und
Hermann haben sich dazu bereits geäußert.

Aber Folgendes muss ich feststellen: Für die allseitige
Entwicklung der Persönlichkeit eines jungen Menschen
– auch das ist letztlich ein Thema der PISA-Studie – spie-
len die körperliche Bewegung und die erzieherischen Ele-
mente des Sports eine enorme Rolle.


(Beifall bei der PDS und der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das bestätigen uns ständig Pädagogen und Wissenschaft-
ler. Darauf hat zum Beispiel Professor Hollmann, bis vor
kurzem Präsident des Weltverbandes der Sportärzte,
nachdrücklich hingewiesen.

Als Langzeitstudent der Praxis kann ich nur bestätigen:
Sich noch zwingen zu können, wenn man schon längst
keine Lust mehr hat, sich selbst zu überwinden, all das übt
der Sport.


(Zustimmung bei der PDS)

Roman Herzog forderte, durch Deutschland müsse ein
Ruck gehen. Dies erreicht man nicht mit einem Appell an
den guten Willen; für den Ruck muss man trainiert sein.

Man hat mich in letzter Zeit oftmals belehren wollen,
dass Schulprobleme Länderprobleme sind. Aber es wird
niemandem gelingen, mich davon zu überzeugen. Findet
man in irgendeinem Bewerbungsformular eine Spalte, in
der man eintragen muss, in welchem Bundesland man zur
Schule gegangen ist?


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1424608600
Herr Kollege Schur,
jetzt kommt der berühmte Ruck von hier oben: die Erin-
nerung an Ihre Redezeit.


Gustav-Adolf Schur (PDS):
Rede ID: ID1424608700
Ich werde mich be-
mühen, Frau Präsidentin. – Wenn Sie eine solche Spalte
einführen wollen, würde ich gehörig dagegen opponieren,
und zwar mit Energie; und davon, liebe Kolleginnen und
Kollegen, habe ich nicht wenig, denn mich hat der Sport
auch in dieser Hinsicht gehärtet.

Ich bedanke mich herzlich.

(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU, des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN und der FDP)





Winfried Hermann

24909


(C)



(D)



(A)



(B)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1424608800
Die nächste Rednerin
ist die Kollegin Dagmar Freitag für die SPD-Fraktion.


Dagmar Freitag (SPD):
Rede ID: ID1424608900
Frau Präsidentin! Liebe Kol-
leginnen und Kollegen! Wir befassen uns heute unter an-
derem mit der Großen Anfrage der CDU/CSU zur Förde-
rung des Sports in Deutschland, wobei Sie, Herr Kollege
Riegert, einen völlig untauglichen Versuch unternommen
haben, der Bundesregierung schlechte Arbeit zu beschei-
nigen.


(Friedhelm Julius Beucher [SPD]: Das ist wohl wahr!)


Im Gegenteil: Die sportpolitische Bilanz der Regierung
– das haben wir heute an vielen Beispielen gesehen – kann
sich sehen lassen, auch wenn Sie, Herr Kollege Riegert,
das offensichtlich wieder nicht verstanden haben. Ihr ver-
baler Rundumschlag hat mir das eindrucksvoll bestätigt.


(Friedhelm Julius Beucher [SPD]: Wo ist denn Herr Riegert?)


– Ich sehe ihn nicht; aber seine Kollegen können ihm dies
vielleicht freundlicherweise ausrichten.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Der ist im Trainingslager! – Zuruf von der SPD: Der schämt sich! Der hat sich versteckt!)


– Wir sollten nicht weiter darüber spekulieren, wo sich der
Kollege Riegert jetzt aufhält. Ich bin sicher, die Kollegen
aus dem Sportausschuss sind so freundlich und teilen ihm
meine Einschätzung mit.

Natürlich hätten auch wir uns vorstellen können, an
der einen oder anderen Stelle noch mehr für den Sport zu
tun, als das letztlich möglich war. Aber zu einer ehrlichen
Beurteilung der Bilanz gehört auch, die Lage des Bun-
deshaushaltes zu berücksichtigen. Dazu sage ich Ihnen
ganz deutlich: In Anbetracht des finanziellen Trümmer-
haufens, den wir 1998 vorgefunden haben, sind wir wirk-
lich stolz auf das, was wir für den Sport haben durchset-
zen können.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Über den Umfang dieser Förderung, über notwendige,

aber eben auch vertretbare Einsparungen hat es, wie das
im Übrigen unter fairen Partnern üblich ist, eine enge Ab-
stimmung mit dem Deutschen Sportbund gegeben.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Der organisierte Sport hat unser Konzept mitgetragen.
Dies geschah sicherlich nicht in ungeteilter Freude, son-
dern aus der Erkenntnis heraus, dass auch der Sport
seinen Beitrag zu der unverzichtbaren Haushaltskonsoli-
dierung leisten muss. Das unterscheidet die Entschei-
dungsträger im deutschen Sport sehr wohltuend von den
Sportpolitikern der Opposition.

Das hervorragende Abschneiden der deutschen Teams
bei internationalen Meisterschaften, bei den Olympischen
Spielen und den Paralympics ist ein durchaus deutlicher
Beweis für die effiziente Förderung durch die Bundes-
regierung. Im Gegensatz zu Ihnen, Herr Kollege Kinkel

– sehen Sie es mir bitte nach –, möchte ich diese Förde-
rung durch die Bundesregierung nicht kleinreden,


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


auch wenn wir uns natürlich mit noch vorhandenen
Schwachstellen beschäftigen müssen.

Dies tun im Übrigen auch Fachleute in den Dach- und
Spitzenverbänden. Sie beschäftigen sich mit einem der
drängendsten Probleme, das wir zurzeit haben, nämlich:
Wie können wir unsere auf internationaler Ebene wirklich
erfolgreichen Nachwuchssportler ohne die bisherigen
Reibungsverluste – man nennt es auch Drop-out-Quote –
in die Seniorenklasse überführen?


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1424609000
Frau Kollegin Freitag,
bevor Sie diese Frage beantworten, gibt es eine Frage des
Kollegen Eckart von Klaeden. Ich frage Sie, ob Sie diese
zulassen.


Dagmar Freitag (SPD):
Rede ID: ID1424609100
Aber herzlich gerne.


Eckart von Klaeden (CDU):
Rede ID: ID1424609200
Frau Kollegin,
nachdem Sie wie auch die Frau Staatssekretärin die Er-
folge deutscher Sportler auch jetzt bei der Weltmeister-
schaft so unmittelbar mit Ihrer Regierungspolitik in Ver-
bindung gebracht haben, frage ich Sie, warum Sie den
Satz „Deutschland wird Fußballweltmeister“ aus Ihrem
Wahlprogramm wieder gestrichen haben.


Dagmar Freitag (SPD):
Rede ID: ID1424609300
Sie verwechseln mich jetzt
offensichtlich, Herr Kollege. Ich habe zum Thema Fuß-
ballweltmeisterschaft noch nichts gesagt, aber ich
komme zu gegebener Zeit noch darauf zurück.


(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Sie haben von den Erfolgen unserer Sportler gesprochen!)


Aber vielen Dank für diese Zwischenfrage. Im Übrigen
bin ich guten Mutes, was das Endspiel übermorgen an-
geht. Übermorgen um diese Zeit ist die erste Halbzeit vor-
bei und, Herr Kollege, Sie werden sehen, wir werden
Weltmeister.


(Beifall des Abg. Dr. Uwe-Jens Rössel [PDS] – Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Das war nicht meine Frage!)


Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, ich habe über
die Drop-out-Quote gesprochen. Sie betrifft die jungen
Spitzensportler und Spitzensportlerinnen, die ihre Erfolge
nicht in die Seniorenklasse überführen können. Wenn es
eine einfache Antwort auf diese Frage gäbe, hätten wir sie
mit Sicherheit bereits gefunden.

Sportbetonte Schulen, Eliteschulen des Sports sind
sicherlich Teil einer Lösung, aber eben nur ein Teil. An die-
ser Stelle sind die Bundesländer gefordert. Nordrhein-
Westfalen hat mit der Sportstiftung, die der Nachwuchs-
förderung höchste Priorität einräumt, ein Beispiel gegeben,
das andere Bundesländer unbedingt nachahmen sollten.

Mit einer besonderen Förderung während der Schulzeit
allein ist es aus unserer Sicht jedoch nicht getan. Wir dür-






(C)



(D)



(A)



(B)


fen im Interesse unserer jungen Sportler nicht nachlassen,
an Wirtschaft und Hochschulen zu appellieren, jungen
Hochleistungssportlern Bedingungen zu bieten, die deren
besonderen Bedürfnissen gerecht werden.

Meine Damen und Herren, Spitzensportler sorgen mit
hervorragenden Ergebnissen und internationalen Erfol-
gen für Aufmerksamkeit bei den Medien und in der Be-
völkerung. Die motivierende Funktion des Spitzensports
ist unbestritten. Aber Dopingvergehen bringen vor allem
den Spitzensport, in Teilbereichen jedoch auch den Brei-
tensport immer wieder in Verruf.

Deshalb haben wir uns in der Tat zu fragen, liebe Kol-
legen von der Opposition, ob wir wirklich schon alles un-
ternommen haben, um Doping wirksam zu bekämpfen.
Wir halten es im Gegensatz zu Ihnen durchaus für sinn-
voll, in der kommenden Wahlperiode die Diskussion um
ein eigenständiges Antidopinggesetz erneut anzugehen,
offensiv anzugehen und es auch zu einem Abschluss zu
bringen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Dabei lassen wir uns neben anderen Aspekten vor al-
lem – dabei lege ich Wert auf die Betonung – von dem Ge-
danken leiten, den fairen Wettbewerb im Sport zu schüt-
zen; denn das sind wir denjenigen schuldig, die mit Fleiß,
Ehrgeiz, Motivation trainieren, die Einnahme von leis-
tungssteigernden Mitteln aber konsequent ablehnen. Die-
sen Sportlerinnen und Sportlern sind wir verpflichtet. Ich
kann Sie nur auffordern, diesen Weg mit uns zu gehen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ein Wort noch in Richtung des Kollegen Riegert.
Hören Sie auf mit dem Gejammer, wir wollten Sportler
kriminalisieren. Das ist eine infame Unterstellung! Aber
ich nehme mit Interesse die Sorgen des Kollegen Riegert
um diejenigen zur Kenntnis, die dopen und betrügen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, dem deutschen Sport
steht eine riesige Chance ins Haus. Fünf Regionen in un-
serem Land bewerben sich um die Austragung der Olym-
pischen Spiele 2012.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Auch Hamburg!)


– Auch Hamburg, aber auch Nordrhein-Westfalen. –
Schon jetzt bleibt festzuhalten, dass sämtliche Bewerbun-
gen einen Schub in unseren Regionen ausgelöst haben.

Lassen Sie uns gemeinsam mithelfen, nach den World
Games 2005, nach der Fußball-WM 2006 nun auch die
Olympischen Spiele nach Deutschland zu holen!

Meine Damen und Herren, wir werden in den nächsten
vier Jahren unsere erfolgreiche Sportpolitik fortsetzen;
denn die SPD hat im Gegensatz zu Ihnen im Wahlpro-
gramm eindeutige Aussagen gemacht. Sie sollten das zur
Kenntnis nehmen. Nicht nur uns ist aufgefallen, dass Sie
in Ihrem Wahlprogramm dem Sport nur einen lapidaren
Satz widmen. Auch in der DSB-Presse ist das entspre-
chend kommentiert worden.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, am Ende einer Wahl-
periode blickt man zwangsläufig auch kurz zurück.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1424609400
Das muss auch wirk-
lich kurz geschehen, denn Ihre Redezeit ist schon abge-
laufen.


(Walter Hirche [FDP]: Auch an ihrem Namenstag kein Rabatt!)



Dagmar Freitag (SPD):
Rede ID: ID1424609500
Unser Ausschuss ist wieder
stärker in den Blick der Öffentlichkeit gerückt. Das ist der
engagierten Arbeit der Mitglieder, dem Aufgreifen von
Themen, die angeblich gar nicht unsere waren, und – das
erwähne ich ausdrücklich – dem engagierten und offensi-
ven Auftreten unseres Vorsitzenden zu verdanken.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Herr Kollege von Klaeden, lassen Sie mich an dieser
Stelle der Nationalmannschaft für das Endspiel alles Gute
wünschen. Ich bin sicher, dass wir dort erfolgreich ab-
schneiden werden.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS – Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Da sind wir einer Meinung, Frau Kollegin!)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1424609600
Das Wort hat jetzt der
Kollege Walter Link für die CDU/CSU-Fraktion.


Walter Link (CDU):
Rede ID: ID1424609700
Frau Präsiden-
tin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Frau Freitag, ich
nehme zwar einem Mitglied der rot-grünen Koalition
nicht übel, wenn es versucht, die Erfolge herauszustellen,
die teilweise nicht vorhanden sind, aber wie Sie nicht nur
im Ausschuss, sondern auch hier im Parlament immer nur
in Gold zeichnen, ist fast unerträglich.

Ich will mich, nachdem sehr viel über den Leistungs-
sport gesprochen worden ist, dem Breiten- und Vereins-
sport in den wenigen Minuten, die mir zur Verfügung ste-
hen, widmen. Ohne das ehrenamtliche Engagement von
Millionen Mitgliedern gäbe es in Deutschland kein Ver-
einswesen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Ich glaube, dem Deutschen Bundestag stünde es gut an,
in einer sportpolitischen Debatte den Millionen Ehren-
amtlichen einmal ein herzliches Wort des Dankes für ihre
großartigen Leistungen in unseren Vereinen und Organi-
sationen zu sagen.


(Beifall im ganzen Hause)

Diese Menschen legen im Ehrenamt Woche für Woche
Geld aus ihrer eigenen Tasche hinzu. Hier muss in nächs-
ter Zeit etwas verändert werden.

Die Überbewertung einiger Spitzensportarten durch
ständige Ausstrahlung in den Medien sollte nicht darüber
hinwegtäuschen, dass ohne Breiten- und Vereinssport
Spitzensport nicht möglich ist. Darüber täuscht auch nicht




Dagmar Freitag

24911


(C)



(D)



(A)



(B)


das fantastische Abschneiden unserer Fussballnational-
mannschaft in diesen Tagen hinweg. Spitzen- und Brei-
tensport bedingen einander.

„Sport tut Deutschland gut“ lautet das Motto des Deut-
schen Sportbundes für eine neue Gesellschaftskampa-
gne. Der Deutsche Sportbund bewegt im wahrsten Sinne
des Wortes unsere Republik. Die Regierung scheint das
nicht zu begreifen. Ob Vorschulerziehung, Schulsport,
Elitebildung, Seniorensport, Sportstättenversorgung, In-
tegration, Gesundheitspolitik oder Sozialengagement: Es
gibt riesige Arbeits- und Wirkungsfelder des organisierten
Sports. Ich denke, der Deutsche Sportbund hat richtig er-
kannt, dass hier in guter Zusammenarbeit von Politik und
Sportorganisationen viel herauszuholen ist.

Vereinssport ist für viele Menschen auch Kommuni-
kation und Gesundheitsprävention. Behinderte Menschen
gewinnen durch Sport im Verein wieder Lebensmut und
Lebenssinn. Ausländische Mitbürgerinnen und Mitbürger
werden in Vereinen integriert, ältere Menschen finden im
Sport Lebenssinn und Lebensgewinn. Allein daran lässt
sich schon erkennen, wie notwendig es ist, dass Politik
und Sport in Zukunft noch enger zusammenarbeiten. Aber
dazu gehört auch Geld.

Keine Frage: Der Spitzensport ist mit seinen Vorbil-
dern Anreiz, aber wir brauchen für unsere Vereine – ich
sage es noch einmal –, in denen Millionen von Menschen
im Breitensport über die sportliche Betätigung hinaus Le-
bensfreude finden, finanzielle Unterstützung.

Der rot-grünen Bundesregierung sind in den vergange-
nen dreieinhalb Jahren schwerwiegende Fehler unterlaufen.


(Dr. Peter Danckert [SPD]: Das stimmt nicht!)

– Peter, hör zu. – Sie betreibt eine Haushalts-, Finanz- und
Steuerpolitik auf Kosten der Kommunen und da liegt der
Hase im Pfeffer. Darum sehen sich immer mehr Kommu-
nen gezwungen, Fördermittel für die Vereine zu reduzie-
ren und Nutzungsentgelte für die Sportstätten einzu-
führen. Das ist das Problem.


(Dagmar Freitag [SPD]: Das haben die schon vor vielen Jahren gemacht!)


– Frau Kollegein Freitag, ich weiß zwar, dass Sie alles
wissen und können und mit den Spitzen des deutschen
Sports arbeiten, aber ich bin seit 20 Jahren Vorsitzender
meines Kreissportbundes Diepholz mit fast 80 000 Mit-
gliedern in 270 Vereinen mit über 20 Sportarten.


(Dagmar Freitag [SPD]: Glückwunsch!)

Daher weiß ich aus eigener Anschauung vor Ort, welche
Lähmungen durch die Sportpolitik von Rot-Grün an der
Basis entstanden sind. Das hat etwas mit den Kommunen
zu tun, überhaupt keine Frage, die nicht mehr in der Lage
sind, den Vereinssport, den Breitensport, genügend zu un-
terstützen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Friedhelm Julius Beucher [SPD]: Abenteuerlich, Herr Kollege Link!)


– Ich weiß ja, dass Sie das ärgert; soll es auch.
Die Bundesregierung hat die Vorschläge und Initiati-

ven der CDU/CSU zur Verbesserung des Sports und der

Situation der Ehrenamtlichen abgelehnt. Die rot-grüne
Koalition preist die Erhöhung der so genannten Übungs-
leiterpauschale von 123 auf 184 Euro. Wir begrüßen
zwar die Anhebung, wollten aber eine Ausweitung auf
Vorstandsmitglieder und Organisationsleiter.


(Dagmar Freitag [SPD]: Das hätten Sie alles machen können!)


Das wollten Sie auch, Sie konnten sich aber in Ihrer Re-
gierung nicht durchsetzen.


(Dagmar Freitag [SPD]: Das ist ja völliger Unfug, was Sie da reden!)


Dass es nicht zu noch schlimmeren Belastungen der
Vereine gekommen ist, ist dem massiven Druck des orga-
nisierten Sports in Deutschland zu verdanken. Rot-Grün
hat die Übungsleiter durch die Neuregelung der 325-
Euro-Jobs in die Sozialversicherungspflicht getrieben.
Jetzt preisen Sie teilweise die Rücknahme der selbst pro-
duzierten Fehlleistungen als sportpolitische Glanztat.
Dies ist mehr als dreist.

Wir, die CDU/CSU, werden in der nächsten Legisla-
turperiode die richtigen sportpolitischen Weichenstellun-
gen vornehmen. Dazu gehören die Stärkung des Spitzen-
und Breitensports sowie des Behindertensports, die Stär-
kung der wirtschaftlichen Kraft unserer Vereine durch
steuerliche Anreize, der Abbau von Bürokratie, um ehren-
amtliche Tätigkeiten attraktiver zu gestalten, die Verände-
rung der Neuregelung der 325-Euro-Jobs, die Erweiterung
der so genannten Übungsleiterpauschale auf Funktions-
träger, die Einführung einer steuer- und sozialversiche-
rungsfreien Ehrenamtlichkeitspauschale von 600 Euro für
ehrenamtlich Tätige und die Verbesserung beim Versiche-
rungsschutz.


(Winfried Hermann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und das alles bei Senkung der Staatsquote!)


Wir wissen wie der DSB, Sport tut Deutschland gut;
denn Sport integriert, beugt Gewalt vor, fördert die Ge-
sundheit, erzieht zu Gemeinsamkeit und Fairness. Die
Sportpolitik von Rot-Grün war gekennzeichnet von Kür-
zungen und Streichungen, wie es mein Kollege Riegert
hier sehr gut dargestellt hat.


(Winfried Hermann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie wollt ihr das finanzieren?)


Ich muss hier einmal nachfragen: Frau Staatssekretärin,
wenn die Sportpolitik so gut ist, wie Sie es darzustellen
versucht haben, warum trägt sie eigentlich der Sportmi-
nister heute nicht vor? Der hat sich nicht ein einziges Mal
in unserem Ausschuss blicken lassen und ist heute Mor-
gen bei der Sportdebatte nicht anwesend.


(Dagmar Freitag [SPD]: Sie haben geschlafen, als er da war!)


Wir haben einen Showminister, der auf allen möglichen
Veranstaltungen vor dem Fernsehen herumturnt.


(Friedhelm Julius Beucher [SPD]: Nein, stimmt nicht! Sie waren nicht da! Das ist unfair, was Sie machen! Sie waren nicht da, nicht der Minister war es!)





Walter Link (Diepholz)

24912


(C)



(D)



(A)



(B)


Wir brauchen aber einen Sportminister, der nicht nur die
große Show macht, sondern sich um die Basis kümmert.
Das werden wir nach dem 22. September ändern.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Friedhelm Julius Beucher [SPD]: Dazu werden Sie keine Gelegenheit haben! – Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Rumturnen ist auch eine Sportart!)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1424609800
Der letzte Redner in
dieser Debatte ist der Kollege Wieland Sorge für die SPD-
Fraktion.


Wieland Sorge (SPD):
Rede ID: ID1424609900
Frau Präsidentin! Meine sehr
verehrten Kolleginnen und Kollegen! Wenn man die Re-
den von der Opposition hört, versteht man überhaupt nicht
mehr, dass noch so viel Gefühl für die Leistungen ent-
wickelt wird, die bei uns im Sport erbracht werden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Sie müssen mal bei Olympischen Spielen, bei Welt-
meisterschaften, Europameisterschaften mit Sportpoliti-
kern, mit Politikern anderer Ebenen oder mit den Sport-
lern selbst ins Gespräch kommen. Alle werden Ihnen
bestätigen, dass sie neidisch auf das sind, was in Deutsch-
land in Sport getan und erreicht wird.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Deutschland wird überall als Gegner geachtet. Wenn es
darum geht, gegen Deutschland einen Sportwettkampf
auszutragen, dann hat das einen ganz besonderen Stellen-
wert. Wenn Sie jetzt bei der Fußballweltmeisterschaft die
Diskussionen gehört haben, wissen Sie, dass immer wie-
der mit Hochachtung von dem deutschen Sport gespro-
chen worden ist. In keinem Land der Welt gibt es eine so
enge Zusammenarbeit zwischen Politik, Wirtschaft
und Sport. Das sollten Sie endlich einmal zur Kenntnis
nehmen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Winfried Hermann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nur die CDU sieht schwarz! – Dr. Peter Danckert [SPD]: Diese Maulerei immer!)


Wir hatten Gelegenheit genommen, bei den Olympi-
schen Spielen mit den Verantwortlichen für Doping, für
Sicherheit zu sprechen. Was wurde von diesen Leuten, ob
das in Sydney, ob das in Salt Lake City war, immer wie-
der gesagt? – Die deutsche Sportwissenschaft hat für
uns einen riesigen Stellenwert. Wir kommen nach
Deutschland, um an Symposien teilzunehmen, weil wir
dadurch für unser Land sehr viel lernen können. Wir
führen Konferenzen und Austausche durch, insbesondere
mit Köln, um die neuesten Erkenntnisse über das Doping
zu erfahren und mit Deutschland auf diesem Gebiet eng
zusammenzuarbeiten.

Ich frage mich: Wieso sehen Sie dies alles nicht, wenn
doch die Menschen im Ausland dies so sehen? Es ist gut,
dass nur eine nationale Übertragung stattfindet, denn wenn

die Ausländer sehen würden, dass wir eine solch negative
Bilanz ziehen, würden sie über uns den Kopf schütteln.


(Dr. Peter Danckert [SPD]: Nicht über uns, über die da drüben!)


Ich möchte aus dem 10. Sportbericht der Bundesregie-
rung zitieren:

Keine andere gesellschaftliche Erscheinung bringt
Menschen aller gesellschaftlichen Schichten, Ge-
schlechter und Altersgruppen so unkompliziert zu-
sammen wie Sport und Spiel. Sie schaffen es fast
mühelos, die Grenzen unterschiedlicher Sprache,
Hautfarbe und Religion sowie gesellschaftlicher
Strukturen zu überwinden.

Dies trifft auch für die Leistungen zu, die der Sport
während des Einigungsprozesses geleistet hat. Ich darf
Sie noch einmal daran erinnern: Wir hatten damals am
Anfang der 90er-Jahre errechnet, dass es eine Diskrepanz
zwischen Ost- und Westsportförderung in Höhe von
25 Milliarden DM gibt. Wir haben es fertig gebracht,
diese Diskrepanz Schritt für Schritt zu verringern. Dies ist
in erster Linie den Sportpolitikern, den Leuten, die an der
Spitze der Sportverbände stehen, den Sportlern selbst,
dem Bund, den Ländern und den Kommunen zu verdan-
ken. Man kann heute sagen, dass der Sport beim Eini-
gungsprozess eine Vorreiterrolle gespielt hat.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich weiß nicht, ob es Ihnen aufgefallen ist, dass im
10. Sportbericht kein Wort mehr über Ost- und Westsport
steht, sondern dass man sich zu einem gesamtdeutschen
Sport bekennt, der auch nur gesamtdeutsch entwickelt
und vorangebracht werden kann. Ich finde, dies ist ausge-
zeichnet. Deshalb geht mein Appell als Sportpolitiker an
alle Politiker unseres Landes: Wenn wir dem Osten bei
seiner Entwicklung nach vorn helfen wollen, müssen wir
endlich aufhören, den Osten immer mit negativen Werten
zu belegen und dies so – auch über die Presse – nach
außen zu vertreten.

Ich frage Sie: Welcher Unternehmer, welcher Tourist
wird Lust haben, nach Ostdeutschland zu kommen, wenn
er hört, dass es dort die höchste Arbeitslosigkeit, keine In-
dustrieanlagen gibt, dass dort die Bürokratie am höchsten
ist, die Menschen mürrisch und unzufrieden sind, dort
überhaupt nichts klappt und ständig davon geredet wird,
dass man keine Zukunft habe? Wenn man Jugendlichen
keine Perspektive für den Aufbau einer ihren Leistungen
entsprechenden Existenz gibt und wir ihnen dies nicht
vorpraktizieren, haben wir auch keine Chance, sie bei uns
zu halten. Deswegen sollten wir endlich mit diesem nega-
tiv besetzten Ostdeutschland-Begriff aufhören und zu ei-
ner besonderen Entwicklung von Gesamtdeutschland
übergehen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir sollten uns auf die Stärken, die uns im Sport und in
der Politik gegeben sind, konzentrieren und daran arbei-
ten, diese auch umzusetzen.




Walter Link (Diepholz)


24913


(C)



(D)



(A)



(B)


Nun komme ich zu einigen Schwerpunkten, die eine
große Rolle spielen, und zwar zunächst zum Ehrenamt.
Dazu ist hier einiges gesagt worden. Ich teile die Meinung
unseres Kollegen Link. Das Ehrenamt ist eine der Stützen
unseres Sports. Ohne Ehrenamt können wir weder im
Breiten- noch im Leistungssport solche Leistungen erzie-
len, wie sie in der Vergangenheit erzielt worden sind. Des-
halb richte ich genau wie Herr Link meinen Dank und
meine Anerkennung an die Leute, die täglich ehrenamtli-
che Arbeit leisten.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Die Bundesregierung hat sehr frühzeitig den hohen
Stellenwert des Ehrenamtes erkannt. Es wurde eine En-
quete-Kommission eingesetzt. Diese hat Hunderte von
Gesprächen, Symposien und Befragungen durchgeführt
und uns ein Werk zur Verfügung gestellt, in dem sowohl
die positiven als auch die negativen Seiten des Ehrenam-
tes bei uns enthalten sind. Nun gilt es, diese Dinge Schritt
für Schritt aufzuarbeiten, zu bewerten und in die Tat um-
zusetzen, und zwar mit den zur Verfügung stehenden Mit-
teln und nicht mit irgendwelchen Hirngespinsten.

Ein Wort zum Nachwuchs: Auch dazu wurde heute
schon viel gesagt. Der Nachwuchs ist für den Spitzensport
von entscheidender Bedeutung. Wir haben jetzt in allen
Bereichen Nachwuchskonzepte entwickelt. Wir sind stolz
darauf, dass auch die Sportpolitik einen kleinen Beitrag
dazu leisten kann.

Wenn wir nicht nur die Weltmeisterschaften oder die
Olympischen Spiele, sondern auch die Weltmeister-
schaften oder Europameisterschaften der Jugendli-
chen ansehen, stellen wir fest, dass unsere Sportler immer
in den vorderen Positionen sind und Goldmedaillen, Sil-
bermedaillen und Bronzemedaillen erringen. Wir sind
also auch auf dieser Ebene auf dem richtigen Weg. Ich
denke, daran sollten wir weiter arbeiten.

Heute wurde mehrfach die PISA-Studie erwähnt. Auch
ich bin der Meinung über das, was schon die alten Latei-
ner erkannt haben: mens sana in corpore sano, also ein ge-
sunder Geist in einem gesunden Körper. Deshalb bedau-
ere ich wie die Kollegen, die vor mir gesprochen haben,
dass man darauf in der PISA-Studie überhaupt keinen
Wert legt, obwohl überall immer davon gesprochen wird,
dass wir in der Schule dafür mehr tun müssen. Es wäre an
der Zeit, dass die PISA-Studie in allen Ländern das
körperliche Befinden der Jugendlichen, die in die
Schule gehen, untersucht.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1424610000
Herr Kollege Sorge,
jetzt wäre es langsam Zeit, dass Sie zum Ende kommen.


Wieland Sorge (SPD):
Rede ID: ID1424610100
Frau Präsidentin, ich möchte
mich am Schluss bei all meinen Kollegen, die mit mir in
den zurückliegenden zwölf Jahren gestritten haben, be-
danken. Wir waren nicht immer einer Meinung und waren
über den Weg, den wir gehen wollen, unterschiedlicher

Auffassung. Aber es war immer eine faire Auseinander-
setzung. Dafür möchte ich allen danken. Denjenigen, die
weiterhin im Bundestag arbeiten, möchte ich viel Erfolg
wünschen, dass all die Dinge umgesetzt werden, die wir
heute benannt haben.

Vielen Dank.

(Beifall im ganzen Hause)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1424610200
Herr Kollege Sorge,
Sie hören es am Applaus im ganzen Hause: Es ist ein sym-
bolisches Dankeschön für Ihre zwölfjährige Tätigkeit im
Deutschen Bundestag. Dies war Ihre letzte Rede. Wir
wünschen Ihnen viel Erfolg für den neuen Lebens- und
Arbeitsabschnitt.


(Beifall)

Ich schließe damit die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussemp-

fehlung des Sportausschusses zur Drucksache 14/9327 zu
dem Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU zu
ihrer Großen Anfrage mit dem Titel „Sicherung der Zu-
kunft der Vereine durch wirtschaftliche und bürokratische
Entlastung – Erhöhung der Gestaltungsmöglichkeiten
und Freiräume“. Der Ausschuss empfiehlt, den Entschlie-
ßungsantrag auf Drucksache 14/8035 abzulehnen. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenprobe! –
Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist gegen die
Stimmen von CDU/CSU und FDP bei Enthaltung der
PDS angenommen.

Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Be-
schlussempfehlung des Sportausschusses auf Drucksa-
che 14/6122 zu dem 9. Sportbericht der Bundesregierung.
Der Ausschuss empfiehlt, in Kenntnis des Sportberichts
auf Drucksache 14/1859 eine Entschließung anzunehmen.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegen-
probe! – Enthaltungen? – Auch diese Beschlussempfeh-
lung ist gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP bei
Enthaltung der PDS angenommen.

Interfraktionell wird die Überweisung des 10. Sportbe-
richts auf Drucksache 14/9517 an die in der Tagesordnung
aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Ich sehe Ein-
verständnis im gesamten Hause. Dann ist die Überwei-
sung so beschlossen.

Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 26 auf:
Beratung des Berichts des Petitionsausschusses

(2. Ausschuss)

Bitten und Beschwerden an den Deutschen
Bundestag
Die Tätigkeit des Petitionsausschusses des
Deutschen Bundestages im Jahr 2001
– Drucksache 14/9146 –

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Am Pult hat bereits die
Vorsitzende des Petitionsausschusses, Heidemarie Lüth,
Stellung bezogen.




Wieland Sorge
24914


(C)



(D)



(A)



(B)



Heidemarie Lüth (PDS):
Rede ID: ID1424610300
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen! Liebe Kollegen! Vor allem liebe Bürgerin-
nen und Bürger auf der Tribüne und im ganzen Land! Ich
wende mich zunächst an Sie; denn Sie haben in den
vergangenen Jahren hohes Vertrauen in unsere Arbeit ge-
setzt. Sie haben darauf vertraut, dass der Petitionsaus-
schuss der Ort sein möge, der Ihnen Hilfe bringt.

In der vergangenen Wahlperiode haben sich
960 000 Menschen einzeln, in Massenpetitionen oder per
Unterschrift an den Petitionsausschuss, an uns gewandt.
Sie haben darauf gehofft, dass ihnen die Abgeordneten
des Bundestages und die Mitarbeiterinnen und Mitarbei-
ter des Ausschusses mit hoher Sachkenntnis, Engagement
und Zielstrebigkeit zu ihrem Recht verhelfen. Um das zu
erreichen, haben die Kolleginnen und Kollegen eine
ganze Reihe von Arbeitsweisen verändert, um für sie
noch besser wirksam werden zu können. Dazu gehört im
Einzelnen:

Erstens. Wir müssen bekannt und erreichbar sein. Wenn
wir Sie, liebe Petentinnen und Petenten, schon nicht alle
persönlich kennen lernen können, soll das doch wenigs-
tens per Internet möglich sein. Deshalb ist die Startseite
des Petitionsausschusses neu gestaltet worden. Sie können
sich dort einen schnellen Überblick über Regularien und
Aktuelles verschaffen und finden ein Formular, das es Ih-
nen ermöglicht, sich sehr schnell an uns zu wenden.

Zweitens. Der lesende Zugriff auf die Petitionsdaten-
bank führt für die Abgeordneten und vor allem für unsere
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bis in die Wahlkreise hi-
nein zu einer Verbesserung der Arbeitsabläufe. Allerdings
ist das nichts für Technikmuffel.

Drittens. Die Beherrschung der Datenbank wird in den
kommenden Jahren weiter vervollkommnet. Das wäre
auch jetzt schon möglich. Wenn uns die Ministerien ihre
Stellungnahmen als Datei übermitteln würden, müssten
sie nicht eingescannt werden.

Viertens. Der Ausschuss hat im vergangenen Jahr die
ihm mit den Befugnisrechten gegebenen Möglichkeiten
weitgehend ausgeschöpft. Ich denke dabei an die vielen
Berichterstattergespräche, die gemeinsamen Beratungen
der Obleute, Aktenvorlagen, die Ladung von Regierungs-
vertretern und Ortsbesichtigungen.

Wir haben festgestellt, dass es genau diese Mischung
aus allem war – auch wenn damit eine zusätzliche Ar-
beitsbelastung verbunden war –, mit der vieles zum Erfolg
geführt wurde. Das ist aber keine Arbeit für Parlaments-
azubis, sondern dabei handelt es sich um Sacharbeit, die
der Arbeit der Fachausschüsse das Wasser reichen kann.
Diese Arbeit erfordert Erfahrung, Wissen, Kreativität und
die Erarbeitung von Argumentationsketten.


(Beifall bei der PDS und der SPD)

Fünftens. Wenn wir davon überzeugt sind, dass in den

Ministerien und Behörden, die den Ministerien zugeord-
net sind, der Amtsschimmel mehrmals am Tag wiehert
und dass die Blüten der Bürokratie sprießen, und wenn die
Bearbeitung einer Bürgerangelegenheit deutlich macht,
dass ein Gesetz falsch angewendet worden ist, dann kann
es uns nicht nur darum gehen, im Parlament einen Be-
schluss zu fassen, sondern dann muss es darum gehen, ge-

meinsam mit der Regierung die Umsetzung dieses Be-
schlusses zu erreichen.


(Beifall bei der PDS)

Das ist uns in der gemeinsamen Arbeit im vergangenen

Jahr besonders gut gelungen. Dafür bedanke ich mich bei
den Kollegen der Koalitionsfraktionen; denn das ist nicht
einfach.


(Beifall bei der PDS)

Mit der gemeinsamen Lösung der einzelnen Fälle verbin-
den wir natürlich die Erwartung, dass in den Behörden
Vorsorge dafür getroffen wird, dass die aus diesen Einzel-
fällen abzuleitenden Schlussfolgerungen auch tatsäch-
lich gezogen werden, sodass die alten Probleme nicht er-
neut auftreten.

Sechstens. In der ablaufenden Wahlperiode gab es eine
ganze Reihe von Bitten zur Gesetzgebung, deren Zahl
im Verhältnis zu den Beschwerden gleich geblieben ist.
Das ist ein gutes Zeichen für das bürgerschaftliche Enga-
gement und dafür, dass Bürger an der Politik teilhaben
wollen. Darauf müssen wir unsere Arbeit im Petitions-
ausschuss ausrichten.

Siebtens. Nicht nur Bitten, sondern auch Beschwerden
geben uns Anlass, unsere eigene Gesetzgebung kritischer
und selbstkritischer zu hinterfragen und sie in einen
größeren Zusammenhang zu stellen. Denn Petitionsarbeit
ist seit jeher auch eine retrospektive, das heißt eine
zurückblickende Gesetzesfolgenabschätzung. Wenn wir
sie in der nächsten Wahlperiode ordentlich durchführen
wollen, brauchen wir auch die vorausschauende Geset-
zesfolgenabschätzung der Regierung, zu der sich die Koa-
lition in verschiedenen Bereichen auch bereits verpflich-
tet hat.

Achtens bedarf es einer verbesserten Zusammenar-
beit mit den Fachausschüssen. Wenn nämlich die Fach-
ausschüsse ihre Beschlussempfehlungen den Bürgern
genauso mitteilen müssten wie wir die Beschluss-
empfehlungen des Ausschusses, dann würden sie die
Petitionen in ihren Beschlussempfehlungen wenigstens
erwähnen und angeben, welches Anliegen aus der Petition
tatsächlich aufgegriffen wurde bzw. warum welche An-
liegen nicht aufgegriffen werden konnten. Wenn es schon
in der Vergangenheit so war, kann es zumindest in der
nächsten Wahlperiode nicht mehr so bleiben.


(Beifall bei der PDS)

Zum Ende dieser Wahlperiode, in der ich die Vorsit-

zende dieses Ausschusses war, gilt mein Dank besonders
allen 29 Mitgliedern des Ausschusses und vor allem auch
allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Ausschuss-
dienstes für ihren Einsatz, ihre große Fachkenntnis, ihr
Engagement und vor allem auch für ihr Drängen. Ich be-
danke mich auch bei den vielen Petentinnen und Petenten
für ihre Eingaben; denn sie sind ein lebendiger und un-
verzichtbarer Beitrag zur Demokratie.

Leider wird es nicht möglich sein, in der nächsten
Wahlperiode im Petitionsausschuss mit dem gleichen
Stamm von Kolleginnen und Kollegen zu arbeiten. Ich be-
dauere ganz besonders und ausdrücklich, dass die lang-
jährige stellvertretende Vorsitzende, Frau Jutta Müller,






(C)



(D)



(A)



(B)


nicht mehr dabei sein wird. Ich bedauere genauso, dass
die Kollegin Deichmann und der Kollege Hiller von der
SPD-Fraktion, der Kollege Pfeifer von der CDU/CSU-
Fraktion, der Kollege Wilhelm und die Kollegin
Buntenbach von der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grü-
nen nicht mehr im Ausschuss sein werden. Aber den
Angstschweiß treibt es mir ins Gesicht, dass der Kollege
Bernd Reuter nicht mehr dabei sein wird. Ich weiß noch
gar nicht, wie wir manche Ausschusssitzung und die Be-
arbeitung so mancher Petition ohne ihn gestalten werden.

Vielen Dank.

(Beifall im ganzen Hause)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1424610400
Jetzt spricht für die
SPD-Fraktion der Kollege Klaus Hagemann.


Klaus Hagemann (SPD):
Rede ID: ID1424610500
Frau Präsidentin! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Über den Jahresbe-
richt des Petitionsausschusses diskutieren wir jetzt genau
um 14.30 Uhr, also zu einer Randzeit, obwohl doch das
Petitionsrecht ein wichtiges Recht ist, ein Grundrecht so-
gar – es ist in Art. 17 des Grundgesetzes niedergelegt –,
und obwohl gerade durch das Petitionsrecht immer wie-
der der direkte Kontakt zwischen den Bürgerinnen und
Bürgern auf der einen Seite und dem Parlament auf der
anderen Seite hergestellt werden kann. Es geht darum,
dass wir die Anliegen der Bürgerinnen und Bürger auf-
greifen und bearbeiten, den Petenten ernst nehmen und
sein Anliegen nach vorn bringen. Das trägt sicherlich mit
dazu bei, dass die Akzeptanz des Parlamentarismus und
der Demokratie verbessert wird. Hierbei geht es also um
ein wichtiges Element der Demokratie.

Ich bin in dieser Wahlperiode zum ersten Mal Mitglied
des Petitionsausschusses geworden. Was mich beein-
druckt hat, ist die kollegiale Zusammenarbeit über die
Parteigrenzen hinweg, ist die Tatsache, dass das Anliegen
des Petenten oder der Petentin im Mittelpunkt der Ausei-
nandersetzung und der Arbeit steht.

15765 Eingaben sind im vergangenen Jahr an den Peti-
tionsausschuss gerichtet worden. Das sind rund 5 000 Peti-
tionen oder ein Viertel weniger als im Jahr davor. Das ist
die niedrigste Zahl von Petitionen seit 1989. In der De-
batte des vergangenen Jahres hat der Kollege Deittert wie
folgt argumentiert: Dass so viele Petitionen eingereicht
worden sind, hängt sicherlich damit zusammen, dass die
Bevölkerung mit der Regierungspolitik unzufrieden ist.
Wenn ich Ihren Gedankengang weiterspinne, sehr geehr-
ter Kollege Deittert, dann muss ich sagen: Die Zufrieden-
heit der Bürgerinnen und Bürger mit der Regierungs- und
Verwaltungsarbeit ist kräftig gestiegen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Das ist sicherlich gut so. Wir sind da – das möchte ich
noch einmal unterstreichen – auf einem guten Weg. Im
Gegensatz dazu beobachten wir bei Ihnen – wer die Sport-
debatte verfolgt hat, wird das festgestellt haben –, dass un-
ser ganzes Land und alles, was hier geschieht, schlecht ge-
redet wird, mies gemacht wird, dass Misstrauen gesät
wird und Verunsicherung betrieben wird. Das ist nicht der

richtige Weg. Das wollen auch die Bürgerinnen und Bür-
ger nicht. Deswegen sollten wir so verfahren, wie wir es
im Petitionsausschuss tun.

Ich möchte das am Beispiel der Ökosteuer deutlich
machen. Über dieses Thema wurde sehr oft diskutiert. Es
lagen mehrere Petitionen dazu vor. Darüber wurde heftig
– heftig im Vergleich zur Gesamtstimmungslage im Peti-
tionsausschuss – gestritten. Sie, verehrte Kolleginnen und
Kollegen von der Union, haben sehr nachdrücklich gefor-
dert, die Ökosteuer abzuschaffen. Jetzt liest man, dass Sie
die Ökosteuer gar nicht abschaffen wollen.


(Heinz Wiese [Ehingen] [CDU/CSU]: Diese wollen wir abschaffen!)


Sie wollen zwar die fünfte Stufe nicht realisieren, aber Sie
wollen sie nach Ihrem Programm bestehen lassen,


(Zuruf von der CDU/CSU: Ihr müsst das nur richtig lesen!)


weil auch Sie erkannt haben, dass die Ökosteuer zur Fi-
nanzierung der Rentenversicherung wichtig ist, weil Sie
keine Alternative dazu haben und weil es ein sinnvoller
Schritt gewesen ist.

Es ist auch gut gewesen, dass wir im Petitionsaus-
schuss mit den Landesparlamenten und deren Petitions-
ausschüssen sowie den Gremien auf EU-Ebene zusam-
mengearbeitet haben. Dadurch konnte einiges erreicht
werden. Lassen Sie mich das an einem Beispiel deutlich
machen. Bei den gefährlichen Frontschutzbügeln an
Kraftfahrzeugen, den so genannten Kuhfängern, haben
wir aufgrund einer Petition, die bei uns eingereicht wurde
und die wir nach Brüssel weitergegeben haben, erreicht,
dass über ein Verbot nachgedacht wird. Hier wird eine an-
dere EU-Richtlinie geschaffen und sogar die Industrie hat
Verbesserungen zugesagt. Hier ist ein Erfolg des Petiti-
onsausschusses deutlich festzustellen und es zeigt sich
auch, dass etwas bewegt werden kann.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Heidemarie Lüth [PDS])


Eine Reihe von Petitionen hätte eigentlich gar nicht ge-
schrieben werden müssen, wenn, wie Frau Kollegin Lüth
eben gesagt hat, der Amtsschimmel nicht so gewiehert
hätte und wenn die ausführenden Stellen und Verwal-
tungsbehörden ihren Spielraum, der nach dem Gesetz im-
mer gegeben ist, etwas mehr genutzt hätten, wenn sie fle-
xibler gewesen wären. Das heißt aber nicht, dass sie nach
Beliebigkeit hätten entscheiden sollen, sondern sie sollten
ihren Spielraum nutzen. Petitionen wären auch vermeidbar
gewesen, wenn man – diese Forderung ist sicherlich allge-
mein an die Administration zu richten – eine verständli-
chere Sprache gesprochen und geschrieben hätte, sodass
man hätte nachvollziehen können, was gemeint ist, und
nicht nur Juristen mit Einserdiplom diese Sprache verste-
hen. Das ist eine Forderung an die Regierung, die sie auch
an die nachgeordneten Behörden weitergeben sollte.


(Beifall bei der SPD)

Der Petitionsausschuss war immer wieder auch Ver-

mittler, wenn man in unterschiedlichsten Situationen in
eine Sackgasse geraten war. Das war oft nur durch Nach-
haken und durch Bohren, aber auch durch Gespräche vor




Heidemarie Lüth
24916


(C)



(D)



(A)



(B)


Ort oder durch Akteneinsicht möglich. Ich will dazu ei-
nige Beispiele aus diesem Jahr nennen; sie beziehen sich
nicht auf das vergangene Jahr.

In einem Fall geht es um das Abschalten des US-Senders
im oberbayerischen Valley wegen der Strahlenbelastung.
Dazu hatten wir mehrere Sitzungen mit verschiedenen Re-
gierungsvertretern. Schließlich konnte die Angelegenheit
auf Druck des Petitionsausschusses weiterverfolgt werden.

In einem anderen Fall hat sich die Kollegin Jutta Müller
– ich bin dankbar, dass sie noch hier ist – besonders enga-
giert. Es ging um die Rückübertragung einer ehemaligen
Firma im sächsischen Chemnitz auf den Altbesitzer. Die
Kollegin Müller hat mehrfach – man kann fast sagen, pe-
netrant – nachgebohrt und zusammen mit den Kolleginnen
und Kollegen Berichterstattern auch eine Lösung gefun-
den. In diesem Fall war Akteneinsicht gefordert. Wir
haben gehört, dass drei Abgeordnete 30 Aktenordner
durchblättern mussten. Durch die Penetranz hatten wir
schließlich Erfolg im Interesse des Petenten.

Ich will noch einen Fall aus dem bayerischen Wahl-
kreis Fürth aufgreifen, in dem es um eine Lärmschutz-
maßnahme an einer Bundesstraße ging. Auch hier konn-
ten die Interessen eines Einzelnen gegen die bayerische
Straßenverwaltung durchgesetzt und dadurch konnte dem
Petenten zu seinem Recht verholfen werden. Er hatte so-
gar noch Schwierigkeiten, weil er es überhaupt gewagt
hatte, eine Petition einzureichen. Aber es konnte ihm ge-
holfen werden.

Kollege Hiller, lassen Sie mich noch einmal die un-
endliche Geschichte der Ortsumgehung Ratzeburg an-
sprechen, mit der wir uns seit Jahrzehnten beschäftigen.
Dieser Fall ist ein deutliches Beispiel für das Beharrungs-
vermögen von Verwaltungen. Bisher haben wir trotz der
drei Beschlüsse im Petitionsausschuss immer noch keine
endgültige Lösung gefunden. Kollege Hiller wird leider
aus dem Parlament ausscheiden, aber ich kann dir versi-
chern, dass wir an diesem Thema auch in der nächsten Le-
gislaturperiode mit Penetranz dranbleiben werden und
dann hoffentlich zu einer Lösung im Interesse der Bürge-
rinnen und Bürger kommen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, zum Schluss möchte
ich natürlich auch die positiven Seiten herausstellen und
dafür zwei Beispiele anführen. Es geht zunächst einmal
um das Kindergeld für diejenigen, die anstelle des Zivil-
dienstes einen anderen Dienst im Ausland leisten. Hier ha-
ben wir durch Petitionen in Zusammenarbeit mit der Bun-
desregierung – liebe Kollegin Dr. Niehuis, dafür haben wir
sehr lange gekämpft – erreicht, dass für diejenigen, die die-
sen anderen Dienst leisten, Kindergeld gezahlt wird.

Positiv zu erwähnen ist auch Folgendes: Ein junger
Mann, der lange Zeit arbeitslos war, wurde, unmittelbar
nachdem er eine Arbeitsstelle gefunden hatte, zum Wehr-
dienst einberufen. Das Verteidigungsministerium – man
kann es sich kaum vorstellen – konnte kurzfristig von einer
anderen Lösung überzeugt werden. Dass das erreicht
wurde, ist ein Ergebnis der Arbeit des Petitionsausschusses.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1424610600
Jetzt müssen Sie wirk-
lich zum Schluss kommen.


Klaus Hagemann (SPD):
Rede ID: ID1424610700
Ich komme zum Schluss. –
Ich will mich dem Dank anschließen, den die Vorsitzende
des Petitionsausschusses schon ausgesprochen hat. Ich darf
mich insbesondere den Kolleginnen und Kollegen meiner
Fraktion zuwenden, die dem Deutschen Bundestag leider
nicht mehr angehören werden: Jutta Müller, die stellvertre-
tende Vorsitzende, Frau Deichmann, der Kollege Hiller und
Bernd Reuter. Bernd, du wirst uns in der nächsten Legisla-
turperiode fehlen. Du hast die Arbeitsgruppensitzungen im-
mer sehr ordentlich und sehr freundschaftlich geleitet, wo-
durch es zu einer guten Atmosphäre kam.

Herzlichen Dank an die Mitarbeiterinnen und Mitar-
beiter des Ausschusssekretariats!

Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1424610800
Sie machen es mir mit
Ihren langen Dankesreden sehr schwer; denn ich unter-
breche diese Reden ungern.

Nächster Redner ist der Kollege Hubert Deittert für die
Fraktion der CDU/CSU.


Hubert Deittert (CDU):
Rede ID: ID1424610900
Frau Präsidentin!
Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Nach nur ei-
nem halben Jahr debattieren wir erneut in diesem Hohen
Hause über einen Tätigkeitsbericht des Petitionsaus-
schusses. Ich begrüße es, dass wir es dieses Jahr in ge-
meinsamen Anstrengungen geschafft haben, die Debatte
über den Jahresbericht kurz nach dessen Fertigstellung
und Übergabe an den Bundestagspräsidenten zu führen.

Lassen Sie mich ganz kurz ein paar Gedanken zur Be-
deutung des Ausschusses äußern. Ich denke, die Väter un-
seres Grundgesetzes haben mit der Einrichtung des Peti-
tionsausschusses einen guten Schritt getan. Durch ihn
haben unsere Mitbürgerinnen und Mitbürger die Mög-
lichkeit, dafür zu sorgen, dass ihre Probleme direkt an das
Parlament herangetragen werden und in die entsprechen-
den parlamentarischen Beratungen einfließen. Ich halte es
für außerordentlich positiv, dass die Anregungen zur Ge-
setzgebung immer mehr werden und dass wir dadurch
wichtige Bausteine für die Gesetzgebungsarbeit erhalten.
Ich glaube, dass der Petitionsausschuss insgesamt eine
gute Arbeit geleistet hat.

Ich will mich ein wenig auf die abgelaufene Wahlperi-
ode und nicht allzu sehr auf das abgelaufene Jahr bezie-
hen. Lassen Sie mich daher eine Vorlage nutzen, die der
Kollege Hagemann gegeben hat. Um die Anzahl der Peti-
tionen zu verdeutlichen, habe ich im vergangenen Jahr ein
Bild entworfen. Sie sind heute anders vorgegangen. Viel-
leicht ist es so, dass die Bürger es aufgegeben haben, mit
Kleinigkeiten an diese Regierung heranzutreten. Sie wol-
len eine grundsätzliche Lösung und die wird es am
22. September geben.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich will das gute Miteinander in diesem Ausschuss be-

sonders herausstellen. Dort ist es in der Tat so, dass wir
über Partei- und Fraktionsgrenzen hinweg gemeinsam




Klaus Hagemann

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(C)



(D)



(A)



(B)


nach der Lösung von Problemen in persönlichen Angele-
genheiten, von Einzelnen oder von Gruppen suchen. Es ist
gut, dass wir wirklich ohne irgendwelche Scheuklappen
vernünftig an der Lösung von Problemen arbeiten.

Ich habe mir allerdings manchmal die Frage gestellt,
ob es denn der Bundesminister des Innern zu schätzen
weiß, dass er in Fragen des Asyl- und Aufenthaltsrechts
bei uns, also in der Union, stärkere Unterstützung als in
den Koalitionsfraktionen hat.


(Klaus Hagemann [SPD]: Das ist aber übertrieben!)


Diese Frage lasse ich einfach einmal so im Raum stehen.
Ich will nur andeutungsweise einige Themenfelder

nennen. In den vergangenen Jahren hat vor allem das
Thema Ökosteuer – Herr Kollege Hagemann, Sie haben
es angesprochen – eine Rolle gespielt. Daran wird deut-
lich, dass mit dieser Regelung der Nerv des Volkes ge-
troffen wurde. Von dieser Steuer sind die Schwachen in
der Gesellschaft wirklich massiv betroffen. Bei Abstim-
mungen über Petitionen, die dieser Einsicht Rechnung
trugen, war es leider so, dass die Vertreter von Rot-Grün
ihrer Linie sehr treu waren, sodass wir von der Union
zweiter Sieger blieben.


(Klaus Hagemann [SPD]: Ihr werdet es auch weiterhin sein! – Bernd Reuter [SPD]: Stellt euch vor, wir hätten die abgeschafft! Dann würdet ihr aber nackt dastehen!)


Aus dem Bereich des Verkehrs will ich zwei Beispiele
anfügen. Wir haben uns in vielen Fällen mit Fragen des
Verkehrslärms auseinander gesetzt. Wir haben für die da-
mit zusammenhängenden Probleme keine zufrieden stel-
lenden Lösungen. Wir werden noch über Jahre an diesem
Problem arbeiten müssen, vor allem da, wo es sich um
Bundesautobahnen oder Bundesstraßen handelt, die vor
1974 planfestgestellt worden sind. Das wird eine Aufgabe
für die nächste Legislaturperiode sein, nicht nur für den
Petitionsausschuss, sondern auch – weil es sich um eine
grundsätzliche Frage handelt – für den Verkehrsausschuss.

Ich will einige Dinge, in die wir bei Ortsterminen Be-
wegung haben bringen können, ansprechen. Herr Kol-
lege, Sie haben die Ortsumgehung Ratzeburg ange-
sprochen. Ich denke, es hat sich hier wieder einmal
gezeigt, dass es richtig ist, in brisanten Fällen auch einmal
einen Ortstermin durchzuführen und vor Ort mit den
Menschen und den Betroffenen zu sprechen. Wir haben
hier die Fronten aufweichen können. Es wird intensiv an
Alternativlösungen gearbeitet. Ich hoffe, dass auch der
Bundesrechnungshof seinen Vorbehalt aufgeben wird


(Bernd Reuter [SPD]: Hat er aufgegeben!)

– das ist schon einmal schön – und wir zu einer vernünf-
tigen Lösung kommen.

Ich nenne eine Bundesautobahn in Sachsen, die A 72.
Da konnten wir gemeinsam mit dem Petitionsausschuss
des Sächsischen Landtages erreichen, dass jetzt einver-
nehmlich an einer Linienführung gearbeitet wird. Ich
denke, das ist ein sehr gutes Zeichen.

Ich möchte hier auch einen nachdenklichen Ton an-
schlagen. In Verfahrensfragen bestand zwischen uns

bisher eigentlich immer Einvernehmen. Es war leider in
der letzten Zeit so, dass ein geplanter Ortstermin nicht zu-
stande kam und dass ein schon gefundener Kompromiss
doch wieder infrage gestellt wurde. Ich mache die Ursa-
che dafür ein wenig an der Nervosität, die vor Bundes-
tagswahlen herrscht, fest und hoffe, dass das in Zukunft
wieder besser ablaufen wird.

Meine Damen und Herren, Danke möchte ich heute
den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Ausschuss-
dienstes sagen. Angesichts der Tatsache, dass eine große
Zahl von Mitarbeitern gewechselt hat und viele von
Tauschbehörden hier in Berlin zu uns gekommen sind, ist
es umso höher zu bewerten, dass die Arbeit insgesamt rei-
bungslos vonstatten gehen konnte.


(Beifall im ganzen Hause)

Danke möchte ich auch den Kolleginnen und Kollegen

im Ausschuss sagen. Ich nenne hier stellvertretend zwei
Namen: einmal aus meiner Fraktion den Kollegen Anton
Pfeifer, der über die Fraktionsgrenzen hinweg, von allen
anerkannt, eine wichtige Arbeit leistete, und den verehr-
ten Kollegen Bernd Reuter, mein direktes Gegenüber in
vielen Fällen. Wir haben trotz mancher Differenzen eine,
wie ich denke, sehr gute Zusammenarbeit pflegen kön-
nen. Dafür möchte ich herzlich danken. Ich hoffe, dass
auch in der nächsten Wahlperiode das Klima im Aus-
schuss gleich bleibt.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der PDS)


Wir sollten uns Gedanken machen, ob wir in der nächs-
ten Wahlperiode die Verfahrensgrundsätze überarbeiten.
Es wurde ja mit ganz großer Mehrheit festgehalten, dass
am Petitionsrecht keine Veränderungen vorgenommen
werden sollen. Wir sollten unbefangen die Verfahrens-
grundsätze überprüfen und uns überlegen, ob wir da etwas
tun müssen.

Abschließend kann ich unsere Mitbürgerinnen und
Mitbürger nur ermuntern, ihre Probleme an das Parlament
heranzutragen, denn hier fallen sie auf fruchtbaren Boden.

Ich danke Ihnen.

(Beifall im ganzen Hause)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1424611000
Das Wort hat jetzt der
Kollege Helmut Wilhelm für die Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen.

Helmut Wilhelm (Amberg) (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Auch ich möchte am Anfang meiner Rede dan-
ken. Ich tue dies auch ausdrücklich im Namen meiner
Kollegin Annelie Buntenbach. Ich bedanke mich bei Ih-
nen, Frau Vorsitzende, für Ihre umsichtige, freundliche,
aber auch immer hartnäckige Verhandlungsführung, bei
Ihnen, den Kolleginnen und Kollegen aller Fraktionen im
Ausschuss, für die angenehme und außerordentlich
fruchtbare Zusammenarbeit und bei den Mitarbeiterinnen
und Mitarbeitern in den Abgeordnetenbüros und den
Fraktionen, die im Hintergrund die parlamentarische Ar-
beit organisiert und vorbereitet haben.




Hubert Deittert
24918


(C)



(D)



(A)



(B)


Ganz besonders hervorheben möchte ich aber die gar
nicht hoch genug einzuschätzende Arbeit der Mitarbeite-
rinnen und Mitarbeiter des Ausschussdienstes.


(Beifall im ganzen Hause)

Mit großem Fleiß und enormer Sachkunde setzen erst sie
uns Abgeordnete in den Stand, unsere Arbeit im Dienste
des Bürgers zu leisten.

Ich betone dies deshalb an dieser Stelle so ausdrück-
lich, weil die Lorbeeren zumeist andere ernten, nämlich
wir, die Politiker, die wir uns mit den Erfolgen gerne
schmücken. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im
Ausschussdienst aber sehen nicht nur einen nie enden
wollenden Berg von Arbeit vor sich, sondern müssen oft-
mals auch die Prügel einstecken, die uns, den Abgeordne-
ten, gelten. Darum noch einmal an dieser Stelle – ich
glaube, ich spreche im Namen aller Kollegen – meinen
herzlichen Dank.

Nun aber zum vorliegenden Jahresbericht. Meine Da-
men und Herren, der Jahresbericht des Petitionsausschus-
ses ist Seismograph für die Stimmung in der Bevölkerung.
Er hat im zurückliegenden Berichtszeitraum deutlich aus-
geschlagen. Dem Petitionsausschuss sind im Berichtszeit-
raum fast 25 Prozent weniger Eingaben zugegangen als
zuvor. „Die Zufriedenheit mit den Behörden und Gesetzen
in Deutschland hat im vergangenen Jahr zugenommen“,


(Beifall des Abg. Klaus Hagemann [SPD])

interpretiert die Deutsche Presse-Agentur die Zahlen des
Jahresberichtes.

Diese Tatsache führt auch mich zu dem Fazit: Gut re-
giert ist halb beschwert. Wer sich bei der Politik einer Re-
gierung und der sie tragenden Parteien gut aufgehoben
fühlt, hat weniger Grund, sich zu beschweren. In der Tat
sind viele Beschwerden und Eingaben aus den letzten Jah-
ren hinfällig geworden, weil die Bundesregierung durch
entsprechende Gesetzesänderungen Abhilfe geschaffen
hat. Als Beispiele nenne ich die Forderung nach dem
Atomausstieg, das Klimaschutzprogramm – siehe die
massenhaften Petitionen zu den Ozonwerten –, das Na-
turschutzgesetz, die Erhöhung des Kindergeldes und die
Einführung der Elternteilzeit sowie die Gleichstellung
von gleichgeschlechtlichen Paaren. Das alles und noch
viel mehr lag einmal als Beschwerde auf dem Tisch des
Petitionsausschusses und ist heute Recht und Gesetz. Also
positiv erledigt.

Der Befund „Positiv erledigt“ findet sich auch im vor-
liegenden Jahresbericht immer wieder. Ich zitiere aus der
Kurzfassung:

Dieses Gesetz hat Verbesserungen für viele Betrof-
fene gebracht.

Oder:
Dieses Gesetz hat einige Regelungen getroffen, die
den verschiedenen Forderungen der Petenten weit-
gehend entsprechen.

Meine Damen und Herren, da also die Forderungen der
Bürger aufgegriffen wurden, ist es nur logisch, dass sich
auch die Zahl der Bitten zur Gesetzgebung fast halbiert
hat. Der Ausschuss und die Bundesregierung haben gute
Arbeit geleistet.

Aber wir wollen uns nicht auf unseren Lorbeeren aus-
ruhen; denn der Jahresbericht ist auch ein Leitfaden für
besseres Regieren, weil er auf Fehler aufmerksam macht.
Aus Fehlern wird man bekanntlich klug; das gilt auch für
Parlament und Regierung. Im Petitionsausschuss kom-
men diese Fehler ans Licht. Oder hätten Sie etwa gewusst,
dass ein Lebensretter der DLRG, der bei der Bergung ei-
nes Schwimmers seine teure Brille verliert, diese nicht
von der gesetzlichen Unfallversicherung erstattet be-
kommt? Durch diese Petition sind wir erst auf die unglaub-
liche Tatsache aufmerksam geworden, dass ausgerechnet
ehrenamtliche Helfer einen geringeren Versicherungs-
schutz genießen als jene, die ohne eine solche Zugehörig-
keit helfend tätig werden.

Aber der Petitionsausschuss bringt auch Innovatives ans
Licht. Er ist eine wahre Fundgrube guter Vorschläge der
Bürger. Der Petitionsausschuss ist das Forum des Dialogs
von Parlament und Bürgern. Das ganz Besondere aber ist:
Es bleibt nicht beim Dialog. Die Umsetzung zahlreicher
Anregungen der Petenten in den Gesetzen zeigt: Der Peti-
tionsausschuss ist als Organ dieses Parlamentes eine starke
Lobby für die Menschen außerhalb des Parlamentes.

Beispielhaft zeigt sich dies beim „Kampf gegen die sin-
genden Töpfe“ – so der „Münchner Merkur“ – der Bürger
von Valley gegen die Sendeanlagen des International Bu-
reau of Broadcasting. Hier legt sich ein bayerisches Dorf
mit der US-Regierung an. Was zunächst harmlos begann
– fremdsprachige Radioprogramme drangen aus Kochtöp-
fen und Spülbecken –, endete böse. Die Menschen in Valley
klagen seit Jahrzehnten über chronische Kopfschmerzen,
Müdigkeit, Herzrhythmusstörungen und Krebs. Für die
Menschen dort ist klar: Schuld ist der Sender, der mit ge-
waltiger Stärke in den Nahen und Mittleren Osten strahlt.
Nach intensiven Ermittlungen ist auch der Petitionsaus-
schuss zur Auffassung gelangt, dass in Valley Funkstille
herrschen muss. Der Bundestag hat mit diesem Beschluss
der Bundesregierung mit Blick auf die diplomatischen Be-
ziehungen zu den USAkeinen Gefallen getan. Aber der Pe-
titionsausschuss hat sich klar positioniert. Er ist Lobby und
Anwalt der Bürger und nicht der Bundesregierung.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS)


Wir haben die Regierung auch in anderen Fällen nicht
mit Kritik und Arbeitsaufforderungen verschont. 457-mal
haben wir Beschlüsse zur Erwägung gefasst. So viele Ar-
beitsaufträge gab es noch nie. Weitaus häufiger als bisher
haben wir auch Vertreter der Bundesregierung zum ein-
dringlichen Gespräch vor den Ausschuss gebeten, wenn
wir den Eindruck hatten, dass die Regierung unseren Vo-
ten nicht folgen wollte.

Hartnäckig am Ball bleiben wir zum Beispiel bei einer
Petition zur UN-Kinderkonvention.Wir haben dazu zahl-
reiche Anhörungen und Gespräche mit dem Innenministe-
rium durchgeführt und sind zu dem Ergebnis gekommen:
Die Rücknahme der Interpretationserklärung ist notwen-
dig, um eine bestmögliche Umsetzung zu gewährleisten.
Das Innenministerium tut sich schwer, doch der Ausschuss
wird auch hier nicht lockerlassen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS)





Helmut Wilhelm (Amberg)


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(C)



(D)



(A)



(B)


Meine Damen und Herren, um unsere Ziele durchzu-
setzen, verhandeln wir mit Ministerien, sprechen wir mit
Behörden und Amtsleitern. Oft gleicht unsere Arbeit im
Petitionsausschuss dabei einem innerparlamentarischen
Marsch durch die Institutionen. Aber dieser Marsch ist
auch häufig – nicht nur bei Gesetzen – von Erfolg gekrönt.

Ein Beispiel eines erst kürzlich positiv abgeschlossenen
Falles: Ein Petent ist 1939 im Wege des Kindertransportes
vor der Verfolgung durch die Nazis nach England geflohen.
Später wurde er englischer Staatsbürger. Nunmehr be-
gehrt er aufgrund der Verfolgungszeiten Leistungen aus
der deutschen Rentenversicherung. Diese Ansprüche
standen ihm zweifelsfrei zu, aber – so teilte ihm die Lan-
desversicherungsgesellschaft mit –, er könne die Rente nur
erhalten, wenn er sich wieder einbürgern lasse. Das war für
den noch immer traumatisierten Mann ein nicht zu erfül-
lendes Ansinnen. Dafür hatte der Petitionsausschuss Ver-
ständnis und es ist gelungen, eine Lösung zu finden.

Es sind diese Erfolge in den vielen, vielen Einzelfällen,
die uns als Abgeordneten die größte Befriedigung hin-
sichtlich unserer Arbeit im Petitionsausschuss schaffen;
denn jene Bürger sind Multiplikatoren. Jeder, dem von
uns geholfen werden kann, ist ein Argument für die De-
mokratie und gegen Politikverdrossenheit.

Wenn Eisbären reden könnten, würden vielleicht auch
Kenneth und Boris ein gutes Wort für den Petitionsaus-
schuss einlegen,


(Heiterkeit bei der SPD)

zwei Eisbären aus dem einstigen Staatszirkus der DDR.
Heute jedoch vegetieren sie unter untragbaren Bedingun-
gen in der Karibik. Ihre ehemalige Dompteuse hatte sich
mit der Bitte um Hilfe an uns gewandt. Die Petition hat
bereits jetzt dazu geführt, dass sich das BMU und das
Auswärtige Amt darum bemühen, wie den beiden Eis-
bären ein artgerechter Lebensabend verschafft werden
kann. Ich hoffe, dass der Befund im nächsten Jahresbe-
richt lautet: Positiv erledigt – Eisbären gerettet!

Sie sehen, die Arbeit im Petitionsausschuss ist bunt und
vielfältig wie das Leben selbst. Er ist ganz nah dran an den
Dingen, die die Menschen bewegen. Der Petitionsaus-
schuss ist durchaus an lebensnahen Lösungen interessiert.

Meine Damen und Herren, nach vier Jahren Arbeit im
Petitionsausschuss kann ich rückblickend sagen: Die Ar-
beit hat sich gelohnt und sie hat Freude gemacht. Ich be-
danke mich bei Ihnen allen für die gute Zusammenarbeit
und wünsche denjenigen, die sich auch in der nächsten Le-
gislaturperiode wieder dieser mühseligen, aber beseligen-
den Arbeit widmen, von ganzem Herzen Glück und Kraft.


(Beifall im ganzen Hause)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1424611100
Diesen Wünschen,
Herr Kollege Wilhelm, schließe ich mich an, aber ich
möchte sie im Namen des gesamten Hauses an Sie adres-
sieren, denn dies war Ihre letzte Rede hier. Alles Gute für
Sie für das Kommende.


(Helmut Wilhelm [Amberg] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Danke schön! – Beifall)


Für die Fraktion der FDP spricht jetzt der Kollege
Dr. Karlheinz Guttmacher.


Dr. Karlheinz Guttmacher (FDP):
Rede ID: ID1424611200
Sehr geehrte Frau
Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kolle-
gen! Auch im Jahr 2001 wandten sich viele Menschen un-
seres Landes an den Petitionsausschuss, um ihre Sorgen
und Nöte vorzutragen und um darum zu bitten, ihre Pro-
bleme zu lösen. Dem Bundestag wurden im Berichtszeit-
raum 2001 mit 15 765 Eingaben fast 24 Prozent weniger
Beschwerden als im Berichtsjahr 2000 angetragen. Mit
5 029 Petitionen erfolgten wie in den früheren Jahren die
meisten Eingaben zur Arbeits- und Sozialordnung.
Ebenso konnte der Petitionsausschuss dem Deutschen
Bundestag 103 Sammelübersichten übergeben.

Eine Sammelübersicht stellt die Forderung nach Ge-
setzesänderungen, die Handwerksbetrieben bei Konkurs
des Auftraggebers eine Vergütung der erbrachten Leistun-
gen unabhängig vom Rang der Forderung sichern. Diese
Petition wurde von 6 718 Unterschriften getragen.

Die Forderung nach Neuordnung des Rentensystems in
Bezug auf die Rente wegen verminderter Erwerbstätigkeit
wurde von 90 000 Betroffenen eingebracht.

Die Kritik an der Regelung, dass ehemalige An-
gehörige der Zusatz- und Sonderversorgungssysteme der
DDR verschiedenen rentenrechtlichen Begrenzungen un-
terliegen, brachten über 32 000 Menschen zum Ausdruck.


(V o r s i t z : Präsident Wolfgang Thierse)

700 Eingaben beanstanden, dass die in der ehemaligen

DDR im Gesundheits- und Sozialwesen Beschäftigten im
Zuge der Rentenüberleitung benachteiligt worden seien.

Mit diesen Petitionen wird insbesondere geltend ge-
macht, dass bei einem Rentenbeginn nach dem 31. De-
zember 1996 der besondere Steigerungssatz von 1,5 Pro-
zent gemäß Art. 2 § 35 des Renten-Überleitungsgesetzes
bei der Rentenberechnung keine Berücksichtigung mehr
findet. Die Dienstjahre der Rentnerinnen und Rentner, die
im Gesundheits- und Sozialwesen der ehemaligen DDR
gearbeitet hatten, wurden nach geltendem DDR-Recht
aufgrund des sehr geringen Gehalts mit dem Faktor 1,5
multipliziert, um so eine höhere Rente zu erreichen.

In anderen Petitionen wird kritisiert, dass bei älteren
Bestandsrenten, die zum 1. Januar 1992 auf das Renten-
recht der alten Bundesländer übergeleitet worden sind,
der erhöhte Steigerungssatz von 1,5 Prozent zwar von
dem Auffüllbetrag abgedeckt worden sei, dieser aber ab-
geschmolzen werde und nicht an der jährlichen Renten-
dynamik teilnehme. Dies gelte entsprechend für einen
Rentenzuschlag bzw. Übergangszuschlag bei einem Ren-
tenbeginn 1. Januar 1992 bis 31. Dezember 1996.

Der erhöhte Steigerungssatz von 1,5 Prozent pro Ar-
beitsjahr wurde auch für die Beschäftigten der Deutschen
Reichsbahn und der Deutschen Post im Zusammenhang
mit der Überführung der betrieblichen Alterssicherungs-
systeme in die allgemeine Sozialversicherung, speziell in
das Rentenrecht der DDR, vorgesehen, wenn eine mindes-
tens zehnjährige ununterbrochene Beschäftigung nachge-
wiesen wurde.




Helmut Wilhelm (Amberg)

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(C)



(D)



(A)



(B)


Der Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung des Deut-
schen Bundestages, der diese Petitionen zur Stellung-
nahme nach § 109 GO überwiesen bekam, lehnte diese ab.
Die Petitionen wurden, ohne Aussicht auf Erfolg, abge-
schlossen.

Ähnlich wie in der 11. bis zur 14. Wahlperiode werden
sich auch in der 15. Wahlperiode Petenten mit Petitionen
gleichen Inhalts an uns, den Petitionsausschuss, wenden.
Insofern sollte die Zusammenarbeit des Petitionsaus-
schusses mit dem A-und-S-Ausschuss und dem zustän-
digen Ministerium noch enger werden, um zu Recht
geforderte Änderungen im Anspruchs- und Anwart-
schaftsüberführungsgesetz auf den Weg zu bringen.

Ich möchte allen Kollegen, die in den letzten vier Jah-
ren im Petitionsausschuss zusammengearbeitet haben, für
die kollegiale und sehr sachspezifische Arbeit, die sie ge-
leistet haben, auch im Namen meiner Fraktion den aller-
herzlichsten Dank aussprechen.


(Beifall im ganzen Hause)

Frau Vorsitzende, ich möchte aber auch den Dank an

Sie zum Ausdruck bringen. Sie haben mit großem Ge-
schick die Regie im Ausschuss geführt und dazu beige-
tragen, dass Probleme in Fairness im Sinne der Petenten
ausgetragen worden sind. Daran haben sich alle Aus-
schussmitglieder beteiligt. Aber Sie waren es, die uns zu-
sammengeführt haben.

Ich darf mich auch im Namen meiner Fraktion bei al-
len Mitarbeitern des Ausschusssekretariats bedanken, die
uns in einer ausgesprochen soliden, hervorragenden und
sehr schnellen Arbeitsweise mit Daten beliefert haben, so-
dass wir die Petitionen schnell abschließen konnten.


(Beifall im ganzen Hause)

Meine Damen und Herren, vier weitere Jahre hat der

Petitionsausschuss gut gearbeitet. Vier weitere Jahre ha-
ben sich alle Mitglieder des Ausschusses bemüht, den
Eingaben der Petenten so gut es ging gerecht zu werden.
Lassen Sie uns im gemeinsamen Geist Hüter eines der
wichtigsten demokratischen Mitwirkungsrechte sein!


(Beifall im ganzen Hause)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1424611300
Ich erteile das Wort
der Kollegin Gabriele Lösekrug-Möller, SPD-Fraktion.


Gabriele Lösekrug-Möller (SPD):
Rede ID: ID1424611400
Herr Präsident!
Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen! Auf den ersten Blick
ist eine Petitionsakte eine Akte wie viele, die parlamenta-
rische Geschäftsabläufe begleiten. Doch schon der zweite
Blick lässt erkennen, dass es hier um etwas ganz anderes
geht: kein innovatives Gesetzesvorhaben, kein mutiger
Entschließungsantrag, kein seitenstarker inhaltsreicher
Bericht.

Bei einer Petition befasst sich der Bundestag unmittel-
bar mit der Bitte oder der Beschwerde eines oder einer
Einzelnen. Kein anderer Weg ist so kurz, so direkt zwi-
schen Individuen und Parlament. In der Tat können wir
stolz sein auf dieses Grundrecht und froh darüber, dass es
von so vielen in Anspruch genommen und mit Leben er-
füllt wird.

Die Reden zum Vorjahresbericht beschreiben den Peti-
tionsausschuss als „Sprachrohr der Bürger und zugleich
Hörrohr des Parlamentes“ – so hat es der Kollege Wilhelm
ausgedrückt –, als „vorgeschobenen Posten des Bundesta-
ges“ und „Sensorium für legislative Fehlentwicklungen“ –
so benannte es der Kollege Hohmann – und als „aktive
Schnittstelle zwischen dem demokratischen Parlament
und den sich in Form von Petitionen demokratisch enga-
gierenden Bürgerinnen und Bürgern“; so hat es die Kolle-
gin Lüth beschrieben. Diese zutreffenden Beschreibungen
bringen auf den Punkt, was das Besondere an diesem Aus-
schuss ist. Dass die Arbeit des Ausschussdienstes hervor-
ragend ist, der Vorsitz klar, sachlich und herzlich wahrge-
nommen wird und das Arbeitsklima der Abgeordneten
kollegial und lösungsorientiert ist, konnte ich in der kurzen
Zeit meiner Zugehörigkeit feststellen. Wenn fast alle Red-
nerinnen und Redner das so formulieren, dann ist das wie
der Refrain eines guten Liedes, in dem die Essenz an Kom-
plimenten enthalten ist, und die sind sehr wahrhaftig.

Allerdings erfuhr ich ebenso, dass der Petitionsaus-
schuss eine Art Mauerblümchen-Gremium sei. „Graue
Maus unter den Bundestagsausschüssen“ und „nicht ge-
rade der Nabel der Welt im Sinne des parlamentarischen
Universums“, so lauteten die Formulierungen in der De-
batte zum letzten Bericht. Als „Nachgerückte“ bin ich
eher überrascht über dieses verhaltene Selbstbewusstsein
und den zurückhaltenden Respekt, mit dem die Nichtaus-
schussmitglieder unter den Parlamentariern den Peti-
tionsausschuss würdigen. „Gut für Fleißige und/oder für
Neue“, so ließe sich das zusammenfassen.

Zutreffend ist, verehrte Kolleginnen und Kollegen: Pe-
titionen machen Arbeit. So ist das auch gedacht. Oftmals
haben Petitionen einen langen, schwierigen, konfliktrei-
chen Vorlauf. Vielfach fühlen sich Petenten und Petentin-
nen mit ihrer Sicht der Dinge überhaupt nicht verstanden
von Ämtern und Behörden. Deshalb ist es kein Wunder,
dass nahezu die Hälfte aller eingehenden Petitionen be-
reits durch Informationen und Hinweise, Rat und Aus-
kunft erledigt werden können. Dies spricht sehr für die
Qualität unseres Ausschussdienstes. Aber was lernen wir
noch daraus? Unsere Verwaltungen sind immer noch
nicht bürgerfreundlich genug. Es mangelt meiner Mei-
nung nach nach wie vor an Kundenorientierung.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Über die Zahl der Petitionen wurde bereits gesprochen.
Beispiele für erfolgreiche Petitionen haben wir auch
gehört; mögen sie auch nicht alle so spektakulär sein wie
jene, die unlängst einer ganzen Gemeinde in Bayern wie-
der Hoffnung gab, dass die Sorge um ihre Gesundheit
ernst genommen wird. Nein, es ist eher die Ausnahme,
dass eine öffentliche Feier am Ende eines erfolgreichen
Abschlusses einer Petition steht. Dennoch wiegt es nicht
weniger, wenn in Einzelfällen geholfen werden kann.

Was aber folgt aus jenen Petitionen – es sind nicht we-
nige –, denen nicht entsprochen werden kann, wo am
Ende ein für die Petenten enttäuschender Brief aus Berlin
kommt? Vielfach haben sie einen richtigen Kern, ein
nachvollziehbares Anliegen. Dennoch bleiben sie unter
der Schwelle, überwiesen oder zur Kenntnis gegeben
werden zu können. Ich finde sie jedoch hilfreich für die




Dr. Karlheinz Guttmacher

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(C)



(D)



(A)



(B)


parlamentarische Arbeit, bilden auch diese Petitionen Le-
benswirklichkeiten ab, spiegeln sie Alltag wider, den wir
Abgeordnete politisch gestalten.

Seien wir einmal ehrlich: Brauchen wir nicht geradezu
Rückmeldungen über schwierige Lebenssituationen und
komplizierte Sachlagen, die Einzelne bedrücken, um ein
realistisches Bild vom Alltag in unserem Land zu bekom-
men? Ich überspitze kaum, wenn ich sage, dass das aus-
geübte Petitionsrecht ein Segen für das Parlament ist.
Schon deshalb scheint mir die Arbeit eines Ausschusses
für Petitionen im Vergleich zu der eines Ombudsmanns
sinnvoller zu sein. Sie ist damit nicht nur nahe am Parla-
ment, sondern mittendrin. In dieser Einschätzung sehe ich
mich bestätigt auch durch Gespräche im Rahmen der Om-
budsmann-Konferenz im Mai dieses Jahres in Krakau.
Dort war auch eine Delegation unseres Ausschusses zu-
gegen.

Ich möchte die Gelegenheit nutzen, die Pflege der
internationalen Kontakte zu loben. Gerade die sich ent-
wickelnden neuen Demokratien verdienen Unterstützung
im Aufbau ihres Petitionswesens, bei ihrer Gestaltung des
Zusammenwirkens von Nichtregierungsorganisationen
und Staat sowie bei ihrem Ringen um die Wahrung der
Menschenrechte insgesamt und in einzelnen Fällen.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Wir sollten auch zukünftig bereit sein, hier unsere Erfah-
rungen zur Verfügung zu stellen und, wenn gewünscht,
mit Rat und Tat zu helfen.

Doch zurück zu uns und dem Bericht des Jahres 2001.
Das Studium der älteren Berichte lässt erkennen, dass
Petitionsarbeit große Kontinuität innewohnt. So ist zum
Beispiel in den vergangenen Jahren das zahlenmäßige
Verhältnis von Petentinnen zu Petenten gleich geblieben:
ein Drittel zu zwei Drittel. Ich verzichte an dieser Stelle
auf eine Kommentierung dieses Sachverhalts. Wir ken-
nen ihn aus vielen Lebenslagen in unserer Gesellschaft.
So ist das auch bei Petitionen. Ich wünschte mir, es wäre
anders.

Personelle Kontinuität aufseiten der Abgeordneten hat
wesentlich zu der erfolgreichen Arbeit des Ausschusses
beigetragen. Über viele Legislaturperioden Petitions-
arbeit zu machen verdient große Anerkennung – nicht nur
wegen des bereits erwähnten erforderlichen Fleißes, son-
dern wegen der anhaltenden Bereitschaft, jede Petition als
die für den Petenten wichtigste anzunehmen und mit
großer Erfahrung nach Lösungen zu suchen.

Einige dieser Abgeordneten werden – das ist schon
vielfach angeklungen – in der nächsten Runde nicht mehr
dabei sein. Das wird ein Verlust. Sie werden uns fehlen.
Darüber kann auch kein modernes „PetKom-System“
hinweghelfen.

Meine letzten drei Sätze: Petitionsarbeit ist unverzicht-
bar; Petentinnen und Petenten sind wichtige Akteure in
unserer Demokratie. Je besser es uns gelingt, dieses klas-
sische Instrument direkter Kommunikation zwischen
Bürgerinnen und Bürgern einerseits und Parlament ande-
rerseits populär zu machen, umso öfter können wir der
Parlamentsferne und Politikverdrossenheit abhelfen. Das,

liebe Kolleginnen und Kollegen, ist doch wohl unser aller
Ziel.

Herzlichen Dank.

(Beifall im ganzen Hause)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1424611500
Ich erteile dem Kolle-
gen Günter Baumann von der CDU/CSU-Fraktion das
Wort.


Günter Baumann (CDU):
Rede ID: ID1424611600
Sehr geehrter Herr
Präsident! Meine Damen und Herren! Als ich 1998 neu in
den Bundestag kam, wurde ich für den Innen- und Peti-
tionsausschuss nominiert. Dem Petitionsausschuss eilte
kein guter Ruf voraus. Erfahrene Kollegen warnten mich
vor einem großen Arbeitsaufwand; andere klagten über
die Komplexität der Themen, die bis in die letzten Veräs-
telungen unserer Gesetzgebung gehen.

Nach vier Jahren Ausschussarbeit kann ich – das gilt
insbesondere für den Bericht des Jahres 2001 – eine posi-
tive Bilanz ziehen. Zum einen hat die Themenvielfalt ein
Gutes. In keinem anderen Gremium haben Abgeordnete
die Möglichkeit, die Sorgen und Nöte unserer Gesell-
schaft, zum Beispiel das Rentenrecht, das Gesundheitssys-
tem, Fragen der inneren Sicherheit und vieles andere
mehr, so umfassend kennen zu lernen. Zum anderen sind
in diesem Ausschuss – für diese Erfahrung bin ich beson-
ders dankbar – sachorientierte Lösungen über Parteigren-
zen hinweg möglich, was in anderen Ausschüssen fast un-
möglich ist. Das hängt zweifellos mit dem starken
Sachbezug der Petitionen selbst zusammen.

Bekanntlich wird das Petitionsrecht von den Bürgern
in den neuen Bundesländern weitaus intensiver genutzt
als von den Bürgern in den alten Bundesländern. Zum
Beispiel in Sachsen kamen im Jahr 2001 auf eine Mil-
lion Bürger 397 Petitionen; in Nordrhein-Westfalen wa-
ren es 131. Probleme der Bürger aus den neuen Ländern
bilden so einen Schwerpunkt unserer Ausschussarbeit.

Als ostdeutscher Abgeordneter bekomme meist ich
diese ostdeutschen Petitionen zur Bearbeitung. Oft geht es
hierbei um unbewältigte Probleme der DDR-Vergangen-
heit, zum Beispiel um offene Vermögensfragen. So hat
sich der Ausschuss in dieser Legislaturperiode einmütig
für eine gesetzliche Regelung der so genannten stecken
gebliebenen Entschädigungen eingesetzt. Es handelt sich
hierbei um Entschädigungen für enteignetes Vermögen,
die von der DDR zwar zugesagt, aber nicht ausgezahlt
wurden. Die betroffenen Bürger haben bis vor kurzem
vergeblich auf die Auszahlung gewartet und dafür
gekämpft. Jetzt haben sie einen Rechtsanspruch.

Außerdem beschäftigen den Ausschuss immer wieder
vermögensrechtliche Streitfragen, die mit der ehemaligen
Treuhandanstalt zusammenhängen. Dabei kann der
Ausschuss von seinen ganz besonderen Rechten profitie-
ren. Bei unklarer Sachlage kann er Akteneinsicht beantra-
gen und er kann Sachverständige laden. Als wertvoll hat
sich hierbei herausgestellt, dass eine Kooperation unseres
Petitionsausschusses mit den Petitionsausschüssen in den
Bundesländern möglich war und auch praktiziert wurde.


(Beifall der Abg. Heidemarie Lüth [PDS])





Gabriele Lösekrug-Möller
24922


(C)



(D)



(A)



(B)


Diese Möglichkeiten haben wir in einem Fall ganz be-
sonders intensiv genutzt. Der mittelständische Betrieb ei-
nes betroffenen Petenten wurde 1972 enteignet. Obwohl
nach der Wende alle Voraussetzungen für eine Rücküber-
tragung vorhanden waren, hat der Alteigentümer seinen
Betrieb nicht zurückbekommen. Dank der hervorragen-
den Kooperation aller Berichterstatter, der Mitarbeiter der
Büros der beteiligten Abgeordneten und des Ausschuss-
dienstes war es uns möglich, Licht in das Dunkel dieses
Falles zu bringen. In monatelangen Verhandlungen mit
den zuständigen Behörden konnten wir den Weg für eine
Entschädigung frei machen.

Ich möchte mich vor dem Hintergrund dieses Falles bei
den Mitstreitern im Ausschuss – das Engagement ging
über Parteigrenzen hinweg – ganz herzlich für die erfolg-
reiche Zusammenarbeit bedanken. Hier konnten wir et-
was erreichen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)


Ich möchte aber nicht den Eindruck erwecken, als ob
der Petitionsausschuss eine Harmonieveranstaltung sei
und immer die gleiche Meinung herrsche. Gerade in den
Problemfeldern, in denen die jetzige Regierung bereits
gesetzgeberisch tätig geworden ist oder Anträge der Op-
position abgelehnt wurden, sind die Ausschussmitglieder
der Koalition leider meist nicht bereit, Kompromisse ein-
zugehen. Insbesondere zwei Petitionsverfahren, die ty-
pisch für die Probleme in den neuen Bundesländern sind,
scheiterten am Willen von Rot-Grün.

Erstes Beispiel: Eine Kreishandwerkerschaft aus Fins-
terwalde hat einen Lösungsvorschlag gemacht, wie der
mangelnden Zahlungsmoral von Auftraggebern auf dem
Bausektor entgegengetreten werden könnte. Die Koali-
tion weigerte sich, der Regierung diese Petition zumindest
zur Kenntnis zu geben. Sie hielt das bestehende Gesetz
zur Beschleunigung fälliger Zahlungen bereits für voll-
kommen. Jeder weiß: Das Gegenteil ist der Fall. Gerade
im Osten summieren sich weiterhin in Millionenhöhe die
Außenstände mittelständischer Handwerksbetriebe und
es gibt für die Betroffenen noch keine hinreichenden Mit-
tel, drohende Firmenpleiten zu verhindern.

Das zweite Beispiel: Viele Petenten aus den neuen
Ländern beklagen die Gerechtigkeitslücke zwischen Tä-
tern und Opfern des SED-Regimes. Durch höchtsrichter-
liche Entscheidungen wurden die Rentenansprüche ehe-
maliger Partei- und Stasi-Funktionäre schon mehrmals
nachgebessert; für die Verfolgten dagegen sind echte Ver-
besserungen zum Beispiel im Rentenrecht so gut wie aus-
geblieben. Viele Opfer haben daher mit Petitionen eine
„Ehrenpension“ gefordert. Diese von der CDU/CSU
schon seit längerem erhobene Forderung scheiterte an der
parteipolitischen Konstellation.

Trotzdem fällt meine Bilanz der Ausschussarbeit ins-
gesamt positiv aus. Bei den meisten Petitionen ist der
Ausschuss auch im Jahre 2001 zu pragmatischen und par-
teiübergreifenden Lösungen gekommen. Er bietet so auch
den Abgeordneten der Opposition in diesem Ausschuss
mehr Mitgestaltungsmöglichkeiten als in anderen Aus-
schüssen. Das Wichtigste aber ist: Der Petitionsausschuss

wird von den Bürgerinnen und Bürgern unseres Landes
angenommen. Das beweist die hohe Anzahl an Bitten und
Beschwerden, die wir jedes Jahr bekommen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der FDP und der PDS)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1424611700
Ich erteile dem Kolle-
gen Bernd Reuter, SPD-Fraktion, das Wort.


Bernd Reuter (SPD):
Rede ID: ID1424611800
Herr Präsident! Meine sehr ver-
ehrten Kolleginnen und Kollegen! Wer mich kennt, wird
wissen, dass es mich jetzt reizen würde, auf das eine oder
andere Argument insbesondere von der CDU/CSU einzu-
gehen. Aber ich bin heute milde gestimmt.


(Heiterkeit)

Das Petitionsrecht, das die Väter und Mütter unseres

Grundgesetzes in unserer Verfassung verankert haben, ist
ein substanzieller Bestandteil unserer Demokratie. Es ist,
wie wir schon gehört haben, auch zum Exportschlager ge-
worden. Viele Vertreter anderer Länder kommen zu uns
und suchen Rat, wie sie auf dem Weg zu einer funktionie-
renden Demokratie ein solches Instrument in ihre Verfas-
sung aufnehmen können.

Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, Peti-
tionsarbeit heißt: viele Akten und wenig spektakuläre Öf-
fentlichkeitswirkung. Mein Büro hat einmal ermittelt,
dass ich in den 22 Jahren, die ich nun dem Petitionsaus-
schuss angehöre, mehr als 10 000 Petitionsakten bearbei-
tet habe. Es ging darin nicht immer um menschliche
Tragödien, obwohl auch solche dabei waren. In der Regel
haben die Menschen Schwierigkeiten mit der Bürokratie;
sie überschauen sie nicht mehr. Da ist es ganz wichtig,
dass sie die Chance und das Recht haben, sich direkt und
unmittelbar an den Deutschen Bundestag zu wenden. Ge-
wiss, es ist nicht immer möglich zu helfen, aber es ist ein
gutes Gefühl für Politiker, für Abgeordnete, sich den In-
teressen der Menschen zuzuwenden und für sie da zu sein.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Es ist heute Nachmittag schon darauf hingewiesen

worden, dass man die Verfahrensgrundsätzemöglicher-
weise weiterentwickeln sollte. Ich bin der Meinung, dass
man darüber in der nächsten Legislaturperiode nachden-
ken muss. Der Petitionsausschuss darf nicht zu einem Su-
peruntersuchungsausschuss werden, sondern er muss ein
Gremium sein mit dem gemeinsamen Ziel, Menschen in
schwierigen Situationen zu helfen. Ich möchte auch nicht,
dass eine Massenpetition bei der Behandlungsweise über-
bewertet wird; denn es ist meist der einzelne Mensch, der
hilflos vor großen Problemen steht und um Hilfe nach-
sucht.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wir haben neue Wege beschritten; das ist schon ange-

klungen. Wir haben es mit dem erweiterten Bericht-
erstattergespräch erreicht – auch dank der Bereitschaft
der Regierung, hier mitzuwirken –, gerade in den letzten




Günter Baumann

24923


(C)



(D)



(A)



(B)


Monaten eine große Anzahl von schwierigen Problemen
zu lösen. Ich will dem Ausschuss für die Zukunft an die
Hand geben, einmal über das so genannte Gutachterwe-
sen bzw. Gutachterunwesen nachzudenken. Bei diesem
Stichwort will ich es bewenden lassen.

Ich will noch einen Appell an Sie richten: Wir brauchen
in diesem Ausschuss ein festes Gerippe erfahrener Abge-
ordneter, aber auch die Dynamik der Jugend. Ich kann je-
dem jungen Abgeordneten nur empfehlen, eine Lehrzeit
in diesem Ausschuss durchzumachen. Wir haben in allen
Fraktionen hervorragende Leute, die einmal dem Peti-
tionsausschuss angehört haben.


(Beifall im ganzen Hause)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich möchte

noch einen Dank an alle Kolleginnen und Kollegen rich-
ten, mit denen ich über so viele Jahre zusammenarbeiten
durfte. Sollte ich jemanden geärgert haben – das kam be-
stimmt mal vor –, bitte ich heute dafür um Verständnis.
Manchmal war es auch Absicht, bei dem einen oder an-
deren Ärger hervorzurufen.

Ich will wie Herr Guttmacher unserer Vorsitzenden,
der lieben Heidemarie Lüth, danken. Sie hat sich würdig,
mit Kompetenz, Menschlichkeit, Erfahrung und Engage-
ment in die Ahnengalerie der Petitionsausschussvorsit-
zenden eingereiht. Ich bin noch von Lilo Berger, einer
Berliner Abgeordneten, geprägt worden.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Danach habe ich Dr. Gero Pfennig und Christa Nickels
und zum Schluss Heidemarie Lüth erleben dürfen. Dass
wir hin und wieder etwas Streit miteinander hatten, ist
heute vergessen. Ihr werdet mir alle – das will ich deutlich
sagen – sehr fehlen.

Mein Dank gilt dem Ausschussdienst und an dessen
Spitze Frau Dr. Freifrau von Welck, die in wenigen Wo-
chen in den wohlverdienten Ruhestand gehen wird. Ich
möchte mich auch bei den Mitarbeiterinnen und Mitar-
beitern in unseren Büros bedanken und hier insbesondere
meine persönliche Referentin Gretel Stein erwähnen, die
in unnachahmlicher Art und Weise immer wieder nachge-
forscht hat, was bei den Petitionen wichtig ist und worauf
es ankommt.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der FDP und der PDS)


Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, ich kann mir
nicht so recht vorstellen, wie der Petitionsausschuss seine
Arbeit ohne mich bewältigen wird.


(Heiterkeit)

Ich gehe aber davon aus, dass Sie das nach dem 22. Sep-
tember probieren werden, und meine menschliche Erfah-
rung sagt mir, dass es gut werden wird. Ich wünsche allen,
die weitermachen, viel Erfolg.

Ich möchte an dieser Stelle sagen: Die Arbeit im Peti-
tionsausschuss hat mir immer großen Spaß gemacht, weil
ich den Menschen unmittelbar helfen und ihre Sorgen und
Nöte kennen lernen konnte. Ich wünsche mir, dass noch
viele Generationen von Abgeordneten diesen Spaß mit
mir teilen werden. In diesem Sinne sage ich allen, die wei-
termachen: Glück auf!

Ich darf Ihnen versprechen: Von mir werden Sie keine
Petition erhalten. Ich komme persönlich vorbei und
schaue nach dem Rechten.

Vielen Dank.

(Beifall im ganzen Hause)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1424611900
Dies war die letzte
Rede des Kollegen Bernd Reuter, der immerhin 22 Jahre
lang Mitglied des Hauses gewesen ist. Ein herzliches
Dankeschön und unsere guten Wünsche für die nächsten
drei oder vier Jahrzehnte!


(Beifall im ganzen Hause)

Damit erteile ich der Kollegin Heidemarie Lüth das

Wort.


Heidemarie Lüth (PDS):
Rede ID: ID1424612000
Herr Präsident! Liebe Kol-
leginnen und Kollegen! Ich hoffe, dass ich in der nächs-
ten Wahlperiode zu dem Teil gehöre, den Herr Reuter ge-
rade als Gerippe bezeichnet hat. Ich stelle mir das sehr
erheiternd vor, wenn ich mich so im Spiegel betrachte.

Ich möchte gern als Vertreterin der PDS-Fraktion ei-
nige Gedanken zu dem Thema der Legislativpetitionen
äußern und alle anderen Dinge etwas aussparen. Die Ar-
beit des Petitionsausschusses ist deshalb so wichtig – das
ist schon gesagt worden –, weil wir es hier mit einer
Schnittstelle des Parlaments zwischen staatlichem Han-
deln und den Bedürfnissen der Bürger, die uns gegenüber
artikuliert werden, zu tun haben. Anhand der Petitionen
merken wir, woran es in der Gesellschaft fehlt. Wir konn-
ten den Betroffenen durch unsere gemeinsame Arbeit in
vielen Einzelfällen Hilfe zuteil werden lassen.

Im Berichtszeitraum – Herr Guttmacher hat es schon
erwähnt – mussten etwa 30 Prozent der Petitionen an das
Ministerium für Arbeit und Sozialordnung und 9 Prozent
an das Ministerium für Gesundheit geleitet werden. Das
belegt, dass es mit der sozialen Gerechtigkeit aus Sicht der
Bürger noch nicht ganz so weit her ist, wie man sich das
gerne vorstellen würde. So war der Fortfall der Betriebs-
renten wieder Gegenstand von Petitionen und zahlreiche
Eingaben – teilweise wurden sie von mehreren Tausend
Bürgerinnen und Bürger unterstützt – wandten sich gegen
die fortwirkenden Ungerechtigkeiten bei der Überleitung
der Altersversorgung. Dabei ging es um Beschäftigte
von Bahn und Post, um Beschäftigte im Gesundheitswe-
sen, um ingenieurtechnisches Personal und um die Mitar-
beiterinnen und Mitarbeiter von Schwelereien, Kokereien
und in der Karbochemie.


(Dr. Karlheinz Guttmacher [FDP]: Alles berechtigte Petitionen!)


Vor allem nach der Bundesverfassungsgerichtsentschei-
dung, die ja entscheidende Verbesserungen für die Be-
troffenen brachte, gab es weitere Petitionen, um die letz-
ten Lücken bei den Renten im Bereich der Überführungen
zu schließen.

Ungereimtheiten und Ungerechtigkeiten gibt es wei-
terhin im Vermögensrecht, insbesondere bei den Nut-
zungsverhältnissen und den Nutzungsentgelten für so ge-




Bernd Reuter
24924


(C)



(D)



(A)



(B)


nannte Datschengrundstücke. Auch das Thema werden
wir in der nächsten Wahlperiode wieder bekommen.

Es gibt auch eine ganze Reihe von Petitionen – die lei-
der abgeschlossen wurden – zu dem Thema Einmalzah-
lungen. Dabei konnte nicht berücksichtigt werden, dass
trotz bestandskräftiger Bescheide rückwirkend die Mög-
lichkeit gegeben ist, Erstattungsanträge zu stellen.

Wir hatten auch eine ganze Reihe von Petitionen im
Bereich der Legislative – die auch negativ beschieden
wurden – mit denen sich Bürgerinnen und Bürger aus Ost
und West gegen die zunehmenden Kriegseinsätze der
Bundeswehr wandten. Ich meine, auch das ist von ent-
scheidender Bedeutung, weil viele Bürgerinnen und Bür-
ger dem Bundestag ihre eindeutige Meinung mitgeteilt
haben, dass für sie Terror kein Mittel zur Lösung von
Konflikten, der Krieg aber letztlich auch nicht das Mittel
zur Bekämpfung von Terror ist.

Einen hohen Stellenwert haben für uns Eingaben – das
hat auch schon der Kollege Wilhelm gesagt –, in denen es
um das Recht von Flüchtlingen auf Zuflucht und Aufent-
halt in der Bundesrepublik geht. Es ist nicht nur ein großes
Ärgernis, sondern fast schon eine Schande, dass es nicht
gelingt, endlich die Rücknahme der Vorbehalte gegen das
volle Wirksamwerden der UN-Kinderrechtskonvention
zu erreichen, obwohl es hierzu bereits drei Beschlüsse des
Bundestages gibt.


(Beifall bei der PDS und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich finde, wir machen uns als Parlament auch auf interna-
tionaler Ebene bald lächerlich, weil es uns nicht gelingt,
die Regierung zu veranlassen, diese Vorbehalte zurück-
nehmen.

Unabhängig von diesen inhaltlichen Fragen haben wir
es immer wieder damit zu tun, dass sich Bürger über die
Verwaltung, über die Handhabung von gesetzlichen Re-
gelungen beschweren. Wir sollten uns einmal überlegen,
ob es nicht möglich ist, den „Kodex für gute Verwal-
tungspraxis“, den der Europäische Bürgerbeauftragte,
Herr Söderman, für die EU-Behörden aufgestellt hat,
auch für die deutsche Verwaltungsarbeit zu verwenden.
Es geht darum, dass die Verwaltungen nicht nur unbüro-
kratisch, freundlich, fair und zuvorkommend handeln sol-
len, sondern dass sie gegenüber den Bürgern geradezu
dazu verpflichtet sind.

Wenn es für all die Probleme, die ich hier benannt habe,
häufig keine Lösung gab, so liegt das auch daran, dass
sich die politischen Unterschiede im Parlament zwischen
den einzelnen Fraktionen auch im Ausschuss widerspie-
geln. Die können im Ausschuss nicht aufgelöst werden.
Aber ich möchte dennoch unterstreichen, dass auch der
PDS-Fraktion, einer kleinen Fraktion, eine sehr kollegiale
Arbeit mit den anderen Fraktionen möglich war, gerade
bei Verfahrensfragen. Wenn die PDS einen guten Vor-
schlag für die Bearbeitung von Petitionen hatte, war es
möglich, dass bei Sachfragen auch andere Kollegen zu-
gestimmt haben. Auch dafür möchte ich mich im Namen
der PDS-Fraktion bei allen ganz herzlich bedanken, vor
allem natürlich bei den Kolleginnen und Kollegen des
Ausschussdienstes sowie bei allen Mitarbeiterinnen und

Mitarbeitern meiner eigenen Fraktion, aber auch aller an-
deren Fraktionen, da man als Mitglied einer kleinen Frak-
tion sie ja auch konsultiert hat.

Vielen Dank

(Beifall bei der PDS, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Karlheinz Guttmacher [FDP])



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1424612100
Nun hat das Wort die
Kollegin Marion Seib, CDU/CSU-Fraktion.


Marion Seib (CSU):
Rede ID: ID1424612200
Herr Präsident! Verehrte
Kolleginnen und Kollegen! In Anbetracht der vielen letzten
Reden des heutigen Tages traue ich mich kaum zu sagen,
dass dies meine erste Rede in dieser 14. Wahlperiode ist.


(Heiterkeit und Beifall im ganzen Hause)

Mein Vorgänger im Petitionsausschuss, Herr Klaus
Holetschek, wurde im März dieses Jahres zum Bürger-
meister von Bad Wörishofen gewählt. An dieser Stelle
möchte ich ihm für die im Ausschuss geleistete Arbeit
ganz herzlich danken.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)


Seit Anfang Mai bin ich nun selbst Mitglied im Petiti-
onsausschuss. Bereits in der 13.Wahlperiode war ich dort
Mitglied und konnte einige wichtige Erfahrungen und
Eindrücke sammeln. Schon damals haben wir mit dem
Kollegen Reuter gut und intensiv zusammengearbeitet.

Aus meiner jahrzehntelangen kommunalpolitischen
Arbeit weiß ich, wie wichtig es ist, dass die Bürger eine
direkte Anlaufstelle für ihre Sorgen und Anliegen haben,
auch auf Bundesebene.

Die Bundespolitik wird häufig als etwas Abstraktes
wahrgenommen. „Die in Berlin machen doch, was sie
wollen“, hört man nicht selten. Gegen diese Haltung leis-
tet der Petitionsausschuss einen sehr wertvollen Beitrag.
Er stellt eine Rückkoppelung zwischen den Bürgern und
uns Politikern her. Es müssen keine umfangreichen For-
mulare ausgefüllt werden. Nach wie vor reicht ein form-
loser Brief. Dies schafft man auch ohne Kenntnisse des
Internets. Auf dem kurzen Dienstweg des Petitionsaus-
schusses, der manchmal etwas kürzer und schneller sein
könnte, kann so manches Problem rasch gelöst werden.

Ich bin erst seit sechs Wochen im Parlament, aber auch
in der Kürze der Zeit konnte ich mich von der wichtigen
und erfolgreichen Arbeit im Ausschuss überzeugen. Dies
möchte ich gern anhand einiger Beispiele aufzeigen: Den
Fall der Gemeinde Valley haben wir heute bereits um-
fangreich besprochen. In der Anhörung – dies habe ich
schon mitbekommen, weil die Akte bei mir auf dem Tisch
lag – kam es zu einigen Widersprüchen. Dadurch hat sich
der Eindruck aufgedrängt, dass die Regierung die Sorgen
der Bürger nicht wirklich ernst nimmt und sich lieber hin-
ter dem pauschalen Argument der außenpolitischen Rück-
sichtnahme versteckt.

So hat zum Beispiel die Regulierungsbehörde für Tele-
kommunikation und Post Messungen der Abstrahlleis-
tungen im Bereich der bewohnten Gebiete mehrfach




Heidemarie Lüth

24925


(C)



(D)



(A)



(B)


abgelehnt, weil diese amerikanische Anlage angeblich
nicht der technischen Überprüfung durch deutsche Stellen
unterliege. Demgegenüber sagt das Auswärtige Amt,
ohne Nachweis der unzumutbaren Beeinträchtigung sei
ein Eingreifen in den Nutzungsvertrag nicht möglich.
Nach dem nun erreichten Etappensieg durch die einstim-
mige Abstimmung im Petitionsausschuss bleibt zu hoffen,
dass sich die Bundesregierung nicht auch weiterhin hinter
außenpolitischen Argumenten versteckt, sondern im
Sinne der Petenten handelt. Aufgabe des Ausschusses in
der nächsten Legislaturperiode wird sein, hier hartnäckig
nachzuhaken und nachzufragen.

Lassen Sie mich zu einem anderen ernsthaften Thema
kommen, das häufig bei Petitionen aufgegriffen wird:
Aussiedler aus den GUS-Staaten. In den vergangenen
Monaten wurde viel über das Zuwanderungsgesetz disku-
tiert. Dabei sind die Probleme der Aussiedler eher in den
Hintergrund gerückt. Die strenge Quotierung der letzten
Jahre und die Einführung der Sprachtests vor der Über-
siedlung nach Deutschland haben dazu geführt, dass eine
missbräuchliche Einreise so gut wie ausgeschlossen ist.

Allerdings führen die strengen Kriterien zu teilweise
kuriosen Ergebnissen. In der kurzen Zeit seit meinem Ein-
tritt in den Bundestag lagen mir bereits mehrere Petitio-
nen vor, in denen Entscheidungen deutscher Behörden be-
klagt wurden. An dieser Stelle möchte ich ein besonders
krasses Beispiel nennen: Eine anerkannte Spätaussiedle-
rin, die hier bei ihren fünf Kindern lebt, kann ihre drei En-
kelkinder sowie deren Mutter nicht nach Deutschland ho-
len, weil ihr sechstes Kind, ihr Sohn, der wohl einen
Aufnahmeanspruch gehabt hätte, in Kasachstan ums Le-
ben gekommen ist. Die unmündigen Kinder können ohne
ihre Mutter nicht ausreisen. So haben sie wohl wenig
Chancen, als Spätaussiedler anerkannt zu werden.

Natürlich sind die gesetzlichen Vorgaben kompliziert
und schnelle Problemlösungen nicht überall möglich. Ich
denke aber, in diesem Fall und in ähnlich krassen Einzel-
fällen muss der Petitionsausschuss sein parlamentarisches
Gewicht in die Waagschale legen, um kurzfristig Lösun-
gen herbeiführen zu können.

Hinweise auf eine fehlgeleitete Politik der Bundesre-
gierung erreichen den Bundestag oft erst durch den Peti-
tionsausschuss. Als Beispiel möchte ich gern die Petition
der Ackermann-Gemeinde aufführen. Die Ackermann-
Gemeinde, eine katholische Gemeinschaft, gegründet von
sudetendeutschen Heimatvertriebenen, engagiert sich seit
Jahrzehnten sehr stark für die Pflege und Weiterentwick-
lung der deutsch-tschechischen Nachbarschaft.

Nun sind vonseiten der Bundesregierung die Gelder
gekürzt worden, sodass keine Mittel mehr für einen Kul-
turreferenten außerhalb musealer Tätigkeit zur Verfügung
stehen. Dies ist in Anbetracht der heftigen und nicht ak-
zeptablen Äußerungen vonseiten tschechischer Politiker
zu den Sudetendeutschen und den Benes-Dekreten eine
mehr als verwunderliche Haltung. Hier kann und muss der
Petitionsausschuss seiner Rolle als Mahner der Bundesre-
gierung gerecht werden.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Der Petitionsausschuss hilft mit, das Vertrauen der

Bürger in die Demokratie und vor allen Dingen in ihre
Kraft zur Aufarbeitung tatsächlicher und vermuteter Un-

gerechtigkeiten zu stärken. Ich wünsche mir, dass der Pe-
titionsausschuss in der 15.Wahlperiode die Petitionen mit
dem gleichen Elan bearbeitet.

Ich bedanke mich an dieser Stelle sehr herzlich für Ihre
Aufmerksamkeit gegenüber meinem letzten Wort in die-
ser letzten Petitionsdebatte.

Herzlichen Dank.

(Beifall im ganzen Hause)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1424612300
Damit ist die Debatte
zu diesem Tagesordnungspunkt beendet.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 27 a bis 27 f sowie
Zusatzpunkte 15 und 16 auf:
27 a) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten

Dr. Gerhard Friedrich (Erlangen), Thomas Rachel,
Ilse Aigner, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion der CDU/CSU
Forschungsförderung in Deutschland
– Drucksachen 14/7183, 14/8949 –

b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre-
gierung
Bericht zur technologischen Leistungsfähigkeit
Deutschlands 2001 und Stellungnahme der
Bundesregierung
– Drucksache 14/9331 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie

c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung (19. Ausschuss)

– zu dem Antrag der Abgeordneten Ulrike Flach,

Cornelia Pieper, Birgit Homburger, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Förderung der Energiespeicherforschung

– zu dem Antrag der Abgeordneten Ulrike Flach,
Birgit Homburger, Horst Friedrich (Bayreuth),
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
FDP
Gegen ein Forschungsverbot in der
Gashydratforschung

– zu der Unterrichtung durch die Bundesregie-
rung
Faktenbericht Forschung 2002 zum Bundes-
bericht Forschung 2000

– Drucksachen 14/5576, 14/9392, 14/8040,
14/8829 Nr. 1.6, 14/9586 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Jörg Tauss
Dr. Gerhard Friedrich (Erlangen)

Hans-Josef Fell
Ulrike Flach
Wolfgang Bierstedt




Marion Seib
24926


(C)



(D)



(A)



(B)


d) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung (19. Ausschuss) zu
dem Antrag der Abgeordneten Brigitte Wimmer

(Karlsruhe), Dr. Peter Eckardt, Dr. Hans-Peter

Bartels, weiterer Abgeodneter und der Fraktion der
SPD sowie der Abgeordneten Dr. Reinhard Loske,
Grietje Bettin, Hans-Josef Fell, weiterer Abgeord-
neter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN
Mehr Frauen an die Spitze von Wissenschaft
und Forschung – durch GenderMainstreaming
Frauen in Wissenschaft und Forschung stärken
– Drucksachen 14/7627, 14/8509 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Ulrike Flach
Brigitte Wimmer (Karlsruhe)

Bärbel Sothmann
Dr. Reinhard Loske
Maritta Böttcher

e) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung (19. Ausschuss) zu
dem Antrag der Abgeordneten Ulrike Flach,
Cornelia Pieper, Ernst Burgbacher, weiterer Abge-
ordneter und der Fraktion der FDP
Ressortforschung überprüfen – Effizienz der
Forschung steigern
– Drucksachen 14/5329, 14/8096 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Ulrike Flach
Jörg Tauss
Dr. Gerhard Friedrich (Erlangen)

Hans-Josef Fell
Angela Marquardt

f) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung (19. Ausschuss)

– zu dem Antrag der Abgeordneten Ulrike Flach,

Walter Hirche, Cornelia Pieper, weiterer Abge-
ordneter und der Fraktion der FDP
Die Brennstoffzelle – Technik des 3. Jahrtau-
sends

– zu dem Bericht des Ausschusses für Bildung, For-

(19. Ausschuss)

Technikfolgenabschätzung
hier: TA-Projekt „Brennstoffzellen-Techno-
logie“

– Drucksachen 14/8282, 14/5054, 14/9496 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Ulrike Flach
Ulrich Kasparick
Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land)

Hans-Josef Fell
Wolfgang Bierstedt

ZP 15 Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Gerhard Friedrich (Erlangen), Thomas Rachel,
Ilse Aigner, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion der CDU/CSU
Eine neue Offensive für eine moderne For-
schungspolitik
– Drucksache 14/9538 –

ZP 16 Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulrike

(Bayreuth)

FDP
Wissenschaft und Forschung als Motor der ge-
sellschaftlichen Entwicklung und des wirtschaft-
lichen Aufschwungs in Deutschland nutzen
– Drucksache 14/9567 –

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und rufe als erste Rednerin
die Kollegin Ulrike Flach, FDP-Fraktion, auf.


Ulrike Flach (FDP):
Rede ID: ID1424612400
Herr Präsident! Meine Damen
und Herren! Dies ist wohl die letzte Forschungsdebatte in
dieser Wahlperiode. Ich finde das schade; denn es ist ei-
nes der spannendsten Themen, das wir in diesem Bundes-
tag behandeln können. Aber ich möchte die Gelegenheit
ergreifen, um für meine Fraktion Bilanz zu ziehen.

Eine hochwertige Grundlagenforschung und ange-
wandte Forschung in Deutschland hängen von einem In-
einandergreifen von verschiedenen Faktoren ab: den Fi-
nanzen, den rechtlichen Rahmenbedingungen, der
Kooperation mit der Wirtschaft, der Nachwuchsförderung
und der Fähigkeit, Menschen für Technik, Wissen und vor
allen Dingen für das Neue zu begeistern.

Lassen Sie mich mit dem Finanziellen beginnen. Herr
Catenhusen, es ist gut, dass Sie und Frau Bulmahn zu-
sammen den Trend Ihres Vorgängers gestoppt und die
Ausgaben für Bildung und Forschung zumindest bis
zur Bundestagwahl gesteigert haben.


(René Röspel [SPD]: Was soll denn das heißen?)


Bei Rüttgers gab es viel heiße Luft und weniger Geld.
Aber Ihren eigenen Anspruch – das möchte ich an dieser
Stelle sehr deutlich machen –, eine Verdopplung zu errei-
chen, haben Sie nun einmal nicht erfüllt.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Strukturell haben Sie zudem gleich zu Beginn – das

möchte ich mit besonderem Ernst betonen – einen ent-
scheidenden Fehler gemacht: Sie haben das Herzstück
jeder zukunftsorientierten Forschungspolitik, die Techno-
logieförderung, ans BMWi, an das Wirtschaftsministe-
rium, gegeben. Dort wird es seit nunmehr vier Jahren als
Steinbruch genutzt. Das wird die FDP ändern.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)





Präsident Wolfgang Thierse

24927


(C)



(D)



(A)



(B)


Wir werden dieses Bildungs- und Forschungsministerium
in der nächsten Periode übernehmen und es wieder
schlagkräftig gestalten.


(Beifall bei der FDP – René Röspel [SPD]: Noch einmal Möllemann? Bitte nicht!)


Die Technologieförderung muss wieder ins BMBF
zurück. Sie haben unser Wort, dass das so sein wird.

Hinzu kommt, dass man bei Steigerungen des eigenen
Haushaltes nicht nur auf diesen, sondern auch auf die von
Mitbewerbern schauen sollte. So hat zum Beispiel der
neue Präsident der Max-Planck-Gesellschaft zu Recht eine
verlässlichere und dauerhaftere Förderung der Grund-
lagenforschung gefordert. Nötig seien Zuwachsraten von
5 Prozent. Was Sie erreicht haben, Herr Catenhusen, ist
nach – wie immer – sehr elenden Verhandlungen mit den
Ländern eine Zuwachsrate von gerade einmal 3 Prozent.
Besonders im Vergleich zu den USA oder Großbritannien
ist diese Steigerungsrate natürlich mehr als unterdurch-
schnittlich.

Ich hatte gehofft, dass Sie fehlende Geldzuweisungen
zumindest durch politische Signale ersetzt hätten. Das
war Ihnen ganz offensichtlich in dieser Koalition nicht
möglich. Ich bedauere, dass ich Ihnen das nicht direkt ins
Gesicht sagen kann, aber ich werde es trotzdem von mir
geben. Lieber Herr Catenhusen, man kann sich nicht aus
der Verantwortung stehlen, indem man erklärt: Dass die
Mittel für die Energieforschung geschrumpft sind, liegt
nicht an meinem Haus. –Auch können Sie nicht sagen, die
Tatsache, dass die Biopatentrichtlinie nicht verabschiedet
wurde, liege nicht allein am BMBF.

In der Bundesregierung und der rot-grünen Koalition
gibt es massiven Dissens über wichtige Bereiche der For-
schung. Egal ob bei der Gentechnik, der Fusions-
forschung, der Gashydratforschung, der Energiefor-
schung und der Mobilitätsforschung – überall blockieren
die Grünen.


(Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Fell hat sich vorgestern im Ausschuss – das sage ich
mit besonderem Zungenschlag – für ein Diktat des Kli-
maschutzes ausgesprochen. Was ist das für ein Verständ-
nis von Forschung?


(Jörg van Essen [FDP]: Sehr richtig!)

Wir wollen keine Diktate, sondern Freiheit der Wissen-
schaft, und zwar in Verantwortung für diese Gesellschaft.


(René Röspel [SPD]: Atomenergie ist ein Diktat für die Zukunft!)


– Forschungslandschaften werden übrigens auch durch
die Schaffung einer entsprechenden Atmosphäre gestaltet,
lieber Herr Röspel. Das wissen wir beide am allerbesten.
Sie haben aber nicht nur den grünen Klotz am Bein. Ich
glaube, es gibt auch in Ihren eigenen Reihen so manch ei-
nen Klotz, über den wir nachdenken sollten.

Deutschlands Forschung ist nach wie vor in politischer
und bürokratischer Hinsicht benachteiligt. Projektanträge
müssen schneller das Genehmigungsverfahren durchlau-
fen. In anderen Ländern wird bereits gearbeitet, während

bei uns nach wie vor über den Antrag nachgedacht wird,
mit dem etwas auf den Weg gebracht werden soll.


(Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: So ein Quatsch!)


Sie haben zwei HRG-Novellen eingebracht. Die eine
haben Sie durchgesetzt, die andere angesetzt, aber eigent-
lich haben Sie beide in den Sand gesetzt.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Zuruf von der SPD: So ein Blödsinn, was Sie erzählen!)


Das Hochschuldienstrecht ist nicht entbürokratisiert und
entrümpelt worden. Im Gegenteil: Die Neuregelung der
befristeten Beschäftigungsverhältnisse demotiviert den
akademischen Mittelbau und wirft gute Wissenschaftler
aus dem System. Auch Ihnen sind sicherlich die Anzeigen
bekannt, die der akademische Mittelbau in der Presse
schaltet. Es ist schon bemerkenswert, dass der Mittelbau
den Rücktritt einer Ministerin fordert.

Sie haben auch den Wissenschaftstarifvertrag nicht zu-
stande gebracht. Der Stifterverband für die Deutsche Wis-
senschaft bezeichnet den Forschungsstandort Deutsch-
land als mäßig interessant. Das Arbeitsrecht ist nach wie
vor zu starr. Außerdem gibt es zu wenig interdisziplinäre
Ansätze, es gibt verregelte Zugangsverordnungen und
eine unflexible Personalbewirtschaftung.


(René Röspel [SPD]: Aber es ist schon besser als vor vier Jahren!)


Sie haben Transferstellen an den Hochschulen nur bis
2004 anfinanziert. Das ist typisch für das, was zurzeit auf
den Weg gebracht wird. Man stößt ein Rad an, überlegt
dann aber, wie die Nachfolger das Vorhaben weiter finan-
zieren können.


(Zuruf von der SPD: Sie haben das nie eingeleitet! Sie haben dieses Rad noch gar nicht erkannt!)


Sie haben die staatliche Ressortforschung nicht auf
den Prüfstand gestellt. Was wir den Forschungsverbünden
zumuten – das sage ich mit großem Ernst –, sollten wir
weiß Gott auch unseren eigenen Bürokratien zumuten.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Sie wissen, dass ich Sie sehr schätze, Herr Catenhusen.

Ich nutze diese Gelegenheit – ich bin schließlich Vorsit-
zende des Ausschusses –, um Ihnen, Kollegin Sothmann
und Kollegen Dr. Schmidt bei Ihrer letzten Rede viel
Glück und Engagement zu wünschen. Ich habe mich ge-
freut, mit Ihnen zusammenarbeiten zu können. Es war
eine produktive und angenehme Zusammenarbeit. Es gibt
sicherlich Ausschüsse, in denen mehr gestritten wird als
in unserem. Wir waren uns wohl alle einig in dem
Bemühen, dieses Land vorwärts zu bringen. Ich wünsche
Ihnen allen alles Gute. Behalten Sie auch jenseits der Po-
litik Ihren Optimismus und besuchen Sie uns gelegent-
lich. Wir würden uns freuen.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)





Ulrike Flach
24928


(C)



(D)



(A)



(B)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1424612500
Ich erteile dem Parla-
mentarischen Staatssekretär Wolf-Michael Catenhusen
das Wort.

W
Wolf-Michael Catenhusen (SPD):
Rede ID: ID1424612600
Herr
Präsident! Meine Damen und Herren! Ich verstehe, dass
die Opposition nach 16 Jahren bescheidener Bilanz mit
Macht versucht, an die Spitze des Fortschritts zu drängen,
indem sie das, was wir an Erfolgen auf den Weg gebracht
haben, als unzureichend kritisiert und fordert, es müsse
mehr getan werden. Diese Kritik halten wir gelassen aus.
Denn wir konnten nach den 16 Jahren nicht alle Fehlent-
wicklungen korrigieren und die unterlassenen Reformen
auf diesem Gebiet nachholen.

Lassen Sie mich deshalb deutlich sagen, liebe Frau
Flach: Es gibt einen kleinen Unterschied zu den USA.
Dort soll die Forschungsförderung innerhalb von fünf
Jahren verdoppelt werden. Dem ging aber eine erfolgrei-
che Konsolidierung des dortigen Bundeshaushalts voraus.


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: So war das! Genau!)


Wenn Sie von uns erwarten, Konsolidierungserfolge
durch schrumpfende Bundeshaushalte zu erzielen und
gleichzeitig den Forschungshaushalt zu verdoppeln,
nehmen Sie den Mund ein bisschen zu voll und vergessen
dabei das politische Erbe, das wir aufarbeiten müssen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Ulrike Flach [FDP]: Wir haben das nicht versprochen!)


Dass wir es ohne finanzielle Konsolidierungsvorarbei-
ten unserer Vorgängerregierung geschafft haben, ein-
schließlich des Entwurfs des Bundeshaushaltsplans für
das Jahr 2003 die Mittel für Bildung und Forschung im
Bundeshaushalt um 28 Prozent zu steigern,


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Ulrike Flach [FDP]: Aber Sie hatten mehr versprochen!)


stellt einen Maßstab dar, an dem sich alle Länder – ob
SPD- oder CDU/CSU-regiert oder mit Regierungsbeteili-
gung der FDP – messen lassen müssen.


(Zuruf von der SPD: Das ist ein wahres Wort!)

Wir haben in dieser Beziehung einen Standard gesetzt.
Deshalb kann ich Ihre Kritik in diesem Zusammenhang
nicht ganz ernst nehmen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Zuruf von der SPD: Wir auch nicht!)


Ich möchte einen zweiten Punkt hinzufügen. Wir haben
volles Verständnis für die Forderung der Max-Planck-
Gesellschaft nach einer mittelfristigen, verlässlichen und
internationalen Maßstäben gerecht werdenden weiteren
Finanzierung. Sie müssen aber auch zur Kenntnis neh-
men, dass es nicht allein um den Bund geht. Ich weiß
nicht, wie Sie sich das vorstellen; Sie wollen vielleicht
manchmal die Länder abschaffen. Aber zumindest dort,
wo Sie mit regieren, haben Sie dann wieder viel Ver-
ständnis für die Position der Länder. Nehmen Sie doch

bitte zur Kenntnis: Wenn wir – durchaus mit der Unter-
stützung einiger Länder – eine Erhöhung der Mittel für die
Max-Planck-Gesellschaft in Höhe von 4 Prozent anbieten
und es zu einem Kompromiss von 3 Prozent kommt, dann
lassen wir uns nicht – so selbstbewusst sind wir – für die-
ses Ergebnis tadeln.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich will ein Drittes hinzufügen. Sie haben gesagt: „für
das Neue begeistern“. Wir sind die erste Leitung des Bun-
desministeriums für Bildung und Forschung, die die For-
derung an die Wissenschaft und in der Wissenschaft nach
Public Understanding of Science, also danach, neue Wege
im Dialog zwischen Wissenschaft und Gesellschaft vor-
zubereiten und zu gehen, ernst genommen hat.


(Beifall des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD])


Wir haben im Rahmen der Initiative „Wissenschaft im
Dialog“ durch die „Jahre der Wissenschaften“ und durch
andere Aktivitäten ein bundesweit wirksames Netzwerk
neuer Formen des Gesprächs zwischen Wissenschaft und
Öffentlichkeit geschaffen. „Für das Neue begeistern“ – ja-
wohl, da haben wir in den vier Jahren große Erfolge er-
zielt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich will ein Weiteres hinzufügen und das betrifft – ich
sage es ganz offen – das Thema Rot-Grün. Unsere Vor-
gängerregierung hat für den Bereich der Genomforschung
am Ende ihrer Amtszeit Mittel in Höhe von 25 bis 30 Mil-
lionen DM pro Jahr zur Verfügung gestellt. Wir haben das
im Bereich der Biotechnologie in kurzer Zeit verzehn-
facht.


(Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD], zur CDU/CSU gewandt: Beifall!)


Wie kann man uns da Stillstand vorwerfen? Wir haben das
Programm der Pflanzengenomforschung gestartet. Bei
der Vorgängerregierung: Fehlanzeige.

Über Bio- und Gentechnik gibt es in unserem Land ei-
nen gesellschaftlichen Diskurs, der sich von den entspre-
chenden Diskursen in anderen Ländern in Europa, auch
konservativ regierten, nicht unterscheidet. Wir müssen
nüchtern zur Kenntnis nehmen: Es gibt eine stabile Zu-
stimmung zur Notwendigkeit der Förderung von Grund-
lagenforschung in der Bio- und Gentechnik.


(Zuruf von der CDU/CSU: Dazu haben wir auch beigetragen!)


Es existiert in der Bevölkerung eine stabile Zustimmung
zu einem aktiven Engagement unseres Landes bei der
Nutzung der neuen Möglichkeiten in der Medizin.

Es gibt aber eine anhaltende europaweite Diskussion
über die Frage, ob auch der Verbraucher in den neuen
Möglichkeiten der Bio- und Gentechnik einen Fortschritt
und einen Nutzen für sich selbst sieht. Diese Akzeptanz-
krise hat übrigens zu einem Gutteil die Industrie selbst
hervorgerufen, indem sie zwar an ihre Absatzmöglichkei-
ten und an die Vorteile für den Landwirt gedacht hat, aber






(C)



(D)



(A)



(B)


bei der Produktentwicklung den Verbraucher nicht im
Blick hatte. Sie muss diese Krise zu einem Gutteil auch
selbst lösen.


(René Röspel [SPD]: Hervorragende Analyse! – Dr. Gerhard Friedrich [Erlangen] [CDU/CSU]: Genehmigen kann sie nichts!)


Unter Vorsitz des grünen Umweltministers Trittin ha-
ben wir in Brüssel den gemeinsamen Standpunkt für die
Richtlinie 220 erarbeitet, die Folgendes sicherstellt: Wenn
die Fragen der Kennzeichnung und der Rückverfolgbar-
keit europaweit geregelt sind, dann kann auch europaweit
der Weg neuer kommerzieller Freisetzung gegangen wer-
den – mit verschärften Sicherheitsanforderungen. Der Weg
zu einem offenen Marktzugang auf dem Gebiet ist nicht
durch nationale Alleingänge der Bundesrepublik versperrt;
diese Situation trifft für ganz Europa zu. Somit können wir
das nur durch europäische Entscheidungen auflösen. Da-
rüber sind wir uns mit vielen Regierungen in der Europä-
ischen Union – von Italien bis Großbritannien – einig.

Die Bildungs- und Forschungspolitik, zu der heute Bi-
lanz gezogen werden soll, hat in den letzten Jahren einige
neue Akzente setzen und wichtige Fortschritte erzielen
können. Wir haben begonnen, in der Prioritätensetzung in
Bezug auf die Forschungsförderung stärker Fragen des
gesellschaftlichen Bedarfs aufzunehmen. Mit FUTOUR
haben wir einen Prozess gestartet, um mit breiter Rück-
kopplung zur Bevölkerung Leitvisionen für die zukünf-
tige Forschungsförderung zu erarbeiten. Es geht darum,
auf diesem Wege auch Fragen des gesellschaftlichen Be-
darfs in die Entwicklung neuer Forschungsfragen einzu-
beziehen.

Wir haben gerade in der Medizin viele Bereiche durch
die Entwicklung von Kompetenznetzen stärker auf An-
wendungsfragen orientiert. Wir haben es auch geschafft,
die Genomforschung stärker auf wichtige Krankheitsfel-
der wie Krebs-, Rheuma- oder Herz-Kreislauf-Erkran-
kungen zu orientieren. Damit wurde eine Orientierung
eingeleitet, die übrigens auch das Verständnis in der Be-
völkerung für die Notwendigkeit einer leistungsfähigen
und gut finanzierten Wissenschaft steigern wird.

Bei uns gehen Bildungs- und Forschungspolitik Hand
in Hand und wir sind neue Wege in der Förderung des wis-
senschaftlichen Nachwuchses gegangen. Ich sage Ihnen
ganz deutlich: Wenn sich die Juniorprofessuren einige
Jahre in der Praxis bewährt haben werden – wir freuen uns
über die positive Reaktion an unseren Universitäten –,


(Ulrike Flach [FDP]: Aus unserem Bundesland kommt nichts Positives, Herr Catenhusen!)


werden wir sehen, welche praktischen Vorteile dieser Weg
auch gegenüber früher haben wird. Damals hatten wir lei-
der die Situation, dass der talentierte Nachwuchs nicht
– wie künftig – in der Regel mit Anfang 30 die Chance
hatte, eigenständig zu forschen und zu lehren, sondern
erst mit Anfang 40. Frau Flach, wenn wir jetzt nicht Wahl-
kampf hätten, könnten Sie es sich durchaus leisten, das zu
begrüßen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Deshalb begrüßen wir es!)


Wir haben es ferner geschafft, die Forschungsförde-
rung auf die entscheidenden Zukunftsfelder zu konzen-
trieren. Ich nenne die deutlichen Mittelsteigerungen im
Zeitraum von 1998 bis 2003 in folgenden Bereichen: um-
weltgerechte nachhaltige Entwicklung: Steigerung von
fast 27 Prozent; Informationstechnik: Steigerung 17 Pro-
zent; Biotechnologie: Steigerung 39 Prozent; molekulare
Medizin: Steigerung 56,6 Prozent. Wer mehr Geld für die
Forschung fordert, ist an unserer Seite und unterstützt un-
sere Politik. Darüber freuen wir uns natürlich, auch wenn
Sie, Frau Flach, das anders sehen.

Ich denke, dass wir auch in der Innovation, im Trans-
fer der Ergebnisse in die Anwendung, gerade im Biotech-
nologiebereich, mit dazu beigetragen haben, die ersten
Ansätze des BioRegio-Wettbewerbs auch strategisch wei-
terzuentwickeln. Wir haben eine leistungsfähige Biotech-
Industrie, die natürlich unter den weltweiten Problemen,
die die Biotech-Industrie zurzeit hat – fehlende Eigen-
kapitalzufuhr, auch durch Betrügereien zerstörtes Vertrau-
en –, leidet. Diese aktuellen Schwierigkeiten sind aber
nicht strukturell. Wir werden unsere Forschungsförde-
rung gerade für die Biotech-Unternehmen fortsetzen.

„Exzellenz schaffen – Talente sichern“ – das ist unser
Motto für die neuen Länder. Ihnen gilt unser besonderes
Augenmerk. In diesem Jahr fließen rund 1,8 Milliar-
den Euro aus dem BMBF-Haushalt in die neuen Länder.
Das sind 24 Prozent mehr als 1998. Wir haben, wie auch
die Wirtschaftsweisen feststellen, mit den Programmen
„Inno-Regio“ und „Innovative Wachstumskerne“ neuar-
tige politische Förderinstrumente entwickelt. Die hatten
ihre Kinderkrankheiten und alle Beteiligten mussten ler-
nen, aber wir sind nach den ersten Hinweisen auf Er-
folgsbilanzen ganz sicher, dass diese nach drei, vier Jah-
ren noch sehr viel deutlicher ausfallen werden. Ich glaube,
dass wir in diesem Bereich wie kaum ein anderes Ressort
einen Schwerpunkt bei der Förderung von Ostdeutsch-
land gesetzt haben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Meine Damen und Herren, da mir seit gestern klar ist,
dass diese Rede nach 22 Jahren meine letzte Rede als Par-
lamentarier ist, lassen Sie mich vielleicht mit zwei An-
merkungen schließen. Ich denke an die Zeit Anfang der
80er-Jahre zurück und meine, es ist gut, dass heute ein
breiter Konsens darin besteht, dass die Förderung von In-
novationen, die Förderung einer leistungsfähigen For-
schung und das Erreichen eines Spitzenplatzes Deutsch-
lands in der Entwicklung neuer Technologien unsere
wirksamsten Beiträge zur Zukunftsvorsorge in unserem
Lande darstellen und dass dieses Thema auch in der Ar-
beit des Parlaments aus der hinteren Ecke auf den not-
wendigen Spitzenplatz gerückt ist.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU/CSU)


Lassen Sie mich noch einen zweiten Satz sagen: Wir
dürfen bei dieser Arbeit aber nicht vergessen, dass in der
Wissensgesellschaft Wissenschaft und Forschung nur
dann die notwendige gesellschaftliche Unterstützung ver-
dienen, wenn die Wissenschaft und die Forschung selbst
wissen, dass es ihre Aufgabe ist, Hilfe für die Gesellschaft




Parl. StaatssekretärWolf-Michael Catenhusen
24930


(C)



(D)



(A)



(B)


zu leisten. Wissenschaft und Technik ermöglichen uns,
unsere Vorstellungen für eine gesellschaftliche Zukunft
zu entwickeln und zu verwirklichen. Eine technik- oder
wissenschaftsgetriebene Zukunftsentwicklung deckt sich
nicht automatisch mit der Vorstellung der Bevölkerung
von einer lobenswerten und lebenswerten Zukunft. Dieses
zusammenzubringen ist die Aufgabe gerade von Wissen-
schafts- und Forschungspolitik.

Ich darf mich heute an dieser Stelle bei vielen
langjährigen Mitstreitern auf diesem Gebiet bedanken.
Ich nenne Bodo Seidenthal, aber ich denke auch an Jochen
Schmidt. Uns verbindet vieles in dieser gemeinsamen An-
strengung. Herzlichen Dank für die Zusammenarbeit.
Alles Gute!


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der FDP)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1424612700
Ich möchte Ihnen, lie-
ber Kollege Catenhusen, für die 22-jährige Mitarbeit in
diesem Hause herzlich danken und Ihnen alles, alles Gute
für Ihren nächsten Lebensabschnitt wünschen.

Herzlichen Dank.

(Beifall im ganzen Hause)


Ich erteile nun der Kollegin Bärbel Sothmann,
CDU/CSU-Fraktion, das Wort.


Bärbel Sothmann (CDU):
Rede ID: ID1424612800
Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wie lange kann
Deutschland noch von seinem guten Ruf als Technik-
und Wirtschaftswunderland zehren? Professor Hubert
Markl, der ehemalige Präsident der Max-Planck-Gesell-
schaft, stellt zu Recht fest: „Wir verjagen unsere For-
scher.“ Sein Nachfolger, Professor Peter Gruss, sieht die
Wissenschaft im Würgegriff der Bürokratie. Ex-BDI-
Chef Hans-Olaf Henkel


(Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Gerade der! Eine Posaune der konservativen Ideologie!)


beklagt das Zurückfallen Deutschlands in wichtigen Sek-
toren wie der Informationstechnologie.

Es besteht Handlungsbedarf. Das bezeugen der Be-
richt zur technologischen Leistungsfähigkeit Deutsch-
lands 2001 und der Faktenbericht 2002 zum Bundes-
bericht Forschung 2000 ebenso wie die Antwort auf unsere
Große Anfrage zur Forschungsförderung. Sie alle be-
scheinigen Deutschland zwar eine hohe technologische
Leistungsfähigkeit in einigen Sektoren; aber insgesamt ist
der Anteil Deutschlands am Welthandel mit forschungs-
intensiven Waren gesunken. Vor allem die chemische und
die pharmazeutische Industrie haben Weltmarktanteile
verloren. Wir haben zu wenige Spitzenprodukte im High-
techbereich.

Eine der Ursachen ist: Deutschland investiert zu wenig
in die Forschung.


(René Röspel [SPD]: Das wollen wir ja ändern!)


Mit einem Anteil von rund 2,4 Prozent am Bruttoinlands-
produkt liegen wir mit unseren F-und-E-Ausgaben nicht

nur hinter unseren Hauptkonkurrenten Japan und den
USA,


(Thomas Rachel [CDU/CSU]: So ist es!)

sondern auch hinter Schweden, Finnland und der
Schweiz. Defizite im Bereich der Bildung – die PISA-
Studie beweist das –, der schlechte Stellenwert der
Naturwissenschaften, der Fachkräftemangel, mangelnde
Weiterbildung und geringe internationale Attraktivität
deutscher Hochschulen sowie die Nachteile für Frauen in
Wissenschaft und Technik tragen wesentlich zu diesem
Dilemma bei.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Doch wir alle wissen: Bildung und Innovation sind

der Schlüssel zu unserer Zukunftsfähigkeit im globalen
Wettbewerb. Nur durch gut ausgebildete Fachkräfte, nur
durch innovative Produkte, Verfahren und Dienstleistun-
gen können wir unsere Arbeitsplätze erhalten und neue
schaffen. Nur dadurch können wir unsere soziale Sicher-
heit und unseren Wohlstand bewahren.

Was hat die Bundesregierung zur Förderung unserer
technologischen Leistungsfähigkeit getan? Es gibt durch-
aus gute Ansätze und gute Absichten, die wir anerkennen:
zum Beispiel die Fortführung der von uns eingeleiteten
Hochschulreform, zum Beispiel die weitere Verstärkung
der von uns forcierten Frauenförderung in Wissenschaft
und Forschung,


(Thomas Rachel [CDU/CSU]: Richtig!)

zum Beispiel die Einführung der Programmsteuerung
bei der Förderung außeruniversitärer Forschungseinrich-
tungen.


(Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Aber das hat doch die Regierung gemacht!)


Doch Ihre Fehler und Versäumnisse gerade im Bereich
Forschung und Entwicklung, auf den ich mich hier be-
schränken will, überwiegen. Sie haben kein klares for-
schungspolitisches Konzept.


(Lachen des Abg. Bodo Seidenthal [SPD])

Sie behindern die Forschungstätigkeit der Wirtschaft
durch eine innovationsfeindliche Steuer-, Sozial- und Ar-
beitsmarktpolitik,


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

durch übermäßige Verbote und schwierige Genehmi-
gungsverfahren sowie durch den kurzfristigen Einsatz
von Sondermitteln, die keine Planungssicherheit bieten –
siehe UMTS.


(Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Bis 2007?)

Sie haben die Ausgaben im Haushalt des BMBF zwar

in vier Jahren um 20 Prozent erhöht – Frau Flach hat es
schon gesagt –; aber die Ausgaben für Forschung und Ent-
wicklung haben Sie nur um 10 Prozent erhöht. Das ent-
spricht gerade einmal der Geldentwertung. Beides ist von
der versprochenen „Verdoppelung der Investitionen“ mei-
lenweit entfernt.

Lieber Herr Catenhusen, Sie sagten, Sie könnten diese
Kritik einfach nicht mehr ernst nehmen. Wir können Ihr




Parl. StaatssekretärWolf-Michael Catenhusen

24931


(C)



(D)



(A)



(B)


Märchen von der Erblast aus 16 Jahren unionsgeführter
Regierung langsam ebenfalls nicht mehr ernst nehmen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Sie haben eine optimale Technologieförderung un-

möglich gemacht, indem Sie beispielsweise 1998 die Zu-
ständigkeit für wichtige Technologiebereiche ins Wirt-
schaftsministerium verlagert haben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Thomas Rachel [CDU/CSU]: Ein Riesenfehler!)


Sie haben die Mittel für wichtige Hightechbereiche wie
die Fusionsforschung und die Weltraumforschung real
gesenkt.


(Wolf-Michael Catenhusen, Parl. Staatssekretär: Was?)


Sie behindern aus ideologischen Gründen die Weiterent-
wicklung von Schlüsseltechnologien wie die Kernener-
gie, die grüne Gentechnik und den Transrapid, also Tech-
nologien, in denen wir Spitze sind bzw. Spitze sein
könnten.


(René Röspel [SPD]: Das ist echter Quatsch!)

Sie haben wichtige Bereiche der Vorsorgeforschung ver-
nachlässigt. Sie haben die Empfehlungen des Wissen-
schaftsrats zur Umgestaltung der Forschungslandschaft
nur zögernd umgesetzt. Sie sind auch dem bereits von uns
formulierten Ziel, den Anteil von Frauen bei Professuren
bis 2005 auf 20 Prozent zu erhöhen, kaum näher ge-
kommen.


(Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Aber wir sind ihm schon näher gekommen!)


Mit anderen Worten: Sie sind Ihrer Verantwortung in
der Technologieförderung nicht gerecht geworden. Das
werden wir nach dem 22. September besser machen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir werden uns nämlich die Technologieführerschaft
wieder zurückerobern. Wir werden für die Wissenschaft
wieder größere Freiräume schaffen und die Genehmi-
gungsverfahren vereinfachen und beschleunigen.


(René Röspel [SPD]: Welche denn?)

Wir werden uns nicht nur auf die Risiken neuer Techno-
logien konzentrieren, sondern vor allem ihre Chancen
nutzen. Wir werden zum Beispiel die Blockade in der grü-
nen Gentechnik beenden, den Ausstieg aus der Kernener-
gie wieder rückgängig machen und dafür sorgen, dass der
Forschungsreaktor München II endlich in Betrieb genom-
men werden kann.


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Wohin gehen Sie mit dem Atommüll?)


Wir werden die Mittel für die Fusions- und Weltraum-
forschung erhöhen. Wir werden die Vorsorgeforschung
verstärken. Wir werden die Technologiepolitik vom Wirt-
schaftsministerium ins Forschungsministerium zurückho-
len und endlich wieder eine Innovationsförderung aus ei-
nem Guss machen. Wir werden den Fachkräftemangel in

Deutschland abbauen, indem wir unseren Standort für
ausländische Experten attraktiver machen


(Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Grimms Märchen!)


und besonders auf die Förderung von Frauen in Wissen-
schaft und Technik noch mehr Gewicht legen.


(Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Dann sollten Sie den Gesetzen, die wir eingebracht haben, zustimmen!)


Meine Damen und Herren, all diese notwendigen
Maßnahmen wird nur eine CDU-geführte Bundesregie-
rung zügig und frei von ideologischen Beschränkungen
durchführen können. Sie haben es nicht gekonnt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Lachen bei der SPD)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, dies war meine
letzte Rede in diesem Hohen Haus, denn ich werde mich
nach zwölf interessanten und wirklich ereignisreichen
Jahren aus der Bundespolitik zurückziehen. Ich bin sehr
dankbar dafür, dass ich Mitglied des ersten gesamtdeut-
schen Bundestages sein durfte und miterleben und mitge-
stalten durfte, wie sich Berlin zum Sitz von Parlament und
Regierung entwickelt – ein Prozess, der noch lange nicht
abgeschlossen sein wird.

Ich danke allen Kolleginnen und Kollegen, mit denen
ich in dieser Zeit zusammengearbeitet habe, für manche
Freundschaft, die entstanden ist. Ich danke allen Mitar-
beiterinnen und Mitarbeitern des Deutschen Bundestages
für ihre Unterstützung und Hilfe. Ich wünsche all denen,
die weitermachen, und all denen, die kommen werden,
viel Erfolg bei ihrer politischen Arbeit für unser Land.

Meine Damen und Herren, für Deutschland wünsche
ich Frieden und Gottes Segen.

Ich danke Ihnen.

(Beifall im ganzen Hause)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1424612900
Auch Ihnen, liebe
Kollegin Sothmann, möchte ich ein herzliches Danke-
schön im Namen des ganzen Hauses aussprechen und Ih-
nen alles Gute für Ihre Zukunft wünschen.


(Beifall im ganzen Hause)

Der Kollege Hans-Josef Fell hat seine Rede zu Proto-

koll gegeben.1) Somit erteile ich jetzt das Wort dem Kol-
legen Joachim Schmidt, CDU/CSU-Fraktion.


Dr.-Ing. Joachim Schmidt (CDU):
Rede ID: ID1424613000

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Ich möchte in meiner letzten Rede in diesem Hause noch
einmal auf einen Problemkreis eingehen, der mich zwölf
Jahre im Deutschen Bundestag besonders beschäftigt hat.
Es geht um die Situation und die Zukunft der ostdeut-
schen Forschung,


(René Röspel [SPD]: Acht Jahre vertan!)





Bärbel Sothmann
24932


(C)



(D)



(A)



(B)


1) Anlage 2

die ich einer kurzen, kritischen Analyse unterziehen
werde.

Zuerst ist festzustellen, dass die außeruniversitäre For-
schung und die Hochschulforschung seit längerem als
konsolidiert anzusehen sind. Es existieren kaum substan-
zielle Unterschiede in der staatlich geförderten Forschung
zu Westdeutschland, wobei die ostdeutschen Forschungs-
einrichtungen absolut satisfaktionsfähig sind und natio-
nale und internationale Reputation gewonnen haben.

Einziges Defizit: Es fehlt ein Großgerät. Mit der An-
siedlung der europäischen Spallationsquelle im Raum
Leipzig/Halle könnte dies erfolgreich korrigiert werden.
Im Übrigen ist der Bund von Anfang an bis heute seiner
Verantwortung für die ostdeutsche außeruniversitäre und
Hochschulforschung im Großen und Ganzen gerecht ge-
worden. Jährlich flossen etwa 3 Milliarden DM in diese
Forschungslandschaft.

Großes Sorgenkind bleibt die Industrieforschung. Ein
Hauptgrund für die unterentwickelte wirtschaftsnahe For-
schung im Osten ist vor allem in der durch kleine bis mit-
telgroße Betriebe gekennzeichneten Wirtschaftslandschaft
zu suchen, denn diese kleinen Betriebe können sich kaum
eigene Forschungskapazitäten leisten. Im Freistaat Sachsen
zum Beispiel haben 98 Prozent der Unternehmen weniger
als 100 Mitarbeiter. Hauptträger der wirtschaftsnahen
Forschung sind Einrichtungen der externen Industriefor-
schung, häufig etwas verallgemeinert Forschungs-GmbHs
genannt, die in fachlicher und operativer Flexibilität von
keiner anderen Forschungsstruktur in Deutschland über-
troffen werden. Sie sind aus den Forschungszentren der
ehemaligen volkseigenen Kombinate hervorgegangen.

Nach wie vor alarmierend bleibt der Umstand, dass
nur etwa 6 Prozent des Industrieforschungspotenzials in
Deutschland auf die neuen Bundesländer entfallen. Ent-
schieden zu kritisieren ist in diesem Zusammenhang, dass
in den vergangenen vier Jahren die Forschungskapazitä-
ten in der Industrieforschung – nicht zuletzt wegen will-
kürlicher Sperren im Bundeshaushalt und drastischer
Kürzungen in bewährten Förderprogrammen des Bundes
für die ostdeutsche Industrieforschung – stagnierten und
zum Teil existenziell in Gefahr gerieten. Hier hat die Bun-
desregierung eindeutig versagt.


(Heinz Wiese [Ehingen] [CDU/CSU]: Richtig!)


Für die Zeit nach der Bundestagswahl gilt es, die be-
rechtigten Forderungen des Verbandes innovativer Unter-
nehmen der neuen Bundesländer konstruktiv aufzuneh-
men, die materielle Unterstützung wieder auf das Niveau
von 1998 anzuheben – das waren etwa 150 Millionen
Euro pro Jahr – und die bisher geplante Degression der
Unterstützung zu verhindern. Dabei geht es nicht nur um
die Erhaltung bestehender Einrichtungen, sondern vor
allen Dingen um die Neugründung industrieller For-
schungskapazitäten.

Bei allem Lob und aller Anerkennung für die Leis-
tungsstärke ostdeutscher Forschung haftet ihr doch ein
entscheidender Makel an: Sie trägt viel zu wenig zur
Wertschöpfung in den neuen Bundesländern bei. Das
muss sich deutlich ändern. Wir brauchen eine erheblich

stärkere Kooperation zwischen der kleinen und mittel-
ständisch geprägten Wirtschaft und der leistungsstarken
Forschungslandschaft. Nur durch Innovation werden sich
die kleinen und mittelständischen Betriebe auf den natio-
nalen und internationalen Märkten halten können. Die
Unterstützung dieser Betriebe liegt im Übrigen im Staats-
interesse, hängt von ihnen doch die politische und wirt-
schaftliche Stabilität im Osten in hohem Maße ab.

Bei der Evaluierung und der Zuteilung staatlicher Mit-
tel wird man zukünftig weitaus stärker darauf achten müs-
sen, welche Anstrengungen alle Forschungseinrichtungen
in den neuen Bundesländern im Hinblick auf diese unab-
dingbare Kooperation unternehmen. Dies hat überhaupt
nichts mit einer Einschränkung der Forschungsfreiheit zu
tun. Für die Hochschulen stellt sich neben der selbstver-
ständlichen Gewinnung und Erhaltung nationaler und in-
ternationaler Reputation die Aufgabe einer stärkeren re-
gionalen Verwurzelung. Mit der Forderung nach höheren
Wertschöpfungsanteilen für die neuen Bundesländer
muss die Erkenntnis einhergehen, dass Bildung, For-
schung und Entwicklung höchste politische Priorität im
Osten erhalten müssen.

Meine Damen und Herren, als beste Methode für die
von mir beschriebene zwingende Kooperation bietet sich
in erster Linie die Bildung von Netzwerken an. Die Bun-
desregierung hat versucht, mit dem Programm Inno-Re-
gio dieser Erkenntnis zu folgen. Die Ankündigung des
Programms mit einer modernen Philosophie der Bildung
von horizontalen und vertikalen – das heißt, über einzelne
Branchen reichende – Netzwerken hat in den neuen Bun-
desländern eine große Welle der Kooperationsbereitschaft
ausgelöst. In dieser Eröffnungsphase hat die Bundes-
regierung auch viel politischen Honig aus diesem Pro-
gramm gesaugt: Inno-Regio als Wunderwaffe für den
Osten. Mittlerweile, in der Phase der Umsetzung dieses
Programms, ist große Ernüchterung und vielfach Enttäu-
schung eingetreten. Das vergangene erste Jahr der prakti-
schen Verwirklichung, also der Phase 3 des Programms,
muss als ein verlorenes Jahr registriert werden.


(Heinz Wiese [Ehingen] [CDU/CSU]: Leider wahr!)


Der Mittelfluss lief, wenn überhaupt, erst im zweiten
Halbjahr an. Inno-Regio ist leider nicht zu dem großen
Wurf geworden, den man sich erhofft hatte und der auch
sehr vollmundig angekündigt worden war. Ich selbst be-
dauere dies auch sehr, denn die Idee dieses Programms ist
ausgezeichnet. Wenn man heute mit den Betroffenen re-
det, wird eher abgewunken. Der Schwung und die große
Motivation sind, von ganz wenigen Ausnahmen abgese-
hen, leider verloren gegangen.

Welche Gründe sind dafür verantwortlich? – Die
Hauptursache für den bisher eher bescheidenen Wir-
kungsgrad des Programms ist in dem Umstand zu sehen,
dass moderne Ideen nicht mit alten, tradierten Instrumen-
tarien realisiert werden können. Die großen Freiräume,
die das Programm Inno-Regio richtigerweise bewusst zu-
ließ, wurden praktisch ad absurdum geführt, weil für die
Umsetzung ausschließlich auf die alten, hochbürokrati-
schen Förderinstrumentarien zurückgegriffen wurde. Die
moderne Idee wurde in alte Schablonen gepresst. Dabei




Dr.-Ing. Joachim Schmidt (Halsbrücke)


24933


(C)



(D)



(A)



(B)


hatte ich den Eindruck, dass der politischen Führung im
BMBF diese grundsätzliche Divergenz nicht oder zumin-
dest ganz sicher viel zu spät aufgefallen ist und sie den mit
der Realisierung beauftragten Apparaten offenbar auch
nicht vermittelt werden konnte.

Ein besonderes Hindernis bei der Verwirklichung mo-
derner Vorstellungen – im Übrigen nicht nur bei der For-
schungsförderung – ist die Tatsache, dass die Apparate in
Deutschland vor allem einem Motto folgen: Was ihr for-
dert, können wir nicht machen, denn so etwas haben wir
noch nie gemacht. – Als ich zu Zeiten der DDR mit
großem Respekt und großer Bewunderung via Fernsehen
in die alte Bundesrepublik geschaut habe, konnte ich mir
nicht vorstellen, dass genau diese fortschrittshemmende
Eigenschaft für dieses Land systemimmanente Bedeutung
besitzen könnte. Auch in dieser Hinsicht muss sich also
Wesentliches ändern, wenn wir nicht international weiter
zurückfallen wollen.


(Heinz Wiese [Ehingen] [CDU/CSU]: Richtig!)


Besonders in Ostdeutschland wird die Kooperation
von Wirtschaft, Wissenschaft und Verwaltung zukünftig
eine herausragende – um nicht zu sagen: existenzielle –
Bedeutung erhalten. Netzwerke werden dabei die wich-
tigsten Konstruktionen sein. Ich hoffe deshalb, dass es in
der nächsten Legislaturperiode gelingt, netzwerkorien-
tierte Förderprogramme adäquat umzusetzen. Wenn dazu
gesetzgeberische Aktivitäten notwendig sind, müssen sie
konsequent angegangen werden.

Ich komme zum Schluss. Ich danke allen Kolleginnen
und Kollegen, den anwesenden wie den abwesenden, ins-
besondere denjenigen aus dem Bildungs- und For-
schungsausschuss, für die faire Zusammenarbeit in all den
Jahren. Auch bei den temperamentvollsten und kontro-
versesten Debatten


(Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Jetzt freut sich der Kollege Tauss!)


blieb der gegenseitige Respekt unangetastet und stand nie
zur Disposition. Darüber habe ich mich sehr gefreut.

Ich danke den Mitgliedern meiner Arbeitsgruppe für
die langjährige Unterstützung meiner politischen Inten-
tionen für die ostdeutsche Forschung. Ich wünsche Ihnen
allen für die Zukunft alles Gute und schließe mit einem
herzlichen Glück auf.


(Beifall im ganzen Hause)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1424613100
Auch Ihnen, lieber
Kollege Schmidt, sage ich einen herzlichen Dank. Alle
guten Wünsche für Ihre Zukunft!


(Beifall im ganzen Hause)

Die Kollegen Maritta Böttcher1) und Jörg Tauss2) haben

ihre Reden zu Protokoll gegeben. Ich kann damit die Aus-
sprache schließen.

Tagesordnungspunkt 27 b: Bericht zur technologischen
Leistungsfähigkeit Deutschlands 2001 und Stellungnahme
der Bundesregierung. Interfraktionell wird die Überwei-
sung der Vorlage auf Drucksache 14/9331 an die in der Ta-
gesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind
Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die
Überweisung so beschlossen.

Tagesordnungspunkt 27 c: Beschlussempfehlung und
Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und Tech-
nikfolgenabschätzung auf Drucksache 14/9586. Der Aus-
schuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung
die Ablehnung des Antrags der FDP auf Drucksa-
che 14/5576 mit dem Titel „Förderung der Energie-
speicherforschung“. Wer stimmt für diese Beschluss-
empfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? –
Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von SPD,
Bündnis 90/Die Grünen und PDS gegen die Stimmen der
FDP bei Enthaltung der CDU/CSU angenommen.

Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der
Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion der
FDP auf Drucksache 14/9392 mit dem Titel „Gegen ein
Forschungsverbot in der Gashydratforschung“. Wer stimmt
für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? –
Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und PDS ge-
gen die Stimmen von CDU/CSU und FDP angenommen.

Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Nr. 3 seiner
Beschlussempfehlung, in Kenntnis des Faktenberichts For-
schung 2002 auf Drucksache 14/8040 eine Entschließung
anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung?
– Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschluss-
empfehlung ist mit den Stimmen von SPD und Bündnis 90/
Die Grünen gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP
bei Enthaltung der PDS angenommen.

Tagesordnungspunkt 27 d: Abstimmung über die Be-
schlussempfehlung des Ausschusses für Bildung, For-
schung und Technikfolgenabschätzung auf Drucksache
14/8509 zu dem Antrag der Fraktionen der SPD und des
Bündnisses 90/Die Grünen mit dem Titel „Mehr Frauen
an die Spitze von Wissenschaft und Forschung – durch
Gender Mainstreaming Frauen in Wissenschaft und For-
schung stärken“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag
auf Drucksache 14/7627 anzunehmen. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? –
Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und CDU/
CSU gegen die Stimmen der FDP bei Enthaltung der PDS
angenommen.

Tagesordnungspunkt 27 e: Abstimmung über die Be-
schlussempfehlung des Ausschusses für Bildung, For-
schung und Technikfolgenabschätzung auf Drucksa-
che 14/8096 zu dem Antrag der Fraktion der FDPmit dem
Titel „Ressortforschung überprüfen – Effizienz der For-
schung steigern“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag
auf Drucksache 14/5329 abzulehnen. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Ent-
haltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stim-
men von SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stim-
men von CDU/CSU und FDP bei Enthaltung der PDS
angenommen.




Dr.-Ing. Joachim Schmidt (Halsbrücke)

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(C)



(D)



(A)



(B)


1) Anlage 2
2) Rede lag bei Redaktionsschluss noch nicht vor; wird später abge-

druckt.

Tagesordnungspunkt 27 f: Beratung der Beschluss-
empfehlung des Ausschusses für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung auf Drucksache 14/9496. Der
Ausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussemp-
fehlung in Kenntnis des Berichts gemäß § 56 a der Ge-
schäftsordnung zum Technikfolgenabschätzungsprojekt
„Brennstoffzellen-Technologie“ die Ablehnung des An-
trags der Fraktion der FDPmit dem Titel „Die Brennstoff-
zelle – Technik des 3. Jahrtausends“. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? – Dagegen? – Enthaltungen? –
Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von SPD,
Bündnis 90/Die Grünen und PDS gegen die Stimmen der
CDU/CSU und der FDP angenommen.

Weiterhin empfiehlt der Ausschuss unter Nr. 2 seiner
Empfehlung, in Kenntnis des genannten Berichts gemäß
§ 56 a der Geschäftsordnung eine Entschließung anzuneh-
men. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer
stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfeh-
lung ist mit der gleichen Mehrheit wie eben angenommen.

Zusatzpunkt 15: Abstimmung über den Antrag der
Fraktion der CDU/CSU mit dem Titel „Eine neue Offen-
sive für eine moderne Forschungspolitik“. Wer stimmt für
den Antrag auf Drucksache 14/9538? – Wer stimmt dage-
gen? – Enthaltungen? – Der Antrag ist mit den Stimmen
von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und PDS gegen die
Stimmen von CDU/CSU und FDP abgelehnt.

Zusatzpunkt 16: Abstimmung über den Antrag der
Fraktion der FDP mit dem Titel „Wissenschaft und For-
schung als Motor der gesellschaftlichen Entwicklung und
des wirtschaftlichen Aufschwungs in Deutschland nut-
zen“. Wer stimmt für den Antrag auf Drucksache
14/9567? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der
Antrag ist mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die
Grünen und PDS bei Enthaltung der CDU/CSU und Zu-
stimmung der FDP abgelehnt.

Ich rufe nunmehr den Tagesordnungspunkt 28 auf:
Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen
der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ-
NEN eingebrachten Entwurfs eines Fünften Ge-
setzes zur Änderung des Stasi-Unterlagen-
Gesetzes (5. StUÄndG)

– Drucksache 14/9219 –

(Erste Beratung 239. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Innenaus-
schusses (4. Ausschuss)

– Drucksache 14/9591 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Dieter Wiefelspütz
Hartmut Büttner (Schönebeck)

Cem Özdemir
Dr. Edzard Schmidt-Jortzig
Ulla Jelpke

Hierzu liegen ein Änderungsantrag der Abgeordneten
Ludwig Stiegler, Cem Özdemir und Edzard Schmidt-
Jortzig sowie ein Entschließungsantrag der Fraktion der
PDS vor.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung war für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Die Reden der

Kollegen Wiefelspütz, Büttner (Schönebeck), Özdemir,
Schmidt-Jortzig und Pau sind zu Protokoll gegeben1), so-
dass wir sogleich zur Abstimmung über den von den Frak-
tionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen
eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Stasi-Un-
terlagen-Gesetzes auf Drucksache 14/9219 kommen kön-
nen. Der Innenausschuss empfiehlt in seiner Beschluss-
empfehlung auf Drucksache 14/9591, den Gesetzentwurf
anzunehmen. Es soll über Teile des Gesetzentwurfs ge-
trennt abstimmt werden.

Ich rufe Art. 1 Nr. 1 auf. Ich bitte diejenigen, die zu-
stimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt da-
gegen? – Enthaltungen? – Art. 1 Nr. 1 ist mit den Stimmen
des ganzen Hauses bei Enthaltung der PDS angenommen.

Ich rufe Art. 1 Nr. 2 bis Nr. 11, Art. 2 sowie Einleitung
und Überschrift auf. Es liegt ein Änderungsantrag der Ab-
geordneten Stiegler, Özdemir, Schmidt-Jortzig auf der
Drucksache 14/9641 vor, über den wir zuerst abstimmen.

Wer stimmt für den Änderungsantrag? – Wer stimmt
dagegen? – Enthaltungen? – Der Änderungsantrag ist mit
den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP
gegen die Stimmen von CDU/CSU sowie bei Enthaltung
der PDS angenommen.

Ich bitte nun diejenigen, die Art. 1 Nr. 2 bis Nr. 11 mit
den soeben beschlossenen Änderungen, Art. 2 sowie der
Einleitung und Überschrift zustimmen wollen, um das
Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Stimmenthaltun-
gen? – Art. 1 Nr. 2 bis Nr. 11, Art. 2, Einleitung und Über-
schrift sind mit der gleichen Mehrheit wie zuvor ange-
nommen.

Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung ange-
nommen. Die dritte Beratung kann mit Rücksicht auf die
Annahme des Änderungsantrages in zweiter Beratung
heute noch nicht stattfinden. Über den Entschließungsan-
trag der Fraktion der PDS wird zusammen mit der dritten
Beratung in der nächsten Woche abgestimmt werden.

Damit kommen wir zum Tagesordnungspunkt 29:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Jörg van
Essen, Günther Friedrich Nolting, Dr. Edzard
Schmidt-Jortzig, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der FDP
Rechtssicherheit für die bewaffneten Einsätze
deutscher Streitkräfte schaffen – ein Gesetz zur
Mitwirkung des Deutschen Bundestages bei
Auslandseinsätzen der Bundeswehr einbringen
– Drucksache 14/9402 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und
Geschäftsordnung (f)

Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Verteidigungsausschuss

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die FDP
fünf Minuten erhalten soll. – Ich höre keinen Wider-
spruch. Dann ist so beschlossen.




Präsident Wolfgang Thierse

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(C)



(D)



(A)



(B)


1) Anlage 3

Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen
van Essen, der kaum noch zu halten ist, das Wort.


(Heiterkeit)



Jörg van Essen (FDP):
Rede ID: ID1424613200
Es ist doch schön, wenn Ab-
geordnete um diese Zeit noch eine Spannkraft haben, die
dazu führt, dass sie ans Rednerpult drängen.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das
Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil aus dem
Jahre 1994 die Mindestanforderungen für die parlamenta-
rische Zustimmung zu einem Einsatz von Bundes-
wehrsoldaten im Ausland festgelegt. Es hat aber deutlich
gemacht, dass das Parlament die nähere Ausgestaltung
festlegen kann und muss. Es hat sich in den letzten Jahren
eine Praxis entwickelt, die dazu geführt hat, dass wir uns
in der Geschäftsordnung an den bestehenden Regelungen,
die beispielsweise für die Beratung von Gesetzen beste-
hen, entlanghangeln. Wir alle wissen aber, dass die Zu-
stimmung des Parlaments zu dem Antrag der Bundes-
regierung natürlich kein Gesetzesbeschluss ist.

Es gibt weitere offene Fragen, die beantwortet werden
müssen, beispielsweise: Was ist eigentlich der Einsatz be-
waffneter Streitkräfte? Die bisherige Praxis hat im Übri-
gen gezeigt, dass es in der Bundesrepublik eine Diskus-
sion gibt, ob der Parlamentsvorbehalt in der Form, wie er
zurzeit besteht, weiter bestehen soll – aus Sicht der FDP
hat er sich bewährt – oder ob wir zu Modellen kommen
sollen, wie sie in anderen Staaten bestehen, wo das Parla-
ment nur ein Rückholrecht hat, die Regierung also
zunächst einmal selbstständig entscheiden kann, ob
Streitkräfte eingesetzt werden oder nicht.

Wir als FDP legen sehr großen Wert darauf, dass wir es
bei der bisherigen Praxis des Parlamentsvorbehaltes be-
lassen. Ich meine, dass es auch im Interesse unserer Sol-
daten ist, wenn das Parlament als Ganzes hinter den
Einsätzen der Bundeswehr steht. Trotzdem sind Fragen zu
stellen und zu beantworten. Wir wollen zu dieser Diskus-
sion beitragen. Dazu gehören unter anderem Fragen der
Vorbereitung eines Einsatzes: Man hat etwa die Erfahrung
gemacht, dass die Bundeswehr Transportraum nicht an-
mieten oder Vorkommandos nicht schicken konnte,
während das andere Nationen getan haben und somit in
dem jeweiligen Einsatzland einen Vorteil hatten, weil sie
Gebäude, die nicht zerstört worden sind, früher als die
Soldaten der Bundeswehr für sich requirieren konnten.
Wir sind dort für Offenheit, um sicherzustellen, dass die
Bundeswehr nicht Nachteile gegenüber anderen Nationen
hat.

Eine zweite Frage, die wir bisher nicht beantwortet ha-
ben und die eine zusätzliche Brisanz durch ein Gutachten
bekommen hat, das in diesen Tagen bekannt geworden ist,
ist die Frage: Wie erfolgt eigentlich die Zustimmung,
aber auch die Unterrichtung bei geheim zu haltenden
Operationen? Die Operation kann ja insgesamt geheim zu
halten sein, weil es beispielsweise eine Überraschungsak-
tion geben soll. In diesem Fall können wir vorher nicht im
Bundestag die Einzelheiten wie beispielsweise die Größe
des Kontingents festlegen. Dann könnte sich nämlich der
potenzielle Gegner sofort darauf einstellen, womit die Ge-
heimhaltung durchbrochen wäre.

Wir haben im Augenblick das Problem, dass die Sol-
daten des Kommandos „Spezialkräfte“ in Afghanistan in
einem geheimen Einsatz sind und bisher keinerlei Unter-
richtung des Bundestages erfolgte. Das gerade von mir er-
wähnte Gutachten macht deutlich, dass das Parlament ei-
nen Anspruch auf diese Unterrichtung hat.


(Beifall des Abg. Wolfgang Gehrcke [PDS])

Da wir eine ähnliche Problematik im Bereich der Ge-

heimdienste haben, schlagen wir Ihnen deshalb vor, dass
der Bundestag hierfür ein spezielles Gremium einrichten
soll, das unter Leitung des Bundestagspräsidenten steht
und das in geheimer Wahl zu Beginn einer Legislaturpe-
riode gewählt wird. Dieses Gremium könnte die regel-
mäßige Unterrichtung des Bundestages bei geheimen
Operationen sicherstellen und auf der anderen Seite auch
die Zustimmung bei geheimen Operationen ermöglichen.

Was wir ebenfalls zusätzlich wollen, ist, dass die Ge-
schäftsordnung des Bundestages um das Verfahren für
die Zustimmung des Bundestages erweitert wird und dass
es einen extra Abschnitt für diese Zustimmung gibt, in
dem beispielsweise Ansprüche von Fraktionen auf Unter-
richtung und Information näher definiert werden. Es muss
beispielsweise auch darüber gesprochen werden, wie die
zeitlichen Abläufe sind, was ebenfalls zur parlamentari-
schen Mitsprache gehört. Wir haben daher den Antrag ge-
stellt, dass es zu einer Ergänzung der Geschäftsordnung
des Deutschen Bundestages kommt.

Wir werden diese Diskussion nicht mehr in dieser Le-
gislaturperiode führen können. Wir werden sie aber sofort
zu Beginn der neuen Legislaturperiode aufnehmen müs-
sen. Wir haben bisher Glück gehabt. Bisher gab es näm-
lich keine Operationen, die insgesamt geheim zu halten
waren. Dieser Fall kann aber sehr schnell eintreten. Wir
müssen deshalb darauf vorbereitet sein. Die FDP sorgt mit
ihrem Antrag für die notwendige Diskussion.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1424613300
Ich erteile das Wort
der Kollegin Anni Brandt-Elsweier, SPD-Fraktion.


Anni Brandt-Elsweier (SPD):
Rede ID: ID1424613400
Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als
ich im Jahre 1991 meine erste Rede im Bundestag hielt,
ging es um die Gleichstellung von Mann und Frau, ein
Thema, das mir stets am Herzen gelegen hat und das uns
vor einigen Jahren im Zusammenhang mit der Bundes-
wehr beschäftigte. Damals hätte ich mir noch nicht vor-
stellen können, jemals als Abgeordnete des Deutschen
Bundestages über einen Einsatz unserer Bundeswehr im
Ausland entscheiden zu müssen, geschweige denn in mei-
ner letzten Rede im Bundestag zu diesem Thema reden zu
dürfen.

Ich bin Jahrgang 1932. Der Ausbruch des letzten Welt-
krieges 1939 überraschte meine Mutter und mich während
eines Ferienaufenthaltes bei den niederländischen Groß-
eltern. Wir waren von heute auf morgen im feindlichen
Ausland. Als wir nach großen Schwierigkeiten unsere




Präsident Wolfgang Thierse
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(C)



(D)



(A)



(B)


Wohnung in Duisburg erreichten, war der Vater als Soldat
eingezogen. Ich habe ihn bis 1945 nur während der kur-
zen Urlaubszeiten gesehen.

Wir verloren unsere Wohnung in Duisburg bereits 1942
durch Bomben. Das Ende des letzten Weltkrieges erlebte
ich auf dem Dorf. Ich war 13 Jahre alt. Die amerikani-
schen Besatzungstruppen holten die Zivilbevölkerung des
Dorfes aus den Kellern der Häuser. Wir mussten uns alle
auf dem nahe gelegenen Schulhof versammeln. Ich lief an
der Hand meiner Mutter an erschossenen deutschen Sol-
daten vorbei, die am Vortage noch mit uns geplaudert und
gelacht hatten. Das ist ein Erlebnis, das ich nie vergessen
werde.

Die damalige politische Entscheidung der jungen deut-
schen Republik „Nie mehr deutsche Soldaten“ war sicher
aus der Erfahrung der Menschen, die sie in diesem grau-
samen Krieg gemacht hatten, richtig. Erst 1968 beschloss
man eine Verfassungsänderung und regelte dann in
Art. 12 a Grundgesetz die Wehr- und Dienstpflicht für
Männer vom vollendeten 18. Lebensjahr an, und zwar für
den Fall der Verteidigung der Bundesrepublik Deutsch-
land. Auch diese Entscheidung war angesichts der politi-
schen Entwicklung im Osten sicher richtig und notwendig.

Ab 1990 änderte sich die politische Weltlage rasant.
Nach der Wiedervereinigung und der Beendigung des
Kalten Krieges war auch der Ost-West-Konflikt beendet.
Aber die Bundeswehr wurde nicht überflüssig. Seit dem
Fall der Mauer gab es Schritt für Schritt auch außerhalb
der Grenzen Deutschlands Einsätze der Bundeswehr. Nur
beispielhaft sei daran erinnert, dass von Mai 1992 bis No-
vember 1993 Sanitäter nach Kambodscha geschickt wur-
den, um UNO-Soldaten zu betreuen. Von Juli 1992 bis
Oktober 1996 wurde in der Adria das Waffenembargo im
Hinblick auf die Staaten des früheren Jugoslawien mit
Zerstörern und Aufklärungsflugzeugen überwacht. Von
1993 bis 1995 beteiligten sich Bundeswehrsoldaten an der
NATO-Aktion zur Überwachung des Flugverbotes über
Bosnien.

Von August 1993 bis März 1994 schickte Deutschland
ein Heereskontingent zu einem humanitären Einsatz nach
Somalia und im Jahre 1995 waren Bundeswehrsanitäter in
Kroatien im Einsatz. Zur Sicherung des Dayton-Abkom-
mens beteiligten sich 4 000 Soldaten am IFOR-Einsatz in
Bosnien.

Wieder Jahre später nahmen deutsche Tornadokampf-
flugzeuge an einem begrenzten Luftkrieg der NATO ge-
gen Jugoslawien teil. Bundeswehrsoldaten sind zur Un-
terstützung einer Friedenstruppe im Kosovo und in
Mazedonien. Schließlich beteiligen sich bewaffnete deut-
sche Streitkräfte auch an dem Kampf gegen den Terroris-
mus in Afghanistan.

Die Entsendung deutscher Kontingente war stets
von Beschlüssen des Bundestages begleitet. Denn der
Parlamentsvorbehalt für den militärischen Einsatz von
Streitkräften entspricht seit 1918 deutscher Verfassungs-
tradition. So sollte es auch bleiben.

Nicht immer waren diese Entscheidungen im Bundes-
tag einstimmig. So habe ich seinerzeit gegen den Einsatz
der deutschen Truppen im Kosovo gestimmt, weil ich, wie
ich Ihnen bereits geschildert habe, den Krieg hautnah er-

lebt habe und weiß, was ein Krieg sowohl für die Solda-
ten als auch für die Zivilbevölkerung mit sich bringen
kann.

Die Beteiligung deutscher Streitkräfte in Mazedonien
hat meine Zustimmung gefunden, weil ich nach langer
und reiflicher Überlegung zu dem Schluss gekommen bin,
dass es sich hier nicht um die Beteiligung an einem Krieg,
sondern um eine friedenserhaltende Maßnahme handelt.
Im Nachhinein ist dies ja auch bestätigt worden. Im Fall
Mazedonien gelang es durch Verhandlungen im Vorfeld
erstmalig, eine Krise zu entschärfen und einen von allen
Konfliktparteien unterstützten Friedensvertrag auszuhan-
deln. Damit stand keine kriegerische, sondern eine politi-
sche Lösung des Konflikts im Vordergrund.

Der 11. September 2001 hat die Situation weltweit ent-
scheidend verändert. Der Terroranschlag in den USA
hat gezeigt, wie verletzlich die westliche Welt und damit
auch unsere Demokratie sein kann. Bei dem Kampf gegen
den internationalen Terrorismus handelt es sich nicht um
einen Krieg. Krieg führt man gegen Staaten; ein Staat er-
klärt einem anderen den Krieg. Hier bedrohen uns terro-
ristische Kräfte, die nicht greifbar sind. Sie zielen auf eine
Destabilisierung der westlichen Welt – mit unabsehbaren
Konsequenzen auch für uns.

Deshalb habe ich mich seinerzeit entschlossen, dem
Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte bei der Unter-
stützung der gemeinsamen Reaktion auf terroristische
Angriffe zuzustimmen, auch wenn mir dies persönlich un-
geheuer schwer gefallen ist. Dennoch möchte ich dafür
plädieren, dass dem Bundestag auch in Zukunft derartige
tief greifende Entscheidungen vorbehalten bleiben. Die-
sen Parlamentsvorbehalt hat das Bundesverfassungsge-
richt in seinem Urteil vom 12. Juli 1994 ausdrücklich be-
kräftigt und davon sollte man nicht abrücken.


(Beifall des Abg. Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Jörg van Essen [FDP]: Sehr richtig!)


Auch im vorliegenden Antrag der FDPwird davon aus-
gegangen, dass grundsätzlich der Deutsche Bundestag mit
der Mehrheit seiner Mitglieder über den Einsatz bewaff-
neter deutscher Streitkräfte entscheiden soll. Die in die-
sem Antrag verlangte Kanzlermehrheit würde allerdings
eine Verfassungsänderung mit sich bringen. Denn nach
dem so genannten Adria-Beschluss des Bundesverfas-
sungsgerichtes hat der Bundestag über Einsätze nach
Art. 42 Abs. 2 des Grundgesetzes zu beschließen, das
heißt mit der Mehrheit der abgegebenen Stimmen, „so-
weit dieses Grundgesetz nichts anderes bestimmt“, Herr
van Essen. Wollten wir also eine Kanzlermehrheit, müss-
ten wir die Verfassung ändern.

Der Antrag geht von einem dringenden Handlungsbe-
darf aus. Ich vermag allerdings eine besondere Eilbedürf-
tigkeit nicht zu erkennen. Zwar hat das Bundesverfas-
sungsgericht in dem oben genannten Urteil erklärt – Sie
sagten es bereits –, es sei Sache des Gesetzgebers, jenseits
der im Urteil dargelegten Mindestanforderungen und Gren-
zen des Parlamentsvorbehalts für den Einsatz bewaffneter
Streitkräfte die Form und das Ausmaß der parlamentari-
schen Mitwirkung näher zu gestalten. Für eine derartige ge-
setzgeberische Gestaltung, die sicherlich wünschenswert




Anni Brandt-Elsweier

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(C)



(D)



(A)



(B)


ist, hat das Bundesverfassungsgericht jedoch weder eine
Frist gesetzt noch ein ausdrückliches Gebot aufgestellt.
Ich vermag deshalb nicht festzustellen, jedenfalls zurzeit
nicht, dass es hier einer unverzüglichen gesetzlichen
Regelung bedarf.


(Jörg van Essen [FDP]: Keine Information über die KSK-Einsätze!)


Ebenso wenig ist von einer Rechtsunsicherheit auszu-
gehen. Wir sind ja bisher auch ohne eine ausdrückliche ge-
setzliche Regelung unseren Verpflichtungen nachgekom-
men, die international von uns erwartet werden. Das ist
auch richtig so. In Eilfällen muss eben wie bisher der Bun-
destag zu einer Sondersitzung zusammenkommen. Wir ha-
ben das in der Vergangenheit ja schon mehrfach gemacht.

Inhaltlich habe ich bei einigen der im Antrag enthalte-
nen Vorschläge doch erhebliche Bedenken. Sie gehen – da
kann ich nur Sie ansprechen, lieber Kollege von der FDP-
Fraktion – davon aus, dass dem Bundestag ein allge-
meines Rückholrecht nicht zusteht. Dieses Thema ist in
der Debatte über den Vertrauensantrag des Bundeskanz-
lers am 16. November 2001 bereits kontrovers behandelt
worden. Damals betonte unser Fraktionsvorsitzender
Dr. Peter Struck ausdrücklich, dass der Bundestag jeder-
zeit eine anders lautende Entscheidung treffen könne. Ich
teile diese Auffassung, aber letztlich werden wir hierzu
Sachverständige des Verfassungsrechts hören müssen.

Soweit der Antrag in Fällen der Geheimhaltungsbe-
dürftigkeit eines Einsatzes vorschlägt, Entscheidungsbe-
fugnisse an ein spezifisches Gremium zu übertragen, wirft
dies allerdings die Frage der Zulässigkeit der Delegation
parlamentarischer Befugnisse auf Untergremien auf.
Problematisch erscheint mir in diesem Zusammenhang
auch, wer gegebenenfalls befindet, ob eine Sache als ge-
heimhaltungsbedürftig eingestuft wird und damit dem be-
treffenden Gremium zuzuweisen ist.


(Jörg van Essen [FDP]: Das gehört zum Gesetzgebungsverfahren!)


Bedenklich ist ferner, dass laut Antrag die Bundesre-
gierung der Herr des weiteren Gesetzgebungsverfahrens
werden soll. Da es sich hier um ein Recht des Parlaments
gemäß dem so genannten Adria-Beschluss des Bundes-
verfassungsgerichtes handelt, muss das Parlament meines
Erachtens schon bei der Prägung der gesetzlichen Inhalte
entscheidend beteiligt sein. Wir werden wegen dieser Be-
denken diesem Antrag heute nicht zustimmen können.

Ich habe allerdings auch Zweifel hinsichtlich der
Ernsthaftigkeit des Anlieges, Herr van Essen, da aufgrund
des späten Einbringens des Antrages in der vorletzten Sit-
zungswoche und aufgrund der komplexen und zahlrei-
chen Rechtsfragen, die mit dieser Materie verbunden
sind, eine sachgerechte und fundierte Beratung und Ent-
scheidung auf Ausschussebene sicherlich nicht mehr
möglich ist. Ich darf Sie daran erinnern, dass Sie in der da-
maligen Regierungskoalition von 1994 bis 1998 sicher-
lich auch schon reichlich Gelegenheit hatten, eine der-
artige Initiative zu ergreifen.


(Jörg van Essen [FDP]: Die haben wir auch gestartet, sind aber am Koalitionspartner gescheitert!)


– Oh! Das höre ich jetzt.

Der nächste Bundestag wird ein solches Gesetzge-
bungsvorhaben sicherlich gründlich und sorgfältig zu prü-
fen haben.

Ich werde dem nächsten Bundestag nicht mehr an-
gehören, bin aber dankbar, dass ich heute die Gelegenheit
erhalten habe, zum letzten Mal in diesem Plenum in die-
sem schönen Reichstagsgebäude reden zu dürfen. Ich habe
zwölf Jahre spannender und interessanter parlamentari-
scher Tätigkeit erlebt. Ich danke allen, die mich in Bonn
und Berlin auf diesem Weg begleitet haben, insbesondere
denen, die in den Ausschüssen, in denen ich mitgearbeitet
habe, immer dabei waren. Herzlichen Dank auch denen,
die heute treu ausgeharrt und mir zugehört haben.

Danke schön.

(Beifall im ganzen Hause)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1424613500
Liebe Kollegin
Brandt-Elsweier, ich möchte auch Ihnen ein sehr, sehr
herzliches Dankeschön für Ihre zwölfjährige Arbeit sagen
und Ihnen im Namen des ganzen Hauses alles, alles Gute
für die nächsten Jahrzehnte wünschen. Herzlichen Dank.


(Beifall)

Nun erteile ich dem Kollegen Winfried Nachtwei,

Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.


Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1424613600

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr
geehrte Damen und Herren! Auslandseinsätze der Bun-
deswehr sind kein Mittel der Politik wie viele andere. Sie
sind in der Regel besonders riskant und begründungsbe-
dürftig. Die Entscheidung über den Auslandseinsatz der
Bundeswehr darf nicht in New York, in Washington oder
in Brüssel gefällt werden. Das Bundesverfassungs-
gericht hat in seinem Urteil vom 12. Juli 1994 klargestellt,
dass diese Verantwortung auch nicht allein der Bundes-
regierung überlassen werden darf; es ist der Deutsche
Bundestag, der konstitutiv über den Einsatz bewaffneter
deutscher Streitkräfte zu entscheiden hat.

Die parlamentarische Entscheidungshoheit über den
Einsatz der Streitkräfte ist eine fundamentale demokrati-
sche Errungenschaft. Das Parlament ist der Ort, an dem
über Einsätze der Bundeswehr entschieden und die Kon-
trollaufgabe wahrgenommen werden muss.

Die FDP hatte 1994 ein Entsendegesetz angekündigt,
den Worten aber keine Taten folgen lassen. Man muss sich
natürlich fragen, warum die FDP gerade jetzt, kurz vor
dem Ende der Legislaturperiode, mit einem Antrag
kommt, der keine Antworten gibt, sondern nur Fragen
stellt. Die Antwort steht im so genannten Regierungspro-
gramm der CDU/CSU. Dort heißt es:

Wir streben bei der Vorbereitung und Durchführung
von Beteiligungen der Bundeswehr an multilateralen
Friedenseinsätzen mehr Flexibilität an und werden
dafür die rechtlichen Grundlagen schaffen.

Die FDP steht in Gefahr,

(Jörg van Essen [FDP]: Überhaupt nicht!)





Anni Brandt-Elsweier
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(D)



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(B)


sich als parlamentarischer Büchsenöffner des Kanzler-
kandidaten Stoiber zu betätigen.


(Jörg van Essen [FDP]: Sie haben den Antrag nicht gelesen!)


– Doch, Sie werden gleich feststellen, dass ich das getan
habe.

Wir sehen mit großer Sorge, dass innerhalb der CDU/
CSU Pläne geschmiedet werden, wie nach der Bundestags-
wahl die Rechte des Parlaments in diesem Zusammenhang
eingeschränkt werden können. Jeder Versuch, die Mitwir-
kungsrechte des Parlaments zu begrenzen oder die Einsatz-
möglichkeiten der Bundeswehr auf Polizeiaufgaben im In-
nern auszuweiten, wird von uns rundweg abgelehnt.

Wir haben in den vergangenen Jahren, seit dem Bun-
desverfassungsgerichtsurteil von 1994, umfassende Er-
fahrungen mit den jeweils sehr verschiedenen Einsätzen
der Bundeswehr gemacht. Kein Einsatz glich dem ande-
ren. Vor allem nach dem 11. September gilt es, in Teilbe-
reichen eine Klärung und Verständigung über Kriterien
und Verfahren, nach denen der Einsatz bewaffneter deut-
scher Streitkräfte erfolgen kann und soll, vorzunehmen.

Dabei muss es darum gehen, das Völkerrecht und die
Rechte des Parlaments zu stärken. Erste Anforderung an
die Rechtmäßigkeit von Auslandseinsätzen ist ihre
völkerrechtliche Legalität.


(Jörg van Essen [FDP]: Völlig klar!)

Diese war strittig im Fall der deutschen Beteiligung an
den NATO-Luftangriffen auf die Bundesrepublik Jugo-
slawien.

Konsens besteht bei den Koalitionsfraktionen und, wie
ich glaube, auch bei der Opposition darüber, dass das Übel
einer Nichtmandatierung durch den VN-Sicherheitsrat
nicht als Präzedenzfall, sondern als Ausnahme in einem
Wertekonflikt und bei einer völkerrechtlichen Regelungs-
lücke verstanden werden darf.

Die rot-grüne Bundesregierung hat seitdem bewiesen
– ich betone: bewiesen –, dass sie bei Auslandseinsätzen
eine eindeutige völkerrechtliche Legitimation zur Voraus-
setzung macht und deshalb auch immer eine Mandatie-
rung durch den VN-Sicherheitsrat angestrebt hat.

Neue Fragen ergeben sich allerdings im Kontext der
militärischen Bekämpfung des internationalen Terroris-
mus.Hier gab der VN-Sicherheitsrat mit den einschlägigen
Resolutionen eine – so will ich es nennen – Einstiegslegiti-
mation, indem er das naturgegebene Recht zur individuellen
und kollektiven Selbstverteidigung bekräftigte.

Immer deutlicher stellt sich aber die Frage, wo die
Grenzen dieses Selbstverteidigungsrechts sind. Wenn die
US-Regierung inzwischen das Recht für sich in Anspruch
nimmt, gegebenenfalls mit Präemptionsangriffen zu jeder
Zeit und an jedem Ort gegen terroristische Bedrohungen
vorzugehen, dann wird damit das allgemeine Gewaltver-
bot der VN-Charta unterhöhlt und seine Beachtung in das
Belieben der Stärksten gestellt.

Für die Bundesrepublik muss demgegenüber klar sein:
Militärische Bekämpfung des internationalen Terroris-
mus und anderer Bedrohungen wie zum Beispiel der

Piraterie muss Teil globaler Ordnungspolitik und Aufgabe
von Systemen kollektiver Sicherheit sein. Nur hierüber
erfährt sie völkerrechtliche Legalität und Begrenzung.

Der konstitutive Parlamentsvorbehalt ist nicht nur
verfassungsrechtlich vorgeschrieben, sondern auch poli-
tisch überaus sinnvoll. Er gewährleistete bisher eine be-
sonders intensive parlamentarische Beratung und trug zu
einer breiten Konsensbildung bei. Der Parlamentsvorbe-
halt ist ein Eckstein der militärpolitischen Zurückhaltung
der Bundesrepublik und bleibt unverzichtbar.

Laut Urteil des Bundesverfassungsgerichts liegt ein
Einsatz bewaffneter Streitkräfte von dem Punkt an vor,
wenn Bundeswehrsoldaten „in bewaffnete Unternehmun-
gen einbezogen“ werden können.

Beobachtermissionen und unbewaffnete Hilfseinsätze
fallen also nicht darunter. Abgrenzungsprobleme stellen
sich aber in der Tat bei Hilfseinsätzen mit Selbstschutz-
komponenten sowie bei bewaffneten Erkundungs- und
Vorauskommandos.

Bei einer Klärung dieser Fragen ist zweierlei zu
berücksichtigen. Erstens darf der konstitutiven Befassung
des Parlaments nicht vorgegriffen werden, sie darf nicht
präjudiziert werden. Zweitens ist zu berücksichtigen, dass
nach aller Erfahrung mit VN-Friedensmissionen eine
schnelle Einsatzbereitschaft der nationalen Kontingente
von entscheidender Bedeutung für die Wirksamkeit von
Friedensmissionen ist.

Die Streitkräfte und das Regierungshandeln im mi-
litärischen Bereich unterliegen einer besonderen parla-
mentarischen Kontrolle durch den Verteidigungsaus-
schuss, den Wehrbeauftragten und das Budgetrecht des
Parlaments. Der Einsatz von Spezialkräften erfordert zum
Schutz ihrer Operationen selbstverständlich besondere
Geheimhaltung. Seit Gründung des Kommandos „Spezi-
alkräfte“ hat meine Fraktion auf den strukturellen
Konflikt zwischen dem Verfassungsgebot der parlamenta-
rischen Kontrolle und den besonderen Geheimhaltungser-
fordernissen hingewiesen und eine Regelung angemahnt.
Seit der Beteiligung von Spezialsoldaten an „Enduring
Freedom“ ist der Regelungsbedarf offenkundig und dring-
lich. Einerseits agieren die Bundeswehrsoldaten im Kon-
text verdeckter und unkonventioneller Einsätze, wo sich
die Frage aufdrängt, wie dabei die Regeln des Kriegsvöl-
kerrechts eingehalten werden können. Andererseits ist bis-
her eine parlamentarische Kontrolle durch den Verteidi-
gungsausschuss nicht gewährleistet. Die unverzichtbare
parlamentarische Kontrolle ist meiner Meinung nach an-
gemessen nur durch ein der Geheimdienstkontrolle ver-
gleichbares Gremium zu gewährleisten.


(Jörg van Essen [FDP]: Unser Vorschlag!)

Unter Bundeswehrangehörigen wie auch in der Bevöl-

kerung insgesamt – da sollten wir uns keine Illusionen
machen – gibt es Verunsicherung über Kriterien und Per-
spektiven von Auslandseinsätzen. Hier mehr Klarheit zu
schaffen gehört zu den wichtigen Aufgaben des nächsten
Bundestages.

Danke schön.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)





Winfried Nachtwei

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(C)



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Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1424613700
Die Kollegin Kenzler
und der Kollege von Klaeden haben ihre Reden zu Proto-
koll gegeben.1) Ich schließe damit die Aussprache.

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 14/9402 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Vorlage soll zu-
sätzlich an den Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität
und Geschäftsordnung überwiesen werden, bei dem ab-
weichend von der Tagesordnung die Federführung liegen
soll. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall.
Dann ist die Überweisung so beschlossen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 30 a und b auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen

der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ver-
besserung der Vorsorge und Rehabilitation für
Mütter
– Drucksache 14/9035 –

(Erste Beratung 236. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Gesundheit (14. Ausschuss)

– Drucksachen 14/9563, 14/9611 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Detlef Parr

b) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen
der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Siche-
rung der Betreuung und Pflege schwerstkran-
ker Kinder
– Drucksache 14/9031 –

(Erste Beratung 236. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Gesundheit (14. Ausschuss)

– Drucksache 14/9585 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Margrit Spielmann

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch; dann ist so beschlossen.

Die Reden sind zu Protokoll gegeben worden.2) Des-
halb kann ich die Aussprache sogleich schließen.

Wir kommen zur Abstimmung über den von den Frak-
tionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen ein-
gebrachten Gesetzentwurf zur Verbesserung der Vorsorge
und Rehabilitation für Mütter, Drucksache 14/9035. Der
Ausschuss für Gesundheit empfiehlt in seiner Beschluss-
empfehlung, den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung
anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf
in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das
Handzeichen. – Gibt es Gegenstimmen? – Gibt es Stimm-
enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Bera-
tung einstimmig angenommen.

Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Der
Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen.

Tagesordnungspunkt 30 b: Wir kommen zur Abstim-
mung über den von den Fraktionen der SPD und des
Bündnisses 90/Die Grünen eingebrachten Gesetzentwurf
zur Sicherung der Betreuung und Pflege schwerstkranker
Kinder, Drucksache 14/9031. Der Ausschuss für Gesund-
heit empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Druck-
sache 14/9585, den Gesetzentwurf in der Ausschuss-
fassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wol-
len, um das Handzeichen. – Der Gesetzentwurf ist damit
in zweiter Beratung einstimmig angenommen.

Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Der
Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 31 a und b auf:
a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-


(14. Ausschuss)

Kühn-Mengel, Hildegard Wester, Regina Schmidt-
Zadel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
SPD sowie der Abgeordneten Monika Knoche,
Christa Nickels, Irmingard Schewe-Gerigk, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNIS-
SES 90/DIE GRÜNEN
Brustkrebs – Mehr Qualität bei Früherken-
nung, Versorgung und Forschung – Für ein
Mammographie-Screening nach europäischen
Leitlinien
– Drucksachen 14/6453, 14/9122 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Annette Widmann-Mauz

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Detlef
Parr, Dr. Dieter Thomae, Dr. Irmgard Schwaetzer,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Für ein Gesamtkonzept zur Verbesserung der
Versorgung bei Brustkrebs
– Drucksache 14/9099 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit (f)

Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

Die Reden sind zu Protokoll gegeben.3) Damit erübrigt
sich heute die Aussprache.

Wir kommen sogleich zur Abstimmung über die Be-
schlussempfehlung des Ausschusses für Gesundheit auf
Drucksache 14/9122 zu dem Antrag der Fraktionen der
SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen mit dem Titel
„Brustkrebs – Mehr Qualität bei Früherkennung, Versor-






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1) Anlage 4
2) Anlage 5 3) Anlage 6

gung und Forschung – Für ein Mammographie-Screening
nach europäischen Leitlinien“. Der Ausschuss empfiehlt,
den Antrag auf Drucksache 14/6453 in der Ausschussfas-
sung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussemp-
fehlung? – Die Beschlussempfehlung ist einstimmig an-
genommen.

Tagesordnungspunkt 31 b: Interfraktionell wird Über-
weisung der Vorlage auf Drucksache 14/9099 an die in der
Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist
die Überweisung so beschlossen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 32 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Heidi
Lippmann, Monika Balt, Petra Bläss, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion der PDS
Deutsche Einheit in der Bundeswehr herstellen
– Drucksache 14/8920 –
Überweisungsvorschlag:
Verteidigungsausschuss (f)

Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die PDS
fünf Minuten erhalten soll. Der Kollege Wolfgang
Gehrcke nimmt sie in Anspruch, alle anderen Redner ha-
ben ihre Reden zu Protokoll gegeben.1) Bitte schön, Herr
Kollege Gehrcke.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1424613800
Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Ich weiß natürlich, dass man
sich nicht besonders viel Sympathie einhandelt, wenn
man freitags abends noch solch einen Tagesordnungs-
punkt gestaltet. Das Thema liegt mir aber sehr am Herzen.
Ich hätte vielleicht sogar darauf verzichtet, meine Rede zu
halten, wenn mir nicht heute Morgen ein Schreiben des
Verteidigungsministeriums auf den Tisch gekommen
wäre, das meine Absicht, Ihnen ein Problem vorzutragen,
nur noch erhärtet hat.

Bereits der Titel unseres Antrags „Deutsche Einheit in
der Bundeswehr herstellen“ macht darauf aufmerksam,
dass wir es in der Bundeswehr – und nicht nur dort – mit
Staatsbürgern erster und zweiter Klasse zu tun haben.
Dies wollen wir ändern. Deswegen beantragen wir, die
deutsche Einheit in der Bundeswehr herzustellen. Unser
Vorschlag ist moralisch berechtigt, rechtlich möglich und
finanzierbar.

Das Bundesverteidigungsministerium vertritt aller-
dings in einem Schreiben vom 10. April 2002 die Auffas-
sung – ich zitiere –:

Das Bundesministerium der Verteidigung vermag
aber auch darüber hinaus, erst recht heute, elfeinhalb
Jahre nach Auflösung der NVA, kein überwiegendes

politisches oder gesellschaftliches Interesse ... zu er-
kennen.

Der Verteidigungsminister sagt also im Klartext: Es gibt
dort eigentlich kein Problem und kein öffentliches Inte-
resse daran. Das ist nicht akzeptabel.

Der Kern, der geändert werden muss, ist die Einord-
nung der Dienstzeiten in der NVA als „gedient in frem-
den Heeren“. Dies ist der Kern aller Auseinandersetzun-
gen. Ich glaube, dass dieser Begriff heute erst recht als
diffamierend empfunden wird. Es handelt sich im Übri-
gen um eine soziale Benachteiligung. Ich weiß mich hier
übrigens auch mit den Verteidigungsexperten der FDP in
Übereinstimmung, die dies genauso sehen.

Diese Feststellung führt dazu, dass zum Beispiel Vor-
dienstzeiten zwar rentenrechtlich berücksichtigt, aber
nicht als Pensionszeiten anerkannt werden. Dies heißt im
Klartext: Ein Feldwebel der Bundeswehr, der mit 53 Jah-
ren in den Ruhestand geschickt wird, liegt mit seinen Be-
zügen knapp über dem Sozialhilfesatz.

Ich habe vor kurzem einen Brief bekommen, der einen
konkreten Fall betrifft. Diesen möchte ich knapp darstel-
len: Ein Angehöriger der Bundeswehr wurde mit 53 Jah-
ren in den Ruhestand versetzt. Er war insgesamt 13 Jahre
bei der Bundeswehr, davor bei der NVA. Er erhält für den
Zeitraum zwischen 53 und 65 Jahren 44 Prozent der Be-
züge. Wenn er nur bei der Bundeswehr gewesen wäre,
hätte er 75 Prozent der Bezüge erhalten. Ihm gehen also
30 Prozent verloren. Dies ist moralisch, rechtlich und po-
litisch nicht zu verantworten.


(Beifall bei der PDS)

Hinzu kommt noch ein anderes Problem: Sie schicken

Soldaten aus Ost und West zu Auslandseinsätzen, die ris-
kant sind, wie wir eben noch einmal gehört haben. Die Be-
soldung jedoch ist unterschiedlich. Ich finde, solche
Dinge dürfen nicht aufrechterhalten werden.

Angehörige der NVA, die in die Bundeswehr über-
nommen wurden, sind in ihrem Dienstrang herabgestuft
worden. Ehemalige Angehörige der NVAdürfen ihren er-
worbenen Dienstrang auch nicht mit dem Zusatz „außer
Dienst“ führen, anders als Angehörige der Bundeswehr
oder der ehemaligen Wehrmacht. Auch hierzu möchte ich
das Verteidigungsministerium zitieren, damit Sie erken-
nen können, mit welchem Problem wir es zu tun haben.
Das Verteidigungsministerium schreibt dazu:

Wer das Recht auf Führung von NVA-Dienstgradbe-
zeichnungen fordert, tut dies vorwiegend, weil er
seine Privilegien eingebüßt hat und das Recht auf
Dienstgradführung ihm wenigstens die Möglichkeit
gäbe, nach außen hin seine einstige gesellschaftliche
Stellung zu dokumentieren.

Das ist Klartext Bundeswehr! Das ist schlichtweg eine
Diffamierung der betroffenen Menschen.

Ich will gar nicht über Privilegien reden. Ich finde, der-
jenige, der es möchte – das wäre niemals mein Problem;
ich bin Hanseat, wir machen das nicht –,


(Heiterkeit)





Präsident Wolfgang Thierse

24941


(C)



(D)



(A)



(B)


1) Anlage 7

soll seinen Dienstgrad mit dem Zusatz „a. D.“ führen kön-
nen, egal ob Bundeswehr, Wehrmacht oder NVA.

Mit dieser Begründung der Bundeswehr wird das
Ganze auf den Kopf gestellt. Man unterstellt, dass der
Betroffene nicht ruhen wird – ich zitiere wieder –, „bis
er die völlige rechtliche Gleichstellung mit den Solda-
ten der Bundeswehr auch in anderen Bereichen erlangt
hat.“ Erstens. Das ist eine Unterstellung. Zweitens. Ist
es eigentlich ein Verbrechen, dass jemand, der bei der
NVA war, seine völlige Gleichstellung mit anderen An-
gehörigen der Bundeswehr erlangen will? So argumen-
tiert das Verteidigungsministerium. Ich habe korrekt zi-
tiert.

Das wollte ich Ihnen vortragen. Ich finde, es ist nicht
akzeptabel, so mit Menschen umzugehen. Deswegen
muss das beraten und verändert werden. Eine rechtliche,
moralische und politische Gleichstellung für alle An-
gehörigen der Bundeswehr und ehemaligen Angehörigen
der NVA ist herbeizuführen.

Das kann rasch befördert werden, weil es ein über-
schaubarer Personenkreis ist. Wir könnten es ohne Pro-
bleme machen. Ich höre immer wieder von Leuten aus
dem Bereich der Verteidigung, dass eigentlich alle dafür
sind, es zu tun. Woran liegt es denn dann, dass dieses Ver-
teidigungsministerium es nicht gewährleisten will? Feh-
lendes Geld kann nicht der Grund sein; denn Geld ist in
anderen Bereichen offensichtlich vorhanden.

Darum möchte ich Sie an diesem Freitagnachmittag
bitten. Ich weiß, dass ehemalige Angehörige der NVAdies
sehr aufmerksam und wach verfolgen. Ich weiß nicht, was
meine anderen Kolleginnen und Kollegen gesagt hätten,
wenn sie gesprochen hätten. Ich werde es nachlesen. Ich
hoffe, dass sie sich alle für den Vorschlag, den wir unter-
breiten, zumindest im schriftlichen Text ausgesprochen
haben.

Herzlichen Dank für Ihre Mühe und dafür, dass Sie
mich am Freitagabend noch angehört haben.


(Beifall bei der PDS)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1424613900
Ich schließe die Aus-
sprache.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 14/8920 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einver-
standen? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
beschlossen.

Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesord-
nung.

Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes-
tages auf Mittwoch, den 3. Juli 2002, 13 Uhr, ein.

Die Sitzung ist geschlossen.