Protokoll:
14245

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 14

  • date_rangeSitzungsnummer: 245

  • date_rangeDatum: 27. Juni 2002

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:00 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 00:56 Uhr

  • account_circleMdBs dieser Rede
  • tocInhaltsverzeichnis
    Nachträgliche Glückwünsche zum Geburtstag der Abgeordneten Friedhelm Ost, Wolfgang Zöller und Lothar Fischer (Homburg) . . . . . 24611 A Benennung der Abgeordneten Hans- Eberhard Urbaniak, Jörg-Otto Spiller, Gerda Hasselfeldt, Heinz Seiffert und Christine Scheel als ordentliche Mitglieder des Verwaltungsrates der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht . . . . . . . . . . . . . 24611 B Benennung der Abgeordneten Dr. Konstanze Wegner, Nina Hauer, Bartholomäus Kalb, Otto Bernhard und Antje Hermenau als stellvertretende Mitglieder des Verwaltungs- rates der Bundesanstalt für Finanzdienstleis- tungsaufsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24611 B Erweiterung und Änderung der Tagesordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24611 B, 24650 B Absetzung des Tagesordnungspunktes 7 f . . . 24612 D Änderung einer Ausschussüberweisung . . . . . 24612 D Begrüßung des Präsidenten des Bundesrech- nungshofes, Herrn Dr. Dieter Engels . . . . . . 24783 D Tagesordnungspunkt 2: Abgabe einer Regierungserklärung: Inves- titionen für eine leistungsfähige Ver- kehrsinfrastruktur – Mobilität für die Zukunft sichern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24613 A in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 2: Antrag der Abgeordneten Horst Friedrich (Bayreuth), Hans-Michael Goldmann, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Politik für ein mobiles Deutschland (Drucksache 14/9551) . . . . . . . . . . . . . . . . 24613 A in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 3: Antrag der Abgeordneten Dr. Winfried Wolf, Pia Maier, Roland Claus und der Fraktion der PDS: Erhalt des ICE-Schie- nenknotens Mannheim – flächenhafter Ausbau der Bahn mit Stärkung des ICE- Knotens Mannheim und Einbindung von Darmstadt und Heidelberg in den Schienenpersonenverkehr (Drucksache 14/9546) . . . . . . . . . . . . . . . . 24613 B in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 4: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Verkehr, Bau- und Wohnungs- wesen zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Winfried Wolf, Dr. Ilja Seifert, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der PDS: Erhalt der Bahnwerke – behinderten- gerechte Umrüstung des Wagenparks der DB AG (Drucksachen 14/9365, 14/9559) . . . . . . . 24613 B in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 5: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Verkehr, Bau- und Wohnungs- wesen zu dem Antrag der Abgeordneten Plenarprotokoll 14/245 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 245. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 27. Juni 2002 I n h a l t : Dr. Winfried Wolf, Eva Bulling-Schröter, Rosel Neuhäuser und der Fraktion der PDS: Innerdeutschen Luftverkehr auf die Bahn verlagern (Drucksachen 14/9255, 14/9592) . . . . . . . 24613 B in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 6: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Verkehr, Bau- und Wohnungs- wesen – zu dem Antrag der Abgeordneten Heide Mattischeck, Reinhard Weis (Stendal), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Albert Schmidt (Hitzhofen), Franziska Eichstädt-Bohlig, weiterer Abgeordne- ter und der Fraktion des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN: Zukunft der Instandhaltungswerke der Deut- schen Bahn AG – zu dem Antrag der Abgeordneten Renate Blank, Dr. Hans-Peter Uhl, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Instandhaltungswerke der Deutschen Bahn AG in Nürnberg und München erhalten – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Michael Luther, Wolfgang Dehnel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Instandhaltungs- werke der Deutschen Bahn AG in Delitzsch, Chemnitz, Opladen und Zwickau erhalten – neue Investoren für Stendal, Leipzig-Engelsdorf und Neustrelitz – zu dem Antrag der Abgeordneten Horst Friedrich (Bayreuth), Hans-Michael Goldmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Neues Konzept für Ausbesserungswerke der Deut- schen Bahn AG vorlegen (Drucksachen 14/7179, 14/7147, 14/7282, 14/7158, 14/8528) . . . . . . . . . 24613 C Kurt Bodewig, Bundesminister BMVBW . . . 24613 D Dr. Klaus W. Lippold (Offenbach) CDU/CSU 24618 B Reinhard Weis (Stendal) SPD . . . . . . . . . . . . 24620 D Dr. Ilja Seifert PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24621 D Horst Friedrich (Bayreuth) FDP . . . . . . . . . . . 24624 C Albert Schmidt (Hitzhofen) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24626 C Dr. Winfried Wolf PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . 24630 A Iris Gleicke SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24631 D Günter Nooke CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . 24633 B Hans-Günter Bruckmann SPD . . . . . . . . . . . . 24634 C Renate Blank CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . 24635 D Klaus Hasenfratz SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24637 D Dr. Winfried Wolf PDS . . . . . . . . . . . . . . . 24639 B Dirk Fischer (Hamburg) CDU/CSU . . . . . . . . 24641 D Tagesordnungspunkt 3: a) Große Anfrage der Fraktion der CDU/CSU: Situation und Perspek- tiven der Landwirtschaft in Deutsch- land (Drucksachen 14/8072, 14/9461) . . . . . 24642 C b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft – zu der Unterrichtung durch die Bun- desregierung: Agrarbericht 2001 – Agrar- und ernährungspoliti- scher Bericht der Bundesregie- rung – zu dem Entschließungsantrag der Abgeordneten Marita Sehn, Ulrich Heinrich, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP zu der Unterrichtung durch die Bundes- regierung: Agrarbericht 2001 – Agrar- und ernährungspoliti- scher Bericht der Bundesregie- rung – zu dem Entschließungsantrag der Abgeordneten Ulrich Heinrich, Gudrun Kopp, weiterer Abgeordne- ter und der Fraktion der FDP zu der Unterrichtung durch die Bundes- regierung: Agrarbericht 2001 – Agrar- und ernährungspolitischer Bericht der Bundesregierung – zu dem Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU zu der Unterrichtung durch die Bundes- regierung: Agrarbericht 2001 – Agrar- und ernährungspolitischer Bericht der Bundesregierung (Drucksachen 14/5326, 14/6343, 14/6345, 14/6347, 14/7118) . . . . . . . . . . . . . . . . 24642 C c) Unterrichtung durch die Bundesregie- rung: Ernährungs- und agrarpoliti- scher Bericht 2002 der Bundesregie- rung (Drucksache 14/8202) . . . . . . . . . . . . . 24643 A Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 245. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Juni 2002II d) Unterrichtung durch die Bundesregie- rung: Lagebericht der Bundesregie- rung über die Alterssicherung der Landwirte 2001 (Drucksache 14/7798) . . . . . . . . . . . . . 24643 A e) Antrag der Abgeordneten Ulrich Heinrich, Rainer Funke, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion der FDP: Fleischvernichtung stoppen – hun- gernden Menschen helfen (Drucksache 14/5675) . . . . . . . . . . . . . 24643 A f) Antrag der Abgeordneten Ulrich Heinrich, Marita Sehn, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion der FDP: Maul- und Klauenseuche – Impfen statt töten (Drucksache 14/5691) . . . . . . . . . . . . . 24643 B g) Antrag der Abgeordneten Gudrun Kopp, Ulrich Heinrich, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion der FDP: MKS- und BSE-Erfahrungsbericht umgehend vorlegen (Drucksache 14/6176) . . . . . . . . . . . . . 24643 B in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 7: Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft zu dem An- trag der Abgeordneten Gudrun Kopp, Ulrich Heinrich, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Modellprojekt zum Heil- und Gewürzpflanzen-Anbau in Ostwestfalen-Lippe (Drucksachen 14/3107, 14/4449) . . . . . . . 24643 C in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 8: Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft – zu dem Antrag der Abgeordneten Birgit Homburger, Ulrich Heinrich, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Obstbauern vor dem Ruin retten – Plantomycin für Notfall- maßnahmen zulassen – zu dem Antrag der Abgeordneten Marita Sehn, Ulrich Heinrich, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Pflanzenschutzpolitik neu ausrichten, heimische Produzenten unterstützen und Verbraucher schützen (Drucksachen 14/8180, 14/8430, 14/9366) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24643 C Heinrich-Wilhelm Ronsöhr CDU/CSU . . . . . 24643 D Renate Künast, Bundesministerin BMVEL 24645 B Norbert Schindler CDU/CSU . . . . . . . . . . 24647 A Peter H. Carstensen (Nordstrand) CDU/CSU 24648 C Renate Künast, Bundesministerin BMVEL 24648 D Ulrich Heinrich FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24649 A Marianne Klappert SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . 24650 C Norbert Schindler CDU/CSU . . . . . . . . . . 24651 B Kersten Naumann PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . 24652 B Heidemarie Wright SPD . . . . . . . . . . . . . . . . 24654 A Albert Deß CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24656 A Steffi Lemke BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 24658 A Heinrich-Wilhelm Ronsöhr CDU/CSU 24658 D Marita Sehn FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24660 D Heino Wiese (Hannover) SPD . . . . . . . . . . . . 24661 D Gudrun Kopp FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24662 C Meinolf Michels CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . 24663 B Waltraud Wolff (Wolmirstedt) SPD . . . . . . . . 24664 D Dr. Michael Luther CDU/CSU . . . . . . . . . . . 24666 C Zusatztagesordnungspunkt 17: Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäfts- ordnung zu einem Antrag auf Geneh- migung zum Vollzug gerichtlicher Durchsuchungs- und Beschlagnahme- beschlüsse (Drucksache 14/9610) . . . . . . . . . . . . . . . . 24650 B Tagesordnungspunkt 33: Überweisungen im vereinfachten Ver- fahren a) Erste Beratung des von den Abgeord- neten Dr. Heinrich L. Kolb, Dr. Irmgard Schwaetzer, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der FDP eingebrach- ten Entwurfs eines Gesetzes zur Er- höhung der Rechtssicherheit beim Betriebsübergang (Drucksache 14/8496) . . . . . . . . . . . . . 24668 D b) Antrag des Präsidenten des Bundes- rechnungshofes: Rechnung des Bun- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 245. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Juni 2002 III desrechnungshofes für das Haus- haltsjahr 2001 – Einzelplan 20 (Drucksache 14/9178) . . . . . . . . . . . . . 24668 D c) Antrag der Abgeordneten Rainer Brüderle, Rainer Funke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Betriebliche Altersvorsorge ver- bessern (Drucksache 14/4418) . . . . . . . . . . . . . 24669 A in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 9: Weitere Überweisungen im vereinfach- ten Verfahren (Ergänzung zu TOP 33) a) Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD, der CDU/CSU, des BÜND- NISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP eingebrachten Entwurfs eines Ge- setzes zur Sicherstellung einer Über- gangsregelung für die Umsatz- besteuerung von Alt-Sportanlagen (Drucksache 14/9543) . . . . . . . . . . . . . 24669 A b) Antrag der Abgeordneten Renate Gradistanac, Dr. Hans-Peter Bartels, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Irmingard Schewe-Gerigk, Kerstin Müller (Köln), Rezzo Schlauch und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Durchführung des Bun- deswettbewerbes „Ferien für Fami- lien, in denen Angehörige mit Behin- derung leben“ (Drucksache 14/9542) . . . . . . . . . . . . . 24669 A c) Antrag der Abgeordneten Rosel Neuhäuser, Maritta Böttcher, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der PDS: Aktionsplan zum Kinder- und Jugendtourismus in Deutschland (Drucksache 14/9545) . . . . . . . . . . . . . 24669 B Tagesordnungspunkt 34: Abschließende Beratungen ohne Aus- sprache a) Zweite Beratung und Schlussabstim- mung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Zusatzabkommen vom 20. Dezember 2001 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Französischen Republik zum Ab- kommen vom 21. Juli 1959 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik zur Vermeidung der Doppelbesteuerun- gen und über gegenseitige Amts- und Rechtshilfe auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen sowie der Gewerbesteuern und der Grundsteuern (Drucksachen 14/8982, 14/9549) . . . . . 24669 C c) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. Barbara Höll, Dr. Heinrich Fink, weiteren Abgeordne- ten und der Fraktion der PDS einge- brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einkommenbesteuerung von aus- ländischen Künstlerinnen und Künstlern (Drucksachen 14/6111, 14/9268) . . . . . 24669 D d) Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses zu dem An- trag der Fraktionen der SPD, der CDU/CSU, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und FDP: Für die demo- kratische Erneuerung Pakistans (Drucksachen 14/5684, 14/7533) . . . . . 24669 D e) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wahlprüfung, Immu- nität und Geschäftsordnung zu dem An- trag der Abgeordneten Dr. Heidi Knake- Werner, Dr. Evelyn Kenzler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der PDS: Aufgaben des jüngsten Mitglie- des des Deutschen Bundestages (Drucksachen 14/8166, 14/9168) . . . . . 24670 A f) Beschlussempfehlung und Bericht des Haushaltsausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Heidemarie Ehlert, Heidemarie Lüth, weiterer Abgeordne- ter und der Fraktion der PDS: Bestel- lung einer Amtsanklägerin/eines Amtsanklägers (Drucksachen 14/7227, 14/9291) . . . . . 24670 B g) – k) Beschlussempfehlungen des Petitions- ausschusses: Sammelübersichten 402, 403, 404, 405, 406 zu Petitionen (Drucksachen 14/9386, 14/9399, 14/9389, 14/9390, 14/9391) . . . . . . . . . . . . . . . . 24670 C in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 10: Weitere abschließende Beratung ohne Aussprache (Ergänzung zu TOP 34) Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für die Angelegenheiten der Euro- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 245. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Juni 2002IV päischen Union zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: 62. Bericht der Bundesregierung über die Integra- tion der Bundesrepublik Deutschland in die Europäische Union (Berichtszeit- raum: 1. Januar bis 31. Dezember 2001) (Drucksachen 14/8565, 14/8829 Nr. 1.9, 14/9560) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24670 D Zusatztagesordnungspunkt 11: Aktuelle Stunde betr. Bildungsgefälle nach dem Ergebnis der PISA-Studie und Forderungen aus der Bundesregierung nach deutschlandweiten Bildungsstan- dards . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24671 A Dr. Annette Schavan, Ministerin (Baden- Württemberg) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24671 B Edelgard Bulmahn, Bundesministerin BMBF 24672 C Ernst Burgbacher FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24674 D Dr. Reinhard Loske BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24676 A Maritta Böttcher PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24677 B Jörg Tauss SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24678 C Angelika Volquartz CDU/CSU . . . . . . . . . . . 24679 D Dr. Ernst Dieter Rossmann SPD . . . . . . . . . . 24681 B Thomas Rachel CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 24682 B Michael Müller (Düsseldorf) SPD . . . . . . . . . 24683 D Ilse Aigner CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24685 A Klaus Barthel (Starnberg) SPD . . . . . . . . . . . 24686 A Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land) CDU/CSU 24687 B Marieluise Beck (Bremen) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24688 B Monika Hohlmeier, Staatsministerin (Bayern) 24689 B Wolf-Michael Catenhusen, Parl. Staatssekretär BMBF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24691 C Werner Lensing CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 24692 B Tagesordnungspunkt 4: Erste Beratung des von den Abgeordneten Alfred Hartenbach, Dr. Jürgen Meyer (Ulm), weiteren Abgeordneten und der Fraktion der SPD sowie den Abgeordneten Volker Beck (Köln), Hans-Christian Ströbele, weiteren Abgeordneten und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- NEN eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Reform des Sanktionenrechts (Drucksache 14/9358) . . . . . . . . . . . . . . . . 24693 C Joachim Stünker SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24693 D Norbert Geis CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . 24695 C Volker Beck (Köln) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24697 B Jörg van Essen FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24699 A Dr. Herta Däubler-Gmelin, Bundesministerin BMJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24700 C Ronald Pofalla CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . 24702 D Alfred Hartenbach SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . 24704 B Dr. Herta Däubler-Gmelin SPD . . . . . . . . 24705 A Tagesordnungspunkt 5: Vereinbarte Debatte: Aufgaben und Per- spektiven der transatlantischen Zusam- menarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24705 D Volkmar Schultz (Köln) SPD . . . . . . . . . . . . . 24706 A Karl Lamers CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . 24707 D Rita Grießhaber BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24710 D Dr. Wolfgang Gerhardt FDP . . . . . . . . . . . . . 24711 D Wolfgang Gehrcke PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . 24713 B Gert Weisskirchen (Wiesloch) SPD . . . . . . . . 24714 A Joseph Fischer, Bundesminister AA . . . . . . . . 24715 C Tagesordnungspunkt 6: a) Unterrichtung durch die Bundesregie- rung: Berufsbildungsbericht 2002 (Drucksache 14/8950) . . . . . . . . . . . . . 24717 B b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung – zu dem Antrag der Abgeordneten Cornelia Pieper, Ulrike Flach, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Mit einem individuellen Ausbildungspass durchs Leben – für ein liberales, duales und mo- dulares Berufsausbildungssystem in Deutschland – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr.-Ing. Rainer Jork, Dr. Gerhard Friedrich (Erlangen), weiterer Ab- geordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Lehrstellenmangel in den neuen Bundesländern be- kämpfen – Reformen in der be- ruflichen Bildung vorantreiben – zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Berufsbildungs- bericht 2001 (Drucksachen 14/5984, 14/7281, 14/5946, 14/7910) . . . . . . . . . . . . . . . . 24717 C Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 245. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Juni 2002 V Wolf-Michael Catenhusen, Parl. Staatssekretär BMBF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24717 D Dr.-Ing. Rainer Jork CDU/CSU . . . . . . . . . . . 24719 D Dr. Reinhard Loske BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24722 A Dr.-Ing. Rainer Jork CDU/CSU . . . . . . . . 24722 B Ernst Burgbacher FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24723 C Maritta Böttcher PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24725 A Willi Brase SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24726 A Heinz Wiese (Ehingen) CDU/CSU . . . . . . . . 24727 D Tagesordnungspunkt 7: a) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Ulf Fink, Wolfgang Lohmann (Lüdenscheid), weiteren Ab- geordneten und der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs ei- nes Gesetzes zur Verstärkung der Perso- nalausstattung in Pflegeheimen (Perso- nalverstärkungsgesetz Pflege) (Drucksachen 14/8364, 14/9561) . . . . . 24729 C b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit zu dem Antrag der Abgeordneten Horst Seehofer, Wolfgang Lohmann (Lüden- scheid), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Gesundheits- wesen patientenorientiert, freiheit- lich und zukunftssicher gestalten (Drucksachen 14/8595, 14/9570) . . . . . 24729 D c) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Ilja Seifert, Dr. Ruth Fuchs, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion der PDS: Pflege reformieren – Lebensqualität in Gegenwart und Zukunft sichern (Drucksachen 14/6327, 14/9569) . . . . . 24729 D d) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit zu dem Antrag der Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Fortentwicklung der sozialen Pflege- versicherung (Drucksachen 14/8864, 14/9562) . . . . . 24730 A e) Antrag der Fraktionen der SPD, der CDU/CSU, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP: Medizinische Versorgung von Kindern und Jugend- lichen sichern und verbessern (Drucksache 14/9544) . . . . . . . . . . . . . 24730 A Regina Schmidt-Zadel SPD . . . . . . . . . . . . . . 24730 A Annette Widmann-Mauz CDU/CSU . . . . . . . 24731 D Monika Knoche BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24733 C Dr. Dieter Thomae FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . 24735 D Dr. Ilja Seifert PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24737 B Marga Elser SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24738 C Aribert Wolf CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . 24740 A Dr. Margrit Spielmann SPD . . . . . . . . . . . . . . 24742 A Wolfgang Zöller CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 24743 C Tagesordnungspunkt 8: Antrag der Abgeordneten Wolfgang Thierse, Doris Barnett, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion der SPD, der Abge- ordneten Dr. Rita Süssmuth, Hans-Dirk Bierling, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU, der Abgeordneten Rita Grießhaber, Winfried Nachtwei, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie der Abgeordneten Ulrich Irmer, Dr. Helmut Haussmann, Dr. Wolfgang Gerhardt und der Fraktion der FDP: Parlamentarische Dimension und die Zukunft der Organi- sation für Sicherheit und Zusam- menarbeit in Europa (OSZE) (Drucksache 14/9554) . . . . . . . . . . . . . . . . 24744 C Monika Griefahn SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24744 D Dr. Rita Süssmuth CDU/CSU . . . . . . . . . . . . 24746 B Rita Grießhaber BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24748 B Dr. Werner Hoyer FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24749 B Tagesordnungspunkt 9: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Tourismus zu dem Antrag der Abgeordneten Ernst Burgbacher, Gudrun Kopp, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion der FDP: Sperrzeiten für Gaststätten und Biergärten kundenfreundlicher ge- stalten (Drucksachen 14/6188, 14/9520) . . . . . . . 24750 C Ernst Burgbacher FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24750 C Brunhilde Irber SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24751 D Ernst Hinsken CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . 24753 A Karin Kortmann SPD . . . . . . . . . . . . . . . . 24754 B Sylvia Voß BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . 24754 C Dr. Ditmar Staffelt, Parl. Staatssekretär BMWi 24756 C Ernst Burgbacher FDP . . . . . . . . . . . . . . . 24756 D Klaus Brähmig CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . 24757 A Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 245. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Juni 2002VI Tagesordnungspunkt 10: Beschlussempfehlung und Bericht des In- nenausschusses – zu dem Antrag der Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- NEN: Antisemitismus ächten – Zu- sammenhalt in Deutschland stärken – zu dem Antrag der Fraktion der CDU/CSU: Jüdisches Leben in Deutschland – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Guido Westerwelle, Dr. Max Stadler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Antisemitismus ächten – Zusammenhalt in Deutsch- land stärken (Drucksachen 14/9226, 14/4245, 14/9261, 14/9480) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24758 D Sebastian Edathy SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24759 A Dr. Norbert Lammert CDU/CSU . . . . . . . . . . 24760 B Cem Özdemir BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 24761 D Sabine Leutheusser-Schnarrenberger FDP 24763 C Dagmar Schmidt (Meschede) SPD . . . . . 24764 C Dr. Heinrich Fink PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24765 A Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast SPD . . . . . . . . 24765 D Tagesordnungspunkt 11: a) Große Anfrage der Abgeordneten Kurt- Dieter Grill, Matthias Wissmann, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Der Energiebericht des Bundesministers für Wirtschaft und Technologie und seine Bedeutung für ein Energiekonzept der Bundesregie- rung (Drucksachen 14/7854, 14/9171) . . . . 24767 B b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu dem Antrag der Abgeordneten Kurt-Dieter Grill, Jochen-Konrad Fromme, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Ausgleich für die nuklea- ren Entsorgungsstandorte Gorleben und Salzgitter (Schacht Konrad) in Niedersachsen und Morsleben in Sachsen-Anhalt (Drucksachen 14/7786, 14/8708) . . . . 24767 B c) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Tech- nologie zu dem Antrag der Abgeordne- ten Rolf Hempelmann, Brigitte Adler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Michaele Hustedt, Hans-Josef Fell, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Deutsche Exportinitiative – Erneuer- bare Energien (Drucksachen 14/8278, 14/9120) . . . . 24767 C in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 12: Antrag der Abgeordneten Kurt-Dieter Grill, Matthias Wissmann, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Mehr Chancen für den Export und die Forschungs- und Entwicklungszusam- menarbeit durch marktwirtschaftliche Ansätze bei den erneuerbaren Energien (Drucksache 14/9539) . . . . . . . . . . . . . . . . 24767 C Rolf Hempelmann SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . 24767 D Kurt-Dieter Grill CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . 24769 D Michaele Hustedt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24772 B Walter Hirche FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24774 B Eva Bulling-Schröter PDS . . . . . . . . . . . . . . . 24775 B Dr. Ditmar Staffelt, Parl. Staatssekretär BMWi 24776 B Kurt-Dieter Grill CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . 24778 B Dr. Ditmar Staffelt, Parl. Staatssekretär BMWi 24778 C Dagmar Wöhrl CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . 24779 A Horst Kubatschka SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . 24780 A Tagesordnungspunkt 34: b) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Alfred Hartenbach, Margot von Renesse, weiteren Abge- ordneten und der Fraktion der SPD so- wie den Abgeordneten Volker Beck (Köln), Hans-Christian Ströbele, weite- ren Abgeordneten und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Errichtung einer Magnus- Hirschfeld-Stiftung (Drucksachen 14/9218, 14/9593, 14/9594) 24782 A Tagesordnungspunkt 13: a) Große Anfrage der Abgeordneten Klaus Francke, Matthias Wissmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Wirtschaftspolitische Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 245. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Juni 2002 VII Auswirkungen der EU-Osterweite- rung (Drucksachen 14/8316 (neu), 14/9497) 24782 C b) Große Anfrage der Abgeordneten Uwe Hiksch, Monika Balt, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion der PDS: Vorbereitung der Grenzregionen auf die Osterweiterung der EU (Drucksachen 14/8001, 14/9498) . . . . . 24782 C Tagesordnungspunkt 14: Unterrichtung durch die Bundesregierung: Bericht der Bundesregierung zur Zu- sammenarbeit zwischen der Bundes- republik Deutschland und den Vereinten Nationen im Jahr 2001 (Drucksache 14/9466) . . . . . . . . . . . . . . . . 24782 D Tagesordnungspunkt 15: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Gesundheit zu dem Antrag der Abgeordneten Katherina Reiche, Dr. Maria Böhmer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Anwendung von Gentests in Medizin und Versicherungen (Drucksachen 14/6640, 14/9584) . . . . . . . 24783 A Tagesordnungspunkt 16: Antrag der Abgeordneten Christian Lange (Backnang), Dr. Hans-Peter Bartels, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Katrin Göring- Eckardt, Kerstin Müller (Köln), Rezzo Schlauch und der Fraktion des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN: Änderung der Geschäftsordnung des Deutschen Bun- destages – Verhaltensregeln für Mitglie- der des Deutschen Bundestages (Drucksache 14/9100) . . . . . . . . . . . . . . . . 24783 B Tagesordnungspunkt 17: Beschlussempfehlung und Bericht des Haushaltsausschusses – zu dem Antrag des Bundesministeriums der Finanzen: Entlastung der Bundes- regierung für das Haushaltsjahr 2000 – Vorlage der Haushaltsrech- nung und Vermögensrechnung des Bundes (Jahresrechnung 2000) – zu der Unterrichtung durch den Bun- desrechnungshof: Bemerkungen des Bundesrechnungshofes 2001 zur Haushalts- und Wirtschaftsführung (einschließlich der Feststellungen zur Jahresrechnung des Bundes 2000) (Drucksachen 14/5858, 14/7018, 14/7413 Nr. 2, 14/9460) . . . . . . . . . . . . 24783 C Uta Titze-Stecher SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24783 D Tagesordnungspunkt 18: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Wirtschaft und Technologie zu dem Antrag der Abgeordneten Christian Müller (Zittau), Dr. Rainer Wend, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD so- wie der Abgeordneten Werner Schulz (Leip- zig), Ulrike Höfken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN: Die Gemeinschaftsauf- gabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ als regelgebunde- nes Fördersystem erhalten (Drucksachen 14/9242, 14/9589) . . . . . . . 24787 B in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 13: Antrag der Abgeordneten Klaus Hofbauer, Matthias Wissmann, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion der CDU/CSU: Re- gionalpolitik stärken – Chancen nutzen (Drucksache 14/9595) . . . . . . . . . . . . . . . . 24787 B Tagesordnungspunkt 19: Große Anfrage der Abgeordneten Dr. Barbara Höll, Dr. Dietmar Bartsch, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion der PDS: Verteilung und Verteilungswirkun- gen der Steuern und Abgaben (Drucksachen 14/7912, 14/9492) . . . . . . . 24787 C Dr. Barbara Höll PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24787 D Tagesordnungspunkt 20: a) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Tech- nologie zu dem Antrag der Abgeordne- ten Dr. Margrit Wetzel, Dr. Rainer Wend, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeord- neten Werner Schulz (Leipzig), Andrea Fischer (Berlin), weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN: Weltweite Märkte für Meerestechnik erschließen (Drucksachen 14/9223, 14/9587) . . . . . 24789 B b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Tech- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 245. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Juni 2002VIII nologie zu dem Antrag der Abgeordne- ten Wolfgang Börnsen (Bönstrup), Matthias Wissmann, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion der CDU/CSU: Zukunft Meer – Für eine verantwor- tungsbewusste Nutzung der Meeres- technologie (Drucksachen 14/9352, 14/9588) . . . . 24789 B Tagesordnungspunkt 21: Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten, Georg Brunnhuber und weiteren Abgeordneten eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Baugesetzbuchs (Kommunale Rechte bei Windkraftanla- gen stärken) (Drucksache 14/9132) . . . . . . . . . . . . . . . . 24789 D Tagesordnungspunkt 12: Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zurEinrichtung eines Registers über unzuverlässige Unternehmen (Drucksache 14/9356) . . . . . . . . . . . . . . . . 24790 A Hartmut Schauerte CDU/CSU . . . . . . . . . . . . 24790 A Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24791 C Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 24793 A Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. Evelyn Kenzler (PDS) zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung: Aufgaben des jüngsten Mitgliedes des Deutschen Bundes- tages (Tagesordnungspunkt 34 e) . . . . . . . . . . 24793 D Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Heidemarie Ehlert (PDS) zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung: Bestellung ei- ner Amtsanklägerin/eines Amtsanklägers (Ta- gesordnungspunkt 34 f) . . . . . . . . . . . . . . . . . 24794 B Anlage 4 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Rosel Neuhäuser (PDS) zur Abstimmung über den Antrag: Medizinische Versorgung von Kindern und Jugendlichen sichern und verbes- sern (Tagesordnungspunkt 7 e) . . . . . . . . . . . . 24794 D Anlage 5 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Carl-Ludwig Thiele (FDP) zur Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Errich- tung einer Magnus-Hirschfeld-Stiftung (Ta- gesordnungspunkt 34 b) . . . . . . . . . . . . . . . . . 24795 B Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Reform des Sank- tionenrechts (Tagesordnungspunkt 4) . . . . . . . 24795 C Dr. Evelyn Kenzler PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . 24795 C Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung des Antrags: Parlamentarische Dimension und die Zukunft der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) (Tages- ordnungspunkt 8) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24796 B Heidi Lippmann PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24796 B Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts: Sperr- zeiten für Gaststätten und Biergärten kunden- freundlicher gestalten (Tagesordnungspunkt 9) 24796 D Rosel Neuhäuser PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24796 D Anlage 9 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Errichtung ei- ner Magnus-Hirschfeld-Stiftung (Tagesord- nungspunkt 34 b) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24797 B Margot von Renesse SPD . . . . . . . . . . . . . . . . 24797 B Dr. Jürgen Gehb CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 24798 C Volker Beck (Köln) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24799 D Jörg van Essen FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24800 C Christina Schenk PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24800 D Anlage 10 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Großen Anfragen: – Wirtschaftspolitische Auswirkungen der EU-Osterweiterung – Vorbereitung der Grenzregionen auf die Osterweiterung der EU (Tagesordnungspunkt 13) . . . . . . . . . . . . . . . . 24801 C Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 245. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Juni 2002 IX Christian Müller (Zittau) SPD . . . . . . . . . . . . 24801 C Klaus Francke CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . 24802 B Werner Schulz (Leipzig) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24803 D Gudrun Kopp FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24804 C Uwe Hiksch PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24805 C Dr. Ditmar Staffelt, Parl. Staatssekretär BMWi 24806 C Anlage 11 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Be- richt der Bundesregierung zur Zusammenar- beit zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinten Nationen im Jahr 2001 (Tagesordnungspunkt 14) . . . . . . . . . . . . . . . . 24807 C Brigitte Adler SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24807 C Clemens Schwalbe CDU/CSU . . . . . . . . . . . . 24809 A Birgit Homburger FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . 24810 D Petra Bläss PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24811 C Dr. Ludger Volmer, Staatsminister AA . . . . . . . 24812 A Anlage 12 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts: An- wendung von Gentests in Medizin und Versi- cherungen (Tagesordnungspunkt 15) . . . . . . . 24813 A Dr. Carola Reimann SPD . . . . . . . . . . . . . . . . 24813 B Katherina Reiche CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . 24814 A Monika Knoche BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 24815 B Detlef Parr FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24816 C Angela Marquardt PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . 24817 A Gudrun Schaich-Walch, Parl. Staatssekretärin BMG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24817 C Anlage 13 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Änderung der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages – Verhaltensregeln für Mitglieder des Deutschen Bundestages (Tages- ordnungspunkt 16) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24818 D Dr. Hans-Peter Bartels SPD . . . . . . . . . . . . . 24818 D Christian Lange (Backnang) SPD . . . . . . . . . 24819 B Eckart von Klaeden CDU/CSU . . . . . . . . . . . 24820 B Gerald Häfner BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 24821 D Jörg van Essen FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24823 B Dr. Evelyn Kenzler PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . 24823 C Anlage 14 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts: – zu dem Antrag des Bundesministeriums der Finanzen: Entlastung der Bundesregierung für das Haushaltsjahr 2000 – Vorlage der Haushaltsrechnung und Vermögens- rechnung des Bundes (Jahresrechnung 2000) – zu der Unterrichtung durch den Bundes- rechnungshof: Bemerkungen des Bundes- rechnungshofes 2001 zur Haushalts- und Wirtschaftsführung (einschließlich der Feststellungen zur Jahresrechnung des Bundes 2000) (Tagesordnungspunkt 17) . . . . . . . . . . . . . . . . 24824 A Josef Hollerith CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . 24824 B Oswald Metzger BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 24825 C Jürgen Koppelin FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24825 D Heidemarie Ehlert PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . 24826 C Anlage 15 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – der Beschlussempfehlung und des Be- richts: Die Gemeinschaftsaufgabe „Verbes- serung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ als regelgebundenes Fördersystem erhalten – des Antrags: Regionalpolitik stärken – Chancen nutzen (Tagesordnungspunkt 18 und Zusatztagesord- nungspunkt 13) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24827 A Christian Müller (Zittau) SPD . . . . . . . . . . . . 24827 A Ulrich Klinkert CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . 24828 A Ulrike Höfken BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 24828 C Gudrun Kopp FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24829 B Rolf Kutzmutz PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24829 C Dr. Ditmar Staffelt, Parl. Staatssekretär BMWi 24930 B Anlage 16 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Großen Anfrage: Verteilung und Verteilungs- wirkungen der Steuern und Abgaben (Tages- ordnungspunkt 19) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24831 B Dr. Frank Schmidt (Weilburg) SPD . . . . . . . . 24831 B Wolfgang Steiger CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . 24833 B Christine Scheel BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 24834 B Gisela Frick FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24835 B Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 245. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Juni 2002X Anlage 17 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlungen und Berichte: – Weltweite Märkte für Meerestechnik er- schließen – Zukunft Meer – Für eine verantwortungs- bewusste Nutzung der Meerestechnologie (Tagesordnungspunkt 20) . . . . . . . . . . . . . . . . 24835C Dr. Ernst Dieter Rossmann SPD . . . . . . . . . . 24835 D Dr. Margrit Wetzel SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . 24837 D Wolfgang Börnsen (Bönstrup) CDU/CSU . . . 24839 A Hans-Josef Fell BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 24840 D Hans-Michael Goldmann FDP . . . . . . . . . . . 24841 D Wolfgang Bierstedt PDS . . . . . . . . . . . . . . . . 24842 D Dr. Ditmar Staffelt, Parl. Staatssekretär BMWi 24843 C Anlage 18 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Baugesetzbuches (Kommunale Rechte bei Windkraftanlagen stärken) (Tagesord- nungspunkt 21) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24844 C Wolfgang Spanier SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . 24844 C Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten CDU/CSU 24846 A Michaele Hustedt BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24848 B Marita Sehn FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24849 A Christine Ostrowski PDS . . . . . . . . . . . . . . . . 24849 D Anlage 19 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Einrichtung eines Registers über unzuverlässige Unterneh- men (Tagesordnungspunkt 12) . . . . . . . . . . . . 24850 C Klaus Wiesehügel SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . 24850 C Werner Schulz (Leipzig) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24851 B Gudrun Kopp FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24851 C Ursula Lötzer PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24852 B Dr. Ditmar Staffelt, Parl. Staatssekretär BMWi 24852 D Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 245. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Juni 2002 XI Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 245. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Juni 2002
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    Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 245. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Juni 2002 Hartmut Schauerte 24791 (C)(A) 1) Anlage 19 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 245. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Juni 2002 24793 (C) (D) (A) (B) Altmann (Aurich), BÜNDNIS 90/ 27.06.2002 Gila DIE GRÜNEN Dr. Bartsch, Dietmar PDS 27.06.2002 Behrendt, Wolfgang SPD 27.06.2002* Dr. Bötsch, Wolfgang CDU/CSU 27.06.2002 Bühler (Bruchsal), CDU/CSU 27.06.2002* Klaus Buwitt, Dankward CDU/CSU 27.06.2002* Dr. Eid, Uschi BÜNDNIS 90/ 27.06.2002 DIE GRÜNEN Friedrich (Altenburg), SPD 27.06.2002 Peter Dr. Grygier, Bärbel PDS 27.06.2002 Haack (Extertal), SPD 27.06.2002* Karl-Hermann Hartnagel, Anke SPD 27.06.2002 Hilsberg, Stephan SPD 27.06.2002 Dr. Hornhues, CDU/CSU 27.06.2002* Karl-Heinz Hornung, Siegfried CDU/CSU 27.06.2002* Hovermann, Eike Maria SPD 27.06.2002 Irmer, Ulrich FDP 27.06.2002 Karwatzki, Irmgard CDU/CSU 27.06.2002 Kasparick, Ulrich SPD 27.06.2002 Dr. Küster, Uwe SPD 27.06.2002 Lehn, Waltraud SPD 27.06.2002 Lintner, Eduard CDU/CSU 27.06.2002* Dr. Lippelt, Helmut BÜNDNIS 90/ 27.06.2002* DIE GRÜNEN Lörcher, Christa fraktionslos 27.06.2002* Dr. Lucyga, Christine SPD 27.06.2002* Maaß (Wilhelmshaven), CDU/CSU 27.06.2002* Erich Mante, Winfried SPD 27.06.2002 Dr. Meyer (Ulm), SPD 27.06.2002 Jürgen Müller (Berlin), PDS 27.06.2002* Manfred Neumann (Bremen), CDU/CSU 27.06.2002 Bernd Neumann (Gotha), SPD 27.06.2002 Gerhard Palis, Kurt SPD 27.06.2002* Dr. Protzner, Bernd CDU/CSU 27.06.2002 Ronsöhr, CDU/CSU 27.06.2002 Heinrich-Wilhelm Dr. Scheer, Hermann SPD 27.06.2002* Schlee, Dietmar CDU/CSU 27.06.2002 Schloten, Dieter SPD 27.06.2002* Schmitz (Baesweiler), CDU/CSU 27.06.2002 Hans Peter von Schmude, Michael CDU/CSU 27.06.2002* Schröder, Gerhard SPD 27.06.2002 Schultz (Everswinkel), SPD 27.06.2002 Reinhard Dr. Schwarz-Schilling, CDU/CSU 27.06.2002 Christian Seehofer, Horst CDU/CSU 27.06.2002 Dr. Freiherr von CDU/CSU 27.06.2002 Stetten, Wolfgang Türk, Jürgen FDP 27.06.2002 Wohlleben, Verena SPD 27.06.2002 Zierer, Benno CDU/CSU 27.06.2002* * für die Teilnahme an den Sitzungen der Parlamentarischen Ver- sammlung des Europarates Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO derAbgeordneten Dr. Evelyn Kenzler (PDS) zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung: Aufgaben des jüngsten Mitgliedes des Deutschen Bundestages (Tagesordnungspunkt 34 e) Sie haben – folgt man der vorliegenden Beschluss- empfehlung des Geschäftsordnungsausschusses – die Ab- sicht, in der folgenden Abstimmung gegen den Antrag der entschuldigt bis Abgeordnete(r) einschließlich entschuldigt bis Abgeordnete(r) einschließlich Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Anlagen zum Stenographischen Bericht PDS-Bundestagsfraktion „Aufgaben des jüngsten Mit- gliedes des Deutschen Bundestages“ zu stimmen. Ich und die PDS-Bundestagsfraktion werden der Beschlussemp- fehlung nicht zustimmen. Der Alterspräsident Fred Gebhardt unterbreitete mit folgenden Worten bei der Eröffnung des 14. Deutschen Bundestag am 26. Oktober 1998 einen Vorschlag zur Tra- ditionserweiterung: Wenn Ihnen so wie mir das Schicksal der Jugend so wichtig ist, dann sollten wir dies auch durch symbo- lische Akte unterstreichen. Was spräche eigentlich dagegen, daß der 15. Deutsche Bundestag wie bisher von seinem ältesten Mitglied eröffnet würde, zusätz- lich aber das jüngste Mitglied die Gelegenheit zu ei- ner Ansprache erhielte? Dafür erhielt er Beifall von den Fraktionen der PDS, der SPD, Bündnisses 90/Die Grünen und der FDP. Wir können heute aus dem Beifall eine Entscheidung machen und beschließen, dass der 15. Deutsche Bundes- tag im Oktober 2002 auch vom jüngsten Mitglied eröffnet wird. Das kostet kein Geld, setzt aber Zeichen, vor allem für die Jugend dieses Landes. Die Ablehnung des Vorschlages des Alterspräsidenten wird in der Beschlussempfehlung wie folgt begründet: Der Einführung eines Rederechtes des jüngsten Mit- gliedes stünde entgegen, dass dies Forderungen nach vergleichbarer Berücksichtigung anderer Bevölke- rungs- und Wählergruppen nach sich ziehen könnte. Dieses Argument trägt nicht und ist unglaubwürdig, denn mit derselben Begründung könnte auch das Rede- recht des Alterspräsidenten infrage gestellt werden. Wir werden die Beschlussempfehlung deshalb ablehnen. Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Heidemarie Ehlert (PDS) zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung: Be- stellung einer Amtsanklägerin/eines Amtsanklä- gers (Tagesordnungspunkt 34 f) Ich möchte mein Abstimmungsverhalten zur Be- schlussempfehlung des Haushaltsausschusses, Drucksa- che 14/9291, zum Antrag der PDS-Fraktion „Bestellung einer Amtsanklägerin/eines Amtsanklägers“ erläutern: Ich stimme gegen die Beschlussempfehlung des Haus- haltsausschusses, weil sowohl die erste als auch die zweite Lesung des Antrages „Bestellung einer Amts- anklägerin/eines Amtsanklägers“, Drucksache 14/7227, ohne Debatte im Deutschen Bundestag erfolgte. Offen- sichtlich fürchten sich die anderen Fraktionen vor einer Debatte zur Bekämpfung der Verschwendung von öffent- lichen Geldern. Nur, opponieren allein hilft nicht, das ist meine Feststellung nach dem heutigen Tage. Das trifft für die CDU/CSU-Fraktion genauso zu wie für die FDP. Und die Regierungskoalition sollte darüber nachdenken, in- wieweit sich der Umgang mit öffentlichen Mitteln an den Grundsätzen der Wirtschaftlichkeit und der Sparsamkeit orientiert. Ich stimme gegen die Beschlussempfehlung des Aus- schusses, weil angesichts leerer Kassen in Bund, Länder und Gemeinden und der sich daraus als dringend notwen- dig ergebenden Sparpolitik es immer dringlicher wird, ernsthaft zu prüfen, wo Gelder tatsächlich eingespart wer- den können. Gegenwärtig wird fast das Fünffache dessen an Steuern vergeudet, was Haushaltspolitikerinnen und Haushaltspolitiker an Finanzierungslücken zu den entwe- der laufenden Reformen wie auch den noch bevorstehen- den ausmachen. Erfahrene Prüfer aus staatlichen Rechnungshöfen haben geschätzt, dass 5 Prozent der öffentlichen Mittel nicht sorgfältig verwendet werden, was auch durch den Europäischen Rechnungshof be- stätigt wurde. Bei dem jetzigen Volumen der öffentlichen Ausgaben in unserem Land dürfte die Verschwendung der öffentlichen Mittel bei etwa 25 Milliarden Euro pro Jahr liegen, das sind rund 20 Prozent des Aufkommens an Lohn- und Einkommensteuer des Jahres 2001. Ich stimme gegen die Beschlussempfehlung, weil damit Lösungsansätze zur Verhinderung von Steuerverschwen- dung, so im Haushalts- und Aufsichtsrecht, aber auch die Möglichkeiten von dienstrechtlichen, zivilrechtlichen und strafrechtlichen Sanktionen ad acta gelegt werden. Aller- dings setzen solche möglichen Lösungen voraus, dass vor- handene Strukturen geändert oder tiefer greifende gesetz- liche Neuregelungen geschaffen werden. Bisher fehlte aber die Bereitschaft, diesbezüglich tätig zu werden. Dies zeigt der Umgang mit Strafanzeigen, die der Bund der Steuerzahler in den vergangenen Jahren gegen Steuergeld- verschwender wegen des Verdachts der Untreue nach § 266 Abs. 1 des Strafgesetzbuches erstattet hat. Der Bund der Steuerzahler forderte bereits seit 1982 einen solchen öffentlichen Vertreter, der auf der Basis der Ermittlungen der Rechnungshöfe arbeitet und diese zur Grundlage gerichtlicher Verfahren nutzt. Ich stimme gegen die Empfehlung des Ausschusses, weil ich den Eindruck erhalten habe, dass die für Ver- schwendung öffentlicher Gelder Verantwortlichen meines Erachtens nicht belangt werden sollen und weil bei ver- fehlten Ausgaben der öffentlichen Hand am Ende der Steuerzahler für diese aufkommen muss. Aber noch ist nicht aller Tage Abend und vielleicht greift ja die eine oder andere Fraktion diesen Vorschlag in ihrem Wahlprogramm zur Bundestagswahl oder in der 15. Legislaturperiode auf. Anlage 4 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Rosel Neuhäuser (PDS) zur Abstimmung über den Antrag: Medizinische Versorgung von Kindern und Jugendlichen si- chern und verbessern (Tagesordnungspunkt 7 e) Dem vorliegenden Antrag zur medizinischen Versor- gung von Kindern werde ich zustimmen. Ich begrüße es außerordentlich, dass dieser interfraktionelle Antrag zur Kindergesundheit entstanden ist. Umso enttäuschender ist es für mich, dass die Fraktion der PDS nicht mit auf dem Antrag erscheint. Das liegt keinesfalls an mangelnder Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 245. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Juni 200224794 (C) (D) (A) (B) Bereitschaft aus unserer Fraktion, diesem Antrag zuzu- stimmen. Ganz im Gegenteil, im Rahmen meiner turnusmäßigen Vorsitzzeit in der Kinderkommission des Deutschen Bun- destages habe ich das Thema Kindergesundheit zu meinem Schwerpunktthema gemacht. Dabei ist, federführend aus meinem Büro, der gemeinsame Antrag zur verantwor- tungsbewussten Vergabe von Methylphenidat entstanden, den viele von Ihnen unterstützt haben. Dieser Antrag ist nun in den vorliegenden Antrag mit eingeflossen. Als Kinderkommission des Deutschen Bundestages sind wir und ich im Besonderen darum bemüht, dass die Belange der Kinder auch hier im Parlament Gehör finden. Dies ist in diesem Falle geglückt. Zugleich bedauere ich es, obwohl ich diesem Antrag meine Zustimmung gebe, dass nun, bei der Einrichung des Antrages, wieder andere Dinge im Vordergrund ste- hen. Dass dies so ist, hat wieder einmal mit der Ausgren- zung der PDS zu tun. Obwohl alle Fachleute der Fraktio- nen und die Mitglieder der Kinderkommission an einem Strang ziehen wollten, konnte man wieder einmal nicht über den eigenen Schatten springen. Es siegte die Par- teiräson über das fachliche Anliegen – für mich immer wieder ein beredtes Beispiel dafür, wie politisches Schub- ladendenken und Wahlkampftaktiken über Sachthemen siegen. Wen wundert es dann noch, wenn die Politik im- mer mehr an Vertrauen verliert? Schade also. Es stünde uns gut, gerade bei einem solchen Antrag zur Kinder- gesundheit, wenn wir durch einen Antrag aller Fraktionen unsere Bemühungen, eine kinderfreundlichere Gesell- schaft zu schaffen, unterstrichen hätten. Die Kinder beim „Children’s Forum“ auf dem Weltkindergipfel in New York haben es uns vorgemacht, wie man über die größten Unterschiede hinweg im Sinne der Kinder zusammen- arbeiten kann. Wir können noch viel von ihnen lernen. Anlage 5 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Carl-Ludwig Thiele (FDP) zur Abstimmung über den Entwurf eines Geset- zes zur Errichtung einer Magnus-Hirschfeld- Stiftung (Tagesordnungspunkt 34 b) In vorbezeichneter Angelegenheit bin ich sehr dafür, dass die nationalsozialistische Verfolgung Homosexueller erforscht, dargestellt und in Erinnerung gehalten wird. Angesichts der allseits diskutierten Situation der öf- fentlichen Haushalte halte ich eine Belastung der nächs- ten Haushalte in einer Gesamtsumme von 15 Millionen Euro zur Finanzierung des Stiftungskapitals der Magnus- Hirschfeld-Stiftung für absolut zu hoch. Dieses würde bei einer nur fünfprozentigen Verzinsung des Stiftungskapi- tals zu einem jährlichen Etat von weit mehr als einer Mil- lion DM bis in die Ewigkeit führen. Es kann nicht sein, dass hier über den Umweg einer Stiftung das Jährlichkeitsprinzip des Haushaltsrechts aus- gehöhlt wird und auf Dauer diese neue Aufgabe aus Steu- ermitteln finanziert wird. Dieses lehne ich ab. Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Reform des Sanktionenrechts (Tagesordnungs- punkt 4) Dr. Evelyn Kenzler (PDS): Schwitzen statt Sitzen – das ist ein zentrales Motto für die Reform des Sanktio- nensystems. Aber warum, Herr Kollege Hartenbach, las- sen Sie uns jetzt so kurz vor Ultimo sitzen und schwitzen? Warum kommt der Gesetzentwurf erst jetzt, ganz am Ende der Wahlperiode, in der vorletzten Sitzungswoche? Die Veränderungen im Vergleich zum zwei Jahre alten Referentenentwurf sind – ich kann mir nicht helfen – nicht so riesig. Aber es drängt sich geradezu der Eindruck auf, als wenn hier vor allem in Richtung Wahlkampf gepunk- tet werden soll. Ansonsten hätten Sie uns, Ihren Kollegen von der Opposition, die nötige Zeit gegeben, um eine so wichtige Reform mit der notwendigen Gründlichkeit zu beraten. Man könnte ja fast meinen, Sie haben Angst da- vor, dass Ihnen die Reform zerredet wird. Oder meinen Sie, auf Vorschläge, Hinweise, Kritiken von uns Kollegen aus den anderen Parteien verzichten zu können? Ich halte es grundsätzlich für richtig und wichtig, das Sanktionensystem zu reformieren und „Reform“ nicht einfach nur mit „Strafverschärfung“ gleichzusetzen. Ich begrüße auch eine Reihe Ihrer Vorschläge, zum Beispiel zur Aufwertung der gemeinnützen Arbeit, zur verbesser- ten Opferentschädigung oder zur erleichterten „Verurtei- lung von Strafvorbehalt“, auch wenn ich mir an der einen oder anderen Stelle noch mehr Konsequenz wünsche. Ich habe auch noch einigen Diskussionsbedarf beispielsweise bei der Ausweitung des Fahrverbots auf weitere Delikts- arten. Da Sie uns aber den Zeithahn zugedreht haben, bleibt das nur ein frommer Wunsch von mir. Eine wirkliche Reform des Sanktionensystems sollte auch Anlass sein, noch einmal über grundsätzlichere Fra- gen nachzudenken: Sollte sie nicht sowohl nach oben wie nach unten weiter angelegt werden? Im System der Stra- fen sollte auch über den Strafrahmen „lebenslänglich“ diskutiert werden. Die mögliche Entlassung wird als festes Kalkül in das Bedingungsgefüge der Haftschick- sale einbezogen, auch wenn sie mitunter in sehr weiter Ferne liegt. Vor diesem Hintergrund erscheint die lebens- lange Freiheitsstrafe jedoch praktisch als Freiheitsstrafe von unbestimmter Dauer. Dieser Aspekt und das Verfas- sungsgebot der Resozialisierung sollten Anlass sein, dieses unpopuläre und unbequeme Thema bei der Re- formdiskussion nicht außen vor zu lassen. Denn der Straf- vollzug muss grundsätzlich auch eine Station auf dem Weg zurück in die Gesellschaft sein. Ich erinnere nur an den Satz des Bundesverfassungsgerichts: „Jeder Verur- teilte hat einen Rechtsanspruch auf seine Resozialisie- rung, für die Justizbehörden besteht eine Pflicht dazu.“ Zur Schaffung zeitgemäßer Sanktionsformen gehört meines Erachtens auch das bei Ihnen unbeliebte Thema der Entkriminalisierung im Bagatellbereich und im Betäubungsmittelrecht. Trauen Sie sich auch an dieses Thema heran! Namhafte Strafrechtler fordern seit Jahr Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 245. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Juni 2002 24795 (C) (D) (A) (B) und Tag die Herausnahme der Bagatelldelikte aus dem Strafgesetzbuch und ihre Eingliederung in das Ordnungs- widrigkeitenrecht. Das könnten zum Beispiel geringfü- gige Diebstähle im Konsumbereich oder auch das Schwarzfahren sein. Hier brauchten wir noch klarere Al- ternativen zur strafrechtlichen Konfliktbewältigung auch und gerade im Interesse der konsequenten Verfolgung von mittlerer und schwerer Kriminalität. Der Gesetzentwurf berücksichtigt die Interessen der Opfer besser, indem der Opferentschädigung Vorrang ein- geräumt wird. Sehr richtig! Ich finde es auch gut, dass 10 Prozent jeder Geldstrafe einer anerkannten Einrichtung der Opferhilfe zugute kommen soll. Aber was ist mit der effektiven Verteilung? Hier brauchen wir eine klarstel- lende Regelung, die Verteilungsgerechtigkeit schafft und Rechenschaft der Opferhilfeeinrichtungen festschreibt. Der Gesetzentwurf zeigt auch die Einsicht, dass die Möglichkeiten, menschliches Verhalten durch die bislang vorhandenen Sanktionen positiv zu beeinflussen, begrenzt sind. Ja, sie werden häufig überschätzt. Alternativsanktio- nen zwischen bzw. unterhalb von Geld- und Freiheitsstrafe sind dort, wo sie angewendet werden können, häufig wirkungsvoller. Ich denke nur an die gemeinnützige Ar- beit. Rechtsfriedliche Konfliktregulierung und verstärkte Orientierung auf die soziale Verantwortung des Täters bringen einen konstruktiveren Ansatz in das Strafrecht. Leider haben Sie uns, liebe Kollegen von der Koali- tion, die Möglichkeit genommen, diese Diskussion auch wirklich führen zu können. Ich fordere Sie deshalb auf – wenn Sie es tatsächlich ernst meinen mit der Reform –, Ihren mir durchaus sympathischen Entwurf jetzt zurück- zuziehen und in der nächsten Wahlperiode dann ohne Zeitdruck zu beraten. Eine Anhörung ist in diesem Fall sinnvoll und notwendig. Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung des Antrags: Parlamentarische Dimension und die Zukunft der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) (Tagesordnungspunkt 8) Heidi Lippmann (PDS): Die Kernaussagen des vor- liegenden interfraktionellen Antrags gehen in die richtige Richtung, doch sie gehen längst nicht weit genug. Dass die OSZE inzwischen Strukturen im Bereich der zivilen Krisenbearbeitung und der Demokratieentwicklung auf- gebaut hat, ist schön und gut. Aber sie leidet darunter, dass sie in eine untergeordnete Funktion gebracht wurde. Sie wird je nach Bedarf von den Großmächten und/oder dem militärisch geprägten Bündnis NATO instrumentalisiert oder neutralisiert. Beispiel: der OSZE-Medienbeauftragte. Als die NATO im Luftkrieg gegen Jugoslawien dortige Rundfunk- und Fernsehsender bombardierte und damit eindeutig gegen Völkerrecht verstieß, äußerte der Medienbeauftragte nur sehr lau Bedenken, und dies nicht nur, weil er den Krieg befürwortete, sondern weil er sich offenkundig mit der mächtigen NATO nicht anlegen wollte. Beispiel: OSZE-Krisenmission im Kosovo zwischen Oktober 1998 und März 1999. Dass die OSZE größte Mühe hatte, ihr Kontingent an Verifikateuren aufzufüllen, war die eine Seite. Die andere war, dass der OSZE auf merkwür- dige Weise der merkwürdige Mr. Walker oktroyiert wurde, der als Missionsleiter eine mehr als fragwürdige Rolle bei der Eskalation der Gewalt spielte. Im Übrigen bleibt bis heute der Verdacht, dass diese OSZE-Beobachter von führenden NATO-Staaten missbraucht wurden, um den anschließenden Luftkrieg vorzubereiten. Bis heute ist die OSZE in der Rolle eines Subunter- nehmers von KFOR, also der NATO, dort geblieben. Un- sere Meinung: So kann und darf man mit der OSZE nicht umgehen. Sie muss endlich eine eigenständigere und ge- wichtigere Rolle spielen. Solange dies nicht der Fall ist, bleiben Ihre schönen Aufgabenbestimmungen am Ende des Antrags weitgehend Papier. Wir sind dafür, dass „die zivile Komponente in der Sicherheitspolitik weiter ver- stärkt wird“, wie Sie in Ihrem Antrag formulieren. So- lange die Weichen in Richtung Rüstungsmodernisierung und Ausbau militärischer Interventionsfähigkeit gestellt sind, bleibt diese Forderung Makulatur. Wir sind auch dafür, dass die wirtschaftliche, soziale, ökologische und menschenrechtliche Dimension in eine umfassende Friedens- und Sicherheitspolitik integriert wird. Doch gerade dafür stehen der OSZE nahezu keine Instrumente zur Verfügung. Wenn das gewollt wird, dann müssen dafür schleunigst konkrete Konzepte auf den Tisch. Auch hier reichen Lippenbekenntnisse nicht. Der Appell, der angesichts der OSZE-Jahrestagung von Berlin ausgehen sollte, lautet: OSZE first! Dabei darf es nicht nur um eine „bessere Vermittlung der Aufgaben und Aktivitäten der OSZE gegenüber der Öffentlichkeit“, wie es im Antrag heißt, gehen, sondern um ihre wirkliche Aufwertung, so zum Beispiel indem die jetzt im Rahmen der EU im Aufbau befindlichen Instrumente der Krisen- frühwarnung und der zivilen Streitbeilegung in den Hand- lungsrahmen der OSZE gebracht werden, beispielsweise indem neue Initiativen zur Abrüstung und Rüstungskon- trolle entwickelt werden. Mit diesen Forderungen ginge von dem Antrag tatsäch- lich eine Signalwirkung aus. So wohnt ihm leider ledig- lich ein Verlautbarkeitscharakter inne. Die PDS-Fraktion wird sich deswegen enthalten. Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts: Sperrzeiten für Gaststätten und Bier- gärten kundenfreundlicher gestalten (Tagesord- nungspunkt 9) Rosel Neuhäuser (PDS): Stellen Sie sich vor, Deutschland wird am Sonntag Fußballweltmeister und keiner darf in den Freiluftgaststätten fernsehen und feiern! Welch ein Glück für die Fußballfans, dass es zu mitteleuropäischer Sommerzeit stattfindet! Aber selbst Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 245. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Juni 200224796 (C) (D) (A) (B) die stärksten Kritiker der Öffnungszeiten der Außengas- tronomie würden hier zum Samariter werden. Allerdings gibt es auch Menschen, die für derartige Freizeitvergnügen nichts übrig haben, jedenfalls dann nicht, wenn sie in unmittelbarer Umgebung ihrer Woh- nung stattfinden. Dort wollen sie auch in lauen Som- mernächten ihre Ruhe oder ihren ungestörten Schlaf ha- ben. Wer früh einschlafen will, weil er am nächsten Morgen früh aufstehen muss, möchte nicht gestört werden und verlangt ein frühes Ende der Außengastromomie. Gastronomen wiederum, die deshalb früh schließen müs- sen, beklagen Wettbewerbsverzerrungen, weil anderen Gastronomen in günstigeren Lagen längere Öffnungszei- ten zugestanden werden. Diese unterschiedlichen Interes- sen sind schwer unter einen Hut zu bringen, wie die zurückliegenden Diskussionen gezeigt haben. Aber zu einer belebenden Innenstadt gehört eben auch eine belebende Gaststättenstruktur. Dies verlangt von Bund, Ländern und Kommunen eine entsprechende Ge- staltung der Rahmenbedingungen für die Außengastrono- mie. Darüber haben wir vor ungefähr einem Jahr bei der Einbringung des Antrages ausführlich diskutiert. Wir haben über alle Fraktionen hinweg festgestellt, dass sich der Be- such in Freiluftgaststätten infolge gewandelten Konsum- verhaltens – Öffnungszeiten bis 20.00 Uhr –, veränderter Freizeitgewohnheiten und eines anderen Ausgehverhaltens in den letzten Jahren mehr und mehr verändert hat. Einmütigkeit bestand auch darin, möglichst schnell auf Bundesebene verträgliche Lösungen auf den Weg zu bringen, ohne dabei Landes- bzw. Kommunalkompeten- zen zu unterlaufen. Auf Bundesebene ist deshalb vorder- gründig zu prüfen, inwiefern das Bundes-Immissionsge- setz einer Novellierung unterzogen werden kann, damit „menschlicher Kommunikationslärm“ nicht wie techni- scher Lärm behandelt wird – damit man nicht sagen kann: Lachen und Sägen verboten. Ich halte es lieber ganz im Sinne von § 1 der Straßen- verkehrsordnung. Was zählt, ist die gegenseitige Rück- sichtnahme. Geltendes Recht und dazu ergangene Recht- sprechung ermöglichen eine den Interessen bzw. Bedürfnissen aller Beteiligten angemessene Entschei- dung in bestimmten Toleranzbereichen. Anlage 9 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Errichtung einer Magnus-Hirschfeld-Stiftung (Tagesordnungspunkt 34 b) Margot von Renesse (SPD): Zum Gedächtnis an Magnus Hirschfeld, der als Jude, Homosexueller und So- zialdemokrat der dreifach tödlichen Feindschaft der Na- zis zum Opfer gefallen ist, soll heute eine Stiftung mit sei- nem Namen errichtet werden. Sie dient zugleich dem Gedächtnis an alle, die während der Nazidiktatur verfolgt und ermordet wurden und die auch danach noch, im Osten und im Westen, gesellschaftliche und rechtliche Ausgren- zung erfahren mussten. Sie soll schließlich dazu beitra- gen, dass in Gegenwart und Zukunft jeder Mensch ohne Angst anders sein kann und Anderssein auch nicht Angst erzeugt. Ein solches Projekt müsste vom Bundestag einstimmig verabschiedet werden, verwirklicht es doch den einstim- migen Beschluss dieses Hauses, der eine kollektive Wie- dergutmachung durch Gedächtnisarbeit und konkrete Un- terstützung beispielhafter Aktivitäten für Toleranz und Akzeptanz forderte. Dass wir diese Einstimmigkeit jetzt nicht mehr erreichen, ist zum Teil – ich räume dies freimütig ein – die Folge von Missverständnissen und Fehleinschätzungen auf unserer Seite, aber auch von Kleinlichkeit, Mangel an Sachlichkeit und Unterstellun- gen bei der Opposition. Die Ziele der Stiftung konnten wir noch gemeinsam formulieren, sodass an ihnen wohl nichts auszusetzen ist. An ihnen – und nur an ihnen – ist die Zusammensetzung des Kuratoriums zu messen. Mit den im Gesetzentwurf vorgesehenen 22 Mitgliedern, von denen die Hälfte aus Regierung und Parlament kommen soll, dürfte die maxi- male Größe für das Lenkungsgremium der finanziell nicht gerade üppig ausgestatteten Stiftung erreicht sein. Für die Verbände gleichgeschlechtlicher Menschen bleiben damit elf Sitze, mit denen man unmöglich, wie von Ihnen ge- fordert, „die gesamte Breite des homosexuellen Vereins- wesens“ repräsentieren kann. Es gibt nämlich bei genauer Betrachtung dafür eine zu große Zahl von Vereinen, die homosexuellen Männern und Frauen gemeinsame Akti- vitäten anbieten. Da also Auswahl sein musste, hatte sich diese an den Zielen der Stiftung zu orientieren. Liegen sachliche Gründe vor, so kann weder von Begünstigung noch von Benachteiligung die Rede sein. Wer dann gleichwohl sol- ches unterstellt, handelt blind vor Ablehnung oder als schierer Lobbyist. Wir haben für unsere Auswahl sachliche Gründe, näm- lich die folgenden: Als Stiftung auf Bundesebene sollen dem Kuratorium nur bundesweit organisierte Verbände angehören, weil es nicht Platz gibt für bis zu 16 nur in ein- zelnen Bundesländern aktive Organisationen. Die Akti- vität der infrage kommenden Verbände muss außerdem möglichst allen Aspekten homosexueller Existenz gewid- met sein. Denn werden Akzente auf einzelne Schwer- punkte gelegt, so bleiben zwangsläufig andere Bereiche, die ebenfalls von Bedeutung sind, unterrepräsentiert. Schließlich ist der Gefahr zu begegnen, dass die Interes- sen, Sichtweisen und Erfahrungen von Frauen zu wenig berücksichtigt werden, da sie weniger als Männer dazu tendieren, sich in Verbänden zu organisieren. An diese Vorgaben haben wir uns gehalten, allerdings mit einer Ausnahme: Wir haben den Völklinger Kreis, der sich selber als „Gay Manager“ bezeichnet, und die Ge- werkschaft ver.di mit je einem Sitz im Kuratorium verse- hen, obgleich in beiden Organisationen homosexuelles Leben nicht in der ganzen Breite, sondern vorwiegend in Bezug auf die Arbeitswelt Thema ist. Das schien uns deshalb vertretbar, weil aus beiden Verbänden in der Vergangenheit erhebliche Impulse gekommen sind, ge- sellschaftliche Diskriminierung von homosexuellen Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 245. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Juni 2002 24797 (C) (D) (A) (B) Menschen zu beseitigen. Was die Gewerkschaft angeht, so gehen wir davon aus, dass sie Mitglieder aus ihrem en- gagierten Arbeitskreis gleichgeschlechtlicher Arbeitneh- mer entsendet. Grundsätzlich haben die im Kuratorium vertretenen Organisationen je eine Stimme. In zwei Fällen haben wir davon Ausnahmen gemacht, um uns dem Ziel einer nicht allzu geringen Repräsentanz von Frauen anzunähern. Die Verbände nämlich, die eine nicht nur mikroskopisch kleine Anzahl weiblicher Mitglieder aufweisen, haben je zwei Sitze. Bei diesen Verbänden lässt sich gesetzlich bestim- men, dass sie sich durch einen Mann und eine Frau ver- treten lassen. Sonst wäre es hoch wahrscheinlich, dass sich im Kuratorium nur ein einziges weibliches Mitglied befindet, nämlich die Vertreterin des Lesbenringes. Dagegen richtet sich der wütende Protest der Opposi- tion. Man ruft „Begünstigung!“, weil der Kollege Beck Mitglied eines dieser Verbände ist. Stellt die Mitglied- schaft des Kollegen Beck im LSVD in Ihren Augen denn wirklich einen zureichenden Grund dar, um sachliche Gründe für die von uns gewählte Regelung auszuhebeln? Nun, wir waren im Berichterstattergespräch insoweit so- gar entgegen unserer Überzeugung zum Einlenken bereit. Eine Einigung schien möglich. Sie scheiterte nur daran, dass Herr Dr. Gehb ohne jeden sachlichen Grund auf ei- nen Sitz im Kuratorium für einen Landesverband bestand, nämlich für das Schwule Netzwerk NRW. Wie kann je- mand, der so offensichtlich Lobbytum für eine Gruppe be- treibt, es auch nur wagen, anderen Lobbyismus vorzu- werfen. Frau Schenk fordert neuerdings zwei Sitze für den Lesbenring. Dies hatte sie im Berichterstattergespräch nicht getan. Sie hat mir erklärt, es gehe ihr weniger um eine angemessene Anzahl von Frauen im Kuratorium als vielmehr darum, dass dort die in ihren Augen „richtige Politik“ vertreten werde. Darunter versteht sie die Besei- tigung des Art. 6 aus der Verfassung. Abgesehen davon, dass ich persönlich von diesem Ziel nichts, aber auch gar nichts halte, kann es nicht Sache des Gesetzgebers sein, bestimmte Lieblingsideen einzelner Abgeordneter zu för- dern, seien sie nun gescheit oder abwegig. Es ist Sache der Verbände und ihrer Vertreter selbst, ihre Sichtweisen zu formulieren. Darum sind wir daran interessiert, die An- wesenheit möglichst vieler Frauen im Kuratorium sicher- zustellen. Ernsthaft nachgedacht haben wir über das Anliegen des Jugendverbandes Lambda, im Kuratorium vertreten zu sein. Dessen Argumente in der Anhörung waren beden- kenswert. Wir sind dennoch im Ergebnis dabei geblieben, bis auf den Völklinger Kreis und die Gewerkschaft ver.di keine weiteren Verbände mit speziellen Zielsetzungen aufzunehmen, weil wir sonst nicht hätten rechtfertigen können, warum nicht auch andere Gruppierungen mit an- deren Interessen im Kuratorium vertreten sein sollen. Dem berechtigten Anliegen, dass gerade Jugendarbeit im Kuratorium durch Personen repräsentiert ist, die diese Ar- beit aus eigener Erfahrung kennen, sollte jedoch durch die Auswahl der Vertreter des Jugendministeriums Rechnung getragen werden. Die Opposition hätte gerne in der Satzung eine Klausel gesehen, die den Ausschluss eines Verbandes mit einem Quorum der Mitglieder ermöglicht. Wir halten dies für kontraproduktiv. Gibt es Konflikte mit einem Verband, so wird man schon deshalb von einem Ausschluss durch Ku- ratoriumsbeschluss absehen müssen, weil solche Be- schlüsse gerade dann extrem untunlich sind. Wir möchten zudem auch nicht den Eindruck erwecken, als bestünde schon bei Errichtung der Stiftung der Verdacht, die Ko- operation mit homosexuellen Menschen werde zu unlös- baren Konflikten führen. Bei der Entstehung des Gesetzentwurfs hätte manches auf unserer Seite möglicherweise klüger hantiert werden können. Ich selber habe zum Beispiel nicht verstanden – und ich begreife es auch jetzt nur mühsam –, warum es Ihnen so wichtig war, dass die Regierung und nicht die Regierungskoalition das Gesetz vorlegt. Ich hätte mit Herrn Dr. Gehb mehr Kontakt halten müssen, um Ihre An- liegen besser zu verstehen. Mir ging und geht es darum, mit der Person des ermordeten Dr. Magnus Hirschfeld stellvertretend für viele Opfer einen Menschen angemes- sen zu ehren, dem furchtbares Unrecht angetan wurde. Angemessene Ehrung bedeutet in diesem Falle – und da weiß ich mich trotz allem auch mit der Opposition einig –, dass in unserer Gesellschaft die Würde aller Menschen, auch der homosexuellen, geachtet wird. Dr. Jürgen Gehb (CDU/CSU): Gern hätte ich heute eine andere Rede gehalten. Ich bedaure dies sehr, denn ich empfinde persönliches Wohlwollen dem Anliegen gegen- über. Auch die Bereitschaft meiner Fraktion war gegeben, eine Magnus-Hirschfeld-Stiftung auf den Weg zu bringen. Schließlich haben wir als Christdemokraten den einstim- migen Beschluss vom 7. Dezember 2000 aktiv mit her- beigeführt, der als Ausgangspunkt für eine mögliche Stif- tung anzusehen ist. Dieser einstimmige Beschluss ist ein kostbares Kapital. Entsprechend hätte damit umgegangen werden müssen. Bedauerlicherweise ist insbesondere Herr Beck mit diesem Kapital nicht mit der Verantwor- tung umgegangen, wie es um der Sache willen angezeigt gewesen wäre. Die historische Zunft mag in späteren Zei- ten beurteilen, welche Chance die Koalition damit ver- spielt hat. Um jeglicher Geschichtsklitterung von Anfang an ent- gegenzuwirken, will ich noch einmal von dieser Stelle aus klar aussprechen, was streitig und was unstreitig ist. Un- streitig ist die Errichtung einer Magnus-Hirschfeld-Stif- tung als Form der kollektiven Entschädigung für die Ver- folgung homosexueller Männer und Frauen während der NS-Zeit. Die Stiftung soll selbstverständlich Initiativen unterstützen, die die historische Aufarbeitung der natio- nalsozialistischen Homosexuellenverfolgung und des späteren Umgangs mit ihren Opfern zum Gegenstand ha- ben, und damit auch Punkt III der Beschlussempfehlung auf Drucksache 14/4894 mit Leben erfüllen: Damit ist der Ausgangspunkt für diese Stiftung klar und selbstver- ständlich auch die damit verbundene Verantwortung aller Beteiligten gegenüber den Opfern und dem Namensgeber Magnus Hirschfeld. Es reicht aber nicht aus – auch wenn sich viele Lesben und Schwule eventuell dazu verleiten lassen und dies dem einen oder anderen Politiker und Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 245. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Juni 200224798 (C) (D) (A) (B) Verbandsvertreter auch nicht unlieb wäre –, sich nur mit Überschriften zu beschäftigen. Es reicht nicht aus, einfach nur Beifall zu klatschen, dass eine Magnus- Hirschfeld-Stiftung errichtet werden soll. So unstreitig die Stiftung als solche ist, so streitig sind die Details. Und dieser Streit ist wichtig und legitim, denn es kann nicht sein, dass unter dem Deckmantel einer ehrenwerten Stif- tung ungebührliche Eigeninteressen überhand gewinnen. Völlig zu Recht wurde vom Sachverständigen Maas in der Öffentlichen Anhörung angemahnt: „Es darf auch nicht der Hauch des Eindrucks entstehen, dass hier ein- zelne Verbandsinteressen über den ideellen Zweck des Stiftungsanliegens gestellt werden.“ Heute lautet mein bitteres Resümee: Von Hauch kann keine Rede mehr sein. Selbstbedienung ist nur mühsam verschleiert. Uns liegt mit diesem Gesetzentwurf eine „Lex Beck“ vor – und die Sozialdemokraten haben es durchgehen lassen. Was ist passiert? Wir hatten einstimmig in diesem Haus die Bundesregierung beauftragt, einen Gesetzentwurf vorzulegen. Stattdessen wird nach 18 Monaten von den Koalitionsfraktionen ein Gesetzentwurf vorgelegt, um in- nerhalb einer Woche durch das Parlament gepeitscht zu werden, wie der ursprüngliche Zeitplan es vorsah. Also geradezu klammheimlich – und inzwischen glaube ich, dies war auch so gewollt. Denn eine breite öffentliche Diskussion über Sinn, Zweck und Ausgestaltung der Stif- tung, die auch für unsere parlamentarischen Beratungen hätte von Nutzen sein können, ist faktisch wenige Wochen vor dem Ende dieser Wahlperiode und innerhalb dieser kurzen parlamentarischen Beratungszeit nicht mehr mög- lich, wie äußerst kritisch dies auch der Sachverständige Norporth in seiner Stellungnahme anmerkte. Dies war of- fensichtlich aber auch nicht gewollt. Die Öffentlichkeit wurde bei diesem Projekt von Herrn Beck offenbar ge- scheut wie das Weihwasser vom Teufel. Hierzu passt auch das Ansinnen, nach der ersten Lesung ebenfalls die heu- tige zweite und dritte Lesung ohne Debatte stattfinden zu lassen. Absurd ist die Vorstellung, ein solch wichtiges Projekt im Kontext der Wiedergutmachung ohne jegliche Parlamentsdebatte zu begleiten. Inzwischen ist aber auch offenbar geworden, warum die Öffentlichkeit so sehr ge- scheut wird, denn im Frühjahr gab es einen ordentlichen und diskussionswürdigen Entwurf aus dem Bundesfi- nanzministerium zur Errichtung der Stiftung. Der hatte nur einen Nachteil. Er lief den Interessen des Abgeordne- ten Beck zuwider. Also wurde der Entwurf auf die eige- nen Belange hin zugeschnitten, um nicht zu sagen frisiert. Welcher Schaden für das Ansehen einer möglichen Stiftung, die den Namen Magnus Hirschfeld tragen solle, durch diese „Lex Beck“ entsteht, ist mehr als offenbar. Dabei war ursprünglich die Bereitschaft da, in einem fairen Gespräch unter allen Berichterstattern zu einem vertretbaren, gemeinsam Ergebnis zu kommen. Die Chance wurde vertan. Als Chance begriff ich auch die von uns beantragte öffentliche Anhörung. Dies sah die Koali- tion offensichtlich anders, denn erstmals wurden für eine Anhörung überhaupt keine Sachverständigen von der Ko- alition benannt. Die Botschaft an uns, aber auch an die Öf- fentlichkeit, sollte wohl lauten: Wir haben es nicht nötig. Schade. Ich jedenfalls habe gelernt, welch große Band- breite es an schwulem und lesbischem Leben in unserm Land gibt, und dass nicht ein einziger Verband den An- spruch erheben kann, für die Gesamtheit der Schwulen und Lesben zu sprechen. Mir war das vorher nicht so be- wusst. Es gab auch noch weitere neue und diskussions- würdige Vorschläge. Ich hatte jedenfalls erwartet – und aus den anderen Fraktionen vernahm ich auch diese Signale –, dass die Koalition die Berichterstatter nach der Anhörung noch einmal zu einem interfraktionellen Gespräch bittet. Eine Diskussion unter den Berichterstattern war aber offen- sichtlich unerwünscht. Es war alles längst entschieden. Die Koalition hat sich entschieden, grünes Licht für eine „Lex Beck“ zu erteilen. Die einmütige Kritik in der An- hörung, dass sich die Bandbreite lesbisch-schwulen Le- bens im Kuratorium überhaupt nicht widerspiegele, und selbstverständlich die Gleichrangigkeit der Verbände aus Prinzip gewährleistet sein müsse, wurde überhaupt nicht zur Kenntnis genommen und geradezu vorsätzlich miss- achtet. Stattdessen sind sachlich überhaupt nicht zu recht- fertigende Privilegierungen für gewisse Verbände un- übersehbar und bewusst von Herrn Beck gewollt. Man mag hierzu nur die Stellungnahmen der Sachverständigen nachlesen. Völlig zu Recht hat sich auch der Sachver- ständige Dose dafür ausgesprochen, eine moderate und mit einem hohen Quorum bewehrte Zu- und Abwahlbe- stimmung für die im Kuratorium vertretenen Organisatio- nen in das Gesetz aufzunehmen. Auch dieser Wunsch wurde geflissentlich missachtet. Auf die rechtsförmlichen und verfassungsrechtlichen Bedenken meiner Fraktion will ich im Einzelnen nicht mehr eingehen. Sie sind dem Bericht des Rechtsausschusses zu entnehmen. Es bleibt als traurige Quintessenz dieses ersten An- laufs, eine Magnus-Hirschfeld-Stiftung zu errichten, nur festzuhalten: Der ursprünglich über die Fraktionsgrenzen hinweg geltenden Vereinbarung, für die kollektive Ent- schädigung homosexueller Opfer eine würdige Form zu finden, wurde durch die Art und Weise, wie die Koalition das Gesetzgebungsverfahren betrieb, ein Bärendienst er- wiesen. Wir können als Christdemokraten dem vorliegen- den Gesetzentwurf, dieser „Lex Beck“, nicht zustimmen. Sollte das Gesetzgebungsverfahren bis zum Ende der Le- gislaturperiode nicht abgeschlossen sein und damit der Diskontinuität verfallen, besteht die Chance, in einem neuen Anlauf eine Magnus-Hirschfeld-Stiftung auf den Weg zu bringen, die in einer breiten Öffentlichkeit Ak- zeptanz und Anerkennung finden wird. Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Einige Worte zum historischen Hintergrund: Am 6. Mai 1933 wurde das von Magnus Hirschfeld gegründete Insti- tut für Sexualwissenschaften von NS-Studenten verwüs- tet und geplündert. Es war der Auftakt zur so genannten „Aktion wider den undeutschen Geist“. Aus dem Institut geraubtes Inventar wurde am 10. Mai 1933 bei der Bücherverbrennung auf dem Berliner Opernplatz ins Feuer geworfen. Dieses Institut war nicht nur Forschungsstätte und Be- ratungsstelle. Dort hatte auch die homosexuelle Bürger- rechtsarbeit eine wichtige Basis. Daneben existierten Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 245. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Juni 2002 24799 (C) (D) (A) (B) zahlreiche weitere Vereinigungen. Diese Verbände und Vereine von homosexuellen Männern und Frauen wurden von den Nazis verboten oder zur Selbstauflösung ge- zwungen. Zeitschriften mussten ihr Erscheinen einstellen. Die Zerschlagung der homosexuellen Bürgerrechts- bewegung, der schwulen und lesbischen Infrastruktur er- folgte so gründlich, dass sie sich weit über das Kriegsende hinaus zum Nachteil der Schwulen und Lesben auswirkte. Anders als bei anderen Opfergruppen hat es hierfür für die Homosexuellen bislang keinen kollektiven Ausgleich ge- geben. Dem dient nun die Stiftung. Sie soll die Erinnerung wach halten aber ebenso gegenwarts- und zukunftsbezo- gen arbeiten. In das Kuratorium berufen wird ein breites Spektrum bundesweiter oder internationaler Organisationen. Ein Problem war dabei zu bedenken: In der deutschen Ver- bändelandschaft gibt es weit mehr Vereinigungen schwu- ler Männer als Organisationen lesbischer Frauen. Um eine Mindestrepräsentanz von Frauen abzusichern, erhalten gemischtgeschlechtliche Verbände, die über einen rele- vanten Frauenanteil in der Mitgliedschaft verfügen, zwei Sitze mit der verbindlichen Maßgabe, davon mindestens einen mit einer Frau zu besetzen. Die Koalition hat das Gespräch mit allen Fraktionen gesucht, um einen Konsens beim Stiftungsgesetz zu errei- chen. Wir sind der Opposition weit entgegengekommen. Wir haben Anliegen der FDP wie der PDS aufgegriffen und waren – unter Zurückstellung fachlicher Bedenken – auch bereit, Vorschläge der CDU/CSU aufzunehmen, um zu einer Einigung zu kommen. Die Union war zum Konsens nicht bereit. In den Ver- handlungen hatten Sie von der Union verlangt, Verbände wie die Arbeitsgruppe Homosexuelle und Kirche und die ILGAaus dem Kuratorium zu entfernen. Selbst die Betei- ligung des Bundesverbandes der Eltern, Freunde und An- gehörigen von Homosexuellen haben Sie infrage gestellt. So hat die Union eine Verständigung verhindert. Jetzt kri- tisiert die CDU/CSU die Zusammensetzung des Kurato- riums. Diese Kritik erscheint mir vorgeschoben. Schließ- lich hätten Sie die Gelegenheit gehabt, mit einem Änderungsantrag im Rechtsausschuss einen eigenen Vor- schlag vorzulegen. Das haben Sie nicht getan. Noch verräterischer ist Ihr Verhalten im Haushaltsaus- schuss. Dort hat die CDU/CSU laut Ausschussbericht da- gegen gestimmt, weil sie die Stiftung nicht mit der Haus- haltslage des Bundes vereinbar hält. Im Klartext heißt das doch: Die Union will die Stiftung gar nicht. Ich habe den Eindruck, Sie wollen sich aus dem Konsens vom Dezem- ber 2000 stehlen. Um das zu bemänteln, bauen Sie eine wüste Vorwurfskulisse auf. Sie spielen wieder einmal po- litisches Theater. Ihre Vorwürfe verraten vielleicht einiges über Ihre Gedankenwelt, in der Sache treffen sie nicht zu. Es sind Projektionen. Um es klar zu sagen: Das Stiftungskapital ist kein Jack- pot. Das Kuratorium ist keine Gewinnausschüttungsge- meinschaft. Bei der Besetzung des Kuratoriums geht es nicht darum, Zuwendungen an die dort vertretenen Ver- bände zu leisten, sondern darum, deren Sachverstand für die Erfüllung der Stiftungszwecke zu nutzen. Lassen Sie mich noch eines betonen: Es wäre keines- wegs im Sinne der Sache, dass die Stiftung nun die För- derung schwuler und lesbischer Projekte durch Bund, Länder oder Gemeinden ersetzen soll. Die Stiftung soll im Bereich schwul-lesbischer Erinnerungs- sowie Emanzi- pations-, Bürger- und Menschenrechtsarbeit ergänzend tätig werden. Hier gibt es noch viel zu tun. Mit der Hirschfeld-Stif- tung wird ein großer Schritt nach vorne getan. Jörg van Essen (FDP): Die FDP begrüßt ausdrück- lich, dass es endlich gelingt, eine Magnus-Hirschfeld- Stiftung zu errichten. Wir können damit den Beschluss des Bundestages vom 7. Dezember 2000 umsetzen. Die Stiftung soll dem kollektiven Ausgleich dienen und die Lücken bei Entschädigungsleistungen für homosexuelle NS-Opfer schließen. Dem wird auch der Stiftungszweck gerecht. Ich bin froh, dass wir uns bei dessen Formulie- rung interfraktionell einigen konnten. Eine fraktionsüber- greifende Einigung über das gesamte Gesetz lag bereits in greifbarer Nähe. Es wäre ein wichtiges Signal gewesen, wenn sich der ganze Bundestag zu dieser Form des kol- lektiven Ausgleichs bekannt hätte. Ich bedaure daher sehr, das Rot-Grün diese Einigung verhindert hat. Eine Einigung über die Kuratoriumsbesetzung war nicht möglich. Insbesondere Bündnis 90/Die Grünen be- harrten auf der Forderung, dass dem LSVD und der ILGA als einzigen Verbänden je zwei Kuratoriumsmitglieder zu- stehen, während alle anderen Verbände nur je einen Ver- treter entsenden dürfen. Der FDP war wichtig; dass alle Verbände gleichberechtigt im Kuratorium vertreten sind. Rot-Grün sieht dies anders. Besonders ärgerlich ist, dass das schwul-lesbische Jugendnetzwerk Lambda bei der Ku- ratoriumsbesetzung völlig unberücksichtigt geblieben ist. Die Besetzung des Kuratoriums zeigt, dass es Rot-Grün nicht um die Stiftung geht, sondern nur um die rücksichts- lose Durchsetzung von Verbandsinteressen. Es geht nicht in erster Linie um die historische Aufarbeitung von natio- nalsozialistischem Unrecht und um die Durchsetzung des Stiftungszwecks; es geht vielmehr um die Befriedigung der eigenen Klientel. Es drängt sich der Eindruck auf, dass Kollegen nicht in der Lage sind, ihr politisches Mandat von ihrer Verbandsfunktion zu trennen. Obwohl wir die Stiftung als solche sehr begrüßen, war auf dieser Grundlage der Gesetzentwurf für die FDP nicht zustimmungsfähig. In der Abstimmung im Bundestag wird sich die FDP deshalb der Stimme enthalten. Christina Schenk (PDS): Die PDS-Fraktion begrüßt die Errichtung einer Magnus-Hirschfeld-Stiftung als Form der kollektiven Rehabilitierung und Entschädigung der homosexuellen Opfer des Nationalsozialismus. Damit wird dem einstimmigen Beschluss des Bundestages vom Dezember 2000 entsprochen. Wir sagen aber auch ganz klar: Es ist ein Skandal, dass sich die Bundesregierung noch immer weigert, endlich die wenigen noch lebenden Opfer der Homosexuellen- verfolgung in der Zeit des Nationalsozialismus individu- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 245. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Juni 200224800 (C) (D) (A) (B) ell zu entschädigen. Sie setzten auf Zeit – ein beschämen- des Kalkül. Die Hauptaufgabe der Stiftung wird es sein, die Diffa- mierung, Verfolgung und Vernichtung homosexueller Männer und Frauen in der Zeit des Nationalsozialismus wissenschaftlich zu erforschen. Was die Aufarbeitung die- ses Kapitels deutscher Geschichte angeht, besteht noch immer ein erhebliches Defizit hinsichtlich der Quellensi- cherung, der Forschung und der Erinnerung. Das betrifft insbesondere auch das Schicksal lesbischer Frauen. Wir bewerten es als positiv, dass im Ergebnis der Be- ratungen im Rechtsausschuss die im Stiftungszweck vor- gesehene Bürger- und Menschenrechtsarbeit um die Emanzipationsarbeit, das heißt die Förderung von Projek- ten, die dazu beitragen sollen, den Gründen gesellschaft- licher Ab- und Ausgrenzungen so genanner Minderheiten auf den Grund zu gehen und die Ursachen hierfür abzu- bauen, erweitert wurde. In den Beratungen ist die Zusammensetzung des Kura- toriums und die Stimmverteilung zwischen den darin ver- tretenen Verbänden auf massive Kritik gestoßen. Diese wurde auch in der Anhörung von ausnahmslos allen Ex- perten vorgebracht. Die vorgeschlagene Zusammenset- zung wird dem Hauptzweck der Stiftung, die Aufarbei- tung der Homosexuellenverfolgung in der Zeit des Nationalsozialismus sowie die Gedenk- und Erinnerungs- arbeit zu fördern, nicht gerecht. Lediglich zwei der neun Verbände arbeiten explizit historisch. Zugleich spiegelt die Zusammensetzung – auch das ist in der Anhörung sehr deutlich geworden – nicht die tatsächliche Vielfalt des les- bisch-schwulen Spektrums wider. Zudem ist die Vertre- tung lesbischer Interessen völlig unterrepräsentiert. Die überproportionale Präsenz des Teils des politischen Spek- trums, der durch den LSVD und die ihm nahe stehenden Organisationen repräsentiert wird, begründet den Ver- dacht, dass die Stiftung dem überproportionalen Einfluss eben dieser politischen Richtung ausgesetzt sein wird. Diese Befürchtung wird noch dadurch erhärtet, dass der LSVD und die ILGA im Kuratorium zwei und nicht wie alle anderen eine Stimme erhalten. Damit wird eine Ungleichrangigkeit der Verbände erzeugt, die nicht mit dem Stiftungszweck, sondern lediglich machtpolitisch begründbar ist. Volker Beck von den Grünen ist der Vor- wurf zu machen, die Stiftung mit der Makel der ver- bandseigenen Vorteilsnahme belastet zu haben. Wer die Stiftung für seine verbands- und machtpolitische Interes- sen funktionalisiert, lässt es an Achtung vor den homose- xuellen Opfer des Nationalsozialismus fehlen. Er schmälert ihre Akzeptanz innerhalb der lesbisch-schwu- len Communitiy. Beides ist für die Arbeit der Stiftung kontraproduktiv. Der Missstand der politischen Unausgewogenheit und der Eindruck, dass Verbandsinteressen über den Stif- tungszweck gestellt werden, ist im Ergebnis der Beratun- gen im Rechtsausschuss nicht beseitigt, sondern eher noch verstärkt worden. Die fehlende Bereitschaft der Ko- alitionsfraktionen, insbesondere der Grünen, zu konsens- fähigen Änderungen verhindert die mögliche, einmütige Zustimmung des Bundestages zu diesem Gesetzentwurf. Das bedauern wir sehr. Anlage 10 Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung der Großen Anfragen: – Wirtschaftspolitische Auswirkungen der EU- Osterweiterung – Vorbereitung der Grenzregionen auf die Ost- erweiterung der EU (Tagesordnungspunkt 13) Christian Müller (Zittau) (SPD): Die Osterweiterung der Europäischen Union ist ein länger andauernder Pro- zess. Er begann mit der Assoziierung der MOE-Länder, wird mit dem zu erwartenden Beitritt einen vorläufigen Höhepunkt erreichen und reicht darüber hinaus in die Zu- kunft. Am Ende dieses Prozesses dürften die gesamtwirt- schaftlichen Vorteile die auch eintretenden ökonomischen Nachteile überwiegen. Dieser Prozess muss so gestaltet werden, dass die potenziellen gesamtwirtschaftlichen Vorteile tatsächlich eintreten. Mit den Antworten der Bundesregierung zu zwei Großen Anfragen und der von ihr selbst in Auftrag gege- benen Studie „Preparity“ liegen sowohl eine umfassende Analyse als auch Handlungsempfehlungen für Wirtschaft und Politik vor. Lassen Sie mich kurz auf einige wenige Aspekte ein- gehen. Der erste soll am Beispiel der „Euroregion Neiße“ die regionale Bedeutung der Osterweiterung aufgreifen. Die im Mai 1991 gegründete trinationale „Euroregion Neiße“ im Dreiländereck Polens, Deutschlands und Tschechiens hat gemeinsame historische Bezüge und Wurzeln. Das heutige Dreiländereck war früher der Kern eines prosperierenden Wirtschaftsraumes. In der Ge- schichte der Region führte das Abschneiden traditioneller Verbindungen mehrfach zu Stagnation und wirtschaftli- chem Niedergang, nach 1945 in eine weitgehende Isola- tion der Teilgebiete. Seit 1990 durchschneidet eine EU- Außengrenze das Dreiländereck. Es wird derzeit in seiner wirtschaftlichen Entwicklungen eher behindert als inte- griert, auch wegen einer starken Asymmetrie in Rahmen- bedingungen und Förderung beiderseits der EU-Grenze. Seit Gründung der Euroregion geht es darum, sich „von unten her“, also in den Kommunen und Regionen, als Interessenvertretung des gesamten Grenzgebiets zu or- ganisieren. Dazu gehört, „von oben her“ nationalstaatli- che Absprachen im planerischen und wirtschaftlichen Be- reich zu treffen. Ein umfassendes Strukturkonzept wird erarbeitet, in das lokale und regionale Initiativen einge- passt werden können. Vielfältige Aktivitäten stehen für diesen Prozess, von der Abwasserentsorgung über Ver- kehrsprojekte und neuen Grenzübergängen im Interesse der Tourismuswirtschaft bis hin zu Projekten im Bereich Kultur und Sport. Die Zwillingsstädte Görlitz und Zgorzelec haben sich als Europastadt konstituiert. Zittau, Hrádek und Bogaty- nia kooperieren im Verbund „Kleines Dreieck“. Es geht künftig um grenzüberschreitende Regionalentwicklungs- konzepte, Raumordnung und Infrastruktur. Dies mag als Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 245. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Juni 2002 24801 (C) (D) (A) (B) Beispiel dafür dienen, wie Chancen für die Zukunft erar- beitet werden, die vor allem mit der Osterweiterung ihre eigentliche Grundlage erhalten werden. Zweitens darf natürlich nicht übersehen werden, dass die Erweiterung der EU eine strukturpolitische Herausfor- derung darstellt. Dazu darf auf die vorliegenden Antwor- ten der Bundesregierung verwiesen werden. Lassen Sie mich daher abschließend auf einige Optionen für die struk- turpolitische Flankierung der Osterweiterung eingehen. Regionen mit nicht wettbewerbsfähigen Strukturen werden unter verstärkten Anpassungsdruck geraten und müssen dies grundsätzlich mit eigenen Mitteln bewälti- gen. Aufgabe des Staates ist es, hierfür den geeigneten rechtlichen und finanziellen Rahmen bereitzustellen. Dies ist eine der wichtigen Aufgaben der anstehenden Reform der bundesstaatlichen Finanzverfassung. Wenn Regionen die notwendige Umstrukturierung al- lein nicht bewältigen können, sind Bund und Länder ge- fordert, regional gezielt zu helfen. Die Strukturpolitik muss darauf achten, dass sie auch nach 2006 dazu noch in der Lage ist. Bei der Überprüfung der EU-Leitlinien für Regional- beihilfen muss darauf hingewirkt werden, den in der Bei- hilfekontrolle verankerten Zusammenhang zwischen Umfang des nationalen Fördergebietes und EU-Durch- schnitten aufzuheben. Die Mitgliedstaaten brauchen ausreichende regionalpolitische Spielräume. Die EU-Bei- hilfenkontrolle muss stärker in Richtung Miss- brauchskontrolle entwickelt werden. Die Bund-Länder-Gemeinschaftsaufgabe „Verbesse- rung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ muss als regel- gebundenes System der gemeinsamen Regionalförderung von Bund und Ländern erhalten bleiben. Sie ist das wich- tigste Instrument für die Förderung von gewerblichen In- vestitionen und zur Bewältigung erweiterungsbedingter Herausforderungen in strukturschwachen Regionen. Sie bietet zugleich einen Koordinierungsrahmen für die re- gionale Wirtschaftsförderung der Länder und andere raumwirksame Maßnahmen. Bund und Länder müssen zur Flankierung der Ost- erweiterung ihre strukturwirksamen Maßnahmen stärker aufeinander abstimmen und in Zukunft stärker als bisher die Rolle als Initiator, Moderator und Mediator im regio- nalen Strukturwandel suchen und übernehmen. Klaus Francke (CDU/CSU): Wenn Europa einmal einträchtig sein gemeinsames Erbe verwalten würde, dann könnten seine drei- oder vierhundert Millionen Einwohner ein Glück, einen Wohlstand und einen Ruhm ohne Grenzen genie- ßen. ... Wir müssen eine Art Vereinigte Staaten von Europa schaffen. ... Wenn das Gebäude der Vereinig- ten Staaten von Europa gut und gewissenhaft errich- tet wird, muss darin die materielle Stärke eines ein- zelnen Staates von untergeordneter Bedeutung sein. Kleine Nationen werden ebenso zählen wie große und sich durch ihren Beitrag zur gemeinsamen Sache Ehre erwerben. Diese Sätze, die bis heute nichts von ihrer Gültigkeit verloren haben, sprach Sir Winston Churchill am 16. Sep- tember 1946 in Zürich. In starker Überzeichnung der jetzigen Situation, aber nicht ohne Besorgnis erregenden Hintergrund, konnten wir am vergangenen Sonnabend in der „Welt“ eine Karikatur sehen, die die Errichtung einer nach außen wirkenden Mauer mit dem Emblem „EU – frisch gestrichen“ zeigt. Sosehr es notwendig ist, eine Fülle von Detailfragen vor dem Beitritt neuer Länder zu verhandeln, so warne ich davor, das große politische Ziel des 20. und 21. Jahr- hunderts, geboren aus den Erfahrungen des beginnenden 20. Jahrhunderts, aus den Augen zu verlieren. Nicht Egois- men und Rechthaberei bringen uns dem Ziel näher, son- dern staatsmännische Weisheit und gelegentlicher Ver- zicht zugunsten der Gemeinschaft aller Europäer. Zu der Antwort auf die Große Anfrage beschränke ich mich auf einige aus unserer Sicht wesentliche Punkte des wirtschaftlichen Erweiterungsprozesses. In der Antwort heißt es unter anderem: Beitrittsbedingten Risiken wird im Rahmen der Bei- trittsverhandlungen durch einen fairen Ausgleich der Interessen der Beteiligten Rechnung getragen. Diese Bemerkungen treffen ganz sicher nicht für das Ergebnis in Sevilla zu, wenn man hier überhaupt von ei- nem Ergebnis reden kann. In diesem Zusammenhang zitiere ich aus der Antwort auf Frage 17: Für die Bundesregierung stellt die nachhaltige Un- terstützung des Umstrukturierungsprozesses in der Land- und Ernährungswirtschaft der Beitrittsländer einen Schwerpunkt ihrer Verhandlungsstrategie im Kapitel Landwirtschaft dar. Das Verschieben eines Ergebnisses auf den November bzw. Dezember durch die Bundesregierung, wie in Sevilla geschehen, erleichtert die Verhandlungen nicht, sondern gefährdet den allseits erklärten Willen, das Gesamtpaket der Erweiterung entscheidungsreif zum Ende dieses Jah- res vorzulegen. In den Antworten der Bundesregierung zu unseren Fra- gen bezüglich der Übernahme des „Acquis commun- autaire“ durch die Beitrittsländer wird zu stark auf die rein faktische Übernahme abgestellt. Die tatsächlichen Ver- hältnisse werden unterbewertet. Nach wie vor, wenn auch mit auffälligen Unterschieden, lässt die tatsächliche An- wendung europäischen Rechts in den Beitrittsländern trotz wiederholter Hinweise aus der deutschen Wirtschaft sehr zu wünschen übrig. Rechtssicherheit aber ist ein we- sentliches Entscheidungsmerkmal für Auslandsinvestitio- nen. Hier bleibt unsere Forderung an Bund und Länder be- stehen, ihre Bemühungen zur Verbesserung der Rechts- und Verwaltungsstrukturen durch entsprechende Hilfen zu verstärken. Hinweise in der deutschen Presse, dass Gelder aus den EU-Vorbeitrittsprogrammen aus Mangel an entsprechen- den Verwaltungsstrukturen und qualifiziertem Personal nicht in vollem Umfang abgerufen worden sind, unter- streichen dieses Anliegen. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 245. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Juni 200224802 (C) (D) (A) (B) In der Europäischen Union leben heute rund 373 Mil- lionen Menschen. Nach dem Beitritt der zwölf Beitritts- kandidaten erhöht sich ihre Zahl um circa 105 Millionen auf rund 480 Millionen Menschen. Die EU wird damit zum größten Binnenmarkt der Welt. Für die deutsche Wirtschaft eröffnen sich neue Absatzmärkte. Dies müssen wir Zweiflern im eigenen Lande immer wieder erklären. Es sind drei Bereiche, denen wir unsere besondere Auf- merksamkeit zuwenden müssen: Erstens den Grenzregionen. Die Antworten der Bun- desregierung zu unseren Fragen sind statisch. Sie lassen jegliche zukunftsweisenden Zielvorgaben vermissen. Un- ser Vorschlag, die EU-Regionalförderung mit zusätz- lichen nationalen Mitteln kozufinanzieren – Drucksache 14/6638 –, fand keine Berücksichtigung. Folge: Die Haushaltsmittel für die Regionalförderung im Rahmen der bestehenden Programme und Instrumente wurden nicht im Bundeshaushalt 2002 erhöht. Damit ist die na- tionale Kofinanzierung des geplanten EU-Förderpro- gramms für die Grenzregionen nicht sichergestellt und der Programmstart verzögert sich. Die Konzeptionslosigkeit der Bundesregierung zur Frage „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ und der Zukunft der Gemeinschaftsaufgabe nach 2006 vor dem Hintergrund der Beschlüsse der EU wurde am Mittwoch im Wirtschaftsausschuss überdeutlich, als der Vertreter der Bundesregierung auf eine entsprechende Frage meiner Fraktion antwortete: „Eine abgestimmte Po- sition der Bundesregierung zu dieser Frage gibt es nicht.“ In diesem Kontext will ich auf einen weiteren Punkt hinweisen. Wir haben in Deutschland das erfolgreiche Konzept der Handels- und Handwerkskammern. Im An- satz sind vergleichbare Strukturen in den Beitrittsländern vorhanden. Die Zusammenarbeit, wo sie denn vorhanden ist, ist reibungslos und gut. Dennoch fehlt es ausländi- schen Kammern oftmals an geschultem Personal, um zum Beispiel in den Grenzregionen durch gemeinsame Bear- beitung von Ausschreibungen auf Europa-, Bundes- und Länderebene gerade mittelständischen Unternehmen bei- derseits der Grenze einen angemessenen Anteil am Wirt- schaftsaufkommen zu sichern. Hier ist eine Unterstützung von deutscher Seite notwendig. Zweitens. Jegliche Verstärkung der Wirtschaftskraft und damit Reduzierung der hohen Arbeitslosigkeit in den Grenzregionen setzt eine exzellente Verkehrsinfrastruktur voraus. Folgendem Satz in der Antwort der Bundesregie- rung kann ich deshalb nur zustimmen: In Erwartung der enger werdenden Wirtschaftsver- flechtungen geht die Verkehrsprognose 2015 von ei- nem überpropotional starken Wirtschafts- und Ver- kehrswachstum in den Beitrittsländern aus. Und was nun? Auch hier keine zielorientierte Antwort, mit der die Menschen in den betroffenen Regionen etwas anfangen und sich auf die Situation einstellen könnten. Aus rein taktischen Gründen haben die Koalitionsfraktio- nen unseren Antrag 14/7455 „Deutsche Verkehrsinfra- struktur auf EU-Osterweiterung vorbereiten“ abgelehnt. Drittens. Unsere Fragen zum Bereich „Bildung, Aus- bildung und Weiterbildung“ hat die Bundesregierung mit der Darstellung der jetzigen Verhältnisse beantwortet. Was wir auch hier vermissen, sind neue zukunftsfähige Ansätze. Wenn zu Recht auf die Chancen gerade der jungen Ge- neration beiderseits der Grenzen durch die Erweiterung aufmerksam gemacht wird, dann muss es ein besonderes Anliegen des Bundes, der Länder und der Beitrittsländer sein, den Unterricht in der Sprache des jeweils angren- zenden Landes zu fördern. Das Deutsch-Polnische Gym- nasium in Löcknitz, Mecklenburg-Vorpommern, und ähn- liche Einrichtungen in Brandenburg oder Sachsen sind gute Beispiele. Die Kapazitäten reichen jedoch bei weitem nicht aus. An einer notwendigen Initiative des Landes Mecklen- burg-Vorpommern zum Beispiel, durch entsprechende Bildungs- und Lehrpersonalpolitik investitionshem- mende Sprachbarrieren abzubauen, mangelt es. Auch der Bund muss sich dieser Frage annehmen. Lassen Sie mich zum Abschluss noch einmal auf den Ausgangspunkt zurückkommen. Michaele Schreyer, die Kommissarin für Haushalt und Finanzkontrolle, hat kürz- lich einen Beitrag in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung betitelt mit „Vereinigung Europas nicht an Schafsprämien koppeln“. Ganz so simpel ist es sicherlich nicht, aber ein Kern von Wahrheit steckt schon in diesem Satz. Die Regierung Helmut Kohl hatte sich mit Zustim- mung dieses Hauses zu Beginn der Wendezeit berechtig- terweise zum Anwalt der jetzigen Beitrittskandidaten auf ihrem Weg nach Europa gemacht. Dafür ist ihm und ganz Deutschland Dank gezollt worden. Vergessen wir dies nicht! Die Erweiterung setzt der Teilung Europas ein Ende und sichert damit Frieden und Wohlstand. Dieses Ziel zu erreichen, bleibt der nachdrückliche Auftrag auch des nächsten Bundestages. Werner Schulz (Leipzig) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Die Europäische Union steht vor einer epochalen Herausforderung. Mit der Erweiterung und der Stärkung ihres inneren Zusammenhalts stellen sich zwei große poli- tische Gestaltungsaufgaben. Ihr Gelingen ist für die Zu- kunftsfähigkeit Europas von entscheidender Bedeutung. Die Erweiterung der Europäischen Union nach Osten und Südosten ist eine politische Notwendigkeit und Chance. Bündnis 90/Die Grünen wollen die zügige Erweiterung. Wir fordern dies aus dem Bewusstsein der historischen Bedeutung des Projektes, vor allem seiner friedens- und demokratiepolitischen Dimension, und in dem Wissen, dass sich die Herausforderungen, die sich mit der Aus- dehnung der Union auch für die deutsche Gesellschaft er- geben, meistern lassen und die Vorteile die Anpassungs- lasten bei weitem überwiegen. Die Erweiterung der EU ist das Signal an die mittel- und osteuropäischen Länder, dass die künstliche Grenze des Kalten Krieges endgültig überwunden ist. Die Erwei- terung stabilisiert die enormen wirtschaftlichen und politischen Anpassungsprozesse, welche die Kandidaten- länder, teils unter erheblichen Entbehrungen und Belas- tungen ihrer Bürgerinnen und Bürger, unternommen Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 245. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Juni 2002 24803 (C) (D) (A) (B) haben. Gerade vor diesem Hintergrund darf die Hoffnung der jungen Demokratien auf einen EU-Beitritt nicht ent- täuscht werden. Wenn wir den Zeitplan einhalten, dann werden wir die Beitrittsverhandlungen mit rund zehn Ländern noch in diesem Jahre abschließen. Dann könnten bereits im Jahre 2004, bei den nächsten Wahlen, die ers- ten Abgeordneten aus den Beitrittstaaten ins Europäische Parlament einziehen. Das laufende Jahr hat somit im- mense Bedeutung für die größte Erweiterung der EU, die es bislang gegeben hat. Es entsteht der größte Binnen- markt der Welt. Rund 100 Millionen Menschen werden der EU beitreten. Die Bundesrepublik Deutschland ist aufgrund der geo- graphischen Lage der wichtigste Handelspartner der Bei- trittsländer, Schon jetzt profitiert Deutschland durch einen hohen Handelsüberschuss von den Vorbereitungen auf den Beitritt. Gleichzeitig haben die Direktinvestitionen erheblich zugenommen. Nach der Erweiterung werden sich die Handelsbeziehungen noch intensivieren. Die Aussichten auf ein noch stärkeres Wachstum in den Bei- trittsstaaten wird die Exportmöglichkeiten der deutschen Wirtschaft weiter steigern. Mittlerweile gehen fast zehn Prozent der deutschen Exporte in die Länder Mittel- und Osteuropas. Bereits jetzt sind die Beschränkungen im Wa- renhandel mit unseren östlichen Nachbarn weitgehend liberalisiert. Der Strukturwandel ist in den Grenzregionen bereits in vollem Gange. Die Erweiterung selbst wird zu keinen neuen ökonomischen Schocks führen. Stattdessen gilt es, den bereits laufenden Strukturwandel, der sich in den kommenden Jahren forcieren wird und muss, poli- tisch zu begleiten. Mit der EU-Osterweiterung eröffnet sich für Ost- deutschland die Chance, von einem transfergestützten Beitrittsgebiet zu einer beispielhaften europäischen Ver- bindungsregion zu werden. Als zentrale Region im zu- sammenwachsenden Europa bietet Ostdeutschland Stan- dortvorteile für alle Unternehmen, die die Märkte in den mittel- und osteuropäischen Beitrittsländern erschließen wollen. Infrastrukturell sind die ostdeutschen Bundeslän- der bereits heute gut auf die künftigen Herausforderungen vorbereitet. Die Investitionen der vergangenen Jahre ma- chen sich bezahlt. Die Kommunikationsnetze zählen zu den besten Europas. Die überregionalen Verkehrsverbin- dungen, Logistik und Dienstleistungsbereiche sowie For- schungs- und Technologieeinrichtungen sind allerdings bedarfsgerecht zu ergänzen und auszubauen. Die Osterweiterung der Europäischen Union ist ein äußerst komplexer Vorgang. Auch wenn längerfristig die wirtschaftlichen Vorteile überwiegen, sind Risiken nicht auszuschließen. Je nach Region, Wirtschaftsbereich oder anderen spezifischen Bedingungen – etwa die Qualifizie- rung der Menschen – sind unterschiedliche Effekte denk- bar. Ängste, Sorgen und Skepsis gegenüber Europa sind auch nachvollziehbar, weil viele Menschen nicht verste- hen, wer warum von weitem in ihren Alltag eingreift. Für uns Bündnisgrüne liegt ein besonderes Augenmerk auf der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit, die sich nicht auf wirtschaftliche Kooperation beschränken darf. Vor allem in der kulturellen, gesellschaftlichen und poli- tischen Zusammenarbeit liegt ein enormes Potenzial für das Gelingen des Erweiterungsprozesses. Die Erweite- rung stärkt die historische und kulturelle Identität Euro- pas, die auf gemeinsamen Werten und Wurzeln basiert. Das Verständnis von Sprache, Geschichte und gegenseiti- ger Befindlichkeit liefert den Schlüssel für die Veranke- rung des gesamteuropäischen Einigungsprozesses auch in den Herzen der Menschen und damit für eine breite Ak- zeptanz und Solidarität in den nationalen Bevölkerungen. Nicht zuletzt die grenzüberschreitende Zusammenarbeit, wie sie bereits seit Jahren von vielen Kommunen und Re- gionen, aber vor allem auch von vielen Nichtregierungs- organisationen, gepflegt werden, führen bereits heute vor Augen, was die Erweiterung bedeutet: eine gegenseitige Bereicherung. Gudrun Kopp (FDP): Die europäische Geschichte lehrt uns einige interessante Erfahrungen: Holländische und hugenottische Handwerker haben das vom Dreißig- jährigen Krieg und extrem geringer Bevölkerungsdichte gekennzeichnete Brandenburg im 17. Jahrhundert aufge- baut. Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit waren Grundvoraussetzungen für den Aufstieg Preußens. Polni- sche Zuwanderer haben dafür gesorgt, dass das Ruhrge- biet im 19. Jahrhundert seinen Aufschwung zur wichtigs- ten Region Europas vollziehen konnte. Der Einsatz polnischer Saisonkräfte bei der Ernte ist auch schon vor dem Ersten Weltkrieg gang und gäbe gewesen. Die deut- sche Gastronomie dürfte unter dem Strich von den in den 50er-Jahren aus Italien gekommenen Impulsen erheblich profitiert haben. Die erwarteten Probleme mit spanischen oder portugiesischen Wanderarbeitnehmern sind nach 1986 bei weitem nicht in der befürchteten Weise aufge- treten, obwohl das Lohn- und Gehaltsgefälle durchaus vergleichbar mit dem Gefälle zu den osteuropäischen Ländern jetzt war. Die Bauwirtschaft hat seit vielen Jah- ren Erfahrungen mit dem Versuch einer wirksamen Ab- schottung gegen billige Arbeitskräfte gemacht. Im Ergeb- nis haben weder die EU-Entsenderichtlinie noch das deutsche Entsendegesetz oder für allgemein verbindlich erklärte Mindestlöhne die unbestreitbare Krise der Bau- wirtschaft wesentlich mildern können. In der ökonomischen Diskussion wird die Zuwande- rung zurzeit auf der einen Seite als eine Lösungsmöglich- keit demographischer Probleme angepriesen und als Hilfe bei Spezialistenmangel bemüht. Auf der anderen Seite steht die Angst vor Billigkonkurrenz. Um es klar zu sa- gen: Diese Billigkonkurrenz ist längst da. Es geht darum, Zuwanderung auf eine einwandfreie und transparente Ba- sis zu stellen. Das geht besser mit EU-Mitgliedstaaten. Bei den EU-Kategorien von Freizügigkeit ist aus- drücklich zu unterscheiden zwischen der Freizügigkeit der Arbeitnehmer auf der einen Seite und der Dienstleis- tungsfreiheit bzw. der Niederlassungsfreiheit auf der an- deren Seite. Zwar sind beide Arbeiten der Freizügigkeit in den ökonomischen Auswirkungen vergleichbar, aber Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit fallen im juris- tischen Sinne unter die Bestimmung zum Dienstleistungs- handel und sind an anderer Stelle als Arbeitnehmerfreizü- gigkeit geregelt. Übergangs- oder Quotenregelungen hat es in diesem Bereich bei früheren Erweiterungsrunden nicht gegeben. Die Freizügigkeit der Arbeitnehmer hingegen wurde im Falle Spaniens und Portugals für sieben Jahre Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 245. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Juni 200224804 (C) (D) (A) (B) eingeschränkt. Es hat sich jedoch bald herausgestellt, dass diese Regelung überflüssig war: Durch die Aussicht auf wirtschaftliche Besserung in ihren Herkunftsländern, die sich durch den EU-Beitritt ergab, sind nicht nur weniger Portugiesen und Spanier von dort ausgewandert, sondern es sind bereits in Deutschland lebende Gastarbeiter sogar wieder in ihre Länder zurückgekehrt. Netto ergab sich für Deutschland daraus mehr Ab- als Zuwanderung. Es ist nicht auszuschließen, dass die Dienstleistungs- freiheit in Deutschland ökonomisch sehr viel weitrei- chendere Folgen als die Beschränkung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer haben wird. Polnische Reparaturwerk- stätten und Handwerksbetriebe bieten schon jetzt ihre Leistungen in Grenznähe an. Ähnliche Probleme könnten im Verkehrssektor auftreten. Dennoch sollte man hier nicht zu verzagt sein und den deutschen Unternehmen zu- trauen, dass sie der neuen Konkurrenz etwas entgegenzu- setzen haben. Wettbewerb belebt bekanntlich das Ge- schäft. Denn auch das zurzeit noch vorhandene Wohlstandsgefälle wird sich mit der Zeit vermindern. Die Angleichung bei den Lohn- und Arbeitsbedingungen ist keine Einbahnstraße nach unten, sondern wird sich auch in Polen und Tschechien, und zwar nach oben, vollziehen. Dazu wird nicht zuletzt die Übernahme vieler EU-rechtli- cher Bestimmungen beitragen. Schon heute liegt die Arbeitslosenquote in Branden- burg höher als in Westpolen – Brandenburg: rund 17 Pro- zent, Westpolen: rund 15 Prozent. Das West-Ost-Gefälle bei den Einkommen ist beim Vergleich der Grenzregionen deutlich geringer als bei einem Vergleich ganzer Länder. Es liegt in Kaufkraftparitäten gerechnet vielfach nur noch bei 10 Prozentpunkten, während die Einkommen in Kauf- kraftparitäten gerechnet in Tschechien im Schnitt 60 Pro- zent, in Polen 40 Prozent des deutschen Niveaus betragen. Zu beachten ist auch das erhebliche Wohlstandsgefälle im Innnern vieler Beitrittsländer, das dort jedoch nicht zu entsprechenden Binnenwanderungen führt. Für die Grenzregionen ergeben sich durchaus einige Chancen: In strukturell schwachen Regionen, die oft un- ter der Abwanderung junger, gut qualifizierter Arbeits- kräfte leiden, können Migranten und Pendler einen wich- tigen Beitrag zur Erhöhung der Produktivität leisten. Die regionalen Entwicklungschancen im Strukturwandel kön- nen so vergrößert werden. Ein Zustrom junger, gut ausge- bildeter Arbeitskräfte könnte hier helfen, vorhandene Qualifikationslücken zu schließen. Diese Chancen wer- den teilweise dort auch anerkannt, zum Teil überwiegen aber die Befürchtungen. Daher verdienen die Initiativen zahlreicher Grenzlandkammern, die sich gemeinsam mit den Kammern aus den Beitrittsländern aktiv auf die Er- weiterung vorbereiten, besondere Unterstützung. Die Erweiterung der Europäischen Union liegt poli- tisch und ökonomisch im deutschen Interesse: Vom EU- Beitritt werden nicht nur die Staaten Mittel- und Osteuro- pas profitieren. Auch für die bisherigen 15 Mitgliedstaaten wird es höhere Wachstumsperspektiven geben. Das stärks- te Wachstumspotenzial hat Deutschland. Die Sorgen vor zu viel Freizügigkeit hingegen sind unbegründet. Neuauf- nahme-Kandidaten sind: Bulgarien, Estland, Lettland, Li- tauen, Polen, Rumänien, Slowenien, Tschechien, Ungarn und die Slowakei. Zur Frage des passenden Zeitplans für die Aufnahme in die EU wird es entscheidend sein, wel- che Beitrittskandidaten schnellstens das notwendige wirt- schaftspolitische Reformprogramm abgeschlossen haben. Hier darf es keinen politischen Sonderrabatt geben. Besonders brisant stellt sich die Problematik der Agrarsubventionen dar. Eindeutig ist, dass das Gewicht des landwirtschaftlichen Sektors in den Beitrittsländern wesentlich größer ist als in der jetzigen EU. Davon geht ein erheblicher Reformdruck auf die EU-Agrarpolitik aus, den die einen als heilsam und die anderen als bedrohlich empfinden. Für die FDP steht schon längst fest: Erstens. Die europäische Landwirtschaft braucht einen massiven Abbau von Bürokratie. Nötig sind mehr Markt- wirtschaft und weniger bürokratische Marktregulierungen. Zweitens. An der Entkoppelung der Direktzahlungen von der Produktion führt kein Weg vorbei. Die FDPweist dafür folgende Richtung: Eine produktionsunabhängige Kulturlandschaftsprämie soll gezahlt werden als Honorar für erbrachte Leistungen und muss auf die gesamte land- wirtschaftliche Fläche ausgedehnt werden. Fazit: In der Summe stößt die Osterweiterung bei der Bevölkerung leider noch auf Skepsis. Hier ist die Bun- desregierung in der Pflicht, die Menschen über den Bei- trittsprozess und seine Folgen weit besser zu informieren und von der Notwendigkeit der Osterweiterung zu über- zeugen, als dies bisher geschehen ist. Uwe Hiksch (PDS): In den nächsten Monaten wird sich entscheiden, ob die Erweiterung der EU zu einer Erfolgsgeschichte wird oder durch falsche Weichenstel- lungen der Politik strukturelle Verwerfungen für Land- wirtschaft, Industrie und Arbeitnehmerinnen und Arbeit- nehmer noch verstärkt werden. Die Erweiterung der Europäischen Union darf nicht al- leine unter dem Spardiktat des Bundesfinanzministers ge- staltet werden. Mit den aktuellen Forderungen der rot- grünen Bundesregierung wird eine Europäische Union in zwei Klassen geschaffen. Dies kann auch unter Gerech- tigkeitsgesichtspunkten nicht aktzeptiert werden. Dies be- deutet jedoch auch, dass die Verteilungsmechanismen in der EU auf den Prüfstand müssen. Mit der Erweiterung der Europäischen Union muss sich auch der so genannte Briten-Rabatt erledigen. Wenn die Bundesregierung ihre fragwürdige Verzöge- rungstaktitk in der Agrarfrage aufgibt, wird es möglich sein, die Bürgerinnen und Bürger der zehn Kandidaten- länder 2004 an den Wahlen zum Europäischen Parlament zu beteiligen. Nicht nur diese Wahlen, sondern auch die Referenden über die Beitrittsverträge verpflichten uns, al- les Mögliche dafür zu tun, dass die Menschen in Mittel- und Osteuropa die Integration in die Europäische Union als einen Gewinn betrachten können, der zwar mit vielen schmerzlichen Anpassungen verbunden ist, ihnen aber auf längere Sicht auch ökonomische und soziale Vorteile brin- gen wird. Eine Chance, das europäische Projekt für die Men- schen erfahrbar zu machen und die Erweiterung erfolg- reich zu gestalten, bieten vor allem die Grenzregionen, die in der Geschichte der europäischen Integration immer Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 245. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Juni 2002 24805 (C) (D) (A) (B) eine besondere Rolle für die Herausbildung einer europä- ischen Identität und eines europäischen Alltags gespielt haben. Die Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der PDS hat aber eines deutlich gemacht: Die Bundesregierung weigert sich, aus der vielstimmigen Kri- tik am EU-Aktionsprogramm Konsequenzen zu ziehen. Die PDS erneuert deshalb ihre Kritik an der zu gerin- gen Finanzausstattung des EU-Grenzregionenprogramms und die einseitige Fixierung auf die großen Ost-West-Ver- kehrsverbindungen. 195 Millionen Euro für 23 Grenzre- gionen mit 33 Millionen Einwohnern sind zu wenig. Nur durch massiven Druck des Europäischen Parlamentes konnte das Programm noch einmal um 65 Millionen Euro aufgestockt werden. Dass davon 150 Millionen Euro für großräumige Verkehrsinfrastrukturmaßnahmen vorgese- hen sind, ist in vielen Fällen – wie zum Beispiel der Fich- telgebirgsautobahn – nicht nur ökologisch fragwürdig, sondern geht auch am realen Bedarf an kleinräumigen und grenzüberschreitenden Verkehrsverbindungen vorbei. Nicht zuletzt wird durch die Tatsache, dass für das Ak- tionsprogramm kaum zusätzliche EU-Mittel mobilisiert wurden, bei den Menschen in den Grenzregionen der Ein- druck verstärkt, von den nationalen und europäischen Entscheidungsträgern allein gelassen zu werden. Maßnahmen, die keinen Cent kosten, aber den Akteu- ren vor Ort zeigen würden, dass ihre Probleme ernst ge- nommen werden, wie einfachere Antragsverfahren bei Förderprogrammen oder eine bessere Abstimmung zwi- schen Interreg und PHARE/CBC wurden bisher nicht in Angriff genommen. Die Bundesregierung verfährt jetzt nach dem altbe- kannten Muster: Mehr war eben in Brüssel nicht zu holen. Aber auch die Bilanz ihres eigenen Engagements sieht mehr als mager aus: Die Bundesregierung weigert sich, ein eigenständiges Förderprogramm für die Grenzregio- nen aufzulegen, und verweist auf die bestehenden För- dermöglichkeiten, die ja auch von den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern sowie den Unternehmen in den Grenzregionen wahrgenommen werden könnten, oder sie schiebt die Verantwortung auf die Länder ab. Insgesamt wird deshalb deutlich: Die Bundesregie- rung hat sich auf die defensiven Maßnahmen wie zu lange Übergangsfristen bei der Arbeitnehmerfreizügig- keit und der Dienstleistungesfreiheit beschränkt. Eine vorausschauende Politik der Bundesregierung für die Grenzregionen ist nicht erkennbar. Die Förderung von grenzüberschreitenden Projekten und regionalen Wirt- schaftskreisläufen steckt noch in den Kinderschuhen. Ergebnis dieser verfehlten Politik ist eine in der Bun- desrepublik weiter vorherrschende skeptische Haltung gegenüber der EU-Erweiterung und eine mangelnde Be- reitschaft von Unternehmen, grenzüberschreitend aktiv zu werden. In Polen und Tschechien dagegen schwindet die Unterstützung für den Erweiterungsprozess vor allem aufgrund der Politik nach Gutsherrenart, wie sie der Kanzlerkandidat der CDU/CSU, Edmund Stoiber, mit sei- nen geschichtsrevisionistischen Thesen repäsentiert, aber auch infolge der diskriminierenden Behandlung der ost- europäischen Landwirte. In den polnischen und tschechi- schen Grenzregionen gewinnt nicht zuletzt deshalb eine Stimmung wieder die Oberhand, die eine neuerliche deut- sche Landnahme befürchtet. Diese Stimmungslagen auf beiden Seiten der Grenze sind nicht das Klima für innovative und kooperative Pro- jekte, die für ein Zusammenwachsen in den Grenzregio- nen so bitter vonnöten sind. Wenn wir nicht erleben wol- len, dass die Referenden in Osteuropa scheitern und die Grenzregionen zu reinen Transitstrecken degenerieren, gilt es jetzt ein wirkliches Programm für diese Regionen aufzulegen und damit den Willen der Politik zum Aus- druck zu bringen, das Jahrhundertprojekt Osterweiterung zu einem erfolgreichen Abschluss zu bringen. Ich emp- fehle deshalb, dem Entschließungsantrag und dem Wahl- programm der PDS zu folgen. Ditmar Staffelt, Parl. Staatssekretär beim Bundesmi- nister für Wirtschaft und Technologie: Die Große Anfrage der CDU/CSU-Fraktion „Wirtschaftspolitische Auswir- kungen der EU-Osterweiterung“ und die Große Anfrage der PDS-Fraktion „Vorbereitung der Grenzregionen auf die Osterweiterung der EU“ befassen sich mit dem euro- päischen Projekt der nahen Zukunft, mit der EU-Erweite- rung. In den Antworten der Bundesregierung wird deut- lich, welche großen Chancen und allerdings auch wenige, aber beherrschbare Risiken die EU-Erweiterung für un- sere Bevölkerung, unsere Wirtschaft und besonders auch für unsere Regionen an den Grenzen zu den Beitrittslän- dern Polen und Tschechien mit sich bringt und welche in- tensiven und erfolgreichen Bemühungen die Bundesre- gierung unternimmt, um die EU-Erweiterung erfolgreich zu gestalten. Erstens. Auf die Große Anfrage der Fraktion der CDU/CSU zu den wirtschaftlichen Auswirkungen der EU-Erweiterung gibt die Bundesregierung einen umfas- senden Überblick über die wirtschaftlichen Perspektiven und Herausforderungen der EU-Erweiterung. Die Ant- worten können in folgender politischer Kernaussage zu- sammengefasst werden: Die EU-Erweiterung ist auch aus wirtschaftlicher Sicht gut für Deutschland und für Europa. Mögliche beitrittsbedingte Risiken werden durch eine vorausschauende Politik der Bundesregierung auf euro- päischer Ebene beherrschbar. Der Prozess der EU-Erweiterung befindet sich in seiner entscheidenden Phase. Die Diskussion zu den finanzwirk- samen Fragen hat gerade zum Ende der spanischen Präsi- dentschaft einen ersten Höhepunkt erlebt. Auch in diesen ebenso schwierigen wie wichtigen Verhandlungskapiteln arbeitet die Bundesregierung entschieden daran, eine für die Beitrittsländer, für die EU und für Deutschland akzep- table Lösung in dem vorgegebenen Zeitrahmen zu finden. Ziel bleibt trotz der noch zu lösenden Probleme wei- terhin, die Beitrittsverhandlungen mit bis zu zehn Bei- trittsländern Ende des Jahres 2002 abzuschließen, damit die Erweiterung 2004 erfolgen kann. Danach ist die EU der größte Binnenmarkt der Welt, auf dem Unternehmen für ihre Investitionen und Handelsaktivitäten ein Höchst- maß an Handlungsfreiheit bei gleichzeitiger Rechts- und Planungssicherheit vorfinden werden. Hiervon werden auch die kleinen und mittleren Unternehmen profitieren. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 245. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Juni 200224806 (C) (D) (A) (B) Mit dem näher rückenden Beitrittstermin wächst auch das Interesse der Bevölkerung an diesem Thema. Nach Meinungsumfragen hat die Zustimmungsquote in den vergangenen Monaten spürbar zugenommen. Dazu hat beispielsweise der erfolgreiche Einsatz der Bundesregie- rung für eine flexible Beschränkung der Freizügigkeit von Arbeitnehmern aus den neuen Mitgliedstaaten und ana- loge Regelungen für besonders sensible Bereiche des Dienstleistungssektors einen wesentlichen Beitrag geleis- tet. Die Bundesregierung ist zuversichtlich, dass diese Maßnahmen und eine vernünftige Lösung der Finanz- fragen den Meinungstrend in der deutschen Bevölkerung auch in den nächsten Monaten positiv beeinflussen werden. Zweitens. Die Antworten auf die Große Anfrage der PDS „Vorbereitung der Grenzregionen auf die Osterwei- terung der EU“ enthalten sowohl umfassende als auch de- taillierte Aussagen und Informationen zu diesem Prozess. Der Bogen wird gespannt über die Notwendigkeit der strukturellen Anpassung der Grenzregionen an die EU- Osterweiterung bis zu den vielfältigen Möglichkeiten ei- ner spezifischen, strukturpolitischen Flankierung des An- passungsprozesses durch EU, Bund und Länder und des EU-Aktionsprogramms, mit dem die EU den Grenzregio- nen in den fünf von der Osterweiterung betroffenen Mit- gliedstaaten zusätzliche Finanzmittel zur Verfügung stellt. Mit der EU-Erweiterung gewinnen die Grenzregionen in der EU an Zentralität. Das führt zu einem Zugewinn aus der grenzüberschreitenden Arbeitsteilung und gibt damit neue Impulse für die Wettbewerbsfähigkeit der Grenzre- gionen. Fit gemacht werden die Grenzregionen zum Beispiel durch Projekte, die im Rahmen der EU-Förderprogramme Interreg III A und PHARE/CBC zur Steigerung der Wirt- schaftskraft durchgeführt werden, aber auch durch das spezielle Beratungsprogramm „Absatzförderung Ost“, die Deutsch-Polnische Wirtschaftsförderungsgesellschaft, durch Kooperationszentren der Industrie- und Handels- kammern, durch Kooperationen, Bündnisse und Netz- werke zwischen Deutschland und Polen sowie Tschechien auf den verschiedenen Gebieten. Die EU-Erweiterung wird zu einem deutlich steigen- dem Verkehrsaufkommen führen. Damit erhöhen sich die Anforderungen an die Verkehrsinfrastruktur in den Grenzregionen und die Notwendigkeit ihres weiteren Ausbaus. Die Bundesregierung unterstützt Verkehrspro- jekte mit besonderer Bedeutung für die Grenzregionen. Durch die in den Antworten zu den beiden Großen An- fragen dargestellten Maßnahmen ist sichergestellt, dass die globale Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands gestärkt wird und es nicht zu Verwerfungen für Bevölkerung und Wirtschaft, insbesondere in den grenznahen Regionen zu den Beitrittsländern, kommt. Die Bundesregierung wird ihren eingeschlagenen Kurs bei den Beitrittsverhandlungen auch weiter zielstrebig verfolgen, damit die Erweiterung für alle Beteiligten ein Erfolg wird. Anlage 11 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Unterrichtung durch die Bun- desregierung zur Zusammenarbeit zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinten Nationen im Jahr 2001 (Tagesordnungs- punkt 14) Brigitte Adler (SPD): Was wäre, wenn es die Verein- ten Nationen nicht gäbe? Wie könnte die Völkergemein- schaft auf Krisen, Bürgerkriege oder Epidemien reagie- ren? Der Streit, der hin und wieder aufflammt, ob mehr bilateral oder multilateral geregelt werden sollte, ist über- flüssig. Ohne multilaterale Vereinbarungen und Organisa- tionen wären so manche Probleme nicht zu lösen gewesen, da oft ein einzelner Staat mit der Hilfe überfordert wäre. Die Weltbank, der IWF, die VN mit ihren Unterorgani- sationen werden dringend gebraucht. Vor allem die VN-Organisationen, die sich um die Länder des Südens kümmern, sind eine wertvolle Ergänzung der bilateralen entwicklungspolitischen Zusammenarbeit. Als Beispiele seien die UNDP, die FAO, die UNIDO, der UNHCR, die ILO und die WHO genannt. Die Arbeit der VN-Institutionen muss aber auch der breiten Öffentlichkeit weltweit und bei uns verdeutlicht werden. UNIC unterhält unter anderem in Bonn, der deut- schen UN-Stadt, mit einer Außenstelle in Berlin, ein In- formationszentrum. Die Mitarbeiter informieren über die Presse, den Rundfunk und das Fernsehen über die Arbeit der VN. Aber auch die Bürger haben die Möglichkeit, sich dort zu unterrichten. Die Bundesregierung legt mit ihrem Bericht zur Zu- sammenarbeit zwischen der Bundesrepublik und den VN dar, wie sie die Aufgaben der VN unterstützt, aber auch, wenn nötig kritisch hinterfragt, so zum Beispiel, wenn Reformen angemahnt werden. Aber nicht nur um Anmah- nen geht es, sondern es werden konstruktive Vorschläge unterbreitet, für die man dann wirbt. So hat die deutsche VN-Vertretung im Auftrag der Bundesregierung einen, wie es im Bericht heißt, „straffen und zukunftsorientier- ten Resolutionstext für Afghanistan vorgelegt“. Auch bei Fragen der Abrüstung und der Rüstungskontrolle konnte auf Anregung von deutscher Seite eine Konsensresolution verabschiedet werden. Der Generalsekretär der VN, Kofi Annan, hat bei seinem Besuch im Februar dieses Jahres im Deutschen Bundestag auf die neue Rolle Deutschlands in der Weltgemeinschaft hingewiesen und sich für die große Unterstützung durch die Bundesregierung bedankt. In seiner Rede ging er unter an- derem auf die friedenserhaltenden Einsätze internationaler Truppen in verschiedenen Ländern ein. Der Einsatz deut- scher Soldaten auf dem Balkan und in Afghanistan konnte aufgrund der Beschlüsse des Weltsicherheitsrates durch den Bundestag genehmigt werden. So wichtig die militärischen Einsätze in Krisengebieten sind, so bedeutsam sind die Aufarbeitung und Bekämp- fung der Ursachen der Konflikte. Hunger und Armut sind dabei die wichtigsten Gründe, die anderes nach sich zie- hen, wie Krankheit, Unterernährung oder Hungertod. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 245. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Juni 2002 24807 (C) (D) (A) (B) Anfang der 90er-Jahre haben die VN mit großen Welt- konferenzen versucht, die Ursachen offen zu legen und Lösungsvorschläge zu unterbreiten. Rio 1992, die große Umweltkonferenz, machte den Anfang, im September dieses Jahres wird in Johannesburg die zweite Folgekon- ferenz stattfinden. Der Schwerpunkt dieser Konferenz wird auf Nachhaltigkeit und Entwicklung liegen. In den zehn Jahren nach Rio hat es einen Nachdenkensprozess gegeben, dessen Ergebnis ist, dass Armut umweltzerstö- rerisch wirken kann, ebenso wie die Ausbeutung von natürlichen Ressourcen durch die Industrieländer des Nordens. Beide, der Süden und der Norden, tragen Ver- antwortung, um diese Prozesse umzukehren. Schutz der Wälder und der naturnahe Umgang mit den Böden gilt es ernst zu nehmen. Die Förderung von Handwerk und Ge- werbe, um Arbeit zu schaffen, muss angepackt werden. Ehrliche, also betriebswirtschaftliche und volkswirt- schaftliche Preise für Rohstoffe und verarbeitende Pro- dukte müssen bezahlt werden, um ruinöse Methoden ab- zustellen. Die Finanzierung der Entwicklungsaufgaben waren be- reits im mexikanischen Monterrey behandelt worden. Der Fortschritt sei eben eine Schnecke, wird oft behauptet. Der Konsens auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner gibt trotzdem Hoffnung für die Weiterarbeit an den gewonne- nen Erkenntnissen. Die Gesprächsrunden während der Konferenz zeigten, dass noch Überzeugungsarbeit bei de- nen geleistet werden muss, die sich als Bremser betätigen. Den VN ist es zu verdanken, dass auf dem so genann- ten Millenniumsgipfel 2000 ein ehrgeiziges Ziel formu- liert worden ist, nämlich die Halbierung der Armut bis 2015. Die Bundesregierung hat dazu ein Aktionspro- gramm verabschiedet, damit in der deutschen Zusam- menarbeit mit den Ländern des Südens dieses Ziel er- reicht werden kann. Auch im eigenen Land gilt es, solch ein Ziel nicht aus den Augen zu verlieren. Die Bundesre- gierung hat mit Umweltminister Trittin und Frau Wieczorek-Zeul, der Bundesministerin für wirtschaftli- che Zusammenarbeit und Entwicklung, zwei kompetente Minister mit der Vorbereitung für Johannesburg beauf- tragt. Dadurch wird deutlich, dass beide Bereiche im Blick der politischen Aufgabe stehen. Wie bedeutsam diese Konferenzen sind, kann man an den internationalen Verträgen und Vereinbarungen mit verpflichtendem Charakter ablesen. Die Konsensfindung ist oft nicht leicht, muss aber immer wieder in Angriff ge- nommen werden. Als Beispiel sei auf die WTO-Verhand- lungen oder die Konferenzen für Frauenrechte, Habitat, Weltkindergipfel und anderes hingewiesen. Ein schwieri- ges Kapitel solcher Verhandlungen war und ist nach wie vor der Internationale Strafgerichtshof. Das Abseitsstehen der USAmacht noch Kopfzerbrechen. In einen anderen schwierigen Themenfeld konnte Übereinstimmung erzielt werden, wenngleich die Umset- zung problematisch bleibt. Es geht um die Aids-/HIV- Bekämpfung. Auch hier hat die Bundesrepublik sich po- sitiv eingemischt. Bei der Frage des Preises für Aids-Medikamente konnte die Bundesministerin Wieczorek-Zeul mit einem deutschen Pharmaunterneh- men Hilfe erreichen. Die finanzielle Ausstattung des Aids-Fonds lässt leider noch zu wünschen übrig. Die Finanzen sind weiterhin ein heikles Thema für die VN. Auf Seite 61 des Berichtes kann eine Zusammenstel- lung des deutschen Pflichtbeitrages von 1991 bis heute nachgesehen werden. Die enorme Aufstockung ist natür- lich auf die Finanzierung der militärischen Missionen zurückzuführen. Nicht verschwiegen werden soll, dass aufgrund unserer Haushaltskonsolidierung die freiwilli- gen Leistungen nicht weiter steigen konnten. Dennoch ist die Bundesregierung bereit, die Verant- wortung in der Weltgemeinschaft durch multilaterale Zu- sammenarbeit zu übernehmen. Bereit zu sein, zu vermit- teln und dabei gute Kompromisse auszuhandeln ist ein Markenzeichen deutscher Beteiligung. Zu erkennen, dass Prävention wichtiger ist als Reparatur, macht es möglich, Vorschläge vorzulegen, die akzeptiert werden. Mit dem Zivilen Friedensdienst, ZFD, hat die Bundesregierung sich zusammen mit NGOs ein Instrument geschaffen, um im Vorfeld, und wenn nötig in krisenhaften Situationen – nicht während kriegerischer Handlungen –, Hilfe anzu- bieten. Wenn es gelingen könnte, Ursachen aufzudecken und nicht nur an „Wirkungen“ zu arbeiten, könnte dem Terro- rismus der Nährboden entzogen werden. Leider stehen politische Interessen einzelner Staaten dem oft entgegen. Diese zu identifizieren und zu einer Verhaltensänderung zu bewegen ist notwendig und ein anzustrebendes Ziel. Die Instrumentalisierung von religiösen und ethnischen Einstellungen, um politische und wirtschaftliche Macht auszuüben, ist abzulehnen und zu verhindern. In diesem Zusammenhang steht die Stärkung der Zi- vilgesellschaft durch die VN. Hier anzusetzen ist eine wichtige Aufgabe, um die Menschen gegen „Verführer“ unempfindlich zu machen und sich wehren zu können. Die Sorgen der Menschen über die auf sie zukommen- den Auswirkungen einer ungezügelten Globalisierung ha- ben die VN und die Bundesregierung aufgenommen und konkrete Vorschläge unterbreitet. Ein mühsamer Prozess, um zu konkreten Vereinbarungen zu kommen, sei nicht unterschlagen. So zeigen zum Beispiel die WTO-Ver- handlungen, wie schwierig es ist, voranzukommen. Mit der großen Wasserkonferenz in Bonn im vergan- genen Jahr hat die Bundesregierung ein Problem aufge- nommen, das immer stärker ins Bewusstsein der Weltöf- fentlichkeit rückt. Sauberes Wasser, ein öffentliches Gut, das es dringend zu schützen gilt. Mit der Stärkung und dem Ausbau des VN-Standortes Bonn zeigt die Bundesregierung, wie ernst es ihr mit der Zusammenarbeit mit den VN ist. Reformen des VN-Sys- tems werden konstruktiv begleitet. Sitz und Stimme im Sicherheitsrat werden angestrebt, dabei wird aber nicht übersehen, dass auch andere Weltregionen besser und an- gemessener vertreten sein müssen. Der Bericht der Bundesregierung zeigt auf, wie viel- fältig die Aufgaben im VN-System sind. Alles in der ge- botenen Kürze darzustellen, um die Breite der Arbeit er- kennen zu lassen, geht nicht. Aber auf eines möchte ich zum Schluss noch hinweisen: Die Bundesregierung hat auch in dem Berichtszeitraum zusammen mit den VN die Politik der Anerkennung der Menschenrechte und die Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 245. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Juni 200224808 (C) (D) (A) (B) Förderung der Demokratie vorangetrieben. Frieden, Ent- wicklung, Bewahrung der natürlichen Lebensgrundlagen als weitere Ziele institutionell zu verankern strebt sie wei- ter an, Ziele, die Schritt für Schritt umgesetzt werden müssen. Ohne die multilaterale Institutionen der VN wäre dies nicht möglich. Der Bundesregierung ist zu danken, dass sie so nachdrücklich diese Arbeit unterstützt und mit konkreten Vorschlägen die gesteckten Ziele zu erreichen sucht. Diese Aufgabe konsequent fortzusetzen ist Auftrag und Verantwortung zugleich. Die Koalitionsfraktionen unter- stützen die Bundesregierung in dieser Aufgabe. Den Be- richt nehmen wir dankbar zur Kenntnis. Clemens Schwalbe (CDU/CSU): Die Anschläge vom 11. September in den Vereinigten Staaten haben schmerzlich gezeigt, dass sich nach dem Zusammenbruch des Ostblockes die Welt nicht mehr in Konfrontation von Staatenblöcken einteilen lässt, sondern Feindschaften durch radikale Gruppierungen innerhalb von Staaten he- raus entwickelt werden können, die in unserer globalisier- ten Welt jeden Tag und jede Stunde Anschläge auf die ge- samte zivilisierte Welt verüben können. Hieraus erwächst meiner Ansicht nach die größte Konsequenz für eine Re- form der Vereinten Nationen. Erfreulicherweise hat der Generalsekretär der Verein- ten Nationen Kofi Annan dies nach dem 11. September mit den Worten zum Ausdruck gebracht: „Die Vereinten Nationen und die internationale Gemeinschaft müssen den Mut haben, zu erkennen, dass es nicht nur gemein- same Ziele, sondern auch gemeinsame Feinde gibt.“ So haben sich auch schnell der Sicherheitsrat und die Gene- ralversammlung der Vereinten Nationen der Verurteilung der Anschläge angeschlossen und sich für die Unterstüt- zung von Maßnahmen gegen die Verantwortlichen sowie gegen jene Staaten ausgesprochen, die den Tätern Hilfe, Unterstützung oder Unterschlupf gewährt haben. Die Hal- tung vieler Staaten aller Glaubensrichtungen und aller Re- gionen, entschieden gegen den Terrorismus vorgehen zu wollen, verdeutlicht am besten die globale Antwort auf die grausamen Anschläge. Die bisherigen Konventionen der Vereinten Nationen haben einen rechtlichen Rahmen zur Ausrottung des Ter- rorismus geschaffen, so die Auslieferung und die Strafver- folgung der Täter oder die Bekämpfung der Geldwäsche. Diese Konventionen müssen uneingeschränkt verwirklicht werden. In diesem Zusammenhang müssen sich die Ver- einten Nationen aber auch über eine klare und unmissver- ständliche Definition des Begriffes „Terrorismus“ einigen, um auch die Verfolgung durch den Internationalen Ge- richtshof zu ermöglichen. Unser gemeinsamer Antrag „Die Vereinten Nationen an der Schwelle zum neuen Jahrtausend“ vom letzten Jahr unterstützt die Charta der VN zum Weltfrieden, verlangt aber auch, dass die Verantwortlichkeit Deutschlands bei den Vereinten Nationen gestärkt werden soll. Ich begrüße deshalb den letzte Woche von der Bundesregierung vor- gelegten Bericht im Parlament über die deutsche VN-Po- litik, ist dies doch ein konkretes Ergebnis dieses Antrages. Ein weiterer wichtiger Punkt ist die militärische Rolle Deutschlands in den Vereinten Nationen. Ich kann zwar das „Stand-by-Arrangement“ der Bundesregierung be- grüßen, ich kritisiere jedoch gleichzeitig die desolate Rea- lität bei der Bundeswehr. Bei ihrer schwierigen und ge- fährlichen Aufgabe hat die Bundeswehr unsere nachhaltige und volle Unterstützung verdient. Womit wir uns aber nicht mehr abfinden werden und können, ist, dass die Absiche- rung und Ausstattung dieser Einsatztruppen zu einer deut- lichen Verschlechterung der übrigen Bereiche der Bun- deswehr führt. Es muss sich endlich auch in der finanziellen Ausstattung der Bundeswehr insgesamt nie- derschlagen, sonst sind wir unglaubwürdig gegenüber un- seren Soldaten und gegenüber unseren Verbündeten. Friedenssicherung ist ein Aufgabengebiet, das ange- sichts der vielen kriegerischen Konflikte in aller Welt nach wie vor im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit steht. Das „Peace-keeping“ der UN steht heute vor einer kom- plizierteren Situation; die Mehrzahl der Konflikte spielen sich nicht mehr wie früher zwischen souveränen Staaten ab, sondern innerhalb der Staaten selber, als Bürgerkriege, vor meist ethnischem oder religiösem Hintergrund. Es ist also weiterhin zu erwarten, dass vermehrte Peace-Keeping-Einsätze zur Erhaltung des Friedens in verschiedenen Regionen notwendig werden. Der Erfolg solcher Missionen wird aber immer mehr davon abhängig sein, inwieweit die Konfliktparteien selbst eine größere Bereitschaft zur Konfliktbeseitigung erkennen lassen. Am Beispiel Naher Osten oder Afrika sehen wir, dass ein Misstrauen bzw. ein fehlender Friedenswille der Kon- fliktparteien die Regel ist, und damit können die VN nicht zielführend tätig werden. Aber auch hier gilt, Friedensprävention und -erhaltung kosten Geld. Wenn wir als Deutsche mehr Engagement in den verschiedenen UN- Friedensmissionen bzw. Unteror- ganisationen in Krisengebieten fordern und erwarten, steht dies in Widerspruch zur Absenkung der freiwilligen Beiträge in Bereichen wie UNDP, UNICEF oder UNFPA. Dies wird nicht nur als sehr bedauerlich angesehen, son- dern hat auch eine Signalwirkung auf die Zahlungsbereit- schaft anderer Geberländer. Die wichtigste Reform der UNO ist jedoch die Reform des Sicherheitsrates. Hierbei wird auch das Interesse Deutschlands an einem ständigen Sitz im Sicherheitsrat bekundet. Jedoch besteht die Reform nicht nur in einer Er- höhung der Zahl der Mitglieder im Sicherheitsrat, wenn zum Beispiel das bisherige Vetorecht bestehen bleibt. Wir müssen uns in diesem Zusammenhang aber auch Gedan- ken machen, was ein ständiger Sitz im Sicherheitsrat für Deutschland bedeuten wird. Neben dem Aspekt der Ver- pflichtung der deutschen Außenpolitik auf einen koopera- tiven Internationalismus wird deutlich, dass Deutschland im Falle einer ständigen Sicherheitsratmitgliedschaft nicht nur einen wachsenden Beitrag an politischem Enga- gement zu leisten, sondern den Vereinten Nationen auch einiges mehr an personeller und materieller Unterstützung zur Verfügung zu stellen hätte als bisher. Aber gerade im personellen Bereich muss Deutschland eine strategisch bessere Arbeit leisten. Angesichts der Beitragshöhe sind wir in verantwortungsvollen Positionen in VN-Gremien weit unterrepräsentiert. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 245. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Juni 2002 24809 (C) (D) (A) (B) Ein anderer Aspekt ist, dass die Mandate, die den Ver- einten Nationen und anderen Organisationen übertragen werden, häufig deren Kapazität übersteigen, weil Organi- sationsstrukturen bzw. Verantwortliche vor Ort fehlen, da- mit die Hilfe auch die Bedürftigen erreicht. Dadurch ent- steht oft eine zu große zeitliche Lücke zwischen der Zusage von Mitteln und ihrer Ausreichung. Dies zeigt sich gerade deutlich im Falle Afghanistans. Denn hier ist die Friedenskonsolidierung auf die Dynamik eines möglichst schnellen Wiederaufbaus angewiesen. Zurzeit ist es von äußerster Wichtigkeit, zum Beispiel Lehrern und Polizisten ihre Gehälter auszuzahlen, um nicht neuer Korruption Vorschub zu leisten, Saatgut für die neue Ernte bereitzustellen und in den Städten wie auf dem Land Arbeitsplätze zu schaffen. Solche schnell wir- kenden Projekte können in den frühen Phasen einer Frie- denskonsolidierungsoperation vieles ausmachen – vor al- lem wenn es um die Hilfe der örtlichen Bevölkerung geht. Generalsekretär Annan hat es sich zur vorrangigen Auf- gabe gemacht, die Vereinten Nationen durch ein umfas- sendes Reformprogramm neu zu beleben; den traditionel- len Einsatz der Organisation im Bereich der Entwicklung und der Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit zu stärken; die Menschenrechte, die Rechts- staatlichkeit und die allgemeinen Grundwerte der Gleich- heit, Toleranz und Menschenwürde, die in der Charta der Vereinten Nationen festgelegt sind, zu fördern und zu ver- teidigen; schließlich das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Organisation dadurch zu stärken, dass Kontakte zu neuen Partnern geknüpft und „die Vereinten Nationen näher an die Menschen herangebracht“ werden. Konkret sieht es so aus, dass seit 1997 versucht wird, eine neue Führungs- und Managementstruktur zu schaf- fen. Weitere Reformen sind die Sicherstellung der Zah- lungsfähigkeit durch die Einrichtung eines Kreditfonds, die Zusammenfassung von zwölf Sekretariatseinheiten auf nunmehr fünf, die Einführung einer neuen Manage- mentkultur mit Management- und Effizienzsteigerungs- maßnahmen, die Überprüfung der erforderlichen Kennt- nisse und Bedingungen im Bereich Personalwesen, eine Verbesserung der Schnelleingreifkapazitäten der VN bei Friedenseinsätzen sowie die Stärkung der Friedenskonso- lidierung in der Konfliktfolgezeit. Mehr Menschenrechts- aktivitäten, die Förderung der Abrüstungsagenda, eine Verbesserung der Reaktionsfähigkeit bei humanitären Notsituationen und die Verbesserung der Öffentlichkeits- arbeit sind dabei auch zu nennen. Dennoch können die Vereinten Nationen alleine die zukünftigen Herausforderungen nicht bewältigen, wir alle müssen dazu das Unsere tun. Alles hängt davon ab, wie sich die Mitgliedstaaten und Regierungen dafür engagie- ren. Eine Herausbildung von globalen Politiknetzwerken halte ich ebenfalls für sehr wichtig. Diese Netzwerke ver- einen internationale Institutionen, Organisationen der Zi- vilgesellschaft und des Privatsektors sowie Regierungen bei der Verfolgung gemeinsamer Ziele. Dies zu erreichen bedarf weiterhin großer Anstrengungen. Die VN müssen eine stärker ergebnisorientierte Organisation werden. Hierbei wächst auch und insbesondere Deutschland eine besondere Rolle zu. Nach der Wiedervereinigung wird dies auch von Deutschland erwartet. Die besondere Rolle bezieht sich aber nicht nur auf die Beteiligung an militärischen Aktionen, sondern auf die Bereitschaft und Fähigkeit, Vermittlungs- und Führungsfunktion auszu- führen. Aus der Erfüllung dieser Aufgaben ergibt sich meiner Ansicht nach die beste Empfehlung für einen Sitz im Sicherheitsrat. Lassen Sie mich zum Schluss noch ein persönliches Wort sagen, da dies meine letzte Rede hier im Deutschen Bundestag ist. Nachdem ich acht Jahre als Parlamentari- scher Geschäftsführer in meiner Fraktion gearbeitet habe und diese Funktion zu einer der interessantesten Aufga- ben innerhalb des Parlamentes gehört, habe ich in den letzten vier Jahren schwerpunktmäßig im Auswärtigen Ausschuss und als stellvertretender Vorsitzender des Un- terausschusses „Vereinte Nationen“ arbeiten können. Diese Arbeit hat mir viel Freude gemacht, aber gleichzei- tig in mir persönlich die Fähigkeit gestärkt, Probleme im eigenen Land auch in differenzierter Sichtweise zu wirk- lichen Problemen in der Welt zu betrachten. Ich hatte immer wieder Gelegenheit, zahlreiche UN- Missionen vor Ort zu besuchen, und – ich kann dies nach- drücklich sagen – die Realität vor Ort macht häufig sehr nachdenklich, jedenfalls darüber, ob wir nicht mehr dank- bar sein müssten, dass wir seit Jahrzehnten von Krieg, Not und Elend verschont sind. Deshalb wünsche ich mir ab- schließend, dass die VN-Politik im deutschen Parlament zukünftig nicht mehr so stiefmütterlich und im Verborge- nen wie bisher behandelt wird, sondern einen gebühren- den Platz in der Außenpolitik erhält. Ihnen allen wünsche ich für die Zukunft alles Gute. Birgit Homburger (FDP): Dem unermüdlichen Ein- satz von Generalsekretär Kofi Annan und der verantwor- tungsvollen Haltung des Sicherheitsrates ist es zu verdan- ken, dass die Vereinten Nationen nach dem 11. September 2001 ihre zentrale Rolle in der Weltpolitik wieder über- nehmen können. Die Zahlung rückständiger Beiträge der USA, die Verleihung des Friedensnobelpreises an Kofi Annan und die wiedergewonnene Funktionsfähigkeit des Sicherheitsrates im weltweiten Kampf gegen den Terro- rismus bieten jetzt eine günstige Ausgangslage für eine weitere Stärkung der Vereinten Nationen. Kofi Annans Besuch in Berlin vor wenigen Monaten hätte Anlass für die Bundesregierung sein sollen, dem Ge- neralsekretär hierfür konkrete Vorschläge zu unterbreiten. Doch außer unverbindlichen Freundlichkeiten war von der Bundesregierung nichts zu vernehmen. Und auch im vorliegenden Bericht der Bundesregierung finden sich keine Hinweise auf neue Initiativen. Als drittgrößter Bei- tragszahler steht Deutschland nicht nur in einer ganz be- sonderen Verantwortung, es sollte auch eigenes Interesse daran haben, Einfluss zu nehmen. Der Afghanistan-Einsatz wie schon vor ihm die Einsätze auf dem Balkan zeigen, dass es sich bei zukünf- tiger weltweiter Streitschlichtung nicht nur um Aktionen einzelner Staaten handeln kann, sondern dass die Staaten- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 245. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Juni 200224810 (C) (D) (A) (B) gemeinschaft als Ganzes gefordert ist. Das Gewaltmono- pol der UNO muss unangetastet bleiben. Es darf nicht sein, dass immer neue Streitkräfteeinsätze auf fragwürdi- gen völkerrechtlichen Grundlagen erfolgen. Wenn die Vereinten Nationen für die Wahrung des Weltfriedens mehr Verantwortung übernehmen sollen, muss ihre politi- sche Koordinierungsfunktion durch eigene streitschlich- tende und Frieden schaffende Kapazitäten ergänzt werden. Wir brauchen daher eine Stärkung friedenserhaltender und Frieden schaffender Maßnahmen durch den Aufbau per- manenter Blauhelmkapazitäten im Sinne des Brahimi-Be- richtes. Es müssen endlich die innenpolitischen Voraus- setzungen dafür geschaffen werden, dem Generalsekretär unter Wahrung der verfassungsrechtlichen Pflichten des Deutschen Bundestages militärische Kontingente zur Teilnahme an UNO-Friedensmissionen zur Verfügung zu stellen. Wir haben hierfür einen Antrag vorgelegt. Die deutsche VN-Politik darf sich nicht auf den eher halbherzig vorgetragenen Wunsch einer Mitgliedschaft im Sicherheitsrat beschränken. Wer mitreden will, muss auch mithandeln. Dies setzt sowohl größeres Engagement in den VN-Reformbestrebungen als auch eine aktivere deutsche VN-Personalpolitik sowie ein entsprechendes deutsches Engagement an VN-Blauhelmmissionen vo- raus. Dies bedeutet aber auch, dass die Bundesregierung die Bemühungen um einen dauerhaften Sitz im Sicher- heitsrat verstärken muss. Es kann nicht sein, dass deutsche Streitkräfte an zehn Friedensmissionen weltweit beteiligt sind, der Sicherheitsrat aber ohne unsere Beteiligung über Einsatzmodalitäten entscheidet. Wir meinen, der Berichtszeitraum hätte zum Anlass ge- nommen werden können, gegenüber unseren Partnern in der Europäischen Union eine Initiative zur Stärkung der Vereinten Nationen als zentralem Instrument zur Bewäl- tigung der neuen globalen Herausforderungen zu ergrei- fen. Im Zentrum dieser Initiative sollte unter anderem ste- hen: eine zügige Umsetzung der VN-Reform, eine Aufwertung der Generalversammlung durch Stärkung ih- rer Ausschüsse und Kommissionen, eine weitere Stärkung der Stellung des Generalsekretärs, der Ausbau der ent- wicklungspolitischen humanitären VN-Organisationen und eine Stärkung der VN-Blauhelmkapazitäten. Dringend nötig ist ferner eine bessere Koordinierung der EU-Mitgliedstaaten untereinander. Es ist beileibe nicht so – wie im Bericht der Bundesregierung behauptet – dass sich die EU „durch ihr verstärktes gemeinsames Auftreten innerhalb weniger Jahre zum einflussreichen Gestalter“ in den VN entwickelt hätte. Wir fordern daher eine gemein- same Europäische VN-Politik. Einen entsprechenden An- trag haben wir vorgelegt. Darüber hinaus sollte die Dezentralisierung der Verant- wortung des Sicherheitsrates durch Übertragung von Kompetenzen an regionale Abmachungen im Sinne von Kapitel VIII der UNO-Charta ein Schwerpunkt der zukünftigen deutschen UNO-Politik werden. Der Sicher- heitsrat darf nicht mit der Lösung sämtlicher regionaler Konflikte überfordert werden. Die Bundesregierung sollte mit ihren Partnern in der EU ferner in der Generalver- sammlung eine Initiative mit dem Ziel ergreifen, das er- folgreiche KSZE/OSZE-Modell der Vertrauensbildung und Konfliktschlichtung in anderen Regionen – wie etwa im Nahostkonflikt oder für die Krisenregion um Afghanis- tan – umzusetzen. Um jedoch eine dem politischen und wirtschaftlichen Gewicht Deutschlands angemessene Position einnehmen zu können, muss die Bundesregierung auch endlich ihre Hausaufgaben erledigen. Es darf nicht sein, dass die deut- schen Beiträge zu humanitären VN-Organisationen weiter reduziert werden. Die Bundesregierung muss endlich ei- nen verbindlichen Finanzplan für die Realisierung der von ihr angekündigten Politik der Armutsreduzierung im Rah- men des VN-Millenniumprogramms vorlegen. Schließlich sollte es gerade ein vorrangiges deutsches Anliegen sein, das Netzwerk der VN-Gerichtsbarkeit weiter zu stärken. Die Durchsetzung von Völkerrecht und Menschen- rechten im Rahmen der Globalisierung hat Kofi Annan zum Hauptanliegen seiner Amtszeit gemacht. Wir Deut- schen sollten ihn hierbei nach Kräften unterstützen. Petra Bläss (PDS): Der Bericht gibt einen umfas- senden Überblick über deutsche Aktivitäten in dieser uni- versellen Weltorganisation. Den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in allen diesen Gremien, die zahlreichen Nichtregierungsorganisationen eingeschlossen, gebührt Dank. In Anbetracht der riesigen globalen Probleme und He- rausforderungen und nicht zuletzt aufgrund der grausa- men Erfahrungen des 11. September ist die Bedeutung dieser einmaligen Organisation nicht hoch genug einzu- schätzen. Wir haben uns immer für ihre Stärkung einge- setzt und wir haben immer kritisiert, wenn sie – vor allem von der einzig verbliebenen Weltmacht – an den Rand geschoben wurde, wenn ihr die notwendigen Mittel vor- enthalten und wenn diese Organisation und damit das Völkerrecht generell geschwächt wurden. Die Bundesre- gierung ist an solchen Entwicklungen nicht unbeteiligt – ich nenne für die Vergangenheit nur das Stichwort Koso- vokrieg. Aber auch der ansonsten penibel alle deutschen Aktivitäten auflistende Bericht lässt solches erkennen. Nur wenige Beispiele: Erstens. Der Bericht weist aus, dass vor allem die frei- willigen Beiträge der Bundesrepublik erheblich zurück- gegangen sind. Für die Zukunft wird infrage gestellt, dass die frühere – an den Potenzen Deutschlands gemessene auch nicht gerade überragende – Höhe in absehbarer Zeit erreicht wird. Dabei ist die Welt weder friedlicher noch stabiler geworden. Die Zahl der bewaffneten Konflikte hat zugenommen. In Regionen wie dem Nahen Osten oder Südasien stiegen die Spannungen vehement – von den Er- fordernissen der Entwicklungszusammenarbeit oder der Lösung globaler Probleme nicht zu reden. Zweitens. Im Bericht nehmen Fragen der Abrüstung, Rüstungskontrolle und Nichtweiterverbreitung von Mas- senvernichtungswaffen breiten Raum ein. in der Tat ar- beitet die Bundesrepublik in den verschiedenen UN-Gre- mien mit, bemüht sie sich um eine Intensiverung des globalen und regionalen Dialogs. Wo bleibt aber das ei- gene Beispiel zur Reduzierung der Streitkräfte und Rüs- tungsausgaben? Wo bleiben deutsche Abrüstungsvor- schläge? Wo bleibt angesichts der jüngsten Erklärungen Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 245. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Juni 2002 24811 (C) (D) (A) (B) aus den USA für so genannte „defensive Interventionen“ das ganze Spektrum konventioneller und nuklearer An- griffsoptionen einsetzen zu wollen, zum Beispiel das ent- schiedene deutsche Auftreten und Wirken gegen die nu- kleare Erstschlagsoption? Drittens. Im Bericht wird der deutsche Anteil am Zu- standekommen des Internationalen Strafgerichtshofes hervorgehoben. Jüngsten Presseberichten zufolge soll aber Deutschland auch zu den Staaten gehören, die mit der afghanischen Übergangsregierung ein Abkommen ge- schlossen haben, das Klagen gegen Soldaten und Zivilis- ten der ISAF für eventuell dort begangene Verbrechen verhindern soll. Hier möchten wir Aufklärung von der Bundesregierung. Wenn dem so sein sollte, wäre es der Gipfel der Doppelzüngigkeit. Damit würde nicht nur von vornherein die Autorität dieses Gerichtshofes untergra- ben; vielmehr würden zugleich zweierlei Maßstäbe im Völkerrecht eingeführt. Es wäre die gleiche Arroganz, wie sie von den USA gegenüber internationalen Verein- barungen, den Internationalen Strafgerichtshof einge- schlossen, an den Tag gelegt wird. Eine solche Entschei- dung, wenn es sie denn gibt, müsste unbedingt revidiert werden. Dr. Ludger Volmer, Staatsminister im Auswärtigen Amt: Mit dem vorliegenden Bericht der Bundesregierung über ihre Tätigkeit in den Vereinten Nationen im Jahr 2001 liegt dem deutschen Bundestag erstmals ein umfas- sendes Dokument über Herausforderungen, Ereignisse und Initiativen deutscher VN-Politik vor. Eines wird da- bei mehr als deutlich: Die Bundesregierung sieht in den Vereinten Nationen die zentrale Organisation zur Lösung der Aufgaben der Weltgemeinschaft. Die Vereinten Nationen werden im 21. Jahrhundert weiter an Bedeutung gewinnen. Antworten auf die großen Weltprobleme zu finden wird im Rahmen der klassischen Nationalstaaten nicht mehr möglich sein. In einer multi- polaren Welt, die sich immer stärker vernetzt, in der Ab- hängigkeiten und Wechselwirkungen politischer Entschei- dungen immer mehr regionale und globale Auswirkungen haben, ist multilaterales Handeln jedes einzelnen Mit- gliedstaates gefordert. Deutschland setzt sich deshalb für eine Strategie des Multilateralismus ein. Eine handlungs- fähige Weltorganisation ist der wesentliche Baustein zur Lösung der drei großen, eng miteinander zusammenhän- genden Menschheitsaufgaben: Sicherung des Weltfrie- dens, Durchsetzung der Menschenrechte und Sicherung einer sozial gerechteren, nachhaltigen Entwicklung in al- len Ländern. Die Vereinten Nationen zu stärken liegt des- halb im fundamentalen Interesse unseres Landes. Eine Kernaufgabe der Vereinten Nationen bleibt der Erhalt von Frieden und Sicherheit. Dies gilt auch für neue Bedrohungsszenarien. Die VN haben ihre Rolle als Platt- form für Konsensbildung, Rechtsetzung und den aktiven Kampf gegen den internationalen Terrorismus nach den Anschlägen vom 11. September erfolgreich angenom- men. Eine umfassende Strategie gegen Terrorismus muss Grundlagen einer kooperativen Ordnungspolitik für das 21. Jahrhundert entwerfen, einer Politik, die Zonen der Ordnungslosigkeit nicht mehr zulässt, die auf eine Welt- ordnung zielt, die allen Völkern eine volle und gerechte Teilhabe ermöglicht und die durch konsequente Orientie- rung an einem gemeinsamen Werterahmen die Globali- sierung gerecht gestaltet. Erfolgreiche Friedenspolitik der Vereinten Nationen erfordert eine konzeptionelle und strukturelle Weiterent- wicklung der vorhandenen Instrumentarien. Dies gilt für das gesamte Spektrum der zivilen, polizeilichen und mi- litärischen Beteiligung an Friedensmissionen, von der Prävention bis hin zur Friedenskonsolidierung. Die Bun- desregierung engagiert sich in diesem Prozess sowohl in der konzeptionellen Debatte als auch durch eine aktive Politik der personellen und materiellen Unterstützung von Friedensmissionen. Erst in dieser Woche habe ich hier in Berlin das Zentrum für internationale Friedenseinsätze eröffnet. Unser Engagement, sei es im Inland, sei es im Kosovo, in Afghanistan oder Georgien, dient der Erhal- tung oder Wiederherstellung von Stabilitä, die auch für unsere politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung unverzichtbar ist. Die Bundesregierung ist sich der Bedeutung des Men- schenrechtsschutzes für die Sicherung von Frieden und Stabilität und der Rolle der Vereinten Nationen für die Weiterentwicklung und die Einhaltung der Menschen- rechte bewusst. Im Hinblick auf die morgige Debatte zur Menschenrechtspolitik möchte ich an dieser Stelle auf eine breitere Behandlung des Themas verzichten. Dritte Kernaufgabe der Vereinten Nationen ist die Ent- wicklungspolitik. Die Vereinten Nationen sind das ein- zige globale Dialogforum, in dem die Entwicklungsländer ihre Vorstellungen, Wünsche und Forderungen an ihre staatlichen Entwicklungspartner formulieren können. In diesem Jahr finden zwei wichtige VN-Konferenzen im Bereich der Entwicklungs- und Umweltpolitik statt. Auf- bauend auf der Millenniumserklärung, in der sich die Mit- gliedstaaten unter anderem auf richtungsweisende Ziele zur Förderung der nachhaltigen Entwicklung geeinigt ha- ben, stehen die Konferenz zur Entwicklungsfinanzierung vom März 2002 in Monterrey/Mexiko sowie der Weltgip- fel für nachhaltige Entwicklung in Johannesburg/Süd- afrika im September 2002 im Mittelpunkt. Angesichts weltweit wachsender Armut bleibt das Ziel der Armutsbekämpfung und der Reduzierung des Anteils der Armen um 50 Prozent bis zum Jahre 2015 unbestrit- ten vorrangig. Der von der Bundesregierung verabschie- dete Aktionsplan dient diesem Ziel. Die Staatengemeinschaft braucht handlungsfähige Ver- einte Nationen auch für die drängenden globalen Fragen der Umwelt, der Biotechnologie und der Bekämpfung der weiteren Verbreitung von HIV/Aids, aber auch von Mala- ria und Tuberkulose. Die Millenniumserklärung enthält auch für den Umweltschutz klare Beschlüsse, die unsere Arbeit in den Vereinten Nationen in den kommenden Mo- naten und Jahren leiten müssen. Sichtbarer Ausdruck des deutschen Engagements für die Vereinten Nationen ist auch unsere Bereitschaft, den neuen VN-Standort Bundesstadt Bonn weiter und nach- haltig auszubauen. Dies gilt besonders für die Bereiche Entwicklung, Umwelt und Gesundheit, für die Bonn zu Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 245. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Juni 200224812 (C) (D) (A) (B) einem Schwerpunkt mit vielen Synergieeffekten mit Wirt- schaft, Forschung, Administration und Nichtregierungs- organisationen geworden ist. Die Vereinbarung über den VN-Standort Bonn und das Internationale Kongresszen- trum Bundeshaus Bonn einschließlich der Schaffung eines VN-Campus, im ehemaligen Plenarbereich des Deutschen Bundestages, die in Anwesenheit des Bundespräsidenten und des VN-Generalsekretärs am 27. Februar 2002 unter- zeichnet wurde, hat uns auf dem Weg zu einem effizien- ten und dauerhaft lebensfähigen VN-Standort in Deutsch- land einen entscheidenden Schritt vorwärts gebracht. Wenn die VN in der Lage sein sollen, zur Lösung der Menschheitsfragen beizutragen, dann muss ihre Hand- lungsfähigkeit durch Reformen gestärkt werden. Die Bundesregierung hat ihre Vorstellungen hierzu auf dem Millenniumsgipfel noch einmal bekräftigt. Konzentration und Verstärkung der Synergien innerhalb der VN-Familie sind notwendig. Die Generalversammlung muss gestärkt werden, der Sicherheitsrat muss repräsentativer und effi- zienter werden und die Bemühungen zur Stärkung des Wirtschafts- und Sozialrates intensiviert werden. Dies al- les sind Reformen, die in der Verantwortung der Mit- gliedstaaten liegen. Die Bundesregierung wird sich wei- ter nachhaltig dafür einsetzen. Anlage 12 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts: Anwendung von Gentests in Medizin und Versicherungen (Tagesordnungspunkt 15) Dr. Carola Reimann (SPD): Die Problematik der Bio- und Gentechnologie ist im Deutschen Bundestag bis- lang mit großer Ernsthaftigkeit behandelt worden. Nicht zuletzt deshalb haben wir die Enquetekommission „Recht und Ethik in der modernen Medizin“ im März 2000 ein- gerichtet. In deren Themengruppe „Genetische Daten“ ist die Frage genetischer Tests ausführlich diskutiert worden. Die Kommission hat kürzlich ihren Abschlussbericht übergeben, auf den ich aufmerksam machen möchte. Die- sen Bericht haben wir in der letzten Sitzungswoche im Plenum diskutiert. Statt nun schnell und undifferenziert Gesetze zu schmieden, sollten wir die umfangreiche Arbeit der Enquete-Kommission würdigen und ihre Empfehlun- gen sorgfältig prüfen, um auf der Basis dieser Vorschläge den Bereich prädiktiver genetischer Tests umfassend und angemessen zu regeln. Gestatten Sie mir vor diesem Hintergrund einige An- merkungen zu Ihrem Antrag. Ich beginne mit dem Positi- vem. Auch wir sind der Meinung, dass genetische Tests nur freiwillig, begleitet von qualifizierter fachlicher und auch psychosozialer Beratung und nur von Medizinern durchgeführt werden dürfen. Die Patienten müssen um- fassend informiert sein, damit sie ihre Entscheidung für oder gegen einen Test auf der Basis von Wissen fällen können. So etwas, so meinen wir, ist nur durch ein diffe- renziertes Beratungskonzept realisierbar. Für uns als SPD steht außerdem fest: Wir wollen keine Verwertung von prädiktiven genetischen Tests bei Abschluss von Versi- cherungs- und Arbeitsverträgen. Ganz kann ich mir die Kritik am Antrag der Union nicht ersparen. Denn insgesamt ist ihr Antrag doch aus sehr groben Holz geschnitzt. Sie sprechen von genetischer Diagnostik ohne jede Differenzierung. Zurzeit werden etwa 300 verschiedene Tests eingesetzt. Schon seit etwa 15 Jahren werden molekulargenetische Tests zur Diagnos- tik klinisch apperenter Erkrankungen angewandt. So würde zum Beispiel keiner heute auf Gentests bei der Tu- mordiagnostik zur Differentialdiagnose, also zur Bestim- mung des Tumortyps verzichten wollen. Dies sind geneti- sche Tests im diagnostischen Alltag, die keiner zusätzlichen Regelung bedürfen. Ihr Antrag zielt auf prädiktive Tests. Jedenfalls vermute ich das; denn genaue Differenzierun- gen und Definitionen hat sie in ihrem Papier einfach aus- gespart. Auf dem Gebiet der prädiktiven Gentests gibt es aber keinen aktuellen Handlungsdruck, einen solch unvoll- ständigen und grobgeschnitzten Antrag in ein Gesetz zu gießen. Dies sage ich Ihnen vor allem vor dem Hinter- grund, dass mit der Versicherungswirtschaft eine freiwil- lige Verpflichtung abgeschlossen worden ist, genetische Tests beim Abschluss von Versicherungen weder anzu- nehmen noch zu fordern. Im Bereich der Krankenversi- cherung betrifft dies zudem nur die privaten Krankenver- sicherungen; die gesetzliche Krankenversicherung arbeitet nach dem Solidarprinzip und kennt eine solche Risikoselektion bei Vertragsabschluss ohnehin nicht. Und 95 Prozent unserer Bürgerinnen und Bürger sind in der ge- setzlichen Krankenversicherung versichert. Diese freiwil- lige Selbstverpflichtung gilt auch für Lebensversicherun- gen bis zu 250 000 Euro. Versicherungen mit größeren als der genannten Summe machen lediglich 1 Prozent aller Vertragsabschlüsse aus. Prädiktive genetische Untersuchungen ermitteln eine Erkrankungswahrscheinlichkeit. Diese prädiktiven Tests zielen in erster Linie auf monogene Erkrankungen. Mo- nogen bedingte Erkrankungen sind jedoch sehr selten. Insgesamt kann man etwa zwei bis drei Prozent aller Er- krankungen auf monogenetische Verursachung zurück- führen. Zurzeit gibt es nur einen einzigen prädiktiven Test mit hoher Vorhersagekraft; das ist der Test auf Chorea Huntington. Bei allen anderen Tests bleibt immer noch ein großer Interpretationsspielraum, der eine fachliche Bera- tung auch unabhängig von der psychosozialen Betreuung unerlässlich macht. Auf der einen Seite mühen Sie sich um Regelungen für Dinge, die man nicht sofort und dringlich regeln muss. Auf der anderen Seite verpassen Sie es, die wirklich sen- siblen Themen überhaupt zu benennen. Die Entwicklung der DNA-Chip-Technologie bleibt bei Ihnen gänzlich un- erwähnt; dabei stellt gerade diese Technologie, dadurch dass sie zusätzliche Informationen über den einzelnen Gen- test hinaus gewinnt, eine Problemquelle dar. Dies allein deshalb, weil mehrere Gentests – also Tests auf verschie- den Sequenzen – auf einem Chip getestet und automati- siert ausgewertet werden. Dadurch werden zusätzliche genetische Daten gewonnen, die über die Abklärung der aktuellen Erkrankung hinaus Ergebnisse liefern, auch Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 245. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Juni 2002 24813 (C) (D) (A) (B) wenn dies nicht explizit beabsichtigt war. Hier muss die Sicherung bzw. Löschung dieser persönlichen Daten ge- regelt werden. Aus der Tatsache, dass der Chip mehrere Tests automatisiert absolviert, ergibt sich außerdem die Problematik einer zweiten Auswertung solcher Ergeb- nisse ohne Wissen und Einwilligung der Patienten. Dies sind Dinge, die in ein Gesetz mit hinein gehören. Und wenn wir schon darüber reden, was in ein solches Gesetz gehört, dann dürfen auch die Felder Präimplanta- tionsdiagnostik und Pränataldiagnostik sowie Screening- programme nicht unberücksichtigt bleiben. Das alles ver- missen wir in Ihrem Antrag. Es macht aber keinen Sinn, einzelne Felder losgelöst voneinander gesetzlich regeln zu wollen. In der nächsten Legislaturperiode werden wir deshalb einen umfassenden, angemessenen und differen- zierten Gesetzentwurf vorlegen. Dazu existieren bereits Eckpunkte, die zusammen mit den Empfehlungen der En- quete-Kommission eine seriöse tragfähige Basis darstel- len. Bis dahin sollten wir nicht in Aktionismus verfallen, sondern uns die Zeit nehmen, die für die Lösung eines komplexen Problems nötig ist. Der Antrag der Union ist gut gemeint, aber ein Schnell- schuss. Ich empfehle daher ihn abzulehnen. Katharina Reiche (CDU/CSU): Wir befinden heute über die Beschlussempfehlung und den Bericht des Aus- schusses für Gesundheit zu dem Antrag unserer Fraktion über die Anwendung von Gentests in Medizin und Ver- sicherungen. Die öffentliche Anhörung der Sachverstän- digen im Gesundheitsausschuss am 5. Juni 2002 hat eindrucksvoll belegt, dass wir in Deutschland eine ge- setzliche Regelung für den Umgang mit Gentests benöti- gen. Das Parlament ist aufgerufen, beim Umgang mit Gendaten Leitplanken zu setzen, um die Entwicklung in die gewünschten Bahnen zu lenken. Ich möchte hierzu gerne den Bundesbeauftragten für den Datenschutz, Joachim Jacobs, zitieren, der in der An- hörung ausführte: Wichtig ist auch die Frage, in welchen Zusammen- hängen die über Gentests gewonnenen Informatio- nen genutzt werden. Hier ist zunächst einmal der Ge- setzgeber aufgerufen, die Fälle deutlich zu machen, wo eine besondere Nutzung dieser Daten zugelassen sein soll. Diese Feststellung deckt sich im Übrigen mit der 62. Datenschutzkonferenz des Bundes und der Länder, die bereits im Oktober des letzten Jahres den Bundestag auf- forderte, genetische Untersuchungen am Menschen ge- setzlich zu regeln. Die CDU/CSU- Fraktion ist mit diesem Antrag genau diesem Verlangen nachgekommen und hat unter anderem die Forderung des Bundesbeauftragten für den Datenschutz, unerlaubte Gentests unter Strafe zu stel- len, explizit mitaufgenommen. Leider hat die Bundesregierung bis zum heutigen Tag trotz anders lautender Ankündigungen keinen Gesetzent- wurf zum Umgang mit Gentests vorgelegt. An dieser Stelle möchte ich gerne noch einmal den Bundesbeauf- tragten für den Datenschutz, Herrn Jacobs, zitieren, der auf die Frage, wie weit denn die Bundesregierung mit ihren Vorstellungen über eine gesetzliche Regelung im Detail sei, antwortete: Wir fragen immer nach. Uns wird dann mitgeteilt, dass es ein sehr komplexes und schwieriges Gebiet ist. Die Bundesregierung hat nicht die vordringliche Auf- gabe, eine Einschätzung darüber abzugeben, wie schwie- rig ein Themenkomplex ist oder nicht, sie soll vielmehr Lösungsansätze für die Probleme in diesem Land ent- wickeln. Die Anhörung der Sachverständigen im Ausschuss für Gesundheit hat ergeben, dass unser Antrag in die richtige Richtung geht und auf der Grundlage unserer Eckpunkte dringend eine rechtliche Grundlage für die Anwendung von Gentests in Medizin und Versicherungen erarbeitet werden muss. Ganz deutlich hat die Anhörung auch er- bracht, dass sich – im Gegensatz zu den diagnostischen Tests – eine gesetzliche Regelung auf die prädiktiven Gentests beziehen muss und wir hier zu einer klaren, all- gemeinen Definition kommen müssen, um der außeror- dentlich raschen Entwicklung der prädiktiven genetischen Diagnostik gerecht zu werden. Ein Beispiel für die rasante Entwicklung auf diesem Gebiet sind die Fortschritte und Erfolge im Fachgebiet der Pharmakogenomik. Erst, wenn wir wissen, ob ein Mensch die Veranlagung für eine bestimmte Erkrankung trägt und wir sagen kön- nen, mit welcher Wahrscheinlichkeit er an dieser erkran- ken kann, können wir die Krankheitsprävention im Sinne einer Verhütung oder Verzögerung des Krankheitsausbru- ches verbessern. Ein positives Beispiel ist hierfür das Pi- lotprojekt der Kaufmännischen Krankenkasse Hannover, die am Anfang des Jahres als erste deutsche Krankenkasse ihre Versicherten freiwillig zu einer medizinisch-geneti- schen Reihenuntersuchung auf die Eisenspeicher-Krank- heit aufgerufen hatte. Die Eisenspeicher-Krankheit, die Spätschäden wie Herzschwäche oder Leberkrebs verursa- chen kann, ist ein typisches Beispiel dafür, dass eine Krankheit nach Durchführung eines Gentests erfolgreich behandelt werden kann. Bemerkenswert ist dabei, dass sich die KKH stark an die Richtlinien der Europäischen Gesellschaft für Humangenetik zur Durchführung von Gentests gehalten hat. Diese Richtlinien wurden bereits von der Amerikanischen Gesellschaft für Humangenetik übernommen. Dies bedeutet, dass Europa Standards im internationalen Vergleich setzen kann. Deutschland ist deshalb aufgefordert, ebenfalls gesetzliche Richtlinien für den Umgang mit Gentests zu entwerfen, um nicht im in- ternationalen Vergleich zurückzufallen. Natürlich ist die Durchführung von prädiktiven Gen- tests sehr anspruchsvoll und stellt besonders hohe fachli- che Anforderungen an den Untersuchenden. Doch wie sieht die Realität in Deutschland aus? Wir haben in Deutschland momentan eine Situation, wo man im Inter- net einen Gentest anfordern kann und dann das Ergebnis in schriftlicher Form mitgeteilt bekommt, ohne dass eine umfassende Beratung gewährleistet ist oder ein Kontakt zwischen Arzt und Patient stattfindet. Dies halte ich für unverantwortbar. Wir haben deshalb in unserem Antrag deutlich gemacht, dass Gentests und die entsprechende Beratung in die Hand des Facharztes gehören und nur Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 245. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Juni 200224814 (C) (D) (A) (B) durch ihn bzw. von zugelassenen und qualifizierten Stel- len durchgeführt werden darf. Mittlerweile werden von den genetischen Laboren in Deutschland 200 bis 300 Gentests angeboten. Tatsache ist – auch dies wurde von den Sachverständigen in der Anhörung bestätigt –, dass wir in Deutschland zu wenig Fachärzte für Humangene- tik haben. Nach den Angaben der Bundesärztekammer gibt es in Deutschland momentan lediglich 181 Fachärzte für Humangenetik und 292 Ärzte mit Zusatzbezeichnung. Die Deutsche Gesellschaft für Humangenetik sieht einen zusätzlichen Bedarf von 400 Fachärzten bundesweit. Eine Regelungslücke ergibt sich auch im Versiche- rungsrecht. Zwar haben sich alle Lebens- und Kranken- versicherungen in einer Selbstverpflichtungserklärung dazu verpflichtet, die Durchführung eines Gentests nicht zur Voraussetzung für den Abschluss eines Versiche- rungsvertrages zu machen, jedoch erscheint die Kontrolle dieser Selbstverpflichtungserklärung noch vage. Die Ver- treter der Versicherungswirtschaft selbst haben in der An- hörung deutlich gemacht, dass die Möglichkeit der Sank- tionen gegen Unternehmen, die gegen dieses freiwillige Memorandum verstoßen, sehr gering sind. Auch hier be- steht Handlungsbedarf für die Politik. Völlig ungeregelt ist im Übrigen der Umgang mit Gen- tests im Arbeitsrecht. Wir wollen, dass prädiktive Gen- tests im Rahmen von medizinischen Eignungsuntersu- chungen weder vor dem Abschluss des Arbeitsvertrages noch während der Dauer des bestehenden Arbeitsverhält- nisses weder verlangt noch angenommen oder in irgend- einer Form verwertet werden dürfen. Eine Ausnahme soll für solche Fälle gelten, in denen mit Hilfe von prädiktiven Tests der Ausbruch einer Krankheit prognostiziert wird, durch die der Arbeitnehmer schlagartig funktionsuntüch- tig wird und der plötzliche Ausfall am Arbeitsplatz eine erhebliche Gefährdung Dritter bedeuten würde. Wir als Fraktion haben einen Antrag zur Anwendung von Gentests in Medizin und Versicherungen vorgelegt, der von den Sachverständigen positiv aufgenommen wor- den ist und der einen Leitfaden für weitere gesetzliche Re- gelungen bilden soll. Wir hoffen, dass in der nächsten Le- gislaturperiode eine neue Bundesregierung unter der Einbeziehung aller Betroffenen offensiv die Problematik des Umgangs mit Gentests aufgreifen wird und auf der Grundlage unserer formulierten Eckpunkte dem Deut- schen Bundestag einen Gesetzentwurf vorlegen wird. Monika Knoche (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das Thema ist anspruchsvoll. Die Notwendigkeit, gesetzliche Regelungen zu treffen, ist unstrittig. Unstrittig unter vie- len Gesundheitspolitikern und Gesundheitspolitikerinnen ist ebenfalls, dass es möglich hätte sein müssen, in dieser Legislatur ein Gentest-Gesetz zu verabschieden. Anders als in vielen anderen Bereichen gibt es frakti- onsübergreifende Übereinstimmung darin, dass die neuen diagnostischen Möglichkeiten, die genetische Beschaf- fenheit des Menschen zu testen, danach verlangen, den Zuwachs an Kenntnissen über Krankheitsdispositionen mit dem tatsächlichen Zugewinn an Prävention und the- rapeutischen Möglichkeiten auszutarieren. Zweifelsohne bedeutet die Tatsache, dass die genetische Entschlüsse- lung vermehrt möglich ist, nicht, dass wir in der Bundes- republik Deutschland gänzlich neue gesetzliche Rahmen- setzungen bräuchten, um den Schutz vor Diskriminierung und eine sachgerechte medizinische Anwendung zu ge- währleisten. Am meisten beschäftigt die Menschen die Sorge, dass das Wissen, das im Rahmen der medizinischen Diagnos- tik erworben wird, an Versicherungen oder Arbeitgeber weitergegeben werden könnte und sie aufgrund dieses Wissens dann Diskriminierungen ausgesetzt sind. Das Diskriminierungsverbot steht im Grundgesetz. Es ist also sehr wichtig, auf Folgendes hinzuweisen: Selbst gene- tisch bedingte Behinderungen dürfen im Versicherungs- recht kein Kriterium sein, das zu Benachteiligungen führt. Die gesetzliche Krankenversicherung gibt den Patien- ten und Patientinnen und den Versicherten den maxima- len Schutz, den ein Versicherungssystem überhaupt geben kann, weil es völlig irrelevant ist, welche genetisch be- dingte oder nach prädiktiven Tests zu erwartende Erkran- kung eintritt. Durch das Sachleistungsprinzip und den Ausschluss von Versicherungspolicen als Grundlage der Versicherung ist eine Diskriminierung innerhalb der GKV für die Versicherungsgeber nicht nur finanziell völlig un- attraktiv; sie ist auch von der Sache her nicht möglich. Deshalb sollen sich alle folgenden gesetzlichen Regelun- gen an denen der Solidarkasse GKV orientieren. Bei den meisten Tests sagt das diagnostische Ergebnis nichts über den Zeitpunkt der Manifestation einer beste- henden Krankheitsdisposition als behandlungsbedürftige Krankheit aus. Die Tatsache, dass Menschen um ihre ge- netische Disposition wissen, ändert zumindest nichts da- ran, dass die Krankheit eintritt; sie träte auch ein, wenn sie nicht um diese Disposition wüssten. An dem Versiche- rungsumfang und dem Eintritt des Versicherungsfalls än- dert sich also nichts. Interessant ist das Wissen dann, wenn nach solchen prädiktiven Tests für die betreffende Person Primär- und Sekundärprävention im Hinblick auf den Eintritt und die Ausformung der Krankheit hilfreich ist. Gerade dies ver- weist aber darauf, dass wir Gentests ausschließlich im Rahmen des ärztlichen Behandlungsauftrages zulassen dürfen. Nur dort ist die Verschwiegenheit gewahrt, nur dort kann der „informed consent“ überhaupt hergestellt werden und nur dort ist ein Regelwerk vorhanden, um ia- trogene Schäden zu begrenzen und zu vermeiden, die durch eine Diagnostik bei der Patientin bzw. bei dem Pa- tienten ausgelöst werden. Niemals dürfen Gentests frei verkäufliche Waren sein. Niemals darf man Gentests zu einem weiteren Marktseg- ment im ärztlichen Sektor der Privatliquidation, zu einer IGEL-Leistung machen. Vielfach übersehen wir auch, dass aussagekräftige Gentests nicht nur die genetische Disposition der ge- testeten Person offenbaren, sondern zugleich tief in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung der genetisch Verwandten eingreifen. Wegen deren Selbst- bestimmungsrechtes kommt es gerade bei der Gendia- gnostik unausweichlich zu einem Grundrechtekonflikt unter genetisch verwandten Menschen. Ihr Recht auf Wissen müssen wir als Gesetzgeber genauso wahren wie Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 245. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Juni 2002 24815 (C) (D) (A) (B) ihr Recht auf Nichtwissen. Bei der Anhörung zum CDU/CSU-Antrag wurde vom Datenschutzbeauftragten dieses nahezu unauflösbare Dilemma eindrücklich illus- triert, das genetisch Verwandten durch Gendiagnostik aufgedrängt würde. Noch einige Worte zu prädiktiven Tests im Rahmen der Pränataldiagnostik. Die Diagnostik zur Identifizierung der genetischen Beschaffenheit des Fötus hat sich zu ei- ner Routineuntersuchung entwickelt, bei der die aufge- zeigten Anforderungen des „informed consent“ in der Re- gel nicht erfüllt zu sein scheinen. Obwohl in der medizinischen Praxis die Standards der Einwilligung nach erfolgter Aufklärung über die getesteten Merkmale, die Aussagesicherheit des Tests, sein therapeutischer Gewinn, die bei einem positiven Testergebnis bestehen- den Handlungsmöglichkeiten und das Risiko, schwere Schwangerschaftskonflikte auszulösen, Voraussetzung für die Durchführung eines Gentests sind, um die Ver- wirklichung einer Körperverletzung auszuschließen, spricht vieles dafür, dass diese bei schwangeren Frauen nicht eingehalten werden. In Deutschland besteht ein bürgerrechtlich-freiheitli- ches, staatlichen Eingriffen weitgehend entzogenes Arzt- Patienten-Verhältnis. Im SGB V werden keine Indikati- onskataloge festgelegt. Das gilt auch für die Gentests am Embryo und Fötus. Der Staat kann unerwünschte Fehl- allokationen – hier screenings mit eugenischer Implika- tion – nur über mittelbar wirkende Steuerungselemente, nicht jedoch über Verbote oder Indikationskataloge, die ethisch nicht umstritten sind, verhindern. Dem Grundsatz folgend, dass nur die ärztliche Indika- tion zur medizinischen Intervention im Rahmen des ärzt- lichen Behandlungsauftrages eine Finanzierungspflicht der Leistung seitens der Gesetzlichen Krankenversiche- rungen auslöst, müssen die Empfehlungen für eine medi- zinisch und ethisch vertretbare Indikationsbegrenzung der Gentests am Fötus im Rahmen der Selbstverwaltung und der ärztlichen Berufsethik gelöst werden. Wie hier der konkrete Gesetzestext aussehen könnte, hat die CDU noch nicht beantwortet. Ihr Anliegen aber teile ich. Zur Selbstbestimmung und Konsumentensouveränität noch ein Gedanke. Genetische Daten offenbaren intimste Informationen. Sie müssen aufgrund des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung effektivstem Daten- schutz unterliegen. Mit dem Recht auf Wissen allein kann eine allgemeine Zugänglichkeit oder Verordnungsfähig- keit von Gentests nicht begründet werden. Das via Gen- tests erlangte Wissen über genetische Bedingungen bleibt nicht auf die Getesteten beschränkt. Worüber angesichts eines Gentest-Gesetzes unbedingt gesprochen werden muss, ist Folgendes: Über die rechtli- chen Regelungen hinaus beeinflusst dieses neue geneti- sche Wissen die sozialen Beziehungen der Menschen und das individuelle und gesellschaftliche Verständnis von ei- nem „gelungenen“ Leben. Da Gesellschaft und Medizin für dieses menschheitsgeschichtlich und kulturell völlig neue Phänomen noch keine adäquaten ethischen und mo- ralischen Normen entwickelt haben, kann nur mit einer re- striktiven Handhabung der Gendiagnostik reagiert wer- den. Da sich neben diesen zentralen Fragen aber auch Regelungsnotwendigkeiten, wie zum Beispiel im Arznei- mittelrecht, im Medizinproduktegesetz oder im Patent- recht ergeben, die im Rahmen schon bestehender Regel- werke durch Novellierung befriedigt werden können, macht es großen Sinn, in der Federführung des BMG ein Gentest-Gesetz zu verabschieden. Der DBG hat, was das Arbeitsrecht und tarifrechtliche Bedingungen angeht, auf der öffentlichen Ausschuss- anhörung wichtige Beiträge geliefert. Solange sich die private Versicherungswirtschaft durch Selbstbeschrän- kung an ein „imaginiertes Recht“ hält und keine schweren Rechtsverletzungen im Vertragsgeschehen zu erwarten sind, bleibt es letztlich nicht wirklich verständlich, warum die Regierung und das BMG insbesondere auf das Gen- test-Gesetz verzichtet hat. Der nächsten Regierung mögen die, wie ich meine, sehr fundierten Vorarbeiten der Enquete-Kommission und die Debattenbeiträge der fachkundigen Abgeordneten, die es in all diesen Fragen in allen Fraktionen gegeben hat, nützlich sein, damit von der Arbeit, bei der ich die Freude hatte, sie auf diesem neuen wichtigen Feld leisten zu kön- nen, etwas bleibt, sodass die nachkommenden Abgeord- neten zügig und kompetent das Geleistete komplettieren und alsbald ein Gesetz verabschieden können. Erwartet wird ein Gentest-Gesetz in der Bevölkerung schon heute. Detlef Parr (FDP): Nach der Anhörung zu der Frage, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen Gentests in Medizin und Versicherungen Anwendung fin- den können, ist eines noch deutlicher geworden: Der Bun- destag muss handeln und präventiv Regeln erlassen, die Rechtssicherheit schaffen und Missbrauch verhindern. In- sofern sollten wir der Aufforderung der Enquete-Kom- mission „Recht und Ethik in der modernen Medizin“ bald folgen. Für die FDP steht dabei im Mittelpunkt: Jede Art von Diskriminierung muss ausgeschlossen werden und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung darf nicht angetastet werden. Die Ergebnisse prädiktiver und diagnostischer Gen- tests können erhebliche Auswirkungen auf den weiteren Lebensweg der Testperson haben. Die persönliche Ent- scheidung, sich nach aufgetretenen Erkrankungen in der Familie „nur zur Beruhigung“, sozusagen im Vorbeige- hen, einem Test zu unterziehen, kann fatale Folgen haben. Deshalb ist es unabdingbar, auch und besonders vor dem Hintergrund eines wachsenden Gentest-Marktes die Be- völkerung verstärkt aufzuklären. Es muss jedem Men- schen deutlich werden, dass eine intensive humangeneti- sche Beratung über Chancen und Risiken vor einer solchen Untersuchung absolut notwendig ist. Gentests dürfen keine Frage von Lifestyle werden, sondern es be- darf einer besonderen Verantwortung aller an solchen Ver- fahren Beteiligten. Gentests sollten nur von dafür qualifi- zierten Ärzten vorgenommen werden. Die FDP stimmt ausdrücklich der Forderung der Bundesärztekammer zu, dass jede genetische Analyse streng zweckorientiert sein muss und es keine undifferenzierten Globaleinwilligun- gen eines Patienten zur Erhebung von genetischen Daten geben darf. Testergebnisse dürfen nur dem Betroffenen selbst mitgeteilt, eine Information Dritter gegen den Wil- len des Patienten muss ausgeschlossen werden. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 245. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Juni 200224816 (C) (D) (A) (B) Eines sollte selbstverständlich sein: Nach einem posi- tiven Testergebnis darf der Betroffene nicht alleine gelas- sen werden. Eine psychologische Betreuung und Beglei- tung im Hinblick auf die veränderten Lebensverhältnisse muss sichergestellt werden. Ein weiteres Problem bedarf dringend einer Lösung: Wie können wir falsche positive Testergebnisse und die damit verbundenen Zukunftsängste vermeiden? Der Arzt- vorbehalt ist die eine Seite. Ein zweiter Test eines anderen Labors sollte eine weitere Voraussetzung sein. Wir müssen in der nächsten Legislaturperiode konkrete Rahmenbedingungen für die Anwendung von Gentests erarbeiten und beschließen. Der Antrag der Union bietet dafür eine gute Grundlage. Wie weit wir mit ausdrückli- chen Verboten in einem eigenen Gesetz gehen müssen oder ob die geltende Rechtsauffassung und das Datenschutzge- setz ergänzt durch notwendige Ausnahmevorschriften aus- reichend sein können, wird die weitere Debatte zeigen. Die Selbstverpflichtung der Versicherungswirtschaft, der sich auch die Arbeitgeber anschließen sollten, gibt uns genü- gend Zeit, um die brisanten Fragen in Ruhe und sachorien- tiert zu diskutieren. Angela Marquardt (PDS): Bei der ersten Lesung die- ses Antrages haben wir hier im Hause eine außergewöhn- lich große Übereinstimmung erlebt. Das macht den An- trag der Union nicht verkehrter. Er ist durchaus sinnvoll und weist absolut in die richtige Richtung. Inzwischen gibt es auch von anderen Fraktionen und Ministerien Initiativen, die sogar noch besser sind. Ich denke, dass vor allem die Bewertung und Empfehlungen der Enquete-Kommission „Recht und Ethik in der moder- nen Medizin“ Grundlage für ein umfassendes Gentestge- setz werden sollte. Allerdings darf ein solches Gesetz letztlich keine Tür für Massengentests öffnen – egal aus welcher Motivation, und auch nicht unter noch so hohen Auflagen. Das Anliegen, Gentest grundsätzlich an die Zustim- mung des Betreffenden zu binden, ist richtig. Ebenso fin- det die Forderung, den Einsatz und die Verwendung von Ergebnissen in bestimmten Bereichen auszuschließen, meine Zustimmung. Sowohl in der Arbeitswelt als auch bei Versicherungen müssen Gentests umfassend verboten werden. Nur das schafft Schutz vor Diskriminierung be- stimmter Bevölkerungsgruppen. Allerdings geht der Antrag nicht weit genug. Natürlich ist der Grundsatz der freiwilligen Zustimmung bei Gen- tests ein guter Grundsatz. Aber er wird nicht verhindern, dass es trotzdem zu einer flächendeckenden Ausbreitung von Gentests kommt und damit auch zu Diskriminierun- gen aufgrund genetischer Disposition. Es ist nur ein Beispiel, aber auch die pränatale Dia- gnostik war in den 70er-Jahren freiwillig und anfangs auf so genannte Risikofrauen beschränkt. Heute ist sie Regel- leistung. Wir haben ein nahezu flächendeckendes Scree- ning mit einer stukturell eugenischen Folgewirkung. Meine Befürchtung ist, dass wir trotz des Vorbehalts einer individuellen Zustimmung eine zunächst langsame, dann jedoch rasante Ausweitung von Gentests erleben werden, Sind die Ergebnisse erst einmal vorhanden, wird nicht mehr durchzusetzen sein, dass diese von Versicherungen oder Arbeitgebern nicht verwendet werden dürfen. Sie selbst müssen dabei gar keine Tests verlangen, sondern nur die Offenlegung früherer Ergebnisse. Durch die so genannte Entdeckung immer neuer Gen- Korrelationen mit bestimmten Erkrankungen oder Behin- derungen werden immer neue „Risikopersonen“ geschaf- fen, die einen Andrang auf Gentests auslösen werden. Denken sie an die unzähligen Gene, die mit Krebserkran- kungen in irgendeinen Zusammenhang gebracht werden. Ich glaube deshalb, dass der erste Schritt wäre, die massive Förderung der Entwicklung von Gendiagnostik über den Haushalt des BMBF endlich zu stoppen. Außer- dem brauchen wir ein Moratorium für Gentests. Nur so kann die unkontrollierte Dynamik des Diagnostikmarkts angehalten werden. Dann muss möglichst schnell ein Gentestgesetz auf den Tisch, in dem auch ein Diskrimi- nierungsverbot von Menschen wegen ihrer genetischen Ausstattung enthalten sein muss ebenso wie ein Verbot so genannter Reihenuntersuchungen. Bei all dem scheint mir darüber hinaus höchste Eile angesagt zu sein. Sonst wer- den immer mehr Fakten geschaffen, bevor die Politik überhaupt zu Handeln begonnen hat. Und das erleben wir leider schon viel zu häufig. Gudrun Schaich-Walch, Parl. Staatsekretärin im Bundesministerium für Gesundheit: Ich gehe davon aus, dass wir uns darin einig sind, dass Gentests nur zum Wohl der getesteten Menschen durchgeführt werden sollten. Gleichwohl kann ich Ihrem Antrag so nicht folgen. Wie Sie ja wissen, bereiten wir im Bundesministerium für Ge- sundheit bereits einen Gesetzentwurf vor. Aber bei der Regelung dieser Materie betreten wir in gewisser Weise Neuland. Wir sollten deshalb alle Facetten dieser kom- plexen Materie bedenken und die Ergebnisse der Enquete- Kommission mit einbeziehen. Auf Grundlage dessen sollte eine breite öffentliche Diskussion geführt werden, die selbstverständlich über die Anwendungsbereiche der Medizin hinausgehen muss. Auch der Nationale Ethikrat wird sich dem Thema widmen. Diese Voten werden wir in die Diskussion einbeziehen. Mit den erweiterten Möglichkeiten der Feststellung ge- netischer Eigenschaften sind die möglichen Auswirkun- gen genetischer Untersuchungen – sowohl Chancen als auch Risiken – verstärkt in das öffentliche Bewusstsein gerückt. Der qualifizierten Information der Bevölkerung kommt daher besondere Bedeutung zu. Wir wollen für die Durchführung von Gentests klare Kriterien und vor allem Transparenz. Deshalb soll in der nächsten Legislaturperi- ode ein Gesetz verabschiedet werden, das die Durch- führung von Gentests und den Umgang mit genetischen Daten regelt; denn die Prinzipien der Freiwilligkeit und der selbstbestimmten, informierten Entscheidung über die Inanspruchnahme genetischer Tests sind in jedem Fall zu berücksichtigen. Der Schutz des grundrechtlich gewährleisteten allge- meinen Persönlichkeitsrechts bei der Durchführung gene- tischer Untersuchungen und der Verwendung ihrer Ergeb- nisse, die Zulässigkeitsvoraussetzungen von genetischen Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 245. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Juni 2002 24817 (C) (D) (A) (B) Tests, insbesondere auch im Hinblick auf das erhöhte Schutzbedürfnis von Minderjährigen und Nichteinwilli- gungsfähigen, der Arztvorbehalt, das Erfordernis einer in- dividuellen humangenetischen Aufklärung und Beratung vor und nach dem Test, das Diskriminierungsverbot, der Datenschutz sowie die Information der Bevölkerung über die Chancen und Risiken genetischer Untersuchungen werden wesentliche Punkte dieser Regelungen sein. Sie sollen sicherstellen, dass das Recht auf Nichtwis- sen des Einzelnen gewahrt bleibt und genetische Untersu- chungen nur aus medizinischen Gründen zum Wohl des Betroffenen durchgeführt werden. Die genetische Diagnostik bei erblich bedingten und gut behandelbaren oder gar vermeidbaren Krankheiten ist unbestritten sinnvoll. Das trifft gerade auch bei einigen wichtigen Krebser- krankungen wie zum Beispiel Darmkrebs zu. Durch so ge- nannte prädiktive genetische Tests, mit denen Veranlagun- gen für bestimmte Erkrankungen festgestellt und Aussagen über die Wahrscheinlichkeit des Auftretens der Erkrankun- gen getroffen werden können, kann immer mehr Gewiss- heit über individuelle Gesundheitsrisiken erlangt werden. Mit einer frühzeitig einsetzenden Behandlung könnten hier schwere Krankheitsverläufe vermieden werden. Aber nicht jede Erkenntnis aus einem Test kann so un- mittelbar in Prävention und Behandlung umgesetzt wer- den. Es muss ein Ausgleich geschaffen werden zwischen den diagnostischen Möglichkeiten, die die Genomfor- schung bietet und die wir für die Patienten nutzen wollen und dem berechtigten Interesse der Menschen, ihre gene- tische Veranlagung zu kennen oder eben nicht zu kennen. Auch genetische Tests und die Verwendung ihrer Er- gebnisse im Zusammenhang mit privaten Versicherungen sowie im Arbeitsrecht sollen mit diesem Gesetz geregelt werden, um zu verhindern, dass zum Zwecke der Risiko- selektion und Ausgrenzung auf Personen Druck ausgeübt werden kann, einen Gentest durchzuführen oder bereits bekannte genetische Daten offen zu legen. Aber es sind auch noch Fragen offen, ohne deren Klärung eine sinn- volle und ausgewogenen Regelung nicht gelingen kann. Wie die Anhörung im Gesundheitsausschuss gezeigt hat, beginnt das schon mit der Grundlage des Ganzen, nämlich mit der Frage: Was ist ein genetischer Test und welche Formen der Untersuchung sollen geregelt werden? Wir müssen uns auch intensiv mit der Abgrenzung diagnosti- scher von prädiktiv eingesetzten Gentests befassen. Das halte ich für einen wesentlichen Punkt, denn es ist ein grundlegender Unterschied, ob ein Gentest zu Stellung oder Absicherung einer Diagnose eingesetzt wird, oder ob ganz allgemein ein Blick auf die genetische Ausstattung geworfen werden soll. Und das womöglich unter der Be- dingung, dass das gewonnene Wissen belastend ist und Vorbeugung oder Therapie nicht möglich sind. Diskussi- onswürdig sind genetische Untersuchungen aber auch deshalb, weil durch sie genetische Informationen Ver- wandter gewonnen werden können. In diesem Bereich wird es schwer möglich sein, Dritte wirkungsvoll davor zu schützen, ungewollt mit Erkenntnissen über ihre gene- tische Disposition konfrontiert zu werden. Andererseits werden wir für die medizinische Forschung auch weiter- hin genetische Daten benötigen. Nur so kann sich das Wissen um genetische Prozesse und um den Anteil, den genetische Faktoren an der Entstehung von Krankheiten haben, weiter vermehren und praktischen Nutzen bringen. Auch diesen Bereich werden wir zu regeln haben. Unsere Eckpunkte sehen dabei vor, dass bei de Erhe- bung und Verwendung von personenbezogenen Daten ne- ben der unbedingten Erfordernis der Einwilligung und Freiwilligkeit das Forschungsvorhaben vorher durch eine Ethik-Kommission zu beurteilen ist. Ein Informationsan- spruch des Betroffenen über die für seine Gesundheit re- levanten Forschungsergebnisse soll gewährleisten, dass die Ergebnisse dieser Forschung auch dem Betroffen zu- gute kommen können. Das Gesetz wird auch Voraussetzungen für genetische Reihenuntersuchungen festlegen müssen. Diese sollen grundsätzlich nur dann vorgenommen werden dürfen, wenn mit der Untersuchung genetische Eigenschaften mit Bedeutung für eine vermeidbare oder behandelbare Er- krankung festgestellt werden. Außerdem müssen sich aus der Untersuchung Konsequenzen im gesundheitlichen In- teresse der untersuchten Person ergeben. Dies soll dem Gedanken Rechnung tragen, dass den Risiken von gene- tischen Screenings, wie Stigmatisierung oder Druck zur Teilnahme, große Chancen gegenüberstehen, den Aus- bruch einer Krankheit zu verhindern oder ihren Verlauf positiv zu beeinflussen. Für ein solches Gesetz brauchen wir größtmögliche Akzeptanz in der Bevölkerung; deshalb sollten wir nicht überstürzt ein Gesetzgebungsverfahren beginnen, das wir schon aus Zeitgründen in dieser Legislaturperiode nicht mehr beenden können. Anlage 13 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Änderung der Ge- schäftsordnung des Deutschen Bundestages – Verhaltensregeln für Mitglieder des Deutschen Bundestages (Tagesordnungspunkt 16) Dr. Hans-Peter Bartels (SPD): Hinter dem etwas bürokratischen Titel des Antrages, den wir hier heute be- raten, verbirgt sich ein Thema, das nicht das erste Mal das Plenum beschäftigt. Es geht um die Erweiterung der Of- fenlegungspflicht der Abgeordneteneinkünfte. Die letzte Debatte führte der Bundestag im September 1995, als im Zuge der Beratungen zur Parlamentsreform auch ein ent- sprechender Antrag der Abgeordneten Norbert Gansel und Peter Conradi sowie 150 weiterer Mitglieder des Deutschen Bundestages beraten wurde. Schon damals hatten die Initiatoren des Antrages die Nebeneinkünfte im Blick. Das Vorhaben, mehr Transparent zu schaffen, wurde aber in namentlicher Abstimmung von der Mehr- heit des Hauses abgelehnt. Die Argumente, die damals die Kollegen Conradi und Gansel dazu veranlassten, den An- trag einzubringen, sind auch sieben Jahre später noch richtig. Es geht nicht um den ,,gläsernen Abgeordneten“. Aber Wählerinnen und Wähler sollen wissen, welchen Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 245. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Juni 200224818 (C) (D) (A) (B) – durchaus legitimen – Interessen ihr politischer Vertreter um welchen Lohnes willen verpflichtet ist. Deshalb wollen wir mit einer Änderung der Geschäfts- ordnung erreichen, dass Angaben zu Beraterverträgen, zu gutachterlicher und publizistischer Tätigkeit, die heute nur dem Bundestagspräsidenten anzuzeigen sind, veröf- fentlicht werden. Die Regelungen, die wir vorschlagen, sind ein angemessener Ausgleich zwischen dem berech- tigten Interesse der Öffentlichkeit auf Offenlegung von Interessenbeziehungen und dem Schutz der individuellen Grundrechte des einzelnen Abgeordneten. Eine solche Regelung ist lange überfällig. Schon vor 27 Jahren führte das Bundesverfassungsgericht im fünf- ten Leitsatz seines Diätenurteils aus, dass Art. 48 Abs. 3 des Grundgesetzes in Verbindung mit Art. 38 Abs. 1 ge- setzliche Vorkehrungen dagegen verlange, dass Abgeord- nete Bezüge aus einem Angestelltenverhältnis, aus einem so genannten Beratervertrag oder ähnlichem, ohne die da- nach geschuldeten Dienste zu leisten, nur deshalb erhalte, weil von ihnen im Hinblick auf ihr Mandat erwartet wird, dass sie im Parlament die Interessen des zahlenden Un- ternehmens oder des zahlenden Verbandes vertreten und nach Möglichkeit durchsetzen. Peter Conradi wies 1995 auf diesen Leitsatz des Verfas- sungsgerichtes hin und musste feststellen, dass seither nichts geschehen sei. Das war vor sieben Jahren – und noch immer gibt es keine Regelung. Unser Antrag ist ein Anfang. Niemand in diesem Hause muss deshalb auf Beratertätig- keiten verzichten oder nicht gutachterlich tätig sein – ich meine allerdings, es wäre besser, sich solchen Abhängig- keiten nicht auszusetzen. Die Quellen der Nebeneinkünfte neben den Diäten sollen lediglich veröffentlicht werden. Damit sollen verdeckte Interessenkollisionen verhindert werden, damit soll, wie es mein Wahlkreisvorgänger Norbert Gansel 1995 in der Debatte sagte „... für Wähle- rinnen und Wähler kontrollierbar werden, ob die Abgeord- neten ihre ganze Arbeit wirklich der Volksvertretung wid- men. Wer das nicht tun kann oder will, soll wenigstens verpflichtet sein, sich seinen Wählerinnen und Wählern zu erklären.“ Aus dem gleichen Grund wollen wir die Beteili- gungen an Kapital- und Personengesellschaften in die Ver- öffentlichungspflicht einbeziehen. Das unsere Vorschläge, wie der Abgeordnete von Klaeden vor einigen Tagen der „Welt“ sagte, „unklar“ seien, kann ich nicht sehen. Klarer geht es nicht. Unklar ist mir, wie man dagegen sein kann. Lassen Sie uns heute gemeinsam diesen kleinen Schritt tun. Wenn der Wahlkampf vorbei ist und der neue Bundes- tag sich konstituiert hat, sollten wir uns dann noch einmal grundsätzlicher mit der Frage der Reform der Rechtsstel- lung der Abgeordneten beschäftigen. Der Beschluss, den wir in dieser und der kommenden Woche anstreben, ist ein erster wichtiger Schritt zu einem transparenteren Parla- ment. Christian Lange (Backnang) (SPD):Mit dem Antrag zur Änderung der Verhaltensregeln für Mitglieder des Deutschen Bundestages haben wir uns zum Ziel gemacht, durch eine Ausweitung der Offenlegungspflichten außer- parlamentarische Interessenbeziehungen des einzelnen Abgeordneten parlamentsintern und für die Öffentlichkeit transparenter als bisher zu machen. Seit meiner Wahl in den Bundestag 1998 ist es mir ein ganz besonderes Anlie- gen, dafür zu sorgen, dass Abgeordnete die Tätigkeiten, die sie neben Mandat und Beruf ausüben, auch für die Öffent- lichkeit und den interessierten Bürgerinnen und Bürgern anzuzeigen haben. Bisher waren Nebentätigkeiten ledig- lich gegenüber dem Bundestagspräsidenten offenzulegen. Neu ist nun die Veröffentlichungspflicht auch im amtli- chen Handbuch des Bundestages. Somit würden diese In- formationen für jedermann zugänglich und jeder Bürger bzw. Wähler könnte sich umfassend über wirtschaftliche Einflüsse Dritter, zum Beispiel von Firmen oder Verbän- den, auf Parlamentarier informieren. Natürlich wären diese wichtigen Informationen auch im Internet abrufbar. Selbstverständlich wird bei der Ausgestaltung der Ver- haltensregeln die verfassungsrechtliche Stellung des Ab- geordneten, Art. 38 GG, und die Grundrechte, die auch für die Mitglieder des Deutschen Bundestages gelten, berück- sichtigt. Diesbezügliche Sorgen sind völlig unbegründet. Der gläserne Abgeordnete, der seine Einkommensteuerbe- scheide vorlegt ist nicht das Ziel, auch nicht aufgrund ver- fassungsrechtlicher Bedenken. Mit den Änderungen der Verhaltensregeln wird endlich ein angemessener Aus- gleich zwischen dem berechtigten Interesse der Öffent- lichkeit auf Offenlegung von Nebentätigkeiten der Mit- glieder des Deutschen Bundestages und dem Schutz der individuellen Grundrechte des einzelnen Abgeordneten – unter besonderer Berücksichtigung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts – erreicht. Die bisherige Systematik der Verhaltensregeln wird dabei beibehalten. Ich betone nochmal, dass die Änderungen nicht auf die Schaffung des „gläsernen Abgeordneten“ zielen, der seine gesamten persönlichen, beruflichen und wirtschaftlichen Verhält- nisse offen zu legen hat. Es geht vielmehr darum, dass es für den Bürger in Zukunft transparenter ist, ob ein Abge- ordneter während seines Mandats durch Verträge über Be- ratung, Vertretung oder ähnliche Tätigkeiten gebunden ist. Auch über Tätigkeiten, die ein Abgeordneter neben dem Beruf und dem Mandat ausübt, insbesondere über gutachterliche, publizistische und Vortragstätigkeiten, wird die Öffentlichkeit eingehend informiert. Ebenso werden die Beteiligungen an Kapital oder Personenge- sellschaften dann veröffentlicht, wenn sie einen wesentli- chen wirtschaftlichen Einfluss auf das Unternehmen be- gründen. Durch die Neuregelung ist also sichergestellt, dass der Bürger über jede wirtschaftliche Einflussmög- lichkeit eines Dritten auf einen Abgeordneten zeitnah und umfassend informiert ist. Diese Idee ist übrigens nicht neu; schon Norbert Gansel und dem baden-württembergischen SPD-Abge- ordneten Peter Conradi war sie eine Herzensangelegen- heit. Leider scheiterte die gute Idee immer wieder an den Widerständen und Bedenken insbesondere bei der Union und der FDP. Ihre Einwände sind aber prinzipiell alte Hüte, die schon in früheren Debatten gebetsmühlenartig geltend gemacht wurden. Unsere Initiative enthält ja ge- rade nicht die Offenlegung der Einkommensteuerer- klärung, denn auch wir wollen, dass weiterhin Bäcker, Ärzte oder Rechtsanwälte für den Bundestag kandidieren. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 245. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Juni 2002 24819 (C) (D) (A) (B) Diesbezügliche Kritik zeigt doch nur, dass unser Antrag nicht genau gelesen wurde. Deshalb die Unterscheidung zwischen Beruf und Nebentätigkeit. Dies ist auch nicht kompliziert, denn wir alle müssen uns daran schon heute halten. Es ist geltendes Recht. Die Neuerung ist nur, dass die Information nicht im Tresor des Bundestagspräsiden- ten verschwindet, sondern veröffentlicht wird. Bei der Bevölkerung dürfte dieser Antrag breite Zu- stimmung auslösen: Man kann endlich sehen, ob und in welcher Weise der zuständige Abgeordnete äußeren Ein- flüssen ausgesetzt ist. Ist er etwa ein verkappter Lobbyist? Vertritt er die Interessen eines Verbandes oder einer Firma? Hier wird endlich offen gelegt, was Parteienkriti- ker seit langem verlangen und was den Bürger interessiert und bei seiner Entscheidungsfindung bei Bundestagswah- len beeinflussen wird. Die Bedeutung des Antrags zeigt sich auch mal wieder an der traurigen Aktualität des Falls des CSU-Abgeord- neten Hollerith, wie erst am Montag, 24. Juni 2002, in der „Süddeutschen Zeitung“ nachzulesen war. Den CSU-Bun- destagsabgeordneten wird teuer bezahlter Lobbyismus vorgeworfen, weil er gleichzeitig als Aufsichtsrat und Be- rater bei dem Unternehmen MWG Biotech tätig war. Im abgelaufenen Geschäftsjahr hat er neben seinen Einkünf- ten als Aufsichtsratsmitglied zusätzlich 204 517 Euro netto dafür erhalten, dass er dem in seinem Wahlkreis ansässi- gen Unternehmen staatliche Fördermittel und Kredite ver- mittelt hat. Wie in der heutigen Ausgabe der „Süddeut- schen Zeitung“ zu lesen war, wird Hollerith nun nicht mehr für den Bundestag kandidieren. Damit wäre er von den neuen Regelungen nicht betroffen. Das ist allerdings kein sehr eleganter Weg, um das Problem zu lösen, wie ich finde. Im Übrigen kann ich mir vorstellen, dass es für alle Be- teiligten angenehmer wäre, solche Informationen ganz re- gulär vorab veröffentlicht zu sehen. Wenn solche Akti- vitäten per Zufall aufgedeckt werden, ist dies nicht nur für den Einzelnen unangenehm, sondern wirft ein schlechtes Licht auf Mandatsträger im Allgemeinen. Dass sich Union und FDP gegen eine solche Regelung wehren, ist ein Trauerspiel. Der Vorschlag der Koalition schützt Selbstständige mit Blick auf das Grundgesetz vor unziemlicher Einsicht in interne Geschäftsabläufe. Inso- fern drängt sich der Verdacht auf, dass die Opposition mit ihrer Geheimniskrämerei allein Parteipolitische Klientel- interessen vertritt. Die Wähler werden daraus ihre Schlüsse zu ziehen haben. Ich bin der Ansicht, dass sich Offenheit letztlich für alle Beteiligten auszahlen wird. Ganz bestimmt aber für einen demokratischen Parlamentarismus, der von Glaub- würdigkeit lebt. Eckart von Klaeden (CDU/CSU): Bemerkenswert ist, dass SPD und Grüne ihren Antrag heute, eine Woche vor Beginn der parlamentarischen Sommerpause, kurz vor Ende der Wahlperiode einbringen. Das ist bemerkenswert, weil sie genau wissen, dass damit die notwendige sorgfäl- tige Behandlung im Geschäftsordnungsausschuss nicht mehr möglich ist. Sie wissen ganz genau, dass ihr Antrag in die Diskontinuität fallen wird. Zeit genug hätten sie ge- habt, schließlich haben die Fraktionen angeblich über 2 Jahre beraten. Aber sie haben offensichtlich kein Ergeb- nis gefunden, dass nach ihrer eigenen Überzeugung gut ge- nug gewesen wäre, die geltenden Verhaltensregeln zu än- dern. Sonst hätten sie den Antrag eher gestellt. Jetzt ist ausgeschlossen, dass ihre Vorschläge noch in dieser Wahl- periode beschlossen werden. Sie haben uns heute einen klassischen Schaufensterantrag vorgelegt. CDU/CSU sind der Überzeugung, dass sich die gelten- den Regeln bewährt haben. Sie beruhen auf dem Gedan- ken der Transparenz und ermöglichen ein Nebeneinander von Mandat und beruflicher Tätigkeit ohne übermäßigen Eingriff in die Privatsphäre des Abgeordneten. Transpa- renz ist ein unverzichtbares Gut. CDU/CSU bekennen sich ausdrücklich dazu. Wir stehen zu den geltenden Ver- haltensregeln, die einen umfangreichen Katalog von an- zeigepflichtigen Tatbeständen enthalten, von Tätigkeiten, die neben dem Mandat ausgeübt werden. Richtig ist, dass die Öffentlichkeit einen Anspruch da- rauf hat, dass die Einkünfte der Abgeordneten, die sich unmittelbar aus der Abgeordnetentätigkeit ergeben, öf- fentlich gemacht werden. Daran gibt es keinen Zweifel. Zweifel gibt es in der Frage, wie weit wir darüber hinaus gehen sollen. Es muss auch über Nebentätigkeiten soweit berichtet werden, dass Abhängigkeiten vermieden oder zumindest bekannt werden. Eine Neuformulierung von Verhaltensregeln für Abgeordnete des Deutschen Bundes- tages verlangt aber immer eine sorgfältige und gewissen- hafte Behandlung. Schließlich sind hier wesentliche Rechtsgrundsätze tangiert; ich nenne hier als Beispiel die informationelle Selbstbestimmung und die Berufsfreiheit. Die weit gehende Veröffentlichung aller Beratungs- und Vertretungsverträge, Gutachtenerstattungen und Be- teiligungen an Kapital- und Personengesellschaften führt zu einer weit gehenden Offenlegung von beruflichen und eben auch finanziellen Details, auch wenn sie betonen, dass der gläserne Abgeordnete, der seine Einkommens- verhältnisse offenbart, gerade nicht ihr Ziel ist. Gerade die Offenlegung von so genannten Nebentätigkeiten stellt bei freiberuflich und selbstständig Tätigen einen massiven Eingriff in die Berufsfreiheit dar, weil Konkurrenten weit gehende Einblicke in deren unternehmerische Tätigkeit erhalten. Dadurch entstehen Wettbewerbsnachteile, die zu einer Unzumutbarkeit solcher Offenlegungspflichten führen können. Außerdem haben wir auch den Schutz der Grundrechte Dritter zu beachten. Diese könnten bereits dann berührt sein, wenn parlamentarische Offenlegungspflichten zu ei- nem Bekanntwerden eines – beispielsweise – geschäftli- chen Kontakts zu einem Abgeordneten führen. Aus dem Grundsatz des freien Mandats und dem Recht auf einen für alle Wahlberechtigten gleichen Zugang zum Mandat ergibt sich aber das Verbot, einzelne Berufsgrup- pen in einer Weise zu belasten, die einer faktischen Zu- gangssperre gleichkommt. Denken Sie an die Schutzwir- kung, die Beratungsverträge bei Rechtsanwälten und Steuerberatern mit sich bringen. Da kann nichts veröf- fentlicht werden und da darf nichts veröffentlicht werden. Da können Sie nicht mehr Transparenz erreichen, da sind Ihnen die Hände gebunden. An diesem Beispiel können Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 245. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Juni 200224820 (C) (D) (A) (B) Sie schon erkennen, dass eine nicht gerechtfertigte Un- gleichbehandlung anderer Berufsgruppen die Folge ihrer Vorschläge wäre. Die Folge ist Scheintransparenz. Wir haben in diesem Parlament ein Defizit an Freibe- ruflern, an Handwerkern, an Mittelständlern. Wir dürfen nichts tun, was zu einer weiteren Benachteiligung dieser Berufsgruppen führt; denn ansonsten ist hier weiterhin der öffentliche Dienst überrepräsentiert. Wer aus seinem Handwerksbetrieb in die Politik wechselt, muss sich un- ter erheblichem Problemdruck um seinen Handwerksbe- trieb kümmern, um die Chance zu haben, dass dieser Be- trieb noch existiert, wenn er in sein mittelständisches Gewerbe zurückkehren muss oder zurückkehren will. Konsequenz Ihrer Vorschläge wäre eine weitere Ge- fährdung der ohnehin schon zu beamtenlastigen Zusam- mensetzung des Bundestages. Denn für viele Selbststän- dige und Freiberufler wäre Ihre Neuregelung unzumutbar. Einseitig werden diese Berufsgruppen zu einer weit ge- henden Offenlegung ihrer beruflichen und finanziellen Details gezwungen. Was wird die Folge sein? Die wach- sende Unattraktivität des Abgeordnetenmandats. Der be- reits jetzt bestehende starke Hang zum Funktionärs- und Beamtenparlament würde verstärkt. Das können auch Sie nicht wollen. Deshalb kann Ihr Antrag auch in der breiten Öffentlichkeit keine Zustimmung erfahren. Die Bürgerin- nen und Bürger müssen ein Interesse daran haben, dass sich das Parlament nicht einseitig aus Berufsgruppen des öffentlichen Dienstes zusammensetzt. Der Bundestag ist auf Abgeordnete aus beratenden Berufen angewiesen. Lehrer und Gewerkschaftsfunktionäre haben wir ohnehin schon genug. Was dem Bundestag fehlt, sind Selbststän- dige, Ärzte, Ingenieure, Wirtschafts- und Steuerberater. Eine weitere Verarmung der Berufsvielfalt bei den Mit- gliedern des Bundestages muss verhindert werden. Die Damen und Herren von SPD und Grünen üben im- mer mal wieder heftige Kritik an einigen Kolleginnen und Kollegen in diesem Haus, die hauptamtliche Aufgaben in Verbänden übernommen haben. Erlauben Sie mir dann aber auch den Hinweis, dass diesem Parlament immer wieder hervorragende Gewerkschaftsführer angehören und angehört haben. Ich bekenne mich ausdrücklich dazu, dass diese Kollegen diesem Hause angehören. Aber ak- zeptieren Sie auch, dass Geschäftsführer und Vorsitzende von anderen Verbänden hier tätig sind und sein sollen. Die Formel, dass wir gerade keinen gläsernen Abge- ordneten wollen, muss auch bei einer Neugestaltung der Verhaltensregeln ernst genommen werden. Bereits die Kissel-Kommission, die im Jahre 1993 einen viel beach- teten Bericht zur Reform des Abgeordnetenrechts vorge- legt hat, führt aus: Der gläserne Abgeordnete garantiert weder ausrei- chenden Schutz vor Fehlverhaltensweisen, noch trägt dieses Bild dazu bei, qualifizierte Mitglieder für die Bewerbung um ein Mandat zu gewinnen. Wel- cher Selbständige oder Freiberufler könnte, ohne beruflich Schaden zu nehmen, Einkommenszahlen veröffentlichen, die seinem Konkurrenten Wettbe- werbsvorteile bringen würden. Und weiter führt der Bericht aus: Eine solche Verfahrensweise käme dem Offenba- rungseid sehr nahe und könnte nach dem Verständnis der Kommission auch nicht im Entferntesten mit der im Übrigen vom Bürger zu Recht eingeforderten Transparenz von Abhängigkeiten und wirtschaft- lichen Verbindungen begründet werden. Die Veröf- fentlichungen im Handbuch des Bundestages erfül- len den angestrebten Zweck. Die geltenden Regeln sind nach meiner Überzeugung geeignet, das etwas komplizierte Nebeneinander von Rechten und Pflichten aus dem Mandat und gleichzeitig von vielen, nicht von allen, ausgeübten beruflichen Tätig- keiten zu ermöglichen und transparent zu gestalten. Ich möchte dazu aus der Frankfurter Allgemeinen Zei- tung vom 8. Februar 2000 einen Beitrag von Professor Dr. Naßmacher, einem Politologen aus Oldenburg und, nebenbei bemerkt, SPD-Mitglied, zitieren. Er hat sich mit den amerikanischen Verhältnissen beschäftigt, die ja eine Veröffentlichung der Steuerverhältnisse des einzelnen Abgeordneten vorsehen. Ich zitiere: Bereits in den Vereinigten Staaten kann und will nie- mand die offen gelegten Beträge gründlich analysie- ren. Der vielstimmige Chor der öffentlichen Infor- mationen erzeugt keine Musik mehr, sondern nur noch Geräusch. Wer sich außerhalb des Gesetzestex- tes mit der Rolle des Geldes in der Politik dieser Län- der beschäftigt, wird zunächst auf eine Kette von Korruptionsskandalen und eine Fülle von Umge- hungsmöglichkeiten stoßen. Sie alle machen deut- lich, dass durch „symbolische Politik“ der politische Einfluss des Geldes nur scheinbar gezähmt wurde. Auch Ihrem Vorschlag, die Wertgrenze für Gastge- schenke anzuheben, kann ich nicht zustimmen. Sie wol- len die Wertgrenze fast verdoppeln. Das würde in der Öf- fentlichkeit nicht verstanden werden. Er passt auch nicht in diese Zeit. Mit welcher Scheinheiligkeit Sie arbeiten, wird durch Folgendes deutlich: Bereits zum Ende der letzten Wahlpe- riode haben Sie eine Initiative zur Änderung der Verhal- tensregeln für Abgeordnete gestartet. Aus guten Gründen hatte die Mehrheit des Deutschen Bundestages damals die- sen aus unserer Sicht verfassungsrechtlich zweifelhaften Antrag abgelehnt. Sie haben in der Debatte im Februar 1998 in Bezug auf die Offenlegung von Nebeneinkünften einen erheblichen Reformbedarf gesehen. Sie haben sogar angekündigt, die Diskussion weiterführen zu wollen. Doch vier Jahre haben wir hierzu von Ihnen nichts ver- nommen. Wie beim Volksabstimmungsgesetz wollen Sie mit Schaufensteranträgen doch nur im letzten Moment Ihre Klientel beruhigen, wo Sie doch wissen, dass dieser Antrag keine Aussicht mehr hat, im Parlament verabschie- det zu werden. Ich zitiere wörtlich aus der damaligen Rede des Abgeordneten Wilhelm Schmidt, Salzgitter: ... wir hatten sehr schnell den Eindruck, dass sie – ge- meint ist die Koalition von CDU/CSU und FDP– von vornherein die Absicht haben, die Überprüfung der Verhaltensregeln zu verschleppen und zu blockieren. Das spricht – vier Jahre später – für sich. Gerald Häfner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir alle wissen: Das Amt eines Abgeordneten ist schwer. Oft arbeiten wir von morgens bis spät in die Nacht. Und wenn Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 245. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Juni 2002 24821 (C) (D) (A) (B) für andere Leute das Wochenende kommt, geht es bei uns erst richtig los: Sitzungen, Parteiveranstaltungen, Tagun- gen und Kongresse, bei denen die Mitwirkung des zu- ständigen Abgeordneten erwartet wird. Freizeit bleibt für die meisten von uns kaum über. Trotzdem ist es auch ein schönes Amt. Es erlaubt ein Maß an Freiheit, Verantwor- tung und Mitgestaltung, das weit über das fast aller ande- ren Berufe hinausgeht. Wäre es nicht so, würden sich wohl kaum die meisten von uns bei den bevorstehenden Wahlen um ein Mandat bewerben. Aber es gibt schwarze Schafe. Als Helmut Kohl Bun- deskanzler war, haben namhafte Politiker der Union sich von Personen bzw. Unternehmen Geld geben lassen, die gleichzeitig Gegenstand ihrer politischen Entscheidungen waren. Ähnliches ist gerade auch in der nordrhein-west- fälischen SPD passiert. Solche Vorgänge schaden der Politik und den Politi- kern, sie schaden dem Gemeinwesen. Es liegt daher im In- teresse unserer Demokratie, dort, wo politische Macht gegeben ist, größtmögliche Transparenz herzustellen. Wir wollen damit bei uns selbst anfangen. Abgeordnete sind Volksvertreter und sollten das nie vergessen. Wer einen Abgeordneten wählt, erwartet zu Recht, dass dieser in Re- den und Abstimmungen vor allem die Interessen seines Volkes, der Bürgerinnen und Bürger – und nicht die eige- nen Interessen oder die unbekannter Auftraggeber – im Auge hat. Deshalb gilt: Die Bürgerinnen und Bürger ha- ben ein Recht, zu erfahren, in welcher Weise ein Abge- ordneter äußeren Einflüssen ausgesetzt ist. Deshalb soll zukünftig transparent werden, „ob ein Ab- geordneter während seines Mandats durch Verträge über Beratung, Vertretung und ähnliche Tätigkeiten gebunden ist“. Darauf zielt unser heutiger Antrag. Diese Reform unserer Verhaltensregeln ist deshalb so wichtig, weil das Vertrauen in die Politik in den letzten Jahren erschüttert worden ist. Affären und Skandale von Politikern haben nicht nur die jeweiligen Parteien sondern auch das Vertrauen in die gesamte Politik schwer belastet. Deshalb sind wir auch alle gemeinsam in der Pflicht, An- strengungen zu unternehmen, dieses Vertrauen wieder zu stärken. Hierzu ist dieser Antrag ein wichtiger Schritt. Die Idee geht auf eine Initiative von Bündnis 90/Die Grünen zurück. Bereits in meiner ersten, der 11. Legisla- turperiode, habe ich entsprechende Anträge gestellt. In der 13. Legislaturperiode haben wir dann den zweiten Anlauf unternommen. Auch damals scheiterten unsere Anträge für mehr Transparenz und eine Offenlegung von Nebenein- künften noch an der Mehrheit der damaligen Koalition, die Verdächtigungen und den schlechten Eindruck in der Öf- fentlichkeit noch eher hinnehmen wollte als Öffentlichkeit und Transparenz. Ob zwischen dieser Ablehnung und der Tatsache, dass sich die eklatantesten Fälle von Nebenein- künften, die schließlich alle Abgeordneten – meist zu Un- recht – in ein schlechtes Licht stellten in den Reihen der damaligen Koalition befanden, ein Zusammenhang be- steht, weiß ich nicht zu sagen. Eines aber will ich deutlich sagen: Wenn sich jemand als Abgeordneter wählen lässt und anschließend für ein Gehalt oder Honorar, das seine Abgeordnetendiäten um ein Mehrfaches übersteigt, zum Beispiel bei einem Industrieverband annimmt dessen Ge- schicke er durch seine Abstimmungen im Bundestag ent- scheidend beeinflussen kann, können sich daran schon Zweifel an seine Unabhängigkeit knüpfen. Die Wähler haben, wenn sich schon so etwas nicht ver- bieten lässt, zumindest ein Recht darauf, über solche In- teressenverflechtungen Bescheid zu wissen. Sie werden dann hoffentlich ihre Schlüsse daraus ziehen. Nun haben sich die Mehrheitsverhältnisse geändert. Wir Grünen sind, gemeinsam mit unserem Koalitionspartner, fest ent- schlossen, für mehr Demokratie und mehr Transparenz in unserem Land zu sorgen. Unsere Entscheidung, Loya- litäts- und Interessenkonflikte von Bundestagsabgeordne- ten offen zu legen, ist ein weiterer wichtiger Beitrag hierzu. Es ist zugleich ein Antrag mit Augenmaß. Natür- lich haben wir die Privatsphäre und die Persönlichkeits- rechte der Abgeordneten hinreichend berücksichtigt. Un- ser Antrag wird auch nicht – wie der von mir sonst sehr geschätzte Kollege von Klaeden behauptet – zu einer „Verarmung der Berufsvielfalt“ des Bundestages führen. Denn die Beratungsverträge, die etwa ein Rechtsanwalt in Ausübung seines angezeigten Berufes schließt, sind von der Veröffentlichungspflicht eindeutig ausgenommen. Es geht hier lediglich um Nebentätigkeiten, um Beratung- stätigkeit, Gutachterverträge und publizistische Tätigkeit, die ein Abgeordneter neben seinem Beruf ausübt. Im Übrigen: Wer sich so verhält, dass er Interessenkol- lisionen konsequent vermeidet, braucht die Veröffentli- chung von eventuell neben dem Mandat bestehenden Ein- künften, Honoraren etc. keineswegs zu fürchten. Was aber durch die Neuregelung transparent werden wird, sind In- teressenverflechtungen, die mit der notwendigen Unab- hängigkeit eines Bundestagsabgeordneten unvereinbar sind. Und das ist auch gut so. Es ist richtig, dass diese In- formation künftig nicht nur im Safe des Bundestagspräsi- denten liegt, sondern dass Bürgerinnen und Bürgern und Journalisten sich darüber künftig im Amtlichen Handbuch informieren können. Die Kollegen, die bislang unserem Antrag kritisch gegenüberstehen, sollten bedenken: Mehr Offenheit ist doch im ureigensten Interesse eines jeden Abgeordneten, da dies auch helfen wird, ungerechtfertigte Verdächtigungen und Vorurteile zu widerlegen. Der Antrag verlangt auch, dass künftig die Beteiligung eines Abgeordneten an Unternehmen offen gelegt werden muss, wenn diese ein solches Ausmaß erreicht, dass damit ein wesentlicher wirtschaftlicher Einfluss auf das Unter- nehmen begründet wird. Auch diese Regelung ist wichtig und richtig. Hier mehr Offenheit zu schaffen, schadet niemanden. Wir müssen uns als Bundestagsabgeordnete immer darü- ber im Klaren sein, was eigentlich im Kern unsere Auf- gabe ist. Die von uns selbst festgesetzten Bezüge sollen auch wirtschaftlich die Unabhängigkeit jedes einzelnen Abgeordneten sichern. Diese besondere Stellung der Bun- destagsabgeordneten ist auch nötig, damit wir unsere Ar- beit im Parlament so ausüben können, wie es Artikel 38 des Grundgesetzes vorsieht: „ ... an Aufträge und Weisun- gen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterwor- fen.“ Daraus folgt aber auch, dass es bei der Offenlegung von Nebeneinkünften um mehr geht als um eine in unser Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 245. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Juni 200224822 (C) (D) (A) (B) politisches Belieben gestellte Entscheidung. Es geht mei- nes Erachtens vielmehr um Pflichten; die sich zwingend aus unseren ganz besonderen und beileibe nicht unbedeu- tenden Rechten ergeben. Das folgt übrigens auch schon aus dem Diätenurteil des Bundesverfassungsgerichts von 1975: Die besondere Stellung der Abgeordneten verlangt ...gesetzliche Vorkehrungen dagegen, dass Abgeord- nete Bezüge aus einem Angestelltenverhältnis, aus einem so genannten Beratervertrag oder ähnlichem, ohne die danach geschuldeten Dienste zu leisten, nur deshalb erhalten, weil im Hinblick auf ihr Mandat er- wartet wird, sie würden im Parlament die Interessen des zahlenden Arbeitgebers, Unternehmers oder der zahlenden Großorganisation vertreten und nach Möglichkeit durchzusetzen versuchen. Einkünfte dieser Art sind mit dem unabhängigen Sta- tus der Abgeordneten und ihrem Anspruch auf gleichmäßige finanzielle Ausstattung in ihrem Man- dat unvereinbar. Zu Recht beobachten die Bürgerinnen und Bürger auf- merksam, ob und wie wir solche verfassungsrechtlich ge- forderten Anforderungen umsetzen. Mit dem heutigen Antrag tun wir einen weiteren, wich- tigen Schritt zur Stärkung der Demokratie, der Transpa- renz und damit auch des Vertrauens der Öffentlichkeit in ihre Vertreter und Institutionen. Denn solange wir eine fast ausschließlich repräsentative Demokratie haben ist es nötig, dass die Bürger ihren Abgeordneten vertrauen kön- nen. Ich bin stolz – da dies meine letzte Rede im Deut- schen Bundestag sein wird – so viel und so gut ich konnte daran mitgewirkt zu haben, dass dieses Vertrauen und vor allem auch, dass die Demokratie gestärkt und in der Rich- tung auf mehr Transparenz und eine Stärkung der Bürger- beteiligung weiterentwickelt wird. Es ist kein Geheimnis, dass ich gerne noch deutlich mehr erreicht und durchgesetzt hätte. Ein Blick in das von mir schon in der vergangenen Legislaturperiode vorge- legte „Große Demokratiepaket“ macht dies deutlich. Aber Politik ist mühsam und bewegt sich, gerade in solchen Fragen, nur in kleinen Schritten. Durch Beharrlichkeit, Überzeugungskraft und klare, nie vernachlässigte Ziele haben wir nun aber doch einige wichtige Schritte ge- schafft. Ich hoffe, dass noch weitere gemacht werden. Lassen Sie mich eines zum Schluss noch sagen: Es ist mir nicht möglich, über dieses Thema zu reden, ohne an Kristin Heyne zu erinnern. Sie, die so warmherzige, kluge, bescheidene und unbestechliche Kollegin, die bis vor kurzem noch unsere Parlamentarische Geschäftsfüh- rerin war und dann so furchtbar früh gestorben ist, hat ganz entscheidend zum Zustandekommen dieses Antra- ges beigetragen. Jörg van Essen (FDP): Der Bundestag hat mit den Verhaltensregeln für seine Mitglieder bislang gute Erfah- rungen gemacht. Die dort vorgesehenen Offenlegungs- pflichten sind notwendig und dienen der Transparenz. Weiteren Reformbedarf sehen wir in diesem Bereich nicht. Für die FDP besteht daher auch keinerlei Notwen- digkeit, die Verhaltensregeln zu ändern in dem Sinne, wie der uns heute vorliegende Antrag von Rot-Grün dies vor- sieht. In der Begründung zu dem Antrag heißt es, die vor- gesehenen Änderungen zielten nicht auf den „gläsernen Abgeordneten“ ab, der seine gesamten persönlichen, be- ruflichen und wirtschaftlichen Verhältnisse offen zu legen habe. Aber gerade dies will der Antrag. Der Abgeordnete, der neben der Ausübung seines Mandats noch einer frei- beruflichen Tätigkeit als Rechtsanwalt oder Steuerberater nachgeht, muss seine Mandantenverhältnisse offen legen. Dass dies mit allen berufsstandesrechtlichen Grundsätzen kollidiert, interessiert Rot-Grün offensichtlich wenig. Wenn wir uns die Zusammensetzung des Bundestages im Hinblick auf die Berufsorientierung ansehen, werden wir feststellen, dass die Vertreter der freien Berufe nicht gerade überrepräsentiert sind. Wir müssen aber ein Inte- resse daran haben, dass auch die Vertreter der freien Be- rufe ihr politisches Engagement durch eine Mitglied- schaft im Deutschen Bundestag zum Ausdruck bringen. Durch eine derartige Änderung der Verhaltensregeln wird es uns aber nicht gelingen. Im Gegenteil: Eine Offenle- gung von persönlichen und beruflichen Verhältnissen in diesem Umfang wird jeden Freiberufler von einer Tätig- keit im Bundestag abhalten. Der Antrag ist wieder ein ty- pisches Beispiel für „gut gemeint“. So lässt sich aber keine Politik machen. Der Antrag ist praxisuntauglich und daher kein geeigneter Beitrag zur Reform des Parla- mentsrechts. Dr. Evelyn Kenzler (PDS): Die Erweiterung der zu veröffentlichenden Angaben von Abgeordneten über Ne- bentätigkeiten, zusätzliche Einkünfte und Abhängigkei- ten hätte, wenn es ehrlich gewollt ist, zu Beginn und nicht erst am Ende der Wahlperiode erfolgen können. Ausge- rechnet der Gesetzgeber braucht für die Umstellung von der D-Mark auf den Euro in seinen eigenen Regelungen Monate. Inhaltlich ist an den vorgeschlagenen Änderungen nichts falsch, auch wenn ich anmerken möchte, dass die wirklichen in diesem Zusammenhang stehenden Pro- bleme mit diesen Änderungen der Verhaltensregeln für Bundestagsabgeordnete nicht gelöst werden. Bundestagsabgeordnete haben nach 48 Art. GG An- spruch auf eine angemessene, ihre Unabhängigkeit si- chernde Entschädigung. Was darunter zu verstehen ist, wissen wir spätestens seit dem so genannten Diätenurteil des Bundesverfassungsgerichtes vom 5. November 1975. Unsere angemessene Entschädigung ist demnach eine „Vollalimentation aus der Staatskasse“. Wenn die Infor- mationen über die Arbeit der Bundestagsabgeordneten in den vom Bundestag herausgegeben Broschüren und wei- teren Publikationen stimmen, besteht diese „Vollalimen- tation“ angesichts des Fulltimejobs mit teilweise bis zu 14 Stunden Arbeitszeit am Tag zu Recht. Unverständlich ist deswegen, warum Bundestagsabgeordnete in größerem Umfang in zahlreichen Aufsichtsräten sitzen oder anderen profitablen Nebentätigkeiten nachgehen können. Die Abhängigkeiten von der Wirtschaft und Verbänden sowie die Empfänglichkeit für Spenden sind und bleiben ein Problem. Zu Recht vermerkte „Der Spiegel“ im April dieses Jahres, dass bei Korruption für Abgeordnete bis Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 245. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Juni 2002 24823 (C) (D) (A) (B) heute Sonderregeln gelten, die dafür sorgen, dass Parla- mentarier bislang noch nie wegen Bestechlichkeit verur- teilt wurden. Diesbezügliche Vorschläge der PDS-Bun- destagsfraktion hat dieses Haus in großer Einmütigkeit abgelehnt. Auch die Veröffentlichung der Höhe der Ein- künfte von Bundestagsabgeordneten sollte künftig zu un- seren Verhaltensregeln gehören. Die Koalitionsfraktionen empfehlen dem Bundestags- präsidenten, bei der Änderung der Ausführungsbestim- mungen die anzeigungspflichtigen Beträge durch Neben- tätigkeiten im Zusammenhang mit der Euro-Umstellung „behutsam“ von 5 000 DM auf 3 000 Euro im Monat bzw. 30 000 DM auf 18 000 Euro im Jahr anzuheben. Alles, was darunter liegt, braucht ein Abgeordneter nicht beim Bundestagspräsidenten anzuzeigen, geschweige denn öf- fentlich zu machen. Ich halte dieses Ansinnen für falsch und empfehle dem Bundestagspräsidenten deshalb, die anzeigenpflichtige Höhe von Nebeneinkünften deutlich abzusenken. Anlage 14 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts: – zu dem Antrag des Bundesministeriums der Fi- nanzen: Entlastung der Bundesregierung für das Haushaltsjahr 2000 – Vorlage der Haushaltsrech- nung und Vermögensrechnung des Bundes (Jah- resrechnung 2000) – zu der Unterrichtung durch den Bundesrech- nungshof: Bemerkungen des Bundesrechnungsho- fes 2001 zur Haushalts- und Wirtschaftsführung (einschließlich der Feststellung zur Jahresrech- nung des Bundes 2000) (Tagesordnungspunkt 17) Josef Hollerith (CDU/CSU/): Es ist nicht nur eine gute Übung, sondern mir ein besonderes Anliegen, den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Bundesrechnungs- hofes für die hervorragende Unterstützung unserer Arbeit im Rechnungsprüfungsausschuss herzlich zu danken. Der Bundesrechnungshof arbeitet gewissenhaft, zuverlässig und allein im Interesse der Sache. Da diese Controlling- arbeit im Ergebnis zur Vermeidung von Ausgaben führt und zur Aufdeckung von Fehlleistungen der Verwaltung und überhöhter bzw. nicht vereinnahmter Einnahmen bei den Steuern – zum Beispiel Umsatzsteuerbetrug – führt, ist künftig zu überlegen, inwieweit der Bundesrechnungs- hof von den generellen Personalkürzungen ausgenommen werden soll. Ich bin der Meinung, dass dieses Personal im Ergebnis mehr Geld einbringt, als es kostet. Insoweit plä- diere ich, den Bundesrechnungshof bei den generellen Stellenkürzungen künftig auszunehmen. Mein besonderer Dank gilt unserer Ausschussvorsit- zenden Uta Titze-Stecher, die mit hoher menschlicher Kompetenz, Umsicht und Leitungsqualität den Rech- nungsprüfungsausschuss als Vorsitzende geführt hat. Da sie mit dieser Wahlperiode ihre Arbeit im Deutschen Bun- destag beenden wird, wünsche ich ihr für ihren weiteren Lebensweg vor allem viel Gesundheit und alles Gute. Mein Dank gilt auch den Kolleginnen und Kollegen, die als Mitglieder im Rechnungsprüfungsausschuss tätig wa- ren. Die Zusammenarbeit war stets kollegial, offen und sachlich. Bezeichnenderweise hat auch der Rechnungs- prüfungsausschuss in 99 Prozent der Fälle einstimmig ab- gestimmt. Dies ist auch richtig, weil ein solches Verhalten die gemeinsame Absicht aller Fraktionen ihre Controlling- aufgabe ernst zu nehmen, dokumentiert. Mein besonderer Dank gilt auch den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Ausschusssekretariats, die uns bei unserer Arbeit vorbild- lich unterstützt haben. Die Beschlussempfehlung lautet, der Bundesregierung nach Art. 114 GG in Verbindung mit § 114 der Bundes- haushaltsverordnung die Entlastung für das Haushaltsjahr 2000 zu erteilen. Insbesondere wird die Bundesregierung aufgefordert, bei der Aufstellung und Ausführung der Bun- deshaushaltspläne die Feststellungen des Haushaltsaus- schusses zu den Bemerkungen des Bundesrechnungshofes zu befolgen, Maßnahmen zur Steigerung der Wirtschaft- lichkeit unter Berücksichtigung der Entscheidungen des Ausschusses einzuleiten und die Berichtspflichten fristge- recht zu erfüllen, damit eine zeitnahe Verwertung der Er- gebnisse bei den Haushaltsberatungen gewährleistet ist. Dabei umfasst diese Aufforderung die Drucksache der Be- schlussempfehlung und den Bericht des Haushaltsaus- schusses mit insgesamt 102 DIN-A-4-Seiten. Dies ist ein beachtlicher Umfang von Rügen und Aufforderungen, de- ren Umsetzung die Bundesregierung durch Ausschussbe- schluss und Beschluss des Hauses verpflichtet. In den folgenden Ausführungen möchte ich ihre Auf- merksamkeit auf die Probleme für den Bundeshaushalt aufgrund der Zahlungspflichten für die Postbeamtenver- sorgungskasse richten. Der dramatische Kursverfall der T-Aktie, die gegenüber ihrem Höchststand fast 90 Prozent ihres Kurswertes verloren hat, führt schon 2002 und 2003 im Bundeshaushalt zu Finanzierungsproblemen für die Postbeamtenversorgungskasse. Langfristig sind diese Lasten des Bundes – auf diesem Kursniveau – aus den An- teilen des Bundes an den Postnachfolgeunternehmen nur noch zu Bruchteilen finanzierbar. Die falsche Wirtschafts- und Finanzpolitik der rot-grünen Bundesregierung, die für Deutschlands Wirtschaftsschwäche verantwortlich ist, muss dringend korrigiert werden, um die sich hier ab- zeichnenden massiven zusätzlichen Belastungen der Steuerzahler zurückzuführen. Vor mehr als einem Jahr hat sich Finanzminister Eichel seine Taschen mit den Erlösen aus der Versteigerung der UMTS-Lizenzen in Höhe von 51 Milliarden Euro prall gefüllt. Mitgeboten hatte auch die Telekom, die heute ihre drastischen Verluste auch mit den hohen Aufwendungen für die UMTS-Lizenzen be- gründet. Nicht anders geht es den anderen Bietern von da- mals. Mittlerweile herrscht die Meinung vor, dass die UMTS-Technik die Kosten ihrer Einführung niemals wird erwirtschaften können. Man erinnert sich: Der Kurs der Telekom-Aktie stieg, Millionen von Kleinaktionären zeichneten die Papiere. Eichel hat erst aus dem Verkauf von Telekom-Aktien und dann über die „Konsumsteuer“ UMTS nochmals kräftig kassiert. Nicht vergessen werden Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 245. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Juni 200224824 (C) (D) (A) (B) darf, dass es Eichel war, der die Freistellung der Post von der Umsatzsteuer in Höhe von fast 1 Milliarde Euro be- schlossen hatte und selbst durch die Privatisierung hieraus kassiert hat. Mittlerweile macht sich bei den Aktionären von Telekom und Post, unter ihren Millionen von Kleinaktionären, Katerstimmung breit. Die Kurse beider Postnachfolgeunternehmen sind im Keller. Entsprechend dem 1995 verabschiedeten Postperso- nalrechtsgesetz, das die Postreform begleitete, muss der Bund die jederzeitige Auszahlungsverpflichtung der drei Postnachfolgeunternehmen Telekom AG, Post AG, Post- bank AG über die gegründete Postbeamtenversorgungs- kasse gewährleisten. Nach einem versicherungsmathematischen Gutachten von November 2000 bedeuten die Zahlungsverpflichtun- gen dieser Postbeamtenversorgungskasse in den Jahren 2001 bis 2090 für den Bund einen Barwert von rund 150 Milliarden Euro Anfang 2001. Diesen Ausgabever- pflichtungen des Bundes stehen bei den derzeitig niedrigen Aktienkursen von Telekom und Post Vermögenswerte des Bundes in Höhe von lediglich knapp 34 Milliarden Euro gegenüber, mithin eine Unterdeckung von 116 Milliarden Euro, ein gewaltiges Haushaltsrisiko für künftige Jahre. Für das laufende Haushaltsjahr 2002 mag Eichel noch mit einem „blauen Auge“ davonkommen. Die Ausgaben für die Postbeamtenversorgungskasse in Höhe von 5,4 Milliarden Euro kann er durch den Rückgriff aus dem beim „Treuhandvermögen Bundesanstalt für Post und Te- lekommunikation“ noch vorhandenen Mitteln in Höhe von rund 5 Milliarden Euro finanzieren. Probleme dürfte es geben, die im Bundeshaushalt 2002 mit weiteren 2,8 Milliarden Euro – 2001: 3,7 Milliarden Euro – einge- stellten Privatisierungserlöse zur allgemeinen Haushalts- finanzierung zu realisieren. Auch hier sind Verkäufe von weiteren Telekom- und Post-Aktien vorgesehen. In Anbe- tracht der niedrigen Kurse würde ein Marktverkauf die Kurse weiter belasten und neuerliche Platzhalterlösungen bei der Kfw kämen einer Verschleuderung von Vermö- genswerten gleich. Ohnehin hat die Kfw gewaltige Mittel durch diese Platzhalterlösungen gebunden und damit ste- hen dem eigentlichen Gegenstand des Unternehmens, der Förderung der deutschen Wirtschaft – insbesondere des Mittelstandes – , entsprechend weniger Mittel zur Verfü- gung, da die Bank ihre Anteile nur im Einvernehmen mit dem Bund verkaufen darf. Wie man es auch dreht und wendet: Eichel hat mit sei- ner Finanzpolitik mit dazu beigetragen, dass die Mittel für die Finanzierung der Postbeamtenversorgungskasse er- schöpft sind und künftigen Bundeshaushalten gewaltige Finanzierungsprobleme hierdurch entstehen. Insbeson- dere der dramatische Kursverfall der Telekom-Aktie ist eine schwere Erblast, die Eichel bei seinem Abgang nach dem 22. September 2002 hinterlässt. Für mich endet mit dieser Rede die Arbeit im Deut- schen Bundestag. Ich blicke dabei auf zwölf erfolgreiche Jahre Arbeit als Bundestagsabgeordneter zurück. Ich freue mich, dass ich den Menschen im Lande dienen konnte, viel für den Wahlkreis bewegt habe und meine Handschrift einige Gesetze wie zum Beispiel das Bauge- setz mitgeprägt hat. Oswald Metzger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Der Jahresabschluss 2000 zeigt, dass wir in diesem Jahr die Wende zu einer soliden und nachhaltigen Haushaltspolitik vollzogen haben. Im Rahmen unseres Zukunftsprogramms 2000 wurde trotz des massiven Gegenwinds das angepeilte Sparvolumen von 30 Milliarden DM fast punktgenau er- reicht. Die Neuverschuldung wurde auf 46,5 Milliarden DM reduziert. Das sind 3,0 Milliarden DM weniger als veranschlagt und 9,9 Milliarde DM weniger als 1998. Gleichzeitig unterschreitet die Neuverschuldung die Investitionsausgaben von 55 Milliarden DM um 8,5 Milli- arden DM. Damit liegt sie deutlich unter der verfassungs- rechtlichen Verschuldungsobergrenze des Artikel 115 GG. In 1998 lag der Abstand nur bei 0,7 Milliarden DM und in den zwei Jahren zuvor war die Neuverschuldung sogar höher als die Investitionsausgaben: 1996 um 17,3 Milliar- den DM und 1997 um 7,3 Milliarden DM. Der erfolgreiche Jahresabschluss 2000 resultiert vor al- lem aus der strikten Haushaltsdisziplin der rot-grünen Bundesregierung. Die Gesamtausgaben liegen mit 478 Mil- liarden DM um 0,8 Milliarden DM unter dem veran- schlagten Soll. Mit strikter Ausgabendisziplin konnten nicht nur der vorgegebene Ausgabenrahmen unterschrit- ten, sondern auch erhebliche zusätzliche Mehr-Belastun- gen aufgefangen werden. So wurden Ausgaben für die Zwangsarbeiterstiftung von 4,6 Milliarden DM, das Wohngeld von 1,5 Milliarden DM und die Heizkosten- pauschale von 1,1 Milliarden DM kompensiert. Auch bei der Einnahmenstruktur konnten weitere Verbesserungen erreicht werden. Während 1998 noch Privatisierungser- löse von 19,8 Milliarden DM zur Deckung laufender Aus- gaben benötigt wurden, wurden hierfür in 2000 nur noch 3,7 Milliarden DM eingesetzt. Neben der konsequenten Umsetzung unseres Zukunfts- programms war in 2000 die größte finanzpolitische Leis- tung die Verwendung des Versteigerungserlöses bei den UMTS-Lizenzen. Statt diese Einmaleinnahmen von fast 100 Milliarden DM für zusätzliche Maßnahmen zu ver- wenden sind wir unserem Leitbild einer nachhaltigen Haushaltspolitik treu geblieben. Die Mittel wurden in vollem Umfang zur Tilgung alter Schulden eingesetzt. Damit haben wir nicht nur eine dauerhafte Entlastung bei den Zinsausgaben erzielt, sondern unsere Verlässlichkeit in der Finanzpolitik bewiesen. Unsere Politik der strikten Haushaltsdisziplin hat sich bewährt. Die von uns vorgelegte Finanzplanung bis 2006 dokumentiert, dass wir auch in der neuen Legislaturperiode an unserem Konsolidierungskurs konsequent festhalten werden. Dieser Kurs ist die Basis für unser Ziel, im Jahre 2006 einen ausgeglichenen Haushalt vorzulegen. Demge- genüber zeigen die völlig unseriösen Wahlversprechen der Opposition, dass sie an das Jahr 1998 anknüpfen wollen und wieder mit dem Schuldenwahn beginnen wollen. Jürgen Koppelin (FDP): Ich spreche der Vorsitzen- den des Rechnungsprüfungsausschusses, der Kollegin Uta Tietze-Stecher, meinen Dank für die vertrauensvolle Zusammenarbeit aus. Dieser Dank gilt selbstverständlich auch den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Rech- nungsprüfungsausschusses und den Mitgliedern des Bun- desrechnungshofes. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 245. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Juni 2002 24825 (C) (D) (A) (B) Zur Debatte steht heute der Antrag des Bundesministe- riums der Finanzen zur Entlastung der Bundesregierung für das Haushaltsjahr 2000. Innerhalb der mir zur Verfü- gung stehenden Zeit von dreieinhalb Minuten kann si- cherlich nicht alles gesagt werden, was von Relevanz für diesen Haushalt wäre. Daher werde ich mich nur auf ei- nige wesentliche Punkte konzentrieren. Im Haushaltsgesetz 2000 vom 28. Dezember 1999 wurden die Einnahmen und Ausgaben des Bundes auf 478,8 Milliarden DM festgestellt und das Bundesministe- rium der Finanzen zu einer Nettokreditaufnahme bis zur Höhe von 49,5 Milliarden DM ermächtigt. Im Haushaltsvollzug lagen die Einnahmen ohne Münz- einnahmen und Einnahmen aus der Aufnahme von Kredi- ten um rund 2,1 Milliarden DM über dem veranschlagten Soll. Die Ausgaben waren mit 478 Milliarden DM rund 0,8 Milliarden unter dem Ausgabesoll. Auffällig ist, dass das Haushaltsjahr 2000 mit Steuer- einnahmen in Höhe von rund 389 Milliarden DM abge- schlossen hat. Diese sind historisch betrachtet die höchs- ten Steuereinnahmen in der Geschichte Deutschlands. Sie lagen im Vollzug um gut 1,3 Milliarden DM über dem ver- anschlagten Soll. Verglichen mit dem Vorjahr betrug der Zuwachs bei den Steuereinnahmen insgesamt 12,4 Milli- arden DM; dies entspricht einem Plus von 3,3 Prozent. Ursächlich dafür waren die stärkere Besteuerung des Energieverbrauchs durch die Erhöhung der Mineralöl- steuer und Stromsteuer – Ökosteuer – und das höhere Auf- kommen der veranlagten Einkommensteuer wegen hoher Nachzahlungen für vergangene Veranlagungszeiträume und hohe Vorauszahlungen. Die Gesamtausgaben erführen gegenüber dem Vorjahr eine leichte Reduzierung um 1 Prozent auf 478 Milliarden DM. Dabei verharrte der Anteil der konsumptiven Ausga- ben mit 88,5 Prozent bzw. 423 Milliarden DM auf weiter- hin hohem Niveau. Den größten Anteil davon belegten die Sozialausgaben – darunter die Sozialversicherungen, Renten und Unterstützungsleistungen – sowie Zinsausga- ben. Sie erreichten zusammen 260,5 Milliarden DM oder 61,6 Prozent der konsumptiven Ausgaben. Auffällig ist der Anteil der investiven Ausgaben an den Gesamtausgaben. Im Haushaltsvollzug erab sich eine Re- duzierung der investiven Ausgaben um 2,5 Milliarden DM auf 55 Milliarden DM. Dies entspricht einer Investi- tionsquote von 11,5 Prozent und bedeutet eine weitere Absenkung im Vergleich zu den Vorjahren. Dabei ist vor allem die Reduzierung der Sachinvestitionen, also bei- spielsweise der Baumaßnahmen, von 13,9 Milliarden auf 13,2 Milliarden DM bedeutsam. Hinzuweisen wäre bei den Ausgaben auf die Leistungen des Bundes zur Zahlung eines einmaligen Heizkos- tenzuschusses. Die Ursache war eine von der Bundesregie- rung zu verantwortende Verteuerung der Energiekosten. Mit 1,1 Milliarden DM hat die Bundesregierung seinerzeit ein Winterhilfepaket geschnürt. Zu Mehraufwendungen kam es bei der Arbeitslosenhilfe in Höhe von 3,5 Milliar- den DM. Diese Unterveranschlagung wird, vergleicht man die letzten Haushaltsjahre, regelmäßig durch die rot-grüne Bundesregierung praktiziert und verkommt mehr und mehr zu einer Unsitte bei der Haushaltsaufstellung. Allerdings möchte ich nicht erneut eine Generaldebatte über den Haushalt 2000 führen. Die Bemerkungen des Bundesrechnungshofes 2001 zur Haushalts- und Wirt- schaftsführung des Bundes sind die Grundlage für die Entlastung der Bundesregierung durch den Bundestag im Haushaltskreislauf. Insofern haben die Bemerkungen des Bundesrechnungshofes eine große Wirkung, da sie fi- nanzwirtschaftlich bedeutsam sind und die Kritik mit konkreten Verbesserungen und Vorschlägen verbunden wird. Allein mit 66 Bemerkungen des BRH hat sich der Rechnungsprüfungsausschuss befassen müssen. Fast alle Ressorts waren betroffen. Dies zeigt auch, dass es im Ver- waltungsbereich und innerhalb der Bundesministerien noch viele Unzulänglichkeiten gibt und hier weiterhin ein großes Einsparpotenzial besteht. Daher ist dem Bundes- rechnungshof Dank zu sagen für seine Anstrengungen so- wie für seine Vorschläge und Anregungen. Heidemarie Ehlert (PDS): In diesem Jahr ist es ge- lungen, die Haushaltsrechnung des Bundes für das Jahr 2000 ziemlich zeitgleich mit den Bemerkungen des Bun- desrechnungshofes in den jeweiligen Ausschüssen einzu- reichen und zu behandeln. Das ist gut so; denn nur im Ver- gleich beider Dokumente können die Erfolge und die Beanstandungen hier und heute behandelt werden. Vorab möchte ich für die PDS die Zustimmung zur Ent- lastung signalisieren, obwohl der BRH sehr kritische An- merkungen zur Erstellung der Haushaltsrechnung im All- gemeinen und auch zu den einzelnen Ministerien im Besonderen ausgewiesen hat. Unsere Kritik bezieht sich auf folgende Schwerpunkte: Erstens. Der Bundesrechnungshof stellte fest, dass die Bundesregierung eine fehlerhafte Jahreshaushaltsrech- nung vorgelegt hatte, die widersprüchliche, unzutreffende oder unklare Angaben enthielt. Meines Erachtens hat es eine solche Feststellung noch nie gegeben, dass der Bun- desrechnungshof die vorgelegte Jahresrechnung korrigie- ren musste. Zweitens. Immer wieder fordert der BRH die Verwal- tung auf, mit den Haushaltsmitteln sparsam und effektiv umzugehen. Aber noch immer werden Haushaltsmittel in Größenordnungen verschwendet; ich denke dabei an die Ministerien und Ämter wie das Auswärtige Amt, den BGS, das Innenministerium, das Verteidigungsministe- rium und den IT-Bereich. Das wird vor allem immer von der Opposition, aber auch von Mitgliedern der Regie- rungsfraktionen kritisiert. Dem aber könnte man entgegenwirken, als Politiker, als Steuerzahler oder als Vereinigung, wenn Sie heute un- serem Antrag zur „Bestellung einer Amtsanklägerin/eines Amtsanklägers“ zugestimmt hätten. Es hat sich in der Ver- gangenheit gezeigt, dass auch das ausgefeilte Sanktions- instrumentarium wirkungslos bleiben muss, solange sich niemand konsequent um die Durchsetzung der Ansprüche gegen Steuergeldverschwender kümmert. Nur durch öf- fentliche Kontrolle kann Verschwendung eingedämmt werden. Bisher fehlte aber die Bereitschaft, diesbezüglich überhaupt tätig zu werden. Der Umgang mit öffentlichen Mitteln muss sich an den Grundsätzen der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit ori- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 245. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Juni 200224826 (C) (D) (A) (B) entieren. Bei verfehlten Ausgaben der öffentlichen Hand muss am Ende der Steuerzahler für diese aufkommen. Die unermüdliche Anprangerung dieser Situation ist zwar in Einzelfällen durchaus wirkungsvoll, doch hat sie eine grundlegende Beseitigung des Missstandes bisher nicht bewirken können. Der Bund der Steuerzahler fordert bereits seit 1982 durch die Einführung einer Amtsanklägerin bzw. eines Amts- anklägers der Verschwendung von Haushaltsmitteln entge- genzuwirken. Aber noch immer werden die Bemerkungen des BRH zwar zur Kenntnis genommen, aber der Ver- schwendung kein Einhalt geboten. Damit muss angesichts der desolaten Haushaltslage Schluss gemacht werden. Anlage 15 Zu Protokoll gegeben Reden zur Beratung – der Beschlussempfehlung und des Berichts: Die Ge- meinschaftsaufgabe Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur als regelgebundenes Förder- system erhalten – des Antrags: Regionalpolitik stärken – Chancen nutzen (Tagesordnungspunkt 18 und Zusatztagesordnungs- punkt 13) Christian Müller (Zittau) (SPD): In den letzten zehn Jahren gab es immer wieder kritische Situationen für die GA. Sie resultierten aus dem Spannungsfeld aufeinander- treffender Förder- und Nichtfördergebiete ebenso, wie aus der Reduzierung der Haushaltsmittel. Dabei war den Re- gionalpolitikern im Deutschen Bundestag immer klar, dass insbesondere die Ausstattung der GAWest mit ange- messenen Haushaltsmitteln eine der Voraussetzungen für das Zustandekommen der Rahmenpläne für ost- und west- deutsche Fördergebiete im Bund-Länder-Planungsaus- schuss ist. Parallel dazu entwickelte sich die Einflussnahme der Europäischen Kommission auf die Regionalförderung an sich, was besonders in Phasen der Neuabgrenzung der Fördergebiete zunehmende Konflikte zur Folge hatte. Un- sere eigenen Interessen waren und sind darauf gerichtet, angesichts vorhandener und wachsender regionaler Disparitäten, auch in der Folge der europäischen Erweite- rung, nationale Spielräume für die Regionalpolitik zu er- halten oder zurückzugewinnen. Die Europäische Kom- mission sollte sich auf eine Missbrauchskontrolle im Beihilferecht zurückziehen. Sowohl in der nationalen als auch in der europäischen Diskussion geht es jetzt um die Zukunft der Regionalförderung. Darin liegen einige poli- tische Herausforderungen. Die Ministerpräsidenten der Länder haben im Juni 2001 auf ihrer Sonderkonferenz Beschlüsse zur Neuord- nung der Finanzbeziehungen zwischen Bund und Län- dern gefasst. Bis zum Abschluss der Europäischen Regie- rungskonferenz im Jahr 2004 soll mit dem Bund die Entflechtung von Gemeinschaftsaufgaben und Mischfi- nanzierungen vereinbart werden. Im Jahr 2003 sollen dazu entsprechende Verhandlungen zwischen dem Bund und den Ländern erfolgen, eine Position des Bundes für das weitere Vorgehen in der Bund-Länder-Arbeitsgruppe soll im Herbst formuliert werden. Ich halte es in diesem Zusammenhang für unannehmbar, dass in den Arbeits- gruppen die Wirtschaftsministerien weder auf Bundes-, noch auf Landesebene vertreten sind. Im Kontrast dazu haben erst vor wenigen Wochen, am 6. Mai, die Wirtschaftsminister des Bundes und der Län- der im Planungsausschuss der GA bekräftigt, dass die Gemeinschaftsaufgabe zur Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstrukturen erhalten werden sollte. Es ist heute der nahezu letztmögliche Zeitpunkt, dazu eine Position des 14. Deutschen Bundestages zu diskutieren und zu verabschieden. Wir werden im Ergebnis den vorliegen- den Antrag mit breiter Mehrheit verabschieden. Damit geben wir der Bundesregierung den Auftrag zu prüfen, wie die Gemeinschaftsaufgabe zur Verbesserung der re- gionalen Wirtschaftsstrukturen erhalten werden kann. Wir halten fest, die Gemeinschaftsaufgabe zur Verbesse- rung der regionalen Wirtschaftsstrukturen hat als ein ef- fizientes, regelgebundenes Fördersystem klare Struktu- ren des Zusammenwirkens von Bund und Ländern entwickelt. Im Bund-Länder-Planungsausschuss werden nicht nur die Rahmenpläne erarbeitet und verabschiedet, sondern auch alle Probleme im Zusammenwirken von Ländern mit Fördergebieten vernünftig geregelt. Die Rahmenpläne eröffnen auf diese Weise Möglichkeiten zur geförderten Entwicklung der wirtschaftsnahen Infra- struktur, von Qualifizierungsmaßnahmen und den Ein- satz von Regionalmanagern. Ein unverzichtbares Ziel der GA ist und bleibt die Sicherung wettbewerbsfähiger Arbeitsplätze in der Folge von Investitionen in stabile Unternehmen. Diese gut organisierte Gemeinschaftsaufgabe zur Ver- besserung der regionalen Wirtschaftsstrukturen ist ein un- verzichtbarer Ordnungsrahmen für die Regionalentwick- lung. Er sichert in einem bundeseinheitlichen Verfahren die Gleichbehandlung von Regionen und verhindert einen ungebremsten Subventionswettlauf der Länder um An- siedlungen. Dies ist ein Systemansatz, der angesichts des eher zunehmenden regionalpolitischen Handlungsbedarfs fortentwickelt werden muss, denn auch die kommenden Jahre werden von einem ständigen Strukturwandel be- gleitet sein. Insbesondere die bevorstehende Erweiterung der Europäischen Union wird in dieser Hinsicht eine be- sondere Herausforderung darstellen. Deshalb sollten der Bund und die Länder sich stärker als Initiatoren, Media- toren oder auch Moderatoren in den Regionen einbringen. Mit dem Instrumentarium der GA ist es möglich, die raumwirksamen Politikbereiche des Bundes, wie Mittel- stands-, Forschungs-, Städtebau- und Arbeitsmarktpoli- tik projektbezogen zu koordinieren. Die daraus erwach- senden Synergieeffekte führen zu Effizienzgewinnen und einer dauerhaften Entwicklung in den Regionen. Wir brauchen also auch künftig die Gemeinschaftsauf- gabe zur Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruk- turen. Deshalb bitte ich Sie alle, dem vorliegenden An- trag zuzustimmen. Zugleich sollten wir auch gemeinsam die Einbeziehung der Wirtschaftsministerien in die Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 245. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Juni 2002 24827 (C) (D) (A) (B) Bund-Länder-Arbeitsgruppe fordern, was ich von mei- ner Seite jedenfalls unterstreichen möchte. Ulrich Klinkert (CDU/CSU): Ich denke, es besteht parteiübergreifend Konsens, dass die Gemeinschaftsauf- gabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ als modernes und leistungsfähiges Instrument der Wirt- schaftsförderung beibehalten werden muss. Mit ihr kön- nen wir regionale Entwicklungsunterschiede abbauen hel- fen und dauerhaft Arbeitsplätze sichern und schaffen. Sie gewährt einen breiten Gestaltungsspielraum mit regiona- ler Schwerpunktsetzung. Vorhandene Strukturprobleme können dadurch effizient und zielgerichtet gelöst werden. Flexibilität und Eigenständigkeit wird in den Ländern ge- fördert. Besonders für die neuen Bundesländer ist die Ge- meinschaftsaufgabe das entscheidende Mittel gezielter Investitionsförderung. Bei Abschaffung der Gemeinschaftsaufgabe wäre dem Bund das Instrumentarium entzogen, um wirksam den Strukturwandel zu erleichtern und gesamtwirtschaftliche Aspekte in die regionale Strukturpolitik einzubeziehen. Einzelfallbezogene Interventionen des Bundes könnten an die Stelle des regelgebundenen und transparenten För- dersystems der Gemeinschaftsaufgabe treten. Die Fremd- bestimmung der Länder drohte verstärkt zu werden. Glei- ches wäre mit Blick auf die Zentralisierungstendenzen der Struktur- und Beihilfepolitik der EU-Kommission zu er- warten. Die Koordinierung zwischen den Ländern würde sich erheblich erschweren. Dies ist nicht akzeptabel. Die Regionalförderung war in der Vergangenheit unersetzbar notwendig und ist es auch in der Zukunft. Der 31. Rahmenplan der Gemeinschaftsaufgabe setzt im Wesentlichen den 30. Rahmenplan fort. Für mich als Abgeordneten aus den neuen Bundesländern ist jedoch festzustellen, dass erneut die Mittelausstattung für die Gemeinschaftsaufgabe Ost gekürzt wurde. Waren es im Jahre 1998 für die neuen Bundesländer und Berlin noch 1 494,5 Millionen Euro sind für das Jahr 2002 nur noch 868,5 Millionen Euro vorgesehen. Die Arbeitslosenquote in den neuen Bundesländern besteht derzeit bei circa 18 Prozent, obwohl die Abwanderung im vergangenen Jahr so hoch war wie kurz nach der Wende. Allein dieses Beispiel zeigt die dramatische wirtschaftliche und soziale Situation in den neuen Bundesländern. Eine Reduzierung der Barmittel für die Gemeinschaftsaufgabe Ost können wir daher nicht akzeptieren. Das ist besonders kritisch zu sehen, weil unter anderem das Auslaufen der jetzigen Förderperiode im Jahre 2006 und die bevorstehende EU-Osterweiterung einen neuen Anpassungsdruck mit sich bringen. Hiervon werden die Fördergebiete der Gemeinschaftsaufgabe, also die struk- turschwachen Regionen und insbesondere die Grenzre- gionen zu den Beitrittsländern betroffen sein. Es ist nicht daran zu zweifeln, dass die EU-Osterwei- terung politisch notwendig ist und im wirtschaftlichen In- teresse Deutschlands liegt. Jedoch sind die Risiken nicht zu unterschätzen. Standortverlagerungen und Kundenbe- wegungen in die Beitrittsländer sind nur ein kleiner Aus- schnitt anstehender Probleme. Erhebliche Wettbewerbs- verzerrungen sind zu erwarten, wenn die Bundesregierung die Strukturnachteile nicht ausgleicht und Hilfe zur An- gleichung an die neuen Bedingungen anbietet. Die Bundesregierung ist aufgefordert, die Förderbe- dingungen entsprechend den Regionalproblemen noch mehr zu harmonisieren und transparenter zu gestalten. Gleichzeitig sind die Instrumente der Investitionsförde- rung gezielter aneinander anzupassen, um damit die Effi- zienz zu erhöhen. Die Strukturpolitik ist als Thema wesentlich intensiver und entschiedener bei den Beitrittsverhandlungen in Brüssel einzubeziehen; die einzelnen Politiken sind bes- ser aufeinander abzustimmen. Die Bundesregierung muss darauf hinwirken, die Kompetenz für die Regionalförde- rung bei den Mitgliedsländern zu belassen und zu stärken. Die Tendenz der Ausweitung der Beihilfekontrolle der EU- Kommission ist auf eine Missbrauchskontrolle zurückzu- führen und der Handlungsspielraum der Mitgliedstaaten zu bewahren und auszubauen. Die Bundesregierung ist aufgefordert, die Gemein- schaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschafts- struktur“ weiterzuentwickeln und engagierter die Interes- sen des Bundes, der Länder und der Wirtschaft in Brüssel zu vertreten. Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Der Erhalt ländlicher Regionen als attraktive Lebensräume ist unser besonderes Anliegen. Daher setzen wir uns mit un- serem Antrag für den Erhalt der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ ein. Unterstützt werden wir dabei von den Wirtschaftsminis- tern, die in ihrem Beschluss vom Mai diesen Jahres die Notwendigkeit der Gemeinschaftsaufgabe zur Stärkung ländlicher Regionen bestätigt haben. Die Gemeinschaftsaufgabe hat sich als wirksames In- strument zur gezielten Förderung ländlicher Regionen er- wiesen. Besonders für die neuen Bundesländer ist sie un- verzichtbar. Jeder einzelne Betrieb in Ostdeutschland ist in den letzten zwölf Jahren massiv über die GA gefördert worden. Im vorläufigen Bericht der Bundesregierung über die Gemeinschaftsaufgabe ist nachzulesen, dass die einge- setzten Mittel zur Neuschaffung von circa 34 000 und zur Absicherung von weiteren 80 000 Arbeitsplätzen beigetra- gen hat. Die meisten davon sind in Ostdeutschland. Ohne die Gemeinschaftsaufgabe besteht die Gefahr, dass es zu einer zunehmenden Auseinanderentwicklung der Regionen und zu einem Subventionswettlauf der Län- der um Ansiedlungen kommt. Denn die Beteiligung des Bundes an der Gemeinschaftsaufgabe sichert die Gleich- behandlung und verhindert Abhängigkeiten der struktur- schwachen Regionen. Sie garantiert, dass die Förderung regelgeleitet, das heißt anhand bestimmter Förderkriterien und -richtlinien geschieht anstatt willkürlich und unter- schiedlich je nach Region und politischer Zuständigkeit. Sie schützt vor Förderung nach dem Einzelfallprinzip in Form von Ad-hoc-Interventionismus, von der nur verein- zelte Regionen profitieren. Zusätzlich stellt die Gemein- schaftsaufgabe die Koordination zwischen der Förderpoli- tik von EU und Deutschland sicher. Der Bund muss daher seinen Einfluss behalten und seine koordinierende Funk- tion wahrnehmen. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 245. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Juni 200224828 (C) (D) (A) (B) Die EU-Osterweiterung wird die Regionen vor neue Herausforderungen stellen. Sie wird erhebliche Chancen für die regionale Entwicklung bieten. Sie wird jedoch auch zu Verschärfungen im Wettbewerb führen. Hier müs- sen wir den Ländern die Möglichkeit schaffen, aktiv Hilfe zur Anpassung an die neuen Bedingungen anzubieten. Entscheidend für die Wirksamkeit der Gemeinschafts- aufgaben ist, dass sie an die sich verändernden Rahmen- bedingungen, zum Beispiel durch die EU-Erweiterung, angepasst werden. Für die Gemeinschaftsaufgabe zur Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes ist die Diskussion um die Reformierung bereits in vollem Gange. Im Zuge des Mid-Term-Reviews der Agenda 2000 soll bereits im nächsten Jahr eine Umorientierung der EU- Agrarfördermittel stattfinden; weg vom reinen Produkti- onsbezug und hin zur Förderung von nachhaltigen Pro- duktionsweisen und von Arbeitsplätzen. Mit den Geldern aus der Verordnung Ländlicher Raum sollten in Zukunft beispielsweise auch kleine Handwerksbetriebe unterstützt werden können oder der Aufbau neuer Erwerbszweige in ländlichen Regionen wie die Nutzung erneuerbarer Ener- gien oder Anbau und Verarbeitung von nachwachsenden Rohstoffen. Die Bundesregierung hat gemeinsam mit den Ländern die Gemeinschaftsaufgabe zur Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes bereits im Hinblick auf die EU-Entwicklung reformiert. Auch in dieser Ge- meinschaftsaufgabe muss der Tendenz der Länder, die notwendigen Kofinanzierungsmittel nicht zur Verfügung zu stellen, entgegengewirkt werden. Im Haushalt werden daher die GA-Mittel gekürzt – eine gefährliche Entwick- lung. Die vordringlichsten Ziele einer Reform der Gemein- schaftsaufgabe zur Verbesserung der regionalen Wirt- schaftsstruktur sind Verbesserungen in der Transparenz der Mittelverwendung, eine stärkere Regionalverantwor- tung durch verbindliche regionale Entwicklungskonzepte und eine bessere europäische Abstimmung der Förderkri- terien. Die Regionalförderung sollte konsequenter als bis- her darauf ausgerichtet sein, lang- und mittelfristig Stand- ortnachteile von Förderregionen zu beseitigen bzw. auszugleichen, und sie sollte fest in Entwicklungskon- zepte der Region integriert sein. So kann sie als effektive und modernes Instrument die langfristige Entwicklung und Stärkung strukturschwacher Regionen fördern. Gudrun Kopp (FDP): Zur Sachlage: Ende 2003 läuft die Genehmigung der Förderregeln und des Fördergebie- tes der Gemeinschaftsaufgabe aus. Dies bedeutet, dass zum Januar 2004 ein neues Fördergebiet in Brüssel noti- fiziert und genehmigt werden muss. Zentrale Frage in der Zukunft der Regionalförderung wird sein, wie die EU-Förderung aussehen wird, vor al- lem nach dem Beitritt mittel- und osteuropäischer Staaten. Klar ist: Diese Staatenerweiterung wird deutliche Rück- wirkungen auch und gerade auf Deutschland – und hier besonders auf die neuen Länder – haben. Klar ist für die FDP aber auch, dass Deutschland weiter in der Förderung bleiben muss. Wir Liberalen verknüpfen diese Forderung mit sehr konkreten Vorstellungen über eine Verbesserung des bisherigen Fördersystems. Die FDP fordert erstens eine strikte, EU-weite Bei- hilfekontrolle; zweitens den Abbau der verworrenen Mischfinanzierung zwischen EU sowie Bund und Län- dern; drittens eine Stärkung der Entscheidungs- und Fi- nanzautonomie der Länder. Diese Maßnahmen werden entscheidend zum Abbau von Bürokratie, zur Reduzierung der Verwaltungskosten führen und sich zugunsten von mehr Fördertransparenz und Eigenverantwortung im jeweiligen Mitgliedsland auswirken. Vor Ort, in den Ländern, ist das Wissen über eine fehlende ausgewogene Wirtschaftsstruktur und die nötigen Problemlösungen besser bekannt als fernab in den Europäischen Kommissionen in Brüssel. Das bewährte Subsidiaritätsprinzip braucht freie Entfaltungsmöglich- keiten. Rolf Kutzmutz (PDS): SPD und Bündnisgrüne waren offensichtlich sehr erstaunt, dass die PDS mit ihrem Vor- schlag zur Reformierung der Gemeinschaftsaufgaben in die Offensive gegangen ist. Drei Wochen nach der De- batte des PDS-Vorschlages legten sie ein paar windelwei- che, weit ausdeutbare Vorschläge vor. Die beheben aber nicht den Mangel an qualifizierten, realistischen und auf Dauerhaftigkeit angelegten politischen Projekten zu einer Angleichung der Lebenverhältnisse in Ostdeutschland und den strukturschwachen Regionen Westdeutschlands. Obwohl die Regierungsparteien feststellen, dass gerade strukturschwachen Regionen bei der EU-Osterweiterung hoher Konkurrenzdruck droht, schieben sie die Verant- wortung auf die EU und die Regionen selbst ab. Der Bund müsse nur dafür sorgen, dass die EU alle notwendigen Schritte unternimmt. Der schwarze Peter wird den Regio- nen zugeschoben, die mehr Eigenanstrengungen beim Strukturwandel unternehmen und selbigen mehr selbst tragen sollen. Selbst wenn wir beiden Parteien eine gute Absicht zubilligen: Sie verraten sie uns nicht, in welcher Form, mit welcher höheren Wirksamkeit mit welcher Mit- telausstattung nach ihrer Vorstellung die Gemeinschafts- aufgaben erhalten bleiben sollen. Auch nach unserem Vorschlag sind bessere Abstim- mungen und integrierte Lösungsansätze von Regionen, Bund und Ländern und einer engen Verzahnung von Poli- tikbereichen nötig und machbar; aber nicht, wenn dies nur zusätzlich zum politischen Alltagsgeschäft erfolgen soll. SPD und Grüne erweisen sich mit ihrer Vorstellung zur Rolle von Bund und Ländern als Informationsgarant, Ini- tiator, Moderator und Mediator, dann auch eher als Ter- minator der Anstrengungen der Regionen zu einer kom- plexen und integralen Entwicklung. Bekanntermaßen sind die Informationsbereitstellung ohnehin normale Auf- gaben von Bund und Ländern, Mediationsergebnisse un- verbindlich und Moderatorenrollen zeitlich stark einge- schränkt. Das hier wesentlich mehr Gelder langfristig verlässlich fließen müssen und die Initiative sowie die speziellen Bedürfnisse der Regionen im Vordergrund ei- ner ökologisch-sozialen Entwicklung stehen müssen, bleibt ausgeblendet. Es war gerade unser Ansatz, die überfällige Struktur- fondsreform in Europa und die Reform der Gemein- schaftsaufgaben zu nutzen, um endlich Voraussetzungen Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 245. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Juni 2002 24829 (C) (D) (A) (B) für die Herausbildung von Verkehrs-, Energie-, Abfall-, Wärmestrukturen in der Fläche herzustellen, eine räumli- che Entwicklung von Natur, Stadt und ländlichem Raum im sozial und ökologisch verträglichen Zusammenhang ermöglichen und darin gesundheits- und bildungspoliti- sche Entwicklungen einzubetten. Doch offensichtlich überfordert ein solch komplexer Politikansatz die Koali- tion. Dies ist besonders erstaunlich, da die Bündnisgrünen solche übergreifende Entwicklung ja auch bis 1998 ge- fordert hatten. Und obwohl selbst der stellvertretende SPD-Vorsitzende Michael Müller ein Weiterdenken von der Ökosteuer zu einer Primärenergiesteuer für den öko- logischen Umbau keinesfalls ausschließt. Wir meinen nach wie vor, dass ein sozial-ökologischer Umbau bei ent- sprechenden politischen Willen möglich ist, und das mit einer Verteilungspolitik zulasten großer Gewinne, Ein- kommen und Vermögen ohne höhere Angaben- und Steu- erbelastung für die breite Masse der Bürgerinnen und Bür- ger. Eine nachhaltige Entwicklung in derzeit struktur- schwachen Regionen und eine Angleichung der Lebens- verhältnisse von Ostdeutschland erfordert entsprechende finanzielle, strukturelle und infrastrukturelle Maßnah- men. Die sind auch langfristig nur in einer abgestimmten gemeinsamen, rechtlich verbindlichen Politik von Bund und Ländern zu schultern. Trotz seiner Unverbindlichkeit lehnen wir diesen Antrag der Koalition nicht ab. Schließ- lich rafft sie sich – anders als die CDU/CSU – wenigstens zu einem Bekenntnis zum Erhalt des GA-Mechanismus auf und stellt sich damit gegen einen gemeisamen Be- schluss der Ministerpräsidenten und des Bundeskanzlers. Die PDS wird Rot-Grün an den heutigen Beschluss erin- nern, falls sie auch nach dem 22. September weiter in Re- gierungsverantwortung bleiben sollte. Zum Schluss noch ein paar Worte zum Antrag der CDU/CSU: Ich finde es schon bemerkenswert, dass sie die Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstrukturen aus- drücklich in Länderverantwortung legen will. Angesichts der Finanzmisere der neuen Länder erweist sich damit nicht nur ihr Wahlkampfgetöse zum Aufbau Ost als leeres Geschwätz. Vierlmehr entpuppen sich auch ihre vernünf- tigen Forderungen zur Grenzland- und zur übrigen Regio- nalförderung als reines Bayern-Programm. So weiß man zwar, wo die Reise hinginge, falls Ministerpräsident Stoiber nach Berlin ziehen darf. Das wir eine solche Rich- tung nicht unterstützen, das dürfte aber ebenso klar sein. Ditmar Staffelt Dr. Parl. Staatssekretär beim Bundes- minister für Wirtschaft und Technologie: Die Gemein- schaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschafts- struktur“, abgekürzt die GA, hat sich zu einem modernen, leistungsfähigen Instrument der regionalen Wirtschafts- förderung entwickelt. Der Bund stellt für die GA in diesem Jahr rund 1 Milli- arde Euro für die neuen Bundesländer und die struktur- schwachen Regionen in Westdeutschland zur Verfügung, das heißt für Errichtungs- und Erweiterungsinvestitionen, um neue Arbeitsplätze zu schaffen, für Modernisierungs- investitionen, die bestehende Betriebe wettbewerbsfähiger machen und die Arbeitsplätze langfristig sichern, für lohn- kostenbezogene Zuschüsse, damit innovative, personalin- tensive Unternehmen und Dienstleister gezielter gefördert werden, für wirtschaftsnahe Infrastrukturprojekte, um die regionalen Standortbedingungen zu verbessern, für nicht investive Unternehmensaktivitäten von kleinen und mitt- leren Unternehmen sowie für integrierte regionale Ent- wicklungskonzepte und Regionalmanagementvorhaben, um die regionalen Aktivitäten vor Ort zu stärken. Der Erfolg der GA-Förderung lässt sich in Zahlen be- legen: Von 1999 bis 2001 wurden rund 8,7 Milliarden Euro GA-Mittel von Bund und Ländern bewilligt: Damit wurde ein Investitionsvolumen von rund 36 Milliarden Euro aus- gelöst. Durch die gewerbliche Investitionsförderung in den letzten drei Jahren wurden direkt rund 139 000 neue Arbeitsplätze geschaffen und rund 382 000 Arbeitsplätze gesichert. Die GA-Förderung wird im nächsten Jahr wir- kungsvoll fortgesetzt: Der Bewilligungsrahmen 2003 für neue GA-Projekte in den neuen Bundesländern und in den westdeutschen Fördergebieten beträgt voraussichtlich rund 2,3 Milliarden Euro, einschließlich Kofinanzierung der Länder und eingesetzter EU-Strukturfondsmittel. Die Bundesregierung begrüßt den Antrag der Koali- tionsfraktionen. Erstens ist es wichtig, dass die Diskussion über die Zu- kunft der Regionalförderung auch im Deutschen Bundes- tag und in den Ausschüssen geführt wird. Zweitens ist es richtig, das Thema zum jetzigen Zeitpunkt aufzugreifen. In Kürze steht eine Reihe von Terminen und politischen Entscheidungen an, die sich unmittelbar auf das GA-För- dersystem, das zentrale Instrument von Bund und Län- dern zur regionalen Wirtschaftsförderung, auswirkten: Bis Herbst diesen Jahres soll eine erste Bestandsauf- nahme über die Gemeinschaftsaufgaben und weitere Mischfinanzierungen vorgelegt werden, die die Grund- lage für die Verhandlungen zwischen Bund und Ländern im Zusammenhang mit der Neuordnung des Bund-Län- der-Finanzausgleichs bilden. Die beihilferechtliche Ge- nehmigung für die Investitionsförderung in Deutschland läuft Ende 2003 aus. Die Beschlüsse zum Solidarpakt 11 ab 2005 müssen instrumentell umgesetzt werden. Wich- tige Entscheidungen über die EU-Osterweiterung sollen noch in diesem Jahr getroffen werden. Modelle für die Ausgestaltung der Strukturfondsförderung nach 2006 werden bereits erörtert. Vor diesem Hintergrund hat der Planungsausschuss der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“, das heißt die Wirtschaftsminister von Bund und Ländern sowie der Bundesfinanzminister, in seiner Sitzung am 2. Mai 2002 in Hamburg eine Grund- satzdiskussion zur zukünftigen Ausgestaltung der Regio- nalförderung in Deutschland geführt. Der vom Planungsausschuss in breitem Konsens zu zen- tralen Grundsatzfragen gefasste Beschluss liegt Ihnen vor. Erlauben Sie mir dennoch, einige Punkte herauszugrei- fen, die sich auf den vorliegenden Antrag beziehen: Der Planungsausschuss spricht sich dafür aus, diese Gemein- schaftsaufgabe beizubehalten. Eine Abschaffung wäre mit der Gefahr verbunden, dass sich die Regionalförderung zu einer diskretionären und einzelfallbezogenen Politik zurückentwickeln würde. Die GA ermöglicht einen regio- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 245. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Juni 200224830 (C) (D) (A) (B) nalpolitischen Konsens zwischen Bund und Ländern, der insbesondere Voraussetzung für das hohe Förderniveau in Ostdeutschland ist. Den Ländern bietet die GA weitge- hende Eigenständigkeit und Flexibilität bei der Durch- führung der Förderung.Es ist kein alternatives Instrument bekannt, das die notwendige Koordinierung, zum Beispiel gegenüber der EU-Kommission, mit einem geringeren Aufwand leisten kann. Soweit Anpassungen als notwendig erscheinen, sollte zunächst geprüft werden, ob diese in- nerhalb des bestehenden Systems vorgenommen werden können. Der Planungsausschuss spricht sich dafür aus, die Effizienz und Transparenz der Investitionsförderung zu er- höhen. Die einzelnen Instrumente, zum Beispiel Zu- schüsse, zinsverbilligte Kredite und Bürgschaften, sollten besser aufeinander abgestimmt werden. Eine echte Har- monisierung der Förderbedingungen sieht der Planungs- ausschuss als Voraussetzung dafür an, dass die verschie- denen Instrumente nach 2003 von den Investoren gleichzeitig in Anspruch genommen werden können. Bund und Länder haben auf Arbeitsebene am 13. und 14. Juni 2002 die ersten Schritte zur Umsetzung des Be- schlusses in die Wege geleitet. Im Übrigen hat der Vorsitzende des Planungsausschus- ses den Beschluss der Ministerpräsidentenkonferenz zu- geleitet, die die Debatte über die Mischfinanzierungen zwischen Bund und Ländern angestoßen hat. Der Antrag zielt daneben auf ein stärkeres Engagement von Bund und Ländern als Moderator, Initiator oder Me- diator in den Regionen. Dass hierfür ein Bedarf besteht, zeigt sich insbesondere an der guten Resonanz des GA- Modellprojekts Regionalmanagement. Nach Einführung des neuen Fördertatbestands im Sommer 2000 werden derzeit über 30 Regionen mit GA- Mitteln unterstützt, um ihr regionales Entwicklungspo- tenzial zu mobilisieren und die regionalen Entwicklungs- aktivitäten zielgerichtet zu organisieren. Die fortschreitende Globalisierung und die EU-Ost- erweiterung, um nur zwei Beispiele zu nennen, werden auch in Zukunft strukturelle Veränderungen in den Re- gionen auslösen. Zur Fortsetzung des wirtschaftlichen Aufbaus in den neuen Ländern, zur Flankierung des Strukturwandels und zur Bewältigung der anstehenden Herausforderungen in den strukturschwachen Gebieten brauchen wir in Deutschland weiterhin eine zielgerichtete und effiziente regionale Wirtschaftsförderung. Die Bundesregierung wird den Antrag bei ihren Überlegungen berücksichtigen. Anlage 16 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Großen Anfrage: Verteilung und Verteilungswirkungen der Steuern und Ab- gaben (Tagesordnungspunkt 19) Dr. Frank Schmidt (Weilburg) (SPD): Ja, es steht fest und namhafte Wirtschaftsinstitute bestätigen es: Die Steuer- reform wirkt! Eigentlich müsste man der PDS dankbar sein, diese Große Anfrage gestellt zu haben. Denn die Antwort verdeutlicht anschaulich und unmissverständ- lich: Die rot-grüne Regierung hat den Begriff der sozialen Gerechtigkeit wieder zu einer festen Bank in der Steurpo- litik gemacht. Steursenkungen von jährlich insgesamt 56,1 Milliarden Euro gegenüber 1998 kommen Beziehern kleinern und mittleren Einkommen, Familien und kleinen und mittleren Unternehmen zugute. Dies ist die größte Steuersenkung in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, und das – was die Union schier zur Ver- zweiflung bringt, weil sie dazu nie fähig war – sogar noch solide finanziert. Wir senken die Steuern und die Netto- neuverschuldung. Arbeitnehmer haben mehr Geld in der Tasche. Mit unse- rer Steuereform haben wir den Grundfreibetrag von rund 6 300 Euro im Jahr 1998 auf rund 7 700 Euro ab dem Jahr 2005 erhöht. Den Eingangssteuersatz haben wir von rund 26 Prozent auf 15 Prozent und den Spitzensteuersatz von 53 Prozent auf 42 Prozent im Jahr 2005 gesenkt. Eine vier- köpfige Familie mit einem Bruttoverdienst von 40 000 Euro zahlt im Jahr 2002 2 189 Euro bzw. 4 281 DM weniger Lohnsteur als 1998. Das ist sozial gerecht und erhöht spür- bar die Nettolöhne. Das Ergebnis: Die Nettolöhne und -gehälter sind in un- serer Regierungszeit um 8,4 Prozent gestiegen, während sie in der vorigen Legislaturperiode – der Regierungszeit von CDU/CSU und FDP – sogar um 0,48 Prozent gesun- ken sind. Sie haben den Arbeitnehmern das Geld aus der Tasche gezogen, um Besserverdienende belohnen zu kön- nen. Das ist das Markenzeichen der Union bis heute. Der Anteil der Steuern am Arbeitsnehmerentgelt ist – dies zeigt die Antwort der Bundesregierung – mit 11,3 Prozent auf der niedrigsten Stand seit derWiederver- einigung gefallen. Die Steuerlast der Arbeitnehmer sinkt, weil wir eine gute Steuerreform gemacht haben. Wir ge- ben den Arbeitnehmern das Geld zurück, das die Vorgän- gerregierung ihnen genommen hat. Das ist das Marken- zeichen unserer Politik. Zur Familienförderung. Wir haben das Kindergeld dreimal um insgeamt über 80 Milliarden DM pro Monat auf heute 154 Euro angehoben. Wir haben damit die steuerliche Familienförderung auf 35,5 Milliarden Euro aufgestockt – ein deutliches Plus von 38,7 Prozent im Ver- gleich zu 1998. Allein dadurch hat eine Familie mit zwei Kindern 1 000 Euro pro Jahr mehr zur Verfügung. Jedes Kind ist uns gleich viel wert. Deshalb bleibt es unser Ziel, durch weitere Erhöhung des Kindergelds den Kinderfrei- betrag überflüssig zu machen. Nachgewiesene Betreuungskosten aufgrund von Er- werbstätigkeit können erstmals bei allen Famlilien steuer- lich berücksichtigt werden. In der nächsten Legislaturpe- riode werden wir den Familienleistungsausgleich weiter ausbauen und uns um besssere Beteuungsmöglichkeiten kümmern. 4 Milliarden Euro für mehr Betreuung sorgen für mehr Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Dies wol- len unsere Familien. Das so genannte Familiengeld der Union wird von allen Verbänden als reine Prämie fürs Zu- hausebleiben abgelehnt. Ihr Familienbild ist antiquiert und geht völlig an der Realität vorbei. Wir haben insbesondere den so genannten Durch- schnittsfamilien die Steuerlast genommen. 1998 zahlte eine Familie – 60 000 DM Jahresbrutto, verheiratet, Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 245. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Juni 2002 24831 (C) (D) (A) (B) 2 Kinder – noch 6 290 DM Steuern und erhielt 5 280 DM Kindergeld. In diesem Jahr zahlt die gleiche Familie nur noch 4 542 DM Steurn und erhält 7 229 DM Kindergeld. Zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepbulik er- hält eine Durchschnittsfamilie mehr Kindergeld, als sie Steuern zahlt. Wir haben ihr die Steuerlast genommen. Wir fördern die Familien nachweisbar und solide finan- ziert. Union und FDP verbreiten nichts als Worthülsen – Versprechungen, die nicht finanzierbar sind. Aber was will man von bestens bekannten Schuldentreibern anderes erwarten? Der Mittelstand wird gestärkt, Kommunalfinanzen werden geschont. Handwerk und Mittelstand profitieren von der allgemeinen Senkung des Einkommensteuertarifs genauso wie Arbeitnehmer. Die Zusatzbelastung durch die Gewerbesteur haben wir für Personenunternehmen faktisch abgeschafft, ohne dass die Kommunen dadurch etwas verlieren. Denn die den Gemeinden zustehende Ge- werbesteuer können die Personenunternehmer pauschal mit ihrer Einkommensteuerschuld verrechnen. Mittel- ständische GmbHs sind durch die Senkung des Körper- schaftsteuersatzes auf 25 Prozent ebenfalls deutlich ent- lastet worden. Eine Benachteiligung des zum größten Teil als Perso- nenunternehmen organisierten Mittelstands im Vergleich zu Kapitalgesellschaften gibt es nicht. Sie wird von der Opposition künstilich hochstilisiert – ein Phantom, das in der Praxis nicht existiert. Ein verheirateter Personenun- ternehmer mit einem Gewinn von 50 000 Euro – immer- hin 78 Prozent aller Personenunternehmen haben einen Gewinn bis zu 50 000 Euro – zahlt in diesem Jahr nur noch 10 313 Euro Steuern im Vergleich zu 12 465 Euro im Jahr 1998. Das sind über 17 Prozent weniger Steuern als zu ihrer Regierungszeit. Hätte dieser Unternehmer eine GmbH mit dem glei- chen Gewinn und würde diesen gänzlich im Betrieb be- lassen, müsste er in diesem Jahr 19 323 Euro Steuern zah- len, also mehr als ein Personenunternehmer, aber immerhin über 31 Prozent weniger als 1998. Denn sie ha- ben in Ihrer Regierungszeit Investitionen in den Betrieb verhindert, da hierauf unverhältnismäßig hohe Steuern zu entrichten waren. Wir mussten also auch hier erst einmal Steuergerichtigkeit herstellen. Personengesellschaften und Einzelunternehmer wer- den durch die Maßnahmen bei der Einkommensteuer und den faktischen Wegfall der Gewerbesteuer entlastet. Ka- pitalgesellschaften werden durch die Senkung der Kör- perschaftsteuer auf einheitlich 25 Prozent entlastet. Damit ist der deutsche Körperschaftsteuersatz endlich auf einem international konkurrenzfähigen Niveau. Gleichzeitig wurden große Unternehmen durch eine neue Bewertung ihrer Rückstellungen steurlich erheblich belastet – Kern- kraftwerksbetreiber circa 13,7 Milliarden DM, Versiche- rungswirtschaft 8,75 Milliarden DM – sodass ein Großteil ihrer Entlastungen bereits vorfinanziert wurde. Der aktuelle Rückgang der Körperschaftsteuereinnah- men um rund 45 Milliarden DM im Jahr 2001 beruht – wie prognostiziert – zu einem Drittel auf der Senkung des Kör- perschaftsteurtarifs zu einem weiteren Drittel auf kon- junkturellen Entwicklungen und besonderen Effekten – wie zum Beispiel der steuerlichen Anerkennung der UMST-Aufwendungen und der Zwangsarbeitentschädi- gung – sowie zu einem letzten Drittel auf einem nicht in diesem Maße erwarteten Ausschüttungsverhalten der Un- ternehmen. Diese Ausschütttungen an die Anteilseigener der Kapitalgesellschaften haben auf der anderen Seite aber einen Anstieg der Kapitalertragsteuer in etwa glei- cher Höhe bewirkt. Wer dies nicht glaubt, möge sich doch einfach einmal die jüngst veröffentlichten Zahlen des Steuerabschlusses 2001 anschauen: Mehreinnahmen bei der Kapitalertrags- steuer von über 14 Milliarden DM und weitere Mehrein- nahmen bei der veranlagten Einkommensteuer. Die wei- ter ansteigenden Einnahmen bei der Körperschaftssteuer in diesem Jahr – circa 28 Milliarden DM – zeigen, dass es sich 2001 um Einmaleffekte gehandelt hat. Die falschen Parolen der Union entlarven lediglich, dass der Grund für den Steuerausfall 2001 in ihrem investitionsfeindlichen Körperschaftsteuersystem gelegen hat. An dieser Stelle ein Wort zu den Gemeindefinanzen. Der Rückgang der Gewerbesteuereinnahmen in vielen Städten und Gemeinden hat mit der Unternehmensteuer- reform nichts zu tun. Dies zeigen schon die großen Un- terschiede in der Aufkommensenwicklung von Kommune zu Kommune. Mit dem Gesetz zur Fortentwicklung der Unternehmensbesteuerung haben wir im Gegenteil die Einnahmebasis der Kommunen kurzfristig um circa 700 Millionen Euro gestärkt. Hätten wir dies nicht getan, wäre der Rückgang noch stärker gewesen. Allerdings ist die von unseren Vorgängern immer weiter ausgehöhlte wichtigste eigene Einahmequelle der Gemein- den, die Gewerbesteuer, inzwischen extrem konjunkturab- hängig. Das bestätigen sowohl die Aufkommenzuwächse der Jahre 1997 bis 2000 wie auch der scharfe Rückgang im vergangenen Jahr. Deshalb wollen wir – erstmals seit über 30 Jahren – eine umfassende Reform der Gemeindfinanzen beschließen, die vor allem auch für stetigere Einnahmen sorgt. Eine Kommission unter Mitwirkung der kommuna- len Spitzenverbände hat ihre Arbeit aufgenommen und wird uns Vorschläge vorlegen. Soziale Gerechtigkeit bedeutet Verteilungsgerechtig- keit. Ein Markenzeichen der früheren CDU/CSU-FDP- Regierung war die massive Entlastung der Spitzenverdie- ner zulasten von Arbeitnehmern und Familien. Das Verfassungsgerichtsurteil zu einer gerechteren Familien- besteuerung ist ein deutlicher Beweis hierfür – eine Ohr- feige für 16 Jahre Familienpolitik von CDU/CSU und FDP. Steuersparmodelle und Abschreibermodelle für Besserverdienende gabe es an jeder Ecke. Leer stehende Wohnungen, Überkapazitäten im Osten waren die Folge. Allein im Jahr 1995 liefen 51,3 Milliarden DM an Verlus- ten aus Vermietung und Verpachtung auf. 1993 bis 1998 führte dies zu Steuerverlusten von 43,7 Milliarden DM. Dies beweist, dass dieses Strohfeuer vollkommen unge- steuert nur auf Vermögensbildung im Westen ausgerichet war und keine tragfähige Struktur im Osten aufgebaut hat. In meinem Wahlkreis Hochtaunus wohnen statistisch gesehen die meisten Einkommensmillionäre. Diese konn- ten bis 1998 Steurschulpflöcher ausnutzen und ihre Ein- kommensteuerschuld auf null reduzieren. In den Medien Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 245. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Juni 200224832 (C) (D) (A) (B) häuften sich die Berichte, dass Reinemachefrauen bei Zahnärzten in Bad Homburg mehr Steurn zahlten als ihr Arbeitgeber. Dies war eine schreiende soziale Ungerech- tigkeit. Unsere Steuerreform hat mit dieser Ungerechtigkeit aufgeräumt. Die Streichung von über 70 Abschreibungs- tatbeständen und die Einführung einer Mindeststeuer sorgt dafür, dass Besserverdienende ihren Beitrag zum Steueraufkommen leisten müssen. Diese Regelungen zei- gen bereits Wirkungen: 1997 musste mein Finanzamt in Bad Homburg noch 6 Millionen DM mehr an veranlagter Einkommensteur auszahlen, als es eingenommen hat. 2001 ist die Bilanz wieder in Ordnung: Das Finanzamt hat 250 Millionen DM mehr eingenommen als ausgegeben. Die Einkommensmillionäre in meinem Wahlkreis zahlen wieder Steuern – und das ist gut so! Insgesamt haben wir durch unsere sozial gerechte Steuereform dafür gesorgt, dass Einkommensmillionäre wieder mehr zum Steueraufkommen beitragen. In diesem Jahr tragen Einkommensmillionäre mit ihren Steuern be- reits mit 11,3 Prozent zum Steueraufkommen bei. Fazit: Die soziale Schieflage in der Steuerpolitik durch 16 Jahre CDU/CSU-FDP-Regierung ist in vielen Berei- chen bereits abgebaut worden. Wir sind auf dem richtigen Weg. Sozial gerecht werden Familien, Arbeitnehmer und der Mittelstand entlastet – und dies ist alles sogar noch so- lide finanziert, bei gleichzeitiger Senkung der Nettoneu- verschuldung. Besserverdienende tragen wieder zum Steueraufkommen bei und können sich nicht arm rechnen. Soziale Gerichtigkeit ist und bleibt das Markenzeichen dieser Bundesregierung. Wolfgang Steiger (CDU/CSU):Man kann es eigent- lich immer nur wiederholen: Wenn es um das Thema Steu- ern und Abgaben, um die Finanzpolitik der rot-grünen Bundesregierung geht, muss jeder Beobachter und vor al- lem jeder Betroffene zu dem Schluss kommen, dass diese Politik schon von Anfang an zum Scheitern verurteilt war. Kürzlich konnten wir lesen, dass viel weniger Deut- sche in diesem Sommer planen, in Urlaub zu fahren. Der Grund: Es bleibt immer weniger Geld in der Tasche; vor allem herrscht eine quälende Ungewissheit, was Rot- Grün in der nächsten Zeit noch so anstellt. Die Menschen spüren, dieser Bundesregierung fehlt eine generelle Vor- stellung von ordnungspolitischem Denken und vor allen Dingen das Bewusstsein, dass eben Wirtschaftspolitik, Fi- nanzpolitik und Arbeitsmarktpolitik ineinander wirken. Ich muss auch den Vorwurf machen, dass nahezu alle Versprechen von Gerhard Schröder aus dem Wahlkampf 1998 gebrochen wurden. Wenn etwas gemacht worden ist, dann war es nur das Herumdoktern an einzelnen Sympto- men. In nunmehr vier Jahren haben wir keine Aktivitäten feststellen können, mit denen die Wurzel eines Übels bekämpft wurde. Vier Jahre Rot-Grün waren verlorene Jahre für Deutschland. Als Fazit müssen wir feststellen: Unser Land hat sich von den anderen Ländern der Europäischen Union abge- koppelt. Die Hauptgründe sind nicht der 11. September und die Hoffnung auf das Anspringen der Konjunktur in den USA, es sind hausgemachte Probleme. Für diese Aus- sagen haben wir einen Kronzeugen, auf den Sie viel mehr hören sollten, als dies gegenwärtig der Fall ist, nämlich Altbundeskanzler Helmut Schmidt. Wo Schmidt Recht hat, hat er Recht. So verzeichnen Länder wie Spanien oder Irland höhere Wachstumsraten als die Bundesrepublik Deutschland. Und wenn wir über das Vertrauen von Men- schen, von Unternehmen und von Märkten in unserer Fi- nanzpolitik reden, dann müssen wir feststellen, dass ge- rade der Umgang mit dem angedrohten blauen Brief aus Brüssel mehr als kontraproduktiv war. Sie wissen heute schon, dass Sie das Versprechen, einen ausgeglichenen Haushalt für 2004 vorzulegen, nicht halten können. Eine solche Aussage kann im Prinzip nur von jemandem ge- macht werden, der entweder fernab der Realitäten steht oder der fest damit rechnet, im Jahr 2004 nicht mehr im Amt zu sein. Das Bedrückende ist: Es werden keine positiven Ef- fekte für Wachstum und Beschäftigung erreicht. In einer Zeit, in der eben Mobilität und Flexibilität auf der Tages- ordnung ganz oben stehen, antwortet diese rot-grüne Bun- desregierung mit starren Korsetten, die verhindern, dass die Herausforderung der Zukunft bewältigt werden kann. Deshalb bin ich sehr dankbar für diese Debatte, bei der wir die Gelegenheit haben, auch über die miserable Steuer- und Abgabenpolitik der Bundesregierung zu re- den. Ihre Steuerreform ist geprägt durch die unglaubliche Unterscheidung in gute und schlechte Unternehmer. Der Mittelstand hat bei Ihrer Regierungspolitik nichts Gutes zu erwarten, im Gegenteil. Das Ergebnis Ihrer Steuer- und Abgabenpolitik, Ihrer Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik sind 40 000 Insol- venzen. Diese Zahlen sprechen eine deutliche Sprache. Und nach dem Höchststand in 2001 wird für 2002 ein wei- terer Anstieg prognostiziert. Das kommt nicht von unge- fähr. Eine solche Entwicklung fällt nicht vom Himmel, eine solche Entwicklung hat etwas damit zu tun, dass völ- lig falsche Rahmenbedingungen in Deutschland herr- schen, und das Schlimme dabei ist, dass diesen vielen, vielen, tausend Insolvenzen immer weniger Unterneh- mensneugründungen gegenüberstehen. Aber solche Ergebnisse sind nicht verwunderlich bei einem Finanzminister, der aufgrund seiner politischen Vorgaben sagt, dass ihm Kapitalgesellschaften wichtiger seien als die vielen mittelständischen Unternehmen in diesem Land. Besonders bedrückend ist, dass Ihnen die Politik zulasten des Mittelstandes und zugunsten der Großkonzerne noch nicht einmal gedankt wird. In diesen Tagen lesen wir immer wieder Meldungen, dass Groß- konzerne, die nahezu keine Körperschaftsteuer zahlen und denen die politischen Rahmenbedingungen zugute gekommen sind, massenhaft Personal entlassen. Fakt ist: Ihre Politik ist gescheitert, und das eigentlich Beachtliche daran ist, dass die Gewerkschaften aus tiefer Solidarität zu diesem Vorgang schweigen. Die Gewerkschaften verraten in diesen Tagen massiv die Interessen der Arbeitnehme- rinnen und Arbeitnehmer in Deutschland. Ich sage Ihnen, wenn wir es nicht schaffen, dass wir auch den Mittelstand in eine wettbewerbsfähige Situation Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 245. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Juni 2002 24833 (C) (D) (A) (B) versetzen, dann wird er seine große Aufgabe, die meisten Arbeitsplätze zu schaffen und dafür Sorge zu tragen, dass junge Menschen eine Ausbildung erhalten, nicht leisten können. Mittelstandspolitik muss wieder wirklich auf der Tagesordnung stehen und darf nicht nur in irgendwelchen Sonntagsreden vorkommen. Sie haben dem Mittelstand einiges aufgebürdet; 630- Mark-Gesetz, Betriebsverfassungsgesetz, Mitbestim- mungsgesetz, Gesetz zur Bekämpfung der Scheinselbst- ständigkeit. Auch die Entwicklung um Basel II hat Rot-Grün verschlafen. Hätte die Union nicht in einem An- trag auf die Thematik aufmerksam gemacht, Rot-Grün hätte die Bedeutung und die Tragweite gar nicht erkannt. Auch beim gegenwärtigen Zustand unserer Kommu- nen in Deutschland sind die Worte von „Versprochen, ge- brochen“. angebracht. Ihr Ziel war doch, das steht auch in der Koalitionsvereinbarung von 1998 – die Stärkung der Gemeindefinanzen. Fakt ist, dass wir massive Einbußen bei den kommunalen Einnahmen verzeichnen müssen. Ich will wieder einen Sozialdemokraten als Kronzeugen nehmen, nicht einmal einen aus den Reihen der Christ- lich-Demokratischen Union, nämlich Oberbürgermeister Schmalstieg aus Hannover. Er hat gesagt hat: In Anbe- tracht der Haushaltslage müssen wir uns über die Zukunft der kommunalen Selbstverwaltung ernsthafte Gedanken machen. Ich stelle fest: Die Steuer- und Abgabenpolitik dieser Bundesregierung ist die größte Bedrohung für die kom- munale Selbstverwaltung in der Bundesrepublik Deutsch- land. Dies werden Sie auch nicht dadurch kaschieren, dass Sie vor der Wahl in hektische Betriebsamkeit verfallen. Sie arbeiten offensichtlich nach dem Motto: Am Abend werden die Faulen fleißig. Ich sage Ihnen: Wir brauchen Konzepte, anstatt Aktio- nismus. Wir brauchen nach der Bundestagswahl zunächst einmal einen umfassenden, ehrlichen Kassensturz. Wir brauchen eine massive Senkung von Steuern und Abga- ben. Wir brauchen vor allen Dingen keine Neubelastun- gen, sondern eine intelligente Steuerpolitik, um auch den Eigenkapitalsektor unserer Unternehmen, der kleinen und mittelständischen Firmen, nicht zuletzt im Zuge der Dis- kussion um Basel II zu stärken. Gerade wenn wir die Ei- genkapitalausstattung verstärken, machen wir die mittel- ständischen Unternehmen weniger krisenanfällig, und wir werden dafür Sorge tragen, dass es zwischen Banken und Unternehmen durch die Diskussion um Basel II sogar po- sitive Effekte zu verzeichnen geben wird. Fakt ist: Vier Jahre Rot-Grün waren bedauerlicher- weise vier verlorene Jahre für Deutschland. Wir brauchen dringend eine andere Politik, ein anderes Angebot an die Bürger und an die Unternehmen in unserem Land. Die Hoffnung der Menschen in diesem Lande ist der 22. Sep- tember. Für diese Koalition ist der Wahltag der Tag der Abrechnung; er wird zum Zahltag. Und es wird Edmund Stoiber gelingen, mit seiner Mannschaft eine bessere Po- litik zu machen. Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):Die Steuerpolitik der rot-grünen Koalition hat soziale Gerech- tigkeit mit ökologischer Notwendigkeit verbunden. Die Steuerrefrommaßnahmen werden – insbesondere durch die dreistufige Einkommensteuerreform –, nach vollstän- diger Umsetzung im jahr 2005 die Steuerzahler jährlich um rund 56 Milliarden Euro gegenüber 1998 entlasten. Drei Viertel der Entlastung kommen den privaten Haus- halten, also vor allem Arbeitnehmern, Selbständigen und Familien zugute. Durch die Senkung des Eingangssteuersatzes von 25,9 Prozent im Jahr 1998 auf 15 Prozent im Jahr 2005 um rund elf Punkte und die Anhebung des Grundfreibetrages von rund 6 300 Euro um fast 1 400 Euro auf rund 7 700 Euro werden gerade kleine und mittlere Einkommen erheblich entlastet. Eine Familie mit 2 Kindern und einem Jahre- seinkommen in Höhe von 30 000 Euro wird im Jahr 2005 um 2 421 Euro jährlich gegen über dem Jahr 1998 entlas- tet. Die gleiche Familie muss im jahr 2002 bereits über 1 885 Euro weniger Steuern zahlen als 1998. Auch wenn die Mehrbelastung dieser Familie durch die Ökosteuer berücksichtigt wird, bleibt im Saldo eine erhebliche Ent- lastung bestehen. Das verfügbare Einkommen ist in den letzten 4 Jahren in jedem Jahr gestiegen. Fakt ist auch, dass die Ökosteuer ihre Wirksamkeit be- wiesen hat. Der Energieverbrauch ist heute eine wichtige Größe, wenn Familien einen neuen Kühlschrank oder eine neue Waschmaschine kaufen. Ebenso haben Unternehmen viel mehr in die Entwicklung und Produktion von regene- rativen Energien und Energiespartechnologien investiert und dabei Arbeitsplätze geschaffen. Das Dreiliterauto ist nur Symbol dieser realen Entwicklung. Verhaltensverän- derungen können auch Mehrbelastungen durch die Öko- steuer vermeiden helfen. Das Verhältnis des Steueraufkommens zwischen direk- ten und indirekten Steuern hat sich unter anderem durch die Einführung der Ökosteuer von 1998 bis 2005 um 1,5 Prozentpunkte zulasten der indirekten Steuern ver- schoben. Trotzdem bleiben die Steuereinnahmen aus di- rekten Steuern mit einem Anteil von 50,6 Prozent auch im Jahr 2005 immer noch höher als die Steuereinnahmen aus indirekten Steuern. Wir Bündnisgrüne begrüßen die Strategie, den Faktor Arbeit zu entlasten und den Faktor Umwelt zu belasten. Unsere ökologische Steuerreform ist eben etwas erheblich anderes als eine Belastung der Haushalte mit einer erhöh- ten Mehrwertsteuer à la CDU/CSU und FDP. Gerade diese wollen wir nicht. Wir haben das Kindergeld um rund 40 Prozent auf 154 Euro pro Kind erhöht. Die Vorgaben aus dem Famili- enurteil des Bundesverfassungsgerichtes von 1998 ließen aber eine reine Kindergeldlösung nicht zu. Zusätzlich zum bestehenden Kinderfreibetrag haben wir deshalb ei- nen neuen Freibetrag für den Betreuungs-, Ausbildungs- und Erziehungsbedarf eingeführt. Insgesamt haben wir die steuerlich für jedes Kind zu berücksichtigenden Frei- beträge auf jährlich 5 808 Euro gesteigert. Die Erhöhung hat aber auch eine Schattenseite. Heute ist die Zahl der Haushalte, die von der steuerlichen Entlas- tung durch die Freibeträge stärker profitieren als vom Kin- dergeld größer als 1998. Diese Entwicklung gefällt mir überhaupt nicht. Jedes Kind sollte dem Staat gleich viel wert sein, deshalb streben wir im Rahmen der mittelfristi- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 245. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Juni 200224834 (C) (D) (A) (B) gen Haushaltskonsolidierung weiterhin ein einheitliches Kindergeld an. Im Jahr 2005 bei einem Spitzensteuersatz von 42 Prozent wird bei 200 Euro Kindergeld pro Kind pro Monat eine gleiche und gleichzeitig verfassungsfeste Ent- lastung für alle Eltern erreicht. Damit wäre dann eine so- ziale Unerechtigkeit im Steuerrecht aufgehoben. Mit der Unternehmensteuerreform haben wir attraktive steuerliche Rahmenbedingungen für in- und ausländische Investoren geschaffen. Der Mittelstand ist nicht benach- teiligt; denn wir haben im Grundsatz eine steuerlich ver- gleichbare Belastung zwischen Kapitalgesellschaften und Personengesellschaften hergestellt. Kapitalgesellschaften werden mit einem Definitivsteuersatz bei der Körper- schaftsteuer von 25 Prozent und mit einer Gewerbesteuer belastet. In der Summe ergibt sich eine Gesamtbelastung von rund 39 Prozent. Für Personengesellschaften wird die Steuerbelastung in drei Stufen abgesenkt. Im Jahr 2005 gilt auch für sie der Eingangssteuersatz von 15 Prozent und der Spitzensteuersatz von 42 Prozent. Außerdem können die Personenunternehmen ihre Gewerbesteuer pauschal knapp hälftig auf die Einkommensteuerschuld anrechnen, sodass zusammen mit dem Abzug der Gewer- besteuer als Betriebsausgabe faktisch keine Belastung aus der Gewerbesteuer mehr bleibt. Im Ergebnis werden damit rund 95 Prozent der Perso- nengesellschaften niedriger besteuert als Kapitalgesell- schaften. Das ergibt sich ganz einfach daraus, dass diese 95 Prozent der Personengesellschaften einen Gewinn von unter 165 000 Euro für Verheiratete bzw. unter 82 000 Euro für Alleinstehend und damit eine geringere Durchschnitts- belastung als 39 Prozent haben. Der Vergleich zeigt eindeu- tig: Die angeblich ungerecht Behandlung von Personalun- ternehmen im Vergleich zu Kapitalunternehmen gibt es nicht. Bei der Berurteilung der Entwicklung der Beträge zu den Sozialversicherungen ergibt sich ein differenziertes Bild. Die Rentenversicherungsbeiträge konnten von 20,3 Prozent auf 19,1 Prozent um 1,2 Prozentpunkte ab- gesenkt werden. Dies ist das Resultat der Einführung der Ökosteuer zur Entlastung der Rentenversicherungsbeiträge. Die Beiträge zur Arbeitslosen- und Pflegeversicherung blie- ben stabil. Die explodierenden Gesundheitsausgaben verur- sachten leider einen Anstieg der Beitragssätze zur Gesetz- lichen Krankenversicherung um 0,4 Prozentpunkte. In den letzten beiden Bereichen besteht großer Reformbe- darf, um die Lohnnebenkosten weiter senken zu können. Im Saldo aller Sozialversicherungsbeiträge ergibt sich im Jahr 2002 im Vergleich zu 1998 eine Minderung der Bei- tragsbelastung um 0,8 Prozentpunkte. Ich gebe zu, ich hätte mir mehr erwünscht. Gisela Frick (FDP): Die Absicht, die die PDS mit der vorliegenden Großen Anfrage verfolgt, lässt sich bereits an der Vorbemerkung der Fragestelle ablesen. Es wird der Zusammenhang hergestellt zwischen dem Ausblenden von Reichtum und seiner Konzentration sowie der „Lö- sung gesellschaftlicher Aufgaben“. Auch ist die Rede von „realen Belastungen und Belastungsmöglichkeiten“. Wie nicht anders zu erwarten, hat sich am Denken der PDS nichts geändert. Wo Geld und Vermögen sind, muss man es wegnehmen, um alle möglichen sinnvollen oder für sinnvoll gehaltenen Projekte zu finanzieren. Ich kann es für die FDP kurz zusammenfassen: Mit uns nicht. Die PDS hat immer noch nicht die Grundsätze der sozialen Marktwirtschaft begriffen. Es geht nicht darum, Leistung zu bestrafen, indem man deren Früchte wegnimmt. Es geht darum, Chancengleichheit für alle zu schaffen, damit jeder möglichst in der Lage ist, für sich zu sorgen. Der Staat ist nicht für alles zuständig. Der Staat ist erst dann an der Reihe, wenn der Einzelne allein es nicht schafft. Unterschwellig wird von der PDS mit ihrer Anfrage auch unterstellt, dass Bezieher größerer Einkommen zu wenig zum Steueraufkommen beitragen. Auch hier sage ich für die FDP: Das stimmt nicht. Wie der Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage zu entnehmen ist, finanzieren die 15 Prozent der Bürger mit den höchsten Einkommen im Jahr 2001 über 61 Prozent des Einkom- mensteueraufkommens. Die 50 Prozent der Bürger mit den niedrigen Einkünften finanzieren nicht einmal 20 Pro- zent des Lohn- und Einkommensteueraufkommens. Fazit: Unser System der Besteuerung nach der Leis- tungsfähigkeit funktioniert. Wer mehr verdient, zahlt auch mehr Steuern. Ich sehe keine Veranlassung, daran etwas zu ändern. Anlage 17 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlungen und Berichte: – Weltweite Märkte fürMeerestechnik erschließen – Zukunft Meer – Für eine verantwortungsbewuss- te Nutzung der Meerestechnologie (Tagesordnungspunkt 20) Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD): Mit der Bestel- lung eines nationalen maritimen Koordinators und der er- folgreichen Durchführung von mehreren nationalen Kon- ferenzen in Emden, Rostock und demnächst auch in Lübeck hat die Bundesregierung gezeigt, dass sie dem maritimen Bereich eine stärkere Bedeutung zumessen will, als dieser unter der früheren Bundesregierung hatte und dass sie sich hierzu um eine entsprechende konzep- tionelle Unterfütterung bemüht. Sie hat damit schon vor längerem eingeleitet, was die CDU mit ihrem vorliegen- den Antrag zur Zukunft des Meeres erst jetzt einfordert. Die CDU folgt im Übrigen der Initiative aus der SPD-Bundestagsfraktion und dem Bündnis 90/Die Grü- nen, die mit ihrer Initiative „weltweite Märkte für Mee- restechnik erschließen“ auch von parlamentarischer Seite aus diesen positiven Prozess, wie er von der Regierung ini- tiiert, geleitet und gefördert wird, mit zusätzlichen Impul- sen versehen will. Da Innovation, Forschung und Entwicklung ein Vor- rangthema der dritten Konferenz sein sollen, die im Früh- jahr 2003 in Lübeck stattfinden wird, und auch das Bun- desministerium für Bildung und Forschung bereits am Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 245. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Juni 2002 24835 (C) (D) (A) (B) 30.August dieses Jahres eine entsprechende Fachkonfe- renz in Kiel vorbereitet, ist es außerordentlich sinnvoll, dass auch wir seitens des Parlaments deutlich machen, wo wir Handlungsfelder, Schwerpunkte und zusätzliche Ver- besserungsmöglichkeiten, speziell im FuE-Bereich, se- hen. Entscheidend ist hierbei, dass wir alle zusammen da- ran arbeiten, die Meerestechnik in einem umfassenden Sinne zu verstehen und nicht nur auf den klassischen Schiffsbau zu beziehen. Insoweit freuen wir uns, dass auch der Antrag der CDU das gesamte große Aufgaben- potenzial von maritimer Technologie und deren techni- sche, betriebliche und investive Herausforderungen be- schreibt. Als Koalitionsfraktion wissen wir uns einig mit der Re- gierung, die seit Beginn dieser Legislaturperiode über das Wirtschaftsministerium und eben auch das Ministerium für Forschung und Bildung hier aktiv geworden ist. So wurde nicht nur mit dem vom Forschungsministerium ini- tiierten und mitfinanzierten Zentrum für maritime Tech- nologien CMT ein deutliches Signal für Forschung und Entwicklung von Meerestechnik gesetzt, sondern werden in den vier Forschungsprogrammen „Schifffahrt- und Meerestechnik für das 21. Jahrhundert“, „Inno-Regio“, „Meeresforschung“ und „Polarforschung“ die Forschung und Entwicklung in den Bereichen Schifffahrt, Schiffbau, Offshoretechnik, Unterwassertechnik, Meeresumwelt- schutz, integriertes Küstenmanagment, marine Aquakul- tur und Hydrographie gefördert, um nur die wichtigsten Stichworte zu nennen. Insbesondere mit dem For- schungsprogramm ,,Schifffahrt und Meerestechnik für das 21. Jahrhundert“ hat die Bundesregierung Anfang 2000 Innovationen im maritimen Sektor neue Impulse gegeben. Mit der Aufnahme der nicht schiffbaulichen Meerestechnik als neuen Förderschwerpunkt in das For- schungsprogramm hat die Bundesregierung dem Stellen- wert Rechnung getragen, der dieser maritime Wirt- schaftsbereich wegen seines hohen Wachstumspotenzials zukommt. Dabei werden insbesondere in den Technolo- giefeldern Offshoretechnik, maritime Umwelttechnik und Polartechnik für die deutsche meerestechnische Industrie und Wirtschaft wie für die meerestechnische Wissen- schaft und Forschung neue Perspektiven im weltweit ex- pandierenden Meerestechnikmarkt eröffnet. Dies schlägt sich auch in realen Zahlen nieder. In den vergangenen Jahren konnte die Förderung der nicht schiffbaulichen Meerestechnik von 0,5 Millionen Euro in 1999 auf 3,6 Millionen Euro in 2001 erhöht werden. Da- mit stieg der Förderanteil der Meerestechnik im For- schungsprogramm von 4,6 Prozent in 1999 auf beachtli- che 20,7 Prozent in 2001. Dieser Trend setzt sich weiter fort, wenn wir feststellen können, dass im Rahmen des Programms „Schiffbau und Meerestechnik für das 21. Jahr- hundert“ das BMBF 54,9 Millionen Euro für Forschungs- und Entwicklungsprojekte bewilligt hat. Hinzu kommen 8,6 Millionen Euro für maritime Projekte innerhalb des Inno-Regio-Programms. Dabei entfallen in der Gesamt- summe aktuell 17,6 Millionen Euro, das heißt rund 28Prozent, auf Forschungs- und Entwicklungsprojekte der nicht schiffbaulichen Meerestechnik, davon 8,4 Milli- onen Euro für Unterwassertechnik und Polartechnik, 6,5Millionen für Offshoretechnik und 2,7 Millionen Euro für maritimen Umweltschutz und für Ölunfallbekämp- fung. Hinzu kommen die Programme Meeresforschung und Polarforschung, die zusammen pro Jahr Fördermittel in Höhe von 20 Millionen Euro zur Verfügung haben. Ne- ben der Vertiefung des Wissens über die Ozeane und Po- largebiete und deren Rolle im Klimageschehen der Welt wird die Umsetzung der Kenntnisse in politische Ent- scheidungen zum Schutz des Ökosystems und der Res- sourcen angestrebt. Nicht vergessen werden sollte hier, dass die Bundesregierung auch erhebliche Mittel dem Bau eines eisrandfähigen Meeresforschungsschiffes wid- met. Mit ihrem Antrag wollen die Koalitionsfraktionen hier vor allen Dingen noch einmal den Gesichtspunkt der in- novativen nachhaltigen Ansätze der Meerestechnik betont wissen. Ich nenne drei Handlungsfelder: Erstens. Wir stellen uns vor, dass die Anwendungen er- neuerbarer Energien und nachwachsender Rohstoffe, zum Beispiel biogener Treib- und Schmierstoffe, der Solar- energie zum Antrieb und zur Energieversorgung und auch der Einsatz von Windkraft in ihren Möglichkeiten noch besser untersucht und dann auch entwickelt werden. Glei- ches gilt für Ansätze, die zum Ziel haben, die Energieef- fizienz in der Meerestechnik zu erhöhen und die Senkung des Ausstoßes von Schadstoffen und Klimagasen zu sen- ken. Schließlich ist die Meerestechnik auch eine große Chance, die Belastung der Meere zu reduzieren. Die Ent- wicklung unschädlicher Anstriche auf Basis der Nano- technologie ist ein Beispiel dafür, wie Spitzenprodukte bei den Zukunftstechnologien unmittelbar zu nachhalti- gen ökologischen Verbesserungen beitragen können. Dies gilt auch für die Nutzung der erneuerbaren Energien auf See, die sich gegenwärtig vor alle Dingen mit der Planung von Offshore-Windparks verbinden. Hier ist nach unseren Kenntnissen noch erhebliche Entwicklungsarbeit und ge- zielte Begleitforschung erforderlich, um die Windparks im Meer sicher, naturverträglich und kostengünstig bauen zu können. Es wäre sicherlich begrüßenswert, hier würde möglichst schnell eine Pilotanlage im kleineren Maßstab, aber zu realen Bedingungen entstehen können, um die be- stehenden Zweifel an der Realisierbarkeit solcher Anla- gen in tieferen Gewässern im positiven Sinne widerlegen zu können. Zweitens. Forschungsrelevant ist auch die Ausrichtung der Meeresforschung an den Klima- und Umweltschutz- zielen, was speziell die Forschung an Gashydraten wie konkret den Methanhydraten rangeht. Wenn die Koaliti- onsfraktionen in ihrem Antrag fordern, nach heutigem Sachstand sich auf die Erforschung der Klima- und Um- weltschutzfragen zu konzentrieren und diesen Grundla- genbereich in allen Konsequenzen zu erforschen, so ist dies angesichts der potenziellen Gefahren, die von einer Aktivierung dieser Energieträger im Meeresboden ausge- hen können, allemal berechtigt. Wir freuen uns, dass auch die Bundesregierung in ihren Forschungsschwerpunkten entsprechende Akzente setzt. Drittens. Nicht vergessen werden soll, dass die For- schungsunterstützung auch aufzubauen ist für das wich- tige und zunehmend bedeutender werdende meerestech- nische Handlungsfeld der marinen Aquakultur. Wir können die Bestrebungen des BMBF nur nachdrücklich unterstützen, den Bau von technischen Pilotanlagen, die Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 245. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Juni 200224836 (C) (D) (A) (B) Forschung für eine bessere Produktqualität zu betreiben. Die Fangerträge der Fischereiflotten sinken weltweit, bis- herige Aquakulturanlagen verschmutzen die Küstenge- wässer, in den Shrimps aus asiatischen Ländern finden sich Medikamentenrückstände, sodass die EU mittler- weile Importverbote für Garnelen aus Indonesien, Thai- land und Vietnam aussprechen musste. Mit anderen Wor- ten: Die herkömmliche Aquakultur ist kein Garant für eine ökologisch verträgliche Produktion von Meeresorga- nismen mehr. Die Entwicklung einer nachhaltigen Kreis- lauftechnologie für Aquakulturanlagen ist deshalb ein hoch anzusiedelndes Forschungs- und Entwicklungsziel. Von Forschungsseite aus möchten wir zu dem Antrag der Koalitionsfraktion weiter hervorheben, dass bei der Umsetzung der Forschungsprogramme noch mehr Wert als schon in der Vergangenheit geschehen auf die nach- haltige Förderung von kleinen und mittleren Unterneh- men gelegt werden sollte. Wir begrüßen es, dass diese be- reits gegenwärtig auf die regulär bewilligte Fördersumme einen besonderen Zuschlag in Höhe von 10 Prozent als Bonus erhalten. Dieser Bonus hat ja auch schon Wirkung gezeigt. So konnte der Anteil der KMU-Förderung an der Gesamtförderung von etwas 30 Prozent im Jahre 1999 auf 36,8 Prozent im Jahre 2001, also auf mehr als ein Drittel der verfügbaren Fördersumme angehoben werden. Ähn- lich positiv entwickelte sich die Zahl der KMU als Zu- wendungsempfänger 2001. Mit mehr als einem Drittel KMU-Anteil liegt die maritime Forschungs- und Ent- wicklungsförderung deutlich über dem Durchschnitt. Der vom Ministerium eingerichteten Arbeitsgruppe „Verbes- serungen der Förderpraxis in Schifffahrt und Meerestech- nik“ ist deshalb weiterhin viel Erfolg zu wünschen bei ihrem Bemühen, an Reduzierungsmöglichkeiten für den Antrags- und Bearbeitungsaufwand sowie an vereinfach- ten Bonitätsprüfungen an der Minimierung der externen Beratung und der Erweiterung von Pauschalierungen zu arbeiten. Wir haben bereits in der Vergangenheit mit Be- friedigung aufgenommen, dass sich ein negativer Stau von streitigen Förderanträgen im Bereich der mittleren Unternehmen im Schiffbaubereich erfolgreich aufgeklärt und aufgearbeitet hat. Wir sind sicher und möchten dies auch mit unserem Antrag unterstützen, dass das Antrags- verfahren im Forschungsbereich noch effektiver koordi- niert werden kann, wenn alle Beteiligten hierfür klare und einfache Regeln definieren. Erlauben Sie, dass ich zum Schluss noch zwei Hin- weise, speziell aus der Sicht eines Forschungs- und Bil- dungspolitikers geben möchte: Erstens. Wenn der Antrag der Koalitionsfraktionen ins- besondere auch die Leistungsfähigkeit unserer hydrogra- phischen Institute anspricht und die Anstrengungen for- ciert sehen möchte, um zielgerichtet am internationalen Markt von Dienstleistungen und Aufträgen bei hydrogra- phischen Leistungen zu partizipieren, dann liegt eine be- sondere Chance nach den Fachgesprächen und Erkundi- gungen, die wir hierzu einziehen konnten, bei den internationalen Angeboten zur Aus-, Fort- und Weiterbil- dung sowie der wissenschaftlichen Kooperation im hy- drographischen Bereich. Wir regen an, dass die Regierung hier mit relativ geringem Mitteleinsatz den Boden be- reiten kann, um in langfristiger Kooperation nicht nur Leistungen zu internationalisieren, sondern auch Partner in anderen Ländern für die Zukunft zu finden. Zweitens. Aus der Diskussion mit Ländern, wie zum Beispiel Schleswig-Holstein, die sich intensiv um eine Entwicklung ökologischer Strukturen für den Bereich der marinen Aquakultur bemühen, wird der Wunsch an uns heran getragen, auch bei der Entwicklung der Berufsbilder rechtzeitig die neuen Bedingungen zu beachten. Der Fischwirt alter Prägung wird nicht mehr das Berufsbild für die marine Aquakultur der Zukunft sein können. Auch hier rechtzeitig Ausbildungsberufe umzustrukturieren, ist eine Aufgabe, die wir im Bereich von Bildung und Forschung mit Blick auf die Zukunftsfähigkeit der Meerestechnik im weiteren Sinne aufgreifen und umsetzen müssen. Das BMBF hat für seine Fachkonferenz „Maritime In- novationen – Wettbewerbsvorsprung und Standortvorteile durch Forschung und Entwicklung“ am 30. August in Kiel vier Workshops vorbereitet, die Themen bearbeiten wie „Innovationen in Schifffahrt und Schiffbau – Wett- bewerbsvorteile durch Forschung und Entwicklung“, „Maritime Netzwerke und regionale Kompetenzzentren – Standortvorteile durch Kooperation und Vernetzung“ so- wie „Probleme und Potenziale für die Entwicklung der Meerestechnik“ und „Marine Aquakulturtechnologien – neue Herausforderungen für innovative KMU“. Damit sind zentrale Felder so beschrieben, wie sie auch von den Koalitionsfraktionen in unserem Antrag, angesprochen sind. Es wird nicht zuletzt auch am Deutschen Bundestag liegen, diesen konstruktiven Prozess, wie er aus der Exe- kutive heraus gestaltet wird, parlamentarisch mit zu be- gleiten. Wir regen deshalb an, spätestens nach der dritten maritimen Konferenz zu Innovation, Forschung und Ent- wicklung im Frühjahr 2003 in Lübeck dieses Thema zum Gegenstand von intensiven Erörterungen in den zuständi- gen Fachausschüssen zu machen. Die wirtschaftlichen In- teressen und ökologischen Verpflichtungen rechtfertigen dies allemal. Dr. Margrit Wetzel (SPD): Welch ein Tag der Freude für die maritime Wirtschaft. Endlich ist auch die nicht- schiffbauliche Meerestechnik einmal im Focus des Parla- ments, erfährt Wohlwollen und fraktionsübergreifend die Zusage für nachdrückliche politische Unterstützung. Auch wenn die Oppositionsfraktionen sich alle Mühe ge- ben, das grüne Haar in der Suppe zu finden, sich von un- serem Antrag zu distanzieren und eigene Anträge noch schnell auf den Markt des Parlaments zu bringen – nein, wer genau hinschaut, sieht, dass wir zu 98 Prozent über- einstimmen. Und das ist ein voller Erfolg für die Unter- nehmen dieser zukunftsträchtigen Branche. Der CDU/CSU-Antrag setzt die Schwerpunkte etwas anders und unterscheidet sich in seinen Forderungen nicht wesentlich von unseren, ist also eigentlich überflüssig. Die FDP verkennt offenbar, dass es für die Grundlagen- forschung bei Gashydraten unverzichtbar ist, die Risiken unter Umwelt- und Klimagesichtspunkten sehr ernst zu nehmen und dass die mögliche nachhaltige Nutzung von Gashydraten erst in Jahrzehnten, also erst künftigen Ge- nerationen überhaupt möglich wäre. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 245. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Juni 2002 24837 (C) (D) (A) (B) Alle Forschungseinrichtungen, die auf diesem Gebiet tätig sind wie GEOMAR in Kiel, das Geoforschungszen- trum in Potsdam, das Alfred-Wegener-Institut in Bremer- haven oder die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe, beteiligen sich äußerst verantwortungsbewusst an dieser Grundlagenforschung im Wissen um die mögli- chen Zielkonflikte, die die Nutzung von Gashydraten mit sich bringen kann. Das ist richtig so und das wird auch so bleiben. Es gibt keinen Grund dafür, ausgerechnet jetzt im Jahr der Geowissenschaften irritierende Signale in die eine oder andere Richtung auszusenden. Ich freue mich schon darauf, dass die Meerestechnik Schwerpunkt der dritten Maritimen Konferenz sein wird und dann endlich auch in breiter Öffentlichkeit Aufsehen, Ansehen und An- erkennung erfährt. Diese Branche hat es verdient. Die Weltmeere sind nicht nur Verkehrsträger, sie sind genauso Wirtschaftsraum wie die Kontinente, sie liefern Nahrung, sind Energiequelle, bestimmen wesentlich unser Klima, der Meeresboden enthält vielfältigste Boden- schätze, die Hydrosphäre ist Gegenstand zahlloser techni- scher Dienstleistungen aller naturwissenschaftlichen Spar- ten – Hochtechnologie, mit dem gesamten dazugehörigen anlagentechnischen Umfeld. Forschung, Entwicklung, wissenschaftliche und ingenieurstechnische Ausbildung, in internationaler Zusammenarbeit die eigene System- kompetenz fortzuentwickeln – welch ein gewaltiges wirt- schaftliches Potenzial wartet darauf, nicht nur von deut- schen Unternehmen erschlossen zu werden, sondern sie als Marktführer an der Spitze zu sehen. Ich möchte, dass das Bundeswirtschaftsministerium sich mit dieser Branche noch mehr identifiziert, ihre Bedeutung für den Weltmarkt aktiv aufgreift, wie das Forschungsministerium es in Ge- stalt einschlägiger Programme bereits begonnen hat. Die Küstenländer der Welt sind durch das UN-Seerecht verpflichtet, in den nächsten Jahren ihre Wirtschaftszonen zu vermessen, wenn sie ihre exklusiven Rechte auf die Bodenschätze ihrer Festlandssockel geltend machen wol- len. Viele Küstenländer sind dazu technisch und finanziell überhaupt nicht in der Lage. Die deutsche Hydrographie würde geradezu verkümmern, wenn sie ihre Möglichkei- ten auf den kleinen nationalen Küstenanteil beschränken müsste. Unsere Möglichkeiten, anderen Küsten-Industrie- ländern, aber auch den Schwellen- und Entwicklungs- ländern die Vermessung ihrer Festlandssockel durch tech- nische Hilfe und wissenschaftliche Ausbildung zu ermöglichen, dadurch ihre Rechte zu wahren, aber zu- gleich den Einstieg in die bilaterale meerestechnische Zu- sammenarbeit zu gewährleisten, öffnet dauerhaft interna- tionale Märkte und stabile Wirtschaftsbeziehungen zum Nutzen aller Beteiligten. Das ist Entwicklungshilfe, in der die so vielfach beschworene neudeutsche „Win-win-Si- tuation“ tatsächlich für beide Seiten greift. Unsere kleinen Unternehmen können sich Wachstums- märkte erschließen, selber wachsen und zugleich die Wirtschaft, die Wissensgrundlage und die Rechte anderer Länder befördern helfen. Da wird Wirtschaftspolitik ein Stück weit zur Friedenspolitik. Die Bedürfnisse der Bran- che belegen, wie wichtig und richtig es war, dass Bundes- kanzler Gerhard Schröder die maritimen Themen zur Chefsache gemacht, die Stelle des Maritimen Koordina- tors geschaffen und mit Herrn Dr. Gerlach so kompetent und engagiert besetzt hat. Die ressortübergreifende Ver- tretung der Brancheninteressen ist nicht nur international von größter Bedeutung, sondern derzeit sogar national noch unverzichtbar. Warum? Es gibt in der Branche kaum große Unternehmen mit den dazugehörigen Lobbyisten in Berlin. Die kleinen, flexiblen, kreativen und leistungs- fähigen Unternehmen, mit denen wir es hier zu tun haben, sind aber allein nicht noch zusätzlich in der Lage, ihre In- teressen gegenüber dem Staat – zum Beispiel bei der Ent- wicklung von Modellen der Public-Private-Partnership – oder im Ausland wirksam zu vertreten: Ihre jeweiligen Ansprechpartner sitzen im Verkehrsministerium ebenso wie im Forschungs-, im Verteidigungs-, im Ernährungs- oder Umweltministerium, im Wirtschafts- und Entwick- lungshilfeministerium und bei internationaler Zusam- menarbeit allemal im Auswärtigen Amt. Und welch eine Verschwendung von Ressourcen ist es, wenn in den Außenwirtschaftskammern, in den Botschaften und Kon- sulaten engagierte Mitarbeiter auf die Aktivitäten deut- scher Unternehmer vergeblich warten, nur weil die hier herumirren müssen und von einer Nicht-Zuständigkeit zur nächsten weitergereicht werden – nein, das ist nicht die Perspektive des Erfolgs. Genau an der Stelle brauchen wir Koordination, Kooperation und konkrete Hilfe und Unterstützung für die so vielfach beschworenen „Klei- nen“, die KMU, die bei uns Arbeitsplätze schaffen und si- chern wollen. Dazu gehört, dass administrative Hürden abgebaut werden und die Sensibilität für die ressortüber- greifende Unterstützung marktnaher Innovationen in den Behörden geschärft wird. Andererseits dient unsere heutige Debatte aber auch dazu, die kleinen Unternehmen über das zu informieren, was sie an Hilfe bereits ins Anspruch nehmen können. So hat das BMBF eine Arbeitsgruppe „Verbesserung der Förderpraxis“ eingerichtet, prüft die Vereinfachung der Bonitätsprüfung und die Erweiterung von Pauschalierun- gen. Das Wirtschaftsministerium prüft derzeit, ob ein In- ternetportal für die deutsche maritime Wirtschaft, das auch die Meerestechnik mit abdecken könnte, zur Vernet- zung beitragen würde; der „Serviceverbund Außenwirt- schaft“ im Internet-Außenwirtschaftsportal iXPOS, eine Koordinierungsstelle für Auslandsprojekte und zinsgüns- tige Kredite der KfW für Auslandsinvestitionen kleiner Unternehmen tragen bereits deutlich zur Unterstützung der Branche bei. Auch die zunehmende Bedeutung der Marikultur sieht das BMWi durchaus. Ich will die Märkte und die Möglichkeiten der deut- schen Meerestechnik nicht weiter zitieren, sondern ver- weise auf den Antrag der Koalitionsfraktionen, der diese ausführlich beschreibt. Unsere Beratungen in den Aus- schüssen haben die fraktionsübergreifende breite Zustim- mung zu den wesentlichen Inhalten bestätigt: Die Bran- che sollte sich also von den demokratischen Spielchen der Opposition nicht irritieren lassen, sondern die tatsächliche breite politische Unterstützung zur Kenntnis nehmen, nut- zen und in der betrieblichen Praxis zukünftig wo nötig auch energisch einfordern. Die dritte Maritime Konferenz kann ihr Schwerpunktthema im Wissen um die nach- drückliche parlamentarische Unterstützung vorbereiten. Die Unternehmen der nicht schiffbaulichen Meerestech- nik können sich auf uns ebenso verlassen wie die deut- schen Werften. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 245. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Juni 200224838 (C) (D) (A) (B) Wolfgang Börnsen (Bönstrup) (CDU/CSU ): „Mehr Meer“ ist für die Union kein Schlagwort, sondern Hand- lungsaufforderung. Bereits in der letzten Legislaturperi- ode haben wir in zahlreichen Initiativen die Perspektiven aufgezeigt. Diese sind von der rot-grünen Bundesregie- rung nicht aufgegriffen worden; vier Jahre ist im Bereich Meerestechnik nichts geschehen. Jetzt, kurz vor Tores- schluss wird von der Regierung hektischer Aktionismus betrieben; vier verlorene Jahre. Verantwortungsbewusstes Regierungshandeln hätte 1998 unsere Initiativen aufgegriffen, nicht so viel Zeit verschenkt. Wir stellen fest: In der Meerestechnik gibt es große, entwicklungsfähige Potenziale; gewaltige Wachstums- chancen für unsere Küstenländer; Schätze, die es zu he- ben gilt. Zum Thema „mehr Meer“ haben wir einen Kata- log mit 17 Feststellungen und vier konkreten Forderungen aufgestellt. Wie bei „17 und 4“ gilt es auch in der Mee- restechnik, gut zu rechnen und Chancen zu ergreifen. Die erste Feststellung lautet: Allein das Marktvolumen der Offshore-Technik wird weltweit auf mehr als 80 Mil- liarden Euro geschätzt, doch der Anteil Deutschlands da- ran von rund 1 Milliarde Euro entspricht keineswegs dem technischen, betrieblichen und investiven Potenzial. Die zweite Feststellung lautet: Der Weltmarkt für Aqua- und Marikultur wächst jährlich um stolze 12 Pro- zent und beträgt mittlerweile 15 Milliarden Euro, unser Anteil daran sind gerade einmal 100 Millionen Euro. Nor- wegen ist hier inzwischen führend und versorgt den deut- schen Massenmarkt mit Meeresprodukten, die noch vor wenigen Jahren gut betuchten Feinschmeckern vorbehal- ten waren. Derzeit werden weltweit über 150 Fischarten, etwa 40 verschiedene Schalentiere und mehr als 70 Mu- schel- bzw. Weichtierarten neben zahlreichen Algen, Was- serpflanzen, Fröschen, Schildkröten und Krokodilen in Aquakultur erzeugt. Der Weltmarkt für Fisch sowie Krusten- und Schalen- tiere belief sich 1999 nach FAO-Statistiken auf insgesamt knapp 126 Millionen Tonnen pro Jahr. Davon entfielen circa 33 Millionen Tonnen auf die Aquakultur; fast 30 Prozent der maritimen Nahrungsmittelproduktion. In diesen Zahlen ist die immer wichtiger werdende Aufzucht von Pflanzen und Algen noch nicht enthalten. Die ge- samte Aquakulturproduktion hat sich in den Jahren 1990 bis 1999 um 150 Prozent erhöht, die Produktion ist heute mehr als zweieinhalb mal so groß wie vor zehn Jahren. Die dritte Feststellung: Im Bereich Unterwassertech- nik und Seekabel beträgt der Weltmarkt 14 Milliarden Euro, Deutschland ist daran mit 300 Millionen Euro be- teiligt. Viertens: In der Meeresforschungstechnik sieht es noch schlechter aus: Mit gerade einmal 150 Millionen Euro sind wir an einem 10 Milliarden Euro umfassenden Weltmarkt beteiligt. Unser Anteil beträgt gerade einmal 1,5 Prozent, exakt genau der gleiche Anteil, den wir an der Weltbevöl- kerung stellen. Das bedeutet, der Pro-Kopf-Anteil Deutschlands am Weltmarkt ist im Durchschnitt genau so hoch wie der eines Einwohners des vom Krieg zerstörten Binnenlandes Afghanistan. Ich meine: Eine Katastrophe für ein Land, dessen einzige Ressource das Wissen und Können seiner Menschen ist. Die Meeresforschung darf nicht länger vernachlässigt werden. Die fünfte Feststellung: Das Marktvolumen für die Meerestechnik insgesamt beträgt 131 Milliarden Euro, daran ist Deutschland mit 2,9 Milliarden Euro oder 2,2 Prozent beteiligt. Die sechste Feststellung ist: In den nächsten Jahren müssen weltweit 8 000 Öl- und Gasplattformen entsorgt werden, 700 allein in der Nordsee, für deren Beseitigung, oder Umnutzung mit einem zweistelligen Miliardenbe- trag gerechnet wird. Siebtens. Deutsche Firmen haben bereits bewiesen, dass sie das notwendige Know-how in der Umwelttech- nik besitzen. Wir erinnern uns an die Proteste als Versen- kung der Ölplattform Brent Spar bevorstand. Greenpeace übergab der damaligen Bundesumweltministerin Angela Merkel ein Flugticket auf die britischen Shetland Inseln und bot ihr den Transfer zur Plattform Brent Spar an. Bei der anschließenden Pressekonferenz sprach sich Angela Merkel klar gegen die Versenkung der Plattform aus. Da- mals wurde der Weg frei gemacht für einen völlig neuen Industriezweig im Interesse der Umwelt. Die achte Feststellung lautet: Für den Bau von Off- shore-Windparks rechnen Experten mit einem Investiti- onsvolumen von circa 25 Milliarden Euro in den nächsten 20 Jahren allein in den deutschen Seegebieten. Nicht ein- gerechnet ist hierbei der Bedarf an Forschungsaktivitäten, insbesondere zur Weiterentwicklung der Anlagentechnik, eingeschlossen Gründung, Netzanbindung und Montage. Doch fehlen die notwendigen Rahmenbedingungen – wie unsere Große Anfrage gezeigt hat – um die Initialzündung auszulösen. Neuntens stellen wir fest: Auch der klassische Schiff- bau hat sich zu einem hochinnovativen Industriesektor entwickelt, der mit seinen Spezialschiffen einen weltwei- ten Markt anspricht und einen Anteil von deutlich über 20 Prozent am Gesamtumsatz deutscher Werften hat. So produziert zum Beispiel die Flensburger Schiffbaugesell- schaft mit ihren hochinnovative Ro-Ro- und Ro-Pax- Fähren global nachgefragte „schwimmende Landstraßen“. Zehntens stellen wir fest: Weltweit die einzigen mit Brennstoffzellen betriebenen U-Boote werden bei HDW in Kiel hergestellt. Und als elftes stellen wir fest: Mit dem „Forschungs- schiff der Zukunft“ entwickelt die Lindenau-Werft, eben- falls in Kiel, derzeit ein modular und damit flexibel kon- struiertes Forschungsschiff, das es in dieser Form bisher noch nicht gegeben hat. Die zwölfte Feststellung lautet: Die Kvarner-Werft in Rostock lieferte 2001 mit der Offshore-Bohrplattform Stena Don seit Jahren wieder die erste Bohrplattform aus Deutschland ab, ein Koloss mit 32 700 Tonnen Wasser- verdrängung., Der dreizehnte Punkt lautet: Unter den Einschätzun- gen der globalen Erwärmung und des Klimaschutzes wird das Aufgabenfeld des „Integrierten Küstenzonen- Managements“ eine neue Bedeutung gewinnen. Das hat Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 245. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Juni 2002 24839 (C) (D) (A) (B) Auswirkungen auf Forschung und Entwicklung. Hier geht es um die Integration der Nutzungs- und Schutzan- sprüche im Küstenraum. Unsere vierzehnte Feststellung: Zu den traditionellen Nutzungen wie Tourismus, Hafenwirtschaft und Fischerei kommen neue wirtschaftliche Chancen und Herausforde- rungen hinzu. Die Anforderungen an Ozean-Überwa- chungssysteme werden dementsprechend beständig stei- gen. Hier ist die Unterstützung der Grundlagenforschung besonders gefragt. Die fünfzehnte Feststellung: Ein Umsatzpotenzial in bedeutender Größenordnung wird auch von der Schiff- bauzulieferindustrie erbracht. Mit einer breiten Palette in- novativer Produkte vom Schiffsantrieb bis hin zu den modernsten Navigations- und Positionierungssystemen entfällt auf diese Industrie bis zu 70 Prozent der Wert- schöpfung eines Schiffsneubaus. Mit dem europäischen Satelliten-Navigationssystem GALILEO schlagen wir die Brücke zwischen Meerestechnik und Raumfahrt. Die sechzehnte Feststellung: Globalisierung und Wachstum des Welthandels finden ihren deutlichen Nie- derschlag im Wachstum von Schifffahrt und Hafenum- schlag. Davon profitieren auch die Häfen in Deutschland. Neue Technologien für Ausrüstung, Umschlag und Ent- sorgung erschließen zusätzliche Wachstumspotenziale. Die letzte und siebzehnte Feststellung: Weitere hohe Entwicklungspotenziale weltweit liegen in der Hydrogra- phie, der marinen Umweltschutztechnik und als Grund- lage, um die Offshore-Technik überhaupt nutzen zu kön- nen, die Unterwassertechnik, wie Seekabel, Öl- und Gaspipelines und die dazugehörige Logistik. Ich hatte angekündigt, unser Katalog zum Thema „mehr Meer“ steht unter dem Motto „17 und 4“. Aus un- seren 17 Feststellung folgen genau vier konkrete Forde- rungen an die Bundesregierung: Erstens, die Erweiterung der Forschungsförderung so- wohl für die Grundlagenforschung als auch für anwen- dungsbezogene Projekte sowie die Vereinfachung der Bewilligungsverfahren von Forschungs- und Entwick- lungsanträgen. Zweitens, den Technologietransfer zwischen Wissen- schaft und Wirtschaft im Bereich Meerestechnik mit Sys- tem auszubauen und durch die unbürokratische Genehmi- gung und politische Begleitung von Pilotanlagen den Wissenstransfer beschleunigen. Drittens, die Unterstützung der Unternehmen der Mee- resforschungstechnik bei der Bündelung und internatio- nalen Vermarktung ihrer Produkte und Systeme, insbe- sondere durch die Förderung der Teilnahme, deutscher Firmen an den Programmen internationaler Organisatio- nen insbesondere bei internationalen Umweltprojekten wie Weltbank, UNO und UNIDO durch zielgerichtete In- formation potenzieller deutscher Teilnehmer. Viertens, die Erstellung eines Gesamtkonzepts zum Thema Ausbau der Meerestechnologie unter Berücksich- tigung von Umwelt-, Klimaschutz- und Finanzierungsbe- dingungen. Der Antrag der Regierungskoalition ist auf der ersten Blick anerkennenswert. Er enthält hehre Ziele für die weltweite Zukunft der Meerestechnik. Darin teilen wir die Auffassung der Antragsteller. Doch stellen wir auf den zweiten Blick fest, es handelt sich hier um eine offen- sichtliche Alibi-Initiative. Alle Maßnahmen sollen dem Diktat der Klima- und Umweltschutzziele unterliegen. Keine Grundlagenforschung soll möglich sein, keine Neuentwicklung von Meerestechnologien, so steht es im vorletzten Absatz dieses Antrages. Deutschlands mari- time Wirtschaft braucht Zukunft, aber nicht mit einem Flaggschiff ohne Schraube. Der Grundlagenforschung dürfen nicht von vornherein Scheuklappen aufgesetzt werden; auch nicht wenn sie im schicken Gewand von Klima- und Umweltschutz daher- kommen. So schneiden wir deutschen Unternehmen Ent- wicklungschancen ab, überlassen den schnell wachsen- den Weltmarkt anderen Ländern und verhindern die Schaffung neuer, hochwertiger Arbeitsplätze. Grundla- genforschung muss möglich sein, sonst wandern qualifi- zierte Fachkräfte weiter ins Ausland ab. Wir norddeutschen Abgeordneten der Union anerken- nen die Unterstützung durch Edmund Stoiber für die Werften und die maritime Wirtschaft. So gehörte zu einer seiner ersten Amtshandlungen als Kanzlerkandidat der Besuch bei HDW in Kiel. Dort bekräftigte er, Deutsch- land müsse ein starker Werftenstandort bleiben und kriti- sierte die mangelnde Unterstützung der Europäischen Union gegen die seit Jahren anhaltende Dumpingpreis- Politik Südkoreas. – Heute Vormittag hat der EU-Minis- terrat endlich die seit zwei Jahren angekündigte WTO- Klage beschlossen und für die Dauer des Verfahrens eine Abwehrbeihilfe von 6 Prozent genehmigt. Anerkennung zollen wir auch dem unermüdlichen Ein- satz des Verbandes für Schiffbau und Meerestechnik und seinem Hauptgeschäftsführer, Dr. Werner Schöttelndreyer, dem Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium, Dr. Axel Gerlach, dem Vorsitzenden der Gesellschaft für Maritime Technik und begeisterten Polarforscher, Dr.-Ing. Joachim Schwarz, den deutschen Werften und ihren Betriebsräten, den Universitäten und Fachhoch- schulen, um nur einige verdienstvolle Einrichtungen stell- vertretend zu nennen, die im Bereich der Meerestechnik engagiert tätig sind. Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Deutschland hat eine große Tradition im Schiffsbau und der Meerestechnik. Viele Arbeitsplätze sind direkt oder indi- rekt mit der Meerestechnik verbunden. Der Rückgang der Werftenindustrie muss aufgefangen werden durch neue in- novative Techniken. Daraus ergeben sich neue Chancen für den riesigen Weltmarkt. Das Marktpotenzial liegt weltweit über 150 Milliarden Euro. Mit dem bereits im Jahr 2000 aufgelegten Forschungs- programm „Schifffahrt und Meerestechnik für das 21. Jahr- hundert“ hat die Bundesregierung diese Herausforderung bereits erfolgreich angenommen. Der vorliegende rot- grüne Antrag baut auf diesem Forschungsprogramm auf und will weitere Akzente setzen. Vor allem die Umweltfreundlichkeit muss weiter in den Mittelpunkt rücken. So gilt es, die bisherigen Meeres- technologien umweltfreundlicher zu gestalten. Die Ver- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 245. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Juni 200224840 (C) (D) (A) (B) schmutzung zum Beispiel bei der Ölgewinnung ist auf null zu reduzieren. Die Energieversorgung der Meerestechnikanlagen soll verstärkt auf erneuerbare Energien umgestellt werden. Schmieröle aus Pflanzenölen bzw. Windkraft, Biomasse und Solarenergie zur Stromversorgung reduzieren die Ge- fahr auslaufender Betriebsmittel und den Schadstoffaus- stoß auf null. Die alltägliche Verschmutzung mit Ölen wird dann der Vergangenheit angehören. Auch muss das Problem der giftigen Anstriche gelöst werden. Hier hat es in der jüngsten Zeit mithilfe der Na- notechnologie wichtige Fortschritte gegeben. Wir müssen diesen Weg schnell weiter gehen. Aquakulturen für die Produktion von Seefischen soll- ten möglichst umweltfreundlich sein. Sie dienen dann nicht nur dem Umweltschutz, sondern auch der Gesund- heit der Verbraucher. Das breite Spektrum der Unterwassertechnik – zum Beispiel in der Kommunikationstechnologie ist auf den Schutz der Meerestiere auszurichten. Zum Beispiel steht Unterwasserlärm im Verdacht, die Wale zu schädigen. Meine Damen und Herren, die Meerestechnik be- kommt eine völlig neue Chance. Diese Chance heißt: er- neuerbare Energien. Konkret handelt es sich um die Windenergie und die Meeresenergien, die mit Meeres- strömungskraftwerken, Wellenkraftwerken und Gezeiten- kraftwerken genutzt werden können. Alleine in Deutsch- land sollen bis 2020 Offshore-Windkraftanlagen mit einer Leistung von 25 000 Megawatt installiert werden. Dies ist eine große Chance für den Klimaschutz und eine große Chance für die Werften. Sehr viel versprechend sind auch die Anstrengungen zur Nutzung des Meeresströmungen und der Wellenkraft. Die ersten Pilotprojekte sind in Schottland, England und Japan bereits im Entstehen. Auch die Gezeitenenergie hat gute Chancen. Wir wollen die deutsche Industrie auch für diese Zukunfts-Energietechnologien fit machen. Bündnis 90/Die Grünen unterstützen die Meerestech- nik in vielen Bereichen. Aber wir verschweigen die Pro- blemfelder nicht. Angesichts der Klimagefahren wollen wir keine Staatsmittel für die Exploration von fossilen Rohstoffen ausgeben. Diese Forschungsmittel müssen stattdessen für klimaneutrale Technologien ausgegeben werden. Besonders gefährlich wäre die Erschließung der Me- thanhydrate. Die Schätzungen über deren Vorkommen ge- hen weit auseinander. Wir halten es für sinnvoll, für die Klimaforschung mehr über deren Vorkommen zu erfah- ren. Für den Fall, dass diese Methanhydrate wirklich in großen Mengen vorkommen, gehen wir aber ein unver- antwortliches Risiko ein, wenn wir diese Methanhydrate fördern; denn das beim Verbrennen freigesetzte Kohlen- dioxid heizt das Treibhaus Erde an. Lassen wir die Me- thanhydrate auf dem Meeresboden! Die Energie, die wir brauchen, geben uns die Meere über Wind und Wellen, Meeresströmungen und Gezeitenkraft. Wir müssen nur zugreifen. Es wäre töricht, das Weltklima zu riskieren, in- dem wir auf einen Rohstoff zurückgreifen, den wir nicht brauchen. Die Union und die FDP werfen uns einen Angriff auf die Forschungsfreiheit und auf die Grundlagenforschung vor. Dieser Vorwurf ist vollkommen absurd, auch weil un- ser Antrag sich explizit dafür ausspricht, Methanhydrate zu erforschen. Die Grundlagenforschung ist somit nicht angetastet. Wir sprechen uns sogar explizit für die Klima- forschung bei den Methanhydraten aus. Aber wir sind auch ebenso explizit gegen die Vorlaufforschung für die Exploration von Methanhydraten. Die Forscherfreiheit ist überhaupt nicht tangiert. Jeder Forscher, der hier forschen will, kann dies tun, es steht hier nichts von Verbot wie zum Beispiel beim Import neuer Stammzelllinien. Es gibt kein grundgesetzliches Anrecht des Forschers auf staatliche Forschungsmittel. Der Staat hat die Aufgabe, mit seinen Forschungsmitteln verantwortlich umzugehen. Er soll die Mittel eben dort einsetzen, wo sie Nutzen versprechen und nicht dort, wo vor allem mit Schaden gerechnet werden muss. Ange- nommen, die Vorkommen an Methanhydraten wären wirklich so groß wie von einigen Wissenschaftlern be- hauptet, dann liegt auf der Hand, dass ihr Abbau eine Ka- tastrophe für das Klima wäre. Aufgabe des Staates ist es, das Klima zu schützen – wozu etwa die Erforschung der energetischen Nutzung der Erdwärme gehört. Aufgabe des Staates ist es nicht, den Treibhauseffekt zu fördern. Ich entnehme den Anträgen der CDU/CSU und der FDP, dass sie dies anders sehen. Die Herren Wissmann und Börnsen in der Union verstiegen sich am 10. Juni so- gar zu folgender Aussage in einer Pressemitteilung: Die Entwicklung der Meerestechnik wird durch die rot-grüne Bundesregierung gehemmt, wenn sie Wis- senschaft und Forschung unter das Diktat der Klima- und Umweltschutzziele stellt. Daraus können wir entnehmen, dass der Union die Ent- wicklung auch klimaschädlicher Meerestechnik wichtiger ist als der Klima- und Umweltschutz selbst. Die FDP setzt noch eins drauf und fordert sogar „die Technologien zum wirtschaftlichen Abbau von Gashydra- ten, insbesondere in den Permafrostgebieten, zur Siche- rung der Energieversorgung künftiger Generationen wei- ter zu fördern“. Wir sind der Union und der FDP sehr dankbar, dass sie so offen zugeben, dass Umwelt- und Klimaschutz für sie keine Rolle spielen, wenn sie wirtschaftlichen Interessen entgegenstehen. Wir Grünen sehen das anders. Wir neh- men die Klima- und Umweltprobleme ernst und wollen sie lösen anstatt zu verschlimmern. In dem heute zur Debatte stehenden gemeinsamen An- trag von Rot-Grün sind die neuen Chancen der Meeres- techniken gut herausgestellt. Damit werden dem Um- weltschutz und der deutschen Meerestechnikindustrie gemeinsam neue große Perspektiven eröffnet. Hans-Michael Goldmann (FDP):Die heute mir vor- liegenden „Weltweite Märkte für Meerestechnik er- schließen“ und „Zukunft Meer – Für eine verantwor- tungsbewusste Nutzung der Meerestechnologie“ geben uns sehr gute Gelegenheit, darauf hinzuweisen, dass der maritime Sektor und hier speziell die Meerestechnik Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 245. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Juni 2002 24841 (C) (D) (A) (B) großartige Zukunftschancen für das Küstenland Deutsch- land bietet. Es ist viel zu wenig im Bewusstsein der Bür- gerinnen und Bürger, dass über 70 Prozent der Erde von Ozeanen bedeckt sind, 90 Prozent des Außenhandels der Europäischen Union verschifft werden und die Ozeane – das Wasser insgesamt – für unsere Klimaentwicklung ausschlaggebend sind. Mit Bewunderung sollten wir zur Kenntnis nehmen, dass seit vielen Millionen Jahren die Weltmeere ein ungeheuer großes Biokraftwerk mit uner- messlichen Vorräten an Nahrungsmitteln, an Lebens- und Heilkraft von bedeutender Qualität, Quantität und Vielge- staltigkeit sind. Die Weltmeere sind das Erbe der Mensch- heit. Dieses Erbe gilt es zu pflegen und zu intensivieren. Meerespolitik befindet sich global in einer dynamischen Entwicklung, dabei kommt der maritimen Technologie eine qualitativ hochwertige Bedeutung als Investitions-, Arbeits- platz- und Zukunftsmotor zu. Ein Teilbereich der maritimen Wirtschaft Deutschlands ist die Meerestechnik. Der Meerestechnik kommt neben den Bereichen Schifffahrt, Schiffbau und Hafenwirtschaft auf der Grundlage folgender Technikfelder herausragende Bedeutung für eis maritimes Hochleistungsland wie die Bundesrepublik Deutschland zu: Aquakultur bzw. Marikultur, Hydrographie, Meeresfor- schungstechnik, maritime Umweltschutztechnik, maritime erneuerbare Energien, maritime Informations- und Lei- tungssysteme, Küstenzonenmanagement und Wasserbau, Offshore-Technik, Polartechnik, Unterwassertechnik und Seekabel. Die wirtschaftliche Bedeutung der Meerestechnik in Deutschlalnd kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Das weltweite Marktpotenzial der Meerestechnik wird zurzeit pro Jahr auf über 150 Milliarden Euro Jahres- umsatz geschätzt und ist damit schon heute ein dem Schiffbau vergleichbarer, bedeutsamer Faktor mit erheb- lichem Wachstumspotenzial. Den weitaus größten Anteile daran hat mit 80 Milliarden Euro die Offshore-Industrie. In Deutschland wurde in einem vergleichbaren Zeitraum ein Jahresumsatz von circa 3 Milliarden Euro erzielt. Die- ser Umsatz entspricht in keinster Weise dem Technologie- und Wirtschaftspotenzial Deutschlands. Zwar werden auf einigen Wirtschaftsfeldern der Meerestechnik die Märkte von nationalen Zugangsbehinderungen geprägt, aber die Erfahrungen zeigen, dass mit innovativer Technologie, die zu kostengünstigen und umweltschonenden Produk- ten führt, der Zugang zu diesen Märkten nicht nur er- reicht, sondern auch ausgebaut werden kann. Unerlässlich erscheint in diesem Zusammenhang eine verstärkte, zwi- schen Wirtschaft und Politik intensiver koordinierte Markterschließungstrategie, aber auch eine angemessene Förderung von Forschung und Entwicklung. Gerade in diesen Bereichen wird die FDP-Bundestagsfraktion in der nächsten Periode deutliche Akzente setzen, die Rot-Grün bis jetzt verpasst hat. Das vom Bundesministerium für Bildung und For- schung vor zwei Jahren vorgelegte Forschungsprogramm Schifffahrt und Meerestechnik für das 21. Jahrhundert wurde in der Branche zwar positiv aufgenommen, der An- satz muss aber deutlich ausgebaut werden. Die Perspekti- ven der Meerestechnik für die nächsten zehn bis 20 Jahre sind außerordentlich positiv einzuschätzen. Sie werden hauptsächlich durch umweltpolitische und wirtschaftli- che Entwicklungen bestimmt. Dabei steht die verstärkte Nutzung erneuerbarer Energien zum Beispiel Offshore- Windparks, der umweltverträgliche Rückbau und die Entsorgung von Offshore-Anlagen, die nachhaltige Nut- zung mariner Ressourcen und die Unfallverhütung und Bekämpfung im Zentrum der Überlegungen. Damit das enorme Wachstumspotenzial der Meeres- technik auch wirklich realisiert werden kann und die Chancen für mehr Investitionen und Arbeitsplätze zügig genutzt werden, sind nach meiner Auffassung folgende Maßnahmen zur Verbesserung der Rahmenbedingungen für die meerestechnische Wirtschaft zwingend notwendig: Alle an der Wirtschaft Beteiligten, aber auch die Bun- desregierung, die Länderregierungen und die staatlichen Stellen sind für das enorme Wachstumspotenzial der Mee- restechnik zu sensibilisieren. Innovation und Produktent- wicklung bedürfen einer punktgenauen Förderung. Eine Reduzierung administrativer und strukturpolitischer Hin- dernisse ist notwendig. Gerade den kleinen und mittel- ständischen Unternehmen, die sich im Bereich der Mee- restechnik betätigen, muss eine Förderung in Hinblick auf Innovation und Produktentwicklungen zugute kommen. Die internationale Vermarktung bedarf verstärkter Unter- stützung. Die Informations-, Koordinations- und Koope- rationsvernetzung der Meerestechnik im Rahmen der ma- ritimen Wirtschaft sind zu unterstützen. Es ist sicherlich zu überlegen, ob eine Institution zur Koordination von In- formationsbeschaffung von Vernetzung und Kooperation so zu fördern ist, dass sie den Unternehmungen, die im Bereich der Meerestechniken aktiv sind, Zukunftschan- cen eröffnet. Die FDP unterstützt mit großem Nachdruck das Strate- giepapier zur Förderung der Meerestechnik als Teil der maritimen Wirtschaft Deutschlands, das von der Gesell- schaft für maritime Technik e.V., GMT, vorgelegt worden ist. Die FDP und ich ganz persönlich sehen in dem vorge- legten Strategiepapier eine gute Grundlage, um die Tech- nikfelder der Meerestechnik konsequent zu fördern und weiterzuentwickeln. Ich bin davon überzeugt, dass der Bereich der Meeres- technik mit seinen differenzierten Technikfeldern ein Wachstumsmotor für den Wirtschaftsstandort Deutsch- land ist. Das gilt in ganz besonderer Weise für die Off- shore-Technik, die gerade der norddeutschen Küstenre- gion große Perspektiven im Hinblick auf Investitionen und Arbeitsplätze, aber auch als energiepolitische Alter- native bietet. Das Nahrungsmittel Fisch wird immer teurer, der Ei- weißbedarf immer notweniger, Aquakulturen und Mari- kulturen bieten in diesen Bereichen eine Zukunftschance, die besonders in Schleswig-Holstein schon jetzt realisiert wird. Der CDU/CSU-Antrag zur Meerestechnik ist ein guter Antrag, wir werden diesem daher zustimmen. Der Antrag der Regierungskoalition greift die Zukunftschan- cen der Meerestechnik nur unzureichend auf, wir werden ihn deshalb ablehnen. Wolfgang Bierstedt (PDS): Zum Ende der Legisla- turperiode leistet das Parlament schier Übermenschliches. Alle noch anstehenden Anträge sollen in marathonähnli- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 245. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Juni 200224842 (C) (D) (A) (B) chen Nachtsitzungen durchgezogen werden. Leider geht die wichtige Parlamentsarbeit nicht nur an der interessier- ten Öffentlichkeit vorbei, auch die Kultur des politischen Meinungsstreits leidet nachhaltig darunter. Der vorliegende Antrag der CDU/CSU-Fraktion fordert ziemlich unverblümt eine verdeckte Wirtschaftsförderung für die Not leidenden deutschen Werftunternehmen im Sinne einer Förderung verschiedener Forschungsprojekte, die sich mit praxisorientierten Meerestechnologien be- schäftigen. Aus diesem Antrag nehmen wir zur Kenntnis, dass die Innovationspotenziale der deutschen Werften groß sind (auch in der Rüstungsproduktion), mit einer breiten Palette innovativer Produkte vom Schiffsantrieb bis zu modernsten Navigationssystemen. Dieser Antrag beschäftigt sich auch mit den Wachstumschancen der ma- ritimen Aquakultur bzw. „Blauen Biotechnologie“. Es ist richtig, dass sich „auf verschiedenen Gebieten der Bio- technologie zurzeit eine rasante Entwicklung vollzieht, die neue Chancen für Wissenschaft und Wirtschaft eröff- nen“. Wir behalten dabei aber den erforderlichen Um- weltschutz der Weltmeere im Auge. Für die Gewährleis- tung eines vorsorgenden Meeresumweltschutzes tragen alle Disziplinen der maritimen Technikforschung hohe Verantwortung. Wir treten für eine umfassende Nutzung des wissenschaftlich-technischen Fortschritts ein, wo- durch die Meerestechnologie immer mehr zu einem Be- reich der angewandten Wissenschaft wird. Zugleich be- wahren wir aber kritische Distanz zu dem technisch Machbaren, wenn dieses unübersehbare Risiken für Meere, Natur und Mensch in sich birgt. So bedarf jeder Schritt in der Nutzbarmachung der so genannten blauen Biotechnologie, in der Aquakulturproduktion strikter, ge- setzlich gesicherter Kontrollen, öffentlicher Aufklärung und hoher außerparlamentarischer Aufmerksamkeit und nicht zuletzt eines angemessenen Schutzniveaus für die Aquakulturen, die Umwelt und die potenziell betroffenen Verbraucher. Der Stand der Forschung zur Biotechnologie und Gentechnik lässt insgesamt die Risiken für die Um- welt und Gesundheit noch nicht absehen. Die derzeit ver- fügbaren Methoden für gentechnische Veränderungen bei Fischkulturen für die Lebensmittelproduktion aber auch Shrimps sowie Algen sind noch wenig effizient und ber- gen – einmal in die Umwelt gelangt – große Gefahren für das ökologische Gleichgewicht. Aufgrund der genannten biotechnologischen Risiken und einer verstärkten Förde- rung technologischer Forschungsergebnisse auch in der militärischen U-Bootproduktion wären wir geneigt, die- sen Antrag grundsätzlich abzulehnen. Da wir uns aber auch der notwendigen Sicherung der Arbeitsplätze gerade in diesem Bereich der zivilen maritimen Industrie nicht verwehren wollen, werden wir uns der Stimme enthalten. Die Regierungskoalition hat sich mit dem Antrag – Weltweite Märkte für Meerestechnik erschließen – viel vorgenommen. Auch von ihr wird eine gewisse Unter- stützung bei der Produktentwicklung der Meerestechnik versprochen. Die weltweite Vermarktung von maritimen Umwelt- schutztechniken zur Verhinderung und Bekämpfung von Ölunfällen auf hoher See und zur Sanierung von ver- schmutzten Küsten und Stränden können wir mittragen. In der Frage der effektiven Energiegewinnung und -ver- sorgung meinen wir, dass eine Energiewende durch bes- sere Nutzung regenerativer Energien eingeleitet werden muss. Dabei sind entwicklungs- und anwendungsseitige Forschungen in ihrer Vielfalt und in der Breite zu nutzen. Der Antrag der Regierungskoalition regt zur Entwicklung bestimmter meerestechnischer Technologiebereiche auch eine Kooperation zwischen kreativen KMU an, mit maß- geblicher Unterstützung durch staatliche Einrichtungen und Institutionen. Solcherart Kooperationen wurden im InnoRegio-Projekt „Maritime Allianz“ in Mecklenburg- Vorpommern bereits begonnen und finden auch unsere Zustimmung. Wir müssen aber feststellen, dass sich in diesem Antrag die versprochene Unterstützung auch der Bundesregierung für die Industrie bei der Erschließung der Weltmärkte nur auf die Floskeln „prüfen“, „achten“, „koordinieren“ und „Anstrengungen unterstützen“ be- schränkt. Wir sind uns sicher einig, dass eine solche rela- tiv unbestimmte Handlungsweise der deutschen For- schungslandschaft und der Werftindustrie nicht hilfreich ist. Deshalb enthalten wir uns auch hier der Stimme. Votum: Bundestagsdrucksache 14/9223 Enthaltung Votum: Bundestagsdrucksache 14/9352 Enthaltung Dr. Ditmar Staffelt, Parl Staatssekretär beim Bundes- minister für Wirtschaft und Technologie: Es freut mich, heute das Thema Meerestechnik im Bundestag anspre- chen zu können: Wie die Anträge der Regierungskoalition und der CDU/CSU-Fraktion belegen, ist das Interesse an der Meerestechnik deutlich gestiegen. Trotz ihrer Rolle als wichtiger Impulsgeber für die deutsche maritime Wirt- schaft wurde bislang die Meerestechnik in der Öffentlich- keit nicht hinreichend beachtet. Die Meerestechnik ist ein Bereich, der sich durch eine sehr starke Heterogenität aus- zeichnet. Zu diesem Bereich gehören unter anderem pro- duzierende Unternehmen, Ingenieursbüros, Universitäten und Forschungsinstitute. Die Bandbreite der Tätigkeiten reicht dabei von der Hydrographie bis hin zum Bau von Unterwasserfahrzeugen. Daraus folgt eine vielfältige Wirtschaftsorientierung mit durchaus unterschiedlichen Interessenlagen der Akteure. Es bestehen aber auch Gemeinsamkeiten: Die Anfor- derungen an das Know-how der Mitarbeiter sind in allen meerestechnischen Betrieben sehr hoch. Das hängt eng mit der High-Tech-Orientierung des meerestechnischen Wirtschaftszweiges zusammen. Ein weiteres gemeinsa- mes Merkmal ist die starke klein- und mittelständische Orientierung dieser Branche. Ein Problem liegt für die meerestechnische Branche darin, dass aufgrund der geringen Größe des heimischen Marktes ein nachhaltiges Wachstum der deutschen mee- restechnischen Betriebe nur im globalen Kontext möglich ist. Andererseits prognostiziert die Gesellschaft für Mari- time Technik für Deutschland bis 2005 im meerestechni- schen Bereich eine Verdopplung der Umsätze auf circa 3,5 Milliarden Euro. Eine Prognose, die mit lukrativen Entwicklungen in diesem Bereich zusammenhängt. Die Bundesregierung hat sich die Stärkung des mariti- men Standortes in Deutschland zum Ziel gesetzt. Auftakt des damit verbundenen Arbeitsprozesses war die Erste Na- tionale Maritime Konferenz 2000 in Emden. Als zentrale Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 245. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Juni 2002 24843 (C) (D) (A) (B) Herausforderung wurde damals die Identifikation von Vernetzungspotenzialen innerhalb der maritimen Wert- schöpfungskette erkannt. Damit wurde der entscheidenden Rolle von innovativen Netzwerken bei der Erhöhung der Produktivität einer Branche Rechnung getragen. Um das Kooperationsniveau im maritimen Bereich zu steigern, wurde im Juli 2000 ein maritimer Koordinator eingesetzt. Um Vernetzungspotenziale in der maritimen Wirtschaft zu erkennen und nutzbar zu machen, wurde vom Bundesmi- nisterium für Wirtschaft und Technologie eine Analyse in Auftrag gegeben, deren Ergebnisse und Implikationen kürzlich auf einer Fachkonferenz im BMWi diskutiert worden sind. Die Meerestechnik wird eine angemessene Berück- sichtigung im Vernetzungsprozess finden. Sie wird auch bei der kommenden nationalen maritimen Konferenz in Lübeck als ein Schwerpunkt thematisiert. Die Bundesre- gierung wird prüfen, ob – entsprechend einer Empfehlung der genannten Analyse zu Vernetzungspotenzialen – ein Internetportal für die deutsche maritime Wirtschaft zur besseren Vernetzung beitragen könnte. Ein solches Portal könnte auch den Bereich der Meerestechnik abdecken. Für den Bereich der Forschung und Entwicklung hat das BMBF das Internetportal für Schifffahrt und Meerestech- nik, das so genannte ma-tec-Netz bereits zur Verfügung gestellt. Die Bundesregierung wird auch weiterhin alles tun, um die Entwicklung der Meerestechnik zu fördern. Ein wich- tiger Ansatz hierbei ist die Unterstützung von F+E-Akti- vitäten, da die Entwicklung neuer Technologien die Grundvoraussetzung für die Wettbewerbsfähigkeit deut- scher Unternehmen darstellt. Die Meerestechnik profitiert in diesem Zusammenhang unter anderem von dem For- schungsprogramm der Bundesregierung „Schifffahrt und Meerestechnik für das 21. Jahrhundert“, das auch für klei- nere und mittlere Unternehmen konzipiert ist. Die Bundesregierung ist bereit, die internationale Ver- marktung der Produkte und Dienstleistungen deutscher Meerestechnik zu unterstützen. Deutsche Auslandsvertre- tungen und Außenhandelskammern können die konkreten Projekte flankieren. Auf Initiative des BMWi haben sich die wichtigsten Akteure der Außenwirtschaftsförderung zum „Serviceverbund Außenwirtschaft“ zusammengefun- den und sind im Internet-Außenwirtschaftportal iXPOS vertreten. Auslandsinvestitionen kleiner und mittlerer Un- ternehmen werden durch zinsgünstige Kredite im Rahmen des KfW-Mittelstandsprogramms Ausland erleichtert. Erfolgversprechend ist auch die Nutzung erneuerbarer Energien im maritimen Bereich, insbesondere der Off- Shore-Windenergie. Die Bundesregierung hat durch das Erneuerbare-Energien-Gesetz für die Entwicklung dieser Branche stabile Rahmenbedingungen geschaffen. Ziel des EEG ist es, den Anteil erneuerbarer Energien an der Stromversorgung bis zum Jahr 2010 zu verdoppeln. Um die erheblichen Potenziale von Offshore-Windparks mög- lichst schnell erschließen zu können und die nötigen Rah- menbedingungen zu schaffen, hat die Bundesregierung im Januar 2002 eine Strategie zur Windenergienutzung auf See vorgelegt. Eine mittel- und langfristige Steigerung der maritimen Aquakultur – oder so genannte Marikultur – zur Deckung des zunehmenden weltweiten Bedarfs an Nahrung, Eiweiß und den Wirkstoffen für die Pharmaindustrie erfordert ei- nen deutlich stärkeren Einsatz ökologisch verträglicher ge- schlossener Kreislaufanlagen. Derzeit bestehen in Deutschland jedoch nur geringe Erfahrungen mit Marikulturanlagen. Nach allen derzeit vorliegenden Pro- gnosen wird sich der Markt für solche Anlagen in den kommenden Jahren aber deutlich erhöhen. Hier ist ein wichtiges Betätigungsfeld mit Zukunftsorientierung für das Bundesministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft gegeben. Anlage 18 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Baugesetzbuches (Kommunale Rechte bei Windkraftanlagen stärken) (Tages- ordnungspunkt 21) Wolfgang Spanier (SPD): Der Gesetzentwurf zur Än- derung des Baugesetzbuchs hat durchaus einen sachlichen Hintergrund. Ich weiß aus der Erfahrung in meinem Wahl- kreis, dass es in vielen Gemeinden durchaus Konflikte gibt, dass es Initiativen gibt gegen die Errichtung von Windkraftanlagen, dass es äußerst problematische Anträge gibt mit Standorten, die zu einer Beeinträchtigung der Wohnbevölkerung führen. Wir müssen die Probleme der Bürgerinnen und Bürger ernst nehmen. Dieser Gesetzent- wurf ist hierfür aber vollkommen ungeeignet. Nach dem Regierungswechsel 1998 haben wir eine Wende in der Energiepolitik eingeleitet. Mehr Energieeffi- zienz und Klimaschutz sind die Hauptziele dieser Ener- giepolitik. Neben der Vereinbarung zum Atomausstieg, der ökologischen Steuerreform, dem Ausbau der Kraft- Wärme-Kopplung, der Energieeinsparverordnung, den Programmen zur Wohnraummodernisierung und zur CO2-Minderung ist die Förderung der erneuerbaren Energien, insbesondere durch das Erneuerbare-Energien-Gesetz, eine der wichtigsten energiepolitischen Initiativen. Langfristig ist nur eine Energieversorgung auf der Grundlage erneuerbarer Energien wirklich nachhaltig und zukunftsfähig. Der Ausbau der erneuerbaren Energien ist daher ein zentrales politisches Vorhaben. Überdies ist der Ausbau der erneuerbaren Energien auch beschäftigungs- politisch mittlerweile bedeutsam. Mehr als 100 000 Men- schen arbeiten in diesem Bereich. Wir haben den Beitrag der erneuerbaren Energien zu unserer Stromversorgung in den letzten vier Jahren von 4,6 Prozent auf 7,1 Prozent erhöhen können – ein Zu- wachs von mehr als 50 Prozent. Bis zum Jahr 2010 wol- len wir die Stromerzeugung aus Wind, Wasser, Biomasse, Geothermie und Solarenergie auf mindestens 12 Prozent erhöhen und weiter ausbauen. Wir unterstützen die Ziel- vorgabe der Europäischen Union, bis zur Mitte des 21. Jahrhunderts die Hälfte unseres Energiebedarfs aus er- neuerbaren Quellen zu speisen. Deutschland ist „Windweltmeister“. Gut ein Drittel der weltweiten Windkraftleistung gewinnt Deutschland. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 245. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Juni 200224844 (C) (D) (A) (B) Ende 2001 wurden bei uns 11 440 Windkraftanlagen mit einer Leistung von 8 754 Megawatt betrieben. Diese lie- ferten 3 Prozent des deutschen Stromverbrauchs und spar- ten 10 Millionen Tonnen CO2 ein. Die Anlagen werdenimmer effizienter und größer. In dieser Legislaturperiode hat sich die Zahl der Anlagen knapp verdoppelt, ihre Leis- tung hat sich jedoch fast vervierfacht. Im Windenergie- sektor sind rund 35 000 Menschen beschäftigt. Mittler- weile sind Windkraftanlagen ein deutscher Markenartikel und Exportschlager. Zwei gesetzliche Regelungen haben maßgeblich zu dieser Entwicklung beigetragen. Wir haben 1996 mit den Stimmen aller im Bundestag vertretenen Parteien die Vor- schrift zur Privilegierung von Windkraftanlagen im § 35 des Baugesetzbuches beschlossen. Im Jahre 2000 haben wir das Erneuerbare-Energien-Gesetz beschlossen und die Festlegung der Vergütung auf 9,1 Cent/kWh. Die Änderung des Baugesetzbuches von 1996 ermög- licht die Privilegierung von Windkraftanlagen und fordert die Gemeinden im Rahmen der Flächennutzungspläne auf, besondere Vorranggebiete für die Windenergienut- zung auszuweisen. Davon haben viele Gemeinden Ge- brauch gemacht – in Nordrhein-Westfalen sind es 60 Pro- zent der Gemeinden mit stark steigender Tendenz. Der vorliegende Gesetzentwurf von einer Gruppe von Abge- ordneten der CDU/CSU und der FDP will nun die Ände- rung des Baugesetzbuches erreichen, um auf diese Weise den Bau von Windkraftanlagen zu erschweren. Es ist schon auffällig, dass dieser Antrag weder von der Fraktion der CDU/CSU noch von der Fraktion der FDP unterstützt wird. Er hat auch nicht die Zustimmung der Fachpolitikerinnen und Fachpolitiker der beiden Fraktio- nen gefunden. Es ist auch deutlich, dass dieser Gesetzent- wurf wohl eher den Charakter eines Show-Antrages trägt. Weil natürlich den Antragstellern bewusst ist, dass eine Änderung des Baugesetzbuches nicht nur sorgfältig in den zuständigen Gremien des Bundestages beraten werden muss, sondern genauso sorgfältig in dem zuständigen Gremium des Bundesrates. Das ist allein vom zeitlichen Ablauf her von vornherein unmöglich. Deswegen ist allen Beteiligten klar, dass dieser Gesetzentwurf in dieser Le- gislaturperiode nicht mehr abschließend beraten und be- schlossen werden kann. Der Antrag gibt vor, die Planungshoheit der Kommu- nen stärken zu wollen. Die Vorschläge sind dafür untaug- lich. Das geltende Recht gibt den Gemeinden genügend rechtliche Möglichkeiten, die Genehmigung von Wind- kraftanlagen zu versagen, wenn öffentliche Belange be- einträchtigt werden. Die Länder Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg haben in jüngster Zeit noch einmal alle einschlägigen gesetzlichen Regelungen zusammen- gestellt, die von den Kommunen dabei zu beachten sind. Das gilt zum Beispiel für die TALärm, das gilt für andere emissionsrechtliche Schutzbestimmungen, das gilt auch für Umweltverträglichkeitsprüfungen, wenn mehrere An- lagen beantragt werden. Die Gemeinden verfügen also über genügend rechtliche Instrumente, um nicht sinnvolle Windkraftanlagen verhindern zu können. Allerdings ist eine wichtige Voraussetzung die Ausweisung von so ge- nannten Vorranggebieten innerhalb des Flächennutzungs- plans. Besonders problematisch ist der Vorschlag, den § 245 b BauGB zu ändern. Er sieht vor, Anträge über die Zuläs- sigkeit von Windkraftanlagen bis zum 31. Dezember 2003 zurückzustellen. Ursprünglich war vom Gesetzgeber eine Frist bis zum 31. Dezember 1998 eingeräumt worden, um Zeit zu haben für die Vorbereitung von entsprechenden Flächennutzungsplänen. Nach Ablauf der Frist vor über drei Jahren jetzt erneut eine Frist einzuräumen, um lau- fende Genehmigungsanträge zurückzustellen ist rechtlich nicht vertretbar. Die Gemeinden hatten seit In-Kraft-Treten der Privile- gierung von Windkraftanlagen vor nunmehr fünf Jahren ausreichend Zeit, ihre Flächennutzungspläne auf die neue Rechtslage einzustellen. Wir können nicht willkürlich ge- setzliche Änderungen vornehmen. Planungssicherheit ist ein hohes Rechtsgut – gerade auch auf der kommunalen Ebene. Der Antrag ist also in keiner Weise geeignet, die Planungshoheit der Kommunen zu verbessern. Es ist aber nur allzu offenkundig, dass es den Antrag- stellern darum auch gar nicht geht. Das eigentliche Ziel ist es, dass Erneuerbare-Energien-Gesetz auszuhöhlen. In den Wahlprogrammen von CDU/CSU und FDP wird deutlich, dass sie dieses Gesetz kippen wollen. Das ist natürlich auch kein Wunder. Wer die energie- politische Zukunft auf die Kernenergie setzt, der hat natürlich kein Interesse daran, die erneuerbaren Energien wesentlich auszubauen. Allerdings: Wer den Weg der Kernenergie gehen will, der muss zwei Fragen beantwor- ten. Erstens, wie er sich die Endlagerung vorstellt und zweitens, wie er sich die Genehmigung und den Bau von neuen Kernkraftwerken vorstellt, weil die bestehenden 19 Kernkraftwerke sicherlich in absehbarer Zeit – wenn die dauerhafte Nutzung der Kernenergie denn politisch gewollt ist – erneuert werden müssen. Der vorliegende Gesetzentwurf ist also aus fachpoliti- scher Sicht völlig untauglich. Das sehen auch die Fach- politiker von CDU/CSU und FDP so. Er ist letztlich nicht ernst gemeint, weil den Antragstellern völlig bewusst ist, dass die Änderung des Baugesetzbuches in dieser Legis- laturperiode allein schon aus zeitlichen Gründen über- haupt nicht mehr beschlossen werden kann. Und er gibt nur vor, die Planungshoheit der Kommunen erhöhen zu wollen – letztlich geht es um eine energiepolitische Wende rückwärts. Ich möchte zum Abschluss noch einmal betonen, dass wir die berechtigten Interessen von Anwohnern von Wind- kraftanlagen ernst nehmen. Wir wollen Belastungen ver- meiden. Deshalb ist es sicherlich richtig, in der nächsten Legislaturperiode, wenn wir ohnehin die Novellierung des Baugesetzbuches angehen müssen, auch noch einmal zu überprüfen, wie wir in dem einen oder anderen Punkt mög- licherweise Klarstellungen und damit Hilfen für die Ge- meinden erreichen können. Eines aber muss klar sein: Über das Baugesetz die Förderung der Windenergien auszuhe- beln, dass kann und darf nicht unser politisches Ziel sein. Sollte es allerdings Lücken geben, die wir schließen müssen, um Windkraftanlagen, die zur Beeinträchtigung der Wohnbevölkerung führen, leichter und schneller ver- hindern zu können, dann ist das sicherlich eine sinnvolle Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 245. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Juni 2002 24845 (C) (D) (A) (B) Aufgabe im Rahmen der Beratungen zur Novellierung des Baugesetzbuches. Voraussetzung ist eine sorgfältige Beratung im Bundestag und Bundesrat. Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten (CDU/CSU): Baden-Württemberg hat im Mai 2002 ein Signal gesetzt, indem der Planungsausschuss des Verbandes der Region Stuttgart mit breiter Mehrheit beschlossen hat, die Pla- nung von Windkraftanlagen bis auf weiteres zu stoppen. Für die Schwarzwaldregionen gibt es neue restriktive Richtlinien und andere Regionen in Baden-Württemberg werden folgen. Grund und Ursache war die Flut von An- trägen auf Bau von Tausenden von Windkrafträdern, auch in Baden-Württemberg. Und hier setzt der Antrag der Gruppe der Abgeordne- ten aus CDU/CSU und FDPmit immerhin 80 Mitgliedern des Deutschen Bundestages ein, die sich bereits im März 2002 zusammenfanden, um den Wildwuchs von Wind- krafträdern in den schönsten Teilen Deutschlands zu stop- pen. Wir wollen erreichen, dass nur mit vernünftiger Pla- nung, unter Abwägung von Grundsätzen entschieden wird, nämlich „die natürlichen Lebensgrundlagen für die zukünftigen Generationen zu erhalten“, und das in der Re- gel bei den entsprechenden Landschaften nicht durch Ver- schandelung, sondern durch Erhaltung der Unberührtheit der Landschaft. Auf der einen Seite kann dort, wo der Wind ständig und stark weht, durch Windkrafträder Energie erzeugt werden, die auch sinnvoll in die Netze einspeisbar ist, auf der an- deren Seite stehen die so genannten windarmen Gebiete – oft in landschaftlich reizvollen Gegenden, die der Erho- lungsfunktion der Bevölkerung, dem Gleichgewicht der Natur sowie der Flora und Fauna dienen, die nunmehr auch für Windenergie genutzt werden sollen. Durch mächtige Befürworter der Windenergie ist eine gigantische Industrie daraus geworden, die sich rühmt, Millionen Tonnen von Stahl zu verbrauchen – zweite Stelle nach der Automobilbranche – und Arbeitsplätze zu schaffen und die den Landschaftsverbrauch und die Ein- schränkung der Erholungsfunktion sowie die Gefährdung der Tierwelt und der Umwelt als gering einschätzt, ge- genüber dem wirtschaftlichen, ökonomischen und ökolo- gischen Wert von Windkraftanlagen. Profitstreben ist auch nichts Negatives, wenn andere nicht beeinträchtigt werden. Aber um in den windarmen Gegenden von West-, Mittel- und Süddeutschland Ener- gie zu einigermaßen vernünftigen ökonomischen Bedin- gungen zu erzeugen, müssen die geplanten Windkraft- anlagen zu „Riesenwindkraftanlagen“ mutieren, die immer höher und immer größer werden und dadurch wird die Beeinträchtigung der Landschaft unerträglich. So wird unumwunden von den Herstellern von Wind- krafträdern mitgeteilt, dass wenn die Nabenhöhe auf 50 oder 60 Meter beschränkt würde – damit eine Gesamt- höhe von 100 Metern erreicht würde – die Erzeugung von Strom aus Windkraft in windarmen Gegenden uninteres- sant sei. Deswegen sind die meisten neuen Windkraftan- lagen mit 100 oder 130 Metern Nabenhöhe, teilweise schon 160 Metern Nabenhöhe und damit Gesamthöhen von 130 bis 200 Metern geplant. Sie sind dadurch zum Teil wesentlich höher als der Kölner Dom – 157 Meter – und das Ulmer Münster – 161 Meter – und werden – nach dem Willen der Hersteller und Betreiber – in Zehntausen- den von Exemplaren quer über die Republik verteilt. Hier stimmt etwas nicht und dem wollen wir entgegenarbeiten. Bei der Verabschiedung der Änderung des § 35 Bun- desbaugesetzes wurde die Privilegierung unter anderem von Windkrafträdern aufgenommen, dabei aber deutlich in § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB die Gemeinden bzw. Pla- nungs- oder Regionalgemeinschaften ermächtigt, Stand- orte von Windenergieanlagen restriktiv zu steuern, indem in Flächennutzungsplänen, Bebauungsplänen oder auch Regionalplänen geeignete Standorte positiv festgelegt werden. Damit konnten andere Flächen ausgeschlossen werden, eine Ausnahme von der regelmäßigen Aus- schlusswirkung des § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB könnte nur bei Vorliegen besonderer Umstände zu bejahen sein. Über die Auslegung dieser regelmäßigen Ausschluss- wirkung gab es die verschiedensten verwaltungsrechtli- chen, aber auch juristische Meinungen, die zu den unter- schiedlichsten Entscheidungen führten. In den windarmen Gegenden Mittel- und Süddeutsch- lands wurden in der Regel keine „geeigneten Standorte“ ausgewiesen, weil bis zum Jahre 2000 nur wenige auf die Idee kamen, dort Windkrafträder zu errichten. Zu diesem Zeitpunkt war klar, dass Windkrafträder nur dort geplant werden können, wo der Wind im Durchschnitt sechs Me- ter pro Sekunde nicht unterschreitet. Erst mit dem neuen Einspeisungsgesetz der rot-grünen Regierung im Jahre 2000 wurden auch diese Standorte, durch besondere lang- fristige Garantien, lukrativ und die großen norddeutschen Windkraftunternehmen stürzten sich auf die Räume, die noch keine Vorzugszonen ausgewiesen hatten, um dort Windkrafträder aufzustellen. Alleine in Baden-Württem- berg liegen, nach einer überschlägigen Schätzung, circa 2000 Anträge vor. Weil es bei den Entscheidungen, die zum Teil noch nicht rechtskräftig sind, immer wieder um die Frage von Regel und Ausnahme geht, haben die Gesetzesinitiatoren die Änderung des § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB vorgeschla- gen, wonach bei Windkraftanlagen das ,,Regel-Aus- nahme-Verhältnis“ aufgehoben wird und ausgewiesene Vorranggebiete einen Ausschluss von andern Windkraft- anlagen, auch Einzelanlagen, bedeuteten. Diese, vom Ge- setzgeber schon 1996 gewollte Stellung der kommunalen Entscheidungsträger, wird dadurch verdeutlicht und klar- gestellt. So hat das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-West- falen im November 2001, bei der Frage von Vorzugs- gebieten bereits entschieden: Gemeinden haben bei dieser Ausweisung keine beson- dere Pflicht zur Förderung der Windenergie, sie sind auch nicht verpflichtet einen wirtschaftlich optimalen Ertrag der Windenergienutzung sicher zu stellen. Das bedeutet insbesondere, dass die Gemeinden oder die Kommunalen Entscheidungsträger nicht verpflichtet sind, gigantische Windkrafträder – in der Größenordnung von über 100 bis 200 Metern – zuzulassen weil nur in die- ser Höhe wirtschaftlich aus Wind Energie gewonnen wer- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 245. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Juni 200224846 (C) (D) (A) (B) den kann, wenn dadurch Landschaften großflächig in der Eigenart ihrer Schönheit und ihrer Erholungsfunktion be- einträchtigt werden. Die Beeinträchtigung von Menschen durch Geräusche, Windschatten und die optische, psychische Beeinträchti- gung durch sich dauernd drehende Flügel und bei Höhen ab 100 Metern in der Regel notwendige nächtliche Be- leuchtung, sind noch viel zu wenig untersucht worden. So urteilen die Gerichte unterschiedlich über Ortsabstands- grenzen zwischen 300 und 500 Metern. Nach Erkenntnis- sen von Arbeitsmedizinern müssten diese mindestens auf 1 000 Meter festgelegt werden. Dabei spielt die Haupt- windrichtung insbesondere in bevölkerungsarmen, ländli- chen Gebieten eine Rolle, weil es dort keinen Geräusch- pegel wie am Rande von Autobahnen, Städten oder Industriegebieten gibt. Gerade also dort, in den ruhigen und unberührten Ge- genden, wollen die Windkraftradbetreiber ihre Anlagen aufbauen, weil sie glauben, dort am wenigsten Rücksicht auf die dort lebenden Menschen und die Abstände zu Ge- meinden, Dörfern und Wäldern nehmen zu müssen. Der ökonomische Nutzen für Erbauer und Betreiber liegt in den hohen direkten und indirekten Subventionen, insbe- sondere in dem hohen garantierten Abnahmepreis, den der Bürger direkt als Verbraucher von Energie bezahlt. Dabei ist der ökologische Nutzen vom Windstrom höchst umstritten, weil in Deutschland nicht ein einziges Atomkraftwerk, nicht ein einziges Kohlekraftwerk oder sonstiges Energiekraftwerk und nicht ein einziger von den rund 300 000 häßlichen Strommasten abgebaut bzw. still- gelegt oder abgeschaltet werden kann, selbst wenn die utopische Zahl von 50 000 Windkrafträdern – derzeit sind es 11 000 – oder die Träume von Herrn Scheerer mit 166 000 Windkrafträdern wahr werden, denn „der Wind weht wann er will und nicht wenn der Strom gebraucht wird“! Eine naive Begründung ist, man würde dadurch Atom- kraftwerke oder Kohlekraftwerke stilllegen können, weil man ja durch den Verbund mit anderen Ländern notfalls von dort Strom bekomme. Dies ist schon ein Hohn für je- den denkenden Menschen, weil uns zugemutet wird, in Deutschland bei Windstille den billigen Atomstrom aus Frankreich oder sonstwoher zu beziehen. Die politischen Grenzen der Länder sind keine Grenzen der Luft und auch nicht der Atmosphäre. Der Verbrauch an Land, die Versiegelung oder Schot- terung von Zehntausenden von Kilometern Wegen, Hun- derttausenden von Kilometern Leitungen, die in den Bo- den getrieben werden, um den Strom marktgerecht anbieten zu können, die Hunderttausende von Tonnen Ei- senbeton, die für die Stabilität von Windkrafträdern, ins- besondere „Riesenwindkrafträdern“ aufgewendet werden müssen und die Millionen Tonnen von Stahl, die zur Er- richtung benötigt werden, werden alle nicht umwelt- freundlich erzeugt. Bei rund 400 Tonnen Stahl pro Anlage – und der Ver- brauch wird steigen, je größer die Anlagen werden – sind für die bestehenden 11 000 Anlagen rund 4 Millionen Tonnen Stahl erzeugt und verbraucht worden. Bei weite- ren geplanten 50 000 Anlagen wären es bereits 20 Millio- nen Tonnen Stahl. Hier darf man mit Fug und Recht fra- gen, ob die Ökobilanz noch stimmt. Auch die Auswirkung auf den Arbeitsmarkt ist nicht messbar, denn die angeblich 30 000 Arbeitsplätze, die durch Windkraftenergieanlagenbau gesichert werden, sind laut Wirtschaftsministerium eine Mogelpackung. Bei direkten oder indirekten Subvention von 3 Milliarden Euro pro Jahr – laut Wirtschaftsministerium – könnte man ohne weiteres 100 000 Menschen mit 30 000 Euro jähr- lich beschäftigen, die sich mit anderen sinnvollen öko- logischen Energieträgern, wie zum Beispiel Biomasse, Solartechnik, Wasserkraft und Brennstoffzellen beschäf- tigen. Dänemark, das viel gepriesene Vorreiterland, hat bereits einen Schlussstrich unter Windenergie gezogen. Dort werden praktisch keine neuen Windkraftanlagen mehr gebaut. Ein sehr emotional ausgetragener Streitpunkt ist auch der Schutz von Tieren, insbesondere Vögeln. Niemand will mehr verantwortlich sein für das Zitat in der „Welt am Sonntag“, 10. Februar 2002, in dem festgestellt wird, dass Naturschützer den Tod von bis zu 500 000 Vögeln jähr- lich bei den vorhandenen 11 000 Windkraftanlagen schät- zen, die zu gigantischen Zahlen bei weiteren 50 000 Windkraftanlagen führen würde. Es darf aber auch nicht nur auf die Zahl ankommen, sondern die Sache als solche, dass wir ohne Not, um angeblich die Natur zu schützen, andere auch durch das Grundgesetz geschützte Tiere wie Vögel in großem Umfang gefährden. Windkraftanlagenerbauer und Betreiber laufen Sturm gegen diese Behauptung und insbesondere die Forderung, Windkrafträder mit Schutzgittern zu versehen. Dies ist natürlich technisch möglich, aber teuer, und deswegen ist der Protest der Interessierten verständlich. Diesen Streit sollen die Naturschützer und Tierschützer mit den Herstellern und Betreibern von Anlagen austra- gen, weil es darum in dieser Initiative nicht geht. Wir wollen erreichen, dass die Kommunen wieder die Planungshoheit zurückgewinnen und gegebenenfalls auch mutig genug sein können, festzustellen, dass in ihrem Gebiet aus verschiedenen, aber natürlich stichhal- tigen Gründen, überhaupt keine Windkraftanlagen mög- lich sind oder sie auf bestimmte Gebiete zu beschränken sind. Dabei ist Ziel unserer Initiative, dass den Kommu- nen nicht mit der Argumentation der Wirtschaftlichkeit Riesenwindkraftanlagen als „Privilegiertes Muss“ auf- oktroyiert werden. Es gibt gute und stichhaltige Gründe, insbesondere die Einsehbarkeit auf Höhen oder großen Ebenen, dass die Windkrafträder auf 50 Meter Nabenhöhe beschränkt werden. Die Kommunen sind nicht verpflichtet, um nochmals das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen zu zi- tieren, für die Wirtschaftlichkeit der Windkraftbetreiber zu sorgen. Um den Kommunen die nötige Planungszeit und Si- cherheit zu gewähren, schlagen wir vor § 245 b BauGB insoweit zu ändern, dass Anträge für Windkraftanlagen bis Dezember 2003 zurückgestellt werden können. Bis dahin gibt es sicher auch neue Erkenntnisse über Immis- sions- und Emissionsbeeinträchtigungen und über die Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 245. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Juni 2002 24847 (C) (D) (A) (B) Frage der Gefährlichkeit von Windkraftanlagen. Dabei sollte berücksichtigt werden, dass neben Bränden von Windkraftanlagen, Abknicken durch Sturmwindschleu- dern von Eisenteilen und Abschleudern von Eisteilen bei Frost eine relativ große Gefährdung für Menschen aus- geht, sodass auch hier größere Abstände zu Straßen und begehbaren Wegen gefordert werden müssen. Völlig un- verständlich ist, dass diese Riesenwindkraftanlagen mit 400 bis 600 Tonnen Stahl, in Höhen bis zu 200 Metern, nicht regelmäßig einer TÜV-Prüfung unterworfen sind, wenn sie denn nach dem Willen der Hersteller und Be- treiber über Jahrzehnte genutzt werden sollen. Auch hier sollte der Gesetzgeber eingreifen. Ich selbst hege große Sympathien für Vorschläge aus den Reihen der CDU, aber auch insbesondere der FDPaus Nordrhein-Westfalen, die generelle Privilegierung in § 35 Abs. 1 Ziffer b BauGB für Windkraftanlagen abzuschaf- fen und diese Anlagen einer Einzelprüfung zu unterwer- fen. Wir wollen mit der Initiative versuchen, mit einem geringeren Eingriff, vernünftige Zustände in der Bundes- republik Deutschland herzustellen, sodass der Schritt der Aufhebung der Privilegierung erst dann gegangen werden müsste, wenn weiterhin die Planungshoheit der Gemein- den, in Bezug auf die Windkrafträder, eingeschränkt wird. Lassen Sie mich zum Schluss sagen: Windkraftanlagen gehören dorthin, wo der Wind so weht, dass eine Wind- kraftanlage ohne hohe Subventionen rentabel arbeiten kann. Die so eingesparten Subventionen für ungünstige Standorte, sollten als Zuschüsse für die Erzeugung von Bioenergie, Wärmekraftkopplungsanlagen, Solaranlagen, Wasserenergie und insbesondere die Entwicklung von Brennstoffzellen sinnvoll ausgegeben werden. Dann könnten wir unserem Ziel, eine Verbesserung der regenerativen Energien, die dann Strom oder Wärme er- zeugen, wenn man sie braucht, näher kommen und wür- den Menschen und Tiere, Landschaft und Umwelt scho- nen und den größeren Dienst erweisen. Mit diesen Ausführungen verabschiede ich mich nach zwölfjähriger Zugehörigkeit vom Deutschen Bundestag. Ich war gerne und leidenschaftlich Abgeordneter und be- danke mich für Entmutigung und Ermutigung bei den Kollegen aus verschiedenen Fraktionen. Mein Dank gilt aber insbesondere der Unterstützung durch meine eigenen Mitarbeiter, den Mitarbeitern der Arbeitsgruppen, der Fraktion und des Deutschen Bundestages insgesamt. Ich wünsche den Mitgliedern des 15. Deutschen Bundestages eine glückliche Hand für die Zukunft Deutschlands. Michaele Hustedt (BÜNDNIS 90/Die GRÜNEN): Die Förderung der erneuerbaren Energien ist einer der Er- folge der rot-grünen Bundesregierung. Gerade die Wind- energie hat einen sehr großen Anteil daran. Das werden auch Sie mit Ihrer energiepolitisch rückschrittlichen Sichtweise nicht übersehen können. In Ihrem Antrag verdrehen Sie die Fakten gründlich. Es ging 1995 in der Neufassung des § 35 des Baugesetzbu- ches nicht um eine grundsätzliche Privilegierung der Windenergie, sondern um die Gleichbehandlung der er- neuerbaren Energien mit anderen Elektrizitätsformen. Davor waren fossile und atomare Stromerzeugungsanla- gen privilegiert, umweltfreundliche und emissionsfreie Erneuerbare-Energie-Anlagen jedoch nicht. Dieser wi- dersinnige Umstand wurde damals korrigiert. Sie machen sich in Ihrem Antrag zum Fürsprecher für die Gemeinden, die angeblich unter den Windkraftanla- gen leiden. Dabei lassen Sie aber völlig außer Acht, wel- che Möglichkeiten vorhanden sind, um den Ausbau der Windenergie voranzutreiben, ohne dass es vor Ort zu Spannungen kommt. Der wichtigste Grundsatz ist immer gewesen, dass die Gemeinden vor Ort am besten wissen, wo sie Windenergieanlagen aufstellen sollten. Die Grund- lage einer Standortentscheidung ist immer die Eignung des Gebietes hinsichtlich des Windes, der Umwelt und der Anwohner. Und genau für diesen Abwägungsprozess bie- tet der existierende § 35 des Baugesetzbuches eine her- vorragende Grundlage. Kommunen können Vorrangge- biete ausweisen, auf denen Windenergieanlagen errichtet werden können. Dadurch gibt es eine Konzentration der Windenergieanlagen auf einen geeigneten Standort. Wenn solche Vorranggebiete ausgewiesen sind, können in den übrigen Gebieten Anträge auf Baugenehmigung von Windkraftanlagen mit Verweis auf eben diese Vorrangge- biete abgelehnt werden. Es bleibt in der Entscheidung der Kommune, ob sie diese Möglichkeit nutzen oder nicht. Das ist ein funktionierendes Planungsinstrument, an dem nicht ohne Not herumgepfuscht werden sollte. Besonders ärgert mich an Ihrem Antrag, dass Sie wie- der mit dem altmodischen Argument der „Verspargelung der Landschaft“ hausieren gehen. Sie haben sich anschei- nend immer noch keine Gedanken darüber gemacht, dass circa 12 000 Windkraftanlagen etwa 250 000 Hochspan- nungsmasten gegenüberstehen. Eine fortschrittliche Energiepolitik mit dezentraler Energieerzeugung führt auch zu einer Verringerung der Zahl der Hochspannungs- masten. Und außerdem tun Sie so, als wäre die Alterna- tive zur Windenergie die freie unberührte Natur. Das ist falsch. Die Alternative zur Windenergie sind Braunkohle- tagebaue, die quadratkilometerweise die Landschaft zer- stören, sind Atomkraftwerke und Kohlekraftwerke. Das bedeutet nicht nur Flächenverbrauch sondern auch Emis- sionen und strahlenden Abfall. Dieses Bild sollten Sie sich vor Augen halten, wenn Sie über Windenergie reden. Wir haben in dieser Legislaturperiode einen beispiello- sen Boom der erneuerbaren Energien angestoßen. Mit un- serer breit angelegten Förderung von Wind, Sonne, Bio- masse, Wasser und Erdwärme haben wir einen breiten Ansatz, der noch viel Entwicklungspotenzial hat. Wir ha- ben mit dem Erneuerbare-Energien-Gesetz ein Förderin- strument, das Vorbild für die Förderung erneuerbarer Ener- gien auf der ganzen Welt ist. Unsere Förderprogramme wie das Marktanreizprogramm und das 100 000-Dächer-Pro- gramm haben ein Vielfaches an Mittelausstattung vergli- chen mit den Förderprogrammen der alten Bundesregie- rung. Bis heute sind etwa 120 000 Arbeitsplätze angesichts der erneuerbaren Energien entstanden. Auch unsere Bilanz der letzten Wochen kann sich se- hen lassen: Wir haben den Deckel für Photovoltalik im Er- neuerbare-Energien-Gesetz auf 1 000 MW angehoben. Damit besteht jetzt Planungssicherheit für die Errichtung von Photovoltaikfabriken und damit auch Planungssi- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 245. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Juni 200224848 (C) (D) (A) (B) cherheit für neue Arbeitsplätze. Jetzt sind alle Biotreib- stoffe von der Steuer befreit. Mit der neuen Regelung wird die bisherige Steuerbefreiung von Pflanzenölen wie zum Beispiel Biodiesel auf alle biologische Treibstoffe ausge- dehnt. Dies betrifft unter anderem Biogas sowie syntheti- sches Benzin und Diesel aus fester Biomasse, Bioethanol, Biomethanol und Wasserstoff aus Biomasse. Das Bun- deskabinett hat beschlossen, die Fördermittel für das Marktanreizprogramm Erneuerbare Energien für 2003 um 30 Millionen Euro auf 230 Millionen Euro aufzu- stocken. Wenn ich mir neben diesen Erfolgsmeldungen Ihren Antrag anschaue, kommt mir noch eine Bürgeranfrage in den Sinn, die ähnlich weit daneben lag. Dort wurde nach dem Einfluss von Windkraftanlagen auf die Erdrotation gefragt. Marita Sehn (FDP): Ein Kampf gegen Windmühlen ist nicht zu gewinnen. Das ist historisch belegt und es gibt in diesem Hohen Hause wohl auch keine Ritter von einer traurigen Gestalt, die einen solchen Kampf aufnehmen wollen. Es geht nicht um ein Ja oder Nein zur Windenergie, sondern es geht darum, wie der Ausbau der Windenergie natur- und umweltverträglich erfolgen kann. Genau die- ses ist das Ziel des vorliegenden Antrages. Die massive Förderung von Windenergieanlagen hat in vielen Regionen zu regelrechten Mikadolandschaften ge- führt. Auch im Hunsrück, in der Eifel und in der Region Trier ist die Landschaft mittlerweile gespickt von Wind- rädern. Die anfängliche Begeisterung für die Windenergie ist längst einer Ernüchterung gewichen. Die Gemeinden und Kommunen sind gespalten in Befürworter und Geg- ner dieser Form der Energiegewinnung. Der Widerstand gegen den hemmungslosen Ausbau der Windenergie auf Kosten der Natur, auf Kosten der Landschaft und der Menschen wächst. Das EEG hat sich zu einem ökologi- schen Rohrkrepierer entwickelt. Die überzogene Förderung der Windenergie führt dazu, dass Betreiber von Windkraftanlagen mittlerweile bereit sind, fast jeden Preis für neue Standorte zu zahlen. Kann es Sinn und Zweck einer nachhaltigen Energiepoli- tik sein, aus kurzfristigen ökonomischen Überlegungen heraus langfristig die Landschaft und den Naturhaushalt zu zerstören? Wir reden heute nicht mehr von kleinen Windmühlen, sondern von riesigen Windkraftanlagen mit einer Höhe von über 200 Meter. Damit wird jede Form der Landschaftspla- nung ad absurdum geführt. In weiten Teilen Deutschlands ist ein weiterer Ausbau der Windenergie nicht mehr ver- tretbar. Das ungehemmte Windmühlenwuchern führt zu ei- nem zunehmenden Widerstand und Widerwillen gegen die Windenergie in der Bevölkerung. Er richtet sich gegen die Verschandelung der Landschaft, die Lärmbelästigung und den Schattenwurf. Die Windenergie hat in großem Maße an Akzeptanz und Sympathie verloren. Unsere Bürgerinnen und Bürger sind nicht gegen die Windenergie, aber sie sind gegen den Wildwuchs und den ungehemmten Landschaftsverbrauch durch immer neue Windkraftanlagen. Wir sollten deshalb alles in unserer Macht Stehende tun, dass der Ausbau der Windenergie na- tur- und landschaftsverträglich erfolgt. Die Energiewende hat die rot-grüne Bundesregierung in eine ideologische Sackgasse geführt: auf der einen Seite das Bundesnaturschutzgesetz und die Forderung nach Erhalt und Schutz von Natur und Landschaft um ih- rer selbst willen, auf der anderen Seite die Förderung ei- nes ungehemmten Windräderwachstums. Hier hat sich die grün-rote Katze ganz fest in den eigenen Schwanz verbis- sen. Windkraftanlagen gehören dorthin, wo sie am wenigs- ten stören und am meisten nutzen. In diesem Sinne kön- nen Off-Shore-Windparks eine interessante Alternative sein. Der vorliegende Antrag weist in die richtige Rich- tung. Die Planungshoheit muss bei den Kommunen und den örtlichen Planungsbehörden bleiben; denn das heißt im Endeffekt auch mehr Akzeptanz vor Ort. Für die Zu- kunft der Windenergie ist die gesellschaftliche Akzeptanz von ganz entscheidender Bedeutung. Warum sollen un- sere Steuerzahler mit 9,1 Cent pro Kilowattstunde die Zerstörung unserer Kulturlandschaft subventionieren? Noch ist es an der Zeit, die Weichen in eine Richtung für eine natur- und landschaftsverträgliche Nutzung der Windenergie zu stellen. Eine stärkere Einbindung der Kommunen und Gemeinden und damit der Menschen vor Ort ist erforderlich. Damit gelingt es, mehr Akzeptanz und damit mehr Zukunftssicherheit für die Windenergie zu er- reichen. Ich fordere Sie auf: Unterstützen Sie den vorlie- genden Antrag und lassen Sie uns den Ausbau der Windenergie natur-, landschafts- und damit auch bürger- verträglich gestalten! Windenergie für Mensch und Natur und nicht auf Kosten von Mensch und Natur – so sollte unsere gemeinsame Forderung lauten. Christine Ostrowski (PDS): 25 Abgeordnete der CDU und der FDPwollen das Baugesetzbuch ändern und damit die kommunalen Planungsrechte beim Bau von Windkraftanlagen stärken. Die Kollegen haben diesen Gesetzentwurf eingereicht, weil nach jetzigem Recht Windkraftanlagen privilegiert und erleichtert genehmi- gungsfähig sind: Wer Windkraftanlagen bauen will, hat einen Rechtsanspruch auf Genehmigung. Spannend ist, dass dieses Privileg aus dem Jahr 1996 stammt, also aus einer Zeit, in der dieselben Abgeordneten in Regierungs- verantwortung standen, die dieses Privileg jetzt wieder abschaffen wollen. Aber sei es drum. Mit der Regelung aus 1996 sollte grundsätzlich der Bau von Windkraftanla- gen in windreichen Regionen ermöglicht werden. Mittler- weile sind – durch neu eingeführte steuerliche Förderun- gen – Windparks auch an Standorten errichtet, die ursprünglich nicht angedacht waren. Ziel des Gesetzentwurfes ist es, die Entscheidungsfrei- heit von Kommunen in Hinblick auf die Standorte von Windkraftanlagen zu sichern und zu stärken. Dabei er- kennen die Einreicher die Notwendigkeit der Förderung erneuerbarer Energien an, allerdings nur, solange die In- teressen der Gemeinden gewahrt bleiben und negative Faktoren wie Beeinträchtigung des Landschafts- und Ortsbildes, Lärmbelästigung, Schattenwurf und Sonnen- reflektion nicht überwiegen bzw. eingedämmt werden. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 245. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Juni 2002 24849 (C) (D) (A) (B) Ein „Wildwuchs“ von Windkraftanlangen soll vermie- den werde. Im Einzelnen geht es um folgende Änderungen: Erstens. Beim Bauen im Außenbereich, speziell bei Windkraftanlagen, soll neu geregelt werden, dass Wind- kraftanlagen öffentlichen Belangen nicht nur in der Regel, sondern generell entgegenstehen, wenn im Flächennut- zungsplan oder in Raumordnungszielen der Gemeinde bereits eine Ausweisung an anderer Stelle erfolgt oder vorgeschlagen ist. Zweitens. Bei den Überleitungsvorschriften für Vorha- ben im Außenbereich, speziell für Windkraftanlagen, soll die Frist für die Gemeinden, eine Entscheidung über die Zulässigkeit von Windkraftanlagen auszusetzen, von 1998 auf 2003 verlängert werden, wenn die Gemeinde be- schlossen hat, einen Flächennutzungsplan aufzustellen, zu ändern oder zu prüfen, bzw. wenn die Raumordnungs- behörde eine Änderung der Aufstellung, Änderung oder Ergänzung von Zielen der Raumordnung zu Windener- gieanlagen eingeleitet hat. Aber andererseits stellt der Deutsche Städtetag in sei- ner Stellungnahme vom April 2002 fest, dass die pla- nungsrechtlichen Steuerungsmöglichkeiten für die Ge- meinden ausreichen; sie müssten von den Gemeinden nur konsequent angewendet werden. Der Städtetag verweist auf den so genannten Planvorbehalt, mit dem die Ge- meinden Vorranggebiete oder Auschlussgebiete für die Windkraftanlagen ausweisen können. Die Gemeinden sollten sich bemühen, ein schlüssiges Planungskonzept zur Ausweisung bzw. Nichtzulässigkeit von Windkraftan- lagen rechtzeitig zu erarbeiten, und mit den Nachbarge- meinden abzustimmen. Darüber hinaus böten Baunut- zungsverordnungen und Bauordnungen der Länder ausreichend Spielraum, über Größe, Höhe und Abstands- kriterien von WKAzu bebauten Gebieten zu entscheiden. Die angestrebte Gesetzesänderung konkretisiert je- doch „in der Rangfolge“. Sie stellt richtigerweise die Raumordnung und den Flächennutzungsplan als überge- ordnetes Ziel voran, dem auch der Bau von Windkraftan- lagen untergeordnet werden soll. Windkraftanlagen wer- den damit nicht verhindert. Aber der übergreifende Aspekt von Raumordnung und Flächennutzung wird ge- stärkt. Raumordnung und Flächennutzungsplan als überge- ordnete Ziele wurden und werden, wie die Praxis zeigt, oft genug vergewaltigt, besonders wenn es um Ansiedlungen von Unternehmen, um den Bau von Gewerbeparks und Einkaufszentren, den Bau von Eigenheimsiedlungen geht. Wenn Investoren winken und die Gemeinde glaubt, einen Vorteil im ökonomischen Wettbewerb zu erzielen, werden in der Regel Flächennutzungspläne im Handumdrehen geändert, wird an Raumordnung nicht mehr gedacht. Dieser reale Zustand hat Sie, die Sie plötzlich auf die übergeordneten raumordnerischen Ziele hinsichtlich des Baus von Windkraftanlagen bestehen, weder in ihrer Re- gierungszeit besonders beunruhigt, noch beunruhigt es Sie es jetzt. Mich beunruhigt es aber. So gern ich ihren vernünftig scheinenden Gesetzesänderungen zustimmen möchte, es macht mich stutzig, dass Sie die gleiche Sorge bei ande- ren großen Bauvorhaben nicht äußern, die Sie haben, wenn Bauvorhaben in die Stadtplanung, die Flächennut- zung, die Umwelt und Raumordnung in gleich störendem Maß oder in größer störendem Maße eingreifen als die Windkraftanlagen. Und so bleibt ein leicht bitterer Beigeschmack. Ob es Ihnen nicht doch nur darum geht, Rot-Grün eins auszuwi- schen? Doch es ist ja erst die erste Lesung, wir müssen noch nicht entscheiden. Ich freue mich auf die fachpolitische Diskussion in den Ausschüssen. Da werde ich ja sehen, ob Ihnen die übergeordneten Ziel der Raumordnung und der Flächennutzung wirklich so viel wert sind, wie Sie uns hier mit diesem Gesetzentwurf glauben machen wollen. Anlage 19 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Einrichtung eines Registers über unzuverlässige Unternehmen (Tagesordnungspunkt 12) Klaus Wiesehügel (SPD): Würde es die Opposition insbesondere von CDU/CSU und FDP in diesem Hause ernst meinen mit der Bekämpfung illegaler Beschäftigung und Schwarzarbeit, mit einem der Hauptprobleme, unter dem vor allem die Baubranche seit Jahren leidet, dann könnten wir uns diese heutige Debatte wahrlich sparen. Diese Regierung hat der illegalen Beschäftigung und Schwarzarbeit von Anfang an den Kampf angesagt. Das ist ein Problem, das über Jahre von der heutigen Opposi- tion verschleppt und durch ihre damalige Politik ver- schärft wurde. Und nun, wo wir die Hausaufgaben ge- macht haben, stellt sich die Opposition ein weiteres Mal hin und blockiert, – dazu noch untereinander uneins – zen- trale Gesetzesvorhaben – wie das Gesetz zur Tariftreue im Bundesrat. Da sie dieses mehr als notwendige und über- fällige Gesetz blockiert bringen wir das heutige Gesetz zur Einrichtung eines Registers über unzuverlässige Un- ternehmen, das Bestandteil des Tariftreuegesetzes ist, als eigenständiges Gesetz ein. Uns allen sollte klar sein: Mit Unternehmen, die sich il- legaler Praktiken bedienen, will und darf der Staat kein Geschäft machen. Wem dies klar ist, der sollte mit uns ge- meinsam dafür sorgen, dass korrupte oder in sonstiger Weise unzuverlässige Unternehmen keine öffentlichen Aufträge mehr bekommen. Das wollen wir mit dem Kor- ruptionsregister erreichen. Es ist doch eigentlich eine Selbstverständlichkeit, ja sogar geltendes Recht, dass an unzuverlässige Unterneh- men keine öffentlichen Aufträge erteilt werden dürfen. Gerade die öffentliche Hand hat eine besondere Vorbild- funktion. Leider ist es aber so, dass aufgrund der Vielzahl von Stellen in Deutschland, die öffentliche Aufträge ver- geben – dies sind circa 35 000 –, die Bekämpfung illega- ler Beschäftigung an dieser Stelle nicht effektiv genug ist und hier eine erhebliche Schwachstelle besteht. Diesem Missstand müssen wir ein Ende machen. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 245. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Juni 200224850 (C) (D) (A) (B) Durch die Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbs- beschränkungen werden wir gewährleisten, dass öffentli- che Auftraggeber bei der Vergabe öffentlicher Aufträge Kenntnis über die Zuverlässigkeit der Unternehmen er- langen. Ziel ist es, dass an unzuverlässige Unternehmen keine öffentlichen Aufträge erteilt werden dürfen. Unter- nehmen, denen schwere Verfehlungen – wie beispiels- weise Korruption, illegale Beschäftigung, Schwarzarbeit oder Verstöße gegen die Tariftreueregelung – nachgewie- sen werden können, werden in dieses Register aufgenom- men und können dann von der Vergabe öffentlicher Auf- träge ausgeschlossen werden. Das Gesetz wird zwei ganz wesentliche Folgen haben. Erstens. Wir bekommen mit der Einrichtung des Registers unzuverlässige Unternehmen mehr Transparenz in das öf- fentliche Auftragsverfahren. Das ist für alle Beteiligten von Vorteil. Zweitens. Wir werden eine erhebliche Ab- schreckungswirkung auf Unternehmen erzielen, die sich illegaler Praktiken bedienen. Ich fordere Sie deshalb nachdrücklich auf, Sorge dafür zu tragen, dass in Zukunft mit Unternehmen, die sich ille- galer Praktiken bedienen, keine Geschäfte der öffentli- chen Hand gemacht werden. Leisten Sie auch ihren Bei- trag zur wirksamen Bekämfpung von Korruption und illegaler Beschäftigung. Machen Sie mit. Sorgen Sie für Recht und Ordnung auf dem Arbeitsmarkt und dafür, dass gute Jobs besser geschützt werden. Stimmen Sie dem heu- tigen Gesetzentwurf zu. Werner Schulz (Leipzig) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Die Koalition bringt ein eigenständiges Gesetz über ein Korruptionsregister auf den Weg. Die Schaffung eines Registers über unzuverlässige Unternehmen wird von der Union blockiert. Unternehmen, die der Beste- chung überführt worden sind, sollen darin erfasst werden, damit sie von öffentlichen Aufträgen ausgeschlossen wer- den können. Diese Regelung ist Teil des Tariftreuegeset- zes, das von der Union im Bundesrat blockiert wird. Wir hatten auf eine Einigung zum Tariftreuegesetz im Vermittlungsausschuss gehofft – eine Regelung, die die Interessen Ostdeutschlands berücksichtigt. Leider blockieren FDP und Union hier – obwohl viele unionsge- führte Länder selbst Tariftreuegesetze haben. Bayern hatte im Dezember 2000 eine entsprechende Bundesrats- initiative gestartet. Jetzt ist Bayern dagegen. Das verstehe wer will. In vielen – auch unionsgeführten – Ländern be- stehen bereits Korruptionsregister dennoch sprechen Union und FDP sich gegen unser Gesetzesvorhaben aus. Offensichtlich haben Union und FDP kein Interesse da- ran, wirksame Instrumente zur Korruptionsbekämpfung einzuführen – obwohl 80 Prozent der Bürgerinnen und Bürger dies wollen, obwohl internationale Initiativen ge- gen die Korruption wie Transperancy International unser Gesetzesvorhaben unterstützen. Bündnis 90/Die Grünen stehen für transparente Verfah- ren, auch bei der Vergabe öffentlicher Aufträge. Nach dem Gesetzentwurf wird beim Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle ein Register über unzuverlässige Unter- nehmen eingerichtet, die von öffentlichen Auftraggebern wegen Unzuverlässigkeit von der Vergabe öffentlicher Aufträge ausgeschlossen worden sind. Öffentliche Auf- traggeber werden damit in die Lage versetzt, das geltende Vergaberecht besser anzuwenden. Sie können erfahren, welche Unternehmen sich Korruptionsdelikten schuldig gemacht haben, Damit können diese auf der Grundlage des geltenden Vergaberechtes von der Auftragsvergabe ausge- schlossen werden. Öffentliche Aufträge sind an zuverläs- sige, fachkundige und leistungsfähige Unternehmen zu vergeben. Wer sich der Bestechung, wettbewerbsbe- schränkender Absprachen oder des Betruges schuldig ge- macht hat, ist nicht zuverlässig. Die Aufnahme in das Korruptionsregister bedeutet nicht den automatischen Ausschluss von der Erteilung öf- fentlicher Aufträge. Er gibt den vergebenden Stellen In- formationen darüber, dass ein bestimmtes Unternehmen bereits von der Vergabe öffentlicher Aufträge ausge- schlossen worden. Diese Information ermöglicht es der vergebenden Stelle umso genauer zu prüfen, ob das Un- ternehmen das im Vergaberecht vorgesehene Kriterium der Zuverlässigkeit erfüllt. Die Einführung des Korrupti- onsregisters wird einen wichtigen Beitrag zur Bekämp- fung der Korruption in Deutschland leisten. Die überwie- gende Mehrheit der legal arbeitenden Unternehmen werden damit besser als bisher vor illegal arbeitenden Konkurrenten geschützt. Gudrun Kopp (FDP): Die rot-grüne Bundesregierung will noch während der letzten Sitzungstage ihrer Regie- rungsmacht ein weiteres weit reichendes Gesetz im Eil- gang durch den Deutschen Bundestag peitschen. Das Gesetz über die Einrichtung eines Registers über unzuverlässige Unternehmen und die Korruptionsregis- ter-Verordnung werfen viele rechtlich höchst brisante Fra- gen auf, die für die Existenz von Firmen und ihre Arbeits- plätze von entscheidender Bedeutung sein können. Deshalb ist hier besondere Sorgfalt und intensive Bera- tung erforderlich, um schwerwiegende Fehler zu vermei- den. Zu einer solchen sorgfältigen Erörterung aller rele- vanten Fragen gehört für die FDP unverzichtbar die Einholung von Expertenrat in Form einer Anhörung. Rot- Grün sah aber keine solche zwingende Notwendigkeit und hätte auf eine Anhörung aus Zeitmangel gern ver- zichtet. Besonders von der FDP kam aber Widerstand und nicht nur die Forderung nach einer Anhörung, sondern auch nach einem formal korrekten Beratungsverfahren. Die Regierungsfraktionen muten nun den Ausschussmit- gliedern und den anzuhörenden Experten zu, sich inner- halb nur eines Werktages auf die Anhörung vorzubereiten. Das hat es im Deutschen Bundestag noch nie zuvor gege- ben und ist ein besonderer Ausweis von unsachgemäßer, beinahe fahrlässiger politischer Arbeit. Die gegenwärtigen Fassungen des Gesetzentwurfs und des Korruptionsregisters werfen Fragen auf, die umfas- send beantwortet werden müssen: Die Bundesregierung muss darlegen, weshalb das an- gepeilte Ziel nicht durch bereits vorhandene Instrumente, nämlich das Bundeszentralregister bzw. das Gewerbezen- tralregister, erreicht werden kann. Jede Einrichtung eines neues Registers führt zu zusätzlicher Bürokratie, Intrans- parenz und verlängert Entscheidungswege, was zulasten Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 245. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Juni 2002 24851 (C) (D) (A) (B) der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit in der Bundesre- publik Deutschland geht. Die rechtliche Zuverlässigkeit der Ausschreibungsteilnehmer wird für Bauaufträge ab 5 Millionen Euro schließlich auch jetzt schon durch die Vorlage aktueller Auszüge aus dem Bundeszentral- bzw. Gewerbezentralregister geprüft. Bei dem Regierungsvorhaben handelt es sich nicht um ein reines Korruptionsregister, sondern um ein Register, in dem nach § 2 Korruptionsregister-Verordnung alle möglichen Verstöße aufgeführt sind, unter anderem wett- bewerbsbeschränkende Absprachen und illegale Beschäf- tigung. Eine Eintragung in ein Register darf es aber nur bei rechtskräftiger Verurteilung geben. Die Vermutung ei- ner Verfehlung kann nicht ausreichen. Das würde auch der in unserem Rechtssystem zu Recht verankerten Un- schuldsvermutung widersprechen. Die Löschung aus dem Register ist ebenso wie die Handhabung von Fällen fehlerhafter Eintragungen oder die Möglichkeit der Beschreitung des Rechtsweges gegen die Eintragung nicht klar geregelt. Es darf nicht im Er- messen jedes einzelnen Vergabebeamten liegen, ob er Un- ternehmer an einer Vergabe ausschließt. Korrekturmecha- nismen gegenüber dem Register müssen konkret benannt werden; der Rechtsweg gegen unberechtigte Eintragun- gen muss sichergestellt werden. Es besteht angesichts des weiten Ermessens öffentlicher Verwaltungen die Gefahr, dass Anbieter aus fremden Bundesländern oder Landkrei- sen gezielt benachteiligt werden bzw. „Heimatanbieter“ begünstigt werden. Ein sehr großes Problem wirft auch die Übertragung der Vorschrift auf Nachunternehmer auf. Zum einen muss der Hauptauftragnehmer gezwungen werden, seinen Nachunternehmer zu benennen. Zum anderen erfährt er automatisch im Falle einer Ablehnung eines Nachunter- nehmers, dass dieser aus Sicht der öffentlichen Verwal- tung „unzuverlässig“ ist. Daraus ergeben sich Konflikte mit dem Datenschutz. Ursula Lötzer (PDS): Zunächst einmal möchte ich feststellen: Dass wir heute erneut in erster Lesung über das Korruptionsregister beraten, liegt an der Verweige- rungshaltung der CDU/CSU-geführten Länder gegenüber dem Tariftreuegesetz im Bundesrat. Der ÖPNV soll aus- geschlossen werden. Da sollen wohl erst Dumpingzu- stände wie auf dem Bau herbeigeführt werden, bevor Sie über Tariftreue nachzudenken bereit sind. Da soll der re- präsentative Tarifvertrag ausgeschlossen werden. Damit würden Sie Dumping über die Konkurrenz von Tarifver- trägen forcieren. Obwohl es in Bayern ein Tariftreuege- setz gibt, lehnen Sie es jetzt im Bundesrat ab. Wir werden in der Konsequenz im Wahlkampf deutlich machen, was Sie für soziale Demokratie und die Lebens- und Arbeits- bedingungen der Menschen mit dieser Haltung übrig ha- ben. Sie verweigern den Betrieben den Schutz vor ruinö- sem Wettbewerb und bieten den Menschen und ihren Familien Armut trotz Arbeit. Das ist nicht auf den Bau und den öffentlichen Personennahverkehr beschränkt. Ihre Angriffe auf den Flächentarifvertrag im Wahlprogramm werden alle in diese Abwärtsspirale hineinziehen. Aber jetzt zum vorgelegten Entwurf zum Korruptions- register. Öffentliche Auftragsvergabe ist zurzeit als Selbstdienungsladen für Politikerinnen und Parteien im Gespräch. Während man den Beschäftigten den sozialen Schutz raubt, sind Unternehmen offensichtlich bei Politi- kerinnen und Politikern freigebig. Es geht hier nicht um die Verfehlungen Einzelner. Der Korruptionswahrneh- mungsindex, den Transperency International jährlich er- stellt, zeigt: In Deutschland wird immer mehr geschmiert. Seit 1995 ist Deutschland von Platz 13 der Liste auf Platz 20 abgestiegen, hinter Chile, Finnland und Sin- gapur, knapp vor Botswana. Wer so laut, wie die Vertreter der Bundesregierung nach „Good governance“ in Ent- wicklungsländern ruft, sollte erst einmal vor der eigenen Haustür gründlich kehren. Korruption hebelt den Wettbewerb zwischen Unter- nehmen aus und belastet die Kommunen und damit die Bürgerinnen und Bürger mit hohen Kosten und Über- schuldung. Kleine und mittelständische Unternehmen werden oft ausgeschlossen, da ihnen die notwendigen Mittel fehlen. Die Privatisierungswelle und Public-Pri- vate-Partnership-Modelle sind der Nährboden, auf dem Korruption zunehmend gedeiht. Die Konkurrenz um die lukrativen Märkte der öffentlichen Daseinsvorsorge tobt heftig. Insofern sind wirksame Schritte gegen Korruption längst überfällig. In verschiedenen Bundesländern sind bereits Korruptionsregister eingeführt. Allerdings ist de- ren Verbindlichkeit sehr eingeschränkt. Das bundesweite Korruptionsregister ist ein Schritt, den wir begrüßen. Es kann nicht sein, dass eine Firma in Köln wegen Korrup- tion auffällt und in Frankfurt oder Leipzig dann den nächsten Auftrag mit Bestechung erhält. Allerdings fehlt uns auch in diesem Gesetz die Ver- bindlichkeit. Es fehlen die Sanktionen. Wir halten einen zwingenden befristeten Ausschluss für dringend erforder- lich. Es fehlen Maßnahmen für mehr Transparenz in der öffentlichen Auftragsvergabe und im Hinblick auf das Re- gister. Auch Unternehmen müssen durch regelmäßige öf- fentliche Auskunft über Beraterverträge und Spenden in die Korruptionsbekämpfung einbezogen werden. Wiedergewinnung von Akzeptanz setzt entschlossenes Handeln gegenüber Korruption voraus. Deshalb fordere ich Sie auf, in diesem Sinne nachzubessern. Die An- hörung nächste Woche wird Ihnen das sicherlich erleich- tern. Dr. Ditmar Staffelt, Parl. Staatssekretär beim Bun- desminister für Wirtschaft und Technologie: Ihnen liegt heute der Entwurf eines Gesetzes zur Einrichtung eines Registers über unzuverlässige Unternehmen in erster Le- sung vor. Wenn Ihnen die Vorschriften bereits bekannt vorkommen, so ist das kein Zufall. Die vorgeschlagenen Regelungen zur Schaffung einer Ermächtigungsgrund- lage für ein Korruptionsregister haben Bundesregierung und Regierungsfraktionen schon einmal – zusammen mit dem Tariftreuegesetz – eingebracht. Leider scheitert das Tariftreuegesetz im Bundesrat an den unionsregierten Ländern. Der Widerstand dieser Länder richtet sich aber allein gegen das Tariftreuegesetz. Gegen die Vorschläge Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 245. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Juni 200224852 (C) (D) (A) (B) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 245. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Juni 2002 24853 (C) (D) (A) (B) zum Korruptionsregister sind noch keine Bedenken vor- gebracht worden. Da eine entschlossene Korruptions- bekämpfung dieser Bundesregierung ein besonderes Anliegen ist, bringen wir die Vorschläge zum Kor- ruptionsregister nun noch einmal – ohne die Bestimmun- gen zum Tariftreuegesetz – ein. Lassen Sie mich – auch wenn das heute eigentlich nicht das Thema ist – doch zwei Worte zum Tariftreuegesetz sagen. Es ist bedauerlich und den Menschen in Deutschland kaum vermittelbar, dass die Opposition unser Bundes-Tariftreuegesetz aus wahl- kampftaktischen Gründen stoppt, obwohl sie selbst in Bayern, im Saarland und anderswo gute Erfahrungen da- mit macht. Nachdem ihr wegen ihrer eigenen Tariftreuegesetze in der Arbeitsgruppe des Vermittlungsausschusses die Argu- mente gegen unser Tariftreuegesetz ausgegangen sind, hat sich die Opposition auf folgende Abwehrlinie verständigt: „Tariftreue für den Bau ja – für den ÖPNVaber nein.“ Das mag ihr vielleicht vordergründig aus der Patsche helfen, da die Tariftreuegesetze Bayerns und des Saarlandes nur für den Bau gelten. In der Sache aber leistet sie einen Of- fenbarungseid. Warum soll etwas, was sie im Baubereich für richtig erkannt hat, im ÖPNV denn falsch sein? Doch nicht etwa, weil das Kind im ÖPNV – anders als im Baubereich – noch nicht in den Brunnen gefallen ist. Will die Opposition denn wirklich warten, bis im OPNV Verhältnisse herrschen wie auf dem Bau? Die Liberalisierung des ÖPNV auf EU-Ebene führt bei Tausenden von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern und ihren Familien zu Verunsicherung und Existenz- ängsten. Ich appelliere an die Opposition: Spielen Sie nicht mit den Ängsten der Menschen – helfen Sie uns, dass der soziale Schutz in diesem Bereich erhalten bleibt. Durch das Gesetz zur Einrichtung eines Korruptions- registers wird beim Bundesamt für Wirtschaft und Aus- fuhrkontrolle ein Register über unzuverlässige Unterneh- men eingerichtet. Die Bundesregierung wird ermächtigt, Einzelheiten durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates zu regeln. Eine entsprechende Rechts- verordnung wird von meinem Ministerium gerade erar- beitet. Heute wird unser Entwurf mit den anderen Res- sorts und den Verbänden diskutiert. An unzuverlässige Unternehmen dürfen öffentliche Aufträge nicht erteilt werden – das ist schon lange gelten- des Recht. Es gibt in Deutschland aber etwa 35 000 Stel- len, die öffentliche Aufträge vergeben: Kommunen, Kran- kenhäuser, Stadtwerke usw. Ist ein Unternehmen bei einem dieser öffentlichen Auftraggeber wegen schwerer Verfehlungen aufgefallen, erfahren die anderen öffentli- chen Auftraggeber davon oft nichts. Eine effektive Bekämpfung illegaler Praktiken bei öffentlichen Aufträ- gen kann deshalb bislang nicht gewährleistet werden. Das wird jetzt anders: In dem neuen Register werden alle Unternehmen erfasst, die wegen Korruption oder an- derer Wirtschaftsdelikte von öffentlichen Aufträgen aus- geschlossen worden sind. Alle öffentlichen Auftraggeber werden so von derartigen Verstößen Kenntnis erhalten und das betroffene Unternehmen so lange von öffentli- chen Aufträgen ausschließen, bis es seine Zuverlässigkeit nachweislich wiederhergestellt hat. Das Korruptionsregis- ter wird auf diese Weise – wie die Vorbilder in einzelnen Bundesländern zeigen – eine erhebliche Abschreckungs- wirkung auf die Unternehmen ausüben. Ich kenne die Stimmen, die sagen, unser Informations- Register reiche nicht aus. Sie wollen Unternehmen, die schwere Verfehlungen begangen haben, automatisch für öffentliche Aufträge sperren – für mindestens drei Jahre: Ich denke, das ginge zu weit: Wenn man einen Straßen- baubetrieb für drei Jahre von öffentlichen Aufträgen aus- schließt, gibt es diesen Betrieb nicht mehr. Die Arbeit- nehmerinnen und Arbeitnehmer stehen auf der Straße. Das kann aber nicht Ziel unserer Korruptionsbekämpfung sein. Darum meine ich: Wenn ein öffentlicher Auftragge- ber vom Register die Nachricht erhält, dass ein Unterneh- men wegen Unzuverlässigkeit ausgeschlossen worden ist, muss er seinerseits sorgfältig prüfen, ob die Gründe für ei- nen Ausschluss noch fortbestehen. Nur so haben die Un- ternehmen eine Chance, effektiv gegen schwarze Schafe in ihren Reihen vorzugehen. Nur so verhindern wir, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer unter Fehltrit- ten der Unternehmensführung unangemessen zu leiden haben. Der vorliegende Vorschlag für ein Register über unzu- verlässige Unternehmen stellt eine ausgewogene Rege- lung dar, die sich auf positive Erfahrungen in vielen Bun- desländer stützen kann. Dazu gehören auch die unionsregierten Länder Bayern, Baden-Württemberg, Hessen und Hamburg. Die Schaffung eines entsprechen- den Registers auf Bundesebene wird schon seit Jahren ge- fordert: Ich erinnere nur an den Beschluss der Innenminis- terkonferenz vom 5. Mai 2000. Lassen Sie uns ein entschlossenes Zeichen setzen ge- gen Korruption und Wirtschaftskriminalität. Lassen Sie dieses Projekt nicht aus wahlkampftaktischen Gründen scheitern. Druck: MuK. Medien- und Kommunikations GmbH, Berlin
Gesamtes Protokol
Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1424500000
Guten Morgen, liebe
Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.

Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, möchte ich
den Kollegen Friedhelm Ost, Wolfgang Zöller und
Lothar Fischer (Homburg), die kürzlich ihren 60. Ge-
burtstag feierten, nachträglich im Namen des Hauses sehr
herzlich gratulieren und alles Gute wünschen.


(Beifall)

Gemäß § 7 Abs. 3, 5 und 6 des Gesetzes über die inte-

grierte Finanzdienstleistungsaufsicht sind vom Deutschen
Bundestag fünf Mitglieder sowie Stellvertreter für den
Verwaltungsrat der Bundesanstalt für Finanzdienstleis-
tungsaufsicht, die am 1. Mai 2002 ihren Dienst aufge-
nommen hat, zu benennen. Hierfür werden von der Frak-
tion der SPD die Kollegen Hans-Eberhard Urbaniak
und Jörg-Otto Spiller als ordentliche Mitglieder und die
Kolleginnen Dr. Konstanze Wegner und Nina Hauer als
stellvertretende Mitglieder, von der Fraktion der
CDU/CSU die Kollegin Gerda Hasselfeldt und der Kol-
lege Heinz Seiffert als ordentliche Mitglieder und die
Kollegen Bartholomäus Kalb und Otto Bernhard als
stellvertretende Mitglieder, von der Fraktion des Bündnis-
ses 90/Die Grünen die Kollegin Christine Scheel als or-
dentliches Mitglied und die Kollegin Antje Hermenau
als stellvertretendes Mitglied vorgeschlagen. Sind Sie da-
mit einverstanden? – Ich höre keinen Widerspruch. Dann
sind die genannten Kolleginnen und Kollegen als Mit-
glieder in den Verwaltungsrat entsandt.

Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene
Tagesordnung zu erweitern. Die Punkte sind in der Ihnen
vorliegenden Zusatzpunktliste aufgeführt:

1. Aktuelle Stunde: auf Verlangen der Fraktionen der SPD und
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Weitere Maßnahmen
der Bundesregierung zur Förderung des Mittelstandes

(siehe 244. Sitzung)



(Bayreuth)

weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Politik für
ein mobiles Deutschland – Drucksache 14/9551 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (f)

Finanzausschuss

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder
Haushaltsausschuss

3. Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Winfried Wolf, Pia
Maier, Roland Claus und der Fraktion der PDS: Erhalt des
ICE-Schienenknotens Mannheim – flächenhafter Ausbau
der Bahn mit Stärkung des ICE-Knotens Mannheim und
Einbindung von Darmstadt und Heidelberg in den Schie-
nenpersonenverkehr – Drucksache 14/9546 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen

4. Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Aus-

(15. Ausschuss)

Dr. Ilja Seifert, Monika Balt, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der PDS: Erhalt der Bahnwerke – behindertenge-
rechte Umrüstung des Wagenparks der DB AG – Drucksa-
chen 14/9365, 14/9559 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Wieland Sorge

5. Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Aus-

(15. Ausschuss)

Eva Bulling-Schröter, Rosel Neuhäuser und der Fraktion der
PDS: Innerdeutschen Luftverkehr auf die Bahn verlagern
– Drucksachen 14/9255, 14/9592 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Hans-Günter Bruckmann

6. Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des

(15. Ausschuss)

– zu dem Antrag der Abgeordneten Heide Mattischeck,
Reinhard Weis (Stendal), Karin Rehbock-Zureich, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeord-
neten Albert Schmidt (Hitzhofen), Franziska Eichstädt-
Bohlig, Helmut Wilhelm (Amberg), weiterer Abgeordneter
und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Zu-
kunft der Instandhaltungswerke derDeutschen Bahn AG

– zu dem Antrag der Abgeordneten Renate Blank, Dr. Hans-
Peter Uhl, Dagmar Wöhrl, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der CDU/CSU: Instandhaltungswerke der Deut-
schen Bahn AG in Nürnberg und München erhalten

– zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Michael Luther,
Wolfgang Dehnel, Dirk Fischer (Hamburg), weiterer Abge-
ordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Instandhaltungs-
werke der Deutschen Bahn AG in Delitzsch, Chemnitz,
Opladen und Zwickau erhalten – neue Investoren für
Stendal, Leipzig-Engelsdorf und Neustrelitz

24611


(C)



(D)



(A)



(B)


245. Sitzung

Berlin, Donnerstag, den 27. Juni 2002

Beginn: 9.00 Uhr

– zu dem Antrag der Abgeordneten Horst Friedrich (Bayreuth),
Hans-Michael Goldmann, Dr. Karlheinz Guttmacher, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Neues Konzept für
Ausbesserungswerke der Deutschen Bahn AG vorlegen

– Drucksachen 14/7179, 14/7147, 14/7282, 14/7158, 14/8528 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Klaus Hasenfratz
Renate Blank

7. Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Aus-
schusses für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft

(10. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Gudrun

Kopp, Ulrich Heinrich, Marita Sehn, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der FDP: Modellprojekt zum Heil- und Ge-
würzpflanzenanbau in Ostwestfalen-Lippe – Drucksachen
14/3107, 14/4449 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Jella Teuchner

8. Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Aus-
schusses für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft

(10. Ausschuss):

– zu dem Antrag der Abgeordneten Birgit Homburger, Ulrich
Heinrich, Marita Sehn, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion der FDP: Obstbauern vor dem Ruin retten – Plan-
tomycin für Notfallmaßnahmen zulassen

– zu dem Antrag der Abgeordneten Marita Sehn, Ulrich
Heinrich, Walter Hirche, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der FDP: Pflanzenschutzpolitik neu ausrichten,
heimische Produzenten unterstützen und Verbraucher
schützen

– Drucksachen 14/8180, 14/8430, 14/9366 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Gustav Herzog


(Ergänzung zu TOP 33)

a) Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD, der
CDU/CSU, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der
FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Sicherstel-
lung einer Übergangsregelung für die Umsatzbesteue-
rung von Alt-Sportanlagen – Drucksache 14/9543 –
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)

Sportausschuss

b)Beratung des Antrags der Abgeordneten Renate Gradistanac,
Dr. Hans-Peter Bartels, Anni Brandt-Elsweier, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordne-
ten Irmingard Schewe-Gerigk, Kerstin Müller (Köln), Rezzo
Schlauch und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN: Durchführung des Bundeswettbewerbes „Fe-
rien für Familien, in denen Angehörige mit Behinderung
leben“ – Drucksache 14/9542 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Ausschuss für Tourismus
Haushaltsausschuss

c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Rosel Neuhäuser,
Maritta Böttcher, Heidemarie Lüth, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der PDS: Aktionsplan zum Kinder- und
Jugendtourismus in Deutschland – Drucksache 14/9545 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Tourismus (f)

Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend


(Ergänzung zu TOP 34)


Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Aus-
schusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union

(22. Ausschuss) zu der Unterrichtung durch die Bundesregie-

rung: 62. Bericht der Bundesregierung über die Integration
der Bundesrepublik Deutschland in die Europäische Union

(Berichtszeitraum: 1. Januar bis 31. Dezember 2001)

– Drucksachen 14/8565, 14/8829 Nr. 1.9, 14/9560 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Michael Roth (Heringen)

Peter Altmaier
Christian Sterzing
Dr. Helmut Haussmann
Uwe Hiksch

11. Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der CDU/CSU:
Bildungsgefälle nach dem Ergebnis der PISA-Studie und
Forderungen aus der Bundesregierung nach deutschland-
weiten Bildungsstandards

12. Beratung des Antrags der Abgeordneten Kurt-Dieter Grill,
Matthias Wissmann, Dr. Christian Ruck, weiterer Abgeordne-
ter und der Fraktion der CDU/CSU: Mehr Chancen für den
Export und die Forschungs- und Entwicklungszusammen-
arbeit durch marktwirtschaftliche Ansätze bei den erneu-
erbaren Energien – Drucksache 14/9539 –

13. Beratung des Antrags der Abgeordneten Klaus Hofbauer,
Matthias Wissmann, Dagmar Wöhrl, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der CDU/CSU: Regionalpolitik stärken –
Chancen nutzen – Drucksache 14/9595 –

14. Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung:
10. Sportbericht der Bundesregierung – Drucksache
14/9517 –
Überweisungsvorschlag:
Sportausschuss (f)

Finanzausschuss
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder
Ausschuss für Tourismus

15. Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Gerhard Friedrich

(Erlangen), Thomas Rachel, Ilse Aigner, weiterer Abgeordne-

ter und der Fraktion der CDU/CSU: Eine neue Offensive für
eine moderne Forschungspolitik – Drucksache 14/9538 –

16. Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulrike Flach, Birgit
Homburger, Horst Friedrich (Bayreuth), weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der FDP: Wissenschaft und Forschung als
Motor der gesellschaftlichen Entwicklung und des wirt-
schaftlichen Aufschwungs in Deutschland nutzen – Druck-
sache 14/9567 –

Von der Frist für den Beginn der Beratung soll, soweit
erforderlich, abgewichen werden.

Weiterhin ist vereinbart worden, den bisher ohne De-
batte vorgesehenen Tagesordnungspunkt 34 b – Magnus-
Hirschfeld-Stiftung – mit 30 Minuten nach Tagesord-
nungspunkt 11 zu beraten. Der Tagesordnungspunkt 12
– Tariftreuegesetz – soll heute als letzter Tagesordnungs-
punkt aufgerufen werden. Außerdem soll der Tagesord-
nungspunkt 7 f abgesetzt werden.

Darüber hinaus mache ich auf eine geänderte Über-
weisung im Anhang zur Zusatzpunktliste aufmerksam:

Der in der 242. Sitzung des Deutschen Bundestages am
13. Juni 2002 überwiesene nachfolgende Antrag soll nun-
mehr dem Rechtsausschuss zur federführenden Bera-
tung überwiesen werden. Der bisher federführende Aus-
schuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend bleibt
mitberatend.

Antrag der Abgeordneten Christina Schenk, Pia
Maier, Monika Balt, weiterer Abgeordneter und




Präsident Wolfgang Thierse
24612


(C)



(D)



(A)



(B)


der Fraktion der PDS: Eigenständige Existenz-
sicherung durch Rückkehr in den Beruf statt
nachehelicher Unterhaltsabhängigkeit – Druck-
sache 14/9185 –
überwiesen:
Rechtsausschuss (f)

Finanzausschuss
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

Sind Sie mit diesen Vereinbarungen einverstanden? –
Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Des Weiteren weise ich darauf hin, dass die von der
FDP verlangte Aktuelle Stunde zu den Ergebnissen der
Hartz-Kommission, die für Freitag vorgesehen war,
zurückgezogen wurde.

Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 2 sowie die Zu-
satzpunkte 2 bis 6 auf:

Abgabe einer Erklärung durch die Bundesregierung
Investitionen für eine leistungsfähige Verkehrsin-
frastruktur – Mobilität für die Zukunft sichern

2. Beratung des Antrags der Abgeordneten Horst
Friedrich (Bayreuth), Hans-Michael Goldmann,
Dr. Karlheinz Guttmacher, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der FDP
Politik für ein mobiles Deutschland
– Drucksache 14/9551 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (f)

Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder
Haushaltsausschuss

3. Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Winfried Wolf, Pia Maier, Roland Claus und
der Fraktion der PDS
Erhalt des ICE-Schienenknotens Mannheim –
flächenhafter Ausbau der Bahn mit Stärkung
des ICE-Knotens Mannheim und Einbindung
von Darmstadt und Heidelberg in den Schie-
nenpersonenverkehr
– Drucksache 14/9546 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen

4. Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Woh-
nungswesen (15. Ausschuss) zu dem Antrag der
Abgeordneten Dr. Winfried Wolf, Dr. Ilja Seifert,
Monika Balt, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion der PDS
Erhalt der Bahnwerke – behindertengerechte
Umrüstung des Wagenparks der DB AG
– Drucksachen 14/9365, 14/9559 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Wieland Sorge

5. Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Woh-

nungswesen (15. Ausschuss) zu dem Antrag der
Abgeordneten Dr. Winfried Wolf, Eva Bulling-
Schröter, Rosel Neuhäuser und der Fraktion der
PDS
Innerdeutschen Luftverkehr auf die Bahn ver-
lagern
– Drucksachen 14/9255, 14/9592 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Hans-Günter Bruckmann

6. Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Woh-
nungswesen (15. Ausschuss)

– zu dem Antrag der Abgeordneten Heide

Mattischeck, Reinhard Weis (Stendal), Karin
Rehbock-Zureich, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der SPD sowie der Abgeordne-
ten Albert Schmidt (Hitzhofen), Franziska
Eichstädt-Bohlig, Helmut Wilhelm (Amberg),
weiterer Abgeordneter und der Fraktion des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN:
Zukunft der Instandhaltungswerke der
Deutschen Bahn AG

– zu dem Antrag der Abgeordneten Renate Blank,
Dr. Hans-Peter Uhl, Dagmar Wöhrl, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU:
Instandhaltungswerke derDeutschen Bahn
AG in Nürnberg und München erhalten

– zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Michael

(Hamburg)

der CDU/CSU:
Instandhaltungswerke der Deutschen Bahn
AG in Delitzsch, Chemnitz, Opladen und
Zwickau erhalten – neue Investoren für
Stendal, Leipzig-Engelsdorf und Neustrelitz

– zu dem Antrag der Abgeordneten Horst
Friedrich (Bayreuth), Hans-Michael Goldmann,
Dr. Karlheinz Guttmacher, weiterer Abgeord-
neter und der Fraktion der FDP:
Neues Konzept für Ausbesserungswerke
der Deutschen Bahn AG vorlegen

– Drucksachen 14/7179, 14/7147, 14/7282,
14/7158, 14/8528 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Klaus Hasenfratz
Renate Blank

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die
Aussprache im Anschluss an die Regierungserklärung an-
derthalb Stunden vorgesehen. – Ich höre keinen Wider-
spruch. Dann ist so beschlossen.

Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung hat
der Bundesminister für Verkehr, Bau- und Wohnungswe-
sen, Kurt Bodewig.

Kurt Bodewig, Bundesminister für Verkehr, Bau- und

(von der SPD sowie Abgeordneten des Präsident Wolfgang Thierse 24613 BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN mit Beifall begrüßt)





(C)


(D)


(A)


(B)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und
Herren! Deutschland ist nach den Einbrüchen der 90er-
Jahre heute wieder ein attraktiver Wirtschaftsstandort.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der CDU/CSU und der FDP: Oh!)


– Es ist wichtig, dass auch Sie das jetzt endlich erfahren.
Hören Sie zu, damit Sie die Zahlen kennen lernen!

Die ausländischen Direktinvestitionen haben sich
seit 1998 fast verzehnfacht. Das heißt, die Rahmenbedin-
gungen stimmen wieder. 1998, im letzten Jahr der alten
Regierung, lagen die ausländischen Direktinvestitionen
bei 23 Milliarden Euro, im vergangenen Jahr bei über
200Milliarden Euro. Das zeigt eine richtige Entwicklung.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Steuerreform, Senkung der Lohnnebenkosten, Schul-
denabbau, konsequente Stärkung der Zukunftsinvestitio-
nen in Forschung, Bildung und Infrastruktur – das sind die
richtigen Bausteine. Mit diesen Bausteinen haben wir in
unseren vier Regierungsjahren das Fundament unseres
Wirtschaftsstandorts stabiler und wirkungsvoller und da-
mit Deutschland zukunftsfähig gemacht.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Lachen bei der CDU/CSU und der FDP)


Wir sind auch deshalb erfolgreich, weil wir Prioritäten
gesetzt haben. Dazu gehört die Stärkung der Verkehrs-
infrastruktur. Dabei handelt es sich übrigens um eine
gezielte Politik zur Verbesserung der wirtschaftlichen
Rahmenbedingungen. Die Entwicklung der Verkehrs-
infrastruktur ist ein zentraler Beitrag, um Deutschland zu
modernisieren und die Zukunftsfähigkeit herzustellen.
Ein entscheidender Punkt der Zukunftsfähigkeit ist die
Mobilität.Wir haben sie gesichert und werden sie weiter
ausbauen.


(Beifall bei der SPD)

Ohne leistungsfähige Verkehrsadern werden die positi-

ven Impulse des europäischen Binnenmarkts und der
Osterweiterung an Deutschland vorbeigehen. Die Chan-
cen, die sich gerade für kleine und mittlere Unternehmen
ergeben – etwa per Internet am weltweiten Handel betei-
ligt zu sein –, hängen davon ab, ob wir die richtigen Ent-
scheidungen zum Ausbau und zur Modernisierung der In-
frastruktur treffen. Dies haben wir getan. Deshalb ist
Verkehrspolitik Wirtschaftspolitik. Deshalb setzt die Bun-
desregierung in diesem Bereich auf Investitionen.

Hierbei waren und sind deutliche Anstrengungen not-
wendig, weil es in der Vergangenheit massive Versäum-
nisse gab. Genau das ist der Fall: Sie haben die Verkehrs-
infrastruktur ruiniert.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Lachen bei der CDU/CSU und der FDP)


Sie haben Langsamfahrstellen und den Verfall der
Straßen akzeptiert. Außerdem haben Sie die Verkehrspro-

jekte „Deutsche Einheit“ weitgehend zulasten der beste-
henden Verkehrsinfrastruktur finanziert und auf Pump ge-
baut. Das ging zulasten zukünftiger Generationen. Wir
beschreiten einen anderen Weg.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Von 1992 an haben Sie Jahr für Jahr Investitionen in
den Erhalt der Verkehrswege zurückgefahren.


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Auf Verschleiß gefahren!)


Autobahnbrücken, die dem wachsenden Verkehr nicht
mehr standhalten, Schlaglöcher und Fahrbahnschäden
sind Zeichen Ihrer Politik. Unzählige Langsamfahrstellen
machen das Verkehrsnetz unwirtschaftlich. Auch dies
liegt in Ihrer Verantwortung. Das ist Ihre Bilanz, die Sie
zumindest zur Kenntnis nehmen sollten.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die Opposition sollte nicht so tun, als ob dies nicht be-
kannt gewesen sei. Schon Ende der 80er-Jahre haben
Ökonomen davor gewarnt, was es für einen Wirtschafts-
standort bedeutet, wenn die Verkehrsinfrastruktur nur mit
unzureichenden Investitionen ausgestattet wird. Deswe-
gen haben wir entschlossen und konsequent umgesteuert
und Erfolge erzielt, die sich sehen lassen können.

Wir haben die Verkehrsinvestitionen von 9,5Milliarden
Euro im Jahr 1998 innerhalb von nur drei Jahren auf
11,5 Milliarden Euro in diesem Haushaltsjahr gesteigert.
Der Anteil der Investitionen im Einzelplan 12 wurde von
45 Prozent auf 51 Prozent erhöht. Investitionen bedeuten
Schutz des Wirtschaftsstandorts und Beschäftigungssiche-
rung. Das haben wir erreicht, und zwar äußerst erfolgreich.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Nur weil die Bundesregierung die gezielten Entschei-
dungen getroffen hat, gelingt beides: Aufbau Ost und Mo-
dernisierung West. Das Ausspielen des einen Teils gegen
den anderen ist Vergangenheit. Wir schaffen einen Weg
für ganz Deutschland mit gleichen Entwicklungschancen
und Strukturen. Das ist der Weg, den wir verfolgen, und
das ist auch unser Ziel.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Investitionen stellen die eine Seite einer modernen In-
frastrukturpolitik dar, strukturelle Reformen die andere.
Zu den strukturellen Reformen gehört erstens die
streckenbezogene Maut für schwere LKW. Mit der LKW-
Maut werden endlich auch die Fahrzeuge des Schwer-
lastverkehrs an den Wegekosten beteiligt, und zwar ge-
recht. Übrigens werden erstmalig auch ausländische
LKW mit einbezogen. Das ist wichtig. Darüber hinaus
verbinden wir dies mit der Harmonisierung der Wettbe-
werbsbedingungen in Europa. Auch das ist wichtig.

Des Weiteren trägt die Maut auch zur Gleichberechti-
gung der Verkehrsträger bei. Auf der Schiene wurde mit
den Trassenpreisen schon immer eine Maut erhoben. Dass




Bundesminister Kurt Bodewig
24614


(C)



(D)



(A)



(B)


wir derzeit eine Maut für die Straße einführen, ist nur ge-
recht und hilft übrigens auch einem integrierten Ver-
kehrssystem.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die Maut ist ein Jahrhundertprojekt. Viele von Ihnen
gestellte Regierungen haben sich daran versucht. Sie sind
gescheitert. Wir haben es geschafft. Darauf sind wir stolz.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir gehen – zweitens – auch neue Wege bei der Finan-
zierung. Dazu haben wir die Möglichkeiten von privaten
Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur erstmalig auf
eine solide und realistische Grundlage gestellt. Wir haben
hierbei eng mit der Bauwirtschaft zusammengearbeitet,
übrigens nicht nur mit der Bauindustrie; auch die mittel-
ständische Bauwirtschaft ist an diesem Projekt beteiligt.


(Eduard Oswald [CDU/CSU]: Das muss sich erst noch zeigen!)


Die ersten Ergebnisse sind, dass auf diesem Weg zwölf
Autobahnabschnitte sechsstreifig beschleunigt ausge-
baut werden. Dies ist ein Fortschritt. Auf 520 Kilometern
wird der Ausbau jetzt vorangetrieben. Hiermit beseitigen
wir Staus auf Autobahnen. Hiermit helfen wir den Men-
schen ganz konkret.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wichtig ist mir dabei, festzustellen, dass die Refinan-
zierung des privaten Kapitals nicht, wie bei der Vorgän-
gerregierung, über teure Bankkredite erfolgt; es wird
vielmehr aus der LKW-Maut finanziert. Das kann man auf
den folgenden Punkt bringen: Mit dem alten System von
vor 1998 gewinnen die Banken; mit unserem System des
Betreibermodells gewinnt die Infrastruktur. Das ist ein
neuer Weg, ein richtiger Weg und vor allem ein erfolgrei-
cher Weg.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Unser Weg macht übrigens auch die deutsche Bauwirt-
schaft konkurrenzfähig. Ich bin fest davon überzeugt:
Dies ist ein Modell, das international immer mehr nach-
gefragt wird. Deswegen auch die Beteiligung der Indus-
trie, des Gewerbes und des Handwerks an der Entwick-
lung eines solchen Systems.

Drittens machen wir die Bahn fit. Wir finanzieren den
Aufbau von effizienten Planungskapazitäten. Sie haben
die Mittel dafür von 9 Milliarden DM in nur drei Jahren
auf 6 Milliarden DM heruntergefahren. Wir haben das Ge-
genteil gemacht und das hilft der Bahn. Wir schaffen da-
mit eine Zukunft für die Bahn.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Sie sollten zur Kenntnis nehmen: Die Schieneninves-
titionen sind auf Rekordniveau. Das ist wichtig für leis-
tungsfähige Verkehre in Deutschland.

Wir wollen auch eine Kundenbahn, attraktiv und leis-
tungsfähig. Deswegen sorgen wir mit einem Maßnah-

menpaket für mehr Wettbewerb zwischen den Eisenbah-
nen in Deutschland. Auch das ist etwas, was Ihnen nie ge-
lungen ist, was aber zur Schaffung attraktiver Angebote
auf der Schiene für die Kunden wichtig ist.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


An dieser Stelle will ich klarstellen: Eine Liberalisie-
rung in Europa auf der Schiene ist keine Einbahnstraße.
Dies geht nur nach dem Prinzip der Gegenseitigkeit. Das
ist ein europäisches Prinzip. Das werden wir auch eu-
ropäisch durchsetzen.

Wir haben die Unterfinanzierung der Verkehrsinfra-
struktur in Deutschland beendet. Wir haben wieder Be-
wegung in die Verkehrspolitik gebracht. Der Weg für
mehr Mobilität in unserem Land ist endlich wieder frei.


(Friedrich Merz [CDU/CSU]: In welcher Welt lebt ihr eigentlich?)


So konnten wir unter Führung des Bundeskanzlers mit
den wichtigsten Vertretern der Verkehrswirtschaft in die-
sem Frühjahr eine breit angelegte Mobilitätsoffensive
starten. Es ist erstmals gelungen, mit allen wichtigen Ver-
tretern der Verkehrswirtschaft, der Industrie und der Ge-
werkschaften auf Spitzenebene einen neuen Konsens her-
zustellen, und zwar in ganz zentralen Fragen:

Erstens. Die Verkehrswirtschaft beendet das Gegen-
einander der Verkehrsträger. Sie ist bereit, gemeinsam mit
der Bundesregierung und den Ländern ein integriertes
Verkehrssystem zu bauen.

Zweitens. Die Bundesregierung hat zugesagt, die Inves-
titionen in die Infrastruktur auf dem erreichten Rekord-
niveau zu verstetigen. Auch dies tun wir. Es ist in der
mittelfristigen Finanzplanung ablesbar. Dies ist ein klares
Zeichen für Mobilität in Deutschland.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Dabei ist mir eines ganz besonders wichtig: Wir unter-
streichen damit auch die staatliche Verantwortung für
Verkehrsinfrastruktur. Einen Ausstieg aus der staatlichen
Finanzierung kann und darf es nicht geben.

Deswegen an dieser Stelle eine Anmerkung: Die Ab-
senkung der Staatsquote auf 40 Prozent – das ist ja Ihr
Ziel – bedeutet nichts anderes als den Ausstieg aus der
Verantwortung des Staates für funktionierende Verkehre.
Dieser Ausstieg hätte klare Konsequenzen. Eine Staats-
quote von 40 Prozent hieße zehn Jahre lang keine einzige
neue Straßen- oder Schienenverbindung in Deutschland.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Zuruf von der CDU/CSU: So ein Blödsinn!)


Das wäre katastrophal. Das würde in die Vergangenheit
und damit in die Zustände zurückführen, die Sie uns hin-
terlassen haben.

Ich sage in aller Deutlichkeit: Diese Bundesregierung
und diese Koalitionsfraktionen werden dies nicht zu-
lassen. Wir werden Verkehr in Deutschland weiterent-
wickeln und wir werden es mit Zustimmung der Bürger




Bundesminister Kurt Bodewig

24615


(C)



(D)



(A)



(B)


tun; dessen bin ich mir gewiss. Deswegen lohnt es sich
hier zu streiten.

Die Zahlen beweisen: Unsere Politik ist das Gegenteil
Ihres Ausverkaufs von Verkehrspolitik. Mit unseren Ent-
scheidungen für den Bundeshaushalt 2003 wird der Ver-
kehrsetat auf neue Rekordhöhen gehen. 12 Milliarden
Euro werden es sein; in diesem Jahr sind es 11,5 Milli-
arden Euro und 1998 waren es 9,5 Milliarden Euro. Das
sind Steigerungsraten, die es in sich haben. Wir wer-
den die Investitionen nach der mittelfristigen Finanz-
planung bis 2006 um 25 Prozent anheben. Auch das ist
eine Zahl, die es bisher nie gegeben hat und die deutlich
macht: Wir meinen es ernst. Wir bauen diesen Wirt-
schaftsstandort auch über die Mobilität konsequent aus.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Es gibt einen weiteren Unterschied zu der Situation vor
1998. Ihre Vernachlässigung der Wirtschaftswege hatte
doch nur eine Wirkung: Mobilität funktionierte nicht,
Staus waren in Deutschland an der Tagesordnung, die
Schiene war nicht mehr leistungsfähig. Hier steuern wir
konsequent um. Wir machen dies mit einem 90-Milli-
arden-Euro-Programm für ein Zukunftsprogramm Mobi-
lität. Hier wird in Verkehrsinfrastruktur investiert, und
zwar richtig, und die Wege, die wir gehen werden, sind
stabil und belastbar.

Wir werden Engpässe und Staupunkte bei Autobahnen,
Schienen- und Wasserstraßen beseitigen. Ich will es kon-
kret machen: Schon mit dem jetzt festgelegten Finanzplan
bis 2006 werden wir 500 Kilometer Autobahn auf sechs
Streifen ausbauen können. Vor Ende des Jahrzehnts wer-
den es 1100 Kilometer sein. Damit sind die Staus besei-
tigt; das muss man wissen. Das ist das Ziel; wir werden es
auch erreichen.


(Beifall bei der SPD)

Bei der Bahn wird es noch weiter gehen. Bis 2006 wer-

den wir auf rund 6 000 Kilometern eine Grundsanierung
des Schienennetzes betreiben. Das bedeutet eine flächen-
deckende Beseitigung von Langsamfahrstellen, die Sie
uns hinterlassen haben,


(Lachen des Abg. Hans-Peter Repnik [CDU/CSU])


und die Beschleunigung des Schienenverkehrs. Dies er-
reichen wir auch durch die Modernisierung der Leit- und
Sicherungstechnik. Das haben Sie jahrelang versäumt,
Herr Merz.


(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Wo ist eigentlich der Rest der Bundesregierung? Ihnen hört nicht ein Minister zu, Herr Bodewig! Fällt Ihnen das eigentlich auf?)


Schließlich planen wir 500 Kilometer Ausbau- und Neu-
baustrecken auf der Schiene. Damit ermöglichen wir
schnelle Verkehre, die große Wirkung zeigen werden.

Mit dem „Zukunftsprogramm Mobilität“ können wir
noch vor Ende des Jahrzehnts 300 Ortsumgehungen rea-
lisieren. Menschen, die vor Ort von Schwerlastverkehr
gequält werden, wissen, was das bedeutet: 300 mal in

Deutschland Entlastung von Lärm und Gestank und auch
eine Reduktion von Unfällen. Das ist unser Ziel; das wer-
den wir erreichen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Die Wasserstraßen werden verstärkt für den Güter-
transport nutzbar gemacht. Auch damit lösen wir das
ideologisch geprägte Gegeneinander der Verkehrsträger
auf. Übrigens bezieht sich das auch auf den Lücken-
schluss an der Donau. Wir haben dies entschieden und
ich habe es der Bayerischen Staatsregierung mitgeteilt.
Wir wollen, dass die Donau ohne Staustufen ausgebaut
wird. Im Zusammenhang mit flussbaulichen Maßnah-
men bringt das eine schnelle Verbesserung für die Bin-
nenschifffahrt. Obendrein schont eine solche Variante
die Umwelt und wir können sie in der Hälfte der Zeit rea-
lisieren. Also, lassen Sie ab von Ihrer ideologisch be-
dingten Baupolitik! Gehen Sie hin und schaffen Sie
Lösungen, auch im Interesse der Umwelt und der Bin-
nenschifffahrt!


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Meine Damen und Herren, eine gezielte Engpassbe-
seitigung ist Teil dieses 90-Milliarden-Euro-Programms.
Der Bundeskanzler hat noch einen anderen Teil in den
Vordergrund geschoben. Ich nenne hier die maritime
Wirtschaft. Mit den maritimen Konferenzen wurde ein
erster wichtiger Schub erreicht. Wir wissen, dass 95 Pro-
zent des internationalen Handels über Seeverkehre ab-
gewickelt werden. Der internationale Handel nimmt
zu, gerade im Exportland Nummer eins in Europa, in
Deutschland. Uns ist wichtig, dass Deutschland einen
großen Anteil des internationalen Handels über seine Ha-
fenstandorte abwickelt. Deswegen unser Sofortprogramm
für die maritime Wirtschaft, deswegen die Einführung ei-
ner pauschalen Tonnagesteuer,


(Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Die haben wir eingeführt! Darauf legen wir Wert!)


deswegen unsere Unterstützung für den Tiefwasserhafen
in Wilhelmshaven, deswegen auch das Engagement für die
Seehafendienste in Deutschland. Ich kann nur sagen: Wir
haben deutsche Interessen im letzten Verkehrsministerrat
äußerst erfolgreich vertreten. Das kann sich sehen lassen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wer bei diesem Thema nur an die Nordländer denkt,
der irrt gewaltig. Die Wirtschaftszentren in Deutschland
sind auf eine schnelle Zulieferung aus den Seehäfen an-
gewiesen; deswegen ist ein Schwerpunkt dieses Pro-
gramms die Hinterlandanbindung. Wie in der Vergangen-
heit werden wir auch die Umsetzung dieses Schwerpunkts
zügig vorantreiben.

Unser „Zukunftsprogramm Mobilität“ wird einen In-
vestitionsschwerpunkt „neue Länder“ haben. Damit stär-
ken wir den Wirtschaftsstandort Ostdeutschland und wir
schaffen die Voraussetzung für die weitere Ansiedlung
von Unternehmen. Gleichzeitig lassen sich durch die
guten Verkehrsachsen die Verkehrsnetze von Ost und




Bundesminister Kurt Bodewig
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(C)



(D)



(A)



(B)


West fest miteinander verbinden, was Gewerbeansied-
lungen ermöglicht.


(Zuruf von der CDU/CSU: Wann machen Sie das?)


– Sie fragen, wann wir es machen. Wir sind mittendrin.
Wenn Sie sich umschauen, dann sehen Sie, was in den
neuen Ländern los ist, weil wir Geld zur Verfügung stel-
len, und zwar weder auf Pump noch zulasten des Westens,
sondern mit originären, neuen Mitteln.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir lassen den neuen Ländern auf verantwortliche Art
und Weise ein neues Gewicht zukommen. Sie bekommen
dieses Gewicht im Rahmen von Finanzstrukturen, die dies
zulassen, sodass die von uns begonnenen Projekte been-
det werden können. Das ist entscheidend. In dem „Zu-
kunftsprogramm Mobilität“ werden die neuen Länder
über die VDE-Projekte hinaus nach wie vor einen
Schwerpunkt haben.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Die Grundlagen für das Programm werden im kom-

menden Jahr über den neuen Bundesverkehrswegeplan
gelegt. Ich möchte an dieser Stelle aber unterstreichen,
dass diese Schwerpunkte über den Haushalt 2003 und
über die mittelfristige Finanzplanung finanziert sind. Wir
machen es anders als Sie: Während Sie nur Pläne aufge-
stellt haben, finanzieren wir das, was wir wollen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Das ist ein wesentlicher Unterschied, den Sie auch
in Wahlkampfzeiten ernsthaft zur Kenntnis nehmen
sollten.

Eine solche Politik gilt im Übrigen auch für den Luft-
verkehr. Zum ersten Mal gibt es in Deutschland eine na-
tionale Abstimmung der Flughafenpolitik. Mit unserem
Flughafenkonzept haben wir Ausbaukonzepte für den
Flughafenstandort Deutschland entwickelt. Die Belange
der Wirtschaft und die Belange der Umwelt werden hier-
mit in Einklang gebracht. Dies war zwar kein einfacher,
aber ein gelungener Weg. Auch darauf können wir stolz
sein.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


An dieser Stelle will ich ausdrücklich betonen, dass
die schwierige Situation der Luftverkehrswirtschaft nach
dem 11. September mit unserer Begleitung verbessert
und dass die Situation insgesamt stabilisiert wurde. Wir
haben eine Normalisierung viel schneller erreichen kön-
nen, als es absehbar war. Wir werden auch den Rest die-
ser Strecke gemeinsam mit der Luftverkehrswirtschaft
gehen.

Wir wissen, dass das Verkehrsaufkommen in Deutsch-
land und in Europa deutlich zunehmen wird; deswegen
erhöhen wir die Investitionen in die Infrastruktur und des-
wegen arbeiten wir konsequent an der Entwicklung neuer
technischer und logistischer Lösungen.

Ich will einige Beispiele für solche Lösungen nennen,
die während der Amtszeit dieser Regierung entwickelt
worden sind:

Wir haben eine Ausbildungsinitiative Logistik ge-
startet, eben weil Logistik hilft, den Verkehr effektiver zu
gestalten. Wir werden mithilfe des Mautsystems, mithilfe
der Telematik und mithilfe anderer Technologien errei-
chen, dass es mehr Anbieter logistischer Dienstleistungen
gibt, die dafür sorgen, dass die Verkehre effektiver wer-
den und Infrastrukturen besser ausgenutzt werden.

Wir schaffen auch neue Schnittstellen. Die Schiene
wird an die Flughäfen angebunden. Innerhalb von fünf
Jahren können wir 30 Prozent der innerdeutschen Punkt-
zu-Punkt-Flüge durch attraktive Angebote auf der
Schiene ersetzen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Auch dies ist hilfreich und es ist im Sinne der Menschen.
Wir werden zusammen mit der Verkehrswirtschaft die

Telematik zur Verkehrssteuerung ausbauen. Dabei geht
es nicht um die Telematik allein, sondern um die bewuss-
te Steuerung der vielen Verkehre, die wir in Deutschland
haben. Die Bundesregierung wird dafür bis 2007 200Mil-
lionen Euro zur Verfügung stellen. Das ist ein wichtiger
Anreiz, der die Wirtschaft gerade in diesem technologi-
schen Feld beflügeln wird.

Wir werden mit einem nationalen Radverkehrsplan
für das am meisten unterschätzte Verkehrsmittel neue
Wege bauen. Wir haben die Mittel für den Bau von Fahr-
radwegen an Bundesfernstraßen verdoppelt. Wir arbeiten
mit den Ländern zusammen. All das wissen die Menschen
– ich hoffe, auch die in diesem Parlament – zu schätzen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir arbeiten zusammen mit der Automobilindustrie
und mit der Mineralölwirtschaft an der Entwicklung eines
umweltschonenden Kraftstoffs der Zukunft. Der Kraftstoff
der Zukunft wird Wasserstoff sein. Eine entsprechende Ei-
nigung ist erzielt worden. Durch die Umsetzung eines
Clean-Energy-Projektes werden wir im kommenden Jahr
mit der Schaffung einer neuen Infrastruktur beginnen. Be-
zogen auf Berlin ist dieses Vorgehen modellhaft. Über Ber-
lin hinaus wird es internationale Resonanz finden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Auch dank deutscher Unterstützung wird es weitere Zu-
kunftstechnologien geben. Ich nenne hier das wichtige
Projekt GALILEO. In Europa ist darüber eine Einigung er-
zielt worden. Das ist ein Durchbruch. Wir werden uns an
diesem Projekt beteiligen. Es ist wichtig für uns; es stellt
eine rein zivile Alternative zu militärisch geprägten ande-
ren Systemen dar. Auch dies haben wir vorangetrieben.

Schließlich haben wir dafür gesorgt, dass die Transra-
pid-Technologie aus dem Entwicklungsstadium heraus
jetzt praktisch angewendet wird. Thyssen-Krupp hat
letzte Woche den ersten Zug nach China versandt. Das
war ein wichtiger Schritt. Wir setzen uns dafür ein, dass




Bundesminister Kurt Bodewig

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(C)



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(B)


der Transrapid auch in Deutschland kommerziell Verwen-
dung findet. Dafür muss es dann auch Mehrheiten in die-
sem Parlament geben.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Manfred Grund [CDU/CSU]: Darauf könnt ihr stolz sein! – Weitere Zurufe von der CDU/CSU – Gegenruf des Abg. Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das hätten Sie doch 16 Jahre machen können!)


– Das ist immer das Schöne an den Zwischenrufen: Jah-
relang ist nichts passiert, dann sehen Sie, dass wir etwas
tun, erkennen das aber nicht einmal an. Armes Deutsch-
land, wenn es Ihnen überlassen würde!


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Lachen bei der CDU/CSU und der FDP)


Meine Damen und Herren, Mobilität beginnt in
Deutschland – das ist mein Grundsatz – mit Konzepten,
die wir gemeinsam entwickeln. Das Gegeneinander von
Straße und Schiene ist vorbei. Alle Verkehrsträger wirken
miteinander. Es hat in Deutschland noch nie eine Ver-
kehrsinfrastruktur gegeben, die in einem solch hohen
Maße materiell, aber auch konzeptionell untermauert
worden ist wie die dieser Bundesregierung. Noch nie hat
eine Bundesregierung ein so umfangreiches, langfristiges
und vor allem durchfinanziertes Konzept wie das „Zu-
kunftsprogramm Mobilität“ vorgelegt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich bin mir sicher, das ist der Grund dafür, weshalb
Deutschland in Verkehrsfragen die Nummer eins in Eu-
ropa ist. Darauf sind wir stolz. Wir werden unsere Politik
weiterentwickeln und auch am 22. September den Auftrag
dafür bekommen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1424500100
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Klaus Lippold, CDU/CSU-Fraktion.

Dr. Klaus W. Lippold (Offenbach) (CDU/CSU) (von
der CDU/CSU mit Beifall begrüßt): Herr Präsident! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Die Bedeutung, die die Bundesregierung dieser
Debatte beimisst, ist daran zu erkennen, dass außer dem
Verkehrsminister, der die Regierungserklärung abgegeben
hat, kein anderer Minister anwesend ist.


(Widerspruch bei der SPD)

Ich stelle das nur einmal fest. Gegenüber dem Anfang der
Debatte hat sich die Zahl der anwesenden Staatssekretäre
bereits vermindert. Der Prozess wird sich vermutlich so
fortsetzen. Das zeigt deutlich, welchen Stellenwert Sie
dieser Debatte beimessen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Widerspruch bei der SPD)


Herr Bodewig, um Sie direkt anzusprechen: Ich denke
in der letzten Zeit eigentlich immer, wenn ich Sie höre,
dass ich offensichtlich in einem ganz anderen Land lebe.
Sie sprachen gerade davon, wie attraktiv Deutschland sei,
was Sie alles geleistet hätten und wie wunderschön diese
Welt sei. Ich stelle fest: Die Menschen in Deutschland ha-
ben Angst vor Arbeitslosigkeit.Wir haben nach wie vor
4 Millionen Arbeitslose; Sie haben versprochen, diese
Zahl auf 3,5 Millionen zu senken. Nichts ist passiert. Die
Furcht vor Arbeitslosigkeit führt zu Angstsparen.

Es gibt zurzeit keine Investitionen der Wirtschaft. Sie,
Herr Bodewig, und die ganze Regierung reden immer
wieder davon, der Aufschwung sei da. Wo bleibt er denn?
Ich kann Ihnen 25 Zitate von Herrn Eichel liefern, in de-
nen er sagte, es gebe jetzt die ersten Anzeichen und im
nächsten Monat komme er. Wann ist dieser nächste Mo-
nat denn konkret? Ich sehe nichts als Traumtänzerei,
nichts als Versprechungen, nichts als Ankündigungen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Dann haben Sie gesagt, früher habe sich nichts bewegt.

Ich war neulich bei einer Podiumsdiskussion über Infra-
struktur mit dem Staatssekretär im Bundesministerium für
Wirtschaft, Herrn Tacke.


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Ach was? Ich bin beeindruckt!)


Da wies er auf die Leistungen dieser Bundesregierung
hin: Reformen im Telekommunikationsbereich, Refor-
men im Bereich der Post, Reformen im Bereich der Ener-
giewirtschaft.


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Ich glaube, Sie haben die falsche Rede dabei! Das ist eine Verkehrsdebatte! Sie sind im falschen Film, nicht im falschen Land!)


Das sind alles Reformen, meine Damen und Herren, die
wir auf den Weg gebracht haben und die Sie zum Teil wie-
der rückgängig gemacht haben. Das heißt, er hat mit
nichts werben können, was auf eigene Leistungen zurück-
geht.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Genauso ist es mit Ihnen, Herr Bodewig.

Ich will auch ganz deutlich sagen, warum. Indem Sie
hier über Investitionen sprechen, versuchen Sie detail-
reich darüber hinwegzutäuschen, dass eigentlich das ent-
scheidende Papier, die grundlegende Konzeption, die wir
alle erwarteten, nämlich der Bundesverkehrswegeplan,
nicht vorliegt.

Sie haben das in Ihre Koalitionsvereinbarung hinein-
geschrieben. Bereits vor gut einem Jahr stöhnten Kolle-
gen von Ihrer Seite darüber, dass Sie all dies nicht er-
reichten. Damals war es eine Befürchtung, dass der
Bundesverkehrswegeplan in dieser Legislaturperiode
nicht mehr verabschiedet werden würde. Heute ist aus der
Befürchtung Realität geworden, Herr Bodewig. Gleich-
wohl behaupten Sie, alles, was Sie auf den Weg gebracht
hätten, sei wirklich neu und zukunftsweisend gewesen.




Bundesminister Kurt Bodewig
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(C)



(D)



(A)



(B)


Wir müssen feststellen, dass der Bundesverkehrsminis-
ter die Umorientierung nicht so begreift, wie wir sie brau-
chen. Wir brauchen eine ganz deutliche Hinwendung
zum Straßenverkehr. Wir brauchen wesentlich mehr
Mittel für die Straße, als im Haushalt angesetzt worden
sind.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP])


Meine sehr verehrten Damen und Herren, vor einem Jahr
hat die Unionsfraktion das Konzept „Mobilitätsoffensive“
vorgelegt. In ihm haben wir deutlich gemacht, dass zu-
sätzlich zu den im Haushalt veranschlagten Mitteln in den
nächsten zehn Jahren 60 Milliarden ausgegeben werden
müssen.


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Vor allem bei Senkung der Staatsquote!)


Wir haben das sauber durchfinanziert und im Haushaltsaus-
schuss die entsprechenden Anträge gestellt. Das alles ist von
Ihnen abgelehnt worden. Jetzt legt Ihre Partei – Sie stilisie-
ren das zu einem Regierungsprogramm hoch – ein 90-Mil-
liarden-Programm vor, bei dem ich aber nicht zu erkennen
vermag, wie es konkret angelegt sein soll. Auch erstaunt
mich, dass es im Gegensatz zu Herrn Eichels Finanzplanung
steht, die für die nächsten Jahre ein Abschmelzen der Inves-
titionsmittel im Verkehrsbereich vorsieht.


(Reinhard Weis [Stendal] [SPD]: Das ist doch falsch! Gelogen!)


Was soll also die vollmundige Ankündigung von im-
mer neuen Programmen, wenn schlussendlich nichts da-
von übrig bleibt?


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Sie reden und kündigen an, aber Sie handeln nicht. Sie ha-
ben jetzt doch weiß Gott genug Zeit gehabt, um zu han-
deln. Meine Damen und Herren, so können wir das nicht
durchgehen lassen.

Ich will nur noch einen kurzen Satz zu den anderen Po-
litikfeldern sagen, weil Sie behauptet haben, dass alles gut
laufe. Sie haben keine Gesundheitsreform durchgeführt,
obwohl Sie sie angekündigt hatten. Sie haben kein Ener-
giekonzept vorgelegt, obwohl Sie es angekündigt hatten.
Auch in allen anderen Bereichen nichts als Ankündigun-
gen! So kann es nicht gehen, meine Damen und Herren.


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben kein Redekonzept und reden doch!)

Bei genauer Betrachtung all dessen, was Sie dargestellt

haben, ist festzuhalten: Die Maut sollte längst auf den
Weg gebracht sein.


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die steht schon im Gesetzesblatt!)


Aber sie wird zum 1. Januar 2003 nicht kommen.

(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Natürlich wird sie kommen!)

Dann haben Sie vollmundig gesagt, die Maut werde zur
Verkehrsinfrastrukturfinanzierung gebraucht. Nun ist

deutlich, dass der überwiegende Teil in die Sanierung des
Haushalts von Herrn Eichel und nicht in die direkte Fi-
nanzierung der Verkehrsinfrastruktur fließt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Reinhard Weis [Stendal] [SPD]: Falsch!)


Das ist wie bei der Ökosteuer, die Sie zum 1. Januar 2003
wiederum anheben wollen, ein reines Abkassieren. Das
darf so nicht sein.

Sie haben dem Verkehrsgewerbe Harmonisierungen
zugesagt, diese Zusage aber nicht eingehalten. Das wird
dazu führen, dass in diesem mittelständischen Gewerbe
Betriebe Pleite gehen. Wir haben in diesem Jahr ohnehin
einen Pleitenrekord. Es wird wegen Ihrer Politik noch
mehr Pleiten geben. Wer keine Harmonisierung vorsieht
– Herr Bodewig, Sie haben heute überhaupt nicht darüber
gesprochen –,


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Sie haben nicht zugehört! Typisch!)


trägt dazu bei, dass ein wichtiger Teil des deutschen Ver-
kehrsgewerbes in die Pleite getrieben wird.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie
mich noch auf andere Punkte eingehen. Zum Thema
Transrapid ist zunächst festzuhalten, dass Sie es waren,
die die Strecke von Hamburg nach Berlin eingestellt ha-
ben. Jetzt sprechen Sie von zwei neuen Projekten. Das ist
sehr schön. Wo ist aber die Finanzierung dieser Projekte?
Im Haushalt 2003 ist nichts enthalten und für die Folge-
jahre, Herr Bodewig, haben Sie noch nicht einmal eine
müde Milliarde eingestellt. Das nennt eine Zeitung
„Kainsmal für den Standort Deutschland“, eine andere ti-
telt „Schnell ohne Geld“. Auch in dieser Frage sind Sie
also absolut unglaubwürdig.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Die Projekte, von denen Sie sprechen, Herr Bodewig,

betreffen stets Dinge, die Sie nicht gemacht haben. Davon
wollen Sie jetzt ablenken. Das gilt auch für die Verlage-
rung von Verkehr von der Straße auf die Schiene. Sie
haben nichts geleistet. Die Bahn hat Interregiostrecken
abgebaut und Annahmestellen für Fracht geschlossen. Sie
haben dem nur zugeschaut, und zwar – wie Ihr Vorbild –
mit einer ganz ruhigen Hand. Getan haben Sie nichts. Wie
wollen Sie eigentlich die Bereitschaft wecken, Verkehr
von der Straße auf die Schiene zu bringen, wenn Sie eine
solche Politik der Ausdünnung des Schienennetzes und
der gleichzeitigen Schließung von Annahmestellen be-
treiben? Ihre Politik, Herr Bodewig, geht genau in die
falsche Richtung. Deshalb werden wir das korrigieren
müssen.

Sie haben auch zugeschaut, als die Bahn Wettbewerb
nicht zugelassen hat.


(Klaus Hasenfratz [SPD]: Keine Drohung!)

Sie müssen sich nur einmal mit denjenigen unterhalten,
die Wettbewerb mit der Bahn möchten. Sie stellen dann
fest: Die Bahn stellt Interregios ein, lässt aber nicht zu,
dass andere diese Interregiostrecken nutzen. Lieber will




Dr. Klaus W. Lippold (Offenbach)


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(A)



(B)


sie Wagen verschrotten, als sie anderen zur Verfügung zu
stellen.


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das stimmt jetzt aber nicht! Die sind nichts wert!)


Lieber will sie, dass der Verkehr in bestimmten Regionen
nicht mehr stattfindet. Gegen diesen Monopolisten tun Sie
nichts. Wer ist eigentlich Verkehrsminister, Herr Mehdorn
oder Sie?


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Diese Frage beantwortet sich, wenn ich in die Gesichter
Ihrer Kollegen sehe, ganz von selbst.

Machen wir uns nichts vor: Das ist nicht die Politik, die
wir brauchen. Es nützt auch nichts, wenn Sie in Vertretung
des Bundeskanzlers nach Schanghai fahren und dort den
Transrapid einweihen. Hier, in der Bundesrepublik
Deutschland, sollten Sie ihn einweihen.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Was haben Sie denn die ganzen Jahre gemacht?)


Das wäre eine Position, die wir brauchen könnten.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Weiter sprachen Sie davon, Sie hätten die Mittel für die
Bahn erhöht. Sie müssten aber auch auf die Bahn einwir-
ken, dass sie diese Mittel verausgabt.


(Renate Blank [CDU/CSU]: So ist es!)

Jahr für Jahr werden hohe Millionenbeträge, die der Bahn
für Investitionen zur Verfügung stehen, nicht in Investi-
tionen und damit nicht in Arbeitsplätze umgesetzt. Das ist
ein Skandal. Sie haben ihn erst bestritten; als wir es Ihnen
nachweisen konnten, wurde der zuständige Bahnvorstand
gefeuert. Das sind Bauernopfer; die falschen Leute gehen.
Wer etwas Richtiges will, muss auch dafür sorgen, dass
die Mittel, die für die Bahn zur Verfügung gestellt werden,
ausgegeben werden. Alles andere ist falsch. Das können
wir so nicht akzeptieren.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, Sie hörten,

dass Herr Bodewig davon gesprochen hat, dass für den
Flugverkehr etwas getan werden muss. Wenn Sie sich
den entsprechenden Bericht des Ministeriums und der
Bundesregierung ansehen, dann werden Sie feststellen,
dass darin lediglich eine Situationsbeschreibung erfolgt.
Daraus ist nicht zu erkennen, wo was nachdrücklich an-
geschoben werden soll, wo und wie diese Bundesregie-
rung mit Nachdruck initiativ ist. Es handelt sich also auch
hierbei um eine bloße Ankündigung, mit der Sie ablenken.

Die deutsche Wirtschaft spricht nicht nur im Hinblick
auf die Straße und auf die Bahn von einer Instandhal-
tungskrise. Die deutsche Wirtschaft macht das an Ihnen
fest, weil in den letzten vier Jahren zur Beseitigung dieser
Instandhaltungskrise nichts getan worden ist.


(Zuruf von der SPD: Blenden Sie mal Ihre Vergangenheit nicht aus! Das ist der Mann mit dem schlechtesten Kurzzeitgedächtnis!)


Wenn Brückenstücke einstürzen, Herr Bodewig, dann
kann das nicht länger hingenommen werden.

Das sind Positionen, über die Sie hinwegreden, als hät-
ten andere das alles zu verantworten, nur nicht Sie. Ich
sage Ihnen ganz deutlich: In dieser Form geht es wirklich
nicht.

Wir brauchen einen Verkehrsminister, der sich gegen-
über der Bahn durchsetzen kann, der die notwendigen
Mittel nicht nur ankündigt, sondern sie gegenüber dem Fi-
nanzminister auch durchsetzt, einen Verkehrsminister, der
dafür sorgt, dass die Investitionen in die Verkehrsinfra-
struktur der Bundesrepublik Deutschland nicht nur an-
gekündigt, sondern auch jetzt sofort getätigt werden und
damit ein Beitrag zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit
geleistet wird.

Bislang haben Sie dies nicht geschafft. Deshalb werden
wir diesen Ansatz nach dem 22. September ohne jeden
Abstrich verändern. Wir werden mehr Mittel für die In-
frastruktur, für Straßenbau und für Schiene zur Verfügung
stellen; wir werden beide gleichrangig fördern. Wir wer-
den auch dafür sorgen, dass Wasserstraßen und Flughäfen
besser bedient werden.


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Ihr könnt das Blaue vom Himmel herunterreden! Es wird Manna auf Erden regnen!)


Wir werden die Grundlage für eine Politik schaffen, die
den Aufschwung und Arbeitsplätze ermöglicht, also das,
was mit Ihnen bedauerlicherweise nicht zu realisieren ist.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Für den Unsinn hätten Sie sich wirklich nicht bedanken müssen!)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1424500200
Ich erteile dem Kolle-
gen Reinhard Weis, SPD-Fraktion, das Wort.


Reinhard Weis (SPD):
Rede ID: ID1424500300
Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben eben eine
sehr schwache Rede in Reaktion auf die Regierungs-
erklärung von unserem Minister Kurt Bodewig gehört.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Schlecht reden, Vorurteile schüren, das war der Inhalt des-
sen, was Herr Lippold uns hier angeboten hat. Es wird Ih-
nen in Ihrer giftigen Art nicht gelingen, das zu zerreden,
was wir an Erfolgsbilanz aufzuweisen haben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich freue mich, dass ich hier Gelegenheit habe, für
meine Fraktion Bilanz über eine äußerst erfolgreiche ver-
kehrspolitische Legislaturperiode zu ziehen. Bundes-
regierung und Koalitionsfraktionen haben die Verkehrs-
politik endlich wieder vorangebracht, nachdem sie in
16 Jahren Kohl-Regierung buchstäblich zur Sparkasse der
Nation gemacht wurde. Nach nur vier Jahren haben wir
eine Trendwende geschafft. Vom absoluten Tiefststand
der Verkehrsinvestitionen am Ende der schwarz-gelben




Dr. Klaus W. Lippold (Offenbach)

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(C)



(D)



(A)



(B)


Regierungszeit 1998 geht es seit 1999 kontinuierlich wie-
der aufwärts, bis zu der Rekordmarke dieses Jahres von
1,5 Milliarden Euro für Verkehrsinvestitionen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir haben die Weichen für ein modernes, effizientes
und umweltverträgliches Verkehrsnetz gestellt, in dem
alle Verkehrsträger – Straße, Schiene, Wasserstraße und
Luftverkehr – ihren eigenen Schwerpunkt haben. Mit
mehreren Investitionsprogrammen haben wir den Ausbau
dieses integrierten Verkehrsnetzes vorangetrieben.

Wir haben das Schienennetz überproportional mit In-
vestitionsmitteln begünstigt: Es ist richtig, es gab An-
fangsschwierigkeiten beim Einsatz dieser unerwartet zur
Verfügung stehenden Mittel. Aber ich bin davon über-
zeugt: In diesem Jahr wird der Bahn auch die Punktlan-
dung bei der Ausgabe dieser Mittel gelingen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Das möchte ich bezweifeln!)


Wir haben ein Investitionsprogramm eingeleitet, mit
dem endlich die Langsamfahrstellen im Schienennetz, im
Bestandsnetz beseitigt werden.

Besonders begrüßen will ich an dieser Stelle, dass es
der Bundesregierung gelungen ist, den Ländern und den
Abgeordneten des Deutschen Bundestages schon jetzt
sämtliche Rohdaten für den nächsten Bundesverkehrs-
wegeplan zur Verfügung zu stellen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


– Immer mit der Ruhe! – Wer sich mit diesen Daten näher
beschäftigt hat, weiß, welcher Kraftakt hier zu leisten war.
Über 1 900 Projekte waren von den Ländern angemeldet
worden und sind vom Ministerium für Verkehr, Bau- und
Wohnungswesen in Zusammenarbeit mit externen Fach-
leuten hinsichtlich ihrer Kosten und Risiken, hinsichtlich
ihrer verkehrlichen Bedeutung usw. bewertet worden.
Gleichzeitig wurde ein völlig neues und ökologisch an-
spruchsvolles Bewertungsraster erstellt.

Die Länder werden nun bis zum Ende des Sommers die
vorhandenen Daten auf ihre Plausibilität und Vollständig-
keit zu überprüfen haben. Sie werden auch – darauf war-
ten wir alle mit Spannung – eine Prioritätenliste zu erstel-
len haben. Eine derartige Transparenz bei der Erstellung
des Bundesverkehrswegeplanes hat es in der Geschichte
der Bundesrepublik bisher noch nicht gegeben.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: So kann man das auch nennen!)


Vor diesem Hintergrund ist jedes kleinliche Geningele
darüber, dass der Bundesverkehrswegeplan noch nicht
endgültig verabschiedet worden ist, doch albern.


(Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Das ist ja wohl ein Witz!)


Ich möchte Sie daran erinnern, wie vehement Sie am An-
fang dieser Legislaturperiode die Notwendigkeit der
Überarbeitung des Bundesverkehrswegeplanes bestritten
und in Abrede gestellt haben.


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So war es! Genau!)


Wir haben dafür gesorgt, dass der unrealistische Bundes-
verkehrswegeplan von 1992, den Sie zu verantworten hat-
ten, zehn Jahre früher überarbeitet wird. Ab 2003 wird die
gesetzgeberische Arbeit zu dem Bundesverkehrswege-
plan abgeschlossen sein.

In den letzten vier Jahren sind wir auch bei der Ver-
kehrssicherheit entscheidend vorangekommen. Neben
dem Handyverbot am Steuer haben wir endlich eine klare
0,5-Promille-Regelung eingeführt. In Ihrer Regierungs-
verantwortung konnten Sie sich dazu nie durchringen,
sondern Sie pflegten augenzwinkernd die Vorstellung,
eine Verletzung der 0,5-Promille-Grenze sei ein Kava-
liersdelikt. Mit dem Programm „Mehr Sicherheit im
Straßenverkehr“ schützen wir vornehmlich die schwäche-
ren Verkehrsteilnehmer, die Kinder, die Älteren und mo-
bilitätsbehinderte Menschen.

Wir haben die Bahnreform aus der Sackgasse heraus-
geholt, in die sie einer Ihrer Bundesverkehrsminister,
nämlich Kollege Wissmann, erst hineingefahren hat. Wir
haben die Investitionsmittel für die Schiene um 59 Pro-
zent gesteigert.

Wir haben das Regionalisierungsgesetz verabschiedet.
Wir haben in zähen Verhandlungen Einvernehmen über
Höhe und Art der Dynamisierung der Regionalisierungs-
mittel erzielt und bereits im laufenden Haushaltsjahr wer-
den die Regionalisierungsmittel des Bundes an die Län-
der auf 6,7 Milliarden Euro ansteigen.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1424500400
Herr Kollege Weis,
gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Seifert
von der PDS-Fraktion?


Reinhard Weis (SPD):
Rede ID: ID1424500500
Bitte.


Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1424500600
Lieber Kollege Weis, Sie spra-
chen gerade so euphorisch davon, dass Menschen mit
Mobilitätseinschränkungen, zum Beispiel behinderte
Menschen, von Ihrem Bahnkonzept profitieren würden.
Können Sie mir bitte einmal sagen, warum immer noch
nicht festgelegt ist, dass jedes neue Verkehrsmittel, das
angeschafft wird, und zwar egal von wem, zum Beispiel
Deutsche BahnAG oder Vivendi –, alle Menschen, die es
wünschen, zum Beispiel Rollstuhlfahrerinnen und Roll-
stuhlfahrer, Menschen mit Kinderwagen, mitnehmen
können muss? Warum um Himmels willen legen Sie nicht
fest, dass ein Verkehrsmittel, das nicht jeden Menschen
mitnehmen kann, kein öffentliches Verkehrsmittel ist?


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das steht doch im Gesetz!)



Reinhard Weis (SPD):
Rede ID: ID1424500700
Herr Seifert, Sie
wissen, dass wir in dieser Legislaturperiode ein Gesetz




Reinhard Weis (Stendal)


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(A)



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verabschiedet haben, das den Mobilitätsbedürfnissen be-
hinderter Menschen gerecht wird. Das Prinzip der Barri-
erefreiheit ist verankert. Dieses Gesetz gilt seit dem
1. Mai dieses Jahres. Sie wissen auch, dass es zum Bei-
spiel bei der DB AG Bemühungen und Abstimmungen
mit dem eigenen Behindertenbeauftragten, den die
DB AG hat, gibt, das Ziel, das Sie ansprechen, umzuset-
zen. Dieser Auftrag ist in dem neuen Gesetz verankert.
Wir als Gesetzgeber werden natürlich die Wirkung dieses
Gesetzes und die Abwicklung der Verkehre, sei es auf der
Schiene oder auf der Straße, zu überprüfen und zu gege-
bener Zeit darauf zu reagieren haben.


(Beifall bei der SPD)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1424500800
Herr Kollege Weis,
gestatten Sie eine Nachfrage des Kollegen Seifert?


Reinhard Weis (SPD):
Rede ID: ID1424500900
Ja.


Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1424501000
Natürlich weiß ich, dass das
Gleichstellungsgesetz erst seit dem 1. Mai diesen Jahres
in Kraft ist. Aber ich weiß auch, dass in diesem Gleich-
stellungsgesetz nicht festgelegt ist, ab wann keine neuen
behindertenfeindlichen Verkehrsmittel mehr eingeführt
werden dürfen. Es steht nur darin, dass es irgendwann
nicht mehr sein soll, aber nicht, ab wann, geschweige
denn, dass es Übergangsfristen gibt.

Außerdem sprachen Sie von dem Behindertenbeauf-
tragten der BahnAG. Mir wurde gesagt, dass die BahnAG
jetzt beginnt, ein Konzept zu erarbeiten.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1424501100
Herr Kollege Seifert,
Sie müssen eine Frage stellen.


Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1424501200
Entschuldigung, Herr Präsi-
dent! – Warum haben Sie nicht vorgegeben, ab wann
keine behindertenfeindlichen Fahrzeuge mehr ange-
schafft werden dürfen und bis wann die vorhandenen
Fahrzeuge umgerüstet bzw. ausgetauscht werden müs-
sen? Es reicht doch nicht aus, dass die Bahn AG jetzt be-
ginnt, ein Konzept zu erarbeiten. Seit Jahrzehnten sind die
Behindertenverbände – –


Reinhard Weis (SPD):
Rede ID: ID1424501300
Herr Seifert, ent-
schuldigen Sie, dass ich schon jetzt mit der Antwort be-
ginne. Die Verantwortlichen für Verkehrsleistungen ha-
ben mit dem neuen Gesetz ein Datum gesetzt bekommen,
nämlich den 1. Mai, sich dieser Aufgabe zu stellen. Das
Ziel der Barrierefreiheit ist nicht auf Knopfdruck zu er-
reichen. Wir werden die Entwicklungen und die Reaktio-
nen auf dieses Gesetz beobachten.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Im Zusammenhang mit dem Schienenverkehr und mit
neuen Rahmenbedingungen für den Schienenverkehr ha-
ben wir mit der AEG-Novelle erstmals eine funkti-
onstüchtige Wettbewerbsaufsicht für die Schiene geschaf-
fen und zugleich Chancen für Streckenübernahmen durch

nicht bundeseigene Bahnen verbessert. Hier geht zum ei-
nen natürlich der Dank in Richtung Bundesregierung. Wir
als Parlamentarier der Koalitionsfraktionen wissen aber
auch, dass wir an dieser einvernehmlichen Lösung eben-
falls einen erheblichen Anteil haben. Natürlich haben
auch Sie, meine Damen und Herren von der Opposition,
in Ihrer Regierungszeit davon gesprochen, wie notwendig
die Verlagerung von der Straße auf die Schiene ist. Getan
haben Sie dafür allerdings nichts. Deshalb begrüßen wir
ausdrücklich die Ergebnisse derTaskforce, eine stärkere
Unabhängigkeit des Netzes durch transparente Leistungs-
verrechnungen, Bilanzen sowie Gewinn- und Verlust-
rechnungen, die zu veröffentlichen sind, innerhalb des
Konzerns DB AG herzustellen und eine unabhängige
Trassenagentur einzurichten, die die Diskriminierungs-
freiheit von Trassenpreisen und Trassenvergabe kontinu-
ierlich sicherstellen soll. Wir werden diese Ergebnisse so
rasch wie möglich umsetzen. Sie haben immer nur von
Wettbewerb geredet. Wir machen ihn möglich.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Es ist richtig, dass Sie an dieser Stelle ganz ruhig blei-
ben. Die Beiträge der Oppositionsparteien zum Thema
Bahn waren nämlich Dokumente der Zerstrittenheit in
Ihren Reihen. Ihr Fraktionsvorsitzender Herr Merz und
sein Fraktionskollege Fischer haben noch Anfang April
lauthals die konsequente Trennung von Netz und Betrieb
der DB AG gefordert. Das hat Ihren Kanzlerkandidaten
Herrn Stoiber allerdings wenig beeindruckt. Mit Schreiben
vom 22. April dieses Jahres versichert er Herrn Mehdorn,
eine Abtrennung des Schienennetzes aus der DB AG
werde es mit ihm nicht geben.


(Iris Gleicke [SPD]: Hört! Hört!)

Die Beschlüsse der Taskforce weisen in die richtige Rich-
tung. Sie im so genannten Kompetenzteam sollten erst
einmal untereinander klären, welche Verkehrspolitik Sie
wollen und wer zu welcher Aussage berechtigt ist.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ein weiterer Meilenstein der letzten Legislaturperiode
war die Einführung der entfernungsabhängigen LKW-
Maut. Auch zu diesem Thema hat die Opposition ihre
Rolle leider noch nicht gefunden. Eigentlich haben Sie
das Vorhaben mit auf den Weg gebracht. Aber als es dann
ernst wurde, schalteten Sie leider auf Populismus. Die
entfernungsabhängige LKW-Maut nimmt eine Schlüssel-
rolle in unserer Verkehrspolitik ein. Sie beteiligt ausländi-
sche Fahrzeuge endlich angemessen an der Finanzierung
unserer Verkehrsinfrastruktur. Die Wegekosten werden
verursachergerecht angelastet. Das ist ein erster Schritt,
Wettbewerbsverzerrungen auf dem europäischen Trans-
portmarkt abzubauen. Zu dem Problem der Wettbewerbs-
verzerrungen werde ich später noch zurückkommen.

Mit der LKW-Maut werden wir neue Investitionsspiel-
räume erschließen. Mehr als die Hälfte der Mittel ist für
zusätzliche Verkehrsinvestitionen zweckgebunden. Das
Anti-Stau-Programm wird ab dem nächsten Jahr mit
756 Millionen Euro jährlich finanziert werden, übrigens
unabhängig davon, dass die Maut voraussichtlich erst ab




Reinhard Weis (Stendal)

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Mitte 2003 erhoben wird. Entsprechende Verpflichtungs-
ermächtigungen sind im Haushalt eingestellt, damit die
Finanzierung des Anti-Stau-Programms schon zu Jahres-
beginn gesichert ist.

Auch für die nächste Legislaturperiode haben wir uns
viel vorgenommen. Die Mobilitätsansprüche werden wei-
ter wachsen. Deshalb bleibt der Ausbau des integrierten
Verkehrsnetzes eine dauerhafte Aufgabe. Wir werden den
Bundesverkehrswegeplan im Jahr 2003 verabschieden.
Wir wollen das Volumen des Güterschienenverkehrs bis
zum Jahr 2015 verdoppeln. Das ist ehrgeizig. Aber als das
am stärksten belastete Transitland in Europa gibt es dazu
keine Alternative.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Die Bahn muss in die Lage versetzt werden, ihre ver-
kehrspolitische Rolle wahrnehmen zu können.

Wir begrüßen ausdrücklich das 90-Milliarden-Euro-
Investitionsprogramm, das der Bundesminister für Ver-
kehr, Bau- und Wohnungswesen, Kurt Bodewig, vorge-
stellt hat. Bereits die Vorlage des Verkehrshaushaltes 2003
in diesen Tagen zeigt uns ein wachsendes Investitionsvo-
lumen mit der neuen Rekordhöhe von rund 12 Milliarden
Euro für 2003. Davon entfallen 4,6 Milliarden Euro allein
auf die Schiene und 4,9 Milliarden Euro auf die Bundes-
fernstraßen.

Kritik aus den Reihen der Opposition ist vor dem Hin-
tergrund dieser Zahlen geradezu lächerlich. Angesichts
des Ziels der Opposition, die Staatsquote auf 40 Prozent
zu senken, möchte ich wissen, aus welchem Topf die In-
vestitionen, die Sie fordern, bezahlt werden sollen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir müssen uns überlegen, wie wir die Übergänge zwi-
schen Straße, Schiene und Wasserstraße noch effizienter
gestalten können. Der Kombiverkehr hat immer noch nicht
die in ihn gesetzten Erwartungen erfüllt. Wir haben deswe-
gen das bestehende Instrumentarium überprüft. Wir werden
die Förderrichtlinien effizienter gestalten, damit wir die
Verdoppelung des Mittelansatzes, die wir uns vorgenom-
men haben, auch erreichen können. Das kann zum Beispiel
dadurch geschehen, dass auch mobile Verladeeinrichtun-
gen in den Kombiterminals finanziert werden können.

Wir müssen auch darüber nachdenken, wie die Verant-
wortung für die kommunale Verkehrsinfrastruktur ge-
stärkt wird. Das ist zwar keine originäre Bundesangele-
genheit, aber zum Verkehrssystem gehören nicht nur
Bundesautobahnen und Bundesstraßen.

Mein Kollege Wolfgang Spanier hat in der vergangenen
Sitzungswoche hier im Deutschen Bundestag das Problem
der Stadtflucht angesprochen und vor einem Ausbluten der
Städte gewarnt. Aus verkehrspolitischer Sicht möchte ich
diese Warnung ausdrücklich unterstreichen.


(Beifall der Abg. Franziska Eichstädt-Bohlig [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Die städtische Infrastruktur ist Teil des öffentlichen Rau-
mes, den wir für die Bürgerinnen und Bürger erhalten und

pflegen und den wir dort, wo er vernachlässigt worden ist,
zurückgewinnen müssen. Auch das gehört zu unserem in-
tegrativen verkehrspolitischen Ansatz. Obwohl der Bund
hierfür keine originäre Verantwortung und Zuständigkeit
hat, werden wir uns dieser Aufgabe in der Zukunft stellen
müssen.


(Beifall der Abg. Franziska Eichstädt-Bohlig [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Wir haben uns vorgenommen, die Lebensqualität in
den Städten und Gemeinden weiter zu verbessern.
300 Ortsumfahrungen stehen deshalb in unserem Investi-
tionsprogramm. Es geht uns aber auch um die Bedingun-
gen für den öffentlichen Personennahverkehr sowie für
Fahrradfahrer und Fußgänger.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Schließlich werden wir uns weiter um die in den Städten
bestehenden Umweltbelastungen durch den Verkehr küm-
mern müssen. Verkehrslärm ist immer noch ein Haupt-
problem bei der Beeinträchtigung der Wohnqualität.


(Iris Gleicke [SPD]: Das ist wahr!)

Noch ein Wort zur aktuellen Diskussion über die

Bahnwerke: Wir haben großes Verständnis für die Sor-
gen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Werken,
für die noch keine Bestandslösung gefunden wurde. Auch
wissen wir, wie eine Schließung vor allem der drei säch-
sischen Werke auf die betroffenen Regionen wirken
würde. Wir begrüßen es daher außerordentlich, dass im
vergangenen Jahr auf Anregung des Bundeskanzlers Ver-
handlungen zwischen der Bahn und den Gewerkschaften
in Gang gekommen sind. Diese Gespräche sind wegen des
grundlegenden Strukturwandels in diesem Bereich
schwierig. Aber ich bin sicher, dass die Bundesregierung
weiterhin jedes realistische Konzept für den Erhalt dieser
Werke konstruktiv begleiten wird.

Es bleibt allerdings festzuhalten: Die wirtschaftliche
Verantwortung für diese Werke liegt beim Vorstand der
DBAG. Es führt deshalb überhaupt nicht weiter, zum Bei-
spiel umfangreiche und nicht finanzierbare Programme
zur Umrüstung des Wagenparks der Bahn zu fordern, wie
das in einem Antrag der PDS getan wurde. Sie alle wissen,
dass der Bund erhebliche finanzielle Anstrengungen un-
ternimmt, um das System Schiene zu stärken. Darin wird
die Lösung für die Probleme im Werkebereich bestehen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir halten an unserem Ziel, die Wettbewerbsbedin-
gungen für alle Verkehrsträger fairer zu gestalten, fest.
Die Bahn ist nicht nur gegenüber dem Straßenverkehr,
sondern auch gegenüber dem Flugverkehr benachteiligt.
Das dürfen wir auf Dauer nicht so lassen.

Im grenzüberschreitenden Schienengüterverkehr be-
stehen schlimme Wettbewerbsnachteile gegenüber dem
Straßenverkehr. In diesem Bereich brauchen wir größere
Fortschritte, weil hier das größte Zuwachspotenzial für
den Schienengüterverkehr besteht. Manche Grotesken in
Europa, zum Beispiel drei Spurweiten, zwölf Schienensi-
cherungssysteme und fünf Stromsysteme, müssen wir
überwinden. Hier mahlen die Mühlen auf EU-Ebene sehr




Reinhard Weis (Stendal)


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langsam. Zudem ist dies ein schwieriges technisches Pro-
blem.

Auch hinsichtlich des Wettbewerbs auf dem europä-
ischen Straßengüterverkehrsmarkt bleibt viel zu tun. Unsere
EU-Partner sind in einen Subventions- und Dumping-
wettlauf eingetreten, der beim deutschen Transportgewer-
be eine schwierige Situation erzeugt hat. Auch wenn die
Subventionen der Nachbarn zum Ende dieses Jahres defi-
nitiv auslaufen werden, müssen wir auf europäischer
Ebene weiter die Initiative ergreifen,


(Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Da lachen ja die Hühner!)


um endlich das Problem der Wettbewerbsverzerrungen
vom Tisch zu bekommen. In diesem Bereich wird eine
Lösung gefunden werden müssen.

In diesem Zusammenhang – auch wegen des Zurufes –
ein Wort an die Adresse von CDU/CSU und FDP: Sie mö-
gen sich mit Ihrer Forderung, das deutsche Transportge-
werbe um 1Milliarde Euro zu entlasten, bei dieser Gruppe
lieb Kind machen wollen. Das mag kurzfristig denkenden
Gemütern genügen.


(Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Das haben doch Sie versprochen!)


– 1 Milliarde haben wir nie versprochen. Das kommt von
der CDU/CSU-Fraktion. – Mit dem Entlastungsvolumen,
das aus den Einnahmen aus der Erhebung der LKW-Maut
zur Verfügung steht, würden Sie das Mautprojekt zu einer
sinnlosen Umverteilungsmaschine entarten lassen.


(Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Das ist doch eine Lachnummer, Herr Kollege!)


Neue Investitionsspielräume, wie Sie sie fordern, würden
Sie auf diese Weise nicht gewinnen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Zur Bilanz – das ist dann der Abschluss meines Beitra-
ges, Herr Präsident – gehört ein Blick auf die Zusammen-
legung der beiden bisher getrennten Ministerien für Ver-
kehr einerseits und für Bau- und Wohnungswesen
andererseits. Dieses Projekt halte ich für geglückt. Die
Zusammenlegung der Ausschüsse allerdings müsste
noch einmal überdacht werden; das ist bereits in der
letzten Sitzungswoche im Rahmen der Wohnungsdebatte
angesprochen worden.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der PDS)


Es ist nicht unüblich, dass ein einziges Ministerium von
mehr als einem Ausschuss parlamentarisch begleitet wird.

Aufgrund der Themenfülle aus beiden Politikberei-
chen haben uns die Ausschusssitzungen bisweilen über
die Maßen strapaziert – in ihrer zeitlichen Dauer, in den
nicht enden wollenden Tagesordnungen und auch in man-
chen nicht enden wollenden Diskussionsbeiträgen. Ich
möchte mich deshalb bei Ihnen, Herr Vorsitzender, lieber
Edi Oswald, für die Arbeit bedanken, die Sie für diesen
schwierigen Ausschuss zu leisten hatten.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU, und der PDS)


Sie haben die Sitzungen immer mit Humor und mit großer
Fairness geleitet. Herzlichen Dank dafür.


(Beifall bei der SPD und der PDS sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1424501400
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Horst Friedrich, FDP-Fraktion.


Horst Friedrich (FDP):
Rede ID: ID1424501500
Herr Präsident!
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Sehr
verehrter Herr Verkehrsminister, ich habe mit großer Auf-
merksamkeit und Anspannung Ihren Worten gelauscht
– zumindest das hat eine Abschiedsregierungserklärung
verdient –, aber die Ausführungen haben mich nicht er-
staunt. Es war zum wiederholten Male der misslungene
Versuch, eine in sich stimmige Systematik in der Ver-
kehrspolitik darzustellen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Herr Minister, Sie gehen ja schon von falschen Vo-
raussetzungen aus. Sie haben Ihre Ausführungen mit der
Aussage eingeleitet, Deutschland sei ein attraktiver Wirt-
schaftsstandort. Die Realität ist: Es hat noch nie so viele
Pleiten in Deutschland gegeben wie in diesem Jahr unter
Ihrer Regierung.


(Zuruf von der FDP: Leider!)

Sie haben ausgeführt, Sie hätten sichere Finanzen für

die Verkehrswege gewährleistet. Ich erinnere nur an die
Zusage von Bundeskanzler Schröder vor einigen Mona-
ten in Thüringen, die ICE-Strecke Nürnberg–Erfurt, das
Verkehrsprojekt „Deutsche Einheit“ Nr. 8, jetzt zügig um-
zusetzen. Ich bin gespannt, wie sich das in den Finanz-
plänen auswirkt. Ich sehe da noch nichts.

Sie haben die Luftfahrtpolitik gelobt. Fakt ist: Alle
anderen Luftfahrtgesellschaften in Europa, die vom
Schließen des Luftraums in den USAvom 11. bis 15. Sep-
tember 2001 betroffen waren, haben ihre Ausgleichszah-
lungen bereits erhalten, nur die deutschen Luftfahrtge-
sellschaften noch nicht. Warum eigentlich nicht, Herr
Minister?

Der letzte Punkt: Sie haben die Tonnagesteuer gelobt.
Das ist richtig. Diese Steuer haben wir ja noch beschlos-
sen. Nur, Sie haben zwei Jahre gebraucht, um die Verord-
nung umzusetzen, damit endlich mit der Tonnagesteuer
gearbeitet werden kann.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Das ist Ihre Regierungspolitik, Herr Minister! Dass Sie

in dieser Zeit drei Minister und sagenhafte zehn Staats-
sekretäre brauchen, um diese schlechte Leistung an den
Mann zu bringen, wundert im Endeffekt nicht mehr.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Herr Minister, Sie haben viele neue Programme mit

immer neuen Überschriften aufgelegt, dabei aber im
Grunde immer nur das gleiche Geld lediglich über andere
Zeiträume verteilt, um nach außen zu signalisieren, Sie




Reinhard Weis (Stendal)

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würden mutig investieren. Ob im Investitionsprogramm,
im so genannten Anti-Stau-Programm oder im Programm
„Bauen jetzt“ – Sie verteilen Geld, das Sie noch nicht
haben und wahrscheinlich zu dem von Ihnen selbst ge-
setzten Zeitpunkt nicht erhalten werden. Dadurch werden
konsequenterweise auch Ihre Programme notleidend.

Ich will das im Einzelnen erklären: Das Investitions-
programm war der erste so genannte Wurf Ihres Hauses.
In dem Zeitraum, der tatsächlich zur Verfügung steht,
1999 bis 2002, haben Sie 18,6 Milliarden DM für den
Straßenbau zur Verfügung gestellt. Das ist nicht mehr,
aber auch nicht weniger, als wir zur Verfügung gestellt
hatten. Aber danach, ab 2003, läuft das Programm mit
22Milliarden. Sie ziehen also bereits hiermit einen Wech-
sel auf die Zukunft, weil Sie noch gar nicht wissen, wie
2003 die Situation aussieht.

Zum Anti-Stau-Programm: Die einzige und damit
die Hauptfinanzierungsquelle dieses Programms ist die
Umstellung der LKW-Maut von der zeitbezogenen Vi-
gnette auf die streckenabhängige Gebühr. Ja, liebe Kolle-
gen und Kolleginnen, seit dem Jahre 2000 – ich sage nur:
Landtagswahl Nordrhein-Westfalen; ein Schelm, wer Bö-
ses dabei denkt – tragen Sie dieses Programm gewisser-
maßen wie eine Monstranz als Lösung der Krise in der
deutschen Bauindustrie und in der Infrastruktur vor sich
her. Und was ist am Ende Ihrer Regierungszeit tatsächlich
passiert? Ihr Haus, Herr Minister Bodewig, hat es auf-
grund einer dilettantischen Verfahrensweise noch nicht
einmal geschafft, das Ausschreibungsverfahren so hin-
zubekommen, dass es gerichtsfest war.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Sie mussten durch das Gericht gezwungen werden, einen
weiteren Anbieter in das Verfahren zu nehmen, wodurch
es natürlich zeitlich verlängert wird – und das bei dem
Haus, das eigentlich für die Grundlagen der Ausschrei-
bungen insgesamt zuständig ist. Das ist eine Blamage auf
sehr hohem Niveau.

Bis heute, Herr Minister, sind Sie nicht in der Lage zu
entscheiden, welches Konsortium tatsächlich den Zu-
schlag für die Errichtung des Systems erhält. Ich sage Ih-
nen voraus: Das unterlegene Konsortium wird sicherlich
gegen diese Entscheidung klagen, insbesondere deswe-
gen, weil einige gewöhnlich gut unterrichtete Kreise be-
reits veröffentlicht haben, dass ein ganz bestimmtes Kon-
sortium schon den Zuschlag erhalten hat. Wie sich das mit
einer seriösen Vergabepolitik verträgt, müssen Sie selber
entscheiden. Ich kann Ihnen nur sagen: Das war wirklich
Dilettantismus auf hohem Niveau.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Wenn man seriöserweise annimmt – dazu verwende

ich Ihre Zahl, Herr Minister –, dass für die Errichtung des
Systems und die entsprechenden Probeläufe wenigstens
ein Jahr anzusetzen ist, kann man davon ausgehen, dass
der Beginn einer Mautpflicht zum 1. Januar 2003 abso-
lut illusorisch ist. Ihr Haus weist nun mit Vehemenz auf
den 1. Juli 2003 hin, auch diesen Termin sehe ich noch
nicht. Wir sollten seriöserweise davon ausgehen, dass der
1. Januar 2004 der richtige Zeitpunkt ist, und zwar unab-
hängig davon, ob es einen passiven Widerstand gegen den

Einbau der On-board-Units geben wird oder nicht. Ich
glaube, vor diesem Zeitpunkt ist das nicht zu realisieren.

Wenn sich aber, Herr Minister Bodewig, der Zeitpunkt
für die Einführung der Maut verschiebt, dann verschieben
sich selbstverständlich auch die daran hängenden Pro-
gramme. Das gilt sowohl für das Anti-Stau-Programm als
auch für das von Ihnen konzipierte Programm „Bauen
jetzt“ – das soll der allseits selig machende Rundum-
schlag sein –, also den Anbau von dritten Streifen an be-
stehende Autobahnen durch private Vorfinanzierung. Da
auch hier die Finanzierung mindestens zur Hälfte und vor
allen Dingen initiativ durch die Abtretung von Mautein-
nahmen erfolgen soll, wird auch dieses von Ihnen als
große Unterstützung des deutschen Baugewerbes mit
großem Trara vorgestellte Programm wahrscheinlich spä-
ter, wenn überhaupt, starten.

Vor allen Dingen – Herr Minister, das sollten Sie ernst
nehmen – schließen Sie mit dieser Regelung weite Teile
der mittelständischen Bauindustrie von diesen Modellen
aus. Sie sind nämlich dank Ihrer konsequenten Steuer-
politik in dieser Wahlperiode nicht in der Lage, die Vor-
finanzierung sicherzustellen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Damit lassen Sie große Teile der mittelständischen Bau-
wirtschaft sehenden Auges an die Wand fahren.

Das gleiche Desaster ist nun mit Ihrem Versprechen
passiert, in der 14. Legislaturperiode einen neuen Bun-
desverkehrswegeplan aufzustellen; dies ist Inhalt Ihrer
Koalitionsvereinbarung. Er ist sicherlich auch notwendig,
um die von Ihnen ausgelöste Programmitis durch verläss-
liche Programmatik zu ersetzen. Was Sie uns und den
Ländern jetzt allerdings auf einer CD abgeliefert ha-
ben, ist bestenfalls der Versuch eines neuen Bundes-
verkehrswegeplans.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Ein Versuch? Das ist eine Missgeburt! Da steht nichts drin!)


Die schiere Auflistung aller angemeldeten Projekte mit
der lapidaren Begründung „Einstufungsvorschlag: noch
offen“ für alle Projekte ist keine Arbeitsgrundlage für die
Bundesländer, verehrte Kolleginnen und Kollegen von
der Regierungskoalition. Das haben die Länder nach mir
vorliegenden Informationen auch übereinstimmend so ge-
sehen, egal von welcher Mehrheit sie derzeit noch regiert
werden. Sie haben dazu Folgendes gesagt:

Die Länder haben die Vorlage der Unterlagen mit In-
teresse entgegengenommen. Eine erste Durchsicht
zeigt aber, dass viele der vom BMVBW vorgelegten
Bewertungen unvollständig, fehlerhaft und nicht im-
mer tragfähig sind. Aufgrund des Prüfvorgangs ist
erwartbar, dass es zu einem Datenrückfluss an das
BMVBW für neue Bewertungsläufe kommen wird,
um eine stabile Datenbasis zu erreichen. Eine Priori-
sierung der Projekte auf Landesebene bedarf der po-
litischen Absicherung und ist fachlich nur möglich
auf fester Datenlage sowie in Kenntnis des künftigen
Finanzrahmens, der Abschneidegrenze für den vor-
dringlichen Bedarf und in Kenntnis des endgültigen
Kollektivs indisponibler Maßnahmen. Deshalb wird




Horst Friedrich (Bayreuth)


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es nicht gelingen, noch vor Ende dieser Bundestags-
wahlperiode, geschweige denn in sechs Wochen, der
Bitte des BMVBW um Priorisierung der Projekte
seitens der Länder zu entsprechen.

Herr Minister, alle diese Antworten sind Sie auch heute
schuldig geblieben.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Vernichtender kann man die Vorarbeit Ihres Hauses zu
diesem wichtigen Thema und zur Planbarkeit von Inves-
titionen nicht ausdrücken.

Ebenso ungelöst ist das Thema „Investitionen bei der
Bahn“. Nach wie vor erhält die Bahn mehr Geld, als sie
zeit- und bedarfsgerecht ausgeben kann. Ich fühle mich in
meiner Kritik zu den Haushalten 2000, 2001 und 2002 be-
stärkt; denn auch in diesem Jahr kann die Bahn das Geld
offensichtlich nicht ausgeben. Die Ausführungen des
Bundesrechnungshofes zum Vergabeverfahren der Deut-
schen Bahn setzen die Kritik nahtlos fort. Herr Minister,
eine vernünftige Schienenpolitik und eine konsequente
Ausbaupolitik werden Sie nur erreichen, wenn Sie die
Schiene nicht mehr ausschließlich nach den Geschäfts-
plänen der Deutschen Bahn ausbauen, sondern wenn es
endlich zu Wettbewerb kommt.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Dazu ist es notwendig, die Trennung von Netz und Be-
trieb endlich umzusetzen, eine Aufgabe, vor der Sie
zurückschrecken. Die Grünen haben ja schon einen An-
lauf unternommen, sind dann aber gestoppt worden.

Eines muss man Ihnen allerdings lassen, Herr Minister.
Bei einem Thema haben Sie es geschafft, zwei Landes-
regierungen aufeinander zu hetzen, nämlich im Zusammen-
hang mit dem Transrapid. Dieses Projekt haben Sie an-
geblich ebenfalls gut finanziert; aber auch hier verteilen
Sie nur virtuelles Geld. Die angeblichen 2,2 Milliarden
Euro, die zur Verfügung stehen – der Kollege Weis hat sie
als Landesmittel bezeichnet; ich frage mich dann aber,
warum sie im Bundeshaushalt stehen müssen –, sind fak-
tisch in keinem Haushalt gedeckt.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Der Höhepunkt aber ist, dass Sie ausgerechnet für das

Projekt mit den schlechteren Wirtschaftsdaten, nämlich
dem in NRW, mehr Geld bereitstellen, was dazu führen
wird, dass keines der beiden Projekte zur konsequenten
Umsetzung gelangt. Damit werden wir in die Situation
kommen, dass nach den Blaupausen für die Strecke ir-
gendwann auch die Blaupausen für die Technik in China
sind und wir die Technik aus China zurückkaufen müssen.

Das ist nicht das Gelbe vom Ei, Herr Minister. Eine
große deutsche Zeitung mit vier Buchstaben hat zu Beginn
der Amtszeit der Regierung Schröder geschrieben: Avanti
dilettanti! Dem kann man sich nur anschließen. Eines aber
haben Sie tatsächlich geschafft, Herr Minister: Die Belas-
tung für den deutschen Autofahrer war noch nie so hoch
wie unter Ihrer Regierung und der Rückfluss in die Straße
war noch nie so niedrig wie unter Ihrer Regierung.


(Reinhard Weis [Stendal] [SPD]: Das ist doch verkehrt!)


Mit Steuererhöhungen allein – das sollten Sie begrei-
fen – löst man keine Probleme. Das aber ist Ihr Grundübel:
Sie werfen jedem Problem in Deutschland eine Steuer-
erhöhung hinterher. Es wird endlich Zeit, dass vernünftige
Programme für Mobilität Wirklichkeit werden. Unser An-
trag dazu liegt Ihnen heute vor.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1424501600
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Albert Schmidt, Bündnis 90/Die Grünen.

Albert Schmidt (Hitzhofen) (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kol-
legen! Mobilität ist Bewegungsfreiheit, eine Freiheit, die
im Osten dieses Landes als Reisefreiheit erkämpft worden
ist. In einer offenen Gesellschaft ist Mobilität eine Grund-
bedingung für individuelle Entfaltung und ebenso für so-
ziale und wirtschaftliche Teilhabe. Mobilität ist aber mit
Verkehr verbunden, Verkehr mit all seinen belastenden
Faktoren: enorme Infrastrukturkosten, Lärm, Landschafts-
und Energieverbrauch, CO2-Emissionen, Unfallopfer. Dasist die Kehrseite der Medaille.

Kernaufgabe einer zukunftsfähigen Verkehrspolitik ist
es daher, Mobilität zu gewährleisten, zugleich aber die be-
lastenden Folgen des Verkehrs zu begrenzen, zu verrin-
gern und die öffentlichen Haushalte zu schonen. Das ist
die Herausforderung, der sich diese Regierung gestellt
hat.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Lachen bei der FDP)


Sie mögen lachen, aber es ist schlichte Realität, dass
wir die Investitionen für das Verkehrsnetz in Deutsch-
land aus einem historischen Tief auf ein beachtliches Re-
kordniveau geführt haben: von 9,5 Milliarden Euro in
1998 auf 12 Milliarden Euro in 2003. Das entspricht einer
Steigerung um 26 Prozent binnen vier Jahren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Dies ist zum größten Teil das Ergebnis einer massiven Er-
höhung der Schieneninvestitionen von damals 2,7 Milli-
arden Euro auf 4,6Milliarden Euro im Jahre 2003, also ei-
ner Erhöhung um 70 Prozent binnen vier Jahren. Das
bedeutet: Nach Jahren der Vernachlässigung wird das
Streckennetz der Bahn endlich von Grund auf moderni-
siert. Wir führen die Bahn ins 21. Jahrhundert.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Das ist aber noch nicht alles, liebe Kolleginnen und
Kollegen. Dank der veranschlagten Bundesmittel hat
auch das Unternehmen Deutsche BahnAG eine in der Ge-
schichte der Eisenbahn beispiellose Investitionsoffensive
gestartet. Mit sage und schreibe 45 Milliarden Euro wird
über fünf Jahre das Bestandsnetz saniert und technisch auf
Vordermann gebracht, werden Bahnhöfe saniert und aus-
gebaut, werden moderne Fahrzeuge für den Nah- und
Fernverkehr beschafft. Das ist – das sage ich als Grüner




Horst Friedrich (Bayreuth)

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(A)



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mit besonderem Stolz – der größte Kraftakt pro Bahn, den
es in diesem Land jemals gegeben hat.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Das gesamte System Bahn wird runderneuert, und
zwar nicht, damit wir eine gute Bilanz haben, sondern für
die Fahrgäste. An die Adresse der Fahrgäste möchte ich
aber auch sagen, dass Hunderte von Baustellen unter dem
rollenden Rad natürlich erst einmal Unannehmlichkeiten
und Probleme verursachen. Aber mit jeder beseitigten
Langsamfahrstelle, mit jedem neuen elektronischen Stell-
werk und mit jedem schicken Nahverkehrszug, der in Be-
trieb geht, können die Fahrgäste buchstäblich Zug um Zug
erfahren, was den Reiz einer modernen Bahn ausmacht,
nämlich mehr Pünktlichkeit, mehr Sicherheit und mehr
Attraktivität.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, diese Rekordinvesti-
tionen haben wir vorgenommen trotz einer Steuerreform,
die die Steuerzahler in einem Umfang entlastet, wie es
dies vorher noch nicht gegeben hat, trotz eines konse-
quenten Abbaus der Neuverschuldung und trotz Schul-
denrückzahlung. Unter Waigel und Wissmann haben Sie
das Gegenteil gemacht. Sie haben den Bahnbauetat hem-
mungslos zusammengestrichen und zugleich eine galop-
pierende Neuverschuldung zugelassen. Das ist der Unter-
schied zwischen Rot-Grün und Schwarz-Gelb.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Wir investieren aber nicht nur mehr. Wir sorgen auch
dafür, dass das Zugangebot in der Fläche, in Stadt und
Land besser wird. Weil wir mehr und modernere Züge
wollen, haben wir mit dem neuen Regionalisierungs-
gesetz, das die Opposition hier abgelehnt hat, Rekordsum-
men zur Verfügung gestellt, und zwar allein für das letzte
Jahr 13,4 Milliarden DM. Das sind 600 Millionen DM
mehr, als es das alte Gesetz verlangt hatte. Mit dem neuen
Gesetz erhöhen wir diesen Betrag – gesetzlich garantiert –
bis zum Jahre 2007 nochmals um 100 Millionen Euro pro
Jahr, damit das Zugangebot in Stadt und Land weiter ver-
bessert wird und damit die Bundesländer – das sage ich
als Grüner gerne dazu – auch Verbindungen vom Typ In-
terregio durch Bestellerzuschüsse erhalten und fortent-
wickeln können.

Ich halte die ersatzlose Streichung von Interregio-Ver-
bindungen für verkehrspolitisch falsch und für unterneh-
merisch fantasielos.


(Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Sie sitzen doch im Aufsichtsrat! Warum haben Sie es nicht verhindert?)


Der Erfolg des Interconnex-Zuges auf der Linie Gera–Ber-
lin–Rostock zeigt doch, dass mit innovativen Konzepten
auch auf angeblich unrentablen Linien attraktiver Bahn-
verkehr organisiert werden kann.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Dafür ist endlich mehr Wettbewerb durch Trennung von Netz und Betrieb notwendig!)


– Darauf komme ich noch, Kollege, keine Sorge.
Am schlimmsten wirkt sich der Modernisierungsrück-

stand von Jahrzehnten bis heute beim Güterverkehr auf
der Schiene aus. Ob schnelle Umschlaganlagen, moderne
Fahrzeugtechnik oder Logistik – es fehlt beinahe an al-
lem. Trotzdem haben wir auch hier die Aufholjagd aufge-
nommen, mit mehr Investitionen und einer ganz gezielten
Förderung.

Zum Konzept Mora C möchte ich deutlich sagen: Die
betriebswirtschaftlich begründeten Entscheidungen von
DB Cargo zur Schließung kleiner Güterverkehrsstellen,
von denen wir alle irgendwie betroffen sind, sind ver-
kehrspolitisch oft nicht nachvollziehbar und sorgen zu
Recht für heftige Diskussionen vor Ort. Trotzdem können
wir heute feststellen, dass die Transportleistung auf der
Schiene seit 1998 klar zugenommen hat, und zwar von
74 Milliarden Tonnenkilometern auf heute 80 Milliarden
Tonnenkilometer allein bei DB Cargo.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Großartig!)

Innovative Privatbahnen verzeichnen pro Jahr zwei-

stellige Zuwachsraten. Dies hat natürlich auch damit zu
tun, dass wir dafür gesorgt haben, dass die Trassenpreise
für kleinere Privatbahnen faktisch halbiert wurden und
dass wir gezielt die Mittel des Förderprogramms für den
kombinierten Verkehr erhöht und diese Fördermöglich-
keit auch Privaten eröffnet haben. Das ist ein Anfang.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Die Umsetzung der Vorschläge der Taskforce für einen
fairen und neutral überwachten Wettbewerb zwischen
konkurrierenden Bahnunternehmen wird eine zusätzliche
Dynamik auf die Schiene bringen. Am Ende dieser Ent-
wicklung aber – das will ich hier ganz klar sagen, damit
keine Zweifel aufkommen; das vertreten wir Grüne seit
1996 –


(Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Erst?)

wird und muss die eigentümerische und unternehmeri-
sche Entflechtung von Transportunternehmen und Schie-
nennetz stehen.


(Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Bravo!)

Dies liegt in der Logik der europäischen Wettbewerbspo-
litik und in der Logik der Sache selbst.

Es wäre eine Wiederholung des britischen Fehlers, mit
dieser Infrastruktur – sei es auch in einem integrierten
Konzern – an die Börse zu gehen; denn die negativen Fol-
gen sind bekannt: Das Netz würde verschlissen und es
würde zu wenig investiert. Außerdem würde der Staat – da-
mit auch die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler – Jahr
für Jahr Milliardenbeträge in ein Bahnnetz stecken, nur
damit sich am anderen Ende des Goldesels die privaten
Shareholder ihre garantierte Rendite abholen können. Das
ist eine geradezu absurde Vorstellung, die mit Marktwirt-
schaft nichts zu tun hat.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)





Albert Schmidt (Hitzhofen)


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(D)



(A)



(B)


Umgekehrt, liebe Kolleginnen und Kollegen, wird ein
Schuh daraus: Mit der Sanierung der Transportunterneh-
men im Bahnkonzern entstehen Anreize für eine echte pri-
vate Beteiligung an den Transportgesellschaften.


(Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Ja!)

Die Infrastruktur dagegen muss – wie die Straße auch –
als Teil der Daseinsvorsorge dauerhaft in öffentlicher Ver-
antwortung bleiben.


(Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Dann müssen Sie die Transportgesellschaften getrennt lassen!)


Jetzt will ich an die Adresse der lieben Kolleginnen und
Kollegen von der Union sagen: Wie ist denn dazu Ihre Po-
sition? Die Bundestagsdrucksache 14/6440 ist ein im
wahrsten Sinne des Wortes bahnbrechender Antrag, un-
terzeichnet von Friedrich Merz,


(Klaus Hasenfratz [SPD]: Wer ist das?)

Dirk Fischer und anderen. Die markige Überschrift lautet:
Konsequente Trennung von Netz und Betrieb im deut-
schen Schienenverkehr. – Dort heißt es:

Netz einerseits und Betrieb andererseits sind … zu
trennen.

– Gut gebrüllt, Löwe!
Jetzt kommt aber der Löwe aus München. Mir

liegt ein Brief des Kanzlerkandidaten der Union vom
22. April 2002 vor, in dem dieser an den sehr geehrten
Herrn Mehdorn schreibt:

Weder ich noch der Vorsitzende der CDU-
Bundestagsfraktion Dr. Merz sind der Ansicht, dass
unerlässliche Voraussetzung für eine optimale Ver-
marktung des Schienennetzes eine vollständige
Trennung von Netz und Betrieb … ist.

Was gilt denn nun, Herr Dr. Merz? Leider ist er jetzt nicht
da. Trennung oder nicht? Hü oder hott? Herr Merz ist doch
im Kompetenzteam. Er will doch regieren. Er kann uns an
dieser Stelle aber nicht sagen, was er eigentlich will.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Ein sehr inkompetentes Kompetenzteam!)


Es kommt noch viel besser. Der Kandidat Stoiber
schreibt weiter:

Vielmehr sehe ich eine konsequente Umsetzung der
Vorschläge der Taskforce als einen ersten wichtigen
Schritt. Verbunden mit einer Verstetigung und weite-
ren Erhöhung der Bundesmittel für das Schienennetz
könnte damit bereits ein wesentlicher Teil der Netz-
problematik gelöst werden.

(Reinhard Weis [Stendal] [SPD]: Genau das machen wir auch!)

Vielen Dank für die Blumen, Herr Stoiber! Das ist genau
das, was wir gemacht und beschlossen haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Wenn Herr Stoiber so weitermacht, dann fülle ich meine
Beitrittserklärung bei der CSU aus.

Herr Stoiber beendet sein Schreiben mit folgenden
Worten:

Ich habe kein Interesse an der Neueröffnung dieser
Diskussion im Bundestagswahlkampf.

Ich sage Ihnen: Wir hingegen haben schon ein Interesse
daran. Wir haben selten so gelacht. Die einzige Trennung,
die die großen Bahnexperten Friedrich Merz und Dirk
Fischer bisher hinbekommen haben, ist die Trennung zwi-
schen der Bundestagsfraktion und dem Spitzenkandida-
ten. Das ist Ihre Bilanz.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Erwarten Sie bitte nicht, dass Sie nach dieser strategi-
schen Meisterleistung auch nur ein Mensch in diesem
Lande in der bahnpolitischen Debatte ernst nimmt.

Einen entscheidenden Impuls für mehr Gütertransport
auf der Schiene wird natürlich die von uns beschlossene
LKW-Maut bringen. Sie schafft bei den Transportkosten
endlich Waffengleichheit zwischen Straße und Schiene.
Die schweren Trucks werden nicht länger über Deutsch-
lands Autobahnen von Grenze zu Grenze rasen können,
ohne für die Benutzung der Autobahn wenigstens Danke zu
sagen. In Zukunft wird jeder LKW kilometergenau für die
Autobahnnutzung bezahlen. Das ist verursachergerecht;
denn wer Straßen verbraucht, soll dafür auch bezahlen.

Die LKW-Maut wird die Straßen auf zweifache Weise
entlasten, nämlich zum einen mit einem etwa verfünf-
zehnfachten Kilometerpreis im Verhältnis zum heutigen
Niveau. Das heißt, dass alle logistischen Hebel in Bewe-
gung gesetzt werden, um teure Leerfahrten zu vermeiden.
Im Zweifel wird man die Ladung sogar auf die Bahn oder
das Binnenschiff verlagern. Die Zuwächse im Straßen-
güterverkehr zu begrenzen und zu verlagern, das ist unser
Ziel. Dazu wird die LKW-Maut beitragen. Jeder Güter-
transport, den wir von der Straße auf die Schiene bringen,
ist ein Anti-Stau-Programm für den besseren Verkehrs-
fluss auf Deutschlands Straßen. Die Urlauber werden sich
das in diesem Sommer sehr genau überlegen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Zum anderen wird aus den Nettoeinnahmen der LKW-
Maut ein Bauprogramm gegen den Stau finanziert, um im
gesamten Verkehrsnetz Engpässe zu beseitigen, nicht nur
auf der Straße, sondern zu gleichen Teilen auf Schiene und
Wasserstraße.

Wir haben in dieser Legislaturperiode eine Trend-
wende in der Klimabilanz des Straßenverkehrs erreicht.
Seit Einführung der Ökosteuer 1999 sinkt der Spritver-
brauch auf Deutschlands Straßen – und damit die CO2-Belastung – erstmals deutlich und kontinuierlich. Das
heißt, die Menschen fahren etwas weniger Auto. Sie fah-
ren aber vor allem deutlich sparsamer Auto. Immer mehr
benutzen auch Bus und Bahn. Genau das ist der Sinn der
Ökosteuer und genau das ist die ökologische Lenkungs-
wirkung, die wir immer wollten.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Birgit Albert Schmidt 24628 Homburger [FDP]: Hören Sie endlich mit den Märchen auf!)





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(A)


(B)


Aber wir haben nicht nur das erreicht. Durch die Ein-
führung der Entfernungspauschale lohnt sich das Umstei-
gen umso mehr. Wer in diesen Tagen seine Lohn- und Ein-
kommensteuererklärung für 2001 macht, wird feststellen,


(Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Dass er vielleicht drei Formulare mehr für den gleichen Tatbestand ausfüllen muss!)


dass er deutlich mehr steuerliche Entlastung zurückbe-
kommt, wenn er mit Bus, Bahn oder Fahrrad zur Arbeit
gefahren ist. Das heißt, die einseitige Bevorzugung des
Autofahrens für den Weg zur Arbeit ist beendet. Auch das
ist in der deutschen Verkehrspolitik neu.

Wir haben mit einer Fülle weiterer Maßnahmen, die ich
jetzt nur stichwortartig ansprechen möchte, den Verkehr
umweltfreundlicher und menschenverträglicher gemacht.
Erdgasbetriebene Fahrzeuge werden steuerlich begüns-
tigt. Die Brennstoffzelle und der Solarwasserstoff sind
hoffnungsvolle Entwicklungen, die wir sowohl im Zu-
kunftsinvestitionsprogramm als auch in der verkehrs-
wirtschaftlichen Energiestrategie fördern. Wir haben
Treibstoffe aus nachwachsenden Rohstoffen von der
Mineralölsteuer befreit. Mit der vorzeitigen Einführung
des schwefelarmen bzw. schwefelfreien Kraftstoffs haben
wir den Ausstoß von Schadstoffen reduziert. Wir haben
die Einrichtung von Tempo-30-Zonen erleichtert, die für
eine höhere Lebensqualität in den Städten und in den Ge-
schäftszentren, für Kinder, alte Menschen und Fußgänger
wichtig sind. Außerdem haben wir durch die Absenkung
der Promillegrenze, die Sie ebenfalls abgelehnt haben, für
eine höhere Verkehrssicherheit gesorgt.

Vor allem aber – das ist mir außerordentlich wichtig
und dafür möchte ich mich bei dem Minister bedanken –
haben wir für den am meisten unterschätzten Verkehrs-
träger eine wesentliche Neuerung auf den Weg gebracht.
Wir haben nämlich mit dem Nationalen Radverkehrs-
plan einen „Masterplan FahrRad“ nach holländischem
Vorbild vorgelegt, mit dem wir die Länder und Kommu-
nen dazu einladen, aus Deutschland ein fahrradfreund-
liches Land zu machen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Endlich wird auch in Deutschland politisch für den Rad-
verkehr in die Pedale getreten. Wir haben schon vorsorg-
lich die Mittel für den Radwegebau im Bundeshaushalt
verdoppelt.


(Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Langsam! Die große Studie kommt hinterher!)


Wir haben aber auch mit einer Grundsatzentscheidung
der rot-grünen Bundestagsmehrheit eine Binnenschiff-
fahrt zum Ziel erklärt, die die Flüsse naturverträglich
nutzt, womit wir das verkehrswirtschaftliche Interesse
und die Ökologie miteinander in Einklang bringen. Mit
dem Beschluss zum sanften Ausbau der Donau – den der
Minister heute noch einmal bekräftigt hat – unter Verzicht
auf Kanalisierung und Staustufen haben wir dies beispiel-
haft umgesetzt.

Für meine grüne Fraktion füge ich hinzu: Ein
vergleichbar ökologisch sensibles Vorgehen erwarten wir
auch an der Elbe, Oder, Havel und Saale.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Ihr traut euch nicht einmal, ein Raumordnungsverfahren zu eröffnen!)


Ich verbinde diese Erwartung sehr konkret mit dem Na-
men Matthias Platzeck,


(Rolf Kutzmutz [PDS]: Ach!)

dem ich an dieser Stelle herzlich gratuliere und eine
glückliche Hand für seine neue Aufgabe wünsche.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Dass Brandenburg im Naturschutz mit an der Spitze steht,
ist in großem Maß auch sein Verdienst. Deshalb hoffen
wir, dass wir bei den anstehenden Entscheidungen auch
mit seiner Hilfe umweltverträgliche Lösungen finden.

Wir haben in der Verkehrspolitik viel bewegt und wol-
len nach 2002 das Erreichte stabilisieren und fortsetzen.
Für uns Grüne steht dabei an oberster Stelle, dass Bahnfah-
ren durch preiswertere Fahrkarten billiger werden muss.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der PDS)


Die Fahrpreise werden von den Unternehmen gestal-
tet, doch wir Politiker können und sollten nach dem Bei-
spiel anderer europäischer Länder die Mehrwertsteuer im
Fernverkehr endlich auf das Niveau absenken, das bereits
im Nahverkehr gilt. Dann würde sich der Ticketpreis um
10 Prozent vermindern.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Eine Sondersteuer nach der anderen!)


Wir werden auch dafür sorgen müssen, dass der öf-
fentliche Verkehr aus Bus und Bahn durch einen qualifi-
zierten Wettbewerb, der auch ökologische und soziale
Standards festschreibt, noch weiter verbessert wird.
„Qualität durch Wettbewerb“ muss hierbei das Leitmotto
sein.

Natürlich müssen wir auch die Herkulesaufgabe der
Aufstellung eines neuen Bundesverkehrswegeplans zum
Abschluss bringen. Wir verfolgen die klare Devise, dass
die Verkehrswege in Deutschland bezahlbar und umwelt-
verträglich sein müssen. Das heißt für uns, dass es wenig
Sinn macht, allen alles zu versprechen, wie es früher der
Fall war. Vielmehr wollen wir ehrlich angeben, was finan-
zierbar und ökologisch vertretbar ist. Das heißt, dass alle
Projektvorschläge einer ökologischen Risikoeinschät-
zung nach dem aktuellsten Stand der Wissenschaft und
des Umweltrechts unterzogen werden müssen, soweit sie
nicht bereits in laufenden Programmen abgesichert sind.
Das heißt auch, dass die Länder akzeptieren müssen, dass
wir für jedes Projekt aktuelle Kosten-Nutzen-Berechnun-
gen erstellen, um sicherzustellen, dass keine unrentablen
Maßnahmen finanziert werden.




Albert Schmidt (Hitzhofen)


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(C)



(D)



(A)



(B)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich zu-
sammenfassen, damit klar wird, worum es bei der Wahl-
entscheidung am 22. September auch gehen wird. In ver-
kehrspolitischer Hinsicht besteht die Alternative entweder
in einer Rückkehr zu der eindimensionalen Verkehrspoli-
tik der Vergangenheit oder in der Fortsetzung der von uns
eingeleiteten mehrfachen Trendwende von der Investiti-
onskürzung zum soliden Ausbau der Verkehrswege,


(Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Vor allem zu Steuererhöhungen!)


von der einseitigen Bevorzugung des Straßenverkehrs zu
größerer Chancengleichheit für Bus und Bahn, vom CO2-Anstieg im Straßenverkehr zur CO2-Verminderung, vonder Energieverschwendung zum Spritspar- und Null-
Emissionsfahrzeug. Diese Trendwende haben wir einge-
leitet. Auf diese Leistung der Koalition bin ich stolz. Ge-
nauso werden wir weitermachen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1424501700
Ich erteile dem Kolle-
gen Dr. Winfried Wolf von der PDS-Fraktion das Wort.


Dr. Winfried Wolf (PDS):
Rede ID: ID1424501800
Sehr geehrter Herr Präsi-
dent! Werte Kolleginnen! Werte Kollegen! Wir erleben
offensichtlich eine Generaldebatte zum Thema Verkehr.
Offensichtlich wird eine Bilanz von vier Jahren der Poli-
tik von SPD und Grünen gezogen. Es ist eine Art Schau-
laufen und ein bisschen wird auch eine Doppelstrategie
der Kampa deutlich: Nach außen wird der Kanzler aller
Autos präsentiert, zum Beispiel in der gläsernen Fabrik in
Dresden, und nach innen, im Bundestag, gegenüber Ver-
bänden, auch Umweltverbänden, und Gewerkschaften
wird gesagt: Wir sind auch für die Bahn und für den öf-
fentlichen Verkehr.

Wenn man das auf einen Nenner bringt, dann muss man
schon sagen, Kollege Lippold: Ein bisschen müssen Sie
SPD und Grüne auch loben, weil sie zum Beispiel keinen
neuen Bundesverkehrswegeplan aufgelegt, sondern Ihren
Bundesverkehrswegeplan fortgesetzt haben. Da wurde
ein bisschen „Weiter so“ praktiziert.


(Beifall bei der PDS)

Allerdings muss man sagen, dass in starkem Maße

nach der Devise „Links blinken, rechts abbiegen“ oder
„Richtige Ansätze aufgreifen, sie aber so ausgestalten,
dass sie konterkariert werden“ verfahren wird. Das gilt
zum Beispiel für die Ökosteuer, deren Erlöse nicht in den
sozialen und ökologischen Umbau geleitet werden. Das
gilt auch ganz konkret, Kollege Ali Schmidt, für die
LKW-Maut, die einen richtigen Ansatz darstellt, aber
ganz eindeutig nicht zur Verlagerung auf die Schiene oder
auf die Binnenschifffahrt, sondern vor allem zur Verlage-
rung auf andere Fernverkehrsstraßen und auf kleine
LKWs führen wird.


(Beifall bei der PDS)

Den Höhepunkt stellt das Projekt Transrapid dar. Es

war richtig, das Projekt Transrapid auf der Strecke Ham-
burg–Berlin zu stoppen, aber es war falsch, neue Projekte

wie Metrorapid im Ruhrgebiet und Transrapid in Mün-
chen zu propagieren. In den Schwerpunkten von Herrn
Bodewig zum Thema Verkehr heißt es: „Diese innovative
Technik Transrapid wird im Interesse des Industriestand-
orts Deutschland für den Einsatz als schnelles Regional-
verkehrssystem angepasst.“ – Dazu kann ich nur sagen:
Das ist einfach voll daneben.


(Beifall bei Abgeordneten der PDS)

Dieses System als Nahverkehrssystem, wie schnell auch
immer, einzusetzen ist der falsche Weg.

Der Bundesrechnungshof hat am 4. Juni in seiner Bi-
lanz gesagt: Beide Magnetbahnstrecken sind selbst „nach
den Kriterien des Bundesministeriums nicht realisie-
rungswürdig.“ – Dennoch wollen Sie für diese Strecken
bis zu 2,3 Milliarden Euro ausgeben. Das ist der völlig
falsche Weg. Das widerspricht auch betriebswirtschaftli-
chen Kriterien.


(Beifall bei der PDS)

Ich möchte nicht nur schwarz-weiß malen. Ich gebe zu,

dass man zu einigen Aspekten, Kollege Ali Schmidt, si-
cherlich eine differenzierte Bilanz vortragen muss. Das
gilt aber nicht für den Güterverkehr. Da ist der Anteil der
Schiene eindeutig massiv zurückgegangen. Das gilt nicht
für die Binnenluftfahrt. Deren Anteil ist massiv gestiegen.
Das gilt aber beim Spritverbrauch und bei Teilen des
Nahverkehrs. Sie haben gesagt, das sei zum ersten Mal
passiert. Daraufhin habe ich mir die Zahlen gestern Nacht
noch einmal angeguckt und festgestellt: Das ist nicht
wahr. Es war 1980/82 und 1993/95 genauso. Immer dann,
wenn rezessive Tendenzen und hohe Ölpreise gegeben
waren, wurde gespart, was ja auch sinnvoll ist.


(Beifall bei der PDS sowie des Abg. Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP])


Entscheidend für uns von der PDS ist: Wohin geht die
Verkehrsreise? Wohin lenken uns SPD und Grüne? Ich
möchte in fünf Punkten klarmachen, warum es in die
falsche Richtung geht:

Erstens. Wir stellen fest, dass das Schienennetz von
Jahr zu Jahr um 300 bis 400 Kilometer kürzer wird,
während das Straßennetz von Jahr zu Jahr um 400 bis
500 Kilometer länger wird. Da öffnet sich die Schere im-
mer weiter zuungunsten der Schiene. Zudem entstehen
neue Binnenflughäfen, vor allem im regionalen Bereich.
Sie sagen, es werde das Wegekostenprinzip eingeführt.
Das ist ja gut und schön, aber wenn es primär bei der
Schiene eingeführt wird, wenn primär bei der Schiene das
Vollkostenprinzip gelten soll, wenn zudem – wie es
heißt – ein Regionalfaktor auf die Trassenpreise aufge-
schlagen werden soll und noch 3 000 Kilometer Neben-
strecken abgebaut werden sollen, dann ist das der falsche
Weg. Da wird im falschen Bereich das Netz reduziert.


(Beifall bei der PDS)

Zweitens. Ich behaupte, dass Sie im Fernverkehr eine

eindeutige Konzentration auf Hochgeschwindigkeits-
strecken betreiben. Wir greifen nicht die Hochgeschwin-
digkeitsstrecken als solche an, aber wir kritisieren die
Konzentration darauf. Wir müssen nämlich feststellen,
dass gleichzeitig im Fernverkehr ganze Regionen ab-




Albert Schmidt (Hitzhofen)

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(A)



(B)


gehängt werden, sogar Landeshauptstädte, Magdeburg
zum Beispiel, wichtige Hansestädte, Rostock zum Bei-
spiel, der Raum Koblenz/Bonn/Mainz weitgehend, Ost-
friesland, Oberschwaben und der Schwarzwald, weil In-
terregio-Verkehre eingestellt werden. Wenn Sie, Kollege
Schmidt, sagen, auch Sie seien dagegen, dann frage ich:
Warum haben Sie nicht für die Anträge zum Erhalt des In-
terregio gestimmt, die wir in den Bundestag eingebracht
haben?


(Beifall bei der PDS – Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Weil wir bei der Bahn keinen Staatskonzern haben wollen, sondern Wettbewerb!)


Wir bringen einen Antrag konkret zum Raum Mann-
heim ein; denn die Neubaustrecke Frankfurt–Stuttgart soll
an Mannheim vorbei führen. Dies wird in der gesamten
Region Mannheim kritisiert. Am 16. Juni hat der Stutt-
garter Landtag einstimmig erklärt, dass in Mannheim wei-
terhin alle ICEs halten müssen. Ich als Schwabe sage:
Wenn in Stuttgart die Badener und Kurpfälzer einstimmig
verteidigt werden, dann heißt das etwas.


(Beifall bei Abgeordneten der PDS)

Trotzdem haben Sie, Herr Bodewig, im „Mannheimer
Morgen“ argumentiert, dass Sie sich nicht auf eine Posi-
tion gegen einen solchen Bypass festlegen wollen.

Drittens. Wir meinen, dass bei der Bahn eine Politik be-
trieben wird, die letzten Endes diese verkehrte Verkehrs-
politik noch einmal verstärkt. Ich habe hier keine Zeit,
über Mitropa und Speisewagen, über den Tod einer Rei-
sekultur zu reden. Ich möchte nur etwas sagen zum neuen
Bahnpreissystem. Das ist kein Innerbahnthema. Herr
Bodewig, Sie haben im Januar das neue Bahnpreissys-
tem PEP genehmigt. Das System ist, erstens, weit weni-
ger transparent als das jetzige System, es wird, zweitens,
Millionen treue Fahrgäste, die Bahncard-Besitzer, durch
die Halbierung des Rabattes vor den Kopf stoßen und es
macht, drittens, den Vorteil der Bahn kaputt, dass man
wirklich spontan zum Bahnhof gehen, einsteigen und fah-
ren kann. Am 16. Mai war Herr Mehdorn bei uns in der
Fraktion zu Besuch. Er hat es auf den Punkt gebracht und
gesagt: Spontanfahren wird in Zukunft seinen Preis ha-
ben. Man wird zum Teil stehen müssen und es wird teurer
sein. Das ist die Bilanz des neuen Bahnpreissystems.

Viertens. Ich sagte, dass wir im Bereich der Binnen-
luftfahrt eine Negativentwicklung erleben und die Bin-
nenluftfahrt in Konkurrenz zum Schienenfernverkehr
tritt. Wir erleben, dass die Preise der Billigfluglinien
– Stichworte: Preussag/TUI und Germania – zum Teil
30 bis 40 Prozent unter den Preisen der Deutschen
Bahn AG liegen. Wenn ich dann noch feststelle, dass der
Boss von Preussag/TUI, Herr Frenzel, gleichzeitig Auf-
sichtsratsvorsitzender der Deutschen BahnAG ist, möchte
ich sagen: Honni soit qui mal y pense – verrucht sei, wer
Böses dabei denkt.

Fünftens und letztens. Wir sagen, dass die falsche Ver-
kehrspolitik auch mit Blick auf die Arbeitsplätze benannt
werden muss. Wir erleben bei der Bahn, dass Jahr für Jahr
10 000 Arbeitsplätze abgebaut werden. Wir erleben jetzt,
dass fünf Bahnbetriebswerke geschlossen werden sollen,

darunter drei in den ostdeutschen Regionen, wo wirklich
ein Kahlschlag betrieben wird. Wenn von einem Wachs-
tum bei der Schiene und sogar von einer Verdoppelung
des Güterverkehrs gesprochen wird, weiß ich nicht,
warum Bahnbetriebswerke geschlossen werden sollen
und weiter Beschäftigung abgebaut wird.

Wir haben deswegen einen Antrag eingebracht, in dem
wir sagen: Wir wollen den Umbau des Wagenparks der
Deutschen BahnAG – sie sollen dann behindertengerecht
und mit neuen Sicherheitstechniken ausgestattet sein –
besonders fördern. Das ist kein Innerbahnthema. Wir ha-
ben einen entsprechenden Auftrag in das Bundesbehin-
dertengleichstellungsgesetz geschrieben. Daran könnte
man anknüpfen und man könnte beides verbinden: auf der
einen Seite Arbeitsplätze sichern und auf der anderen
Seite konkret etwas für die Bahn tun.


(Beifall bei der PDS – Dr. Ilja Seifert [PDS]: Das war mal was Gutes!)


Zum Schluss: Kollege Weis, ich glaube, die Krönung
Ihrer Politik ist nicht, dass Sie die Bahnreform aus der
Sackgasse geführt haben, sondern dass Sie die Bahn ge-
gen den Prellbock fahren werden, wenn Sie das wahr ma-
chen, was Mehdorn will, wenn Sie nämlich die Bahn bör-
senfähig machen. Das heißt konkret, sie an der Börse zu
verkaufen. Herr Mehdorn war der Wunschkandidat von
Kohl, er war der Mann von Schröder, und Stoiber sagt
schon, er würde mit ihm weiter arbeiten wollen. Damit
wird genau der falsche Weg beschritten. Der Weg der
Bahn an die Börse ist ähnlich wie bei Telekom und gelber
Post der falsche Weg. Wir glauben, dass damit Service ab-
gebaut wird, die Einheitlichkeit des Bahnsystems zerstört
wird und weitere Zehntausende Arbeitsplätze kaputtge-
macht werden.

Ich möchte mit einem Zitat aus der Resolution der Be-
triebsräte der Bahnbetriebswerke Ost schließen – in dem
Zusammenhang begrüße ich, dass der Betriebsrats-
vorsitzende des Delitzscher Werkes hier anwesend ist –,


(Beifall bei der PDS)

die geschrieben haben:

Die Privatisierung der Bahn als Vernichtungsma-
schine von Arbeitsplätzen muss gestoppt und zu-
rückgenommen werden.

Genau das ist richtig gesagt.
Danke schön.


(Beifall bei der PDS)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1424501900
Ich erteile das Wort
der Kollegin Iris Gleicke, SPD-Fraktion.


Iris Gleicke (SPD):
Rede ID: ID1424502000
Herr Präsident! Liebe Kollegin-
nen und Kollegen! Die Vollendung der deutschen Einheit
bleibt unsere wichtigste nationale Aufgabe. Wenn wir die-
ses Ziel erreichen wollen, brauchen wir in Ost und West
die möglichst rasche Angleichung der Lebensverhält-
nisse. Wir brauchen gleiche Chancen in Bildung und Aus-
bildung, wir brauchen gleichen Lohn für gleiche Arbeit.
Eine moderne Infrastruktur ist die unabdingbare Voraus-
setzung, um diese Ziele zu erreichen.




Dr. Winfried Wolf

24631


(C)



(D)



(A)



(B)


Unsere Verkehrspolitik für die neuen Bundesländer ist
Wirtschaftspolitik in besonderer und mehrfacher Bedeu-
tung:


(Beifall bei der SPD)

Die Investitionen in den Ausbau der Verkehrswege

schaffen und sichern Arbeitsplätze im Osten. Gleichzeitig
sichern sie die wirtschaftlichen Chancen Ostdeutsch-
lands. Genau deshalb haben wir trotz aller Sparzwänge
am zügigen Ausbau der Verkehrswege unbeirrt festgehal-
ten. Diese Investitionen sind einfach unverzichtbar.


(Beifall bei der SPD)

Aus dem gleichen Grund haben wir den zunächst nicht fi-
nanzierbaren Weiterbau der ICE-Strecke durch Thüringen
aufgenommen, als es wieder möglich war. Herr Kollege
Friedrich, wir gehen davon aus, dass dem EBAdie Finan-
zierungsvereinbarung im Juli vorgelegt und schnellstens
genehmigt wird, sodass die finanzielle Umsetzung zügig
verankert werden kann.


(Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Das muss im Haushalt stehen!)


Wir haben bewiesen, dass der Aufbau Ost für uns Vor-
rang hat:


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Das Anti-Stau-Programm umfasst 3,8 Milliarden Euro;
davon fließen 25 Prozent in den Osten. Das Zukunftsin-
vestitionsprogramm umfasst 4,5 Milliarden Euro; davon
fließen mehr als 30 Prozent in den Osten. Das
EFRE-Bundesprogramm Verkehrsinfrastruktur umfasst
3 Milliarden Euro, die komplett in den Osten fließen. Das
Investitionsprogramm 1999–2002 umfasst 34 Milliar-
den Euro; davon fließt mehr als die Hälfte in den Osten.
Das ist unsere Infrastrukturpolitik für Ostdeutschland, die
wir konsequent fortsetzen werden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Der nächste Bundesverkehrswegeplan, den wir im
kommenden Jahr vorlegen werden, wird einen besonde-
ren Schwerpunkt auf Ostdeutschland legen. Was die Ost-
deutschen von einem Kanzler Stoiber zu erwarten hätten,
steht im Wahlprogramm von CDU und CSU.


(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Nur Gutes!)

Sie haben angekündigt, die Staatsquote „schrittweise und
dauerhaft auf unter 40 Prozent“ zu senken. Das muss man
sich wirklich einmal auf der Zunge zergehen lassen! Im
Moment liegt die Staatsquote bei 48 Prozent. Eine pau-
schale und undifferenzierte Absenkung auf 40 Prozent
hätte eine Verringerung der öffentlichen Investitionen um
170 Milliarden Euro bei Bund, Ländern und Gemeinden
zur Folge. Für den Bund würde das eine Kürzung der Aus-
gaben um etwa 80 Milliarden Euro bedeuten; das ent-
spräche einer Kürzung des Bundeshaushalts um ungefähr
ein Drittel.


(Hans-Günter Bruckmann [SPD]: Hört! Hört! – Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Das Rechenbeispiel von Herrn Eichel hat schon vorher nicht gestimmt! Das wird hinterher nicht besser!)


Statt etwa 13 Milliarden Euro stünden im Investitionsetat
des Bundesministers für Verkehr, Bau und Wohnungswe-
sen nur noch 8,5 Milliarden Euro für Investitionen zur
Verfügung. Sie wollen die Investitionen im Bereich Ver-
kehr von 11,5 Milliarden Euro auf 7,5 Milliarden Euro
senken. Das ist die Wahrheit!


(Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Wo steht das denn? Wie kommen Sie denn darauf?)


Diese Kürzungen haben natürlich Konsequenzen: Kein
einziges der mehr als 1 900 im Rahmen des Bundesver-
kehrswegeplanes angemeldeten Vorhaben könnte in diesem
Jahrzehnt begonnen werden, keine Ortsumgehung, keine
Schienenprojekte, keine Wasserstraße, rein gar nichts. Ein
Drittel der Bundesmittel für den kommunalen Straßenbau
und den öffentlichen Personennahverkehr nach dem Ge-
meindefinanzierungsgesetz würde ganz einfach wegfallen.


(Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Reden Sie doch nicht so einen Unsinn!)


Auch die Regionalisierungsmittel müssten natürlich ge-
senkt werden, nämlich um 2,2 Milliarden Euro im Jahr,
was Abbestellungen und Stilllegungen von öffentlichen
Nahverkehrsleistungen in den Ländern in massivem Aus-
maß zur Folge hätte.


(Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Das wird durch ständiges Wiederholen nicht besser!)


Dieser Irrsinn würde den Osten völlig platt machen:
keine A 14, keine A 72, keine Hochgeschwindigkeits-
strecke Halle/Leipzig–Erfurt–Nürnberg!


(Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Mir treibt es die Tränen in die Augen! Wer war denn dagegen? Das waren doch Sie! Es ist nachweislich, dass Sie gegen die A14 gestimmt haben! Sie haben den Bundesverkehrswegeplan abgelehnt!)


– Schreien Sie doch nicht so!
Das Kompetenzteam rudert mittlerweile zurück, nach

dem Motto: „War ja alles nicht so gemeint!“. Ich glaube
nicht, dass das alles nicht so gemeint war. Ich glaube, Sie
meinen das wirklich sehr ernst. Genau deshalb brauchen
Sie Lothar Späth als Märchenonkel für den Osten.


(Widerspruch bei der CDU/CSU)

Er soll die Leute beruhigen, indem er ihnen alle paar Tage
erzählt, dass das Kompetenzteam die Ankündigungen im
Wahlprogramm gar nicht so ernst meint.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Herr Stoiber als Rumpelstilzchen?)


Das konnten wir erst vor kurzem wieder feststellen, als
Herr Stoiber die „geniale“ Idee vortrug, in Bundesgesetze
zeitlich befristete Öffnungs- und Experimentierklau-
seln für Ostdeutschland zur Förderung von Investitionen
einzubauen. Herr Späth sagte, dass es nach elf Jahren Ein-
heit wohl zu spät sei, ganz Ostdeutschland zu einer Son-
derwirtschaftszone zu erklären, und dass die EU da ver-
mutlich nicht mitmachen werde. Damit hat Lothar Späth
völlig Recht.


(Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Was ist er denn jetzt? Märchenonkel oder nicht?)





Iris Gleicke
24632


(C)



(D)



(A)



(B)


Diese Forderung steht allerdings in Ihrem Wahlpro-
gramm. Und das sollen wir doch ernst nehmen – oder
etwa nicht? Ich frage mich tatsächlich, was für eine Kom-
petenz dieses Team hat.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich jedenfalls nehme Ihr Wahlprogramm sehr ernst.
Dieses Programm läuft darauf hinaus, dass Sie den Osten
am langem Arm verhungern lassen wollen. Sie reden von
Experimentierklauseln und meinen in Wirklichkeit Dum-
pinglöhne für die Ostdeutschen und zweierlei Recht in
Deutschland. Sie reden von der Absenkung der Staats-
quote und meinen in Wirklichkeit, dass es allmählich ge-
nug sei mit der Sonderförderung für den Osten. Diese
Geisteshaltung kennen wir schon: Es ist noch gar nicht so
lange her, da hat sich Herr Stoiber darüber beklagt, dass
die Ostdeutschen zu wenig dankbar seien. Der Mann hat
Recht. Wir sind keinem Bayern dankbar, dessen Freistaat
über 30 Jahre lang satte Bundeshilfen kassiert hat. Wir
sind überhaupt niemandem dankbar. Nein, wir sind stolz
auf das, was wir zusammen mit Gerhard Schröder und
dieser Bundesregierung für den Osten erreicht haben.

Schönen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1424502100
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Günter Nooke, CDU/CSU-Fraktion.


Günter Nooke (CDU):
Rede ID: ID1424502200
Herr Präsident! Sehr
verehrte Damen und Herren! Ich fange einmal ganz ruhig
an:

Als eines der gravierendsten Standortdefizite der
neuen Länder wird in vielen Regionen unzureichend
ausgebaute Verkehrsinfrastruktur angesehen.

So steht es schwarz auf weiß im jüngst veröffentlichten
ersten Fortschrittsbericht zum Aufbau Ost, in einem Be-
richt, den sich die Bundesregierung bestellt hat und der ihr
bescheinigen sollte, wie es Frau Gleicke hier anzudeuten
versuchte, beim Aufbau Ost sei alles prima.


(Iris Gleicke [SPD]: Das habe ich nicht gesagt!)


Dem ist nicht so. Fünf Wirtschaftsinstitute bestätigen,
dass der Aufbau Ost in den letzten Jahren ins Stocken ge-
raten ist. Die Bedingungen für stärkeres Wachstum in den
neuen Ländern sind zu verbessern, die noch bestehenden
Standortmängel sind zu beseitigen.

Man muss sich einmal klar machen, dass es sich nicht
lohnt, hier Reden zu halten, in denen man Herrn Späth
persönlich beschimpft.


(Iris Gleicke [SPD]: Das gefällt Ihnen nicht! Kann ich mir vorstellen!)


Meinen Sie nicht, dass es besser wäre, einmal den Kon-
sens, der ja eigentlich in Ihren Reihen da ist, zum Thema
zu machen?


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Was hat denn der Lippold für eine Rede gehalten?)


Der „Tagesspiegel“ hat gestern geschrieben: Stolpe – Ihre
angebliche Wunderwaffe gegen Lothar Späth – sagt, die
SPD hat den Osten vernachlässigt.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Wenn wir das als Ausgangsbasis nehmen würden, um uns
jetzt anzustrengen, und uns fragen würden, was beim In-
frastrukturausbau zu tun ist, könnte das sehr viel mehr als
solch eine Rede bewirken.

Der Minister hat ja zumindest die neuen Länder er-
wähnt. Darüber ist man ja heute schon froh. Aber er hat
nicht konkret gesagt, was das eigentlich bedeutet.


(Iris Gleicke [SPD]: Das habe ich Ihnen gerade gesagt!)


Ich habe von ihm Zahlen von irgendwelchen Finanzmit-
teln gehört, die in den Osten fließen.


(Iris Gleicke [SPD]: Irgendwelche? Haha!)

Das reicht aber nicht. Schauen Sie sich die konkreten Pro-
jekte an. Die sich im ost- und mitteldeutschen Raum ent-
wickelnden Wachstumszentren müssen doch miteinander
verbunden werden, um die vorhandenen Potenziale auszu-
schöpfen. Sie müssten zum Beispiel die A 72 bauen; aber
Ihr damaliger Verkehrsminister und heutiger Generalse-
kretär Müntefering hat das Projekt gestoppt. Pikanterweise
fordern Sie, um von Ihren Versäumnissen abzulenken,
jetzt, im Wahljahr – so geschehen auf Ihrem Sonderpartei-
tag –, als Wahlgeschenk den Bau ebendieses Verkehrs-
weges mit höchster Priorität. Das ist doch nicht seriös; das
überzeugt die Menschen doch nicht. Wenn die sich die
konkreten Projekte anschauen, glaubt Ihnen das keiner.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Sie wollen damit doch bloß von den verloren gegange-
nen Milliarden für den Osten ablenken, die durch den Bau
der Transrapid-Strecke von Hamburg nach Berlin geflos-
sen wären. Dabei handelte es sich um ein Milliardenpro-
jekt. Sie aber gehen in Berlin eine Koalition mit der PDS
ein und verhindern das größte Infrastrukturprojekt in den
neuen Ländern, den Großflughafen in Berlin-Schönefeld.


(Widerspruch bei der PDS – Zuruf des Abg. Reinhard Weis [Stendal] [SPD])


Da könnten Sie Zeichen setzen und sich wirklich einmal
profilieren. Nichts dergleichen ist aber zu erkennen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Sie beschäftigen sich hier in Berlin lieber mit der

Durchfahrt durch das Brandenburger Tor und der Frage,
ob die Französische Straße geschlossen bleiben soll, statt
eine zukunftsgerichtete Politik zu machen. Nicht nur die
großen transeuropäischen Ost-West-Trassen interessieren
Sie nicht, selbst die Verbindungen im Bezirk Mitte hier in
Berlin bekommen Sie nicht auf die Reihe. In diesem Zu-
stand befindet sich Ihre Verkehrspolitik.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Lassen Sie mich noch darauf hinweisen, wie viel Be-

darf es an Infrastrukturentwicklung im kommunalen Be-
reich insbesondere im Verkehrsbereich gibt. Wir haben




Iris Gleicke

24633


(C)



(D)



(A)



(B)


natürlich in den neuen Ländern einen erheblichen Bedarf
an Ortsumgehungen.Hier gab es nicht 40 Jahre lang wie
in der alten Bundesrepublik eine relativ gute Entwick-
lung, sondern in früheren Zeiten Versäumnisse. Es wäre
gut, wenn man sich diesem Problem stellen würde.


(Zuruf von der SPD: Haben wir doch gemacht!)


Die gravierenden Infrastrukturprobleme im kommunalen
Bereich in Ostdeutschland können natürlich nicht gelöst
werden, wenn die Kommunen das aus eigener Kraft
schaffen müssen. Dazu brauchen Sie sich nur die Finanz-
lage der Kommunen anschauen.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Sie sind wohl zu spät aufgestanden!)


Ihre Politik hat die Kommunen insgesamt, aber die im
Osten besonders, ruiniert. Es ist kein Geld da; nicht ein-
mal für die simpelsten und notwendigsten Dinge im Ver-
kehrsbereich kann dort etwas getan werden.

Lassen Sie mich noch etwas sagen: Angesichts der vie-
len Vorschläge, die wir hier zum Thema Aufbau Ost
gemacht haben, sollten Sie sich bitte schön nicht über Öff-
nungs- und Experimentierklauseln in unserem Wahl-
programm lustig machen; denn das ist der einzige Weg,
Bürokratie abzubauen, unnötige Gesetze abzuschaffen
und endlich eine Entwicklung in Gang zu setzen, die den
Leuten im Osten wieder Perspektiven gibt und das Gefühl
vermittelt, dass es aufwärts und vorwärts geht und der
Aufbau Ost wirklich stattfindet und nicht zu einer Neben-
sache, zum Abbau Ost, verkommt.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Schauen Sie sich einmal an, was wir in diesem Bereich
vorschlagen. Von Ihnen ist in der Sache nichts gekommen.


(Zuruf von der SPD: Was haben Sie dazu beigetragen?)


Öffnungs- und Experimentierklauseln bedeuten, dass wir
Deutschland modernisieren. Dazu sind wir im Osten als
Erste bereit, weil das Wasser in Ostdeutschland noch viel
höher als in anderen Teilen der Republik steht. Deshalb sind
wir bereit, schneller voranzugehen. Wir wollen damit zei-
gen, dass es auch im Rahmen von Planungs- und Genehmi-
gungsverfahren möglich ist, Verkehrsprojekte schnell zu
realisieren. Sie sind nicht einmal bereit gewesen – ich habe
die Grünen ja im Vermittlungsausschuss erlebt –, das Ver-
kehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz zu verlängern
und auf Westdeutschland auszudehnen, obwohl es sich in
den neuen Bundesländern bewährt hat. Ohne dieses Gesetz
hätten wir bei den Verkehrsprojekten Deutsche Einheit noch
nicht einmal den Stand erreicht, den wir jetzt erreicht haben.
Wir werden uns auch weiterhin für dieses Gesetz einsetzen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Es ist offensichtlich, dass wir in der Verkehrspolitik,

insbesondere im Interesse der neuen Länder, einen Wech-
sel brauchen.

Danke schön.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dr. Peter Danckert [SPD]: Herr Nooke, Sie sollten nicht zu jedem Thema reden!)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1424502300
Ich erteile dem Kolle-
gen Hans-Günter Bruckmann, SPD-Fraktion, das Wort.


Hans-Günter Bruckmann (SPD):
Rede ID: ID1424502400
Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! Mit meinen Ausführungen
möchte ich Ihre Aufmerksamkeit auf den Luftverkehr len-
ken, der seit dem 11. September national wie internatio-
nal eine Krise zu bewältigen hat, die nicht vorherzusehen
war. Aufgrund der gemeinsamen Bemühungen der Bun-
desregierung und der Luftverkehrswirtschaft ist es uns ge-
lungen, das Vertrauen in den Luftverkehr wieder herzu-
stellen. Beispiele dafür sind die Hilfen bei der
Versicherungsproblematik und beim Schadensausgleich
sowie das Gesetz zur Erleichterung des Marktzugangs im
Luftverkehr.

Dies wird durch die Einschätzung der IATA gestützt,
die prognostiziert, dass sich die Luftverkehrswirtschaft ab
2003 von den Rückschlägen erholen und überproportio-
nal wachsen wird. Damit besteht die Notwendigkeit, sich
mit den Folgen dieser Dynamik auseinander zu setzen und
zu klären, wie der Luftverkehr auf Dauer zukunftsfähig
gestaltet werden kann.

Nach den Anschlägen vom 11. September vergan-
genen Jahres ist jedem klar geworden, dass wir dieser
neuen Herausforderung mit einer wesentlich effizienteren
und weltweit lückenlosen Sicherheitskonzeption zu be-
gegnen haben. Aufgrund der Internationalität des Luftver-
kehrs sind vor allem einheitliche und verbindliche Sicher-
heitsstandards zwischen allen am Luftverkehr beteiligten
Staaten zu vereinbaren. Die Bundesregierung wird von der
Koalition dahin gehend unterstützt, bei der Weltluftfahrt-
organisation die weiter gehenden Sicherheitsstandards
weltweit verbindlich zu machen. Sicherheitsmaßnahmen
gelten gleichermaßen für alle. Sie dürfen nicht auf Umwe-
gen zu Wettbewerbsverzerrungen führen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Das gilt auch für unsere Partner in den USA, mit denen
wir in solchen Fragen eigentlich immer partnerschaftlich
zusammengearbeitet haben. Wir waren vor kurzem mit ei-
ner Delegation des Verkehrsausschusses in den Vereinig-
ten Staaten und haben mit unseren amerikanischen Kolle-
gen über das APIS-Programm diskutiert. Im Rahmen
dieses Programms ist zu melden, wer demnächst an einem
Luftverkehrsstandort landet; man geht dabei von einer
97-prozentigen Sicherheitsmarge aus. Diese ist derzeit so
gut wie nicht erreichbar, weil dies über die geltenden Rah-
menbedingungen hinausgeht. Wir haben unseren Partnern
deutlich gemacht, dass wir gemeinsam eine verträgliche
Lösung finden müssen.

In diesem Zusammenhang will ich mich auch bei mei-
nen Kollegen von der CDU bedanken.


(Eduard Oswald [CDU/CSU]: CDU/CSU! So viel Zeit muss sein!)


– Bei Ihnen natürlich auch; so viel Zeit muss sein, Herr
Oswald. Wir wollen die CSU nicht vergessen.


(Eduard Oswald [CDU/CSU]: Die CSU ist wichtiger denn je!)





Günter Nooke
24634


(C)



(D)



(A)



(B)


In diesem Punkt waren wir erfolgreich. Wir unterstützen
das Programm, das unser Minister eine Woche zuvor mit
den Amerikanern beraten hatte.

Fairer Wettbewerb muss natürlich auch für die Zertifi-
zierung unserer weltweit führenden Sicherheitstechnik
durch amerikanische Aufsichtsbehörden gelten. Hier
scheint es noch großen Abstimmungsbedarf zu geben. Al-
lerdings begrüßen wir die Initiativen zu einem gemeinsa-
men transatlantischen Luftraum als einen Beitrag zur Wei-
terentwicklung der Luftverkehrsbeziehungen zwischen
Europa und den USA. Der von der EU-Kommission in die
Verhandlungen mit den USA eingebrachte Verhaltensko-
dex zur Gewährleistung gleicher Wettbewerbsbedingun-
gen ist dabei – ich glaube, das dürfte unstreitig sein – ein
wichtiger Baustein.

Wir befürworten die Schaffung des „single european
sky“. Mit diesem Konzept sind eine bessere Organisation,
Überwachung und Nutzung der Luftraumkapazitäten in
Europa verbunden. Der einheitliche europäische Luft-
raum ist ein wichtiger Schritt zur Zusammenarbeit im zu-
sammenwachsenden Europa.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Die Dynamik im Luftverkehr und die daraus resultie-
rende steigende Nachfrage nach Luftverkehrsleistungen
macht es nötig, sich Gedanken über einen bedarfsgerech-
ten Ausbau der Verkehrsinfrastruktur zu machen. Sicher-
lich ist ein weiterer Ausbau der Flughafenkapazitäten und
der entsprechenden Infrastruktur nötig; nur kann dies al-
lein nicht ausreichen. Unsere immer knapper werdenden
Ressourcen erfordern auch im Bereich der Luftfahrt einen
integrierten Ansatz, das heißt Kooperation und effektive
Vernetzung der Verkehrsträger Luft und Schiene. Beide
Maßnahmen sind in unserem Flughafenkonzept aus dem
Jahr 2000 verankert.

Verschoben, aber nicht aufgehoben ist die von der Re-
gierungskoalition vorgesehene Novellierung des Flug-
lärmgesetzes.Wir haben die Eckpunkte dazu in unserer
Fraktion verabschiedet. Unter Beteiligung des Umwelt-
und des Verkehrsministeriums und in Gesprächen mit
den am Luftverkehr Beteiligten haben wir einen Kom-
promiss gefunden, der auf der einen Seite den Fluglärm
nachhaltig reduziert und auf der anderen Seite die Belas-
tungen für die Luftverkehrswirtschaft in vertretbaren
Grenzen hält sowie Rechtssicherheit für alle Beteiligten
schafft.

Unser Ansatz wird auch beim kombinierten Verkehr
deutlich. Wir haben gemeinsam mit Vertretern der Ver-
kehrswirtschaft und der Wissenschaft überlegt, wie man
damit umgehen kann. Die SPD-Bundestagsfraktion hat
ein Eckpunktepapier dazu verabschiedet. Ein Element da-
raus ist von besonderer Bedeutung: Die Treffsicherheit
der Förderung in diesem Sektor muss erhöht werden; dazu
haben wir in Zukunft ein nationales Förderprogramm
ähnlich wie das europäische PACT-Programm auf den
Weg zu bringen. An dieser Stelle erwarte ich mehr Mut
von allen Beteiligten, die ausgetretenen Pfade von Infra-
strukturförderung und/oder Ordnungspolitik zu verlassen
und stattdessen innovative Finanzierungsmodelle ins

Auge zu fassen, die den Marktanforderungen gerecht
werden.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Der Bundesminister für Verkehr, Bau- und Wohnungs-
wesen hat in seinem KV-Bericht ein deutliches Signal in
diese Richtung gegeben, das wir unterstützen. Dort ist
klar zu erkennen, dass wir die Mittel für Dritte in den letz-
ten fünf Jahren von null auf 76,3 Millionen Euro gestei-
gert haben. Ich halte das für einen vernünftigen Ansatz.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, mehr Mut würde uns
auch beim Thema Transrapid gut zu Gesicht stehen. Das
gilt für alle hier Anwesenden. Mit der Förderzusage unse-
res Bundesministers ist ein weiterer wichtiger Eckstein
gesetzt worden, zum einen für Nordrhein-Westfalen und
zum anderen für Bayern. Jetzt kommt es darauf an, auch
alle weiteren Schritte zügig umzusetzen und nicht in
kleinliche Kritik zu verfallen.

Ich finde es manchmal schwer nachvollziehbar, mit
welchen Argumenten Projekte totgeredet werden sollen.
Manches erinnert mich daran, wie man der ersten Loko-
motive in Deutschland, der „Adler“, gegenüberstand. Da
wurden Befürchtungen laut, dass Menschen für so hohe
Geschwindigkeiten wie 50 Stundenkilometer nicht ge-
schaffen seien. Hätte man stets alle Bedenken gegen neue
Technologien in den Vordergrund gerückt, dann hätten si-
cherlich auch die Gebrüder Wright von ihren ersten Flug-
versuchen Abstand genommen.

Der Transrapid ist ein Technologiesprung. Solche
Projekte sollte man nicht totreden,


(Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Aber genau das macht ihr!)


sondern fördern.

(Beifall bei der SPD)


Denn Innovationen müssen auch in Deutschland ihre
Chance bekommen, sonst kann sich Deutschland als
Hochtechnologieland verabschieden.


(V o r s i t z : Vizepräsidentin Petra Bläss)

Die Bundesregierung hat mit ihrer Förderzusage den

richtigen Schritt in Richtung Zukunft getan. Sie sollten
wissen: Nur wer sich bewegt, kann etwas bewegen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1424502500
Nächste Rednerin für
die Fraktion der CDU/CSU ist die Kollegin Renate Blank.

Renate Blank (CDU/CSU) (von Abgeordneten der
CDU/CSU mit Beifall begrüßt): Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Ich komme auf die Regierungser-
klärung des Ministers zurück. Herr Minister, bei Ihrer




Hans-Günter Bruckmann

24635


(C)



(D)



(A)



(B)


Abschiedsrede fehlte Ihnen eigentlich jeder Bezug zur Rea-
lität unserer Verkehrspolitik. Sie hat eine totale Überschät-
zung Ihres Handelns zum Ausdruck gebracht. Eigentlich
muss man eher „Ihres Nichthandelns“ sagen, denn vier
Jahre Rot-Grün bedeuteten in Deutschland Stillstand.


(Beifall des Abg. Dr. Michael Luther [CDU/CSU])


Nichts ist angepackt worden. Die Investitionen in die
Infrastruktur sind zurückgefahren worden, obwohl
sich doch mittlerweile eigentlich herumgesprochen ha-
ben müsste, dass 1 Milliarde Euro Investitionen circa
20 000 Arbeitsplätze erhalten bzw. schaffen.

Die Harmonisierung auf europäischer Ebene hat
keine Fortschritte gemacht, weder im LKW-Bereich
– hier wird von der Bundesregierung sogar geduldet, dass
die Niederlande, Frankreich und Italien ihr Gewerbe steu-
erlich begünstigen, obwohl das eigentlich ein Verstoß
gegen EU-Recht ist, während bei uns bei der Ökosteuer
zulasten des heimischen Gewerbes immer weiter draufge-
sattelt wird – noch beim Wettbewerb im ÖPNV noch auf
der Schiene.


(Horst Kubatschka [SPD]: Haben Sie nichts Neues auf der Platte?)


– Man muss es Ihnen öfter erzählen, damit Sie es im Laufe
der Zeit irgendwann endlich kapieren.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Horst Kubatschka [SPD]: Sie kapieren nicht, wo es langgeht!)


Im Bereich Binnenschifffahrt ist ebenfalls nichts pas-
siert, obwohl von Ihnen vor 1998 immer großartig getönt
wurde, was Sie alles in Angriff nehmen wollen. Wir wol-
len die deutsche Binnenschifffahrt in Zukunft auf jeden
Fall stärken.

Von der Vorbereitung der deutschen Verkehrsinfra-
struktur auf die EU-Osterweiterung ist ganz zu schwei-
gen. Sie haben die Infrastrukturanbindung zu den Bei-
trittskandidaten verschlafen. Wir als Opposition mussten
zum Beispiel den Bundeskanzler erst wachrütteln, damit
er endlich Aussagen zum Weiterbau der A 6 macht.


(Lachen bei der SPD)

Nun zum Trauerspiel Bundesverkehrswegeplan. Das

Thema ist heute schon des Öfteren erwähnt worden. Wir
haben in den Jahren 1991 und 1992, also innerhalb von
zwei Jahren, einen Bundesverkehrswegeplan vorgelegt,
der sich auch mit dem Zusammenwachsen Deutschlands
beschäftigen musste. Sie haben das in vier Jahren nicht
geschafft, obwohl Sie uns im Jahre 1999 wohltönend er-
klärt haben, Sie würden einen neuen und total überarbei-
teten Bundesverkehrswegeplan erstellen. Jetzt haben wir
eine CD-ROM erhalten, eine Sammlung von Rohdaten,
die teilweise sogar falsch sind. Das Anschauen rentiert
sich überhaupt nicht. Sie haben damit ein Versprechen ge-
brochen.

Sie haben ein weiteres Versprechen gebrochen. Ich er-
innere daran, dass Ihr Bundeskanzler gesagt hat, mit ihm
seien nur 6 Pfennig Mineralölsteuererhöhung zu machen.
Mittlerweile sind wir bei 15 Cent, also rund 30 Pfennig.

Ich kann mir vorstellen, warum Sie keinen neuen Bun-
desverkehrswegeplan vorgelegt haben. Ihr erster Ver-
kehrsminister, Müntefering, hat nach einiger Zeit ge-
merkt, dass auch rot-grüne Bundesländer Straßen bauen
wollen. Bei der Länderverkehrsministerkonferenz im
April zum Beispiel wurde einstimmig festgestellt, dass
der Verkehrshaushalt für den Straßenbau um jährlich
2,1 Milliarden Euro aufgestockt werden müsste.


(Reinhard Weis [Stendal] [SPD]: Zu Weihnachten schreiben wir auch immer Wunschzettel! – Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Am 24. Dezember müsste eigentlich das Christkind kommen!)


Wie ist es bei Ihnen? Der Verkehrshaushalt wächst nicht;
0,0 Prozent.

Was haben Sie stattdessen gemacht? Sie haben die
Straßenbaumittel gekürzt.


(Klaus Hasenfratz [SPD]: Wo lesen Sie das eigentlich immer?)


Im Gegensatz zu unserer mittelfristigen Finanzplanung
haben Sie von 1998 bis 2002 4,9 Milliarden DM, rund
2,5 Milliarden Euro, weniger ausgegeben, obwohl Sie
doch wissen müssten, dass der Straßenbau notwendig ist,
um die wachsenden Verkehrsleistungen bewältigen zu
können. Die Prognosen gehen davon aus, dass das Ver-
kehrsaufkommen bis 2015 auf den Autobahnen um
25 Prozent im Personen- und 51 Prozent im Güterverkehr
und auf den Bundesstraßen um 18 Prozent im Personen-
und 30 Prozent im Güterverkehr zunehmen wird.

Die Prognosen hätten Sie eigentlich zum Handeln zwin-
gen müssen, denn es ist doch bekannt – seriöse Gutachten
belegen dies –, dass Staus einen volkswirtschaftlichen
Schaden von mindestens 2 Prozent unseres Bruttosozial-
produkts verursachen, von den Schäden für die Umwelt
ganz zu schweigen. Man muss auch zur Kenntnis nehmen,
dass das Auto zunehmend an Bedeutung gewinnt. Fast je-
der junge Mensch möchte den Führerschein machen und
ein Auto haben, und die Mobilität ist auch für ältere Mit-
bürgerinnen und Mitbürger ein hohes Gut. Ich erinnere
mich daran, dass der Verkehrsminister Müntefering den äl-
teren Verkehrsteilnehmern den Führerschein abnehmen
wollte,


(Klaus Hasenfratz [SPD]: Das ist alles Quatsch!)


obwohl die Senioren unterdurchschnittlich an Verkehrs-
unfällen beteiligt sind.

Meine Damen und Herren, um zu verschleiern, dass die
Mittel für den Straßenbau gekürzt wurden, kam die Bun-
desregierung auf die Idee, verwirrende Programme zu er-
stellen und diese mit großem Getöse vorzustellen. Das In-
vestitionsprogramm war eigentlich nur eine Fortsetzung
unserer Verkehrspolitik. Wenn man genau nachrechnet
– das wurde heute bereits gesagt –, dann stellt man fest,
dass das Programm bis zum Jahre 2010 andauern würde.
Anschließend hat uns der zweite Verkehrsminister,
Klimmt, das Anti-Stau-Programm beschert, das eine
eindeutige Wahlkampfhilfe für Nordrhein-Westfalen war.
Baden-Württemberg und Bayern waren benachteiligt. Als




Renate Blank
24636


(C)



(D)



(A)



(B)


Beispiel nenne ich die A 3, die höchst belastete Straße in
Deutschland mit 90 000 Autos pro Tag. Diese hätte alle
Kriterien erfüllt, um ins Anti-Stau-Programm aufgenom-
men zu werden, was aber leider nicht der Fall war. Das
war also eine eindeutige Benachteiligung Bayerns und
Baden-Württembergs.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Wie mittlerweile jedermann weiß, wird die Einführung

der LKW-Maut zum 1. Januar 2003 scheitern. Wenn wir
Glück haben, wird es vielleicht der 1. Januar 2004 wer-
den. Mir ist nicht bekannt, warum der Verkehrsminister
seinen Verordnungsentwurf zurückgezogen hat. Wahr-
scheinlich will er im Wahlkampf keinen Ärger mit dem
Transportgewerbe haben und weitere Konflikte mit dem
Transportgewerbe vermeiden.

Das so genannte Zukunftsinvestitionsprogramm
– übrigens das erste Programm von Minister Bodewig –
bringt zwar in den Jahren 2001 und 2002 für den Straßen-
bau rund 400 Millionen Euro mehr, aber es gleicht kei-
nesfalls die vorgenommenen Kürzungen aus. Es ist also
nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Die Mittel sollen für
den Bau von Ortsumgehungen eingesetzt werden.
Hierzu sage ich: Endlich begreifen Sie, dass Ortsumge-
hungen Menschen- und Umweltschutz bedeuten.


(Lachen bei der SPD – Klaus Hasenfratz [SPD]: Das ist eine Frechheit!)


Übrigens: Der Verkehrsminister hat gesagt, dass er den
Etat von 9,5 Milliarden Euro auf 11,5 Milliarden Euro er-
höht hat und dass diese 2 Milliarden Euro in den Jah-
ren 2001 und 2002 zusätzlich für Schienenwege ausge-
geben werden sollen. Die Vorleistungen dafür, dass Sie
diese 2 Milliarden Euro einsetzen können, haben wir mit
unseren UMTS-Lizenzen ermöglicht.


(Reinhard Weis [Stendal] [SPD]: Immerhin haben wir das gemacht!)


Ich bin allerdings nicht davon überzeugt, dass die Deut-
sche Bahn AG das verbauen kann. Denn seit 1995 sind
ständig Mittel an den Finanzminister zurückgeflossen, und
zwar auch zu Ihrer Zeit. Der Finanzminister Eichel hat sich
dieses Geld in die Tasche gesteckt, anstatt zum Beispiel die
ICE-Trasse Nürnberg–Erfurt weiter zu bauen. Hier ist
eine Verzögerung von drei Jahren entstanden. Mittlerweile
haben Sie gemerkt, dass dieses Projekt auch in den Trans-
europäischen Netzen enthalten ist und Sie nach Europa
Geld zurückzahlen müssten, wenn Sie diese Strecke nicht
bauen. Was haben Sie jedoch gemacht?


(Klaus Hasenfratz [SPD]: Gute Politik haben wir gemacht!)


Sie haben Ihren eigenen Bundeskanzler brüskiert, denn
Sie haben in der letzten Sitzung des Verkehrsausschusses
unseren Antrag zur ICE-Trasse Nürnberg–Erfurt wieder
einmal abgelehnt. Es herrscht eine totale Verwirrung bei
der SPD:


(Reinhard Weis [Stendal] [SPD]: Wir brauchen Ihren Antrag nicht, um das Projekt zu realisieren!)


Der Bundeskanzler wird brüskiert, Bayern sagt Nein, die
beiden Nürnberger SPD-Abgeordneten sagen Ja. Sie müs-

sen das in nächster Zeit ein wenig koordinieren, damit et-
was daraus wird. Wir werden auf jeden Fall das Projekt 8.1
weiterbauen.


(Iris Gleicke [SPD]: Schaffen Sie das Baurecht in Bayern, damit etwas vorwärts geht! Machen Sie Ihre Hausaufgaben! Kümmern Sie sich um Ihren Krempel! Dann wird es schon schneller!)


Der größte Gag des Ministers ist natürlich, dass er neu-
lich gesagt hat, dass in den nächsten zehn Jahren 90 Mil-
liarden Euro für die Verkehrsinfrastruktur ausgegeben
werden sollen. Das ist weniger, als wir pro Jahr für die
Verkehrsinfrastruktur ausgegeben haben. Wir haben in ei-
nem Jahr wesentlich mehr Geld ausgegeben. 90 Milliar-
den Euro in zehn Jahren ist wirklich keine Glanzleistung.

Der Ausbau der Wasserstraßeninfrastruktur ging
ebenfalls nicht voran. Ich verweise hier insbesondere
auch auf die rechtlich und sachlich falsche Entscheidung
zum Donauausbau.Die Umorganisation der Wasser- und
Schifffahrtsverwaltungen steht ebenfalls im Stau. Es ist
nur eine Verunsicherung der Mitarbeiterinnen und Mitar-
beiter eingetreten.

Noch eine Bemerkung zu den Instandhaltungswer-
ken Nürnberg und München. In München bleibt ein Teil
erhalten. Das Aus des Ausbesserungswerkes Nürnberg
war von Anfang an eine beschlossene Sache. Der Bun-
deskanzler wollte auf dem Parteitag in Nürnberg keine
Demonstrationen. Deshalb hat er Hand in Hand mit Bahn-
chef Mehdorn die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zum
Narren gehalten. Das muss man einmal ganz deutlich sa-
gen. Gott sei Dank sind der bayerische Wirtschaftsminis-
ter und die Firma Siemens in die Bresche gesprungen


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

und haben dankenswerterweise etwas dafür getan, wenigs-
tens einen Teil der Arbeitsplätze zu erhalten. Allerdings
werden dies andere Arbeitsplätze sein. Außerdem werden
die derzeitigen Auszubildenden in alle Winde verstreut,
was ihrer Ausbildung nicht unbedingt gut tun wird.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1424502600
Frau Kollegin, ich
muss Sie an Ihre Redezeit erinnern.


Renate Blank (CSU):
Rede ID: ID1424502700
Meine Damen und Her-
ren, nach dem 22. September werden wir den Anteil der
Investitionen im Bundeshaushalt erhöhen und den Inves-
titionsstau im Verkehrsbereich im Interesse der Mobilität
der Bürgerinnen und Bürger auflösen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dr. Peter Danckert [SPD]: Das glauben Sie wohl selber nicht! Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Steuern abschaffen!)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1424502800
Als nächster Redner
spricht der Kollege Klaus Hasenfratz für die SPD-Frak-
tion.

Klaus Hasenfratz (SPD) (von Abgeordneten der SPD
mit Beifall begrüßt): Sehr geehrte Frau Präsidentin!




Renate Blank

24637


(C)



(D)



(A)



(B)


Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kollegin-
nen! Liebe Kollegen! In den 16 Jahren, die ich dem Bun-
destag angehöre, konnte ich zwar viele Reden hören. Den-
noch verwundert mich die Rede meiner Vorgängerin. Ihr
Beitrag zeigte mir nämlich, dass Sie die Haushaltspläne
nicht richtig lesen können. Vielleicht gibt es in Bayern
PISA-Geschädigte.


(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Herr Hasenfratz, ein bisschen mehr Kavalier! Woher kommen denn Sie? Aus NRW! Sie stehen bei PISA ganz hinten!)


– Herr Repnik, ich bin in der Lage, einen Haushaltsplan zu
lesen. Da scheint es bei Ihnen erhebliche Defizite zu geben.

Ich weiß nicht, wie man behaupten kann, dass die Ver-
kehrsinvestitionen – wir reden über Verkehrsinvestitio-
nen, Frau Kollegin Blank – von 1998 an heruntergefahren
wurden.


(Iris Gleicke [SPD]: Eine glatte Lüge!)

Sie lagen 1998 bei 9,5 Milliarden Euro. In diesem Jahr lie-
gen sie bei 11,5 Milliarden Euro und für das Haushaltsjahr
2003 werden sie bei 12 Milliarden Euro liegen. Wie kann
man da behaupten, die Verkehrsinvestitionen seien herun-
tergefahren worden? Das müssen Sie mir einmal erklären.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Renate Blank [CDU/CSU]: Straßenbau!)


Ich bin dem Verkehrsminister dankbar, dass er in sei-
ner Regierungserklärung die gute und zukunftsweisende
Verkehrspolitik der Bundesregierung dargestellt hat. Ich
glaube – nein, ich bin fest davon überzeugt –, dass es der
richtige Weg ist.

Ich komme auf die LKW-Maut zu sprechen. Es gab
Konsens darüber, dass wir eine entfernungsabhängige
Maut einführen. Dann ging die Nörgelei los, dass dieses
oder jenes nicht richtig sei, obwohl wir vor Jahren alle ge-
meinsam den Beschluss gefasst haben, diesen richtigen
Weg zu gehen.

Ich finde es in diesem Zusammenhang bedauerlich,
dass Verbandsfunktionäre zum politischen Ungehorsam
aufrufen, weil ihnen ein bestimmtes Gesetz nicht passt,
das dieses Haus und der Bundesrat beschlossen haben.
Was soll man davon halten, wenn sie dann von der Bun-
desregierung weitere Entlastungen erwarten? Ich stelle
mir einmal vor, die Bürger würden den Solidaritätszu-
schlag nicht zahlen, weil man ihnen damit ins Portemon-
naie greift. Was ist das für ein Demokratieverständnis,
wenn ein Geschäftsführer eines großen Verbandes zu die-
sem Boykott aufruft? Ich habe Bedenken, wenn sich eine
Fraktion oder eine Partei bei den Verbänden in dieser
Frage einklinkt. Darüber sollten Sie einmal nachdenken.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Herr Kollege Friedrich, Sie hatten gesagt, unsere Be-
zeichnungen für die Investitionsausgaben seien wolken-
haft. Dazu stelle ich fest: Mir ist das letztendlich egal.
Wichtig ist, dass etwas getan wird.


(Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Das ist der Unterschied zwischen uns!)


Wir haben ein Zukunftsinvestitionsprogramm formu-
liert, in dem der Bau von 300 Ortsumgehungen vorgese-
hen ist. Frau Kollegin Blank hat dazu gesagt: Endlich seid
ihr einmal wach geworden. Warum haben Sie so etwas
nicht in den 16 Jahren Ihrer Regierungszeit getan?


(Beifall bei der SPD)

Wir werden an den dringlichsten Stellen, dort, wo die
Menschen unter Lärm-, Staub- und Verkehrsbelastungen
leiden, eine Entlastung durchführen.

Auch verstehe ich nicht, wie man gegen die Erhöhung
der Regionalisierungsmittel stimmen kann. Sie sollen
angehoben werden. Nach geltendem Gesetz hätte der
Finanzminister von den Ländern Rückzahlungen fordern
müssen. Das ist nicht geschehen. Wir haben Mittel von
6,75 Milliarden Euro vorgesehen, mit einer Dynamisie-
rung von 1,5 Prozent pro Jahr.


(Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Warum haben Sie nicht zweckgebunden?)


Herr Kollege Friedrich, wissen Sie, an was mich das er-
innert? Unsere Nationalmannschaft nimmt jetzt am End-
spiel teil. So genannte Experten sagen dazu, sie hätten in
einer leichten Gruppe gespielt, die Schiedsrichter seien
für uns gewesen und das alles beruhe nur auf Glück.


(Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Die hatten einen aus Bayern im Tor!)


Freuen Sie sich doch einmal über ein Ergebnis, so wie wir
das in Bezug auf unsere Politik gemacht haben, und da-
rüber, dass unsere Fußballnationalmannschaft im End-
spiel steht!


(Beifall bei der SPD)

Sie aber nörgeln, reden alles mies und sagen, alles sei
schlecht.


(Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Klaus, bei deiner letzten Rede solltest du dich nicht so aufregen!)


– Ich rege mich nicht auf. Ich beschreibe nur einen Zu-
stand.

Wir haben die Bahnreform durchgeführt.

(Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Wir!)


– Wir, dieses Parlament, haben sie durchgeführt. – Sie ist
noch nicht vollendet.


(Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Sehr gut!)

Herr Lippold hat in seiner Rede vorhin wieder einmal von
einem Interregiozug gesprochen, der sehr schmutzig war
und zu spät angekommen ist. In jedem Wahlkreis gab es
einen Interregio- oder Nahrverkehrszug der DB AG, der
stillgelegt wurde. Schon geht es wieder los, dass gefordert
wird, dies rückgängig zu machen.


(Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Das hast du aber noch nie von mir gehört!)


Dabei wird vergessen, dass wir 1994 die Privatisierung
der Deutschen Bahn durchgeführt haben.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)





Klaus Hasenfratz
24638


(C)



(D)



(A)



(B)


Viele wollen auch heute wieder in den Fahrplan, in die
Fahrpreise und in die Gestaltung der Fahrstrecke der Züge
eingreifen.


(Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Aber ich nicht!)


– Das ist richtig.
Lassen Sie das doch den Vorstand regeln! Seine Auf-

gabe ist es, das Unternehmen zu führen. In Art. 87 e Abs. 4
des Grundgesetzes ist geregelt, welche Leistungen der
Bund gegenüber der DBAG zu erbringen hat. Das haben
wir auch getan. Für den Schienenverkehr stellen wir der
Bahn 4,6 Milliarden DM zur Verfügung, während Ihre
letzte Leistung 2,4 Milliarden DM war.


(Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: 2,7! Wenn schon, denn schon!)


Die Politik sollte sich hier ein bisschen zurückhalten.
Dass man allerdings aufpassen muss, dass nichts den
Bach hinuntergeht, das versteht sich von selbst.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1424502900
Herr Kollege
Hasenfratz, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kolle-
gen Dr. Winfried Wolf?


Klaus Hasenfratz (SPD):
Rede ID: ID1424503000
Ja.


Dr. Winfried Wolf (PDS):
Rede ID: ID1424503100
Sehr geehrter Kollege
Hasenfratz, Sie haben gerade darauf hingewiesen, dass
die Bahn eine Reform verabreicht bekommen habe und
man deswegen nicht in dieses Unternehmen hineinregie-
ren dürfe. Darf ich Sie fragen, warum Sie unseren Antrag
nicht unterstützt haben, wonach der Fern- bzw. Interre-
gioverkehr gemäß Art. 87 e des Grundgesetzes verteidigt
werden soll, und darauf hinweisen, dass dieser Antrag
identisch mit dem Antrag war, den die Bayerische Staats-
regierung und die baden-württembergische Regierung
eingebracht haben? Er hatte das gleiche Ziel, nämlich den
Interregio zu verteidigen. Diese Regierungen werden
wohl wissen, was Gesetzesgrundlage und was möglich
ist.


(Beifall bei der PDS)



Klaus Hasenfratz (SPD):
Rede ID: ID1424503200
Dazu kann ich Ihnen sagen:
Nur weil Sie diesen Antrag von der Bayerischen Staatsre-
gierung und dem Land Baden-Württemberg übernommen
haben, ist er noch lange nicht gut.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das beeindruckt ihn nicht!)


Es gibt unterschiedliche Rechtsauffassungen, ob der
Bund nach Art. 87 e des Grundgesetzes aufgrund der Still-
legung von Interregios verpflichtet ist, Geld zur Verfü-
gung zu stellen, um dies zu verhindern. Das ist nicht der
Fall. Für den Nahverkehr erfüllt der Bund seine Ver-

pflichtungen. Für den Fernverkehr ist die Bahn zustän-
dig. So können Sie das auch in einer Ausarbeitung des
Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages
nachlesen, der dazu Stellung genommen hat. Ich kann Ih-
nen die Quelle mitteilen und sagen, wann das veröffent-
licht wurde. In diesem Falle geht das Rechtsverständnis
zwischen der Bayerischen Staatsregierung, der Regierung
des Landes Baden-Württemberg und der PDS einerseits
und dem Wissenschaftlichen Dienst andererseits extrem
auseinander.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, nach 16 Jahren Zu-
gehörigkeit zum Deutschen Bundestag ist das heute
meine letzte Rede. Trotz aller kontroversen Diskussionen
hat es viele Gemeinsamkeiten gegeben. Im Über-
schwang meiner Erregung ist mir vielleicht manchmal ein
unbedachtes Wort entschlüpft. Liebe Renate, entschul-
dige, so war es nicht gemeint.


(Renate Blank [CDU/CSU]: Entschuldigung angenommen!)


Wir kennen uns lange genug.
In diesen Jahren hat es viele Gemeinsamkeiten gege-

ben, Kolleginnen und Kollegen. Ich erinnere nur an die
Bahnpolitik. Manchmal sind die Instrumente und die
Werkzeuge, die man anwenden will, unterschiedlicher
Art, aber eine leistungsfähige Bahn, die für die Menschen
da sein soll, ist unser gemeinsames Ziel.

Ich muss auch sagen, über die Parteigrenzen hinweg
sind in den 16 Jahren auch Freundschaften entstanden.
Ich nehme exemplarisch den Ausschussvorsitzenden
Eduard Oswald heraus, weil wir beide, Edi, 1987 im Ver-
kehrsausschuss angefangen haben. Du bist heute Aus-
schussvorsitzender, ich bin dein Stellvertreter. Ich habe
Dank zu sagen, auch vielen aus den anderen Fraktionen
und insbesondere aus meiner Fraktion, für die gute und
konstruktive Zusammenarbeit. Ich hoffe und wünsche,
aber ich bin auch davon überzeugt, dass meine Fraktion
nach dem 22. September auch weiterhin eine zukunfts-
weisende Verkehrspolitik machen wird.


(Eduard Oswald [CDU/CSU]: Da kann ich jetzt natürlich nicht klatschen!)


Dazu wünsche ich allen alles Gute und viel Erfolg.
Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der PDS)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1424503300
Lieber Kollege
Hasenfratz, das war Ihre letzte Rede im Plenum des Deut-
schen Bundestages. Sie haben bereits daran erinnert. Im
Namen aller Kolleginnen und Kollegen möchte ich Ihnen
für Ihre Arbeit im Plenum und im Ausschuss danken. Jetzt
kann, glaube ich, der ganze Saal klatschen.


(Beifall im ganzen Hause)

Es gibt noch einen letzten Redner in dieser Debatte.

Das ist der Kollege Dirk Fischer für die CDU/CSU-Frak-
tion.




Klaus Hasenfratz

24639


(C)



(D)



(A)



(B)



Dirk Fischer (CDU):
Rede ID: ID1424503400
Frau Präsiden-
tin! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Auch ich
möchte dem Kollegen Klaus Hasenfratz nach seiner letz-
ten verkehrspolitischen Rede im Namen meiner Fraktion
und unserer Arbeitsgruppe, aber ich denke auch im Na-
men aller Kollegen unseres Ausschusses sehr herzlich
dafür danken, dass wir trotz mancher kontroverser Aus-
einandersetzungen in der Sache doch ein sehr angeneh-
mes Klima der Zusammenarbeit gehabt haben. Ich
möchte dir, lieber Klaus Hasenfratz, persönlich für dein
Wohlergehen alles erdenklich Gute wünschen.


(Beifall im ganzen Hause)

Ich denke, auch in Zukunft werden wir uns über jeden
Moment der Wiederbegegnung freuen, den wir haben
können.


(Eduard Oswald [CDU/CSU]: Wir werden dafür sorgen! – Beifall der Abg. Iris Gleicke [SPD])


Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Regie-
rungserklärung des Bundesministers war doch sichtbar
Ausdruck eines schlechten Gewissens kurz vor Tores-
schluss. In dieser Legislaturperiode und auch heute wie-
der hat er uns viele Ankündigungen serviert, viel Zu-
kunftsmusik, viel Propaganda. Dies kontrastiert doch in
bedenklicher Weise mit sinkenden Finanz- und Bauleis-
tungen. Das kann nicht das sein, was deutsche Verkehrs-
politik und Infrastruktur voranbringt.

Schauen Sie sich den Haushaltsentwurf 2003 an. Er
dokumentiert erneut – und hoffentlich zum letzten Mal –
die dürftige Bilanz der rot-grünen Verkehrspolitik. Nach-
dem Ihre Regierung, Herr Minister Bodewig, in diesem
Frühjahr die LKW-Maut mit einem unechten Vermitt-
lungsverfahren durchgedrückt hat, konnte man eigentlich
erwarten, dass für die Not leidende Verkehrsinfrastruktur
mehr Geld zur Verfügung stehen würde. Aber weit ge-
fehlt: Sie haben die Maut zur Abzocke des LKW-Gewer-
bes missbraucht und der größte Abzocker ist Bundesfi-
nanzminister Hans Eichel. Er zieht dem Gewerbe die
Maut aus der Tasche und vereinnahmt einen Großteil da-
von für den Schuldentopf einer verfehlten Finanzpolitik.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Iris Gleicke [SPD]: Stimmt: Ihrer Finanzpolitik!)


Demgegenüber steht bedarfsgerechte, ausreichende
Mittelausstattung für die Verkehrsinfrastruktur nicht zur
Verfügung. Besonders Not leidend sind mittlerweile
schon die Bundesfernstraßen in den alten Bundesländern.
Sie sind zwar die herausragenden Geldquellen des Staa-
tes, werden aber beim Substanzerhalt und der kapazitäts-
steigernden Investition sträflich vernachlässigt.

Es gibt eine Fülle von Baurechten – die Pällmann-
Kommission hat da ein Zwischenvolumen von über
35 Milliarden DM errechnet – ohne Finanzierung. In Ba-
den-Würtemberg zum Beispiel ist in der gesamten Legis-
laturperiode fast nichts neu begonnen worden.


(Detlev von Larcher [SPD]: Das ist nicht wahr!)


Das ist ein wirkliches Drama. Die wenigen begonnenen,
aber nicht durchfinanzierten Maßnahmen wie Ortsumge-

hungen aus dem ZIP können diesen Eindruck gar nicht
schmälern; denn hier handelt es sich nur um An- und nicht
um Durchfinanzierungen und das ist nicht das, was das
Bauvolumen ausmacht.


(Iris Gleicke [SPD]: Unglaublich!)

Während dieser Legislaturperiode ist durch die Mine-

ralölsteuer und die darauf entrichtete Mehrwertsteuer ein
Volumen von etwa 340Milliarden DM eingenommen wor-
den. Im gleichen Zeitraum flossen dem Bundesfernstra-
ßenbau allenfalls 40 Milliarden DM an Bundesmitteln zu.
Viel Geld hat der Bund aus dem Netz gezogen. Bei weiter
steigenden Verkehrsbelastungen ist bereits heute absehbar,
dass der Substanzverzehr beim Verkehrsträger Straße weit-
aus größer ausfällt als der Substanzaufbau durch Reinves-
titionen. Das wird auf Dauer nicht gut gehen.

Meine Damen und Herren, jeder Landwirt weiß, dass
er die Kuh, die er täglich melken will, auch anständig füt-
tern muss, damit das wertvolle Tier nicht verendet. Die
Verendung des deutschen Straßennetzes können wir uns
nicht leisten, dann legen wir Hand an unsere Volkswirt-
schaft – das darf nicht sein – und schädigen auch Europa.

Es war doch Ihr Forschungsministerium, das jährliche
Staukosten von rund 100 Milliarden Euro errechnet hat.
Jedem wirtschaftlich einsichtigen Menschen ist der Zu-
sammenhang zwischen Prosporität und Verkehrssystem
klar: Ein funktionierendes Verkehrssystem ist die not-
wendige Voraussetzung für Mobilität und Wohlstand.

Nun sind Sie der Meinung, diese Probleme mit dem
Verkehrsträger Schiene schon lösen zu können. Die
Maut soll hier flankierend eingreifen, der Straße wird es
genommen, der Schiene gegeben. Quersubventionierung
heißt das.

Hat aber das bei der Schiene angelegte Geld wirklich
den verkehrspolitischen Mehrwert geschaffen? Während
der Bund aus der Straße seit Beginn der Bahnreform fast
600 Milliarden DM netto erlöst hat, hat er im gleichen
Zeitraum der Schiene knapp 300Milliarden DM gegeben.
Der überwiegende Teil floss in den Betrieb und nur wenig
wurde investiert. Im Übrigen, Herr Schmidt: Das sind In-
vestitionen des Steuerzahlers, nicht des Unternehmens.
Dieses Unternehmen braucht dazu im Unterschied zu an-
deren wirtschaftlich Tätigen noch nicht einmal die Ab-
schreibungen zu verdienen. Das ist wirklich eine Bel-
etage, in der die Investitionen gemacht werden können.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Laut Geschäftsbericht der DB AG für 2001 ist das Un-

ternehmen heute wieder mit rund 18,3 Milliarden Euro
– das sind fast 37 Milliarden DM – verschuldet, nachdem
es der Bund zum 31. Dezember 1993 von fast 70 Milliar-
den DM Altschulden befreit hatte. In nur acht Jahren seit
dem Beginn der Bahnreform hat die DB AG mehr als die
Hälfte der Schulden neu aufgebaut, die vorher in 32 Jah-
ren – seit 1961 – entstanden sind. Das Tempo der Neuver-
schuldung hat ein erschreckendes Ausmaß angenommen.
Es gibt keine heile Welt des Schienenverkehrs in Deutsch-
land. Das muss jeder begreifen.

Dabei stagnieren die Anteile der Schiene am Gesamt-
verkehrsmarkt bei rund 14 Prozent. Seit 1994, dem Be-






(C)



(D)



(A)



(B)


ginn der Bahnreform, haben im Modal-Split die Marktan-
teile des Güterverkehrs auf der Schiene von 17 auf
14 Prozent abgenommen und die des Güterverkehrs per
LKW von 65 auf 71 Prozent zugenommen.

Und dann reden wir hier von mehr Verkehr auf die
Schiene. Was ist denn die Realität? Genau das Gegenteil!


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

In einem solchen Zeitraum also fast 300 Milliarden

Staatstransfer zuzüglich die Verantwortung für etwa
37 Milliarden Neuverschuldung, dann ab dem Haushalt
1994 Übernahme von 70 Milliarden Altschulden – das
sind die gigantischen Finanzvolumina, die sich die Bun-
desrepublik Deutschland nicht länger erlauben kann,
umso mehr als durch die Bahnreform der Aufwand des
Steuerzahlers für die Schiene verringert werden sollte. In
dieser Einschätzung befinden wir uns im Übrigen in Über-
einstimmung mit dem sozialdemokratischen Altkanzler
Helmut Schmidt, der als gelernter Ökonom zu folgender
legendärer Erkenntnis gelangte: „Die Bundesrepublik
Deutschland kann sich immer nur eines von beidem leis-
ten: entweder eine Bundeswehr oder eine Bundesbahn.“
Das ist Originalton Helmut Schmidt.

Für eine nachhaltige verkehrspolitische Öffnung der
Schiene, um dort wettbewerblich organisierte, dauerhaft
verkehrsmarktfähige Strukturen zu schaffen, fehlte Ihrer
Regierung die Kraft.


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Was denken Sie denn?)


Ursache dieser Kraftlosigkeit ist der mangelnde politische
Gestaltungswille sozialdemokratischer Verkehrsminister.


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Sagen Sie doch was mal zur Trennung von Netz und Betrieb!)


Um es cineastisch auszudrücken: Nach Müntefering und
Klimmt ist Bodewig „Der dritte Mann“ oder besser „Der
unsichtbare Dritte“, eine niederrheinische Frohnatur ohne
politische Durchsetzungskraft.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Stoiber ist unsichtbar!)


Herr Schmidt, zugegebenermaßen gab es auf dem Par-
teitag der Grünen im Frühjahr 2001 ja gute Ansätze. Die
Grünen bejubelten den Minister Bodewig, als er sagte: Die
Trennung von Netz und Betrieb ist nur noch eine Frage des
Wie und nicht mehr des Ob; das weiß auch Herr Mehdorn.


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Was sagt denn Stoiber? Sagen Sie doch mal was zu Stoiber!)


Sie haben die Beschlusslage meiner Fraktion zutreffend
zitiert. Sie haben mich, genau wie der Kollege Weis auch,
auf ein Zitat hingewiesen. Ich kann Ihnen übrigens auch
eines liefern. Am 22. Mai haben in Potsdam die Vertrete-
rinnen und Vertreter der jeweiligen Wirtschafts- und Ver-
kehrsausschüsse aus Brandenburg, Hamburg, Mecklen-
burg-Vorpommern, Schleswig-Holstein und Berlin getagt


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Stoiber!)


und haben hinterher eine Potsdamer Erklärung zur Bahn-
politik abgegeben. Darin heißt es: Sie erklären anlässlich
dieses Treffens, dass es zu einer Trennung von Netz und
Betrieb kommen muss,


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Ja, eben! Erklären Sie das doch mal Herrn Stoiber!)


wobei die Errichtung einer unabhängigen Trassenagentur
zur Herstellung und Sicherung eines diskriminierungs-
freien Zugangs als sinnvoller Zwischenschritt erachtet
wird.


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das sage ich doch! Aber der Herr Stoiber sagt das nicht!)


Herr Schmidt, Sie werden jawohl noch Frau Sager ken-
nen. Das war ja mal Ihre Bundessprecherin. Die war bei
der Tagung dabei und hat das quergeschrieben.


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das ist doch ganz in Ordnung!)


Insoweit fand ich das, was Sie gesagt haben, ziemlich al-
bern.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1424503500
Herr Kollege Fischer,
Sie müssen jetzt bitte zum Schluss kommen.


Dirk Fischer (CDU):
Rede ID: ID1424503600
Meine Damen
und Herren, die Schwäche des deutschen Verkehrssys-
tems ist die Schwäche des Verkehrsträgers Schiene,


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das ist die Schwäche des bahnpolitischen Sprechers der CDU/CSUFraktion!)


weil damit das Straßensystem überlastet wird. Deswegen
muss hier umgesteuert werden. Wir brauchen eine Zwi-
schenbilanz, was die Bahnreform bisher gebracht hat,
dann neue Zielbestimmungen? Es besteht extremer Hand-
lungsbedarf. Die Monopole, die wir unverändert haben,
müssen beseitigt werden.


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Dann stellen Sie doch Ihren Antrag!)


Wir müssen dringend dafür sorgen, dass die Marktan-
teile größer werden. Sie haben das nicht zustande ge-
bracht; im Gegenteil, bei Ihnen sind sie gesunken. Es
muss der Substanzverzehr der Straße gestoppt werden.
Auch das Gewerbe muss entlastet werden. Von Herrn
Steinmeier im Bundeskanzleramt ist der höchstmögliche
Harmonisierungsbeitrag versprochen worden. Steinmeier
ist ein wahrer Schröder-Schüler: Es gilt das gebrochene
Wort. Wir müssen es nach dem 22. September einlösen.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1424503700
Herr Kollege Fischer,
bitte kommen Sie zum Schluss.


Dirk Fischer (CDU):
Rede ID: ID1424503800
Ich sage zum
Schluss, Frau Präsidentin: „Die Zeit verrinnt, wir seh’n




Dirk Fischer (Hamburg)


24641


(C)



(D)



(A)



(B)


betroffen, der Vorhang fällt und alle Fragen offen.“ Am
22. September wird der Vorhang für die rot-grüne Bun-
desregierung fallen und sich nicht wieder heben. Dann
gibt es für eine neue Mehrheit die Chance, die vielen Fra-
gen auch wirklich schlüssig zu beantworten.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP– Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Dann kommt das Christkind! – Rolf Kutzmutz [PDS]: Das waren die gestammelten Werke von Dirk Fischer!)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1424503900
Ich schließe die Aus-
sprache.

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 14/9551 und 14/9546 an die in der Ta-
gesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Die
Vorlage auf Drucksache 14/9551 soll jedoch abweichend
von der Tagesordnung nicht an den Haushaltsausschuss
überwiesen werden. Sind Sie damit einverstanden? – Das
ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.

Wir kommen jetzt zu den Abstimmungen. Zunächst
rufe ich auf die Beschlussempfehlung des Ausschusses
für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen, Drucksa-
che 14/9559, zu dem Antrag der Fraktion der PDS mit
dem Titel „Erhalt der Bahnwerke – behindertengerechte
Umrüstung des Wagenparks der Deutschen Bahn AG“.
Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache
14/9365 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussemp-
fehlung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? – Die Be-
schlussempfehlung ist gegen die Stimmen der PDS-Frak-
tion angenommen.

Wir kommen jetzt zur Beschlussempfehlung des Aus-
schusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen auf
Drucksache 14/9592 zu dem Antrag der Fraktion der PDS
mit dem Titel „Innerdeutschen Luftverkehr auf die Bahn
verlagern“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf
Drucksache 14/9255 abzulehnen. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? –
Keine. – Die Beschlussempfehlung ist ebenso gegen die
Stimmen der PDS-Fraktion angenommen.

Wir kommen jetzt zur Beschlussempfehlung des Aus-
schusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen auf
Drucksache 14/8528. Der Ausschuss empfiehlt die An-
nahme des Antrags der Fraktionen der SPD und des
Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 14/7179 mit
dem Titel „Zukunft der Instandhaltungswerke der Deut-
schen Bahn AG“. Wer stimmt für diese Beschlussemp-
fehlung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? – Die Be-
schlussempfehlung ist gegen die Stimmen von
CDU/CSU- und FDP-Fraktion angenommen.

Weiterhin empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des
Antrags der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache
14/7147 mit dem Titel „Instandhaltungswerke der Deut-
schen Bahn AG in Nürnberg und München erhalten“. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenprobe! –
Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist gegen die
Stimmen von CDU/CSU bei Enthaltung von FDP- und
PDS-Fraktion angenommen.

Des Weiteren empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung
des Antrags der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache

14/7282 mit dem Titel „Instandhaltungswerke der Deut-
schen Bahn AG in Delitzsch, Chemnitz, Opladen und
Zwickau erhalten – neue Investoren für Stendal, Leipzig-
Engelsdorf und Neustrelitz“. Wer stimmt für diese Be-
schlussempfehlung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? –
Die Beschlussempfehlung ist gegen die Stimmen von
CDU/CSU- und PDS-Fraktion bei Enthaltung der FDP
angenommen.

Schließlich empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung
des Antrags der Fraktion der FDP auf Drucksache
14/7158 mit dem Titel „Neues Konzept für Ausbesse-
rungswerke der Deutschen Bahn AG vorlegen“. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenprobe! –
Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist gegen die
Stimmen von CDU/CSU, FDP und PDS angenommen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 3 a bis 3 g sowie die
Zusatzpunkte 7 und 8 auf:
3. a) Beratung der Großen Anfrage der Fraktion der

CDU/CSU
Situation und Perspektiven der Landwirtschaft
in Deutschland
– Drucksachen 14/8072, 14/9461 –

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Verbraucherschutz,
Ernährung und Landwirtschaft (10. Ausschuss)

– zu der Unterrichtung durch die Bundesregie-

rung
Agrarbericht 2001
Agrar- und ernährungspolitischer Bericht
der Bundesregierung

– zu dem Entschließungsantrag der Abgeordne-
ten Marita Sehn, Ulrich Heinrich, Gudrun
Kopp, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der FDP zu der Unterrichtung durch die Bun-
desregierung
Agrarbericht 2001
Agrar- und ernährungspolitischer Bericht
der Bundesregierung

– zu dem Entschließungsantrag der Abgeordne-
ten Ulrich Heinrich, Gudrun Kopp, Marita
Sehn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der FDP zu der Unterrichtung durch die
Bundesregierung
Agrarbericht 2001
Agrar- und ernährungspolitischer Bericht
der Bundesregierung

– zu dem Entschließungsantrag der Fraktion der
CDU/CSU zu der Unterrichtung durch die
Bundesregierung
Agrarbericht 2001
Agrar- und ernährungspolitischer Bericht
der Bundesregierung

– Drucksachen 14/5326, 14/6343, 14/6345,
14/6347, 14/7118 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Albert Deß




Dirk Fischer (Hamburg)

24642


(C)



(D)



(A)



(B)


c) Beratung der Unterrichtung durch die Bundes-
regierung
Ernährungs- und agrarpolitischer Bericht 2002
der Bundesregierung
– Drucksache 14/8202 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft (f)

Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für Tourismus
Haushaltsausschuss

d) Beratung der Unterrichtung durch die Bundes-
regierung
Lagebericht der Bundesregierung über die
Alterssicherung der Landwirte 2001
– Drucksache 14/7798 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung (f)

Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft

e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulrich
Heinrich, Rainer Funke, Marita Sehn, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Fleischvernichtung stoppen – hungernden Men-
schen helfen
– Drucksache 14/5675 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft (f)

Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss

f) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulrich
Heinrich, Marita Sehn, Hans-Michael Goldmann,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
FDP
Maul- und Klauenseuche – Impfen statt töten
– Drucksache 14/5691 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft (f)

Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

g) Beratung des Antrags der Abgeordneten Gudrun
Kopp, Ulrich Heinrich, Ina Albowitz, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion der FDP
MKS- und BSE-Erfahrungsbericht umgehend
vorlegen
– Drucksache 14/6176 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft (f)

Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit

ZP 7 Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Verbraucherschutz,
Ernährung und Landwirtschaft (10. Ausschuss) zu
dem Antrag der Abgeordneten Gudrun Kopp,
Ulrich Heinrich, Marita Sehn, weiterer Abgeord-
neter und der Fraktion der FDP:
Modellprojekt zum Heil- und Gewürzpflanzen-
anbau in Ostwestfalen-Lippe
– Drucksachen 14/3107, 14/4449 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Jella Teuchner

ZP 8 Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Verbraucherschutz,

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1424504000

– zu dem Antrag der Abgeordneten Birgit

Homburger, Ulrich Heinrich, Marita Sehn, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion der FDP:
Obstbauern vor dem Ruin retten – Plan-
tomycin für Notfallmaßnahmen zulassen

– zu dem Antrag der Abgeordneten Marita Sehn,
Ulrich Heinrich, Walter Hirche, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion der FDP:
Pflanzenschutzpolitik neu ausrichten, hei-
mische Produzenten unterstützen und Ver-
braucher schützen

– Drucksachen 14/8180, 14/8430, 14/9366 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Gustav Herzog

Zum Ernährungs- und agrarpolitischen Bericht 2002
der Bundesregierung liegt je ein Entschließungsantrag der
Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen,
der Fraktion der CDU/CSU und der Fraktion der PDS vor.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die
Aussprache anderthalb Stunden vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist dies so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Erster Redner für die Frak-
tion der CDU/CSU ist der Kollege Heinrich-Wilhelm
Ronsöhr.


Heinrich-Wilhelm Ronsöhr (CDU):
Rede ID: ID1424504100
Frau Prä-
sidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Hier
wurde heute Morgen – dies kann natürlich auch nicht aus-
bleiben, weil das ganze deutsche Volk zurzeit über Fuß-
ball philosophiert – schon viel über Fußball gesprochen.
Es wurde gesagt, wir sollten es doch begrüßen, wie die
deutsche Nationalmannschaft spielt.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ja, die leistet viel für Deutschland. Ich erwarte aber, dass
eine Bundesregierung dies auch tut. Tut sie aber nicht. Ge-
rade in dem Bereich, für den ich als Sprecher meiner Frak-
tion zuständig bin, sind in letzter Zeit mehr Eigentore als
Tore geschossen worden.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Es gibt eine zunehmende Zahl von Lebensmittelskan-

dalen, die von der Bundesregierung unzureichend aufge-
klärt werden. Dann gibt es sich ständig verschlechternde




Vizepräsidentin Petra Bläss

24643


(C)



(D)



(A)



(B)


Rahmenbedingungen für die deutsche Landwirtschaft. Es
gibt keinen Dialog zwischen der Bundesregierung und der
Landwirtschaft. Man stelle sich vor, wir würden für unser
Land eine Wirtschaftspolitik konzipieren, ohne mit der
Wirtschaft oder den Gewerkschaften zu sprechen. Jeder
würde das als unmöglich bezeichnen. Wenn das aber für
die Wirtschaftspolitik im Allgemeinen gilt, dann gilt das
auch für die Agrarpolitik im Besonderen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Stattdessen werden in ungerechtfertigter Weise ideolo-
gische Gräben – das hat der Nitrofen-Skandal deutlich
gemacht – in der Landwirtschaft aufgerissen.


(Heidemarie Wright [SPD]: Von Ihnen!)

Ich werde niemals den Stab über den ökologischen Land-
bau brechen.


(Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Sehr gut!)


Ich finde, dass er seine Berechtigung hat

(Heidemarie Wright [SPD]: Jawohl!)


und dass wir ihn so fördern müssen, wie sich das Markt-
segment ökologischer Landbau entwickelt.


(Heidemarie Wright [SPD]: Dafür tun wir etwas!)


Aber ich war in den letzten Tagen sehr viel bei Ökobetrie-
ben in der Bundesrepublik Deutschland. Ich habe deren
Ängste mitbekommen, die nicht nur wegen des Nitrofen-
Skandals entstanden sind. Die Ökobauern haben einfach
Angst, dass von der Ministerin ein Signal für Preisdum-
ping für Produkte des ökologischen Landbaus ausgeht.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Die Sorgen dieser Bauern sind gerechtfertigt. Aller-

dings sind auch die Sorgen der Landwirte gerechtfertigt,
die sich dem modernen, innovativen Prozess in der Land-
wirtschaft stellen wollen, wie das auch die ökologische
Landwirtschaft tut. Aber im konventionellen Bereich ist
das nicht anders. Im Grunde genommen hat man keine
Möglichkeit, den heimischen Betrieb weiterzuent-
wickeln, weil die rot-grüne Agrarpolitik Folgendes
macht: Sie setzt bestimmte europäische Vorgaben nicht
eins zu eins um, obwohl auch diese Bundesregierung und
die sie tragenden Koalitionsfraktionen wissen müssen,
dass es einen europäischen Binnenmarkt gibt.


(Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Er meint die Fischler-Vorschläge!)


Diesem europäischen Binnenmarkt hat sich auch die
deutsche Landwirtschaft zu stellen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Wir brauchen – das beweist unsere Große Anfrage zur
Agrarpolitik – unbedingt eine Kehrtwende in der Agrar-
politik, keine Wende à la Künast.


(Beifall bei der CDU/CSU – Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wäre ein Rückwärtsschritt!)


– Ulrike, ich habe dir schon einmal gesagt: Wer sich stän-
dig wendet, dreht sich im Kreis. Das gilt für Frau Künast
im Verbraucherschutz und in der Agrarpolitik. Sie bringt
nicht einmal den Verbraucherschutz nach vorne. Ich habe
von Frau Künast wenigstens erwartet, dass sie ihn voran-
bringt. Bei der Agrarpolitik hatte ich diesen Erwartungs-
horizont allerdings nie.

Im Grunde genommen dürfen der nationalen Agrar-
politik in Zeiten, in denen der Wettbewerbsdruck für
die Landwirtschaft zunimmt, keine Klötze an die Bei-
ne gebunden werden, mit denen sie dann am europä-
ischen Wettlauf mit den anderen EU-Partnern teilneh-
men soll. Mit Klötzen an den Beinen kann ich diesen
Wettlauf nicht gewinnen, auch wenn ich von meinem
Können und meiner Ausbildung her dazu in der Lage
wäre. Mit Klötzen an den Beinen geht das ungemein
schwer.

Unsere Große Anfrage hat zutage gebracht, welche un-
geheuren Belastungen für die deutsche Landwirtschaft
von Rot-Grün ausgegangen sind. Die Landwirtschaft ist
wie der Mittelstand in diesem Lande zu einem Lastenträ-
ger der rot-grünen Politik geworden.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Nehmen Sie nur die ungeheuren Belastungen von fast
1 Milliarde DM, also fast 500 Millionen Euro, beim
Agrardiesel.Gleichzeitig haben andere europäische Län-
der, mit denen wir im Wettbewerb stehen, den Agrardie-
sel von Abgaben befreit und damit dazu beigetragen, dass
ihre Landwirtschaft wettbewerbsfähiger wird.


(Heidemarie Wright [SPD]: Sagen Sie etwas zu den Chancen von Biodiesel!)


– Wir haben schließlich die Steuerbefreiung für Biodiesel
eingeführt. Wenn ihr sie fortsetzt, ist das zwar richtig,


(Heidemarie Wright [SPD]: So ist es!)

aber im Grunde genommen haben wir bereits im Zusam-
menhang mit dem Biodiesel die richtige Politik eingelei-
tet. Das gilt nach wie vor.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Das heißt aber nicht, dass die Landwirtschaft nicht durch
den Agrardiesel und durch viele andere Maßnahmen zu-
sätzliche Belastungen erfahren hat.


(Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Weil wir keine Insel sind!)


Auch kann es nicht angehen, dass wir ständig über
Steuerentlastungen für die Wirtschaft reden, aber die bäu-
erliche Landwirtschaft – ich meine nicht die Aktienge-
sellschaften und die GmbHs in der landwirtschaftlichen
Produktion, sondern die bäuerlich strukturierte Landwirt-
schaft, in der der Unternehmer seinen Betrieb in Eigen-
verantwortung bewirtschaftet –


(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Mit der Familie!)


– ja, die bäuerliche Familie –, im Bereich der Einkom-
mensteuer bis zum Jahr 2005 zusätzlich belastet wird.




Heinrich-Wilhelm Ronsöhr
24644


(C)



(D)



(A)



(B)


Auch das ist eine sehr negative rot-grüne Bilanz, die wir
zu ziehen haben.


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Norbert Wieczorek [SPD]: Absoluter Quatsch! Die sind entlastet worden! – Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Das stimmt doch nicht! Das ist einfach falsch!)


Es geht noch weiter: Auch im Rahmen der Agrarso-
zialpolitik sind zusätzliche Belastungen beschlossen wor-
den. Ich habe es damals als einen Skandal bezeichnet
– und es ist auch durch die Antwort auf unsere Große An-
frage offenbar geworden –, dass den landwirtschaftlichen
Alterskassen 400 Millionen genommen und gleichzeitig
der Bundesknappschaft zusätzliche Mittel in Höhe von
500 Millionen gewährt worden sind. Ich habe nichts da-
gegen – in meinem Wahlkreis gibt es auch Bergbau –, dass
den Bergleuten etwas gegeben wird, aber ich habe etwas
dagegen, dass es vorher den Bauern in dieser Republik ge-
nommen wird.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Von daher sind die Rahmenbedingungen für die deutsche
Landwirtschaft verschlechtert worden.

Der Verbraucherschutz ist nicht erneuert worden. Auch
das ist offenbar geworden. Ich meine, dass im Sinne einer
Erneuerung des Verbraucherschutzes und der Weiterent-
wicklung der Agrarpolitik, die für unsere Bäuerinnen und
Bauern verlässlich und berechenbar bleibt, am 22. Septem-
ber unbedingt ein Wachwechsel erreicht werden muss. Die
deutschen Bauern warten darauf, meine Damen und Herren.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Ulrich Heinrich [FDP])



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1424504200
Das Wort hat die Bun-
desministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft, Renate Künast.

Renate Künast, Bundesministerin für Verbraucher-
schutz, Ernährung und Landwirtschaft: Frau Präsidentin!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Fakten sind:
Die Einkommen der landwirtschaftlichen Betriebe werden
nach den erheblichen Gewinnsteigerungen in den beiden
Vorjahren – im Jahr 2000 waren es 13,5 Prozent, im ver-
gangenen Jahr 17,7 Prozent – auch in diesem Jahr im
Durchschnitt in einer Größenordnung von bis zu 6 Prozent
steigen. Besonders die neuen Bundesländer profitieren
von den erwarteten Einkommenssteigerungen von teil-
weise bis zu 20 Prozent. Das ist doch eine gute Nachricht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Auf diesem Schaubild sehen Sie zwei Kurven, die je-
weils die Gewinnsteigerungen der Unternehmen und der
Arbeitskraft zeigen. Bei dem kleinen Knick, der dabei
sichtbar ist, handelt es sich um den so genannten
Borchert-Knick. Als Borchert sein Amt antrat, ging die
Kurve nach unten. Rot-Grün hat die Entwicklung wieder
nach oben gebracht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Wie Sie sehen, ist es immer wieder von Vorteil, sich mit
den Zahlen auseinander zu setzen. Fakt ist, dass die Wett-
bewerbsstellung der deutschen Landwirtschaft insgesamt
sehr gut ist. Allein der Außenhandel mit Agrarprodukten
ist nach den vorläufigen Ergebnissen für 2001 um 8,1 Pro-
zent auf 25,2 Milliarden Euro gestiegen.


(Heidemarie Wright [SPD]: Ja, das sind Fakten, Kollege! – Gegenruf des Abg. Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Da hat er doch nichts dagegen! Das ist doch der Erfolg der Wirtschaft! Was soll denn der Quatsch?)


Fakt ist weiterhin, dass die Bäuerinnen und Bauern
nach anfänglicher Skepsis wegen der BSE-Krise wieder
investieren. Die Erzeugung von Lebensmitteln ist wieder
für alle ein Thema geworden. Die Menschen wollen ge-
sunde und gute Nahrungsmittel von unseren Bäuerinnen
und Bauern.

Eines ist auch klar: Es wird gesellschaftlich immer
mehr darüber diskutiert. Die Menschen lernen zuneh-
mend, dass bäuerliche Landwirtschaft, dass Landwirt-
schaft überhaupt nicht etwas ist, was von ihnen distanziert
ist, sondern etwas ist, was für den Erhalt der natürlichen
Lebensgrundlagen, für Wasser, Boden, Artenvielfalt so-
wie die Schönheit und Pflege unserer Kulturlandschaft
unverzichtbar ist.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Das sind alles

(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Hohle Worte! Eure Politik ist eine andere!)


– Sie reden doch bestimmt gleich

(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Ich nicht, aber andere!)

und haben von Ihrer Fraktion auch viel Redezeit bekom-
men, weil Sie so qualifizierte Ausführungen machen kön-
nen –


(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Keine Sorge! – Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: An der Qualifikation liegt es bei ihm sicherlich nicht!)


Güter, die sie nicht vom Weltmarkt importieren können.
Da liegen die Zukunftschancen und das spüren auch die
Menschen in der Landwirtschaft.

Die junge Generation, die jungen Unternehmerinnen
und Unternehmer diskutieren zum Teil anders, als das in
den alten Strukturen oder den so genannten journalisti-
schen Blättern der Landwirtschaft geschieht. Was macht
die junge Generation in der Landwirtschaft? Sie inves-
tiert, sie geht neue Bündnisse ein. Da gibt es plötzlich
junge Menschen vom Land, die zusammen mit der
BUND-Jugend bei uns Anträge stellen, um gemeinsam
Informationskampagnen und Multivisionsshows für die
Schulausbildung zu machen. Sie sagen: Wir, Umwelt-
schützer und Landjugend, tun uns zusammen und zeigen
denen in der Stadt, was Sache ist.


(Norbert Schindler [CDU/CSU]: Ist das neu?)





Heinrich-Wilhelm Ronsöhr

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(C)



(D)



(A)



(B)


– Das ist etwas Neues.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Das machen wir seit 30 Jahren! – Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Gehen Sie mal an den Bodensee! Da wird das seit 30 Jahren gemacht!)


– Das ist neu. Vorher wurde ihnen immer eingeredet, dass
die, die Umweltschutz machen wollen, ihre Feinde sind.
Die Jugend hat erkannt, dass Zukunft gemeinsam organi-
siert wird.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Sie sehen genau, dass die Zukunft in sozialer, ökologi-
scher und ökonomischer Nachhaltigkeit liegt. Sie sehen,
dass die Verbraucherinnen und Verbraucher erwarten,
dass Ziele gemeinsam entwickelt werden, zum Beispiel
auch bei der artgerechten Tierhaltung. Das sind Zukunfts-
themen.

Die jungen Landwirte wissen, dass die Zukunft beim
Pflanzenschutz in der Nachhaltigkeit liegt. Deshalb bauen
wir die gesamte Forschung in diesem Bereich um. Wir
forschen zunehmend über verträgliche Alternativen auch
beim Pflanzenschutz.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Klar ist: Es muss Medikamente für Menschen geben,
die auch wirken können. Deshalb haben Antibiotika in
Lebensmitteln nichts zu suchen.


(Norbert Schindler [CDU/CSU]: Einverstanden!)


Deshalb haben Antibiotika auch im deutschen Honig
nichts zu suchen. Da unterscheiden wir uns. Da liegen
Welten zwischen Ihnen und uns.


(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/ CSU]: Wo finden Sie im deutschen Honig Antibiotika?)


Sie und CDU-Minister schreiben mir in Briefen immer
noch, ich sollte Plantomycin wieder komplett zulassen
und die zulässigen Rückstandshöchstmengen erhöhen.
Ich sage: Niemand von uns würde solchen Honig den Kin-
dern zum Frühstück anbieten. Deshalb lässt die Land-
wirtschaftsministerin das auch nicht zu.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Norbert Schindler [CDU/ CSU]: Aber Nitrofeneier lassen Sie zu!)


– Ein wunderbarer Zwischenruf: „Aber Nitrofeneier las-
sen Sie zu.“ Lieber Herr Schindler,


(Norbert Schindler [CDU/CSU]: Sie machen viel Polemik!)


mindestens seit 1999 wurde in der Halle in Malchin gela-
gert. Das hätten Sie alle miteinander weit vor meiner Zeit
als Agrarministerin entdecken und beheben können.


(Norbert Schindler [CDU/CSU]: Wer hat denn 1999, 2000 und 2001 die Halle kontrolliert? Waren wir das?)


Sie haben diese Aufgabe mir überlassen. Ich habe es Ende
Mai angepackt und gemacht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Wir wollen – das ist ein wichtiger Ansatzpunkt –, dass
in der Lebensmittelpolitik genauer auf die Gesundheit der
Menschen geachtet wird. Wir wollen insbesondere auf un-
sere Kleinsten achten. Dazu muss ich Ihnen ehrlich sagen:
Ich verstehe gar nicht, wie Sie jahrzehntelang darauf ver-
zichten konnten. Unter Ihrer Ägide sind die Rückstands-
höchstmengen bezogen auf das Gewicht eines 35-jähri-
gen Mannes berechnet worden. Ich weiß nicht, ob es für
Sie ein Geheimnis war, dass ein dreijähriges oder fünf-
jähriges Kind nicht das gleiche Gewicht hat.


(Albert Deß [CDU/CSU]: Das isst aber auch weniger!)


Bis zum sechsten Lebensjahr ist die Enzymbildung von
Leber und Niere noch nicht so entwickelt wie bei Er-
wachsenen. Wir fangen deshalb damit an, das neu zu be-
rechnen, und haben entsprechende Forschungspro-
gramme aufgelegt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Zurufe von CDU/CSU)


– Ich weiß, die Wahrheit ist hart.
Zu einem modernen Wirtschaftskonzept gehört heut-

zutage auch der Verbraucherschutz, auch für unsere Klei-
nen. Wir können froh darüber sein, dass die jungen Un-
ternehmerinnen und Unternehmer auf dem Land genau
das erkannt haben.

Ich will einen Satz zu Ihrem Antrag sagen. Sie erheben
den Vorwurf, die Vorschläge der Bundesregierung in dem
Halbzeitbilanzpapier seien voreilig und führten zu einer
großen Planungsunsicherheit unserer Landwirte. Glauben
Sie im Ernst, dass die jungen Landwirte und das Gewerbe
im ländlichen Raum Lust haben, auf Dauer gemeinsam
mit Ihnen den Kopf in den Sand zu stecken und betriebs-
wirtschaftliche Chancen nicht zu nutzen?

Gucken wir uns doch einmal an, worüber in der WTO
diskutiert wird und worüber jetzt zum Beispiel in der
Kommission diskutiert wird, nämlich über den Fischler-
Vorschlag. Ich finde das schon lustig. Früher haben Sie
Herrn Fischler in Ihre Fraktion eingeladen und gesagt,
Frau Künast rede irgendwelche irrealen Dinge. Warum lo-
ben Sie den Fischler-Vorschlag jetzt eigentlich nicht? Er
ist doch Ihr Mann. Aber Sie haben in der letzten Zeit ja
immer den Schulterschluss mit Herrn Fischler gegen mich
versucht. Die Konservativen halten zusammen; das war
schon auffallend.


(Norbert Schindler [CDU/CSU]: Gucken Sie mal in die Annalen! Dann sehen Sie, wie oft wir uns mit dem schon unterhalten haben! Wir haben schon den Rücktritt von ihm gefordert! Gucken Sie nur mal die letzten fünf Jahre an, welcher Streit da abgelaufen ist!)


– Sie haben sich oft genug mit ihm gegen mich vereinigt.
Da muss ja was dran sein.

Jetzt sehen Sie, meine Damen und Herren: Die Vor-
schläge im Entwurf der Bundesregierung zur Halbzeitbi-




Bundesministerin Renate Künast
24646


(C)



(D)



(A)



(B)


lanz finden sich in den Brüsseler Vorschlägen wieder. Sie
sind genau das Angebot für gesellschaftlich gewünschte
Arbeit der Landwirte und sie sind WTO-fähig. In unserem
Papier beschreiben wir ein Modell zur Entkoppelung der
Direktzahlungen von der Produktion und zur Verbindung
der Direktzahlungen mit Umweltstandards. Das sind klas-
sische Punkte. Sie finden darin auch die obligatorische
Modulation, die Sie immer noch bekämpfen. In einer Er-
weiterung des Kataloges haben wir aufgeführt, was man
insbesondere in den neuen Bundesländern im ländlichen
Raum alles finanzieren könnte, bis hin zur vermehrten
Förderung traditioneller regionaler Ursprungsprodukte in
der Verarbeitung und Vermarktung, wodurch wir letztlich
Qualität fördern.

All diese Vorschläge sind mit einer extrem großen
Schnittmenge in das Papier der Kommission eingeflos-
sen. Deshalb kann man zu dem Fischler-Vorschlag heute
eines sagen: Die Richtung stimmt, das ist wett-
bewerbsfähig auf dem Weltmarkt. Ich möchte mir aller-
dings an dieser Stelle noch die Rechnung anschauen.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1424504300
Frau Ministerin, ge-
statten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schindler?

Renate Künast, Bundesministerin für Verbraucher-
schutz, Ernährung und Landwirtschaft: Bitte.


Norbert Schindler (CDU):
Rede ID: ID1424504400
Frau Ministerin
Künast, können Sie für den Fall, dass es so käme, garan-
tieren, dass rot-grün regierte Bundesländer diese Aus-
gleichsmittel nicht schlucken und im eigenen Staatsetat
vereinnahmen – wie in der Vergangenheit passiert –, son-
dern dass sie die Mittel wie in Bayern, in Baden-Würt-
temberg und in anderen CDU-regierten Ländern tatsäch-
lich an die Bauern weitergeben? Wir haben ja schlechte
Beispiele aus der Vergangenheit. Garantieren Sie, dass
diese Mittel der Landwirtschaft erhalten bleiben?

Renate Künast, Bundesministerin für Verbraucher-
schutz, Ernährung und Landwirtschaft: Herr Schindler,
das ist eine gute Frage.


(Werner Siemann [CDU/CSU]: Er stellt nur gute Fragen!)


Ich garantiere Ihnen, dass die Mittel, die nach allen Brüs-
seler Vorschlägen – bei denen wir viele Detailfragen
noch werden klären müssen, gerade auch die Frage, wie
die Betriebe in den neuen Bundesländern betroffen sind –
umgeschichtet werden, tatsächlich in den ländlichen
Raum gehen. Dafür werde ich beinhart kämpfen und Sie
haben bisher von der Bundesregierung dazu auch keinen
anderen Satz gehört.


(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/ CSU]: Ländlicher Raum! Ein Dritte-Welt-Laden in jedem Dorf! Nichts für die Bauern!)


Da haben wir einen kleinen Unterschied. Ich sage Ih-
nen auch, warum. Wir alle wissen, dass es Landflucht
gibt, und müssen uns deshalb genau fragen: Wo erzielen
diese Brüsseler Gelder den höchsten Arbeitsplatzeffekt?

Wenn beispielsweise Frauen Qualifikationen brauchen,
um nicht als Bäuerin, sondern als Beraterin in der Verbin-
dungsstelle zwischen Landwirtschaft und Verbraucher-
schutz zu arbeiten, wenn Frauen auf dem Land Ausbil-
dung in den Schulen machen sollen und wollen, könnte es
auch Sinn machen, nicht den einzelnen landwirtschaft-
lichen Betrieb, sondern die Frauen bei dieser ver-
sicherungspflichtigen Erwerbstätigkeit zu fördern.


(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/ CSU]: Und dadurch fördern Sie die Wettbewerbsfähigkeit der Landwirtschaft? Sie spinnen doch!)


Der Kampf für diese Gelder im ländlichen Raum wird von
mir immer geführt und ich habe nicht vor, auch nur einen
Euro abzugeben. Da haben wir etwas Gemeinsames.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Noch einmal mit Blick auf die neuen Bundesländer und
die Kappungsgrenze: Klar ist, dass die Richtung stimmt. Die
Rechnung gucken wir uns sehr genau an, auch das in Rich-
tung Brüssel. Es muss gerecht zugehen. Bei Umschichtun-
gen müssen alle Mitgliedstaaten gleichermaßen belastet
werden. Regionen, die abgeben, müssen dieses Geld für den
Aufbau neuer Bereiche, wie ich sie zum Beispiel gerade in
meiner Antwort auf Ihre Frage genannt habe, nutzen, bei-
spielsweise für den Bereich Frauenausbildung und für die
Förderung von Arbeitsplätzen auf dem Land.

Ihr Konzept besteht meines Erachtens darin: Augen zu
und weiter mit den alten Strukturen und mit den alten
Geldflüssen. Sie werden aber ein Ende finden, spätestens
durch die WTO-Verhandlungen. Deshalb ist es richtig,
dass wir jetzt etwas Neues aufbauen.

Ich frage mich: Wo sind eigentlich Ihr Angebot und
Ihre Perspektiven für die jungen Leute? Ihr Schweigen,
meine Damen und Herren von der Opposition, geht ja so-
gar noch viel weiter. Wo ist eigentlich Ihr Kandidat im so
genannten Kompetenzteam? Seit Wochen blicke ich
sehnsüchtig in die Zeitungen und frage mich: Wo ist er
denn? Es kann eigentlich nur zwei Antworten geben: Ent-
weder haben Sie Angst davor zuzugeben, dass es wieder
einer des alten Schlages wird, Herr Sonnleitner zum Bei-
spiel. Damit würden Sie alle Ihre Programmaussagen, Sie
wollten das Wort Verbraucherschutz auch nur buchstabie-
ren, ad absurdum führen, weil Sie sagen würden: Das ist
die alte Politik, die für viele Krisen mit ursächlich war.
Oder Sie haben Angst davor, offen zu sagen, dass Sie nicht
mehr einen Kandidaten des alten Schlages, sondern einen
Verbraucherschützer nehmen. Damit würden Sie natür-
lich die Stimmen vieler Bauern verlieren.

Eines zeigt Ihr Verhalten meines Erachtens aber auf
alle Fälle – das gilt auch für alle Ihre inhaltlichen Vor-
schläge –: Meine Damen und Herren von der Opposition,
Ihre Klientel sind nicht die Bauern, sondern die großwirt-
schaftlichen Verbände.


(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Das ist doch Quatsch! Was für ein Unsinn!)


Ich sage Ihnen ganz klar: Mit dieser Politik haben Sie den
Bauern in der Vergangenheit geschadet und Sie tun es




Bundesministerin Renate Künast

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noch heute, weil Sie in Wahrheit mit gezinkten Karten
spielen, weil Sie den Leuten auf dem Lande nicht sagen,
wie die internationalen Rahmenbedingungen, unter denen
sie in den nächsten Jahren arbeiten werden, aussehen.


(Ulrich Heinrich [FDP]: Sie halten die Bauern wohl für sehr dumm!)


Sie wiegen die Bauern in Sicherheit und sagen ihnen
nicht, worauf sie ihre Betriebe einstellen müssen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Sie machen – ich wiederhole diesen Satz gern – keine
Politik für die Landwirte. Auch der Ausschussvorsitzende
hat sein Interesse deutlich formuliert. Mitten im Nitrofen-
Skandal sagte er, er könne – Zitat – „aber auch klamm-
heimliche Genugtuung nicht verhehlen,


(Zurufe von der SPD: Was? – Mescalero!)

dass der Öko-Landbau wieder auf den Teppich geholt wird“.
Dies stand im „Nordfriesland-Tageblatt“ vom 29.Mai 2002.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1424504500
Frau Ministerin, ge-
statten Sie eine Zwischenfrage?

Renate Künast, Bundesministerin für Verbraucher-
schutz, Ernährung und Landwirtschaft: Nein, ich möchte
erst einmal in meiner Rede fortfahren.

Ich sage Ihnen, Herr Carstensen, an dieser Stelle: Ich
weiß, dass man in solchen Situationen schnell zu unbe-
dachten Sätzen neigt. Aber in diesem Fall sollten Sie sich
dafür schämen, Parteipolitik auf Kosten der Bauern, egal
welcher Farbe und Sortierung, gemacht zu haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Wir dagegen sagen – und unsere Politik ist klar –:
Erstens. Wir betreiben Aufklärung von Krisen und

Missständen ohne Ansehen der Person und ohne Rück-
sicht darauf zu nehmen, ob wir es mit konventioneller
oder ökologischer Landwirtschaft zu tun haben. Wir he-
ben seit gut eineinhalb Jahren endlich den Teppich des
Schweigens an und finden darunter vieles.

Zweitens. Wir schaffen moderne Rahmenbedingun-
gen, die für die Menschen vor Ort, die ländlichen Räume
und die Umwelt gut sind. Außerdem schaffen wir natio-
nale Rahmenbedingungen, die auch international, in der
EU und in der WTO, Bestand haben.

Drittens. Wir stehen für realistische Konzepte.
Die Menschen – die Bauern, die Verbraucher und auch

alle anderen – müssen informiert werden. Die Kinder ste-
hen im Mittelpunkt unserer Politik; denn insbesondere sie
brauchen eine gute Ernährung.


(Norbert Schindler [CDU/CSU]: Frau Ministerin, ihr seid schon dreieinhalb Jahre dran!)


Für eine gute Ernährung müssen nicht nur alle Bäuerin-
nen und Bauern, sondern auch diejenigen, die Lebensmit-
tel verarbeiten, Händler und weitere Personen an einem
Strang ziehen.

Herr Sonnleitner redet immer so gern vom so genann-
ten Künast-Effekt. Auf dem Blatt Papier, das ich hier
hochhalte, ist dargestellt, was wirklich geschehen ist. Man
erkennt den so genannten Künast-Effekt, der direkt nach
dem Borchert-Knick eingetreten ist.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Sie wollen den Bauern lieber keine Chance geben, sich
auf das Neue einzustellen. Sie nähren das Kartell des Ver-
schweigens. Wir stehen ganz klar für eine nachhaltige
Landwirtschaft zum Wohle der Menschen, der Umwelt
und der Tiere. Dafür steht Rot-Grün. Damit stellen wir si-
cher, dass unsere Kinder auch in Zukunft gesund leben.
Dementsprechend sieht unser Programm für die nächsten
vier Jahre aus. Sie werden sich wundern!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1424504600
Zu einer Kurzinter-
vention erteile ich jetzt dem Kollegen Carstensen das
Wort.


Peter H. Carstensen (CDU):
Rede ID: ID1424504700
Frau
Ministerin, da Sie meine Zwischenfrage nicht zugelassen
haben, muss ich mich im Rahmen einer Kurzintervention
äußern. Ich möchte Sie fragen, ob Sie auch das „Nord-
friesland-Tageblatt“ – Sie lesen es offensichtlich gern –
des darauf folgenden Tages gelesen haben. Dort ist dieses
Zitat richtiggestellt worden, indem ausgeführt wurde,
dass ich eine klammheimliche Genugtuung darüber nicht
verhehle, dass Frau Künast mit ihren Vorstellungen über
den ökologischen Landbau auf den Teppich zurückgeholt
worden ist.


(Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Davon wird es nicht besser!)


– Doch, das ist qualitativ ein sehr großer Unterschied. –
Frau Künast, ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie dies zur
Kenntnis nähmen. Ich möchte Sie bitten, darüber einmal
mit Ihrem Kollegen Müller zu sprechen. Auch er hat mich
mit diesem Zitat schon konfrontiert. Er hat aber akzep-
tiert, dass das, was ich wirklich gesagt habe, eine völlig
andere Qualität hat.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1424504800
Zur Erwiderung Frau
Bundesministerin Künast, bitte.

Renate Künast, Bundesministerin für Verbraucher-
schutz, Ernährung und Landwirtschaft: Sehr geehrter
Herr Carstensen, ich finde es schön, dass Sie darauf hin-
weisen, dass das „Nordfriesland-Tageblatt“ am nächsten
Tag eine Richtigstellung des Zitats vorgenommen habe.
Es ist aber gar kein Zitat gewesen. Es handelt sich um ein
Interview und ich gehe davon aus, dass Sie als erprobter
Bundespolitiker und jahrelanger Vorsitzender des Agrar-
ausschusses Interviews, die Sie geben, autorisieren,


(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/ CSU]: Das ist nicht der Fall gewesen!)





Bundesministerin Renate Künast
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sodass eine Zeitung nicht etwas schreiben kann, was Sie
nicht gesagt haben.

Wenn diese Zeitung bewusst etwas anderes als das, was
Sie gesagt haben, geschrieben hat, dann erzählen Sie mir
einmal, ob Sie schon einen Rechtsanwalt beauftragt ha-
ben, damit es eine Gegendarstellung gibt und Schaden-
ersatz gezahlt wird.


(Widerspruch bei der CDU/CSU)

Ich sage Ihnen ehrlich: Wenn Sie keinen Rechtsanwalt in

Anspruch genommen haben, dann glaube ich Ihnen das, was
Sie jetzt gesagt haben, nicht. Herr Vorsitzender, ein autori-
siertes Interview ist nun einmal ein autorisiertes Interview.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Zurufe von der CDU/CSU: Unverschämtheit! – Da müssen Sie einmal zu den Bauern kommen und hören, was die über Sie sagen!)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1424504900
Wir fahren jetzt in der
Debatte fort. Nächster Redner für die FDP-Fraktion ist der
Kollege Ulrich Heinrich.


Ulrich Heinrich (FDP):
Rede ID: ID1424505000
Frau Präsidentin! Meine lie-
ben Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Künast, das
Niveau hier ist nicht besonders hoch.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Dann erdreisten Sie sich auch noch, sich hier hinzustellen
und zu sagen, das sei der Borchert-Knick gewesen und
das, was kommt, werde der Künast-Effekt sein. Sie müss-
ten einmal zu den Landwirten gehen und mit ihnen reden.
Die erzählen Ihnen dann, was sie von Ihrer Politik halten.


(Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: Da geht sie doch nicht hin! Das traut Sie sich doch nicht!)


Sie sind total enttäuscht von dem, was vorgelegt wird,

(Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ NEN]: Weil sie aufgehetzt sind!)

und sehen sich aufgrund Ihrer Politik vor zusätzliche
Schwierigkeiten gestellt. So ist es in Wirklichkeit.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, es gibt auch
ein bemerkenswertes Bild des Kabinetts insgesamt ab, dass
Herr Bundeskanzler Schröder jegliche Basis dafür, seine
Vorstellungen von Agrarpolitik mit den französischen in
Übereinstimmung zu bringen, verloren hat. Der künftige
EU-Ratspräsident Rasmussen hat über den Vorschlag von
Herrn Fischler, einen Sondergipfel über Agrarfragen einzu-
berufen, gesagt: Mit uns hat niemand geredet. – Also han-
delt es sich hier um einseitiges Vorpreschen.

Sie loben den Fischler-Vorschlag, er geht Ihnen aber
noch nicht weit genug, vor allen Dingen nicht bei den
Einsparungen. Wenn Fischler ein nicht abgestimmtes Pa-
pier bzw. Dossier an die Zeitungen gibt, ruft das selbst-
verständlich auch entsprechende Reaktionen hervor. Die
Bewertung dieses Dossiers können wir allerdings heute
noch nicht endgültig vornehmen, denn bevor es nicht am
10. Juli ordentlich veröffentlicht wird, kann man auch
nicht darauf eingehen.

Ich will trotzdem die wichtigsten Dinge, die in der Dis-
kussion sind, benennen: Wir sind damit einverstanden,
dass Herr Fischler nun auch Reformen vorschlägt. Wich-
tig ist für uns allerdings, dass einschneidende finanzielle
Maßnahmen erst nach Auslaufen der Agenda 2000 erfol-
gen. Planungssicherheit hat für uns alleroberste Prio-
rität. Vertrauen in die Politik wird erschüttert, wenn von
der beschlossenen Grundlage, der Agenda 2000, die vor
drei Jahren beschlossen wurde und in den letzten andert-
halb Jahren Gültigkeit hatte, jetzt schon wieder abgerückt
wird und alles auf eine völlig neue Basis gestellt wird.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Herr Fischler erfüllt mit der Bereitschaft zur Entkopp-
lung – das begrüße ich – nur eine der drei wesentlichen
Forderungen der WTO. Zugleich muss aber die Ost-
erweiterung bewältigt werden. Es muss uns ja heute be-
schäftigen, was an Forderungen vonseiten der WTO und
durch die Osterweiterung auf uns zukommt. Wenn man
wichtige Marktordnungsbereiche von Reformen aus-
klammert, werden darauf nur halbe Antworten gegeben.
Die Frage der Exportbeihilfen wird nicht beantwortet.
Nicht beantwortet wird auch die Frage, wie die ost-
europäischen Staaten es schaffen sollen, mit der vor-
handenen Agrarbürokratie fertig zu werden. Der euro-
päischen Landwirtschaft muss durch eine massive
Entbürokratisierung geholfen werden. Wir wollen und
brauchen mehr Marktwirtschaft und weniger Marktregu-
lierung. All das sind Dinge, auf die sich in Fischlers Pa-
pier keine Antworten finden.

Fischlers Reformvorschläge sind Stückwerk. Verlangt
werden müssen schlüssige Antworten, die alle Bereiche
betreffen. Mutig ist Herr Fischler nur in Bezug auf die
Großbetriebe im Osten. Eine Politik der generellen
Kappung derZuschüsse pro Betrieb auf 300 000 Euro ist
einseitig und führt allenfalls zu Betriebsteilungen, was
das Vorhaben an sich schon wieder ad absurdum führt.
Wie schnell man nämlich aus einem 3 000-Hektar-Betrieb
einen 1 500-Hektar-Betrieb machen kann, wissen wir an-
gesichts der Verfassung, in der sich die Betriebe befinden,
alle sehr genau.

An der Entkopplung der Direktzahlungen von der Pro-
duktion führt unserer Meinung nach kein Weg vorbei. Es
geht aber um das Wie.


(Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach nee!)


Die FDP gibt hier die richtigen Antworten. Die Kultur-
landschaftsprämie ist ein Honorar für aktuell erbrachte
Leistungen im Bereich Erhaltung der Kulturlandschaften,
im Bereich des Umweltschutzes, des Tierschutzes etc.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


und wird auf die gesamte landwirtschaftliche Nutzfläche,
inklusive des Grünlandes, ausgedehnt.


(Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann unterstützt doch uns!)


Fischlers Vorstellung, die Übernahme der Direktzahlun-
gen mittels einer Referenzperiode zu berechnen, schließt




Bundesministerin Renate Künast

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beispielsweise ganze Grünlandregionen von zukünftigen
Direktzahlungen aus. Bei einer notwendigen Reform der
Marktordnungen, die irgendwann einmal kommen wird,
würden diese Betriebe doppelt bestraft werden. Wer den
Status quo nimmt, schließt von der Möglichkeit der Di-
rektzahlung automatisch ganze Bereiche aus, die wir für
eine flächendeckende Landbewirtschaftung als existen-
ziell notwendig ansehen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie

mich vor diesem Hintergrund die aktuelle Agrarpolitik
noch mit einigen Sätzen kommentieren. Wer auf die de-
gressive Ausgestaltung der Direktzahlungen für die Land-
wirtschaft und auf neue Herausforderungen durch WTO
und Osterweiterung sowie durch eine stärkere Markt-
orientierung und Liberalisierung mit einer zusätzlichen
Wettbewerbsverzerrung und einer einseitigen Belas-
tung der deutschen Landwirte reagiert, hat kein Interesse
an der deutschen Landwirtschaft.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Da hilft Frauenförderung im ländlichen Raum auch nicht! – Gegenruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Aber die gehört dazu!)


Hier muss das Einvernehmen mit dem ländlichen
Raum gesucht werden. Was im ländlichen Raum an Wert-
schöpfung erarbeitet wird, hängt in erster Linie von der
Bruttowertschöpfung der deutschen Landwirtschaft ab.
Die Wertschöpfung lässt sich nicht korrekt ermitteln,
wenn man nur die Urproduktion heranzieht. Deshalb
reden wir hier nicht von 1,5 oder 2 Prozent, sondern von
10 bis 15 Prozent des Bruttosozialprodukts. Es geht näm-
lich um die gesamte Wertschöpfungskette von den vorge-
lagerten Bereichen über die Landwirtschaft bis hin zur
Verarbeitung und Veredlung der Produkte.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wer dies aus-
blendet und mit einseitigen Wettbewerbsverzerrungen
und Beschwernissen der deutschen Landwirtschaft die
Zukunft verbaut, hat nicht verstanden, worum es geht. Er
wird dann auch nicht mit noch so viel Geld für die länd-
lichen Räume diese Fehler korrigieren können.

Ich bedanke mich.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1424505100
Liebe Kolleginnen
und Kollegen, bevor ich der nächsten Rednerin das Wort
erteile, unterbreche ich die Debatte für einen Moment.

Es soll eine Beschlussempfehlung des Ausschusses für
Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung auf die
Tagesordnung aufgesetzt werden. Diese Beschluss-
empfehlung in einer Immunitätsangelegenheit ist gerade
an die Fraktionen verteilt worden. Sind Sie mit der Auf-
setzung einverstanden? – Ich sehe keinen Widerspruch.
Dann ist dies so beschlossen.

Ich rufe also Zusatzpunkt 17 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschus-
ses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsord-

nung zu einem Antrag auf Genehmigung zum
Vollzug gerichtlicher Durchsuchungs- und Be-
schlagnahmebeschlüsse
Berichterstattung:
Abgeordneter Jörg van Essen
– Drucksache 14/9610 –

Wir kommen sofort zur Abstimmung. Ich lasse über
die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wahlprü-
fung, Immunität und Geschäftsordnung auf Drucksa-
che 14/9610 abstimmen. Wer stimmt dafür? – Gegen-
probe! – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist
mit den Stimmen des gesamten Hauses angenommen.

Wir kehren zur Debatte zurück. Die nächste Rednerin
ist die Kollegin Marianne Klappert für die SPD-Fraktion.


Marianne Klappert (SPD):
Rede ID: ID1424505200
Frau Präsidentin! Liebe
Kollegen! Liebe Kolleginnen! Ich habe mir die Reden von
Heinrich-Wilhelm Ronsöhr und Uli Heinrich sehr genau
angehört und bin zu dem Schluss gekommen, dass die Op-
position nörgelt. Zwar ist es das Recht der Opposition zu
nörgeln; gleichwohl stellt sich immer die Frage des Stils.
Ich bin geneigt, die Reden der Kollegen von der Opposi-
tion auf eine ganz einfache Formel zu bringen: Das, was
Schwarz-Gelb in den vergangenen Jahren gemacht hat,
war gut; das, was Rot-Grün macht, ist schlecht.


(Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: In der Tendenz stimmt das ja auch!)


So einfach ist die Botschaft, die Sie zu transportieren ver-
suchen. Dabei blenden Sie ganz viele Erfolge der rot-grü-
nen Politik aus.

Ich habe mir einmal die Mühe gemacht, in den Agrar-
bericht 1998, den letzten Bericht der alten Bundes-
regierung, zu gucken. Dort ist bei den bäuerlichen
Haupterwerbsbetrieben von einem Gewinn in Höhe von
3,4 Prozent die Rede. Der diesjährige Agrarbericht weist
einen Gewinn von 17,7 Prozent aus.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Zuruf von der SPD: Das muss man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen!)


Das liegt bestimmt daran, dass wir die Milchquotenrege-
lung endlich durchgesetzt haben. Wir haben drei Jahre
lang im Ausschuss ernsthaft diskutiert und versucht, Lö-
sungen zu finden. Sie waren nicht bereit zu einer Lösung.
Die SPD-Regierung hat eine Milchquotenregelung ge-
schaffen, die den bäuerlichen Betrieben tatsächlich zu-
verlässige Einnahmequellen garantiert. Deshalb weist der
Agrarbericht eine so hohe Gewinnspanne aus.


(Zuruf von der CDU/CSU: Gab es zuvor keine Milchquote?)


– Doch. Sehen Sie sich aber einmal an, wie sich die Zah-
len in den letzten Jahren verändert haben.

Zum ersten Mal liegt ein Agrarbericht vor, der sehr
deutlich macht, dass die Interessen der Verbraucher
und die Sicherung der Lebensmittelproduktion in den
Vordergrund gestellt werden. Das ist in Ordnung. Wir
werden feststellen, dass die Verbraucher dies begrüßen




Ulrich Heinrich
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und die Produzenten, unsere landwirtschaftlichen Be-
triebe, damit ebenfalls besser fahren.

Seit dem ersten BSE-Fall haben wir den gesundheitli-
chen Verbraucherschutz in den Vordergrund gestellt.
Das ist absolut richtig


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


und entspricht eindeutig den Erwartungen der Bürgerin-
nen und Bürger in unserem Land, aber auch in anderen
Ländern. Nach einer am letzten Dienstag veröffentlichten
Umfrage der EU-Kommission unterstützen 90 Prozent
der EU-Bürger die Erzeugung sicherer und gesundheitlich
unbedenklicher Lebensmittel als vorrangiges Ziel der ge-
meinsamen Agrarpolitik.


(Albert Deß [CDU/CSU]: Es wundert mich, dass es nur 90 Prozent sind! – Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Das war schon immer so!)


– Dann sollte man nicht beim Verbraucherinformations-
gesetz blockieren, wie Sie es gemacht haben. Sie blockie-
ren nicht wegen inhaltlicher Mängel, sondern um der
Blockade willen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Eine gute Opposition muss aber in der Lage sein, zu man-
chen Dingen Ja zu sagen.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1424505300
Frau Kollegin
Klappert, gestatten Sie eine Zwischenfrage?


Marianne Klappert (SPD):
Rede ID: ID1424505400
Jawohl.


Norbert Schindler (CDU):
Rede ID: ID1424505500
Frau Kollegin
Klappert, hätte ein Verbraucherinformationsgesetz den
letzten Skandal um Nitrofen verhindert?


(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: So ein Quatsch!)



Marianne Klappert (SPD):
Rede ID: ID1424505600
Das Gesetz hätte den
Skandal nicht verhindert, aber es hätte schnellere Auf-
klärung gebracht. Der Verbraucher wäre dann sicherer ge-
wesen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Die Diskussion hat Ängste geweckt. Das halte ich in die-
sem Fall für nicht in Ordnung. Ich glaube, damit sollte
man es belassen.


(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/ CSU]: Ja, belassen wir es dabei!)


Ich bin sicher, wir werden in der nächsten Legislaturperi-
ode ein sehr vernünftiges Verbraucherinformationsgesetz
auf den Weg bringen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Das werden wir tun!)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1424505700
Frau Kollegin
Klappert, bevor Sie fortfahren, frage ich Sie, ob Sie eine
weitere Zwischenfrage zulassen.


Marianne Klappert (SPD):
Rede ID: ID1424505800
Nein, das tue ich jetzt
nicht. Ich habe auch nicht mehr sehr viel Redezeit.

Jeder wird Verständnis dafür haben, dass ich als Tier-
schutzbeauftragte der SPD-Fraktion auf die Erfolge hin-
weisen möchte, die in diesem Bereich erzielt wurden.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Dabei geht es um Haltungsformen, die wir teilweise gegen
den Widerstand der Opposition durchgesetzt haben, aber
auch darum, dass wir mit Ihnen gemeinsam das Staatsziel
Tierschutz in die Verfassung aufgenommen haben.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


In der zukünftigen Regierungspolitik wird sich zeigen,
wie dieser eher abstrakte Grundsatz durch entsprechende
Gesetzgebung mit Leben erfüllt werden kann. Das wird
zwangsläufig Auswirkungen auf die Landwirtschaft ha-
ben. Im Hinblick auf die Haltungssysteme im Rahmen der
landwirtschaftlichen Nutztierhaltung und auf Tiertrans-
porte ist noch manches verbesserungsfähig. Ich weiß,
dass diese Bundesregierung mit der Unterstützung der sie
tragenden Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grü-
nen bei dieser Gesetzgebung mit der nötigen großen Ge-
nauigkeit arbeiten wird.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Norbert Schindler [CDU/CSU]: Vor allem in Europa!)


– Ja, auch in Europa. Sie kennen meine Meinung. Ich bin
eine Verfechterin dessen, die Forderungen im Hinblick
auf Tier- und Umweltschutz nicht nur national, sondern
europaweit durchzusetzen,


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


damit wir wirtschaftliche Nachteile für unsere landwirt-
schaftlichen Betriebe vermeiden. Das haben Frau Künast
und ihr Vorgänger, Herr Funke, im europäischen Rahmen
immer wieder sehr deutlich in den Vordergrund gestellt.

Ich will noch etwas zu anderen Bereichen sagen, die in
diesem Agrarbericht angesprochen werden. Wir haben
eben von Ihnen einiges zur Entwicklung der ländlichen
Räume gehört. Wichtig war zum Beispiel, dass diese Bun-
desregierung die Gelder im Agrarinvestitionsförderungs-
programm aufgestockt hat. Wir haben darüber hinaus bei-
spielsweise Änderungen im Baurecht erreicht, sodass
nicht mehr wie in der Vergangenheit nur 15 Betten pro Be-
trieb gebaut werden können, sondern mehr. Wir haben
dazu auch die entsprechenden Gelder bereitgestellt.

All das macht deutlich, wie man Vertrauen erweckende
Maßnahmen durchführen kann. Denn was kann es Besse-
res geben, als wenn Familien aus der Stadt ihren Urlaub
auf dem Bauernhof verbringen


(Beifall der Abg. Dagmar Schmidt [Meschede] [SPD])





Marianne Klappert

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(B)


und 14 Tage oder drei Wochen lang zum Beispiel die Pro-
duktion ihrer Lebensmittel verfolgen können?


(Norbert Schindler [CDU/CSU]: Ist das neu?)

– Nein, aber wir haben es verstärkt, das ist der Unter-
schied.


(Norbert Schindler [CDU/CSU]: Marianne, komm mal zu mir aufs Land! Ich lade dich ein! Da kannst du Stammkunden kennen lernen, die seit zehn Jahren kommen!)


Ich habe noch 53 Sekunden. Ich möchte mich bei mei-
ner letzten Rede im Bundestag bei den Kollegen und Kol-
leginnen recht herzlich bedanken. Ich war zwölf Jahre
Mitglied im – ich muss bei der Bezeichnung noch immer
aufpassen; ich nenne ihn jetzt einfach so – Ernährungs-
ausschuss. Mir hat die Arbeit sehr viel gebracht und Spaß
gemacht. Es waren zwölf spannende Jahre. Mein beson-
derer Dank geht an den Vorsitzenden Peter Harry
Carstensen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich war vier Jahre lang seine Stellvertreterin und wir haben
in der Zeit gut zusammengearbeitet. Ich glaube, ich sage
nichts Falsches, wenn ich behaupte, dass es in unserem
Ausschuss ein gutes Miteinander gibt. Wir können in der
Sache hart streiten, uns aber trotzdem anschließend wieder
zusammensetzen, ohne dass es persönliche Verletzungen
gibt. Ich denke, das ist bei einer solchen Arbeit wichtig.

Ich wünsche Ihnen für die Zukunft alles Gute.

(Beifall im ganzen Hause – Norbert Schindler [CDU/CSU]: Danke, Marianne! – Abg. Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU] erhebt sich und dankt der Rednerin)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1424505900
Frau Kollegin
Klappert, Sie hören es am Beifall aller Kolleginnen und
Kollegen hier im Hause: Die guten Wünsche aller gehen
an Sie. Für den bevorstehenden Arbeits- und Lebensab-
schnitt alles Gute!


(Beifall im ganzen Hause)

Die nächste Rednerin ist für die PDS-Fraktion die Kol-

legin Kersten Naumann.


Kersten Naumann (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1424506000
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Ich hatte zwischenzeitlich das Ge-
fühl, dass ich bei der falschen Debatte bin. Bei mir steht
in der Tagesordnung Agrarbericht, Welthunger, Pflanzen-
schutzmittel und Ähnliches; aber hier wird wieder über al-
les Mögliche geredet. Herr Kollege Heinrich, Sie werfen
anderen vor, dass sie über die Fischler-Vorschläge, die
noch gar nicht schriftlich vorliegen, diskutieren, haben
diese dann aber selber alle auseinander genommen. Das
ist mir unbegreiflich.


(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Ulrich Heinrich [FDP]: Das war notwendig!)


Ein Wort an den Kollegen Ronsöhr; es ist mal etwas
Positives. Ich habe mich sehr gefreut, dass Sie hier eine
Lanze für den Ökolandbau gebrochen haben, und hoffe
jetzt nur, dass das auch in Ihrer Politik Niederschlag fin-
den wird und dass Sie die positiven Seiten bei Ihren Be-
suchen in den Ökolandbetrieben erkannt haben.


(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der CDU/CSU: Ja, er hat die Bauern nicht auseinanderdividiert!)


Ich versuche, zum Agrarbericht zu kommen. Frau Mi-
nisterin Künast, Sie sagten in Ihrer Regierungserklärung
im Februar vorigen Jahres:

Wir spüren alle, dass wir in einem langen und steini-
gen Tal sind ... Die neue Landwirtschaftspolitik
braucht ihre Zeit.

Das war sicher richtig. Man kann sich aber auch viel
schönreden. Nach eineinhalb Jahren hat man jedenfalls
das Gefühl, dass keiner so richtig an eine ökologisch und
sozial ausgestaltete Neuausrichtung der Agrarpolitik
glaubt. Im Gegenteil, vieles ist auf der Strecke geblieben.
Gesetze und Verordnungen wurden oftmals von Aktionis-
mus getrieben und voreilig und halbherzig gemacht. Das
haben wir in unserem Ausschuss oft gespürt.

Ökologisch scheint einiges auf den Weg gebracht, wenn
auch vielfach inkonsequent und in manchen Bereichen so-
gar kontraproduktiv. Das beste Beispiel hierfür ist die im
Jahr 2000 erfolgte Kürzung der Ausgleichszulage für
Betriebe in benachteiligten Gebieten, die trotz der
Agrarwende nicht zurückgenommen wurde. Ergebnis ist,
dass trotz Ausgleichszulage das Ergebnis der Haupter-
werbsbetriebe in den betroffenen Gebieten um 30 Prozent
hinter dem Unternehmensergebnis in den nicht benachtei-
ligten Gebieten zurückliegt. Das wird dazu führen, dass
immer mehr Betriebe aus benachteiligten Gebieten ihre
Tore schließen werden. Damit bleiben die viel gepriesenen
Prinzipien von Multifunktionalität und flächendeckender
Landbewirtschaftung nur populistisches Gerede.

In diesem Zusammenhang spricht sich die PDS gegen
eine weitere Kürzung des Agrarhaushaltes im Bereich
der Bundesmittel für die Gemeinschaftsaufgabe
„Agrarstruktur und Küstenschutz“ aus.


(Beifall bei der PDS)

Für das Jahr 2003 fehlen etwa 100 Millionen Euro. Mit
der Kürzung der Bundesmittel geht auch eine Kürzung
der kofinanzierten Landesmittel einher. Zusammen mit
den Landesmitteln fehlen dann schon 170Millionen Euro.
Was das für die Landwirte und die ländlichen Räume be-
deutet, kann sich sicherlich jeder vorstellen.

Honoriert werden zwar in der Landwirtschaft die Aus-
gestaltung umwelt- und tierartgerechter Produktionswei-
sen, aber das kleine Wörtchen „sozial“, das die größere
Regierungsfraktion im Parteinamen führt, wurde fast völ-
lig unter den Teppich gekehrt. Soziale Gesichtspunkte
wie das Alterssicherungssystem, die Einkommenssiche-
rung nach dem Landwirtschaftsgesetz, Arbeitsplatzsiche-
rung im ländlichen Raum und die soziale Absicherung der
Landwirte und ihrer Familien erhielten keineswegs aus-
reichende Unterstützung von der Regierung.




Marianne Klappert
24652


(C)



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(A)



(B)


Meine Damen und Herren, wie sozial die Bundesre-
gierung denkt, zeigt sich in ihrer Antwort auf die Große
Anfrage der CDU/CSU-Fraktion. Hier macht sie deutlich,
dass weitreichende Veränderungen hinsichtlich des
agrarsozialen Sicherungssystems vorgesehen sind. Der
Verdacht liegt nahe, dass hier wieder staatliche Aufgaben
auf die Landwirte abgewälzt werden sollen. Es wird zwar
lediglich eine Lastenverschiebung betont, doch schon
jetzt sind Eingrenzungen des Kreises der versicherungs-
pflichtigen landwirtschaftlichen Unternehmen, Änderun-
gen im Leistungsrecht und bei der Bundesmittelvertei-
lung vorgesehen. Das Dilemma daran ist, dass eine
Kürzung des agrarsozialen Sicherungssystems immer di-
rekt einkommenswirksam ist.

Wie schon in den vorangegangenen Berichten wurden
auch im vorliegenden Agrarbericht keine Angaben zu so-
zialen Aspekten des fortschreitenden Schrumpfungspro-
zesses bei landwirtschaftlichen Betrieben und ihren Ar-
beitskräften gemacht. Die Aussagen zur positiven
Entwicklung der Wertschöpfung in absoluten Zahlen re-
lativieren sich gemessen an den Preisen von 1995. Hier
zeigt der Trend der Bruttowertschöpfung jeweils im
Vergleich zum Vorjahr zum ersten Mal seit 1996/1997 ein
Minus von 5,6 Prozent. Im Gegensatz zu der 19,3-pro-
zentigen Gewinnsteigerung in den alten Ländern war in
den neuen Ländern ein Gewinnrückgang um 13,8 Prozent
zu verzeichnen.

Meine Damen und Herren, die ökonomischen und so-
zialen Auswirkungen – gerade im Jahr der BSE-Krise –
auf die betroffenen Mäster und Milcherzeuger, aber auch
im Nachleistungsbereich der Fleischverarbeitung sind im
Agrarbericht nicht zu erkennen. Wenn schon beim Agrar-
bericht eine Erweiterung um die Wortklausel „ernährungs-
politischer Bericht“ erfolgt, dann erwarten wir auch, dass
Angaben zur gesamten Kette der Ernährungswirtschaft
gemacht werden.


(Beifall bei der PDS)

In den Agrarberichten werden zwar die Bauernhöfe bis

ins Detail durchleuchtet, dagegen aber keinerlei Aussagen
über den Konzentrationsgrad und die Gewinnerwirtschaf-
tung in der Nahrungsgüterindustrie und im Lebensmittel-
handel getroffen. Die Landwirtschaft wird immer mehr
von zwei Seiten umklammert, zum einen durch die Fut-
termittel- und Pharmaindustrie und zum anderen durch
die zunehmende Konzentration in Verarbeitung und Han-
del. Die Landwirtschaft gerät somit immer mehr in den
Sog der Kapitalverwertungsinteressen der industriellen
Vor- und Nachleistungsbereiche. Um sich aus diesem
Würgegriff zu befreien, bedarf es des Drucks der Bauern
zum Beispiel zu einer Garantieerklärung der Futtermittel-
industrie für die Sicherung ihrer Produkte oder zu einer
Mehrgefahrenabsicherung für wirtschaftlich unverschul-
dete Schäden.

Meine Damen und Herren, wer vom „magischen
Sechseck der Agrarwende“ spricht, muss auch alle in der
Ernährungskette beteiligten Wirtschaftsbereiche näher
analysieren und bewerten. Der zügellose wachstumsori-
entierte Ausbau zentralisierter Versorgungsstrukturen
durch Großanbieter von Futtermitteln, Saatgut, Pflanzen-
schutz- und Düngemitteln ist jedem Versuch, eine nach-

haltige Landwirtschaft zu betreiben, abträglich. Wo ist
denn der Nachweis, dass eine hohe Komprimierung von
industriellen Inseln der Verarbeitung und des Handels für
die Gesellschaft günstiger wirkt als die Ansiedlung mitt-
lerer und kleinerer Gewerbebereiche in den Regionen?
Frau Künast, wie verwirklichen Sie denn Ihre Aussage
vom vergangenen Jahr – ich zitiere –:

Die Agrarwende setzt auf regionale Strukturen.
Künftig muss gelten: Regional ist erste Wahl.

Bei der derzeitigen Politik ist regional doch eher dritte
Wahl.

Damit bin ich beim nächsten Problem. Im Agrarbericht
wurde die regionale Untersetzung kaum ausgebaut. Fort-
schritte und Probleme bei der Verwirklichung der an-
gekündigten stärkeren Regionalisierung der Agrarwirt-
schaft können demzufolge kaum verfolgt oder bewertet
werden. Gerade für die noch immer vorhandenen spezifi-
schen Probleme der Landwirtschaft und der ländlichen
Räume der neuen Länder fehlen wichtige Aussagen. Ein
besonderes Problem sieht die PDS im geringen Anteil der
neuen Länder an der Ernährungswirtschaft. Ein be-
trächtlicher Teil der in Ostdeutschland produzierten land-
wirtschaftlichen Rohstoffe werden im Westen veredelt
und von dort zurückgekauft. Nur bei ökologischen Pro-
dukten wird inzwischen vorrangig im Osten produziert
und im Westen gegessen. Gerade im ostdeutschen ländli-
chen Raum werden finanzielle Mittel benötigt, die seine
weitere Entleerung einschränken und den Schrumpfungs-
prozess in der Landwirtschaft aufhalten. Im Rahmen der
Diskussion von Degressionsmodellen bezüglich Betriebs-
größen bzw. von Beihilfeobergrenzen bei der Förderung
werden wir und sicherlich auch die Landwirte im Osten
vehement Widerspruch einlegen.


(Beifall bei der PDS)

Frau Ministerin, erinnern Sie doch einfach Ihren Chef an
seine Sache „Aufbau Ost“. Im Moment scheint es doch
mehr eine „Nebensache Ost“ zu sein.

Die PDS fordert von der Bundesregierung folgende
Maßnahmen: Die Ausgleichszulage ist in der Gemein-
schaftsaufgabe wieder zu verdoppeln und dem Niveau
von vor 2000 anzupassen. Weiterhin muss die Bundesre-
gierung alles daransetzen, um ihren Verpflichtungen aus
dem Landwirtschaftsgesetz nachzukommen, den in der
Landwirtschaft Erwerbstätigen die Teilnahme an der all-
gemeinen Einkommens- und Wohlstandsentwicklung zu
ermöglichen.

Die PDS fordert in den folgenden Agrarberichten die
Analyse der Einkommenssituation der Landwirte für alle
Rechtsformen und einen Einkommensvergleich mit ande-
ren Berufsgruppen. Außerdem ist die gesamte Kette der
an der Agrarwirtschaft beteiligten Bereiche stärker zu
durchleuchten und zu bewerten. Insbesondere sind die
ökonomische Stellung der Partner und ihre wechselseiti-
gen Abhängigkeiten im gesamten Agrarindustrie-Kom-
plex auf den Prüfstand zu stellen.

Notwendig ist eine Korrektur regionaler Disproportionen
zwischen Ost und West in Produktion und Verarbeitung.
Dazu bedarf es einer aktiven Strukturpolitik, einer stärkeren
Regionalisierung sowie einer stärkeren Verzahnung der




Kersten Naumann

24653


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beiden Gemeinschaftsaufgaben „Verbesserung der Agrar-
struktur und des Küstenschutzes“ und „Verbesserung der
regionalen Wirtschaftsstruktur“. In ihrem Entschlie-
ßungsantrag hat die SPD viele gute Vorschläge gemacht.
Ich hoffe, dass sie auch Wege findet, diese umzusetzen.

Abschließend bleibt, wie eine überregionale Tageszei-
tung heute titelt, festzustellen: „Der Agrarbericht ist ein
Rapport mit bemerkenswerten Lücken.“ Die PDS-Frak-
tion hofft, dass diese Lücken in den nächsten Agrarbe-
richten mit bemerkenswerten Inhalten gefüllt werden.

Danke schön.

(Beifall bei der PDS)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1424506100
Nächste Rednerin ist
die Kollegin Heidi Wright für die SPD-Fraktion.


Heidemarie Wright (SPD):
Rede ID: ID1424506200
Verehrte Frau Präsiden-
tin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Essen und Trinken
hält Leib und Seele zusammen.“ Diese alte Weisheit ist
bis heute nicht überholt. Der ernährungs- und agrarpoliti-
sche Bericht, den wir jetzt diskutieren, wird draußen im
Lande auf besonderes Interesse stoßen. Deshalb möchte
ich vorab einen Wunsch äußern: Wir, liebe Kolleginnen
und Kollegen aus dem entsprechenden Fachausschuss,
sollten uns unserer Verantwortung bewusst sein – bis jetzt
war das der Fall –, den Verbrauchern deutlich zu machen,
dass unsere ganze politische Energie darin stecken muss,
die Produktion gesunder Lebensmittel zu gewährleisten.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Dafür bedarf es des Bewusstseins, dass gesunde Nah-

rungsmittel einer durchgängigen Qualitätssicherungs-
kette unterliegen müssen und dass die alte Weisheit abso-
lut gilt: Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser. Es ist hier
nicht entscheidend, ob diese Kontrollen von privater Seite
oder von der öffentlichen Hand durchgeführt werden. Der
Punkt ist vielmehr, dass sie besser sein müssen. Wir alle
– ob im Bundesministerium oder in den Ländern – müs-
sen leidvoll feststellen: Die Kontrollsysteme der Vergan-
genheit waren wie Käse. Entweder hatten sie Löcher oder
sie stanken zum Himmel.

Bevor ich mir den Protest der CDU/CSU einfange und
mich der Forderung nach besseren Kontrollen aussetze,
will ich Ihren „Oberkontrollminister“ Sinner aus Bayern
zitieren, der laut „Süddeutscher Zeitung“ vom 17. Juni ge-
sagt hat, die Kontrollsysteme seien bisher nicht ausrei-
chend. Er hat dies aber auf die Ökoprodukte bezogen. Mir
wurde damit klar – wie es mir auch bei Ihrer Rede vorhin
klar wurde, Herr Carstensen –, dass Sie immer noch nicht
kapiert haben, dass wir ohne die Kontrollsysteme bei den
Ökoprodukten den Nitrofen-Skandal nicht aufgedeckt
hätten.


(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/ CSU]: Das hat überhaupt nichts damit zu tun! Bei einer Firma, bei Hipp, ist es entdeckt worden!)


Der Nitrofen-Skandal, der die Landwirtschaft insge-
samt, aber insbesondere die Ökolandwirtschaft trifft, ist
originär kein Biolandwirtschaftsskandal. Es ist ein Skan-

dal der Futtermittelwirtschaft sowie der Betreiber von
Futtermittellagerstätten und ihrer Versicherungen. Es ist
also ein Skandal der richtig Großen,


(Ulrich Heinrich [FDP]: Und der Behörden!)

die zulasten der Kleinen wieder einmal ihren Profit meh-
ren wollten.


(Beifall der Abg. Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1424506300
Frau Kollegin, gestat-
ten Sie eine Zwischenfrage?


Heidemarie Wright (SPD):
Rede ID: ID1424506400
Nein. – Ich muss deshalb
sagen: Wo Herr Minister Sinner aus Bayern Recht hat, hat
er Recht. Er weiß, wovon er spricht, wenn er sagt, die
Kontrollen müssten besser werden. Es waren nämlich die
fatalen Kontrolllücken in Bayern, die dieses Bundeslan-
des an die Spitze des Landwirtschafts-GAUs, nämlich
BSE, gebracht haben.


(Albert Deß [CDU/CSU]: Nordrhein-Westfalen hat noch viel weniger kontrolliert!)


Die Verbraucher, aber auch die Bauern müssen die Zu-
versicht gewinnen, dass die Futtermittelskandale über
verbesserte Kontrollmechanismen und durch harte Sank-
tionen gestoppt werden.

In diesem Zusammenhang, liebe Kolleginnen und Kol-
legen von der Opposition, will ich feststellen, dass ich es
absolut schofel finde, dass sich diejenigen, die den Skan-
dal zu verantworten haben, nämlich die Branche der Fut-
termittelhersteller, dieser Verantwortung – zum Beispiel
durch die Auflage eines Hilfsfonds – bisher verweigern.
Vielleicht sollten wir gemeinsam an die Futtermittelindus-
trie und an den Raiffeisenverband nochmals den Appell
richten, Solidarität mit den betroffenen Bauern zu zeigen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1424506500
Frau Kollegin Wright,
der Kollege meldet sich weiterhin hartnäckig. Gestatten
Sie eine Zwischenfrage?


Heidemarie Wright (SPD):
Rede ID: ID1424506600
Ganz bestimmt nicht.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1424506700
Dies war eine endgül-
tige Antwort. Es wird also keine Zwischenfrage zugelassen.


Heidemarie Wright (SPD):
Rede ID: ID1424506800
Abschließend zum
Thema Verbraucherschutz: Der Verbraucher und die Bau-
ern müssen wissen, dass der Verbraucherschutz in der jet-
zigen Bundesregierung bestens aufgehoben ist. Verbrau-
cheraufklärung findet bei uns ihren haushalterischen
Niederschlag und Schwerpunkt: Im Jahr 2003 haben wir
dafür 100 Millionen Euro bereitgestellt.

Ich will auf einen gesonderten Bereich der Land- und
Forstwirtschaft zu sprechen kommen, der durch unsere
Regierungsarbeit so richtig Power bekommen hat: die
nachwachsenden Rohstoffe und die Förderung der erneu-
erbaren Energien. Wir sind nicht nur dem Titel „Fußball-




Kersten Naumann
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(B)


weltmeister“ ganz nahe, sondern mit unserer Politik be-
reits Weltmeister in der Windenergie. Auch die Bauern an
der Küste profitieren davon, was mich freut.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Das habt ihr gemacht? Ihr habt das gemacht?)


– Wir haben im Zusammenhang mit dem EEG dem
Stromeinspeisegesetz, das zu Ihrer Regierungszeit be-
schlossen worden ist, den richtigen Drive gegeben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Norbert Schindler [CDU/ CSU]: Oh, oh, oh! Zu welch einem Ärger! – Weitere Zurufe von der CDU/CSU)


– Erst mit dem EEG – das weiß das ganze Land – ist ein
richtiger Boom entstanden. Schauen Sie sich doch einmal
die entsprechenden Statistiken an!

Mein Anliegen ist es, dass wir auch im Bereich der
Biomasse und bei der Nutzung von Biogas Weltmeister
werden.


(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/ CSU]: Heidi, das kann doch wohl nicht wahr sein!)


Ich kann nur hoffen und dazu ermutigen, dass Landwirte
und Forstbetriebe diese Perspektive erkennen sowie nut-
zen und sich hier ein festes Standbein erwirtschaften. Für
mich ist es immer unverständlich geblieben, warum aus
dem Bauernverband und den Verbänden der Forstwirt-
schaft diese – richtige – Zukunftsperspektive nie massiver
vorangebracht und von der Politik eingefordert worden ist.
Bei uns musste man eine solche Politik nicht einfordern.
Sie war uns ein Anliegen und wir haben sie umgesetzt.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen und insbesondere
liebe Investoren im ländlichen Raum, damit es klar ist:
Nur mit uns gibt es diese Option auf die Zukunft.


(Norbert Schindler [CDU/CSU]: Kriegen wir ein neues Evangelium? – Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Donnerwetter!)


Die CDU/CSU hat weiß Gott nichts übrig für eine neue
Energiepolitik, mit der die Ressourcen unseres Landes ge-
nutzt werden sollen. So hat die CDU-Vorsitzende Angela
Merkel am Dienstag dieser Woche auf einem Parteikon-
gress die Förderung erneuerbarer Energien nochmals
kritisiert.


(Abg. Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU] meldet sich zu einer Zwischenfrage)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1424506900
Ich muss jetzt dem
Kollegen Carstensen sagen, dass die Kollegin Wright er-
klärt hat, dass sie keine Zwischenfragen zulässt.


Heidemarie Wright (SPD):
Rede ID: ID1424507000
Im Zuge der Gerechtig-
keit muss ich das so handhaben.


(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/ CSU]: Dann soll sie aber auch die Wahrheit sagen! – Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Dann soll sie nichts Falsches sagen!)


Mit uns gibt es die Nutzung von Schwachholz und die
Verwertung von Altholz durch Holzhackschnitzelanlagen
und Pelletöfen, und zwar nicht nur ein bisschen hier und
dort. Wir sorgen dafür – natürlich mit dem EEG –, dass es
hier ein flächendeckendes Angebot gibt. Wir wollen eine
moderne Energiepolitik, die im Hinblick auf die erneuer-
baren Energien keine Alibipolitik betreibt, sondern sich
an die Spitze in der EU stellt und die Weltmeisterposition
anstrebt.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Es geht dabei um Energiepflanzen, um Raps, um Ge-

treide, die Zuckerrübe, den nachwachsenden Rohstoff
Nummer eins, das Holz, und um neue schnell wachsende
Pflanzen.


(Norbert Schindler [CDU/CSU]: Tabak hast du vergessen!)


All dies werden wir in unserer Regierungsarbeit mithilfe
des EEG voranbringen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Ihr solltet ein bisschen lauter klatschen!)


Herr Kollege Heinrich, mir geht es um die Wertschöp-
fungskette in der Region, und zwar für die Bauern, für die
Forstwirtschaft und für das Handwerk.


(Ulrich Heinrich [FDP]: Wenn ihr die Bauern kaputtmacht, habt ihr die nicht mehr!)


Mir geht es um das Konzept der ökologischen Moderni-
sierung, in das die Land- und Forstwirtschaft zuvorderst
mit hineingehört. Mir geht es um ökologische und ökono-
mische Win-win-Systeme und um Erfolge im internatio-
nalen Innovationswettbewerb.

Zum Abschluss, Kolleginnen und Kollegen: Gestern
hatten wir im Ausschuss unsere 100. Sitzung.


(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Das ist wohl wahr!)


In feiner Kollegialität wurde die gute Zusammenarbeit
gelobt. Marianne Klappert hat das eben sehr schön wie-
derholt. Es wurde von unserem gemeinsamen Streben für
die Landwirtschaft gesprochen. Wenn von dieser Ge-
meinsamkeit auch in diese Debatte etwas hinübergerettet
werden könnte und insbesondere bei den Lobbyverbän-
den und an den Vor-Ort-Stammtischen nicht die Schmäh-
tiraden und die Jammerorgien fröhliche Urständ feiern
würden, käme dies nicht zuletzt auch dem Ansehen der
Landwirtschaft zugute.

Ich persönlich möchte zum Schluss dieser Legislatur-
periode und nach acht Jahren Einsatz für die Landwirt-
schaft sagen: Mein Bestreben war es, die Landwirtschaft
wieder in die Mitte der Gesellschaft zu rücken und aus ih-
rer Verbände- und Lobbygefangenschaft herauszuholen.


(Beifall des Abg. Jörg Tauss [SPD] – Widerspruch bei der CDU/CSU)


Ich fürchte, dies ist noch nicht gelungen. Ich denke, eine
beherzte, offene und somit moderne Landwirtschaft, die
sich mit einer mutigen Landwirtschaftspolitik verbündet,
kann bei einem mündigen und anspruchsvollen Verbrau-
cher nur gewinnen.




Heidemarie Wright

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Dies wünsche ich mir und ich danke allen, die dies
schon ein Stück bewirkt haben.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1424507100
Der nächste Redner
für die Fraktion der CDU/CSU ist der Kollege Albert Deß.

Albert Deß (CDU/CSU) (von der CDU/CSU mit Bei-
fall begrüßt): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Auch die heutigen Ausführungen von Frau
Künast zeigen, wie ziellos die rot-grüne Agrarpolitik die-
ser Bundesregierung ist.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Die Agrarpolitik dieser Bundesregierung hat nichts mit ei-
ner Agrarwende zu tun; sie ist ein chaotischer Schleuder-
kurs: Rein in die Kartoffeln, raus aus den Kartoffeln.

Ein Musterbeispiel dafür sind die agrarpolitischen
Kehrtwendungen von Bundeskanzler Schröder. Vor der
Wahl 1998 hat er die nationale Kofinanzierung bei der
europäischen Agrarpolitik gefordert und damit eine For-
derung der Unionsfraktion übernommen. Auf dem Partei-
tag 1998 in Saarbrücken hat er die gleiche Forderung auf-
gestellt. In der „Süddeutschen Zeitung“ hat es damals
geheißen – ich zitiere –:

Schröder forderte, dass in der Agrarpolitik, welche
die EU das meiste Geld kostet, zu einer nationalen
Finanzierung zurückzukehren ist.

Dann kam der Agenda-2000-Gipfel in Berlin, mit dem
Ergebnis, dass von den großen Ankündigungen dieses
Bundeskanzlers rein gar nichts übrig geblieben ist. Milli-
ardenbeträge wurden in der Nacht der langen Messer in
Berlin auf Kosten der deutschen Steuerzahler zusätzlich
verteilt. Der Bundeskanzler konnte es nicht erreichen,
dass auch nur im Ansatz eine Kofinanzierung in der euro-
päischen Argarpolitik umgesetzt wird.

Wer bei den Agenda-2000-Verhandlungen so dilettan-
tisch versagt hat,


(Widerspruch bei der SPD)

hat auch heute kein Recht, die Agrarfinanzierung aus
wahltaktischen Gründen zu kritisieren, wie es der Bun-
deskanzler zurzeit wieder tut.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Selbst der „Spiegel“ schrieb damals – er steht wohl

nicht im Verdacht, der Union nahe zu stehen –:
Die EU-Ratspräsidentschaft endet, wie sie begonnen
hat: mit großen Sprüchen.


(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Da hat er Recht!)


Und wo der „Spiegel“ Recht hat, hat er Recht!
Nicht nur dem „Spiegel“ sind damals die großen

Sprüche unseres Bundeskanzlers aufgefallen. Auch im-

mer mehr Wählerinnen und Wähler durchschauen, dass es
nicht ausreicht, mit Sprüchen Politik zu machen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Widerspruch bei der SPD)


Sprüche statt Sachpolitik waren dann auch die Ant-
worten des Bundeskanzlers auf die ersten BSE-Fälle in
Deutschland. Vollmundig forderte er an diesem Redner-
pult die Abschaffung von Agrarfabriken und Massentier-
haltung. Beides hat bis heute mit BSE nichts zu tun.

Die Landwirte werden seitens der rot-grünen Bundes-
regierung als Sündenböcke der Nation benutzt


(Beifall des Abg. Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU] – Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Lügen!)


und von Frau Künast und Herrn Trittin in einer Art und
Weise bevormundet, die unerträglich ist.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Solche Lügen sind doch unerträglich!)


Wie ein roter, besser gesagt: ein grüner Faden ziehen
sich die zusätzlichen nationalen Belastungen für die
Landwirtschaft durch die gescheiterte Politik von Rot-
Grün. Rot-grüne Agrarpolitik ist von einseitigen nationa-
len Benachteiligungen geprägt. Ich darf stichwortartig nur
die Ökosteuer, das Agrardieselgesetz und den Agrarsozi-
albereich erwähnen. Man könnte aber noch eine ganze
Reihe hinzufügen.


(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Landwirte als Prügelknaben der Nation!)


Die Frau Ministerin hat eine Agrarwende angekündigt.
Übrig geblieben ist nur grüne Ideologie,


(Beifall des Abg. Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU])


keine Fakten, keine Tatsachen, dafür Verdächtigungen
und viel Schall und Rauch.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Der gesamte Wissenschaftliche Beirat des Bundesminis-
teriums für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirt-
schaft ist zurückgetreten, weil eine sachliche Zusammen-
arbeit mit Frau Künast nicht möglich war.

Unsere deutschen Landwirte produzieren den Großteil
unserer Nahrungsmittel. Sie produzieren qualitativ hoch-
wertige Waren und tragen durch leistungsfähiges Wirt-
schaften mit dazu bei, dass wertvolle Nahrungsmittel
preisgünstig hergestellt werden können. Unsere Land-
wirte produzieren seit Jahrhunderten nachhaltig und wirt-
schaften weitgehend nach den Gesetzen der Natur.


(Jörg Tauss [SPD]: Seit Jahrtausenden!)

Dabei brauchen sie keine Belehrungen.

Alle Betriebszweige, ob moderne, nachhaltige oder
ökologisch wirtschaftende Betriebe, verdienen Dank und
Anerkennung und unsere Unterstützung.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)





Heidemarie Wright
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(B)


Sie haben es nicht verdient, dass sie als Buhmänner der
Nation benutzt werden. Ich möchte mich ausdrücklich bei
unseren Land- und Forstwirten und bei unseren Bauern
für den Erhalt und die Pflege unserer schönen,
abwechslungsreichen Kulturlandschaft bedanken.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dafür hättet ihr ein bisschen mehr tun können!)


Welches Ziel verfolgt Frau Künast überhaupt? Einer-
seits fordert sie mit der Rückendeckung des Bundeskanz-
lers: keine Agrarfabriken und keine Massentierhaltung.
Andererseits belastet sie aber genau die bäuerlichen Be-
triebe, die in regionalen Kreisläufen wirtschaften und
keine Massentierhaltung betreiben. Unsere leistungsfähi-
gen Familienbetriebe werden verunsichert.

Die Investitionsquote in der Landwirtschaft hat im
Jahr 2001 den niedrigsten Stand seit Jahrzehnten erreicht.


(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/ CSU]: Das ist der Künast-Effekt!)


Eine Weiterführung der rot-grünen Agrarpolitik würde
dazu führen, dass in Zukunft Agrarfabriken entstehen.
Das „Ökosiegel light“ fördert die Agrarindustrie im
Ökobereich und gefährdet die bisherigen Ökobetriebe,
wie das der Nitrofen-Skandal gezeigt hat.

Die Schere zwischen dem, was Rot-Grün fordert, näm-
lich umweltgerechter Landwirtschaft und Schonung von
Ressourcen, und dem, was sie da tun, wo sie politisch Ver-
antwortung tragen, klafft weit auseinander. Das beweist
ein Blick in den Agrarbericht, in dem unter der Rubrik
„Umweltgerechte Landwirtschaft“ folgende Zahlen zu
finden sind: Bayern fördert die umweltgerechte Land-
wirtschaft mit 143 DM je Hektar, Baden-Württemberg
mit 130 DM, Thüringen mit 104 DM und Sachsen mit
94 DM.

Schauen wir doch, um mit Ernst Hinsken zu reden, wer
die rote Laterne in Deutschland besitzt. Die rote Laterne
oder – besser gesagt – die rot-grüne Laterne besitzt
Schleswig-Holstein mit lumpigen 2 DM pro Hektar.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Die sollen sich schämen! – Ulrich Heinrich [FDP]: Schande!)


Niedersachsen fördert mit 5 DM pro Hektar und Nord-
rhein-Westfalen mit 9 DM.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP– HansPeter Repnik [CDU/CSU]: Wie bei PISA! – Gegenruf des Abg. Jörg Tauss [SPD]: Primitiver geht es nicht mehr!)


Das sind die Zahlen aus Ihrem Agrarbericht. Bei Betrach-
tung der 9 DM aus Nordrhein-Westfalen frage ich Sie: Ist
das nicht im wahrsten Sinne des Wortes „höhnisch“?


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zuruf von der CDU/CSU: Reine Verhöhnung!)


Ich habe in den vielen Jahren meiner politischen Tätig-
keit noch nie erlebt, dass eine Ministerin, die Verantwor-
tung für einen ganzen Berufsstand trägt, ihrer Aufgabe so
wenig gerecht wird. Statt Unterstützung erfahren die Bau-
ern Diskriminierung und Missachtung ihrer Persönlich-

keit. Sie werden von einer Ministerin entmündigt, die von
der Sache selber wenig versteht


(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: „Wenig“ ist übertrieben!)


und auch nicht bereit ist dazuzulernen.
Für jeden Handgriff der Landwirte, die ihren Beruf von

der Pike auf erlernt haben, verlangen die Frau Ministerin
und der Herr Trittin Sachkundenachweise. Diesen Sach-
kundenachweis sollten sie selber erst einmal erbringen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Dafür wird die Zeit bis zum 22. September aber nicht

ausreichen.
Die CDU/CSU-Fraktion wird nach der Bundestags-

wahl dafür sorgen, dass die nationalen Benachteiligungen
wieder abgebaut werden.


(Ilse Janz [SPD]: Das ist eine alte Rede! Die kennen wir schon!)


Unser Bestreben ist es, die Bürokratie zurückzuschrauben.

(Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Wie wollen Sie das aus der Opposition heraus denn machen? – Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Bürokratie habt ihr selber geschaffen!)


Unsere Landwirte sind auch ohne weitere Verordnungen
schon immer bereit gewesen, ihren Beitrag zum Umwelt-
schutz zu erbringen, und sie werden dies auch in Zukunft
tun.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich möchte in aller Kürze noch einen Punkt anspre-

chen. Daran sieht man die Unglaubwürdigkeit der Ver-
braucherschutzpolitik. Es ist in Deutschland verboten, le-
bensmitteltaugliches tierisches Fett in der Kälbermast
einzusetzen. Die Folge ist: Zehn Tage alte Kälber werden
nach Belgien, Frankreich, Holland und Spanien transpor-
tiert, werden da mit diesem dort zugelassenen Fett gemäs-
tet und das Kalbfleisch kommt wieder nach Deutschland.
Was hat das denn mit Verbraucherschutz zu tun? Wenn es
eine Gefahr für die Verbraucher ist, dann müsste die Mi-
nisterin den Import dieses Kalbfleisches verbieten. Sie tut
es aber nicht.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1424507200
Herr Kollege Deß, ich
muss Sie an die Redezeit erinnern.


Albert Deß (CSU):
Rede ID: ID1424507300
Ich komme zum Schluss. Ich
möchte nur noch anmerken, dass wir nach dem 22. Sep-
tember den Landwirten, den Forstwirten und auch den
Verbraucherinnen und Verbrauchern wieder den Stellen-
wert einräumen werden, den sie verdienen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Das können Sie aus der Opposition heraus nicht!)


Ich möchte mich am Schluss bei der Kollegin
Marianne Klappert für zwölf Jahre Zusammenarbeit im
Agrarausschuss bedanken. Liebe Marianne, ich arbeite




Albert Deß

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(A)



(B)


ebenfalls zwölf Jahre mit. Du warst immer eine faire Kol-
legin. Ich wünsche dir namens der CDU/CSU-Fraktion al-
les Gute für deinen weiteren Lebensweg.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Marianne Klappert [SPD]: Danke!)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1424507400
Das Wort hat jetzt die
Kollegin Steffi Lemke für die Fraktion des Bündnisses 90/
Die Grünen.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Der Niedergang der Landwirtschaft hat einen Namen: Künast! – Zuruf von der CDU/CSU: Wenn die weg ist, haben wir eine neue Bauernbefreiung!)



Steffi Lemke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1424507500
Frau
Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Europa
diskutiert zurzeit die Agrarpolitik. Die von Rot-Grün in
Deutschland begonnenen Reformen finden nun ihre Fort-
setzung auf europäischer Ebene. Dabei wird deutlich,
dass der von Renate Künast und der rot-grünen Bundes-
regierung eingeschlagene Weg der richtige ist,


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


und dabei wird deutlich, dass die Union mit ihrem Kanz-
lerkandidaten Stoiber ohne Konzeption und ohne Ziel ist.


(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Was? Haben Sie dem Albert Schmidt nicht zugehört?)


Renate Künast ist vorgeworfen worden, dass sie durch
das Vorlegen eigener Vorschläge die deutsche Verhand-
lungsposition geschwächt habe. Aber nicht fehlende Ziele
und Konzeptionen zeichnen eine gute Verhandlungsposi-
tion aus, sondern das Benutzen des eigenen Kopfes, so
wie die rot-grüne Bundesregierung dies mit ihren Vor-
schlägen zur europäischen Agrarreform im Februar die-
ses Jahres getan hat.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Zu dieser Zeit war die CDU/CSU noch damit beschäftigt,
ein jammervolles Bild von der deutschen Landwirtschaft
zu zeichnen und Renate Künast vorzuwerfen, dass sie mit
eigenen Vorschlägen in die Debatte gegangen ist. Abtau-
chen war aufseiten der Opposition angesagt. Deutlicher
hätte sie nicht demonstrieren können, dass ihre Politik
ohne eigene Ideen ist. Ihre Strategie heißt aussitzen und
dies ist eine rückwärts gewandte Strategie.

Wir setzen uns für eine konsequente Reform der Agrar-
förderung, einen zügigen Abschluss der Verhandlungen
zur EU-Erweiterung und für einen gerechten Interessen-
ausgleich zwischen den Beteiligten ein. Deshalb be-
grüßen wir die Vorschläge von Agrarkommissar Fischler
im Grundsatz. Die Prämienzahlungen müssen von der
reinen Produktion abgekoppelt und für die besonderen
Leistungen der Landwirte im Umweltschutz und im Tier-
schutz sowie für die Schaffung von Arbeitsplätzen im
ländlichen Raum eingesetzt werden.

Die in die Diskussion gebrachte Kappungsgrenze im
ländlichen Raum für die Agrarförderung müssen wir uns

noch einmal genau vornehmen. Das wird meiner Meinung
nach so nicht gehen. Diese Kappungsgrenze wird nämlich
für die ostdeutschen Betriebe Einkommenseinbußen mit
sich bringen, die so nicht hinnehmbar sind. Deshalb wird
sich Rot-Grün dafür einsetzen, dass diese Vorschläge von
Agrarkommissar Fischler in dieser Form nicht umgesetzt
werden.

Meine Fraktion ist darüber hinaus der Meinung, dass
wir für die neuen Bundesländer im ländlichen Raum ein
spezielles Arbeitsplatzprogramm brauchen, um den jun-
gen Menschen dort eine Perspektive zu geben und die Ab-
wanderung zu stoppen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Dafür sind die bisherigen Produktprämien gut eingesetzt.
Wir haben in dieser Legislaturperiode wichtige Refor-

men in Gang gesetzt: im Tier- und Umweltschutz, im Na-
turschutzrecht, im Futtermittelrecht, im Tierarzneimittel-
recht, in der Agrarsozialpolitik und nicht zuletzt in der
Agrarforschung. Wir werden diese Arbeit fortsetzen; denn
es wurde allerhöchste Zeit, den Heiligenschein, den Sie
von der CDU/CSU und der FDP den bisherigen agrarpo-
litischen Strukturen in Deutschland verpasst haben, zu be-
seitigen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Es ist an der Zeit, diese Strukturen, die den BSE- und den
Nitrofen-Skandal überhaupt erst ermöglicht haben


(Lachen bei der CDU/CSU und der FDP)

und mit denen Sie eng verbandelt sind, zu durchleuchten,
fragwürdige Praktiken an die Oberfläche zu holen


(Ulrich Heinrich [FDP]: Das ist eine absolute Dreistigkeit! Dreister und unverschämter kann man nicht mehr sein!)


und ihnen ein Ende zu bereiten.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1424507600
Frau Kollegin Lemke,
gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Ronsöhr?


Steffi Lemke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1424507700
Natür-
lich.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1424507800
Kollege Ronsöhr, bitte.


Heinrich-Wilhelm Ronsöhr (CDU):
Rede ID: ID1424507900
Ich hoffe,
dass ich bei der Fragestellung sitzen bleiben darf.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1424508000
Selbstverständlich.


Heinrich-Wilhelm Ronsöhr (CDU):
Rede ID: ID1424508100
Frau Kol-
legin Lemke, können Sie zugeben,


(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/ CSU]: Nein, das kann sie nicht!)





Albert Deß
24658


(C)



(D)



(A)



(B)


dass es beim Nitrofen-Skandal nicht allein um ein Versa-
gen von zwei Unternehmen ging, nämlich eines Unter-
nehmens, das in Malchin sitzt, und eines Unternehmens,
das GS agri heißt, sondern dass es auch ein Versagen bei-
spielsweise von Kontrolleuren, und zwar auch aus dem
Ökobereich, gab? Es ging nämlich um Ökogetreidelager.
Warum kritisieren Sie nicht die mangelnde Effizienz die-
ser Kontrollen, die nach dem Motto der drei Affen statt-
fand: nichts sehen, nichts hören und auch nicht darüber re-
den? Solange Sie dies nicht kritisieren und auch nicht das
Versagen einer Bundesbehörde, die Frau Künast unter-
stellt ist, kritisieren, sind Sie für mich nicht glaubwürdig.
Vielleicht können Sie dies eingestehen.


(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU – Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Jetzt gestehen Sie das mal ein!)



Steffi Lemke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1424508200
Kol-
lege Ronsöhr, da hatten Sie ja jetzt noch einmal einen bil-
ligen Lacher auf Ihrer Seite. Ich gestehe Ihnen gerne zu,
dass Sie mir nicht glauben; ich weiß aber nicht, ob dies
Ihre Position verbessert. Ich danke Ihnen für Ihre Zwi-
schenfrage, weil Sie dadurch einen eindrucksvollen Be-
weis dafür geliefert haben, wie falsch Ihre Denkweise bei
der Aufklärung von Lebensmittelskandalen ist.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Sie haben eben noch einmal dargelegt, dass es Ihnen
nicht um die Aufklärung und Zerschlagung dieser ver-
krusteten und kriminellen Strukturen geht, die mit krimi-
neller Energie, Schlampereien und Fahrlässigkeit den
deutschen Bauern, und zwar den ökologisch wie konven-
tionell wirtschaftenden Bauern, Schaden zugefügt haben.


(Albert Deß [CDU/CSU]: Es war doch eine Ökoprüfstelle, die Sie zertifiziert haben!)


Vielmehr stellen Sie sich schützend vor diese. Das ist das
grundsätzliche Problem Ihrer Politik hinsichtlich der Auf-
deckung von Lebensmittelskandalen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Sie haben den Nitrofen-Skandal dazu benutzt, den
ökologischen Landbau zu diffamieren.


(Albert Deß [CDU/CSU]: Das ist eine bösartige Unterstellung Ihrerseits! Das stimmt überhaupt nicht!)


Der Nitrofen-Skandal ist kein Skandal der Ökobranche. In
dieser Lagerhalle ist sowohl ökologisches als auch kon-
ventionelles Getreide gelagert worden. Es war ein purer
Zufall, dass ökologisches Getreide entdeckt worden ist,
das mit Nitrofen belastet war. Es hätte genauso gut kon-
ventionelles Getreide treffen können.


(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Dann hätte es keiner Zertifizierung bedurft!)


Das schert Sie aber nicht. Sie haben mithilfe dieses Bei-
spiels eine Ökodebatte angezettelt, statt sich damit aus-
einander zu setzen, dass man dort beim Raiffeisenverband
und bei der Versicherung gewusst hat, dass mit Schad-
stoffen belastete Lebensmittel in den Umlauf gekommen

sind, dass dieses Wissen verheimlicht worden und nicht
an die Öffentlichkeit gebracht worden ist. Das ist der Kern
dieses Skandals und nicht die Tatsache, dass Ökogetreide
davon betroffen war.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Sie nehmen Kontrolleure, die nichts feststellen, in Schutz!)


Bauern und Verbraucher müssen gemeinsam wieder
Vertrauen in die eigene Arbeit und in die Sicherheit von
Lebensmitteln gewinnen. Dies gilt für die konventionelle
und die ökologische Produktion und Verarbeitung glei-
chermaßen. Wir brauchen das Bündnis der Verbraucher
mit den Bauern gegen kriminelle Strukturen und Schlam-
pereien sowie für eine zukunftsorientierte Agrarpolitik.
Für dieses Bündnis steht Renate Künast und steht Rot-
Grün.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Wir sorgen dafür, dass Lebensmittel- und Futtermit-
telskandalen mit aller Konsequenz nachgegangen wird
und sie nicht mehr totgeschwiegen und unter den Teppich
gekehrt werden. Diese Regierung ist der Garant für Trans-
parenz und Offenheit. Wir haben den Verbraucherinnen
und Verbrauchern in Deutschland eine Stimme gegeben.
Mündige Bürger erwarten sichere Lebensmittel und eine
klare und verständliche Kennzeichnung der Konsumgü-
ter. Deshalb ist uns eine transparente und kontrollierte
Produktion wichtig. Das gilt für die konventionelle wie
für die ökologische Landwirtschaft gleichermaßen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Die konventionelle Landwirtschaft kann viel von der
ökologischen Landwirtschaft lernen. Sie von der
CDU/CSU und der FDP versuchen immer wieder, einen
rein ideologisch geprägten Keil zwischen die Biolandwirt-
schaft und die konventionelle Landwirtschaft zu treiben.


(Ulrich Heinrich [FDP]: Das haben Sie doch gemacht!)


Sie haben nicht gemerkt, dass Ihnen nicht einmal der
Bauernverband folgt, wenn Sie weiterhin Gräben aushe-
ben.


(Albert Deß [CDU/CSU]: Den Graben haben Sie geschaffen!)


Der Bauernverband hat längst begriffen, dass dem Bio-
landbau die Zukunft gehört. Es versteht sich von selbst,
dass sie ihm nicht allein gehört. Sie haben stets gesagt: Es
gibt moderne Landwirtschaft und es gibt ökologische
Landwirtschaft. Hören Sie endlich damit auf, den Bioan-
bau als unwirtschaftlich und unmodern darzustellen. Bio-
produkte sind keine Nischenprodukte. Biobauern und die
Menschen, die Biolebensmittel kaufen, sind keine Son-
derlinge. Mit dem ökologischen Landbau hätte es BSE
und den Nitrofen-Skandal nie gegeben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Ulrich Heinrich [FDP]: Sie weiß gar nicht, dass auch in ökologischen Betrieben BSE aufgetreten ist!)





Heinrich-Wilhelm Ronsöhr

24659


(C)



(D)



(A)



(B)


Es wird Ihnen nicht gelingen, die ökologische Land-
wirtschaft zu diffamieren. Die Wirklichkeit hat Sie längst
eines Besseren belehrt. Das gilt offenbar nicht für diejeni-
gen, die heute hier auf den Bänken sitzen. Ohne Frage wird
und muss sich auch die ökologische Landwirtschaft wei-
terentwickeln. Die Einrichtung eines bundesweiten Ver-
bandes der ökologischen Lebensmittelwirtschaft war dazu
ein wichtiger Schritt. Mit dem vor kurzem verabschiede-
ten Ökolandbaugesetz haben wir die Aufgaben und Pflich-
ten der privaten Ökokontrollstellen umfassend geregelt.

Vier Jahre reichen nicht aus, um die Agrarwende zu
vollziehen,


(Ulrich Heinrich [FDP]: Vier Jahre sind zu viel!)


um den Schaden und die Rufschädigung, die Sie der deut-
schen Landwirtschaft zugefügt haben, aufzuarbeiten, und
um das Vertrauen in deutsche Lebensmittel wiederherzu-
stellen. Nicht alles, was wir begonnen haben, ist bereits in
trockenen Tüchern. Die Reform der Agrarsozialversiche-
rung ist fortzuführen. Die Haltung und Transportbedin-
gungen für die landwirtschaftlichen Nutztiere sind weiter
zu verbessern.


( V o r s i t z : Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters)


Vieles muss noch angepackt werden, zum Beispiel die
Weiterentwicklung der Standards zur guten fachlichen
Praxis in der konventionellen und in der ökologischen
Landwirtschaft. Die Landbaustandards von vorgestern
können nicht die von heute sein. Unsere Aufgabe ist es
– dazu werden wir in der WTO und in den europäischen
Agrarverhandlungen gedrängt –, die Standards an die
steigenden Anforderungen anzugleichen und somit
zukunftstauglich zu machen.

Hierzu zähle ich unter anderem auch die Debatte über
gentechnisch veränderte Lebensmittel. Die absolute
Mehrheit der Verbraucher will keine Gentechnik in Le-
bensmitteln haben. Deshalb hören Sie damit auf, eine
ideologisch geprägte Diskussion um die Gentechnik an-
zuzetteln und gentechnisch veränderte Lebensmittel ohne
Kennzeichnung in die Regale bringen zu wollen. Wir set-
zen uns für eine umfassende Kennzeichnung dieser Le-
bensmittel ein, solange wir sie nicht völlig ausschließen
können. Wir nehmen die deutschen Verbraucher ernst.
Auch dafür steht Bündnis 90/Die Grünen, auch dafür steht
die rot-grüne Regierung.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir wollen den erfolgreichen Weg der Entwicklung

von Labeln mit ökologischen und sozialen Standards in
möglichst vielen verbraucherrelevanten Bereichen wei-
terhin beschreiten. Die guten Erfahrungen, die damit be-
reits bei der Holzproduktion oder im ökologischen Land-
bau gemacht worden sind, wollen wir fortführen,
beispielsweise bei Fischereiprodukten, Holz, Blumen
oder auch Textilien. Diese Beispiele sollten im Interesse
der Verbraucher für eine klare und transparente Kenn-
zeichnung Schule machen und auch im Interesse der Pro-
duzenten, die dann mit ihren hohen Standards werben
können, weitere Verbreitung finden.

Wir brauchen weitere Verbesserungen im Düngemit-
tel- und Pflanzenschutzmittelrecht. Die von Ihnen ver-
folgte Politik, Pflanzenschutzmittel, die schädigend auf
die Umwelt und eventuell auch auf die Gesundheit wirken
können, weiter zuzulassen und die Grenzwerte entspre-
chend anzuheben, ist nicht unsere Politik. Wir wollen
auch im Interesse unserer Kinder und Enkel Sicherheit.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir wollen die weitere Einschränkung der Patentier-

barkeit von Pflanzen und Tieren. Wir brauchen eine
grundlegende Neuausrichtung der EU-Fischereipolitik.
Meine Damen und Herren von der Opposition, dieser Zug
ist ohne Sie abgefahren. Sie haben nicht die Kraft und die
Ideen, um eine neue Agrarpolitik zu entwerfen oder sie
gar umzusetzen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Jörg Tauss [SPD])


Sie sind mit den alten verkrusteten Strukturen verbandelt
und können und wollen sich davon auch nicht lösen.


(Ulrich Heinrich [FDP]: Sie können ja nicht einmal lesen! Sonst wüssten Sie, dass Sie hier die Unwahrheit sagen!)


Immer mehr Bauern wissen, dass Sie sich jahrelang
schützend vor Strukturen gestellt haben, die den Bauern
in der Vergangenheit ökonomischen Schaden zugefügt
haben. Auch den Verbrauchern ist das bekannt. Verbrau-
cher und Landwirte haben deshalb kein Vertrauen in Ihre
Politik. Von daher werden Sie dort bleiben, wo Sie zurzeit
sitzen: auf der Oppositionsbank.

Danke schön.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1424508300
Liebe Frau
Lemke, Ihre Fraktion hat mir mitgeteilt, dass dies
zunächst einmal Ihre letzte Rede in diesem Parlament ge-
wesen ist. Sie sind aber eine so junge Kollegin, dass das
Parlament Sie vielleicht einmal wiedersehen wird. Bis
dahin wünsche ich Ihnen im Namen des Hauses alles Gute
und danke Ihnen für Ihre Arbeit.


(Beifall im ganzen Hause)

Nun erteile ich der Kollegin Marita Sehn für die FDP-

Fraktion das Wort.


Marita Sehn (FDP):
Rede ID: ID1424508400
Herr Präsident! Liebe Kollegin-
nen und Kollegen!

Gesunde Lebensmittel gibt es nicht gegen, sondern
nur mit den Bäuerinnen und Bauern.


(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Ernst Hinsken [CDU/CSU])


Es freut mich außerordentlich, meine Rede mit einem Zi-
tat aus dem Bundestagswahlprogramm des Bündnis-
ses 90/Die Grünen beginnen zu können. Diese Stelle ist
wirklich gut. Hier wird in einem Satz zusammengefasst,
warum die grün-rote Agrarpolitik gescheitert ist. Mehr




Steffi Lemke
24660


(C)



(D)



(A)



(B)


Lebensmittelsicherheit gibt es nur mit den Bauern und
nicht gegen diese.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Deshalb sollten Sie endlich eine Politik für alle und mit al-
len – ich betone: allen – Bäuerinnen und Bauern machen
und nicht gegen sie.

Wie stehen Sie eigentlich zu den Skandalinszenierun-
gen eines Herrn Graefe zu Baringdorf, Frau Künast oder
Steffi Lemke?


(Ulrich Heinrich [FDP]: Sie brauchen die Skandale, sonst gehen ihnen die Argumente aus!)


Ist das der grüne vorsorgende Verbraucherschutz, wenn
jetzt schon Lebensmittelskandale inszeniert werden? Erst
Tiermehl unter das Futter mischen und dann hier wort-
reich alte Strukturen beklagen! Das sind Skandalinszenie-
rungen statt Risikomanagement. Wer soll da noch Ver-
trauen in die grüne Verbraucherpolitik haben?

Gleichzeitig betreiben Sie eine Ideologisierung des
Einkaufskorbs. So schreiben Sie:

Die Bürger sollen selbst entscheiden können, ob sie
soziale oder ökologische Verantwortung überneh-
men wollen.

Die Bürger, die das, was Sie für richtig halten, nicht kau-
fen, handeln folglich sozial und ökologisch verantwor-
tungslos. Der grün-rote Gesinnungscheck an der Laden-
kasse, die ideologische Bevormundung der Bürger – das
sind die verbraucherpolitischen Visionen von Künast &
Co.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Auch das, was Sie als Perspektiven für die konven-
tionelle Landwirtschaft bezeichnen, geht in dieselbe
Richtung. Diese soll immer stärker an den Zielen des na-
turnahen Landbaus sowie der artgerechten Tierhaltung
ausgerichtet werden. Gemeint ist damit nichts anderes als
die Zwangsökologisierung der deutschen Landwirtschaft.
Gesunde Lebensmittel nur mit den Bäuerinnen und Bau-
ern ist bei Ihnen nur Theorie. In der Praxis stehen bei Ih-
nen Verordnen und Zwang vor Überzeugen.

Zwischen den Forderungen der grünen Wahlprogramm-
philosophen und Ihrer Realpolitik liegen Welten. So for-
dern Sie in Ihrem Wahlprogramm die angemessene Ho-
norierung der Landwirte für den Erhalt der Natur und der
Kulturlandschaft. Dabei waren Sie es, die diese Honorie-
rung gestrichen haben. Oder haben Sie schon vergessen,
dass Sie den Vorrang für den Vertragsnaturschutz im Bun-
desnaturschutzgesetz abgeschafft haben?


(Beifall bei der FDP – Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch überhaupt nicht umgesetzt worden! So ein Quatsch!)


Die SPD steht in puncto Widersprüchlichkeit den Grü-
nen kaum nach. Da wird die Neuausrichtung auf eine
verbraucherorientierte, tierschutz- und umweltgerechte
Landwirtschaft gefordert. Ich frage Sie, meine Kollegin-
nen und Kollegen von der SPD: Sind unsere Bauern etwa

die Feinde der Verbraucher, die obendrein Tiere quälen
und außerdem die Umwelt kaputtmachen?

Ihr Bild von unseren Bäuerinnen und Bauern ist von
Vorurteilen, tiefer Abneigung und Ideologie geprägt.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Zuruf von der CDU/CSU: So ist es! Das ist in diesem Jahr gefördert worden! – Gegenruf der Abg. Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber nur von Ihnen selbst! Sie glauben, Sie können die Bauern immer an der Kette führen!)


– Das kann man so sagen. Sie überfrachten die deutsche
Landwirtschaft mit einer Auflage nach der anderen. Ihnen
fallen immer neue Aufgaben ein, die unsere Bäuerinnen
und Bauern noch übernehmen sollen. Selbstverständlich
soll dies zum Nulltarif erfolgen, weshalb die SPD die
Landwirte auffordert, doch bitte wettbewerbsfähig zu sein
und Ihnen nicht auf der Tasche zu liegen.


(Dr. Norbert Wieczoreck [SPD]: Sind Sie gegen Wettbewerb?)


Meine sehr geehrten Damen und Herren, es reicht mit
Ihrer Ideologie und Ihrer Politik der Bürokratie, der Auf-
lagen und der Gesetze. SPD und Grüne stehen für eine Po-
litik der Theorie. Wir brauchen aber eine Politik der Pra-
xis, des Machens, der Initiativen und Konzepte – und das
nicht nur in der Agrar- und Verbraucherpolitik. Unser
Land braucht mehr liberale Politik.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1424508500
Für die
SPD-Fraktion spricht der Kollege Heino Wiese.


Heino Wiese (SPD):
Rede ID: ID1424508600
Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Dieser Agrarbericht
zeigt, dass die Agrarwende im Jahr 2001 erfolgreich be-
gonnen wurde. Frau Künast hat dargelegt, dass sich dies
für die Landwirte in ökonomischer Hinsicht ausgewirkt
hat. Wir sind in diesem Sektor ökonomisch erfolgreich.
Entscheidend ist aber, dass wir die Landwirtschaftspolitik
aus einer neuen Perspektive betrachten. Es geht nicht
mehr nur um Produktivitätssteigerung und Einkommens-
subventionen für die Produzenten, sondern es geht auch
um Verbraucherschutz, Tierschutz und Naturschutz.
Diese Bereiche haben mit unserer Politik einen neuen
Stellenwert erhalten. Die Verbesserung der Lebensbedin-
gungen im ländlichen Raum und ein vorsorgender Ver-
braucherschutz haben bei uns absolute Priorität.

Als Ihnen, meine Damen und Herren von der CDU, vor
einem Jahr von Kommissar Fischler auf dem CDU-
Agrarkongress in Berlin die Leviten gelesen wurden,


(Zuruf von der SPD: Genauso war das!)

stellte Ihr österreichischer Parteikollege Ihnen zwei Fra-
gen, die Ihnen eigentlich hätten deutlich machen müssen,
dass wir auf dem richtigen Weg sind. Er fragte: Sind die
Schwerpunkte der gemeinsamen Agrarpolitik nicht zu
sehr auf die Förderung der Produktionsmenge ausgerich-
tet, anstatt die Verbesserung der Produktionsqualität zu sti-
mulieren? Warum werden nur 10 Prozent der verfügbaren




Marita Sehn

24661


(C)



(D)



(A)



(B)


Haushaltsmittel für die ländliche Entwicklung ausgege-
ben? Sie haben auf diese zukunftsweisenden Suggestiv-
fragen bis heute keine Antwort.

Wir haben mit dem Einstieg in die Modulation und mit
den Modellregionen einen Anfang gemacht. Die Initiative
„Regionen Aktiv – Land gestaltet Zukunft“ ist außer-
ordentlich erfolgreich gestartet und hat in den betroffenen
Landkreisen und Gemeinden sehr viel Zustimmung be-
kommen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wir werden das in der nächsten Legislaturperiode weiter
steigern.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die Ausgleichszahlungen an die Landwirte müssen
sukzessive zurückgenommen werden. Wir müssen zur
Stärkung der ländlichen Räume für alle dort lebenden
Menschen eine attraktive und lebenswerte Perspektive
gestalten. Jahr für Jahr verlieren durch den Produkti-
vitätsfortschritt Menschen ihre Beschäftigung in der
Landwirtschaft. Das gilt auch für weichende Erben. Wenn
wir verhindern wollen, dass eine weitere Konzentration in
den Ballungsgebieten stattfindet, müssen wir diesen Men-
schen Lebenschancen im ländlichen Raum eröffnen
und erhalten. Ich glaube deshalb, dass die strengen Krite-
rien der EU für die Modulation deutlich erweitert werden
müssen. Organisationen wie die Landfrauenverbände, die
Evangelische und Katholische Landjugend haben das in-
zwischen auch erkannt und unterstützen die Regierung
bei der Entwicklung und Umsetzung von zukunftsorien-
tierten Projekten.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Vor allem im Bereich des Tourismus auf dem Lande
sind wir einen großen Schritt weitergekommen.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Erklären Sie das einmal ein bisschen näher!)


– Das kann ich leider nicht; dazu fehlt mir die Zeit. Aber
Sie können das im Agrarbericht nachlesen. Darin finden
Sie ein ganzes Kapitel dazu, in dem das genau steht.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Darin steht etwas Falsches! Darum habe ich gedacht, dass Sie eine Richtigstellung vornehmen!)


– Ich denke schon, dass der Agrarbericht korrekt ist. Wenn
Sie meinen, dass etwas Falsches darin steht, dann müssen
Sie das anzweifeln. Wie das geht, wissen Sie ja. Bislang
haben Sie das nicht getan.

Die FDP hat zum Agrarbericht einen Antrag mit
dem Titel „Modellprojekt zum Heil- und Gewürzpflan-
zen-Anbau in Ostwestfalen-Lippe“ eingebracht. Wir
waren uns im Ausschuss darüber einig, dass kreative
Lösungen aus allen Regionen begrüßt werden. Alle
Fraktionen, mit Ausnahme der FDP, waren aber davon
überzeugt, dass es sich hierbei nicht um ein realisierba-
res Projekt handelt.


(Marita Sehn [FDP]: Na, na, na!)


Ausgerechnet die FDP, die immer die Kräfte des Marktes
beschwört, will hier ein echtes Subventionsprojekt för-
dern.


(Gudrun Kopp [FDP]: Modellprojekt!)

Heilpflanzen gedeihen nun einmal in wärmeren Gegen-
den besser und sind deshalb im Lipper Land nie zu Welt-
marktpreisen zu produzieren.


(Abg. Gudrun Kopp [FDP] meldet sich zu einer Zwischenfrage)


– Da wird das Wort zu einer Zwischenfrage gewünscht.


Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1424508700
Ich danke
Ihnen dafür, dass Sie diese Zwischenfrage gestatten. Bitte
schön, Frau Kollegin.


Gudrun Kopp (FDP):
Rede ID: ID1424508800
Herr Kollege Wiese, wenn Sie
diesen Antrag, der ja schon ein paar Monate alt ist, richtig
lesen, werden Sie feststellen, dass dort von einem Mo-
dellprojekt die Rede ist, wie es andere, zum Beispiel in
Bayern, auch gibt. Sind Sie bereit, einmal selbst zu be-
werten, was eine eigene Produktion in der Form, wie wir
sie dort vorgeschlagen haben, bedeutet? Dadurch würden
Landwirte in die Lage versetzt, sich als Marktteilnehmer
zu entwickeln. Ziel dieses Antrags ist die Förderung des
Anbaus von Heil- und Gewürzpflanzen in direkter Ko-
operation zum Beispiel mit der Kräuter verarbeitenden
Wirtschaft. So etwas gibt es bereits und das möchten wir
weiter kultivieren. Dieses Projekt ist kein Dauersub-
ventionsprojekt, sondern sollte lediglich eine Anschub-
finanzierung erfahren. Wissen Sie, dass der frühere Land-
wirtschaftsminister Funke dieses Projekt ausdrücklich
befürwortet hat und bereit war, es zu fördern?


Heino Wiese (SPD):
Rede ID: ID1424508900
Der frühere Land-
wirtschaftsminister Funke hat meines Wissens gesagt:
Das ist ein interessantes Projekt, aber leider ziemlich un-
realistisch, weil es nie aus den Subventionen herauskom-
men wird. Die Bedingungen für den Anbau von Heilkräu-
tern im Lipperland sind nun einmal nicht so, dass
weltmarktfähige Preise erzielt werden könnten.


(Gudrun Kopp [FDP]: Da haben Sie keine Ahnung!)


Das ist genauso, als wenn Sie in Lappland Kühe halten
und eine Milchproduktion aufbauen wollten.


(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/ CSU]: Ein kleiner Unterschied!)


– Ja, das ist ein kleiner Unterschied. Aber im Großen und
Ganzen ist es vergleichbar.


(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/ CSU]: Der Halligwermut wächst nun mal auf der Hallig besser als in südlichen Ländern!)


Man muss diese Projekte dort verwirklichen, wo sie sinn-
voll sind, und im Lipperland ist es nicht sinnvoll. Die lip-
pischen Bauern haben inzwischen selbst erkannt, dass sie
eine andere Produktionslinie verfolgen müssen. Sie haben
sich sehr intensiv auf die Erzeugung von Biomasse kon-




Heino Wiese (Hannover)

24662


(C)



(D)



(A)



(B)


zentriert und damit ihr Einkommen und Auskommen. Ich
glaube, sie lachen inzwischen selbst über dieses Projekt
mit den Heil- und Gewürzpflanzen.


(Gudrun Kopp [FDP]: Das war sehr aufschlussreich!)


Ich möchte noch ein paar Bemerkungen zu Herrn
Ronsöhr machen. Herr Ronsöhr hat gesagt, es würde öko-
logisches Preisdumping stattfinden. Das, was wir ma-
chen, ist kein ökologisches Preisdumping, sondern wir
versuchen, die Preise dadurch zu senken, dass mehr Pro-
duzenten auch ökologische Produkte produzieren. Das ist
im Sinne des Verbrauchers. Das ist etwas, was wir alle
wollen. Es geht nicht darum, irgendeine Nische für je-
manden zu erhalten, der damit große Gewinne erzielen
soll, sondern es geht darum, ökologisch produzierte Le-
bensmittel möglichst für alle herzustellen.

Ich möchte an dieser Stelle meinen Redebeitrag mit der
Bemerkung beenden, dass ich glaube, dass die Politik der
Regierung in dieser Legislaturperiode deutlich gemacht
hat: Man kann Landwirtschaftspolitik aus einer anderen
Perspektive sehen und es ist im Sinne der Verbraucher,
dieses auch zu tun.

Ich möchte, weil es voraussichtlich für absehbare Zeit
meine letzte Rede in diesem Hause gewesen ist, auch dan-
ken.


(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Ich bin traurig!)


– Wenn ich wieder hereinkäme, würde das bedeuten, dass
wir keinen Koalitionspartner mehr brauchen.


(Renate Künast, Bundesministerin: Das wäre schlecht!)


Deshalb kannst du dir das wünschen.

(Beifall bei der SPD)


Ich möchte zum Abschluss auch Marianne Klappert dan-
ken, die im Ausschuss für mich so etwas wie ein Vorbild
war. Marianne war immer sehr intensiv in der Sache und
hat sich in ihrem Einsatz für den Tierschutz nie bremsen
lassen. Trotzdem hat es immer Freude gemacht, mit ihr als
Kollegin zusammenzuarbeiten. Sie ist anderen gegenüber
nie verletzend gewesen. Ich glaube, sie ist ein gutes Vor-
bild für Politiker überhaupt.

Danke schön.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1424509000
Bei dieser
sehr realistischen Vorausschau auf die Bundestagswahl
wage ich natürlich nicht, Ihnen für die letzte Rede zu dan-
ken. Die Zukunft wird es zeigen.

Nun gebe ich das Wort dem Kollegen Meinolf Michels
für die CDU/CSU-Fraktion.


Meinolf Michels (CDU):
Rede ID: ID1424509100
Herr Präsident! Meine
lieben Kolleginnen und Kollegen! Wir diskutieren über

den Agrarbericht des letzten Jahres. Es liegt nahe, am
Ende dieser Legislaturperiode den Diskussionsbogen et-
was weiter zu spannen. Der Unterschied zwischen den
beiden Ministern, mit denen wir es während dieser Zeit zu
tun hatten, ist so groß, wie er größer kaum sein kann. Herr
Funke war ein Fachmann, der es mit der SPD-Fraktion
aber sehr schwer hatte.


(Jörg Tauss [SPD]: Ihr wart auch nicht sehr freundlich zu ihm! – Gegenruf des Abg. Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Das war auch nicht unsere Aufgabe!)


Ihm folgte Frau Künast. Sie war berufsfremd. Sie wollte
zeigen, dass sie wusste, wo es auf diesem wichtigen Feld
von der Produktion bis zum Verbrauch langgeht. „Klasse
statt Masse“ war das Losungswort. Bisher galt die gute
fachliche Praxis. Sie wurde immer mehr durch Miss-
trauen ersetzt. Modulation bedeutet nichts anderes als
eine Schmälerung der Einkommen der Landwirte, um die
eingesparten Mittel dann anderswo einzusetzen.

Richtig ist, dass wir es in den letzten Jahren mit eini-
gen Krisen, ausgelöst durch BSE, MKS und zuletzt durch
Nitrofen, zu tun hatten. Die Bauern waren daran aus-
nahmslos unschuldig; den Schaden hatten sie aber allein
zu tragen.

Erst gestern haben wir im Ausschuss für Verbraucher-
schutz, Ernährung und Landwirtschaft erfahren, dass von
den seinerzeit eingelagerten 54 Tonnen Nitrofen nur
17 Tonnen behördlich entsorgt wurden.


(Albert Deß [CDU/CSU]: Wo sind die anderen?)


Bis heute können keine Angaben zu dem Verbleib der
restlichen Tonnen gemacht werden. Wir haben erfahren,
dass die Behörden die Halle für die Lagerung von Ge-
treide wissentlich freigegeben haben. Im Mai des letzten
Jahres wurde von der Ökoprüfstelle „Grünstempel“ be-
stätigt, dass eine Lagerung von Ökogetreide in der Halle
in Malchin unbedenklich ist.


(Zuruf von der FDP: Das hat die Frau Ministerin nicht mitbekommen!)


Der Prüfer war vor Ort. Ihm standen alle Unterlagen zur
Verfügung.

Frau Ministerin, ich wäre sehr zurückhaltend, hier vor
Abschluss der staatsanwaltschaftlichen Prüfung Schuld-
zuweisungen, gleich gegen wen, auszusprechen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Das Ergebnis der staatsanwaltschaftlichen Untersuchung
wird die Wahrheit in nächster Zeit zutage fördern.

Frau Ministerin, vor wenigen Tagen war ein junges
Landwirteehepaar bei mir zu Hause. Sie wollten einmal
ihre große Sorge mit mir besprechen. Beide haben eine
sehr gute Ausbildung absolviert und stehen mitten im Le-
ben. Sie haben mit viel Energie und geliehenem Geld eine
Legehennenhaltung aufgebaut. Und nun? – Das Verbot
der Käfighaltung, aber nur bei uns in Deutschland,


(Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt doch nicht! Das wird EU-weit verboten!)





Heino Wiese (Hannover)


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(C)



(D)



(A)



(B)


und zwar Jahre, bevor die EU diesen Weg einschlagen
will.


(Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die werden EU-weit verboten!)


– Nicht in der EU. – Bei uns wird die Haltung in Käfigen
verboten.

In Polen und Tschechien wurden Käfighaltungen in
großem Umfang aufgebaut. Mit Tankwagen werden im-
mer größere Mengen Flüssigei nach Deutschland einge-
führt. Das soll Tierschutz pur sein!


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Lassen wir alles beim Alten!)


Ich empfehle dringend, sich angesichts dessen mit diesem
Thema noch einmal zu befassen.

Nach wie vor kommt aus Argentinien und anderen
Ländern stammendes Rindfleisch auf unsere Märkte,
ohne gemäß den in Deutschland geltenden gesundheitli-
chen Bestimmungen untersucht worden zu sein. Die Un-
gleichheit, die die deutschen Bauern ertragen müssen,
gibt es auf keinem anderen Feld in der Wirtschaft.

Dies sind nur zwei Beispiele von vielen, die meinen
Berufskollegen das Leben so schwer machen. Ein Markt
kann auf Dauer nur funktionieren, wenn die Marktzu-
gangsbedingungen für alle Beteiligten gleich sind.

Da die Osterweiterung, von der sich die Landwirte
keine falschen Vorstellungen machen, in greifbare Nähe
rückt, bitte ich Sie, alles zu tun, um von Anfang an wirk-
lich faire Marktbedingungen sicherzustellen. Gleiche
Standards für alle und keine deutschen Alleingänge!


(Beifall bei der CDU/CSU)

Es gilt also, auch in Brüssel und nicht nur hier zu über-
zeugen. Auch bei einem Sportwettkampf hat derjenige
keine Chance, dem ein zusätzliches Paket aufgebürdet
wird.

Frau Ministerin, liebe Kolleginnen und Kollegen, die
jungen Leute sind gegenüber einer gedeihlichen – Sie ha-
ben es eben anders dargestellt – Weiterentwicklung in der
Landwirtschaft so zurückhaltend geworden, dass sich
allzu oft die Besten abwenden. Betrachten wir nur die
Ausbildungsstatistiken. Dort sehen wir, wie viele junge
Leute sich noch in landwirtschaftlichen Berufen ausbil-
den lassen. Ich wünsche mir, dass von dieser Debatte ein
Signal nach außen geht – ein Signal der Hoffnung: ja, be-
rechtigter Hoffnung gegen reale Resignation, Hoffnung
auf weniger Bürokratie und – wie in der Vergangenheit –
mehr Vertrauen.

Jedes Volk ist bisher verarmt, wenn die eigene Land-
wirtschaft heruntergekommen oder ruiniert war. Der ge-
genwärtige Investitionsstau ist als Ausdruck einer großen
Vertrauenskrise zu sehen. Er schadet der Volkswirtschaft
insgesamt. Agrarwende hin, Agrarwende her: Was falsch
ist, sollten wir ändern. Die Möglichkeiten dazu sind vor-
handen. Wir sollten darauf achten, dass die Landwirte
nicht in gute und schlechte eingeteilt werden. Wir brau-

chen beide Produktionsrichtungen, die eine wie die an-
dere.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Sehr gut!)

Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und

liebe Kollegen, 22 Jahre durfte ich diesem Hohen Hause
angehören. Wenn wir an die Wiedervereinigung unseres
Volkes denken, so war das – da sind wir sicher alle der
gleichen Meinung – eine bewegende und prägende Zeit.
Ich danke allen, mit denen ich während dieser Zeit gut und
gedeihlich zusammenarbeiten durfte. Mein ganz beson-
derer Dank gilt von dieser Stelle unserem langjährigen
Bundeskanzler Helmut Kohl.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich wünsche Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen, al-

les erdenklich Gute und unserem Volk Gottes reichen Segen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1424509200
Lieber Kol-
lege Michels, auch Ihnen sagen wir Dank für die sechs Le-
gislaturperioden, die Sie im Deutschen Bundestag mitge-
arbeitet haben, und verbinden diesen Dank mit unseren
guten Wünschen für Ihre ganz persönliche Zukunft.


(Beifall im ganzen Hause)

Nun gebe ich das Wort für die SPD-Fraktion der Kol-

legin Waltraud Wolff.


Waltraud Wolff (SPD):
Rede ID: ID1424509300
Sehr geehrter
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der
Agrarbericht bietet eine gute Möglichkeit, Bilanz zu zie-
hen. Das haben wir schon gesehen. Auch ich beteilige
mich daran sehr gerne.

Herr Deß hat für die CDU/CSU gesagt, Rot-Grün habe
sinnlose, chaotische Politik gemacht und nichts geschafft.
Von der PDS ist bemängelt worden, dass wir nicht genug
erreicht hätten.


(Zuruf von der CDU/CSU: Ist die Ministerin jetzt weg?)


Ich muss sagen: 16 Jahre schwarz-gelbe Politik sind
natürlich in vier Jahren von Rot-Grün nicht aufzuholen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Bevor ich mich daran beteilige, heute Bilanz zu ziehen,

möchte ich noch auf ein Wort von Herrn Deß eingehen. Er
hat gesagt, bei den Verhandlungen zur Agenda 2000 habe
der Kanzler dilettantisch gehandelt und versagt. Ich werde
Ihnen jetzt gleich ausführen, welch übergroßen Einsatz er
gebracht hat und dass wir unserem Bundeskanzler
Gerhard Schröder danken können; denn nur durch seinen
Einsatz konnten die Rahmenbedingungen für eine gute
Entwicklung der Landwirtschaft hier in Deutschland ge-
schaffen werden. Ich denke hierbei zum Beispiel an die
Einkommensentwicklung der Landwirte in den letzten
beiden Jahren. Frau Künast hat darauf hingewiesen.


(Beifall der Abg. Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])





Meinolf Michels
24664


(C)



(D)



(A)



(B)


Lassen Sie mich einige Punkte kursorisch ansprechen:
Erstens. Bis auf Ostberlin blieben alle neuen Bundes-

länder Ziel-1-Gebiete.
Zweitens. Die Milchquotenregelung wurde reformiert.

Aber wir haben nie einen Hehl daraus gemacht, dass diese
Quotenregelung nicht bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag
fortgeführt werden kann. Sie jetzt noch beizubehalten war
eine richtige Entscheidung, um unsere aktiven Milchpro-
duzenten zu unterstützen.


(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/ CSU]: Das hat nie einer kritisiert!)


– Ich mache eine Bilanz auf, mit der ich Ihnen vermitteln
will, Herr Carstensen, was Rot-Grün in den letzten vier
Jahren geschafft hat. Hören Sie zu! Dann können Sie noch
etwas lernen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Albert Deß [CDU/CSU]: Aber es war ein Fehler, dass die Milchquote um 2,5 Prozent ausgeweitet wurde!)


Drittens. Die landwirtschaftliche Produktion erfolgt
gerade in den neuen Bundesländern zum großen Teil auf
Pachtflächen. Wir haben durch langfristige Pachtverträge
den Landwirten Sicherheit gegeben.

Viertens. Wir haben die 90-Tiere-Obergrenze abge-
wehrt. So kommt es nicht zu Benachteiligungen der gro-
ßen, effizienten Betriebe.

Fünftens. Auch die größenabhängige und zeitlich gestaf-
felte Degression der Direktzahlungen ist verhindert worden.

Dies alles ist unter sozialdemokratischer und grüner
Politik erreicht worden. Für uns Sozialdemokraten ist vor
allem die Beschäftigung im ländlichen Raum von ent-
scheidender Bedeutung; denn die Landwirtschaft sichert
viele Tausend Arbeitsplätze auf dem Lande, und zwar
auch im vor- und nachgelagerten Bereich.

Im Zuge der Halbzeitbewertung der Agenda 2000 ist
vorab vieles durch die Medien gegeistert. Dies sind noch
keine offiziellen Vorschläge, sondern Verlautbarungen.
Unsere Diskussion dreht sich also mehr um Hörensagen
als um Tatsachen. Deswegen sollten wir den Ball flach
halten und hier sachlicher über die Agenda reden.

Prinzipiell haben wir immer eine große Agrarreform
innerhalb Europas gefordert. Noch wichtiger ist sie vor
dem Hintergrund der Osterweiterung. Aber nun gilt es
natürlich auch, deutsche Positionen zu vertreten. Wir
müssen neue finanzielle Handlungsspielräume gewinnen.
Doch nach den Fischler-Vorschlägen würden die Netto-
zahlungen Deutschlands explizit höher. Das können wir
so nicht akzeptieren.

Fachlich gesehen ist die Umverteilung von der ersten zur
zweiten Säule zu begrüßen. Insgesamt hat Herr Fischler
sehr anspruchsvolle Ziele. Fraglich ist nur, ob die gewähl-
ten Mittel die richtigen sind. Zum Beispiel heißt es, dass
größere Betriebe mit Beihilfen über 300 000 Euro im Jahr
einer Kappungsgrenze unterliegen sollen. Dabei darf man
aber den Osten nicht vergessen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Frau Künast hat schon gesagt, dass es dabei gerecht zu-
gehen muss. Wir haben große landwirtschaftliche Be-
triebe im Osten und das ist gut so. Sie sind nämlich oft die
einzigen Arbeitgeber am Ort. Zu dem eben genannten
Vorschlag aus Brüssel kann ich nur sagen: Hier ist meine
ostdeutsche Schmerzgrenze nicht nur erreicht, sondern
schon überschritten.

Umfangreiche Fördermittel der EU, des Bundes und
der Länder wurden in der Vergangenheit bereitgestellt, um
die großen, effizienten Strukturen zu stärken. Die von der
EU angekündigten Kappungsgrenzen würden aber dazu
führen, dass diese funktionierenden Strukturen gefährdet
oder gar zerschlagen werden. Da fragt man sich nach der
Logik. In Brüssel können doch keine Entscheidungen für
einen speziellen Teil der Bundesrepublik getroffen wer-
den. Das wären untragbare Wettbewerbsverzerrungen.
Herr Heinrich hat das vorhin in seinem Beitrag ganz rich-
tig dargestellt.

Meine Damen und Herren, die Kommission beabsich-
tigt auch, die Modulation obligatorisch einzuführen. Der
ländliche Raum sowie arbeits- und umweltschutzpoliti-
sche Maßnahmen sollen und müssen in der Zukunft mehr
in den Vordergrund treten. Aber auch hier gilt: Die Mo-
dulation muss gerecht gestaltet werden. Gerade der Osten
Deutschlands, der Mittel für die Entwicklung der ländli-
chen Räume dringend benötigt, darf nicht für seine bishe-
rigen Anstrengungen bestraft werden.

Finanzmittel sind gut und richtig, aber nicht alles. Des-
halb möchte ich das Engagement der Frauen und der Ju-
gend auf dem Lande hervorheben. Mit großem Interesse
erwarten wir alle die Ergebnisse einer Studie, die das Bun-
desministerium für Verbraucherschutz in Auftrag gegeben
hat. Darin wird nämlich der ökonomische Beitrag der
Frauen zur Entwicklung der ländlichen Räume ermittelt.

Hier wurde schon mehrfach auf die gute Ausbildung
eingegangen. Wir brauchen gut ausgebildete Arbeits-
kräfte. Eine fundierte Ausbildung ist wichtig, um eine mo-
derne und umweltgerechte Produktion zu gewährleisten,


(Beifall der Abg. Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])


die gleichzeitig die Interessen der Verbraucherinnen und
Verbraucher berücksichtigt. Das sind Berufe mit Zukunft.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben das Ver-
braucherinformationsgesetz vorgelegt, mit dem eine
neue Informationskultur geschaffen werden sollte. Damit
wäre es möglich gewesen, bei Verstößen Ross und Reiter
genau zu benennen. Das Recht der Verbraucher auf Infor-
mation durch die Verwaltung wäre damit gewährleistet.
Im Bundesrat ist dieses so dringend benötigte Gesetz dem
Wahlkampfkalkül der Opposition zum Opfer gefallen.
Nun bleibt abzuwarten, ob auch das Neuorganisations-
gesetz in die Mühlen des Oppositionswahlkampfes gerät.
Mit diesem Gesetz soll die Koordinationsaufgabe des
Bundes gestärkt werden, also der Part, den die Opposition
im Ausschuss in jedem zweiten Satz einfordert


(Norbert Schindler [CDU/CSU]: Hätte es etwas genutzt? Das ist doch Propaganda!)





Waltraud Wolff (Wolmirstedt)


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(D)



(A)



(B)


– dann müssen Sie unserem Gesetz zustimmen –, und die
Trennung von Management und Bewertung im Sinne des
vorbeugenden Verbraucherschutzes.

Die Opposition scheint eine Landwirtschaft wie in
Westdeutschland vor 50 Jahren anzustreben; Herr Deß hat
sogar von mehreren Hundert Jahren gesprochen. Wen
wollen Sie damit eigentlich erreichen? Doch viel wichti-
ger ist die Frage: Wie sehr verschließen Sie die Augen vor
der Entwicklung und in welchem Maße lassen Sie den Be-
rufsstand, den Sie immer zu vertreten vorgeben, im Regen
stehen, anstatt an seiner Seite zu stehen und ihm zu hel-
fen, den Weg nach Europa zu finden?


(Dr. Hansjürgen Doss [CDU/CSU]: Verstehen Sie etwas von der Landwirtschaft?)


Sehen Sie ein, dass nur höchste Sicherheitsstandards un-
sere heimische Landwirtschaft stützen können! Oder ha-
ben Sie vielleicht auch hier – wie bei der Ökosteuer –
vor, unsere Politik fortzusetzen? Jede sich bietende
Gelegenheit haben Sie genutzt, um uns bei der Durch-
setzung der Ökosteuer zu torpedieren. Aber jetzt, im
Wahlkampf, geben Sie zu, dass Sie die Ökosteuer über-
nehmen wollen.


(Max Straubinger [CDU/CSU]: Wir schaffen Sie zum 1. Januar wieder ab!)


Meine Damen und Herren, die deutsche Landwirtschaft
hat große Potenziale und versteht sie zu nutzen. Das be-
legt der aktuelle Ernährungs- und agrarpolitische Bericht.
Die Einkommen der landwirtschaftlichen Betriebe sind
gestiegen, die Verbindlichkeiten haben sich verringert
und die Eigenkapitalausstattung hat sich verbessert.


(Max Straubinger [CDU/CSU]: Die Investitionen sind zurückgegangen!)


Auch im laufenden Jahr ist mit Einkommensverbesserun-
gen zu rechnen.

Wir haben diese Legislaturperiode genutzt, um den
Reformstau aufzulösen. Ein Beispiel dafür ist die land-
wirtschaftliche Sozialversicherung, die Sie in 16 Jah-
ren Ihrer Regierungsverantwortung nicht modernisiert
haben. Ebenso haben Sie die Regelung der Altschulden
in Ostdeutschland acht Jahre lang vor sich hergescho-
ben. Wir werden es schaffen, noch vor Ende dieser Le-
gislaturperiode einen Entwurf auf den Tisch zu legen,
der eine endgültige und abschließende Regelung dazu
vorsieht.


(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Der der Diskontinuität anheim fällt!)


– Er wird keiner Diskontinuität anheim fallen.

(Max Straubinger [CDU/CSU]: Dann müsst ihr euch aber verdammt beeilen!)

Ich möchte zum Schluss noch ein Wort an die Opposi-

tion richten.

(Max Straubinger [CDU/CSU]: Nächste Woche ist Schluss!)

Sie haben mehrfach gesagt, dass Sie in der nächsten Le-
gislaturperiode viele Dinge anschieben wollen. Ich wün-

sche mir, dass Sie dann, auf den Oppositionsbänken sit-
zend, unsere Politik konstruktiv unterstützen.


(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Dann wird Frau Schavan auf der Regierungsbank sitzen! Das ist die Wende!)


Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1424509400
Als letztem
Redner in dieser Debatte gebe ich für die CDU/CSU-
Fraktion dem Kollegen Michael Luther das Wort.


Dr. Michael Luther (CDU):
Rede ID: ID1424509500
Sehr geehrter Herr
Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Deutschland
braucht seine Bauern.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Was die Bauern nicht brauchen, ist Frau Künast.


(Beifall bei der CDU/CSU – Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Wer hat Ihnen das denn aufgeschrieben?)


Sie ist offensichtlich vorsichtshalber schon gegangen.
Unter Rot-Grün ist die Landwirtschaft zum Buhmann

der Nation verkommen. Wer Frau Künasts Weg seit ihrem
Amtsantritt genau verfolgt hat, weiß: Sie ist mit der BSE-
Krise gekommen und hat seitdem nur eines versucht,
nämlich sich persönlich zu profilieren.


(Albert Deß [CDU/CSU]: Auf Kosten einer Minderheit!)


Seit dieser Zeit ist das Thema Landwirtschaft im Fach-
ministerium an die letzte Stelle gerutscht.

Zu Recht sagt der Präsident des Deutschen Bauernver-
bandes, Gerd Sonnleitner:


(Zuruf von der SPD: Das ist Ihr Vorbeter!)

Deutschland läuft Gefahr, bei der Gestaltung der
Standortbedingungen für eine wettbewerbsfähige
Landwirtschaft zum Schlusslicht Europas zu wer-
den.

Wir brauchen eine grundsätzliche Änderung in der Land-
wirtschaftspolitik.


(Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Dürfen Sie hier als Quotenostmann reden? – Weitere Zurufe von der SPD)


– Ich will auf die unflätigen Zwischenrufe nicht weiter
eingehen.

Lassen Sie mich zu vier Punkten kommen:
Erstens. Zuletzt am Montag wurden die Pläne des EU-

Kommissars Fischler laut, die Fördergrenzen für die
Landwirtschaftsbetriebe auf 300 000 Euro zu begren-
zen. Auch wenn durch die Anhebung der Förderober-
grenze entsprechend der Anzahl der Beschäftigten eine
Abmilderung der Kürzungen erfolgen soll, bleibt es da-
bei: Von dieser Regelung sind in Europa am meisten




Waltraud Wolff (Wolmirstedt)

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(C)



(D)



(A)



(B)


Deutschland und in Deutschland zu mehr als 90 Prozent
die neuen Bundesländer betroffen. Was heißt das? Das
heißt im Klartext: Die neuen Bundesländer bekommen
weniger Geld. Das hat Auswirkungen auf die Steuerkraft
und die Kaufkraft in den neuen Ländern, insbesondere in
den strukturschwachen, einkommensschwachen ländli-
chen Regionen.

Das kann nicht einfach hingenommen werden. Frau
Künast könnte sich an dieser Stelle profilieren. Aber was
hört man von ihr? „Künast signalisiert vorsichtige Zu-
stimmung zu Fischler-Vorschlägen.“ Frau Künast will –
das ist der zweite Punkt – das frei werdende Geld für die
ökologische Agrarreform ausgeben und nimmt in Kauf
– ich zitiere sie –: „Es wird einige Betriebe massiv tref-
fen.“ Eine solche Aussage ist Ausdruck purer Arroganz.

Frau Lemke, wenn Sie sich hier hinstellen und sagen,
mit Rot-Grün werde das nicht passieren, kann ich nur er-
widern: Ich weiß nicht, von welcher Partei Frau Künast
sein soll.


(Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Stellen Sie sich doch mal kein Armutszeugnis aus!)


Sie hat gestern gesagt, es werde einige Betriebe massiv
treffen, das nehme sie hin, ihr sei egal, was mit ihnen ist.


(Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat sie nicht getan! Erzählen Sie hier nicht solche Falschheiten!)


Vielleicht sollten Sie das, bitte schön, erst einmal in der
eigenen Partei klären.

Dasselbe gilt im Übrigen für die künastsche Variante ei-
ner Modulation, nach der ab nächstem Jahr 2 Prozent der
Marktstützungsmittel in den Ausbau einer ökologischen
Landwirtschaft umgelenkt werden sollen. Dieses Geld – das
muss man wissen – kann nur an Betreiber gezahlt werden,
die ihre Produktionsweise neu umstellen. Bereits heute wer-
den zum Beispiel in Sachsen 75 Prozent der Ackerfläche
nach dem Programm „Umweltgerechte Landwirtschaft“
bewirtschaftet; dort fallen also 75 Prozent der Ackerfläche
aus dieser Förderung heraus. Mein Kollege Deß hat das
schon am Beispiel von Bayern, Baden-Württemberg und
den anderen südlichen Ländern erläutert; dort ist die Situa-
tion ähnlich. Ich kann nur sagen: PISA– das ist auch ein Vor-
griff auf die anschließende Debatte – lässt grüßen!


(Beifall bei der CDU/CSU – Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vielleicht sollten Sie einmal lernen, die Vorschläge zu lesen!)


Drittens. In den Jahren nach der Wiederherstellung der
deutschen Einheit ist es in den neuen Bundesländern ge-
lungen, eine stabile wirtschaftliche und wettbewerbsori-
entierte Landwirtschaft aufzubauen. Ich lese in den
Agrarberichten, dass die Einkommenssituation in den
neuen Ländern in den Haupterwerbsbetrieben und in den
als juristische Personen geführten landwirtschaftlichen
Betrieben 2001 rückläufig war.


(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Das ist der Künast-Knick!)


Sicher gibt es dafür viele Ursachen. Es zeigt aber auch
sehr deutlich, wie empfindlich das System Landwirtschaft

ist. Landwirtschaftspolitik – das war bislang meine Mei-
nung – hat die Aufgabe, die Landwirtschaft in Deutsch-
land zu stärken. Die Operationen, die wir aus dem Hause
Künast erleben, bewirken genau das Gegenteil.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Dadurch wird das entstandene Gleichgewicht insbeson-
dere in den neuen Bundesländern erheblich gestört.

Viertens. Am allermeisten kann man, wie ich meine,
die Landwirtschaft durch Rufschädigung belasten. Das
Handling beim Nitrofen-Skandal hat Folgendes bewirkt:

Erstens. Sowohl Frau Künast als auch Herr Backhaus
haben zugelassen, dass viele landwirtschaftliche Betriebe
pauschal verdächtigt werden.

Zweitens. Sie haben es geschafft, dass die Landwirt-
schaft in den neuen Bundesländern pauschal verdächtigt
wird.

Drittens. Die kleinen Ökobauern, die sich darum be-
mühen, dass ihre frei laufenden Hühner das selbst ange-
baute Futter bekommen, sind enorm geschädigt worden.

Viertens. Den Verbrauchern hat das Ganze überhaupt
nicht genutzt.


(Wolfgang Weiermann [SPD]: Was ist mit den Ganoven, die das provoziert haben?)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Informations-
management von Frau Künast und Herrn Backhaus ist für
mich ein Vorgeschmack auf die Art von Verbraucher-
informationsgesetz, das von uns hier und im Bundesrat
mit Mehrheit abgelehnt worden ist.


(Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Auf wessen Seite stehen Sie eigentlich?)


Es muss klar gesagt werden: Wer einen solchen von der
Sache her richtigen Gedanken wie die Verbraucherinfor-
mation in ein Gesetz gießen will, darf Bauern nicht als
seine ideologischen Feinde sehen. Wir brauchen einen
Landwirtschaftsminister, der von der Landwirtschaft et-
was versteht.


(Beifall bei der CDU/CSU – Matthias Weisheit [SPD]: So wie Sie! – Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So wie Herr Luther! Er nimmt jetzt die Selbstkrönung vor!)


Für mich war sehr interessant, dass die Frau Ministerin
im Kompetenzteam der CDU jemanden für den Bereich
Landwirtschaft vermisst. Sie sieht sich wohl schon bei
ihrem Abschied und hofft, dass die Landwirtschaft wieder
in gute Hände gelegt wird.


(Beifall bei der CDU/CSU – Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Wird sie auch! – Albert Deß [CDU/CSU]: Den einzigen, der bei der SPD Kompetenz gehabt hat, hat Schröder rausgeschmissen!)


Verbraucherschutz im Nahrungsmittelbereich und
auch Naturschutz können nur mit den Bauern und nicht
gegen die Bauern gemacht werden. Es wird Zeit: Wir
brauchen einen Politikwechsel in der Landwirtschaft des
Bundes. Die Landwirtschaft braucht wieder einen höheren




Dr. Michael Luther

24667


(C)



(D)



(A)



(B)


Stellenwert im öffentlichen Bewusstsein. Die Landwirt-
schaft ist ein großer Arbeitgeber in Deutschland. Die
Landwirtschaft ist der Garant für unser täglich Brot. Die
Landwirtschaft ist der Träger unserer Kulturlandschaften,
an der sich viele Menschen gerade in der Sommer- und
Urlaubszeit erfreuen. Wir als Union setzen uns für eine
zukunftsfähige Landwirtschaft ein.


(Beifall bei der CDU/CSU – Zurufe von der SPD)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1424509600
Ich schließe
die Aussprache.

Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschus-
ses für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft
auf der Drucksache 14/7118. Der Ausschuss empfiehlt
unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung, in Kenntnis des
Agrarberichts 2001 der Bundesregierung auf Drucksache
14/5326 den Entschließungsantrag der FDP-Fraktion auf
Drucksache 14/6343 zu dem genannten Bericht abzuleh-
nen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer
stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussemp-
fehlung ist mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die
Grünen und PDS gegen die Stimmen von CDU/CSU und
FDP angenommen.

Unter Nr. 2 empfiehlt der Ausschuss, in Kenntnis des
Agrarberichts 2001 den Entschließungsantrag der Frak-
tion der FDP auf Drucksache 14/6345 abzulehnen. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt
dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist
mit der gleichen Stimmenmehrheit angenommen.

Schließlich empfiehlt der Ausschuss für Verbraucher-
schutz, Ernährung und Landwirtschaft unter Nr. 3 seiner
Beschlussempfehlung, in Kenntnis des Agrarberichts
2001 den Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/
CSU auf Drucksache 14/6347 abzulehnen. Wer stimmt
für diese Beschlussempfehlung? – Gegenprobe! – Enthal-
tungen? – Auch diese Beschlussempfehlung ist mit der
gleichen Mehrheit angenommen.

Zu den Tagesordnungspunkten 3 c bis 3 g wird inter-
fraktionell die Überweisung der Vorlagen auf den Druck-
sachen 14/8202, 14/7798, 14/5675, 14/5691 und 14/6176
an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor-
geschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der
Fall. Dann ist so beschlossen.

Wir kommen nun zur Abstimmung über die Ent-
schließungsanträge zum Ernährungs- und agrarpoliti-
schen Bericht 2002 der Bundesregierung, und zwar
zunächst zum Entschließungsantrag der Fraktionen von
SPD und Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache
14/9580. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? –
Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Ent-
schließungsantrag ist mit den Stimmen von SPD, Bünd-
nis 90/Die Grünen und PDS gegen die Stimmen von
CDU/CSU und FDP angenommen.

Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU
auf Drucksache 14/8725. Wer stimmt für diesen Ent-
schließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltun-
gen? – Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen von
SPD, Bündnis 90/Die Grünen und PDS gegen die Stim-
men von CDU/CSU und FDP abgelehnt.

Wir kommen zum Entschließungsantrag der Fraktion
der PDS auf Drucksache 14/9189. Wer stimmt für diesen
Entschließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen
des Hauses gegen die Stimmen der PDS abgelehnt.

Zusatzpunkt 7, Beschlussempfehlung des Ausschusses
für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft auf
Drucksache 14/4449 zu dem Antrag der FDP-Fraktion mit
dem Titel „Modellprojekt zum Heil- und Gewürzpflan-
zen-Anbau in Ostwestfalen-Lippe“. Der Ausschuss emp-
fiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/3107 abzulehnen.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegen-
probe! – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist
mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und
PDS gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP ange-
nommen.

Zusatzpunkt 8, Beschlussempfehlung des Ausschusses
für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft auf
Drucksache 14/9366. Der Ausschuss empfiehlt unter
Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des An-
trags der FDP-Fraktion auf Drucksache 14/8180 mit dem
Titel „Obstbauern vor dem Ruin retten – Plantomycin für
Notfallmaßnahmen zulassen“. Wer stimmt für diese Be-
schlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltun-
gen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen
von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und PDS gegen die
Stimmen von CDU/CSU und FDP angenommen.

Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der
Ausschuss die Ablehnung des Antrages der FDP-Fraktion
auf Drucksache 14/8430 mit dem Titel „Pflanzenschutz-
politik neu ausrichten, heimische Produzenten unterstüt-
zen und Verbraucher schützen“. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? –
Die Beschlussempfehlung ist mit der gleichen Stimmen-
mehrheit wie vorhin angenommen.

Wir kommen nun zu Überweisungen im vereinfachten
Verfahren ohne Debatte.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 33 a bis 33 c sowie
die Zusatzpunkte 9 a bis 9 c auf:
33. a) Erste Beratung des von den Abgeordneten

Dr. Heinrich L. Kolb, Dr. Irmgard Schwaetzer,
Dirk Niebel, weiteren Abgeordneten und der Frak-
tion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes zur Erhöhung der Rechtssicherheit beim
Betriebsübergang
– Drucksache 14/8496 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung (f)

Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie

b) Beratung des Antrags des Präsidenten des Bundes-
rechnungshofes
Rechnung des Bundesrechnungshofes für das
Haushaltsjahr 2001
– Einzelplan 20 –
– Drucksache 14/9178 –
Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss




Dr. Michael Luther
24668


(C)



(D)



(A)



(B)


c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Rainer
Brüderle, Rainer Funke, Dr. Hermann Otto Solms,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Betriebliche Altersvorsorge verbessern
– Drucksache 14/4418 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung (f)

Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

ZP 9 Weitere Überweisungen im vereinfachten Ver-
fahren

a) Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD,
der CDU/CSU, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ-
NEN und der FDP eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Sicherstellung einer Übergangs-
regelung für die Umsatzbesteuerung von Alt-
Sportanlagen
– Drucksache 14/9543 –
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)

Sportausschuss

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Renate
Gradistanac, Dr. Hans-Peter Bartels, Anni Brandt-
Elsweier, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der SPD sowie der Abgeordneten Irmingard
Schewe-Gerigk, Kerstin Müller (Köln), Rezzo
Schlauch und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/
DIE GRÜNEN
Durchführung des Bundeswettbewerbes „Fe-
rien für Familien, in denen Angehörige mit Be-
hinderung leben“
– Drucksache 14/9542 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Ausschuss für Tourismus
Haushaltsausschuss

c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Rosel
Neuhäuser, Maritta Böttcher, Heidemarie Lüth,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der PDS
Aktionsplan zum Kinder- und Jugendtouris-
mus in Deutschland
– Drucksache 14/9545 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Tourismus (f)

Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu
überweisen. Die Vorlage auf Drucksache 14/9542 – das ist
Zusatzpunkt 9 b – soll jedoch abweichend von der Tages-
ordnung nicht an den Haushaltsausschuss überwiesen
werden. – Das Haus ist damit einverstanden. Dann ist es
so beschlossen.

Wir kommen nun zur Beschlussfassung zu Vorlagen,
zu denen keine Aussprache vorgesehen ist.

Tagesordnungspunkt 34 a:
Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von
der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs ei-
nes Gesetzes zu dem Zusatzabkommen vom
20. Dezember 2001 zwischen der Regierung der
Bundesrepublik Deutschland und der Regie-
rung der Französischen Republik zum Abkom-
men vom 21. Juli 1959 zwischen der Bundes-
republik Deutschland und der Französischen
Republik zur Vermeidung der Doppelbesteue-
rungen und über gegenseitige Amts- und
Rechtshilfe auf dem Gebiete der Steuern vom
Einkommen und vom Vermögen sowie der Ge-
werbesteuern und der Grundsteuern
– Drucksache 14/8982 –

(Erste Beratung 239. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzaus-
schusses (7. Ausschuss)

– Drucksache 14/9549 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Hansgeorg Hauser (Rednitzhembach)

Jörg-Otto Spiller

Der Finanzausschuss empfiehlt auf Drucksache
14/9549, den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte dieje-
nigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu
erheben. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der
Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen.

Tagesordnungspunkt 34 c:
Zweite und dritte Beratung des von den Abge-
ordneten Dr. Barbara Höll, Dr. Heinrich Fink,
Heidemarie Ehlert, weiteren Abgeordneten und
der Fraktion der PDS eingebrachten Entwurfs ei-
nes Gesetzes zur Einkommenbesteuerung von
ausländischen Künstlerinnen und Künstlern
– Drucksache 14/6111 –

(Erste Beratung 190. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzaus-
schusses (7. Ausschuss)

– Drucksache 14/9268 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Jörg-Otto Spiller
Klaus-Peter Willsch
Dr. Barbara Höll

Der Finanzausschuss empfiehlt, den Gesetzentwurf
abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf
zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt
dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist in
zweiter Beratung mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/
Die Grünen und CDU/CSU bei Enthaltung der FDP und
gegen die Stimmen der PDS abgelehnt. Damit entfällt
nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung.

Tagesordnungspunkt 34 d:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Auswärtigen Ausschusses (3. Ausschuss)





Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters

24669


(C)



(D)



(A)



(B)


zu dem Antrag der Fraktionen der SPD, der
CDU/CSU, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
und der FDP
Für die demokratische Erneuerung Pakistans
– Drucksachen 14/5684, 14/7533 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Johannes Pflug
Willy Wimmer (Neuss)

Rita Grießhaber
Ulrich Irmer
Wolfgang Gehrcke

Der Auswärtige Ausschuss empfiehlt, den Antrag in
der Ausschussfassung anzunehmen. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen
des Hauses gegen die Stimmen der PDS angenommen.

Tagesordnungspunkt 34 e:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Wahlprüfung, Immu-
nität und Geschäftsordnung (1. Ausschuss) zu
dem Antrag der Abgeordneten Dr. Heidi Knake-
Werner, Dr. Evelyn Kenzler, Petra Bläss, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der PDS
Aufgaben des jüngsten Mitgliedes des Deut-
schen Bundestages
– Drucksachen 14/8166, 14/9168 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Uwe Küster
Eckart von Klaeden
Jörg van Essen
Dr. Evelyn Kenzler

Jeder im Hause weiß, was damit gemeint ist. Der Aus-
schuss empfiehlt, den Antrag abzulehnen. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? – Gegenprobe! – Enthaltun-
gen? – Die Beschlussempfehlung ist gegen die Stimmen
der PDS mit den Stimmen des übrigen Hauses angenom-
men.1)

Tagesordnungspunkt 34 f:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) zu
dem Antrag der Abgeordneten Heidemarie Ehlert,
Heidemarie Lüth, Dr. Barbara Höll, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion der PDS
Bestellung einer Amtsanklägerin/eines Amts-
anklägers
– Drucksachen 14/7227, 14/9291 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Dietrich Austermann
Hans Georg Wagner
Oswald Metzger
Dr. Christa Luft

Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag abzulehnen. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt da-
gegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist

gegen die Stimmen der PDS mit den Stimmen des übrigen
Hauses angenommen.

Wir kommen zu den Beschlussempfehlungen des Peti-
tionsausschusses.

Tagesordnungspunkt 34 g:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 402 zu Petitionen
– Drucksache 14/9386 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Bei Enthaltung der PDS ist die Sammelüber-
sicht 402 mit den Stimmen des übrigen Hauses angenom-
men.

Tagesordnungspunkt 34 h:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 403 zu Petitionen
– Drucksache 14/9399 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Die Beschlussempfehlung ist einstimmig ange-
nommen.

Tagesordnungspunkt 34 i:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 404 zu Petitionen
– Drucksache 14/9389 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen
von SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen
der anderen Fraktionen angenommen.

Tagesordnungspunkt 34 j:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 405 zu Petitionen
– Drucksache 14/9390 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Die Sammelübersicht ist mit den Stimmen von
SPD, Bündnis 90/Die Grünen und PDS gegen die Stim-
men von CDU/CSU und FDP angenommen.

Tagesordnungspunkt 34 k:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 406 zu Petitionen
– Drucksache 14/9391 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Die Sam-
melübersicht ist gegen die Stimmen der PDS mit den
Stimmen des übrigen Hauses angenommen.

Zusatzpunkt 10:
Weitere abschließende Beratung ohne Aus-
sprache




Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters
24670


(C)



(D)



(A)



(B)


1) Anlagen 2 und 3

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für die Angelegenheiten
der Europäischen Union (22. Ausschuss) zu der
Unterrichtung durch die Bundesregierung
62. Bericht der Bundesregierung über die Inte-
gration der Bundesrepublik Deutschland in die

(Berichtszeitraum: 1. Januar bis 31. Dezember 2001)

– Drucksachen 14/8565, 14/8829 Nr. 1.9, 14/9560 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Michael Roth (Heringen)

Peter Altmaier
Christian Sterzing
Dr. Helmut Haussmann
Uwe Hiksch

Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer
stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Diese Beschlussemp-
fehlung ist gegen die Stimmen der PDS mit den Stimmen
des übrigen Hauses angenommen.

Ich rufe nunmehr Zusatzpunkt 11 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion der CDU/CSU
Bildungsgefälle nach dem Ergebnis der PISA-
Studie und Forderungen aus der Bundesregie-
rung nach deutschlandweiten Bildungsstan-
dards

Als erster Rednerin erteile ich der Ministerin für Kul-
tus, Jugend und Sport des Landes Baden-Württemberg,
Frau Dr. Annette Schavan, das Wort.


(Baden-Württemberg)

sident! Meine Damen und Herren! Die nationale PISA-
Studie ist eine Bilanz über mehrere Jahrzehnte der
Bildungspolitik in den 16 Bundesländern. Die zentrale
Botschaft dieser Studie lautet: Wo kontinuierlich Leistung
gefordert wird, wird zugleich soziale Gerechtigkeit geför-
dert. Leistung ist das Prinzip der Gerechtigkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Die Studie zeigt ein dramatisches Nord-Süd-Leis-

tungsgefälle, und zwar nicht nur im Hinblick auf die Ergeb-
nisse in den drei untersuchten Kompetenzbereichen. Dieses
dramatische Nord-Süd-Gefälle besteht ebenso im Hinblick
auf soziale Gerechtigkeit. Die sozialen Disparitäten sind in
den Spitzenländern des Südens niedrig und in den SPD-re-
gierten Ländern des Nordens hoch. Die höchsten sozialen
Disparitäten – so besagt es die Studie – bestehen in Nord-
rhein-Westfalen, Schleswig-Holstein und Bremen. Im
Osten sind sie im Durchschnitt niedriger als im Westen.

Im Vergleich zu den internationalen Ergebnissen liegt
Bayern in allen drei Kompetenzbereichen im ersten Drit-
tel der OECD-Länder. Baden-Württemberg und Sachsen
erreichen in einzelnen Kompetenzbereichen ebenfalls
Werte, die dem OECD-Durchschnitt entsprechen oder da-
rüber liegen.

Die Förderung ausländischer Jugendlicher gelingt in
den unionsregierten Ländern besser als in sozialdemokra-

tisch regierten Ländern. Der Jugendliche mit Migrations-
hintergrund erreicht in Bayern im Durchschnitt das Leis-
tungsniveau eines deutschen Schülers in Bremen.


(Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Hört! Hört!)

Die Schülerrisikogruppe ist im Süden deutlich geringer

als im Bundesschnitt. Es zeigt sich: Wo die Risikogruppe
niedrig ist, ist die Spitzengruppe hoch.


(Friedrich Merz [CDU/CSU] zur SPD gewandt: Sehr wahr! Da sollten Sie einmal zuhören!)


Unbestritten ist, dass Deutschland insgesamt mit die-
sen Ergebnissen nicht zufrieden sein kann.


(Jörg Tauss [SPD]: Na! Jetzt wird es mal ehrlich!)


Alle müssen besser werden und sich in die internationale
Spitzengruppe bewegen.


(Jörg Tauss [SPD]: Lassen wir die Propaganda mal weg!)


– Jawohl, Herr Tauss.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Friedrich Merz [CDU/CSU]: Wenn der Tauss aufwacht, wird es unruhig im Saal!)


Niemand hat Grund, sich selbstzufrieden zurückzuleh-
nen. Und genau das tun Bayern, Baden-Württemberg und
Sachsen nicht – heute nicht und in den letzten Jahren nicht.

Eigentümlich aber ist, dass vor allem jene jetzt angegrif-
fen werden, die in Deutschland zur Spitzengruppe gehören.


(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Ja!)

Wären alle auf dem Niveau von Bayern, Baden-Würt-
temberg und Sachsen, so wäre die Ausgangsposition auf
dem Weg in die internationale Spitzengruppe deutlich
besser als jetzt.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Wenn die Bundesbildungsministerin erklärt, sie könne
in Deutschland kein wirkliches Nord-Süd-Gefälle fest-
stellen, so blendet sie damit einen Teil der nationalen
PISA-Studie und ihrer Ergebnisse schlicht aus. Das aber
ist ein schlechter Ratgeber für Verbesserungen in
Deutschland.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Die Bevölkerung in Deutschland ist klüger. Nach einer

Umfrage von Infratest dimap findet jeder zweite Bundes-
bürger, dass bayerische Bildungspolitik beispielhaft für
Deutschland ist. Übrigens sind es 55 Prozent der SPD-An-
hänger, die in dieser Umfrage sagen, sie fänden bayeri-
sche Bildungspolitik beispielhaft für Deutschland.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP])


Wir brauchen einen Qualitätspakt für Bildung in den
16 Ländern, der internationalen Gesichtspunkten gerecht
wird. Dazu gehören die Vereinbarungen der Kultusminis-
terkonferenz über vergleichbare Bildungsstandards; dazu
gehören länderübergreifende Bildungsvergleiche, mit de-
nen die Einhaltung der Standards überprüft werden kann,




Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters

24671


(C)



(D)



(A)



(B)


und zwar von unabhängigen Experten, so wie dies zum
Beispiel beim Max-Planck-Institut der Fall ist.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Schließlich gehören dazu zentrale, vergleichbare Ab-
schlussprüfungen in allen Schularten, die standardbildend
wirken können.

Wir brauchen im Rahmen dieses Qualitätspaktes den
konsequenten Abbau von Sprachbarrieren und eine ent-
sprechende Sprachförderung für ausländische Kinder und
Jugendliche, beginnend in der Zeit vor der Schule, die
Stärkung der Grundschule als der wichtigsten Phase in der
Schullaufbahn von Kindern, mehr soziale Gerechtigkeit
überall in Deutschland im Blick auf Bildungsbeteiligung
und Bildungsstandards und die Verminderung der Risiko-
gruppe.


(Jörg Tauss [SPD]: Auch in Bayern, nicht?)

Wir brauchen die konsequente Weiterentwicklung der

Unterrichtskultur in unseren Schulen mit dem Ziel nach-
haltigen Lernens. Wir brauchen die bedarfsorientierte
Weiterentwicklung von Ganztagsschulen und die strategi-
sche Ausrichtung aller Landeshaushalte auf Bildung und
Wissenschaft.

Was wir überhaupt nicht brauchen, ist die von der Bun-
desregierung angezettelte Zuständigkeitsdebatte. Statt mit
uns über Inhalte und Konzepte zu sprechen, spricht die
Bundesregierung über Zuständigkeit und provoziert einen
Streit, der schädlich ist und in der Öffentlichkeit mit
Kopfschütteln aufgenommen wird.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Deshalb muss Schluss sein mit dem Gezänk über Zu-
ständigkeit. Qualität entscheidet sich nicht an Zuständig-
keit, sondern entscheidet sich an überzeugenden Konzep-
ten.


(Zuruf von der CDU/CSU: So ist es! Eindeutig!)


Der Angriff des Bundeskanzlers erinnert an die Rede
des früheren Kulturstaatsministers Naumann über „Kul-
turhoheit als Verfassungsfolklore“. Er geschieht nach dem
Motto „Angriff ist die beste Verteidigung“. Er lenkt ab
vom desaströsen Ergebnis für die SPD-Länder. Die SPD
steht vor einem Desaster und sie will mit einer völlig über-
flüssigen und schädlichen Zuständigkeitsdebatte davon
ablenken.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP])


Wir streiten nicht über Zuständigkeiten. Sie sind im
Grundgesetz geregelt. Wer sie so verändern will wie der
Bundeskanzler, der muss sich mit dem Grundgesetz aus-
einander setzen. Was wie ein populistischer Angriff auf
Kultusminister aussieht, ist letztlich ein Angriff auf die
Ordnung, wie sie im Grundgesetz festgelegt ist.


(Beifall bei der CDU/CSU – Peter Dreßen [SPD]: Kriegen wir nicht! Machen wir nicht! Das haben wir immer so gemacht!)


Wir setzen stattdessen auf Konsens über die Inhalte ei-
nes Qualitätspaktes in 16 Ländern, der wirklich inhaltlich
und konzeptionell internationalen Maßstäben gerecht wird.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1424509700
Ich erteile
nunmehr das Wort der Bundesministerin für Bildung und
Forschung, der Kollegin Edelgard Bulmahn.

Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildung

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1424509800
Sehr
geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Herren und
Damen! Die PISA-Studie und der PISA-Ländervergleich
haben die zentralen Schwächen unseres Bildungssystems
aufgedeckt und damit die Bildungspolitik endlich in das
Zentrum der politischen Debatte gerückt. Dass die Bil-
dungspolitik endlich im Zentrum der politischen Debatte
steht, ist gut und auch notwendig.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


Wir können uns jetzt aber nicht zurücklehnen. Einige
haben das leider gemacht und gleichzeitig mit dem Finger
auf andere gezeigt. Man kann sich nämlich nicht selbst-
gefällig auf die Lederhose klopfen und gleichzeitig für
das Informatikstudium und die Jobs in der Hightechindus-
trie Abiturienten und Informatiker aus Nordrhein-West-
falen oder Niedersachsen importieren.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie der Abg. Maritta Böttcher [PDS])


Damit ich nicht missverstanden werde: Ich habe gar
kein Problem,


(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Doch, Sie haben eins, ein ziemlich großes sogar!)


die Leistungen und die Erfolge in Bayern, Baden-Würt-
temberg und Sachsen, aber auch in Schleswig-Holstein
und Rheinland-Pfalz anzuerkennen. Wir müssen aber
trotzdem der Realität, dass kein Bundesland international
in der Spitzengruppe ist, ins Auge blicken.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Maritta Böttcher [PDS]: Sehr richtig!)


Wenn wir nach Modellen für die Verbesserung und
Modernisierung unseres Bildungssystems suchen, dann
müssen wir uns international an den ersten Plätzen und
nicht an den Plätzen 10, 11 oder 9 orientieren.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)


Wir müssen in zehn Jahren wieder unter den ersten fünf
sein. Das muss unsere Messlatte sein.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Erlauben Sie mir, hierzu den Leiter der deutschen
PISA-Studie, Professor Jürgen Baumert, zu zitieren. In




Ministerin Dr. Annette Schavan (Baden-Württemberg)

24672


(C)



(D)



(A)



(B)


der heutigen Ausgabe der „Zeit“ führt er unter anderem
aus:

Im Übrigen kann man das beste deutsche Bundes-
land nur begrenzt am durchschnittlichen Standard ei-
ner ganzen Nation messen. Würden wir etwa
Bayern mit den Provinzen Kanadas vergleichen,
dann bliebe es hinter dem erfolgreichsten Landesteil
Alberta um Längen zurück.


(Jörg Tauss [SPD]: Hat auch Berge!)

Bayern würde in diesem Wettstreit nur etwas besser
abschneiden als die strukturschwächste kanadische
Provinz.

(Thomas Rachel [CDU/CSU]: Befassen Sie sich mit den schwachen Bundesländern der SPD!)


An anderer Stelle führt Professor Baumert aus:
In Bayern hat ein Kind aus der Oberschicht bei glei-
chen Fähigkeiten eine mehr als sechsmal höhere
Chance, ein Gymnasium zu besuchen, als ein Kind
aus einem Facharbeiter-Haushalt.


(Dr. Gerhard Friedrich [Erlangen] [CDU/ CSU]: Und in Niedersachsen?)


In keinem anderen Bundesland

(Dr. Gerhard Friedrich [Erlangen] [CDU/ CSU]: Wie ist das in Niedersachsen?)


schlägt sich die Herkunft so krass in der Bildungs-
laufbahn nieder.

(Thomas Rachel [CDU/CSU]: Stimmt doch gar nicht! – Hans-Peter Kemper [SPD]: Soziale Ungerechtigkeit!)


So weit Professort Baumert, der Leiter der PISA-Studie.
Frau Schavan, wenn Sie das als Modell für ganz

Deutschland wollen, dann sage ich: Nein!

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – HansPeter Kemper [SPD]: Das spaltet die Gesellschaft!)


Worum geht es wirklich? Wir müssen unser gesamtes
Bildungssystem in Deutschland nach vorn bringen. Wir
brauchen Schulen, in denen Leistungen gefordert und ge-
fördert werden.


(Thomas Rachel [CDU/CSU]: Das ist etwas ganz Neues!)


Da gibt es gar keinen Dissens. Leistung und Förderung
gehören zusammen, sie sind zwei Seiten einer Medaille.
Wir brauchen Schulen, in denen Qualität und Chancen-
gleichheit einen gleich hohen Stellenwert haben. Wir wol-
len die bestmögliche Bildung für alle Kinder in unserem
Land und wir wollen, dass alle Kinder in allen Bundes-
ländern die gleichen Bildungschancen haben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Unser Ziel ist es, unter die ersten fünf der Bildungsna-
tionen zurückzukommen. Das können wir nur schaffen,

wenn wir die notwendigen Reformen gemeinsam an-
packen. Es kommt deshalb jetzt darauf an, gemeinsam
Wege aus der Krise zu suchen, ohne die Verantwortung
der Länder und Schulträger infrage zu stellen.

Es geht darum, Bildung und Erziehung bundesweit auf
eine neue Grundlage zu stellen und aus den Verkrustun-
gen einer ideologischen, auf Zuständigkeiten fixierten
Debatte zu lösen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die Weichen für die Erneuerung des Bildungssystems
müssen jetzt und nicht erst in einigen Jahren gestellt wer-
den. Frau Schavan, bisher habe ich keine konkreten Vor-
schläge von Ihnen dazu gehört, was wir bundesweit tun
können und müssen,


(Lachen und Beifall bei der CDU/CSU – Friedrich Merz [CDU/CSU]: Das ist doch lächerlich!)


um genau diese Ziele zu erreichen. Ich freue mich, dass
Sie das, was ich seit Tagen und Wochen immer wieder for-
dere – das höre ich hier zum ersten Mal von Ihnen –, heute
ausdrücklich unterstützen. Das ist ein Anfang, ein erster
Schritt.


(Dr. Gerhard Friedrich [Erlangen] [CDU/CSU]: Die Bildungsforschung verstärken!)


Was wir brauchen, um diese Ziele zu erreichen, sind na-
tionale Bildungsstandards, die für alle Länder gleicher-
maßen verbindlich gelten.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)


Die Qualität unserer Schulen und Bildungseinrichtun-
gen, aber auch die Bildungschancen unserer Kinder dür-
fen nicht vom Wohnort abhängig sein. Deshalb: Wir brau-
chen einheitliche Leistungsstandards für Schülerinnen
und Schüler. Wir brauchen eine Verständigung über Bil-
dungs- und Erziehungsziele. Wir brauchen verbindliche
Vereinbarungen über die Verbesserung der Lehreraus-
und -fortbildung. Wir brauchen einen gemeinsamen Rah-
men für die Sicherung der Selbstständigkeit und Eigen-
verantwortung der Schulen.

Wenn wir mehr Qualität erreichen wollen, müssen wir
unseren Schulen mehr Verantwortung übertragen und sie
von bürokratischem Ballast befreien. Ich halte nichts davon,
auf die 888. Vorschrift noch eine 889. Vorschrift zu packen.
Das macht unsere Schulen nicht besser. Vielmehr muss der
Staat die Ziele vorgeben und die Schulen selber müssen ge-
meinsam mit Lehrern und Eltern entscheiden, wie sie diese
Ziele erreichen. Das halte ich für den richtigen Weg.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Darüber hinaus muss die Einhaltung nationaler Leis-
tungsstandards regelmäßig überprüft werden. Das geht
nur mit einer unabhängigen nationalen Einrichtung für
Evaluierung, wie sie in den bei PISA erfolgreichen Län-
dern bereits existiert. Die von der KMK vorgesehenen je-
weils landesweit durchzuführenden Orientierungs- und




Bundesministerin Edelgard Bulmahn

24673


(C)



(D)



(A)



(B)


Vergleichsarbeiten sind dazu wichtige Schritte. Sie kön-
nen aber eine unabhängige bundesweite Evaluation der
Bildungseinrichtungen nicht ersetzen.


(Beifall des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD] sowie der Abg. Ulrike Flach [FDP])


Die PISA-Studie hat gezeigt, wie dringend wir genau so
etwas brauchen. Wir können es nicht länger zulassen, dass
wir erst durch internationale Studien auf Mängel in unse-
rem Bildungssystem hingewiesen werden, sondern wir
müssen uns regelmäßig selbst ein objektives Bild über
den Stand unserer Bildungseinrichtungen und auch über
die Weiterentwicklung unserer Schulen machen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


Dazu brauchen wir eine nationale Bildungsberichter-
stattung, die von einem unabhängigen Rat von Bildungs-
weisen erstellt wird. Wir müssen es schaffen – es gibt ja
entsprechende Beschlüsse –, dass wir in der gemeinsamen
Bund-Länder-Förderung nicht nach dem Gießkannen-
prinzip verfahren. Deshalb müssen wir, wie ich gesagt
habe, unsere Förderung gezielt auf die zentralen Defizite
unseres Bildungswesens ausrichten.

Wir brauchen Schulen, in denen unsere Kinder mit
Freude und mit Neugier lernen; Schulen, in denen ihr Wis-
sensdurst am Leben gehalten wird; Schulen, in die auch
Lehrerinnen und Lehrer gern gehen und wo sie mit Moti-
vation bei der Sache sind; Schulen, in denen Lehrer, El-
tern und Schüler ein vertrauensvolles Verhältnis zueinan-
der haben und in denen Vermittlung von Werten und
Wissen selbstverständlich ist – Schulen also, in denen
Leistung gefordert wird und in denen man, statt auf Se-
lektion und Auslese zu setzen, alle Kinder nach ihren in-
dividuellen Fähigkeiten bestens fördert.

Dafür aber müssen wir den Schulen Zeit geben. Wir
müssen ihnen nicht nur Zeit geben, sich zu reformieren,
sondern wir müssen ihnen auch Zeit geben, die Inhalte zu
schaffen. Deshalb sind Ganztagsschulen so wichtig; dort
lässt sich das einfach besser erreichen.


(Beifall bei der SPD)

Die Bundesregierung hat deshalb den Ländern angeboten,
sie in den nächsten vier Jahren mit insgesamt 4 Milliar-
den Euro zu unterstützen. Mit dem Programm „Zukunft
Bildung“ können rund 10 000 Schulen zu Ganztagsschu-
len ausgebaut werden.

Meine Damen und Herren von der Union, hier müssen
Sie jetzt schon einmal Farbe bekennen. Unterstützen Sie
nun die Bereitstellung von Haushaltsmitteln für den Aus-
bau von Ganztagsschulen, so wie wir es in unserem Haus-
haltsplan für das Jahr 2003 vorgesehen haben, oder nicht?
Wenn ich Sie so höre, habe ich manchmal den Eindruck,
dass Sie das nicht wollen – nach dem Motto: Weiter so!


(Lachen bei der CDU/CSU und der FDP – Friedrich Merz [CDU/CSU]: Das ist wirklich köstlich!)


Das aber, meine sehr geehrten Herren und Damen, geht
nicht. Für mich sind die PISA-Studien die Chance zu ei-

nem gemeinsamen Aufbruch in der Schul- und Bildungs-
politik.

Dass es gemeinsam gehen kann, haben die Vereinba-
rungen in der Bund-Länder-Kommission gezeigt. Im
Mittelpunkt der verabredeten Maßnahmen steht die
flächendeckende Verbesserung der Sprach-, Lese- und
Schreibfähigkeiten sowie der mathematisch-naturwissen-
schaftlichen Kompetenz von Kindern. Beschlossen haben
wir darüber hinaus eine bessere Förderung von Kindern
aus sozial benachteiligten Familien und Migrantenfami-
lien. Leider haben die Wahlkampfstrategen in der Union
diese Entscheidungen nachträglich wieder infrage gestellt.


(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Regierungspolitik wird ersetzt durch Beschimpfung der Opposition? Das ist ein tolles Regierungsprogramm, was Sie da vorlegen!)


Wer auf die PISA-Ergebnisse mit Zuständigkeitsstrei-
tigkeiten reagiert, lieber Herr Merz, der hat den Ernst der
Lage nicht erkannt.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS – Friedrich Merz [CDU/CSU]: Wer lenkt denn ab mit Zuständigkeitsfragen? Das ist doch der Kanzler! Ich weiß nicht, ob Sie den Artikel Ihres Kanzlers von heute gelesen haben! Die Regierung ist ja völlig von der Rolle!)


Wir brauchen nationale Bildungsstandards und wir brau-
chen nationale Bildungsvergleiche. Daran geht kein Weg
vorbei; denn wir wollen eine zukunftsweisende Reform-
politik. Dafür warte ich auf ein eigenes Konzept von Ih-
nen für die Modernisierung unseres Bildungswesens. Wir
haben ein solches vorgelegt.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1424509900
Ich erteile
das Wort dem Kollegen Ernst Burgbacher für die FDP-
Fraktion.


Ernst Burgbacher (FDP):
Rede ID: ID1424510000
Herr Präsident! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Man wundert sich
schon etwas darüber,


(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Das kann man wohl sagen!)


dass wir am Ende einer Legislaturperiode erfahren, wie
Bildungspolitik gemacht werden soll. Das kann doch
wohl nicht sein.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Man wundert sich aber auch darüber, dass sich solche

Erkenntnisse, die etwa die Kultusministerkonferenz seit
langem hätte haben können – es gab die TIMSS-Studie –,
jetzt plötzlich offenbaren und nun alle wissen, wie es rich-
tig geht.


(Klaus Barthel [Starnberg] [SPD]: Von Ihnen haben wir dazu doch gar nichts gehört!)





Bundesministerin Edelgard Bulmahn
24674


(C)



(D)



(A)



(B)


Wir hatten doch längst die Gelegenheit dazu, hier die Wei-
chen anders zu stellen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Klaus Barthel [Starnberg] [SPD]: Wo wart ihr denn?)


Wir diskutieren heute über die Ländervergleichsstudie
und führen eine Diskussion über Föderalismus, Verein-
heitlichung und über alles mögliche andere. Angesagt ist
aber eine Qualitätsverbesserung. Darum geht es, und zwar
nach der Ländervergleichsstudie genauso wie vorher.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Deshalb möchte ich noch einige Punkte ansprechen, die
sonst leicht in Vergessenheit geraten.

Wir brauchen zunächst eine solide Finanzierung. Wir
brauchen mehr Kohle für die Bildung. Daran führt kein
Weg vorbei. Das müssen sich alle ins Stammbuch schrei-
ben lassen.


(Beifall bei der FDP)

Wir dürfen Schule und Eltern jetzt nicht allein lassen. Ge-
fragt ist ein Kraftakt, an dem sich alle, Schule, Lehrer und
vor allem Eltern und Gesellschaft, beteiligen. Alle müssen
jetzt mit ins Boot und ihre Aufgabe erkennen.

Wir brauchen natürlich auch ein größeres Angebot an
Ganztagsbetreuung. Wir müssen über die Situation von Kin-
dern mit Migrationshintergrund nachdenken. All diese The-
men fallen nicht plötzlich weg, nur weil wir jetzt festgestellt
haben, dass die Situation in den Ländern unterschiedlich ist.

Frau Bulmahn, Sie haben gerade wieder über die Wis-
sensfächer geredet. Wir sollten etwas anderes nicht ver-
gessen: Kreativität, Eigenverantwortung, aber auch
Selbstbeherrschung und Teamfähigkeit. Der Wert der mu-
sischen und künstlerischen Bildung darf in dieser Diskus-
sion nicht einfach vergessen werden.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Die genannten Punkte gelten ohne Anspruch auf Voll-
ständigkeit für alle Bundesländer. Aber in der Tat, Frau
Schavan, müssen nach der PISA-Ländervergleichsstudie
jetzt neue Fragen gestellt werden.


(Klaus Barthel [Starnberg] [SPD]: Wieso?)

Dazu gehören: Wie schaffen wir die grundgesetzlich ver-
bürgte Gleichwertigkeit der Lebensbedingungen?


(Beifall bei Abgeordneten der FDP)

Wie gewährleisten wir Mobilität zwischen den Bun-

desländern? Vor allem aber muss die Frage gestellt wer-
den: Wie kommen die schwächeren Länder aus dem
Keller und wie kommen alle Bundesländer hinsichtlich
der Bildungsqualität einen erheblichen Sprung nach
vorn? Eine Antwort vorweg: Durch die Forderung des
Kanzlers nach einem nationalen Rahmengesetz für die
Schule sicherlich nicht! Stellen Sie sich einmal vor, wir
hätten Anfang der 70er-Jahre ein nationales Rahmenge-
setz gehabt. Wo wären wir mit unserem Schulsystem
heute? Ich will die Frage gar nicht beantworten.

Die FDP hat einen anderen Ansatz. Wir wollen die
Freiheit und den Wettbewerb im Bildungswesen stärken.
Das ist der entscheidende Ansatz.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Dazu gehört zuallererst die Gewährung einer weitgehen-
den Personal- und Budgethoheit der einzelnen Schulen.
Darüber hinaus aber muss es für die einzelne Schule mög-
lich sein, weg von Vorgaben der Landesregierung zu kom-
men und ihr eigenes Profil zu entwickeln. Man muss der
Schule mehr Freiheit geben.

Dazu gehört auch – das wurde noch gar nicht ange-
sprochen –, dass wir die Privatschulen gleichberechtigt
neben den öffentlichen Schulen fördern.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Privatschulen sind in ihrer Reaktion oft schneller. Der
Wettbewerb zwischen öffentlichen und privaten Schulen,
aber auch der Wettbewerb zwischen den öffentlichen
Schulen ist ein wesentliches Element. Liebe Frau
Schavan, damit dieser Wettbewerb tatsächlich funktio-
niert, brauchen wir Standards, die länderübergreifend an-
erkannt und überprüft werden. Das war eine FDP-Forde-
rung. Wir freuen uns, wenn sie jetzt von einigen
übernommen wird.


(Beifall bei der FDP)

Nun kommt der Ruf nach der Kultusministerkonferenz.

Das Einstimmigkeitsprinzip geht offenbar so weit, dass die
beiden Länderministerinnen im Partnerlook erscheinen.


(Heiterkeit und Beifall bei der FDP)

Sie müssen sich aber sagen lassen: Die Kultusminister-
konferenz hat in ihren langen Jahren des Bestehens die
Probleme offenbar nicht gelöst; sie ist vielmehr Teil des
Problems.


(Beifall bei der FDP)

Die Kultusministerkonferenz hat bewiesen, dass sie die

Probleme, die uns durch PISA schwarz auf weiß präsen-
tiert wurden, nicht lösen konnte. Deshalb können wir
nicht weiter auf die Kultusministerkonferenz setzen, son-
dern wir müssen auf den Wettbewerb zwischen den Schu-
len, auf Autonomie, auf die Einhaltung von Standards und
deren Überprüfung durch eine bundesweit tätige Qua-
litätssicherungsagentur setzen. Dazu brauchen wir einen
nationalen Bildungsbericht, der uns die notwendigen Da-
ten zur Verfügung stellt.


(Dr. Helmut Haussmann [FDP]: Und eine neue Regierung!)


Ich fasse zusammen: Weder mit nationaler Gleichma-
cherei noch mit staatlicher Gängelung befreien wir unser
Bildungssystem aus seiner Schieflage. Wir setzen auf
Freiheit, Autonomie und Wettbewerb und wir setzen auf
mehr Kohle für die Bildung. Das ist der Weg, den wir mit-
einander gehen sollten.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)





Ernst Burgbacher

24675


(C)



(D)



(A)



(B)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1424510100
Für die
Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen spricht der Kol-
lege Reinhard Loske.


Dr. Reinhard Loske (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1424510200

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr
Burgbacher, wenn ich Ihren zustimmungsfähigen Aus-
führungen lausche und das dann mit dem segensreichen
Wirken Ihres Konteradmirals in Hamburg vergleiche,
dann fallen mir schon gewisse Unterschiede auf.


(Beifall des Abg. Jörg Tauss [SPD] – Zurufe von der FDP: Oh!)


Sie reden von „mehr Kohle“. Offenbar kommt aber etwas
ganz anderes heraus: Es ist noch keine zwei Jahre her, als
Herr Möllemann sozusagen mit Kohlenstaub in den
Mundwinkeln heldenhaft für die deutsche Kohle
gekämpft hat. Auch das haben wir in bester Erinnerung
behalten.


(Ernst Burgbacher [FDP]: Das stimmt doch nicht!)


Insofern ist das, was Sie hier erzählen, gar nicht so schlüs-
sig.

Jetzt aber will ich – in den wenigen Redeminuten, die
ich habe – zum Thema kommen. Zunächst einmal: Ich
glaube, dass die Ergebnisse von PISA-E für niemanden
ein Grund zur Selbstgefälligkeit sind.


(Beifall des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD] – Thomas Rachel [CDU/CSU]: Das hat nie einer behauptet!)


Es ist sicherlich erfreulich, dass die Schüler aus Bayern
leicht über dem OECD-Durchschnitt liegen. Aber im in-
ternationalen Vergleich liegen sie eben sehr weit hinter
der Spitzengruppe. Wir können keineswegs damit zufrie-
den sein, dass die soziale Durchlässigkeit unseres Bil-
dungssystems so gering ist. Das ist kein Ruhmesblatt für
uns. Besonders schlecht sieht es in Bayern aus; das muss
man ganz klar sagen. Diese geringe soziale Durchlässig-
keit können wir uns beim besten Willen nicht zum Vorbild
nehmen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Das stimmt doch nicht!)


Um es einmal in der Sprache des Sports auszudrücken:
So sehr sich Bayern über seinen Spitzenplatz in der zwei-
ten Liga freuen darf, so traurig auch Bremen über die rote
Laterne sein muss, umso mehr gilt es, dass wir alle
gemeinsam besser werden. Wir als Bundesrepublik
Deutschland müssen den schnellen Wiederaufstieg schaf-
fen. Daran sollten wir jetzt arbeiten. Es ist nicht die Zeit
der kleinen Münze, sondern die Zeit der großen Heraus-
forderungen und des beharrlichen Arbeitens. Wir werden
in zwei Jahren den nächsten Test haben. Dann werden wir
sehen, wer besser geworden und wer stehen geblieben ist.

Ich will nun jenseits des Wahlkampfgeklingels zu ein
paar inhaltlichen Aussagen kommen. Wo besteht relativ
hohes Einvernehmen? Wir sind uns darüber einig – das

kann man als ersten Punkt summarisch festhalten –, dass
die soziale Auslese verhindert werden muss und dass wir
Chancengerechtigkeit sicherstellen wollen. Wir wollen
und können uns keine hoffnungslosen Fälle leisten. Da-
rüber sind wir uns einig und das ist gut so.

Es ist mittlerweile auch – dies ist der zweite Punkt – ein
gewisses Einvernehmen darüber vorhanden, dass wir zen-
trale Standards brauchen. Das sollte man nicht infrage
stellen. Möglicherweise sollten diese gar durch Zen-
tralprüfungen gesichert werden. Aber zentrale Qualitäts-
standards, die regelmäßig evaluiert werden, sowie Frei-
heit und Autonomie sind keine Widersprüche, sondern
zwei Seiten einer Medaille. Dies gehört zusammen. Das
sollten wir nicht gegeneinander, sondern miteinander dis-
kutieren. Man kann also sagen: klare Ziele, aber Pluralität
der Wege. Das sollte unsere Richtung sein.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Einvernehmen besteht, wenn man den Presseverlaut-
barungen folgt, auch darin – dies ist der dritte Punkt –,
dass wir mit der frühkindlichen Bildung früher anfangen,
schon im Kindergarten das Lernen fördern und den Bil-
dungshunger unserer Kleinsten im Kindergarten stillen
müssen. Das hat Auswirkungen auf die Ausbildung un-
serer Pädagoginnen und Pädagogen. Wir müssen unsere
Kindergärten stärker zu Einrichtungen der frühkindlichen
Bildung machen.

Wir brauchen viertens einen größeren Praxisbezug in
der Lehrerausbildung. Die diagnostischen Fähigkeiten der
Lehrer müssen gestärkt werden, damit sie erkennen, wo die
Stärken und Schwächen eines Kindes liegen, und – das ist
ebenfalls wichtig – gezielte Förderung betreiben können.

Des Weiteren brauchen wir – darüber wird Marieluise
Beck gleich sprechen – frühe Hilfen für Einwandererkin-
der beim Deutschlernen und mehr Ganztagsschulen.
Diese dürfen natürlich nicht reine Verwahranstalten sein
und nur dem Zweck dienen, die Kinder „loszuwerden“,
sondern müssen eingebunden werden in ein pädagogi-
sches Konzept, bei dem sich Phasen der Ruhe, der An-
strengung und der Konzentration über den Tag verteilt ab-
wechseln. Das heißt, wir haben im Wesentlichen kein
Erkenntnis-, sondern ein Umsetzungsdefizit. Deshalb
müssen wir nicht nur reden, sondern handeln.

Was das Thema Bund und Länder angeht, schwingt un-
terschwellig mit – auch bei Frau Schavan –,


(Dr. Gerhard Friedrich [Erlangen] [CDU/CSU]: Ja, vor allem beim Bundeskanzler schwingt es mit!)


dass die Kultusministerkonferenz prima ist und eigentlich
alles gut gemacht hat. Das trifft aber nicht zu. Die Kul-
tusministerkonferenz hat in der Vergangenheit Kleinstaa-
terei betrieben. Das hat uns allen nicht gut getan. Diese
Kritik muss auch deutlich ausgesprochen werden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Was die zukünftige Rolle des Bundes betrifft, sind wir

in der Koalition uns über zwei Maßnahmen einig, die wir
durchsetzen wollen und auch werden. Erstens brauchen






(C)



(D)



(A)



(B)


wir einen Sachverständigenrat für Bildung und eine re-
gelmäßige nationale Bildungsberichterstattung, um klare
Vergleiche zu bekommen und zu erfahren, an welcher
Stelle wir stehen und was wir erreichen müssen. Diese
Maßnahme werden wir durchsetzen.

Zweitens wollen wir eine Anschubfinanzierung für die
Ganztagsschulen. Ganztagsschulen sind keine Patentlö-
sung, aber PISAzeigt, dass die Ergebnisse dort, wo Ganz-
tagsschulen zahlreich vertreten sind, durchschnittlich bes-
ser sind. Deswegen setzen wir uns für die Förderung von
Ganztagsschulen ein. Ich würde mich freuen, wenn die
Union diese beiden bundespolitischen Maßnahmen
unterstützen würde.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Wenn über die bundespolitischen Kompetenzen disku-
tiert wird, sollten wir darüber nachdenken – wir als Grüne
wollen das jedenfalls –, ob der Bund in der nächsten Le-
gislaturperiode nicht Mittel für den frühkindlichen Be-
reich bzw. für die Sprachförderung zur Verfügung stellen
sollte. Denn in diesem Bereich sind die Ergebnisse be-
sonders schlecht ausgefallen.

Wir brauchen – Stichwort Einwanderungsgesell-
schaft – eine Politik des Bundes für die gezielte Integra-
tion von Migrantinnen und Migranten. In diesem Zusam-
menhang haben Sie von der Union Nachhilfeunterricht
dringend nötig. Das haben Sie bis heute nicht erkannt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Friedrich Merz [CDU/CSU]: Was?)


Mein letzter Punkt: Ich meine, dass auf Bundesebene
positive Modellversuche – wie der Modellversuch SINUS
zur Verbesserung des naturwissenschaftlichen Unterrichts
oder das Programm zur Bildung für eine nachhaltige Ent-
wicklung – stärker gefördert werden müssen. Vonseiten
des Bundes müssen diese Modellprojekte gezielt geför-
dert und muss anschließend versucht werden, die guten
Erfahrungen auf die gesamte Bildungslandschaft auszu-
dehnen.

Ich komme zum Schluss, Herr Präsident. Ich meine,
wir sollten uns vor Augen führen, dass wir zwar nicht gut
genug sind, aber das nötige Potenzial besitzen. Wir kön-
nen und sollten besser werden. Deshalb sollten wir das ge-
meinsam angehen.

Danke schön.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1424510300
Für die
Fraktion der PDS spricht die Kollegin Maritta Böttcher.


Maritta Böttcher (PDS):
Rede ID: ID1424510400
Herr Präsident! Liebe Kolle-
ginnen und Kollegen! „Der Sprengsatz kam nachts per
E-Mail“, „Niedersachsen abgeschlagen“, „NRW ist Mit-
telmaß“, „Bayern klar an der Spitze“ lauteten einige
Schlagzeilen der letzten Tage. Die Rede ist nicht etwa von
Terror oder Fußball. Die Rede ist von der PISA-Ver-
gleichsstudie der deutschen Bundesländer. Darin soll es

bekanntlich um Bildung gehen. Immerhin haben wir das
Material nun auch offiziell, nachdem die CSU-Strategen
schon seit zwei Wochen zum Bildungswahlkampf rüsten.
Ob das deutsche Bildungssystem davon besser wird, darf
mit Fug und Recht bezweifelt werden.


(Hannelore Rönsch [Wiesbaden] [CDU/CSU]: Frau Kollegin, zehn Jahre Einheit!)


Was haben Schülerinnen und Schüler davon, wenn sich
Länderminister in Siegerlaune präsentieren oder Parteien
Glaubenskriege von vorgestern führen, liebe Frau
Volquartz? Was haben Schulen davon, einen Wettlauf ge-
wonnen oder verloren zu haben, wenn sich im Gefolge
zwar Politiker profilieren, aber ansonsten alles beim Al-
ten bleibt? Wahlkampf auf dem Rücken der Schülerinnen
und Schüler – nein danke!


(Beifall bei der PDS)

Ich meine, weder PISA noch PISA-E haben es ver-

dient, in provinziellen Wahlkampfauseinandersetzungen
und bildungspolitischer Kleinstaaterei unter die Räder zu
kommen.


(Dr. Gerhard Friedrich [Erlangen] [CDU/CSU]: Na, na, na!)


Es geht nicht um Gewinner und Verlierer,

(Dr. Gerhard Friedrich [Erlangen] [CDU/CSU]: Das sagen immer die Verlierer! – Gegenruf des Abg. Jörg Tauss [SPD]: Die Regionalliga sollte nicht so rumtoben!)


sondern um die sachgerechte Nutzung von Erkenntnis-
möglichkeiten, die in solchen Vergleichen liegen. Dazu
bieten die Studien genügend Material und auch das
Instrumentarium für vernünftige bildungspolitische
Schlussfolgerungen. Man muss sie nur lesen können, die
Befunde ernst nehmen und Schlussfolgerungen ziehen
wollen.

Bereits der internationale Vergleich hat im Mittel un-
terdurchschnittliche Leistungen, einen deutlichen Ab-
stand zur Spitze, eine ungewöhnliche Leistungsstreuung
und einen besonders stark ausgeprägten Zusammenhang
zwischen sozialer Herkunft und Leistung zutage geför-
dert. Genau das wird durch PISA-E für alle Länder be-
stätigt. Statt sich jetzt in der Interpretation der teilweise
unterschiedlichen Ausprägungsformen dieses Grundbe-
fundes zu verzetteln, gilt es, mit Reformbemühungen
eben dort anzusetzen.

Eine möglichst gleichmäßige Förderung aller Schüle-
rinnen und Schüler gelingt hierzulande nicht. Höhere
Schulabschlüsse setzen vor allem eine Herkunftsfamilie
der oberen Dienstklasse voraus. Das Bildungssystem för-
dert weniger als es selektiert. Auch das gilt für alle Län-
der. Also niemand, weder eine Landesregierung noch eine
Partei, hat das Erfolgsrezept in der Tasche.

Klar ist aber: Die Bundesrepublik Deutschland ist weit
davon entfernt, ihren Bürgerinnen und Bürgern gleiche
Bildungs- und Lebenschancen zu geben. Auch das zeigt
PISA-E: Die Differenzen zwischen den einzelnen Bun-
desländern sind sowohl hinsichtlich des Leistungsniveaus
als auch hinsichtlich der Bildungsbeteiligung erheblich.




Dr. Reinhard Loske

24677


(C)



(D)



(A)



(B)


Schon deshalb muss die überfällige Bildungsreform von
Bund und Ländern gemeinsam in Angriff genommen wer-
den. Wir brauchen eine gründliche Auswertung der vor-
liegenden Daten, der Vorzüge und Nachteile in den
einzelnen Bundesländern sowie der internationalen
Erfahrungen. Diffamierungen wie „Kuschelpädagogik“
oder „Leistungsstress“ helfen da nicht weiter.


(Beifall bei Abgeordneten der PDS)

Einbezogen werden müssen ebenfalls die offenkundi-

gen sozialen Unterschiede zwischen den Ländern. Wirt-
schaftskraft, Arbeitsmarktlage und Sozialstruktur der Be-
völkerung sind wichtige Einflussfaktoren, wenn es um die
Leistungsfähigkeit von Bildungssystemen geht. Nicht zu-
letzt sind die gravierenden Unterschiede in den Schulsys-
temen, die immerhin zu Differenzen von bis zu zweiein-
halb Jahren in der Unterrichtsversorgung führen, auch
durch den Föderalismus nicht mehr zu rechtfertigen.

Alles, was jetzt im Einzelnen vorgeschlagen und un-
ternommen wird, sollte sich an dem prinzipiell notwen-
digen Neuanfang in der Bildungspolitik orientieren.
Wenn Deutschland das vom Kanzler gesteckte Ziel errei-
chen soll, in zehn Jahren unter den ersten fünf Bildungs-
nationen zu sein, muss die bestmögliche individuelle
Förderung aller zum obersten Prinzip werden. Das be-
deutet: Schluss mit Selektion. Tests, die die selektiven
Grundstrukturen verfestigen, werden auf keinen Fall
weiterhelfen.

Wenn der PISA-Impuls nicht verpuffen soll, müssen
die notwendigen Maßnahmen in zentralen Problemfel-
dern wie Lesefähigkeit, Sprachförderung, Lehrerbildung,
Ganztagsschulen, frühkindliche Entwicklung in ein Ge-
samtkonzept zur Qualitätsentwicklung eingebunden wer-
den.


(Dr. Gerhard Friedrich [Erlangen] [CDU/CSU]: Und Kontrolle!)


– Natürlich gehört auch Qualitätskontrolle dazu, Herr
Dr. Friedrich.


(Dr. Gerhard Friedrich [Erlangen] [CDU/CSU]: Das fehlt bei einigen Ländern aber, in Niedersachsen zum Beispiel!)


Dazu gehört ebenfalls eine entsprechende Ressourcen-
ausstattung. Nur in diesem Kontext machen nationale Bil-
dungsstandards oder ein inzwischen auch vom Kanzler
gefordertes Schulrahmengesetz Sinn.

Wenn der Bildungs-TÜV eine neue Aussortierma-
schine und nicht ein Frühwarnsystem wird, wird sich
nichts ändern.


(Beifall bei Abgeordneten der PDS)

Standards und auch ihre regelmäßige Überprüfung sind
nur dann in Ordnung, wenn daraus kein neues Monster
bürokratischer Knebelung entsteht. Schulen brauchen
Freiräume und eine Ausstattung, die das Nutzen der
Freiräume möglich macht. Qualität in der Pädagogik kann
weder befohlen noch herbeigetestet werden; dafür braucht
es die Motivation und Partizipation der Betroffenen.

Zwischen den 16 deutschen Bildungskleinstaaten lie-
gen Welten. Offensichtlich hat der Föderalismus bei der

Herstellung von Chancengleichheit in Sachen Bildung
versagt. Wagen wir endlich einen Neubeginn!


(Beifall bei der PDS)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1424510500
Ich gebe
dem Kollegen Jörg Tauss das Wort. Er spricht für die
SPD-Fraktion.


(Dr. Gerhard Friedrich [Erlangen] [CDU/CSU]: Tauss, heute sind wir mal anständig! Nicht schon wieder Beschimpfung!)



Jörg Tauss (Plos):
Rede ID: ID1424510600
Herr Kollege Friedrich, ich bin
immer anständig; so weit kennen Sie mich doch. Sie müs-
sen aber schon aushalten, dass man den Kleinmut an-
spricht, mit dem Sie hier darüber debattieren, wer wie
warum im unteren Drittel plaziert ist.


(Lachen bei der CDU – Dr. Gerhard Friedrich [Erlangen] [CDU/CSU]: Das ist euch peinlich!)


Liebe Frau Schavan, Sie führen Zuständigkeitsdiskussio-
nen. Es findet Verantwortungsschieberei statt. Sie sollten
jetzt wirklich einmal sagen, was Sie eigentlich wollen;
denn das ist auch in der zweiten Debatte, in der Sie hier
als Mitglied des Kompetenzteams reden, nicht deutlich
geworden. Ich will ein Beispiel nennen. Der Bundeskanz-
ler hat beispielsweise gesagt: Wir machen es nicht wie Sie
damals bei den Kindergärten. Sie haben Gesetze auf Bun-
desebene gemacht und hinterher gesagt, wie es finanziert
wird, sei wurscht. Er hat gesagt: Wir stellen das Geld für
Ganztagsschulen zur Verfügung, weil wir wissen, dass in
allen Ländern, die bei der Studie gut abgeschnitten haben,
eine vernünftige Ganztagsbetreuung stattfindet. Was ist
von Ihnen gekommen? – Eine kleinliche Debatte inner-
halb von CDU und CSU. Erst wollten Sie das Geld über-
haupt nicht, Frau Schavan. Dann gab es Widerstand aus
Ihren eigenen CDU-regierten Bundesländern. Insbeson-
dere im Osten haben sie gesagt: Seid ihr mit dem Klam-
merbeutel gepudert? Das ist ein hervorragendes Angebot
des Bundes. Nehmt es wahr! Dann haben Sie gesagt: Jetzt
machen wir doch vielleicht mit. Sie sind in Ihren eigenen
Reihen unter Druck geraten. Mit diesem Auf und Ab fin-
det Ihre bildungspolitische Debatte statt. Das ist Fakt und
darüber haben wir zu reden.


(Beifall bei der SPD – Peter Dreßen [SPD]: Ein Hühnerhaufen ist das!)


Frau Schavan, eines nehme ich Ihnen wirklich übel. Ich
nehme Ihnen nicht übel, dass Sie jetzt versuchen, ein biss-
chen Kompetenz darzustellen. Das ist Ihr Job. Ich hätte
Sie anstelle von Herrn Stoiber nicht berufen; darüber ha-
ben wir schon diskutiert. Aber dass Sie nicht die Wahrheit
sagen, nehme ich Ihnen übel. Sie haben hier im Bundes-
tag beispielsweise behauptet, die SPD-regierten Länder
hätten PISA verhindern wollen. Wir haben noch einmal
nachgeschaut, Frau Schavan. Es stimmt nicht. Es war
Rheinland-Pfalz. Herr Zöllner hat den Antrag gestellt. Ich
finde, Sie sollten jetzt auch die Größe besitzen, sich für
diese Falschaussage hier im Deutschen Bundestag zu ent-
schuldigen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Lachen bei der CDU/CSU)





Maritta Böttcher
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(C)



(D)



(A)



(B)


Nun ist ja bekannt, dass Wahlkampfzeiten die Zeiten
von Vereinfachung sind. Ich finde das bedauerlich, weil
für mich als Demokrat Wahlkampf nichts ist, Frau
Böttcher, was in irgendeiner Form negativ wäre, sondern
weil Wahlkampf die Chance bietet, tatsächlich über Kon-
zepte zu reden und um die besseren Lösungen zu ringen.
Also machen Sie es nicht in dieser Form. Was Sie machen,
ist Wahlkampfgetöse. Das werfe ich Ihnen vor.

Es war doch kein Zufall, dass Sie entgegen den Ab-
sprachen an einem Sonntagmorgen um 3 Uhr die PISA-
Ergebnisse veröffentlicht und in Ihrem Sinne interpretiert
haben, weil Sie genau wussten, dass Ihre Interpretations-
hoheit weg ist, wenn Sie nicht rechtzeitig früh entgegen
den Absprachen auf den Markt gehen

Jetzt reden wir mal über das, was Sie hier erzählen. Sie
erzählen, Bayern und Baden-Württemberg seien Spitze.
Ich will doch überhaupt nicht leugnen, dass es an der ei-
nen oder anderen Stelle auch hier erfreuliche Lichtblicke
gibt. Ich selbst bin in Baden-Württemberg zur Schule ge-
gangen. Das erfreuliche Ergebnis sehen Sie vor sich.


(Heiterkeit im ganzen Hause – Dr. Gerhard Friedrich [Erlangen] [CDU/CSU]: Das hat wenig genutzt!)


Aber Ihr Land, Frau Schavan, ist eben an keiner Stelle
Spitze. Das ist Ihr Problem. In der Lesekompetenz bei den
Gymnasien liegen Sie hinter Bayern, in der Mathematik
liegen Sie hinter Schleswig-Holstein und hinter Mecklen-
burg-Vorpommern. Ich halte es für eine Sauerei, wie Sie
über andere Länder herziehen. Baden-Württemberg liegt
in der Mathematik im Vergleich hinter Mecklenburg-Vor-
pommern. Was Sie hier tun, ist unanständig gegenüber an-
deren Bundesländern.


(Beifall bei der SPD)

In den Naturwissenschaften, Frau Schavan, liegen Ihre
Schülerinnen und Schüler in den Gymnasien hinter
Schleswig-Holstein. Ich sage Ihnen: Wenn Ihre Mathe-
matikreform kommt, die Einheitsprimitivmathematik, die
Sie in Baden-Württemberg einführen wollen, wird sich
dieser Abstand noch weiter vergrößern.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich glaube,
es ist sinnvoll, dass wir ein bisschen stärker differenzie-
ren, was in der Studie steht. Es geht um ein ganzes Bün-
del von Ursachen. Die Studie legt – das sagen die Autoren
der Studie – eben nicht dar – lieber Herr Rachel, das sage
ich, weil Sie es vorher gerade wieder im Fernsehen be-
hauptet haben –, dass die Ursachen in der jeweiligen Lan-
despolitik liegen, sondern dass sie vor allem in strukturel-
len Unterschieden der Bundesländer zu sehen sind. Wir
sollten darauf achten, dass diese strukturellen Unter-
schiede in den Bundesländern nicht zulasten der Kinder
und Jugendlichen gehen. Genau deshalb hat der Bund ge-
sagt: Es ist eine nationale Aufgabe, an diesem Punkt et-
was zu ändern, und deshalb will der Bund auch hierfür
Verantwortung übernehmen.


(Beifall bei der SPD)

Darüber sollten wir miteinander reden.

Wir haben die Bildungsberichterstattung angeregt.
Herr Westerwelle, der zu dem Thema immer Sonntagsin-

terviews gibt, ist schon wieder weg. Keine bildungspoli-
tische Debatte mit Westerwelle. Wo ist er denn?


(Ulrike Flach [FDP]: Jetzt bleiben Sie aber bei der Wahrheit!)


– Ich bleibe bei der Wahrheit. Ich sehe ihn schon wieder
nicht. In der „Welt am Sonntag“ hat er Bildungsbericht-
erstattung gefordert. Frau Flach, ich habe Sie vorher ge-
fragt. Sie haben sich bei unserer Forderung nach Bildungs-
berichterstattung ja wenigstens der Stimme enthalten. Das
ist okay, das würdigen wir auch. Aber stellen Sie bitte
nicht solche Forderungen, sondern machen Sie es ge-
meinsam mit uns.


(Lachen bei der CDU/CSU und der FDP)

Ich kann Ihnen nur sagen: Was Sie hier im Zusammenhang
mit PISA tun, ist provinziell, das verstellt und verhindert
den Blick auf tatsächliche Ursachen und Zusammenhänge.

Frau Schavan, an Ihre Adresse gerichtet möchte ich
Peter Ustinov zitieren. Er hat wörtlich gesagt:

Bildung ist wichtig, vor allem wenn es gilt, Vorur-
teile abzubauen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Wenn man schon ein Gefangener seines eigenen Geis-
tes ist, kann man wenigstens dafür sorgen, dass die
Zelle anständig möbliert ist.

Möblieren Sie anständig in Baden-Württemberg! Dann
halten wir weiterhin Ihre interessanten bildungspoliti-
schen Debatten aus.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Heinz Seiffert [CDU/CSU]: Nur peinlich! – Dr. Gerhard Friedrich [Erlangen] [CDU/CSU]: Laut war’s!)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1424510700
Ich gebe der
Kollegin Angelika Volquartz für die Fraktion der
CDU/CSU das Wort.


Angelika Volquartz (CDU):
Rede ID: ID1424510800
Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! Herr Tauss, Lautstärke ersetzt
nun einmal nicht Qualität.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Jörg Tauss [SPD]: Das ist wohl wahr! Aber es schließt sich nicht aus!)


Ihre Rede war wieder ein hervorragender Beweis dafür.
Nachdem ich die Beiträge von Rot-Grün gehört habe,
kann ich nur feststellen: Nackte Angst und nichts weiter
ist Ihr Begleiter in dieser Debatte.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Frau Bulmahn, wenn Sie heute, am 27. Juni 2002, fest-
stellen, dass die Bildungspolitik endlich in das Zentrum
der bildungspolitischen Debatte gerückt ist,


(Jörg Tauss [SPD]: Freuen wir uns doch! – Dr. Reinhard Loske [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bildungspolitik ist in das Zentrum Jörg Tauss 24679 der bildungspolitischen Debatte gerückt: Das stimmt!)





(C)


(D)


(A)


(B)


dann muss ich Sie allerdings fragen: Wo sind Sie ei-
gentlich in den letzten Jahren gewesen? Was haben
Sie sowohl als Landesvorsitzende der SPD in Nieder-
sachsen als auch als Bildungspolitikerin eigentlich ge-
leistet?


(Jörg Tauss [SPD]: Forum Bildung!)

Ihre Antwort auf diese Frage muss lauten: Nichts. Ande-
renfalls würden Sie nun nicht sagen, dass die Debatte
heute beginnt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Jörg Tauss [SPD]: Was halten Sie vom Forum Bildung?)


Herr Tauss, es gibt immer eine Wahrheit.

(Jörg Tauss [SPD]: Die ist unteilbar!)


Wahrheit ist, dass die CDU-Fraktion im Schleswig-
Holsteinischen Landtag nach Veröffentlichung der TIMSS-
Studie einen Antrag gestellt hat – Herr Rossmann wird
sich erinnern –, mit dem auf Vergleichbarkeit der Leis-
tungen abgehoben wurde. Dieser Antrag ist von Rot-Grün
in Schleswig-Holstein abgelehnt worden.


(Jörg Tauss [SPD]: Ihr seid doch vorn!)

– Am Gymnasium.

Erst als die Kultusministerkonferenz wenige Wochen
nach der Einbringung des CDU-Antrages gesagt hat, dass
wir diese Vergleichbarkeit herstellen müssen, hat
Rot-Grün in Schleswig-Holstein reagiert. Vorher hat man
dort wörtlich gesagt:

Abfragbares, vergleichbares Wissen als Leistung zu
deklarieren, greift zu kurz.

Das war die Meinung der Sozialdemokraten und der Grü-
nen in Schleswig-Holstein.


(Thomas Rachel [CDU/CSU]: Hört! Hört!)

Um die Lesekompetenz und die vernachlässigte Sprach-

erziehung zu stärken, brauchen wir aber nicht nur die
Politik und nicht nur die Schule,


(Jörg Tauss [SPD]: Auch die Eltern!)

sondern auch Eltern, die den Kindern wieder vorlesen und
mit ihnen sprechen müssen. Wir brauchen insgesamt eine
Erziehungsoffensive. Ohne Erziehungsoffensive gibt es
keine Bildungsoffensive. Dessen muss man sich bewusst
sein.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Außerdem brauchen wir eine Stärkung der Grund-

schulen. Sie müssen sich vor Augen führen, dass der
Wortschatz der Kinder in den Grundschulen auf
700 Wörter zurückgegangen ist. Wir müssen die Kinder
ab der ersten Klasse an die Prinzipien Anstrengung sowie
Leistung gewöhnen und wir müssen uns wieder auf die
Kulturtechniken Lesen, Schreiben und Rechnen besin-
nen. Diese Kulturtechniken zunächst einmal hintanzu-
stellen und der „Kuscheleckenpädagogik“ Priorität ein-

zuräumen war ein ideologisches Mittel der Sozialdemo-
kraten und der Grünen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Jörg Tauss [SPD]: Das ist doch Unfug!)


– Wahrheiten sind manchmal problematisch.
Ausländerkinder müssen selbstverständlich besser in-

tegriert werden. Auch auf diesem Gebiet sind Bayern und
Baden-Württemberg beispielhaft. Die deutsche Sprache
muss als Fremdsprache der ausländischen Kinder mehr
gefördert werden.


(Jörg Tauss [SPD]: Das ist in Baden-Württemberg gerade zurückgefahren worden! So holt einen alles ein!)


– Herr Tauss, in Schleswig-Holstein findet das nahezu
überhaupt nicht mehr statt. Sie sollten schon in die uni-
onsregierten Länder schauen.


(Klaus Barthel [Starnberg] [SPD]: Nach München ins Rot-Grüne!)


Wir brauchen aber nicht nur in diesen Fragen eine Ver-
änderung, sondern auch in der Lehrerbildung. Die
Lehrerbildung muss stärker darauf abzielen, Schwächen
der Kinder zu erkennen und dadurch die Schwächen der
Kinder zu beseitigen.

Wir brauchen aber keine flächendeckende Einführung
von Gesamtschulen.


(Jörg Tauss [SPD]: Meinen Sie Ganztagsschulen, oder was?)


Frau Bulmahn, eine komplette Verstaatlichung der Erzie-
hung ist nicht wünschenswert. Ganztagsschulen und
Ganztagsbetreuung sollen für Kinder mit problemati-
schem Familienhintergrund und für Kinder mit berufstäti-
gen Müttern angeboten werden.


(Jörg Tauss [SPD]: Für sozial Schwache Ganztagsschulen? Das ist doch eine Sauerei! – Klaus Barthel [Starnberg] [SPD]: Die ganzen verwöhnten Einzelkinder brauchen keine Ganztagsschule!)


Vor allem aber, Herr Tauss, brauchen wir ausreichenden
Unterricht in den Schulen. Man muss sich da doch fragen
lassen, warum in Schleswig-Holstein ein Kind während
der Grundschulzeit ein komplettes Jahr weniger Unter-
richt hat als in Bayern und warum die Hauptschüler in
Schleswig-Holstein statt 30 Unterrichtsstunden 25 pro
Woche haben. Diese Beispiele zeigen: Es geht den
Schülern und Schülerinnen in den Grund- und Haupt-
schulen in Bayern und Baden-Württemberg einfach bes-
ser als beispielsweise in Schleswig-Holstein.

Angesichts dieser Situation hilft es nicht weiter, wenn
der Kanzler und, in seinem Kielwasser, die Bundesbil-
dungsministerin Zuflucht zu einem überfallartigen Ent-
reißen der Länderkompetenzen nehmen.


(Zuruf von der SPD: Recht hat er!)

Da helfen nur mehr Qualität und mehr Unterricht, aber
kein nackter Opportunismus


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)





Angelika Volquartz
24680


(C)



(D)



(A)



(B)


und vor allen Dingen nicht eine Bundesregierung, die
nach dem Motto handelt: Hauptsache eine Reform; egal,
was dabei herauskommt. Das ist das Credo, das Sie seit
Jahrzehnten praktiziert haben. Wir brauchen weiterhin fö-
derale Strukturen. Bester Beleg dafür ist der erfolgreiche
föderale Weg in Kanada, das im internationalen Vergleich
in der Spitzengruppe liegt.

Wir brauchen auch die Erkenntnis, dass sich die Ein-
stellung der Gesellschaft insgesamt zur Bildung verän-
dern und sie an dieser Diskussion beteiligt werden muss.
Wir brauchen auch Eliten in unserer Nation; wir müssen
die Menschen begabungsgerecht fördern und fordern.


Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1424510900
Frau Kolle-
gin, kommen Sie bitte zum Schluss.


Angelika Volquartz (CDU):
Rede ID: ID1424511000
Freude und Leis-
tung widersprechen sich nicht, sondern bedingen ei-
nander.


(Jörg Tauss [SPD]: Wie man an uns sieht!)

Das ist unser Motto.

Danke.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1424511100
Für die
SPD-Fraktion spricht der Kollege Ernst Rossmann.


Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD):
Rede ID: ID1424511200
Sehr geehrter
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
stelle mir vor, Bildungsforscher aus Finnland, Bildungs-
praktiker aus Kanada würden diese Debatte mitverfolgen.
Sie würden sie inhaltlich nicht verstehen, sondern nur als
Ausdruck der Misere ansehen, die wir in Deutschland ha-
ben. Nachdem uns von PISA International der Spiegel
vorgehalten worden ist, suchen wir jetzt wieder die Zu-
flucht zu dem, was mit die Ursache gewesen ist, nämlich
zu kleinkariertem föderativem Streit und zu föderativer
Genügsamkeit, die wir in der Vergangenheit hatten.


(Beifall bei der SPD und der PDS sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


In dieser Debatte darf zwar das, was in einigen Ländern
positiv festgehalten wurde, nicht weggewischt werden, es
muss aber auch daran erinnert werden, was der eigentli-
che Bezugspunkt ist. Der Bezugspunkt für Bildungsrefor-
men in Deutschland darf nicht PISA Deutschland sein,
sondern muss PISA International bleiben.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das sollten wir hier als Erstes festhalten. Ein nationaler Be-
zugspunkt ist auch deshalb wichtig, weil er das Ganze und
nicht nur Teile mit in den Blick nimmt. Ich will nicht nach-
karten, aber wir hatten eine Chance: Das war der nationale
Bildungsgipfel 1992. Es ist eigentlich bedauerlich, dass das
Zeichen, das damals gesetzt wurde, versandet ist. Vor die-
sem Hintergrund bleibt nur die Chance, mit einem nationa-
len Aufbruch überall wieder die Kräfte zu mobilisieren. Wir

können uns darüber freuen, dass das vorbereitet wurde,
jetzt muss das aber auch entsprechend geschehen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ein zweiter Punkt: Es ist auch wichtig, sich jetzt nicht

nur auf die Schulpolitik zu beziehen, so wichtig das mo-
mentan erscheinen mag. Auch bei dem damaligen Bil-
dungsgipfel und in den Vorbereitungen des Forums Bil-
dung werden ja von der frühkindlichen Pädagogik, die
bisher aus der schulischen Perspektive ausgeblendet war,
bis hin zur Weiterbildung alle Bereiche angesprochen. An
dieser Stelle möchte ich noch einmal dafür werben, auch
bei Ihnen, Frau Schavan, dass Linien durchgehalten wer-
den. Sie haben ja im Zusammenhang mit Schulbildung
und Weiterbildung, aber auch Bildung generell einen
Sachverständigenrat Bildung in die Diskussion einge-
bracht, analog zum Sachverständigenrat Wirtschaft und
zum Sachverständigenrat für Umweltfragen. Darin liegt
nämlich eine Chance, sich national nicht nur für Teile,
sondern für das Ganze den Spiegel vorzuhalten. Ich habe
fast die Sorge, dass wir eigentlich jetzt schon einen inter-
nationalen Vergleich in Bezug auf frühkindliche und be-
rufliche Bildung sowie Hochschul- und Weiterbildung
brauchen. Deshalb werben wir dafür, dieses Instrument
im Konsens zu schaffen.

Ein dritter Punkt: Brauchen wir Wettbewerb oder Ver-
gleich, wenn es darum geht, etwas weiterzuentwickeln?
Ich plädiere dafür, dass wir uns im Vergleich und nicht im
Wettbewerb neu orientieren.


(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Ja, den wollen Sie nicht!)


– Ich erläutere es Ihnen gern an zwei Beispielen.
Man kann jetzt dafür plädieren, dass Schulen mehr Ge-

staltungsfreiheit bekommen sollen. Diese Gestaltungsfrei-
heit müssen sie aber im Hinblick auf die verschiedenen
Voraussetzungen bekommen, unter denen sie arbeiten.


(Beifall bei der SPD)

Wenn am Ende nämlich herauskommt, dass sich die
Grund- und Hauptschule oder die Realschule in Ham-
burg-St. Pauli in den Ergebnissen mit einer Schule in
Hamburg-Blankenese vergleichen muss, dann braucht sie
gar nicht erst anzutreten. Sie kann aber bei einem Ver-
gleich der didaktisch-methodischen Zugänge oder der Or-
ganisation des Umfeldes antreten. Im Bereich der Schul-
abschlüsse und des Outputs kann sie sich nicht messen.
Deswegen ist die Wettbewerbslatte zu einseitig. Gerade
wenn man für institutionelle Gestaltungsfreiheit ist, ist der
Vergleich, das Voneinander-Lernen, wie man sich in einer
Bildungseinrichtung entwickelt, der entscheidende Be-
zugspunkt.


(Beifall bei der SPD)

Dasselbe gilt unseres Erachtens im Hinblick auf die

Bundesländer: Ist dort das Leitmotiv der Zukunft die Ko-
operation oder die Konkurrenz? Wir sind dafür, es als ko-
operatives Verhältnis anzulegen, wobei der Bund in die
Kooperation einzubinden ist. Nur mit einer Kooperation
mobilisiert man alle Kräfte.


(Beifall bei der SPD)





Angelika Volquartz

24681


(C)



(D)



(A)



(B)


Dies ist die Nagelprobe, die auch die Öffentlichkeit
beobachten wird: Bekommen Bund und Länder zusam-
men den Ausbau der Ganztagsschulen hin? Man muss
auch einmal festhalten, was unstreitig ist. Uns ist dies
deshalb so wichtig, weil es sich hier um ein freiwilliges
Angebot handelt, das die Länder jetzt zusammen mit
dem Bund ausgestalten können, und zwar möglichst
qualitativ hochwertig, zielgerichtet und auf mehrere
Nutzen ausgerichtet. Weshalb schaffen wir es zum Bei-
spiel noch nicht, im Bereich der Grundschulen die Ele-
mentarförderung, die Basisförderung und die stärkere
Integrationswirkung auch in Bezug auf zugewanderte
Kinder und Jugendliche sowie auf Menschen aus sozial
entfernteren Bildungsschichten zu vereinigen und dies
in das Zentrum einer gemeinsamen Initiative von Bund
und Ländern zu rücken? Hierzu müssen wir wirklich ei-
nen Plan entwickeln.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der PDS)


Dies würde eine andere Qualität in die Schule hineinbrin-
gen, in der dann andere Kompetenzen – auch durch das
Umfeld – aktiviert werden könnten.

Unsere Hoffnung ist, dass Bund und Länder in einem
kooperativen Verhältnis ein Projekt der nationalen
Bildungsanstrengung entwickeln. Dazu sollten wir das
aufnehmen, was Johannes Rau zum Abschluss des Fo-
rums Bildung gesagt hat: Es geht jetzt um wirkliche
Veränderung, um neues Gestalten, nicht aber um klein-
kariertes Vergleichen von Ergebnissen, hinsichtlich de-
ren wir uns ohnehin mit besseren Vorbildern messen
müssen.

Danke schön.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1424511300
Ich erteile
dem Kollegen Thomas Rachel für die CDU/CSU-Frak-
tion das Wort.


Thomas Rachel (CDU):
Rede ID: ID1424511400
Sehr geehrter Herr
Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Zunächst bringe ich meine Freude zum
Ausdruck, dass mit Frau Schavan und Frau Hohlmeier
zwei Kultusministerinnen der Union hier heute anwesend
sind. Zugleich frage ich, wo eigentlich die SPD-Kultus-
minister sind.


(Beifall bei der CDU/CSU – Klaus Barthel [Starnberg] [SPD]: Ihr könnt es ja allein nicht!)


Offensichtlich wussten die SPD-Kultusminister, warum
sie nicht gekommen sind.

Frau Bundesbildungsministerin Bulmahn hat öffent-
lich gefordert – das war eine knallige Aussage –, dass im
Wahlkampf nicht über Bildung gesprochen und debattiert
werden soll.


(Jörg Tauss [SPD]: Falsch, falsch! Falsch zitiert!)


Es ist schon ein besonderes Amtsverständnis, wenn eine
Bildungsministerin das Thema Bildung in der öffentli-
chen Debatte zum Tabu erheben will.


(Jörg Tauss [SPD]: Falsch! Blödsinn!)

Das Gegenteil ist notwendig: Die Ergebnisse der PISA-E-
Studie sind, so sehr sie Sie auch schmerzen, Anlass für
grundlegende Weichenstellungen in der Schulpolitik.


(Jörg Tauss [SPD]: Ich habe Ihnen doch gerade erzählt, Herr Rachel, wie das aussieht! Sie haben nicht zugehört!)


Die nationale PISA-Studie ist eine Bankrotterklärung
für die Schulpolitik der Sozialdemokraten in Deutsch-
land.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Dort, wo die Union lange regiert, sind die Schulen beson-
ders gut. Dort, wo die Sozialdemokraten lange regieren,
sind die Schulen leider besonders schlecht.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Klaus Barthel [Starnberg] [SPD]: So wie in Schweden!)


Insofern ist es eine besondere Kühnheit, dass gerade die
sozialdemokratische Bundesbildungsministerin Bulmahn
anderen – auch denen, die besser abgeschnitten haben –
ihre nationale Bildungspolitik verordnen will.

Es sind Generationen von sozialdemokratischen Bil-
dungsministern gewesen – ich nenne von Oertzen aus
Niedersachsen, ich nenne Girgensohn aus Nordrhein-
Westfalen und Friedeburg aus Hessen –,


(Jörg Tauss [SPD]: Gute Leute!)

die sich über Jahrzehnte an der Zukunft unserer Kinder
versündigt haben.


(Beifall bei der CDU/CSU – Jörg Tauss [SPD]: Unverschämtheit!)


Deshalb, Herr Tauss, ist es jetzt auf sozialdemokratischer
Seite nicht an der Zeit,


(Jörg Tauss [SPD]: Das ist eine Unverschämtheit)


die flotte Lippe zu riskieren; vielmehr sind Demut, Be-
scheidenheit und Bereitschaft zur Umkehr angesagt.


(Beifall bei der CDU/CSU – Jörg Tauss [SPD]: Nur zu, Herr Rachel! – Beifall des Abg. Jörg Tauss [SPD])


Natürlich müssen die Schulen in allen Bundesländern
besser werden. Aber zur Wahrheit gehört auch: Wenn das
Niveau Süddeutschlands an allen Schulen der Bundesrepu-
blik für die Bildung maßgeblich wäre, zählte Deutschland
zum ersten Drittel der OECD. Wenn das Niveau der SPD-
regierten Bundesländer Standard der Schulen in Deutsch-
land wäre, lägen wir im letzten Viertel. Mit dieser Realität
haben wir es zu tun.

Deshalb, Frau Bulmahn, ist Ihre Forderung nach Ein-
heitlichkeit in den Schulverhältnissen keine Lösung.
Nein, sie bedeutete eine Verschärfung des Problems, denn
die Schüler und Eltern aus den anderen Bundesländern




Dr. Ernst Dieter Rossmann
24682


(C)



(D)



(A)



(B)


wollen keinen solchen nationalen Bildungsstandard, denn
dies wäre für ganz Deutschland der Abstieg in die Verlie-
rergruppe, die aus Bremen, Nordrhein-Westfalen und an-
deren SPD-dominierten Bundesländern besteht.


(Beifall bei der CDU/CSU)

In allen drei Kompetenzbereichen erreichen jeweils ein

oder zwei Bundesländer Leistungswerte oberhalb des
OECD-Durchschnitts; dies sind Bayern und Baden-Würt-
temberg.


(Jörg Tauss [SPD]: Schleswig-Holstein, Sachsen, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz!)


Auch für diese beiden Länder gilt, dass der Abstand zur
internationalen Spitze eine Herausforderung bleibt.

Die Schüler in meinem eigenen Bundesland, dem SPD-
regierten Nordrhein-Westfalen, liegen in allen Kompetenz-
bereichen unterhalb des OECD-Durchschnitts und unter-
halb des Bundesdurchschnitts. Ein Viertel aller 15-jährigen
Schüler werden in Bezug auf die Lesekompetenz als zur Ri-
sikogruppe gehörend eingestuft; in Bezug auf Mathematik
sind es 28 Prozent und in Bezug auf die naturwissenschaft-
liche Grundbildung 30 Prozent. Diese Jugendlichen wer-
den später größte Probleme haben, ihr Berufsleben zu meis-
tern. In Nordrhein-Westfalen sind rund 35 Prozent der
Jugendlichen mit Migrationshintergrund dieser Risiko-
gruppe zuzuordnen. Damit ist bei mehr als einem Drittel
der Jugendlichen die berufliche Karriere durch mangelnde
Lesefähigkeit gefährdet. Das ist das reale Ergebnis der an-
geblich so sozialen und ausländerfreundlichen Politik der
SPD im größten Bundesland Deutschlands.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Jörg Tauss [SPD]: Können Sie mal sachlich werden?)


Ganz anders ist es in Bayern, gegen dessen Politik Sie
ständig Vorurteile pflegen.


(Jörg Tauss [SPD]: Unheimlich viel Zuwanderer!)


95 Prozent der Schüler aus Zuwandererfamilien erreichen
in Bayern ein Niveau, das deutlich über dem deutscher
Schüler in Bremen und in Nordrhein-Westfalen liegt. Mit
diesen Tatsachen sollten Sie sich auseinander setzen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Klaus Barthel [Starnberg] [SPD]: Die meisten Zuwanderer bei uns sind Akademiker!)


Die soziale Selektion ist bei der angeblich sozialen
SPD-Bildungspolitik höher als bei den Unionsländern. In
keinem Bundesland ist der Leistungsabstand zwischen
den schwächsten und den besten Schülern größer als in
Nordrhein-Westfalen, wo Herr Clement regiert. Die aus-
geprägte Leistungsstreuung zeugt von einer geringen
Breitenförderung. Der Zusammenhang von sozialer Her-
kunft und Lesekompetenz ist in NRW deutlich enger als
in anderen Bundesländern.


(Jörg Tauss [SPD]: Sie sind wirklich provinziell, Herr Rachel!)


Nordrhein-Westfalen ist Schlusslicht bei der Entkopplung
von sozialer Herkunft und Kompetenzerwerb. Dieses Bil-
dungssystem ist unfair und ungerecht.

Deshalb brauchen wir eine bessere Bildungspolitik.
Die Kinder sind in allen Bundesländern in gleichem Maße
begabt. Aber einigen von ihnen wird durch eine falsche
Schulpolitik die Chance vorenthalten, weil sie nicht so ge-
fordert und gefördert werden, wie es notwendig wäre.


(Klaus Barthel [Starnberg] [SPD]: Darum haben wir in Bayern die niedrigste Abiturientenquote!)


Deshalb sage ich abschließend: Wir brauchen eine Kul-
tur der Leistung. Wir brauchen Bildungsstandards, die
zwischen den Ländern vergleichbar sind. Wir brauchen
zentrale Abschlussprüfungen. Wir brauchen eine empiri-
sche Schul- und Bildungsforschung an den Hochschulen
sowie Sprach- und Leseförderung bereits in einem frühen
Stadium. Wir benötigen eine Novellierung der Lehreraus-
bildung; da könnten wir aus den Erfahrungen der Finnen
lernen.

Wenn wir diese Reformen im fairen Miteinander der
Bundesländer und nicht von oben herab anpacken, dann
hat die PISA-Studie den notwendigen Durchbruch
in Gang gebracht. Die künftigen Schüler werden es uns
danken.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP– Jörg Tauss [SPD]: Das war aber schwach, Herr Rachel! Ich bin enttäuscht!)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1424511500
Für die
SPD-Fraktion spricht der Kollege Michael Müller.


Michael Müller (SPD):
Rede ID: ID1424511600
Meine Damen
und Herren! Am Beginn der Regierungserklärung von
1969 stand das Thema Bildungspolitik. Wir hatten dann
Anfang der 70er-Jahre eine gute Phase von Bildungs-
reformen. Ich erwähne das deshalb, weil die Konsequenz
von PISAnicht sein darf, dass sich die Diskussion, die wir
in den 70er-Jahren hatten, heute wiederholt. Dann hätten
wir die Lektion nämlich nicht gelernt.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich will deutlich sagen: Es darf nicht sein, dass die ei-

nen in ihrer ideologischen Verfestigung am alten wilhel-
minischen Gymnasium als größtem Ziel jedes Lernens
festhalten


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Dr. Gerhard Friedrich [Erlangen] [CDU/CSU]: Na, na! Das sind erfolgreiche Gymnasien!)


– na, na, Sie haben mit die größte Auslese in diesem Sys-
tem; das müssen Sie schon zugeben – und auf der anderen
Seite Bildungsreformen stecken bleiben.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Dr. Gerhard Friedrich [Erlangen] [CDU/CSU]: Sie haben die höchste Quote an Studienabbrechern!)


Wir brauchen qualitative Maßstäbe: erstens das päda-
gogische Konzept, zweitens die schulischen Leistungen,
und zwar auch unter dem Gerechtigkeitsgesichtspunkt
der Chancengleichheit, und drittens die Öffnung für die




Thomas Rachel

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(C)



(D)



(A)



(B)


zukünftigen Aufgaben, also für die Herausforderungen
unserer Wissensgesellschaft. Das müssen die zentralen
Maßstäbe sein, an denen der Erfolg gemessen wird, nicht
ein kleinkarierter Streit.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich erinnere mich noch sehr genau, mit welcher Ver-
klemmtheit damals die ganze Bildungsdiskussion abge-
laufen ist.


(V o r s i t z : Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer)


Deshalb sollten wir uns hier auf ein Konzept besinnen.
Die entscheidende Frage dafür lautet: Wie machen wir un-
ser Land fit für die Aufgaben der Zukunft? Die Bildungs-
ministerin hat Recht: Der Maßstab hierfür ist unser inter-
nationales Abschneiden.


(Beifall des Abg. Jörg Tauss [SPD])

Daran müssen wir unsere Reformen orientieren.


(Jörg Tauss [SPD]: Das können die Provinzpolitiker aber nicht!)


In dieser Herausforderung liegen drei zentrale Punkte.
Erstens. Es gibt in der Bundesrepublik deutlicher als in je-
dem anderen Land einen Zusammenhang zwischen der
Zugehörigkeit zu einer sozialen Schicht und Bildungs-
chancen. Die Selektion sowohl nach unten wie nach oben,
die wir in unserem Land haben, ist nicht vertretbar. Hinzu
kommt, dass sie je nach Schulsystem im Laufe der Schul-
karriere sogar kumuliert. Das weist die Studie sehr exakt
nach. Das darf nicht sein.


(Beifall bei der SPD und der PDS)

Zweitens. Bildung kann nicht nur Verschulung heißen.

Es muss auch Förderung von Kreativität, Verantwortung,
Vielfalt, musischen Begabungen, Reflexivität gegenüber
Zusammenhängen, vernetztem Denken und vielem ande-
ren heißen. Bildung muss modern sein. Modern heißt
eben nicht nur Lernen um des Lernens willen – so wich-
tig das ist –, sondern bedeutet, dass Bildung vor allem zu
einem selbstständig denkenden und sich selbstständig
fortentwickelnden Menschen befähigen muss. Das ist ein
ganz entscheidender Punkt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


Drittens. Wir müssen dies vor allem im internationalen
Zusammenhang sehen. Unser deutsches Schulsystem
hinkt im Vergleich zu vielen anderen Ländern der inter-
nationalen und auch der europäischen Entwicklung hin-
terher. Das ist kein gutes Zeichen.


(Dr. Gerhard Friedrich [Erlangen] [CDU/ CSU]: Aber die Nordrhein-Westfalen hinken noch mehr hinterher!)


– Jetzt fängt er schon wieder so an. Mein Gott, das ist ja
furchtbar!


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Es ist wirklich furchtbar, wie kleinkariert bisweilen in
diesem Haus diskutiert wird. Welches Elternpaar soll

dafür Verständnis haben? Ich kann das nicht nachvoll-
ziehen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Sie müssen doch sehen, dass das ein Schuss vor den Bug
war, der uns alle trifft. Deshalb müssen wir gemeinsam
nach vorne schauen. Es muss eine gemeinsame Kraft-
anstrengung geben, sonst schaffen wir es nicht. Herr
Friedrich, ich weiß doch, dass Sie ein ganz vernünftiger
Kerl sind. Machen Sie doch mit!


(Beifall des Abg. Jörg Tauss [SPD])

Fördern und fordern, das ist das, was wir tun müssen.
Das Schlimmste, was in der PISA-Studie deutlich ge-

worden ist, sind die Mechanismen sozialer Selektion, so-
wohl von den Schulformen her als auch beispielsweise
zwischen Jungen und Mädchen oder zwischen Deutschen
und Ausländern. Das ist ein Riesenproblem. Wir müssen
wissen: Motivation, Leistungsbereitschaft, auch Über-
nahme von Verantwortung für die Gesellschaft ergeben
sich nur aus dem Zusammenhang zwischen Chancen, För-
dern, Fordern und Motivation.

Deshalb sagen wir an dieser Stelle: Wir bitten alle
bei dieser Gemeinschaftsanstrengung mitzumachen. Wir
möchten auch, dass die Lehrer wieder eine höhere Wert-
schätzung in unserer Gesellschaft genießen; denn wir
brauchen sie bei dieser Gemeinschaftsaufgabe. Das ist
ganz wichtig.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Albert Deß [CDU/CSU]: Das müssen Sie auch dem Bundeskanzler sagen!)


– Das sage ich allen. Ich kenne die Biersprüche von vielen
und ich kenne auch viele der Kollegen aus den anderen
Fraktionen und deren schreckliche Vorurteile. Nein, es geht
darum, dass wir alle motivieren, bei dieser Gemeinschafts-
anstrengung mitzumachen, und das können wir auch.

Johannes Rau hat in seiner Rede zur Bildungsreform
deutlich beschrieben, dass die Schulen Häuser des Ler-
nens werden müssen. Ich möchte zum Schluss deshalb
folgende Bemerkung machen. Es ist völlig richtig, dass
Bildung nicht alleine von den Finanzen abhängig ist. Aber
es ist auch richtig, dass entsprechende Finanzmittel zur
Verfügung gestellt werden müssen.


(Beifall bei der SPD)

Wir müssen Prioritäten setzen. Das gilt für alle, für Bund,
Länder und Gemeinden. Wenn wir wollen, dass unser
größtes Kapital, die Bildung, gepflegt wird, dann müssen
entsprechende Prioritäten dafür gesetzt werden. Wir müs-
sen dafür eintreten, dass die Bildung mehr Geld bekommt,
um ihre Aufgaben zu erfüllen.

Vielen Dank, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1424511700
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Ilse Aigner.




Michael Müller (Düsseldorf)

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(C)



(D)



(A)



(B)



Ilse Aigner (CSU):
Rede ID: ID1424511800
Sehr geehrte Frau Präsiden-
tin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich habe der
Debatte sehr aufmerksam zugehört und mir die ganze Zeit
überlegt, wie die Debatte ausgefallen wäre, wenn die Er-
gebnisse im nationalen Bereich zwischen den einzelnen
Bundesländern anders ausgefallen wären.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ich könnte mir vorstellen, dass Sie kübelweise Hohn und
Spott über die unionsregierten Länder ausgekippt hätten,
wenn wir nicht an der Spitze, sondern am Ende gestanden
hätten.


(Beifall bei der CDU/CSU – Jörg Tauss [SPD]: So kleinkariert sind wir nicht! Das ist der Unterschied!)


– Ich muss Sie enttäuschen. Es ist nicht so, dass wir uns
selbstgefällig auf die Schulter klopfen und sagen, es ist al-
les in Ordnung. Wir sind uns selbstverständlich bewusst,
dass sich noch vieles tun muss und dass ausnahmslos alle
Länder zulegen müssen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wir werden uns nicht auf den Lorbeeren ausruhen und

sagen, dass uns die Platzierung im oberen Drittel aus-
reicht. Es ist selbstverständlich, dass wir an die Spitze
kommen wollen. Wir wollen nicht nur an der Oberfläche
schwimmen, sondern wir wollen in der Spitzengruppe
mitschwimmen.

Mir ist bei dieser Debatte aufgefallen, dass Sie krampf-
haft versuchen, die Ergebnisse schlecht zu reden. Das
halte ich für mehr als peinlich. Ich lasse mir die guten Er-
gebnisse – auch im Interesse der Schülerinnen und
Schüler, der Lehrkräfte in Bayern, Baden-Württemberg
und anderen Ländern – nicht schlecht reden.


(Beifall bei der CDU/CSU – Jörg Tauss [SPD]: Auch in anderen Ländern!)


Es hat, Herr Müller, etwas mit Wertschätzung der
Lehrkräfte zu tun, dass man die Leistungen, die erbracht
wurden, würdigt. Ich finde, sie haben einiges geleistet. Ich
möchte in diesem Zusammenhang auf zwei Länder ver-
weisen, nämlich auf Sachsen und Thüringen, die es nach
1990 mit Sicherheit nicht einfach gehabt haben, die Um-
stellung zu schaffen. Die Lehrkräfte dort haben sich emi-
nent angestrengt. Beide Länder haben sich an den Model-
len orientiert, die erfolgreicher waren, nämlich an den
Modellen von Baden-Württemberg und Bayern, und sind
– wenn Sie sich die Tabelle genau ansehen, werden Sie
das feststellen – an den westdeutschen Ländern vorbei-
gezogen. Das ist eine große Leistung dieser Länder ge-
wesen.

Eines verstehe ich allerdings nicht: Sie sagen völlig
richtig, wir müssen uns international vergleichen. Warum
sollen wir uns dann nicht auch national vergleichen?


(Jörg Tauss [SPD]: Doch, sollten wir!)

Warum ist das eine anständig und das andere nicht? Das
verstehe ich überhaupt nicht.

Ich weiß auch nicht, Frau Ministerin, ob Sie das Leis-
tungsniveau nach unten oder nach oben nivellieren wol-

len. Wo ist oben? Wenn Sie es nach oben nivellieren wol-
len, würde ich sagen: Das ist wunderbar. Schauen Sie auf
die Länder, die es geschafft haben. Dann können Sie sich
dementsprechend nach oben orientieren.

Ich komme jetzt zu der sozialen Auslese bzw. zu den
Kompetenzen der einzelnen Länder. Leider ist der Bun-
deskanzler – verständlicherweise ist er in Toronto – nicht
da. Die Lesekompetenz ist eine der Grundkenntnisse der
Schülerinnen und Schüler. Wenn ich mir in der Liste die-
jenigen anschaue, die nur die unterste Kompetenzstufe er-
reichen oder diese nicht einmal erreichen, dann muss ich
Sie, Frau Ministerin, bzw. den Bundeskanzler direkt fra-
gen, warum Niedersachsen in der Liste, in der unsere Län-
der plus 23 ausgewählte Staaten enthalten sind, auf
Platz 33 steht. Hinter Niedersachsen sind nur Branden-
burg, Sachsen-Anhalt, Luxemburg, Bremen und Mexiko.
Ich frage Sie ganz ehrlich – es ist leider kein Ministerprä-
sident eines SPD-regierten Landes da –: Warum strengen
sich eigentlich die Minister und Ministerinnen aus den
SPD-regierten Ländern nicht an, wenigstens das auszu-
gleichen? Das ist soziale Auslese, wenn die Schülerinnen
und Schüler nicht einmal vernünftig Lesen und Schreiben
lernen können. Niedersachsen ist das Land, das Sie, Frau
Ministerin, repräsentieren. Sie sind Vorsitzende der SPD
Niedersachsen und hätten durchaus Einfluss. Hier könn-
ten Sie einiges unternehmen.


(Dr. Gerhard Friedrich [Erlangen] [CDU/CSU]: Aber scheinbar einflusslos! – Jörg Tauss [SPD]: Bei der Lesekompetenz ist Niedersachsen auf Platz 3! Hören Sie doch auf!)


– Ich kann Ihnen die Liste zeigen, Herr Tauss.

(Jörg Tauss [SPD]: Ich habe sie auch! – Dr. Reinhard Loske [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Selektives Lesen nennt man so etwas!)


– Herr Loske, ich zeige es Ihnen nachher gerne. Ich sprach
von der untersten Kompetenzstufe.

Ich möchte noch kurz auf die Abiturquote eingehen. Es
wird immer darauf abgehoben, dass Bayern die geringste
Abiturquote hat. Dabei wird aber verkannt, dass es gerade
in Bayern ein sehr ausgeklügeltes System von weiter-
führenden Schulen, Fachoberschulen, Berufsoberschulen
und Fachakademien gibt. Es gibt auch sehr viele, die die
berufliche Weiterbildung durchlaufen. Zum Vergleich: In
Bayern machen 30 Prozent mehr ihren Meister als in
Nordrhein-Westfalen. Bei uns ist man nicht erst dann
Mensch, wenn man Abitur hat. Frau Ministerin, ich finde
es sehr bitter, dass Sie in Interviews immer nur im Zu-
sammenhang von Abiturienten von Fachkräften sprechen.
Ich meine, dass all diejenigen, die die berufliche Bildung
durchlaufen, ebenfalls Fachkräfte sind.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Zum Schluss kann ich nur noch sagen: Die Kinder in

SPD-regierten Ländern sind nicht schlechter und dümmer
als in anderen Bundesländern. Sie werden nur falsch re-
giert. Diese Gerechtigkeitslücke zu schließen ist eine der
wichtigsten Aufgaben. Wir müssen uns gemeinsam an-
strengen, wieder in die Weltspitze vorzustoßen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)







(C)



(D)



(A)



(B)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1424511900
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Klaus Barthel.


Klaus Barthel (SPD):
Rede ID: ID1424512000
Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren! Es gibt zwei Möglichkeiten
– das ist schon angeklungen –, mit dem Impuls der PISA-
Studie umzugehen: Entweder wir nehmen die Chance end-
lich wahr, die Ergebnisse und die freigesetzte Energie jen-
seits von Wahlkampf und Parteitaktik, aber auch jenseits
von selektiver Wahrnehmung, die es bei manchen gibt, in
die richtigen Reformen umzusetzen, oder wir begeben uns
wieder dorthin, wo wir nach der großen Bildungsreform
und Bildungsexpansion der 60er- und 70er-Jahre gelandet
sind und wo wir uns bis vor kurzem befunden haben, näm-
lich in der strikt nach Ländern sortierten Erstarrung, die
mit zur jetzigen Situation geführt hat.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Das ist übrigens genau die Situation, die uns die Union

heute als Rezept anbieten will, nämlich ein von zukunfts-
orientierten, wirtschafts- und gesellschaftspolitischen
Überlegungen ungestörter föderaler Wettbewerb nach
dem Motto „Jeder für sich und alle gegen alle“, Hauptsa-
che, die Zuständigkeit bleibt unberührt.

Es ist symptomatisch für die Politik der Union und ih-
res Kandidaten, die Politik von gestern als Lösung anzu-
bieten, obwohl sie gescheitert ist. In Richtung FDP muss
ich sagen, dass der Wettbewerb nicht dadurch besser wird,
indem man ihn privatisiert, anstatt ihn auf Länderebene
auszutragen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wohin uns dieses Politikmodell geführt hat, können wir
ganz klar sehen: in das untere Drittel der Industriestaaten.
Dieser Tatsache müssen wir uns alle stellen, auch wir in
Bayern.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wir bestreiten nicht, sondern wir begrüßen es, dass ein-

zelne Bundesländer bessere Ergebnisse erzielen, aus de-
nen wir das Richtige und Sinnvolle herausfiltern können.
Der Maßstab für die ganze Republik kann aber nicht das
obere Mittelmaß Bayerns oder Schleswig-Holsteins an
der einen oder an der anderen Stelle sein. Maßstab für uns
müssen die weltweit Besten sein. Maßstab sind außerdem
die Ziele, die Leitideen und die Zukunft unserer Gesell-
schaft.

Es hilft nicht weiter, die Scheinalternativen aufzuwär-
men, wie es die Union tut. Ich nenne beispielsweise die
Scheinalternative Leistung durch Auslese einerseits und
hohe Bildungsbeteiligung, Integration und Förderung
andererseits. Die PISA-Studie hat doch belegt, dass die
führenden Staaten beides schaffen: hohes Leistungsni-
veau und hohe Beteiligung auch an akademischen Ab-
schlüssen.


(Beifall bei der SPD)

Deutschland insgesamt und Bayern im Besonderen,

Frau Hohlmeier, leisten sich den Luxus, die Begabungs-
und Leistungsreserven brachliegen zu lassen. Es gibt
außerdem einen unterdurchschnittlichen Anteil an Hoch-

schulzugangsberechtigten und Hochschulabsolventinnen
und Hochschulabsolventen. Im Faktenbericht der Bun-
desregierung ist nachzulesen: Trotz des Anstiegs der Stu-
dienanfänger auf 32 Prozent liegt Deutschland im inter-
nationalen Vergleich weit hinter dem Möglichen. Die
USA haben inzwischen einen Anteil von 44 Prozent an
Studienanfängerinnen und Studienanfängern; in Finnland
sind es 58 Prozent. Wenn dieser Trend weitergehen
würde, würden bei uns in der Bundesrepublik bis zum
Jahr 2010 über eine Viertel Million Akademikerinnen und
Akademiker fehlen.

Länder mit einem hohen Anteil abiturähnlicher Ab-
schlüsse – in Finnland, Japan und Korea beträgt er über
50 Prozent; in der Bundesrepublik nur 33 Prozent – er-
kaufen sich diese breite Bildungsbeteiligung gerade nicht
mit einem niedrigen Leistungsniveau. Sind denn die
Bayerinnen und Bayern, weil sie weniger Hochschulab-
schlüsse erzielen, wirklich dümmer als die Menschen in
Schweden und in anderen Ländern?


(Lachen bei der CDU/CSU)

Ich zitiere den Kanzlerkandidaten. Er sagt, dass sich
zukünftig jedes Kind entsprechend seinen Fähigkeiten
und Neigungen entwickeln kann. Warum ist dann in Bay-
ern die Absolventenquote bei höheren Abschlüssen nied-
riger? Sind denn die Menschen in Bayern dümmer als an-
derswo?


(Lachen bei der CDU/CSU)

Ausgerechnet die Zuwanderungsverweigerer der Na-

tion – damit kommen wir jetzt zur bayerischen Politik –
machen es zum Dauerzustand, dass jährlich allein
4 400 Hochschulabsolventinnen und Hochschulabsolven-
ten nach Bayern geholt werden müssen,


(Dr. Gerhard Friedrich [Erlangen] [CDU/ CSU]: Die wollen kommen!)


weil die bayerischen Universitäten und das Schulsystem
davor diese Absolventinnen und Absolventen nicht her-
vorbringen. Diese Zuwanderung ist nötig, weil in Bayern
entsprechende Leistungen nicht erbracht werden. Bayern
bräuchte eine zusätzliche Hochschule von der Größe der
Ludwig-Maximilians-Universität in München, die eine
der größten Hochschulen in der Republik ist, um seinen
Akademikerbedarf zu decken.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Dr. Gerhard Friedrich [Erlangen] [CDU/CSU]: Sollen wir das ernst nehmen?)


Das sind die Tatsachen, ganz zu schweigen von den
fehlenden Kapazitäten im schulischen Bereich. Wenn das
– übrigens ohne Zutun von Herrn Stoiber – „reiche“ Bay-
ern den gleichen Anteil seines Haushaltes für Bildung
ausgeben würde wie das „arme“ Sachsen-Anhalt, müsste
Bayern doppelt so viel Geld für die Schule auf den Tisch
legen.


(Susanne Kastner [SPD]: Das stimmt, Frau Hohlmeier!)


Da zeigt sich die Peinlichkeit Ihrer Auslesepolitik, die
Sie mit Leistungsansprüchen begründen. Wenn die Staats-
regierung sagt, die Hamburger und die nordrhein-westfä-






(C)



(D)



(A)



(B)


lischen Schülerinnen und Schüler hätten es beim Abitur
zu leicht – das heißt, sie sind den Bayern zu schlecht – und
sie würden es in Bayern nicht schaffen, weil sie die dort
erforderliche Leistung nicht erbringen könnten, dann
frage ich mich, Frau Hohlmeier: Wenn Ihnen diese Ab-
solventinnen und Absolventen nicht gut genug sind,
warum sind sie dann gut genug für Siemens, BMW, den
öffentlichen Dienst in Bayern, das DLR und andere?


(Dr. Gerhard Friedrich [Erlangen] [CDU/ CSU]: Die scheitern doch im Studium!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1424512100
Herr Kollege,
denken Sie bitte daran, dass Sie eine Redezeit von nur
fünf Minuten haben.


Klaus Barthel (SPD):
Rede ID: ID1424512200
Ich bin fertig.

(Lachen bei der CDU/CSU und der FDP)


Der Vorsitzende des Städtetages, Josef Deimer, der
nicht unserer Partei angehört, sagte:

Kellerkinder bleiben Kellerkinder, auch wenn sie auf
der obersten Stufe der Kellertreppe stehen.

Das sollte für uns Anreiz und Motivation sein, die Dis-
kussion anders zu führen, als Sie das tun.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Albert Deß [CDU/CSU]: Ab in den Keller!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1424512300
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Axel Fischer.


(Jörg Tauss [SPD]: Jetzt kommen die 68erKenntnisse!)


Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land) (CDU/CSU): Frau
Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine
sehr geehrten Damen und Herren! Kaum waren die Er-
gebnisse der PISA-Studie vor etwas mehr als einem hal-
ben Jahr bekannt, pilgerten Karawanen von SPD-Bil-
dungspolitikern in das gelobte Bildungsland Finnland, um
von dort zu lernen, wie man es besser macht.


(Zuruf von der SPD: Ist ja nicht verkehrt!)

Nun haben wir einen internen Vergleich für Deutschland
und stellen fest: Sie hätten gar nicht so weit reisen müs-
sen. Sie hätten nach Bayern gehen können. Dort hätten Sie
sehen können, was man im restlichen Deutschland besser
machen könnte.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Denn Bayern spielt zwar nicht auf den ersten Plätzen, aber
immerhin in der ersten Liga.


(Jörg Tauss [SPD]: Unter Wasser!)

Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen spielen in der
dritten Liga.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wenn man sich den Ländervergleich genauer anschaut,

stellt man einige interessante Dinge fest. Im Rahmen der

deutschen Einheit wurden von den alten Ländern Paten-
schaften für die neuen Länder übernommen. Die Ergeb-
nisse, die in den Ländern im Bildungsbereich erzielt wur-
den, korrelieren: Nordrhein-Westfalen und Brandenburg
sowie Niedersachsen und Sachsen-Anhalt erzielten
schlechte Ergebnisse; Bayern und Sachsen erzielten gute
Ergebnisse. Daran sehen Sie, dass die Bildungspolitik in
den neuen Ländern damit etwas zu tun hat, wer welche
Patenschaften übernommen hat.


(Klaus Barthel [Starnberg] [SPD]: Was sagt denn Frau Schavan dazu?)


Die schlechten Ergebnisse liegen an Ihrer Ideologie, an
Ihrer Gleichmacherei, die Sie zugrunde legen.


(Jörg Tauss [SPD]: Ah ja, jetzt kommen die 68er!)


Ich zeige Ihnen das an einem konkreten Beispiel: Wenn
Sie im Bereich des Hochsprungs erreichen wollen, dass
die Elite zwei Meter überspringt, dann gibt es nach dem
Training bestimmte Personen, die das schaffen und die
dann zur entsprechenden Elite gehören. Andere schaffen
es nicht, üben aber, möglichst hoch zu springen.


(Jörg Tauss [SPD]: Wie hoch kommen Sie?)

Sie machen es umgekehrt. Sie sagen, 50 Prozent müs-

sen zu unserer Elite gehören, und hängen die Latte Stück
für Stück so weit hinunter, bis 50 Prozent darüber sprin-
gen können. Das ist der falsche Weg.


(Beifall bei der CDU/CSU – Peter Dreßen [SPD]: Das machen Sie doch in Bayern!)


Das Ergebnis, das dadurch zustande kommt, sehen Sie
auch, wenn Sie genauer hinsehen. Es wurde vorhin schon
angesprochen: Der Ausländer in Bayern hat eine bessere
Sprachkompetenz als der Deutsche in Bremen oder Nord-
rhein-Westfalen. Das müsste Ihnen eigentlich die Augen
öffnen.


(Dr. Ruth Fuchs [PDS]: Aber die Skispringer in den Interviews müssten auch einmal Deutsch lernen!)


Ich möchte an dieser Stelle einen herzlichen Dank an
alle Eltern aussprechen, die sich die Zeit nehmen, mit
ihren Kindern zu lernen. Häufig merkt man, dass gerade
dann entsprechende Leistungen erzielt werden können,
wenn sich Eltern Zeit nehmen, sich um ihre Kinder zu
kümmern, ihnen vorzulesen.

Ihnen, Herr Barthel, werfe ich noch etwas vor – Sie ha-
ben es angesprochen –: Hören Sie endlich auf, so zu tun,
als seien nur studierte Leute und Leute mit Abitur wichtige
und gebildete Leute! Auch Handwerker und Arbeiter kön-
nen gebildet sein. Es kann nicht unser Ziel sein, ständig zu
erzählen, alle sollten das Abitur machen und studieren.
Das wäre der falsche Weg.


(Klaus Barthel [Starnberg] [SPD]: Warum wird denn Auslese betrieben? Sie sind doch gegen die Durchlässigkeit im Bildungssystem!)


Nun hat der Kanzler das Thema Bildungspolitik ent-
deckt. In der heutigen Ausgabe der „Zeit“ zieht er sei-
ne Konsequenzen aus der PISA-Studie. Er spricht von




Klaus Barthel (Starnberg)


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bundeseinheitlichen Bildungsstandards, von Bundeskom-
petenz, die gestärkt werden müsse.


(Klaus Barthel [Starnberg] [SPD]: Genau!)

Als Vater von zwei Kindern sage ich Ihnen ganz egois-
tisch: Nein, das möchte ich nicht haben. Ich bin sehr froh,
dass meine Kinder in Baden-Württemberg zur Schule ge-
hen, wo Frau Schavan Bildungsministerin ist,


(Susanne Kastner [SPD]: Haben Sie Ihren Kindern vorgelesen?)


und ich möchte nicht, dass meine Kinder von Bundespo-
litikern, von linker, von SPD-geführter Seite in der Schule
die entsprechende Ideologie beigebracht bekommen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Lachen bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS – Susanne Kastner [SPD]: Das ist aber sehr peinlich!)


Es hat ja, meine Damen und Herren, schon fast den An-
schein, als wolle der Bundeskanzler die Bildungspolitik
zur Chefsache machen. Ich sage dazu: Nur das nicht!
Chefsache Arbeitsmarkt – Schröder ist gescheitert. Chef-
sache Aufbau Ost – Schröder ist gescheitert. Herr
Schröder, Sie haben als Ministerpräsident in Niedersach-
sen keine vernünftige Bildungspolitik zustande gebracht.
Lassen Sie bitte jetzt als Kanzler auf Bundesebene die
Finger davon!


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Wolfgang Weiermann [SPD]: Bleiben Sie beim Hochsprung! – Maritta Böttcher [PDS]: Das war peinlich!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1424512400
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Marieluise Beck.


(Dr. Gerhard Friedrich [Erlangen] [CDU/ CSU]: Jetzt sind Sie uns etwas schuldig, da Sie aus Bremen kommen!)


Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolle-
ginnen und Kollegen! Wir haben in den deutschen Schu-
len bei 10 Millionen Schulkindern inzwischen 1 Million
Kinder mit Migrationshintergrund, – ich werde Ihnen
gleich erklären, weshalb ich diesen Zungenbrecher be-
nutze –, deren Elternhäuser eher nicht deutschsprachig
sind, sondern in denen andere Muttersprachen gesprochen
werden. Das ist eine ganz große Herausforderung für ein
Schulsystem.

Wenn Sie in die Schulen gehen, stellen Sie fest, dass die
Schulen schon lange über das Bescheid wissen, worüber
wir im politischen Raum lange gestritten haben, ob wir
nämlich ein Einwanderungsland sind oder nicht. Den Leh-
rern und den Eltern in den Schulen ist seit langem bekannt,
dass Deutschland ein Einwanderungsland ist. Es ist in der
Tat so, dass es da sehr viele Herausforderungen, sehr viele
Schwierigkeiten und sehr viele Konflikte gibt. Ich glaube,
es gibt inzwischen fast eine Enttäuschung unter Lehrern,
unter Kindergärtnern, auch unter Eltern darüber, dass sich
das Problem des Spracherlernens nicht einfach von selbst

erledigt hat, obwohl die Einwanderung im Wesentlichen
jetzt schon die zweite und dritte Generation umfasst und
wir es kaum noch mit Kindern zu tun haben, die neu zu-
wandern, sondern eher mit Kindern, die schon hier gebo-
ren sind, der Statistik nach allerdings ausländisch sind.

Das aber weist uns auf ein Defizit hin, das unsere In-
stitutionen pädagogisch und auch von den Curricula her
offensichtlich nicht ausreichend abgebaut haben, nämlich
Deutsch als Zweitsprache. Diese Aufgabe, die für ein
Zehntel unserer Kinder gilt, durchzieht den gesamten Bil-
dungsweg vom Kindergarten, über insbesondere die
Grundschulen bis hinein in unsere Berufsschulen.

Wir müssen auch im eigenen Interesse diesen Weg ver-
folgen, wenn wir uns klar machen, dass es im Jahre 2050
nicht mehr 82 Millionen Bewohner dieses Landes geben
wird, sondern nur noch 57Millionen. Das macht uns nicht
nur klar, dass wir eine älter werdende Gesellschaft sind,
sondern dass wir auch immer weniger Kinder haben wer-
den. Daher wird es immer notwendiger, das Potenzial je-
des einzelnen Kindes so optimal und so weit zu fördern,
wie es geht. Deshalb müssen wir den Blick auf die Mi-
grantenkinder werfen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie des Abg. Thomas Rachel [CDU/CSU])


Deutsch als Zweitsprache ist die zentrale Aufgabe. Da
führen oberflächliche Vergleiche – ich bekomme Pro-
bleme, wenn Sie nur eine Seite aus der dicken Studie he-
rausreißen und sie präsentieren –


(Dr. Gerhard Friedrich [Erlangen] [CDU/ CSU]: Das ist eine wichtige Seite!)


nicht weiter. Da muss man sehr viel tiefer gehen. In
Schleswig-Holstein zum Beispiel leben 14 Prozent Mi-
grantenkinder, in Bremen 40 Prozent. Das führt zu gänz-
lich unterschiedlichen Bedingungen,


(Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Sehr richtig!)


wobei die Kategorie Ausländer gar nicht mehr weiterhilft;
denn die Spätaussiedlerkinder haben zwar den deutschen
Pass, sprechen aber oft nur russisch und die hier gebore-
nen türkischen Kinder kommen oft mit der Muttersprache
Türkisch in die Schule. Die Kategorie Ausländer spiegelt
gar nicht mehr wider, womit wir es in den Schulen real zu
tun haben.

Klar ist: Es geht darum, Deutsch als Zweitsprache zu
fördern. Dazu müssen wir viel stärker als bisher den Blick
auf die frühkindliche Förderung lenken.


(Dr. Gerhard Friedrich [Erlangen] [CDU/CSU]: Bei der dritten Generation sollte es die erste Sprache sein!)


Das, was wir uns zum Teil im Gegensatz zu anderen Län-
dern an intellektueller Unterernährung in unseren Kinder-
gärten leisten, passt nicht mehr zu einer modernen Erzie-
hung.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir schulen im sechsten, oft erst im siebten Lebensjahr
ein. Das ist sehr spät; denn in vielen anderen Ländern wird




Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land)

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(B)


die frühkindliche Förderung bereits ab dem dritten oder
vierten Lebensjahr begonnen. Auch wir sollten das tun.
Schließlich sind die Kinder wissbegierig und wenn wir sie
unterfordern, tun wir ihnen keinen Gefallen.

Das bedeutet, auch die Erzieherinnen müssen eine an-
dere Ausbildung erhalten, auch für sie muss das frühkind-
liche Erziehungsziel „Deutsch als Zweitsprache“ eine
wichtige Aufgabe im Spiel werden. Deswegen ist es sinn-
voll, Sprachstandserhebungen zu machen. So kann recht-
zeitig gefördert werden. Denn nur von der Einschulung
eines Kindes, das nicht über ausreichende Sprachkennt-
nisse verfügt, abzusehen, ist nur eine reine Abgrenzungs-
strategie, die uns nicht voranbringt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Die Grundschule wird in unserem Bildungswesen
stiefmütterlich behandelt. Das sehen wir allein schon an
den Ressourcen, die dafür vorgesehen sind. Dort aber geht
es um die Grundlagen. Man baut ein Haus schließlich von
unten und nicht von oben auf. Wir brauchen die Förderung
der Sprachkompetenz in allen Fächern, nicht nur in
Deutsch. Dazu gehört auch, dass wir in Schulen mit einem
hohem Anteil von Kindern, die einen anderen religiösen
und kulturellen Hintergrund haben, die nötige Wertschät-
zung dafür aufbringen.

Lernen geht nicht nur über die Ratio, sondern auch über
die Seele. Wenn die Kinder das Gefühl haben, dass das,
was sie an Traditionen – Feste, religiöse Feiertage und ihre
Muttersprache – mitbringen, etwas wert ist, werden sie
sich schneller und leichter mit unserem Land und der Spra-
che unseres Landes identifizieren können. Es liegt an uns,
ein Angebot zur Identifikation und Förderung zu machen.
Wir brauchen den Kopf und den Geist jedes einzelnen Mi-
granten, jedes einzelnen Kindes in diesem Land.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie des Abg. Thomas Rachel [CDU/CSU])



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1424512500
Das Wort hat
jetzt die Frau Staatsministerin für Unterricht und Kultus
des Freistaats Bayern.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1424512600
Frau
Präsidentin! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich
darf zunächst einmal meine kurze Redezeit nutzen, um
die Dinge geradezurücken, die geradegerückt werden
müssen.

Als Erstes möchte ich gerne wissen, Frau Bundesmi-
nisterin, ob Sie wie der Bundeskanzler die Bundeskom-
petenz anstreben oder nicht. Das wüsste ich gern genau,
denn dann könnte man dazu Stellung nehmen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dr. Gerhard Friedrich [Erlangen] [CDU/CSU]: Das wissen die selber nicht!)


Ich halte beide Linien für falsch; denn ich glaube, wir
wären schon in den vergangenen 20 Jahren wesentlich
weiter gekommen, wenn die SPD-regierten Länder auch

die Qualitätskriterien erfüllt hätten, die in den unions-
regierten Ländern angelegt wurden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Jörg Tauss [SPD]: Oje!)


Zweitens. Sie haben gesagt, unsere Kinder dürften
nicht vom Wohnort abhängig sein. Das ist in der Tat wahr.
Aber es sind doch nicht München oder Stuttgart oder
Dresden, wo sie die größten Probleme haben, sondern
Bremen steht auf dem Platz kurz vor Mexiko, und der
Stadtstaat ist doch wohl lange genug von Ihnen regiert
worden. Das heißt, die Anschuldigungen laufen in die völ-
lig falsche Richtung. Ich halte es für notwendig, einmal
darüber nachzudenken, dass Kinder aus Bremen, aus Nie-
dersachsen, aus Nordrhein-Westfalen, aus Sachsen-An-
halt und aus Brandenburg eigentlich dieselbe Begabung
haben wie Kinder in den Ländern Bayern und Baden-
Württemberg oder Sachsen und dass sie denselben An-
spruch auf Förderung haben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Herr Tauss hat dann die Worte von Annette Schavan

streitig gestellt, dass die SPD Qualitätsstandards über
Jahre hinweg abgelehnt habe. Es ist richtig, was Annette
Schavan sagt. Ich erinnere mich noch gut daran, dass
Hamburg, als wir in der Kultusministerkonferenz darum
gekämpft haben, ein fünftes Abiturfach einführen zu dür-
fen, damit gedroht hat, das bayerische und das baden-
württembergische Abitur nicht mehr anzuerkennen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf von der SPD: Das hat doch nichts mit Qualität zu tun!)


Das sind die Tatsachen, die sich in der Kultusminister-
konferenz ereignet haben. Hinzu kommt, dass die Union
dann für Eisenach die Qualitätsstandards vorgelegt hat
und die SPD schließlich nach langjährigen Diskussionen
zugestimmt hat, endlich länderübergreifende Qualitäts-
standards zu akzeptieren, die die Union über Jahre hinweg
verlangt hat.


(Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf von der SPD: Mehr Fächer bedeuten doch nicht mehr Qualität!)


Ich darf Ihnen auch etwas über die Begeisterung der
Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, Parteivor-
stand, Arbeitsgemeinschaft für Bildung in der SPD, vor-
lesen. Das dürfte ja nicht eine Untergruppierung bei Ihnen
sein. Daran wird deutlich, was Sie von PISA und einem
länderübergreifenden Schulformvergleich gehalten ha-
ben. Dort heißt es:

Diese Stichprobe ermöglicht also keinen Länder-,
sondern nur einen länderübergreifenden Schulform-
vergleich. Hier scheinen sich Wünsche der CDU-
Länder durchgesetzt zu haben, die offenbar beweisen
wollen, dass ihre Schulformen „besser“ sind. ... Es ist
ohne Test vorherzusagen, dass Länder mit selektiven
Schulsystemen, die den Strukturreformen der letzten
30 Jahre widerstanden haben, bessere Schülerleis-
tungen in allen Schulformen haben werden.


(Zuruf von der CDU/CSU: Aha!)

So das Zitat aus einem Brief Ihres Parteivorstandes!


(Jörg Tauss [SPD]: Das ist doch Selektion!)





Marieluise Beck (Bremen)


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(C)



(D)



(A)



(B)


Wenn man zentrale bundeseinheitliche Standards ha-
ben möchte und plötzlich vonseiten der SPD Bun-
deskompetenz für sich beansprucht, dann ist das nur ein
Vertuschen dessen, was an Standards in den SPD-regier-
ten Ländern gegolten hat.

Jetzt gebe ich Ihnen auch mal schöne Beispiele,

(Jörg Tauss [SPD]: Ja, fangen Sie mal an!)


damit man weiß, wovon man redet, und zwar ganz kon-
kret.

„Struwwelpeter“ oder „Faust“? Überlegungen zum
Literaturunterricht in der gymnasialen Oberstufe für
Kollegschüler in Nordrhein-Westfalen.

In Nordrhein-Westfalen wurde für immerhin 19-jährige
Abiturienten vorgeschlagen, man möge als Literatur den
„Struwwelpeter“ wählen.


(Jörg Tauss [SPD]: Primitiv!)

Dort ist zu lesen, dass sich Kinderbuchtexte für den Un-
terricht besonders gut eigneten, vielleicht besser als wis-
senschaftliche und literarische Texte. Ich zitiere: „Kinder-
buchtexte sind relativ kurz und bieten wegen ihrer
einfachen Struktur kaum Verständnisschwierigkeiten.“


(Heiterkeit bei der CDU/CSU und der FDP)

Weiter ist dort zu lesen: „Das hat den Vorteil, dass der
Schüler bei der Arbeit nicht die Übersicht verliert und
nicht alle seine Kräfte dafür einsetzen muss, den Wortlaut
überhaupt einigermaßen zu begreifen.“


(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Außerdem – so steht hier – „ermuntern Kinderbuchtexte
wie keine anderen Texte zur Umarbeitung und zu Gegen-
entwürfen.“ Die Rezensentin weist dann natürlich auch
darauf hin, dass Generationen von Gymnasiasten aufbe-
gehrt haben – –


(Jörg Tauss [SPD]: Können Sie mal was Eigenes vortragen, Frau Hohlmeier? Das ist ja alles hohl! – Weiterer Zuruf von der SPD: Warum lesen Sie denn alles vor? – Gegenruf von der CDU/CSU: Die werden nur nervös da drüben! – Jörg Tauss [SPD]: Nicht nervös, gelangweilt!)


– Ich weiß, dass Sie das stört, Herr Tauss, aber man muss
ja mal Fakten vorlesen. Vielleicht sind Sie mal ein biss-
chen still. Wenn Sie angesichts Ihrer Standards nervös
werden, verstehe ich das. Aber Demokratie heißt zuhören
können, wenn ein anderer redet.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Es steht dann auch noch darin, dass Gymnasiasten in
Nordrhein-Westfalen aufbegehrt hätten, weil der „Faust“
zu Tode geritten worden sei und die Behandlung doch et-
was länger dauere als beim „Struwwelpeter“.


(Heiterkeit bei der CDU/CSU und der FDP)

In den hessischen Rahmenrichtlinien – darum will

ich keine Bundesrichtlinien der SPD haben – steht so
schön zur Rechtschreibung, die normalerweise doch zu
den Grundlagen gehört: „Daraus folgt, dass die Über-

bewertung der Rechtschreibung in Schule und Öffent-
lichkeit korrigiert werden muss und dass die Schule die
Beherrschung der Rechtschreibung nicht zum Krite-
rium für Eignungsbeurteilungen und Versetzungen ma-
chen darf. Mangelnde Rechtschreibleistungen in der
Schule sind bei genügenden sprachlichen Kommunika-
tionsfähigkeiten kein Grund für die Benachteiligung ei-
nes Schülers.“

Sie haben Rahmenrichtlinien gemacht, die die Ursache
dafür waren, dass die Schüler in den von Ihnen langjährig
regierten Ländern so schlecht bei der PISA-Länderver-
gleichsstudie abgeschnitten haben. Auf solche Richtlinien
kann ich verzichten.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Nun komme ich zum nächsten Klischee: Ganztags-
schule. Frau Bundesministerin, ich stelle mir die Frage,
warum die in Bayern in der halbtägigen Hauptschule ge-
förderten Schülerinnen und Schüler besser abschneiden
als der Durchschnitt der ganztägig geförderten Gesamt-
schüler in Nordrhein-Westfalen.


(Zuruf der CDU/CSU: Wohl wahr!)

Diese Frage stelle ich mir schlicht und einfach.

Wenn Sie in Ihren Ländern Unterricht von schlechter
Qualität liefern, können Sie halbtags oder ganztags unter-
richten, die Schüler werden nicht besser gefördert. Was
wir hauptsächlich brauchen, ist, die Qualität des Unter-
richts zu steigern. Hierbei ist der Nachholbedarf in den
langjährig von Ihnen regierten Ländern fünfmal so hoch
wie bei uns.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Wir lehnen uns aber nicht selbstzufrieden zurück. Wir

arbeiten weiter. Die Qualitätsoffensiven in Sachsen, Bay-
ern und Baden-Württemberg sowie jetzt auch in Hessen
und Sachsen-Anhalt, die jetzt mit einer neuen Regierung
aufzuholen versuchen, sind fulminant. Ich bitte Sie, Herr
Tauss, erst einmal nachzulesen, bevor Sie versuchen, al-
lein durch Lautstärke zu überzeugen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Klaus W. Lippold [Offenbach] [CDU/ CSU]: Der hat Leseprobleme!)


Es gibt eine Fülle von Programmen, um die Qualität
zu verbessern. Aber eines will ich in dem Zusammen-
hang schon sehr deutlich zum Ausdruck bringen: Es gibt
gar keine ideologische Debatte um Ganztagsschulen.
Wir akzeptieren mit Blick auf die Vereinbarkeit von Fa-
milie und Beruf sowie die Förderung von Kindern und
Jugendlichen Ganztagsangebote wie die Ganztags-
schule.


(Dr. Reinhard Loske [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Akzeptieren ist aber ein bisschen wenig!)


Ich finde es aber nicht besonders innovativ, wenn vonsei-
ten der SPD in den 70-er Jahren ein nationaler Bildungs-
plan und Ganztagsschulen gefordert worden sind und jetzt
nach der PISA-Studie wiederum ein nationaler Bildungs-
plan und Ganztagsschulen gefordert werden. Mit Pauschal-




Staatsministerin Monika Hohlmeier (Bayern)

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(C)



(D)



(A)



(B)


rezepten kommen wir nicht weiter, sondern nur mit einer
präzisen Analyse von PISA sowie exakten Maßnahmen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP– Jörg Tauss [SPD]: Das war aber ein präzise Analyse, die Sie gegeben haben!)


– Ja, für Sie, Herr Tauss, und Ihre Nachbarn mache ich mit
der präzisen Analyse gleich weiter: Migrantenkinder.
Herr Loske, hinsichtlich dieses Punktes leiden Sie unter
einer gewissen Wahrnehmungsstörung.


(Dr. Reinhard Loske [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ist das wahr?)


Die Migrantenkinder in Bayern oder auch in Baden-Würt-
temberg stehen auf einem durchschnittlichen OECD-Ni-
veau und damit wesentlich höher als die Kinder in
langjährig von SPD und Grünen regierten Ländern. Inte-
gration funktioniert in diesen Ländern also dreimal so gut
wie bei Ihnen. Wir nehmen auch Migrantenkinder ernst
und wollen sie fördern, weil sie ansonsten nicht am Bil-
dungswesen teilhaben können.


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Reinhard Loske [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: 4 Prozent Abiturientenanteil!)


Es waren doch Ihre Parteien, die ununterbrochen ge-
sagt haben: Zwangsgermanisierung. Wenn man aber Kin-
dern kein Deutsch vermittelt, können sie in Deutschland
am Bildungswesen auch nicht teilnehmen. Dann haben sie
keine Chance.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Nun zur Abiturientenquote: Sie machen sich regelrecht

lächerlich. Bayern hat eine Abiturientenquote nicht von
20 Prozent, sondern von 30 Prozent. Die Bundesministe-
rin weigert sich aber, diejenigen wahrzunehmen, die über
die berufliche Bildung das Abitur erlangen und über die
Fachoberschulen und Berufsoberschulen weitergebildet
werden, und sie als Abiturienten anzuerkennen. Das halte
ich für eine Beleidigung dieser jungen Menschen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf von der SPD: Sie beleidigen sie!)


Des Weiteren bilden der Freistaat Bayern und auch Ba-
den-Württemberg 50 Prozent mehr Meisterinnen und
Meister im Handwerk aus. Wir bilden wesentlich mehr
aus! Das bedeutet in der Konsequenz, dass wir junge
Menschen nach ihren Begabungen fördern. Wenn bei uns
über 50 Prozent der jungen Menschen entsprechend mehr
gebildet und gefördert werden und dann einen höheren
Abschluss haben, dann nenne ich dies wirkliche Bildung.

In dem Zusammenhang wünsche ich mir, dass wir
wirklich einmal sachlich debattieren und keine Pseudo-
diskussionen führen, um letztendlich zu verschleiern, wie
schlecht Sie Bildungspolitik betrieben haben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Jörg Tauss [SPD]: Das war zu viel „Struwwelpeter“!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1424512700
Das Wort hat
jetzt der Herr Staatssekretär Wolf-Michael Catenhusen.

W
Wolf-Michael Catenhusen (SPD):
Rede ID: ID1424512800
Frau
Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Hohlmeier,
Sie haben ein Musterbeispiel für Reden geliefert, die viel-
leicht im Bayerischen Landtag und bei Ihren Parteifreun-
den große Heiterkeit erregen, aber etwa beim Bundesel-
ternrat Unwillen auslösen und bei den betroffenen
Familien, vor allem bei denjenigen, die auf Mobilität an-
gewiesen sind, und bei Firmen, die bundesweit vertreten
sind, Ratlosigkeit hervorrufen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Eines steht doch fest: Das deutsche Bildungssystem
steht insgesamt auf dem Prüfstand. Wir alle müssen uns im
europäischen Bildungsraum und darüber hinaus dem ver-
gleichenden Wettbewerb stellen. Spätestens hinter den
deutschen Grenzen ist die Frage des Vergleichs zwischen
Hessen und Rheinland-Pfalz nicht mehr so spannend. Wir
stehen im internationalen Vergleich. Deshalb stehen – das
ist das Neue gegenüber der Bildungsdiskussion der 70er-
und 80er-Jahre – länderübergreifende Schwerpunkte und
Schritte zur Bildungsreform an, im schulischen Bereich
wie in der vorschulischen Erziehung, aber auch in anderen
Bereichen, bei denen der Bund eine Mitkompetenz hat.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wir sind in dieser Legislaturperiode von einer Phase

des Nichtverhältnisses zwischen Bund und Ländern in
der Bildungspolitik weggekommen. Das Scheitern des
großen Bildungsgipfels von Helmut Kohl – viel heißer
Wind, aber nichts passiert – ist noch in Erinnerung. Bil-
dungsminister Rüttgers hat außer einigen schlauen Zei-
tungsaufsätzen nichts zustande gebracht.


(Jörg Tauss [SPD]: So schlau waren sie nicht!)

Wir haben 1999 die Länder zu einem Forum Bildung

eingeladen, in dem ohne das Pochen auf verfassungs-
rechtliche Zuständigkeit gemeinsame Zielsetzungen in ei-
ner länderübergreifenden Bildungsreform erarbeitet wor-
den sind.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)


Eine der zentralen Aussagen war: Das deutsche Bildungs-
system hat seinen Hauptmangel darin, dass wir nicht in
der Lage sind, zu einer frühzeitigen Ermittlung der indi-
viduellen Begabung und zu einer angemessenen Förde-
rung der unterschiedlichen Begabungen unserer Kinder
vor allem in den ersten zehn Lebensjahren zu kommen.
Hier haben wir ein Strukturdefizit, von dem sich kein
Bundesland im internationalen Vergleich frei machen
kann.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Maritta Böttcher [PDS])


Wenn es um die Rolle des Bundes geht, kann ich dazu
sagen: Wir haben in diesen Jahren begonnen, notwendige
Entwicklungen zu fördern. Wir haben das Berufsschul-
programm aufgelegt, um die IT-Ausstattung zu fördern.
Das haben die Länder dankbar aufgenommen. Wir haben
jetzt das Angebot zur Förderung der Ganztagsschulen mit




Staatsministerin Monika Hohlmeier (Bayern)


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einem 4-Milliarden-Euro-Programm gemacht. Der Bun-
deskanzler hat heute angekündigt, dass wir in der nächs-
ten Legislaturperiode ein spezielles Programm zur Unter-
stützung der Bemühungen der Länder im Bereich der
frühkindlichen Erziehung auflegen wollen.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Reinhard Loske [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Hier ist der Bund ohne verfassungsrechtliche Debatten
zur Förderung bereit. Aber eines muss klar sein: Auch der
Bund muss seine Rolle in seiner Formulierung bildungs-
politischer Zielvorstellungen und Forderungen wahrneh-
men: fördern und fordern. Deshalb geht es zum Beispiel
auch um eine nationale länderübergreifende Evaluations-
agentur. Wir haben die Akkreditierungsagentur für die
Hochschulen mit ins Leben gerufen, und zwar ohne
verfassungsrechtliche Zuständigkeiten. Wir haben sie mit
gefördert. Warum sollen wir nicht denselben Weg im Be-
reich einer bundesweiten Evaluationsagentur gemeinsam
gehen?


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Reinhard Loske [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Wenn es um die verfassungsrechtlichen Fragen geht,
dann kann man auch den Möchtegernkanzler, Herrn
Stoiber, der in den letzten Tagen von der letzten Chance
für die Kultusministerkonferenz gesprochen hat, fragen:
Was passiert denn, wenn die KMK diese letzte Chance
nicht nutzt? Diese Frage wirft auch Gerhard Schröder in
seinem Zeitungsartikel auf.

Ich ende mit einem letzten Satz. Frau Hohlmeier, Sie
hätten besser daran getan, uns zu erklären,


(Zuruf von der CDU/CSU: Warum Bayern besser ist!)


warum ein Bildungssystem mit einem Anteil von 43 Pro-
zent Hauptschulabschlüssen und 9 Prozent fehlenden Bil-
dungsabschlüssen ein zukunftsorientiertes Bildungssys-
tem darstellt.

Danke.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Maritta Böttcher [PDS] – Thomas Rachel [CDU/CSU]: Eine Diffamierung der Hauptschule!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1424512900
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Werner Lensing.


Werner Lensing (CDU):
Rede ID: ID1424513000
Frau Präsidentin!
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Die Einlassung
de
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1424513100
Obwohl Schuluntersuchun-
gen in den 60er- und 70er-Jahren für Deutschland bereits
ähnlich schlechte Ergebnisse wie TIMSS und PISA heute
ausgewiesen haben, wurden diese nicht zum Anlass ge-
nommen, die Leistungen von Schulen in den Blickpunkt
der weiteren Diskussionen, Bildungsplanungen und der

Professionalisierung zu nehmen. Nein, man entschied
sich stattdessen lieber dafür, an weiteren Tests gar nicht
teilzunehmen, schloss die kurzsichtigen Augen und frönte
seinen tradierten Bildungsvorstellungen. Das taten vor al-
lem diejenigen, die als Ideologen andere Ideologen der
Ideologie bezichtigten.


(Beifall bei der CDU/CSU – Wolfgang Weiermann [SPD]: Können Sie das einmal wiederholen?)


Ich stelle nicht nur fest, sondern klage auch an:
Während im europäischen Ausland intensive Entwick-
lungsprozesse eingeleitet wurden, stützten sich so man-
che Schulpolitiker in Deutschland in den letzten 30 Jah-
ren auf ideologische Überzeugungen und Annahmen,
die im Wesentlichen in Strukturfragen oder in der Dauer
der Schulzeit bis zum Abitur ihre jeweilige unter-
schiedliche Ausprägung erhielten. Inzwischen ist uns
bis auf wenige Ausnahmen bekannt, zu welch unter-
schiedlicher Ausprägung und zu welchen katastropha-
len Ergebnissen diese Strategie geführt hat. Deswegen
nutzt es nichts – so verständlich es auch sein mag, Herr
Michael Müller –, wenn Sie jetzt versuchen, die Einheit
zu beschwören.

Ein gemeinsames Handeln basiert auf einer soliden
Analyse, zu der wiederum eine sorgfältige Ursachenfor-
schung gehört. Als Mitbürger aus Nordrhein-Westfalen
möchte ich Folgendes anmerken: Dort und in anderen
SPD-regierten Bundesländern wurde die Schule vielfach
so dargestellt, als sei sie für unsere Kinder nur eine Be-
drohung. Ich möchte das anhand einiger trauriger Fakten
belegen:

Erstens. Der Begriff Leistung verfiel zu einem Pfui-
Wort.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Zweitens. Eliteförderung galt als ebenso verpönt wie

eine solide Hauptschulbildung.
Drittens. So problematisierte man lieber, statt zu ler-

nen.
Viertens. Das Bildungswesen wurde stattdessen bis tief

in die Hochschulen hinein weitestgehend kollektiviert.
Fünftens. Kant beispielsweise diente primär zur Kapi-

talismuskritik.

(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist auch wichtig!)

Sechstens. Die Erdkundestunde mutierte zum Dritte-

Welt-Laden.
Siebtens. Der Religionsunterricht verkümmerte viel zu

häufig zu alltagsethischen Betrachtungen und soziolo-
gischen Studien.

Achtens. Eine wachsende Bildungsbürokratie presste
den so genannten Bildungskanon in Rahmenrichtlinien,
die unter anderem in den Hauptschulen wegen der Uner-
reichbarkeit ihrer Unterrichtsziele nur als „Blaues Wun-
der“ firmierten.

Neuntens. Der Finanzminister diktierte mit seinem
Einsparprogramm in weiten Bereichen die Schulpolitik.




Parl. StaatssekretärWolf-Michael Catenhusen
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Zehntens. Die Klassen wurden größer und die Lehrer
immer älter, wobei zusätzlich deren Motivation durch den
heutigen Bundeskanzler bekanntlich dadurch ungemein
gefördert wurde, dass er diese nicht primär als mensch-
liche Wesen begriff, sondern als Verbrauchsware, nämlich
als „Säcke“, angereichert durch ein vernichtendes Bei-
wort, das mit dem Begriff Fleiß nichts mehr zu tun hatte.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Ernst Burgbacher [FDP])


So simpel kreiert man Vorbilder und einen Ansporn für die
lernende Jugend.

Damit die Nivellierung im allgemeinbildenden Schul-
wesen nicht so schamlos offenbar wurde, schuf man mit
reichlich ideologischem Eifer eine neue – sprich: vierte –
Schulform, in der ein jeder zunächst einmal ohne Ver-
setzung bis in die 9. Klasse aufsteigen kann. Das ist wirk-
lich klasse.


(Jörg Tauss [SPD]: Reden Sie über Finnland oder worüber reden Sie jetzt?)


Insofern frage ich: Ist es denn wirklich ein Wunder,
wenn mehrere Studien klar erbracht haben, dass Gesamt-
schüler gegenüber Gymnasiasten und Realschülern in
Englisch, Mathematik, Physik und Biologie Leistungs-
rückstände von mehr als zwei Schuljahren aufweisen?


(Jörg Tauss [SPD]: Wie in Finnland!)

Ist es nicht auch schlimm, dass gerade dort, wo die

Hauptschule sträflich vernachlässigt wurde, ein zentrales
Reservoir der Betriebe für die Rekrutierung von Fachar-
beitern weggebrochen ist? Deswegen stelle ich fest: Im
Gegensatz hierzu ist an den Ländern mit den besseren Er-
gebnissen, wie Bayern und Baden-Württemberg, die De-
batte um die Gesamtschule als Einheitsschule vorüberge-
gangen.


(Jörg Tauss [SPD]: Herr Oberstudiendirektor, was haben Sie eigentlich mit Ihren Schülern gemacht?)


Schließlich hat PISA ebenso eindeutig wie beein-
druckend bewiesen: Im deutschen Bildungskontext be-
günstigen erst leistungsstarke Haupt- und Realschulen ein
starkes Gymnasium. Deswegen betone ich im Hinblick
auf alle Fragen, über die wir uns verständigen wollen,
dass es wichtig ist, zu erkennen, dass Benachteiligtenför-
derung und Begabtenförderung zusammengehören, da
sich gezielte Förderung und Leistungsansprüche nicht
ausschließen, sondern wechselseitig bedingen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Ernst Burgbacher [FDP] – Jörg Tauss [SPD]: Das ist aber nicht Selektion!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1424513200
Herr Kollege
Lensing, auch Ihre Redezeit ist weit überschritten.


Werner Lensing (CDU):
Rede ID: ID1424513300
Das ist zwar ein Jam-
mer für das deutsche Volk, aber ich sehe es durchaus ein.


(Heiterkeit bei der CDU/CSU)

Gestatten Sie mir noch einen Satz: Allein aus diesem

Grunde ist die lebensferne Forderung nach nationalen

Antworten aller Art schon vom Ansatz her verfehlt, Frau
Bundesministerin Bulmahn, weil sie nicht umsetzbar ist.
Eine neue zusätzliche Bundeskompetenz bringt gar nichts.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1424513400
Das war schon
mehr als ein Satz. Ich muss Sie jetzt wirklich bitten auf-
zuhören.


Werner Lensing (CDU):
Rede ID: ID1424513500
Ich bin am Schluss.
Danke schön.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1424513600
Die Aktuelle
Stunde ist damit beendet.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 4 auf:
Erste Beratung des von den Abgeordneten Alfred
Hartenbach, Dr. Jürgen Meyer (Ulm), Erika Simm,
weiteren Abgeordneten und der Fraktion der SPD
sowie den Abgeordneten Volker Beck (Köln),
Hans-Christian Ströbele, Kerstin Müller (Köln),
Rezzo Schlauch und der Fraktion des BÜNDNIS-
SES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs ei-
nes Gesetzes zur Reform des Sanktionenrechts
– Drucksache 14/9358 –
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss (f)

Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. – Es gibt keinen Wi-
derspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst der
Abgeordnete Joachim Stünker.


Joachim Stünker (SPD):
Rede ID: ID1424513700
Frau Präsidentin! Meine
sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Nach der Bildungsdebatte jetzt zur Justiz! Die
PISA-Studie wurde eine Stunde diskutiert.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Länger!)


– Ja, länger. – Vielleicht sollten wir so etwas Ähnliches
wie die PISA-Studie auch einmal zum Zwecke des
Rechtsvergleichs innerhalb der EU und zur Qualität der
Rechtsprechung in der EU machen.


(Zuruf von der CDU/CSU: Und zur Qualität der Rechtspolitiker!)


Möglicherweise würden wir dabei wiederum einige Über-
raschungen erleben.


(Alfred Hartenbach [SPD]: Ja, das wäre sehr spannend, Herr Stünker!)


Heute Nachmittag, zum Ende der Legislaturperiode
hin, wollen wir noch einmal auf das geltende Sanktionen-
system im Strafrecht zurückkommen, das Geld- und Frei-
heitsstrafen als Hauptstrafen vorsieht. Diese Beschrän-
kung auf Geld- und Freiheitsstrafen als Hauptstrafen gibt




Werner Lensing

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den Gerichten zu wenig Gestaltungsmöglichkeiten im
Rechtsfolgenausspruch. Insbesondere im Bereich kleine-
rer und mittlerer Kriminalität kann mit diesen Sanktions-
mitteln zunehmend nicht mehr in geeigneter Weise mit
spezialpräventiver Zielrichtung auf Straftäter eingewirkt
werden. Wenn für ein bestimmtes Delikt eine Geldstrafe
ausgesprochen wird, dann wird diese einen Täter mit
weißem Kragen nicht sehr beeindrucken; dem Täter, der
wirtschaftlich sehr schlecht gestellt ist, droht dagegen
letztlich die Ersatzfreiheitsstrafe.

Seit Mitte der 80er-Jahre hat es daher wiederholt Ini-
tiativen zu einer Umgestaltung des strafrechtlichen Sank-
tionensystems gegeben. Bereits in der 10. Legislaturperi-
ode hatte der Rechtsausschuss die Bundesregierung in
einer Beschlussempfehlung aufgefordert, darüber zu be-
richten, ob der Katalog der staatlichen Sanktionen zu ver-
ändern ist. Die damalige Bundesregierung sah keinen
Handlungsbedarf.

Dennoch empfahl bereits der 59. Deutsche Juristentag
in Hannover im Jahr 1992 Ergänzungen und Modifikatio-
nen des geltenden Rechts. Schon seinerzeit wurden ver-
stärkte Anreize für Wiedergutmachung und Täter-Opfer-
Ausgleich gefordert und ebenso die Ausweitung des
Anwendungsbereichs der Verwarnung mit Strafvorbehalt
und auch die Erhebung des Fahrverbots zur Hauptstrafe.

In der 12. und der 13. Legislaturperiode gab es Ge-
setzentwürfe der SPD-Fraktion, die jeweils der Diskonti-
nuität unterfielen. Die damaligen Regierungskoalitionen
sahen keinen Handlungsbedarf.

Das BMJ hat noch in der letzten Legislaturperiode eine
Expertenkommission zu diesem Themenbereich einge-
setzt, die einen Bericht vorgelegt hat.


(Jörg van Essen [FDP]: Weil man Handlungsbedarf sah!)


– Aber eben sehr spät, Herr van Essen.

(Jörg van Essen [FDP]: Aber Sie haben behauptet, man habe keinen Handlungsbedarf gesehen! Man hat ihn gesehen!)


– Das bezog sich auf die 10. Wahlperiode. Ich habe ein
bisschen Historie gemacht. Wenn Sie richtig zugehört hät-
ten,


(Jörg van Essen [FDP]: Habe ich!)

hätten Sie das verstanden, Herr Kollege van Essen.


(Beifall des Abg. Alfred Hartenbach [SPD])

Wir haben nunmehr einen Entwurf vorgelegt, der die

ambulanten Sanktionsmöglichkeiten für Straftaten im Be-
reich der kleinen und mittleren Kriminalität erweitern und
dabei insbesondere der Vermeidung von kurzen Frei-
heits- und Ersatzfreiheitsstrafen dienen soll. Wir wol-
len damit unerwünschte Nebenwirkungen von Freiheits-
strafen vermeiden oder abschwächen und vor allem den
Strafvollzug entlasten. Darüber hinaus soll mit dem Ent-
wurf für eine bessere Berücksichtigung der Opferinteres-
sen im Rahmen des Geldstrafensystems gesorgt werden.

Es handelt sich hierbei im Einzelnen um vier Bereiche,
die ich kurz skizzieren möchte:

Erstens ist die Erweiterung des Anwendungsbereichs
der gemeinnützigen Arbeit zu nennen. Zukünftig soll die
gemeinnützige Arbeit die primäre Ersatzstrafe bei Un-
einbringlichkeit einer Geldstrafe sein. Hierdurch werden
kurze Freiheitsstrafen für wirtschaftlich schlecht gestellte
Personen respektive Täter vermieden.

Gegenwärtig verbüßen etwa 20 Prozent der Gefange-
nen in der Bundesrepublik Deutschland Freiheitsstrafen
von weniger als sechs Monaten. Ein Großteil hiervon sind
die genannten Ersatzfreiheitsstrafen. Ich denke, die in der
Justiz und im Strafvollzug Tätigen sind sich darin einig,
dass dieser Personenkreis letzten Endes nicht in den Voll-
zug gehört.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Sowohl von der Gewichtung des Deliktes als auch von der
Täterpersönlichkeit her sind das keine Knackis, wie man
im Jargon sagen würde.

Zweitens: Erweiterung des verkehrsstrafrechtlichen
Fahrverbots. Das Fahrverbot soll in seinem bisherigen
Anwendungsbereich zur Hauptstrafe heraufgestuft wer-
den. Die zeitliche Höchstdauer soll von jetzt drei Mona-
ten auf sechs Monate ausgedehnt werden. Außerdem soll
für so genannte Zusammenhangstaten, für Straftaten
durch Benutzung eines Pkws, das Fahrverbot in Zukunft
Regelsanktion sein. Wer bei der Vorbereitung oder Be-
gehung einer Straftat, welcher Art auch immer, ein
Kraftfahrzeug benutzt, muss zukünftig damit rechnen,
dass gegen ihn ein Fahrverbot verhängt werden kann.
Damit schließen wir eine Lücke, die in der Praxis über
die letzten 10, 15 oder 20 Jahre immer wieder beklagt
worden ist.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Das Dritte ist die Erweiterung der Verwarnung mit
Strafvorbehalt, § 59 a StGB. Diese Vorschrift scheint
insbesondere in süddeutschen Ländern weitgehend unbe-
kannt zu sein, wenn man die Statistiken betrachtet. Wir
schlagen vor, diese jetzige Kann-Vorschrift zu einer
Muss-Vorschrift umzugestalten. Das klingt vielleicht so,
als wäre es kein besonders großer Schritt, aber indem wir
daraus eine Muss-Vorschrift machen, nach der bei Vorlie-
gen der Regelbeispiele, die im Tatbestand stehen, geprüft
werden muss, ob Verwarnung mit Strafvorbehalt zu ver-
hängen ist, und nach der auch zu begründen ist, wenn man
einen anderen Weg geht, und weil das Urteil ja revisibel
ist, wird genau diese Änderung in der strafrichterlichen
Praxis große Bedeutung bekommen und zu einer großen
Veränderung führen.

Der vierte Bereich ist der Hauptansatzpunkt in dem
vorliegenden Reformpaket, nämlich Verbesserungen im
Bereich derGeldstrafe. Im Vordergrund und letztendlich
im Mittelpunkt des gesamten Gesetzentwurfes steht die
bessere Berücksichtigung von Opferinteressen. Bereits
seit mehr als 20 Jahren befürworten Kriminologen und
Strafrechtswissenschaftler mit wachsendem Nachdruck
eine Verbesserung der Stellung von Verbrechensopfern.
Mit dem vorliegenden Entwurf soll dieser Schritt nun
konsequent umgesetzt werden. Wir sind der Überzeu-




Joachim Stünker
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gung, dass Verbrechensopfer und ihre Interessen in den
Mittelpunkt der Rechtspolitik gehören.


(Beifall bei der SPD – Jörg van Essen [FDP]: Sehr richtig!)


Teil dieser stärken Berücksichtigung der Opferinteressen
ist die stärkere Förderung von Opferhilfeverbänden. Sie
sollen nach dem Vorschlag zukünftig ein Zehntel aller
Geldstrafen erhalten, die wegen der Schädigung anderer
Personen gezahlt werden müssen. Zudem ist in dem Ge-
setzentwurf eine Stärkung der direkten Schadenswieder-
gutmachung durch den Täter gegenüber dem Opfer vorge-
sehen. Zukünftig soll der Täter zunächst die verhängte
Geldstrafe nicht bezahlen müssen, wenn er aufgrund sei-
ner wirtschaftlichen Lage dem Opfer ansonsten keine Ent-
schädigung zahlen könnte. Auch dies ist, wie ich meine,
ein ganz wichtiger neuer Schritt und ein richtiger Ansatz.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Damit wird den Wiedergutmachungsansprüchen des Op-
fers bei der Vollstreckung von Geldstrafen der Vorrang
eingeräumt. Darüber hinaus soll das Gericht anordnen
können, dass die Vollstreckung der verhängten Geldstrafe
ganz oder zum Teil unterbleiben kann, wenn der Täter
durch Wiedergutmachungsmaßnahmen gegenüber dem
Opfer aktiv geworden ist und die nunmehrige Voll-
streckung für ihn wegen der erbrachten Leistungen ge-
genüber dem Opfer unter Berücksichtigung seiner per-
sönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse eine
besondere Härte darstellen würde. Hierdurch wird ver-
hindert, dass der Anspruch des Staates auf die Geldstrafe
in eine das Opfer benachteiligenden Konkurrenz zu des-
sen Anspruch auf Schadenersatz tritt.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, alle, die seit Jahr-
zehnten im Bereich des Strafrechts tätig sind – das gilt
aber auch traditionell im deutschen Strafrecht –, kennen
die Strafprozessordnung zu Recht als Magna Charta des
Beschuldigten, wonach der Beschuldigte mit der Un-
schuldsvermutung bis zu einer Verurteilung mit Rechten
ausgestattet ist, die in einem Rechtsstaat unumgänglich
sind. Das ist keine Frage.

Mithilfe der Vorschläge, die wir Ihnen heute vorlegen,
verändern wir einiges: Die Strafprozessordnung wird zu
einem Gesetz zum Schutz von Opfern von Straftaten. Das
ist eine notwendige Ergänzung, die rechtzeitig vorgenom-
men wird.

Lassen Sie mich zum Schluss kommen. Die Legisla-
turperiode geht zu Ende. Im Laufe dieser Legislaturperi-
ode hat sich gezeigt – ich habe das hier, im Plenum, schon
ein paarmal gesagt –, dass die Rechtspolitik über den klei-
nen Kreis der Interessierten, der Fachleute hinaus wieder
als gesamtgesellschaftliche Aufgabe wahrgenommen
wird. Die Rechtspolitik wird inzwischen nicht mehr nur in
Fachzeitschriften diskutiert.

Wir haben in diesen vier Jahren sehr viel bewegt. An
dieser Stelle möchte ich der Justizministerin ausdrücklich
den herzlichen Dank der Koalitionsfraktionen für ihr En-
gagement und den Mut, mit dem sie diesen Weg mit uns
gemeinsam gegangen ist, aussprechen.


(Beifall bei der SPD)


Wir haben vieles auf den Weg gebracht. Ich denke, dass
wir diese Politik werden fortsetzen können.

Der vorliegende Gesetzentwurf gehört zu dem großen
Aufgabengebiet „Modernisierung der Justiz“. Dieses
Aufgabenfeld ist noch lange nicht abschließend bearbei-
tet; allerdings sind wir schon ein gutes Stück auf diesem
Weg vorangekommen. Nach dem 22. September werden
wir diesen Weg in der Regierungsverantwortung konse-
quent weitergehen.

Schönen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1424513800
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Norbert Geis.


Norbert Geis (CSU):
Rede ID: ID1424513900
Frau Präsidentin! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Die Rechtspolitik ist
sicherlich von großer Bedeutung. Es erfolgen Weichen-
stellungen, die vielleicht erst in ferner Zukunft wirken.
Rechtspolitik ist nicht spektakulär und erfährt deshalb
kein großes Interesse. Das müssen wir einfach zur Kennt-
nis nehmen. Das stellen wir auch fest, wenn wir hier in die
Runde schauen.

Dennoch sind die Themen, die wir zu behandeln haben,
sehr wichtig. Sie betreffen die Öffentlichkeit, selbst dann,
wenn die Öffentlichkeit diese Themen nicht immer so
wahrnimmt, wie wir das gerne hätten und wie es der Sa-
che gerecht würde.

Das Sanktionensystem ist ganz gewiss ein solches
Thema. Darüber wurde lange diskutiert. Eine Kommis-
sionwurde eingesetzt, die zur Mitte der Legislaturperiode
einen Bericht vorgelegt hat. Es wurde ein Referentenent-
wurf erstellt, über den diskutiert wurde. Letztendlich
wurde er allerdings zu großen Teilen abgelehnt. Leider
liegt der eigentliche Gesetzentwurf erst jetzt vor. Er wird
der Diskontinuität verfallen, das heißt, dieser Gesetzent-
wurf kann keine Rechtswirksamkeit mehr erlangen. Wir
wissen, dass sich die Koalition nicht einig geworden ist.
Die Buschtrommel hat uns mitgeteilt,


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die ist nicht immer zuverlässig!)


dass die Grünen, vor allen Dingen Sie, Herr Ströbele,
blockiert haben. Deswegen liegt uns heute eigentlich
nicht mehr als ein Diskussionsentwurf vor. Wir können
darüber zwar diskutieren; wenn wir ihn aber verabschie-
den wollten, müssten wir das schon in der nächsten Wo-
che tun. Das würde der Sache nicht gerecht werden.

Die Grünen haben in den vergangenen vier Jahren ins-
gesamt ziemlich viel blockiert.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was haben wir?)


Es gab Ansätze, die wir als beachtenswert beurteilt haben.
Die Grünen haben aber versucht, möglichst viele ihrer
ideologischen Vorstellungen in der Rechtspolitik durch-
zusetzen. Sie haben viele Gesetzentwürfe schon im An-
satz blockiert und sich damit ganz gewiss als regierungs-
unfähig erwiesen.




Joachim Stünker

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(C)



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(A)



(B)


Lassen Sie mich zur Sache zurückkommen. Dieser Ge-
setzentwurf enthält immerhin nicht mehr die Punkte des
Referentenentwurfs, die wir am heftigsten attackiert ha-
ben. So wurde die Ausweitung des Halbstrafenerlasses
herausgenommen. Auch auf den Ersatz von Gefängnis-
strafen bis zu sechs Monaten durch gemeinnützige Arbeit,
das so genannte Schwitzen statt Sitzen, wurde verzichtet.
Andere Überlegungen wurden in den Referentenentwurf
gar nicht erst aufgenommen: das „polizeiliche Strafgeld“
oder die Ausdehnung der Bewährung von zwei auf drei
Jahre Gefängnisstrafe.

All diese Überlegungen sind in diesem Entwurf jetzt
nicht mehr vorhanden. Da hat sich offenbar die öffentli-
che Debatte gelohnt. Es hat sich aber auch der Widerstand
von unserer Seite gelohnt. Insoweit als hier Vernunft ein-
gekehrt ist, können wir unsererseits einen Erfolg ver-
zeichnen.

Aber auch das, was jetzt noch vorliegt, kann unsere Zu-
stimmung zunächst einmal nicht finden. Es ist ja, wie ge-
sagt, ein Diskussionsentwurf. Deshalb brauchen wir uns
keine Gedanken darüber machen, wie wir darüber eines
Tages abstimmen. Wir werden darüber nicht mehr ab-
stimmen.


(Alfred Hartenbach [SPD]: Wir schon!)

Die Vorschläge jedenfalls, die jetzt gemacht werden,

finden nicht unsere Zustimmung. Das gilt ganz gewiss für
die Ableistung gemeinnütziger Arbeit anstelle einer Er-
satzfreiheitsstrafe. Im Augenblick haben wir die Rege-
lung, dass der, der keine Geldstrafe bezahlt, mit einer Er-
satzfreiheitsstrafe rechnen muss. Das geht insbesondere
auf das 1. Strafrechtsreformgesetz vom 25. Juni 1969, da-
mals noch unter dem Justizminister Heinemann, zurück,
mit dem man den Versuch gemacht hat, die vielen kürze-
ren Freiheitsstrafen, die damals aufgrund der zahlreichen
Verkehrsstraftaten überhand genommen hatten, durch
Geldstrafen zu ersetzen. Das ist auch gelungen.

Heute haben wir bei einem Strafmaß von bis zu sechs
Monaten Freiheitsstrafe fast nur noch Geldstrafen. Die
Geldstrafe ist also im Grunde genommen das wichtigste
Sanktionsmittel in unserem gesamten Sanktionssystem.
Das war gewollt. Es gab aber damals gerade von unserer
Seite her Warnungen. Man sagte: Vorsicht, das führt unter
Umständen zur Aufweichung des Strafrechts. – Die Ent-
wicklung hat gezeigt, dass dies so nicht der Fall gewesen
ist, wir die Geldstrafe in ihrer Bedeutung unterschätzt ha-
ben und die Geldstrafe durchaus ein vernünftiges Mittel
im Sanktionssystem ist. Aber alle, die damals die Geld-
strafe als wichtiges Sanktionsmittel eingeführt haben, wa-
ren sich darüber einig – das finden Sie auch in jedem
Kommentar –: Das Rückgrat der Geldstrafe muss immer
die Ersatzfreiheitsstrafe bleiben; sie muss im Hintergrund
stehen und drohen, wenn der Täter nicht bereit ist, seine
Geldstrafe zu bezahlen.

Nun kehren Sie das aber um: Sie setzen an die Stelle
der Ersatzfreiheitsstrafe nunmehr als Strafe – wenn man
das so bezeichnen will – die Verpflichtung zu ge-
meinnütziger Arbeit. Das ist eine als viel weniger ein-
schneidend empfundene Sanktion. Wir wissen ja, wie so
etwas abläuft. Oft ist das nicht mehr als ein überwachter
Arbeitsdienst. Angesichts dessen, wie schlecht das im

Strafvollzug organisierbar ist – es ist ja nicht ganz einfach,
immer auch eine adäquate Arbeit zu finden –, haben wir
große Bedenken, die wir natürlich gegenüber Ihrem Vor-
schlag geltend machen müssen. Wir halten diese Beden-
ken aufrecht und glauben, dass das, bevor hierüber ent-
schieden wird, im Rahmen einer Anhörung genau geprüft
werden muss. Wir meinen, dass die Ersatzfreiheitsstrafe
immer noch ein besserer Ersatz für eine Geldstrafe ist als
gemeinnützige Arbeit.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ist doch viel zu teuer!)


Sicherlich ist auch uns bewusst, dass es Probleme be-
züglich ganz reicher und ganz armer Täter gibt. Dessen
waren sich die damaligen Initiatoren auch bewusst. Des-
wegen haben wir dann ja auch den Tagessatz eingeführt,
um hier zu mehr ausgleichender Gerechtigkeit zu kom-
men. Wir wissen, dass es sich bei der Geldstrafe nicht um
eine ideale Strafform handelt; aber es gibt ja überhaupt
keine ideale Strafform. Sie werden nie eine ideale Straf-
form finden, wenn Sie beim konkreten Einzelfall anset-
zen. Es steht ja der Vorwurf im Raum, dass die ganz Rei-
chen sich mit dem Zahlen einer Geldstrafe leicht tun und
die ganz Armen nicht zahlen könnten. Man sollte aber
nicht unterschätzen, dass auch die ganz Reichen aufgrund
des Tagessatzes die Geldstrafe spüren. Die ganz Armen,
die wirklich nicht in der Lage sind, die Geldstrafe zu leis-
ten, können ja die dann drohende Ersatzfreiheitsstrafe
schon nach heutigem Recht durch gemeinnützige Arbeit
abwenden. In besonderen Härtefällen, also wenn jemand
körperlich dazu beispielsweise nicht in der Lage ist, kann
schon heute der Straferlass erfolgen. Da wir jetzt schon
über entsprechende gesetzliche Regelungen verfügen,
treffen Ihre Überlegungen nur teilweise das Problem.

Auch Ihre Umrechnung von Tagessatz in Arbeitsstun-
den führt nach meiner Auffassung zu einer weiteren Auf-
weichung. Im Augenblick gilt, dass ein Tagessatz Geld-
strafe durch sechs Arbeitsstunden ausgeglichen werden
kann. Nun wollen Sie aus den sechs Arbeitsstunden drei
machen. Damit weichen Sie das Sanktionsmittel Geld-
strafe zweifellos weiter auf. Dann wollen Sie auch noch
für einen Tag Freiheitsstrafe zwei Tagessätze Geldstrafe
vorsehen. Im Moment entspricht ein Tagessatz einem Tag
Freiheitsstrafe; 30 Tagessätze entsprechen also 30 Tagen
Freiheitsstrafe. Nach Ihrem Modell würden 30 Tagessätze
15 Tagen Freiheitsstrafe entsprechen. Das bedeutete wie-
derum eine Aufweichung.


(Joachim Stünker [SPD]: Warum?)

– Das liegt auf der Hand: Sie haben einfach die Hälfte we-
niger. Hier stellt sich die Frage nach dem Warum gar
nicht.


(Joachim Stünker [SPD]: Nein, warum Aufweichung?)


– Es ist doch eine Aufweichung, wenn die Ersatzfrei-
heitsstrafe nicht mehr in dem Maße droht, wie es im Au-
genblick der Fall ist. Was soll das denn anderes als eine
Aufweichung sein?

Wir meinen, dass auch darüber ernsthaft und gründlich
nachgedacht werden muss. Wir haben heute nicht darüber
zu entscheiden. Ich bringe hier nur eine Gegenvorstellung




Norbert Geis
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(D)



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(B)


zu Ihrem Diskussionsentwurf vor; mehr ist uns ja nicht
vorgelegt worden.

Die täterfreundliche Ausgestaltung der Verwarnung
mit Strafvorbehalt kann unter Umständen ebenfalls zu
einer Aufweichung führen. Wir müssen sehr aufpassen,
dass die Strafverfolgung, also das Ermittlungsverfahren
und der Strafprozess, nicht zur Farce wird. Anderenfalls
fragen sich zum Schluss nämlich die Polizeibeamten, die
sich viel Mühe gegeben haben, einen Täter dingfest zu
machen, ob ihre Ermittlungen überhaupt noch einen Sinn
haben. Da muss man sehr aufpassen. Deswegen muss man
auch darüber noch einmal gründlich nachdenken.


(Alfred Hartenbach [SPD]: Das ist doch sicherlich nicht der Grund der Strafe, Herr Geis!)


– Herr Hartenbach, ich bitte hier um nichts anderes als da-
rum, noch einmal hierüber nachzudenken. Sie haben ei-
nen Diskussionsentwurf vorgelegt, ich mache einen Ge-
genvorschlag. Jetzt bitte ich Sie, in der Sommerpause
darüber nachzudenken.

Die Aufwertung des Fahrverbotes als Hauptstrafe be-
grüßen wir. Wir haben eine weiter gehende Vorstellung.
Wir wollen das Fahrverbot nicht nur für Straftaten, die mit
Verkehrsdelikten in Verbindung stehen, sondern generell
einführen. Aber auch darüber wird man noch einmal dis-
kutieren und nachdenken können.

Auch begrüßen wir es, dass das Opferinteresse im Vor-
dergrund steht und vor der Geldstrafe rangiert; darin
stimmen wir mit Ihnen ebenfalls überein. Dass aber der
Täter-Opfer-Ausgleich vor dem Urteil mit dem Täter-Op-
fer-Ausgleich nach dem Urteil, wenn also der Täter weiß,
wohin die Reise geht, und wenn er kalkulieren kann, dass
er um eine vom Gericht erlassene Strafe vielleicht noch
herumkommt, wenn er sich am Täter-Opfer-Ausgleich
beteiligt, gleichgestellt werden soll, halten wir für weni-
ger gut. Auch hier zeigt sich nach unserer Auffassung wie-
der eine Aufweichung, gegen die wir uns wenden werden.
Aber darüber müssen wir ebenfalls noch diskutieren.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, in der kom-
menden Legislaturperiode wird die Reform des Sanktio-
nensystems zu einem wichtigen Thema werden, dem sich
alle Parteien stellen müssen. Darüber müssen wir, wie ich
meine, in der kommenden Legislaturperiode heftig streiten.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1424514000
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Volker Beck.


Volker Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1424514100

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Koali-
tion hat keinen Diskussionsentwurf und auch keinen Re-
ferentenentwurf, sondern einen Gesetzentwurf vorgelegt.
Wir haben in den letzten Wochen und Monaten intensiv
über die Reform des Sanktionensystems diskutiert. Des-
halb sind wir für diese Debatte auch gut präpariert.

Wir stellen unserem Entwurf für das Gesetz zur Re-
form des Sanktionenrechts zwei Punkte voran. Zum einen

stärken wir durch ganz verschiedene Maßnahmen den Ge-
danken der Opferhilfe. Wir helfen den Opfern von Strafta-
ten. Zum anderen wollen wir darauf achten, Sanktionen
zielgenauer und effizienter einzusetzen. Sie sollen zielge-
nauer eingesetzt werden, um dem Täter das Unrecht sei-
ner Tat wirklich vor Augen zu führen, aber auch effizien-
ter, indem wir die Ressourcen des Strafvollzuges nicht
unnütz zum Beispiel für Ersatzfreiheitsstrafen vergeuden
und damit auch die Justizvollzugsbeamten frustrieren,
weil sie wegen der mit den Ersatzfreiheitsstrafen zusam-
menhängenden Bürokratie überproportional belastet wer-
den und dadurch zum Eigentlichen ihrer Arbeit, nämlich
zur Resozialisierung, zur Betreuung und Beaufsichtigung
von Mittel- und Langzeitstraflern, nicht kommen.

Das neue Sanktionenrecht bedeutet einen Durchbruch
für den Opferschutz in Deutschland. 10 Prozent der Geld-
strafen müssen künftig an anerkannte gemeinnützige Ein-
richtungen der Opferhilfe geleistet werden. Dies wird
die Betreuung der Opfer in unserem Land qualitativ
enorm verbessern. Viele dieser Opferhilfeeinrichtungen
funktionieren überhaupt nur, weil sich Bürgerinnen und
Bürger dort ehrenamtlich engagieren. Mit dem neuen
Sanktionenrecht leisten wir einen Beitrag zu einer noch
effizienteren Betreuung. Von daher ist es kein Wunder:
Nicht nur die vielen kleinen Opferhilfeinitiativen unter-
stützen dieses Gesetz; auch der Weiße Ring begrüßt un-
sere Reform nachdrücklich.

Aber den Opfern helfen wir nicht nur dadurch, dass wir
den Einrichtungen einen Teil der Geldstrafen zufließen
lassen, sondern auch dadurch, dass wir geregelt haben,
dass bei der Vollstreckung von Geldstrafen die Wieder-
gutmachung gegenüber dem Opfer klar im Vordergrund
steht. Wir wollen nicht, dass das Opfer einer Straftat nur
deshalb keinen Schadensersatz erhält, weil der Staat auf
die Begleichung der Geldstrafe pocht. Hier muss das Op-
fer Vorrang haben.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. HansChristian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und des Abg. Jörg van Essen [FDP])


Genau das regeln wir in unserem jetzt vorgelegten Ent-
wurf.

Meine Damen und Herren, ein gut funktionierendes
System von Sanktionen muss die Gerichte in die Lage
versetzen, im Einzelfall zielgenau auf das Unrecht zu rea-
gieren. Das geltende Sanktionenrecht, soweit es Erwach-
sene betrifft, hat sich hier als viel zu starr erwiesen. Nur
Geld- und Freiheitsstrafen als Hauptstrafen reichen hier
nicht aus, um in geeigneter Weise mit spezialpräventiver
Zielrichtung auf Straftäter einzuwirken. Das, was wir an
unserem Jugendstrafrecht so schätzen, ermöglichen wir
jetzt auch im Erwachsenenstrafrecht. Wir geben den
Gerichten ein breiteres Spektrum von Sanktionen an die
Hand – nicht sanfter, aber dafür treffsicherer und manch-
mal auch schmerzhafter bzw. schweißtreibender.

Wir erweitern den Anwendungsbereich der gemeinnüt-
zigen Arbeit unter dem Motto: Schwitzen statt sitzen. Ge-
meinnützige Arbeit soll mehr als bisher zur Vermeidung
von kurzen Freiheitsstrafen herangezogen werden. Wir
wollen, dass so die entsozialisierende Wirkung des Straf-
vollzuges denjenigen erspart bleibt, die ursprünglich




Norbert Geis

24697


(C)



(D)



(A)



(B)


„nur“ zu einer Geldstrafe verurteilt worden sind. Ein Ta-
gessatz bei der Geldstrafe entspricht künftig drei Arbeits-
stunden. Dieser Umrechnungsmaßstab ist für die Betrof-
fenen auch deutlich attraktiver als das, was in den meisten
Ländern heute auf Grundlage von Art. 293 EGStGB der
Fall ist.


(Jörg van Essen [FDP]: Ja, klar! Täterschutz!)

– Nein, Herr van Essen, es geht hier nicht um Täterschutz,
sondern tatsächlich darum, in solchen Fällen, in denen die
Leute anderenfalls in den Strafvollzug gehen würden, die
Konsequenz zu vermeiden, dass sie womöglich nur we-
gen einer Ersatzfreiheitsstrafe von ein, zwei oder drei Wo-
chen auch noch Nachteile im Beruf haben oder ihre Stelle
verlieren. In diesen Fällen werden die Leute nicht einfach
laufen gelassen, sondern es wird etwas mit ihnen ge-
macht. Es ist äußerst unangenehm, nach Feierabend noch
drei, vier, fünf oder sechs Stunden abzuarbeiten oder da-
durch das Wochenende zu verlieren. Aber wir verhängen
keine Strafe, die eine Karriere als Straftäter noch wahr-
scheinlicher macht, indem wir darüber hinaus seine Exis-
tenzgrundlage beschädigen. Wir müssen reagieren, aber
dabei beachten, dass diese Leute mit verunsichernden Le-
bensläufen in Richtung Kriminalität abzurutschen dro-
hen. Bei ihnen müssen wir korrigierend eingreifen und
nicht aus symbolischer Härte mehr Schaden anrichten, als
wir Nutzen für die Gesellschaft erzielen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Wir tun auf diese Weise etwas dafür, dass unsere über-
füllten Gefängnisse künftig nicht mehr von Menschen be-
legt werden, die auch vom Unrechtsgehalt ihrer Tat her da
nicht hineingehören. Nicht Eierdiebe gehören in den
Knast, sondern Schwerverbrecher.

Zudem erweitern wir den Anwendungsbereich des
Fahrverbots, denn wir wissen: Selbst ein nur kurzfristiger
Führerscheinentzug kann mehr wehtun als eine Geld-
strafe, die mancher mal eben auf die Schnelle begleicht.


(Jörg van Essen [FDP]: Der Führerschein wird aber nicht entzogen!)


Deshalb werten wir das Fahrverbot zur Hauptstrafe auf.
Das heißt, dass es nicht, wie bislang, nur neben, sondern
auch anstelle einer Geldstrafe verhängt werden kann. Wir
erhöhen die mögliche Zeitdauer eines Fahrverbotes von
drei Monaten auf sechs Monate. Damit es häufiger ange-
wandt wird, erstrecken wir es auch auf solche Taten, bei
denen das Auto zum Beispiel als Tatmittel benutzt wurde.
Dieser Zusammenhang ist aus unserer Sicht auch geboten,
um letztlich kein Sonderrecht für Führerscheininhaber zu
schaffen und um den inhaltlichen Konnex zwischen Tat
und Sanktion zu wahren.

Herr Geis, lassen Sie uns doch erst einmal diesen
Schritt gemeinsam gehen, bevor wir in einem weiteren
Schritt diskutieren, ob man diese Regelungen unabhängig
von den genannten Voraussetzungen anwenden will. Da-
rüber lässt sich sicher diskutieren; ich meine aber, das
birgt zusätzlich einige verfassungsrechtliche Probleme,
die bei dem, was wir hier geregelt haben, nicht bestehen.
Unter pädagogischen Gesichtspunkten bin ich – zum
Leidwesen mancher Kollegen in meiner Fraktion – bei

diesem Punkt sogar relativ nah an Ihren Überlegungen.
Aber verfassungsrechtlich gibt es da ein Problem, das mich
scheuen lässt, diesen Gedanken rechtspolitisch weiter zu
verfolgen.

Die Verwarnung mit Strafvorbehalt nach den
§§ 59 ff. StGB ist in der Praxis deutlich zu selten ange-
wandt worden. Wir erweitern deshalb jetzt ihren An-
wendungsbereich und integrieren in den Auflagenkatalog
die gemeinnützige Arbeit, schaffen also auch hier mehr
Flexibilität für die Gerichte. Sie erhalten nun die Mög-
lichkeit, auf den konkreten Fall mit individuellen Auf-
lagen und Weisungen besser zu reagieren.

Wir haben unseren Kurs einer am Opferschutz orien-
tierten Kriminalpolitik bereits zu Beginn dieser Wahlperi-
ode mit der verfahrensrechtlichen Verankerung des Tä-
ter-Opfer-Ausgleiches aufgenommen. Wir haben diesen
Kurs in den letzten Monaten konsequent fortgesetzt. Mit
dem Gewaltschutzgesetz und dem Kinderrechteverbesse-
rungsgesetz haben wir die Opferrechte vor allem von
Frauen und Kindern gestärkt. Der Weiße Ring begrüßt
ausdrücklich auch unsere Lösung bei der Siche-
rungsverwahrung als effektiven und rechtsstaatskonfor-
men Schutz der Bevölkerung vor gefährlichen Straftaten.
Mit der Reform des Sanktionenrechts gehen wir jetzt ei-
nen weiteren Schritt hin zu mehr Opferschutz.


(Jörg van Essen [FDP]: Das ist doch gar kein Schritt!)


In der nächsten Legislaturperiode werden wir als Ko-
alition im Rahmen der Strafprozessreform gemeinsam die
Verletztenrechte weiter verbessern. Sie kennen unser Eck-
punktepapier hierzu, das zurzeit in Gesetzesform gegos-
sen wird. Wir wollen zum Beispiel, dass das Adhäsions-
verfahren im Strafverfahren häufiger Anwendung findet
als bisher.


(Jörg van Essen [FDP]: Alte FDP-Forderung!)

Das ist eine Forderung, die auch auf das Wohlwollen der
FDP trifft; es macht es ja nicht schlechter, sondern eher
besser, wenn man eine breitere Unterstützung für diese
Gedanken hat. Außerdem wollen wir, dass Opferzeugen
durch den Einsatz technischer Mittel quälende Mehrfach-
vernehmungen erspart bleiben.


(Jörg van Essen [FDP]: Das ist doch jetzt schon möglich!)


Es gibt eine Menge in dieser Richtung zu tun, um die
Rechtspolitik der Koalition fortzusetzen. Daran wollen
wir nach dem 22. September gemeinsam weiterarbeiten.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Daran wird die Opposition weiterarbeiten!)


Ich denke, gerade das, was wir in der Rechtspolitik vor-
gelegt haben, zeigt, dass diese Koalition auf dem richti-
gen Weg ist, und dass wir bei der Bekämpfung der Krimi-
nalität, für die Opfer von Straftaten und für einen
effizienteren Einsatz der Ressourcen der Strafrechts-
pflege viel erreicht haben.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)





Volker Beck (Köln)

24698


(C)



(D)



(A)



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Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1424514200
Das Wort hat
jetzt der Herr Kollege van Essen.


Jörg van Essen (FDP):
Rede ID: ID1424514300
Frau Präsidentin! Liebe Kol-
leginnen und Kollegen! Der Kollege Beck hat eben die
Taten der Koalition gerühmt und das Gesetz, das wir ge-
rade beraten, unter deren Pluspunkte eingereiht. Jeder, der
ein bisschen genauer hinschaut, sieht, dass der Gesetzent-
wurf heute hier eingebracht wird, ohne dass er irgendeine
Chance hat, tatsächlich verabschiedet zu werden.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn Sie zustimmen, können wir ihn nächste Woche verabschieden!)


Ich bedaure das Ganze außerordentlich; denn die Vor-
schläge der Kommission, die von FDP-Justizminister
Edzard Schmidt-Jortzig eingesetzt worden ist, liegen seit
März 2000, also seit über zweieinviertel Jahren, vor, ohne
dass irgendwelche Vorschläge in den Bundestag einge-
bracht worden sind. Ich bedaure das sehr, weil wir in der
Beurteilung übereinstimmen, dass wir tatsächlich eine
Reform des Sanktionenrechts brauchen.

Ich bedaure auch, dass die Art und Weise, wie das
Ganze präsentiert worden ist, die Möglichkeit der Umset-
zung nicht gerade erhöht hat. Wenn eine Justizminister-
konferenz in Weimar stattfindet, dort alle Länderjustiz-
minister versammelt sind, die Bundesjustizministerin
gegenüber ihren Länderkollegen kein einziges Wort über
ihre Vorstellungen verliert und wenige Stunden später in
Berlin die entsprechenden Vorschläge verkündet werden,
dann ist klar, dass das natürlich zu Widerstand bei den
Ländern führen wird, deren Mitwirken wir in diesem Zu-
sammenhang in besonderer Weise brauchen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Alfred Hartenbach [SPD]: Das war ein Koalitionsentwurf! – Zuruf von der CDU: Das ist wahr! Da hat er Recht!)


Die dürfen nicht vor den Kopf gestoßen, sondern müssen
mit einbezogen werden. Dass sogar die SPD-Justizminis-
ter eine Resolution mit unterschrieben haben, in der sie ge-
gen diese Vorgehensweise protestieren, ist ein deutliches
Signal dafür, dass hier nicht richtig reagiert worden ist.


(Alfred Hartenbach [SPD]: Schade, dass Sie nichts zur Sache sagen!)


Was den Gesetzentwurf anbelangt, möchte ich
zunächst mit dem beginnen, was mir außerordentlich gut
gefällt. Der Kollege Stünker hat aus dem Wahlprogramm
der FDP zitiert, dass Opfer in den Mittelpunkt des Straf-
verfahrens gehören. Genauso ist es. Das ist genau unsere
Linie.


(Beifall bei der FDP – Joachim Stünker [SPD]: Das habe ich nicht gesagt! Das ist eine Beleidigung!)


Ich finde, dass die Vorstellungen, die hier entwickelt wor-
den sind, genau der richtige Weg sind. Eine Vorstellung
ist, dass Opferschutzorganisationen einen Teil der Geld-
strafe bekommen. Außerordentlich gut gefällt mir auch,
dass es einen Vorrang dahin gehend geben soll, dass
zunächst die Schäden beim Opfer beglichen werden sol-

len, bevor die Geldstrafe gezahlt wird. Es wird immer
wieder kritisch danach gefragt, wieso der Staat derjenige
ist, der zunächst seinen Anteil einfordert. Häufig ist dann
das Geld für die Entschädigung der Opfer nicht mehr vor-
handen. Auch das scheint mir ein richtiger Ansatz zu sein,
der unsere ausdrückliche Unterstützung findet.

Bei anderen Punkten bin ich skeptischer; das will ich
deutlich machen. Über den Ansatz bezüglich der gem-
einnützigen Arbeit kann und muss man sicherlich nach-
denken. Wir müssen nur feststellen, dass wir diesen An-
satz in vielen Bereichen haben, nämlich zum Beispiel bei
der Einstellung des Verfahrens wegen Geringfügigkeit
unter einer Auflage – beispielsweise kann die Auflage
sein, gemeinnützige Arbeit zu leisten –, bei der Strafaus-
setzung zur Bewährung – hier wird in aller Regel eben-
falls etwas auferlegt, damit derjenige merkt, dass er etwas
Falsches getan hat – und bei der Aussetzung einer Rest-
strafe zur Bewährung. Damit schaffen wir natürlich eine
erhebliche Konkurrenz für die Stellen, die von der öffent-
lichen Hand zur Verfügung gestellt werden müssen. Das
Ganze konkurriert natürlich auch mit dem Bereich der Ar-
beitsbeschaffungsmaßnahmen und geht immer mehr in
den Bereich hinein, in dem auch privatwirtschaftliche Be-
triebe arbeiten, beispielsweise im Landschaftsschutz. Wir
müssen sehen, dass wir durch diese Erweiterung nicht
dazu beitragen, dass versicherungspflichtige Arbeits-
plätze in der freien Wirtschaft auf einmal eine staatliche
Konkurrenz bekommen, an der uns nicht gelegen sein
kann.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Deshalb werden wir sorgfältig prüfen, ob nicht diese Dritt-
wirkungen eintreten. Das muss uns große Sorgen machen.

Bei der Verwarnung mit Strafvorbehalt bin auch ich
ehrlich gesagt sehr zögerlich, was mit meinen beruflichen
Erfahrungen in der Justiz zusammenhängt.


(Joachim Stünker [SPD]: Staatsanwälte kennen so was nicht!)


Wenn man bei Jugendlichen eine jugendrichterliche Er-
mahnung ausgesprochen hat, dann haben die Jugendli-
chen auf dem Flur immer gesagt: Ich bin freigesprochen
worden. – Das bloße „Du, du, du!“, das der Richter ge-
genüber den Jugendlichen ausgesprochen hat, ist bei de-
nen so angekommen, dass keine Strafmaßnahme verhängt
worden ist.


(Alfred Hartenbach [SPD]: Das lag an Ihnen, weil Sie nicht deutlich genug belehrt haben!)


Sie kamen mit der Erwartung, für ihr Fehlverhalten eins
auf den Deckel zu bekommen. Stattdessen hat es eine
bloße Ermahnung gegeben, die von den Jugendlichen als
Freispruch empfunden worden ist. Ich habe die große
Sorge, dass die Verwarnung mit Strafvorbehalt ähnliche
Folgen haben könnte, dass wir damit zu einer Entkrimi-
nalisierung beitragen – eine Tendenz, die wir ohnehin
schon haben.

Wir erleben bei den Ordnungswidrigkeiten, dass im-
mer mehr Sanktionsmöglichkeiten bestehen, und wir er-
leben im Bereich des kriminellen Unrechts – dazu haben
wir durch die Erweiterung der Anwendungsvorschriften,






(C)



(D)



(A)



(B)


was die Einstellung wegen Geringfügigkeit anbelangt,
beigetragen –, dass wir eine schleichende Entkriminali-
sierung haben.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hoffentlich!)


Das ist etwas, woran wirklich niemand Interesse haben
kann, weil es nämlich die Abschreckungswirkung, die
Strafrecht haben soll, schwächt.


(Beifall des Abg. Dr. Edzward Schmidt-Jortzig [FDP])


Sehr skeptisch bin ich auch bezüglich des Fahrverbots.
Der Bereich des Fahrverbots – das ist meiner Meinung
nach richtig – ist zunächst einmal so geregelt worden, dass
die Verbindung zu der Benutzung des Autos nicht aufge-
geben worden ist. Das ist uns Liberalen immer besonders
wichtig gewesen.

Ich bin trotzdem skeptisch. Man muss doch nach dem
Strafzweck fragen. Der Strafzweck ist wahrscheinlich die
Einschränkung der Mobilität. Wenn dem so ist, dann frage
ich, warum es eine Beschränkung auf die Benutzung des
Autos geben soll. Man muss nämlich auch Drittwirkun-
gen beachten. Diejenigen, die auf dem flachen Land woh-
nen, dort eine Arbeitsstelle haben und den öffentlichen
Nahverkehr nicht benutzen können, sind auf das Auto an-
gewiesen. In diesem Fall kann das, was Herr Beck vorhin
im Zusammenhang mit kurzfristigen Freiheitsstrafen ge-
sagt hat, selbstverständlich auch beim Fahrverbot als
selbstständige Strafe eintreten, nämlich dass dem Betrof-
fenen die Arbeitsstelle gekündigt wird.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat der Richter zu berücksichtigen!)


Das kann nicht der Zweck dieser Reform sein.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Deswegen muss über diesen Aspekt neu nachgedacht
werden.

Mich wundert nicht, dass die Grünen das Fahrverbot
besonders loben.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was?)


Für den, der das Auto als Feindbild hat, wie es bei den
Grünen der Fall ist,


(Lachen des Abg. Alfred Hartenbach [SPD])

ist das Fahrverbot als Strafe natürlich das Nonplusultra
der Reform des Sanktionensystems. Wir als Liberale ste-
hen natürlich für eine rationale Strafrechtspolitik. Mit uns
ist das deshalb nicht zu machen.

Die heutige Debatte ist ein erster Schritt auf dem Weg zu
einer notwendigen Reform des strafrechtlichen Sanktio-
nensystems. Wir werden uns daran beteiligen. Wir brau-
chen diese Reform möglichst schnell. Deshalb wird die
neue Bundesregierung sie auch möglichst schnell angehen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1424514400
Die Kollegin
Kenzler hat gebeten, ihre Rede zu Protokoll geben zu dür-
fen.1) Sind Sie damit einverstanden? – Dann verfahren wir
so.

Jetzt hat die Bundesjustizministerin Herta Däubler-
Gmelin das Wort. – Herr van Essen, Sie dürfen die Mi-
nisterin jetzt nicht am Reden hindern.

Dr. Herta Däubler-Gmelin,Bundesministerin der Jus-
tiz: Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kol-
legen! Ich habe Herrn van Essen nur kurz mitgeteilt – er
muss uns in Kürze verlassen –, dass seine Annahme, die er
vorhin vorgetragen hat, nicht richtig ist. Dieser Punkt ist
aber nicht besonders wichtig. Wenn das alles ist, was Sie
gegen ein modernes Sanktionensystem einzuwenden ha-
ben, dann liegen wir schon richtig.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Lassen Sie mich mit der Frage beginnen, was eigent-
lich die Aufgabe der staatlichen Gemeinschaft im Bereich
der Kriminalpolitik ist. Die Menschen können von ihrem
Staat zu Recht mehr Sicherheit verlangen. Diese Sicher-
heit kann man im Rahmen einer rationalen Kriminalpoli-
tik durch vier Elemente erreichen:

Erstens geht es darum, Straftaten mit vernünftigen
Straftatsvorschriften und angemessenen Sanktionen ent-
schlossen entgegenzutreten.

Zweitens geht es darum – das ist der präventive
Aspekt –, die Ursachen von Kriminalität ebenso ent-
schlossen zu bekämpfen.

Drittens muss es darum gehen, dass wir einen vernünf-
tigen Strafvollzug sicherstellen, der nicht allein die Ge-
sellschaft schützt, sondern auch die Strafvollzugsbediens-
teten in die Lage versetzt, mit den Straftätern in den
Gefängnissen so zu arbeiten, dass möglichst wenige von
ihnen rückfällig werden. Das ist das Grundprinzip der Re-
sozialisierung.


(Beifall bei der SPD)

Viertens geht es darum – das ist ein ganz wichtiger

Punkt –, die Hilfe für die Opfer sicherzustellen, wenn der
Staat die Sicherheit nicht gewährleisten konnte.

Wer ist der Staat in diesem Fall? Das sind der Bund und
die Länder mit ihren im Grundgesetz festgelegten Zu-
ständigkeiten. Gerade im Bund haben wir in den vergan-
genen vier Jahren in diesem Bereich eine Menge erreicht.
Das zeigt nicht nur der gemeinsame Periodische Sicher-
heitsbericht sehr deutlich, den wir neu aufgelegt haben.
Das erkennt man auch an der Kriminalstatistik und an der
Strafverfolgungsstatistik. Ich halte es für gut, dass im Jahr
2001 nicht nur die Zahl der Delikte von Kindern und He-
ranwachsenden, sondern auch die Zahl der Delikte im Be-
reich des gefährlichen Raubes gesunken ist. Ich halte es
ebenfalls für wichtig, dass sich die Menschen in ihrer Um-
gebung sicher fühlen. Das sagen nach Umfragen über das
Sicherheitsgefühl immerhin 70 Prozent der Befragten.




Jörg van Essen
24700


(C)



(D)



(A)



(B)


1) Anlage 6

Ich halte es auch für wichtig – ich hätte mir da aller-
dings ein wenig mehr Unterstützung gerade von den Kol-
leginnen und Kollegen der Opposition gewünscht –, dass
wir entschlossen gegen die Ursachen von Gewalt ange-
gangen sind.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Es war gut, dass Sie sich beim Gewaltschutzgesetz dazu
durchgerungen haben, mitzumachen. Wir können in der
Tat feststellen, dass dieses Gesetz eine wirklich ver-
nünftige Weichenstellung verstärkt, weil die Täter, die
Schläger, mittlerweile verstehen, dass es sich nicht lohnt
zu prügeln. Denn die gemeinsam bezogene Wohnung be-
kommen sie nicht; die bleibt beim Opfer und bei den Kin-
dern. Diese Opfer müssen in einer solchen Situation nicht
mehr in das Frauenhaus.

In anderen Bereichen hätte ich mir noch mehr Unter-
stützung gewünscht, zum Beispiel bei der Ächtung der
Gewalt in der Erziehung. Ich weiß, Sie sagen, Sie hätten
gerne eine andere Lösung gehabt.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Wir hatten doch eine!)


Aber irgendwann muss man sich entscheiden. 20 Jahre
Diskussion, verehrter Herr Kollege Geis, waren einfach
genug.

Den in diesem Zusammenhang bestehenden Teufels-
kreis der Gewalt müssen wir durchbrechen. Hilfe für Op-
fer, der Täter-Opfer-Ausgleich, ein Fonds für Opfer von
Rechtsextremismus und Hilfe für die Opfer von terroristi-
schen Anschlägen, all das sind gute Dinge. Ich hoffe, dass
wir im Bundesrat am 12. Juli dieses Jahres auch mit Ihrer
Hilfe im Hinblick auf die vorbehaltene Sicherungsver-
wahrung so weit kommen, dass er dem zustimmt, was wir
in diesem Haus beschlossen haben.


(Beifall bei der SPD)

Auch das ist eine kleine Nagelprobe, bei der man be-

weisen kann, ob man ein Vorhaben wirklich ernst nimmt.
Der Gesetzentwurf, über den wir heute diskutieren,

weist nicht nur auf das, das wir gemacht haben, sondern
auch auf die Zukunft. Eine rationale Kriminalitätspolitik
muss in vier Punkten, über die aus unterschiedlicher
Warte diskutiert wurde, fortgesetzt werden.

Lassen Sie mich bei der Hilfe für die Opfer beginnen.
Ich finde es wirklich gut, dass auch Sie der Meinung
sind – ich habe Sie da, glaube ich, richtig verstanden –,
dass 10 Prozent der Geldstrafen für Zwecke der Opfer-
hilfe verwandt werden sollen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Norbert Geis [CDU/CSU]: Nein!)


Das ist einer der Punkte, die wir mit den Ländern – ich
darf Sie darauf hinweisen, dass es nicht ganz einfach sein
wird – unter verschiedenen Gesichtspunkten in zeitlich
vernünftiger Form besprechen müssen.

Ich will an dieser Stelle deutlich sagen: Wir wissen
ganz genau, dass die Länder ebenso wie der Bund an ei-

ner vernünftigen, rationalen Kriminalitätspolitik zu betei-
ligen sind und dass sie dafür über die entsprechenden Mit-
tel verfügen müssen. Deswegen werden wir kluge und
zeitlich verzahnte Vorschläge machen müssen. Wenn wir
dies nicht tun, fehlen die genannten 10 Prozent, ohne dass
die Einsparungen, die sich durch gemeinnützige Arbeit er-
geben werden, tatsächlich vorhanden sind. Das sind
Dinge, auf die ich sehr ausdrücklich aufmerksam mache.
Hierüber müssen wir unmittelbar nach den Wahlen wei-
terdiskutieren.

Dass der Weiße Ring, die Arbeitsgemeinschaft der Op-
ferhilfen, die Frauenhäuser und die anderen Organisatio-
nen, die sich um Kriminalitätsopfer kümmern, eine her-
vorragende Arbeit machen und von uns ermutigt und
unterstützt werden sollten, will ich ganz ausdrücklich be-
tonen. Dem entspricht der vorliegende Gesetzentwurf in
besonderer Art und Weise.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Rainer Funke [FDP]: Das ist unstreitig!)


– Wenn das so ist, dann könnten auch Sie, verehrter Herr
Kollege, klatschen. Ich finde deren Arbeit ganz hervorra-
gend.


(Beifall des Abg. Rainer Funke [FDP])

– Danke sehr.


(Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Für die trivialsten Aussagen brauchen Sie doch keinen Beifall zu erheischen!)


Nun komme ich zum zweiten Element, zur gemeinnüt-
zigen Arbeit als primärer Ersatzstrafe. Sie ist übrigens ge-
nauso wichtig, verehrter Herr Gehb, wie die Verwendung
von 10 Prozent der Geldstrafen für die Organisationen der
Opferhilfe.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: 10 Prozent sind der falsche Weg!)


Verehrter Herr Geis, ich will Ihnen noch einmal deut-
lich machen, worum es eigentlich geht; denn ich habe den
Eindruck, dass Sie hier, ohne es zu wollen, einen falschen
Weg vorgeschlagen haben. Es geht nicht darum, für Men-
schen, die zu einer Geldstrafe verurteilt wurden und die
zahlen könnten, aber nicht zahlen wollen, eine andere Art
der Sanktion zu schaffen. Wenn die Richter jemanden zu
einer Geldstrafe verurteilen, dann muss diese Geldstrafe
selbstverständlich bezahlt werden. Dies wird nur dann zu
einem Problem, wenn es Menschen trifft, die sie nicht
zahlen können.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Norbert Geis [CDU/CSU]: Nicht zahlen wollen!)


– Nein, wenn es Menschen trifft, die zahlen wollen, aber
nicht können. Das ist Ihr fundamentaler Irrtum.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Es gibt die Ersatzfreiheitsstrafe!)


– Nein, wie der Kollege Stünker schon sagte, handelt es
sich im Uneinbringlichkeitsfall – auch Sie wissen das;
aber lassen Sie es mich für die Öffentlichkeit ganz deut-
lich sagen – um Personen, die die Richter wegen einer




Bundesministerin Dr. Herta Däubler-Gmelin

24701


(C)



(D)



(A)



(B)


kleineren Straftat zu einer Geldstrafe verurteilt haben und
die nicht bezahlen können. Wir sind der Meinung, dass in
diesem Falle die Ersatzfreiheitsstrafe nicht das richtige
Mittel ist, sondern die gemeinnützige Arbeit.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Das haben wir doch jetzt schon!)


– Ich habe mir übrigens gerade sagen lassen, es sei ein
Zeichen von Demokratie, dass man auch zuhören könne,
verehrter Kollege Geis.


(Beifall bei der SPD)

Lassen Sie mich das einfach wiederholen.

Es geht hier um Menschen, die die Geldstrafe, zu der
sie aufgrund kleinerer Delikte verurteilt wurden, nicht
zahlen können. Jetzt stellt sich die Frage: Warum sollen
die eigentlich in Haft?


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Das brauchen sie ja heute schon nicht!)


– Entschuldigen Sie, heute ist die primäre Ersatzstrafe
selbstverständlich die Haft. Ich kann es nicht ändern; so
steht es im Gesetz. Wenn Sie das nicht wollen, lieber, ver-
ehrter Herr Geis, dann seien Sie doch so freundlich und
begeben Sie sich auf unsere Seite.


(Ronald Pofalla [CDU/CSU]: Um Gottes willen! – Norbert Geis [CDU/CSU]: Da bin ich überflüssig! – Rainer Funke [FDP]: Das wäre für Sie aber keine Freude!)


– Ja, ich weiß. Ich wollte nur ein bisschen freundlicher
sein, damit er einmal anfängt zu denken. Er denkt gele-
gentlich und dazu will ich ihn jetzt ermutigen, weil er
auch uns dazu ermutigt hat.

Jetzt komme ich zur gemeinnützigen Arbeit. Gemein-
nützige Arbeit als primäre Ersatzstrafe hat nur Vorteile ge-
genüber dem heute höchst unbefriedigenden Zustand: Die
Ersatzfreiheitsstrafe ist ungerecht, weil es sich hier um
Menschen handelt, die von den Richtern eben nicht zu ei-
ner Haftstrafe verurteilt worden sind. Diese Regelung ist
auch deswegen außerordentlich wenig befriedigend, weil
wir ganz genau wissen, dass gerade bei dieser Klientel
vorhandene soziale Bindungen durch eine Freiheitsstrafe
vollends abreißen: Das Arbeitsverhältnis wird aufgelöst,
die Wohnung aufgegeben, die Familie muss vom Staat un-
terhalten werden. Dies ist teuer und hinterher stehen auch
noch die Reintegrationskosten zur Zahlung an. Das alles
wird noch dadurch übertroffen, sehr geehrter Herr Kol-
lege Geis, dass den Staat ein Tag Ersatzfreiheitsstrafe
heute zwischen 80 und 100 Euro kostet.

Wir sagen: Das ist falsch.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wir wollen nicht, dass diese Menschen ins Gefängnis
müssen, obwohl sie nicht ins Gefängnis gehören, dort ler-
nen, was sie nicht lernen sollen, die Strafvollzugsbediens-
teten belasten, sodass diese weniger Möglichkeiten ha-
ben, zur Resozialisierung beizutragen, und schließlich
den Strafvollzug belasten. Wir möchten, dass sie positive
Arbeit leisten in Form von gemeinnütziger Arbeit, die

vernünftig organisiert werden muss und organisiert wer-
den kann, übrigens zu Preisen, die wesentlich niedriger
sind als das, was wir heute an Gefängniskosten zahlen
müssen.

Wenn Sie sich damit befasst hätten, meine Damen und
Herren, würden Sie jetzt zu Recht fragen, woher wir das
wissen. – Das ist auch einer der Gründe, warum wir die
Weichenstellung für die nächste Legislaturperiode jetzt
angehen. – Wir wissen dies, weil in den letzten Jahren im
Lande Mecklenburg-Vorpommern alle Ersatzfreiheits-
strafen im Wege eines durch eine Stiftung finanzierten
Versuches nicht nur sehr sorgfältig beurteilt wurden, son-
dern weil auch ausprobiert wurde, welches das vernünf-
tigste Organisationsprinzip ist, was an Positivem zu be-
obachten ist, was man dazu braucht und was das kostet.
Diese Überlegungen liegen jetzt vor. Die wissenschaft-
liche Begleituntersuchung wird gerade geschrieben. All
das führt in eine vernünftige Richtung. Wichtig ist Hilfe
für die Opfer und dass wir als primäre Ersatzstrafe nicht die
Freiheitsstrafe, sondern die gemeinnützige Arbeit haben.

Sinnvoll – das ist ein Punkt, an dem ich Herrn van Essen,
wenn er noch da wäre, widersprochen hätte; vielleicht sa-
gen Sie es ihm – ist auch unsere Vorgehensweise bei der
Ausweitung des Fahrverbotes. Die Ausweitung ist be-
hutsam; das sage ich an die Adresse der CDU/CSU. Wir
wissen ganz genau, dass man hier sehr sorgfältig abwägen
und auch bedenken muss, dass eine solche Strafe durch-
gesetzt werden muss. Da gibt es Probleme.

Nun in Richtung FDP gesagt: Wir halten das für sehr
vernünftig, weil wir nicht einsehen, dass bei Menschen,
die zu einer Geldstrafe verurteilt werden und sich sehr
leicht damit tun, diese Strafe zu bezahlen, der Denkzettel-
effekt einer vernünftigen rechtsstaatlichen Strafe ausblei-
ben soll. Wir sind der Meinung, dass gemeinnützige Ar-
beit oder ein Fahrverbot, in diesen Fällen den Richtern an
die Hand gegeben, die rechtsstaatliche Denkzettelfunk-
tion haben kann, die wir wollen.

Meine Damen und Herren, wir stellen damit die Wei-
chen für die kommende Legislaturperiode. Wir laden Sie
wie immer ein, mit uns zu diskutieren. Wir freuen uns auf
die Zusammenarbeit mit Ihnen in den kommenden Jahren.
Die Richtung stimmt.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Norbert Geis [CDU/CSU]: Die Richtung ist auch falsch! Die Richtung ist Aufweichung!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1424514500
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Ronald Pofalla.


Ronald Pofalla (CDU):
Rede ID: ID1424514600
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Frau Ministerin, ich will mit
drei Anmerkungen auf Ihre Ausführungen reagieren. Ers-
tens finde ich die Art und Weise, mit der Sie auf einzelne
Kollegen des Deutschen Bundestages eingehen, ange-
sichts der bisher sachlichen Debatte völlig unangemessen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)





Bundesministerin Dr. Herta Däubler-Gmelin
24702


(C)



(D)



(A)



(B)


Zweitens finde ich Ihre Argumentation im Zusammen-
hang mit der Ersatzfreiheitsstrafe unter Verweis auf die
Kosten, die damit verbunden sind, systemwidrig; denn
wenn Sie dieses Argument einführen, müssen Sie immer
Strafe und Kosten im Zusammenhang mit der Unterbrin-
gung von Häftlingen diskutieren und das würde denk-
logisch stets zur Freiheit der Betroffenen führen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Drittens sollten wir nicht versuchen, dort Unterschiede

zu machen, wo es gar keine gibt. Sie haben gerade die Op-
positionsfraktionen aufgefordert, bei der Ächtung von
Gewalt den Vorschlägen der Regierung zu folgen. Ja, jetzt
reibe ich mir doch die Augen. Im Verlauf dieser Legis-
laturperiode wurde mit den Stimmen der Oppositions-
fraktionen des Deutschen Bundestages ein Gewaltschutz-
gesetz verabschiedet. Sie haben als Beispiel die Gewalt in
der Erziehung genannt. Da reibe ich mir wieder die Au-
gen. In der vergangenen Legislaturperiode – übrigens bei
anderen Mehrheitsverhältnissen – ist unter Führung der
damaligen Bundesregierung mit den Stimmen der Sozial-
demokratie eine Bestimmung in das Zivilrecht aufge-
nommen worden, die wir gemeinsam getragen haben. Es
gibt in dieser Frage überhaupt keine Unterschiede. Mit
Blick auf die Neuregelung, die jetzt für das Bürgerliche
Gesetzbuch gefunden worden ist, haben wir in den ent-
sprechenden Debatten deutlich gemacht, dass wir diese
Regelung aus bestimmten Gründen für zu weit gehend
gehalten haben. Dabei ging es aber nicht darum, dass wir
bei der Ächtung von Gewalt unterschiedlicher Auffassung
sind. Ich wünsche mir, dass wir, wo es Unterschiede gibt,
darüber streiten, aber nicht künstlich Unterschiede produ-
zieren, wo es keine gibt. Das sollte auch die Bundes-
justizministerin begreifen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Vieles, liebe Kolleginnen und Kollegen, aber leider

nicht alles, was wir hier im Deutschen Bundestag be-
schließen, werden wir den Bürgerinnen und Bürgern er-
klären können. Das gilt auch für den vorliegenden Gesetz-
entwurf, davon bin ich überzeugt. Wir werden die
Bürgerinnen und Bürger wahrscheinlich nicht in Gänze
von der Richtigkeit der beabsichtigten Regelungen über-
zeugen können; denn dieser Gesetzentwurf läuft darauf hi-
naus, das Vorurteil in der Bevölkerung zu bestätigen, dass
diejenigen, die in der Bundesrepublik Deutschland rechts-
kräftig als Straftäter verurteilt worden sind, auf dieser
Strecke – ich werde versuchen, das zu erläutern – womög-
lich mit immer milderen Reaktionen rechnen können.

Der Gesetzentwurf der Regierungskoalition scheint auf
den ersten Blick zu einer Ausweitung und Verschärfung
der Strafsanktionen zu führen – man denke beispielsweise
an den populären Begriff der gemeinnützigen Arbeit –, die
Haken und Ösen sind gut versteckt. Ich will dafür Bei-
spiele nennen. So soll die gemeinnützige Arbeit bei un-
einbringlichen Geldstrafen als primäre Ersatzstrafe die
bisher vorgesehene Haftstrafe ablösen. Hier sind wir in
der Tat unterschiedlicher Auffassung. Wir sind nämlich
der Meinung, dass dies im Grundsatz bereits nach den be-
stehenden Regelungen möglich ist.

Unsere Kritik geht in eine ganz andere Richtung. Sie
bezieht sich auf den Umrechnungsfaktor, den Sie vor-

nehmen. Sie sagen nämlich: Ein Tag Ersatzfreiheitsstrafe
wird in drei Stunden gemeinnütziger Arbeit umgerechnet.
Bei Menschen, die draußen sieben oder acht Stunden am
Tag arbeiten, werden Sie dafür kein Verständnis finden.
Sie werden diesen Umrechnungsschlüssel für nicht ange-
messen halten.


(Alfred Hartenbach [SPD]: Die sind ja auch nicht bestraft worden, Herr Pofalla!)


Wir kritisieren, dass dieser Schlüssel letztlich eine Privi-
legierung darstellt und in diesem Bereich insgesamt zu ei-
ner milderen Behandlung führt.


(Joachim Stünker [SPD]: Reiner Populismus! – Alfred Hartenbach [SPD]: Sie setzen einen Arbeiter mit dem Vorbestraften gleich! Wo gibt es denn so was?)


– Lautstärke ersetzt keine qualifizierten Gegenargumente.
Sie sollten wenigstens versuchen, meine Argumente an-
zuhören.

Ich will auf weitere Probleme hinweisen, die sich im
Zusammenhang mit der gemeinnützigen Arbeit ergeben.
Darauf hat die Ministerin erstaunlicherweise zum Teil
schon hingewiesen. Gemeinnützige Arbeit wird zu orga-
nisieren sein. Sie muss aber auch kontrolliert werden. Der
Deutsche Richterbund kritisiert genau dies. Er spricht von
nicht organisierbarer und nicht finanzierbarer Bereitstel-
lung von gemeinnütziger Arbeit und deren Überwa-
chungsinstitutionen. Ich meine, wenn der Deutsche Rich-
terbund schon auf Probleme hinweist, die sich in der
Praxis ergeben, sollten wir uns auch einmal darüber un-
terhalten, dies nicht von heute auf morgen, sozusagen von
Null auf Hundert, umzusetzen, sondern zu versuchen, die
Umsetzung in verschiedenen Stufen erfolgen zu lassen.

Noch eine Anmerkung zur Erweiterung des ver-
kehrsstrafrechtlichen Fahrverbots. Die Beschränkung
auf Delikte, die im Zusammenhang mit dem Straßenver-
kehr und dem Kraftfahrzeug stehen, halten wir für falsch.
Wir meinen, dass, wenn Fahrverbote als Bestrafung von
Tätern ausgesprochen werden können, dies auch auf an-
dere Delikte erstreckt werden sollte. Aber darüber können
wir ja zu gegebener Zeit im Rahmen der Ausschussdebat-
ten streiten.

Ich möchte noch etwas zur Erweiterung der Verwar-
nung mit Strafvorbehalt sagen. Uns erscheint diese Er-
weiterung unnötig. Zum einen gibt es bereits Regelungen,
nach denen in der Praxis bei so genannten Einmal-Tätern die
Verfahren eingestellt werden können. Ich denke an §§ 153
und 153 a StPO, an § 37 Betäubungsmittelgesetz und die
Möglichkeit des Absehens von Strafe nach § 46 a StGB.


(Joachim Stünker [SPD]: Das ist doch nicht neu!)


Zum anderen könnte diese neue Sanktionsart dazu führen,
dass das bisher gestufte Sanktionensystem von Geld-
strafe, Freiheitsstrafe mit Bewährung und Freiheitsstrafe
um eine weitere unnötige Stufe, die Verwarnung mit Straf-
vorbehalt, erweitert würde, Herr Stünker.


(Alfred Hartenbach [SPD]: Das gibt es schon seit zehn Jahren!)





Ronald Pofalla

24703


(C)



(D)



(A)



(B)


Bei dem Täter, dem Opfer und den rechtstreuen Bürgerin-
nen und Bürger würde so – letztlich nicht zu Unrecht – der
Eindruck erweckt, dass aufseiten der Justiz noch mehr als
bisher die Verhängung einer Freiheitsstrafe gemieden
wird. Dieser Eindruck sollte im Sinne der Kriminal-
prävention sowie des Sühnegedankens vermieden werden.

Schließlich sieht der Gesetzentwurf als weiteren
Hauptpunkt Änderungen im Bereich der Geldstrafe vor.
Auch diese Änderungen sind nicht, zumindest nicht in
Gänze, zu befürworten. Zwar ist die Berücksichtigung der
Opferinteressen bei der Vollstreckung der Geldstrafe zu
begrüßen. Jedoch ergibt sich aus dem Gesetzentwurf die
Möglichkeit, aufgrund der Opferinteressen völlig auf die
Vollstreckung einer Geldstrafe zu verzichten. Das kann
nicht gewollt sein; denn dann würde eine strafrechtliche
Würdigung einer kriminellen Handlung zugunsten einer
mehr oder minder zivilrechtlichen Ausgleichsregelung,
die gegebenenfalls ohnehin besteht, entfallen. Das halten
wir für falsch.


(Zuruf von der CDU/CSU: Wer arm genug ist, kann jede Straftat begehen, die nicht mit Freiheitsstrafe bewehrt ist!)


Bestünde die Strafe lediglich in der Begleichung des zi-
vilrechtlichen Anspruchs des Opfers, ist darin keine Be-
strafung mehr zu sehen. Die strafrechtliche Sanktion
würde gleichsam aufgehoben. Warn- und Sühnefunktion
der Strafe gingen bei dieser Änderung nach unserer Auf-
fassung völlig verloren.


(Zuruf von der CDU/CSU: Der Entwurf ist nicht ausgegoren, ein Diskussionsbeitrag!)


Es ist weiterhin zu bedenken, dass die geplante zwin-
gende Zuweisung eines Teils der Geldstrafe an ge-
meinnützige Organisationen der Opferhilfe zu einem von
den Richtern kaum zu bewältigenden Verwaltungsmehr-
aufwand führen würde.

Alles in allem bleibt also festzuhalten, dass dieser Ge-
setzentwurf noch der intensiven Überarbeitung bedarf,
bevor er die Zustimmung der CDU/CSU-Bundestagsfrak-
tion finden könnte. Da dieser Gesetzentwurf sowohl im
Vorfeld in Teilen Ihrer Koalition umstritten war und auch
nach wie vor umstritten ist, ist die Einbringung ins Ple-
num in erster Lesung ohnehin Makulatur. Jeder der hier
Sitzenden weiß, dass dieser Gesetzentwurf während die-
ser Legislaturperiode nicht mehr im Bundesgesetzblatt
landen wird.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das liegt an Ihnen!)


Erlauben Sie mir noch die Anmerkung: Angesichts der
jetzt vorliegenden Fassung halten wir dies auch für richtig.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1424514700
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Alfred Hartenbach.


Alfred Hartenbach (SPD):
Rede ID: ID1424514800
Verehrte Frau Präsidentin!
Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Das heutige Geset-

zesvorhaben veranlasst mich zunächst einmal, der Minis-
terin ganz herzlich Dank zu sagen,


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Ach du liebe Zeit! Das haben wir schon einmal gehört!)


die uns auch durch ihre Hartnäckigkeit und Beharrlichkeit
in dem Vorhaben unterstützt hat, diesen Gesetzentwurf
noch einzubringen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich bedanke mich auch ganz herzlich bei meinem Kol-
legen Professor Dr. Meyer, der eigentlich an meiner Stelle
hier reden sollte, der aber, wie wir wissen, in Brüssel die
Grundrechte-Charta ausarbeitet. Ich bedanke mich auch
sehr ausdrücklich bei unserem ehemaligen Vorsitzenden
des Rechtsausschusses, Herrn Eylmann, der diese Kom-
mission, die von Herrn Schmidt-Jortzig geleitet worden
ist, begleitet hat


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Schon zwei Jahre zurück!)


und mehr Verständnis und Verstand für Strafrecht aufge-
bracht hat, als Sie alle, die Sie da sitzen, zur Verfügung
haben.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Norbert Geis [CDU/CSU]: Das ist eine der üblichen Beleidigungen des Herrn Hartenbach!)


Alle, die in dieser Kommission gearbeitet haben, haben
nämlich erkannt, dass es ganz wichtig ist, die Interessen
des Opfers wieder in den Vordergrund zu stellen. Dies ist
– insbesondere unter Ihnen – jahrelang vernachlässigt
worden.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Sie haben doch immer Täterschutz betrieben!)


– Mensch, nun halt doch einmal den Mund!
Wir tun das Unsere dazu, indem wir die Opferverbände

stärken, und ihnen die Geldbußen zukommen lassen. Sie
sind es nämlich, die die Menschen unterstützen, die von ei-
ner Straftat betroffen sind. Es sind nicht die staatlichen In-
stitutionen, sondern gerade diese Opferschutzverbände.
Wir stärken die Interessen der Opfer und verschaffen ihnen
Genugtuung. Was hat denn ein Opfer davon


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Die Lautstärke macht es nicht besser!)


– ich rede jetzt zu den anderen, er versteht es sowieso
nicht –,


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Frau Präsidentin, ich werde hier beleidigt!)


wenn es hinterher nur die Genugtuung hat, dass der Täter
verurteilt worden ist? Viel besser ist es doch, wenn zum
Beispiel der psychische Schaden ausgeglichen wird.

Genau das Gleiche gilt, wenn wir hier über gemein-
nützige Arbeit reden. Auch hier zeigen Sie, dass Sie über
keinerlei Erfahrung verfügen;


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Ach ja? – Zuruf von der FDP: Herr Amtsgerichtsdirektor!)





Ronald Pofalla
24704


(C)



(D)



(A)



(B)


denn sonst wüssten Sie, was es bedeutet, gemeinnützige
Arbeit zu leisten.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1424514900
Herr Abgeord-
neter, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten
Herta Däubler-Gmelin?


Alfred Hartenbach (SPD):
Rede ID: ID1424515000
Ja.


Dr. Herta Däubler-Gmelin (SPD):
Rede ID: ID1424515100
Das Thema
„gemeinnützige Arbeit“ bringt mich zu der Frage: Finden
Sie nicht auch einige der Bemerkungen mehr als merk-
würdig, dies sei schwer oder nicht zu organisieren, nach-
dem wir in Mecklenburg-Vorpommern jahrelang den
flächendeckenden Versuch gemacht haben, alle Ersatz-
freiheitsstrafen durch gemeinnützige Arbeit zu ersetzen?
Könnten Sie so freundlich sein, aus Ihrer persönlichen Er-
fahrung als Direktor eines Amtsgerichts vielleicht etwas
zur gemeinnützigen Arbeit zu erzählen?


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Der Amtsgerichtsdirektor betreibt gemeinnützige Arbeit!)



Alfred Hartenbach (SPD):
Rede ID: ID1424515200
Ich bedanke mich sehr für
diese Frage, Frau Abgeordnete Däubler-Gmelin. Meck-
lenburg-Vorpommern hat gezeigt


(Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Es ist hier ja wie im Panoptikum!)


– ihr seid eine Rasselbande –, dass man dies sehr wohl
über privatrechtliche Institutionen organisieren kann. Ich
kann Ihnen aufgrund meiner beruflichen Erfahrung sagen,
dass das Bundesland Hessen bereits vor 17 Jahren unter
dem damaligen Justizminister Dr. Herbert Günther


(Joseph Fischer, Bundesminister: Sehr guter Mann!)


– ein sehr guter Mann – den Feldversuch „gemeinnützige
Arbeit statt Ersatzfreiheitsstrafe“ gestartet hat. Ich habe
damals als Staatsanwalt an diesem Feldversuch sehr aktiv
mitgewirkt. Wir haben gesehen, dass dieser Feldversuch
in der Öffentlichkeit sehr gut angekommen ist und dass
insbesondere die Betroffenen, also diejenigen, die eine
Geldstrafe hätten zahlen müssen, sie aber nicht zahlen
konnten – es war nicht so, dass sie sie nicht zahlen woll-
ten, Herr Geis –, sehr wohl gemerkt haben, dass es sich
hierbei um eine ganz massive Sanktion gehandelt hat.

Wenn Sie mich nach meinen Erfahrungen fragen, dann
sage ich Ihnen, dass das Fahrverbot so, wie es jetzt aus-
gestaltet ist, genau der richtige Weg ist. Sehr viele Straf-
richter – ich spreche jetzt aus meiner richterlichen Erfah-
rung – haben vor der Überlegung gestanden: Wenn ich
jetzt die Fahrerlaubnis einziehe, dann muss der Betref-
fende den Führerschein neu beantragen und machen.


(Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Ist das heute ein Erfahrungsbericht?)


Ich weiß nicht, ob Sie es schaffen würden. Viele hätten
es niemals geschafft, den Führerschein erneut zu bekom-
men. Wir als Strafrichter wussten immer, dass wir diesen
Menschen damit einen Bärendienst erweisen. Diese

Spanne, die Möglichkeit der Verlängerung des Fahrver-
bots – das ist immer noch Antwort auf die Frage – auf
sechs Monate, ist genau der richtige Weg.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1424515300
Sie sollten Ihre
Antwort nicht zu sehr ausweiten.


(Ronald Pofalla [CDU/CSU/CSU]: Eine Frage und eine halbe Stunde Vortrag!)



Alfred Hartenbach (SPD):
Rede ID: ID1424515400
Ich bedanke mich für die
Frage.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Ronald Pofalla [CDU/CSU]: Tosender Applaus!)


– Ich bedanke mich für den Beifall. Sie haben gesehen: Es
klappt.


(V o r s i t z : Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms)


Wir haben diesen Gesetzentwurf heute eingebracht,
um deutlich zu machen, dass im strafrechtlichen Bereich
mehr als die von Ihnen bisher gehandhabte Knüppel-aus-
dem-Sack-Politik kommen muss.


(Beifall bei der SPD – Norbert Geis [CDU/ CSU]: Warum haben Sie das nicht vor zwei Jahren gemacht?)


Wir wollen mit diesem Gesetz deutlich machen: Einer-
seits liegen uns die Belange der Opfer sehr am Herzen; an-
dererseits wissen wir ganz genau, wie wir die Täter zu be-
handeln haben.


(Ronald Pofalla [CDU/CSU/CSU]: Das ist seine Show hier! Norbert Geis [CDU/CSU]: Das ist alles nur Schaufensterkampf! Wahlpropaganda machen Sie!)


Sie werfen uns immer vor, wir würden etwas durch-
peitschen. Jetzt beraten wir etwas in aller Ruhe und großer
Übereinstimmung, aber wir machen es wieder nicht rich-
tig. Der liebe Herr van Essen, er hat behauptet, Herr
Stünker habe aus dem FDP-Parteiprogramm abgeschrie-
ben. Wenn ich das richtig sehe, heißt der letzte Satz im
FDP-Parteiprogramm: Wenn morgen früh die Sonne
lacht, hat das die FDP gemacht!

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD – Rainer Funke [FDP]: Sie sollten häufiger im FDP-Programm lesen!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1424515500
Ich
schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs
auf Drucksache 14/9358 an die in der Tagesordnung auf-
geführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es anderwei-
tige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann ist die
Überweisung so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 5 auf:
Vereinfachte Debatte
Aufgaben und Perspektiven der transatlan-
tischen Zusammenarbeit




Alfred Hartenbach

24705


(C)



(D)



(A)



(B)


Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. – Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat der
Kollege Volkmar Schultz von der SPD-Fraktion das Wort.


Volkmar Schultz (SPD):
Rede ID: ID1424515600
Herr Präsident!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Als ich vor
47 Jahren zu meiner ersten Reise nach Amerika aufbrach,
wusste ich zwar nicht genau, was mich erwarten würde.
Aber ich habe gespürt, dass diese Reise mein Leben nach-
haltig beeinflussen würde.

Inzwischen sind es fast 50 Reisen über den großen
Teich geworden. Doch die USA sind für mich neben
Deutschland das schwierigste Land geblieben. Das mag
mit den gelegentlichen Enttäuschungen eines Liebhabers
zu tun haben, hat aber wohl stärker mit der Widersprüch-
lichkeit der Traditionen in der amerikanischen Politik,
insbesondere der Außenpolitik, zu tun. Auf der einen Seite
ist das, was wir als Isolationismus zu bezeichnen pflegen,
spätestens vorgegeben seit der Abschiedsrede von George
Washington. Auf der anderen Seite ist dieser missiona-
rische Eifer, mit dem die Gedanken der Freiheit und der
Demokratie vorangetrieben werden, um „Gottes heiligem
Experiment“ – so nannten es die Pilgerväter – in der
ganzen Welt zum Durchbruch zu verhelfen.

Jeder amerikanische Präsident versucht, zwischen
den beiden Extremen Idealismus und Pragmatismus
eine neue Balance zu finden, so auch jetzt George W.
Bush. Die Tatsache, dass beide Strömungen miteinander
in einem Dauerstreit liegen, führt in anderen Teilen der
Welt immer wieder zu Irritationen, Missverständnissen
und gelegentlich auch zu unreflektiertem Antiamerika-
nismus.

Es ist aber nicht so, dass nur wir Europäer die Ameri-
kaner mit unberechtigten Stereotypen überziehen, son-
dern auch wir müssen uns manchmal von amerikanischer
Seite Dinge vorwerfen lassen, die nicht stimmig sind.
Robert Kagan hat kürzlich auf die Schwarz-Weiß-Malerei
in den transatlantischen Beziehungen hingewiesen. Ich
kann an dieser Stelle nicht näher darauf eingehen, möchte
aber jedem, der sich ernsthaft mit Amerika beschäftigt,
empfehlen, sich intensiv mit der Geschichte und dem in-
stitutionellen Gefüge des Landes auseinander zu setzen.
Wir Europäer sehen Amerika zu oft als einen monoli-
thischen Block. Wir geben uns der Illusion hin, dass die
von Henry Kissinger einst bei den Europäern eingefor-
derte einheitliche Telefonnummer auf der anderen Seite
tatsächlich existiert. Aber es gibt sie nicht.


(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Sehr richtig!)

Stattdessen vernehmen wir, wenn wir genau hinhören,

eine ganze Kakophonie von Stimmen in der amerikani-
schen Regierung, im Kongress und auch zwischen den
beiden. Dabei wird die Rolle des Kongresses von vielen
Europäern sträflich vernachlässigt.

Warum hatten etwa das Kioto-Protokoll oder der Inter-
nationale Strafgerichtshof auch zu den Zeiten der Clinton-
Regierung keine Chance? – Weil diese Verträge im Senat
keine Chancen haben und hatten.

Was ein von Wahlkampfinteressen gesteuerter Kon-
gress zustande bringt, zeigt das soeben verabschiedete
Gesetz zum Schutze amerikanischer Soldaten, das einer-
seits die Zusammenarbeit mit dem Internationalen Straf-
gerichtshof kategorisch untersagt, andererseits aber inter-
nationale Anstrengungen zur Bestrafung von Völkermord
und Verbrechen gegen die Menschlichkeit fordert, zum
Beispiel im Fall von Milosevic. Das passt nicht zusam-
men. Es untergräbt die Glaubwürdigkeit der westlichen
Führungsmacht und erleichtert den Gegnern Amerikas
das Geschäft. Die Vereinigten Staaten sollten akzeptieren,
dass neuartige Verbrechen nicht nur neuartige Bekämp-
fungsmethoden, sondern auch eine Weiterentwicklung
des internationalen Strafrechts erfordern.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Helmut Haussmann [FDP])


Warum erwähne ich das? – Weil es zeigt, liebe Kolle-
ginnen und Kollegen, wie ungeheuer wichtig es ist, dass
auch der nächste Deutsche Bundestag und die Parlamen-
tarier anderer europäischer Länder noch intensiver und
kontinuierlicher auf Tuchfühlung mit dem amerikani-
schen Kongress gehen und dass wir intensiv an einem
Netzwerk von Kontakten zu den dortigen Kollegen, zu de-
ren Mitarbeitern und den sie beratenden Think Tanks ar-
beiten sollten. Es sind dicke Bretter, die dort gebohrt wer-
den müssen, damit wir die europäische Sicht der Dinge
einfließen lassen können.

Wir haben vor wenigen Tagen das 30-jährige Bestehen
des German Marshall Fund begangen und an die transat-
lantische Nachkriegsgeschichte erinnert. Marshall-Plan,
NATO und die europäische Integration waren damals
Ausdruck einer klugen Politik, die es verstand, eigene Si-
cherheits- und Wirtschaftsinteressen mit einem Friedens-,
Freiheits- und Demokratiebündnis zu verbinden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wie uns der Balkan-Stabilitätspakt lehrt, ist es bis zum
heutigen Tag eine kluge Politik geblieben. Seit Jahrhun-
derten ist es Europa niemals so gut gegangen wie heute
und einiges davon verdanken wir Amerika, das wir doch
so gerne kritisieren.

Europa und Amerika können ihre Interessen langfris-
tig nur gemeinsam verwirklichen. Dies gilt auch für die
Bekämpfung des internationalen Terrorismus. Wir
müssen uns selbst, aber auch den Amerikanern immer
wieder verdeutlichen, dass der Kampf gegen Hass und
Terror, gegen menschenverachtende Diktaturen, gegen
Hunger, Armut und Seuchen keineswegs nur mit mi-
litärischen Mitteln geführt werden kann, sondern dass er
auch nachhaltige und geduldige zivile Strategien erfor-
dert.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Andererseits müssen wir Europäer einsehen, dass es
Situationen gibt und geben wird, in denen auch eine mi-
litärische Option notwendig sein kann. Dabei darf es
keine Arbeitsteilung nach dem Motto „Amerika fürs
Grobe und Europa für den Verputz“ geben. Frieden wird




Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
24706


(C)



(D)



(A)



(B)


nicht allein auf dem Schlachtfeld und Demokratie nicht
allein mit dem Scheckbuch erreicht.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Die berufsmäßigen Kaffeesatzleser der transatlanti-
schen Beziehungen haben immer wieder geglaubt, tief
greifende Dissonanzen und Krisen feststellen zu müssen.
Lassen Sie mich daran erinnern, dass es schon auf dem
Höhepunkt des Kalten Krieges, nämlich 1963, zwischen
Amerika und Europa den so genannten Hähnchenkrieg
gegeben hat, dem später der Bananenkrieg und in jüngster
Zeit der Stahlkrieg gefolgt sind. Ich kann nur sagen:
glückliches Europa, das solche Kriege führen, gewinnen
oder auch mal verlieren kann; denn sie sind nichts weiter
als Ausdruck der intensivsten Beziehungen, die jemals
zwei große Weltregionen miteinander verbunden haben.
Wer an einem einzelnen Tag Waren und Dienstleistungen
im Wert von etwa 1,25 Milliarden Euro austauscht, wer je-
den Tag Hunderttausende von Menschen hin- und herrei-
sen lässt, der sollte gelegentliche Reibereien im Grenzbe-
reich wirtschaftlicher und politischer Überlegungen nicht
allzu dramatisch bewerten.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Dissonanzen liegen weniger in den Zielen, sondern
mehr in den Methoden des Vorgehens begründet. Auf-
grund seiner Geschichte und in realistischer Einschätzung
seiner eigenen Möglichkeiten sieht Europa seine Chancen
im multilateralen Vorgehen und in der Kooperation mit
internationalen Organisationen.Das ist für die USA je-
doch nur eine von mehreren Optionen. Sie könnten eben
auch anders.

Kooperation durch internationale Regime und Organi-
sationen ist langfristig angelegt. Einseitiges Handeln geht
schneller, ist deshalb verführerischer, kann aber auch
kurzlebiger und riskanter sein. In der transatlantischen
Beziehung wird gelegentlich mit zwei Geschwindigkeiten
gearbeitet. Wer das weiß, kann sich darauf einstellen. Die
Amerikaner wissen, dass sie ihre Werte und ihre Interes-
sen am besten gemeinsam mit uns vorantreiben können;
umgekehrt gilt das genauso.


(Beifall des Abg. Gert Weisskirchen [Wiesloch] [SPD])


Nehmen wir Präsident Bush doch beim Wort! Amerika,
so sagte er hier an dieser Stelle, wünscht sich ein starkes,
konsolidiertes Europa, ein demokratisch erneuertes Russ-
land und eine handlungsfähige NATO. Er forderte Europa
zu einer engen partnerschaftlichen Zusammenarbeit auf.
Das Feindbild des muskelstrotzenden Rambo, der un-
überlegt aus der Hüfte schießt, sollte bei uns wirklich kei-
nen Platz mehr haben.

Was also ist unsere Aufgabe? Stärken wir Europa, da-
mit es in entscheidenden Momenten mit einer Stimme spre-
chen kann! Helfen wir Russland beim Aufbau weiterer de-
mokratischer Strukturen und setzen damit die kluge Politik
der vergangenen 50 Jahre fort! Begreifen wir aber auch,
dass wir Europäer als Wirtschaftsweltmacht uns nicht ein-

fach von den schmutzigen Händeln dieser Welt fernhalten
können, dass wir also über den europäischen Tellerrand
hinausschauen müssen. Auch kluge Politik braucht Macht.
Aber große Macht braucht auch kluge Politik.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Vor zehn Jahren haben viele von uns geglaubt, die Welt
werde einfacher werden. Stattdessen ist sie schwieriger
geworden. Wir tun gut daran, die transatlantischen Bezie-
hungen nicht nur als kulturelle Beziehungen, als Werte-
beziehungen, als wirtschaftliche Beziehungen, als militä-
rische Beziehungen, als Allianzbeziehungen zu begreifen,
sondern die transatlantische Allianz auch als eine wirklich
komplexe Lerngemeinschaft zu begreifen. Im Deutschen
Bundestag und im amerikanischen Kongress treten die al-
ten Riegen der erfahrenen Transatlantiker langsam ab.
Beide Parlamente sollten sich bemühen, Nachwuchs zu
rekrutieren. Nichts ist für die transatlantischen Beziehun-
gen gefährlicher als Gleichgültigkeit.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der FDP)


Als Letztes ein Wort der Entschuldigung dafür, dass ich
in meinem Redebeitrag nichts über Kanada gesagt habe.
Wir neigen dazu, Kanada nur am Rande zu behandeln.
Aber Kanada ist ein freundlicher, ein uns geneigter Part-
ner, mit dem es kaum Konflikte gibt. Deswegen neigen
wir dazu, Nordamerika oder auch Amerika als die USAzu
begreifen. Die Kanadier sollten wissen, dass das bei mir
durchaus nicht der Fall ist,


(Beifall bei der SPD – Lothar Mark [SPD]: Bei uns auch nicht!)


sondern dass ich ihre Freundschaft und ihre Partnerschaft
sehr wohl zu schätzen weiß.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1424515700
Herr Kol-
lege Schultz, wie ich höre, war das Ihre letzte Rede in die-
sem Hause. Ich darf Ihnen im Namen des Hauses für Ihre
kollegiale und fruchtbare Zusammenarbeit danken.


(Beifall im ganzen Hause)

Das Wort hat jetzt der Kollege Karl Lamers von der

CDU/CSU-Fraktion.


Karl Lamers (CDU):
Rede ID: ID1424515800
Herr Präsident! Verehrte
Kolleginnen und Kollegen! Der Angriff des transnatio-
nalen Terrorismus vom 11. September auf die wirt-
schaftlichen und militärischen Symbole Amerikas, das
WTC und das Pentagon, ist der radikalste, aber keines-
wegs der einzige Ausdruck der Auflehnung gegen die
von den USA als dem Protagonisten des Westens ge-
prägte heutige Weltordnung. Er ist Zeichen ihrer tiefen
Krise. Der Beifall für dieses monströse Ereignis bei
den Massen in der islamischen Welt, aber auch Reaktio-
nen in anderen ihrer Teile sind das eigentlich politisch




Volkmar Schultz (Köln)


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(D)



(A)



(B)


Beunruhigende. Der Westen, nicht nur seine Vormacht
Amerika, ist herausgefordert. Der Westen muss deswe-
gen eine grundlegende Neubewertung des Zustandes, in
dem sich die Welt befindet, und eine Neubestimmung
seiner Verantwortung für sie vornehmen, um die uner-
lässlichen militärischen und anderen operativen Maß-
nahmen in einen ebenso unerlässlichen, aber noch nicht
vorhandenen, noch nicht definierten politischen Rahmen
stellen zu können.

Der 11. September 2001 demonstriert die Verletzlich-
keit der heutigen Zivilisation und er demonstriert, dass
auch Amerika verwundbar ist. Der Westen muss sich neu
formieren und die tiefen Differenzen überwinden, die seit
diesem Datum offenkundig geworden sind. Dieses hat in
brutaler Deutlichkeit die Notwendigkeit, ja die Unaus-
weichlichkeit eines noch engeren europäisch-amerika-
nischen Zusammenwirkens demonstriert.

Zu diesem Zweck müssen Europa und Amerika erstens
vorab und vor allem das ganze Ausmaß des Aufruhrs ge-
gen die heutige Weltordnung und dessen Ursachen
wahrnehmen, es sich bewusst machen, die Herausfor-
derungen wirklich annehmen, ihre Politik davon bestim-
men lassen – alle Politik, nicht nur die äußere, sondern
auch die innere – und vor allem die Prioritäten anders set-
zen. Außenpolitik hat Vorrang,


(Beifall des Abg. Dr. Andreas Schockenhoff [CDU/CSU])


weil unser Wohl und Wehe, das der Völker des Westens,
immer mehr vom Wohl und Wehe aller seiner Nachbarn
abhängt. Und Nachbarn sind heute alle.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)


Der konkrete Ausdruck der Prioritäten eines Landes ist
sein Haushalt. In Deutschland, verehrte Kolleginnen und
Kollegen, sind die Ausgaben für auswärtige Zwecke, so
wie sie sich in den Haushalten des Auswärtigen Amtes,
des Entwicklungshilfeministeriums und des Verteidi-
gungsministeriums widerspiegeln, von 1990 bis 2002 von
einem Anteil von mehr als 21 Prozent auf einen Anteil von
weniger als 12 Prozent am Gesamthaushalt zurückge-
gangen.


(Markus Meckel [SPD]: Das muss sich ändern!)


Ich sage in aller Deutlichkeit: Unser Land setzt seine Prio-
ritäten falsch.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Markus Meckel [SPD])


Wenn nach dem 11. September nichts mehr so wäre,
wie es vorher war, was oft behauptet worden ist, dann
müsste das ja in allererster Linie für das Bewusstsein gel-
ten. Davon aber ist in unserem Lande nichts zu spüren, in
Europa übrigens auch nicht, denn sonst würde Europa
endlich jetzt, spätestens jetzt mit einer Stimme sprechen.

Zweitens. Der Westen darf die Welt nicht nur unter dem
Gesichtspunkt des Terrorismus sehen.


(Lothar Mark [SPD]: Sehr richtig!)


Er darf nicht nur die Gefahren, sondern muss auch die
Chancen für eine etwas bessere Welt wahrnehmen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Wenige Wochen nach dem 11. September sagte ein radi-
kaler islamistischer Politiker über Amerika: Das Land,
das wir am meisten hassen, ist unser Paradies. – Das zeigt
die ganze Ambivalenz selbst der radikalsten Gegner der
USA. Selbst sie sehnen sich nach gewissen Errungen-
schaften des Westens, weil nur sie ein besseres und freie-
res Leben versprechen. Der ganz überwiegende Teil der
Menschheit weiß, dass er die Zusammenarbeit mit dem
Westen braucht, und er will sie. Der Hass auf Amerika
geht oft auf enttäuschte Hoffnung und auch auf Zunei-
gung zurück. Noch hat der Westen die Mittel, die Welt so
zu gestalten, dass sie ihm nicht feindselig wird. Die Völ-
ker, die nach einem besseren Leben, nach einem „Platz
an der Sonne“ streben, sind nicht seine „natürlichen
Feinde“.

Drittens. Der Westen darf nicht alles über den Kamm
des Terrorismus scheren und er darf nicht zulassen, dass
seine Verbündeten es tun.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Wolfgang Gehrcke [PDS])


Es gilt – so schwer das ist –, legitimen Widerstand auch
mit gewaltsamen Mitteln gegen illegitime Herrschaft ge-
genüber illegitimem Terrorismus abzugrenzen. Der Wes-
ten selbst, nicht zuletzt die USA, hat viele solcher Wider-
standsbewegungen unterstützt. Die Mittel im Kampf
gegen den Terrorismus dürfen den Terrorismus nicht för-
dern. Die tieferen wirtschaftlichen, sozialen und politi-
schen Ursachen müssen beseitigt werden, wenn Terroris-
ten nicht wie Fische im Wasser schwimmen und dann, wie
wir aus ungezählten Erfahrungen wissen, unbesiegbar
werden sollen. Nationaler wie transnationaler Terroris-
mus lässt sich nur besiegen, wenn zwei Elemente die Stra-
tegie bestimmen: Druck durch militärische bzw. polizeili-
che Maßnahmen und Isolierung innerhalb der eigenen
Gesellschaft.

Viertens. Der Westen darf den Kampf gegen den trans-
nationalen Terrorismus sich nicht zur Feindschaft mit dem
revolutionären Islam entwickeln lassen, um die Flamme
der Revolution nicht weiter anzufachen. Die teuflische
Alternative, vor die uns der Terrorismus stellen will, lau-
tet: Kapitulation oder totale Feindschaft. In diese Falle
dürfen wir nicht laufen. Polarisierung, Feindschaft und to-
taler Krieg sind die Antriebselemente von Terroristen aller
Art. Mit ihnen wollen sie die Massen gewinnen. Demo-
kratien hingegen sind diese Elemente wesensfremd und
eine Bedrohung ihrer Eigenart.

Fünftens. Der Westen muss versuchen, die Welt und
sich selbst mit den Augen der anderen zu sehen. Verstehen
ist die erste Voraussetzung für Verständigung. Erkenntnis
der eigenen Fehler ist die Voraussetzung für Lernen. Ma-
nichäismus führt zu totaler Feindschaft, die mit allen
Mitteln verhindert werden muss.

Sechstens. Der Westen muss auch seine eigene ideelle
Position in historischer Perspektive klären. Das Ergebnis
ist: Der Westen muss nicht seine Prinzipien ändern, son-




Karl Lamers
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(D)



(A)



(B)


dern nach ihnen handeln, um seine Glaubwürdigkeit wie-
derherzustellen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)


Eine Lösung des Israel-Palästina-Konfliktes, die auch
Palästinenser und Araber als gerecht empfinden, wäre
dazu ein entscheidender Beitrag.

Siebtens. Der Westen muss eine Vorstellung von einer
etwas besseren, von einer etwas gerechteren, von einer
etwas friedlicheren Weltordnung entwickeln. Ich sage es
in aller Klarheit: Wir brauchen eine Vision von einer bes-
seren Welt, um den Hass zu überwinden.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Das muss eine Welt sein, die institutionalisiert zusam-
menarbeitet, das heißt eine Welt, in der sich eine globale
Rechtsordnung entwickelt. Bis dahin – das heißt: noch
eine sehr lange Zeit – bedarf es einer Führungsnation, die
nur die USA sein können.

Die Richtung aber, in welche Amerika führt, muss eine
Rechtsordnung sein. Dazu muss es bereit sein, auch sich
selbst dem Recht zu unterwerfen und Ausnahmen nur zu
beanspruchen, wo sie sich zwingend seiner Rolle als
Führungs- und Sanktionsmacht und nicht eigensüchtigen
Interessen verdanken. Von der Weisheit, das heißt davon,
wie maßvoll Amerika diese Rolle spielt, hängt nach mei-
ner festen Überzeugung die Zukunft der Welt entschei-
dend ab. Inwieweit Amerika dieser Rolle gerecht wird,
hängt wiederum entscheidend von dem Einfluss Europas
auf Amerika ab.

Auch deswegen muss sich der Westen neu formieren.
Die NATO muss in ein Bündnis zwischen Amerika und
Europa als handlungsfähige Einheit umgestaltet werden.
Die EU als solche muss im NATO-Rat vertreten sein. Der
politische Charakter der NATO muss ausgebaut werden.
Sie muss einen globalen Auftrag bekommen. Davon hängt
die Zukunft der NATO ab, nicht von ihrer Osterweiterung.

Eine Allianz, die sich nicht um die großen Fragen küm-
mert, hat keine große Zukunft. Entweder bleibt die NATO
eine regionale Organisation zur sicherheitspolitischen
Rückversicherung ihrer Mitglieder gewissermaßen für
alle Fälle und vor allen Dingen zur Absicherung der glo-
balen Rolle Amerikas oder sie wird selbst ein globaler Ak-
teur, der seine europäischen Mitglieder nicht nur für die
USA Hilfsdienste leisten lässt, sondern ihnen auch er-
laubt, die Welt mitzugestalten. Ob das gelingt, hängt
natürlich von beiden Seiten ab, vor allen Dingen aber von
den Europäern. Sie könnten schon heute von den Ameri-
kanern Mitentscheidungsrechte bei ihrer Strategie gegen
den transnationalen Terrorismus einfordern, da sie zu-
mindest in allen Phasen nach der militärischen gefordert
werden. Das geschieht im Übrigen ja zum Teil auch mit
militärischen Mitteln. Die Arbeitsteilung, dass Amerika
alleine Entscheidungen trifft und Europa die Folgen, die
sich daraus ergeben, automatisch mitträgt, ist auf Dauer
inakzeptabel.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Richtig!)


Erfolg verspricht diese Forderung nur, wenn Europa
mit einer Stimme spricht und alle seine Kräfte, die mi-
litärischen wie die politischen, zusammenführt. Es hat mir
zu denken gegeben, dass in der bedeutenden Rede des
amerikanischen Präsidenten in West Point Europa über-
haupt nicht vorkam.

Ob Europa zu der notwendigen Einheit findet, ob es
den Weg seiner Schicksalsgemeinschaft mit Amerika nur
miterleidet oder ob es diesen auch mitgestaltet, darauf
muss der soeben begonnene Verfassungsprozess eine Ant-
wort finden. Sie wird aber nur gefunden werden, wenn es
ein inhaltliches Einvernehmen über die Rolle Europas in
der Welt, vor allem über sein Verhältnis zu Amerika gibt.
Dies wiederum hängt entscheidend von einem deutsch-
französischen Einvernehmen ab. Dies wiederum liegt kei-
neswegs in erster Linie an Frankreich, wie das Opinio
communis in Deutschland zu sein scheint. Wenn es näm-
lich Meinungsverschiedenheiten zwischen Amerika und
Europa gibt, gibt es gewissermaßen drei idealtypische Po-
sitionen: eine britische, die der Amerikas am nächsten
steht, eine französische, die gegenüber Amerika am kri-
tischsten ist, und die Deutschlands, das am liebsten nicht
gefragt werden möchte. Eine solche Vorstellung aber von
unserem, vom europäischen Verhältnis zu der übrigen
Welt ist nicht nur für die Selbstbehauptung Europas, son-
dern auch für das Selbstverständnis, für die Identität Eu-
ropas – ich sage es ganz uneingeschränkt – wichtiger als
alles andere. Hätten wir eine solche gemeinsame Vorstel-
lung, dann würde sich auch manch interner Zwist leichter
auflösen lassen.

Europa muss und kann nicht werden wollen wie Ame-
rika, um ein selbstständiger Akteur und ebenbürtiger Part-
ner zu sein; das ist weder möglich noch – ich sage es in
aller Deutlichkeit – wünschenswert. Europa muss viel-
mehr seine spezifischen Stärken entwickeln. Es muss
nicht gleichartig wie, sondern gleichwertig mit den USA
werden. Amerika seinerseits braucht einen Partner, der
immer auch Widerlager sein muss. Grenzenlosigkeit,
auch scheinbar grenzenlose Macht, führt immer zum
Selbstverlust. Europa muss in den Augen der nicht west-
lichen Welt als eigenständiger Akteur innerhalb des Wes-
tens erscheinen und nicht nur als ein Anhängsel oder bes-
tenfalls als Juniorpartner der USA, sonst kann es die Rolle
nicht spielen, die von ihm zu Recht erwartet wird und die
den Westen insgesamt stärkte. Es muss ein zuverlässiger
Partner der Länder jenes Bereichs sein und ihre Sicht-
weise Amerika zu vermitteln versuchen, ohne sich gegen
Amerika in Stellung bringen zu lassen, und es muss die
Sichtweise Amerikas ihnen zu vermitteln versuchen.

Europa und Amerika haben die gleichen grundlegen-
den Interessen, weil sie die gleichen Ansichten vom Men-
schen, von der Natur des Menschen und von der Art sei-
nes Zusammenlebens haben. Das ist das starke
Fundament der transatlantischen Gemeinsamkeit, von der
Präsident Bush zu Recht vor wenigen Wochen von dieser
Stelle aus gesprochen hat.

Dennoch gehen die Meinungen, wie der Westen seine
Stellung in der Welt verteidigen und gestalten soll – Sie
haben es schon erwähnt, Kollege Schultz –, zwischen Eu-
ropa und Amerika zunehmend auseinander. Im Vorder-
grund steht dabei häufig die Rolle der militärischen




Karl Lamers

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(D)



(A)



(B)


Macht. Ob und inwieweit man über sie verfügt, bestimmt
die Weltsicht natürlich wesentlich mit. Dies tun aber auch
historische Erfahrungen: Das Lebensgefühl einer Gesell-
schaft, die ohne jeden Zweifel die erfolgreichste der Ge-
genwart ist, muss zwangsläufig zu dem Schluss kommen,
dass das, was gut für Amerika ist, auch gut für die Welt sei.

Hier ist nicht der Ort, um alle tieferen Gründe für alle
Facetten der unterschiedlichen Lebensgefühle auf beiden
Seiten des Atlantiks zu analysieren. Vielmehr ziehe ich
hier nur die Schlussfolgerung: Europa darf ihretwegen
nicht immer stärkere Ressentiments entwickeln, also das
Lebensgefühl dessen, der sich im Leben als zu kurz ge-
kommen vorkommt, sondern muss die Ursachen für diese
unguten Gefühle überwinden. Kritik an amerikanischer
Politik ist zwar oft angebracht. Solange Europa aber nur
weiß, was es nicht will, nicht jedoch, was es will, und so-
lange es auch keine ausreichenden Mittel hat oder diese
nicht einsetzt, klingt seine Kritik hohl. Solange es sich da-
mit begnügen muss, Amerika zu kritisieren, dann aber
doch mitmacht, wenn Amerika entschieden hat, wie es
– ich wage es kaum zu sagen – im Falle des Irak wahr-
scheinlich wieder der Fall wäre, darf es seinen Vasallen-
status nicht beklagen.

Europa muss die Ursachen für seine Ressentiments ge-
genüber Amerika beseitigen: die zu große Abhängigkeit
heute in Fragen der globalen Sicherheit wie früher in denen
der europäischen Sicherheit sowie das Gefühl, keinen an-
gemessenen Einfluss auf Entscheidungen nehmen zu kön-
nen, die es gleichwohl betreffen, und keine unmittelbare
Verantwortung und keinen Entscheidungszwang zu haben.
Einen solchen Entscheidungszwang müssen sich die Eu-
ropäer selber schaffen, um Unentschlossenheit und Unei-
nigkeit zu überwinden. Der Starke und Selbstbewusste hat
keine Ressentiments; nur er ist ein verlässlicher Partner.

Europa hat auch keinen Grund, Ressentiments zu ent-
wickeln. Es hat Stärken, über die Amerika nicht verfügt.
Europa hat einen außerordentlichen Schatz an Erfahrun-
gen in allen Teilen der Welt. Es hat aus seinen Niederla-
gen gelernt. Die nicht westliche Welt erwartet geradezu
sehnsüchtig ein stärkeres Engagement Europas auf allen
Feldern der Politik, hat Europa doch alles, was dieser Teil
der Menschheit braucht, ohne hegemonialer Absichten
verdächtig oder zu ihnen überhaupt fähig zu sein.

Schließlich meistert Europa etwas, was in der ganzen
Welt und in vielen ihrer Regionen notwendig ist, soll der
Frieden dauerhaft, das heißt institutionell, gesichert sein:
die Entwicklung einer Rechtsordnung, der sich alle
seine Mitglieder als freie und selbstbewusste Nationen
freiwillig unterwerfen. Auch bemüht sich Europa im In-
neren, für seine Bürger eine Ordnung zu entwickeln, in
der Freiheit und Solidarität gleichermaßen gelten. Dies ist
das Wertvollste, was Europa vorzuweisen hat und was die
europäischen Staaten über Jahrzehnte geschaffen haben.
Diese Ordnung ist modern und zukunftsweisend.

Amerika bleibt ein faszinierendes Land mit einem ganz
eigenen Charakter. Diesen Charakter haben die Amerika-
ner nach dem 11. September wieder eindrucksvoll unter
Beweis gestellt. Europa muss bereit sein, diesen Charakter
Amerikas anzunehmen, auch wenn es manchmal schwer
ist. Umgekehrt muss Amerika bereit sein, das Wesen Eu-
ropas zu verstehen und damit seine Modernität zu begrei-

fen. Amerika muss in seinem eigensten Interesse bereit
sein, Europa nicht nur als irgendeinen unter vielen Ver-
bündeten, sondern als den wertvollsten Partner mit dem
ihm eigenen Charakter zu akzeptieren. Die Amerikaner
werden dies aber nur tun, wenn sie es tun müssen, wenn
also Europa stärker wird, als es derzeit ist.

Es kann keinen Zweifel geben, verehrte Kolleginnen
und Kollegen: Die USA sind der mächtigste Akteur in der
heutigen Welt; Europa aber ist der modernste. Jean Monnet
hat einmal gesagt: „Europa ist ein Beitrag zu einer besse-
ren Welt.“ Nichts ist vordringlicher, als dieses Wort Jean
Monnets noch sehr viel stärker als bisher zur Geltung zu
bringen.

Wir, die Deutschen, haben in den vergangenen Jahr-
zehnten zu diesem Bau Europas einen maßgeblichen Bei-
trag geleistet. Ich sage ohne Einschränkung: Das ist für
mich ein wesentlicher Grund, weshalb ich stolz bin, ein
Deutscher zu sein; denn das ist eine Leistung, die wir voll-
bracht haben.


(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Richtig!)

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich möchte, dass wir
auch in Zukunft in diesem Sinne stolz sein können, Deut-
sche zu sein.

Vielen Dank.

(Beifall im ganzen Hause)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1424515900
Herr Kol-
lege Lamers, ich darf auch Ihnen im Namen aller Kolle-
gen für Ihre letzte Rede in diesem Hause, für die außen-
politische Grundsatzrede, die Sie soeben gehalten haben,
und für Ihre langjährige kollegiale und erfolgreiche Arbeit
in diesem Hause danken.


(Beifall im ganzen Hause)

Das Wort hat jetzt die Kollegin Rita Grießhaber von

Bündnis 90/Die Grünen.


Rita Grießhaber (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1424516000

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In einer Welt
im Umbruch sind die Vereinigten Staaten von Amerika die
einzig verbliebene Macht, die die Größe und die Mög-
lichkeit hat, eine Ordnungsstruktur zu entwickeln. Aber
gleichzeitig fragen wir uns: Was wollen sie im Nahen
Osten, im Irak und anderswo? Und vor allem: Mit wel-
chen Mitteln wollen sie es erreichen?

So sehr das transatlantische Verhältnis zum Fundament
der Bundesrepublik gehört, ist es doch auch Teil der im
Umbruch befindlichen Welt. Ja, Herr Kollege Lamers,
hier stellt sich die Frage: Welche Partnerschaft hat Europa
zu bieten? Wir werden nur weiterkommen, wenn es uns
gelingt, Europa als echten Partner zu konstituieren.

Mich erschreckt allerdings, wie leicht man viel Beifall
bekommen kann, wenn man auf die US-Politik einschlägt.
Nur: Die jetzige US-Regierung macht es uns nicht immer
leicht, solche Kritik zu widerlegen. Liegt das an der Rhe-
torik? – Zum Teil. Für uns macht es einen Unterschied, ob
die so genannten States of Concern als „strategische He-
rausforderung“ oder als „Achse des Bösen“ bezeichnet




Karl Lamers
24710


(C)



(D)



(A)



(B)


werden. Auf der einen Seite ist unsere Sichtweise zum Bei-
spiel auf den Iran eine wesentlich differenziertere. Aber
wer realisiert auf der anderen Seite schon, dass die Verur-
teilung des großen „amerikanischen Satans“ normaler Be-
standteil vieler Freitagspredigten im Iran ist?

Machen wir uns eines klar: Bei allen Gemeinsamkei-
ten bezüglich Werten und Interessen gibt es wesentliche
Unterschiede, nicht nur im Hinblick auf die Tradition.
Auch unsere militärischen Fähigkeiten sind bei weitem
bescheidener und unsere Stärken liegen auf anderen Ge-
bieten, nämlich im mühsam trainierten Ausgleich unseres
europäischen Modells. Kollege Lamers, Sie haben darauf
hingewiesen.

Meine Damen und Herren, die USA haben sich in Se-
paration von der europäischen Staatenwelt gegründet, die
damals ihren Multilateralismus sehr kriegerisch gelebt
hat. Sie haben sich in Abgrenzung von ihr als freieren,
besseren Staat verstanden und halten ihre Ordnung per se
für die gerechtere. Nach dem Ende der bipolaren Welt
sind auch sie als verbliebene Supermacht mindestens
langfristig darauf angewiesen, dass eine geordnetere Staa-
tenwelt auch die entsprechende Legitimation braucht.
Deshalb ist ihr Kampf gegen die Bemühungen um inter-
nationale Verrechtlichung äußerst kontraproduktiv. Den
Vorstellungen, amerikanische Eingreiftruppen könnten
den Gerichtssaal in Den Haag stürmen wollen, sollten
schnellstmöglich alle Grundlagen entzogen werden; das
Gesetzesvorhaben einer „Hague Intervention“ sollte ver-
schwinden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Aber wir haben keinen Grund zur Überheblichkeit. Wir
Europäer waren nicht in der Lage, die Balkankrise ohne
die USAzu bewältigen. Es ist eine schlichte Tatsache, dass
wir auf das Engagement der USAangewiesen sind. Darum
ist es auch so bitter, wenn die USA quasi mit Erpressung
das Recht des Stärkeren durchsetzen wollen wie bei der
Immunitätsfrage der Friedensmissionen. Denn, seien wir
ehrlich, wenn sich die USA an einem Brennpunkt heraus-
halten, ruft mindestens die halbe Welt: Amerika, wo
bleibst du? Besonders schwierig wird es, wenn aus der
Handlungsunfähigkeit heraus geradezu Allmachtsfanta-
sien entwickelt werden, als müssten die USA nur mit dem
Finger schnippen und alle Probleme wären gelöst.

Das zeigt sich nicht zuletzt im Nahostkonflikt. Da
hielt sich die Bush-Administration erst einmal zurück und
alle warteten sehnsüchtig auf ein Wort aus Washington.
Die letzte Rede von Präsident Bush konnte diese Erwar-
tungen nicht erfüllen. Eine schnelle Lösung ohne den Wil-
len der Beteiligten gibt es nicht.


(Christian Schmidt [Fürth] [CDU/CSU]: Sehr wahr!)


So notwendig es auch prinzipiell ist, die Palästinenser-
verwaltung von Grund auf zu reformieren und demokra-
tische Strukturen zu fordern – das dauert sehr lange –, so
wenig akzeptabel ist es dabei, ein personelles Wahlergeb-
nis vorzuschreiben.


(Beifall des Abg. Wolfgang Gehrcke [PDS])


Israel braucht Sicherheit, aber auch in Israel zweifeln
zu Recht immer mehr Menschen daran, dass dem palästi-
nensischen Terror mit militärischen Mitteln beizukom-
men ist. Die Binsenweisheit, dass alle Beteiligten auf ei-
nen Frieden hinarbeiten müssen, bleibt, ebenso wie die
große Sorge, wo die Spirale der Gewalt letztlich endet.

Nach dem 11. September gab es in der Welt neben Ent-
setzen, Trauer und Solidarität auch erschreckend viel
klammheimliche Freude derjenigen, die in den USA die
Wurzel allen Übels sehen und dabei ignorieren, dass sich
viele Menschen auf der Welt nach einem freien amerika-
nischen Leben sehnen, auch wenn einige paradoxerweise
die USA dafür verantwortlich machen, dass es ihnen ver-
wehrt ist. Diese Hassliebe – es ist nicht nur enttäuschte
Liebe, Kollege Lamers – beweist doch zugleich, wie groß
letztlich die Faszination von Freiheit ist.

Beim Kollegen Schultz und besonders bei Ihnen, Herr
Kollege Lamers, möchte ich mich für die stets gute und
faire Zusammenarbeit bedanken. Im Auswärtigen Aus-
schuss durften wir Sie nicht nur als kompetenten, sondern
auch als äußerst integren Menschen kennen lernen. Sie
haben stets die Sache in den Mittelpunkt Ihrer Arbeit ge-
stellt und das sensible Feld der Außenpolitik nie innenpo-
litisch instrumentalisiert. Wohl aber hat Sie oft die Sorge
umgetrieben, wie wir im Land die notwendige Akzeptanz
für die oft schwer vermittelbaren Zwänge der Außenpoli-
tik erreichen können. Ich möchte mich hier von Ihnen mit
einem allerherzlichsten Dankeschön verabschieden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1424516100
Das Wort
hat jetzt der Kollege Dr.Wolfgang Gerhardt von der FDP-
Fraktion.


Dr. Wolfgang Gerhardt (FDP):
Rede ID: ID1424516200
Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! In den wenigen Minuten, die
ich in einer viel zu kurzen Debatte über transatlantische
Herausforderungen habe, eine Konzentration auf einige
Feststellungen:

Wir kennen alle die Irritationspotenziale, die es im
transatlantischen Dialog gibt. Das gilt für manche unter-
schiedliche Bewertungen von strukturellen Instabilitäten
auf dieser Welt und zuweilen auch für die Frage, wie man
sich der Lösung eines Problems nähert. Es gilt hinsicht-
lich eines anderen Gefühls von uns Europäern in Bezug
auf ein internationales Herangehen an manche Themen
und es gilt vor allem bei der Bevorzugung der europä-
ischen Haltung, doch mehr Vertrauen in unsere histori-
schen Erfahrungen, in internationale Gremien, in die Ver-
einten Nationen, in multinationale Annäherung und auch
in das Thema Rule of Law bis hin zum Internationalen
Strafgerichtshof zu setzen.

Das ist keine Meinungsverschiedenheit, das ist eine an-
dere, eine europäische Haltung. Auch wenn unsere ame-
rikanischen Freunde die einzig übrig gebliebene Super-
macht sind, ist ihre Haltung, zu glauben, dass sie durch
internationale Institutionen eher an dem gehindert wür-
den, was sie ihrer Überzeugung nach zur Verteidigung der
Freiheit unternehmen sollten, nicht legitimer als die euro-
päische Haltung, nur weil das Land größer ist.




Rita Grießhaber

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(D)



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Deshalb ist das kein Meinungsstreit, es ist ein Hal-
tungsunterschied. Guten Gründen, die unsere amerika-
nischen Freunde für ihre Haltung haben und die wir res-
pektieren, können wir ebenso überzeugende eigene
historische Erfahrungsgründe für unsere Haltung gegen-
überstellen.

Dabei muss aber klar sein, dass dieses Irritationspoten-
zial nicht im entferntesten in die Nähe der Störung einer
wirklichen Partnerschaft kommt.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)


In der Handelspolitik haben wir zwar eine lange Liste
von Themen, aber der Bereich des Stahlexports, wo es
Probleme gab, macht ja weniger als 5 Prozent des Han-
delspotenzials aus. Europa und Amerika haben trotz die-
ser Irritationspotenziale bedeutend mehr Gemeinsamkei-
ten als ein Land alleine mit irgendeinem anderen Partner
auf der Welt. Sie sind die beiden mit Abstand wichtigsten
Akteure der Weltpolitik und haben ein unglaubliches öko-
nomisches und politisches Potenzial. Man vergegenwär-
tige sich allein, dass 40 Prozent des Weltsozialprodukts in
diesen beiden Regionen beheimatet sind. Wenn wir klug
sind, setzen wir dies zum strukturellen Frieden in der Welt
ein. Das ist unverzichtbar.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir müssen wissen, mit welcher politischen Chance
wir es transatlantisch zu tun haben. Hier heißt „transat-
lantisch“ nicht nur USA, sondern Kanada gehört dazu.
Wir haben es im letzten Jahrtausend zustande gebracht,
transatlantisch ein Stück Partnerschafts- und Sicherheits-
system zu entwerfen. Mit diesem ökonomischen Poten-
zial sollten wir so etwas Ähnliches wie eine transatlanti-
sche Freihandelszone aufbauen, die WTO-konform ist
und uns in wirtschaftlicher Hinsicht nicht die täglichen Ir-
ritationspotenziale liefert.

Ich sage das aus folgendem Grunde: Die ökono-
mischen und politischen Chancen dieser beiden größten
Akteure der Weltpolitik sind überragend, wenn ihre je-
weiligen politischen Eliten und ihre politischen Verant-
wortlichen sorgfältig damit umgehen und sie in interna-
tionalen Organisationen und im transatlantischen Dialog
vernünftig einsetzen. Wir können viel mehr bewirken, als
wir uns das heute vorstellen. Unseren amerikanischen
Freunden erschließt sich – Herr Kollege Lamers hat das
eindringlich geschildert – der europäische Prozess nicht
so einfach.

Der frühere Außenminister Kissinger hat immer nach
einer einheitlichen europäischen Telefonnummer gefragt.
Einer meiner Vorredner hat zu Recht gesagt, dass auch wir
in außenpolitischen Fragen oft nach einer einheitlichen
amerikanischen Telefonnummer suchen. Das dortige Prä-
sidialsystem, auch wenn es europäische Kommunika-
tionsschwierigkeiten in der Art nicht kennt, liefert uns
nicht in jedem Fall eine einheitliche Haltung. Im Penta-
gon anzurufen kann etwas anderes ergeben, als wenn man
im White House anruft. Wenn Sie im Außenministerium
anrufen, können Sie durchaus eine europäischere Antwort
bekommen, als das im Pentagon der Fall wäre. Das ist
nicht der Punkt.

Unsere amerikanischen Freunde müssen begreifen
lernen, dass sie als einzig verbliebene Supermacht in ih-
rer Organisationsform, in ihrer politischen Verfassung
nicht die einzige Antwort für den Frieden in der Welt
sind, sondern dass die Europäer auch einen Teil der Ant-
wort geben können. Deshalb ist es das Wichtigste bei
den transatlantischen Beziehungen, dass wir beide wis-
sen, was wir aneinander haben. Zur Wahrheit gehört
auch, dass wir Europäer erkennen müssen, dass wir zwar
ungeheure politische und ökonomische Potenziale ha-
ben, aber weltpolitisch noch nicht richtig Laufen gelernt
haben.


(Beifall bei der FDP)

So sehr die Amerikaner als Supermacht eine begleitende
Abstützung durch die Europäer brauchen, so sehr brau-
chen wir Amerika. Uns fehlt dieser Schuss weltpoliti-
schen Kalküls, den wir uns mühsam wieder erarbeiten und
legitimieren müssen, der aber notwendig ist. Das heißt,
wir brauchen uns gegenseitig und müssen uns miteinan-
der einlassen. Für uns Europäer besteht darin die Chance,
in Weltordnungen liberale Akzente zu setzen, die so von
unseren amerikanischen Freunden nicht in jedem Fall be-
vorzugt würden. Es kann sich in vielen Formen vollzie-
hen, solche Impulse zu setzen. Hierbei sollte man nie auf-
geben.

Unsere amerikanischen Freunde haben oft die Ten-
denz, ungeduldig zu werden, wenn es nicht mehr darum
geht, Terroristen mit Raketen aufzuspüren. Sie überlassen
zweifellos den Aufbau von Zivilgesellschaften gerne
ihren europäischen Partnern, und zwar mit großen Teilen
in der Verantwortung der deutschen Politik. Das ist aber
nicht ein geringerer Beitrag für Stabilität und für Frieden
als der militärische. Allein schon deshalb macht das trans-
atlantische Bündnis und der transatlantische Zusammen-
halt Sinn. Dieser Aufbau von Zivilgesellschaften ist die
Grundlage für ein Stück dauerhaften Friedens auf dieser
Welt.

Ich will deshalb sagen: Der transatlantische Hand-
lungsbedarf liegt in dem klaren Bewusstsein, uns mitei-
nander einzulassen. Wir sind miteinander verbündet, nicht
nur im formalen Sinne. Es handelt sich nicht um ein
Bündnis, das nur dadurch zusammengehalten wird, weil
die Bundesrepublik Deutschland Unterschriften unter
Verträge gesetzt hat. Dieses Bündnis ist für uns kein tak-
tisches Spiel und nicht nur eine strategische Chance. Die
transatlantische Zusammenarbeit beruht im Kern trotz un-
terschiedlicher nationaler Ausprägungen und unterschied-
licher Temperamente auf gemeinsamen Wertebezügen. Es
gibt auch Unterschiede bei Bewertungen von Sachverhal-
ten, wie beispielsweise im Falle des Irak. Es gibt aber auf-
grund dieser gemeinsamen Wertebezüge keinen Streit
über den Charakter dieses Regimes.

Die Chancen, die in der Zusammenarbeit zwischen
beiden Kontinenten liegen, sind weitaus höher als die Ri-
siken. Wir würden in Kenntnis der geschichtlichen Ab-
läufe des letzten Jahrhunderts einen gewaltigen Fehler
machen, wenn wir nicht begreifen würden, dass die posi-
tiven Potenziale – klug zusammengefügt, perspektivisch
eingesetzt sowie auf einem transparent demokratisch le-
gitimierten Weltbild und auf den Menschenrechten basie-




Dr. Wolfgang Gerhardt
24712


(C)



(D)



(A)



(B)


rend – von entscheidender Bedeutung sind. Wenn wir
diese Errungenschaft nicht fahrlässig verspielen wollen,
dann müssen wir unseren Freunden sagen: Wir kennen die
Irritationspotenziale; aber wir kennen auch die Chancen.
Jede Seite würde einen gewaltigen Fehler machen, wenn
sie es an Zusammenhalt fehlen lassen würde.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1424516300
Jetzt hat
der Kollege Wolfgang Gehrcke von der PDS-Fraktion das
Wort.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1424516400
Herr Präsident! Verehrte
Kolleginnen und Kollegen! Lieber Kollege Karl Lamers,
ich finde es wirklich ärgerlich und ich empfinde es als ei-
nen Verlust, dass ich nur eine Legislaturperiode die Gele-
genheit hatte, mit Ihnen häufiger zu reden. Ihre Art eines
aufgeklärten und aufklärenden Konservativen, Ihre Art,
zu debattieren und zu denken, hat mir ganz persönlich den
Wert eines Konservativen, wie Sie einer sind, für unsere
Demokratie sehr nahe gebracht. Diese Erfahrung, die
wichtig ist, möchte ich persönlich nicht missen; sie hat
mich wirklich bereichert. Dafür bedanke ich mich.


(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und der FDP)


Ich habe Ihre Reden im Deutschen Bundestag nachge-
schlagen. Wenn ich es richtig recherchiert habe, haben Sie
Ihre erste Rede am 26. November 1981 gehalten. Wenn
man Ihre gesamten Reden liest, dann erkennt man, dass
sie ein Nachschlagewerk – sozusagen ein „Who’s who“ –
der Außenpolitik sind. Das ist erwähnenswert. Ich würde
mir wünschen, dass Kolleginnen und Kollegen auch künf-
tig in Ihren Reden nachschlagen, auch wenn ich sagen
muss: Wir haben zwar oft gleiche Fragen gestellt, aber in
den Schlussfolgerungen waren wir uns selten einig. Viel-
leicht hätten wir mehr Zeit für Gespräche gebraucht.

An der geschichtlichen Frage, wie selbstständig die
deutsche und die europäische Politik gegenüber den USA
ist, haben sich in Deutschland immer die Geister geschie-
den und hat sich die Gesellschaft polarisiert. Es ist nicht
verkehrt, aus diesem Anlass die Debatten noch einmal
nachzuzeichnen – ich will es an drei Punkten tun –, um zu
begreifen, dass die heutigen Auseinandersetzungen tie-
fere gesellschaftliche Wurzeln haben.

Erstens. Es waren die Debatten in den 50er-Jahren, viel-
leicht besonders zugespitzt in der Debatte um die damalige
Stalin-Note zur deutschen Einheit – deutsche Einheit für
Neutralität –, die zur Folge hatten, dass es die Europäische
Verteidigungsgemeinschaft geben sollte und die NATO-
Mitgliedschaft, Remilitarisierung und die feste Westbin-
dung gab. Das hatte die CDU/CSU gegen die damalige
Opposition durchgesetzt.

Zweitens. Ich erinnere an die Debatten in den 60er- und
70er-Jahren. Da erschütterten die Auseinandersetzungen
um den Vietnam-Krieg und um Chile die deutsche wie
die amerikanische Gesellschaft gleichermaßen. Meine
Generation im Westen empfand die USA kulturell als den

Befreier vom Förster vom Silberwald. Gleichzeitig emp-
fand sie sie aber politisch, festgemacht an Vietnam und
Chile, als unterdrückend. Die Spuren des Vietnam-Krie-
ges und der Chile-Auseinandersetzung finden sich in un-
terschiedlicher Art und Weise in unserer wie in der ame-
rikanischen Gesellschaft wieder.

Ich erinnere drittens an die Auseinandersetzungen
Ende der 70er-Jahre um die Nachrüstung, die von der
Regierung Schmidt und später von der Regierung Kohl
gegen die Bevölkerungsmehrheit, wie ich bei Herrn
Schäuble habe nachlesen können, durchgesetzt wurden.

Ich glaube, das waren wichtige Einschnitte. Sie haben
unsere Werte und unser Verhalten in unterschiedlicher Art
und Weise geprägt. Trotzdem können sie nicht mehr Maß-
stab für die Beantwortung der heutigen Fragen sein. Auch
hier kann ich nur stichwortweise an das Ende der Block-
konfrontation, an die deutsche Einigung und die europä-
ische Integration erinnern. Ich erinnere aber auch an die
wachsende Armut und die weltweit steigende Tendenz,
Kriege zu führen.

Das heißt, heute muss das Verhältnis zu den USA in ei-
ner anderen Art und Weise bestimmt werden. Ich glaube
nicht, dass das über die einfache und simple Losung von
der uneingeschränkten Solidarität oder dadurch, dass jed-
wede Kritik vermieden wird, zu leisten ist. Stichworte,
wie sie hier gefallen sind, zum Beispiel Wettrüsten, allei-
nige Weltmacht, Herrschaftsansprüche in allen Teilen der
Welt und Rechtsbrüche, bestimmen das Verhältnis der
heutigen Generation zu den USA. Dabei täuschen wir uns
im Hinblick auf die tatsächlichen Stimmungslagen,wenn
wir davon ausgehen, dass die in diesem Hause bestehende
Vorstellung über das Verhältnis zu den USA die gesamte
Gesellschaft prägt. Ich habe sehr bewusst an den Demons-
trationen aus Anlass des Besuchs des amerikanischen Prä-
sidenten Bush in Berlin teilgenommen. Diese Demonstra-
tionen waren ein Ausdruck für die Position großer Teile
unserer Gesellschaft.

Deswegen möchte ich anraten, beim Blick in die Ge-
schichte darüber nachzudenken, ob gegenüber den USA
nicht eine andere europäische Politik möglich ist. Dies
kann ich leider nur in Stichworten tun; denn meine Rede-
zeit ist fast zu Ende. Ich rate, sich die USA-Politik von
de Gaulles – unter Ausschluss der Force de Frappe und der
kolonialen Geschichte – und in punkto Zivilcourage die
Politik von Olof Palme anzuschauen, der während des
Vietnam-Krieges amerikanische Deserteure aufgenom-
men hat. Ich rate, sich die Politik von Willy Brandt und
dessen Nord-Süd-Dialog anzusehen und sich die Pläne
des polnischen Außenministers Adam Rapacki noch ein-
mal vor Augen zu führen. Aus all dem könnte eine neue,
moderne Politik gegenüber den USAentstehen, wobei die
uneingeschränkte Solidarität und das Hinterherlaufen
durch Partnerschaft ersetzt würde. Das würde sich lohnen.

Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. Dank an den
Kollegen Lamers und an den Kollegen Schultz! Es war
angenehm, mit Ihnen zusammenzuarbeiten.


(Beifall bei der PDS)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1424516500
Das Wort
hat der Kollege Gert Weisskirchen von der SPD-Fraktion.




Dr. Wolfgang Gerhardt

24713


(C)



(D)



(A)



(B)



Gert Weisskirchen (SPD):
Rede ID: ID1424516600
Herr Präsi-
dent! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute ist mir wie-
der einmal das Lutherische an Karl Lamers deutlich auf-
gefallen.


(Joseph Fischer, Bundesminister: Der ist Rheinländer! Das hat mit Luther nichts zu tun!)


Er ist zwar Katholik und kommt aus dem Rheinland, aus
der Bastion des aufgeklärten Katholizismus. Trotzdem
konnte man an seiner heutige Rede das lutherische „Ich
stehe hier, ich kann nicht anders“ wieder einmal ganz
deutlich sehen.

Lieber Karl Lamers, ich finde, dass Sie in den letzten
22 Jahren die Debatten dieses Hauses mitgeprägt haben.
Sie waren einer der ganz Nachdenklichen, einer derjeni-
gen – Frau Süssmuth hat es mir gerade noch einmal deut-
lich gemacht –, die das politische Handeln reflektieren.
Als eigenständiger und manchmal auch kritischer Kopf in
den eigenen Reihen können Sie auch als einer derjenigen
bezeichnet werden können, der, wie Sie es am Schluss Ih-
rer Rede formuliert haben, als Baumeister an der – wenn
ich es ein wenig überzogen formulieren darf – Kathedrale
eines gemeinsamen Europas mitgearbeitet haben. Diese
richtige Konsequenz haben die Konservativen sehr wohl
aus dem schrecklichen und fürchterlichen vergangenen
Jahrhundert gezogen. Sie sind einer derjenigen, die daran
mitgearbeitet haben. Wir danken Ihnen dafür.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU, und der FDP)


Sie haben auf den wichtigsten Punkt aufmerksam ge-
macht. Er hängt mit dem 11. September des letzten Jah-
res zusammen. Sie haben auf das aufmerksam gemacht,
was die USA gegenwärtig lernen, nämlich dass sie ver-
wundbar sind – ein Gedanke, an den sie sich erst gewöh-
nen müssen. Seitdem es diese junge, stürmische, voran-
treibende Nation gibt, ist sie in ihrem Selbstbewusstsein
erst jetzt so im Mark getroffen worden.

Wie kann das verarbeitet werden und welche Schlüsse
zieht diese große Nation daraus? Das ist etwas, glaube ich,
was im transatlantischen Dialog wirklich ernst genom-
men werden muss.

Wir haben eine andere Erfahrung, lieber Kollege
Gehrcke. Das muss man noch einmal betonen. Ich nehme
nur die Weimarer Republik. Als hier Debatten geführt
worden sind, gab es noch zu Beginn des letzten Jahrhun-
derts die große Kontroverse, an der sich dann selbst sol-
che damals Konservativen wie Thomas Mann beteiligt ha-
ben. Es hieß, es gehe um Kultur gegen Zivilisation; es
gehe um das Hehre, um das, was die europäische und ganz
besonders die deutsche Tradition ausmachte gegenüber
dem, was die Zivilisation des Westens bedeutete; es gehe
darum, dass Inhalte, Gehalte gegen die Form gerichtet
würden.

Das war das Verhängnis einmal der Konservativen und
nicht zuletzt am Ende, weil sie sich gegen die USA ge-
wendet haben, auch das Verhängnis derer, die sich links
verstanden haben und sich jetzt immer noch in einer
merkwürdigen Allianz mit ganz Rechtsaußen, mit Rechts-
populisten vereinen in diesem merkwürdigen Zerrbild des
Antiamerikanismus.

Dies ist das Eigentliche, was wir gelernt haben, was wir
besonders nach 1945 wirklich gelernt haben: dass die
USA etwas anderes sind. Die USAsind das Land, das Pro-
jekt, das Modell der Moderne, das von uns allen ver-
langt, mit diesem modernen Projekt sorgsam umzugehen
und überhaupt erst zu lernen, was es bedeutet, in dieser
Form die unterschiedlichen kulturellen Herkünfte im In-
neren zu verarbeiten, um ein attraktives Modell zu werden
und manchmal eben auch das, wovon es dann selbst
glaubt, als außergewöhnliche Nation gegenüber allen an-
deren übermächtig zu sein. Das ist jetzt im Kern, im Mark
getroffen. Das trifft die USA im Innersten.

Ich finde, wenn wir den transatlantischen Dialog, die
Beziehungen, die wir beiderseits des Atlantiks beobach-
ten und auch selber mitgestalten, wenn wir diese Debatte
gemeinsam führen, um daraus die richtigen Schlüsse zu
ziehen, dann haben wir aus dem 11. September vielleicht
das Wichtigste gelernt.

Dabei ist wichtig, nicht mit dem Finger auf andere zu zei-
gen, etwa auf den, der sich auch in der amerikanischen Dis-
kussion in manche hegemoniale Irrtümer verrennt, sondern
zu schauen, ob es gelingt, dass die Stärken, die beiderseits
des Atlantiks durch die Werte verbunden sind, zu nutzen, die
Stärken, die beiderseits verbunden sind durch das gemein-
same Lebensgefühl, das natürlich akzentuiert unterschied-
lich ist, wobei es jedoch beiderseits des Atlantiks viel mehr
Gemeinsamkeiten gibt, als diejenigen, die sich auf den An-
tiamerikanismus berufen, meinen. Diese innere Verbindung
ist stark, sie muss stark bleiben und sie wird stark bleiben.
Dafür werden wir alle gemeinsam sorgen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Worin liegen die Chancen eines solchen Dialogs? Die
erste Chance ist, dass die Staatenwelt die Gefahr erkennt,
der sie ausgesetzt ist: Gruppen organisierter krimineller
Gewalt versuchen schwache Staaten zu besetzen und der
Bevölkerung ihren Willen mit terroristischen Mitteln auf-
zuzwingen. Schließlich zielen dann die Terroristen, die
diese Territorien erobert haben, auf die Machtzentren der
zivilisierten Welt. Symbolisiert werden diese Machtzen-
tren durch die globale ökonomische und kulturelle Domi-
nanz der USA.

Früher war das anders. Früher gab es England als die
starke dominante Macht und vorher Spanien. Das ist
nichts Neues in der Geschichte. Es kommt darauf an, wie
versucht wird, die Stärken jener Gruppierungen, die es auf
dieser Welt gegenwärtig gibt, aufeinander zu beziehen.

Natürlich ist die Stärke Europas einerseits das, was
wir verarbeitet haben in dieser ungeheuer schrecklichen
Geschichte und in den fürchterlichen Bürgerkriegen,mit
denen wir uns überzogen haben.

Wir haben daraus eine harte Konsequenz gezogen. Wir
haben gelernt – das ist für uns das Wichtigste –, gute
Nachbarn zu sein und das wollen wir auch bleiben. Wir
sind prinzipiell zum multilateralen Handeln verpflichtet.
Das haben wir uns selbst aufgegeben und davon können
wir nicht loslassen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Die USA haben diese Erfahrungen nicht gemacht und

es wäre gut, wenn sie die Erfahrungen aus der schreckli-






(C)



(D)



(A)



(B)


chen Zeit der Bürgerkriege, die wir uns gegenseitig zuge-
fügt haben, auch nie machen müssten. Insofern glaube
ich, dass wir uns jene unterschiedlichen historischen Er-
fahrungen, die auf beiden Seiten des Atlantiks gemacht
worden sind, nicht gegenseitig vorwerfen dürfen.

Manchmal hört man den Vorwurf aus den USA: Ihr Eu-
ropäer betreibt Beschwichtigung gegenüber den Heraus-
forderungen des Terrorismus. Es ist aber keine Be-
schwichtigung, wenn wir sagen, die Zivilmacht muss
gestärkt werden, die Terroristen haben sich in einer
falschen Ideologie verrannt. Haben wir das nicht selbst in
unserer nicht allzu lang zurückliegenden bundesrepubli-
kanischen Geschichte erlebt?

Wir müssen die Stärken, die wir aufgrund unserer lan-
gen Erfahrung erworben haben, in eine vernünftige Ar-
beitsteilung einbringen, damit die Welt – so hat es der
amerikanische Präsident gesagt – ein besserer Platz
wird. Ich kann mich gut erinnern, wie die Kolleginnen
und Kollegen von der PDS auf die Rede reagiert haben.
Die meisten, natürlich nicht diejenigen, die die Fahne
hochgehalten haben – ich glaube, der Integrationsdruck,
der von dieser Rede ausgegangen ist, war einer der
Gründe für ihr Verhalten –, haben positiv reagiert.

Nein, wir müssen dafür sorgen, dass aus der Welt ein
guter Platz für Menschenrechte, Demokratie und
Selbstbestimmung wird. Daran müssen wir arbeiten, an-
ders geht es nicht. Dazu brauchen wir Europäer die USA,
und das wissen auch diejenigen, die sich kritisch gegen-
über den USA verhalten.

Auch der französischen Debatte – Karl Lamers kennt
sie genau – entnehmen wir, dass sich die USA, wenn es
ernst wird, wenn es um ihre Substanz oder Essenz geht,
auf Europa verlassen können. Genauso können wir Euro-
päer uns auf die USAverlassen. Darüber müssen wir nicht
debattieren und brauchen uns keine Sorgen zu machen.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der FDP)


Nein, wir müssen die Stärken finden, ausarbeiten, ge-
stalten und zueinander führen. Unsere Stärken sind andere
als die der USA. Bei der selbstkritischen harten Debatte, die
jetzt ausgelöst durch die Entscheidung der obersten ameri-
kanischen Gerichte über die Todesstrafe geführt wird, se-
hen wir, dass ein Teil dessen, was wir in die Diskussion ein-
bringen, sein Echo in der amerikanischen Elite findet.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ist die Todesstrafe dort jetzt nicht auch umstritten? Haben
sie nicht viele Bundesstaaten in den USAmittlerweile ab-
geschafft?

Ich glaube, die Zerrbilder, die manchmal so schnell her-
beigeschrieben oder -geredet werden, helfen uns nicht. Wir
müssen eine Gemeinschaft bilden und gemeinsam lernen,
die notwendigen Schlüsse zu ziehen, um den Menschen zu
helfen und aus dieser Erde einen besseren Platz zu machen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1424516700
Das Wort
hat jetzt der Bundesminister Joseph Fischer.


Joseph Fischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1424516800

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die transat-
lantischen Beziehungen sind einerseits in die Diskussion
geraten – zu Recht. Sie bedürfen der Erneuerung. Die
Welt hat sich seit dem Ende des Kalten Krieges und auch
jetzt seit dem 11. September letzten Jahres ein weiteres
Mal geändert. Wir stehen vor einer völlig neuen Situation.
Auf der anderen Seite ist aber völlig klar: Wer sich auch
nur etwas den Sinn für Geschichte bewahrt hat, wird be-
greifen, dass die transatlantischen Beziehungen der ent-
scheidende Eckpfeiler der globalen Sicherheit, für Frie-
den und Stabilität nicht nur in Europa, nicht nur in den
USA, sondern weltweit sind. Diesen Eckpfeiler infrage zu
stellen wäre mehr als töricht.

In der Debatte gab es viele historische Bezüge. Bei der
Zuordnung der Politik der USA, wie man sie sieht, wo es
vieles kritisch anzumerken gibt, wo es in der Debatte aber
auch viele Solidaritätsbekundungen gegeben hat, ist mir
eines aufgefallen. Gerade in diesem Gebäude wundert es
mich schon, dass es überhaupt keinen Bezug zum Auf-
stieg der USA als schließlich der einzigen globalen
Macht, die heute noch existiert, im Zusammenhang mit
der Geschichte unseres eigenen Landes und dem Kampf
Deutschlands um die europäische Hegemonie und
schließlich im Dritten Reich unter Adolf Hitler um die
Weltherrschaft, um die weltweite Hegemonie, um die
weltweite Vorherrschaft gab. Es war Deutschland, das
– nicht allein, aber als wesentlicher treibender Faktor – im
August 1914 mit den Ersten Weltkrieg ausgelöst hat. Zu
Beginn des Ersten Weltkrieges war die führende Macht
noch das Vereinigte Königreich, war die globale Bedeu-
tung Europas noch eindeutig definiert. Am Ende dieses
Weltkrieges purzelten die Kronen, gab es Revolutionen,
gab es auch die große Russische Revolution, die Februar-
Revolution und schließlich den bolschewistischen Putsch,
die Oktober-Revolution.

Die Konsequenz, die Deutschland aus der Niederlage
im Ersten Weltkrieg gezogen hat, war ein radikalisierter
hegemonialer Anspruch, so radikalisiert, dass er amo-
ralisch wurde, dass er die Moral hinter sich ließ, dass er
meinte, auf die Weltherrschaft setzen zu können, auch mit
den Mitteln des Massenverbrechens. Die Konsequenz war
auch die Zerstörung dieses Gebäudes, die Anti-Hitler-Ko-
alition. Die Anti-Hitler-Koalition war die zweite Stufe des
Aufstiegs Russlands in Gestalt der Sowjetunion und der
USAzu den beiden entscheidenden globalen Mächten auf
den Trümmern Deutschlands, in einem geteilten Berlin.

Wenn wir heute über die Rolle der USAsprechen, ohne
diese eigenen Anteile daran kritisch mit zu reflektieren,
dann blenden wir einen ganz wesentlichen Teil der trans-
atlantischen Beziehungen und des deutschen Anteils an
den transatlantischen Beziehungen aus. Es gibt keine
transatlantischen Beziehungen à la carte, wo man sich
aussuchen kann: Wir hätten gern etwas Schweden – dann
müssen wir in der Rolle Schwedens sein. Wir hätten gern
etwas Frankreich – dann müssen wir in der Rolle Frank-
reichs sein. Nur, für Frankreich gilt: Jedes Mal, wenn die
Interessen von Frieden und Freiheit, wenn die Interessen




Gert Weisskirchen (Wiesloch)


24715


(C)



(D)



(A)



(B)


der USA aufgerufen waren, stand selbst das gaullistische
Frankreich immer an der Seite der USAund die USA immer
an der Seite Frankreichs. Das dürfen wir nicht vergessen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Ich sage manchmal: Reisen bildet. Bei meinem privaten
Besuch in Washington habe ich einmal einen Ausflug nach
Mount Vermont zum Haus des ersten Präsidenten George
Washington gemacht. Da gab es eine kleine Sache, die
mich mehr beeindruckte als lange historische Vorlesungen.
Dort hängt ein Schlüssel, der Schlüssel der Bastille, das
Geschenk von Lafayette an George Washington. Das sagt
mehr über die Beziehungen dieser beiden Länder als viele
dicke Bücher. Das sollten wir nie vergessen.

Unser Verhältnis ist eben ein anderes; das müssen wir
begreifen. Deutschland käme ohne die transatlantischen
Beziehungen in Europa, auch im gegenwärtigen Europa,
sofort in eine Rolle, die wir gar nicht anstreben sollten.
Das würde uns überfordern. Die USA balancieren nicht
nur global, sie balancieren bis auf den heutigen Tag auch
in Europa. Reden Sie mal mit unseren polnischen Freun-
den darüber, wie die, historisch eingeklemmt zwischen
Deutschland und Russland, die USA sehen. Sie haben da
eine ganz spezifische Sicht. Sprechen Sie mal mit unseren
französischen Freunden, sprechen Sie mal mit anderen
unserer Nachbarn. Die Sicht auf uns ist auch immer aufs
Engste verbunden mit der Sicht auf die Rolle der USA.

Aber das sind historische Erinnerungen, das sind his-
torische Bezüge, die allerdings, wenn Deutschland den
Irrtum begehen würde, diesen transatlantischen Teil zu
unterschätzen, sofort aktualisiert würden.

Kollege Lamers, so sehr ich manche Ihrer Ausführun-
gen schätze, andere teile ich nicht. Ich kenne Sie. Nichts
würden Sie so wenig schätzen, wie wenn man Wider-
spruch nicht anmelden würde, selbst wenn Sie hier Ihre
letzte bedeutende Rede als Abgeordneter des Deutschen
Bundestages gehalten haben.

Ich sehe vor allen Dingen die Entwicklung im Nahen
Osten mit großer Sorge, weil wir direkter Nachbar sind.
Wir haben gegenüber Israel bezüglich des Existenzrechts
nicht nur historische Verpflichtungen und strategische In-
teressen als Land, aber auch als Europäische Union – dies
gilt beides auch für die USA –, sondern wir sind direkter
Nachbar. Wenn der Nahe Osten explodiert, wird uns das
direkt und unmittelbar betreffen. Einige unserer Lands-
leute mussten bereits den Terroranschlag in Djerba, Tune-
sien, mit dem Leben oder schweren Verwundungen be-
zahlen.

Für mich ist es aber wichtig, die unterschiedliche
Sichtweise bezüglich des Nahostkonflikts – das hat auch
mein letzter Besuch in Washington gezeigt – zu begreifen.
Wir müssen Acht geben, dass diese unterschiedliche Sicht
des Nahostkonflikts in der emotionalen Tiefe der transat-
lantischen Beziehungen nicht zu einer Trennung zwi-
schen den USA und Europa führt.

Wir insistieren zu Recht immer darauf, dass die globale
Verantwortung, dass die globale Verpflichtung für die
Rechtsordnung auch für die mächtigste Macht, die USA,
gilt, dass sie sich nicht eine eigene Rechtsordnung schaf-
fen kann, die zwar für andere, nicht aber für sie gilt, son-

dern dass wir einer gemeinsamen internationalen Rechts-
ordnung unterworfen sind.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


Wir insistieren auch darauf, dass es eine gemeinsame
Verpflichtung für die eine Welt gibt – Stichwort Klima-
schutz –, dass es auch ein gemeinsames Interesse an einer
gerechteren Verteilung derLebenschancen in der Welt des
21. Jahrhunderts gibt. Wir insistieren zu Recht darauf, dass
die Europäische Union in der Frage der Todesstrafe auch
gegenüber unserem wichtigsten Bündnispartner grundsätz-
lich anderer Meinung ist und diese Position auch vertritt.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


Die Bundesregierung hat vor dem Internationalen Ge-
richtshof erfolgreich gegen eine Verletzung der konsula-
rischen Rechte von Todeskandidaten mit deutscher
Staatsangehörigkeit, die hingerichtet wurden, geklagt.

Genauso ernst müssen wir nehmen, was in den USA
über uns diskutiert wird. Wenn dort die Gefahr eines neuen
Rechtspopulismus aufgrund europäischer Wahlentschei-
dungen ernsthaft diskutiert wird – als ich das letzte Mal
dort war, ging es gerade um Le Pen –, müssen wir dies
ernst nehmen. Wenn dort Bezüge zu einem neuen Antise-
mitismus hergestellt werden, müssen wir dies genauso
ernst nehmen, wie wir erwarten, dass die Diskussionen, die
hier in Europa über die USA geführt werden, auf der an-
deren Seite ernst genommen werden. Wir können dies
nicht einfach nur als eine amerikanische Stimmungslage
abtun. So wird der Transatlantismus nicht funktionieren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Nein, für mich steht Folgendes im Vordergrund: Wenn
die transatlantischen Beziehungen im 21. Jahrhundert funk-
tionieren sollen, werden wir die politische Einigung Euro-
pas, werden wir das politische Europa herbeiführen müssen.

Die USA sind eine globale Macht auf dem Zenit, eine
Hegemonialmacht wider Willen. Es ist das erste Mal in der
Geschichte der Neuzeit, dass wir eine Hegemonialmacht
ohne Gegengewicht haben. Dies schafft ganz spezifische
Probleme. Die Zeit lässt es nicht zu, dass ich dazu einiges
sage. Aber die einzige Möglichkeit, nicht dagegenzuhal-
ten, sondern in Partnerschaft die Möglichkeit der Balance
zu eröffnen, wird der europäische Einigungsprozess sein.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Europa ist keine Macht, sondern eine Macht im Werden.

(Lothar Mark [SPD]: Hoffentlich!)


– Sie können dies dort, wo wir bereits eine Macht sind, so
etwa in Wettbewerbs- oder Handelsfragen, feststellen.
Wenn Pascal Lamy oder Monti nach Washington kom-
men, ist dieser Termin ein Muss. Wenn andere kommen,
wo diese Integration noch nicht besteht – dies mache ich
nicht an den Personen fest –, ist dies nicht der Fall. Aber
Besuche beispielsweise der jeweiligen Präsidentschaft
sind Pflichttermine, wo sich die US-Seite fragt, was diese
eigentlich repräsentiert.




Bundesminister Joseph Fischer
24716


(C)



(D)



(A)



(B)


Die Konsequenz daraus muss für uns sein, dass wir die
politische Integration Europas schaffen. Dies wird noch
einige Zeit dauern, aber es wird wichtig sein, dass wir Eu-
ropäer unsere eigene Sicht der Dinge in die Welt des
21. Jahrhunderts einbringen, dass wir auch zum Beispiel
unseren breiteren, nicht militärisch verengten, sondern
die ganze Gesellschaft umfassenden Ansatz in der
Sicherheitspolitik einbringen, dass wir die Fragen der
ökologischen, ökonomischen, sozialen oder kulturellen
Entwicklung einbeziehen, wie wir es auf dem Balkan ge-
macht haben und wie wir es in Afghanistan im Begriff
sind zu tun. Diese Dinge müssen wir als Europäer in der
internationalen Politik des 21. Jahrhunderts durchsetzen.
Dies setzt den europäischen Einigungsprozess voraus.

Deswegen wünsche ich mir für die Zukunft der trans-
atlantischen Beziehungen auch und gerade in der Sicher-
heits- und Verteidigungspolitik, Kollege Lamers, dass
die Europäische Union, nicht die NATO, die Rolle, die Sie
vorhin angesprochen haben, spielen sollte. Ich glaube
nicht, dass die NATO sie aufgrund des spezifischen Bünd-
nischarakters und der Interessen der Mitglieder wird
spielen können, während das vereinte Europa mit einer
Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik, die
diesen Namen verdient, dieser Aufgabe gerecht wird.

Allerdings wird sie sich in spezifisch europäischer Per-
spektive und auf europäischer Grundlage entwickeln. Das
ist meines Erachtens die Voraussetzung, dass die trans-
atlantischen Beziehungen erneuert werden. Wir brauchen
Solidarität, aber auch ohne jeden Zweifel eine kritische
Debatte. Demokratien müssen sich offen austauschen,
aber auf der Grundlage des gegenseitigen Verständnisses
und des Wissens der Interessen. Das ist gegeben.

Wir Europäer müssen darauf achten, dass wir nicht
zurückfallen. Wenn wir den Einigungsprozess bis Ende
des Jahrzehnts nicht schaffen, dann werden wir feststel-
len, dass wir für unseren transatlantischen Partner zuneh-
mend uninteressant werden. Also wird es ausschließlich
an uns liegen. Bei den transatlantischen Beziehungen geht
es vor allem um die Zukunft von Europa, also um die Zu-
kunftschancen unserer eigenen Menschen.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie der Abg. Sabine Leutheusser-Schnarrenberger [FDP])



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1424516900
Ich
schließe die Aussprache.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 6 a und 6 b auf:
a) Beratung der Unterrichtung durch die Bundes-

regierung
Berufsbildungsbericht 2002
– Drucksache 14/8950 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung (f)

Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Tourismus
Haushaltsausschuss

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung (19. Ausschuss)

– zu dem Antrag der Abgeordneten Cornelia

Pieper, Ulrike Flach, Ernst Burgbacher, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Mit einem individuellen Ausbildungspass
durchs Leben – für ein liberales, duales
und modulares Berufsausbildungssystem in
Deutschland

– zu dem Antrag der Abgeordneten Dr.-Ing. Rainer
Jork, Dr. Gerhard Friedrich (Erlangen), Thomas
Rachel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der CDU/CSU
Lehrstellenmangel in den neuen Bundes-
ländern bekämpfen – Reformen in der be-
ruflichen Bildung vorantreiben

– zu der Unterrichtung durch die Bundesregie-
rung
Berufsbildungsbericht 2001

– Drucksachen 14/5984, 14/7281, 14/5946,
14/7910 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Willi Brase
Dr.-Ing. Rainer Jork
Hans-Josef Fell
Cornelia Pieper
Maritta Böttcher

Es liegen zwei Entschließungsanträge vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die

Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat der
Parlamentarische Staatssekretär Wolf-Michael Catenhusen
das Wort.

W
Wolf-Michael Catenhusen (SPD):
Rede ID: ID1424517000
Herr
Präsident! Meine Damen und Herren! Wir debattieren
heute nicht nur über den Bildungsbericht 2002, der sich
schwerpunktmäßig mit der Entwicklung des vergangenen
Jahres befasst, sondern zugleich auch abschließend über
die Ergebnisse des Jahres 2001. Dies gibt Gelegenheit,
Bilanz zu ziehen und zu zeigen, welche wichtigen Verän-
derungen in der beruflichen Bildungspolitik in den letzten
Jahren auf den Weg gebracht worden sind.

Der positive Trend am Lehrstellenmarkt hat sich im
letzten Jahr fortgesetzt. Wie im Jahr 2000 ist es auch im
Jahr 2001 gelungen, die Lücke zwischen Angebot und
Nachfrage zu schließen. Seit 1995 sind wir damit zum
zweiten Mal in eine Situation gekommen, dass es bun-
desweit mehr freie Ausbildungsplätze als unvermittelte
Bewerberinnen und Bewerber gab.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Dahinter stehen 614 000 neue Ausbildungsverträge in

Deutschland. Die Anzahl der bei der Bundesanstalt für Ar-
beit als unvermittelt gemeldeten Bewerberinnen und




Bundesminister Joseph Fischer

24717


(C)



(D)



(A)



(B)


Bewerber hat sich Jahr für Jahr deutlich verringert. Zwi-
schen 1998 und 2001 sank diese Zahl um 43 Prozent.

Nicht zu verschweigen ist, dass es nach wie vor große
regionale Unterschiede gibt. Auch 2001 gab es in den
neuen Ländern immer noch erheblich weniger betrieb-
liche Ausbildungsplätze als Bewerber. Vor diesem Hinter-
grund sind 2001 in den neuen Ländern und Berlin
16 000 zusätzliche Lehrstellen geschaffen worden. Diese
betriebsnahen Ausbildungsplätze werden vonseiten des
Bundes mit über 50Millionen Euro für die Dauer der Aus-
bildung gefördert.

Sie wissen: Die aktuelle Situation auf dem Ausbil-
dungsstellenmarkt ist gegenüber der des Vorjahres wieder
etwas angespannter. Bundesweit hat sich bis Ende Mai die
Lücke zwischen noch nicht vermittelten Bewerbern und
unbesetzten Ausbildungsstellen leider wieder um etwa
17 000 vergrößert. In Ostdeutschland ist sie – Gott sei
Dank – geringfügig zurückgegangen.

Die Bilanz für den Monat Mai 2002 – das wissen wir –
ist eine Momentaufnahme. Vieles passiert im Vermitt-
lungsgeschäft. Auch ein Teil der noch als unvermittelt ge-
meldeten Bewerberinnen und Bewerber hat heute einen
Ausbildungsplatz gefunden. Aber keine Frage: Wir neh-
men diese Entwicklung ernst. Bundesministerin Bulmahn
hat deshalb für den 12. Juli Vertreter der Spitzenver-
bände der Wirtschaft nach Berlin eingeladen, um über
zusätzliche Aktivitäten zur Mobilisierung von zusätz-
lichen Ausbildungsplätzen zu sprechen; denn die von der
Wirtschaft im Ausbildungskonsens gegebene Zusage, das
Ausbildungsplatzangebot entsprechend der demographi-
schen Entwicklung zu steigern, gilt nach wie vor. Hierauf
müssen sich die jungen Menschen auch in diesem Jahr
verlassen können.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Alle Beteiligten müssen sich auch in diesem Jahr der
Aufgabe stellen, für die Jugendlichen in unserem Land
ausreichend Ausbildungsmöglichkeiten zur Verfügung zu
stellen. Deshalb muss der eingeschlagene Weg zur Ver-
besserung der Ausbildungsplatzsituation konsequent fort-
gesetzt werden. Dies bedeutet auch Weitsichtigkeit für die
Wirtschaft. Denn in wenigen Jahren werden die Schulab-
gängerzahlen zunächst in Ostdeutschland drastisch, aber
insgesamt auch in ganz Deutschland zurückgehen. Lang-
fristig wird es deutlich weniger Bewerberinnen und Be-
werber um Ausbildungsplätze geben. Die Betriebe müssen
daher jetzt schon beginnen, vorzusorgen und die Chance
zu nutzen, möglichst viele Jugendliche gerade für den ei-
genen Fachkräftebedarf auszubilden, auch wenn dieser
erst in den nächsten Jahren entsprechend ansteigen wird.

Wir müssen alle Potenziale nutzen und auch unseren
Blick auf die Jugendlichen richten, die unsere Hilfe brau-
chen, um den Weg in Ausbildung und Beruf zu finden. Seit
1999 haben über 400 000 Jugendliche am Sofortprogramm
JUMP und an ausbildungs- und beschäftigungsfördernden
Maßnahmen teilgenommen. Allein im vergangenen Jahr
waren es über 84 000. Dass das Sofortprogramm bis Ende
des Jahres 2003 verlängert wurde, hatte gute Gründe. Mit
dem Job-AQTIV-Gesetz ist sichergestellt, dass ab dem
Jahr 2004 bewährte Maßnahmen des Programms in die
dauerhafte Förderung übernommen werden.

Benachteiligten Jugendlichen und jungen Migran-
tinnen und Migranten zu einer Ausbildung zu verhelfen
ist eine wichtige Herausforderung, die für die soziale Sta-
bilität in unserer Gesellschaft und für unsere wirtschaft-
liche Zukunft von sehr großer Bedeutung ist. Wir haben
deshalb im vergangenen Jahr das Programm „Kompeten-
zen fördern – Berufliche Qualifizierung für Zielgruppen
mit besonderem Förderbedarf“ entwickelt. Mit einem Etat
von insgesamt 52 Millionen Euro werden wir die Struktu-
ren und die Effizienz der Benachteiligtenförderung in der
beruflichen Bildung deutlich verbessern und damit einen
wirksamen Beitrag dazu leisten, dass mehr Jugendliche
eine qualifizierte Berufsausbildung erhalten können.


(Beifall bei der SPD)

Es geht aber nicht nur um quantitativ ausreichendes

Ausbildungsplatzangebot, sondern wir müssen auch dem
strukturellen Wandel gerecht werden. Denn in den ein-
zelnen Ausbildungsbereichen hat sich die Zahl der neu ab-
geschlossenen Ausbildungsverträge im Jahr 2001 recht
unterschiedlich entwickelt. Es gab erhebliche Rückgänge
im Handwerk – um 6,9 Prozent – wie auch Rückgänge in
der Landwirtschaft: um 3,8 Prozent. Dem stehen glück-
licherweise erhebliche Zuwächse, etwa in den IT- und
Medienberufen, gegenüber. In diesem Bereich hat sich
die Zahl der Ausbildungsplätze seit 1998 von 14 000 auf
mehr als 70 000 erhöht. Damit sind die erheblichen Rück-
gänge im Handwerk mehr als kompensiert worden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Der beschleunigte Wandel in der Wirtschaft und die de-
mographische Entwicklung stellen die Bildungs- und Be-
rufsbildungspolitik vor neue Herausforderungen. Denn
neue und höhere Qualifikationsanforderungen müssen
zukünftig von immer weniger jüngeren und mehr älteren
Menschen bewältigt werden.

Daraus ergeben sich für uns folgende Aktionsfelder:
Die Bundesregierung hat den Modernisierungsprozess
des dualen Systems der Berufsausbildung vorangetrie-
ben und wird ihn konsequent fortsetzen. In den letzten
drei Jahren sind insgesamt 43Ausbildungsberufe aktuali-
siert und zehn neue Berufe geschaffen worden. Wichtig ist
dabei, dass wir auch im Dienstleistungsbereich neue Be-
rufe geschaffen haben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Für weitere 19 Berufe können die Ausbildungsordnungen
zum 1. August 2002 in Kraft treten.

Wir haben darüber hinaus im vergangenen Jahr die
Ausstattung der Berufsschulen mithilfe der UMTS-
Zinserlöse zu einem Schwerpunkt im Zukunftsinvesti-
tionsprogramm gemacht. In den Jahren 2001 und 2002
flossen Mittel in Höhe von 130 Millionen Euro als Fi-
nanzhilfen in die Länder. Damit konnten die Berufsschu-
len mit modernen Technologien und Medien einschließ-
lich der erforderlichen Software ausgestattet werden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Offenkundig stellt ein solches Vorgehen mit einem etwas
größeren Abstand zu bestimmten Wahlterminen für alle




Parl. StaatssekretärWolf-Michael Catenhusen
24718


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(B)


Länder eine hochwillkommene Hilfe und Unterstützungs-
maßnahme des Bundes dar.

Am 1. Januar dieses Jahres ist das neue Meister-BAföG
in Kraft getreten. Wir wollen damit den Anreiz für den
Schritt in die Selbstständigkeit erhöhen und den in Deutsch-
land auftretenden Fachkräftemangel verringern. Die finan-
ziellen Mittel für die Aufstiegsförderung sind mit dem
neuen Reformgesetz verdoppelt worden. Die ersten Rück-
meldungen vonseiten der Kammern sind sehr ermutigend.
Die Kammern werben engagiert für dieses Programm, weil
sie von seiner Wirksamkeit und Attraktivität überzeugt sind.
Wir gewinnen übrigens durch dieses Programm auch wie-
der mehr Ausbilder für unsere jungen Menschen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Weiterbildung und Nachqualifizierung sind wichtige
und notwendige Voraussetzungen, um im Berufsleben
Schritt zu halten. Lebenslanges Lernen gewinnt damit für
den Einzelnen und die Unternehmen eine immer größere
Bedeutung. Hierbei geht es darum, immer mehr Menschen
an beruflicher Weiterbildung – das geht von traditionellen
Kursen über E-Learning bis zum Lernen am Arbeitsplatz –
teilhaben zu lassen. Deshalb ist unser Aktionsprogramm
„Lebensbegleitendes Lernen für alle“ mit über 250 Milli-
onen Euro bis zum Jahr 2006 auch ein hilfreicher Beitrag
zur beruflichen Weiterbildung in unserem Land.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir müssen uns im Bereich der beruflichen Weiter-
bildung in Deutschland, vor allem im Bereich der außer-
betrieblichen beruflichen Weiterbildung, natürlich auch
verstärkt um die Qualität kümmern. In einer ersten Er-
probungsphase wird dazu die neue Abteilung „Stiftung
Bildungstest“ bei der Stiftung Warentest eingerichtet. Ab
Juli werden die ersten Kursangebote, zunächst im Bereich
der beruflichen Weiterbildung, untersucht und bewertet.

Es geht aber auch darum, die berufliche Aus- und Wei-
terbildung für höhere Qualifikationen zu nutzen. Der Be-
darf an Fachkräften mit hohen Qualifikationen wird nach
den vorliegenden Prognosen weiter steigen. Natürlich un-
terstützen wir das zunehmende Interesse von Schulab-
gängerinnen und Schulabgängern, ein Hochschulstudium
zu beginnen. Der Anstieg der Zahl der Studienanfänge-
rinnen und Studienanfänger in den letzten beiden Jahren
um 50 000 auf bundesweit 340 000 ist auch eine Reaktion
auf unsere hochschulpolitischen Reformmaßnahmen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Es muss aber auch die Notwendigkeit gesehen werden,
die Attraktivität des dualen Systems durch bessere Ver-
knüpfung von beruflicher Erstausbildung und Hochschul-
ausbildung zu steigern. Wir müssen uns für die nächsten
Jahre vornehmen, eine Vielzahl von kreativen Versuchen
und Modellen der Verknüpfung von dualer Erstausbil-
dung und Fachhochschulausbildung zu entwickeln, mög-
licherweise auch in einem geordneten Bildungsgang im
etablierten System, eine Mischung aus dualer und Hoch-
schulausbildung. Wir müssen dazu natürlich auch das
große Potenzial derjenigen, die sich über eine duale Be-

rufsausbildung, Erwerbstätigkeit und berufliche Weiter-
bildung qualifiziert haben, stärker als bisher nutzen, und
zwar durch Öffnung unserer Hochschulen.

Gestatten Sie mir an dieser Stelle eine Bemerkung zu
der Debatte von heute Nachmittag. Wir vergessen nicht,
dass der Freistaat Bayern eines der letzten Bundesländer
war, die ihren Widerstand gegen die Öffnung der Hoch-
schulen für – ich sage es einmal so – kundige und quali-
fizierte Menschen aus dem Bereich der beruflichen Bil-
dung aufgegeben haben.


(Beifall bei der SPD – Jörg Tauss [SPD]: Schade, das Frau Hohlmeier nicht mehr da ist! – Klaus Barthel [Starnberg] [SPD]: Und hier die große Lippe riskieren!)


Ich denke, dass wir gut beraten sind, die Strukturen
zum Erwerb von Höchstqualifikationen über die berufli-
che Aus- und Weiterbildung zu stärken. Dabei geht es
nicht um die Akademisierung der beruflichen Bildung,
sondern um die Anerkennung ihres Qualifikationsni-
veaus, das über eine qualifizierte Berufstätigkeit und Auf-
stiegsfortbildung im Vergleich zu einem akademischen
Studium erreicht werden kann. Die zusammen mit den
Tarifpartnern zustande gebrachte IT-Fortbildungsverord-
nung realisiert dieses Vorhaben, nämlich Höchstqualifi-
kationen im Bereich der beruflichen Fortbildung zu errei-
chen, in vorbildlicher Weise.

Lassen Sie mich zum Schluss auch den Blick auf
Europa lenken. Auch durch deutsche aktive Unterstüt-
zung hat der Bildungsministerrat in diesem Jahr begon-
nen, nach dem Hochschulbereich und dem Bereich des le-
benslangen Lernens den Bereich der Berufsausbildung
zur dritten Säule der Entwicklung des europäischen Bil-
dungssystems zu gestalten. In diese Zusammenarbeit ge-
hen wir mit eigenen Initiativen, mit eigenen Vorschlägen,
mit einer nachhaltigen Unterstützung und einer Strategie,
die darauf abzielt, das hohe Qualifikationsniveau des
deutschen Berufsausbildungssystems auch im europä-
ischen Kontext zu erhalten. Es geht um Förderung der
Mobilität. Es geht natürlich auch um die Anerkennung
von Qualifikationen, die bei im Ausland absolvierten Tei-
len der Berufsausbildung erworben worden sind. Es geht
aber natürlich vor allem darum, europäische Qualitäts-
standards für die berufliche Bildung zu entwickeln.

Wenn wir auf diesem Gebiet erfolgreich sind, dann wer-
den wir uns nicht wie bei PISA die Frage stellen müssen,
an wem wir uns in Europa messen müssen, sondern dann
haben wir die Chance, dass das Qualifikationsniveau der
deutschen Berufsausbildung in Europa zur Messlatte wird.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1424517100
Das Wort
hat jetzt der Kollege Dr. Rainer Jork von der CDU/CSU-
Fraktion.


Dr.-Ing. Rainer Jork (CDU):
Rede ID: ID1424517200
Herr Präsident!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Berufsbil-
dungsbericht beschreibt sehr realistisch die Situation




Parl. StaatssekretärWolf-Michael Catenhusen

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(D)



(A)



(B)


beim Lehrstellenangebot und Schwerpunkte bei den Maß-
nahmen, die für die Verbesserung erforderlich sind. Es ist
gut, dass wir über den Bericht jetzt und nicht erst, wie im
vorigen Jahr, nach der Sommerpause diskutieren.


(Klaus Barthel [Starnberg] [SPD]: Es ist auch ein guter Bericht!)


– Das habe ich eben gesagt.
Weniger wirklichkeits- und problemnah stellt sich al-

lerdings der Beschluss des Bundeskabinetts zum Berufs-
bildungsbericht 2002 dar, und zwar mit Aussagen wie
„Die Ausbildungschancen der Jugendlichen haben sich
seit 1998 kontinuierlich weiter verbessert“ und „Der ein-
geschlagene Weg wird konsequent fortgesetzt“. Ich höre
Ihren Kollegen Rixe, der früher sagte: Weiter so. Dann
steht da noch etwas von einer „beispielhaften Entwick-
lung“. Ich frage mich: Für wen eigentlich?

Leider muss ich in Anbetracht der begrenzten Zeit auch
heute wieder schwerpunktmäßig auf die neuen Bundes-
länder eingehen; denn dort liegen die signifikanten Pro-
bleme bei der Bereitstellung von Lehrstellen im dualen
System.


(Heinz Wiese [Ehingen] [CDU/CSU]: So ist es!)


Darum geht es mir, Herr Catenhusen. Der Kollege Heinz
Wiese wird auf die anderen Fragen eingehen.

Ich habe noch im Kopf, wie der Sprecher der Arbeits-
gruppe der SPD in der ersten Sitzung des Ausschusses ei-
nen Epochenwechsel ankündigte. Es ist, nicht nur im In-
teresse der Bewerber, legitim und auch notwendig, am
Ende der Wahlperiode Ernsthaftigkeit und Wahrheitswert
dieser Proklamation zu prüfen. Wie sieht heute die Wirk-
lichkeit für Lehrstellenbewerber aus? Die Jugendar-
beitslosigkeit in Deutschland ist gegenüber dem Vorjahr
um 15,6 Prozent gestiegen,


(Klaus Barthel [Starnberg] [SPD]: Nennen Sie doch die Zahlen von 1998!)


mehr als doppelt so stark wie die allgemeine Arbeitslo-
sigkeit. Das war fürwahr ein Jump nach oben. Im Mai wa-
ren 453 000 Jugendliche unter 25 Jahren arbeitslos und
– das ist besonders interessant – die Arbeitslosenquote der
Jugendlichen unter 25 Jahren lag im Bundesgebiet West
bei 7,2 Prozent, im Bundesgebiet Ost bei 14,5 Prozent.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Unglaublich! – Klaus Barthel [Starnberg] [SPD]: Nennen Sie doch die Zahlen von 1998!)


Am 11. Juni stand in der „Frankfurter Rundschau“: Zehn-
tausende Lehrstellen fehlen, Jugendarbeitslosigkeit be-
sonders gestiegen. In der „Sächsischen Zeitung“ vom
13. Juni konnte man lesen: Zwei von drei Bewerbern ohne
Lehrstelle.

Deutsche Einheit bedeutet für mich in der Praxis ver-
gleichbare Chancen für die Jugendlichen in Ost- und
Westdeutschland. Wer die innere Einheit will, muss
Lehrstellenbewerbern in den neuen Bundesländern eine
Lehrstelle im dualen System bieten,


(Beifall bei der CDU/CSU)


also eine betriebliche Stelle und ein schulisches Angebot.

(Klaus Barthel [Starnberg] [SPD]: Sie hatten doch viel Zeit dafür!)

Nur so ist die Verbindung möglich zwischen der Qualität
einer guten Ausbildung, der Praxisnähe und – das ist be-
sonders wichtig – der Chance, später einen Arbeitsplatz in
dem gelernten Beruf zu bekommen.


(Klaus Barthel [Starnberg] [SPD]: Dazu hatten Sie acht Jahre Zeit!)


Schulische Ausbildung allein kann das nicht leisten, vor
allem nicht in wertschöpfenden Berufen bzw. in der ma-
teriellen Produktion. Mit theoretisch gebackenen Bröt-
chen ist noch niemand satt geworden.


(Jörg Tauss [SPD]: Das ist wahr! Aber unsere Brötchen sind besser!)


Am Montag, dem 24. Juni, also in dieser Woche, wurde
auf einer Veranstaltung mit dem VDI deutlich und klar ge-
sagt: Wer das duale System kaputtredet – dazu komme ich
noch –, zerstört den Industriestandort Deutschland. Ich
sage bewusst auch mit Blick auf die Diskussion, die wir
heute Mittag hatten: Praxisbezogenes Fördern ist eine
Chance und führt zu Erfolgserlebnissen, die man nieman-
dem verwehren sollte. Das geht bereits in der Schule los.


(Klaus Barthel [Starnberg] [SPD]: Wo sind denn die Redner, die heute Nachmittag gesprochen haben?)


Es ist absurd, aus dem Fehlen betrieblicher Stellen eine
Strukturänderung des Ausbildungssystems abzuleiten,


(Beifall bei der CDU/CSU)

wie die Grünen es immer wieder machen. In den neuen
Bundesländern haben sich die Voraussetzungen für die
Wirtschaft als Träger betrieblicher Stellen katastrophal
verschlechtert. Die gezielte Abwanderung mobiler und
kreativer junger Menschen aus den neuen Bundesländern
wird naturgemäß erhebliche Probleme bei den sozialen
Strukturen, bei der Steuerkraft und bei der Integrations-
fähigkeit mit sich bringen. Auf diesem Gebiet ist tatsäch-
lich ein Epochenwechsel erforderlich.


(Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf von der SPD: Das haben wir gemacht!)


– Ich würde Ihnen gern bescheinigen, dass Sie sich nach
Ihren Möglichkeiten – das


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Die sind sehr begrenzt!)


gilt vor allem für Ihre Ministerin – engagieren; aber Sie
haben ein Problem: Ihnen fehlen für ein komplexes, ver-
netztes und dynamisches System der dualen Bildung in
dieser Regierung einfach die Partner.


(Jörg Tauss [SPD]: Oh, Jesus, Maria! Das haben wir übernommen, Ihr flexibles, dynamisches System!)


Es fehlt an einer ganzheitlichen Grundsatzpolitik im Inte-
resse der Lehrstellenbewerber und der Wirtschaft.


(Beifall bei der CDU/CSU)





Dr.-Ing. Rainer Jork
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(A)



(B)


Das gilt insbesondere für die neuen Bundesländer.
Aus meiner Sicht diente JUMPmehr der Selbstdarstel-

lung der Bundesregierung als der stabilen Lebensgestal-
tung der Jugendlichen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Für die Bildung gilt eben: Nicht viel hilft viel, Qualität
und Partnerschaft sind gefragt. Ich muss noch einmal klar
sagen: Wo Wirtschaft kaum präsent ist, da nützen auch
Appelle an die Wirtschaft überhaupt nichts.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Jörg Tauss [SPD]: Aber eine Verantwortung hat sie auch!)


Herr Tauss, ich finde übrigens, das Positive an der bil-
dungspolitischen Debatte am 13. Juni 2002 in diesem
Haus war, dass Zusammenhänge angesprochen worden
sind, die man in der Diskussion über Lehrstellen und be-
rufliche Bildung so leider nicht sieht. Wenn es um die
Schaffung von Lehrstellen geht, dann berücksichtigen
Sie diese Zusammenhänge bitte. Die Praxis zeigt nämlich:
Die Anzahl der betrieblichen Stellen und die Anzahl der
vermittelten Bewerber gehen deutlich zurück; fast
500 000 Jugendliche sind arbeitslos.


(Jörg Tauss [SPD]: Warten Sie mal den Herbst ab!)


Ich stelle fest: In dem genannten Beschluss der Bun-
desregierung wird die schlechte Bilanz nach dem Prinzip
„Hoffnung als Politikersatz“ schöngeredet.


(Jörg Tauss [SPD]: Vergleichen Sie einmal mit Ihrer Bilanz!)


Von einer guten Epoche für Lehrstellensucher in den
neuen Bundesländern kann keine Rede sein. Die Vergan-
genheit ist Ihre Sache. Das werden wir in Kürze merken.


(Beifall bei der CDU/CSU – Jörg Tauss [SPD]: Vergangenheit ist Ihre Sache! Jetzt vergleichen Sie einmal!)


Angesichts dieses existenziellen Grundproblems
habe ich kein Verständnis dafür, wenn mit Blick auf die
Novelle zum Berufsbildungsgesetz über Mitbestim-
mung in außerbetrieblichen Einrichtungen gespro-
chen wird; schließlich gibt es in den neuen Bundeslän-
dern sechsmal mehr außerbetriebliche Einrichtungen als
in den alten Bundesländern. Hier geht es um die neuen
Bundesländer.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Wohl wahr!)

Die Jugendlichen in den neuen Bundesländern, die gar
keine Lehrstelle haben, interessiert zum Beispiel die
Frage, ob die Zeit für den Weg zwischen Schule und Be-
trieb als Arbeitszeit angerechnet wird, wirklich sehr we-
nig. Das ist das Problem.

Es ist durchaus normal, dass ein Gewerkschaftsfunk-
tionär davon ausgeht, Partner zu vertreten, die in einem
Betrieb arbeiten. Mitbestimmung ist sinnvoll, ja notwen-
dig und sie ist mit der Wirtschaftsdynamik verbunden.
Nur, in den neuen Bundesländern gibt es nicht so viele Be-
triebe. Dort müssen erst einmal Betriebserhalt und Be-
triebsgründung unterstützt werden. Mitbestimmung als

praxisferner Trockenschwimmkurs hat doch für Lehrlinge
wenig Sinn.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich fordere: Das Angebot an betrieblichen Ausbil-

dungsplätzen muss vor allem in den neuen Bundesländern
erhöht werden. Steuermittel sollten vorrangig in
Lohnkosten- und Ausbildungszuschüsse fließen statt in
staatliche Ausbildungszentren und in betriebsferne Aus-
bildungswarteschleifen. Es ist höchste Zeit, dass die Bun-
desregierung ehrlich und nicht nur mit Worten und De-
monstrationen das tut, was die IG Metall am 14. Juni in
Leipzig gefordert hat: Neue Wege wagen!


(Jörg Tauss [SPD]: Sonst interessieren Sie sich auch nicht für die IG Metall!)


Wir erleben jedoch Folgendes: Erstens. Sie geben
mehr Geld aus und erklären das zum Leistungskrite-
rium, aber Sie sagen nichts zum Effekt. Zweitens. Sie
bemühen sich im Einzelnen, aber Ihnen fehlen die
Partner in dieser Regierung. Drittens. Sie fördern die
außerbetriebliche Ausbildung, aber Sie missachten den
Praxiskontakt und die Praxispartner. Viertens. Sie ver-
suchen – wie wir wieder einmal gehört haben – mit
Durchschnittsangaben Anerkennung zu finden, aber Sie
vertuschen die Hauptprobleme in den neuen Bundes-
ländern.


(Jörg Tauss [SPD]: Ach, Herr Jork!)

Ich habe eine Vision: Es könnte einmal nicht mehr zeit-

gemäß und sinnvoll sein, im Berufsbildungsbericht auf
die Spezifik „neue Bundesländer“ einzugehen. Dann wird
über die Berufsbildung, auch über die im tertiären Be-
reich – ich denke auch an die Berufsakademien –, im ge-
einten Deutschland allein unter dem Aspekt beraten, wie
wir uns alle gemeinsam für in ausreichender Anzahl an-
gebotene, zukunftsfähige Lehrstellen einsetzen. Es gibt
keine ideologischen Blockaden beim Streben nach diesem
Ziel.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich zum
Abschluss meiner letzten Rede nach zwölf Jahren als Ab-
geordneter des Bundestags drei Gedanken zum Ausdruck
bringen. Es war eine für mich früher so nie erwartete wun-
derbare Zeit, etwas für die äußere und innere Einheit
Deutschlands tun zu können. Die Arbeit hat mir oft Pro-
bleme, aber auch Freude gemacht. Ich bin dankbar für die
Partnerschaft, auch über Parteigrenzen hinweg, und dafür,
dass ich Freunde fand.

Danke schön.

(Beifall im ganzen Hause)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1424517300
Lieber
Kollege Jork, auch ich darf Ihnen im Namen des ganzen
Hauses für die langjährige, gute Zusammenarbeit und die
erfolgreiche Arbeit, die Sie im Sinne der deutschen Ein-
heit geleistet haben, danken. Wir wünschen Ihnen für die
nächsten Jahre alles Gute.


(Beifall)

Als nächster Redner hat das Wort der Kollege

Dr. Reinhard Loske vom Bündnis 90/Die Grünen.




Dr.-Ing. Rainer Jork

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Dr. Reinhard Loske (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1424517400

Herr Präsident! Herr Kollege Jork, auch mir ist es leicht
gefallen, zum Schluss Ihrer Rede zu klatschen. Aber es ist
wirklich notwendig, dass man noch einmal sagt, wofür
man klatscht, nämlich für die Zusammenarbeit der ver-
gangenen Jahre. Die inhaltlichen Ausführungen Ihres Bei-
trages lassen das Klatschen nicht ohne weiteres zu. Das
muss ich bei aller Freundschaft zugeben.

Zunächst einmal möchte ich Sie auf folgende Aussagen
von Ihnen ansprechen: „Wer das duale System kaputtre-
det, zerstört den Industriestandort Deutschland.“ Ich frage
Sie ernsthaft: Sehen Sie irgendjemanden, der das duale
System kaputtreden möchte? Bauen Sie da nicht vielleicht
einen Popanz auf, den es so gar nicht gibt?


(Jörg Tauss [SPD]: Er meinte die Grünen!)

Zweitens habe ich eine wirklich ernst gemeinte Frage,

obwohl ich nicht erwarte, dass Sie sie jetzt beantworten.
Es ist doch klar: Wünschenswert ist, dass wir möglichst
viele junge Menschen im dualen System direkt in den Be-
trieben unterbringen; das ist gar keine Frage. Aber was ge-
schieht, wenn solche Arbeitsplätze aufgrund der regiona-
len Unterschiede nicht vorhanden sind? Da gibt es
vonseiten der Politik verschiedene Möglichkeiten: Man
gibt Mobilitätshilfen und versucht, die jungen Leute dazu
zu bewegen, dahin zu gehen, wo die Lehrstellen sind; das
ist eine vernünftige Strategie. Eine andere vernünftige
Strategie ist die, dass man überbetriebliche Ausbildungs-
stätten einrichtet und versucht, einen größtmöglichen be-
trieblichen Kontakt herzustellen. Genau das ist in solchen
Situationen sinnvoll. Dem können auch Sie sich nicht in
den Weg stellen; denn einzig und allein das ist vernünftig.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1424517500
Herr Kol-
lege Loske, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kolle-
gen Jork?


Dr. Reinhard Loske (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1424517600

Ja, obwohl meine Frage an den Kollegen Jork mehr rhe-
torisch gemeint war.


Dr.-Ing. Rainer Jork (CDU):
Rede ID: ID1424517700
Sie haben mich in-
direkt gefragt und zwei Vorschläge, die ich richtig finde,
gemacht. Könnten Sie sich vorstellen, dass es vielleicht
noch einen dritten Vorschlag gibt, und zwar den, dass man
diejenigen stärkt, die Lehrstellen bereitstellen, also die
Wirtschaft? Das war immer mein Anliegen. Dazu
gehören auch das Handwerk und der Mittelstand. Wenn
Sie das ergänzen könnten, würde ich mich freuen. Ist das
denkbar?


(Heiterkeit bei der CDU/CSU)



Dr. Reinhard Loske (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1424517800

Das ist ohne weiteres denkbar.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ich bin mit meinen Ausführungen allerdings noch nicht
fertig gewesen. Ich hatte gerade erst begonnen und ver-

sucht, zwei Möglichkeiten zu skizzieren. Selbstverständ-
lich ist es so – das hat der Herr Staatssekretär, wie ich
finde, sehr zutreffend ausgeführt –, dass wir bei den Un-
ternehmen einmal durch reale Rahmensetzungen steuer-
licher und sonstiger Art, aber natürlich auch durch einen
Appell an ihr Verantwortungsbewusstsein die Bereitschaft
wecken müssen, Auszubildende einzustellen. Das ist völ-
lig klar. Man kann nicht einerseits über Fachkräftemangel
klagen und andererseits selbst keine Lehrlinge ausbilden.
Das passt nicht zusammen. Man muss das ganz klar sehen.


(Beifall bei der SPD)

Deswegen möchte ich von dieser Stelle aus gerne noch

einmal die Wirtschaft bitten, zu ihren Zusagen im Rahmen
des Ausbildungskonsenses auch tatsächlich zu stehen.
Denn Weitsicht ist erforderlich, um den Fachkräftemangel
von morgen zu verhindern.

Ich wollte mich in meinem Beitrag auf den Kollegen
Catenhusen konzentrieren, der sich im Wesentlichen auf
die Bilanz gestützt hat, und noch ein paar Worte zur be-
ruflichen Weiterbildung sagen. Wir in diesem Hohen
Hause sind uns einig, dass in einer Gesellschaft, in der die
Halbwertzeit von Wissen rapide gesunken ist und weiter
sinkt, der beruflichen Weiterbildung ein ganz hoher und
vor allen Dingen wachsender Stellenwert zukommt. Uns
allen ist klar, dass eine Erstausbildung allein nicht mehr
ausreichend ist, um den künftigen Anforderungen der
Wissensgesellschaft gewachsen zu sein. Deshalb muss
berufliche Fort- und Weiterbildung immer selbstverständ-
licher werden. Wir müssen versuchen, die Rahmenbedin-
gungen dafür zu setzen.

Ich glaube, es ist nicht nur erforderlich und sinnvoll,
über Zahlen, Programme, Geld usw. zu sprechen, sondern
wir sollten auch alles dafür tun, dass sich wirklich eine
Kultur des lebenslangen bzw. lebensbegleitenden Lernens
verbreitet. Denn es ist so, dass viele Menschen immer
noch glauben, dass nebenberufliche Weiterbildung doch
eher eine Last ist und weniger eine Chance. Die Einsicht,
dass Bildung dem Menschen weiterhelfen kann und die
beste Versicherung gegen Arbeitslosigkeit ist, müssen wir
fördern.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Wenn man über berufliche Aus- und Weiterbildung redet,
kristallisieren sich vier Bereiche besonders heraus. Ers-
tens müssen wir dafür Sorge tragen – das wurde bereits
angesprochen –, dass bei dem notwendigen quantitativen
Ausbau von Weiterbildung die Qualität nicht auf der
Strecke bleibt. Zweitens müssen wir Chancengerechtig-
keit beim Zugang zu Weiterbildungsmaßnahmen sicher-
stellen. Drittens müssen wir – auch das wurde angespro-
chen – die internationale Dimension fest im Blick haben,
vor allem die wechselseitige Anerkennung von Abschlüs-
sen. Wenn wir wollen, dass sich unsere jungen Menschen
international stärker orientieren, dann müssen auch ihre
Abschlüsse oder Teilabschlüsse in anderen Ländern aner-
kannt werden. Viertens müssen wir uns darüber klar wer-
den, in welchem Verhältnis die duale Ausbildung in Zu-
kunft zur Hochschul- und Fachhochschulausbildung
stehen soll. Nach meiner Auffassung müssen wir diese
beiden Ausbildungswege stärker verzahnen.






(C)



(D)



(A)



(B)


Qualitätssicherung in der Weiterbildung ist eine ele-
mentare Aufgabe des Verbraucherschutzes. Es geht beim
Verbraucherschutz darum, nicht nur im Hinblick auf Ra-
batte oder Nahrungsmittel, sondern auch im Hinblick auf
die Bildung eine stärkere Transparenz sicherzustellen.
Deswegen setzen wir uns für eine Institution „Bildungs-
test“ ein, die für Beobachtung und Evaluation sowie für
die Veröffentlichung der Ergebnisse sorgt, sodass die
Menschen wissen, woran sie sind. Nach unserer Meinung
ist Transparenz im Bildungsbereich ein Wert an sich.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Ab Juli 2002 – auch darauf ist schon hingewiesen wor-
den – wird es bei der Stiftung Warentest eine Abteilung
„Bildungstest“ geben, die die verschiedenen Weiterbil-
dungsangebote auf ihre Qualität hin untersucht.


(Jörg Tauss [SPD]: Das ist innovative Politik!)

Wir werden diese Untersuchungen eine Zeit lang beob-
achten und dann Schlüsse daraus ziehen, wie wir dieses
Instrument weiterentwickeln wollen.

Es geht aber nicht nur um bessere Information und
Transparenz, sondern auch um bessere Beratungsstruktu-
ren. Wir wollen die Bürger aktiv darin unterstützen, an Wei-
terbildungsmaßnahmen teilzunehmen, und allen die Chan-
cen des lebensbegleitenden Lernens zukommen lassen.

Zum Thema Chancengerechtigkeit: Heute ist leider
folgende Entwicklung zu beobachten. Diejenigen, die be-
reits hoch qualifiziert sind, beteiligen sich überproportio-
nal an Weiterbildungsmaßnahmen, während die geringer
Qualifizierten diese Angebote kaum wahrnehmen. Wir
müssen versuchen, diese Schere wieder zu schließen,


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


und zwar vor allen Dingen dadurch, dass wir Anreize
schaffen, Hindernisse abbauen und den Menschen ein
Gefühl dafür geben, dass die Teilnahme an Weiterbil-
dungsmaßnahmen eine Investition in ihr eigenes Hu-
mankapital ist.

Im Hinblick auf die wechselseitige Anerkennung von
Abschlüssen hat die Bundesregierung erste Schritte ge-
macht. Ich nenne hier den Europass. Diese Initiative geht
in die richtige Richtung, muss aber weiterentwickelt wer-
den. Das müssen wir so, wie wir es bei den Hochschulen
gemacht haben – seit der BAföG-Reform kann das BAföG
ins Ausland mitgenommen werden; zu denken ist ferner an
die wechselseitige Anerkennung von akademischen Ab-
schlüssen bzw. Teilabschlüssen –, auch bei der beruflichen
Bildung hinbekommen, damit die jungen Menschen bes-
ser ausgestattet sind. Beim letzten Tagesordnungspunkt
war davon die Rede, dass Europa die tragende Idee unse-
rer Politik sei. Dann müssen auch die Abschlüsse in Eu-
ropa wechselseitig anerkennungsfähig sein.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Der letzte Punkt bezieht sich auf das Verhältnis des
dualen Systems und der Hochschulen bzw. Fachhoch-
schulen; das wurde auch vom Kollegen Catenhusen an-

gesprochen. Es ist in der Tat erfreulich, dass Bayern sei-
nen Widerstand aufgegeben hat. Besonders wichtig ist
aber, dass wir den Fachhochschulen und Universitäten in
Zukunft auch die Möglichkeit geben wollen, sich an die-
sem Weiterbildungsmarkt aktiv zu beteiligen. Es soll also
nicht mehr nur unmittelbar für den Beruf nützliches Wis-
sen an den Fachhochschulen und Hochschulen abgerufen
werden können. Vielmehr sollen sich die Berufstätigen
parallel in den Hochschulen weiterbilden können. Dafür
wollen wir die Universitäten und Fachhochschulen öff-
nen. Der Zugang soll allen möglich sein, die eine solide
berufliche Qualifikation hinter sich haben.

Danke schön.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1424517900
Das Wort
hat jetzt der Kollege Ernst Burgbacher von der FDP-Frak-
tion.


Ernst Burgbacher (FDP):
Rede ID: ID1424518000
Herr Präsident! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben vor circa
drei Stunden über PISA diskutiert. Wenn ich mich daran
erinnere, wie viele Klagen über das Niveau der Schul-
abgänger gerade von den Ausbildern in den Betrieben
seit vielen Jahren vorgebracht werden, dann muss ich
heute sagen: Hätten wir früher auf sie gehört, hätte man
vor allem in manchen Bundesländern früher auf sie
gehört, könnten wir uns heute manche Diskussion
sparen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Diese Klagen bezogen sich genau auf die mangelnde
Lesefähigkeit, auf das mangelnde Verständnis, auf man-
gelnde Rechenfähigkeiten; wir alle haben diese Klagen
gehört, wo immer wir hinkamen. Hier ist sicherlich etwas
versäumt worden.


(Jörg Tauss [SPD]: Ja!)

Wenn wir heute über berufliche Bildung reden, dann

wird das Schlagwort von der Gleichwertigkeit der allge-
meinen und der beruflichen Bildung wieder in den Vor-
dergrund treten. Diese Forderung ist Allgemeingut. Lei-
der hapert es mit ihrer Umsetzung. Die Verwirklichung
dieses Projektes pausiert; manchmal sage ich: Es ist schon
Feierabend.

Wir haben einen Antrag vorgelegt, der einen anderen
Weg beschreibt. Wir wollen den Bildungspass, wir wollen
ein modulares Ausbildungssystem. Ich werde nachher auf
einige Punkte hierzu eingehen, möchte aber zuvor einige
Bewertungen im Hinblick auf den Berufsbildungsbe-
richt der Bundesregierung vornehmen.

Dieser Bericht, der die Situation des vergangenen Jah-
res beschreibt, zeichnet ein zumindest zwiespältiges Bild.
Er ist in keiner Weise Anlass, ein Loblied auf die Regie-
rung zu singen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)





Dr. Reinhard Loske

24723


(C)



(D)



(A)



(B)


Herr Catenhusen, die Gewerkschaftsvertreter, auf die sich
diese Regierung so gern stützt, kritisieren den Bericht der
Bundesregierung mit herben Worten – ich zitiere –:

Die Bilanzen wurden schöngeredet, kritische Zahlen
ausgeblendet, das Prinzip Hoffnung zum Politiker-
satz gemacht und im Übrigen darauf vertraut, dass
die Öffentlichkeit schon nichts merken werde.

(Jörg Tauss [SPD]: Reden Sie von Kohl oder über wen?)

So lautet das Minderheitenvotum der Arbeitnehmerver-
treter im Bericht. Herr Tauss, das sind Ihre Freunde. Wer
solche Freunde hat, braucht sich um Feinde eigentlich gar
nicht mehr zu kümmern.


(Jörg Tauss [SPD]: Deswegen bin ich dankbar, dass Sie nicht mein Freund sind!)


Wir sehen das nicht ganz so krass. Die Situation hat
sich 2001 gegenüber dem Jahr 2000 geringfügig, aber viel
zu wenig verbessert. Die Angebot-Nachfrage-Relation
stieg von 100,3 auf 100,6. Die Anzahl der rein betrieblich
abgeschlossenen Ausbildungsverträge sank jedoch um
knapp 8 000.

Die Lage in den neuen Ländern – dazu wurde schon
Stellung genommen – verschlechterte sich erneut.


(Jörg Tauss [SPD]: Vergleichen Sie mal mit 1998! Das wäre ein korrekter Vergleich!)


Die Gewerkschaftsvertreter kommentieren die Lage so:
Die Ausbildungssituation in den neuen Bundeslän-
dern ist weiterhin eine Katastrophe.

So äußern sich Ihre Freunde von den Gewerkschaften.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, man kann es auf einen ein-

fachen Nenner bringen: Wäre die wirtschaftliche und kon-
junkturelle Lage besser und hätten wir eine mittelstands-
freundliche Wirtschaftspolitik, dann hätten wir auch eine
bessere Situation bei der Berufsausbildung. Das ist der ei-
gentliche Schlüssel, um das Problem zu lösen.


(Beifall bei der FDPund der CDU/CSU – Klaus Barthel [Starnberg] [SPD]: Absenkung des Spitzensteuersatzes!)


Die kleinen und mittleren Unternehmen bieten den weit-
aus größten Anteil an Ausbildungsplätzen. Wir müssen
uns die Zahlen schon einmal vor Augen führen: Betriebe
mit unter 500 Beschäftigten bilden 83 Prozent aller Aus-
zubildenden aus, Betriebe mit unter 10 Beschäftigten bil-
den mit immerhin noch fast 25 Prozent erheblich mehr aus
als alle Großbetriebe mit über 500 Beschäftigten.


(Klaus Barthel [Starnberg] [SPD]: Für die haben wir ja auch etwas gemacht!)


Das zeigt den Fehler in Ihrer Politik. Sie haben eine in
grober Weise mittelstandsfeindliche Politik gemacht.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Klaus Barthel [Starnberg] [SPD]: Wir warten immer noch auf Ihre Vorschläge!)


Wir können alle Facetten dessen aufführen. Betriebe bil-
den zum Teil weniger aus, weil sie es schlichtweg nicht
können. Lieber Herr Loske, wenn Sie vorher anmahnten,
dass die Wirtschaft zu ihrem Versprechen stehen solle,


(Jörg Tauss [SPD]: Ja!)

halte ich Ihnen entgegen: Die Wirtschaft steht dazu, wenn
sie es kann. Wenn ein Betrieb nicht mehr das nötige Geld
verdient, dann hapert es eben auch an der Möglichkeit
auszubilden. Deshalb geht der Weg zu mehr betrieblicher
Ausbildung nicht über irgendwelche Gespräche, sondern
über die Verbesserung der wirtschaftlichen Rahmenbe-
dingungen für kleine und mittlere Unternehmen.


(Jörg Tauss [SPD]: Vergleichen Sie mal mit 1998! Seien Sie doch einmal korrekt!)


– Ich bin immer korrekt.

(Jörg Tauss [SPD]: Aber nicht bei Ihren Vergleichen! – Dr.-Ing. Rainer Jork [CDU/CSU]: Das sagt er das vierte Mal!)


Außerdem wissen Sie genau, dass ich insgesamt nur fünf-
einhalb Minuten Redezeit habe. Sonst würde ich Ihnen
jetzt genau aufzählen, worin Ihre mittelstandsfeindliche
Politik liegt.


(Jörg Tauss [SPD]: Dann werde ich eine Zwischenfrage stellen!)


– Bitte machen Sie das; ich beantworte sie gern.
Ich will noch einiges zu unserem Antrag sagen – das ist

auch ein wesentlicher Vorwurf an Sie –: Die Reform des
Berufsbildungsgesetzes ist schlichtweg verschlafen wor-
den.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir brauchen diese Reform aber. Das duale Ausbildungs-
system, das sich grundsätzlich bewährt hat – das ist über-
haupt keine Frage – und das weltweit anerkannt ist, muss
weiterentwickelt werden; es kann nicht statisch so blei-
ben, wie es jetzt ist. Wir haben in Wirtschaft und Gesell-
schaft eine erhebliche Dynamik. Neue Berufe entstehen
in einer Geschwindigkeit, wie wir es nie gekannt haben.
Das muss sich in der Berufsausbildung widerspiegeln.

Deshalb empfehlen wir das Konzept der Modularisie-
rung.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Wir dürfen kein starres System schaffen. Wir brauchen
Module, die aufeinander aufbauen. Ich sage ausdrücklich:
Das geht nicht in die Richtung, dass wir nur noch Kurz-
berufe wollen. Wir wollen die derzeitigen Berufe, aber
mit einem flexibleren System.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Wir wollen den Ausbildungspass, der dem jungen

Auszubildenden etwa erlaubt, in verschiedenen Betrieben
zu lernen. Dieses Erfordernis wird weit stärker kommen,
als wir alle das heute noch glauben, weil ein Betrieb allein
das oft nicht mehr kann.


(Jörg Tauss [SPD]: Wir haben doch Ausbildungsverbünde!)





Ernst Burgbacher
24724


(C)



(D)



(A)



(B)


Der Auszubildende kann damit einen Teil seiner Ausbil-
dung im Ausland machen; über die Europäische Union
wurde in diesem Zusammenhang schon gesprochen. Er
bekommt das dokumentiert. So entsteht eine neue Form
der Ausbildung. Das kann sich natürlich später in der Wei-
terbildung fortsetzen.

Zusammengefasst: Mit dem individuellen Ausbil-
dungspass wollen wir die Chancen und Möglichkeiten der
Berufsbildung deutlich verbessern. Wir wollen den Weg
öffnen – und fordern Sie noch einmal auf, diesen Weg
endlich mit uns zu gehen – für ein liberales, duales und
modulares Berufsbildungssystem in Deutschland.


(Zuruf von der SPD: Wir sind auch für ein soziales! Das unterscheidet uns!)


Herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1424518100
Das Wort
hat jetzt die Kollegin Maritta Böttcher von der PDS-Frak-
tion.


Maritta Böttcher (PDS):
Rede ID: ID1424518200
Herr Präsident! Liebe Kolle-
ginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren vor al-
lem von der Koalition, ich sage es gleich zu Beginn: Ich
bin nicht hier, um Lob zu verteilen.


(Jörg Tauss [SPD]: Aber schreien Sie uns nicht gleich an!)


Stattdessen sage ich: Ihre Weitsicht ist schon bewun-
dernswert. Als der Berufsbildungsbericht 2001 vorlag,
haben Sie offensichtlich gedacht, dass auf dem Gebiet der
Berufsbildung bis zum nächsten Bericht ohnehin nicht
viel passiert. Mit dieser Vermutung liegen Sie richtig; die
Probleme vom vorigen Jahr existieren leider im Prinzip
fort. Es bestand deshalb für uns auch keine Veranlassung,
den Entschließungsantrag zum Bericht 2001 zurückzuzie-
hen; denn sowohl die dort dargestellte Lage, besonders
ihre Ausmaße in Ostdeutschland, als auch die Eckpunkte
für eine Reform des Berufsbildungsgesetzes haben nicht
an Aktualität verloren.


(Dr. Ilja Seifert [PDS]: So ist es!)

Der Bericht 2002 macht deutlich, dass die derzeitigen

statistischen Grundlagen nicht geeignet sind, den Ernst
der Lage zu erfassen. Der Bericht konstatiert für 2001 eine
Angebot-Nachfrage-Relation von 100,6. Obwohl das
noch weit vom verfassungsgerichtlich fixierten Wert von
112,5 entfernt ist, wird das als Erfolg gefeiert. Hinter die-
ser formalstatistischen Ausgeglichenheit bleiben viele
gravierende Probleme verborgen.

Bürstet man die Erfolgsberichterstattung weiter gegen
den Strich, kommt noch mehr zum Vorschein. Die Zahl
der betrieblichen Ausbildungsverträge ging weiter
zurück und fiel zum Beispiel in Sachsen-Anhalt auf einen
historischen Zehnjahrestiefpunkt. Entsprechend stieg die
Zahl derer, die am Ende in Ersatzmaßnahmen und Warte-
schleifen landeten. Viele verschwinden nur aus der Statis-
tik. Sie besuchen aufgrund der Schulpflicht mangels Al-
ternative Berufsvorbereitungs- oder Grundbildungsjahre,

sind aber real nicht weniger vorhanden und nicht weniger
an einer qualifizierten Ausbildung interessiert.

Gewachsen ist dafür die Mobilitätsbereitschaft der
Jugendlichen. Allein 19,7 Prozent aus dem Osten finden
ihren Ausbildungsplatz außerhalb ihrer Region. 41 Pro-
zent der Ausbildungssuchenden 2001 waren so genannte
Altbewerber aus den Vorjahren. Herr Jork, bei aller Wert-
schätzung, mir ist neu, dass Sie hier nun doch noch für die
Ausbildungsplatzumlage werben,


(Klaus Barthel [Starnberg] [SPD]: Das hat uns auch gewundert!)


indem Sie Betriebe, die sich besonders verdient machen
und auch über Bedarf ausbilden, stärken möchten.
Schade, dass Sie jetzt aus dem Parlament ausscheiden. Sie
könnten mit mir gemeinsam in der nächsten Wahlperiode
diesen Gesetzentwurf umsetzen. Schade, aber vielleicht
werden das Ihre Kollegen übernehmen.


(Dr.-Ing. Rainer Jork [CDU/CSU]: Mit der Methode gezieltes Missverständnis werden Sie nicht weit kommen!)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch die Tendenzen
in der Entwicklung der Jugendarbeitslosigkeit sind lei-
der Besorgnis erregend. Ein Anstieg der Anzahl der
Arbeitslosen unter 25 Jahren um mehr als 10 Prozent und
ein deutlicher Anstieg der Anzahl der Jugendlichen, die
länger als sechs Monate arbeitslos sind, sind wirklich
keine Erfolgsmeldungen.

Welche Schlussfolgerungen sind allein aus diesen we-
nigen Tatsachen zu ziehen?

Erstens. Eine grundlegende Reform des Berufsbil-
dungsgesetzes ist überfällig. Diese Reform muss darauf
gerichtet sein, die Berufsausbildung von den konjunk-
turellen Schwankungen zu entkoppeln und den individu-
ellen Rechtsanspruch auf eine qualifizierte berufliche
Ausbildung zum Ausgangspunkt aller einzelnen Bestim-
mungen zu machen.

Zweitens. Alle existierenden beruflichen Ausbildungs-
gänge müssen in den Geltungsbereich des BBiG einbezo-
gen werden.

Drittens. Für die Gesamtheit dieser Ausbildungsgänge
muss das reformierte BBiG gemeinsame Standards zum
Beispiel für Zugang, Qualitätssicherung, Prüfungswesen
und Durchlässigkeit festlegen. Auf diese Weise soll das
duale System als Kern unserer beruflichen Ausbildung
erhalten und fortentwickelt werden; zugleich soll aber die
gesamte nicht akademische berufliche Bildung zu einem
gleichwertigen pluralen Ausbildungssystem ausgestaltet
werden, in dem das duale Prinzip, nämlich die Verbindung
von Theorie und Praxis, durchgängig praktiziert wird.


(Beifall des Abg. Dr. Ilja Seifert [PDS])

Viertens geht es darum, im Berufsbildungsgesetz eine

Finanzierung zu verankern, durch die die Unternehmen
und Verwaltungen verbindlich verpflichtet werden, ihrer
Verantwortung für die berufliche Ausbildung gerecht zu
werden. Diese Finanzierung muss in der nahen Perspek-
tive allen Auszubildenden eine eltern- und partnerunab-
hängige Existenz ermöglichen.




Ernst Burgbacher

24725


(C)



(D)



(A)



(B)


Schließlich und fünftens muss das reformierte Berufs-
bildungsgesetz die Grundlage dafür legen, dass die Aus-
zubildenden, die Berufsschulen und das gesellschaftliche
Umfeld größere Mitgestaltungsmöglichkeiten in der Aus-
bildung erhalten. Wie dringlich das ist, zeigt der skan-
dalöse Umstand, dass das im Deutschen Bundestag
beschlossene bescheidene Sondergesetz für ein Mitspra-
cherecht der Auszubildenden in außerbetrieblichen Ein-
richtungen im Bundesrat von der Unionsmehrheit vorerst
blockiert worden ist.


(Zuruf von der SPD: So sind die!)

Wenn es uns nicht gelingt, meine Damen und Herren,

unser Berufsbildungssystem zu reformieren, dann werden
wir große Schwierigkeiten haben, es der europäischen Ent-
wicklung anzupassen. Ich erwarte, dass wir gemeinsam
nach Lösungen suchen, um die Situation zu verändern, und
nicht in erster Linie, um Berichte zu beschönigen.


(Beifall bei der PDS)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1424518300
Das Wort
hat jetzt der Kollege Willi Brase von der SPD-Fraktion.


Willi Brase (SPD):
Rede ID: ID1424518400
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Wolf-
Michael Catenhusen hat nach meiner, nach unserer Auf-
fassung das Notwendige zur aktuellen Entwicklung der
Ausbildungsstellensituation gesagt. Ich will versuchen,
einige Punkte anzusprechen, die auch bereits in der De-
batte deutlich wurden und gezeigt haben, wo wir in die-
sem Bereich stehen.

Vorab möchte ich Folgendes sagen: Lieber Herr
Dr. Jork, der DGB hat kürzlich in einer Stellungnahme
zum JUMP-Programm sehr offensiv ausgeführt, dass
das absolut Positive an diesem Programm war, dass wir
vor allem junge Leute, die sich aus dem Arbeitsmarktge-
schehen verabschiedet hatten, wieder hoch geholt und ih-
nen eine Perspektive mit vielfältigen Aktivitäten gegeben
haben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich sehe das als eine sehr soziale und vernünftige Angele-
genheit an. Deshalb freuen wir uns über dieses Lob.

Wir haben in den letzten vier Jahren versucht – nach
meiner Auffassung ist uns das gelungen –, einige Eck-
punkte in der Diskussion über die berufliche Bildung zu
beachten und voranzutreiben.

Erstens. Wir halten an der Bundeseinheitlichkeit der
beruflichen Bildung fest. Wir sind gegen Versuche, das
System der beruflichen Erstausbildung durch modulari-
sierte Teil- und Zusatzqualifikationen oder durch gestufte
Bildungsgänge zu ersetzen. Wir sind gegen Konzepte in
Richtung Basisberufe und gegen Kurzausbildungsberufe.
Wir sind auch gegen eine Verkürzung der Ausbildungs-
dauer auf zwei Jahre. Wir halten uneingeschränkt am Be-
rufsprinzip fest. Dieses Prinzip hat sich bewährt. Das
hohe Qualifikationsniveau unserer Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmer in den unterschiedlichen Branchen be-
legt dies sehr deutlich.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Deshalb brauchen wir kein System modularisierter Tätig-
keiten und keine Schmalspurberufe, und zwar nicht im In-
teresse der Wirtschaft und schon gar nicht im Interesse der
Jugendlichen. Das zeigt auch die aktuelle Situation.

Zweitens. Unser Land kann auch gerne auf die Ausdif-
ferenzierung der Ausbildungsordnungen und Berufsbilder
in eine Vielfalt von Spezialberufen verzichten, weil sie die
berufliche Mobilität behindern und oft nur modischen
Trends des Stellenmarktes folgen. Ich nenne als Beispiel
den Info-Broker oder den Content-Manager. Diese Be-
rufsbilder können schnell überholt sein, wie der Zusam-
menbruch der so genannten New Economy deutlich ge-
macht hat. Ich erwähne auch die klassische, nach meiner
Auffassung abschreckende Liste von 100 neuen Spezial-
berufen der IHK Hamburg und nenne beispielsweise den
Aufzugsportier und die Garderobefachfrau. Da wir uns in
Europa informationstechnologisch mittlerweile an erster
Stelle befinden, brauchen wir keinen Aufbruch in die
Nostalgie, sondern den Ausbau der Spitzenposition. Ent-
sprechende Maßnahmen werden wir weiterhin umsetzen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir haben über 70 000 Ausbildungsplätze in den neuen
IT-Berufen. Ich will darauf hinweisen, dass sich mit der
Neuordnung der Metall- und Elektroberufe vor allen Din-
gen die davon betroffenen Branchen weiterentwickeln
konnten. Nehmen Sie nur einmal die Spitzenstellung des
Maschinenbaus. Es war genau richtig, dass wir diesen
Weg gegangen sind.


(Ulrike Flach [FDP]: Das ist noch von der alten Regierung angefangen worden!)


– Das ist doch uninteressant. Wir haben die Maßnahmen
bezüglich der IT-Berufe weiter vorangetrieben. Sie kön-
nen reden, wie Sie wollen: Es gibt 70 000 Ausbildungs-
plätze mehr als zugesagt wurden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Lassen Sie mich einen Bereich ansprechen, der häufig
erwähnt wird, wenn es darum geht, bestimmte Probleme
in den Griff zu bekommen. Wir haben eine Zunahme von
Ausbildungsverhältnissen außerhalb des BBiG und
der HWO. Herr Dr. Jork, Sie müssen auch zur Kenntnis
nehmen, dass selbst in Ihrem Heimatbundesland Sachsen
über 9 Prozent dieser Ausbildungsverhältnisse ausgewei-
tet wurden. Wenn Sie das ursprüngliche duale Ausbil-
dungssystem fordern, dann muss ich sagen: Wir müssen
aufpassen, dass in den Bundesländern nicht zu stark auf
der Basis von Ausbildungsordnungen außerhalb des
BBiG und der HWO ausgebildet wird; denn das kann für
die zukünftige Entwicklung der dualen Ausbildung mög-
licherweise negativ sein. Ich glaube, es hat Sinn zu
schauen, wie in diesem Bereich die Ausbildung läuft.

Es ist wichtig, dass wir auch die Tätigkeit der Berufs-
schule, die Anerkennung der Berufsschulleistung in den
Prüfungssystemen und auch die Einbeziehung der Berufs-
schule im BBiG insgesamt intensiver diskutieren. Ich




Maritta Böttcher
24726


(C)



(D)



(A)



(B)


möchte aber darauf hinweisen, dass es im Gutachten von
Professor Ossenbühl, das im Auftrage des Bündnisses für
Arbeit, Ausbildung und Wettbewerbsfähigkeit auf den
Weg gebracht wurde, dazu eine detaillierte und differen-
zierte Betrachtung gibt. Wenn Sie wie auch wir von der
Richtigkeit des Gutachtens überzeugt sind, dann müssen
wir uns daranmachen, entsprechende Regelungen über
einen Staatsvertrag zwischen den Bundesländern und dem
Bund zu treffen: Wie kann zukünftig das, was in den
berufsbildenden Schulen und in den Berufsfachschulen
erarbeitet und den Schülerinnen und Schülern gelehrt
wird, möglicherweise in die Abschlussprüfung einbezo-
gen werden? Welchen Stellenwert hat das? Ich weise da-
rauf hin, dass es noch ein langer Weg ist. Es wäre viel-
leicht nicht schlecht, wenn wir uns an dieser Stelle im
Ausschuss noch einmal auseinander setzen würden.


(Beifall des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD])


Ich will einen weiteren Punkt ansprechen, der nach un-
serer Auffassung schon umgesetzt wurde. Das ist der Aus-
bildungskonsens. Ich glaube, es ist richtig, dass wir die
Verantwortlichkeit der beteiligten gesellschaftlichen
Gruppen erhöht haben und dass wir ihnen Chancen und
Möglichkeiten gegeben haben. Aufgrund des Ausbil-
dungskonsenses können Angebot und Nachfrage in den
Regionen besser bewertet werden. Somit sind wir in der
Lage, Maßnahmen zur Bereitstellung ausreichender An-
gebote für alle Jugendlichen wesentlich konkreter umzu-
setzen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


In den Regionen selbst kann eine Umsetzung viel besser
erfolgen, weil man dort weiß, welche Branchen es gibt
und wie hoch die Zahl der betroffenen Jugendlichen ist.
Man weiß dort auch, was man möglicherweise an vorbe-
reitenden und ergänzenden Aktivitäten beschließen muss,
damit das, was im Ausbildungskonsens vereinbart wurde,
auch umgesetzt wird: Wer kann und will, der bekommt ein
entsprechendes Angebot unterbreitet.


(Beifall bei der SPD)

In der Debatte spielte die Frage der benachteiligten

Jugendlichen zunehmend eine große Rolle. Ich glaube
nicht, dass es hilft, wenn man diesen jungen Menschen die
Modularisierung oder auch die schon angesprochenen
Kurzzeitausbildungsgänge anbietet. Es scheint mir wich-
tiger zu sein, dass wir sie auch an eine bundeseinheitliche
Beruflichkeit mit dem Ziel einer umfassenden beruflichen
Handlungskompetenz heranführen und dass wir uns in
Bezug auf die Tätigkeit der Jugendberufshilfen überlegen
– sie ist in diesem Bereich vielfach zu verzeichnen und
sorgt häufig mit dafür, dass die Berufsreife und die Be-
fähigung zur Beruflichkeit verbessert wird –, ob wir
zukünftig die Jugendberufshilfe so akzeptieren, wie sie ist
– sie gibt soziale und aufbauende Hilfestellungen –, und
ob wir sie regional stärker mit den Maßnahmen, die im
Rahmen des Berufsbildungsgesetzes vorgesehen sind,
verzahnen. Ich glaube, da tun wir etwas wirklich Gutes.

Ich will einen letzten Punkt ansprechen, den ich für sehr
nachdenkenswert halte. Die Ablehnung der kleinen No-

velle zum Berufsbildungsgesetz, also die Ablehnung von
mehr Beteiligung und Mitsprache der jungen Menschen
durch die Mehrheit des Bundesrates kann doch nicht rich-
tig sein, wenn man gleichzeitig davon spricht, dass auch
junge Menschen Rechte und Gestaltungsmöglichkeiten
haben sollen, und wenn man sich die Tatsache vor Augen
führt, dass sie zukünftig vor allen Dingen in Berufen tätig
sein werden, die, wie die Betrachtung unserer Leitbran-
chen in der Bundesrepublik Deutschland zeigt, mehr Kom-
petenzen im Bereich des sozialen Handelns erfordern.

Deshalb kann ich nur sagen: Man kann nicht in Sonn-
tagsreden mehr Beteiligung von jungen Menschen einfor-
dern und dann, wenn es konkret darum geht, an der Aus-
bildungssituation etwas zu ändern, 135 000 jungen
Menschen in öffentlich geförderten Ausbildungseinrich-
tungen ein Stück Interessenvertretung versagen. Das passt
nicht zusammen; das ist rückwärts gewandt. Das müssen
wir zurückweisen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir brauchen ein modernes und durchlässiges System
der beruflichen Bildung. Wir werden es auch nach dem
22. September weiterentwickeln. Wir werden aber nicht
zulassen, dass sich die berufliche Ausbildung zukünftig
nur noch an betrieblichen Interessen orientiert oder dass
der Weg der Entstaatlichung vorangetrieben wird. Wir
werden dafür sorgen, dass die Jugendlichen durch Bun-
deseinheitlichkeit, durch eine bessere Verzahnung der
Aus- und Weiterbildung und durch eine Weiterentwick-
lung der Ausbildungsordnungen die Chancen bekommen,
die sie in unserem Lande brauchen, und das sind gute
Chancen.

Danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1424518500
Als letz-
ter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat nun der
Kollege Heinz Wiese von der CDU/CSU-Fraktion das
Wort.


Heinz Wiese (CDU):
Rede ID: ID1424518600
Herr Präsident!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Man kann heut-
zutage keine bildungspolitische Debatte mehr führen,
ohne auf die PISA-Studie einzugehen. Ich denke aber, der
Schlagabtausch zu PISA-E hat in diesem Hohen Hause
schon heute Nachmittag stattgefunden.

Zu der immer noch durchaus unbefriedigenden
Lehrstellensituation in den neuen Bundesländern, zu dem
Antrag der CDU/CSU-Fraktion zur Reform der berufli-
chen Bildung und zum Berufsbildungsbericht hat mein
Kollege Dr. Jork ausführlich Stellung genommen. Des-
halb lassen Sie mich kurz einige Perspektiven im Hinblick
auf die Reform der beruflichen Bildung, auf das, was wir
noch vor uns haben und was die Redner in dieser Debatte
bereits angedeutet haben, aufzeigen.

Wir wissen, dass in den Bundesländern, in denen eine
solide Bildungspolitik betrieben wird, auch das duale
Ausbildungssystem intakt ist. Es hat sich dort bewährt




Willi Brase

24727


(C)



(D)



(A)



(B)


und ist nach wie vor international konkurrenzfähig, aner-
kannt und erfolgreich.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Dass wir aber als rohstoffarmes Land, dessen wichtigstes
Kapital bekanntlich die Köpfe unserer Bürger sind, insge-
samt im Ausbildungsbereich neue Konzepte und Struktu-
ren brauchen, ist unbestritten. Die Lage ist zwar ernst,
aber wir dürfen nicht mit Schnellschüssen reagieren. In
der Vergangenheit hat sich immer wieder gezeigt – den-
ken Sie an die so genannte Greencard –, dass Schnell-
schüsse nicht wirksam und nicht nachhaltig sind und auf
Dauer zu wenig Substanz beinhalten.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Jörg Tauss [SPD]: Aber die war nicht schlecht!)


Deshalb ist eine gründliche und schonungslose Ana-
lyse der Misere an unseren Schulen bis hin zum berufli-
chen Schulwesen gefordert. Es gibt auch bereits Anzei-
chen dafür, dass wir diese Diskussion verstärkt ohne
ideologische Scheuklappen führen können und dass in
konkreteren Diskussionen Tabus teilweise verschwinden.
Dazu sollten wir alle unseren Beitrag leisten.


(Zuruf des Abg. Jörg Tauss [SPD])

Was wir brauchen – das haben wir erkannt, Herr Tauss –,

ist nicht einfach nur mehr Geld. Es ist auch nicht nur eine
bessere Ausstattung der Schulen. Es ist nicht nur eine bes-
sere Ausstattung mit Computern und Laptops.


(Jörg Tauss [SPD]: Aber auch!)

– Ich sage: nicht nur! – Es geht nicht nur um eine zeit-
gemäße Lehrerausbildung.


(Jörg Tauss [SPD]: Sehr gut!)

Ich denke, das Entscheidende ist viel elementarer: Wir
brauchen ein Umfeld, in dem sich Leistung und Wettbe-
werb wieder lohnen!


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zurufe von der SPD)


Das ist in der Wirtschaft und in der Bildungspolitik auch
durchgängig wie ein roter Faden erkannt. Wir brauchen
ein gesellschaftliches Klima, in dem Leistung mehr Aner-
kennung findet als bisher. Das ist, glaube ich, der richtige
Ansatzpunkt.

Wir müssen die jungen Menschen, die in die Betriebe
kommen, vorher entsprechend fordern und fördern.
Schon auf dem Weg zur Berufsausbildungsreife – das ist
ja die entscheidende Voraussetzung für eine erfolgreiche
Berufsreife, die danach kommt – müssen bereits in der
Schule an dieser Schnittstelle neben Wissen auch solche
Werte vermittelt werden wie Teamfähigkeit, Ordnungs-
liebe, Pünktlichkeit, Verantwortungsbewusstsein, Diszi-
plin, Zuverlässigkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Früher hat man gesagt, das sind Arbeitstugenden. Heute
sagt man, das sind Schlüsselqualifikationen. Gut, wie man
das Kind tauft, ist am Ende egal. Hauptsache ist, wir kom-
men dort hin. Das ist konsensfähig, denke ich.

Das ist die Grundlage für eine erfolgreiche Schulzeit,
für ein berufliches Fortkommen und zugleich entschei-
dend für die gesamte Persönlichkeitsentwicklung junger
Menschen.

Meine Damen und Herren, auch bei den Berufsschu-
lenmüssen wir das noch mehr als bisher berücksichtigen.
Wir müssen die unterschiedlichen Begabungen zur
Kenntnis nehmen. Wir müssen die Veranlagungen, die
Interessen der Jugendlichen in unsere Fördermaßnah-
men einbauen. Derjenige, der mehr gefordert werden
kann, der soll auch mehr gefordert werden. Deshalb,
glaube ich, müssen wir diejenigen, die mehr theoretisch
begabt sind, gezielter fordern. Andererseits sollte
unser besonderes Augenmerk denen gelten, die benach-
teiligt sind, die vielleicht eher praktisch begabt sind.
Das ist ja auch eine Begabung, die nicht zu kurz kom-
men sollte.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Jörg Tauss [SPD]: Wer definiert das?)


Deshalb glaube ich durchaus daran, dass es einige Be-
rufsbilder mit vermindertem theoretischen Anforderungs-
profil, wie es so schön heißt, geben sollte, damit auch die-
jenigen, die mehr praktisch begabt sind, mit solchen
Modellen, mit solchen Berufsbildern ihren Weg gehen
können.

Wir sollten natürlich auch das, was die FDP hier bean-
tragt hat, in unser Denken aufnehmen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Das betrifft die modularen Ausbildungsgänge und die An-
erkennung von Teilzertifikaten. Das alles kann man,
denke ich, auch in einem Ausbildungspass verankern, der
europaweit mehr Anerkennung und mehr Propaganda
verdient. Im europäischen Bereich und auch im Zusam-
menhang mit der Osterweiterung, Herr Staatssekretär,
sollten wir das gezielt im Auge haben und in einem sol-
chen Ausbildungspass die Ausbildungsabschnitte und die
Zusatzqualifikationen festhalten.

Zur Weiterbildung:Dr. Loske hat ebenso wie der Kol-
lege Brase von der SPD davon gesprochen, dass wir auch
neue Wege in der Verzahnung von Aus- und Weiterbil-
dung gehen müssen; denn wir wissen ja, dass gerade der
Kompetenz des lebensbegleitenden Lernens eine höhere
Bedeutung zukommt. Wir brauchen Fremdsprachenkom-
petenz. Wir brauchen den verantwortungsbewussten Um-
gang mit den neuen Medien und wir brauchen die Befähi-
gung zu lebensbegleitendem Lernen – und das von der
Pike auf, wie man sagt.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1424518700
Herr Kol-
lege Wiese, kommen Sie bitte zum Schluss.


Heinz Wiese (CDU):
Rede ID: ID1424518800
Meine Damen
und Herren, ich meine, dass wir auch in diesem Bereich
in Baden-Württemberg den richtigen Weg eingeschlagen
haben: die Förderung der interkulturellen Kompetenz mit




Willi Brase
24728


(C)



(D)



(A)



(B)


einem flächendeckenden Fremdsprachenunterricht in
Englisch demnächst – so hoffe ich, Herr Tauss – im
ganzen Lande bis zum Berufsabschluss. Das, denke ich,
muss gesehen werden. Auch die Berufsschulen dürfen
beim Fremdsprachenunterricht nicht außen vor bleiben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Meine Damen und Herren, ich darf ein Letztes sagen.

Wir sind in dem Bereich – –


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1424518900
Herr Kol-
lege Wiese, keine langen Ausführungen mehr, bitte! Sie
sind weit über der Zeit.


Heinz Wiese (CDU):
Rede ID: ID1424519000
Herr Präsident,
ich wollte das nur noch einmal aufgreifen. Die Zahlen
sind genannt worden. Ich kann deshalb auf nähere Erläu-
terungen verzichten. Wir sollten auch in Zukunft, gerade
um die Misere im Osten zu bekämpfen, dem Grundsatz
treu bleiben: Bildung, Ausbildung und Qualifizierung
junger Menschen sind der beste Schutz gegen Arbeitslo-
sigkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1424519100
Vielen
Dank. Das war ein sehr schöner Schlusssatz.


Heinz Wiese (CDU):
Rede ID: ID1424519200
Ich danke Ihnen
für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1424519300
Ich
schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird die Überweisung des Berufsbil-
dungsberichts 2002 auf der Drucksache 14/8950 an die in
der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschla-
gen.

Der hierzu vorliegende Entschließungsantrag der Frak-
tionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen auf
der Drucksache 14/9581 soll zur federführenden Bera-
tung an den Ausschuss für Bildung, Forschung und Tech-
nikfolgenabschätzung und zur Mitberatung an den Aus-
schuss für Wirtschaft und Technologie, den Ausschuss für
Arbeit und Sozialordnung, den Ausschuss für Familie, Se-
nioren, Frauen und Jugend und an den Haushaltsausschuss
überwiesen werden. Sind Sie damit einverstanden? – Das
ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.

Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschus-
ses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschät-
zung auf der Drucksache 14/7910. Der Ausschuss emp-
fiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung in Kenntnis
des Berufsbildungsberichts 2001 der Bundesregierung
auf Drucksache 14/5946 die Ablehnung des Antrags der
Fraktion der FDP auf Drucksache 14/5984 mit dem Titel
„Mit einem individuellen Ausbildungspass durchs Leben –
für ein liberales, duales und modulares Berufsausbil-
dungssystem in Deutschland“. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer

enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stim-
men der Koalitionsfraktionen und der PDS bei Gegen-
stimmen der FDP und Enthaltung der CDU/CSU ange-
nommen.

Unter Nr. 2 empfiehlt der Ausschuss in Kenntnis des
Berufsbildungsberichts 2001 die Ablehnung des Antrages
der Fraktion der CDU/CSU zur Bekämpfung des Lehr-
stellenmangels in den neuen Bundesländern auf der
Drucksache 14/7281. Wer stimmt für diese Beschlussemp-
fehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die
Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koali-
tionsfraktionen und der PDS gegen die Stimmen von CDU/
CSU und FDP angenommen.

Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie-
ßungsantrag der Fraktion der PDS auf der Drucksache
14/9550 zum Berufsbildungsbericht 2001. Wer stimmt für
diesen Entschließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? –
Wer enthält sich? – Der Entschließungsantrag ist mit den
Stimmen aller Fraktionen bei Gegenstimmen der PDS-
Fraktion abgelehnt.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 7 a bis 7 e auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeord-


(Lüdenscheid)

und der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Verstärkung der

(Personalverstärkungsgesetz Pflege – PVG)

– Drucksache 14/8364 –

(Erste Beratung 230. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Gesundheit (14. Ausschuss)

– Drucksache 14/9561 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Monika Knoche

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-

(14. Ausschuss)

Seehofer, Wolfgang Lohmann (Lüdenscheid),
Dr. Wolf Bauer, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der CDU/CSU
Gesundheitswesen patientenorientiert, freiheit-
lich und zukunftssicher gestalten
– Drucksachen 14/8595, 14/9570 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Wolfgang Lohmann (Lüdenscheid)


c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-

(14. Ausschuss)

Seifert, Dr. Ruth Fuchs, Dr. Heidi Knake-Werner,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der PDS
Pflege reformieren – Lebensqualität in Gegen-
wart und Zukunft sichern
– Drucksachen 14/6327, 14/9569 –




Heinz Wiese (Ehingen)


24729


(C)



(D)



(A)



(B)


Berichterstattung:
Abgeordneter Dieter Thomae

d) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-

(14. Ausschuss)

BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Fortentwicklung der sozialen Pflegeversiche-
rung
– Drucksachen 14/8864, 14/9562 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Marga Elser

e) Beratung des Antrags der Fraktionen SPD, CDU/
CSU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP
Medizinische Versorgung von Kindern und
Jugendlichen sichern und verbessern
– Drucksache 14/9544 –

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. Ich höre und sehe
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Als erste Rednerin hat die
Kollegin Regina Schmidt-Zadel von der SPD-Fraktion
das Wort.


Regina Schmidt-Zadel (SPD):
Rede ID: ID1424519400
Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! Der Antrag, über den wir heute
debattieren, ist mit starken Worten gespickt. Er enthält,
wie nicht anders zu erwarten, ausschließlich negative Be-
wertungen rot-grüner Gesundheitspolitik.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Das ist natürlich auch richtig! – Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Das sind Tatsachenbeschreibungen!)


Aus der Weitsicht der CDU/CSU sind die apokalypti-
schen Reiter über ein einstmals blühendes Gesundheits-
wesen hergefallen. Ihrer Meinung nach haben wir in die-
ser Legislaturperiode die Qualität der Versorgung der
Patienten verschlechtert und das System –


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

– warten Sie ab, es kommt noch mehr – in den finanziel-
len Ruin getrieben.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Genauso ist es! – Dr. Dieter Thomae [FDP]: In der Tat!)


Das, was Sie hier bieten, bezeichnet man in der Medizin
– hören Sie gut zu – als Wahrnehmungsstörung und Ge-
dächtnisverlust.


(Beifall bei der SPD – Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Da hätten Sie für die Demenzkranken mehr tun müssen!)


Unser Gesundheitssystem krankt seit Jahren und Jahr-
zehnten an Qualitäts- und Effizienzdefiziten. Gegen die-
sen Mangel haben die unionsgeführten Bundesregierun-
gen nichts, aber auch gar nichts unternommen.
Strukturelle Überkapazitäten haben CDU und CSU als

ebenso gottgewollt angesehen wie Über-, Unter- und
Fehlversorgungen in den Behandlungsprozessen.

Die Union, meine Damen und Herren, hat nie die Kraft
gefunden, Leistungserbringer in die Pflicht zu nehmen.
Diskussionen über die Verbesserung der Qualität und
Wirtschaftlichkeit der Versorgung haben Sie, liebe Kolle-
ginnen und Kollegen von der Union, gefürchtet wie der
Teufel das Weihwasser.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Die Budgetierung!)


Für Sie war es viel bequemer, die gesetzliche Kranken-
versicherung zum Selbstbedienungsladen für Leistungs-
erbringer verkommen zu lassen.


(Dr. Dieter Thomae [FDP]: Na, na!)

Nichts anderes steckt hinter Ihrem hochtrabenden Begriff
des Paradigmenwechsels aus dem Jahr 1997.


(Dr. Dieter Thomae [FDP]: Der war gut!)

– Der war gut, sicher. – Von der Notwendigkeit, die Qua-
lität und Effizienz der medizinischen Versorgung zu ver-
bessern, war bei Ihnen damals keine Rede. Ihr damaliger
Gesundheitsminister hat noch im Frühjahr 1997 Wirt-
schaftlichkeitsreserven von 25 Milliarden DM im Ge-
sundheitswesen ausgemacht,


(Dr. Dieter Thomae [FDP]: Das war 1995!)

verkündete aber im Herbst 1997 mit stolzgeschwellter
Brust: Jetzt ist kein Geld mehr vorhanden.

Richtig war und ist hingegen, dass in unserem Ge-
sundheitssystem nach wie vor erhebliche Wirtschaftlich-
keitsreserven stecken.


(Dr. Dieter Thomae [FDP]: Wo denn?)

– Suchen Sie sie mal! Dann haben Sie eine Aufgabe.


(Manfred Grund [CDU/CSU]: Wo haben Sie die denn versteckt?)


Da ist es doch viel einfacher, die Patienten mit Forderun-
gen nach Zuzahlung und in Form von Leistungsausgren-
zungen zur Kasse zu bitten. Um Ihre Politik zu bemänteln,
haben Sie einen Paradigmenwechsel – so heißt das so
schön – erfunden: Die finanziellen Aufwendungen der ge-
setzlichen Krankenversicherung sollen sich am medizini-
schen Bedarf orientieren,


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: So ist es!)


und nicht umgekehrt.

(Dr. Dieter Thomae [FDP]: Sehr richtig!)


Wir wollen das Kind aber dennoch beim Namen nen-
nen. Abzockerei ist und bleibt Abzockerei! An diese Po-
litik wollen Sie anknüpfen.


(Beifall bei der SPD – Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Morgen schämen Sie sich, dass Sie so etwas gesagt haben!)


Ihr Wahltarifmodell soll es erlauben, den konzeptionier-
ten Schutz der gesetzlichen Krankenversicherung durch
eine – so nennen Sie das ja in Ihrem Antrag – maßge-
schneiderte individuelle Risikovorsorge abzulösen.




Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
24730


(C)



(D)



(A)



(B)



(Aribert Wolf [CDU/CSU]: Jawohl!)

Die Zeche für die neuen Freiheiten hätten die kranken und
hier vor allem die chronisch kranken Menschen zu zahlen.
Das wollen Sie! Nur Junge und Gesunde – hören Sie gut
zu – könnten es riskieren, Wahloptionen auszuüben. Sie
würden dafür mit Beitragsnachlässen belohnt, hören wir
fast jeden Tag. Dadurch käme aber weniger Geld ins Sys-
tem – das haben Sie bisher nicht gesagt – und die Ge-
sundheitskosten würden nicht sinken.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Aber die Frau Schmidt wollte das doch auch machen!)


Ende vom Lied: Kranke, Rentner und ältere Arbeitnehmer
müssten zwangsläufig eine größere Last schultern. Be-
sonders gebeutelt wären – ich will noch einmal darauf
hinweisen – die chronisch Kranken.

Wahltarife – das will ich Ihnen auch noch einmal ins
Stammbuch schreiben – sind zudem frauen- und famili-
enfeindlich.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wie sich das mit Ihrer Familienpolitik verträgt, bleibt Ihr
Geheimnis.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Wo denn?)

– Sie haben nicht hingehört, was ich gesagt habe.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Das war falsch, was Sie gesagt haben!)


CDU/CSU reden unser Gesundheitssystem schlecht.
Sie tun das in der Absicht, das Solidarsystem mittel- und
langfristig zu beseitigen.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Das glauben Sie doch selbst nicht!)


Sie wollen an seine Stelle ein System der individuellen
Risikovorsorge setzen. Das Risiko „Krankheit“ soll pri-
vatisiert werden. Sie wollen mit Ihrem Programm den Zu-
gang zu medizinisch notwendigen Leistungen in Zukunft
vom Geldbeutel des Einzelnen abhängig machen.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Ist das eine Schmidt-Zadel’sche Märchenstunde hier, oder was ist das?)


Die Rundumversorgung, die die solidarische Kranken-
versicherung für alle Versicherten gewährleistet, soll zum
Luxusgut werden, das sich dann nur noch Reiche leisten
können.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Sie sind auch mit Ihrem Antrag auf dem Weg in eine Zwei-
klassenmedizin. Diesen Irrweg kann und wird die SPD
nicht mitgehen.


(Manfred Grund [CDU/CSU]: Wer nicht mitgeht, der muss irgendwann gehen!)


Wir setzen weiterhin auf das Solidarprinzip.Wir wol-
len, dass die Jungen für die Alten, die Gesunden für
die Kranken, die Besserverdienenden für die finanziell
Schwächeren und die Singles für die Familien eintreten.

Das Solidarprinzip war und ist ein Eckpfeiler in diesem
Land. Es gehörte und gehört zum Grundkonsens unserer
Gesellschaft.


(Manfred Grund [CDU/CSU]: Selbstverständlich!)


Dieser Grundkonsens, meine Damen und Herren – das
will ich ausdrücklich noch einmal betonen –, darf nicht
aufgekündigt werden. Betrachten Sie diesen Wunsch und
diese Aufforderung von mir als mein gesundheitspoliti-
sches Vermächtnis.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1424519500
Ich hö-
re gerade, verehrte, liebe Frau Kollegin Schmidt-
Zadel, dass dies Ihre letzte parlamentarische Rede ge-
wesen ist. Ich darf Ihnen im Namen der Kolleginnen
und Kollegen für Ihre Arbeit, die Sie in diesem Parla-
ment auf einem wichtigen Feld der Politik geleistet ha-
ben, danken. Ich wünsche Ihnen persönlich alles Gute
für Ihre Zukunft.


(Beifall im ganzen Hause)

Nun gebe ich einer Kollegin das Wort, die sicherlich

nicht beabsichtigt, jetzt ihre letzte Rede in diesem Parla-
ment zu halten, nämlich der Kollegin Annette Widmann-
Mauz. Sie spricht für die Fraktion der CDU/CSU.


Annette Widmann-Mauz (CDU):
Rede ID: ID1424519600
Herr Präsi-
dent! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Ich bin ver-
sucht, an dieser Stelle zu sagen: „Salve Regina!“, wie man
das in der katholischen Gegend, aus der ich komme, tut.


(Heiterkeit bei der CDU/CSU)

Frau Schmidt-Zadel, was Sie erzählt haben, erinnert

mich schon ein bisschen an die Märchen, die mir meine
Großmutter manchmal erzählt hat.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Aber wirklich!)


Ihre Rede enthielt viel Märchenhaftes, viele Fabelfiguren,
aber wenig Reelles und Reales.


(Beifall des Abg. Aribert Wolf [CDU/CSU])

Deshalb muss ich leider ein wenig in die Niederungen
hinabsteigen und auf das, was uns wirklich beschäftigt
und besorgt macht, zu sprechen kommen.

Was wir seit vier Jahren erleben, ist der aufhaltsame
Abstieg des deutschen Gesundheitswesen. Ministerin
Schmidt hat nichts getan, was uns vor der dramatischen
Situation, in der wir heute stecken, bewahrt hätte. Im Ge-
genteil: Diese Bundesregierung hat diese Situation durch
ihre Plan- und Orientierungslosigkeit maßgeblich zu ver-
antworten. Nach wie vor – das, was Sie hier zum Besten
gegeben haben, unterstreicht dies ganz deutlich – ignorie-
ren Sie schlichtweg die riesigen Herausforderungen des
Gesundheitswesens, nämlich die sinkenden Geburtenra-




Regina Schmidt-Zadel

24731


(C)



(D)



(A)



(B)


ten, die Steigerung der Lebenserwartung und den wach-
senden medizinischen Fortschritt.

Die Konsequenz ist völlig klar: Die Ausgabenexplo-
sion wird sich noch erheblich beschleunigen. Alle Fach-
leute prognostizieren uns Beitragssätze von 20 Prozent in
absehbarer Zeit. Die finanzielle Lage der gesetzlichen
Krankenversicherung ist desolat. Die Versorgung der Pa-
tientinnen und Patienten sowie der Pflegebedürftigen ver-
liert Tag für Tag systematisch an Qualität. Die Ärzte und
das Pflegepersonal sind vielfach überlastet und die Kran-
kenversicherungsbeiträge steigen. Dazu kam von Ihnen
kein Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Ich wäre schon vorsichtig, das Wort „Abzockerei“ über-

haupt in den Mund zu nehmen. Sie müssen sich die von Ih-
nen zu verantwortenden Defizite schon genau ansehen: Im
Jahre 2001 betrug das Defizit 2,8 Milliarden Euro. Die
durchschnittlichen Beitragssätze sind im letzten Jahr um
0,5 Beitragssatzpunkte gestiegen. Im ersten Quartal dieses
Jahres liegt das Defizit bei 0,86 Milliarden Euro. Rechnen
Sie einmal Ihren Ablasshandel mit der Pharmaindustrie
hinzu, – da kam ja eine Menge Geld rein –, dann stellen
Sie fest, dass das Defizit wie im Vorjahr bei deutlich über
1,1 Milliarden Euro liegt,


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Trotz Beitragserhöhung!)


und dies, obwohl Sie zusätzliches Geld durch die Bei-
tragssatzerhöhungen, die Selbstverpflichtung der Ärzte-
schaft und die gestiegenen Kassenrabatte, die Sie eben-
falls zu verantworten haben, bekommen haben. Trotz
dieses Mehr an Einnahmen haben wir erneut dieses hohe
Defizit in der GKV. Sie haben die Probleme nicht erkannt
und haben vor allen Dingen keine Lösungen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Durch vermurkste Gesetze und zahlreiche Verschiebe-

bahnhöfe haben Sie die gesetzliche Krankenversicherung
seit dem Jahr 2000 mit jährlich 2,5 Milliarden Euro be-
lastet. Weitere Kostenschübe stehen bevor. Ich denke da-
bei zum Beispiel an die Reform des Risikostrukturaus-
gleichs und an die Aufhebung der Arznei- und
Heilmittelbudgets ohne gleichzeitige Einführung von In-
strumenten zur wirksamen Ausgabensteuerung. Dazu
kommt jetzt die überstürzte und fehlerhafte Einführung
des Fallpauschalensystems in den Krankenhäusern.

Wenn Sie mit Ihren Maßnahmen wenigstens die Qua-
lität verbessert hätten! Aber zum Beispiel bei der Umset-
zung der so genannten Disease-Management-Programme
hapert es gewaltig. Der Leiter der Konzertierten Aktion
Brustkrebs-Früherkennung in Deutschland, Professor
Schulz, schreibt Ihnen ja warnend in einem offenen Brief
ins Stammbuch:

In der derzeitigen Form ist das ... Disease-Manage-
ment-Programm unbrauchbar und

– man höre –
verschlechtert die Versorgung an Brustkrebs er-
krankter Frauen.

Beim Diabetes mellitus schließen Sie teilweise ja sogar
faktisch innovative Arzneimittel aus.

Alle führenden Wirtschaftsforschungsinstitute fordern
eine grundlegende Reform im Gesundheitsbereich. Nach
allen Umfragen sind zwei Drittel der Bevölkerung mit der
gegenwärtigen Gesundheitspolitik wirklich unzufrieden.
Die Studien liegen auf dem Tisch. Nur bei den Damen und
Herren von Rot-Grün scheint diese Erkenntnis noch nicht
angekommen zu sein.

Wir sind auf dem besten Weg in die Zweiklassenme-
dizin, unter der unter Ihrer Regierung vor allem die sozial
Schwachen zu leiden haben. Den gesetzlich Krankenver-
sicherten werden im Gegensatz zu Privatversicherten oder
Sozialhilfeempfängern zunehmend Leistungen und Arz-
neimittel verweigert und bestimmte Behandlungen nur
nach längerer Wartezeit angeboten. Budgetierung, Ratio-
nierung und dann am Ende Selbstzahlung – das ist die
Reihenfolge Ihrer Politik. Sie untergraben damit die von
Ihnen so vielfach beschworene Solidarität.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Jetzt wollen Sie es den Menschen auch noch erschwe-
ren, sich privat zu versichern. Aber Ihre angedachte Er-
höhung der Versicherungspflichtgrenze wird den Fi-
nanzen der gesetzlichen Krankenversicherung kaum
Entlastung bringen. Sie kennen doch die Untersuchungen,
die auf dem Tisch liegen. Danach dürften die Kassenein-
nahmen nahezu unverändert bleiben. Im ungünstigsten
Falle ist sogar eine Mehrbelastung der gesetzlichen Kran-
kenversicherung möglich. Ich will Ihnen sagen, warum
das so ist. Bei einer höheren Versicherungspflichtgrenze
müssten die gesetzlichen Krankenkassen zum Beispiel
deutlich mehr beitragsfrei mitversicherte Kinder verkraf-
ten. Die Gruppe, die Sie am Wechsel hindern wollen,
gründet gerade Familien.

Ich fordere Sie auf: Lassen Sie von diesem Angriff auf
die Friedensgrenze zwischen der privaten und der gesetz-
lichen Krankenversicherung ab! Ich gehe davon aus, dass
Sie uns nicht glauben. Aber selbst der frühere Präsident
des Bundesaufsichtsamtes für das Versicherungswesen,
Dr. Müller, hat Ihnen unbezahlbare Beitragssatzanhebun-
gen in der PKV für den Fall prognostiziert, dass Sie die-
sen Unsinn nicht lassen. Ich sage es Ihnen ganz klar: Wer
es nicht schafft, die Beiträge von 90 Prozent der Kran-
kenversicherten stabil zu halten, der wird es auch bei ei-
ner Quote von 92 Prozent nicht schaffen.


(Beifall des Abg. Aribert Wolf [CDU/CSU])

Hören Sie auch auf, ständig von Entsolidarisierung zu

schwätzen.

(Dr. Dieter Thomae [FDP]: Hört! Hört!)


Sogar Kardinal Lehmann hat Ihnen ganz deutlich gesagt
– ich zitiere –:

Das Einwirken des Staates und seine Ansprüche sind
mehr und mehr gewachsen. Schon der demographi-
sche Wandel zwingt uns zu mehr Eigenverantwor-
tung in der sozialen Ordnung.




Annette Widmann-Mauz
24732


(C)



(D)



(A)



(B)


Deshalb müsse umgesteuert werden. Eine Marktwirt-
schaft umso sozialer zu definieren, je mehr umverteilt
werde, sei ein „unhaltbares Missverständnis“.

Wenn Sie es uns und der Kirche nicht glauben, dann
hören Sie doch auf Ihren Bundeskanzler.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Auf den hören sie schon lange nicht mehr!)


Er hat schon im Jahr 2000 ausgeführt – ich zitiere wie-
der –:

Andererseits sind die Möglichkeiten, aber auch die
Kosten der modernen Medizin so komplex gewor-
den, dass ein Gesundheitswesen ohne finanzielle,
geistige und in diesem Fall buchstäblich körperliche
Selbstbeteiligung der Versicherten nicht mehr vor-
stellbar ist.

(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Das ist Ab zockerei, würden sie sagen!)

Ich will Ihnen darüber hinaus sagen, warum Sie Ihren

Laden einfach nicht im Griff haben: Sie denken zu ein-
seitig, zu engstirnig. Sie müssen in der Gesundheitspoli-
tik in Zusammenhängen denken und vor allen Dingen
auch die wirtschaftlichen und sozialpolitischen Impulse
sehen. 1 Prozent mehr Wachstum beim Bruttoinlandspro-
dukt entspricht bei den Sozialversicherungen einer
Entlastung von 4 Milliarden Euro. Das sind etwa 0,5 Pro-
zentpunkte und würde eine Mehreinnahme von rund
1,6 Milliarden Euro für die GKV bringen. 100 000 Ar-
beitslose weniger würden allein der Arbeitslosenversiche-
rung 800 Millionen Euro Entlastung und der GKV eine
zusätzliche Mehreinnahme in dreistelliger Millionenhöhe
bringen.

Diese Regierung aber bekommt eben auch auf dem
Arbeitsmarkt nichts in den Griff. Was haben Sie an die-
ser Stelle nach Ihren dreieinhalb Jahren Regie-
rungsverantwortung überhaupt vorzuweisen? Ich ver-
stehe, dass bei Ihnen die Nerven blank liegen.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Das ist wahr!)


Was wir uns in den letzten Tagen von Frau Schmidt haben
anhören müssen, ist eine wirkliche Frechheit. Die abfälli-
gen Äußerungen gegenüber Horst Seehofer sind ein Sam-
melsurium von falschen Aussagen und Halbwahrheiten.
Die Ausführungen von Ulla von Münchhausen stellen in
ihrer Hilflosigkeit ganz offensichtlich die letzten Reser-
ven der rot-grünen gesundheitspolitischen Argumentation
dar. Angesichts der Heftigkeit wollen Sie doch nur vom
eigenen Versagen ablenken.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wir brauchen – das haben wir in unserem Antrag deut-

lich gemacht – ein Umsteuern im Gesundheitswesen. Wir
brauchen ein patientenorientiertes, freiheitliches und zu-
kunftssicheres Gesundheitswesen mit den Schwer-
punkten Prävention, Transparenz und mehr Selbstbestim-
mung für die Beteiligten. Ich sage Ihnen ganz klar: Mit
uns wird es das, was Sie wollen, nicht geben.


(Regina Schmidt-Zadel [SPD]: Es wird nichts geben!)


Wir wollen mehr menschliche Zuwendung statt Bürokra-
tismus. Wir halten an der freien Arztwahl anstelle einer
Staatsmedizin fest. Wir wollen auch in Zukunft die The-
rapiefreiheit


(Lachen bei der SPD)

anstelle einer Zunahme der Listenmedizin gewährleisten
und wir wollen mehr Wettbewerb und bessere Leistungen
statt Einheitsversorgung.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU – Klaus Kirschner [SPD]: Das war ein Gemüseladen und keine Gesundheitspolitik! – Weiterer Zuruf von der SPD: Sie sollten zum Kabarett gehen!)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1424519700
Für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht die Kollegin
Monika Knoche.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Sie redet auch zum letzten Mal hier!)



Monika Knoche (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1424519800

Sehr geehrte Herren und Damen! Ich nehme nicht an, dass
Sie mich mit einbezogen haben, Frau Widmann-Mauz, als
Sie meinten, die Nerven lägen blank. Mir geht es eigent-
lich gut.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Sie nehmen das gelassen! Das stimmt! – Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Sie lassen den Laden hinter sich!)


Ich bin ruhig und auch zuversichtlich und ich bin mir si-
cher, dass wir das freiheitlichste Gesundheitssystem ha-
ben, das es hier gibt.


(Dr. Dieter Thomae [FDP]: Ein bisschen noch! – Aribert Wolf [CDU/CSU]: Nach dem 22. September haben wir eine neue Regierung!)


Wie oft habe ich schon ausgeführt – ich werde auch nicht
müde, es zu wiederholen –, dass die größte Stabilität und
Sicherheit in der Gesellschaft und der größte gesell-
schaftliche Zusammenhalt dadurch erreicht werden, dass
alle Menschen die Gewissheit haben, im Falle einer
Krankheit unabhängig von ihrem sozialen Status die best-
mögliche Versorgung zu bekommen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der PDS)


Das ist der Ausgangspunkt für individuelle Freiheit,
weil es im Zustand der Krankheit zwar Freiheit in Form
von Selbstbestimmung gibt, aber ein kranker Mensch be-
darf der Fürsorge. Deshalb muss sichergestellt werden,
dass der Staat, die Gesundheitspolitik und die Akteure des
Gesundheitswesens all ihr Können und ihre Kompetenz
darauf ausrichten, den Menschen eine optimale Versor-
gung nach innovativen Verfahren zu bieten, ohne sie in
die Zwangslage zu bringen, über etwas entscheiden zu
müssen, das nicht im Bereich ihrer Autonomie liegen




Annette Widmann-Mauz

24733


(C)



(D)



(A)



(B)


kann, nämlich darüber, welche Indikation welche Leis-
tungen erfordert. Dabei handelt es sich ausschließlich um
eine ärztliche Aufgabe, die möglich bleiben muss.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: So ist das! Aber wir müssen ihnen auch die Möglichkeit geben!)


Deshalb ist das Sachleistungsprinzip genau das richtige
und geradezu idealtypische Prinzip.

Ich bin es ziemlich leid, dass hier wider besseres Wis-
sen immer wieder gebetsmühlenartig der Mythos von der
Kostenexplosion angeführt wird. Frau Widmann-Mauz
hat das wieder getan.


(Regina Schmidt-Zadel [SPD]: Sie weiß es nicht anders, Monika!)


Es wäre vielleicht hilfreich, wenn Sie sich mit dem ehe-
maligen Gesundheitsminister Herrn Seehofer darin ab-
stimmen würden. Er hat diese Aussage schon zum Ende
seiner Amtszeit revidiert und erst kürzlich festgestellt,
dass die ökonomisch verengte Sichtweise auf das Ge-
sundheitswesen falsch ist.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Sie hat gar nicht „Kostenexplosion“ gesagt! Sie haben nicht zugehört! Ich werde im Protokoll nachlesen!)


– Doch, sie hat von einer Kostenexplosion gesprochen.
Ich wäre schon sehr zufrieden, wenn alle, die sich aus-

kennen – das sind sehr viele in diesem Hause –, einräu-
men würden, dass die Mär von der Kostenexplosion wi-
derlegt ist. Die Leistungsfähigkeit und der Erfolg von
Gesundheitspolitik lassen sich nun einmal nicht an der
Höhe der aktuellen Beitragssätze messen. Das ist der in-
adäquateste Parameter, um die Leistungsfähigkeit und
Qualität der Gesundheitsversorgung zu beurteilen.

Wenn ich rekapituliere, was alles seit zwölf Jahren
bzw. seit der Wiedervereinigung zu leisten gewesen ist
und in welchem Umfang es möglich war, in den neuen
Bundesländern in außerordentlich kurzer Zeit einen enor-
men Anstieg der Versorgungsqualität sicherzustellen, und
dass, obwohl das Problem der hohen Arbeitslosigkeit
nicht bewältigt werden konnte, die Beitragssteigerungen
gemessen an der Bruttoinlandsquote nicht zu einer Kos-
ten- und Beitragssatzexplosion geführt haben, dann muss
ich feststellen, dass das bestehende System außerordent-
lich flexibel und leistungsfähig ist. Diese Erkenntnisse
– ich will keine Illusionen wecken; ich selbst hatte auch
keine, zumindest die Fachwelt ist da einmütig – werden
mittlerweile auch quer durch die Reihen von Sachver-
ständigen bestätigt.

Für mich ist deshalb erstaunlich, dass die CDU nicht an
den Kern ihrer wahlpolitischen Aussagen herangeht und
der Bevölkerung offen sagt, was sie eigentlich will.


(Beifall bei der SPD – Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Das steht im Programm! Das muss man nur lesen können! Aber wenn man natürlich PISA-geschädigt ist – –!)


Sie sagt nämlich nicht, warum sie nicht mehr von Wahl-
und Regelleistungen spricht. Das wäre zu offenkundig.

Sie hat es einmal getan und auch das hat sie die Regie-
rungsverantwortung gekostet. Das Thema wird nicht
mehr angerührt. Hier werden Begriffe wie „Autonomie“,
„Selbstbestimmung“ und „Freiheit“ herangezogen,


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: So wie Sie das auch immer machen!)


obwohl es tatsächlich darum geht, aus der paritätischen
Finanzierung auszusteigen.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Das ist doch dummes Zeug! Das ist eine dumme Unterstellung!)


Was soll es denn anderes bedeuten, wenn Sie sagen, dass
es individuell zugeschnittene Eigenbeteiligungen usw.
geben soll? Was soll es bedeuten?


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Wo ist da der Freiheitsgedanke?)


Hat ein Mensch, der erkrankt ist, die Wahlfreiheit, Leis-
tungen nicht in Anspruch zu nehmen? Er muss sich doch
darauf verlassen können, dass er die Leistungen be-
kommt, die er zur Überwindung seiner Krankheit
braucht.

Genau die Frage, wie Sie mit den euphemistischen Be-
griffen von Eigenverantwortung und Freiheit den Ausstieg
aus dem Sachleistungsprinzip begründen wollen, können
Sie nicht beantworten. Es gibt in der Bundesrepublik
Deutschland niemanden, der argumentieren kann, wie man
verantwortbar aus dem Sachleistungsprinzip aussteigen
kann, ohne diskriminierend zu sein. Es geht nicht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie des Abg. Dr. Ilja Seifert [PDS] – Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Natürlich geht es!)


Wenn Sie den Ausstieg aus der Parität auf andere Weise
vollziehen wollen, dann begründen Sie das, sozialstaats-
politisch oder auch ökonomisch.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Das brauchen wir gar nicht zu begründen, weil wir es nicht wollen!)


Sagen Sie, aus welchen Gründen Sie es für zukunftsfähig
halten, dass sich angesichts der gesunkenen Beschäfti-
gungsquote die Arbeitgeber immer weniger an der Fi-
nanzierung des Sozialstaats respektive des solidarisch
aufgebauten Gesundheitssystems beteiligen.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Wo haben wir das denn?)


– Das genau ist die Konsequenz Ihres Papiers, das ich ge-
lesen habe und das Herr Seehofer vorgestellt hat.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Also, Sie sind für weitere Beitragserhöhungen!)


Es wird einfach nicht Tacheles geredet. Sie dürfen
nicht glauben, dass die Bevölkerung so uninformiert ist,
dass Sie Ihnen da nicht auf die Schliche kommt.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Sie wollen sie desinformieren!)





Monika Knoche
24734


(C)



(D)



(A)



(B)


Jede und jeder versteht, was gemeint ist, wenn im Bereich
der gesetzlichen Krankenversicherung von Eigenverant-
wortung und Wahlfreiheit die Rede ist: Es geht immer um
monetäre Aspekte.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Die Bevölkerung hat von Ihren Reden doch längst die Nase gestrichen voll!)


Sie wollen damit aus dem festen Konstitut, das wir haben
und durch das sich die Sozialstaatlichkeit überhaupt erst
so erfolgreich hat entwickeln lassen, nämlich aus der pa-
ritätischen Finanzierung,


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Hören Sie endlich mit den Märchen auf!)


auf Umwegen und ohne den Mut zu haben, Tacheles zu
reden, aussteigen.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Bei der Rente haben Sie es beschlossen!)


– Sie wissen ganz genau, dass ich dieser Rentenreform aus
diesen Gründen nicht zugestimmt habe.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Sind Sie bei der rot-grünen Regierung oder nicht?)


– Es gibt durchaus die Möglichkeit, als einzelne Abge-
ordnete zu sagen, warum man einen bestimmten Weg für
falsch hält.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Das Ergebnis sehen wir jetzt! Sie werden nicht mehr wiederkommen!)


Jetzt bin ich bei einem anderen Punkt. Sie sprechen in
anderen politischen Aussagen immer wieder von drei-
mal 40 Prozent und reklamieren zugleich – nicht zu Un-
recht –, dass sich über die Absenkung bei der Arbeitslo-
senhilfe und über immer mehr Verschiebebahnhöfe der
Beitragsdruck bei den gesetzlichen Krankenkassen erhöht
hat. Dabei muss man sehen, dass der Staat zur Reduzie-
rung der Staatsverschuldungsquote, nicht zuletzt wegen
der Euro-Kriterien, eine bestimmte Steuer- und Einnah-
mepolitik betreiben muss, die es gar nicht zulässt, die
Mindereinnahmen bei den gesetzlichen Kassen auszu-
gleichen.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Doch! Wir haben ein Konzept!)


Angesichts dessen können Sie nicht mehr sagen, dass die
Höhe des Beitragssatzes ein Ausweis für den Erfolg oder
Misserfolg von Gesundheitspolitik ist. Sie müssen selber
sagen, wie Sie mit diesem Problem und Phänomen umge-
hen wollen.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Am Ende einer Legislaturperiode müssen Sie sagen, welche Politik Sie bisher mit welchen Ergebnissen betrieben haben!)


– Das sage ich Ihnen: Ich bin dafür, die Bürgerinnen- und
Bürgerversicherung für alle Erwerbstätigen zu etablieren.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Eben! Vielen Dank! Das wissen wir jetzt!)


Dafür bin ich in der Tat, weil die Zuwächse im interes-
santen und wichtigen tertiären Bereich, in dem es Ar-
beitsplatzzugewinne gibt, bisher nicht der Solidarpflicht
unterliegen. Wenn man das Solidarsystem angepasst wei-
terentwickeln will, dann muss man auch die Beschäfti-
gungsentwicklung auf dem Arbeitsmarkt berücksichtigen
und die Arbeitsplätze, die neu entstehen, in das System
der GKV einbinden. Deshalb bin ich dafür, die Pflicht-
versicherungsgrenze anzuheben, weil es gerecht ist. Das
geht konform mit den Entwicklungen am Arbeitsmarkt
und ist nicht so kontraproduktiv, wie wenn eine immer
kleinere Zahl von Beschäftigten die Solidarlast finanzie-
ren und tragen muss. Das geht in der Tat über den reinen
Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung hinaus.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Und vor sechs Monaten haben Sie gerade das Gegenteil beschlossen!)


Das große Problem dieser Debatten – das geht zulasten
der Verständlichkeit – ist doch,


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Es ist unredlich, das Gegenteil von dem zu beschließen, was man hier verkündet!)


dass überhaupt nicht mehr über die Zusammenhänge zwi-
schen Sozialpolitik und der Wirtschaftspolitik und der all-
gemeinen Wirtschaftslage gesprochen wird. Wenn ich von
Zukunftsfähigkeit rede und von immer neuen Vorschlä-
gen zu Kostenerstattung und anderem höre,


(Dr. Dieter Thomae [FDP]: Das sind alte Vorschläge von uns!)


dann weiß ich sehr wohl, wie Sie die Frage der Finan-
zierung, die durch die geringe Lohnquote aufgeworfen
worden ist, in Zukunft beantworten wollen: Die Arbeit-
nehmerinnen und Arbeitnehmer, also die Versicherten,
sollen Zug um Zug die Zeche bezahlen.


(Detlef Parr [FDP]: Die zahlen sie doch heute schon! Die zahlen heute schon 10 Prozent!)


Das will ich nicht. Aber darauf geben Sie keine wirklichen
Antworten. Sie versuchen zu verschleiern. Ich bin mir si-
cher: Man kommt Ihnen auf die Schliche.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie des Abg. Dr. Ilja Seifert [PDS] – Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Ein Glück, dass das Ihre letzte Rede war!)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1424519900
Auch dies
war eine letzte Rede. Auch Ihnen, Frau Kollegin Knoche,
spreche ich unseren Dank und alle guten Wünsche für die
Zukunft aus.


(Beifall im ganzen Hause)

Nun spricht der Kollege Dr. Dieter Thomae für die

Fraktion der FDP.


Dr. Dieter Thomae (FDP):
Rede ID: ID1424520000
Herr Präsident! Meine
sehr geehrten Damen und Herren! Aufgrund der Gesetz-
gebung der SPD und der planwirtschaftlichen Instru-
mente wird heute ein großer Anteil der Einnahmen der




Monika Knoche

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(C)



(D)



(A)



(B)


gesetzlichen Krankenversicherung in die Überwachung
des Systems gesteckt.


(Klaus Kirschner [SPD]: Glaubst du das?)

Es werden immer mehr Mitarbeiter eingestellt, um das
Budget zu kontrollieren. Der medizinische Dienst wird
ganz eindeutig ausgeweitet.


(Regina Schmidt-Zadel [SPD]: Der kontrolliert kein Budget, sondern die Qualität!)


Die Zahl der Mitarbeiter bei den Krankenkassen wird auf-
grund der Gesetzgebung erhöht. Sie werden permanent
zusätzlich mit gesetzlichen Aufgaben belastet, die der
Staat einführt, um das Budget halbwegs im Griff zu hal-
ten. Aber es bricht auseinander. Sie haben selber zugege-
ben, dass das Arzneimittelbudget nicht zu halten war. Es
war völlig idiotisch, ein solches System zu etablieren.


(Beifall bei der FDP)

Dann stellen Sie fest, dass das Arzneimittelbudget zu

großen Problemen führt. Die Honorarsituation in der
Bundesrepublik Deutschland, gerade in den neuen Bun-
desländern, ist dramatisch.


(Manfred Grund [CDU/CSU]: Jawohl!)

Sie werden mit diesem Honorarsystem keine Stabilisie-
rung der Situation der freiberuflichen Ärzte erreichen,
weder in den neuen noch in den alten Bundesländern.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Das ist der Kernpunkt der Budgetierung.


(Detlef Parr [FDP]: Die da drüben hören ja gar nicht zu! – Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Die lachen sich kaputt darüber!)


Bei der Budgetierung im Krankenhausbereich wer-
den Sie ebenfalls Probleme bekommen, wenn Sie nicht
endlich verstehen, dass es mit der Planwirtschaft vorbei ist.
In vielen anderen Bereichen hat man sich von der Plan-
wirtschaft verabschiedet. Wir hatten in der letzten Wahl-
periode das Glück, dass wir die Bereiche Telekom-
munikation und Energieversorgung öffnen und aus der
Planwirtschaft herausführen konnten. Dies wird ebenfalls
in vielen Bereichen des Gesundheitsbereichs erfolgen. Sie
haben es mit den DRGs gewagt, aber Sie müssen es richtig
wagen und die Budgetierung abschaffen. Andernfalls wer-
den Sie keine Wettbewerbsstrukturen schaffen.

Immer wieder müssen Sie doch feststellen, dass Sie mit
Ihrer Politik das System nicht im Griff halten. Sogar Bei-
tragssatzsteigerungen helfen Ihnen kaum, weil Sie nicht
an die Strukturen herangehen. Dabei gibt es gar nicht so
viele Lösungen. Es gibt nur die Fragen: Wie sieht der
Leistungsumfang aus?


(Regina Schmidt-Zadel [SPD]: Und die Qualität, Dieter!)


Wie wollen Sie an die Vertragsgestaltung herangehen?
Wie wollen Sie die Freiberuflichkeit sichern? Auf diese
Fragen geben Sie keine Antwort.

Die Politiker von Rot-Grün haben sehr unterschiedli-
che Aussagen gemacht. Wie ich gelesen habe, hat die Mi-
nisterin gesagt: Wir wollen das Leistungspaket konzen-

trieren. Ich möchte wissen, was das heißt. Sagen Sie es
doch einmal! Wenn die Gesundheitsministerin sagt: „Ich
will das Leistungspaket konzentrieren“, dann möchte ich
wissen, was das heißt. Man muss wissen: Wir sagen nichts
anderes. Sie sollten aber einmal klarstellen, was mit die-
ser Aussage der Ministerin gemeint ist.

Sagen Sie uns doch einmal genau, wie Sie Ihre Vor-
stellungen von Vertragsgestaltungsmöglichkeiten in die
Praxis umsetzen wollen! Auch auf die damit verbundenen
Fragen gibt es keine klaren Antworten. Es gibt lediglich
sehr unterschiedliche Aussagen.

Wie stehen Sie zur Freiberuflichkeit? Ich war sehr er-
staunt, als die Staatssekretärin gesagt hat, sie sei eine
große Anhängerin der Polikliniken und sie könne sich
vorstellen, dass die ganze Problematik in den neuen
Bundesländern durch die Schaffung neuer und den Aus-
bau der bestehenden, traditionellen Polikliniken gelöst
wird.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

– Wenn Sie dafür sind, dann ist das korrekt. Einverstan-
den, Sie haben mir eine Antwort gegeben.

Wir sehen das anders. Wir wollen die Freiberuflichkeit
stärken.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir wollen dieses System mit freiberuflichen Ärzten sta-
bilisieren. Wir glauben, dass das der richtige Weg ist.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP)

Mittlerweile haben Sie das Thema Pflege entdeckt.

Uns liegen mehrere Gesetzentwürfe vor. Ich glaube, alle
wissen: Wie in der Rentenversicherung wird es in der
Krankenversicherung nach einer Steuerreform neben ei-
ner solidarisch finanzierten Säule sicherlich eine kapital-
gedeckte Säule geben müssen. Wir sind nämlich fest da-
von überzeugt, dass die Folgen von Alterspyramide und
technischem Fortschritt sonst nicht aufzufangen sind. Was
die Rente angeht, so haben Sie das erkannt. Da haben Sie
Mut bewiesen. Sie werden diese Entwicklung auch im
Hinblick auf die anderen Bereiche akzeptieren müssen.


(Detlef Parr [FDP]: Da brauchen die nur ein bisschen länger!)


Wenn es zu dieser Akzeptanz nicht kommt, dann wird
es so sein, dass moderne technische Entwicklungen vom
System nicht mehr angeboten werden. Schon heute ist es
so, dass viele moderne Entwicklungen in unser gesetzli-
ches Krankenversicherungssystem überhaupt nicht oder
erheblich verspätet überführt werden. Sie müssen den Pa-
tienten und den Bürgern im Lande einmal erklären,
warum moderne Untersuchungs- und Behandlungsme-
thoden nicht angewandt werden. – Weil die Budgets dafür
nicht ausreichen.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Oder nur für die Privatpatienten!)


– „Nur für die Privatpatienten“ ist sehr wenig. – Sie soll-
ten den Bürgern erklären, warum moderne Methoden zur
Krebsbehandlung – das können Arzneimittel, bestimmte
Untersuchungsmethoden oder moderne Rehabilitations-




Dr. Dieter Thomae
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(D)



(A)



(B)


methoden sein – in diesem System nicht mehr finanziert
werden.


(Detlef Parr [FDP]: Die lassen die Menschen im Stich!)


Aufgrund der Budgetierung fällt der sozial Schwache
heute durch das Netz.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Da gibt es überhaupt kein Entkommen: Der chronisch
Kranke ist in der Bundesrepublik Deutschland am
schlechtesten versorgt.

An diesem Punkt sind wir fairer und ehrlicher. Wir sind
für Selbstbehalte, also für Selbstbeteiligungen. Auf der
anderen Seite sind wir auch für Härtefallregelungen.Die
Budgetierung muss abgeschafft werden. Nach unseren
Vorstellungen ist der sozial Schwache daher abgesichert
und bekommt immer eine vernünftige medizinische Ver-
sorgung.


(Dr. Wolfgang Wodarg [SPD]: In seinem eigenen Zweiklassensystem!)


– Wir haben heute aufgrund Ihrer Politik eine Zwei- oder
Dreiklassenmedizin.


(Beifall bei der FDP)

Aufgrund Ihrer Politik werden heute viele Bürger von

der medizinischen Versorgung ausgeschlossen. Fragen Sie
einmal die Selbsthilfegruppen! Fragen Sie einmal die Par-
kinsonkranken! Fragen Sie einmal die Demenzkranken!

Sie können die Folgen Ihrer Politik nicht mehr vertu-
schen. Die Bürger haben gemerkt, was los ist. Sie lehnen
Ihre Gesundheitspolitik zum Glück in einem hohen Maße
ab; denn sie wissen, dass Sie sie in den letzten vier Jahren
betrogen haben.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1424520100
Für die
Fraktion der PDS spricht nun der Kollege Dr. Ilja Seifert.


Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1424520200
Herr Präsident! Meine lieben
Damen und Herren! Drei der fünf Anträge, die jetzt zur
Debatte stehen, beschäftigen sich mit Fragen der Pflege.
Ich erlaube mir, nachdem so lange über die GKV gespro-
chen wurde, jetzt einmal zur Pflege überzugehen.

Es ist nicht zu leugnen: Wir haben einen Pflegenot-
stand.Wer da wegschaut, macht sich mitschuldig.


(Beifall des Abg. Manfred Grund [CDU/CSU])


Wir kommen um diese Tatsache nicht herum. Es handelt
sich nicht um Einzelfälle, wenn wir erfahren, dass es nicht
einmal gewährleistet ist, dass jeder pflegebedürftige
Mensch täglich seine Mahlzeiten und ausreichend Flüs-
sigkeit bekommt.


(Dr. Dieter Thomae [FDP]: So ist es!)

Es ist heute keine Selbstverständlichkeit, dass pflegebe-
dürftige Menschen ihr Essen in einem Tempo gereicht be-
kommen, in dem man kauen und schlucken kann. Es ist

heute keine Selbstverständlichkeit, dass sie täglich und so
oft zur Toilette gebracht werden, wie es nötig ist. Man
muss sich einmal klar vor Augen führen, wie Menschen,
die von anderen abhängig sind, gepeinigt werden. Es ist
nicht selbstverständlich, dass jeder, so oft er es wünscht
oder wenn er es wünscht, täglich wenigstens einmal ge-
waschen, angezogen und gekämmt wird und dass er viel-
leicht das Gebiss in den Mund bekommt oder Mundpflege
betrieben wird. Es ist heute nicht selbstverständlich, auf
Wunsch täglich die Möglichkeit zu erhalten, das Bett zu
verlassen und an die frische Luft zu kommen. Es ist heute
auch nicht selbstverständlich, dass jeder pflegebedürftige
Mensch die Möglichkeit hat, seinen Zimmerpartner oder
seine Zimmerpartnerin zu wählen oder auch einmal abzu-
lehnen. Ich könnte noch viele andere Beispiele nennen.
Auch in der Todesstunde ist nicht gewährleistet, dass je-
mand da ist und die Hand hält.

Insofern haben alle, die in der Pflege arbeiten, meine
volle Hochachtung.


(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Aber sie sind strukturell nicht in der Lage, ihre Aufgabe
zu erfüllen. Sie können sich abstrampeln, wie sie wollen,
und Überstunden machen, wie sie wollen, sie werden die
Aufgabe nicht erfüllen können, wenn nicht mehr gut aus-
gebildetes und gut motiviertes, das heißt auch: gut be-
zahltes Personal eingesetzt wird, und zwar nicht dort, wo
Sie dies in den letzten vier Jahren bestens organisiert ha-
ben, meine lieben Kolleginnen und Kollegen von der SPD
und von den Grünen, nämlich in der Qualitätssicherung,
also im bürokratischen Bereich, sondern am Bett.


(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Da gehören die in der Pflege arbeitenden Menschen hin
und dort werden sie gebraucht. – Ich habe noch gar nicht
von soziokulturellen Mindeststandards gesprochen, die
meines Erachtens selbstverständlich zu einer menschen-
würdigen Pflege gehören.


(Beifall bei der PDS)

Wir haben einen Antrag mit dem Titel „Pflege refor-

mieren“ eingebracht. Ich wundere mich, dass Sie von der
CDU/CSU und der SPD sagen: Es sind zwar viele ver-
nünftige Dinge in ihm enthalten, aber wir müssen ihn lei-
der ablehnen, weil das Finanzierungskonzept fehlt.


(Regina Schmidt-Zadel [SPD]: Ist doch so!)

– Liebe Frau Schmidt-Zadel, lesen Sie doch einmal, was
wir gefordert haben! Wir fordern nichts anderes, als dass
die Regierung einmal Eckpunkte vorlegt, wie eine Pflege
vernünftig organisiert werden kann. Zu diesen Eck-
punkten gehört natürlich auch ein Finanzierungskonzept.
Wir haben nur einige paar Punkte aufgeführt, die in die-
sen Eckpunkten enthalten sein müssten.


(Regina Schmidt-Zadel [SPD]: Dann machen Sie auch die Finanzierung!)


– Liebe Frau Schmidt-Zadel, Sie hätten doch wenigstens
der Aufforderung an die Regierung zustimmen können,
dass sie einmal Eckpunkte vorlegt.




Dr. Dieter Thomae

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(C)



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(A)



(B)



(Beifall bei der PDS)

Wir sagen: Das Wichtigste ist, dass wir von diesem so-

matischen Pflegebegriff „Satt, sauber, trocken“ wegkom-
men. Aber nicht einmal „Satt, sauber, trocken“ ist ge-
währleistet.


(Dr. Barbara Höll [PDS]: Nicht einmal das haben wir erreicht!)


In diesem Zusammenhang möchte ich drei Kriterien
nennen: Erstens: Die Würde des Menschen ist unantast-
bar, auch im Pflegebedarfsfall. Zweitens: Selbstbestim-
mung darüber, wie ich meinen Tagesablauf gestalten
möchte, im Bett oder außerhalb des Bettes. Drittens: ge-
sellschaftliche Teilhabe auch im Pflegefall. Die Teilhabe
wird andere Formen annehmen, als man sie 30 oder viel-
leicht auch 80 Jahre lang in seinem Leben gewohnt war.
Aber auch dann ist man Teil der Gesellschaft und hat
selbstverständlich Anspruch auf diese Teilhabe.

Wenn wir einen solchen Pflegebegriff etablieren – da-
mit wende ich mich an Frau Schmidt-Zadel, aber auch an
die Ministerin und die Staatssekretärin –, dann wird das
Konsequenzen haben und deutlich machen, dass man al-
les in diese Bereiche hinein umsteuert. Das muss genauso
wie jetzt bei der Bildung diskutiert werden. Ich würde mir
fast wünschen, dass es einmal auch für den Pflegebereich
eine PISA-Studie gibt. Vermutlich würde die Bundes-
republik Deutschland nicht besonders gut abschneiden.
Anschließend sollte genauso heftig darüber diskutiert
werden, wie man es erreichen kann, dass Pflegebedürftige
menschenwürdig leben.

Herr Präsident, erlauben Sie mir noch wenige Bemer-
kungen zu dem vierten Antrag, der heute noch gar keine
Rolle gespielt hat, nämlich zu dem Antrag zur medizi-
nischen Versorgung von Kindern und Jugendlichen.
Endlich liegt hier im Hause ein substanzieller Antrag zur
besseren medizinischen Versorgung von Kindern und Ju-
gendlichen vor. Er hat die volle Zustimmung der PDS-
Fraktion. Teile dieses Antrags – darauf weise ich gerne
hin – sind auf Initiative und unter maßgeblicher Betei-
ligung meiner Fraktionskollegin Rosel Neuhäuser ent-
standen, die zurzeit auch Vorsitzende der Kinderkommis-
sion ist. Die in der Kinderkommission geleistete Arbeit
verdient nicht zuletzt deshalb allerhöchste Anerkennung,
weil dort nicht Fraktions- und Parteiinteressen, sondern
die Interessen der Kinder und Jugendlichen im Vorder-
grund stehen.


(Beifall bei der PDS)

Allerdings, liebe Kolleginnen und Kollegen von der

CDU/CSU, konnten Sie Ihre lächerliche Haltung wieder
einmal durchsetzen, dass Sie einen so wichtigen Antrag
nur dann unterstützen, wenn die PDS nicht zu den An-
tragstellern zählt. Ich kann nur sagen: plump und dumm.
Das haben Sie einfach nicht nötig, Herr Zöller. Die Wäh-
lerinnen und Wähler werden sich davon ein Bild machen
und bemerken, wie Stoibers Mannschaft mit unfairen Mit-
teln kämpft. Solche Kulturlosigkeit hat keinen Zweck,
denn sie ist auf die Vergangenheit und nicht auf die Zu-
kunft gerichtet. Die Zukunft sind unsere Kinder.

Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit und hoffe,
dass wir weiter gut zusammenarbeiten werden.


(Beifall bei der PDS)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1424520300
Ich gebe
nunmehr der Kollegin Marga Elser das Wort. Sie spricht
für die Fraktion der SPD.


Marga Elser (SPD):
Rede ID: ID1424520400
Herr Präsident! Meine lieben
Kolleginnen und Kollegen! Die Pflegeversicherung gibt
es jetzt seit sieben Jahren. Sie ist ein wichtiger Bestand-
teil unserer Sozialversicherung. Die Menschen vertrauen
darauf und wir möchten, dass das so bleibt. Vor dem Hin-
tergrund der Bevölkerungsentwicklung müssen wir die
Pflegeversicherung für die Zukunft fit machen. Daher
darf kein Stillstand entstehen.

Wir entwickeln die Pflegeversicherung weiter.

(Dr. Dieter Thomae [FDP]: Bisher leben wir von den Überschüssen!)

Dazu gehört, dass Schwachstellen ausgemerzt werden
müssen. Vor allem aber muss die Pflegeversicherung noch
besser auf die Bedürfnisse und Wünsche der Pflegebe-
dürftigen und ihrer Angehörigen ausgerichtet werden.

In Zukunft wird es sicherlich immer mehr ältere Men-
schen mit Demenzerkrankungen geben. Vor diesem Hin-
tergrund ist es erforderlich, die Pflege und ihre Rahmen-
bedingungen zukunftsorientiert zu gestalten. Wir haben in
den letzten vier Jahren wichtige Gesetze verabschiedet und
mit ihnen der Pflegeversicherung neue Anstöße gegeben.
Nun richten wir unser Augenmerk auf die zügige prakti-
sche Umsetzung der neu geschaffenen Instrumentarien.

Unser heutiger Antrag „Fortentwicklung der sozialen
Pflegeversicherung“ fordert in Zukunft ein noch effizien-
teres und zielorientiertes Zusammenwirken aller Beteilig-
ten – also von Bund, Länder, Kommunen, Kosten- und
Einrichtungsträgern – bei der Qualität der Pflege. In die-
sem Zusammenhang setzen wir uns für die Entwicklung
von Qualitätsstandards in der Pflege ein, was auch von
den Fachverbänden und der Altersforschung seit länge-
rem immer wieder gefordert wird.

Des Weiteren zielt der Antrag auf weitere Verbesserun-
gen bei der Pflege von Menschen mit eingeschränkter All-
tagskompetenz ab. Das Pflegeleistungs-Ergänzungsge-
setz hat durch die Erprobung neuer modellhafter
Vorhaben hier ganz eindeutig Pilotcharakter. Ich nenne
beispielhaft die Vernetzung von Versorgungsstrukturen
oder die Erprobung neuer Wohnkonzepte im häuslichen,
teilstationären sowie im stationären Bereich. Dabei darf
es keine Entscheidung gegen den Wunsch der Pflegebe-
dürftigen geben. Die Information und die Einbeziehung in
notwendige medizinische und pflegerische Entscheidun-
gen werden wir weiter stärken.


(Beifall bei der SPD)

Wir wollen auch eine bessere Überleitung vom

Krankenhaus in die häusliche Pflege erreichen. Dazu
müssen wir natürlich neue, sinnvollere Strukturen schaf-
fen. Viele Pflegebedürftige würden nach ihrem Kranken-
hausaufenthalt sehr gern häuslich anstatt dauerhaft sta-
tionär weiter gepflegt werden, wie das zurzeit noch viel




Dr. Ilja Seifert
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(C)



(D)



(A)



(B)


zu oft gehandhabt wird. Um diesem Wunsch vieler zu
entsprechen, muss die Überleitung von der Klinik in die
häusliche Pflege besser betreut und organisiert werden.
Wir stellen uns als neuen Einrichtungstyp eine Art Über-
leitungspflegeeinrichtung vor. Hier gilt es, neue Wege zu
beschreiten.

Zudem ist das so genannte Casemanagement zu for-
cieren, eine integrierte, auf die Personen zugeschnittene
Versorgung. Gerade Pflegebedürftige in häuslicher Um-
gebung könnten so von Leistungen sowohl aus der Kran-
kenversicherung als auch aus der Pflegeversicherung pro-
fitieren. Personenbezogene Budgets für eine effektive und
wirtschaftliche Versorgung sind vor allem vor diesem
Hintergrund ins Auge zu fassen. Diese integrierten Ver-
sorgungssysteme dienen in erster Linie dem Wohl der
Pflegebedürftigen, um das es uns allen geht.

Ein wichtiger Punkt unseres Antrages ist, dass in Zu-
kunft die Rehabilitation im Kontext der medizinischen
und pflegerischen Versorgung sehr viel stärker beachtet
werden muss. Es geht um den Grundsatz „Rehabilitation
vor Pflege“. Das hat die Enquete-Kommission „Demo-
graphischer Wandel“ uns allen als Empfehlung ins
Stammbuch geschrieben. Wir werden zur Erfüllung der
Aufgabe beitragen, die Pflege zu sichern und gezielt wei-
terzuentwickeln.


(Beifall der Abg. Regina Schmidt-Zadel [SPD])


Darüber hinaus setzen wir uns für eine noch stärkere
Gewichtung geriatrischer Rehabilitation ein. Dies kann zu
einer zusätzlichen bedeutsamen Erhöhung der Pflegequa-
lität führen. Wir werden in diesem Zusammenhang auch
die von der Enquete-Kommission „Demographischer
Wandel“ im Hinblick auf die geriatrische medizinische
Rehabilitation empfohlene Einführung des SGB-V-finan-
zierten Budgets in der Pflegeversicherung näher prüfen.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Prüfen!)


Schließlich werden wir den Familienlastenausgleich
in der Pflegeversicherung gemäß dem Urteil des Bun-
desverfassungsgerichts umsetzen, wonach Kinder erzie-
hende Mitglieder der sozialen Pflegeversicherung bei-
tragsmäßig zu entlasten sind.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Alles Zukunftsmusik!)


Hier sollte eine Freibetragsregelung angestrebt werden.
Meine sehr verehrten Damen und Herren von der

CDU/CSU-Fraktion, da wir heute auch über Ihren Ge-
setzentwurf reden, kann ich Sie auf zentrale Punkte unse-
rer Politik verweisen. Sie haben Ihren Antrag von dem der
Bayern abgeschrieben, der seinerzeit im Bundesrat keine
Mehrheit fand.


(Regina Schmidt-Zadel [SPD]: Hört, hört! Von Bayern abgeschrieben! – Gegenruf des Abg. Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Bayern hat viel Gutes!)


Darin sind auch sachliche Fehler enthalten. Sie wollen
nicht nur entgegen dem Grundsatz des Vorrangs häus-

licher vor stationärer Pflege zusätzliche Mittel der Pfle-
geversicherung einseitig für die stationäre Pflege aufwen-
den. Ihre vorgesehene Finanzierung ist einfach unsolide;


(Regina Schmidt-Zadel [SPD]: So ist es!)

denn die von Ihnen in Aussicht gestellten zusätzlichen
Leistungen können auf Dauer nicht aus den laufenden
Einnahmen der sozialen Pflegeversicherung finanziert
werden, sodass nach derzeitiger Modellrechnung ab 2006
eine Beitragssatzanhebung erforderlich wäre. – Dies ist
nur einer der völlig unfinanzierbaren Vorschläge aus
Ihrem Entwurf.

Meine Damen und Herren, wir von der SPD wollen
schrittweise wirksame und nachhaltige Verbesserungen
für pflegebedürftige Menschen erreichen. Wir dürfen un-
sere sozialen Sicherungssysteme jedoch nicht völlig über-
fordern. Das kennen wir ja von der Opposition auf der
rechten Seite des Hauses: ungedeckte Schecks ausstellen,
zumal in Wahlkampfzeiten, ohne den Bürgerinnen und
Bürgern zu sagen, wie das bezahlt werden soll. Eine sol-
che Politik machen wir nicht mit.


(Beifall bei der SPD)

Zur Personalfrage bei der Pflege: Das Qualitätssiche-

rungsgesetz beinhaltet bereits wirkungsvolle Instrumente
für die Festlegung einer ausreichenden Personalausstat-
tung.

Ich gehe noch kurz auf Ihre Forderung ein, eine
Schiedsstelle in der häuslichen Krankenpflege einzurich-
ten. Diese Forderung ist so nicht realisierbar. Die Schieds-
amtslösung, wie Sie sie fordern, würde uns verfassungs-
rechtliche Probleme bereiten;


(Regina Schmidt-Zadel [SPD]: Genau so ist es!)


denn nicht alle Pflegedienste sind in Verbänden organi-
siert. Wie wollen Sie, verehrte Kolleginnen und Kollegen
von der CDU/CSU-Fraktion, die nicht repräsentierten
Dienste in ein solches Verfahren einbeziehen?


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Wie ist es denn in den Krankenhäusern? Da geht es doch auch!)


Nach unserer Meinung und auch nach Ansicht des Bun-
desgesundheitsministeriums würden das Bundesinnenmi-
nisterium und das Bundesjustizministerium eine derartige
Lösung nicht akzeptieren.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Herr Präsident, sie redet immer weiter!)


Weil wir die immer wieder auftretenden Streitigkeiten
im Bereich der häuslichen Krankenpflege zwischen Kas-
sen und Diensten gar nicht abstreiten – da sind wir Ihrer
Meinung –, werden wir die Möglichkeiten eines Schieds-
stellenverfahrens, das im Gegensatz zu Ihrem Vorschlag
auch den rechtlichen Ansprüchen genügen würde, prüfen.

Da wir heute drei Anträge zu diesem Bereich zu disku-
tieren haben, möchte ich noch etwas zum PDS-Antrag sa-
gen. Wir werden auch diesen Antrag ablehnen, obwohl er
in einigen Passagen – Herr Seifert hat es schon darge-
stellt – einen guten Diskussionsbeitrag leistet. Aber in die-




Marga Elser

24739


(C)



(D)



(A)



(B)


sem Antrag wird nichts darüber gesagt, wie das Ganze fi-
nanziert werden soll. Ich denke, ein Vorschlag, von dem
wir nicht wissen, wie es finanziert werden soll, genügt
nicht.

Deshalb setzen wir uns für die kontinuierliche Fortent-
wicklung der Pflege ein,


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Nun muss aber gut sein!)


die qualitätsorientiert, wirtschaftlich und finanziell solide
kalkuliert ist.

Danke.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1424520500
Ich gebe das
Wort dem Kollegen Aribert Wolf. Er spricht für die
CDU/CSU-Fraktion.


(Dr. Dieter Thomae [FDP]: Mehr für die CSU!)



Aribert Wolf (CSU):
Rede ID: ID1424520600
Herr Präsident! Meine sehr
verehrten Damen und Herren! Wie gehen wir in Deutsch-
land, in einem der reichsten Länder der Welt, mit älteren
pflegebedürftigen Menschen um? Der Kollege Seifert hat
diese Frage bereits gestellt. Sie wird auch in der Öffent-
lichkeit zu Recht immer wieder diskutiert. Wir müssen lei-
der feststellen, dass es hier viel Licht, aber bedauer-
licherweise auch viel Schatten gibt. Wer Pflegeheime von
innen kennt, dem werden die Bilder der Frauen und Män-
ner, die dort ihren Lebensabend beschließen, und die Um-
stände, unter denen das manchmal geschieht, nicht so
schnell aus dem Kopf gehen, wenn er ein bisschen Herz hat.

Insbesondere wir Jüngeren dürfen nicht vergessen,
dass die Generation, die heute in Alten- und Pflegeheimen
versorgt wird, eine Generation ist, die Schweres zu ertra-
gen hatte und die auf der anderen Seite Großartiges für un-
ser Land geleistet hat;


(Beifall bei der CDU/CSU)

denn diese Generation hat das zerstörte Deutschland aus
den Trümmern des Zweiten Weltkriegs geholt und wieder
zu einem prosperierenden Land in Europa aufgebaut.

Darum ist es mir persönlich, aber, wie ich weiß, auch
vielen Kolleginnen und Kollegen aus der Unionsfraktion
wichtig, dass wir unser Augenmerk nicht nur auf Wirt-
schaft, Arbeitsplätze, Globalisierung, Außenpolitik oder
Umweltschutz richten, sondern immer auch ein offenes
Ohr und ein offenes Herz für die Sorgen der älteren Ge-
neration haben.


(Dr. Ilja Seifert [PDS]: Das ist mir auch wichtig!)


– Das weiß ich, das nehme ich auch gerne zur Kenntnis,
aber ich spreche jetzt von den Kolleginnen und Kollegen
von der CDU/CSU-Fraktion.

Deswegen nehmen wir von der Union Berichte und
Meldungen über Missstände in Alten- und Pflegeheimen

sehr ernst. Wir gehen den Ursachen nach und meinen,
dass dort, wo es nötig ist, politische Veränderungen in An-
griff genommen werden müssen. Deswegen kann es nicht
hingenommen werden, dass mitten in Deutschland alte
Menschen austrocknen, weil sie zu wenig zu trinken be-
kommen, dass alte Menschen wund liegen, an Dekubitus
erkranken, weil sie in Pflegeheimen nicht ordnungsgemäß
umgebettet werden oder aus ihren Pflegebetten nicht we-
nigstens einmal am Tag herausgeholt werden, und dass
Zeitungen und Fernsehsendungen voll sind von Berich-
ten, dass Altenpflegerinnen und Altenpfleger ihre Arbeit
unter schwierigsten Bedingungen leisten müssen. Was
mich ungeheuer ärgert und aufregt, ist, dass jetzt eine
Bundesregierung an der Macht ist, die nichts, aber auch
gar nichts macht, um die Situation der Pflegebedürftigen
und der Arbeitsbedingungen der Altenpflegerinnen und
Altenpfleger zu verbessern.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Ich ärgere mich gewaltig über diese unglaubliche

Untätigkeit von SPD und Grünen. Bei Veranstaltungen,
bei Podiumsdiskussionen hört sich das immer ganz anders
an. Da hat man viel Verständnis für die Sorgen der Pfle-
gebedürftigen und der Pflegekräfte und macht immer
gleich Versprechungen. Im Parlament kommt es jedoch
darauf an, welche Taten auf den Weg gebracht werden.
Wo sind die Taten dieser rot-grünen Bundesregierung, um
den Pflegebedürftigen zu helfen und ihre Situation zu
verbessern? Leider ist in diesem Bereich nichts oder na-
hezu nichts passiert. Deswegen legt die CDU/CSU heute
einen Gesetzentwurf vor, der insbesondere dort ansetzt,
wo viele Pflegeverbände und Angehörige immer wieder
den Finger in die Wunde legen, damit die personelle Aus-
stattung in Altenpflegeheimen endlich schrittweise ver-
bessert wird.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Meine Damen und Herren von Rot-Grün, Worte sind

schnell gesprochen, aber stimmen Sie dann, wenn es ernst
wird, wenn wir etwas für die Menschen tun können, im Par-
lament auch entsprechend ab! Das wahre Bekenntnis, das
Ihnen abverlangt wird, ist, ob Sie etwas tun oder nur reden.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich persönlich bin stolz darauf – ich war damals nicht

im Bundestag –, dass die CDU/CSU die Pflegeversiche-
rung auf den Weg gebracht hat.


(Regina Schmidt-Zadel [SPD]: Nicht nur die CDU/CSU, sondern gemeinsam! Herr Wolf, nehmen Sie das zur Kenntnis!)


Die CDU/CSU-geführte Bundesregierung und der Name
Norbert Blüm sind untrennbar mit der Pflegeversicherung
verbunden.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Nach 30 Jahren mühsamer und quälender Diskussion ha-
ben wir den Knoten durchschlagen und eine Pflegeversi-
cherung realisiert. Bei Rot-Grün ist es folgendermaßen:
Bei den Worten sind Sie riesengroß, aber bei den Taten,
wenn es darauf ankommt, sind sie so klein mit Hut.

Was haben Sie zum Beispiel zur Verbesserung der Si-
tuation von Demenzkranken, von Altersverwirrten ge-




Marga Elser
24740


(C)



(D)



(A)



(B)


tan? Schauen Sie sich die Situation doch einmal an, wenn
der Vater oder die Mutter, der Opa oder die Oma eigent-
lich noch guat bei’nand ist, wie man bei uns in Bayern
sagt, aber ab und an Aussetzer hat, sodass man beaufsich-
tigen muss, schauen muss, dass die Herdplatte nicht an
bleibt und das Haus abbrennt, weil vergessen wurde, sie
auszuschalten. Schauen Sie sich an, welche Belastungen
das oft für Familien sind, welche Beaufsichtigungsmaß-
nahmen durchgeführt werden müssen, sodass zum Bei-
spiel nicht in Urlaub gefahren werden kann. Generatio-
nenübergreifend wird in Hunderttausenden von Familien
in Deutschland eine wirklich tolle soziale Betreuung und
Pflege geleistet. Wenn Sie jedoch mit diesen Familien re-
den und fragen, wie sie seitens der Pflegeversicherung un-
terstützt werden, dann hören Sie hunderttausendfach die
Antwort: Wir bekommen leider gar nichts, weil die Ein-
gangsvoraussetzungen nicht erfüllt sind.

Wir müssen heute konzedieren, dass die Eingangsvo-
raussetzungen zu eng gefasst sind.


(Regina Schmidt-Zadel [SPD]: Sie haben doch gerade gesagt, Herr Wolf, dass Sie ein gutes Gesetz gemacht haben!)


Deswegen, Frau Schmidt-Zadel, haben wir in dieser Le-
gislaturperiode einen Gesetzentwurf auf den Weg ge-
bracht, der mehr Menschen die Leistungen der Pflegever-
sicherung, insbesondere wenn sie altersverwirrt sind,
zugänglich machen soll. Aber leider hat die Bundesregie-
rung dies abgelehnt.

Ich nenne einen weiteren Punkt, bei dem Sie sich taub
und stur stellen, nämlich die Richtlinien zur häuslichen
Krankenpflege. Wir haben im Gesundheitsausschuss
wahrlich viele Anhörungen zum Thema Pflege gehabt.


(Regina Schmidt-Zadel [SPD]: Immer noch!)

Es wurde immer wieder gesagt, dass wichtige medizini-
sche Leistungen aus den Richtlinien, die der Bundes-
ausschuss erlassen hat, herausgenommen wurden, zum
Beispiel die Dekubitus-Prophylaxe und Blutzuckermes-
sungen. Die Verbände fordern immer wieder, diese
Richtlinien zu ändern. Eine unionsgeführte Bundesre-
gierung wird dem Bundesausschuss die Richtlinien vor-
legen, damit in einzelnen Punkten Änderungen vollzo-
gen werden. Das ist für die Pflegebedürftigen wichtig.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Ein weiterer Punkt. Auch Sie haben von der Schieds-

stelle gesprochen. Wolfgang Zöller hat in seinem Zwi-
schenruf darauf hingewiesen, dass Sie nur faule Ausreden
haben. Es gibt doch auch im Krankenhausbereich unge-
bundene Häuser. Auch dort gibt es Entscheidungen von
Schiedsstellen. Warum soll dies im Pflegebereich nicht
möglich sein?

Um für die Betroffenen Verbesserungen auf den Weg
zu bringen, ist es notwendig, dass auch Konfliktrege-
lungsmechanismen in Gang gesetzt werden. Wir haben sie
in unserem Gesetzentwurf aufgenommen. Ich bin ge-
spannt, welche Maßnahmen Sie noch umsetzen. In den
letzten Wochen und Monaten reden Sie wieder einmal
viel. Dabei brauchen Sie nur unserem Gesetz zuzustim-
men, damit es für viele Menschen Verbesserungen gibt.

Ich erinnere daran, dass die Leistungen der Pflege-
versicherung seit 1996 unverändert geblieben sind. Aber
wenn Sie sich einmal anschauen, dass die Verbraucher-
preise von 1996 bis 2001 um 8 Prozent gestiegen sind,


(Dr. Dieter Thomae [FDP]: Tarifverträge!)

dass die Arbeitskosten, Herr Thomae, um 10 Prozent
gestiegen sind, dann muss man sagen: Es ist bitter nötig,
dass wir gerade bei der stationären Pflege Verbesserungen
durchsetzen und mehr Geld und mehr Personal für eine
bessere Pflege zur Verfügung stellen.

Es ist gefragt worden – dieses Argument kennen wir
ja –, wie wir das finanzieren wollen. An dieser Stelle muss
ich sagen, dass dies ein besonders schändliches Stück der
Politik der Regierung Schröder ist: Sie stellen auf der
einen Seite große Konzerne wie Siemens, Allianz, Eon,
Daimler-Chrysler und die Deutsche Bank völlig frei von
Steuern, aber auf der anderen Seite nehmen Sie zum
Stopfen von Haushaltslöchern und zur Konsolidierung
des Haushalts den Pflegebedürftigen 500 Millionen DM
bzw. 250 Millionen Euro aus der Tasche.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Und Sie wollen noch das Wort von der sozialen Ge-
rechtigkeit in den Mund nehmen? Ich hätte mir nie-
mals träumen lassen, dass durch die Politik einer so-
zialdemokratisch geführten Bundesregierung eine soziale
Schieflage in Deutschland geschaffen wird!


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Ein letzter Punkt. Die Menschen haben gemerkt, dass

Sie ihr Vertrauen verspielt haben.

(Regina Schmidt-Zadel [SPD]: Haben Sie schon einmal etwas von sozialer Gerechtigkeit gehört?)


– Es gehört nicht zur sozialen Gerechtigkeit, Frau
Schmidt-Zadel, Großkonzerne steuerfrei zu stellen, aber
den Pflegebedürftigen 500 Millionen DM, die zu unserer
Zeit für die Pflege noch zur Verfügung standen,
wegzunehmen.


(Ilse Janz [SPD]: Wie kann man nur solch ein dummes Zeug erzählen!)


Die Bürgerinnen und Bürger in unserem Land wissen das.
Ich bin davon fest überzeugt, dass sie Ihnen am 22. Sep-
tember das Vertrauen entziehen werden. Sie werden
wieder eine unionsgeführte Bundesregierung bekommen,
die für Pflegebedürftige nicht nur schöne Worte hat, son-
dern endlich konkrete Verbesserungen auf den Weg bringt.

Ich bedanke mich.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1424520700
Lieber
Aribert Wolf, Sie waren der Dritte im Bunde, der in dieser
Debatte gesprochen hat und der nicht mehr dem nächsten
Bundestag angehören wird. Auch Ihnen spreche ich unseren
Dank aus und wünsche Ihnen alles Gute für die Zukunft.


(Aribert Wolf [CDU/CSU]: Ich lege Wert darauf, dass es nur vorläufig die letzte Rede war! – Aribert Wolf 24741 Gegenruf der Abg. Regina Schmidt-Zadel [SPD]: Das muss aber nicht sein!)





(C)


(D)


(A)


(B)


Nun spricht für die SPD die Kollegin Dr. Margrit
Spielmann.


Dr. Margrit Spielmann (SPD):
Rede ID: ID1424520800
Herr Präsident! Meine
sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Mit unserem
Antrag wollen wir nachdrücklich die Bedeutung, die der
medizinischen Versorgung von Kindern und Jugendlichen
zukommt, unterstreichen. Es ist uns allen in diesem Hause
ein zentrales Anliegen, auf die bestehenden und drohen-
den Versorgungsdefizite in der Kinder- und Jugendmedi-
zin hinzuweisen und diesen Defiziten mit geeigneten
Maßnahmen entgegenzuwirken.

Ich bin froh, dass es uns gelungen ist, bei diesem wichti-
gen Thema einen interfraktionellen Antrag vorzulegen. Es
ist das Ziel unseres Antrages, durch Vorsorge und
Früherkennung Fehlentwicklungen aufzudecken und damit
den Kindern unnötige Leiden und Krankheiten in ihrem
späteren Leben zu ersparen. Es geht uns auch darum, zu
verhindern, dass Kinder mit gesundheitlichen Beeinträch-
tigungen in ihrer Entwicklung behindert werden.

Wie wir alle wissen, lassen sich Fehlentwicklungen im-
mer schwieriger korrigieren, je älter die Kinder werden.
Aus medizinischer Sicht stehen dabei unter anderem die
falsche Ernährung und natürlich auch die mangelnde Be-
wegung in unserem Fokus. Wenn wir nichts unternehmen,
so sagte unsere Ministerin, dann sind diese Kinder die
chronisch Kranken von morgen. Recht hat sie.


(Beifall der Abg. Regina Schmidt-Zadel [SPD])


Ein besonderes Augenmerk sollten wir unter anderem
auf die Diagnostik derHörleistung legen. Das Hören hat
für die kindliche Entwicklung, für die Sprachentwicklung
und die Persönlichkeitsentwicklung eine große Bedeu-
tung. Deshalb fordern wir in unserem Antrag die Auf-
nahme von Hörscreenings in den Katalog der Neugebo-
renenuntersuchungen. Dafür brauchen wir allerdings
sichere Erkenntnisse darüber, dass die angewandte Me-
thode eine zuverlässige Aussage über den Grad der
Schwerhörigkeit erlaubt. Das Gesundheitsministerium
hat, wie wir alle wissen, eine wissenschaftliche Eva-
luierung von modernen Hörscreeningmethoden in Auf-
trag gegeben. Das begrüßen wir sehr.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Sobald die Ergebnisse vorliegen, muss zügig an deren
Umsetzung gearbeitet werden.

Eine zentrale Rolle bei der Verbesserung der Kinderge-
sundheit muss wieder der öffentliche Gesundheitsdienst
spielen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Viele Kinder und Jugendliche sind nur auf diesem Wege
zu erreichen. Der öffentliche Gesundheitsdienst hat in der
Vergangenheit wichtige Verdienste und Kompetenzen vor
allen Dingen in den Bereichen des Impfschutzes und der
Kariesprophylaxe erworben. Es gilt, den öffentlichen Ge-

sundheitsdienst zu stärken und dort die wichtigen Aufga-
ben der Gesundheitserziehung und der Vorsorge, der
Prävention, zu verankern.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Dazu wird es dringend notwendig sein, mit den Kommunen
und den Ländern in einen Dialog über die Aufgaben und
Pflichten des öffentlichen Gesundheitswesens zu treten.

Natürlich kann der öffentliche Gesundheitsdienst nicht
allein diese Aufgabe wahrnehmen. In erster Linie sind die
Eltern gefragt. Sie tragen die Verantwortung. Gesund-
heitsbewusstes Verhalten muss, wie wir alle wissen, vor-
gelebt, eingeübt und verfestigt werden.


(Beifall der Abg. Regina Schmidt-Zadel [SPD])


Eine wichtige Bedeutung kommt auch den Kindergärten
und den Schulen zu. Die Gesunderhaltung unserer Kinder
sollte uns alle angehen. Ich meine, die Gesunderhaltung
unserer Kinder stellt ein gesamtgesellschaftliches Anlie-
gen dar.


(Beifall bei der SPD)

Die Schlüsselfigur in der medizinischen Versorgung von

Kindern und Jugendlichen sollte der Pädiater spielen. Er
ist mit den physiologischen und psychologischen Aspekten
der Behandlung dieser Patientengruppe am besten vertraut.
Damit eine flächendeckende pädiatrische Versorgung auch
in Zukunft gewährleistet werden kann, müssen unbedingt
Maßnahmen ergriffen werden, damit das Angebot an Wei-
terbildungsstellen vergrößert werden kann. Kinderkliniken
und Kinderarztpraxen müssen in die Lage versetzt werden,
mehr Weiterbildungsstellen für Pädiater anzubieten. An-
sonsten ist das Problem nicht zu lösen.

Die stationäre Behandlung von Kindern und Jugendli-
chen sollte prinzipiell in pädiatrischen Abteilungen der
Krankenhäuser erfolgen. Von dieser Stelle aus muss an die
Landesregierungen der Appell gerichtet werden, den Be-
schluss der Gesundheitsminister von 1997 zu realisieren
und die Bettenplanung am Bedarf einer kindgerechten
Versorgung auszurichten.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Der Impfmüdigkeit und der Vernachlässigung von
Vorsorgeuntersuchungen muss dringend entgegenge-
wirkt werden. Zu diesem Zweck halten wir eine bundes-
weite Informationskampagne für zwingend notwendig.
Den Eltern muss der Sinn und Zweck der Vorsorgeunter-
suchungen von der U 1 bis zur U 10 und der Jugend-
untersuchung nahe gebracht werden. Die Schulen, die Kin-
dergärten, der öffentliche Gesundheitsdienst, aber auch
die Medien sollten uns dabei helfen.

Die Arzneimittelsicherheit – auch das ist ein Punkt
in unserem Antrag – muss dringend verbessert wer-
den. Zu den zielführenden Maßnahmen gehören unter
anderem, in Kompetenzzentren systematisch die klini-
sche Erfahrung mit Erwachsenenmedikamenten zu er-
fassen, sie auszuwerten und zu veröffentlichen sowie
dafür zu werben, dass Eltern ihre Einwilligung zur kli-




Aribert Wolf
24742


(C)



(D)



(A)



(B)


nischen Prüfung von Medikamenten an kranken Kin-
dern geben.

In den vergangenen Jahren ist bei Kindern vermehrt die
Diagnose „Aufmerksamkeitsdefizit- und Hyperaktivitäts-
syndrom“, kurz ADHS, gestellt worden. Die Gründe dafür
müssen unbedingt erforscht werden. Für die Behandlung
des ADHS sollten Behandlungsleitlinien mit modalen
Therapiekonzepten entwickelt werden, die verhindern,
dass verhaltensauffällige Kinder und Jugendliche ledig-
lich medikamentös ruhig gestellt werden. Nötig ist viel-
mehr eine ganzheitliche Therapie, die psychotherapeuti-
sche Aspekte einschließt.

Sehr geehrter Herr Dr. Seifert, ich möchte an dieser
Stelle ganz ausdrücklich die Bemühungen der Kinder-
kommission erwähnen und deren Mitgliedern für die im
Zusammenhang mit dieser Symptomatik geleistete Arbeit
sehr herzlich danken.


(Beifall im ganzen Hause)

Es ist zu begrüßen, dass das Robert-Koch-Institut eine

breit angelegte Studie zur Gesundheit von Kindern und
Jugendlichen durchführt. Bislang verfügen wir nicht über
eine umfassende und über die Altersspanne von der Ge-
burt bis zum 18. Lebensjahr reichende Erhebung über den
Gesundheitszustand und das Gesundheitsverhalten unse-
rer Kinder. Die Ergebnisse werden, denke ich, eine wich-
tige Grundlage für weitere gezielte gesundheitspolitische
Maßnahmen in diesem Bereich sein.

Ich möchte zum Schluss noch einen wichtigen Punkt
hervorheben. Rot-Grün hat in dieser Legislaturperiode
die Prävention gestärkt und die Ministerin hat für die
kommende Legislaturperiode ein Präventionsgesetz an-
gekündigt, das die verschiedenen gesetzlichen Vorschrif-
ten bündeln wird. Prävention muss gerade bei Kindern
und Jugendlichen eine gleichberechtigte Säule neben der
kurativen Medizin, der Rehabilitation und der Pflege
werden.


(Beifall bei der SPD sowie der Abgeordneten Monika Knoche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und Dr. Ilja Seifert [PDS])


Sie ist ein wichtiger, wenn nicht sogar der wichtigste
Grundstein und der Schlüssel einer guten medizinischen
Versorgung von Kindern und Jugendlichen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns doch
gemeinsam die Verantwortung für die junge Generation
übernehmen. Vielen Dank für die Zusammenarbeit bei
diesem Antrag. Wir werden sehen, was wir alle gemein-
sam daraus machen.

Danke schön.

(Beifall bei der SPD sowie der Abgeordneten Monika Knoche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN], Dr. Dieter Thomae [FDP] und Dr. Ilja Seifert [PDS])



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1424520900
Als letzter
Redner in dieser Debatte spricht Kollege Wolfgang Zöller
für die Fraktion der CDU/CSU.


Wolfgang Zöller (CSU):
Rede ID: ID1424521000
Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich besonders im
Interesse der Kinder und Jugendlichen, dass es uns trotz
des Wahlkampfs gelungen ist, einen parteiübergreifenden
Antrag mit der Überschrift „Medizinische Versorgung
von Kindern und Jugendlichen sichern und verbessern“
vorzulegen.

Bei dieser Gelegenheit darf ich mich auch bei denen
bedanken, die hierzu wesentlich beigetragen haben. Stell-
vertretend darf ich ausdrücklich folgende Namen nennen:
Frau Kors und Frau Dr. Spielmann.

Persönlich freue ich mich natürlich darüber, dass die
wesentlichen Punkte unseres Antrages „Medizinische
Versorgung von Kindern sichern“ vom 25. Januar 2001 in
den gemeinsamen Antrag eingeflossen sind.

Ich glaube, man kann an dieser Stelle auch feststellen,
dass es dem Bemühen und der Beharrlichkeit unserer
Fraktion zu verdanken ist, dass das Anliegen der medizi-
nischen Versorgung von Kindern und Jugendlichen einen
ganz wesentlichen Schritt nach vorn gebracht wurde.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Es hat lange – wie ich meine: sehr lange – gedauert und

auch eines Umdenkens im Gesundheitsministerium be-
durft. Ich darf erinnern: Noch im Juli 2000 lehnte das
Bundesministerium für Gesundheit eine Förderung der
Weiterbildung zum Kinder- und Jugendarzt ab. Darauf-
hin gab es eine Resolution der Kinder- und Jugendärzte
vom 12. Juli 2000. Ich darf zitieren:

Deshalb fordern wir für Kinder und Jugendliche den
Erhalt und Bestand einer flächendeckenden ambu-
lanten und stationären kinder- und jugendärztlichen
Versorgung sowie Garantie und finanzielle Unter-
stützung für ausreichende Weiterbildungsmöglich-
keiten zum Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin,
gleichgestellt dem Facharzt für Allgemeinmedizin in
der hausärztlichen Versorgung.

Wir können froh sein, dass diese Grundforderungen in
dem uns heute vorliegenden Antrag enthalten sind. Die
Bundesärztekammer wird aufgefordert, die Weiterbil-
dung zum Kinder- und Jugendarzt zu reformieren. Zur Si-
cherung der pädiatrischen Versorgung sollen die gesetz-
lichen Voraussetzungen dafür geschaffen werden, dass die
pädiatrische Weiterbildung wie die allgemeinmedizi-
nische Weiterbildung gefördert wird.

Dass unser Vorschlag, die Budgetierung aufzuheben,
gemeinsam mit Rot-Grün nicht realisierbar war, heißt
nicht, dass wir dieses Ziel nicht weiter verfolgen werden,
damit die medizinische Versorgung besonders von Kin-
dern und Jugendlichen gewährleistet wird.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Für uns sehr wichtige Punkte sind ebenfalls auf-

genommen worden. Ich darf sie nur stichpunktartig auf-
führen: Die Besonderheiten der häuslichen Kinderkranken-
pflege sind bei der Fassung der Richtlinien zu
berücksichtigen – das ist, glaube ich, ein sehr wichtiger
Punkt –; der Erhalt des speziellen Berufs der Kinderkran-
kenschwester und des Kinderkrankenpflegers ist zu si-
chern; die Arzneimittelsicherheit bei Kindern ist zu verbes-




Dr. Margrit Spielmann

24743


(C)



(D)



(A)



(B)


sern. Ferner haben wir aufgrund vieler Zuschriften betrof-
fener Eltern das Thema Aufmerksamkeitsdefizit- und Hy-
peraktivitätssyndrom angenommen, damit durch wissen-
schaftliche Studien zu ADHS und seiner Behandlung die
Qualität von Diagnose und Therapie verbessert wird.

Der erste Schritt ist erfreulicherweise gemeinsam ge-
tan. Es gilt, keine Zeit zu verlieren. Das sind wir unseren
Kindern und Jugendlichen schuldig.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1424521100
Ich schließe
die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den von der Frak-
tion der CDU/CSU eingebrachten Gesetzentwurf auf
Drucksache 14/8364 zur Verstärkung der Personalausstat-
tung in Pflegeheimen. Der Ausschuss für Gesundheit emp-
fiehlt auf Drucksache 14/9561, den Gesetzentwurf abzu-
lehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf
zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt da-
gegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist in zwei-
ter Beratung mit den Stimmen von SPD und Bündnis 90/
Die Grünen gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP
bei Enthaltung der PDS abgelehnt. Damit entfällt nach un-
serer Geschäftsordnung die weitere Beratung.

Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschus-
ses für Gesundheit auf Drucksache 14/9570 zu dem
Antrag der Fraktion der CDU/CSU mit dem Titel „Ge-
sundheitswesen patientenorientiert, freiheitlich und zu-
kunftssicher gestalten“. Der Ausschuss empfiehlt, den
Antrag auf Drucksache 14/8595 abzulehnen. Wer stimmt
für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? –
Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und PDS ge-
gen die Stimmen von CDU/CSU und FDP angenommen.

Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschus-
ses für Gesundheit auf Drucksache 14/9569 zu dem An-
trag der Fraktion der PDS mit dem Titel „Pflege refor-
mieren – Lebensqualität in Gegenwart und Zukunft
sichern“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf
Drucksache 14/6327 abzulehnen. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen
von SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen
von CDU/CSU, FDP und PDS angenommen.

Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschus-
ses für Gesundheit zu dem Antrag der Fraktionen der SPD
und des Bündnisses 90/Die Grünen zur Fortentwicklung
der sozialen Pflegeversicherung auf Drucksache 14/9562.
Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache
14/8864 anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussem-
pfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Diese
Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von SPD und
Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen von CDU/CSU
und FDP bei Enthaltung der PDS angenommen.

Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der
Fraktionen der SPD, der CDU/CSU, des Bündnisses 90/
Die Grünen und der FDP mit dem Titel „Medizinische

Versorgung von Kindern und Jugendlichen sichern und
verbessern“. Dazu liegt eine persönliche Erklärung zur
Abstimmung der Kollegin Rosel Neuhäuser, die zu Pro-
tokoll genommen wird, vor.1)

Wer stimmt für den Antrag auf Drucksache 14/9544? –
Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Antrag ist
einstimmig angenommen.

Ich rufe nunmehr Tagesordnungspunkt 8 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Wolfgang
Thierse, Doris Barnett, Gernot Erler, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion der SPD, der Abge-
ordneten Dr. Rita Süssmuth, Hans-Dirk Bierling,
Thomas Kossendey, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der CDU/CSU, der Abgeordneten
Rita Grießhaber, Winfried Nachtwei, Kerstin
Müller (Köln), Rezzo Schlauch und der Fraktion
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie
der Abgeordneten Ulrich Irmer, Dr. Helmut
Haussmann, Dr. Wolfgang Gerhardt und der Frak-
tion der FDP
Parlamentarische Dimension und die Zukunft
derOrganisation für Sicherheit und Zusammen-
arbeit in Europa (OSZE)

– Drucksache 14/9554 –

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Das Haus ist
damit einverstanden.

Ich eröffne die Aussprache und gebe als erster Redne-
rin der Kollegin Monika Griefahn für die Fraktion der
SPD das Wort.


Monika Griefahn (SPD):
Rede ID: ID1424521200
Guten Abend, Herr Präsi-
dent! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Vom 6. bis
10. Juli sind wir erstmalig Gastgeber der Parlamentari-
schen Versammlung der OSZE-Konferenz mit 317 Parla-
mentariern aus 55 OSZE-Staaten, darunter 13 unserer Kol-
leginnen und Kollegen. Der Dialog über die Grundwerte
der Demokratie findet traditionell im Juli statt. Für uns ist
das am Ende der Sitzungsperiode ein guter Zeitpunkt für
einen Ausblick auf die Weiterentwicklung der OSZE.

Aus diesem Anlass möchte ich noch einmal die wich-
tigsten Etappen in der Geschichte der OSZE erwähnen
und anschließend einen Blick auf die Empfehlungen und
die zukünftigen Schwerpunkte werfen. Die Konferenz
über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, KSZE,
wurde im Jahre 1973, also vor nunmehr fast 30 Jahren, in
denen sich die Bedingungen der Außenpolitik für alle be-
teiligten Staaten wesentlich verändert haben, als Forum
für den Ost-West-Dialog geschaffen. Diese Herausforde-
rung hat auch die OSZE positiv angenommen.

Die KSZE verständigte sich am 1. August 1975 in
Helsinki darüber, Konflikte in Europa ohne die Anwen-
dung oder Androhung von Gewalt zu regeln, in Sicher-
heits- und Abrüstungsfragen zusammenzuarbeiten, den




Wolfgang Zöller
24744


(C)



(D)



(A)



(B)


1) Anlage 4

Wirtschaftsaustausch über die Systemgrenzen hinweg zu
fördern und die Mitgliedstaaten für die Begegnung der
Menschen und für gegenseitige Informationen zu öffnen.
Damit nahm eine neue Form kooperativer statt konfronta-
tiver Sicherheitspolitik ihren Anfang, durch die nach und
nach die negativen Auswirkungen der Teilung Europas
auf die Menschen spürbar abgemildert werden konnten.

Die Schlussakte von Helsinki bedeutete für uns, dass
die von Deutschland seit Ende der 60er-Jahre bilateral
verfolgte Entspannungspolitik gegenüber dem Osten
– die mit den Namen Willy Brandt und Egon Bahr un-
auflöslich verbunden ist – nunmehr auf die europäische
Ebene gehoben wurde. Ausgangspunkt und Kern der
KSZE war und ist bis heute der Gewaltverzicht. Gewalt-
verzicht schließt ein, dass die Grenzen eines Landes nur
einvernehmlich geändert werden dürfen – ein Grundsatz,
der zum Beispiel im Zusammenhang mit der Statusfrage
des Kosovo höchst aktuell ist.

Der Gewaltverzicht wurde durch Abrüstungsverhand-
lungen und Verhandlungen über militärische vertrauens-
bildende Maßnahmen untermauert. Zu den herausragen-
den Erfolgen des KSZE-Prozesses gehört der Vertrag über
konventionelle Abrüstung von 1990 – die „Charta von
Paris für ein neues Europa“ –, der mit einem zweiten Ver-
trag aus dem Jahre 1999 an die gegenwärtige sicherheits-
politische Situation angepasst worden ist. In der Folge
dieser beiden Verträge wurden Zehntausende von schwe-
ren konventionellen Waffen vernichtet und die Gefahr von
Überraschungsangriffen wurde beseitigt.

Die KSZE, vor sieben Jahren in OSZE umbenannt,
fasst keine völkerrechtlich bindenden Beschlüsse. Ihre
politische Strategie ist das Heranführen von Staaten an eu-
ropäische politische Standards, ist das Einbinden und das
Einüben in Rechtsstaatlichkeit und demokratische Ver-
fahren. Die OSZE lebt vom Prozess und vom Dialog, sehr
viel weniger von der Anwendung rechtsverbindlicher
Festlegungen.

Seit dem Fall der Mauer haben sich die Aufgaben
der KSZE gewandelt. Heute stehen der Abbau ethnischer
Spannungen, die Förderung demokratischer und rechts-
staatlicher Strukturen und die Unterstützung der Zivil-
gesellschaft in den europäischen Transformationsländern
im Vordergrund der OSZE-Aktivitäten.

Die OSZE ist darauf angewiesen, dass ihre Mitglieds-
länder kooperieren. Ihre Erfolge sind da am größten, wo
ihre Missionen von den Regierungen selbst unterstützt
werden. So hat die Tätigkeit der OSZE in den beiden bal-
tischen Staaten Estland und Lettland zu einer Verbesse-
rung der Lage der russisch sprechenden Minderheiten ge-
führt, weil die estnischen und lettischen Regierungen von
sich aus den Weg nach Europa gehen und sich dabei eu-
ropäische Standards zu Eigen machen wollten.

Auch in Moldowa – dem ärmsten Land Europas –, wo
es um die Rechte des Turkvolkes der Gagausen ging,
konnte die OSZE erfolgreich Regelungen für ein fried-
liches Zusammenleben aushandeln.

Allerdings ist auch festzustellen, dass sich die OSZE
ausschließlich um Probleme und Konfliktlagen in Ost-
europa sowie im Kaukasus und in Zentralasien kümmert.
Der Nordirland-Konflikt stand nie auf der Tagesordnung
der OSZE. Auch die Auseinandersetzungen im Basken-

land oder in anderen westeuropäischen Regionen haben
für die OSZE bislang keine Rolle gespielt.

Dort, wo die OSZE entscheidend tätig wird – etwa bei
der Wahlbeobachtung und bei der Begleitung und Stär-
kung demokratischer Entwicklungen –, ist oft ihre so
wichtige Institution, die Parlamentarische Versamm-
lung, am Werk. Die OSZE handelt damit zunehmend zi-
vil und greift eine Strategie zur Früherkennung und Lö-
sung von Konflikten auf, die seit dem 11. September
immer mehr an Bedeutung gewinnt: die zivile Krisen-
prävention.

Die OSZE entwickelt sich ständig weiter. Sie hat die
Empfehlungen der Parlamentarischen Versammlung in
vielen Bereichen umgesetzt, womit die Parlamentarische
Versammlung eines ihrer wichtigsten Gremien ist: zum
Beispiel mit der Ernennung eines Beauftragten für Me-
dienfreiheit – immer wichtiger in diesen Tagen –, mit der
Ernennung eines Koordinators für ökonomische und öko-
logische Aktivitäten – ein Junktim, das inzwischen allge-
mein anerkannt sein müsste, aber längst nicht selbstver-
ständlich ist und mittelfristig für alle nur Vorteile bringt;
in diesem Zusammenhang möchte ich auch erwähnen,
dass die Parlamentarier erreicht haben, dass Wirtschafts-
und Umweltaspekte der Sicherheit auf die Tagesordnung
gesetzt wurden –, schließlich mit der Installierung einer
Kontaktstelle für Roma und Sinti innerhalb des ODIHR
und mit der Bestellung eines Beraters für Fragen der
Gleichberechtigung im OSZE-Sekretariat in Wien.

Die Beiträge, die Parlamentarier zu den Aufgaben der
OSZE leisten können, liegen vor allem auf dem Gebiet der
Vertrauensbildung und der Einübung in multilaterale Wil-
lensbildung. Die OSZE stellt ein Forum bereit, in dem
sich etwa Abgeordnete aus Aserbaidschan und Armenien
treffen können oder in dem über kontroverse Fragen zur
NATO-Erweiterung, zur internationalen Kriminalitäts-
bekämpfung oder zu ethnischen Streitfragen gesprochen
werden kann, und dies eben nicht nur bilateral, sondern
multilateral.

Die Parlamentarierversammlungen der OSZE ermögli-
chen die Einübung in demokratische Verfahren und neh-
men durch Dialog und gemeinsame Beschlüsse die Furcht
vor Missachtung. Dies ist insbesondere für kleinere Na-
tionen ein wichtiger Punkt. Sie nehmen auch Einfluss auf
die Tätigkeit der OSZE-Exekutive.

Doch trotz all dieser positiven Aspekte gibt es noch viel
zu tun. Die Krisen im ehemaligen Jugoslawien und in
Tschetschenien haben gezeigt, dass die Handlungsfähig-
keit der OSZE verbessert werden muss. Insbesondere
müssen die Möglichkeiten zur Krisenprävention ausge-
baut werden. Ein Vorschlag zur Verbesserung sieht hier
vor, eine schnelle Einsatztruppe zur Konfliktverhütung
und Krisenbewältigung nach Konflikten bereitzustellen
sowie zivilpolizeiliche Einheiten und unabhängige Ge-
richte einzurichten. Dies hat sicherlich in den letzten Jah-
ren die meisten Schwierigkeiten gemacht und hat auch die
Autorität der OSZE bei Missgriffen infrage gestellt.

Nach wie vor gelingt es der OSZE nicht, entscheidende
Durchbrüche in den lang andauernden Konflikten zum
Beispiel um Berg-Karabach oder zwischen Abchasien
und Georgien zu erreichen. Sie ist zwar in der Lage, den
Ausbruch massiver Gewalt in diesen Regionen zu verhin-




Monika Griefahn

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(D)



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(B)


dern, aber abschließende Regelungen sind bislang ausge-
blieben. Sie war bislang auch außerstande, gravierende
Wahlfälschungen wie in Georgien, Aserbaidschan, Ka-
sachstan oder Usbekistan zu verhindern. Es wäre wichtig,
die OSZE für derartige Aufgaben zu stärken.

Der weitere Erfolg wird ganz entscheidend auch davon
abhängen, ob der territorial größte Mitgliedstaat der
OSZE, die Russische Förderation, zu einem rationalen
und multilateralen Handeln findet.

Bei den zuvor schon angesprochenen Transformati-
onsstaaten in Europa sollte der Schwerpunkt beim Auf-
bau stabiler demokratischer Strukturen auf zwei Gebieten
liegen: beim Aufbau eines demokratischen und funktio-
nierenden Rechtssystems von der Verfassung bis zur
Rechtsverordnung und bei der Stärkung und dem Schutz
einer freien und vielfältigen Presse- und Medienland-
schaft. Das hat uns in der letzten Zeit die meisten Sorgen
bereitet.

Wie gefährlich hier die Verflechtungs- und Konzentra-
tionsprozesse werden können, beobachten wir derzeit mit
Schrecken im Herzen Europas, in Italien. Wenn dies
Schule macht und gesagt wird, dass wir in dem Teil Eu-
ropas, der als Urstück der Demokratie gilt, bereits solche
Konzentrationen haben, wie sollen wir dann die Möglich-
keit haben, dies in anderen Teilen der OSZE oder in neuen
Gebieten zu verhindern?


(Beifall des Abg. Gert Weisskirchen [Wiesloch] [SPD])


Ich denke, dies ist ein großes Problem.
Die OSZE muss sich verstärkt in neuen Gebieten ein-

setzen. Dazu gehören sicherlich die Mittelmeerländer und
die Länder über Zentralasien hinaus. Sie muss aber genau
an diesen zentralen Punkten, die ich genannt habe, anset-
zen und wir müssen Vorbild sein.

Ich wünsche allen Beteiligten eine fruchtbare und er-
folgreiche OSZE-Parlamentarierversammlung hier in
Berlin. Ich freue mich auf unsere ausländischen Gäste und
Kollegen und bin überzeugt, dass wir mit einer gemeinsa-
men Anstrengung und dem Ringen um den besten Weg für
die OSZE auch in den nächsten 30 Jahren eine positive
Entwicklung erreichen werden.

Zum Schluss möchte ich gern noch einen persönlichen
Dank an Frau Professor Süssmuth und an Rita Grießhaber
aussprechen, mit denen ich gerade in diesem Bereich,
aber auch in anderen außenpolitischen Fragen sowie in
Fragen der auswärtigen Kulturpolitik besonders gerne zu-
sammengearbeitet habe. Ich bedanke mich hier für die
konstruktive Zusammenarbeit.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1424521300
Nun hat für
die Fraktion der CDU/CSU die Kollegin Professor
Dr. Rita Süssmuth das Wort.


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1424521400
Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir behandeln heute
Abend den interfraktionellen Antrag mit dem Titel „Par-

lamentarische Dimension und die Zukunft der Organisa-
tion für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa

(OSZE)“. Die parlamentarische Dimension ist – wie wir

eben gehört haben – noch relativ jung. Sie wurde 1991
in Madrid gegründet. Da einige von uns zehn Jahre da-
bei sind, wissen wir um das allmähliche Zustandekom-
men einer Parlamentarischen Versammlung. Gerade in
Berlin wird sich in der übernächsten Woche entscheiden,
ob wir, gerade was Stringenz und Effizienz dieser Parla-
mentarischen Versammlung angeht, ein Stück weiter-
kommen.

Wenn wir in der Bevölkerung fragen, was die OSZE ist,
dann ist die Antwort: Davon habe ich noch nie gehört. – Es
ist eher möglich, etwas über die KSZE zu erfahren, die
Konferenz über die Sicherheit und Zusammenarbeit in
Europa. Allerdings verbinden viele Bürgerinnen und Bür-
ger richtigerweise mit der OSZE: Da ging es doch um
Bürgerrechtsbewegungen in Osteuropa.

Wenn wir diese Bürgerrechtsbewegungen nicht gehabt
hätten, dann wäre es möglicherweise nicht zu all diesen
Durchbrüchen gekommen. Wie wichtig war das für die
Staaten, die den Vertrag unterzeichnet haben! Man hatte
so nämlich eine Berufungsinstanz. Das zeigt wiederum,
wie wichtig institutionelle Absicherungen sind.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)


Die Umbenennung der Organisation 1994 hat das Ver-
ständnis für ihr Wirken nicht unbedingt erhöht.

Es wird immer gesagt, die Charta von Paris sei die
Hauptidee des damaligen amerikanischen Präsidenten
George Bush gewesen; der Beitrag der Europäer wird re-
gelmäßig unterschlagen. Ich möchte deshalb daran erin-
nern, dass zum Beispiel der damalige Außenminister
Genscher keineswegs einen geringeren Anteil an der
Charta von Paris hatte als Präsident Bush.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP sowie des Abg. Gert Weisskirchen [Wiesloch] [SPD])


1990 hatte man die Vision eines demokratischen
OSZE-Raums, eines Raumes von Vancouver bis Wladi-
wostok, in dem Stabilität und Sicherheit herrschen. In der
Charta von Paris hieß es, wie in dem Antrag zitiert wird:

Nun ist die Zeit gekommen, in der sich die jahrzehn-
telang gehegten Hoffnungen und Erwartungen unse-
rer Völker erfüllen: unerschütterliches Bekenntnis zu
einer auf Menschenrechten und Grundfreiheiten be-
ruhenden Demokratie, Wohlstand durch wirtschaftli-
che Freiheit und soziale Gerechtigkeit und gleiche
Sicherheit für alle unsere Länder.

Das war die Erwartung von 1990/91.
Niemand hat sich zu diesem Zeitpunkt vorgestellt, dass

wir sehr bald wieder einen der brutalsten Kriege in Europa
haben würden. Allerdings hat sich auch niemand vorge-
stellt, dass sich die gesamte Sicherheitslage sehr rasch ver-
ändern würde. Ganz praktisch war daran gedacht, das Va-
kuum, das beim Wegfall des Warschauer Paktes entstand,
durch die Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit
auszufüllen und der Konferenz im Rahmen der Demokra-




Monika Griefahn
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(A)



(B)


tisierung eine parlamentarische Dimension zu geben, die
gleichsam die Arbeit der Exekutive begleiten sollte.

Ein Kennzeichen dieser Organisation ist, dass sie sich
im Rahmen der zivilen Prävention bewegt und mit diesen
Instrumenten arbeitet. Sie sieht sich nicht nur als
Frühwarnsystem und nimmt ihre Aufgaben in der Vorbe-
reitung und dem Beobachten von Wahlen wahr, sondern
ist gleichermaßen ein System zum Aufbau von Zivilge-
sellschaften.

Lassen Sie mich an dieser Stelle sagen: Ich habe immer
wieder erlebt, dass man im Zusammenhang mit solchen
Organisationen zwar von Prävention spricht – das ist wie
bei dem Tagesordnungspunkt zur Gesundheitspolitik, den
wir eben diskutiert haben –, sie dann aber doch nicht so
richtig ernst nimmt. Ich weiß das von der Gesundheitspo-
litik und weiß, dass es bei solchen Organisationen wie der
OSZE genauso ist.

Wenn man das Jahr der Konstituierung der Parlamen-
tarischen Versammlung in Budapest mit dem Jahr 2002
vergleicht, dann muss man unweigerlich feststellen: Da-
zwischen liegen die fürchterlichen Ereignisse des 11. Sep-
tember des vergangenen Jahres. Was sagen diese Ereig-
nisse über diese Organisation aus? Wie auch immer es um
ihre Zukunft bestellt ist – das ist ja durchaus unsicher –,
man muss sagen: Es stellt eine sehr wichtige Erfahrung
und einen dadurch in Gang gesetzten Lernprozess dar, wie
wichtig es im Verteidigungsfall ist, sich verteidigen zu
können. Wie wichtig es ist, Gewalt zunächst zu stoppen,
haben wir im Balkankrieg gelernt.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)


Zwar sind zunächst die Mittel der NATO gefragt, aber
auch die Verankerung der OSZE in den Vereinten Natio-
nen ist enorm wichtig.

Ich möchte heute Abend betonen: Die nächsten Jahre
gehören mehr und mehr der Prävention.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)


Unser Kollege Lamers hat es heute schon gesagt: Mit
primär militärischen Mitteln werden wir die Probleme,
vor denen wir stehen, und erst recht den Terrorismus nicht
bewältigen können, sondern von entscheidender Bedeu-
tung sind die Armutsbekämpfung, Demokratisierung, sta-
bile demokratische Institutionen und die Einbindung in
Gewaltächtung sowie eine friedliche Konfliktlösung.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)


Wenn es in diesem Jahrhundert nicht gelingt, den Be-
reich der Prävention und der friedlichen Konfliktlösung
auch dort auszubauen, wo es um andere Probleme geht
– wir werden Ähnliches bei der weltweiten Wanderungs-
bewegung erleben –, wird das in Kriegen enden, mit de-
nen wir bereits jetzt scheußlichste Erfahrungen machen.
Deswegen wird es entscheidend darauf ankommen, dass
es über die Parlamentarier und die Parlamentarierinnen,
die sich um diesen Bereich kümmern, nicht heißt: Tant
pis, da können sie keinen Schaden anrichten, Wichtiges
entscheiden sie doch nicht. Wir werden von Jahr zu Jahr

mehr lernen, dass wir gerade in diesem Feld der Sicher-
heit einen ganzheitlichen Ansatz brauchen: Ökonomie,
Soziales, Ökologie und Kultur, gepaart mit Wissenschaft.
Unsere Probleme werden wir nur gemeinsam lösen kön-
nen.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)


Nicht in Konfrontation und Ausgrenzung, sondern nur im
gegenseitigen Einbeziehen und im Miteinander können
wir die Anforderungen bewältigen.

Dass es bei allen Spannungen, die es in der OSZE ge-
geben hat – bis hin zum Budgetbereich; ich erwähne nur
die Schließung der Missionen in Lettland und Estland –,
zu einer solchen Annäherung in dem neuen NATO-Russ-
land-Rat gekommen ist, ist nicht Ausdruck einer Aus-
grenzungspolitik, sondern einer Einbeziehungspolitik.
Wenn wir in allen Bereichen – auch in der Innenpolitik –
auf diese Weise schrittweise weiterkämen, hätte ich weni-
ger Angst um das Wohl unseres Landes, Europas und der
internationalen Politik.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)


Es geht mir auch um die Feststellung, dass wir gleich-
zeitig sowohl die großen als auch die sehr kleinen Per-
spektiven im Blick haben müssen. Es geht immer noch
darum, ob das Parlament eine Antwort auf seine Resolu-
tionen bekommt. Vielleicht wird es im Rahmen der Trans-
parenz und der Rechenschaftspflicht eine Antwort be-
kommen, aber keine Begründung. Dabei ist für uns
Parlamentarier die Begründung, warum etwas abgelehnt
wird, natürlich sehr wichtig. Es geht auch darum, Missio-
nen miteinander abzustimmen. Ich bin sehr froh, dass die
Bundesregierung dies für genauso wichtig hält wie die
Parlamentarische Versammlung.

Es wird um viel Klein-Klein gestritten, zum Beispiel
um die Fragen, welche Informationen geheim bleiben
müssen und was uns mitgeteilt werden darf, wer woran
teilnehmen darf und wann der Präsident im Ministerrat
sprechen darf. Ich hoffe, dass wir all dies auf der Parla-
mentarischen Versammlung zur Verabschiedung bringen.
Denn viel wichtiger ist – Frau Griefahn hat es eben schon
gesagt –: Wie steht es um die Zukunft der OSZE? Was be-
deutet eine OSZE zum Beispiel für Zentralasien? Wird
diese Organisation eines Tages auch im Mittelmeerraum
möglich sein? Wir dürfen uns davon keine Wunder ver-
sprechen, aber Tatsache ist: Wenn manche Mission recht-
zeitig begonnen worden wäre, wäre sie kriegsverhindernd
gewesen. Gegenwärtig erleben wir, dass die OSZE sehr
viel stärker nach bewaffneten Konflikten als im präventi-
ven Bereich zum Einsatz kommt. Deswegen wünsche ich
mir, dass wir in allen Politikbereichen – das gilt nicht nur
im Sicherheitsbereich – in viel stärkerem Maße von der
Reaktion zur Prävention kommen.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)


Ich schließe mich dem Wunsch an, dass wir eine gute
Versammlung haben werden. Die Eröffnung wird im Ple-
narsaal stattfinden. Sie wissen, dass in außenpolitischen
Fragen die Erwartungen an Deutschland immens sind.




Dr. Rita Süssmuth

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(C)



(D)



(A)



(B)


Ich schließe hiermit meine eigentliche Rede und sage
Ihnen noch Folgendes: Ich weiß, dass ich heute Abend das
letzte Mal an diesem Pult stehe. Es ist ein besonderes Pult.
Ich werde sicherlich noch vor vielen Rednerpulten stehen,
aber nicht vor dem im Parlament. Das bleibt für mich ein
sehr bedeutender Ort. Deswegen habe ich einen Wunsch:
Denken Sie dann, wenn Sie hier Politik bewegen,
zunächst in Debatten und dann mit Entscheidungen, an
die Bedeutung des Wortes, das von Pulten dieser Art aus-
geht, damit Parlamente stets Anlass haben zu sagen: Wir
verteidigen, was das Parlamentarische ausmacht.

Ich nehme Abschied, freudig, aber es ist auch ein Stück
schade.

Danke.

(Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU – Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der FDP und der PDS)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1424521500
Liebe Kol-
legin Rita Süssmuth, es wird noch manche Gelegenheit
geben, Ihre Arbeit in diesem Haus und insbesondere Ihr
zehnjähriges Wirken als Präsidentin des Deutschen Bun-
destages zu würdigen. Was Sie gerade gesagt haben, war
eine kleine Liebeserklärung an dieses Parlament. Ich
möchte dazu von hier aus, sicherlich mit Ihrer Zustim-
mung, sagen: Daran, dass wir in unserem Land in den letz-
ten 50 Jahren eine so friedliche und freiheitliche Ent-
wicklung einer rechtsstaatlichen Demokratie erlebt
haben, hat der Deutsche Bundestag, die Volksvertretung,
einen ganz großen Anteil.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)


Ich beschränke mich heute Abend in diesem kleinen,
vertrauten, aber offensichtlich umso liebenswerteren
Kreis darauf zu sagen: Herzlichen Dank für Ihre Arbeit
und alles Gute für die persönliche Zukunft!


(Beifall im ganzen Hause)

Nun gebe ich der Kollegin Rita Grießhaber für die

Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen das Wort.


Rita Grießhaber (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1424521600

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Allen interna-
tionalen Organisationen stellt sich die Frage nach ihrer
Bedeutung, ihren speziellen Fähigkeiten und ihrer Rolle
in der internationalen Staatengemeinschaft, nicht erst seit
dem 11. September, aber seither ganz besonders. Die An-
forderungen an die Vereinten Nationen werden immer
vielfältiger und anspruchsvoller. Die NATO steht kurz vor
der Erweiterung und vor der Herausforderung, Rolle und
Aufgabenfelder neu zu definieren. Die Europäische
Union erweitert und vertieft sich auf dem Weg, eine Ge-
meinsame Außen- und Sicherheitspolitik mit entschei-
denden militärischen Strukturen zu schaffen.

Was ist die Rolle der OSZE in dieser Situation? Sie
wird – das wurde im Bukarester Aktionsplan bekräftigt –
das Ihrige zum Beispiel im Kampf gegen den Terrorismus
beitragen. Dabei ist klar: Man darf von der OSZE viel er-
warten, aber überfordern darf man sie nicht. Wir wissen,

wo ihre Vorteile, Stärken und Kompetenzen liegen. Sie
muss sich weiter auf das konzentrieren, was sie kann:
Frühwarnung, Krisenmanagement, Konfliktnachsorge
und – das ist ganz entscheidend – Hilfe beim Aufbau de-
mokratischer Institutionen.

In diesem mühsamen Geschäft gibt es weder rasche
noch spektakuläre Erfolge. Es ist kein Geheimnis, dass
sich die Bekämpfung des Terrorismus, wo auch die
OSZE aktiv ist, nicht auf militärisches Vorgehen gegen
Straftäter erschöpfen kann. Regionale Konflikte, Armut
und Unterentwicklung müssen genauso bekämpft werden
wie zum Beispiel Illegalität.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der CDU/CSU)


Zur Verhinderung von Terrorismus gehört sehr viel: die
Bekämpfung von Armut, die Stärkung der Zivilgesell-
schaft, aber auch die Förderung der Rechte von ethni-
schen Minderheiten. Auch das ist eine ganz besondere
Spezialität der OSZE, wo sie sich hohe Kompetenz er-
worben hat.

Die OSZE kann aus der Pluralität und kulturellen Viel-
falt ihrer Teilnehmerstaaten großes politisches Potenzial
schöpfen. Sie kann zur Beruhigung und Stabilisierung der
zentralasiatischen Region, insbesondere der Nachbarländer
Afghanistans, beitragen und sie kann helfen, Widersprüche
zwischen Islamisten und Säkularisten zu überbrücken. Als
optimistisches Beispiel sind die Erfahrungen in Tadschiki-
stan zu nennen, wo sich im Rahmen eines Friedensprozes-
ses Säkularisten und Islamisten auf die Auseinandersetzung
unter Vermittlung der OSZE darüber eingelassen haben,
wie der gemeinsame Staat und das Leben der Muslime in
ihm zu gestalten sind. Das ist ein großer Erfolg.

Die OSZE ist allerdings von einem Konzept für den
Umgang mit der Welt des Islamweit entfernt, sie hat auch
keine spezielle Strategie für den Umgang mit Islamisten.
Jedoch hat sie mit ihrer Konzeption „Sicherheit durch De-
mokratisierung“, welche das Kernstück ihrer Strategie für
Mittelasien bildet, im zentralasiatischen Raum de facto be-
reits auf den islamistischen Fundamentalismus reagiert.

Den Dialog der Kulturen trägt die OSZE erfolgreich in
diese Regionen, zum Beispiel mit einem im Februar orga-
nisierten runden Tisch in Tadschikistan zum Thema „Reli-
gionsfreiheit und freie Meinungsäußerung“ oder mit einer
Konferenz in Kirgisistan zur interreligiösen Toleranz.

Meine Damen und Herren, wo über die Rolle der OSZE
gesprochen wird, dürfen auch Themen wie Handel mit il-
legalen Drogen, Geldwäsche und illegalerWaffenhandel
nicht fehlen. Wir begrüßen die Ergebnisse der internatio-
nalen Konferenz von Bischkek gegen den Terrorismus. Es
gilt, gerade hier die internationale Zusammenarbeit auf
dem Gebiet der Verbrechens- und Terrorbekämpfung zu
intensivieren und die Partnerländer in Zentralasien mit
kompetentem Rat und technischer Hilfe zu unterstützen.

Illegaler Besitz von Waffen und die Verbreitung von
Kleinwaffen stellen ein enormes Gefahrenpotenzial dar.
Hier gilt es, die verschiedenen Exportkontrollregime wei-
terzuentwickeln. Bei der Umsetzung des Kleinwaffendo-
kuments und bei der Vernichtung von Waffen und Muni-
tion hat Deutschland neben technischer Unterstützung




Dr. Rita Süssmuth
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(D)



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(B)


auch Schulungen anzubieten, wie zum Beispiel bei der
Beseitigung von Rüstungsaltlasten in Georgien. Dort hel-
fen deutsche Experten, hochexplosiven Raketentreibstoff
unschädlich zu machen und zu entsorgen, und verhindern
damit, dass er in falsche Hände gelangen kann.

Meine Damen und Herren, dass die Zusammenarbeit von
55 höchst unterschiedlichen Mitgliedstaaten in einem Parla-
ment nicht einfach ist, ist kein Geheimnis; dass das Kon-
sensprinzip die Handlungsfähigkeit stark einschränkt, auch
nicht. Nun ist die OSZE ihrem Charakter nach bei ihrer Ent-
scheidungsfindung vom Mehrheitsprinzip meilenweit ent-
fernt. Aber es wäre schon sehr viel gewonnen, wenn Be-
schlüsse mit so genanntem annähernden Konsens gefasst
werden könnten. Wenn bis auf einige wenige alle einig sind,
wäre sie dann nicht weiter zur Untätigkeit verdammt. So
könnte nicht nur mehr demokratische Transparenz und Of-
fenheit, sondern auch eine größere Politikfähigkeit erreicht
werden. Ich hoffe, dass wir genau dieses auf der Parlamen-
tarierversammlung in Berlin erreichen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP)


Die Parlamentarische Versammlung der OSZE in Ber-
lin wird, wie die vergangenen Parlamentarischen Ver-
sammlungen auch, wieder eine ganz besondere Rolle
spielen. Sie wird in der Praxis des parlamentarischen Dia-
logs die Grundwerte der Demokratie selbst beispielhaft
leben und dafür wünschen wir ihr sehr viel Erfolg.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Einen ganz besonderen Dank möchte ich an dieser
Stelle Ihnen, verehrte, liebe Frau Kollegin Süssmuth, für
die sehr gute Zusammenarbeit in den letzten Jahren sagen.
Sie sind ja Vizepräsidentin der Parlamentarischen Ver-
sammlung der OSZE. Für mich ist es immer wieder eine
ganz besondere Freude, zu erleben, wie Sie insbesondere
dort die weiblichen Abgeordneten mit Ihrem ermutigen-
den Beispiel stärken. Ich bin dafür dankbar, dass ich das
immer wieder miterleben durfte.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP sowie der Abg. Dr. Barbara Höll [PDS])



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1424521700
Frau Kolle-
gin Grießhaber, wie ich gerade höre, ist das auch Ihre
letzte Rede gewesen ist. Daher möchte ich mich auch bei
Ihnen für Ihre Arbeit herzlich bedanken. Dieser Dank sei
von herzlichen und guten Wünschen für Ihre persönliche
Zukunft begleitet.


(Beifall im ganzen Hause)

Nun gebe ich dem Kollegen Dr. Werner Hoyer für die

Fraktion der FDP das Wort – Herr Hoyer, möchten auch
Sie Ihre letzte Rede halten?


(Heiterkeit)



Dr. Werner Hoyer (FDP):
Rede ID: ID1424521800
Herr Präsident, ich bitte,
nicht davon auszugehen, dass ich meine letzte Rede halte.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Und das ist gut so!)


– Und das ist gut so!
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und

Kollegen! Angesichts eines von SPD, CDU/CSU, Bünd-
nis 90/Die Grünen und FDP gemeinsam eingebrachten
und sehr breit unterstützten Antrags ist es kein Wunder,
dass es hier sehr viel Übereinstimmung gibt und dass be-
reits sehr viel Richtiges gesagt worden ist. Ich habe mich
deswegen entschlossen, mein Manuskript zur Seite zu le-
gen und mich auf einige wenige Punkte zu beschränken.

Frau Professor Süssmuth – häufig spreche ich noch von
„Frau Präsidentin“ – hat an vieles erinnert, was zur Ent-
stehungsgeschichte der Parlamentarischen Versammlung
der KSZE gehört. Ich erinnere mich noch sehr genau an
Sitzungen in Madrid, in denen Sie die Verhandlungen für
Deutschland geführt haben. Aufgrund anderweitiger Ver-
pflichtungen haben Sie mir in langen nächtlichen Sitzun-
gen die Verhandlungsführung übertragen. In diesen Ver-
handlungen war völlig klar: Die Erwartungen an die
Parlamentarische Versammlung der OSZE sind sehr un-
terschiedlich, sehr kontrovers. Eine offene Frage war: Wie
ist das Verhältnis zwischen NATO und OSZE? Die Haupt-
sorge der amerikanischen Freunde war, dass es eine Kon-
kurrenzbeziehung gibt, die wir von vornherein ausblen-
den müssen. In diesem Punkt gab es gerade zwischen den
Partnern auf den beiden Seiten des Atlantiks von vorn-
herein keineswegs einen Konsens.

Mein alter Freund Steny Hoyer, ein US-Kongressab-
geordneter aus Maryland, führte damals die amerikani-
sche Delegation. Ich werde nie vergessen, wie nachts um
drei Uhr der spanische Politiker Cortez, der die Ver-
sammlung leitete, sagte: Oh no, it’s Hoyer versus Hoyer
again. Die Verhandlungen waren also gar nicht so einfach,
weil wir erst einmal einen langen Weg hinter uns bringen
mussten, um Meinungsunterschiede zu überwinden.

Wir haben dann große Erfolge von KSZE und OSZE
erlebt. Möglicherweise sind manche Probleme, auch was
Begrifflichkeit und Namen angeht, darauf zurückzu-
führen, dass „Konferenz“ häufig viel zu statisch als ein
Event, als ein Ereignis, bei dem man zusammenkommt
und über etwas verhandelt, und nicht als ein Prozess be-
griffen wird. Natürlich waren KSZE und OSZE von vorn-
herein als Prozess angelegt. Ich bin stolz, dass liberale
Außenpolitiker – von Scheel über Genscher bis hin zu
Kinkel – zum Erfolg von KSZE und OSZE weitgehend
beigetragen haben.

Ich freue mich, dass es gelungen ist, diesen gemeinsamen
Antrag zustande zu bringen. Ich hoffe, dass es gelingen
wird, die Parlamentarische Versammlung wirklich zu stär-
ken. Das heißt – Sie haben es angesprochen –, es gilt, dafür
zu sorgen, dass sie auch von den Regierungen ernst genom-
men wird. Sie sollte übrigens ernster als heute Abend ge-
nommen werden; schließlich glaubt das zuständige Ressort
hier nicht vertreten sein zu müssen, wenn wir über die Par-
lamentarische Versammlung der OSZE diskutieren.


(Siegrun Klemmer [SPD]: Die Ministerin ist doch da!)


– Sehr verehrte Frau Ministerin Wieczorek-Zeul, in allen
Ehren: Diese Angelegenheit ist immer ein Projekt des
Auswärtigen Amtes gewesen und wird es auch immer
bleiben. Und auch das ist gut so!




Rita Grießhaber

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(C)



(D)



(A)



(B)


Ich finde es auch erfreulich, dass wir die Möglichkeit
hatten, einige Ideen in diesen gemeinsamen Antrag ein-
zubringen. Das betrifft zum Beispiel die Frage, inwiefern
wir Konsequenzen aus den Erfahrungen mit KSZE und
OSZE ziehen können, wenn es darum geht, sich mit Kon-
fliktregionen auseinander zu setzen, die, wie der Nahe
Osten, unsere größtmögliche Aufmerksamkeit erfordern.
Auf einer dort stattfindenden Konferenz ähnlichen Typs
müssen verschiedene Körbe, auf die ich jetzt nicht im Ein-
zelnen eingehen kann, zusammengefügt werden, um si-
cherzustellen, dass dort eine umfassende Sicherheitslö-
sung gefunden wird.

Ich bin hinsichtlich eines Punktes etwas unglücklich:
Es ist nicht gelungen, die Frage des Zusammenhangs zwi-
schen OSZE und UNO zu behandeln. Ich bin der Über-
zeugung, dass wir, wenn endlich der große Reform-
prozess der Vereinten Nationen vorankommt, die OSZE
als eine regionale Abmachung im Sinne der Charta der
Vereinten Nationen begreifen und die entsprechenden
Rechte und Pflichten für die OSZE verankern müssen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Ich denke, wir sollten noch einmal darüber sprechen.
Letzter Punkt. Wir müssen die Begriffe klar haben.

Vieles hat uns in der Vergangenheit behindert, weil es
keine wirklich präzise Unterscheidung zwischen Syste-
men kollektiver Verteidigung und Systemen kooperati-
ver Sicherheit gab und gibt. Wir sollten auch heute
sicherstellen, dass diese Dinge nicht miteinander ver-
mischt werden. Denn es ist ganz wichtig, klar zu machen,
dass wir die OSZE niemals als eine Konkurrenzveranstal-
tung zur NATO begriffen haben. Niemals haben wir die
Konkurrenz zwischen kooperativer Sicherheit und kol-
lektiver Verteidigung organisiert. Wir sehen allerdings
sehr wohl, welch wesentlichen Beitrag ein leis-
tungsfähiges System kollektiver Verteidigung für die Er-
reichung der Ziele eines Systems kooperativer Sicherheit
erbringen kann, wie es sich sehr deutlich auf dem Balkan
gezeigt hat und wie ich es mir auch für unsere gemein-
same Arbeit in Afghanistan gewünscht hätte.

In diesem Sinne, Frau Professor Süssmuth, möchte ich
die Kolleginnen und Kollegen, die damals nicht das Glück
hatten, in Madrid dabei sein zu können, noch einmal darauf
aufmerksam machen: Es war ganz wesentlich Ihr persönli-
cher Beitrag, mit dem das zustande gebracht werden konnte,
was aus der Parlamentarischen Versammlung der KSZE ge-
worden ist. Auf einer Veranstaltung, die übernächste Woche
in Berlin stattfinden wird und zu der wir unsere Kolleginnen
und Kollegen aus den Partnerländern sehr herzlich begrüßen
wollen, wird dies weiterentwickelt werden.


(Beifall bei der FDP, der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1424521900
Die Kolle-
gin Heidi Lippmann von der Fraktion der PDS gibt ihre
Rede zu Protokoll.1)

Damit schließe ich die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Frak-
tionen der SPD, der CDU/CSU, des Bündnisses 90/Die
Grünen und der FDP mit dem Titel „Parlamentarische Di-
mension und die Zukunft der Organisation für Sicherheit
und Zusammenarbeit in Europa“. Wer stimmt für den An-
trag auf Drucksache 14/9554?–Wer stimmt dagegen? –Wer
enthält sich? – Der Antrag ist mit den Stimmen des Hauses
bei Enthaltung der Fraktion der PDS angenommen.

Nun rufe ich in dieser freundlichen Abendstunde Ta-
gesordnungspunkt 9 auf:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-

(21. Ausschuss)

Burgbacher, Gudrun Kopp, Rainer Brüderle, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Sperrzeiten für Gaststätten und Biergärten
kundenfreundlicher gestalten
– Drucksachen 14/6188, 14/9520 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Brunhilde Irber

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Erster Redner in der De-
batte ist für die FDP-Fraktion der Kollege Ernst
Burgbacher.


Ernst Burgbacher (FDP):
Rede ID: ID1424522000
Herr Präsident! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Zu später Stunde ist
dies eine Debatte über ein Thema, das gerade jetzt viele
Leute draußen bewegt.


(Zurufe von der SPD)

– Es wäre gar nicht schlecht gewesen, das drüben in der
PG zu machen, aber hier ist der Ort der Entscheidung.

Es ist eine Frage, die nicht wenige Menschen bewegt,
weil viele jetzt in gemütlicher Runde draußen sitzen und
wissen: In einer halben Stunde ist Schluss, weil die Bür-
gersteige bei uns um 22 Uhr hochgeklappt werden. Dies
geschieht selbst in dieser Zeit, in der es ein paar schöne
Tage gibt. Ausländische Touristen, die zu uns kommen,
stehen staunend vor geschlossenen Gaststätten, weil sie es
von Zuhause anders gewohnt sind.

Auch wenn das Thema vielleicht etwas nebensächlich
klingt, ist es für den Tourismusstandort Deutschland
und für den Wirtschaftsstandort Deutschland kein ne-
bensächliches Thema. Deshalb sollte man es einiger-
maßen ernst nehmen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg. Uwe Hiksch [PDS])


Für viele Gaststätten und jetzt insbesondere für Bier-
gärten, Nachtcafés und auch für Diskotheken hängt von
dieser Frage einiges ab. Während viele Regelungen
althergebracht sind – wir haben heute schon im Zusam-
menhang mit anderen Punkten darüber diskutiert –, haben
sich die Lebensbedingungen einfach verändert. Die Men-
schen gehen später aus und sie bleiben gerne länger sit-




Dr. Werner Hoyer
24750


(C)



(D)



(A)



(B)


1) Anlage 7

zen. Wir haben das nie der Sommerzeit angepasst, auch
die alte Regierung nicht; das gebe ich gerne zu. Seit Ein-
führung der Sommerzeit haben wir an den Sperrzeiten
nichts geändert.

In diesem Zusammenhang ist es nicht hinzunehmen,
dass wir als Bundesgesetzgeber zuschauen, wie sich ein
Land nach dem anderen nicht mehr an Gesetze des Bundes
hält. Eine ganze Reihe von Ländern geht mit diesem Thema
völlig anders um; jüngste Beispiele sind Baden-Württem-
berg, Rheinland-Pfalz und Hessen. Es kann nicht sein, dass
wir nicht bereit sind, Regelungen anzupassen, wenn sie in
den Ländern gar nicht mehr eingehalten werden.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Wir beantragen heute ganz konkret zweierlei: Erstens

wollen wir § 18 des Gaststättengesetzes dahin gehend än-
dern, dass die Regelung wegfällt, dass Länder eine Sperr-
zeitenverordnung erlassen müssen. Damit wollen wir die
Länder zwingen, über ihre Regelungen nachzudenken.
Vor allem aber wollen wir die Verfahrenslast umdrehen.
Heute bedeutet es bürokratischen Aufwand, wenn ein
Gastwirt eine Ausnahmegenehmigung von der Sperrzei-
tenregelung beantragt; außerdem muss er bei jedem An-
trag neu dafür bezahlen. Käme der Bundestag dieser For-
derung der FDP nach, entfielen künftig der bürokratische
Aufwand ebenso wie die Kosten für den betroffenen Gast-
wirt. Wir sind davon überzeugt, dass es der richtige Weg
wäre, wenn über diese Fragen in den Ländern oder – noch
besser – in den Kommunen entschieden würde.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Zweitens. Im Hinblick auf die Außengastronomie

haben wir eine seltsame Gesetzeslage. Eigentlich gibt es
gar keine Verordnung. Das Thema ist aus den Lärm-
schutzverordnungen herausgenommen. Die Gerichte be-
rufen sich aber nach wie vor auf sie und entscheiden, dass
um 22 Uhr Schluss ist. Hieraus hat das Parlament bisher
keine Konsequenzen gezogen. Das kann es aber nicht
sein. Was für die Sportstätten gilt – niemand von uns
zweifelt daran, dass es richtig ist, dass ein Fußballspiel
stattfinden kann –, soll jetzt genauso für die Außengas-
tronomie gelten. Wir wollen eine neue Bundes-Immissi-
onsschutzverordnung, die menschlichen Lärm anders als
Maschinenlärm regelt. Es ist doch etwas ganz anderes, ob
Menschen lachen oder ob irgendwo eine Maschine
dröhnt. Wir erbitten auch für diese Änderung Ihre Zu-
stimmung.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie des Abg. Uwe Hiksch [PDS])


Meine Damen und Herren, die Menschen, die jetzt
draußen in den Biergärten sitzen, verstehen wirklich
nicht, was wir machen. Warum lassen wir den Menschen
denn nicht ihre Freude?


(Sylvia Voß [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Lassen wir ihnen doch!)


Warum sagen wir denn nicht, ob dies als störend empfun-
den wird oder nicht, sei eine Frage der Toleranz, die vor
Ort von den Beteiligten entschieden werden muss?
Warum müssen wir eigentlich alles und jedes von Berlin
aus regeln? Wir wollen das nach unten verlagern.

Nun weiß ich natürlich, liebe Kollegin Bruni Irber, wie
die Mehrheitsverhältnisse heute aussehen werden.


(Uwe Hiksch [PDS]: Die Sozis sind einfach lustfeindlich!)


Ich empfinde das als schade. Bei Einbringung unseres An-
trages hat der damalige Staatssekretär Siegmar Mosdorf
gesagt, er halte dies für eine gute Sache, die verwirklicht
werden sollte.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Darum hat er gehen müssen! Jetzt ist der Staffelt hier!)


In der letzten Debatte hat meine sehr geschätzte Kollegin
Bruni Irber gesagt, sie stehe dem FDP-Antrag sehr wohl-
wollend gegenüber. Dies kann man dadurch unter Beweis
stellen, dass man nachher an der richtigen Stelle die Hand
hebt; so einfach ist das.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie des Abg. Uwe Hiksch [PDS])


In der letzten Debatte – manchmal lohnt es sich, das
Protokoll nachzulesen – hat die seinerzeit amtierende
Vizepräsidentin Anke Fuchs von der SPD die Debatte
mit dem Hinweis geschlossen, sie hoffe, dass die Neure-
gelung so zügig verabschiedet werde, dass wir alle im
nächsten Sommer davon profitieren können. Wenn so viel
Schönes gesagt wird, dann gibt es nur eines: Stimmen Sie
unserem Antrag heute zu! Springen Sie über den Schatten,
auch wenn er von der FDP kommt! Es ist vernünftig,
wenn wir für eine Mehrheit im Sinne unserer Bürger und
vieler Gastwirte sorgen. Damit machen wir einen Schritt
zur Entbürokratisierung und zu weniger Kosten. Ich bitte
Sie herzlich um Ihre Zustimmung.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie des Abg. Uwe Hiksch [PDS])



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1424522100
Ich erteile der
Kollegin Brunhilde Irber für die Fraktion der SPD das Wort.

Brunhilde Irber (SPD) (von der SPD mit Beifall be-
grüßt): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Sommerzeit, Biergartenzeit – wunderbare Zeit!


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der FDP und der PDS)


Unsere Fraktion unterstützt einhellig das Ziel des Antrags
der FDP.


(Beifall des Abg. Ernst Burgbacher [FDP] – Ernst Burgbacher [FDP]: Bravo!)


In der Debatte in unserer Fraktion hat meine Aussage,
dass wir die Sperrzeiten in Biergärten verkürzen wollen,
große Zustimmung erfahren.


(Uwe Hiksch [PDS]: Bravo!)

Den sofort einsetzenden Protesten von Bürgerinnen und
Bürgern, die große Sorge um eine Liberalisierung der Sperr-
zeiten haben, sind wir gezielt entgegengetreten. Zusammen
mit dem DEHOGA haben wir Überlegungen dazu ange-




Ernst Burgbacher

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(C)



(D)



(A)



(B)


stellt, wie eine pressewirksame Öffentlichkeitsarbeit ent-
wickelt werden kann, um in der Bevölkerung das Ziel der
Veränderung der Sperrzeiten zustimmungsfähig zu machen.


(Ernst Burgbacher [FDP]: Das ist es doch schon!)


Wir wissen auch, dass eine Vielzahl von Gaststätten
insbesondere in der Sommerzeit durch Biergärten das
Geld verdienen muss, mit dem sie ihren Betrieb im Win-
ter über die Runden bringen und damit auch Stammkräfte
in der einkommensschwächeren Zeit als Mitarbeiter be-
halten kann. Wir wissen ebenso, dass eine Bundes-Im-
missionsschutzverordnung aber niemals in der Lage sein
kann, effizient zwischen menschlichem Lärm und Ma-
schinenlärm zu differenzieren. Wir wissen auch, dass die
Sperrzeiten in der Außengastronomie die Stimmungs-
bremse schlechthin sind. Wenn es um 22 Uhr heißt;
Schluss der Vorstellung, dann schafft dies Unmut bei den
Gästen und verhindert Umsätze.

Aber trotzdem kommen wir an einem Punkt nicht vor-
bei. Lieber Kollege Ernst Burgbacher, euer Antrag zielt
darauf ab, in die ausschließliche Entscheidungshoheit
der Länder in Sachen Sperrzeiten einzugreifen


(Ernst Burgbacher [FDP]: Nein, überhaupt nicht!)


und aus der bisherigen Länderkompetenz eine Bun-
deskompetenz zu machen. Dabei spielen unsere Länder
und auch die B-Länder nicht mit.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Ernst Burgbacher [FDP]: Ihr müsst lesen!)


Jedes Bundesland, das eine liberalere Regelung
wünscht, kann diese treffen. Das hast du eben anhand des
Beispiels Baden-Württemberg bewiesen. Aber wenn wir
den Antrag der FDP umsetzten, dürfte kein Land mehr
eine eigenständige Entscheidung treffen.


(Ernst Burgbacher [FDP]: Doch, erst recht!)

Dies geht nicht nur mit dem Freistaat Bayern nicht, son-
dern auch nicht mit den Ländern, in denen die FDPmit in
der Regierung ist.


(Ernst Burgbacher [FDP]: Das ist doch völlig falsch!)


Sonst ist die FDP doch immer für die Subsidiarität; hier
macht sie auch Sinn. Wie wollen wir von Berlin aus wis-
sen, welche Sperrzeitverkürzung im Bayrischen Wald oder
an der Nordsee für die Anwohnerschaft vertretbar ist?


(Uwe Hiksch [PDS]: Im Bayrischen Wald sehr lange!)


– Ja, denn bei uns gibt es keine so dicht besiedelten Ge-
biete. Das ist richtig.

Deshalb meine ich, das sollte am besten vor Ort von
den Ländern bzw. von den Kommunen entschieden
werden.

Eine Regelung über eine BImSchV Außengastrono-
mie entwickelt doch genau die Bürokratie, die auszuwei-
ten ihr uns in jeder Sitzung vorwerft. Man stelle sich ein-
mal dieses Szenario vor: Es wird ein Grenzwert

festgelegt; ein Anwohner hat aber das Gefühl, dieser sei
überschritten, und ruft die Polizei. Sie müsste dann an-
rücken und mit einem Lärmmessgerät ausgestattet sein,
das circa 500 Euro kostet, und müsste eine gerichtsfeste
Auswertung des gemessenen Wertes liefern.


(Zuruf von der CDU/CSU: Völlig neben dem Thema!)


Anschließend ginge es in der bürokratischen Mühle wei-
ter. Da kann ich nur sagen: Oh heiliger Bürokratius!


(Ernst Burgbacher [FDP]: Das ist doch völlig falsch! Das ist doch Quatsch!)


Deswegen können wir eurem Antrag in der vorgelegten
Fassung nicht zustimmen. Wir fordern die FDPdeshalb auf,


(Ernst Burgbacher [FDP]: Unglaublich!)

in allen Länderparlamenten Anträge mit der Maßgabe
zu stellen, dass die Länder nicht über komplizierte Be-
stimmungen, sondern per Beschluss eine großzügigere
Regelung in die jeweiligen Landesverordnungen über die
Sperrzeiten einbauen. Unser Vorschlag für eine solche
Regelung wäre, in den Monaten, in denen die Sommerzeit
gilt, der Außengastronomie eine um eine Stunde verkürzte
Sperrzeit zuzubilligen. Mit anderen Worten: Wir legen
fest, dass die Sperrzeit auf 22 Uhr mitteleuropäischer Zeit
festgeschrieben wird. Das würde automatisch bedeuten,
dass sie bei der mitteleuropäischen Sommerzeit um eine
Stunde nach hinten auf 23 Uhr verlegt würde.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Nehmen wir doch westeuropäische Sommerzeit!)


Wir wissen den DEHOGA bei einer Kampagne an unse-
rer Seite, um eine solche Veränderung durchzusetzen.

Ich will aber trotzdem daran erinnern, dass eine solche
Änderung mit der allgemeinen Nachtruhe kollidiert. Ent-
sprechende Schadenersatzansprüche bleiben bestehen.
Wenn man dieses Problem grundsätzlich angehen will,
muss man eben alle Gesetze verändern, die heutzutage die
Nachtruhe auf 22 Uhr festschreiben.


( V o r s i t z : Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer)


Es tut mir außerordentlich Leid, aber der Antrag ist
eben nicht auf eine Entscheidung im Bundestag orientiert,


(Ernst Burgbacher [FDP]: Ihr müsstet den Antrag mal lesen, da steht etwas ganz anderes drin!)


sondern kann sich nur an die Länder richten. Mit unserem
Tourismusförderprogramm haben wir bereits erreicht,
dass alle Länder außer Bayern eine großzügigere Neure-
gelung bei der allgemeinen Sperrzeit geschaffen haben.
Das wünschen wir uns auch für die Biergärten. Ich fordere
die CSU-Abgeordneten in diesem Saale auf, in Bayern in
ihrem Regierungslager dafür zu sorgen, dass die allge-
meine Sperrzeit wie in den anderen Bundesländern auf die
Besenstunde verkürzt wird.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)





Brunhilde Irber
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Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1424522200
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Ernst Hinsken.


Ernst Hinsken (CSU):
Rede ID: ID1424522300
Verehrte Frau Präsiden-
tin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Stellen Sie sich
vor, Sie säßen jetzt im Biergarten und müssten schnell
trinken, damit Sie bis 22 Uhr das Glas leer haben, weil um
22 Uhr geschlossen wird. Verehrte Frau Kollegin Irber,
das, was Sie hier vorgeführt haben, war ein Eiertanz par
excellence.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie des Abg. Uwe Hiksch [PDS])


Wenn man von einer Sache so überzeugt ist, wie Sie das
meinten, zum Ausdruck bringen zu müssen, dann sollte
man auch dafür eintreten. Aber leider tun Sie das nicht.


(Brunhilde Irber [SPD]: Sie sind immer für die Subsidiarität, in Europa und überall!)


Mehr als ein Drittel aller Bürger wollen in diesem Jahr
den Sommerurlaub zu Hause verbringen, wie Meinungs-
forscher herausgefunden haben. Wer aber seinen Urlaub
schon auf Balkonia verbringt, geht abends natürlich gerne
einmal in einen Biergarten oder in ein Straßencafe;


(Beifall des Abg. Klaus Brähmig [CDU/CSU] – Uwe Hiksch [PDS]: Oder in zwei!)


schließlich möchte man sich ein Stück annehmbares Le-
bensgefühl nach Hause holen. Was erwartet den Urlauber
da? – Gerade dann, wenn es gemütlich wird, werden die
Stühle hochgestellt. In keinem anderen europäischen
Land gibt es eine ähnlich rigide Sperrzeit wie bei uns.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Bei den meisten unserer Nachbarn kennt man sogar über-
haupt keine Sperrzeiten.


(Georg Pfannenstein [SPD]: In Niederbayern und in der Oberpfalz nicht!)


Eine flexiblere Gestaltung der Sperrzeitenregelung in
der Außengastronomie ist daher längst überfällig. Ich
möchte den Kollegen Burgbacher nachhaltig unterstützen
und ihm Recht geben.


(Beifall bei der FDP)

Bisher müssen die Biergartenwirte meist kostspielige
Sondergenehmigungen einholen, bevor sie auch nach
22 Uhr ihren Gästen noch ein kühles Bier servieren kön-
nen.


(Uwe Hiksch [PDS]: Oder zwei!)

Unser Ziel muss es sein, dieses Verfahren zu ändern; da
pflichte ich der Frau Kollegin Irber bei – sie möchte, aber
sie kann nicht und darf nicht.


(Brundhilde Irber [SPD]: Weil ich die Länderhoheit achte!)


Wir meinen, die Sperrzeit sollte auf 24 Uhr verlängert
werden. Um den Interessen von Anwohnern und Nach-
barn Rechnung zu tragen, muss den Städten und Gemein-
den aber die Möglichkeit gegeben sein, im Einzelfall
strengere Regelungen zu treffen. Vor Ort ist man nämlich

am besten in der Lage, die lokalen und kulturellen Be-
sonderheiten zu berücksichtigen.

Den verantwortlichen Bürgermeistern stellt sich aller-
dings das Problem, wie sie Geräusche, die der Betrieb ei-
ner Außengastronomie verursacht, beurteilen sollen. Es ist
doch unmöglich: Aus Hilflosigkeit behandeln Behörden
und Gerichte Lärm aus menschlicher Kommunikation ein-
fach wie Industrielärm. Kann man aber Reden und La-
chen wirklich mit Bohren, Hämmern oder Sägen verglei-
chen? Bei den Sportanlagen wurde dieses Problem
erkannt; daher gibt es seit einigen Jahren eine Immissi-
onsschutzverordnung für Sportstätten. Deshalb fordern
wir mit der FDP die Bundesregierung auf, eine entspre-
chende Verordnung für die Außengastronomie zu erlassen.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP)

Seit immer mehr Gewerbe- und Einzelhandelsansiedlungen
auf der grünen Wiese die Kundenströme anziehen, haben
unsere Innenstädte eine Wiederbelebung dringend nötig.
Insbesondere die abendliche Öffnung von Straßencafés und
Außenterrassen könnte hierzu wesentlich beitragen. Eine
größere Attraktivität der Innenstädte käme wiederum dem
Tourismusstandort Bundesrepublik Deutschland zugute.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Brunhilde Irber [SPD]: Dort, wo die Innenstädte entvölkert sind!)


Aber nicht nur der Tourismusstandort, sondern auch un-
ser Gastgewerbe hätte etwas von dieser Regelung. Das
Statistische Bundesamt hat für April dieses Jahres immer-
hin einen Umsatzrückgang von vier Prozent im Ver-
gleich zum Vorjahreszeitraum vermeldet.


(Rolf Bindig [SPD]: Das hatte ja wohl andere Gründe!)


Die Gastwirte könnten dieses Bonbon wirklich gut
gebrauchen, sind sie doch durch die Neuregelung der
325-Euro-Jobs und durch die Ökosteuer von Ihnen arg ge-
beutelt worden. Deshalb sollten diese Änderungen vorge-
nommen werden.


(Beifall bei der FDP)

Die Außengastronomie ist aber nur eine Seite der Me-

daille. Der Antrag der FDP-Fraktion zielte im zweiten Teil
auf die Freigabe der Sperrzeit für die Innengastronomie.
Dies macht natürlich auch Sinn, denn gerade in den Groß-
städten haben sich die Lebensgewohnheiten der Bürger in
den letzten Jahren entscheidend verändert. Dies gilt ins-
besondere für die Jugend. Die Sperrzeiten bei der Innen-
gastronomie sind von Bundesland zu Bundesland sehr un-
terschiedlich geregelt.


(Brunhilde Irber [SPD]: Genau! Wer die Sperrstunde verlängern möchte, braucht eine Ausnahmegenehmigung, die natürlich Geld kostet. Somit haben wir schon wieder zwischen den Bundesländern Wettbewerbsverzerrungen, ganz zu schweigen von den Wettbewerbsverzerrungen im Grenzgebiet zum Ausland. Daher sollte man sich die Änderung des § 18 des Gaststättengesetzes wirklich einmal durch den Kopf gehen lassen: Denn vom Grundsatz her gibt es keine Sperrzeiten; den Ländern und Kommunen bleibt es freigestellt, angepasst an die örtlichen Gegebenheiten, Sperrzeitenregelungen zu erlassen oder eben nicht. (Sylvia Voß [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Eben!)


(Brunhilde Irber [SPD]: Verkürzen!)


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)





(C)


(D)


(A)


(B)


Der Interessen der ruhebedürftigen Anwohner wird auf
dieser Basis ebenso entsprochen, wie es durch die der-
zeitige Regelung der Fall ist. Die zumeist mittelständi-
schen Gastwirte würden indes erheblich entlastet und der
Steuerzahler bekäme gleichzeitig einen schlankeren
Staat.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, wenn der Bürger
schon tagsüber fast nicht mehr erträglich durch Bürokra-
tie gegängelt wird,


(Georg Pfannenstein [SPD]: Was? Aber nur in Bayern!)


dann sollte er wenigstens am Abend unbürokratisch sein
Bier trinken können. Diese Meinung vertreten wir.


(Beifall bei der CDU/CSU – Widerspruch bei der SPD)


– Sie auf der linken Seite des Hauses erwecken den Ein-
druck, als kämen Sie eben aus einem Biergarten. Diesen
Eindruck vermitteln Sie mir.


(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU – Laute Unterhaltungen bei der SPD!)


– Ich glaube, ich liege mit dieser Einschätzung nicht ganz
falsch. Aber ich möchte das lobend hervorheben, weil Sie
dadurch der Hotellerie und Gastronomie einen Schub ge-
geben haben, den Sie ihr durch eine politisch falsche Wei-
chenstellung entzogen haben.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1424522400
Herr Kollege
Hinsken, wollen Sie eine Zwischenfrage beantworten?


Ernst Hinsken (CSU):
Rede ID: ID1424522500
Ja.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1424522600
Bitte.


Karin Kortmann (SPD):
Rede ID: ID1424522700
Herr Kollege Hinsken, bei
aller Ernsthaftigkeit in der Diskussion um das Thema
Sperrstunde frage ich mich: Meinen Sie nicht auch, dass
es, wenn wir über die 22-Uhr-Regelung nachdenken, ver-
nünftiger wäre, wenn der Mann bei der Frau und die Frau
beim Mann wäre, damit Familienleben noch gelingen
kann?


(Heiterkeit und Beifall im ganzen Hause)



Ernst Hinsken (CSU):
Rede ID: ID1424522800
Wenn ich die Möglich-
keit habe, in einen Biergarten zu gehen, dann ist meine
Frau selbstverständlich dabei.


(Heiterkeit und Beifall im ganzen Hause)


Im Gegenteil vielleicht zu Ihnen werde ich von meiner
Frau immer wieder animiert, hin und wieder eine Stunde
Zeit zu opfern, um mit ihr wenigstens bis 22 Uhr einen
Biergarten aufsuchen zu können. Dann habe ich alle Not,
ihr klar zu machen, dass ich gerne länger bleiben würde,
aber die SPD dagegen ist.

Danke schön.

(Heiterkeit und Beifall im ganzen Hause)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1424522900
Das sind die De-
batten an einem Sommerabend. – Das Wort hat jetzt die
Abgeordnete Sylvia Voß.


Sylvia Voß (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1424523000
Sehr ge-
ehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Auch ich wäre lieber heute Abend mit meinem Mann in
einem Biergarten; aber leider hindert mich die FDP daran.
Das finde ich nicht ganz fair.


(Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Heute ist Dienst-Tag! Heute müssen wir arbeiten!)


Erst vor einer Woche war Sommeranfang und wir hat-
ten schon ein paar schöne Abende, eigentlich ein zünfti-
ger Auftakt. Wenn wir aber das Wort „zünftig“ hören, fällt
uns sogleich der Bayer in der Krachledernen oder die
Bayerin im Dirndl ein. Denn in wohl keinem anderen
Land gehören die Biergärten fester zur Freizeitgestaltung
als in Bayern.


(Hans Büttner [Ingolstadt] [SPD]: In Berlin aber auch!)


Aber ausgerechnet in Bayern – wie wir wissen, der
Hochburg der CSU, Herr Hinsken – hat vor wenigen Ta-
gen jemand klar gemacht, dass an der Sperrzeit festgehal-
ten wird.


(Brunhilde Irber [SPD]: Hört! Hört!)

Wie erklären Sie sich das? Wieder einmal stellt die
CDU/CSU-Fraktion in diesem Parlament ihr Talent unter
Beweis, in der Opposition immer alles zu kritisieren oder
zu fordern, was sie in ihrer eigenen Regierungszeit nicht
gemacht hat.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Bemerkenswert ist auch die Begründung aus Bayern;
denn in Bayern – ich zitiere aus einem Artikel der „Süd-
deutschen Zeitung“ – „vertritt man die Auffassung, dass
die Stadt“ – gemeint ist München – „sowieso schon liberal
mit der Verordnung umgeht“. Genau das ist der Punkt. Die
derzeitige Handhabung der Sperrzeitenregelung ist näm-
lich schon jetzt kundenfreundlich. Es gelten zwar deutsch-
landweit Sperrfristen, aber – das haben Sie selbst zugege-
ben – sie können durch Ausnahmen individuell an die
jeweilige Einrichtung und Umgebung angepasst werden.
Das regeln die Länder. In vielen Fällen geben sie die Kom-
petenz auch an die betreffenden Kommunen ab, da diese
sich von der Situation vor Ort ein noch viel genaueres Bild
machen und der Lage angemessen entscheiden können.




Ernst Hinsken
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(C)



(D)



(A)



(B)


In der Debatte vor einem Jahr waren wir uns alle rela-
tiv darin einig, dass sich die Lebensgewohnheiten vieler
Menschen geändert haben. Wir zogen daraus den Schluss,
dass längere Ausschank- und Öffnungszeiten für die vie-
len Biergärten, Weinstuben und Lokale attraktiv wären
und somit auch durchaus touristischen Wert hätten.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Wieder eine mehr, die zustimmt! Die stimmt heute zu!)


Doch in einer Sache waren wir uns nicht einig. Die Ab-
geordneten der FDP und der CDU/CSU vergaßen nahezu
komplett, dass Anwohner auch noch Bedürfnisse haben.
Diese Tatsache haben sie total ausgeblendet.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Ernst Burgbacher [FDP]: Überhaupt nicht!)


Zwar lieferten die lieben Kollegen halbherzige Mitleidsbe-
kundungen in Richtung der Anwohner; aber das musste rei-
chen. Tenor war, dass es sich doch nur um ein paar warme
Tage im Jahr handele und dass es schon gut gehen werde.
Das unterscheidet uns aber von Ihnen: Wir versuchen näm-
lich, optimale Lösungen für alle Beteiligten zu finden. Des-
wegen können wir dem Antrag der FDP nicht zustimmen.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Das darf doch nicht wahr sein!)


Wir wollen uns doch nichts vormachen, Herr Hinsken.
Es geht doch nicht nur um die paar Tage, die wirklich
warm und schön sind und an denen man in diesen nördli-
chen Breiten draußen sitzen kann. Schon bei den ersten
Sonnenstrahlen im März oder April werden Stühle und
Tische herausgeholt. Die Wirte scheuen auch schon längst
nicht mehr vor der Anschaffung von Wärmestrahlern
zurück, die man herausstellen kann, damit man noch im
Oktober lange an der frischen Luft sitzen kann, weil es
den Gästen wohlig und warm ist.


(Ernst Burgbacher [FDP]: Das ist doch schön!)

– Ich gebe Ihnen Recht, dass das schön ist. Aber wir müs-
sen auch die Belange der Anwohner berücksichtigen.


(Ernst Burgbacher [FDP]: Rot-Grün muss immer vorschreiben, was die Menschen zu tun haben!)


Zurück zu Ihren völlig richtigen Bemerkungen, dass
sich die Lebensgewohnheiten ändern und dass man auf-
grund der veränderten Arbeitsbedingungen später mit
dem Feiern beginnen kann. Leider ist Ihnen nicht in den
Sinn gekommen – eine Kollegin hat eben schon von ihrem
Bedürfnis gesprochen –, dass nicht alle Menschen, die
erst um 19, 20 Uhr oder – wie wir – noch viel später das
Büro verlassen, schnurstracks in den nächsten Biergarten
laufen. Nein, auch in die entgegengesetzte Richtung ha-
ben sich Lebensgewohnheiten geändert. Viele Menschen
sehnen sich heute einfach nach mehr Ruhe. Wo kämen
wir denn hin, wenn diese Ruhe zu keiner Zeit mehr und
nicht einmal in den eigenen vier Wänden garantiert wer-
den könnte?

Vielerorts haben sich Clearingstellen bewährt – das
wissen wir –, in denen man versucht, die gegnerischen
Seiten zu einem Kompromiss zu führen. Das funktioniert
auch in den meisten Fällen. Wir wollen, dass dieser Weg

weiter beschritten wird. Allerdings – das ist Ihnen offen-
sichtlich entgangen oder Sie blenden das immer wieder
aus – verzeichnen wir eine Zunahme der Beschwerden.
Das heißt: Rücksichtslosigkeit ist durchaus an der Tages-
ordnung. Wohin würde es wohl führen, wenn wir die
Sperrzeiten ganz aufgeben und den Weg für die große
Tag-und-Nacht-Party frei machen würden?

Herr Hinsken hat vorhin gesagt, dass es diese Sperr-
zeiten in keinem anderen europäischen Land geben
würde. Ich kann hier konstatieren, dass es in keinem an-
deren europäischen Land so viel Rücksichtslosigkeit, so
viel lautes Grölen und so viel Randale in bier- und wein-
seliger Laune gibt.


(Ernst Burgbacher [FDP]: Ach was! Was soll das?)


Das ist wohl wahr. Wer in der Toskana war, hat feststellen
können, dass dort nicht so herumgegrölt wird wie in
Deutschland. Auch in der Provence gibt es das nicht.


(Ernst Burgbacher [FDP]: Gott sei Dank sagen uns die Grünen genau, was wir tun müssen!)


Dort geht es trotz der Möglichkeit, lange draußen zu sit-
zen, viel ruhiger und romantischer zu.

Ich sage Ihnen noch einmal: Schon jetzt gibt es für die
Kommunen die Möglichkeiten individueller Regelungen.
Warum brauchen Sie dann diesen bier- bzw. weinseligen
Antrag zu dieser Zeit? Wir unterstützen die von Ihnen ge-
zogenen Schlüsse nicht und sagen Nein zu Ihrem Antrag.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie der Abg. Dr. Heinrich Fink [PDS])



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1424523100
Die Kollegin
Neuhäuser hat gebeten, Ihre Rede zu Protokoll geben zu
dürfen.1)


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Aber der Parlamentarische Staatssekretär Ditmar Staffelt
möchte sprechen.


(Heiterkeit bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


D
Dr. Ditmar Staffelt (SPD):
Rede ID: ID1424523200
Frau Präsidentin!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Als Freund der
Biergärten möchte ich hier noch unbedingt etwas sagen,


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

obwohl ich nach den Einwendungen des Kollegen
Hinsken das Gefühl habe, dass ich etwas überfordert bin.


(Beifall des Abg. Ernst Hinsken [CDU/CSU] – Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Eine gute Erkenntnis!)





Sylvia Voß

24755


(C)



(D)



(A)



(B)


1) Anlage 8

Eines möchte ich feststellen: Als Berliner haben wir die
mit langen Öffnungszeiten von Biergärten verbundenen
Probleme nicht so unmittelbar, obwohl es auch hier sehr
differenzierte Situationen gibt. Wir alle wollen im Bier-
garten sitzen, Herr Hinsken, und das mit oder ohne Frau
bzw. mit oder ohne Mann, je nachdem, wie es gerade
passt. Wir wollen der Wirtschaft in unserer Stadt und in
unserem Land dazu verhelfen, mehr Umsätze zu machen
und attraktiver zu erscheinen.

Auch mich beunruhigen die zwischen den einzelnen
Bundesländern bestehenden Unterschiede bei den Öff-
nungszeiten von Biergärten und die daraus folgenden
Wettbewerbsverzerrungen sehr. Jede Landesregierung,
jede Kommune ist gehalten, ihre Spielräume auszuschöp-
fen; Sie wissen das.

Ich habe übrigens gehört, Bayern soll, was die Bier-
gärtenöffnungszeiten betrifft, die rote Laterne erhalten ha-
ben. Kann das sein, Herr Hinsken?


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS – Klaus Brähmig [CDU/CSU]: Unmöglich! – Ernst Hinsken [CDU/CSU]: In den Biergarten passt keine rote Laterne! In Bayern gibt es nur schwarze Laternen!)


Es soll einschlägige Gerichtsurteile geben, bis hin zu ei-
nem Urteil zum Sperrbezirk, über den im Rahmen der
neuen deutschen Welle gesungen worden ist.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Da ging es aber nicht um den Biergarten, sondern um et-
was anderes, was sich in Ihrer Landeshauptstadt abge-
spielt haben soll.

Auf jeden Fall sollten wir die Kirche im Dorf lassen.
Ich habe ganz große Probleme damit,


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Das sieht man!)

dass die Partei der Freiheit, der Liberalität und der Dere-
gulierung auf einmal fordert, die Öffnungszeiten vor Ort
möglichst europarechtlich zu regeln, um dem Ganzen ein
Dach zu verleihen, das Ganze aber zumindest in einer
bundeseinheitlichen Regelung zu klären.


(Ernst Burgbacher [FDP]: Das stimmt doch nicht! Lesen Sie das doch einmal nach!)


Ist das alles nicht ein bisschen übertrieben, liebe Kolle-
ginnen und Kollegen?


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Lassen wir die Kirche im Dorf und überlassen wir dem

Dorfschulzen die Entscheidung, ob er an der einen oder
anderen Ecke in dieser oder in jener Weise arbeiten
möchte! Das wird sich schon richten. Vielleicht ist dieser
Antrag ja auch damit zu verbinden, dass die FDP im
kommunalen Bereich relativ spärlich vertreten ist.


(Walter Hirche [FDP]: Man sollte nicht von Berlin auf andere schließen!)


Vor diesem Hintergrund hat die FDP das Problem, dort
nicht ihre Finger im Spiel zu haben.

Bei aller Sympathie für lange Öffnungszeiten von Bier-
gärten apelliere ich an Sie: Seien Sie an dieser Stelle libe-
ral, offen und weiterhin dezentral orientiert! Das ist der

Weg, auf dem wir am ehesten einen Kompromiss zwi-
schen demjenigen finden, der sich vielleicht durch Lärm
belästigt fühlen könnte, und demjenigen, der gerne noch ein
oder zwei Stunden länger seinen Schoppen trinken würde.

Eines füge ich hinzu: Man kann im Übrigen auch durch
die Wahl des Biergartens entscheiden, ob man länger in
demselben verweilen darf oder nicht. Das hängt eben im-
mer ein bisschen davon ab, ob es sich um einen Biergar-
ten in einem dicht besiedelten Ortsteil oder gegebenen-
falls eher an der freien Luft, in der Nähe eines Waldes oder
einer Wiese, handelt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Der hat keine Ahnung!)


Insofern sollten Sie hier differenzieren, sich öffnen und
Ihrer liberalen Grundgesinnung zum Durchbruch verhel-
fen. Das wäre mein Vorschlag, Herr Kollege.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1424523300
Gestatten Sie
denn eine Zwischenfrage, Herr Staatssekretär?

D
Dr. Ditmar Staffelt (SPD):
Rede ID: ID1424523400
Immer.


(Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Nein!)


– Eine Zwischenfrage darf er. Wir haben jetzt 22 Uhr,
noch könnten wir im Biergarten weitermachen. Also las-
sen Sie ihn bitte ran.


Ernst Burgbacher (FDP):
Rede ID: ID1424523500
Herr Staatssekretär Staffelt,
wären Sie wenigstens bereit, unseren Antrag zu lesen?


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Und wenn Sie dann gelesen haben, dass wir jede bundes-
einheitliche Regelung abschaffen wollen, sind Sie dann
bereit, unserem Antrag zuzustimmen?

Danke schön.

D
Dr. Ditmar Staffelt (SPD):
Rede ID: ID1424523600
Herr Hinsken,
Sie klatschen so, als wäre das Ihr Antrag. Ich war kürzlich
bei Ihnen in der Gegend im Urlaub. Da haben Sie ja nicht
einmal durchgesetzt, dass man nach 20 Uhr noch etwas
Ordentliches zu essen bekommt.


(Heiterkeit bei der SPD)

Zugegebenermaßen war Winter.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Solche Menschen wie Sie bedient man nach 20 Uhr auch nicht bei uns!)


– Das sollten Sie zurücknehmen.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1424523700
Herr Staatsse-
kretär, die Frage hatte jetzt aber nicht Herr Hinsken ge-
stellt.

D
Dr. Ditmar Staffelt (SPD):
Rede ID: ID1424523800
Ich sage Ihnen:




Parl. Staatssekretär Dr. Ditmar Staffelt
24756


(C)



(D)



(A)



(B)


Ich unterstütze den Antrag der FDP-Fraktion nicht. Ich bin
nach wie vor – ähnlich, wie schon von anderen vorgetra-
gen – der Auffassung, dass wir das den kommunalen und
den landesrechtlichen Bestimmungen überlassen sollten.


(Ernst Burgbacher [FDP]: Das wollen wir doch auch!)


Und dann rufen wir dazu auf, dort, wo es nur irgend geht,
die Öffnungszeiten so weit wie möglich nach hinten zu ver-
schieben, und dort, wo wir andere Interessen zu berücksich-
tigen haben, eine ortsorientierte Entscheidung zu treffen.

Das wollte ich hier noch einmal aus grundsätzlichen
Erwägungen gesagt haben.

Schönen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD – Ernst Burgbacher [FDP]: Sie sollten den Antrag doch wenigstens lesen!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1424523900
Jetzt hat der
Kollege Klaus Brähmig das Wort.


(Rudolf Bindig [SPD]: Noch so ein humorloser Bursche!)



Klaus Brähmig (CDU):
Rede ID: ID1424524000
Sehr geehrte Frau Prä-
sidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!


(Unruhe)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1424524100
Können wir den
Lärmpegel ein bisschen herunterfahren, damit wir uns
noch verstehen können?


Klaus Brähmig (CDU):
Rede ID: ID1424524200
Sommer, Sonne, Strand
und Meer und die ruhige Hand am kühlen Bier – so oder
so ähnlich stellen sich Gerhard Schröder und Millionen
deutsche Bürger die abendlichen Stunden in der Sommer-
zeit vor. Was im Ausland Normalität ist, ist bei uns in
Deutschland schnell beendet, denn derzeit müssen deut-
sche Biergärten durchschnittlich gegen 22 Uhr schließen.
Das ist ein Ärgernis für die Menschen in Deutschland.

Die FDP-Fraktion will mit ihrem Antrag zur Liberali-
sierung der Sperrzeiten in der Außengastronomie dieses
Ärgernis beseitigen. Freiluftgaststätten wie zum Beispiel
Biergärten sollen in Zukunft bis mindestens 24 Uhr öffnen
dürfen. Damit soll dem unter anderem aufgrund längerer
Ladenöffnungszeiten geänderten Ausgehverhalten unserer
Bürger Rechnung getragen werden und dies ist gut so.


(Beifall bei Abgeordneten der [CDU/CSU] – Lachen bei der SPD)


Diese Lösung wäre aber auch ein weiterer kleiner Mosa-
ikstein, um die Attraktivität des Tourismusstandortes
Deutschland zu erhöhen.

Und wieder einmal zeigt es sich, dass der Wähler am
22. September 2002 eine deutliche politische Alternative
hat.


(Lachen bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS – Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Sehr wohl!)


Der Antrag unseres Kollegen Burgbacher steht für De-
regulierung im mittelständisch geprägten Gastronomie-
gewerbe und deswegen werden wir ihn heute unterstüt-
zen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Beifall bei der FDP)


Im Gegensatz dazu steht die Meinung der rot-grünen Bun-
desregierung und der sie tragenden Fraktionen, die diesen
Antrag ablehnen werden. Was ist Ihr Argument für diese
ablehnende Haltung, meine sehr verehrten Damen und
Herren von der zukünftigen Opposition? Da letztendlich
die einzelnen Verwaltungen in den Städten und Gemein-
den die Verantwortung für die konkrete Ausgestaltung der
Sperrzeiten tragen müssen, halten Sie eine bundesein-
heitliche Vorgabe der Sperrzeiten für unannehmbar. Dies
ist ein fadenscheiniges Argument, denn Sie haben sich in
den vier Jahren Ihrer Regierungszeit sonst einen feuchten
Kehricht um die Bedürfnisse der Länder und Kommunen
gekümmert.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Rudolf Bindig [SPD]: Wie war denn das bei Kohl?)


Ich erinnere in diesem Zusammenhang an die Steuer-
und Sozialpolitik, die die Haushaltslasten des Bundes ein-
seitig auf die Kommunen abwälzt bzw. zu Mindereinnah-
men in Milliardenhöhe bei Ländern und Kommunen ge-
führt hat.


(Rudolf Bindig [SPD]: Eine Zumutung!)

Wo war damals Ihr Bekenntnis zu den Aufgaben der Län-
der und Kommunen? Ich erinnere in diesem Zusammen-
hang auch gerne noch einmal an die Abschaffung der
Trinkgeldbesteuerung. Auch dieser Beitrag zur Deregu-
lierung und zur Stärkung der Dienstleistungsmentalität ist
doch nur dem Druck der Opposition zu verdanken gewe-
sen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Lachen bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Die letzten vier Jahre rot-grüner Regierungspolitik ha-
ben aber auch gezeigt, welches Unternehmerbild diese
Bundesregierung hat. Winston Churchill hat einmal ge-
sagt:

Es gibt Leute, die halten den Unternehmer für einen
räudigen Wolf. Andere meinen, der Unternehmer sei
eine Kuh, die man ununterbrochen melken könne.
Nur wenige sehen in ihm das Pferd, das den Karren
zieht.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Jawohl!)

Sieht man sich die Regierungspolitik der letzten vier Jahre
genau an, so besteht das deutsche Unternehmertum bei Ih-
nen nur aus räudigen Wölfen und die 1998 viel beschworene
neue Mitte wurde zur Melkkuh der Nation umfunktio-
niert.


(Zuruf von der SPD: Das können Sie im Biergarten erzählen!)





Parl. Staatssekretär Dr. Ditmar Staffelt

24757


(C)



(D)



(A)



(B)


Meine Damen und Herren, die CDU/CSU-Bundes-
tagsfraktion wird ab dem 22. September die deutschen
Unternehmer in die Lage versetzen, den festgefahrenen
Karren aus dem rot-grünen Sumpf zu ziehen.


(Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich hoffe, dass die FDP uns dabei unterstützen wird.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Das hoffe ich auch!)


Meine Damen und Herren, in den tourismuspoliti-
schen Leitlinien unserer Fraktion haben wir einige
Punkte herausgearbeitet, die der Tourismuswirtschaft
wieder mehr Luft zum Atmen geben sollen. Einige
möchte ich hier kurz skizzieren.

Erstens. Wir brauchen eine mittelstandsfreundliche Ar-
beitsmarktpolitik. Ich erinnere hier nur an unser Konzept,
die Verdienstgrenze für geringfügige Beschäftigungsver-
hältnisse von 325 Euro auf 400 Euro zu erhöhen. Dadurch
werden Anreize zur Arbeitsaufnahme geschaffen.

Zweitens. Wir brauchen eine deutliche steuerliche Ent-
lastung für die Tourismuswirtschaft. Insbesondere für die
mittelständischen Unternehmer brauchen wir eine Steuer-
reform, die die Möglichkeiten zur Bildung von Eigenka-
pital verbessert.


(Beifall des Abg. Ernst Hinsken [CDU/CSU])

In diesem Zusammenhang ist es geradezu grotesk,

wenn der niedersächsische Ministerpräsident Gabriel jetzt
einen Antrag zur Einführung einer Spieleinsatzsteuer bei
Spielautomaten in den Bundesrat einbringen will. Dies
trifft gerade viele kleine und mittlere Betriebe im Gastge-
werbe und die deutsche Automatenwirtschaft.

Der DEHOGA erklärte heute dazu:
Bei seit Jahren rückläufigen Umsätzen, die im April
2002 bis zu real 10 Prozent betragen, sind die Gast-
wirte auf die regelmäßigen Einnahmen aus dem Au-
tomatengeschäft dringend angewiesen.

Kreativität besitzt Rot-Grün nur bei der Erfindung neuer
Steuern, die die Melkkuh Mittelstand weiter aussaugen.
Rinderwahnsinn und Steuerwahnsinn liegen anscheinend
eng beieinander.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Rudolf Bindig [SPD]: Wer hat Ihnen den Unsinn aufgeschrieben, den Sie vorlesen?)


Meine Damen und Herren, ich möchte mich an dieser
Stelle ganz herzlich bei einigen Kollegen bedanken, die in-
nerhalb unserer Fraktion und im Ausschuss jahrelang aktiv
an der Gestaltung der Tourismuspolitik mitgearbeitet ha-
ben. Hannelore Rönsch, Monika Brudlewsky, Marianne
Klappert, Sylvia Voß, Rosel Neuhäuser und mein sächsi-
scher Landsmann Wolfgang Dehnel werden leider dem
nächsten Deutschen Bundestag nicht mehr angehören. Vie-
len Dank für die gute kameradschaftliche Zusammenarbeit.

Lassen Sie mich angesichts der begonnenen Ferienzeit
und der vor uns liegenden Sommerpause noch eine Wer-
bung für das Reisen mit den Worten von Wilhelm Busch
an Sie richten:

Ein, zwei, drei im Sauseschritt,
Läuft die Zeit, wir laufen mit,
Schaffen, schuften, werden älter,
Träger, müder und auch kälter,
Bis auf einmal man erkennt.
dass das Leben geht zu End!
Viel zu spät begreifen viele,
Die versäumten Lebensziele:
Freude, Schönheit der Natur,
Gesundheit, Reisen und Kultur,
Darum, Mensch, sei zeitig weise!
Höchste Zeit ist’s! Reise, reise!

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1424524300
Danke schön. So
endet diese Debatte mit Wilhelm Busch.

Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschus-
ses für Tourismus auf der Drucksache 14/9520 zu dem
Antrag der Fraktion der FDP mit dem Titel „Sperrzeiten
für Gaststätten und Biergärten kundenfreundlicher gestal-
ten“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf der Druck-
sache 14/6188 abzulehnen. Wer stimmt für diese Be-
schlussempfehlung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? –
Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koali-
tionsfraktionen und der PDS gegen die Stimmen von
CDU/CSU und FDP und gegen eine Stimme aus der PDS
angenommen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 10 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Innenausschusses (4. Ausschuss)

– zu dem Antrag der Fraktionen der SPD und des

BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Antisemitismus ächten – Zusammenhalt in
Deutschland stärken

– zu dem Antrag der Fraktion der CDU/CSU
Jüdisches Leben in Deutschland

– zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Guido
Westerwelle, Dr. Max Stadler, Dr. Edzard
Schmidt-Jortzig, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der FDP
Antisemitismus ächten – Zusammenhalt in
Deutschland stärken

– Drucksachen 14/9226, 14/4245, 14/9261,
14/9480 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Sebastian Edathy
Martin Hohmann
Cem Özdemir
Dr. Edzard Schmidt-Jortzig
Petra Pau

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die FDP
fünf Minuten erhalten soll. – Ich höre keinen Wider-
spruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst
Sebastian Edathy.




Klaus Brähmig
24758


(C)



(D)



(A)



(B)



Sebastian Edathy (SPD):
Rede ID: ID1424524400
Frau Präsidentin! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Das Thema Parla-
mentsreform ist sicherlich ein Dauerthema. Vielleicht
sollte man in Zukunft auch einmal darüber nachdenken,
ob es sinnvoll ist, ein Thema wie den Antisemitismus in
Deutschland zu einer so späten Stunde im Parlament und
ausgerechnet nach einer Diskussion über die eventuelle
Verlängerung der Öffnungszeiten von Biergärten zu be-
handeln.


(Beifall im ganzen Haus)

Der jüngst veröffentlichte Verfassungsschutzbericht

für das Jahr 2001 spricht, was antisemitische Straftaten
betrifft, leider eine sehr deutliche Sprache. 1 200 Strafta-
ten mit antisemitischem Hintergrund sind verübt worden,
darunter 70 Straftaten, die in Angriffen auf jüdische Ein-
richtungen bestanden haben.

Vor zwei Jahren haben die beiden Wissenschaftler
Dietmar Sturzbecher und Ronald Freytag eine Studie vor-
gelegt. Grundlage dieser Studie war die Befragung von
4500 Jugendlichen im Alter von 14 bis 19 Jahren in Bran-
denburg. Es ging um das Thema Antisemitismus. Ein Drit-
tel der befragten Jugendlichen in Brandenburg hat geäußert,
sich nicht vorstellen zu können, mit einer Person jüdischen
Glaubens befreundet zu sein. Das macht deutlich: Anti-
semitismus findet sich nicht nur bei den Ewiggestrigen.

Der Geist der Ausgrenzung, der Geist der Abwertung,
die Stigmatisierung von Menschen sind eine ständige
Herausforderung unserer Demokratie. Sich dieser He-
rausforderung zu stellen ist Aufgabe aller demokratischen
Kräfte in unserem Land.


(Beifall im ganzen Hause)

Wo Menschen ausgegrenzt und erniedrigt werden, nimmt
die gesamte Demokratie Schaden.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

In unserer Verfassung ist mit gutem Grund ein Satz ver-

ankert, der zugleich ein Auftrag ist: „Die Würde des Men-
schen ist unantastbar.“ Wer in Menschen wegen ihrer Re-
ligionszugehörigkeit Menschen minderen Wertes erblickt,
der verstößt gegen diesen Grundsatz. Antisemitismus ist
demokratiefeindlich. Deswegen muss für uns als Demo-
kraten gelten: Bei diesem Thema dürfen wir nicht zwei-
deutig und missverständlich, da müssen wir eindeutig und
unmissverständlich auftreten.


(Beifall im ganzen Hause)

Dazu gehört die Feststellung: Antisemitismus kann

man nicht rechtfertigen, wie das ansatzweise unser frühe-
rer Kollege Jürgen Möllemann getan hat. Antisemitismus
kann man nur verachten. Und vor allen Dingen: Man
muss ihn bekämpfen,


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


unter anderem durch Aufklärung, durch Bildungsarbeit
und durch Projekte, wie wir sie mit Bundesmitteln bei-
spielsweise aus dem Programm „Civitas“ mit einem
Schwerpunkt in den neuen Ländern mitfinanzieren. Aber
neben Aufklärung, neben Bildungsarbeit muss die einver-

nehmliche Feststellung aller Demokraten stehen, dass wir
uns darüber im Klaren sind und dass wir Gewissheit da-
rüber vermitteln müssen, dass ein Zusammenleben in
Vielfalt nicht durch die Vielfalt gefährdet wird, sondern
allenfalls durch die Einfalt von Menschen. Dieser Einfalt
zu begegnen ist eine ständige Herausforderung.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


In Deutschland leben 95000 Bürgerinnen und Bürger
jüdischen Glaubens. Sie sind Teil unserer Gesellschaft, de-
ren Ausgrenzung wir nicht, auch nicht in Ansätzen, zulas-
sen dürfen. Wer hier in Berlin die Polizeiwagen vor der
Synagoge in der Oranienburger Straße sieht, dem wird dras-
tisch vor Augen geführt, dass das Bestehen von jüdischen
Gemeinden in Deutschland nicht so selbstverständlich ist,
wie wir uns das wünschen würden. Dass jüdische Einrich-
tungen an vielen Orten in Deutschland eines solchen poli-
zeilichen Schutzes bedürfen, ist beschämend. Noch be-
schämender wäre es freilich, wir würden uns mit diesen
Verhältnissen abfinden. Nein, das dürfen wir nicht. Wir
müssen dafür sorgen und Verantwortung dafür überneh-
men, diese Verhältnisse zum Besseren zu verändern.


(Beifall im ganzen Hause)

Ob sich jüdische Bürgerinnen und Bürger respektiert,

sicher und frei fühlen können, ist eine Frage, an der sich
auf Dauer entscheiden wird, wie stark unsere Demokratie
ist und wie ernst wir den Verfassungsauftrag nehmen, die
Unverletzlichkeit der menschlichen Würde zu garantieren.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich hätte mir ge-
wünscht, es wäre gelungen, zu diesem Thema einen frak-
tionsübergreifenden Antrag zur Abstimmung zu stellen.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS – Walter Hirche [FDP]: Das wäre ja ohne weiteres möglich gewesen! – Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Wer wollte den nicht?)


Dies ist insbesondere vor dem Hintergrund der unsägli-
chen Äußerungen von Herrn Möllemann nicht gelungen.


(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Wer will denn hier, dass es nicht gelingt?)


Ich will hier, ohne unnötige Schärfe in die Debatte zu
bringen, sehr deutlich sagen,


(Walter Hirche [FDP]: Sie wollen, dass es nicht gelingt!)


dass mir insbesondere das Verhalten der FDP völlig un-
verständlich ist,


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS – Dirk Niebel [FDP]: Das ist doch wohl nicht wahr!)


die einen Antrag vorgelegt hat, den sie Wort für Wort inklu-
sive der Überschrift von der Koalition abgeschrieben hat.


(Walter Hirche [FDP]: Sie sehen, dass ein interfraktioneller Antrag möglich gewesen wäre! Das ist der Beweis dafür!)







(C)



(D)



(A)



(B)


Liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, wenn Sie
es ernst damit meinen, dass antisemitische Aussagen in
Deutschland keinen Raum bekommen dürfen, wie das in
Ihrem oder – besser gesagt – unserem Antrag steht, muss
das auch für Sie in Ihren eigenen Reihen gelten.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Dann wäre es glaubhafter, wenn Sie sich längst von Ihrem
stellvertretenden Bundesvorsitzenden getrennt hätten.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Reiner Wahlkampf! – Dr. Peter Struck [SPD]: Das müssen Sie gerade sagen, Herr Westerwelle! Sie haben es nötig! Das ist unglaublich!)


Es ist, gelinde gesagt, halbherzig, sich mit einem An-
trag im Bundestag gegen Antisemitismus auszusprechen,
aber in der eigenen Partei nicht für klare Konsequenzen in
Bezug auf ein Verhalten zu sorgen, das vom Instrumenta-
lisieren antisemitischer Klischees geprägt ist.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS – Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Das glauben Sie doch selbst nicht! – Walter Hirche [FDP]: Diese Heuchelei ist das eigentlich Gefährliche!)


Der Umgang mit dem Thema Antisemitismus verträgt
aber keine Halbherzigkeit, sondern muss von einer Ein-
deutigkeit geprägt sein, die nicht nur eine Frage der Ach-
tung anderer, sondern eine Frage der Selbstachtung ist.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS – Dirk Niebel [FDP]: Der Schluss war echt unanständig! – Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: So macht man ein großes Thema billig!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1424524500
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Norbert Lammert.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1424524600
Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Antrag der
CDU/CSU-Fraktion mit dem Titel „Jüdisches Leben in
Deutschland“, über den heute Abend abschließend befun-
den wird, stammt aus dem Herbst des vorletzten Jahres.
Anlass waren damals Anschläge auf jüdische Einrichtun-
gen in Deutschland.

In der Debatte, die der Deutsche Bundestag damals auf
unsere Anregung hin spontan vereinbart hat, hat unser
Fraktionsvorsitzender Friedrich Merz die Anliegen ver-
deutlicht, die wir in unserem Antrag formuliert haben: das
demonstrative Bekenntnis zu jüdischem Leben in Deutsch-
land, die Würdigung des herausragenden Beitrags jüdi-
scher Bürgerinnen und Bürger zur Entwicklung von Wirt-
schaft, Wissenschaft, Kunst und Kultur in Deutschland, die
Erinnerung an NS-Diktatur und Holocaust, die Bekräfti-
gung der besonderen Verantwortung Deutschlands, die
Aufforderung zu Toleranz und Respekt, zu Zivilcourage im
Alltag und unsere Freude über die Wiederbegründung jüdi-
scher Gemeinden in Deutschland sowie deren Unterstüt-
zung. Nichts davon hat sich seitdem erledigt,


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


das Anliegen nicht, die Erklärungen nicht, die Anlässe lei-
der auch nicht.

Seit der damaligen Debatte ist manches geschehen, in
Israel wie in Deutschland. Der Umgang mit dem Thema
ist nicht leichter geworden. Dies ist neben den schreckli-
chen Ereignissen in Israel und Palästina die Folge einer
Auseinandersetzung in Deutschland in den letzten Wo-
chen, von der sich heute vermutlich alle Beteiligten wün-
schen, dass sie uns erspart geblieben wäre.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS sowie bei Abgeordneten der FDP)


Diese Debatte war durch zum Teil absurde Vorwürfe, halt-
lose Verdächtigungen, maßlose Übertreibungen, unbe-
greifliche Entgleisungen und tiefe Verletzungen gekenn-
zeichnet, nicht nur auf einer Seite.

Die Folgen dieser Auseinandersetzung sind keines-
wegs überwunden. Eine ganz unmittelbare bedauerliche
Folge ist, dass wir heute keine gemeinsame Beschluss-
empfehlung haben, obwohl sich der Antrag der Koaliti-
onsfraktionen das damals formulierte Anliegen der Union
nicht nur in der Sache, sondern weitgehend auch in den
Formulierungen ausdrücklich zu Eigen macht. Die Be-
schlussempfehlung hat nun freilich eine andere Über-
schrift und damit einen etwas anderen Akzent.

Deswegen nutze ich die Gelegenheit gerne, vor der Ab-
stimmung über diese Beschlussempfehlung die Positio-
nen unserer Fraktion noch einmal zu verdeutlichen. Ich
freue mich, dass ich das ausdrücklich auch für die Kolle-
ginnen und Kollegen aus der Arbeitsgruppe Innenpolitik
und für unseren Berichterstatter Martin Hohmann tun
darf.

Antisemitismus, wo immer er auftritt, ist nicht akzep-
tabel. In Deutschland ist er unerträglich.


(Beifall im ganzen Hause)

Die deutsche Geschichte begründet bei diesem Thema eine
besondere Empfindlichkeit. Dies rechtfertigt nicht jede
Maßlosigkeit in der Zurückweisung tatsächlicher oder ver-
meintlicher Verstöße gegen diesen Konsens aller Demokra-
ten. Schon gar nicht rechtfertigt dies, Herr Kollege Özdemir,
die Attitüde moralischer Überlegenheit bei gleichzeitiger
Rücksichtslosigkeit bis zur Menschenverachtung.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Wir haben sowohl für jüdische Bürger in Deutschland

wie für das Existenzrecht und die Sicherheit des Staates
Israel sowie auch für jedes andere Volk eine besondere
Verantwortung. Dies schließt die kritische Auseinander-
setzung über den Eindruck von Fehlentwicklungen, Ver-
säumnissen oder Verirrungen in Deutschland wie in Israel
nicht aus, sondern unbedingt ein. Israel muss mit densel-
ben moralischen Maßstäben wie jeder andere Staat ge-
messen werden.


(Zuruf von der SPD: Ja, selbstverständlich!)





Sebastian Edathy
24760


(C)



(D)



(A)



(B)


Diese Selbstverständlichkeit hat vor wenigen Wochen
der israelische Publizist Uri Avnery unmissverständlich
festgehalten. Er hat hinzugefügt – ich zitiere –:

Das Schreckliche, das Deutsche den Juden vor
60 Jahren angetan haben, hat mit der heutigen israe-
lischen Politik nichts zu tun. Daraus den Schluss zu
ziehen, Deutsche müssten schweigen, wenn sie glau-
ben, dass wir Unrecht begehen, ist unmoralisch. Das
Vermächtnis des Holocaust sollte doch sein, dass ge-
rade Deutsche mehr als andere gegen Unrecht auf-
treten, ganz egal wo es passiert.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Deswegen habe ich insbesondere an die jüdischen Mit-

bürger und nicht zuletzt auch an die Repräsentanten die
herzliche Bitte – –


(Kerstin Müller [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sind keine Mitbürger, sondern Bürger dieses Landes!)


– Es gibt deutsche wie jüdische Mitbürgerinnen und Mit-
bürger. Wenn zu irgendeinem Thema der Streit nicht
lohnt, dann vermutlich der zu dieser terminologischen
Spitzfindigkeit.


(Kerstin Müller [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich glaube, dass das wichtig ist! – Ludwig Stiegler [SPD]: Wieso sind die jüdischen Bürger keine deutschen Bürger? Man merkt schon, dass das Denken nicht in Ordnung ist!)


– Herr Stiegler, die historischen Belehrungen von Ihnen
sind immer der unüberbietbare Höhepunkt parlamentari-
scher Auseinandersetzungen.


(Beifall bei der FDP – Ludwig Stiegler [SPD]: Es wäre gut, wenn Sie das zur Kenntnis nehmen!)


Ich habe jedenfalls ausdrücklich die herzliche Bitte an
die jüdischen Bürgerinnen und Bürger unseres Landes
und nicht zuletzt auch an die Vertreter des Staates Israel:
Nehmen Sie konstruktive Kritik an der Politik Ihres Lan-
des bitte nicht übel, sondern ernst.


(Dr. Peter Struck [SPD]: Wer tut das denn?)

Missverstehen Sie deutliche Worte ausgewiesener, jahr-
zehntelanger Freunde Israels nicht als Abwendung von
Ihrem Land oder gar als populistische Verirrung, sondern
verstehen Sie sie als Ausdruck einer hellen Verzweiflung
über manche Entwicklungen in Ihrem Land, die uns und
Ihnen alles andere als gleichgültig sein können.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Rudolf Bindig [SPD]: Dann müssen Sie aber auch mal die Terrortaten der Palästinenser erwähnen! – Detlev von Larcher [SPD]: Meinen Sie damit Herrn Möllemann? – Dr. Barbara Hendricks [SPD]: Wen oder was wollen Sie damit rechtfertigen?)


– Ich rechtfertige überhaupt nichts. So, wie Sie Ihre Posi-
tion vortragen können und dies sicherlich tun werden, tue
ich das auch für mich und unsere Fraktion.

Im Bewusstsein unserer Geschichte und unserer Ver-
antwortung wollen wir die historische Erinnerung an die

NS-Diktatur und den Holocaust wach halten. Aber wir
wollen und dürfen jüdisches Leben in Deutschland nicht
auf Erinnerungskultur reduzieren. Die beiden wichtigen
Entscheidungen des Deutschen Bundestags in dieser Le-
gislaturperiode – die Entscheidung für den Bau eines
Mahnmals für die ermordeten Juden Europas und die Ent-
scheidung zur Übernahme des Jüdischen Museums Berlin
in die Zuständigkeit des Bundes und damit in nationale
Verantwortung – sind Zeugnis dieser Verpflichtung und
zugleich Ausdruck der notwendigen Verbindung des ei-
nen mit dem anderen.

Wir wollen wieder an die jahrhundertelange Tradition
des Zusammenlebens in Toleranz und gegenseitigem Res-
pekt, die es in Deutschland gegeben hat, anknüpfen. Des-
halb begrüßen und fördern wir das Entstehen und Wach-
sen jüdischer Gemeinden als Ausdruck des Vertrauens in
unsere Demokratie und als Bereicherung für unser Land.

Wir wollen nicht nur eine Vertiefung des Dialogs, son-
dern insbesondere des christlich-jüdischen Dialogs der
Religionen. Wir wünschen uns vor allem eine Vertiefung
in der Alltagskultur, in der Begegnung und in der geleb-
ten Gemeinsamkeit.

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich
würde zum Schluss gern – wenn ich das noch darf – zitie-
ren, was György Konrad, der Präsident der Berliner Aka-
demie der Künste, Anfang dieses Jahres zur Eröffnung ei-
ner Berliner Holocaust-Ausstellung gesagt hat. Er hat sich
mit der Schwierigkeit der Identifizierung mit einer Zeit
und Ereignissen auseinander gesetzt, die inzwischen viele
Jahrzehnte hinter uns liegen und dennoch in unser aller
Bewusstsein wach geblieben sind. György Konrad hat ge-
sagt:

Von wenigen Ausnahmen abgesehen sind wir weder
Täter noch Opfer. Durch Blutsbande, Bekanntschaf-
ten oder kulturelle Bindungen aber gehen sie uns et-
was an. Wir wissen von ihnen. ... Auf einer inneren
Bühne sind sie anwesend, lassen sich nicht ver-
scheuchen. Sie kommen.

Ich weiß, dass diese Erinnerungen kommen. Ich will, dass
sie bleiben. Aber noch wichtiger als die Erinnerungen
müssen uns die Menschen sein. Deswegen wünsche ich
mir, dass jüdische Bürgerinnen und Bürger kommen, und
ich hoffe, dass sie bleiben können.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1424524700
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Cem Özdemir.


Cem Özdemir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1424524800
Frau
Präsident! Meine Damen und Herren! Nach einer Studie
des Sigmund-Freud-Instituts in Frankfurt und der Uni
Leipzig – sie ist jüngst veröffentlicht worden und betrifft
den Zeitraum ab dem Jahr 1999 – haben in unserer Ge-
sellschaft antisemitische und antiarabische, aber auch an-
tiamerikanische Haltungen zugenommen. Der Aussage
„Ich kann es gut verstehen, dass manchen Leuten Juden
unangenehm sind“ beispielsweise wird immerhin von




Dr. Norbert Lammert

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(C)



(D)



(A)



(B)


36 Prozent der Bevölkerung unseres Landes zugestimmt.
Das ist mehr als vor drei Jahren. Nur etwa 38 Prozent leh-
nen diese Position klar ab.

Wenn wir uns diese Zahlen vor Augen führen, dann
müssen wir zugeben, dass wir in unserer Gesellschaft ein
Problem mit Antisemitismus haben. Angesichts dessen
kann man sich nicht empören, wenn beispielsweise Herr
Friedman davon spricht, dass ungefähr 20 Prozent in un-
serer Gesellschaft diese Haltung haben.

Ich glaube, der erste Schritt zur Bekämpfung dieses
Phänomens besteht darin, dass wir anerkennen, dass wir
ein Problem haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Damit ist man noch nicht antideutsch. Damit ist man noch
nicht in Gegnerschaft zur eigenen Bevölkerung. Damit
denunziert man niemanden. Man erkennt lediglich an,
dass man ein Problem hat. Das ist immer der erste Schritt
zur Besserung.

Der zweiten Aussage, nämlich „Die Juden sind schuld,
dass wir so große Weltprobleme haben“, wird immerhin
noch von einem Drittel der Befragten zugestimmt.

Die Aussage schließlich „Deutschland den Deutschen“
wird von 44 Prozent positiv gesehen. Auch das ist deut-
lich mehr als vor drei Jahren.

Ich will mit diesen Zahlen nicht sagen, dass die Bun-
desrepublik Deutschland schlimmer ist als andere Staa-
ten. Das wäre eine falsche Aussage. Wir wissen, dass es
mit Antisemitismus nicht nur in unserer Gesellschaft,
sondern auch in vielen anderen Staaten, auch in vielen un-
serer Nachbarstaaten, Probleme gibt. Keine Gesellschaft,
egal, welche Religionszugehörigkeit dominiert, ist völ-
lig frei von Antisemitismus, ist frei von dieser Art von
Einstellung.


(Wolfgang Dehnel [CDU/CSU]: Was ist mit Schlingensief?)


– Warten Sie ab, Herr Kollege.
Ich glaube schon, dass wir alle miteinander aufgefor-

dert sind, gerade bei uns in besonders hohem Maße sensi-
bel damit umzugehen. Diese Sensibilität ist notwendig.

Wie bereits mein Vorredner gesagt hat, ist es für diese Ge-
sellschaft eine gute Nachricht, wenn sich Juden, beispiels-
weise aus Osteuropa, entscheiden, in unsere Gesellschaft zu
ziehen. Gleiches gilt für diejenigen, die Überlebende des
Holocaust sind und sich nach 1945 entschieden haben, in
diese Gesellschaft zu ziehen oder in dieser Gesellschaft zu
bleiben. Insofern sollten wir uns über jeden freuen, der mit
uns gemeinsam zu dieser Gesellschaft beitragen möchte und
diese Gesellschaft als seine Gesellschaft betrachtet.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Alle Angriffe, die es gibt oder gegeben hat, beispiels-
weise im März dieses Jahres der Angriff auf die Synagoge
in Kreuzberg, beispielsweise der Vorfall, bei dem zwei or-
thodoxe Juden auf dem Kudamm mit Schmährufen be-
dacht worden sind, oder der Vorfall, bei dem zwei Frauen,

die den Davidstern trugen, angegriffen worden sind – wir
haben es in der Presse gelesen –, sind nicht einfach nur
Angriffe auf jüdische Bürger oder auf jüdisch-stämmige
Menschen dieser Gesellschaft, sondern es sind Angriffe
auf uns alle.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Es sind Angriffe auf mich als Menschen, der muslimi-
scher Herkunft ist, auf meine Kolleginnen und Kollegen,
die christlicher Herkunft sind, auf Atheisten, auf andere,
die in dieser Gesellschaft leben. Nur wenn wir diese An-
griffe so betrachten, wenn wir die Einschränkungen des
Lebens von Juden in dieser Gesellschaft dadurch, dass sie
sich mit Polizeischutz bewegen müssen, weil sie etwa
Funktionäre der jüdischen Gemeinde sind, dass es, wenn
sie ihre Kinder in jüdische Schulen schicken, mit beson-
deren Schutzmaßnahmen verbunden ist, als Einschrän-
kungen unseres Lebens betrachten, haben wir den Antise-
miten die Antwort gegeben, die wir ihnen geben müssen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Einen Satz möchte ich noch sagen, bevor ich auf das
angesprochene Thema Schlingensief zu sprechen komme.
Auch ich bedauere es sehr, dass es nicht möglich war, ei-
nen gemeinsamen Antrag hinzubekommen. Der Kollege
Edathy hat darauf hingewiesen, woran es lag; deshalb will
ich da nicht noch einmal nachlegen.


(Dirk Niebel [FDP]: Das ist doch nicht wahr! Das ist in höchstem Maße scheinheilig!)


– Sie können es nachher richtig stellen. Eine Kollegin von
der FDP wird ja noch sprechen.

Eines möchte ich für alle Fraktionen doch noch einmal
deutlich sagen; das ist wichtig für die Außenwirkung, für
den Zentralrat der Juden und für alle, die diese Debatte
verfolgen können – es sind leider nur wenige –:


(Dirk Niebel [FDP]: Pfui!)

In diesem Parlament gibt es keine Fraktion, die in der
Frage der Bekämpfung des Antisemtismus eine andere
Meinung als die heute zu beschließende Meinung hätte.
Hier sind sich alle einig. Das ist ein gutes Zeichen, auch
wenn es uns nicht gelungen ist, einen gemeinsamen An-
trag zustande zu bekommen.


(Walter Hirche [FDP]: Warum verweigern Sie dann den gemeinsamen Antrag? – Gegenruf des Abg. Dr. Peter Struck [SPD]: Hören Sie doch auf! Sie wissen es doch ganz genau! Sie müssen sich mal mit Möllemann und Westerwelle unterhalten!)


– Sie kennen die Debatte. Wir brauchen das jetzt hier nicht
alles zu wiederholen, Herr Kollege.

Jetzt zu Schlingensief. Ich habe in Düsseldorf einen
Gastauftritt in einer Inszenierung von Schlingensief ge-
habt, die zuvor in der Volksbühne in Berlin aufgeführt
worden ist und mehrfach durch die Presse ging. Die An-
frage bezog sich darauf, dort mitzumachen. Dieses habe
ich gemacht. Ich habe nicht, wie fälschlicherweise auf
Seite 1 in der „Welt“ stand, in Düsseldorf an einer Aktion




Cem Özdemir
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(B)


vor der Firma von Herrn Möllemann teilgenommen. Die
„Welt“ hat das leider nur mit einem Satz korrigiert. An
dieser Aktion war ich nicht beteiligt. Bei dem Theater-
auftritt, an dem ich beteiligt war, sind keine Strohpuppen
verbrannt und keine Plakate von demokratischen Parteien
in Deutschland zerstört oder verbrannt worden. Ich lege
Wert darauf, ausdrücklich festzustellen, dass ich an jener
Aktion nicht beteiligt war.

Zu dem Theaterauftritt, an dem ich beteiligt war, Herr
Kollege, sind zwei Fragen gestellt worden. Meine Rolle
bestand darin, die Antworten des Publikums per Mikrofon
zu übertragen.


(Walter Hirche [FDP]: Was sind denn das für Rufe?)


Dafür kann man mich kritisieren. Ich habe mich am Mon-
tag deutlich dazu geäußert.


(Walter Hirche [FDP]: Der Ruf „Tötet jemanden“ muss von jedem Abgeordneten zurückgewiesen werden! Das ist unglaublich! – Zuruf von der CDU/CSU: Ein peinlicher Auftritt!)


Dann geben Sie mir doch die Chance, das zu tun. Ich habe
am Montag eine Erklärung dazu abgegeben, die an Deut-
lichkeit nichts zu wünschen übrig lässt. Alles was nach
meinem Auftritt auf der Bühne geschah und was die
Grenzen des guten Geschmacks verlassen hat, auch
wenn es den Rahmen der künstlerischen Freiheit für sich
in Anspruch nimmt – auch dieses ist falsch –,


(Klaus Brähmig [CDU/CSU]: Sie sind doch kein Schauspieler! – Walter Hirche [FDP]: Das ist doch Diffamierung gewesen! – Gegenruf des Abg. Dr. Peter Struck [SPD]: Herr Hirche, mäßigen Sie sich! – Weiterer Gegenruf der Abg. Kerstin Müller [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen! Wirklich frech finde ich das!)


habe ich klar kritisiert und verurteilt und ich habe mich
davon in jeder erdenklichen Weise distanziert.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Zurufe von der FDP)


– Ohne jede Hintertür, Herr Kollege Gerhardt. Wenn Sie
meine Erklärung, die Ihnen zugegangen ist, gelesen ha-
ben, wissen Sie, dass ich mich ohne jedes Wenn und
Aber davon distanziert habe. Da muss man auch nicht
versuchen, einen anderen Eindruck zu erwecken.


(Kerstin Müller [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist Kunst, aber Herr Möllemann meint es ernst!)


Sollte irgendjemand in diesem Hause das Gefühl ha-
ben, dass er oder sie in irgendeiner Weise in eine Ecke
gerückt wurde, in die er oder sie ohne jeden Zweifel nicht
gehört, dann möchte ich in aller Deutlichkeit sagen, dass
das nicht meine Absicht war. Selbst wenn ich selber nicht
daran beteiligt war, entschuldige ich mich dafür; denn mit
der Teilnahme an der Veranstaltung – auch das räume ich
ein – übernehme ich dafür Verantwortung.

Ich bin bereit, mich bei jedem Einzelnen in diesem
Haus zu entschuldigen, wenn es sein muss. Ich bin bereit,
bei jedem Einzelnen von Ihnen Abbitte zu leisten. Eines,
meine Damen und Herren, werde ich aber mit Sicherheit
nicht machen: Ich werde garantiert Herrn Möllemann
nicht den Gefallen tun, ihm zu ermöglichen, dass er, wie
von ihm von Anfang an inszeniert, hier die Opferrolle
übernehmen kann.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Walter Hirche [FDP]: Da fehlt Ihnen jede Sensibilität!)


Das ist nicht mein Job, meine Damen und Herren. Das tra-
gen Sie, bitte schön, nicht mit mir aus.

Herzlichen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1424524900
Das Wort hat jetzt
die Abgeordnete Sabine Leutheusser-Schnarrenberger.


(Rudolf Bindig [SPD]: Sie sind doch untypisch für die FDP!)



Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP):
Rede ID: ID1424525000

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kolle-
gen! Als stellvertretende Fraktionsvorsitzende und Mit-
glied des Führungsgremiums der FDP-Bundespartei und
natürlich auch als jemand, dessen sehr klare Haltung in
Fragen des Umgangs mit Deutschen jüdischen Glau-
bens auch von der FDP-Fraktion und der Bundespartei
geteilt wird, spreche ich heute in dieser Debatte.

Mit großer Sorge sehen die in Deutschland lebenden
Bürgerinnen und Bürger jüdischen Glaubens, dass ein
friedliches Nebeneinander der in Israel lebenden Men-
schen und der in den Autonomiegebieten lebenden Paläs-
tinenser in weiter Ferne liegt und sich die Schaffung eines
demokratischen Palästinenserstaates neben einem Staat
Israel in gesicherten Grenzen derzeit als Vision erweist.
Umso wichtiger ist es, dass die Deutschen jüdischen
Glaubens, die in den vergangenen Jahren in Deutschland
ihre Heimat gefunden haben, sich sicher, geborgen und
wohl fühlen können. Denn dieser Zusammenhalt der ge-
samten deutschen Gesellschaft ist vor dem Hintergrund
der jüngsten Geschichte, der nationalsozialistischen Dik-
tatur und des Holocaust, auch heute in Teilen unserer Ge-
sellschaft nicht selbstverständlich.


(Beifall bei der FDP)

Die FDP-Bundestagsfraktion hat deshalb von Anfang an

die Überlegungen unterstützt, einen gemeinsamen Antrag
aller Fraktionen zur Ächtung des Antisemitismus und zur
Stärkung des Zusammenhalts in Deutschland zu formu-
lieren, einzubringen und die Gemeinsamkeit aller Demo-
kraten, die auch von Vorrednern hier im Hause nicht bestrit-
ten wurde, mit einem Beschluss, der mit überwältigender
Mehrheit dieses Hauses zustande kommt, deutlich zu ma-
chen.


(Beifall bei der FDP)





Cem Özdemir

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(D)



(A)



(B)


Umso mehr bedauern wir, die FDP-Bundestagsfrak-
tion, dass diese Gemeinsamkeit hier, in diesem Hause,
von Ihnen, Kolleginnen und Kollegen der SPD und des
Bündnisses 90/Die Grünen, aufgekündigt worden ist


(Lilo Friedrich [Mettmann] [SPD]: Wer hat sie aufgekündigt? Doch wir nicht! – Gegenruf des Abg. Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Doch!)


und dass die zurückliegenden Debatten in Deutschland
über den Nahen Osten und über den Antisemitismus zum
Anlass genommen wurden, die FDP-Bundestagsfraktion
auszugrenzen.


(Beifall bei der FDP – Widerspruch bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)


Jetzt besteht die groteske Situation, dass SPD und
Bündnis 90/Die Grünen auf der einen Seite sowie FDPauf
der anderen Seite zwei gleich lautende Anträge einge-
bracht haben. Es gibt keine Differenz in der inhaltlichen
Auseinandersetzung


(Beifall bei der FDP)

und in unserer Auffassung, mit Menschen jüdischen Glau-
bens in Deutschland nicht nur zusammenzuleben, sondern
auch alles zu tun, damit sie sich hier wohl fühlen.


(Rudolf Bindig [SPD]: Rollenspiel: Sie reden so und der andere so!)


Durch die aufgespaltene Einbringung dieses Antrags
haben Sie in diesem Hause versucht, die FDP-Fraktion an
den Pranger zu stellen und das Thema „Antisemitismus
ächten“ zu instrumentalisieren. Die Auseinandersetzung
über Ursachen des Antisemitismus, über antisemitisch
motivierte Straftaten sowie über die Schändung von jü-
dischen Friedhöfen und Synagogen braucht die Gemein-
samkeit der Demokraten in Deutschland.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1424525100
Frau Kollegin
Leutheusser-Schnarrenberger, gestatten Sie eine Zwi-
schenfrage?


Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP):
Rede ID: ID1424525200
Ich
sage Ihnen ganz klar und deutlich: Das, was in unserem
Antrag steht, ist die Auffassung der FDP-Bundestagsfrak-
tion.


(Dr. Barbara Hendricks [SPD]: Frau LeutheusserSchnarrenberger, mit Ihnen geht das, aber es geht eben nicht mit allen!)


Sie finden hier keinen Einzigen, dem Sie diesen Vorwurf
machen können.


(Beifall bei der FDP – Dr. Barbara Hendricks [SPD]: Dann ist Möllemann ja Gott sei Dank rechtzeitig gegangen!)


Die Führungspersönlichkeiten der FDP, der Vorsit-
zende der FDP-Bundestagsfraktion und der Vorsitzende
der Partei, haben dafür gesorgt


(Dr. Barbara Hendricks [SPD]: Der Vorsitzende der Partei hat doch wochenlang nicht gewusst, was er sagen soll!)


– er hat sich sehr klar geäußert –, dass die zu Recht zu kri-
tisierenden Äußerungen, die aus der FDPgekommen sind,
hier entsprechend gewertet worden sind.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1424525300
Frau Kollegin,
Sie müssen mir jetzt mitteilen, ob Sie die Zwischenfrage
der Kollegin Schmidt beantworten wollen.


Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP):
Rede ID: ID1424525400

Bitte schön.


Dagmar Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1424525500
Frau Kollegin
Leutheusser-Schnarrenberger, ich nehme Ihnen das, was
Sie gesagt haben, gerne ab. Ich darf aber aus Punkt 5 Ihres
Antrags – Sie haben eben darauf hingewiesen, dass Ihr An-
trag und der von Rot-Grün gleich lautend sind – zitieren:

Der Deutsche Bundestag verurteilt alle Versuche, das
antisemitische Argument, die Juden seien schuld am
Antisemitismus, wieder aufleben zu lassen.

Gibt es die Chance, dass die Mehrheit der Delegierten ei-
nes Parteitages der FDPdiesem Satz überhaupt zustimmt?


(Walter Hirche [FDP]: Selbstverständlich! – Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Das ist ja lächerlich! Absurd!)



Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP):
Rede ID: ID1424525600

Sehr geehrte Frau Kollegin, wir haben diesen Satz nicht
aus Ihrem Antrag abgeschrieben, ohne den Inhalt zu lesen.
Wir haben ihn vielmehr ganz bewusst aufgenommen;
denn er gibt das wieder, was wir in der Auseinanderset-
zung der letzten Wochen, die der FDP natürlich am meis-
ten geschadet hat, immer wieder zum Ausdruck gebracht
haben. Wir haben diese Form von Argumentation und
Auseinandersetzung ganz deutlich verurteilt und uns von
anderen Auffassungen distanziert.


(Dr. Barbara Hendricks [SPD]: Herr Möllemann ist immer noch stellvertretender Bundesvorsitzender!)


Deshalb verstehe ich nicht, dass es hier, in diesem Haus,
nicht möglich ist, gemeinsam mit der Fraktion der FDPei-
nen Antrag zu beschließen, der genau diesen Satz enthält.


(Beifall bei der FDP)

An den Zwischenrufen und an Ihren Bemerkungen er-

kenne ich: Leider erliegen manche der Versuchung, dieses
Thema in einer Art und Weise zu instrumentalisieren, die
seiner Bedeutung nicht gerecht wird.


(Beifall bei der FDP – Hans Büttner [Ingolstadt] [SPD]: Wer hat das instrumentalisiert?)


Wir haben die Auseinandersetzung in allen Facetten ge-
führt. Die Demokratie lebt von der kontroversen Ausein-
andersetzung.

Ich sage auch ganz klar: Die Meinungsfreiheit hat
Grenzen. Herr Özdemir, Sie sind darauf eingegangen:
Immer dann, wenn zur Tötung eines Menschen konkret
aufgerufen wird, ist jeder Bundestagsabgeordnete, der




Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
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(C)



(D)



(A)



(B)


von diesem Aufruf gehört hat oder dabei war, gefordert,
dagegen ganz klar Stellung zu beziehen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Große liberale Demokraten, wie Theodor Heuss,
Hildegard Hamm-Brücher, Walter Scheel, Hans-Dietrich
Genscher, Otto Graf Lambsdorff, Burkhard Hirsch und
Gerhart Baum – das sind nur einige –, haben in den ver-
gangenen Jahrzehnten in der FDP in unterschiedlichen
Funktionen gegen antisemitische Tendenzen und rassis-
tische Strömungen in Deutschland gekämpft. Das setzen
heute viele junge und ältere Liberale in Führungspositio-
nen, zu denen ich gehöre, engagiert fort. Deshalb lassen
wir uns nicht pauschal verunglimpfen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Barbara Hendricks [SPD]: Das ist keine pauschale Verurteilung von uns! Sie nehmen wir aus, Frau LeutheusserSchnarrenberger!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1424525700
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Heinrich Fink.


Dr. Heinrich Fink (PDS):
Rede ID: ID1424525800
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Deutschland ist reicher ge-
worden: 1989 waren 30 000 Juden in Deutschland, 2001
waren es 90 000 Juden. Reicher geworden sind wir heute
durch Zuwanderung, vor allem aus Osteuropa. Jüdisches
Leben hat erneut zu pulsieren begonnen wie in den 20er-
Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Es gibt wieder jü-
disches Theater. Es gibt wieder Diskussionen in Deutsch-
land über die entsprechende jüdische Tradition.

Aber von 1989 bis 2001 registrierten wir auch
3 473 Straftaten, die antisemitische Motive hatten. Günter
Gaus meint: Es ist eine sich verbreitende Überzeugung ei-
ner arglosen Grenznähe zum gewöhnlichen Antisemitis-
mus. Es ist wichtig und richtig, antisemitische Straftaten
zu verhindern und, wo sie doch geschehen, die Täter zu
ergreifen und zu bestrafen. Das ist die Pflicht eines
Rechtsstaates.

Aber was geschieht auf der Ebene der kulturellen Aus-
einandersetzungen? Was geschieht in der arglosen
Grenznähe zum Antisemitismus? Gäbe es eine PISA-Stu-
die über den Wissensstand von Erwachsenen in Sachen
Geschichte der Juden in Deutschland, wie wäre wohl das
Ergebnis?


(Zuruf von der SPD: Miserabel!)

Kann man erwarten, dass deutsche Bürgerinnen und Bür-
ger wissen, dass bereits Könige und Fürsten und auch die
christlichen Kirchen beider Konfessionen offen oder latent
Antisemitismus vertraten oder Antijudaismus gepredigt
haben? Natürlich haben auch die deutschen Universitäten
dazu beigetragen. Als Heinrich von Treitschke 1886 seine
große Vorlesung über Europa gehalten hat, überlegte er,
wie Deutschland in Europa führend werden könne, und er
befürchtete: Überall, wo wir Deutschen hinkommen, sind
bereits die Juden; die Juden sind unser Unglück.

Die Auseinandersetzung wird auch heute geführt, un-
ter anderem in der Wissenschaft. Ich bin sehr froh, dass
man jetzt in Deutschland an 36 Universitäten Judaismus
oder jüdische Wissenschaften studieren kann. Das ist ein
unwahrscheinlicher Fortschritt, den wir nicht von der
Hand weisen können.

Aber die Auseinandersetzung mit der immer noch in den
Arierparagraphen, der Ariergesetzgebung Hitlers, wurzeln-
den Überzeugung kann nicht nur mit kostenloser Zivilcou-
rage überwunden werden. Um die gefährliche Mischung
von Falschwissen und Unwissen überhaupt bewusst zu
machen, bedarf es sorgfältiger Auseinandersetzung. Diese
sorgfältige Auseinandersetzung muss uns etwas kosten.
Denn Antisemitismus deckt einen tief greifenden Mangel
an Kenntnis und demokratischer Überzeugung auf.

Die Aufklärung über den Antisemitismus ist ein Kampf
wider die Dummheit. Wir brauchen heute eine zweite
Aufklärung. Diese zweite Aufklärung gibt uns die Gele-
genheit, gerade auch in diesem Parlament darüber zu dis-
kutieren. Was aber, wenn zum Beispiel Schulklassen den
Theaterbesuch von Hochhuths „Stellvertreter“ nicht mehr
bezahlen können? Was aber, wenn ein jüdischer Kultur-
verein in Berlin bald seine Existenz aufkündigen muss,
weil er nicht mehr finanziell unterstützt wird?

Liebe Freunde, ich glaube schon, dass gerade in dieser
Auseinandersetzung auch ein Stück Ohnmacht deutlich
wird. Dieser Ohnmacht sollten wir uns erst einmal stellen
und erklären, dass wir alle immer noch unsere Probleme
mit dieser Geschichte haben und diesen Reichtum, der zu
uns kommt, eigentlich nicht annehmen.

Ich betone noch einmal: Deutschland ist reicher an jü-
discher Kultur geworden, auch an Klezmer, an jiddi-
scher Sprache und jiddischem Theater. Sind wir bereit,
diese neue Chance für ein Nachdenken über uns selbst,
diese Herausforderung anzunehmen? Ich hoffe für unsere
Kinder und Enkelkinder im Zusammenleben von Juden
und Nichtjuden in Deutschland auf eine neue Zukunft
ohne Furcht vor neuerlichem Antisemitismus.

Vielen Dank.

(Beifall bei der PDS)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1424525900
Das Wort hat
jetzt die Parlamentarische Staatssekretärin Cornelie
Sonntag-Wolgast.

D
Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast (SPD):
Rede ID: ID1424526000
Frau Präsidentin! Liebe
Kollegen und Kolleginnen! Manchmal ist es nötig, dass Par-
lament und Regierung Selbstverständliches artikulieren.
Dieser Zeitpunkt ist angesichts der Antisemitismusdebatte
dieser Wochen gekommen. Nun weiß ich sehr wohl um
die lange Vorgeschichte der Anträge, über die wir heute
reden. Vor fast zwei Jahren ging es um eine klare Verur-
teilung antisemitischer Anschläge. Inzwischen aber ent-
zündet sich der Disput an aktuellen Äußerungen, die der
Zentralrat der Juden als schlimmste Beleidigung der jü-
dischen Gemeinschaft seit 1945 wertet. Es geht um die
Unfähigkeit oder auch den geplanten Unwillen mancher
prominenter Politiker – Frau Leutheusser-Schnarrenberger,




Sabine Leutheusser-Schnarrenberger

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(C)



(D)



(A)



(B)


ich weiß nicht, warum Sie das nicht richtig auffassen kön-
nen –, die notwendige Trennschärfe zwischen legitimer
Kritik am Vorgehen der palästinensischen wie auch der is-
raelischen Seite im Nahostkonflikt einerseits und boshaf-
ten Äußerungen über bei uns lebende jüdische Bürger an-
dererseits beizubehalten, und um das Interesse dieser
Politiker, das daraus entstehende dumpfe Gebräu zum
Stimmenfang zu nutzen. Diese Vermischung verlangt die
klare Ablehnung des Parlaments.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich glaube schon, dass unsere Demokratie gefestigt ist.
Aber es ist und bleibt gefährlich, auf der Tastatur antise-
mitischerGefühle zu spielen. Unsere Geschichte legt uns
eine dauerhafte Verantwortung auf, uns mit allen Kräften
dagegen aufzulehnen. Der Abgrund, in den dieser Wahn
geführt hat, war zu tief und zu erschreckend, um nach der
so genannten Normalität zu rufen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie des Abg. Uwe Hiksch [PDS])


Die Statistik für das Jahr 2001 ist einschlägig: Sie zeigt
insgesamt über 1 600 antisemitische Straftaten, darunter
24 Fälle von Körperverletzung, über 1 000 Fälle von Volks-
verhetzung und fast 300 Propagandadelikte sowie 24 Fälle
von Störung der Totenruhe, also Schändungen von Grab-
malen auf jüdischen Friedhöfen. Ist das „Normalität“?
Nach fundierten Forschungsergebnissen gibt es bei 15 bis
20 Prozent der Bevölkerung einen latenten Antisemitis-
mus; manche Wissenschaftler sprechen sogar von einer
steigenden Tendenz. Jeder Versuch, diese Ressentiments
anzuheizen, ist einfach verabscheuungswürdig.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Man hört dieser Tage wohlfeile Sprüche. Einer endet
meist mit Floskeln wie „Das muss man doch auch mal sa-
gen dürfen“.


(Dr. Barbara Hendricks [SPD]: Ja, Westerwelle zum Beispiel!)


Es ist für uns in Deutschland schwierig und erfordert viel
Sachverstand und Fingerspitzengefühl, etwa den Nah-
ostkonflikt zu kommentieren und dabei die Kritik auszu-
balancieren. Unser Außenminister Joschka Fischer kann
das. Er kennt die Stimmungslage vor Ort und genießt mit
vollem Recht den Respekt beider Seiten.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Andere zerstören leider mit verantwortungslosen Formu-
lierungen mühsam aufgebautes Vertrauen, übrigens bei
Juden und Muslimen.

Es gibt keine jüdische Gemeinschaft in Europa, die
derzeit so schnell wie die in Deutschland wächst; inzwi-
schen sind es 95 000 Menschen. Jüdisches Leben fängt
überhaupt wieder an, sich zu entfalten. Synagogen wer-
den neu gegründet, Fernsehspiele zeigen auch schon mal
Familienfeste nach jüdischem Brauch. Wir bekommen
erstmals seit Jahrzehnten die Chance, all das kennen zu
lernen. Darüber muss man doch einfach heilfroh sein!


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Klar, die Zuwanderung, vor allem aus Osteuropa,
klappt nicht immer reibungslos. Deswegen unterstützt die
Bundesregierung die jüdischen Gemeinden bei dieser
harten Integrationsarbeit. Die Gesellschaft für Christ-
lich-Jüdische Zusammenarbeit wird seit Jahrzehnten ge-
fördert, aber auch Projekte wie der interreligiöse Dialog,
die Hochschule für jüdische Studien, das Leo-Baeck-
Institut oder kulturpolitische Initiativen. Selbstverständ-
lich und leider auch nötig ist es, dass unsere zusätzlichen
Programme gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit,
Entimon, XENOS und Civitas, die Bekämpfung des
Antisemitismus einschließen.

Übrigens gibt es in letzter Zeit noch einen anderen
Satz, den wir nicht durchgehen lassen dürfen. Er heißt
etwa so: „Der oder die legt es aber auch darauf an, dass
man zum Antisemiten wird.“ Was heißt das eigentlich?
Müsste sich der ebenso unbarmherzige wie brillante Lite-
raturkritiker Marcel Reich-Ranicki seine manchmal ät-
zenden Kommentare verkneifen, weil er Jude ist? Das
wäre doch schrecklich.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Oder ärgern sich Michel Friedmans Talkshowgäste über
provozierende Fragen und seine häufigen Unterbrechun-
gen, weil er Jude ist?

Kein jüdischer Bürger in unserem Land will in philo-
semitische Watte gepackt werden. Aber wenn wir – nach
dem Motto: Wir haben ja eigentlich nichts gegen die Ju-
den, aber sie sollen doch bitte leise und hübsch beschei-
den sein – wieder anfangen, ethnische und religiöse Zu-
gehörigkeit zum Maßstab für Verhalten und Auftreten
sowie zum Maßstab für unsere Toleranz zu machen, dann
ist Gefahr im Verzuge.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Antisemitismus auf das Gebaren jüdischer Gesprächs-
partner zurückzuführen markiert den Weg in den Rassis-
mus.


(Dr. Peter Struck [SPD]: So ist es!)

Antisemitismus – ich muss es noch einmal sagen –

kann man nicht rechtfertigen oder begründen; man kann
ihn nur verurteilen.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Das haben wir in der Aktuellen Stunde vor 14 Tagen ge-
tan. Wir tun es heute noch einmal mit aller Klarheit. Das
ist richtig und leider auch nötig.

Danke schön.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)





Parl. Staatssekretärin Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast
24766


(C)



(D)



(A)



(B)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1424526100
Ich schließe da-
mit die Aussprache.

Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Innenaus-
schusses auf Drucksache 14/9480. Der Ausschuss emp-
fiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung, den Antrag
der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grü-
nen auf Drucksache 14/9226 mit dem Titel „Antisemi-
tismus ächten – Zusammenhalt in Deutschland stärken“
in der Ausschussfassung anzunehmen. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Enthal-
tungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen
der Koalitionsfraktionen und der PDS bei Enthaltung von
CDU/CSU und FDP angenommen worden.

Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der
Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion der
CDU/CSU auf Drucksache 14/4245 mit dem Titel „Jüdi-
sches Leben in Deutschland“. Wer stimmt für diese Be-
schlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? –
Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koali-
tionsfraktionen gegen die Stimmen von CDU/CSU bei
Enthaltung von FDP und PDS angenommen worden.

Schließlich empfiehlt der Innenausschuss unter Nr. 3
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 14/9480 die
Ablehnung des Antrages der Fraktion der FDP auf Druck-
sache 14/9261 mit dem Titel „Antisemitismus ächten –
Zusammenhalt in Deutschland stärken“. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Enthal-
tungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen
der Koalitionsfraktionen und einer Stimme aus der PDS
gegen die Stimmen der FDP und einige Stimmen aus der
CDU/CSU bei Enthaltung der meisten Abgeordneten der
CDU/CSU-Fraktion und einer Stimme von Bündnis 90/
Die Grünen sowie der meisten Stimmen der PDS ange-
nommen worden.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1424526200
Ich rufe die Ta-
gesordnungspunkte 11 a bis 11 c sowie den Zusatztages-
ordnungspunkt 12 auf:
11. a) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten

Kurt-Dieter Grill, Matthias Wissmann, Dr. Peter
Paziorek, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der CDU/CSU
Der Energiebericht des Bundesministers für
Wirtschaft und Technologie und seine Bedeu-
tung für ein Energiekonzept der Bundesregie-
rung
– Drucksachen 14/7854, 14/9171 –

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit (16.Ausschuss) zu dem An-
trag der Abgeordneten Kurt-Dieter Grill, Jochen-
Konrad Fromme, Reinhard Freiherr von Schorlemer,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/
CSU
Ausgleich für die nuklearen Entsorgungs-

(Schacht Konrad)

Sachsen-Anhalt

– Drucksachen 14/7786, 14/8708 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Horst Kubatschka
Kurt-Dieter Grill
Winfried Hermann
Birgit Homburger
Eva Bulling-Schröter

c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Wirtschaft und Techno-
logie (9. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeord-
neten Rolf Hempelmann, Brigitte Adler, Ingrid
Becker-Inglau, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten
Michaele Hustedt, Hans-Josef Fell, Dr. Angelika
Köster-Loßack, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Deutsche Exportinitiative – Erneuerbare En-
ergien
– Drucksachen 14/8278, 14/9120 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Rolf Hempelmann

ZP 12 Beratung des Antrags der Abgeordneten Kurt-
Dieter Grill, Matthias Wissmann, Dr. Christian
Ruck, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
CDU/CSU
Mehr Chancen für den Export und die For-
schungs- und Entwicklungszusammenarbeit
durch marktwirtschaftliche Ansätze bei den
erneuerbaren Energien
– Drucksache 14/9539 –

Zur Großen Anfrage liegen zwei Entschließungsan-
träge der Fraktion der CDU/CSU sowie ein Entschlie-
ßungsantrag der Fraktion der PDS vor.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Wider-
spruch höre ich nicht. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst der
Abgeordnete Rolf Hempelmann.


Rolf Hempelmann (SPD):
Rede ID: ID1424526300
Frau Präsidentin! Meine
lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich darf mich zunächst
einmal – als Einstieg ist das vielleicht etwas ungewöhn-
lich – bei meinen Kollegen aus der CDU/CSU-Fraktion
bedanken. Sie sind dafür verantwortlich, dass dieser
Punkt auf die Tagesordnung gesetzt worden ist. Das gibt
uns, das gibt mir Gelegenheit, etwas zur energiepoli-
tischen Bilanz dieser rot-grünen Bundesregierung und der
sie tragenden Fraktionen in den letzten vier Jahren zu sa-
gen.


(Beifall der Abg. Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])


Zu einer guten Bilanz gehört natürlich auch, dass man
den Ausgangspunkt ein bisschen klar macht. Wie sah das
1998 aus? Jeder weiß: In den Jahren zuvor wurde der eu-
ropäische Binnenmarkt für leitungsgebundene Energien






(C)



(D)



(A)



(B)


liberalisiert. Dazu wurden europäische Richtlinien erlas-
sen, die dann hier in Deutschland und natürlich auch in
anderen Mitgliedstaaten der Union in nationales Recht
umgesetzt wurden. Das Ergebnis war: Entgegen dem Ju-
bel, der allseits stattfand, herrschten weiterhin ungleiche
Wettbewerbsbedingungen. Es gab weiterhin geschützte
Monopole in Südeuropa – insbesondere in Frankreich –
und Staatsunternehmen, die frei agieren konnten, und
zwar nicht nur auf ihren eigenen Märkten, sondern zum
Beispiel auch auf dem deutschen Markt. Die 60-pro-
zentige Beteiligung der EDF, also des französischen
Staatsmonopolisten, an der EnBW ist, glaube ich, ein be-
redtes Beispiel.

Ganz anders sieht die Energiebilanz dieser Bundes-
regierung aus. Das 100 000-Dächer-Photovoltaik-Pro-
gramm beispielsweise


(Lachen des Abg. Kurt-Dieter Grill [CDU/CSU])


– Herr Grill freut sich einerseits heute noch, dass wir es
gemacht haben; andererseits ärgert er sich, dass er nichts
auf sein eigenes Dach geschnallt hat –


(Susanne Kastner [SPD]: Weil er für die Atomkraft ist! – Kurt-Dieter Grill [CDU/CSU]: Hast du mal die Antworten auf die Große Anfrage gelesen? – Walter Hirche [FDP]: Kein Kilogramm CO2-Ersparnis!)


hat einen erheblichen Beitrag zum Klimaschutz in unse-
rem Lande geleistet und geholfen, 20 000 Arbeitsplätze zu
schaffen.


(Monika Ganseforth [SPD]: Vorbildliche Energiepolitik ist das! – Vera Lengsfeld [CDU/ CSU]: Alles steuersubventioniert!)


Ich denke, das ist auch der Grund für die eben hier arti-
kulierte Freude.

Darüber hinaus – das ist ja unumstritten, sonst wäre der
Protest hier ganz anders – haben wir durch unser Markt-
einführungsprogramm für erneuerbare Energien und ins-
besondere durch unser EEG, also das Erneuerbare-
Energien-Gesetz, endlich dafür gesorgt, dass ein großer
und größer werdender Anteil unserer Stromerzeugung
durch erneuerbare Energien abgedeckt wird. Das ist gut
so. Daran werden wir weiter arbeiten.

(Beifall bei der SPD – Vera Lengsfeld [CDU/ CSU]: Damit die Reichen noch reicher werden!)

– Ich glaube, es ist eher Ihr Spezialgebiet, Reiche noch
reicher zu machen – ob mit oder ohne Koffer, sei dahin-
gestellt –; da sind wir ja eher Waisenknaben.


(Lachen bei der CDU/CSU)

– Ich freue mich über Ihre Begeisterung.

Auf jeden Fall haben wir damit über 100 000 zusätz-
liche Arbeitsplätze in unserem Lande geschaffen. Ich
denke, darauf können wir stolz sein. Das ist der richtige
Weg. Diesen Weg werden wir fortsetzen.


(Klaus Brähmig [CDU/CSU]: Aber nicht mehr nach September!)


Meine Damen und Herren, es liegt ein Antrag der
CDU/CSU-Fraktion – abgeschrieben von einem Antrag
von Rot-Grün und ein bisschen variiert – zu einer deut-
schen Exportinitiative für erneuerbare Energien vor. Das,
was wir vorgelegt haben, findet übrigens breites Lob in
der Öffentlichkeit,


(Monika Ganseforth [SPD]: Mit Recht!)

unter anderem vom VDMA, also vom Verband der Deut-
schen Maschinen- und Anlagenbauer.


(Beifall bei der SPD)

Wenn ich das richtig sehe, haben nicht alle dort ein rotes
oder grünes Parteibuch. Insofern ist das eine ganz neutrale
Instanz.


(Franz Obermeier [CDU/CSU]: Alles Lobbyisten! – Walter Hirche [FDP]: Haben alle Interesse an Subventionen!)


Von daher freuen wir uns darüber. Diese sind ganz offen-
sichtlich der Auffassung, dass Ihr Antrag entweder über-
flüssig ist oder zu spät kommt. Im Allgemeinen sagt man
ja: Besser spät als nie. Sie hätten aber auch einfach sagen
können: Toll, was die Roten und Grünen gemacht haben.
Wir stimmen dem zu. – Dazu konnten Sie sich jedoch
nicht überwinden. Vielleicht kommt das ja noch.

Energieeinsparverordnung und CO2-Minderungspro-gramm sind die nächsten Stichworte. Wir haben mit un-
seren Gesetzesbeschlüssen dafür gesorgt, dass man bei
Neubauten in Zukunft mit 30 Prozent weniger Energie
auskommen wird. Das Niedrigenergiehaus wird sozusa-
gen Standard. Auch für den Altbestand haben wir einiges
getan. Die von uns aufgelegten Programme sorgen dafür,
dass über entsprechende Wohnraummodernisierung CO2-Einsparungen und Energie- und Ressourcenschonung
stattfinden.


(Beifall bei der SPD und beim BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir kommen jetzt zu
einem Punkt, der uns sehr viel Beifall in der Bevölkerung
und sehr viel Zustimmung in der Wirtschaft gebracht hat.


(Franz Obermeier [CDU/CSU]: Das haben wir bisher noch nicht festgestellt!)


– Sie merken, ich baue Spannung auf; der Herr Obermeier
denkt schon, was kommt jetzt.


(Walter Hirche [FDP]: Neues Stadion für Rot-Weiß Essen?)


– Das wäre auch eine gute Variante. Ein Punkt, bei dem
die CDU/CSU-Fraktion und einige Abgeordnete der
FDP-Fraktion glauben, sie könnten die Schlachten von
gestern schlagen, ist der Ausstieg aus der risikobehafte-
ten Kernenergie.Wie gesagt: positiver Widerhall in Be-
völkerung und Wirtschaft. Sie kündigen nicht nur in den
Ausschüssen des Bundestages, sondern auch in der En-
quete-Kommission an, dass Sie, wenn Sie an die Regie-
rung kommen sollten – man kann auch einmal über sol-
che theoretischen Szenarien sprechen –,


(Franz Obermeier [CDU/CSU]: Und wir kommen!)





Rolf Hempelmann
24768


(C)



(D)



(A)



(B)


den Weg zurück in Richtung Atomenergie suchen wollen.
Sie müssen jedoch lange suchen, denn ihn will keiner
mehr mitgehen, schon gar nicht die Wirtschaft.


(Vera Lengsfeld [CDU/CSU]: Da sind Sie aber falsch informiert!)


Der Präsident des Umweltbundesamtes – immerhin ein
CDU-Mitglied; hier sollten Sie vielleicht einmal zuhö-
ren – sagt, dass das, was Sie vorhaben, ein Szenario ohne
Zukunft ist.


(Kurt-Dieter Grill [CDU/CSU]: Das hat er nicht gesagt! – Walter Hirche [FDP]: Das trog schon manchmal!)


Sie sollten darüber noch einmal mit Ihrem Kanzlerkandida-
ten reden. Vielleicht ist er doch noch zu überreden, sein
Kompetenzteam sozusagen auf Zukunft zu programmieren.


(Walter Hirche [FDP]: Was sagen Sie zum finnischen Reichstagsbeschluss?)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch auf anderen
Feldern hat diese Bundesregierung Erfolge zu verbuchen.
Zum Beispiel – das können wir hier ja einmal festhalten;
wir haben ja auch besondere Freunde der Steinkohle hier
an Bord –


(Franz Obermeier [CDU/CSU]: Du bist doch selber einer!)


ist es in den letzten Wochen gelungen, in Brüssel dafür zu
sorgen, dass das, was Sie 1997 mit der deutschen Stein-
kohleindustrie vertraglich vereinbart haben, bis 2005 auch
tatsächlich umgesetzt werden kann. Sie wissen, dass die
Rechtsgrundlage der EGKS Mitte dieses Jahres entfällt.


(Franz Obermeier [CDU/CSU]: Wir sind enttäuscht!)


Diese Bundesregierung hat dafür gesorgt, dass die Ver-
träge, die Sie gemacht haben, eingehalten werden. Da-
rüber sollten Sie sich freuen, denn ansonsten hätten Sie
sozusagen öffentlich dafür in Haftung genommen werden
können.


(Vera Lengsfeld [CDU/CSU]: Als Opposition waren Sie dagegen!)


Des Weiteren ist dafür gesorgt, dass der deutsche Stein-
kohlebergbau bis 2010 und darüber hinaus eine Perspek-
tive hat. Sie müssen sich einigen, was Sie wollen, ob Ihr
Peter Müller Recht hat, der durch die Lande reist und sagt,
wir wollen sofort aus der Kohlesubvention heraus, oder
ob diejenigen Recht haben, die den Antrag, den Sie heute
vorgelegt haben, unterschrieben haben und sagen, sie
wollen die weitere Förderung der deutschen Kohletech-
nologie. Wer die Kohletechnologie in Deutschland för-
dern will, der muss erst einmal dafür sorgen, dass in
Deutschland Kohle gefördert wird.


(Widerspruch bei der CDU/CSU – Franz Obermeier [CDU/CSU]: Nein! Das ist ein falscher Schluss!)


Wenn wir keine Kohlebasis in Deutschland haben, wenn
die deutsche Kohletechnologie keinen Markt in Deutsch-
land hat, dann wird sie auch keine Absatzchancen im Aus-

land haben. Ihr redet immer davon, dass wir den Trans-
rapid nur verkaufen können, wenn wir ihn in Deutschland
anwenden. Das Gleiche gilt für die Kohle. Wir müssen die
Kohle in Deutschland fördern und entsprechende Techno-
logien hier anwenden, dann können wir sie im Ausland
verkaufen.


(Franz Obermeier [CDU/CSU]: Alt und neu! – Zuruf von der FDP: Vor der Hacke ist es duster!)


In diesem Punkt muss man schon konsequent bleiben.
Auch die Enquete-Kommission des Deutschen Bun-

destages, eingerichtet vor zweieinhalb Jahren – ich gebe
zu, auf Wunsch der Opposition –, hat jedenfalls in Teilen
gute Arbeit geleistet. Rot-Grün hat, wie ich finde, ein
gutes Konzept für die Zukunft vorgelegt. Wir sind nicht
den Weg zurück in die Vergangenheit gegangen.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1424526400
Herr Kollege
Hempelmann, Sie haben Ihre Redezeit bereits weit über-
schritten.


Rolf Hempelmann (SPD):
Rede ID: ID1424526500
Ich komme zum Schluss. –
Ich bin ganz sicher, die Bundesregierung wird in der
nächsten Legislaturperiode unsere Vorschläge aufgreifen
und sie in ein Energiekonzept der Zukunft einarbeiten. Ich
freue mich über Ihre Begeisterung und über die nachfol-
genden Reden.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD – Walter Hirche [FDP]: Über den einzigen wettbewerbsfähigen Energieträger, die Braunkohle, haben Sie kein Wort verloren!)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1424526600
Nächster Redner ist
der Kollege Kurt-Dieter Grill für die Fraktion der
CDU/CSU.


Kurt-Dieter Grill (CDU):
Rede ID: ID1424526700
Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren! Herr Hempelmann, wer Ihrer
Rede gelauscht hat,


(Rolf Hempelmann [SPD]: Der ist beeindruckt!)


der weiß, dass hier jemand geredet hat, der gar nicht weiß,
was auf der Tagesordnung steht. Es geht nämlich um die
Beratung der Großen Anfrage zum Energiebericht des
Bundeswirtschaftsministers.


(Michaele Hustedt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Unter anderem!)


Man könnte ja der Meinung sein, dass bezüglich der von
Hempelmann vorgetragenen Erleuchtung der alte Berg-
mannspruch gilt: „Vor der Hacke ist es duster.“


(Heiterkeit bei der CDU/CSU)

Licht in die Energiepolitik hat es jedenfalls nicht ge-
bracht.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)





Rolf Hempelmann

24769


(C)



(D)



(A)



(B)


Der Kollege Hempelmann hat sich über die Monopole
in Südeuropa beschwert. Dazu muss ich sagen: Vielleicht
sollten wir die Bundesregierung einmal fragen, warum sie
eigentlich die Nichtöffnung der französischen und spani-
schen Energiemärkte akzeptiert hat, als über die Öffnung
der Binnenmärkte in Europa diskutiert wurde.


(Rolf Hempelmann [SPD]: Das war ja wohl euer Job!)


Hat das vielleicht doch etwas mit der Steinkohle zu tun?
Wer sich über die Beteiligung von EDF an EnBW so

wie Sie auslässt, der sollte noch andere Fragen beantwor-
ten, die ebenfalls im Energiebericht des Bundeswirt-
schaftsministers enthalten sind. Innerhalb der Gesetzge-
bung ist der Wettbewerb nicht die Stärke der Regierung.


(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Geradezu ein Stiefkind!)


Wenn man sich einmal die Bilanz der Bundesregie-
rung anschaut, so wie sie Rolf Hempelmann vorgetragen
hat, dann kommt man zu der Feststellung, dass sie aus
100 000 Solardächern und aus der Kohle besteht und da-
zwischen gar nichts.


(Beifall bei der CDU/CSU – Carl-Ludwig Thiele [FDP]: So ist es!)


Genau genommen, gibt es eigentlich gar keine Bilanz der
Bundesregierung in Bezug auf die Energie, weil der Be-
richt des Bundeswirtschaftsministers nicht der Bericht der
Bundesregierung ist.


(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: So ist es!)

Ein Bundeswirtschaftsminister, der in den Hinterzim-

mern mit der Wirtschaft darüber spricht, wie verfehlt die
Subventionspolitik dieser Bundesregierung ist,


(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Sehr richtig! – Monika Ganseforth [SPD]: Herr Grill ist immer dabei!)


der sich darüber aufregt, dass das EEG vollkommen
falsch ist, dass die KWK-Prämie eine Schrottprämie ist
und dass die Arbeitsplätze in der Windenergie mittler-
weile mit 170 000 Euro subventioniert werden, kann in
seinem Energiebericht keine Perspektive für die deutsche
Energiepolitik aufzeigen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Michaele Hustedt [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das stimmt!)


In der Antwort tritt klar zutage, dass diese Bundesregie-
rung nicht hinter dem Bundeswirtschaftsminister und sei-
nem Energiebericht steht.


(Rolf Hempelmann [SPD]: Das kann nicht sein!)


Diese Bundesregierung hat keine Perspektive für die
deutsche Energiepolitik aufgezeigt.


(Susanne Kastner [SPD]: So ein Quatsch nachts um halb zwölf!)


– Es ist aber so. Frau Kastner, Sie sind nach dreieinhalb
Jahren, also am Ende Ihrer Regierungszeit, nicht in der
Lage, ein Energieprogramm bis zum Jahre 2020 vorzule-

gen. Es liegt uns nur ein Bericht vor, in dem Ihre Fehler
beschrieben werden. Aber Sie haben kein Energiepro-
gramm vorgelegt, in dem Perspektiven bis zum Jahr 2020
enthalten sind. Das ist die Realität.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Horst Kubatschka [SPD]: Wir machen es!)


Die beschworene Energiewende, die heute Mittag ge-
rade wieder eine Rolle gespielt hat, findet nicht statt. Wo
denn auch? Der Energiebericht zeigt sie nicht auf.


(Monika Ganseforth [SPD]: Sie sind blind!)

– Im Vergleich zu Ihnen könnte ich selbst als Blinder noch
sehen, Frau Ganseforth.


(Horst Kubatschka [SPD]: Bei blind gibt es keine Differenzierung!)


Die beschworene Energiewende wird nicht beschrie-
ben. Ich könnte Ihnen jetzt haufenweise Zitate anführen,
in denen der Bundeskanzler davon spricht, dass es noch
lange dauern wird, bis sich die Solarenergie durchsetzt,
und dass erst einmal Großkraftwerke auf Steinkohle- und
Braunkohlebasis gebaut werden müssen. Auch der Bun-
deswirtschaftsminister spricht davon. Aber für die Ener-
gieforschung in Sachen Kohlekraftwerke hat er nichts ge-
tan.

Ich könnte Ihnen anhand des Vattenfall-Kongresses, ei-
ner Veranstaltung von Daimler-Chrysler im Novem-
ber 2000 und einiger anderer Veranstaltungen konsequent
nachweisen, dass die Perspektive der Bundesregierung
bedeutet – ich spreche nicht darüber, was manche in die-
sem Hause dazu gesagt haben –:


(Monika Ganseforth [SPD]: Schade!)

Die Nutzung der Kernenergie wird beendet und an die
Stelle von Kernkraft werden Kohlekraftwerke gesetzt.
Um es klipp und klar zu sagen: Die Bundesregierung hat
das Ziel, den CO2-Ausstoß bis 2020 um 40 Prozent zu re-duzieren, aus ihrer Klimapolitik bzw. ihrer Nachhaltig-
keitsstrategie gestrichen, weil sie Kohlekraftwerke bauen
will. Selbst wenn sie die modernsten baut, bedeutet das im
Vergleich zur Nutzung der Kernenergie eine Erhöhung
des CO2-Ausstoßes.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Die Antwort der Bundesregierung auf unsere Große

Anfrage macht auch deutlich, dass die eigentliche Schwie-
rigkeit gar nicht darin besteht, das eine oder andere, zum
Beispiel das 100000-Dächer-Programm hier oder das
KWK-Gesetz dort, zu beschreiben, sondern darin, dass
SPD und Bündnis 90/Die Grünen nicht in der Lage sind,
an den entscheidenden Stellen einen Konsens zu finden.


(Monika Ganseforth [SPD]: Das ist doch Unsinn!)


Wir haben das in der Enquete-Kommission erlebt.
In der Antwort der Bundesregierung auf die Große An-

frage der CDU/CSU zur Energiepolitik hat die Bundesre-
gierung Ziele formuliert: Die Energiepolitik soll staatsfrei
und subventionsfrei sein und auf Wettbewerb beruhen.
Dazu muss ich sagen:




Kurt-Dieter Grill
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(C)



(D)



(A)



(B)


Erstens. Die Subventionen steigen und fallen nicht; ge-
schweige denn, dass Sie eine subventionsfreie Energiepo-
litik machen.

Zweitens. Es gibt immer weniger Wettbewerb, weil es
immer mehr Staat gibt.

Drittens. Sie reden einer Energiepolitik das Wort, in der
im Grunde genommen von unten nach oben verteilt wird.
An diesem Pult hat der Kollege Jung bei der Behandlung
des KWK-Gesetzes offen und deutlich gesagt: Wir be-
grenzen die Belastung der energieintensiven Industrie, in-
dem das Netznutzungsentgelt höchstens um 0,05 Cent pro
Kilowattstunde erhöht werden darf, und legen das, was
die Großen nicht bezahlen, auf den Mittelstand und die
Tarifkunden um. – Sie betreiben mit der Energiepolitik
soziale Ungerechtigkeit und belasten den Mittelstand ein
weiteres Mal.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Monika Ganseforth [SPD]: Kommen Sie wieder zum Thema!)


Wir sprechen über die Energiepolitik der Bundesregie-
rung. Wenn man in der Antwort der Bundesregierung
nachsehen will, welche Ziele die Bundesregierung für das
Jahr 2020 nachprüfbar, also anhand von Fakten, formu-
liert hat, dann stellt man fest: Fehlanzeige!


(Dr. Klaus W. Lippold [Offenbach] [CDU/CSU]: Dünn, dünn!)


Wenn man nachsehen will, wie die Klimaziele für 2020
aussehen, dann finden sich zwar viele Ausreden, warum
es keine gibt. Aber es finden sich keine klaren Formulie-
rungen.


(Monika Ganseforth [SPD]: Wo leben Sie denn?)


Sie haben nicht aufgezeigt, wie das Ziel einer Verminde-
rung des CO2-Ausstoßes um 40 Prozent erreicht werdenkann. Ich füge hinzu: Der Bundeskanzler und der Bun-
deswirtschaftsminister propagieren Kohlekraftwerke auf
Braunkohle- und Steinkohlebasis.

Lieber Rolf Hempelmann, ich habe mir noch einmal
das Protokoll der Enquete-Kommission und den Be-
schlussvorschlag von Herrn Wodopia durchgelesen.


(Monika Ganseforth [SPD]: Jetzt kommt wieder die alte Leier!)


Es waren die Vertreter von Rot-Grün, die den Vorschlag
von Herrn Wodopia hinsichtlich der deutschen Steinkohle
mit einem klaren Nein niedergestimmt haben.


(Monika Ganseforth [SPD]: Das stimmt nicht! – Klaus Brähmig [CDU/CSU]: Eine große Sauerei ist das gewesen!)


Ihr seid die Letzten, die davon sprechen können, dass die
Kohlepolitik der CDU/CSU fragwürdig sei.

Nun möchte ich über die Dinge sprechen, die in den
letzten Tagen und Wochen eine entscheidende Rolle ge-
spielt haben. Da gibt es erstens ein paar Leute wie die Kol-
legin Hustedt, die durch das Land ziehen und die These
verbreiten – ich habe Ihnen das bereits öffentlich gesagt –,

es gebe bei der CDU/CSU und der FDP einen politischen
Beschluss, 50 neue Kernkraftwerke zu bauen.


(Monika Ganseforth [SPD]: 52! – Walter Hirche [FDP]: Das haben die heute überboten! Die haben von 72 gesprochen!)


Das ist gelogen. Sie wissen ganz genau, dass die CDU/
CSU an keiner Stelle, weder in der Enquete-Kommission
noch in anderen energiepolitischen Programmen, die ich
geschrieben habe, auch nur in einem Satz darauf verwie-
sen hat, dass sie für den Bau von 50 bis 70 Kernkraftwer-
ken sei.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Sie brauchen diesen Popanz für den Wahlkampf und für
nichts anderes. Denn Sie bekommen Ihre Leute nicht
mehr in Schwung. Frau Hustedt, ich fordere Sie an dieser
Stelle auf,


(Monika Ganseforth [SPD]: Herr Grill, Herr Grill!)


diese Behauptungen zurückzunehmen und sich dafür zu
entschuldigen. Sie machen Wahlkampf mit Lügen; das ist
das Faktum.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Horst Kubatschka [SPD]: Sie machen Zerrbilder! Ihre Ausführungen haben mit der Wirklichkeit nichts zu tun!)


– Das hat mit der Wirklichkeit nichts zu tun? Herr
Kubatschka, Sie müssen blind sein, wenn Sie nicht lesen
können!


(Horst Kubatschka [SPD]: Haben Sie schon wieder dieses Argument?)


Ich sage Ihnen ein Zweites: Draußen erklären Sie, die
CDU/CSU würde bei einem Regierungswechsel das EEG
abschaffen und die erneuerbaren Energien nicht mehr fi-
nanzieren. Auch das ist falsch. Sie machen draußen mit
Angst Politik. Wir werden das EEG verändern, aber wir
werden es nicht abschaffen. Unter einer Regierung von
CDU und CSU wird es auch eine Förderung der erneuer-
baren Energien geben, aber eine wettbewerbsorientierte
Politik und nicht eine Subventionspolitik, wie Sie sie fort-
geschrieben haben.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Im Übrigen, meine Damen und Herren, will ich noch

zu drei Anträgen etwas sagen.
Erstens. Der Antrag der CDU/CSU zu der Frage der

Exportförderung von erneuerbaren Energien hat die Zu-
stimmung all derjenigen, die davon leben, unter anderem
zum Beispiel des Solarforschungsverbundes. Das, was im
Antrag von Rot-Grün steht, bringt viel Bürokratie in
Deutschland und wenig Hilfen für den Export erneuerba-
rer Energien in Entwicklungsländern mit sich. Wir haben
in diesem Hause deutlich gemacht, dass der Antrag des
Kollegen Schuster aus dem Entwicklungshilfeausschuss,
der von den Interessen der Entwicklungsländer her denkt,
durchaus mit uns verhandelbar gewesen wäre. Aber das,
worüber wir heute entscheiden sollen, ist ein schlechter




Kurt-Dieter Grill

24771


(C)



(D)



(A)



(B)


Antrag, der mit viel Bürokratie in Deutschland verbunden
ist, ohne für die Entwicklungsländer etwas zu bringen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Monika Ganseforth [SPD]: Sie haben ihn nicht gelesen!)


Zweitens. Bei der Initiative für Advanced Global
Technology geht es darum, dass wir in Deutschland auf-
passen müssen, dass in der Kohletechnologie kein Faden-
riss entsteht; denn die Materialien der Kohlekraftwerke
der Zukunft sowie deren Effizienzziele müssen noch ein-
mal auf den Prüfstand. Wir brauchen sowohl im Interesse
der deutschen Braunkohle als auch im Interesse der deut-
schen Steinkohle, aber auch der internationalen Kohlepo-
litik eine solche Forschung. Wir sind gespannt, wie Sie
mit diesem Antrag umgehen werden.

Ein Letztes, meine Damen und Herren: Ich sehe, dass
meine Kollegen gar nicht mehr hier sind, weil sie der An-
trag überhaupt nicht interessiert. Dass Sie heute mit der
Begründung, Niedersachsen habe keinen Antrag gestellt,
einen Lastenausgleich für die Entsorgungsstandorte in
Niedersachsen verweigern, ist eine Unverschämtheit.


(Beifall des Abg. Walter Hirche [FDP])

Unter der Regierung Helmut Kohl und unter der Regie-
rung Ernst Albrecht hat es einen Lastenausgleich für die
Standorte gegeben, die die Last der nationalen Entsorgung
getragen haben.


(Monika Ganseforth [SPD]: Keine Entsorgung in Niedersachsen! Wir sollen das Atomklo werden? Das wollen wir nicht!)


Sie nehmen Ihre Verantwortung nicht wahr. Sie haben
1998 den Bürgerinnen und Bürgern in Niedersachsen und
auch in meinem Wahlkreis erklärt, wenn Sie an die Re-
gierung kommen, hören die Transporte auf, wird in Gor-
leben alles eingerissen. Sie haben das Endlager genutzt
und haben sich bis heute bei den Menschen in Lüchow-
Dannenberg dafür nicht einmal entschuldigt. Herr Trittin
hat hinter dem Stacheldrahtzaun mit Journalisten diskutiert,
aber nicht mit Bürgern. Sie sind den Menschen in Lüchow-
Dannenberg sozusagen eine Entschuldigung schuldig, weil
Sie sie belogen haben, meine Damen und Herren!


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Monika Ganseforth [SPD]: Deswegen wurden Sie abgewählt!)


Das ist die Wahrheit. Sie werden am 22. September zu
spüren bekommen, dass Sie sich noch nicht einmal ent-
schuldigt haben und im Gegensatz zu allen Ministern der
CDU/CSU und der SPD das Gespräch mit den Bürgerin-
nen und Bürgern verweigert haben. Heute verweigern Sie
die Hilfe. Wir werden das zur Kenntnis nehmen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1424526800
Es spricht jetzt die
Kollegin Michaele Hustedt für die Fraktion des Bündnis-
ses 90/Die Grünen.


Michaele Hustedt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1424526900

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich habe es

erwartet. Jetzt kommt wieder die alte Leier: Die Bundes-
regierung hat kein Energieprogramm.


(Walter Hirche [FDP]: Das stimmt doch! – Franz Obermeier [CDU/CSU]: Wo ist es denn?)


Richtig ist: Wir haben kein Papier zur Abstimmung ge-
stellt.


(Franz Obermeier [CDU/CSU]: Ihr habt nichts auf die Reihe gebracht! – Weitere Zurufe von der CDU/CSU)


Das hatten Sie in den letzten zwei Legislaturperioden, in
denen Sie an der Regierung waren, auch nicht.

Wir haben kein Energieprogramm; das heißt aber nicht,
dass wir kein Energiekonzept hätten. Im Gegenteil, wir
haben die Taten sprechen lassen. Und davon möchte ich
einige aufzählen.


(Kurt-Dieter Grill [CDU/CSU]: Die hat der Hempelmann doch alle aufgezählt!)


Mit der Ökosteuer haben wir eine ökologische Finanz-
reform begonnen, die bereits erste Wirkungen zeigt.


(Widerspruch bei der CDU/CSU)

Wir haben einen Konsens mit der Energiewirtschaft

über den Atomausstieg erreicht. In 20 Jahren geht das
letzte AKW vom Netz – weltweit der schnellste Ausstieg,
den es gibt.

Durch das EEG und diverse Förderprogramme haben
wir einen Boom bei der Gewinnung von Energie aus
Sonne, Wind und Biomasse. Wir sind das Innovationsland
Nummer eins durch unsere Förderungen geworden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Durch die KWK-Gesetzgebung haben wir inzwischen
eine Investitionsbereitschaft in der Größenordnung von
einem AKW; so wird es weitergehen. Auch das KWK-Bo-
nus-Gesetz zeigt seine Wirkung. Wir haben den Grund-
stein für den Marktdurchbruch der Brennstoffzelle gelegt
und die Mittel für die Altbausanierung verzehnfacht
– Herr Grill, hören Sie einmal zu, das ist ein Hobbypro-
jekt Ihres Kollegen Lippold –, und zwar trotz des Spar-
haushalts. Wir haben eine Energieeinsparverordnung,


(Kurt-Dieter Grill [CDU/CSU]: Die habt ihr von uns übernommen!)


die den Niedrigenergiehausstandard festschreibt, und den
Energiepass als neues marktwirtschaftliches Instrument
auf den Weg gebracht.

Wir haben die Erdgas- und die Biotreibstoffe von der
Steuer befreit und in der Forschungspolitik, auf die sich
einer Ihrer Anträge bezieht, mehr erreicht als Sie. So ha-
ben wir zum Beispiel die Mittel für die nicht nukleare For-
schung in der Energiewirtschaft von 117 Millionen Euro
auf 148 Millionen Euro – ich wiederhole: 148 Millionen
Euro – erhöht. Wir haben also gegenüber Ihren Vorschlä-
gen, was in der Energieforschung getan werden sollte,
deutlich aufgestockt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)





Kurt-Dieter Grill
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(C)



(D)



(A)



(B)


Sie haben die Subventionen angesprochen. Ich weiß
nicht, ob Sie die Haushaltszahlen des Wirtschaftsministe-
riums kennen. Der Etat sinkt um 10 Prozent. Warum? Herr
Grill, können Sie mir die Antwort geben? Er sinkt, weil
die Subventionen für die Kohle sinken. Wir verzeichnen
ein Minus von 10 Prozent;


(Walter Hirche [FDP]: Aufgrund der Vereinbarung von 1997!)


das ist die größte Senkung in einem Haushalt.

(Franz Obermeier [CDU/CSU]: Dafür können Sie doch nichts!)

Hören Sie doch mit Ihren Forderungen, wir müssten mehr
Forschung betreiben und die Subventionen senken, auf.
Das tun wir und darüber hinaus haben wir noch auf der
ganzen Breite zukunftsweisende Maßnahmen ergriffen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir haben die Weichen gestellt. Die Bilanz: In

Deutschland gibt es eine neue Energiepolitik und ein Kon-
zept, das in die Zukunft weist. Wir setzen auf Innovatio-
nen in der Energiepolitik und schaffen dabei Arbeits-
plätze. Es gab allein im Bereich der erneuerbaren
Energien 130 000 neue Arbeitsplätze.


(Kurt-Dieter Grill [CDU/CSU]: Das könnt ihr doch nicht belegen!)


Auch durch die Ökosteuer und die KWK-Gesetzgebung
werden neue Arbeitsplätze geschaffen.

Wir zeigen damit, dass es sich für den Standort
Deutschland lohnt, Vorreiter im Klimaschutz zu sein, und
wir damit Exportmärkte erobern können. Wir beweisen
damit, dass man auch dann, wenn man Pioniermärkte be-
setzt, wirtschaftlich erfolgreich sein kann.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Monika Ganseforth [SPD]: Die wollen ja wieder zurück!)


Wir geben damit weltweit den Anreiz, uns nachzueifern.
Frankreich und Brasilien beispielsweise haben unser Ge-
setz zur Förderung der erneuerbaren Energien übernom-
men. Es gibt große Aufmerksamkeit für die neue Ener-
giepolitik der rot-grünen Regierung in unserem Land. Wir
machen eine Politik ohne radioaktive Strahlung, aber mit
großer Ausstrahlung auf die ganze Welt.


(Kurt-Dieter Grill [CDU/CSU]: Am deutschen Wesen soll die Welt genesen!)


Unser Konzept lautet zusammengefasst gemäß Erich
Kästner: Es gibt nichts Gutes, außer man tut es. Das ha-
ben wir in dieser Legislaturperiode bisher getan.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Jetzt komme ich zu Ihnen. Was fällt Ihnen ein? Haben
Sie von der CDU/CSU heute ein Energiekonzept vorge-
legt? Das ist mir ehrlich gesagt entgangen. Sie haben hier
nur herumgekrittelt. Sie jammern wieder einmal über das
Ende der Atomkraft. Aber wenn wir den Ansatz „Klima-
schutz durch Atomkraft“ durchrechnen – jetzt komme
ich auf die Arbeit der Enquete-Kommission zu sprechen –,

dann sagen Sie: Bloß nicht, damit haben wir nichts zu tun.
Denn Sie wissen genau, dass Klimaschutz durch Atom-
kraft in unserem Land nicht durchsetzbar ist. Klimaschutz
durch Atomkraft heißt, 50 bis 70 Atomkraftwerke zu
bauen. Das waren die Szenarien, die wir in der Enquete-
Kommission durchgerechnet haben.


(Walter Hirche [FDP]: Das können Sie ABCSchützen erzählen! – Franz Obermeier [CDU/ CSU]: Das ist eine Lüge!)


Dazu können selbst Sie nicht stehen.

(Kurt-Dieter Grill [CDU/CSU]: Bleiben Sie bei der Wahrheit, dann können wir uns unterhalten!)


Verständigen wir uns doch darauf, dass der einzige
vernünftige Weg zu einer zukunftsfähigen und nachhalti-
gen Energiewirtschaft derjenige ist, den die rot-grüne
Bundesregierung eingeschlagen hat. Dazu gehören drei
Säulen: Energieeinsparung, Energieeffizienz und erneu-
erbare Energien. Diese drei Säulen haben wir in dieser
Legislaturperiode gestärkt. Das ist der einzige vernünftige
Weg in die Zukunft. Das belegt auch die Diskussion in der
Enquete-Kommission.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Es liegt mir am Herzen, noch etwas zu der Exportof-
fensive zu sagen. Ich freue mich, dass die CDU/CSU dazu
einen eigenen Antrag eingebracht hat. Ich habe immer ge-
sagt, dass ich auch Sie hierfür gewinnen will. Unser Ziel
ist dasselbe. Wir halten es für gut, dass diese Branche, die
es nun einmal gibt – ob man sie liebt oder nicht, da mö-
gen wir unterschiedlicher Auffassung sein –, ein zweites
Standbein bekommt. Ich finde, Ihr Antrag bleibt relativ
blass, während unser Antrag sehr konkret ist. Aber ich
hoffe, dass wir uns, wenn wir heute auch nicht gemeinsam
stimmen, doch in nächster Zeit annähern werden.

Ich möchte einmal sagen, was wir wollen. Wir möch-
ten einer Branche, die über eine Spitzentechnologie ver-
fügt, womit wir Innovationsmärkte besetzen, die gleich-
zeitig jung und mittelständisch organisiert ist, nicht nur
helfen, auf dem Binnenmarkt einen Absatzmarkt zu fin-
den, sondern auch dabei, sich ein zweites Standbein im
Export zu schaffen. Dies wollen wir tun, indem wir zum
Beispiel helfen, Informationen darüber zu sammeln und
zu komprimieren, in welchem Land es sich überhaupt
lohnt, aktiv zu werden, etwa in Form einer Top-Ten-Liste.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1424527000
Frau Kollegin
Hustedt, kommen Sie bitte zum Schluss.


Michaele Hustedt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1424527100

Andere haben ihre Redezeit auch überzogen, aber ich
komme zum Schluss. – Es geht darum, Kontakte herzu-
stellen, Botschaften zu schulen, Kioto-Instrumente in die-
sem Sinne weiterzuentwickeln. Vor diesem Hintergrund
finde ich Ihren Vorwurf, wir würden da zu nationalistisch
denken, ehrlich gesagt komisch.


(Walter Hirche [FDP]: Zu national haben wir gesagt, nicht zu nationalistisch!)





Michaele Hustedt

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(C)



(D)



(A)



(B)


Wenn wir Vorreiter sind, wollen wir natürlich auch etwas
davon haben, und zwar Exportchancen.


(Frank Obermeier [CDU/CSU]: Ein Tunnelblick ist das!)


Lassen Sie uns doch gemeinsam darum kämpfen, dass wir
aus der Vorreiterrolle im Klimaschutz auch Vorteile für
unseren Wirtschaftsstandort Deutschland ziehen! Das ist
der Kern dieser Initiative. Die dena soll kein Ersatz für die
anderen Insititutionen sein.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1424527200
Frau Kollegin
Hustedt, Sie müssen zum Schluss kommen.


Michaele Hustedt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1424527300

Ich bin jetzt am Schluss. – Sie sollen Ihre Aufgaben wahr-
nehmen und Motor bzw. Moderator sein, damit es einen
Ansprechpartner gibt.

Abschließend: Ich wünsche und hoffe, dass dieses
kleine Pflänzchen Exportoffensive in der nächsten Legis-
laturperiode zu einem Baum wird, der Früchte trägt,


(Zuruf von der CDU/CSU: Das war eine Tunnelrede!)


den wir dann gemeinsam gießen und auch begrüßen.
Danke.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1424527400
Jetzt hat das Wort der
Kollege Walter Hirche für die FDP-Fraktion. Er bekommt
auch gleich eine Minute mehr.


Walter Hirche (FDP):
Rede ID: ID1424527500
Frau Präsidentin! Meine Da-
men und Herren! Ich bin ganz dankbar dafür, dass Frau
Hustedt hier mit umfangreichen Worten vorgeführt hat,
dass das, was sie sich unter Energiepolitik vorstellt, in
völligem Widerspruch zu dem Energiebericht des Bun-
deswirtschaftsministers steht.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Die Bundesregierung hat ja auf die etwas simple Frage

der CDU/CSU, wer denn eigentlich für die Energiepolitik
zuständig sei, gesagt: der Bundeswirtschaftsminister.
Wenn dem so ist, dann muss man den Energiebericht des
Bundeswirtschaftsministers ja für bare Münze nehmen.
Das will ich einmal tun.

Im Energiebericht steht zum Beispiel nicht, dass sich
die Bundesregierung das Ziel einer 40-prozentigen Re-
duktion der Treibhausgase zu Eigen macht. Dort heißt es,
dass es, wenn andere Industrienationen nicht ebenfalls
Verpflichtungen wie die Bundesrepublik eingehen, zu ei-
nem Schaden für unsere Volkswirtschaft käme. Hier wurde
nichts zu den Kosten gesagt. Der Bundeswirtschaftsminis-
ter führt in seinem Bericht zum zweiten Szenario das allen
Wunschvorstellungen von Frau Hustedt entspricht, aus,
dass dies eine zusätzliche Belastung der deutschen Volks-

wirtschaft bis zum Jahr 2020 von 256 Milliarden Euro be-
deuten würde,


(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Unglaublich!)

zusätzlich zu dem, was nach dem ersten Szenario, das dort
auch berechnet ist, aufgebracht werden muss.

Meine Damen und Herren, der Bundeswirtschaftsmi-
nister, der nach der Geschäftsordnung der Bundesregie-
rung für die Energiepolitik zuständig sein soll, hat in die-
sem Jahr in einer Pressemitteilung geäußert, dass jeder
Arbeitsplatz, der im Bereich der Windenergie geschaffen
worden sei, mit 150 000 Euro subventioniert wurde. Das
war wohlgemerkt der zuständige Wirtschaftsminister. Er
hat die in den Augen der rot-grünen Koalitionäre kleine
Unverfrorenheit besessen,


(Klaus Brähmig [CDU/CSU]: Unfassbar!)

auf ein Thema aufmerksam zu machen, das in der Ver-
gangenheit, lieger Kollege Hempelmann, immer im Zen-
trum der Energiepolitik gestanden hat. Wir machen Ener-
giepolitik nämlich zur Voraussetzung für Wohlstand und
Arbeitsplätze in dieser Gesellschaft.


(Beifall bei der FDP)

Deswegen ist es wichtig, dass Energiepolitik auch Kos-
tengesichtspunkte berücksichtigt,


(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Richtig!)

dass die für die Volkswirtschaft kostengünstigste Variante
gefunden wird. Dies gilt auch im Zusammenhang mit der
Vermeidung von CO2-Emissionen und Treibhausgasen.


(Horst Kubatschka [SPD]: Von externen Kosten haben Sie wohl noch nie etwas gehört!)


Es geht immer darum, die Vermeidung von CO2-Emmis-sionen zu den geringstmöglichen Kosten vorzunehmen.
Deswegen hat meine Fraktion vorgeschlagen, im Zu-

sammenhang mit der von der EU verfügten Steigerungs-
quote für erneuerbare Energien ein Zertifikatemodell
vorzuschreiben und nicht einzelne Techniken zu fördern,
vonseiten des Staates festzulegen, wer welches Geld be-
kommt. Lasst doch – wie wir es in unserer Wirtschaft seit
Ludwig Erhard mit großem Erfolg praktizieren – den
Markt und den Wettbewerb darüber entscheiden, welche
Technik sich im Einzelnen am besten durchsetzen kann.

Sie wollen Subventionen für Teilbereiche der Wirt-
schaft organisieren. Sie betreiben in diesem Bereich eine
Klientelpolitik, die letzten Endes die Leute entweder über
ihre Steuern oder auf dem Weg über die Stromrechnung
und die Mineralölsteuer bezahlen müssen, die davon letz-
ten Endes nichts haben, weil sie selber sich die verschie-
denen Abschreibungungsmodelle nicht leisten können.
Die hier betriebene Politik ist unsozial.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Monika Ganseforth [SPD]: Wir haben die Abschreibungen eingeschränkt!)


Dies ist kein Zufall. Ich möchte darauf aufmerksam
machen, dass der Bundeswirtschaftsminister in seinem En-
ergiebericht neben vielen anderen eine interessante Fest-
stellung getroffen hat. Er schreibt dort, dass für die Bun-




Michaele Hustedt
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(C)



(D)



(A)



(B)


desregierung – man muss diesen Unterschied betonen –
nach wie vor die drei Grundsätze von Rio – Ökologie,
Sozialverträglichkeit und Wirtschaftlichkeit – gleichran-
gig Gültigkeit haben. Was erleben wir in der Enquete-
Kommission zur Energie? Die rot-grünen Koalitionäre sa-
gen: Das ist Schnee von gestern. Das Soziale und das
Wirtschaftliche interessiert uns überhaupt nicht.


(Monika Ganseforth [SPD]: Das ist überhaupt nicht wahr!)


Wir wollen den Primat der Ökologie.

(Monika Ganseforth [SPD]: Nein, wir haben gesagt, dass es Naturschranken gibt! Sie haben noch besonderen Wert darauf gelegt. Dies ist ein Widerspruch zu dem, was der Bundeswirtschaftsminister in seinem Energiebericht der Öffentlichkeit sagt, was wir im Übrigen teilen. (Monika Ganseforth [SPD]: Sie waren doch nie da!)


Nur wenn der Gleichklang zwischen Sozialverträglich-
keit, Wirtschaftlichkeit und Ökologie beachtet wird, wer-
den wir die Probleme in Deutschland lösen können. Nur
dann können wir in einer Exportoffenisve überhaupt er-
folgreich sein.

Ich komme zum Schluss. Das Problem der Energie-
politik dieser Koaltion ist, dass der Wirtschaftsminister
Müller immer dann, wenn es darauf ankommt, hustet.
Es kommt keine klare Linie heraus. Wir wissen aber
alle, wer den grünen Star hat und an Sehschwäche lei-
det.


(Susanne Kastner [SPD]: Jetzt reden Sie von der Gesundheit und nicht von der Energiepolitik!)


Was unsere Politik braucht, sind Klarheit, Zukunftssi-
cherheit und Zielorientiertheit. Dies versuchen wir nach
dem 22. September zu erreichen. Dann gibt es nämlich die
Operation gegen den grünen Star.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1424527600
Nächste Rednerin ist
die Kollegin Eva Bulling-Schröter für die PDS-Fraktion.


Eva-Maria Bulling-Schröter (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1424527700
Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Diese Debatte gibt An-
lass, Bilanz über die Energiepolitik der Bundesregierung
Teil eins zu ziehen und einen Blick in die Zukunft zu wer-
fen. Teil zwei folgt nächste Woche Donnerstag.

Ich möchte mit dem Erneuerbare-Energien-Gesetz
beginnen und Rot-Grün an dieser Stelle auch einmal lo-
ben. Ich halte es nämlich für eines der besten Gesetze im
Umweltbereich, die in dieser Legislaturperiode beschlos-
sen wurden.


(Beifall bei der PDS und der SPD)

Die Überprüfung der Vergütungssätze steht an; das

wissen Sie. Wir hatten erwartet, dass diese Überprüfung
abgeschlossen ist. Meine Damen und Herren, haben Sie

mehr Mut! Ich meine, dass die Kostendeckung der Photo-
voltaik überprüft und angehoben werden muss.


(Beifall bei der PDS)

Auch der Deckel bei der Förderung der Solarenergie

muss fallen. Wir brauchen eine Offensive für den welt-
weiten Einsatz regenerativer Energien. Deshalb begrüßen
wir die Exportinitiative für regenerative Energien, auch
wenn der Koalitionsantrag die entscheidende Frage der
Finanzierung offen lässt.


(Kurt-Dieter Grill [CDU/CSU]: Das ist aber die wichtigste! Sonst funktioniert es nicht!)


– Das ist mit die wichtigste Frage.
Damit sind die Gemeinsamkeiten mit der Koalition

aber schon erschöpft.

(Rolf Hempelmann [SPD]: Das war bisher eine gute Rede! – Horst Kubatschka [SPD]: Jetzt wird die Rede schlechter, Frau Kollegin!)


Einer nachhaltigen Energiepolitik steht die Wirtschafts-
politik Ihres Kanzlers und Ihres Wirtschaftsministers im
Wege. Der Atomkonsens ist eine Investitionsgarantie für
die Betreiber von Atomkraftwerken.


(Beifall bei der PDS)

Sie haben sich der Atomwirtschaft so weit angenähert, dass
Union und FDPdiese Atompolitik nicht mehr zu revidieren
brauchen, sondern eigentlich nur fortschreiben müssen.
Sie, Herr Hempelmann, haben von einem Szenario ohne
Zukunft gesprochen. Leider hat es in dieser Bundesrepu-
blik noch viel zu lange Zukunft. Ich verstehe nicht, warum
sich Herr Grill immer so aufregt. Die AKWs laufen noch
sehr lange, unserer Meinung nach viel zu lange.


(Beifall bei der PDS)

Ihre Politik stößt auf wachsende Ablehnung. Die Men-

schen in Lüchow-Dannenberg und in der Region Salz-
gitter haben ihre Hoffnungen auf Rot-Grün gesetzt. Lei-
der haben sie diese Hoffnungen nun aufgegeben. Das
finde ich schade. Die Chancen zur Aufgabe der Endlager-
projekte haben Sie vertan. Die Menschen werden am
22. September sicherlich honorieren, wie Sie mit ihnen
umgegangen sind.

Eine Frage dieser Legislaturperiode war, wie die Über-
kapazitäten an installierter Kraftwerksleistung abgebaut
werden sollen. Wir hatten uns das durch einen schnellen
Atomausstieg erhofft. Hauptleidtragende Ihrer Deregulie-
rungspolitik waren und sind jedoch Stadtwerke und Ei-
genversorger. Ich nenne an dieser Stelle noch einmal die
Zahl von 80 000 vernichteten Arbeitsplätzen, auch wenn
Sie das nicht gerne hören. Alternativen zur Selbstver-
pflichtung der Stromwirtschaft über Klimaschutz und den
Erhalt der Kraft-Wärme-Kopplung wurden von Ihnen nie
diskutiert. Unseren Gesetzentwurf zur Einführung einer
wachsenden Quote von Strom aus KWK-Anlagen haben
Sie abgelehnt.


(Uwe Hiksch [PDS]: Ein großer Fehler!)

Die Folge ist, dass Ihnen wahrscheinlich nicht einmal der
Erhalt des KWK-Anteils gelingen wird.




Walter Hirche

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(C)



(D)



(A)



(B)


Auch die Verbändevereinbarungen über die Durchlei-
tung von Strom und Gas waren für Sie alternativlos, weil das
Bundeswirtschaftsministerium an einer anderen Regelung
zu keinem Zeitpunkt Interesse hatte. In der Folge ist die Zahl
der Anbieter rapide geschwunden. Aber die Senkung und
Abschaffung von Monopolprofiten gehörten eigentlich nie
zu den Zielen Ihrer Energiemarktliberalisierung.

Wir haben andere Ziele und fordern nach wie vor eine
Regulierungsbehörde. Sie wissen, dass wir das einzige
Land in Europa sind, dass keine solche Behörde hat. Sie
hätte zum einen die Aufgabe, Durchleitungskosten zu er-
mitteln, zum anderen aber auch die Aufgabe, dafür Sorge
zu tragen, dass Haushalte und Kleinverbraucher nicht die
Verluste aus dem Dumpingwettbewerb um Sonderver-
tragskunden zu tragen haben.


(Beifall bei der PDS)

Die Tarifaufsichtsbehörden der Länder sind mit dieser

Aufgabe überfordert. Allein in den vergangenen vier Jah-
ren haben Sondervertragskunden Preisabschläge in Höhe
von 30 Prozent erzielen können, während private Haus-
halte und Kleinverbraucher keine Kostenentlastungen er-
hielten. Das nenne ich einen Skandal. Wenn hier von al-
len möglichen Seiten von Umverteilung gesprochen wird,
dann kann ich dazu nur sagen: Das ist wirklich Umvertei-
lung von unten nach oben.


(Beifall bei der PDS)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1424527800
Frau Kollegin, Sie
müssen jetzt bitte zum Schluss kommen.


Eva-Maria Bulling-Schröter (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1424527900
Ich komme zum
Schluss: Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir fordern Sie
auf, sich bei der Ruhrgas-Fusion nicht über die Beden-
ken der Kartellexperten hinwegzusetzen. Ich bitte Sie da-
her, unserem Antrag zuzustimmen.


(Beifall bei der PDS)

Eine Ministererlaubnis würde die Arbeit der Kartell-
behörde zur Farce werden lassen. Die Arbeit der Kartell-
behörde muss stattdessen gestärkt werden. Für eine so-
ziale und gerechte Verteilung der Kosten für den Umbau
der Energieversorgung benötigen wir diese funktionie-
rende Regulierung des Energiesektors und nicht wieder
einen Konsens mit den Bossen.

Danke.

(Beifall bei der PDS)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1424528000
Jetzt spricht der Parla-
mentarische Staatssekretär Dr. Ditmar Staffelt.

D
Dr. Ditmar Staffelt (SPD):
Rede ID: ID1424528100
Meine sehr ver-
ehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich zu so später
Stunde noch einige Anmerkungen zu diesem Thema ma-
chen. Für die Bundesregierung stellt die Energie bekannt-
lich einen Schlüsselfaktor für die Entwicklung gerade der
deutschen Wirtschaft dar.


(Walter Hirche [FDP]: Wenn Sie das Ihren Umweltpolitikern beibringen könnten, wäre das schon gut!)


Was wir brauchen, ist bezahlbare Energie, auf die wir uns
verlassen können, die uns allen Luft zum Atmen und der
Wirtschaft Raum für Wachstum lässt. Das heißt, wir be-
kennen uns zu den Prinzipien und der hier angesproche-
nen Gleichrangigkeit von Ökologie, sozialer Verantwor-
tung und Wirtschaftlichkeit.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


In allen diesen Punkten war die Politik der Opposition
rückwärts gewandt. Sie hat bestenfalls Stillstand und Stück-
werk produziert. Aus genau diesen Versatzstücken speist
sich auch Ihr aktueller Vorschlagskatalog in Sachen Energie.

Ich möchte zunächst das Beispiel Klimaschutz he-
rausgreifen. Sie haben in Ihrer Regierungszeit zwar im-
mer wieder versucht, grün zu reden, haben aber letztlich,
wenn ich das so sagen darf, immer tiefschwarz gehandelt.
Sie haben zwar ein nationales Klimaschutzziel verkündet
und sind auch entsprechende internationale Verpflichtun-
gen eingegangen,


(Franz Obermeier [CDU/CSU]: Und waren sehr erfolgreich! – Walter Hirche [FDP]: 16 Prozent!)


aber um die Kärrnerarbeit der Umsetzung haben Sie sich
immer wieder herumgedrückt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich nenne des Weiteren das Beispiel Kernenergie. Sie
haben diese Dissensenergie gegen die breite Mehrheit der
Bevölkerung am Leben erhalten und damit einen energie-
politischen Scherbenhaufen hinterlassen.


(Beifall bei der SPD und der PDS)

Dabei hat sich die energie- und gesellschaftspolitische
Debatte gerade dadurch beruhigt, dass die Bundesregie-
rung durch den Konsens zum Ausstieg Risiken abbaut.
Aber was macht die Opposition in diesem Zusammen-
hang? Der Vorsitzende der Enquete-Kommission „Nach-
haltige Energieversorgung“ schlägt zurzeit in der Presse
einen weiteren abenteuerlichen Salto mortale rückwärts.
Frau Hustedt hat bereits ausgeführt, dass Sie zurzeit über
weitere 70 Kernkraftwerke in Deutschland spekulieren,
Herr Grill.


(Walter Hirche [FDP]: So ein Quatsch! Sie sollten sich informieren! – Kurt-Dieter Grill [CDU/ CSU]: Sie sollten sich schämen! Sie haben eben gelogen!)


Erklären Sie das einmal den Bürgern in unserem Lande!
Dann reden wir weiter darüber.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1424528200
Es gibt zwei Nach-
fragen.

D
Dr. Ditmar Staffelt (SPD):
Rede ID: ID1424528300
Ich lasse keine
Zwischenfragen zu.




Eva Bulling-Schröter
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(C)



(D)



(A)



(B)


Ich nenne auch das Beispiel Kohle. Sie haben in Ihrer
Regierungszeit munter Verträge abgeschlossen, aber statt
diese zu erfüllen, haben Sie immer wieder herumgeeiert.
Kein Wunder, dass Ihnen der Slogan „Versprochen – Ge-
brochen“ so leicht über die Lippen geht.

Ich nenne das Beispiel Liberalisierung der Strom-
und Gasmärkte. Sie haben zwar die Märkte auf dem Pa-
pier geöffnet, aber keinerlei praktikables Regelwerk ge-
schaffen, das dem Wettbewerb tatsächlich Beine machen
würde.

Meine Damen und Herren, die Bundesregierung hat
angesichts dieser energiepolitischen Schauplätze nicht
nur geredet, gehofft und angekündigt, sondern auch ge-
handelt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir betreiben eine engagierte und verantwortungsbe-
wusste Klimaschutzpolitik. Unser Klimaschutzprogramm
schont unsere eigenen Energiereserven, fördert die Ener-
gien der Zukunft und berücksichtigt gleichzeitig die In-
teressen der Wirtschaft. Wichtige Teile sind das Erneuer-
bare-Energien-Gesetz, das KWK-Gesetz und auch die
Ökosteuer.

Der Ausbau der erneuerbaren Energien geht von
unserer Förderung von Forschung und Entwicklung zu
den attraktiven Zuschüssen und den Darlehenskonditio-
nen des Marktanreizprogramms und ist beim 100 000-Dä-
cher-Programm noch lange nicht zu Ende.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Dank des Erneuerbare-Energien-Gesetzes ist Deutsch-
land heute Windkraftweltmeister und auch in der Photo-
voltaik mischen wir mittlerweile weit vorn in der Weltliga
mit. Deutsche Hersteller sind in nahezu allen regenerati-
ven Energietechnologien führend. Ich meine, dass diese
hohe heimische Kompetenz in Exporterfolge umgesetzt
werden muss. Frau Hustedt und andere haben dies bereits
gesagt.

Wir brauchen gar nicht so weit zu gehen. Schauen Sie
sich allein die Mittelmeerregion und die dortigen Pro-
bleme mit der Energieversorgung an und bedenken Sie,
was wir technologisch anzubieten haben! Da haben wir
als Regierung eine Türöffnerfunktion wahrzunehmen.
Mit den Techniken, die wir im Bereich der Infrastruktur
haben, was die Wasseraufbereitung, das Thema Wasser
insgesamt oder auch das Thema Abfall betrifft, können
wir das Nützliche für unsere Volkswirtschaft mit dem
Notwendigen für die dortigen Volkswirtschaften verbin-
den. Hier sehen wir uns in der Verantwortung. Auf diesem
Gebiet haben wir wesentliche Fortschritte erzielt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Was die Instrumente angeht, so will ich hier noch
einmal sagen: Es geht um mehr als nur darum, einfach in
den alten Atomforschungskategorien weiterzumachen.
Beschreiten wir endlich neue Wege! Wir haben in diesem
Bereich eine wirkliche Änderung von Grund auf und da-

mit eine qualitativ neue Perspektive geschaffen. Zu der
bekennen wir uns. Mit der werden wir auch landauf, land-
ab ziehen, was die hier so viel diskutierte Mittelstandspo-
litik angeht, weil da gerade Chancen für die kleinen und
mittleren Unternehmen der Forschung und der Technolo-
gie in unserem Land bestehen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Meine Damen und Herren, im Übrigen – das will ich
hier doch ganz klar sagen – haben wir Ihr Wort in der
Kohle gehalten. Wir haben die Verhandlungen über ein
neues EU-Beihilferegime für die Steinkohle kürzlich
erfolgreich abgeschlossen. Auf dem letzten EU-Ener-
gieministerrat wurde eine entsprechende Verordnung
angenommen. Erst mit dieser Regelung wird der Kohle-
kompromiss von 1997 mit seiner Laufzeit bis 2005 end-
gültig abgesichert.


(Walter Hirche [FDP]: Ihre Subventionsmilliarden gehen zulasten des deutschen Verkehrsgewerbes!)


Der deutsche Steinkohlebergbau erhält damit Planungs-
sicherheit bis zum Jahr 2010. Das ist eine Perspektive, die
wir denen, denen Sie einmal eine Perspektive versprochen
haben, schuldig sind. All jenen in Nordrhein-Westfalen,
im Saarland, in Brandenburg und anderswo werden wir
immer wieder sagen,


(Kurt-Dieter Grill [CDU/CSU]: Die in Brandenburg brauchen das gar nicht! Hören Sie doch auf! Das ist doch Quatsch!)


dass wir es waren, die zu Ihren Verträgen gestanden ha-
ben,


(Kurt-Dieter Grill [CDU/CSU]: Gar nichts!)

während Sie hier immer wieder versucht haben, uns vor-
zuwerfen, dass wir das einhalten, was Sie einmal zugesagt
haben.


(Beifall bei der SPD – Kurt-Dieter Grill [CDU/ CSU]: Das ist ja unglaublich! – Walter Hirche [FDP]: Brandenburg spielt da überhaupt keine Rolle! Die machen Braunkohle und keine Steinkohle! Herr Staffelt, ein bisschen mehr Information wäre gut!)


Ein letzter Aspekt. Wir werden mit Bundesminister
Müller – –


(Walter Hirche [FDP]: Hier sitzen Kollegen aus dem Osten! Die wissen, wo die Braunkohle ist und dass da keine Steinkohle ist! – Gegenruf der Abg. Monika Ganseforth [SPD]: Sie sind doch ein Korinthenkacker! – Franz Obermeier [CDU/CSU]: Wissen Sie, wo die Braunkohle ist?)


– Beruhigen Sie sich ein bisschen! Sie brauchen mir nicht
vom Braunkohletagebau in Brandenburg und auch nicht
von dem in Nordrhein-Westfalen zu erzählen. Ich weiß
das sehr genau.


(Kurt-Dieter Grill [CDU/CSU]: Reden Sie nicht so ein dummes Zeug!)





Parl. Staatssekretär Dr. Ditmar Staffelt

24777


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(D)



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Ich weise Sie auf eines hin: Es gibt Zusammenhänge.

(Franz Obermeier [CDU/CSU]: Dann erzählen Sie keinen Unfug!)

Die Kumpel an der Ruhr und die in Brandenburg und an-
derswo fühlen, wer seine Versprechen in diesem Land hält
und wer sie immer wieder auf die Rolle schiebt. Da wis-
sen sie sehr wohl zu unterscheiden.


(Franz Obermeier [CDU/CSU]: Sie reden Unfug!)


Bundesminister Müller hat, so glaube ich, eine sehr
kluge und geradlinige Energiepolitik in unserem Land be-
trieben


(Kurt-Dieter Grill [CDU/CSU]: Er hat keine Mehrheit bei euch dafür! – Franz Obermeier [CDU/CSU]: Ohne Mehrheit! – Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Parteilos, ratlos!)


– Sie sind so laut; ich muss zum Ende kommen; lassen Sie
mich meinen Satz doch zu Ende führen –,


(Walter Hirche [FDP]: Weil Sie keine Zwischenfragen zulassen!)


anerkannt von Wirtschaft und Bevölkerung in unserem
Land.


(Lachen bei der CDU/CSU)

Wir brauchen uns an dieser Stelle nicht zu verstecken,
sondern wir werden das, was wir auf diesem Feld getan
haben, in den nächsten Wochen in unserem Land offensiv
vertreten; dessen dürfen Sie gewiss sein.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Hartmut Schauerte [CDU/ CSU]: Der unbekannte Müller!)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1424528400
Zu einer Kurzinter-
vention erteile ich jetzt dem Kollegen Kurt-Dieter Grill
das Wort.


Kurt-Dieter Grill (CDU):
Rede ID: ID1424528500
Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren! Herr Staatssekretär Staffelt,
Sie haben sich bemüßigt gefühlt, im Rahmen Ihrer Rede
die Behauptung aufzustellen, dass ich mich als Vorsitzen-
der der Enquete-Kommission öffentlich für den Bau von
50 bis 70 Kernkraftwerken ausgesprochen habe. Ich for-
dere Sie hiermit auf, mir einen Beleg für diese Behaup-
tung vorzulegen.


(Monika Ganseforth [SPD]: Das haben Sie falsch verstanden!)


– Das ist in der Rede genau nachzulesen. Meine Damen
und Herren, fangen Sie jetzt nicht an, darum herumzure-
den!

Sie haben hier die Unwahrheit gesagt. Ich fordere Sie
auf, sich entweder zu entschuldigen oder sofort einen Be-
leg für das, was Sie hier behauptet haben, vorzulegen. Sie
sind den Fehlinformationen von Frau Hustedt, Herrn
Trittin und Herrn Fischer aufgesessen. Entweder nehmen
Sie Ihre Behauptung zurück oder ich verlange von Ihnen

in den nächsten Tagen einen Beleg für das, was Sie hier
gesagt haben. Den werden Sie nicht liefern können.

Ich will noch ein Zweites sagen: Das, was Sie hier zur
Kohlepolitik geäußert haben, entbehrt jeder Grundlage.
Sie brauchen offensichtlich für den Wahlkampf die
Schimäre, die Union hätte nicht für die Kohle gestanden.
Dies ist ebenso schlicht und einfach unwahr. Sie basieren
Ihre Kohlepolitik auf dem, was Helmut Kohl 1997 ge-
schaffen hat. Es ist eine Unverschämtheit. Sie haben die
Kohleforschung gegen die Wand gefahren und nicht wei-
tergeführt. Sie haben keine Antwort auf die Kohletechnik
der Zukunft. Deswegen sage ich Ihnen: Ihre Rede war al-
les andere als ein Beitrag zur deutschen Energiepolitik.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1424528600
Zur Erwiderung Herr
Kollege Dr. Staffelt, bitte.

D
Dr. Ditmar Staffelt (SPD):
Rede ID: ID1424528700
Frau Präsiden-
tin! Meine Damen und Herren! Ich habe gar keinen
Grund, mich zu entschuldigen; denn nach dem, was ich
weiß,


(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist zu wenig!)

jedenfalls nach bisherigem Sachstand, spekulieren Sie
aufgrund Ihrer Aussagen über 70 neue Kernkraftwerke in
Deutschland.


(Zurufe von der CDU/CSU: Wo?)

Dabei kann ich zunächst einmal bleiben.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich sehe gar keinen Grund, mich an dieser Stelle in ir-
gendeiner Weise zu entschuldigen, schon gar nicht nach
den Ausfällen, die Sie hier vorhin an den Tag gelegt ha-
ben. Sie müssen einmal Ihre eigene Rede nachlesen; erst
dann können wir überhaupt miteinander in Dialog treten,
Herr Abgeordneter.


(Beifall bei der SPD)

Zum zweiten Punkt sage ich Ihnen Folgendes.


(Zuruf des Abg. Kurt-Dieter Grill [CDU/CSU])


– jetzt rede ich und nicht Sie –: Was die Thematik Kohle
betrifft, so werfen Sie uns doch immer vor, wir würden
Subventionstatbestände schaffen. Dabei hat sich diese
Regierung bemüht,


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Mühe allein reicht nicht! im Einvernehmen mit allen Beteiligten die dringend erforderlichen Subventionen aufrechtzuerhalten, aber eben auch möglichst über das hinauszugehen, was Sie einmal festgelegt haben. Sie unterlassen es nicht, uns immer wieder in einer besonderen Weise zu denunzieren, als seien wir diejenigen, die über alle Maßen Subventionstatbestände schaffen und damit die Wirtschaft der Bundesrepublik Deutschland blockieren. Das ist die Art und Weise, wie Sie Politik in diesem Lande machen. Diese Jacke Parl. Staatssekretär Dr. Ditmar Staffelt 24778 ziehe ich mir nicht an. Deshalb bleibe ich an dieser Stelle genauso hart, wie ich es hier formuliert habe. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)





(C)


(D)


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(B)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1424528800
Wir fahren jetzt in der
Debatte fort. Ich erteile das Wort der Kollegin Dagmar
Wöhrl für die Fraktion der CDU/CSU.

Dagmar Wöhrl (CDU/CSU) (von der CDU/CSU mit
Beifall begrüßt): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Ich glaube, auch wenn es schon sehr spät
ist, sollten wir heute Abend sachlich und wahrheitsgemäß
miteinander umgehen.

Wer wissen wollte, welchen Stellenwert der Wirt-
schaftsminister in der rot-grünen Koalition hat, der hat am
27. November letzten Jahres die Antwort erhalten. An die-
sem Tag hat Minister Müller seinen Energiebericht vorge-
legt, der sich sehr sorgfältig mit verschiedenen Szenarien
einer künftigen Energieversorgung in Deutschland ausei-
nander setzt, und zwar sowohl in ökonomischer als auch in
ökologischer Sicht. Das war offenbar mehr Ökonomie, als
SPD und Grüne hier vertragen. Das hat man gemerkt.

Herr Michael Müller, stellvertretender Vorsitzender
der größeren Regierungsfraktion, lässt sich im „Handels-
blatt“ mit der Aussage zitieren, der Bericht sei schlicht
nicht mehr auf der Höhe der Zeit. Herr Schlauch und Frau
Hustedt von den Grünen bemängeln, der Bericht beruhe
auf unvollständigen und überholten Daten und führe des-
halb zu falschen Aussagen und Konsequenzen.

Dann ist etwas bisher Einzigartiges passiert. Ein
Minister ist von der Regierungsfraktion mit besonderer
Härte angegriffen worden und der Kanzler hat es nicht für
nötig befunden, sich vor seinen Minister zu stellen, die
Ruhe in seinem Laden wieder herzustellen und seinem
Kabinettsmitglied wieder Respekt zu verschaffen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Johannes Kahrs [SPD]: Das ist doch Unsinn!)


Tatsache ist: Eine leistungsfähige und preiswerte
Energieversorgung ist ein Standortfaktor ersten Ranges.
Wir brauchen sie, um im internationalen Wettbewerb be-
stehen zu können, um Arbeitsplätze und Wohlstand in un-
serem Land zu sichern und zu mehren.

Die rot-grüne Energieverteuerungspolitik ist schädlich
für unser Land. Es ist eine Schnapsidee, mit den Einnah-
men aus Mineralölsteuererhöhungen und aus der Strom-
steuer die Sozialversicherungssysteme zu subventionie-
ren und sich auf diese Art und Weise vor den notwendigen
Reformen zu drücken.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Aber Sie haben Ihre Schnapsidee nicht einmal konse-

quent durchgehalten:

(Johannes Kahrs [SPD]: Das ist doch Unsinn, was Sie da erzählen!)

Zum 1. Januar dieses Jahres haben Sie nicht nur die Öko-
steuer, sondern auch die Sozialversicherungsbeiträge er-

höht. Das ist ein Betrug an den Bürgerinnen und Bürgern,
denen Sie etwas ganz anderes versprochen haben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Energiepolitik als Standortpolitik hat noch einen zwei-

ten Aspekt: Es ist eine nationale Aufgabe, dafür zu sorgen,
dass Deutschland Energieproduktionsstandort bleibt. Das
gilt vor allem im Hinblick auf den Strom.

Strom ist schließlich strategische Infrastruktur für
uns alle.

Das hat nicht irgendeiner von uns hier gesagt, sondern
Minister Müller bei einer Rede in Köln.


(Monika Ganseforth [SPD]: Da hat er auch Recht!)


– Genau! – Wir wollen, dass der Strom auch in Zukunft
nicht nur aus deutschen Steckdosen, sondern auch aus
deutschen Kraftwerken kommt, meine sehr geehrten Da-
men und Herren von der Regierung.

Aber Rot-Grün setzt die heimische Stromerzeugung
aufs Spiel. Kanzler Schröder hat es auf dem EU-Gipfel in
Barcelona doch nicht einmal geschafft, faire Wettbewerbs-
bedingungen für unsere Stromwirtschaft durchzusetzen.
Frankreich darf seinen Markt nach wie vor abschotten.


(Rolf Hempelmann [SPD]: Woran liegt das denn? Wer hat denn diese Richtlinien so durchlaufen lassen?)


Was sagt Minister Eichel dazu? Er sagt: Wir begreifen,
dass jedes Land seine eigene Perspektive hat. – Ja, wo
sind wir denn? Wir begreifen, dass Schröder und Eichel in
Barcelona beim Thema Energie den Preis dafür bezahlen
mussten, dass die anderen Mitgliedstaaten Deutschland
zuvor den an sich verdienten blauen Brief erspart haben.
So ist es, liebe Kolleginnen und Kollegen. Da waren po-
litische Teppichhändler am Werk und niemand anders.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Was bringt uns der von Rot-Grün durchgesetzte Atom-

ausstieg? Er macht uns mittelfristig zum Stromimport-
land,


(Monika Ganseforth [SPD]: Unsinn!)

da im eigenen Land weit und breit kein ökonomisch und
ökologisch vertretbarer Ersatz in Sicht ist. Deshalb wol-
len wir Ihr Ausstiegsgesetz nach einem Regierungswech-
sel rückgängig machen. Wir sehen nicht ein, was es brin-
gen soll, Wertschöpfung und Arbeitsplätze in der
Stromwirtschaft bei uns zu vernichten, um dann aus dem
Ausland Atomstrom zu importieren; zumal wir – das ist
viel schlimmer – auf die Sicherheitsstandards der Kern-
kraftwerke im Ausland keinerlei Einfluss mehr haben.

Ich wiederhole: Energiepolitik ist Standortpolitik. Es
nutzt nichts, dass Minister Müller das weiß und es in sei-
nem Energiebericht zum Ausdruck bringt, solange er ge-
gen die ideologische Verbohrtheit in den Reihen der Re-
gierungsfraktionen nicht ankommt.

Unserer Volkswirtschaft geht es nicht gut. Es ist not-
wendig, dass es endlich wieder aufwärts geht. Deswegen
hoffen wir auf den 22. September.




Parl. Staatssekretär Dr. Ditmar Staffelt

24779


(C)



(D)



(A)



(B)


Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1424528900
Der letzte Redner in
dieser Debatte ist der Kollege Horst Kubatschka für die
SPD-Fraktion.

Horst Kubatschka (SPD) (von Abgeordneten der
SPD mit Beifall begrüßt): Guten Morgen, Frau Präsiden-
tin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Niemand soll be-
haupten, dass das Parlament nicht auch zur nächtlichen
oder zur sehr frühen Stunde erbittert über Themen streitet.
Das ist auch notwendig.

Herr Grill und Herr Hirche – manchmal ist es nötig, et-
was zurückzuweisen und auf etwas anderes hinzuweisen –,
was Sie geboten haben, waren Zerrbilder.


(Franz Obermeier [CDU/CSU]: Nein, das war die Realität!)


Herr Hirche, was Sie aus der Enquete-Kommission be-
richtet haben, hat so nicht stattgefunden; es war ein Zerr-
bild.


(Walter Hirche [FDP]: Sie waren doch gar nicht dabei! – Gegenruf der Abg. Monika Ganseforth [SPD]: Sie waren dann nicht da!)


– Ich war wiederholt dabei und ich habe das sehr wohl
verfolgt.

Herr Grill behauptet immer wieder, wir hätten kein
Konzept. Auch das ist ein Zerrbild. Wir haben sehr wohl
ein Konzept. Das Gute an der Regierung ist: Wir setzen
dieses Konzept bereits in die Wirklichkeit um. Das ist
ganz entscheidend.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Franz Obermeier [CDU/CSU]: Ein Geheimkonzept!)


Herr Hirche, noch einmal zu Ihren Farbenspielen mit
dem grünen Star: Passen Sie auf, dass Sie sich am 18. Sep-
tember kein blaues Auge holen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Walter Hirche [FDP]: Wir sind auf die Stimmen am 22. angewiesen!)


Ich möchte noch kurz auf den Antrag der CDU/CSU
über die Entsorgungsstandorte eingehen. Im Antrag ver-
langt die CDU/CSU einen Lastenausgleich aus Bundes-
mitteln für die drei atomaren Entsorgungsstandorte.


(Franz Obermeier [CDU/CSU]: Lügen haben kurze Beine! Zum Glück immer noch!)


Wenn man den Antrag durchliest, weiß man aber: Es geht
vor allem um Gorleben. Die Standorte Morsleben und
Schacht Konrad finden nur am Rande statt. Die Antrag-
steller samt FDP müssen aber etwas zur Kenntnis neh-
men: Mit der Zehnten Novelle zum Atomgesetz hat die
rot-grüne Koalition den Atomausstieg im Konsens be-
schlossen. Dieser Konsens beinhaltet auch ein geändertes
Entsorgungskonzept. Die rot-grüne Koalition hat auch
den so genannten AkEnd eingerichtet. Dieser Arbeitskreis

hat die Aufgabe, objektive Kriterien für ein Endlager zu
finden. Der AkEnd soll ferner ein Verfahren für die Suche
nach einem geeigneten Endlager ausarbeiten, das mög-
lichst breite Akzeptanz bei allen Beteiligten findet. Das
Ergebnis der Arbeiten des AkEnd muss zuerst einmal ab-
gewartet werden; alles andere wäre unsolide und kontra-
produktiv und so ist Ihr Antrag.

Im Einvernehmen mit der Energiewirtschaft haben wir
die Vorfestlegung auf den Entsorgungsstandort Gorleben
beendet. Sie sollten dies in der Opposition endlich zur
Kenntnis nehmen.


(Franz Obermeier [CDU/CSU]: Das ist eine Erkundung! – Monika Ganseforth [SPD]: Das ist auch gut so!)


Noch kurz zu Morsleben: Bei Ihnen ist das ja nur eine
Beifügung und keine ernsthafte Auseinandersetzung mit
dem Thema. Die CDU/CSU-FDP-Koalition hat es zuge-
lassen, dass jahrelang Atommüll nach Morsleben ge-
bracht wurde. Rot-Grün aber hat das einsturzgefährdete
Morsleben geschlossen. Wir beginnen mit der Sanierung.
Das sind die Tatsachen.

Der Bundestag hat beschlossen, dass der Bundesum-
weltminister in der nächsten Legislaturperiode einen na-
tionalen Entsorgungsplan vorlegen muss. Dann beginnt
die eigentliche Arbeit.


(Franz Obermeier [CDU/CSU]: Was haben Sie denn vier Jahre lang getan?)


Egal wie man zur Kernenergie steht, wir müssen anfan-
gen, die Entsorgungsfrage zu lösen. Diese Lösung wird
nur im politischen Konsens möglich sein.


(Franz Obermeier [CDU/CSU]: Vier Jahre Nichtstun!)


– Herr Obermeier, Sie können noch so sehr plärren, da-
durch werden Sie nicht klüger.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der PDS)


Darauf sollten Sie, meine Damen und Herren von der Op-
position, hinarbeiten und nicht mit immer neuen Anträgen
die Betroffenen verunsichern.

Die rot-grüne Koalition und die Bundesregierung ha-
ben eine Energiewende eingeleitet. Wir haben die not-
wendigen Gesetze eingebracht. CDU/CSU und FDP ha-
ben immer nur Nein gesagt. Bei der Energiewende sind
Sie die großen Nein-Sager. Sie haben damit die Chance
verpasst, Kompetenz für die Energiezukunft unseres Lan-
des zu entwickeln.


(Susanne Kastner [SPD]: Was? Die hat die CDU noch nie gehabt!)


Es kommt aber noch schlimmer. Sie sagen nicht nur
Nein, sondern Sie wollen auch das Rad der Energiewende
zurückdrehen. Die Frau Kollegin hat es gerade bestätigt.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Die Kernenergie ist eine Energie des vergangenen Jahr-
hunderts. Die Aufgaben des 21. Jahrhunderts sind, den er-
neuerbaren Energien zum Durchbruch zu verhelfen, Ener-




DagmarWöhrl
24780


(C)



(D)



(A)



(B)


gie dramatisch zu sparen, ohne dass es zu einem Wohl-
standsverlust kommt, und Energie vor allem effizienter
einzusetzen.

Herr Stoiber, der bayerische Ministerpräsident – dies
wird er auch noch im Herbst 2003 sein –,


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


hat es ja schon angekündigt: Er wird den Ausstieg aus der
Kernenergie rückgängig machen. Bisher hat Herr Stoiber
nichts erreicht und er wird auch weiterhin nichts errei-
chen. Er hat sich als Prozesshansel erwiesen und ist von
den Gerichten klar abgewiesen worden.


(Susanne Kastner [SPD]: Wo ist der Grill?)

Die bayerische Staatsregierung hat diese Energiewende
erbittert bekämpft. Sie hat nicht einmal die Chancen des
Erneuerbare-Energien-Gesetzes begriffen.


(Susanne Kastner [SPD]: Wo ist der EnergieGrill? Wo ist das Energiebündel?)


Begriffen haben es aber die bayerischen Bürgerinnen
und Bürger; denn 40 Prozent der Finanzmittel für die Pho-
tovoltaik aus Berlin fließen nach Bayern.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Damit sind die bayerischen Bürger die großen Gewinner,
und zwar gegen die CDU/CSU und gegen die bayerische
Staatsregierung.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der PDS)


Es waren die handelnden Bürger, die diese Chance er-
kannt haben.


(Walter Hirche [FDP]: Die Arbeiter aus Nordrhein-Westfalen haben das bezahlt!)


Die Energiewende lässt sich auch mit Zahlen belegen.
So ist in Deutschland in den letzten Jahren der Primär-
energieverbrauch um 2,5 Prozent gesunken. Die be-
grenzten Energievorräte dieser Welt werden durch die
neuen Energiequellen wie Wind und Sonne geschont. Ei-
gentlich ist das Erdöl viel zu schade, um nur verbrannt zu
werden.

Durch die rot-grüne Politik sind wir Weltmeister ge-
worden. Im Fußball werden wir das am Sonntag, bei der
Windenergie sind wir es schon geworden.


(Beifall bei der SPD – Walter Hirche [FDP]: Am Sonntag reicht der Wind aber nicht!)


Bei den anderen erneuerbaren Energien schaffen wir das
auch noch. Das Erneuerbare-Energien-Gesetz hat den
Durchbruch gebracht. Auch andere Länder wollen unse-
ren Weg gehen. Damit kann die bei uns entwickelte Tech-
nik ein ökologischer Exportboom für unsere Wirtschaft
werden. Aber das muss genauso angestoßen werden wie
der Einsatz erneuerbarer Energien in unserem Land.
Dazu haben wir eine deutsche Exportinitiative für erneu-
erbare Energien vorgeschlagen. Wir können diesen mo-
dernen Techniken in vielen Ländern zum Durchbruch
verhelfen.

Unsere Politik der Energiewende bringt mehrfach Di-
vidende: Sie ist gut für Umwelt und Wirtschaft und sie
schafft Arbeitsplätze.


(Beifall bei der SPD)

Nun sollen auch andere Länder davon ihren Nutzen ha-
ben.

Wir haben die Energiewende eingeleitet. Es ist ein ers-
ter Schritt getan. Weitere müssen folgen. Auch auf diesem
Gebiet ist Herr Stoiber mit der Opposition aus CDU/CSU
und FDPnicht zukunftsfähig. Sie wollen zurück zur Kern-
energie. Dies ist aber eine strahlende Sackgasse ohne Zu-
kunft.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1424529000
Ich schließe die Aus-
sprache.

Wir kommen zur Abstimmung über die Ent-
schließungsanträge zur Großen Anfrage der Fraktion der
CDU/CSU.

Zunächst kommen wir zur Abstimmung über den
Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf
Drucksache 14/9582. Wer stimmt für diesen Ent-
schließungsantrag? – Gegenprobe! – Enthaltungen? – Der
Entschließungsantrag ist gegen die Stimmen von CDU/
CSU, FDP und PDS abgelehnt.

Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Entschlie-
ßungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Druck-
sache 14/9583. Wer stimmt für diesen Entschließungsan-
trag? – Gegenprobe! – Enthaltungen? – Der Entschlie-
ßungsantrag ist gegen die Stimmen von CDU/CSU und
FDP abgelehnt.

Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Entschlie-
ßungsantrag der Fraktion der PDS auf Drucksache 14/9548.
Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Gegen-
probe! – Enthaltungen? – Der Entschließungsantrag ist
gegen die Stimmen der PDS-Fraktion abgelehnt.


(Michaele Hustedt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gegen die Stimmen der PDS und einer Stimme von Bündnis 90/Die Grünen!)


– Es gab auch eine Stimme von Bündnis 90/Die Grünen
für diesen Entschließungsantrag.

Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschus-
ses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit auf
Drucksache 14/8708 zu dem Antrag der Fraktion der
CDU/CSU zu einem Ausgleich für die nuklearen Entsor-
gungsstandorte Gorleben, Salzgitter und Morsleben. Der
Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/7786
abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? – Die Beschluss-
empfehlung ist gegen die Stimmen von CDU/CSU und
FDP angenommen.

Wir kommen nun zur Beschlussempfehlung des Aus-
schusses für Wirtschaft und Technologie auf Druck-
sache 14/9120 zu dem Antrag der Fraktionen von SPD




Horst Kubatschka

24781


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(A)



(B)


und Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Deutsche Ex-
portinitiative – Erneuerbare Energien“. Der Ausschuss
empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/8278 anzuneh-
men. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Ge-
genprobe! – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung
ist gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP ange-
nommen.

Wir kommen nun zur Abstimmung über den Antrag der
Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 14/9539 mit dem
Titel „Mehr Chancen für den Export und die Forschungs-
und Entwicklungszusammenarbeit durch marktwirt-
schaftliche Ansätze bei den erneuerbare Energien“. Wer
stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Ent-
haltungen? – Der Antrag ist gegen die Stimmen der Frak-
tionen von CDU/CSU und FDP bei Enthaltung der PDS-
Fraktion abgelehnt.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 34 b auf.
Zweite und dritte Beratung des von den Abgeord-
neten Alfred Hartenbach, Margot von Renesse,
Hermann Bachmaier, weiteren Abgeordneten und
der Fraktion der SPD sowie den Abgeordneten
Volker Beck (Köln), Hans-Christian Ströbele,
Kerstin Müller (Köln), Rezzo Schlauch und der
Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Er-
richtung einer Magnus-Hirschfeld-Stiftung
– Drucksache 14/9218 –

(Erste Beratung 239. Sitzung)

a) Beschlussempfehlung und Bericht des Rechts-

ausschusses (6. Ausschuss)

– Drucksache 14/9593 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Margot von Renesse
Dr. Jürgen Gehb
Volker Beck (Köln)

Jörg van Essen
Christina Schenk


(8. Ausschuss)

– Drucksache 14/9594 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Albrecht Feibel
Franziska Eichstädt-Bohlig
Dr. Werner Hoyer
Dr. Uwe-Jens Rössel

Die Kolleginnen und Kollegen Margot von Renesse,
Jürgen Gehb, Volker Beck, Jörg van Essen und Christina
Schenk haben ihre Reden zu Protokoll gegeben1). – Ich
höre keinen Widerspruch dagegen.

Wir kommen zur Abstimmung über den von den Frak-
tionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen eingebrach-
ten Gesetzentwurf zur Errichtung einer Magnus-
Hirschfeld-Stiftung, Drucksache 14/9218. Der Rechts-
ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf

Drucksache 14/9593, den Gesetzentwurf in der Ausschuss-
fassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Ge-
setzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen,
um das Handzeichen. – Gegenprobe! – Enthaltungen? –
Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung gegen
die Stimmen der CDU/CSU bei Enthaltung der FDP und
einer Enthaltung aus der Fraktion der PDS angenommen.

Wir kommen zur
dritten Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die diesem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Ge-
genprobe! – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist damit
mit den gleichen Mehrheitsverhältnissen wie in der zwei-
ten Beratung angenommen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 13 a und b auf:
a) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten

Klaus Francke, Matthias Wissmann, Ulrich Adam,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
CDU/CSU
Wirtschaftspolitische Auswirkungen der EU-
Osterweiterung
– Drucksachen 14/8316 (neu), 14/9497 –

b) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten
Uwe Hiksch, Monika Balt, Dr. Klaus Grehn, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion der PDS
Vorbereitung der Grenzregionen auf die
Osterweiterung der EU
– Drucksachen 14/8001, 14/9498 –

Auf Drucksache 14/9547 liegt ein Entschließungsan-
trag der Fraktion der PDS zu ihrer Großen Anfrage vor.

Die Kolleginnen und Kollegen Christian Müller, Klaus
Francke, Werner Schulz, Gudrun Kopp, Uwe Hiksch so-
wie der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Ditmar
Staffelt haben ihre Reden ebenfalls zu Protokoll gege-
ben2). – Große Begeisterung im ganzen Saale.

Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungs-
antrag der Fraktion der PDS auf Drucksache 14/9547. Wer
stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Gegenprobe! –
Enthaltungen? – Der Entschließungsantrag ist gegen die
Stimmen der PDS-Fraktion abgelehnt.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 14 auf:
Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre-
gierung
Bericht der Bundesregierung zur Zusammen-
arbeit zwischen der Bundesrepublik Deutsch-
land und den Vereinten Nationen im Jahr 2001
– Drucksache 14/9466 –
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss (f)

Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung




Vizepräsidentin Petra Bläss
24782


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(D)



(A)



(B)


1) Anlage 9 2) Anlage 10

Die Kolleginnen und Kollegen Brigitte Adler, Clemens
Schwalbe, Birgit Homburger, Petra Bläss und der Staats-
minister Dr.Volmer haben ihre Reden sämtlich zu Protokoll
gegeben1). –Auch hiergegen erhebt sich kein Widerspruch.

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 14/9466 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 15 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-

(14. Ausschuss)

Katherina Reiche, Dr. Maria Böhmer, Horst
Seehofer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der CDU/CSU
Anwendung von Gentests in Medizin und Ver-
sicherungen
– Drucksachen 14/6640, 14/9584 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Carola Reimann

Die Kolleginnen und Kollegen Carola Reimann,
Katherina Reiche, Monika Knoche, Detlef Parr, Angela
Marquardt sowie die Parlamentarische Staatssekretärin
Gudrun Schaich-Walch haben ihre Reden ebenfalls zu
Protokoll gegeben2). – Auch hiergegen erhebt sich kein
Widerspruch.

Wir kommen deshalb zur Beschlussempfehlung des
Ausschusses für Gesundheit zu dem Antrag der Fraktion
der CDU/CSU zur Anwendung von Gentests in Medizin
und Versicherungen Drucksache 14/9584. Der Ausschuss
empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/6640 abzuleh-
nen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Ge-
genprobe! – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung
ist gegen die Stimmen von CDU/CSU bei Enthaltung von
FDP und PDS angenommen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 16 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Christian
Lange (Backnang), Dr. Hans-Peter Bartels,
Dagmar Freitag, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Katrin
Göring-Eckardt, Kerstin Müller (Köln), Rezzo
Schlauch und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/
DIE GRÜNEN
Änderung der Geschäftsordnung des Deut-
schen Bundestages – Verhaltensregeln für Mit-
glieder des Deutschen Bundestages
– Drucksache 14/9100 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und
Geschäftsordnung (f)

Rechtsausschuss

Was Wunder: Die Kolleginnen und Kollegen Christian
Lange, Hans-Peter Bartels, Eckart von Klaeden, Gerald
Häfner, Jörg van Essen und Dr. Evelyn Kenzler haben ihre
Reden ebenfalls zu Protokoll gegeben3). Auch hiergegen
erhebt sich kein Widerspruch.

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 14/9100 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Ich sehen keinen Wi-
derspruch. Dann ist die Überweisung so beschlossen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 17 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss)

– zu dem Antrag des Bundesministeriums der Fi-

nanzen
Entlastung der Bundesregierung für das
Haushaltsjahr 2000 – Vorlage derHaushalts-
rechnung und Vermögensrechnung des Bun-
des (Jahresrechnung 2000)

– zu der Unterrichtung durch den Bundesrech-
nungshof
Bemerkungen des Bundesrechnungshofes
2001 zur Haushalts- und Wirtschafts-

(einschließlich der Feststellungen zur Jahresrechnung des Bundes 2000)


– Drucksachen 14/5858, 14/7018, 14/7413 Nr. 2,
14/9460 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Uta Titze-Stecher

Obwohl es bereits 00.19 Uhr ist, begrüße ich zu dieser
Debatte ganz herzlich den Präsidenten des Bundesrech-
nungshofes Dr. Dieter Engels. Er ist im Übrigen ein ehe-
maliger Mitarbeiter des Hauses.


(Beifall im ganzen Hause)

Wir freuen uns ganz besonders, dass Sie dieser Debatte so
große Wertschätzung entgegenbringen. Sie haben den
Beifall des ganzen Hauses gehört.

Jetzt erteile ich der Kollegin Uta Titze-Stecher das
Wort.

Uta Titze-Stecher (SPD)(von Abgeordneten der SPD
und der PDS mit viel Beifall begrüßt): Frau Präsidentin!
Liebe noch verharrende Kolleginnen und Kollegen! Ich
grüße Sie zu dieser Stunde. Auch für mich ist es eine Pre-
miere, so spät zu reden. Ich bedanke mich bei den Vertre-
tern des Bundesrechnungshofes, dass auch sie bis jetzt
ausgehalten haben. Ich denke, nach zwölfeinhalb Minu-
ten haben wir es hinter uns gebracht.

Die Materie scheint, wenn man auf die Formulierung des
Tagesordnungspunktes schaut, durchaus dröge zu sein – sie
ist es aber nicht. Immerhin geht es um die Entlastung der
Bundesregierung, das heißt, um die Jahresrechnung 2000
auf der Grundlage der Bemerkungen des Bundesrech-
nungshofes 2001 zur Haushalts- und Wirtschaftsführung




Vizepräsidentin Petra Bläss

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1) Anlage 11
2) Anlage 12 3) Anlage 13

einschließlich der Feststellungen zur Jahresrechnung des
Bundes 2000. Das heißt, Sie, die verbleibenden Kollegin-
nen und Kollegen, entscheiden heute durch Abstimmung
darüber, ob der Bundesregierung für ihre Haushalts-
führung Entlastung erteilt werden kann. Dies ist, da es um
den Nachweis der korrekten Verwendung von Steuermit-
teln geht, eine höchst spannende Sache und keinesfalls,
wie es ein Geschäftsführer mir gegenüber geäußert hat,
ein nur formaler Akt.

Der Bundesrat hat bereits grünes Licht für die Entlas-
tung gegeben, und zwar im November letzten Jahres. Der
Rechnungsprüfungsausschuss hat die Anträge des Fi-
nanzministeriums sowie die Bemerkungen des Bundes-
rechnungshofes in sechs Sitzungen ausführlich beraten
und dem Haushaltsausschuss mehrheitlich – gegen die
Stimme der PDS – die Entlastung empfohlen. Der Haus-
haltsausschuss hat die Entlastung einstimmig – also mit
der Stimme der PDS – beschlossen, das heißt, Ihnen ans
Herz gelegt, die Bundesregierung zu entlasten.

Sie sehen also, dass heute mit der Entlastung, die wir
nachher vornehmen werden, der Kreislauf des Haushalts
abgeschlossen ist. Natürlich ist kein einziges Mitglied des
15-köpfigen Rechnungsprüfungsausschusses in der Lage,
die gesamte Haushaltsführung der Bundesregierung oder
gar die Haushalts- und Vermögensrechnung des Bundes
oder die finanzwirtschaftliche Entwicklung im Detail zu
prüfen. Sie ahnen schon, warum wir am Anfang den Bun-
desrechnungshof und seinen Präsidenten begrüßt haben:
Dies wird professionell durch die Prüfer des Rechnungs-
hofes erledigt. Der Hof ist immer dabei, und zwar auf al-
len Stufen des Haushaltskreislaufes, als da wären: die
Aufstellung des Bundeshaushaltes durch das Kabinett, die
Beratung durch das Parlament und speziell durch den
Haushaltsausschuss, schließlich der Haushaltsvollzug
– da ist wieder die Verwaltung dran – und zuletzt die Kon-
trolle durch den Rechnungsprüfungsausschuss mit dem
Schlusspunkt der Entlastung.

Die Bemerkungen des Bundesrechnungshofes sind
also die Grundlage für die parlamentarische Kontroll-
tätigkeit. Wir, der Rechnungsprüfungsausschuss, befas-
sen uns intensiv mit der Kritik des Hofes zum Einnahme-
und Ausgabeverhalten des Bundes. Als Ergebnis seiner
Beratungen fasst der Ausschuss zu jeder Bemerkung ei-
nen Beschluss.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


– Da braucht ihr nicht klatschen. Es ist nicht nachvoll-
ziehbar, warum ausgerechnet jetzt geklatscht wird. Das ist
erst am Schluss nötig.


(Johannes Kahrs [SPD]: Wir waren begeistert, Frau Kollegin!)


– Nein, das ist nicht nötig.

(Horst Kubatschka [SPD]: Wir klatschen, wann wir wollen! Ich bin ein frei gewählter Abgeordneter – Walter Hirche [FDP]: Die haben sich in der Parlamentarischen Gesellschaft darauf vorbereitet!)


– In Ordnung. Das ist praktizierte Demokratie. Damit bin
ich einverstanden.

Aus der bisherigen Beschreibung ist vielleicht erkenn-
bar, dass das Verhältnis zwischen Ausschuss und Bundes-
rechnungshof ausgesprochen eng ist. Wir, die Mitglieder
des Ausschusses, sind nur so gut, wie der Bundesrech-
nungshof uns informiert. Der weisungsunabhängige Bun-
desrechnungshof prüft, berät, empfiehlt und kommt damit
seinem gesetzlichen Auftrag, dargestellt in Art. 114 Abs. 2
des Grundgesetzes, nach, die Voraussetzungen und bzw.
oder die Auswirkungen politischer Entscheidungen in sei-
nen Prüfungsergebnissen darzulegen. Ich sage ganz deut-
lich: Die politische Entscheidung und damit die Verant-
wortung dafür liegen beim Gesetzgeber, also bei uns.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der PDS)


Das ist auch gut so. Der Bundesrechnungshof selbst weiß
das und respektiert das – die andere Seite, die Politik,
nicht immer. Die politische Entscheidung unterliegt näm-
lich nicht der Bewertung durch den Bundesrechnungshof.
Der Hof wird tätig auf Bitten des Parlaments oder der Re-
gierung. Er kann auch Hinweisen und Anstößen aus der
Bevölkerung nachgehen. Er kann auch – und tut dies sehr
oft – selbstständig Themen aufgreifen.

Es liegt in der Natur der Sache, dass sich niemand über
Prüfungen freut, weder ein Ministerium noch ein Ver-
band. Nur, solange und soweit es um Geld des Steuerzah-
lers geht, muss dessen ordnungsgemäße Verwendung
überprüfbar sein nach dem Motto: Vertrauen ist gut, Kon-
trolle ist allemal besser!


(Beifall des Abg. Walter Hirche [FDP])

Denn jede Regierung, jede öffentliche Verwaltung hat die
Verwendung des öffentlichen Geldes zu legitimieren.


(Johannes Kahrs [SPD]: Genau! So ist das!)

Ohne Legitimationsdruck wären der Verschwendung und
Steuerhinterziehung Tür und Tor geöffnet.


(Johannes Kahrs [SPD]: Aber nicht bei der SPD!)


Der Hof hat allein durch die Art seiner Tätigkeit natür-
liche Gegner, aber auch natürliche Verbündete, als da
sind: wir, die Mitglieder des Haushalts- und Rechnungs-
prüfungsausschusses, und – davon gehe ich aus, Herr
Staatssekretär – das BMF. Aber auch wir, die Mitglieder
des Ausschusses, sehen uns mehr oder weniger oft und
unregelmäßig Konflikten ausgesetzt, wenn als Folge un-
serer Beschlüsse der Abbau nicht mehr gerechtfertigter
Besitzstände eingeleitet wird, wenn es um die Prüfung der
Wirtschaftlichkeit von vor allem militärischen Beschaf-
fungen geht, wenn es beispielsweise um die Prüfung der
Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit von Privatisie-
rungsvorhaben geht. Ich bin seit drei Legislaturperioden
Mitglied im Rechnungsprüfungsausschuss, davon acht
Jahre in der Opposition und die letzten vier Jahre als Mit-
glied der Regierungsfraktion


(Johannes Kahrs [SPD]: Das ist auch gut so!)

– das ist auch gut so – und in der Position der Vorsitzenden.
Was muss ich jedoch erleben? – Das Rollenspiel zwischen
allen drei Beteiligten, nämlich dem prüfenden Hof, der ge-
prüften Regierung, der Verwaltung, dem kontrollierenden




Uta Titze-Stecher
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und beschließenden Rechnungsprüfungsausschuss, funk-
tioniert immer nach dem gleichen Muster – unabhängig
von der jeweiligen Regierungszusammensetzung.


(Walter Hirche [FDP]: So ist das!)

Die Regierung empfindet unsere Arbeit, die des Hofes

und des Ausschusses, bestenfalls als notwendig, aber im-
mer als lästig.


(Johannes Kahrs [SPD]: Das ist Kritik an der Regierung!)


– Manchmal wird der Überbringer der schlechten Nach-
richt mit dem Verursacher verwechselt. – Dies hat aber
unsere Arbeit – hinter mir sitzt mein Stellvertreter, Herr
Fuchtel, der das bestätigen kann – nie beeinträchtigt. Die
Kolleginnen und Kollegen im Ausschuss betrachten sich
als Kontrolleure der Regierung und weniger als An-
gehörige von Regierung und Opposition, und das ist auch
gut so, denn darin liegt die Stärke des Ausschusses.


(Beifall bei der SPD)

Ich bin davon überzeugt, dass sich das Parlament auch

in Zukunft dieses scharfen Instrumentes bedienen und es
nicht zulassen wird, dass es stumpf wird.

An dieser Stelle ein ausdrückliches Dankeschön an alle
Kolleginnen und Kollegen für die äußerst sachliche Zu-
sammenarbeit und das vertrauensvolle Klima. In den
Dank einschließen möchte ich natürlich die Mitglieder
meines Sekretariats, Frau Monreal, Herrn Linke, Frau von
Pendzich-Winter, die frühere Leiterin, und die jetzige Lei-
terin, Frau Krägenow.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)


Mein ganz besonderer Dank gilt den Mitgliedern des
Bundesrechnungshofes – sie sitzen auf der Tribüne –, stell-
vertretend dem Präsidenten Herrn Professor Dr. Engels
und seiner Vorgängerin, Frau Hedda von Wedel.

Zur Ehrenrettung der geprüften Verwaltungen sei al-
lerdings gesagt: Jährlich verlassen den Hof und seine Prü-
fungsämter Hunderte von Prüfungsermittlungen. Die
Vorschläge und Anregungen werden anstandslos von den
Verwaltungen unmittelbar umgesetzt. Darüber berichtet
jedoch kein Schwein.


(Heiterkeit und Beifall bei der SPD – Horst Kubatschka [SPD]: Na, na, na! Das soll doch die Presse machen!)


– Keine Presse! Ich meine damit nicht Sie!

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

Denn naturgemäß wird über Erfolge nicht berichtet, weil
Erfolge keine News sind. Auf der Tagesordnung des Aus-
schusses finden sich auch immer häufiger Punkte mit dem
Vermerk „o.B.“ – ohne Beratung –, und zwar schlicht und
einfach deswegen, weil diese Bundesregierung bestrebt
ist, die Vorschläge des Hofes und die Beschlüsse des Par-
lamentes umzusetzen,


(Beifall des Abg. Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Johannes Kahrs [SPD]: Das ist eine gute Regierung!)


und zwar zum eigenen Vorteil, denn dadurch kann der
Bundeshaushalt um mehrere hundert Millionen Euro im
Jahr entlastet werden.

Lassen Sie mich zur Begründung für die Empfehlung,
diese Bundesregierung für die Jahresrechnung 2000 zu
entlasten, ein paar Ausführungen machen.

Die Prüfung der Jahresrechnung 2000, bestehend
aus Haushalts- und Vermögensrechnung, hat keine für die
Entlastung wesentlichen Abweichungen zwischen den
Beträgen in den Rechnungen und Büchern ergeben. Dies
gilt auch für die Rechnungen der 17 Sondervermögen. So
weit, so gut! Was ich allerdings, Herr Staatssekretär, über-
haupt nicht verstehe – ich kann es gar nicht nachvollzie-
hen –, ist, dass ich hier denselben Satz wiederholen muss
wie vor einem Jahr, nämlich, dass es zu unzutreffenden,
widersprüchlichen und unklaren Angaben, das heißt zu
formalen Fehlern, gekommen ist. Ich begreife einfach
nicht, dass das Ausfüllen von Vordrucken bei Kassenan-
ordnungen nicht gelernt werden kann.


(Beifall bei Abgeordneten der PDS)

Ich finde, dass das Finanzministerium mit mehr Nach-
druck bei den Haushaltsbeauftragten der Ressorts auf die
Beachtung der einschlägigen Vorschriften dringen muss.

Zur Haushaltsführung möchte ich fünf knappe Bemer-
kungen machen.


(Walter Hirche [FDP]: Gegen PISA kommen auch wir nicht an!)


– PISA spielt da bestimmt nicht herein.
Erstens. Die Ausgaben lagen mit 478 Milliarden DM

im Haushaltsjahr 2000 um 0,8 Milliarden DM unter dem
veranschlagten Soll. Die Einnahmen lagen mit 431,3 Mil-
liarden DM über dem veranschlagten Soll. Das Finanzie-
rungsdefizit betrug 46,7 Milliarden DM und war damit
um knapp 3 Milliarden DM niedriger. Ich denke, das ist
ein Pluspunkt.

Erwähnenswert ist auch, dass im Vergleich zum Vor-
jahr – obwohl die Einnahmen nahezu gleich geblieben
sind – die Ausgaben um knapp 5 Milliarden DM
trotz Mehrausgaben gesunken sind. Ich erwähne stich-
punktartig: höhere Leistungen an die Rentenversicherung
– roundabout 9 Milliarden DM –, der Beitrag für die
Zwangsarbeiterstiftung, die Inanspruchnahme von Ge-
währleistungen, Heizkostenzuschuss, EXPO-Beitrag
usw. Entlastend ins Gewicht fielen geringere Aufwendun-
gen für den Arbeitsmarkt in Höhe von rund 10 Milliarden
DM und, dank der Verwendung der Erlöse aus der UMTS-
Versteigerung zum Schuldenabbau, geringere Zinsausga-
ben. Dafür gebührt der Bundesregierung ein großes Lob.


(Beifall bei der SPD)

Zweitens. Ein besonderes Problem sind die Ausgabe-

reste. Sie steigen seit 1992 kontinuierlich an. Das ist keine
gute Entwicklung; denn ihre Inanspruchnahme belastet
den Haushalt des folgenden Jahres in dem Ausmaß, in
dem sie beansprucht werden. Nun hat zwar das Bundes-
ministerium der Finanzen durch eine Regelung dafür ge-
sorgt, dass sich die Gesamtausgaben des Haushaltsplanes
nicht erhöhen. Dass dies aber im Rahmen der Haushalts-




Uta Titze-Stecher

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durchführung auch beachtet wird, bezweifelt der Bundes-
rechnungshof und regt daher an, zu prüfen, ob die Einhal-
tung der gesetzlich vorgesehenen Verfügbarkeitsfrist,
nämlich ein Zeitraum von zwei Jahren, nicht sicherge-
stellt werden kann.

Auch meldet der Bundesrechnungshof Bedenken ge-
gen die bisherige Haushaltspraxis an, nach der Ausgaben
zuerst zulasten vorhandener Ausgabereste verbucht wer-
den, bevor die für das laufende Haushaltsjahr bewilligten
Mittel in Anspruch genommen werden.

Positiv beurteilt der Bundesrechnungshof die Umset-
zung der flexiblen Haushaltsinstrumente. So ist das bisher
zu beobachtende Dezemberfieber in gravierender Weise
zurückgegangen. Auch die unterjährige Ausgabenent-
wicklung ist wesentlich gleichmäßiger als in den Vorjah-
ren.

Drittens. Die Bundesverwaltung hat im Haushalt 2000
über- und außerplanmäßige Ausgaben in einer Gesamt-
höhe von rund 11 Milliarden DM geleistet. Das ist ent-
schieden zu viel. Dies entspricht etwa 2,25 Prozent des
Haushaltssolls und ist damit doppelt so viel wie im Vor-
jahr. Das heißt, sowohl die Höhe als auch die Fallzahl ha-
ben sich erhöht. Das ist einfach unakzeptabel. Deswegen
moniert der Bundesrechnungshof dies zu Recht. Diese
Verstöße gegen das Haushaltsrecht sind abzustellen und
für eine haushaltsrechtlich mängelfreie Mittelbewirt-
schaftung ist zu sorgen.

Die im Haushaltsplan vorgesehenen globalen Minder-
ausgaben sind erwirtschaftet worden. Das ist eine gute Sa-
che. Ebenfalls eine gute Sache ist die Tatsache – auch dies
stellt der Bundesrechungshof fest –, dass zum ersten Mal
seit Jahren die Schulden des Bundes zurückgegangen
sind. Sie betragen zwar immer noch 1,4 Billionen DM am
Ende des Jahres 2000. Wenn man die nicht im Haushalt
eingestellten Sondervermögen dazuzählt, hat der Bund
sogar Schulden in Höhe von 2,5 Billionen DM. Aber ins-
gesamt ist die Verschuldung am Ende des Jahres 2001
zurückgegangen. Dieses wird vom Bundesrechnungshof
ausdrücklich anerkannt.


(Beifall bei der SPD)

Ich möchte eine Bemerkung zur weiteren Perspektive

machen. Dazu gehört auch die Überlegung zur weiteren
finanzwirtschaftlichen Entwicklung des Bundes. Der jetzt
vorgelegte Entwurf des Bundeshaushalts 2003, vor allem
im Zusammenhang mit der Finanzplanung bis 2006, ist
ein weiterer überzeugender Etappenposten auf dem Weg
der Konsolidierung. Das konzidiert auch der Bundesrech-
nungshof. Er stellt also fest, dass sich im Finanzplan eine
Verstetigung der finanzwirtschaftlichen Eckwerte ab-
zeichnet, das heißt, der richtige Weg beschritten wird.

Ich möchte noch kurz zwei weitere Probleme anspre-
chen. Der Bundesrechnungshof weist zu Recht auf eine
Besorgnis erregende Ausgabenstruktur hin. Er erwähnt
zwei besondere Blöcke, nämlich die Sozialausgaben und
die Zinsausgaben. So sind im Haushalt 2001 mehr als die
Hälfte der Steuereinnahmen für Sozialausgaben verwen-
det worden; für Zinsausgaben ist es noch jede fünfte Steu-
ermark. Im Bereich der Sozialausgaben – hören Sie
einmal genau zu – sind die Zuschüsse zur Rentenversi-

cherung seit 1995 als Folge der demographischen Ent-
wicklung massiv angestiegen.


(Uwe Hiksch [PDS]: Falsche Finanzierung!)

– Das ist eine andere Sache. Ich rede nur von den Fakten. –
Sie betragen heute mehr als ein Viertel der Gesamtausga-
ben des Bundeshaushalts. Der Bundeshaushalt trägt heute
ein Drittel der Gesamtausgaben der gesetzlichen Renten-
versicherung, nämlich sage und schreibe 135 Milliarden
DM von 430 Milliarden DM. Dieser Anteil lag vor zehn
Jahren noch bei rund einem Fünftel.


(Walter Hirche [FDP]: Das gefährdet den Eigentumscharakter der Rente!)


Diese Fakten rechtfertigen die Rentenreform; darüber
brauchen wir nicht mehr zu debattieren.


(Beifall bei der SPD)

Eine letztes Wort zum europäischen Stabilitätspakt: Im

Rahmen des Solidarpaktfortführungsgesetzes hat die
Bundesregierung eine Neuregelung eingeführt: § 51 a
Haushaltsgrundsätzegesetz, das heißt ein Verfahren zur
innerstaatlichen Umsetzung der Vorgaben des europä-
ischen Stabilitätspaktes.

Dafür ist ja ein bundesdeutscher Finanzminister, Herr
Waigel, verantwortlich gewesen. Nun könnte man anneh-
men, dass deswegen von uns die Vorgaben dieses Stabi-
litätspaktes besonders beachtet werden. Ich stelle aber
fest, dass trotz aller Vereinbarungen zwischen Bund und
Ländern, also trotz der Vereinbarungen zur Ausgabenbe-
grenzung ab 2003 und zur Rückführung der Nettoneuver-
schuldung, eine Sache fehlt, Herr Staatssekretär: verbind-
liche Regeln zur Aufteilung möglicher von der EU
verhängten Sanktionen, falls die Defizitobergrenze von
3 Prozent des BIP überschritten wird. Aus der fehlenden
Regelung kann ich nur schließen, dass die Regierung sehr
optimistisch ist, von keiner Überschreitung ausgeht und
ihr finanzwirtschaftliches Handeln danach ausrichtet, nie-
mals in diese missliche Lage zu kommen. Dazu kann ich
nur sagen: Das ist gut so; das hoffe ich.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Nichtsdestotrotz richte ich mich lieber nach dem

Sprichwort „Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste“
und empfehle, den Rat des Bundesrechnungshofes
schnellstmöglich umzusetzen


(Beifall des Abg. Walter Hirche [FDP])

und ein Regelwerk zur Aufteilung möglicher EU-Sanktio-
nen aufzulegen. Denn der Gelackmeierte ist sonst der
Bund. Wir haben die höchsten Schulden, nämlich zwei
Drittel der öffentlichen Schulden. Ich sehe überhaupt nicht
ein, warum wir für die gesamtstaatliche Verschuldung haf-
ten und im Falle der Überschreitung der vorgesehenen
Höchstgrenze für die Sanktionen zuständig sind. Das, Herr
Staatssekretär, muss der nächste Bundestag regeln.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1424529100
Frau Kollegin, ich tue
es sehr ungern – denn es ist Ihre letzte Rede –, aber ich
muss Sie an die Überschreitung Ihrer Redezeit erinnern.
Die ist nämlich schon gewaltig.




Uta Titze-Stecher
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(D)



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Uta Titze-Stecher (SPD):
Rede ID: ID1424529200
Am Ende meiner Aus-
führungen komme ich zu den gleichen Empfehlungen wie
der Bundesrechnungshof und der Haushaltsausschuss. Ich
bitte Sie um die Entlastung der Bundesregierung für das
Haushaltsjahr 2000.


(Beifall im ganzen Hause)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1424529300
Frau Kollegin Titze-
Stecher, dies war Ihre letzte Rede in diesem Hohen Hause
zu symbolischer Zeit und, wie wir alle bereits festgestellt
haben, unter den Augen des Präsidenten des Bundesrech-
nungshofes. Vielen Dank für Ihre Arbeit, vor allem für die
als Vorsitzende des Rechnungsprüfungsausschusses!


(Beifall im ganzen Hause)

Als Haushälterin haben Sie sich im gesamten Hause eine
hohe Achtung erworben. Alles Gute für Ihren kommenden
Lebens- und Arbeitsabschnitt!

Die Kollegen Josef Hollerith, Oswald Metzger und
Jürgen Koppelin sowie die Kollegin Heidemarie Ehlert
haben ihre Reden zu diesem Tagesordnungspunkt zu Pro-
tokoll gegeben.1)

Deshalb kommen wir jetzt zur Abstimmung über die
Beschlussempfehlung des Haushaltsausschusses zu dem
Antrag des Bundesministeriums der Finanzen zur Entlas-
tung der Bundesregierung für das Haushaltsjahr 2000 und
zu den Bemerkungen des Bundesrechnungshofes 2001,
Drucksachen 14/5858 und 14/7018 und 14/9460. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenprobe! –
Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen des gesamten Hauses angenommen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich rufe Tagesordnungspunkt 18 sowie Zusatzpunkt 13

auf:
18. Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-

richts des Ausschusses für Wirtschaft und Techno-
logie (9. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeord-
neten Christian Müller (Zittau), Dr. Rainer Wend,
Dr. Axel Berg, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Werner
Schulz (Leipzig), Ulrike Höfken, Kerstin Müller

(Köln), Rezzo Schlauch und der Fraktion des

BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der
regionalen Wirtschaftsstruktur“ als regelge-
bundenes Fördersystem erhalten
– Drucksachen 14/9242, 14/9589 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Christian Müller (Zittau)


ZP 13 Beratung des Antrags der Abgeordneten Klaus
Hofbauer, Matthias Wissmann, Dagmar Wöhrl, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU
Regionalpolitik stärken – Chancen nutzen
– Drucksache 14/9595 –

Die Kollegen Christian Müller (Zittau), Ulrich
Klinkert und Rolf Kutzmutz, die Kolleginnen Ulrike
Höfken und Gudrun Kopp sowie der Parlamentarische
Staatssekretär Dr. Ditmar Staffelt haben ihre Reden zu
Protokoll gegeben.2) – Das wird widerspruchslos zur
Kenntnis genommen.

Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschus-
ses für Wirtschaft und Technologie auf Drucksache
14/9589 zu dem Antrag der Fraktionen der SPD und des
Bündnisses 90/Die Grünen mit dem Titel „Die Gemein-
schaftsaufgabe‚Verbesserung der regionalen Wirtschafts-
struktur‘ als regelgebundenes Fördersystem erhalten“.
Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache
14/9242 anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschluss-
empfehlung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? – Die Be-
schlussempfehlung ist gegen die Stimmen von CDU/CSU
und FDP bei Enthaltung der PDS angenommen.

Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der
Fraktion der CDU/CSU mit dem Titel „Regionalpolitik
stärken – Chancen nutzen“. Wer stimmt für den Antrag
auf Drucksache 14/9595? – Wer stimmt dagegen? – Ent-
haltungen? – Der Antrag ist gegen die Stimmen von
CDU/CSU bei Enthaltung der FDP abgelehnt.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 19 auf:
Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten
Dr. Barbara Höll, Dr. Dietmar Bartsch, Heidemarie
Ehlert, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
PDS
Verteilung und Verteilungswirkungen der Steu-
ern und Abgaben
– Drucksachen 14/7912, 14/9492 –

Ich eröffne die Aussprache. Rednerin für die PDS-
Fraktion ist die Kollegin Dr. Barbara Höll.


(Horst Kubatschka [SPD]: Das war nicht nötig!)



Dr. Barbara Höll (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1424529400
Ich möchte Sie doch des
Vergnügens nicht berauben, der Rede lauschen zu können.

Liebe Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kol-
legen! Wir beraten die Große Anfrage zu Verteilung und
Verteilungswirkungen der Steuern und Abgaben, die die
PDS vor einem guten halben Jahr, Ende Dezember des
vergangenen Jahres, gestellt hat. Die Herausgabe der Ant-
wort wurde durch die Regierung um einige Wochen ver-
zögert und fällt nun passenderweise in die Zeit der Ab-
rechnung mit rot-grüner Politik.

Im Bereich der Steuer- und Finanzpolitik ist die Bilanz
leider sehr ernüchternd.


(Beifall bei der PDS)

Vier Jahre Rot-Grün, das bedeutete eben keinen Poli-
tikwechsel, nicht mehr soziale Gerechtigkeit und auch
keine Stabilität in den öffentlichen Haushalten.


(Johannes Kahrs [SPD]: Das ist doch Unsinn!)







(C)



(D)



(A)



(B)


1) Anlage 14 2) Anlage 15

Das „Handelsblatt“ charakterisierte bereits am 10. Ja-
nuar 2000 – ich erlaube mir zu zitieren –:

Die rot-grüne Koalition plant in ihrer Steuerpolitik
einen konservativen Wandel, den eine christlich-li-
berale Regierung niemals gewagt hätte. Doch es ist
eine sympathische Entwicklung, wenn die SPD ihre
marxistischen Wurzeln mit Stumpf und Stiel ausrot-
tet und eine Shareholder-Value-Partei werden will.


(Horst Kubatschka [SPD]: Das waren Sie, nicht wir!)


Ein tolles Lob für Ihre Politik! Zwei Jahre später
schauen wir uns das Ergebnis an. Wir können heute in
ebendiesem Blatt, aber auch in anderen wie der „Frank-
furter Rundschau“ nachlesen, dass Sie sehr wohl eine
Steuerpolitik zugunsten von Großunternehmen und Ver-
mögenden durchgezogen haben.


(Widerspruch von der SPD)

Herr Ulrich Schneider, der Geschäftsführer des Pa-

ritätischen Wohlfahrtsverbandes, stellte in dieser Woche
fest: „Auch unter Schröder wurden die Armen ärmer.“ –
„Die SPD ist in Gerechtigkeitsfragen ein unsicherer Kan-
tonist geworden“, so die „Frankfurter Rundschau“.


(Beifall bei der PDS)

Wir haben ja nicht umsonst diese Anfrage gestellt. Wir

wollten Ihnen die Chance geben, mit Zahlen die Situation
anzeigen zu können.


(Johannes Kahrs [SPD]: Ihre eigene Fraktion ist nicht da!)


Im Ergebnis hat sich die Regierung doch redlich
bemüht, mit ihren Antworten die fiskalisch und vertei-
lungspolitisch verheerenden Ausführungen ihrer Steuer-
und Finanzpolitik zu verschleiern.


(Beifall bei der PDS – Widerspruch bei der SPD)


Von 75 Anfragen wurden etwa 20 gar nicht oder unvoll-
ständig beantwortet. Sie können noch so laut schreien, ich
werde Ihnen trotzdem einige Fakten vorstellen.

Nehmen wir einmal das Problem der Einkommens-
millionäre, also der Steuerpflichtigen, die zu versteuernde
Einkünfte von mehr als 1 Million DM haben. Zwischen
1992 und 1995 ist die Zahl der Einkommensmillionäre
um rund 4 000 von 25 265 auf 21 000 gesunken. Aktuel-
lere Zahlen liegen leider nicht vor, weil Sie die Statistiken
daraufhin nicht auswerten. Die Ursache dafür, dass die
Zahl der Einkommensmillionäre gesunken ist, ist aller-
dings nicht darin zu suchen, dass ihre Zahl tatsächlich ge-
ringer geworden wäre, sondern darin, dass die waigelsche
Finanzpolitik damals umfangreiche Sonderabschreibun-
gen ermöglichte. Diese Sonderabschreibungen hatten um
das Jahr 1995 ihren Höhepunkt erreicht.


(Unruhe bei der SPD)

– Hören Sie doch einfach einmal zu, oder können Sie das
um diese Tageszeit nicht mehr? Sie haben wohl gar keine
Kondition? Schwach! – Ab 1998 wurden auf Gewinne
und Vermögenserträge wieder mehr Steuern bezahlt, aber
nicht etwa deshalb – es ist mir wichtig, das zu betonen –,

weil Sie eventuell die Bemessungsgrundlage verbreitert
hätten, nein, sondern weil einfach die Sonderabschrei-
bungen ausgelaufen sind.

Und wie reagierten Sie nun 1998? Man hätte ja sagen
können, man wolle die Einkünfte. Nein, Sie widmeten
sich der öffentlichen Reichtumspflege. Die Spitzensteuer-
sätze bei der Einkommensteuer und der Körper-
schaftsteuer wurden massiv gesenkt. Befristete Steuerver-
günstigungen von Waigel haben Sie neu aufgelegt bzw.
fortgeführt. Damit haben Sie – so muss man sagen – die
Politik für die wirklich Reichen in dieser Republik ver-
stetigt.


(Beifall bei der PDS)

Die Belastung der Vermögenserträge und Gewinne

– nehmen wir die aktuelle Zahl von 2001 – ist gesunken.
Dazu finde ich leider nichts in der Antwort auf die Große
Anfrage. Ich habe mich daher selber hingesetzt und das
ausgerechnet. Die Belastung der Vermögenserträge und
Gewinne ist im vergangenen Jahr sogar niedriger gewe-
sen als 1998, als Sie die Regierung übernommen haben.
Sie liegt 7,5 Prozent unter dem Niveau von 1998. Die Be-
lastung der Kapitalgesellschaften ist sogar um 40 Prozent
gesunken.


(Beifall bei der PDS)

Wenn die Regierung, die jetzt leider nicht mehr vertre-

ten ist – zumindest nicht mehr auf der Regierungsbank –,
heute noch betont, soziale Gerechtigkeit sei wieder eine
Kategorie der Steuerpolitik, ist das schlicht eine Unver-
schämtheit, weil sie sich nur der Besitzstandswahrung
von Vermögenden und Großunternehmen gewidmet hat.


(Beifall bei der PDS)

Sie haben die Vermögensteuer nicht wieder eingeführt

und die Erbschaftsteuer nicht reformiert. Erbschaften in
Höhe von rund 150 Milliarden Euro jährlich werden von
Ihnen gerade einmal mit durchschnittlich 2 Prozent Erb-
schaftsteuer belegt. Damit werden also gerade einmal
3 Milliarden Euro jährlich eingenommen.


(Uwe Hiksch [PDS]: Das ist ein Skandal!)

Die Kehrseite der Vermehrung des Reichtums ist die

Vermehrung der Armut. Diesen Vorwurf muss man Ihnen
machen. Das größte Armutsrisiko in der Bundesrepublik
Deutschland zu Beginn des neuen Jahrhunderts sind Kin-
der. Daran haben Sie überhaupt nichts geändert. Das ist
auch in Ihrem Armuts- und Reichtumsbericht nachzule-
sen. Sie behaupten heute, die Förderung von Kindern
durch Sie vorangekommen; das stimmt aber nicht.


(Beifall bei der PDS)

Wir haben das duale System der Kinderentlastung.
Während 1998 noch 95 Prozent der Familien tatsächlich
gefördert wurden und nur 5 Prozent vom Kinderfreibetrag
profitiert haben, hat sich dieses Verhältnis verschoben.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1424529500
Frau Kollegin Höll,
Sie müssen jetzt bitte zum Schluss kommen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)





Dr. Barbara Höll
24788


(C)



(D)



(A)



(B)



Dr. Barbara Höll (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1424529600
Heute werden nur noch
77 Prozent der Familien mit Kindern entlastet. Die Al-
leinerziehenden lassen Sie draufzahlen und Sozialhilfe-
empfänger haben überhaupt nichts von Ihren Regelungen.
Das Schlimmste ist, dass die Menschen, die kein oder nur
ein geringes Einkommen beziehen, zusätzlich betroffen
sind, weil Sie die öffentlichen Haushalte ruiniert haben.


(Beifall bei der PDS)

Sie können sich nicht einfach jedes Buch kaufen, das sie
interessiert.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1424529700
Frau Kollegin, bitte
kommen Sie zum Schluss.


Dr. Barbara Höll (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1424529800
Sie sind auf die öffentliche
Infrastruktur angewiesen. Deshalb fordern wir Sie auf,
endlich Ihre Politik zu ändern.


(Beifall bei der PDS)

Dann werden wir sehen, welche Chance Sie erhalten.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1424529900
Frau Kollegin Höll,
ich bitte Sie, zum Schluss zu kommen.


Dr. Barbara Höll (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1424530000
Unser Druck von links bleibt
auf alle Fälle bestehen.


(Beifall bei der PDS)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1424530100
Ich schließe die Aus-
sprache; denn die Kolleginnen und Kollegen Dr. Frank
Schmidt, Wolfgang Steiger, Ulrike Höfken und Gisela
Frick haben ihre Reden zu Protokoll gegeben.1)

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 20 a und 20 b auf:
a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-

richts des Ausschusses für Wirtschaft und Techno-
logie (9. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeord-
neten Dr. Margrit Wetzel, Dr. Rainer Wend,
Dr. Axel Berg, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der SPD, sowie der Abgeordneten Werner
Schulz (Leipzig), Andrea Fischer (Berlin),
Michaele Hustedt, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Weltweite Märkte für Meerestechnik er-
schließen
– Drucksachen 14/9223, 14/9587 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Wolfgang Börnsen (Bönstrup)


b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Wirtschaft und Techno-
logie (9. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeord-
neten Wolfgang Börnsen (Bönstrup), Matthias
Wissmann, Ulrich Adam, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der CDU/CSU

Zukunft Meer – Für eine verantwortungs-
bewusste Nutzung der Meerestechnologie
– Drucksachen 14/9352, 14/9588 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Margrit Wetzel

Die Kolleginnen und Kollegen Margrit Wetzel,
Dr. Ernst Dieter Rossmann, Wolfgang Börnsen, Hans-
Josef Fell, Hans-Michael Goldmann, Wolfgang Bierstedt
sowie der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Ditmar
Staffelt haben ihre Reden zu Protokoll gegeben.2)


(Beifall bei der SPD)

Wir kommen deshalb zur Beschlussempfehlung des Aus-
schusses für Wirtschaft und Technologie auf der Drucksa-
che 14/9587 zu dem Antrag der Fraktion der SPD und des
Bündnisses 90/Die Grünen mit dem Titel „Weltweite
Märkte für Meerestechnik erschließen“. Der Ausschuss
empfiehlt, den Antrag auf der Drucksache 14/9223 anzu-
nehmen.

Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegen-
probe! – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist
gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP bei Enthal-
tung der PDS angenommen.

Wir kommen jetzt zur Beschlussempfehlung des Aus-
schusses für Wirtschaft und Technologie auf der Drucksa-
che 14/9588 zu dem Antrag der Fraktion der CDU/CSU
mit dem Titel „Zukunft Meer – Für eine verantwor-
tungsbewusste Nutzung der Meerestechnologie“. Der
Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf der Drucksache
14/9352 abzulehnen.

Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegen-
probe! – Enthaltungen? – Auch diese Beschlussempfeh-
lung ist gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP bei
Enthaltung der PDS angenommen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 21 auf:
Erste Beratung des von den Abgeordneten
Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten, Georg
Brunnhuber, Marita Sehn und weiteren Abgeord-
neten eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur

(Kommunale Rechte bei Windkraftanlagen stärken)

– Drucksache 14/9132 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (f)

Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Tourismus

Die Kolleginnen und Kollegen Wolfgang Spanier,
Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten, Michaele Hustedt,
Marita Sehn sowie Christine Ostrowski haben ihre Reden
zu Protokoll gegeben.3) – Auch hierzu gibt es keinen






(C)



(D)



(A)



(B)


1) Anlage 16
2) Anlage 17
3) Anlage 18

Widerspruch im Hause. Interfraktionell wird die Über-
weisung des Gesetzentwurfs auf der Drucksache 14/9132
an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor-
geschlagen. – Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist die
Überweisung so beschlossen.

Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 12:
Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD
und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN einge-
brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einrich-
tung eines Registers über unzuverlässige Un-
ternehmen
– Drucksache 14/9356 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)

Innenausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder
Haushaltsausschuss

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Hartmut Schauerte für die Fraktion der CDU/CSU.


Hartmut Schauerte (CDU):
Rede ID: ID1424530200
Frau Präsidentin!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist sicherlich
meine späteste, aber nicht meine letzte Rede.


(Dr. Ditmar Staffelt [SPD]: Abwarten!)

Ich rede zu dieser späten Stunde, weil es hier in erster Le-
sung um ein Gesetzgebungsvorhaben geht, das wohl das
schnellste Gesetzgebungsvorhaben in der Geschichte des
Parlamentes werden wird. Es soll heute in erster Lesung
beraten, und in der nächsten Woche zur Schlussabstim-
mung geführt werden.

Es ist ein Gesetz, das in erhebliche Rechtstatbestände
eingreift und erhebliche Auswirkungen hat. Es geht um
das Korruptionsregister.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Ihre Leute im Vermittlungsausschuss wollten das aber heute haben!)


– Damit wir das gleich ganz klar haben, Herr Kollege
Schmidt: Wir wollen ein Korruptionsregister für rechts-
kräftig festgestellte Korruptionsfälle von Unternehmen,
die deswegen von öffentlichen Aufträgen ausgeschlossen
sind. Ein solches Gesetz brauchen wir, gerade auch wegen
der vielen Korruptionsfälle in jüngster Zeit. Städte wie
Köln und Solingen oder das Land Schleswig-Holstein las-
sen grüßen. Also brauchen wir ein solches Gesetz – ohne
Wenn und Aber!

Was mit dem vorliegenden Gesetzentwurf aber ge-
macht wird, ist etwas anderes. Hier wird nicht ein Gesetz
zur Einrichtung eines Registers für Korruptionsfälle er-
lassen, sondern zur Einrichtung eines Registers über un-
zuverlässige Unternehmen. Im Gesetzentwurf heißt es,
man wolle „schwere Verfehlungen“ erfassen. Dann sind
mehr als zehn Tatbestände aufgeführt, eingeleitet mit dem
Wort „insbesondere“. Das heißt, der Katalog kann täglich
erweitert werden.


(Zuruf von der SPD: Genau, weil das notwendig ist!)


Sie eröffnen damit eine neue Kultur – ich will besser sa-
gen: Unkultur – der Überwachung und der Kontrolle, weil
Sie einen Generalverdacht gegenüber Unternehmen und
Unternehmern hegen. Sie nehmen so Arbeitsplätze in
unübersehbarer Zahl in Kollektivhaftung für Fehler, die in
der einen oder anderen Weise passiert sind.


(Walter Hirche [FDP]: Das ist unglaublich! Was für ein Rechtsverständnis! – Zurufe von der SPD)


Ich will das einmal verdeutlichen. Der Gesetzentwurf
enthält zum Beispiel den Vorschlag, dass in dieses Register
Verstöße gegen das Kartellverbot des Gesetzes gegen Wett-
bewerbsbeschränkungen aufgenommen werden sollen.
Aufgrund dieses Gesetzes hat VW in den letzten Jahren
zweimal eine Strafe von mehr als 500MillionenDM wegen
Preisabsprachen von der Europäischen Kommission be-
kommen – ein eindeutiger Verstoß gegen Wettbewerb! VW
darf kein Auto mehr an die öffentliche Hand verkaufen.

Bei dem Vorgang um Trienekens und RWE – wie auch
immer er gelaufen ist, was ich hier gar nicht beleuchten
will – hätten 4 000 Mitarbeiter ihren Hut nehmen können.
Wissen Sie, was die Landesregierung von Nordrhein-
Westfalen gemacht hätte? – Die hätte eine Landesbürg-
schaft gewährt, damit das nicht passiert. Sie aber haben
vor, solche Unternehmen in einem Register zu erfassen,
was bedeuten würde, dass Sie die Bude schließen müss-
ten. Das kann doch nicht wahr sein!


(Walter Hirche [FDP]: Dummheit ist schlimmer als Vorsatz! Das gilt für dieses Gesetz!)


Ihr schlechtes Gewissen wegen Köln und Wuppertal muss
so kolossal sein, dass Sie bei der Behandlung des Vor-
gangs jedes Maß verlieren.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Es ist unerträglich, wie hier in solch wichtige Verfah-

ren eingegriffen wird. Hier wird Folgendes passieren: Sie
sezten für morgen früh


(Dr. Ditmar Staffelt [SPD]: Heute früh!)

– heute früh! – eine Sondersitzung des Wirtschaftsaus-
schusses durch.
Heute Mittag um 12 Uhr beschließen Sie ein Hearing, be-
nennen die Sachverständigen für das Hearing – diese
Sachverständigen wissen von ihrem Glück noch nichts –
und hören sie am kommenden Montag um 12 Uhr. Was
meinen Sie, wie diese Sachverständigen darauf warten,
dass wir sie für kommenden Montag um 12.00 Uhr einla-
den! Ein ordnungsgemäßes Beratungsverfahren für dieses
erheblich eingreifende Gesetz ist nicht gewährleistet,
Herr Kollege Staffelt.


(Johannes Kahrs [SPD]: Warum ist Ihre Fraktion nicht da?)


Deswegen können wir diesem Verfahren nicht zustim-
men.

Ich wollte Ihnen aber heute in der ersten Lesung doch
die Chance geben, Ihren Kenntnisstand ein bisschen zu er-
weitern, damit die Fehler, die Sie bei diesem Verfahren
noch machen werden, nicht so schrecklich groß werden.


(Johannes Kahrs [SPD]: Aber Sie haben sich zur Sache doch noch gar nicht geäußert!)





Vizepräsidentin Petra Bläss
24790


(C)



(D)



(A)



(B)


Ich habe Ihnen die Hälfte der Redezeit erspart, aber
mindestens dies musste gesagt werden.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zurufe von der SPD)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1424530300
Ich schließe die
Aussprache, denn die Kolleginnen und Kollegen Klaus
Wiesehügel, Werner Schulz, Gudrun Kopp, Ulla Lötzer
sowie der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Ditmar
Staffelt haben ihre Reden zu Protokoll gegeben.1)


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 14/9356 an die in der Tagesordnung
aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit
einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überwei-
sung so beschlossen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit am
Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Wir haben es
also noch kurz vor 1 Uhr geschafft.

Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
destages auf heute, Freitag, den 28. Juni 2002, 9 Uhr,
ein.

Die Sitzung ist geschlossen.