Protokoll:
14243

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 14

  • date_rangeSitzungsnummer: 243

  • date_rangeDatum: 14. Juni 2002

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:00 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 16:51 Uhr

  • account_circleMdBs dieser Rede
  • tocInhaltsverzeichnis
    Glückwünsche zum Geburtstag der Abgeordne- ten Hans-Ulrich Klose und Manfred Hampel 24423A Erweiterung der Tagesordnung . . . . . . . . . . . . 24423 A Absetzung des Zusatztagesordnungspunktes 19 24423 B Zusatztagesordnungspunkt 12: Beschlussempfehlung des Ausschusses nach Art. 77 des Grundgesetzes (Vermitt- lungsausschuss) zu dem Gesetz zur Durch- führung der Rechtsakte der Europäischen Gemeinschaft über die Etikettierung von Fischen und Fischereierzeugnissen (Fischetikettierungsgesetz) (Drucksachen 14/7726, 14/8196, 14/8810, 14/9330, 14/9429) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24423 C Zusatztagesordnungspunkt 13: Beschlussempfehlung des Ausschusses nach Art. 77 des Grundgesetzes (Vermitt- lungsausschuss) zu dem Gesetz zur Ände- rung des Apothekengesetzes (Drucksachen 14/756, 14/8875, 14/8930, 14/9342, 14/9431) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24423 D Zusatztagesordnungspunkt 14: Beschlussempfehlung des Ausschusses nach Art. 77 des Grundgesetzes (Vermitt- lungsausschuss) zu dem Gesetz zur Neu- regelung des Waffenrechts (WaffRNeu- RegG) (Drucksachen 14/7758, 14/8886, 14/9341, 14/9432) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24423 D Zusatztagesordnungspunkt 15: Beschlussempfehlung des Ausschusses nach Art. 77 des Grundgesetzes (Vermitt- lungsausschuss) zu dem Gesetz zur Änderung des Bewachungsgewerbe- rechts (Drucksachen 14/8386, 14/8903, 14/9334, 14/9433) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24424 A Zusatztagesordnungspunkt 16: Beschlussempfehlung des Ausschusses nach Art. 77 des Grundgesetzes (Vermitt- lungsausschuss) zu dem Übereinkommen vom 9. Mai 1980 über den internatio- nalen Eisenbahnverkehr (COTIF) (Drucksachen 14/8172, 14/8547, 14/9333, 14/9434) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24424 B Tagesordnungspunkt 41: f) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜND- NISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrach- ten Entwurfs eines Sechsten Gesetzes zur Änderung des Bundesverfas- sungsgerichtsgesetzes (Drucksachen 14/9220, 14/9462) . . . . . 24424 B Zusatztagesordnungspunkt 24: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Gesundheit zu den Unter- richtungen durch die Bundesregierung Bericht der Kommission über die Erfah- rungen mit den Verfahren zur Ertei- lung von Genehmigungen für das Plenarprotokoll 14/243 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 243. Sitzung Berlin, Freitag, den 14. Juni 2002 I n h a l t : Inverkehrbringen von Arzneimitteln gemäß Verordnung (EWG) Nr. 2309/93, Kapitel III der Richtlinie 75/319/EWG und Kapitel IV der Richtlinie 81/851/EWG Bericht gemäß Artikel 71 der Verord- nung (EWG) Nr. 2309/93 Vorschlag für eine Verordnung des Eu- ropäischen Parlaments und des Rates zur Festlegung von Gemeinschaftsver- fahren für die Genehmigung, Überwa- chung und Pharmakovigilanz von Hu- man- und Tierarzneimitteln und zur Schaffung einer Europäischen Agentur für die Beurteilung von Arneimitteln Vorschlag für eine Richtlinie des Euro- päischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 2001/83/EG zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel Vorschlag für eine Richtlinie des Euro- päischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 2001/82/EG zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Tierarzneimittel (Drucksachen 14/8562 Nrn. 2.4 und 2.7, 14/9464) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24424 C Tagesordnungspunkt 22: a) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Ernst Ulrich von Weizsäcker, Ulrike Mehl, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Dr. Reinhard Loske, Winfried Hermann, weiterer Abgeordne- ter und der Fraktion des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN :Weltgipfel für nachhaltige Entwicklung in Johan- nesburg 2002: Der nachhaltigen Ent- wicklung zum Durchbruch verhelfen (Drucksachen 14/9052, 14/9417) . . . . . 24425 A b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Christian Ruck, Klaus-Jürgen Hedrich, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Die Schöpfung bewah- ren, entwicklungsorientiert handeln: Weltgipfel in Johannesburg muss neue Impulse für globale nachhaltige Entwicklung setzen (Drucksachen 14/9025, 14/9420) . . . . . 24425 B c) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit – zu dem Antrag der Abgeordneten Ulla Burchardt, Michael Müller (Düsseldorf), weiterer Abgeordne- ter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Winfried Hermann, Dr. Reinhard Loske, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- NEN: Nachhaltige Entwicklung – neuer Gestaltungsansatz für die Globalisierung – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Peter Paziorek, Dr. Klaus W. Lippold (Offenbach), weiterer Ab- geordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Initiative für eine na- tionale Nachhaltigkeitsstrategie – zu dem Antrag der Abgeordneten Birgit Homburger, Ulrike Flach, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Liberale Ak- zente einer nationalen Nachhal- tigkeitsstrategie (Drucksachen14/9056,14/9024,14/9091, 14/9380) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24425 B d) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu der Unterrich- tung durch die Bundesregierung Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss derRegionen zum sechsten Aktionsprogramm der Eu- ropäischen Gemeinschaft für die Um- welt „Umwelt 2010: Unsere Zukunft liegt in unserer Hand“ – Sechstes Umweltaktionsprogramm Vorschlag für einen Beschluss des Europäischen Parlaments und des Rates über das Umweltaktionspro- gramm 2001–2010 der Europäischen Gemeinschaft (Drucksachen 14/5730 Nr. 2.12, 14/6423) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24425 D e) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu der Unterrich- tung durch die Bundesregierung: Mit- teilung der Kommission – Die Um- welt Europas: Orientierung für die Zukunft – Gesamtbewertung des Programms der Europäischen Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Juni 2002II Gemeinschaft für Umweltpolitik und Maßnahmen im Hinblick auf eine dauerhafte und umweltgerechte Ent- wicklung – „Für eine dauerhafte und umweltgerechte Entwicklung“ (Drucksachen 14/2817 Nr. 3.1, 14/6922) 24425 D f) Unterrichtung durch die Bundesregie- rung: Umweltbericht 2002; Bericht über die Umweltpolitik der 14. Legis- laturperiode (Drucksache 14/8755) . . . . . . . . . . . . . 24426 A g) Unterrichtung durch die Bundesregie- rung: Umweltgutachten 2002 des Rates von Sachverständigen für Um- weltfragen – Für eine neue Vorreiter- rolle (Drucksache 14/8792) . . . . . . . . . . . . . 24426 B h) Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses zu dem Antrag der Ab- geordneten Eva Bulling-Schröter, Rosel Neuhäuser, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der PDS: Ressourcenver- brauch der Bundesrepublik Deutsch- land statistisch besser abbilden (Drucksachen 14/2654, 14/6012) . . . . 24426 B in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 17: Antrag der Abgeordneten Eva Bulling- Schröter, Wolfgang Bierstedt, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion der PDS: Vor- bereitung auf den Gipfel der Vereinten Nationen zur nachhaltigen Entwicklung in Johannesburg (Drucksache 14/9364) . . . . . . . . . . . . . . . . 24426 C in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 18: Antrag der Abgeordneten Birgit Homburger, Marita Sehn, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion der FDP: Libe- rale Impulse für eine globale nachhaltige Entwicklung (Drucksache 14/9393) . . . . . . . . . . . . . . . . 24426 C Heidemarie Wieczorek-Zeul, Bundes- ministerin BMZ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24426 C Dr. Paul Laufs CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . 24429 A Jürgen Trittin, Bundesminister BMU . . . . . . . 24431 B Birgit Homburger FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . 24433 A Eva Bulling-Schröter PDS . . . . . . . . . . . . . . 24434 C Ulrike Mehl SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24435 C Dr. Christian Ruck CDU/CSU . . . . . . . . . . . 24436 B Dr. Reinhard Loske BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24438 A Dr. Ernst Ulrich von Weizsäcker SPD . . . . . 24439 B Tagesordnungspunkt 27: a) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialord- nung zu dem Antrag der Abgeordneten Karl-Josef Laumann, Horst Seehofer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Arbeit statt Sozial- hilfe – Hin zu einer Kultur von Ge- ben und Nehmen (Drucksachen 14/7443, 14/8663) . . . . 24441 A b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozial- ordnung – zu dem Antrag der Abgeordneten Dirk Niebel, Dr. Irmgard Schwaetzer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Für eine sinn- volle Zusammenfassung von Ar- beitslosenhilfe und Sozialhilfe – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Irmgard Schwaetzer, Dr. Heinrich L. Kolb, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Für eine be- schäftigungsorientierte und akti- vierende Sozialpolitik – Sozialhilfe und Arbeitsmarktpolitik grundle- gend reformieren (Drucksachen14/5983,14/6951,14/8665) 24441 A Karl-Josef Laumann CDU/CSU . . . . . . . . . . 24441 B Brigitte Lange SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24443 B Dirk Niebel FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24446 A Ekin Deligöz BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 24447 A Pia Maier PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24449 A Konrad Gilges SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24450 B Dr. Christa Luft PDS . . . . . . . . . . . . . . . . 24451 C Peter Weiß (Emmendingen) CDU/CSU . . . . 24453 C Klaus Brandner SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24455 D Peter Weiß (Emmendingen) CDU/CSU . . . . 24456 A Tagesordnungspunkt 24: Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung: Fortsetzung der Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Juni 2002 III Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem NATO-geführten Einsatz auf mazedonischem Territorium zum Schutz von Beobachtern internatio- naler Organisationen im Rahmen der weiteren Implementierung des politi- schen Rahmenabkommens vom 13. Au- gust 2001 auf der Grundlage des Ersu- chens der mazedonischen Regierung vom 28. April 2002 und der Resolution 1371 (2001) des Sicherheitsrats der Ver- einten Nationen vom 26. September 2001 (Drucksachen 14/9179, 14/9436, 14/9446) 24456 C Rudolf Scharping, Bundesminister BMVg . . . 24457 A Carl-Dieter Spranger CDU/CSU . . . . . . . . . . 24457 D Winfried Nachtwei BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24460 A Günther Friedrich Nolting FDP . . . . . . . . . . . 24461 A Wolfgang Gehrcke PDS . . . . . . . . . . . . . . . . 24462 A Monika Heubaum SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . 24462 D Namentliche Abstimmung . . . . . . . . . . . . . . . . 24463 D Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24466 C Tagesordnungspunkt 25: a) Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses zu dem An- trag der Bundesregierung: Fortsetzung derBeteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz einer internationalen Sicherheitsunterstüt- zungstruppe in Afghanistan auf Grundlage der Resolutionen 1386 (2001) vom 20. Dezember 2001 und 1413 (2002) vom 23. Mai 2002 des Si- cherheitsrats der Vereinten Nationen (Drucksachen14/9246,14/9437,14/9447) 24464 A b) Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses zu dem An- trag der Abgeordneten Dr. Dietmar Bartsch, Petra Bläss, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion der PDS: Bun- deswehreinheiten aus der Golfregion zurückziehen (Drucksachen 14/8270, 14/8834) . . . . . 24464 B c) Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses zu dem An- trag der Abgeordneten Petra Bläss, Wolfgang Gehrcke, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion der PDS: Bünd- nisfall aufheben (Drucksachen 14/8664, 14/9435) . . . . . 24464 B d) Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Fraktion der PDS: Den in- ternationalen Terrorismus wirksam bekämpfen – den Krieg in Afghanis- tan beenden (Drucksachen 14/7500, 14/8234) 24464 C Rudolf Scharping, Bundesminister BMVg . . . 24464 C Dr. Christian Schwarz-Schilling CDU/CSU 24468 B Wolfgang Gehrcke PDS . . . . . . . . . . . . . . . . 24471 B Rita Grießhaber BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24471 D Hildebrecht Braun (Augsburg) FDP . . . . . . . 24472 D Roland Claus PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24473 D Joseph Fischer, Bundesminister AA . . . . . . . . 24474 C Werner Siemann CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . 24476 A Peter Zumkley SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24476 D Namentliche Abstimmung . . . . . . . . . . . . . . . . 24478 A Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24479 C Zusatztagesordnungspunkt 20: Beschlussempfehlung des Ausschusses nach Art. 77 des Grundgesetzes (Vermitt- lungsausschuss) zu dem Gesetz zur Neuregelung des Zollfahndungsdienstes (Zollfahndungsneuregelungsgesetz) (Drucksachen 14/8007 [neu], 14/8515, 14/9332, 14/9430) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24478 C Tagesordnungspunkt 26: – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Art. 96) (Drucksachen 14/8994, 14/9425) . . . . . 24478 D – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gerichtsverfassungsgesetzes (Drucksachen 14/8978, 14/9425) . . . . . 24478 D Namentliche Abstimmung . . . . . . . . . . . . . . . . 24479 A Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24482 C Tagesordnungspunkt 28: – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN ein- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Steuerfreistellung von Arbeitneh- mertrinkgeldern (Drucksache 14/9029, 14/9428) . . . . . . . 24484 B – Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Ernst Burgbacher, Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Juni 2002IV Gerhard Schüßler, weiteren Abgeord- neten und der Fraktion der FDP einge- brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Einkommensteuerge- setzes (Abschaffung der Trinkgeld- besteuerung) (Drucksache 14/9061, 14/9428, 14/9443, 14/9444) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24484 B Susanne Kastner SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24485 A Ernst Hinsken CDU/CSU . . . . . . . . . . . . 24485 C Klaus Brähmig CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 24486 C Sylvia Voß BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . 24489 A Ernst Burgbacher FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . 24490 B Brunhilde Irber SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24491 B Tagesordnungspunkt 29: a) Große Anfrage der Abgeordneten Dr. Irmgard Schwaetzer, Dirk Niebel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Entwicklung und Stand der Arbeitszeitflexibilisierung in Deutschland (Drucksachen 14/7870, 14/9177) . . . . 24493 A b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialord- nung zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Maria Böhmer, Horst Seehofer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Teilzeitbeschäftigung wirtschaftsverträglich und familien- gerecht fördern (Drucksachen 14/4526, 14/9414) . . . . 24493 B Tagesordnungspunkt 32: a) – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Jugendschutzgesetzes (JuSchG) (Drucksachen 14/9013, 14/9410) 24493 C – Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Uta Titze- Stecher, Werner Lensing und weite- ren Abgeordneten eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände- rung des Gesetzes zum Schutze der Jugend in der Öffentlichkeit (Ju- gendschutzgesetz) (Drucksachen 14/8956, 14/9410) 24493 C b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Maria Böhmer, Maria Eichhorn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Ju- gendschutz stärken (Drucksachen 14/9027, 14/9410) . . . . 24493 D c) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend – zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Bericht der Bundesregierung über die Aus- wirkungen der jetzigen Fassung des § 3 des Gesetzes über die Ver- breitung jugendgefährdender Schriften und Medieninhalte (GjS) – zu dem Dritten Zwischenbericht der Enquete-Kommission „Zukunft der Medien in Wirtschaft und Gesell- schaft – Deutschlands Weg in die Informationsgesellschaft“ zum Thema: Kinder- und Jugend- schutz im Multimediazeitalter (Drucksachen 14/1105, 14/1187 Nr. 1.4, 13/11001, 14/6675) . . . . . . . . . . . . . . . 24493 D Tagesordnungspunkt 34: – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Regelung der Preisbindung bei Verlagserzeug- nissen (Drucksachen 14/9196, 14/9239, 14/9422) 24494 D – Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Monika Griefahn, Hermann Bachmaier, weiteren Abge- ordneten und der Fraktion der SPD so- wie den Abgeordneten Dr. Antje Vollmer, Kerstin Müller (Köln), Rezzo Schlauch und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN ein- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Regelung der Preisbindung bei Verlagserzeugnissen (Drucksachen 14/8854, 14/9422) . . . . 24495 A Tagesordnungspunkt 35: Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft – zu dem Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technik- folgenabschätzung gemäß § 56 a der Geschäftsordnung: Technikfolgenab- schätzung; hier: Monitoring „Risi- koabschätzung und Nachzulassungs- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Juni 2002 V Monitoring transgener Pflanzen“ – zu dem Antrag der Abgeordneten Helmut Heiderich, Dr. Maria Böhmer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Zukunft für die „grüne“ Gentechnik (Drucksachen 14/5492, 14/6616, 14/8091) . . 24495 B Tagesordnungspunkt 36: a) – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Ge- setzes über eine finanzielle Hilfe für Dopingopfer der DDR (Doping- opfer-Hilfegesetz – DOHG) (Drucksachen 14/9028, 14/9440) . . 24495 D – Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Klaus Riegert, Friedrich Bohl, weiteren Abgeord- neten und der Fraktion der CDU/ CSU sowie dem Abgeordneten Dr. Klaus Kinkel und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über eine finanzielle Hilfe für Dopingopfer der DDR (Doping- opfer-Hilfegesetz – DOHG) (Drucksachen 14/9022, 14/9440) . . 24495 D b) Beschlussempfehlung und Bericht des Sportausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Klaus Riegert, Norbert Barthle, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Errichtung eines Fonds zur Unterstützung der Doping-Opfer der DDR (Drucksachen 14/5674, 14/9440) . . . . . 24495 D Friedhelm Julius Beucher SPD . . . . . . . . . . . 24496 B Klaus Riegert CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . 24497 B Winfried Hermann BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24498 D Dr. Klaus Kinkel FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24500 A Gustav-Adolf Schur PDS . . . . . . . . . . . . . . . 24501 A Klaus Riegert CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . 24501 C Gustav-Adolf Schur PDS . . . . . . . . . . . . . . . 24501 D Dr. Peter Danckert SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . 24502 A Tagesordnungspunkt 38: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung einer kapi- talgedeckten Hüttenknappschaftlichen Zu- satzversicherung und zur Änderung anderer Gesetze (Hüttenknappschaftliches Zu- satzversicherungs-Neuregelungs-Gesetz) (Drucksachen 14/9007, 14/9442, 14/9445) 24503 C Zusatztagesordnungspunkt 21: Aktuelle Stunde betr. Haltung der Bun- desregierung zu dem am 6. Juni 2002 vorgestellten Friedensgutachten der fünf führenden Friedensforschungsinstitute 24503 D Wolfgang Gehrcke PDS . . . . . . . . . . . . . . . . 24504 A Dr. Hans-Peter Bartels SPD . . . . . . . . . . . . . 24504 D Karl Lamers CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . 24506 A Dr. Ludger Volmer, Staatsminister AA . . . . . . 24506 D Hildebrecht Braun (Augsburg) FDP . . . . . . . 24508 B Angelika Graf (Rosenheim) SPD . . . . . . . . . 24509 B Winfried Nachtwei BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24510 A Dr. Heinrich Fink PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . 24511 D Christian Sterzing BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24512 A Zusatztagesordnungspunkt 22: Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- NEN eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Verbesserung des Zuschusses zu ambulanten medizinischen Vorsorgeleis- tungen (Drucksache 14/9357) . . . . . . . . . . . . . . . . 24512 C Tagesordnungspunkt 39: a) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Winfried Wolf, Eva Bulling-Schröter, weiterer Abgeordne- ter und der Fraktion der PDS: Bahn- preissystem für Fahrgäste attraktiv gestalten (Drucksachen 14/7768, 14/8557) . . . . . 24512 D b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Winfried Wolf, Eva Bulling-Schröter, weiterer Abgeordne- ter und der Fraktion der PDS: Interre- gio für die Regionen erhalten (Drucksachen 14/4543, 14/8575) . . . . . 24513 A c) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Juni 2002VI – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Peter Danckert, Siegfried Scheffler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Albert Schmidt (Hitzhofen), Franziska Eichstädt- Bohlig, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN: Option für eine Fernbahnanbindung des Bahnhofs Berlin-Lichtenberg of- fen halten – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Winfried Wolf, Gerhard Jüttemann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der PDS: Realisie- rung einer direkten Fernbahn- verbindung zwischen den Bahn- höfen Berlin Ostbahnhof und Berlin-Lichtenberg beim Ausbau des Eisenbahnknotens Berlin (Drucksachen 14/9270, 14/3783, 14/9403) 24513 A d) Antrag der Abgeordneten Dr. Winfried Wolf, Eva Bulling-Schröter, Rosel Neuhäuser und der Fraktion der PDS: Innerdeutschen Luftverkehr auf die Bahn verlagern (Drucksache 14/9255) . . . . . . . . . . . . . 24513 B e) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. Winfried Wolf, Eva Bulling-Schröter, weiteren Abgeordne- ten und der Fraktion der PDS einge- brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Aufhebung des Magnetschwebe- bahnplanungsgesetzes (Drucksache 14/8300,14/9345) . . . . . . 24513 B f) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen – zu dem Antrag der Abgeordneten Georg Brunnhuber, Dirk Fischer (Hamburg), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Mitwirkungsrechte des Deut- schen Bundestages bei Transra- pid-Entscheidungen sichern – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Winfried Wolf, Eva Bulling- Schröter, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der PDS: Keine Entscheidung über den Bau einer Magnetschwebebahnstrecke in der Bundesrepublik Deutschland ohne Einstellung der entspre- chenden Bundesmittel in den Bundeshaushalt (Drucksachen 14/8590, 14/8296, 14/9345) 24513 C in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 23: Antrag der Abgeordneten Dr. Winfried Wolf, Dr. Ilja Seifert, weiterer Abgeordne- ter und der Fraktion der PDS: Erhalt der Bahnwerke – behindertengerechte Um- rüstung des Wagenparks der DB AG (Drucksache 14/9365) . . . . . . . . . . . . . . . . 24513 C Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24514 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 24515 A Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Jürgen Koppelin (FDP) zur namentlichen Ab- stimmung über den Antrag der Bundesregie- rung über die Fortsetzung der Beteiligung be- waffneter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz einer internationalen Sicherheitsunterstüt- zungstruppe in Afghanistan auf der Grundlage der Resolutionen 1386 (2001) vom 20. Dezem- ber 2001 und 1413 (2002) vom 23. Mai 2002 des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen (Tagesordnungspunkt 25 a) . . . . . . . . . . . . . . . 24516 A Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Annelie Buntenbach, Steffi Lemke und Christian Simmert (alle BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur namentlichen Abstimmung über den Antrag der Bundesregierung über die Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deut- scher Streitkräfte an dem Einsatz einer inter- nationalen Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan auf der Grundlage der Resolutio- nen 1386 (2001) vom 20. Dezember 2001 und 1413 (2002) vom 23. Mai 2002 des Sicher- heitsrats der Vereinten Nationen (Tagesord- nungspunkt 25 a) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24516 B Anlage 4 Nachträglich zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts: Verordnung über die Entsorgung von gewerblichen Siedlungsabfällen und von bestimmten Bau- und Abbruchabfällen (242. Sitzung, Tagesordnungspunkt 19) . . . . . 24516 D Rainer Brinkmann (Detmold) SPD . . . . . . . . 24516 D Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Juni 2002 VII Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung: – des Entwurfs eines Gesetzes zur Steuerfrei- stellung von Arbeitnehmertrinkgeldern – des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Einkommensteuergesetzes (Abschaf- fung der Trinkgeldbesteuerung) (Tagesordnungspunkt 28) . . . . . . . . . . . . . . . . 24518 B Dr. Barbara Höll PDS^ . . . . . . . . . . . . . . . . . 24518 B Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – der Großen Anfrage: Entwicklung und Stand der Arbeitszeitflexibilisierung in Deutschland – der Beschlussempfehlung und des Be- richts: Teilzeitbeschäftigung wirtschafts- verträglich und familiengerecht fördern (Tagesordnungspunkt 29) . . . . . . . . . . . . . . . . 24519 A Klaus Brandner SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24519 A Walter Hoffmann (Darmstadt) SPD . . . . . . . . 24520 D Matthäus Strebl CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 24521 C Brigitte Baumeister CDU/CSU . . . . . . . . . . . 24522 B Dr. Thea Dückert BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24523 C Dr. Heinrich L. Kolb FDP . . . . . . . . . . . . . . . 24524 B Dr. Klaus Grehn PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24525 B Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – des Entwurfs eines Jugendschutzgesetzes (JuSchG) – des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zum Schutze der Jugend in der Öffentlichkeit (Jugendschutzgesetz – JÖSchG) – der Beschlussempfehlung und des Berichts zu dem Antrag: Jugendschutz stärken – der Beschlussempfehlung und des Berichts – zu dem Bericht der Bundesregierung über die Auswirkungen der jetzigen Fassung des § 3 des Gesetzes über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften und Medieninhalte (GjS) – zu dem Dritten Zwischenbericht der En- quete-Kommission „Zukunft der Me- dien in Wirtschaft und Gesellschaft – Deutschlands Weg in die Informations- gesellschaft“ zum Thema: Kinder- und Jugendschutz im Multimediazeitalter (Tagesordnungspunkt 32) . . . . . . . . . . . . . . . . 24526 A Kerstin Griese SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24526 B Thomas Dörflinger CDU/CSU . . . . . . . . . . . . 24527 B Christian Simmert BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24528 C Ingrid Fischbach CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . 24529 B Klaus Haupt FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24530 B Angela Marquardt PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . 24531 B Dr. Christine Bergmann, Bundesministerin BMFSFJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24531 D Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Entwürfe eines Gesetzes zur Regelung der Preisbindung bei Verlagserzeugnissen (Tages- ordnungspunkt 34) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24533 A Monika Griefahn SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24533 B Anton Pfeifer CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . 24534 B Dr. Antje Vollmer BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24535 B Hans-Joachim Otto (Frankfurt) FDP . . . . . . 24535 D Dr. Heinrich Fink PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . 24536 B Dr. Julian Nida-Rümelin, Staatsminister BK 24537 A Anlage 9 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts – zu dem Bericht: Technikfolgenabschät- zung; hier: Monitoring „Risikoabschätzung und Nachzulassungs-Monitoring transge- ner Pflanzen“ – zu dem Antrag: Zukunft für die „grüne“ Gentechnik (Tagesordnungspunkt 35) . . . . . . . . . . . . . . . . 24538 C Matthias Weisheit SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . 24538 D Helmut Heiderich CDU/CSU . . . . . . . . . . . . 24540 A Ulrike Höfken BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 24541 A Ulrich Heinrich FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24542 B Kersten Naumann PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . 24542 D Anlage 10 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung einer kapitalgedeckten Hüttenknappschaftlichen Zu- satzversicherung und zur Änderung anderer Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Juni 2002VIII Gesetz (Hüttenknappschaftliches Zusatzversi- cherungs-Neuregelungs-Gesetz – HZvNG) (Tagesordnungspunkt 38) . . . . . . . . . . . . . . . . 24543 D Erika Lotz SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24543 D Karl-Josef Laumann CDU/CSU . . . . . . . . . . 24545 A Dr. Thea Dückert BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24546 A Dr. Heinrich L. Kolb FDP . . . . . . . . . . . . . . 24546 B Pia Maier PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24547 A Anlage 11 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung – der Beschlussempfehlung und des Berichts zu dem Antrag: Bahnpreissystem für Fahr- gäste attraktiv gestalten – der Beschlussempfehlung und des Berichts zu dem Antrag: Interregio für die Regionen erhalten – der Beschlussempfehlung und des Berichts zu den Anträgen: – Option für eine Fernbahnanbindung des Bahnhofs Berlin-Lichtenberg offen halten – Realisierung einer direkten Fern- bahnanbindung zwischen den Bahnhö- fen Berlin Ostbahnhof und Berlin- Lichtenberg beim Ausbau des Eisenbahnknotens Berlin – des Antrags: Innerdeutschen Verkehr auf die Bahn verlagern – des Entwurfs eines Gesetzes zur Aufhe- bung des Magnetschwebebahnplanungsge- setzes – der Beschlussempfehlung und des Berichts zu den Anträgen: – Mitwirkungsrechte des Deutschen Bundestages bei Transrapid Entschei- dungen sichern – Keine Entscheidung über den Bau einer Magnetschwebebahnstrecke in der Bundesrepublik Deutschland ohne Ein- stellung der entsprechenden Haushalts- mittel in den Bundeshaushalt – des Antrags: Erhalt der Bahnwerke – be- hindertengerechte Umrüstung des Wagen- parks der DBAG (Tagesordnungspunkt 39 und Zusatztagesord- nungspunkt 23) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24547 D Dr. Peter Danckert SPD . . . . . . . . . . . . . . . . 24548 B Renate Blank CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . 24549 A Georg Brunnhuber CDU/CSU . . . . . . . . . . . 24550 A Albert Schmidt (Hitzhofen) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24550 C Horst Friedrich (Bayreuth) FDP . . . . . . . . . 24551 C Dr. Winfried Wolf PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . 24552 A Anlage 12 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung des Zuschusses zu ambulanten medizinischen Vor- sorgeleistungen (Zusatztagesordnungspunkt 22) 24554 A Horst Schmidbauer (Nürnberg) SPD . . . . . . 24554 B Dr. Hans Georg Faust CDU/CSU . . . . . . . . . 24554 D Katrin Göring-Eckardt BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24556 B Dr. Dieter Thomae FDP . . . . . . . . . . . . . . . . 24556 D Dr. Ruth Fuchs PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24557 A Anlage 13 Zu Protokoll gegebene Reden zur Aktuellen Stunde: Haltung der Bundesregierung zu dem am 6. Juni 2002 vorgestellten Friedensgutach- ten der fünf führenden Friedensforschungsin- stitute (Zusatztagesordnungspunkt 21) . . . . . . 24557 B Erich G. Fritz CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . 24557 C Ruprecht Polenz CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 24558 B Christian Schmidt (Fürth) CDU/CSU . . . . . 24559 A Anlage 14 Amtliche Mitteilungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24560 B Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Juni 2002 IX Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Juni 2002
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    Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Juni 2002 Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer 24514 (C) (D) (A) (B) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Juni 2002 24515 (C) (D) (A) (B) Aigner, Ilse CDU/CSU 14.06.2002 Balt, Monika PDS 14.06.2002 Barthle, Norbert SPD 14.06.2002 Beck (Bremen), BÜNDNIS 90/ 14.06.2002 Marieluise DIE GRÜNEN Behrendt, Wolfgang SPD 14.06.2002* Bindig, Rudolf SPD 14.06.2002* Dr. Bötsch, Wolfgang CDU/CSU 14.06.2002 Bohl, Friedrich CDU/CSU 14.06.2002 Brudlewsky, Monika CDU/CSU 14.06.2002 Brüderle, Rainer FDP 14.06.2002 Bulmahn, Edelgard SPD 14.06.2002 Erler, Gernot SPD 14.06.2002 Fischer (Berlin), BÜNDNIS 90/ 14.06.2002 Andrea DIE GRÜNEN Flach, Ulrike FDP 14.06.2002 Francke, Klaus CDU/CSU 14.06.2002 Friedrich (Altenburg), SPD 14.06.2002 Peter Dr. Geißler, Heiner CDU/CSU 14.06.2002 Girisch, Georg CDU/CSU 14.06.2002 Glos, Michael CDU/CSU 14.06.2002 Gröhe, Hermann CDU/CSU 14.06.2002 Dr. Grygier, Bärbel PDS 14.06.2002 Haack (Extertal), SPD 14.06.2002 Karl-Hermann Hampel, Manfred SPD 14.06.2002 Hartnagel, Anke SPD 14.06.2002 Helias, Siegfried CDU/CSU 14.06.2002 Hirche, Walter FDP 14.06.2002 Hofbauer, Klaus CDU/CSU 14.06.2002 Hoffmann (Wismar), SPD 14.06.2002 Iris Dr. Hornhues, CDU/CSU 14.06.2002 Karl-Heinz Irmer, Ulrich FDP 14.06.2002 Jelpke, Ulla PDS 14.06.2002 Jünger, Sabine PDS 14.06.2002 Kampeter, Steffen SPD 14.06.2002 Karwatzki, Irmgard CDU/CSU 14.06.2002 Kors, Eva-Maria CDU/CSU 14.06.2002 Kortmann, Karin SPD 14.06.2002 Dr. Kues, Hermann CDU/CSU 14.06.2002 Lintner, Eduard CDU/CSU 14.06.2002* Dr. Lippelt, Helmut BÜNDNIS 90/ 14.06.2002* DIE GRÜNEN Lippmann, Heidi PDS 14.06.2002 Metzger, Oswald BÜNDNIS 90/ 14.06.2002 DIE GRÜNEN Michelbach, Hans CDU/CSU 14.06.2002 Michels, Meinolf CDU/CSU 14.06.2002 Müller (Berlin), PDS 14.06.2002* Manfred Dr. Müller, Gerd CDU/CSU 14.06.2002 Neumann (Gotha), SPD 14.06.2002 Gerhard Nickels, Christa BÜNDNIS 90/ 14.06.2002 DIE GRÜNEN Nolte, Claudia CDU/CSU 14.06.2002 Ronsöhr, CDU/CSU 14.06.2002 Heinrich-Wilhelm Roos, Gudrun SPD 14.06.2002 Schlee, Dietmar CDU/CSU 14.06.2002 Schmidbauer, Bernd CDU/CSU 14.06.2002 Dr. Schockenhoff, CDU/CSU 14.06.2002 Andreas Schröder, Gerhard SPD 14.06.2002 Schröter, Gisela SPD 14.06.2002 Schütze (Berlin), CDU/CSU 14.06.2002 Diethard Schulhoff, Wolfgang CDU/CSU 14.06.2002 entschuldigt bis Abgeordnete(r) einschließlich entschuldigt bis Abgeordnete(r) einschließlich Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Anlagen zum Stenographischen Bericht (C) (D) (A) (B) entschuldigt bis Abgeordnete(r) einschließlich Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Juni 200224516 Dr. Schwaetzer, FDP 14.06.2002 Irmgard Seehofer, Horst CDU/CSU 14.06.2002 Dr. Stadler, Max FDP 14.06.2002 Steiger, Wolfgang CDU/CSU 14.06.2002 Thiele, Carl-Ludwig FDP 14.06.2002 Dr. Tiemann, Susanne CDU/CSU 14.06.2002 Dr. Waigel, Theodor CDU/CSU 14.06.2002 Dr. Westerwelle, Guido FDP 14.06.2002 Wolf, Aribert CDU/CSU 14.06.2002 Zapf, Uta SPD 14.06.2002 Zierer, Benno CDU/CSU 14.06.2002* * für die Teilnahme an den Sitzungen der Parlamentarischen Ver- sammlung des Europarates Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Jürgen Koppelin (FDP) zur namentlichen Abstimmung über den Antrag der Bundesregierung über die Fortsetzung der Betei- ligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz einer internationalen Sicherheits- unterstützungstruppe in Afghanistan auf der Grundlage der Resolutionen 1386 (2001) vom 20. Dezember 2001 und 1413 (2002) vom 23. Mai 2002 des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen (Tagesordnungspunkt 25 a) Die Bundeswehr ist für einen Einsatz in Afghanistan weder ausgebildet noch ausgerüstet. Als Abgeordneter des Deutschen Bundestages fühle ich mich durch die Bun- desregierung über die Gefahren und die Konsequenzen dieses Einsatzes nicht ausreichend und umfassend infor- miert. Ebenso wenig gibt es Auskunft darüber, wann die- ser Auslandseinsatz beendet sein wird. Mit Betroffenheit muss ich feststellen, dass Auslands- einsätze der Bundeswehr zu einer Routineangelegenheit werden. Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Annelie Buntenbach, Steffi Lemke und Christian Simmert (alle BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) zur namentlichen Abstimmung über den Antrag der Bundesregierung über die Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deut- scher Streitkräfte an dem Einsatz einer interna- tionalen Sicherheitsunterstützungstruppe in Af- ghanistan auf der Grundlage der Resolutionen 1386 (2001) vom 20. Dezember 2001 und 1413 (2002) vom 23. Mai 2002 des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen (Tagesordnungspunkt 25 a) Wir stimmen dem Antrag der Bundesregierung nicht zu. Wir können uns zwar durchaus Situationen vorstellen, in denen politische Prozesse von UN-Truppen sinnvoll militärisch abgesichert werden, halten aber an dieser Stelle die Grundkonstruktion für falsch. Die Präsenz al- lein in der Hauptstadt vermag sicherlich die Konflikte zwischen den Warlords im Land nicht zu entschärfen. Weit gravierender aber ist die gleichzeitige Präsenz von UN-Schutztruppe und kämpfender Truppe im Rahmen von „enduring freedom“ in Afghanistan. An beiden Einsätzen sind deutsche Soldaten beteiligt. Es ist gegen- über den UN-Truppen aus unserer Sicht nicht zu verant- worten, sie den aus dem Kombattanten-Status resultieren- den zusätzlichen Gefährdungen auszusetzen. Außerdem erschwert die Fortsetzung der Kampfhandlungen auf af- ghanischerm Boden im Rahmen von „enduring freedom“ die Realisierung des Auftrags der Friedenssicherung. Bei dieser Abstimmung geht es zwar nicht darum, die verhee- rende Fehlentscheidung „enduring freedom“ zu bestäti- gen, aber durch die Parallelität der Ereignisse, die wir bei der ersten Abstimmung über die UN-Truppe im Dezem- ber noch für vorübergehend hielten, sind die beiden Ebe- nen faktisch miteinander vermischt, was uns eine Zustim- mung nicht möglich macht. Gleichzeitig findet mit dieser Entscheidung ein weiterer Schritt zur „Enttabuisierung“ von Militär als Mittel der Politik statt; eine falsche Wei- chenstellung für die Entwicklung einer Gesellschaft, die nicht den Einstieg in eine neue Rüstungsspirale braucht, sondern Engagement dafür, dass sie ziviler und demokra- tischer wird. Anlage 4 Nachträglich zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts: Verordnung über die Entsorgung von gewerblichen Siedlungsabfällen und von be- stimmten Bau- und Abbruchabfällen (242. Sit- zung, Tagesordnungspunkt 19) Rainer Brinkmann (Detmold) (SPD): Wir sprechen heute über eine Verodnung, auf die viele in der Abfall- wirtschaft gewartet haben. Die Situation der Abfallwirt- schaft hat sich im zurückliegenenden Jahrzehnt vollkom- men gewandelt. Ende der 80er-, Anfang der 90er-Jahre führte vor allem die Knappheit der Beseitigungskapazitä- ten dazu, dass die ökologischen Vorzüge der Abfallver- wertung höher eingeschätzt wurden. Auch der Gesetzge- ber trug dem mit Rechtsänderungen Rechnung. Mit dem 1994 beschlossenen und im Oktober 1996 in Kraft getre- tenen Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz wurde das frühere Abfallgesetz der neuen Philosophie angepasst und die Verwertung von Abfällen zur allgemeinen Rechts- pflicht erhoben. Jede Verwertung ist wirtschaftlich inte- ressant, wenn sie weniger kostet als die Beseitigung. Hohe Umweltstandards für die Abfallbeseitigung mit den daraus resultierenden Kostenbelastungen steigern damit gleichzeitig die Attraktivität der Verwertung. Die weitaus wichtigste Rolle spielen gegenwärtig al- lerdings die innerdeutschen Unterschiede in den Entsor- gungspreisen. Diese beruhen darauf, dass die Anforde- rungen der technischen Anleitung Siedlungsabfall (TASI) bislang nur eingeschränkt beachtet werden. Auch die feh- lende Abgrenzung zwischen Abfällen zur Beseitigung und Abfällen zur Verwertung im geltenden Recht führt zu erheblichen Fehlentwicklungen. Diese Entwicklungen können grob mit den Stichworten „Scheinverwertung“ und „Mülltourismus“ beschrieben werden. Dies ist aller- dings nur die eine Seite der Medaille. Denn neben der ökologischen Betrachung der Ströme in der Abfallwirt- schaft gibt es natürlich auch eine finanzielle Auswirkung. Die Entsorgungsanlagen, die von den entsorgungspflich- tigen Gebietkörperschaften in den letzten Jahren auf ho- hem Umweltniveau errichtet worden sind, werden von vielen Abfallbesitzern umgangen. Es hat sich bundesweit ein Abfallspotmarkt entwickelt, da für die Verwertungs- abfälle keine Andienungspflicht besteht. Die größten Lasten dieser Fehlentwicklung tragen die Gebührenzahlerinnen und -zahler in den privaten Haus- halten. Die Unterschiede in der Preisgestaltung zwischen privaten Haushaltsabfällen und gewerblichen Verwer- tungsabfällen belaufen sich im Einzelfall bis zu einem Verhältnis von 1:3. Im Klartext heißt dies: Abfälle aus den privaten Haushalten sind bis zu dreimal so teuer wie Ab- fälle aus der gewerblichen Wirtschaft. Die private Wirt- schaft trägt aber in genau dem gleichen Maße zu den jet- zigen und zukünftigen Kosten der Abfallwirtschaft bei wie die privaten Haushalte. Wir stellen also eine Subven- tionierung der gewerblichen Abfälle durch die privaten Haushalte fest. Diese Situation ist für uns nicht hinnehm- bar. Auch die ökologische Seite des hier entstandenen Müll- tourismus ist auf Dauer nicht tragbar. Abfälle zur Verwer- tung, die aber de facto beseitigt werden, werden über Strecken bis zu 400 km transportiert. Dies ist ökologisch und ökonomisch unsinnig. Durch diese Entwicklung wird auch eine ökologisch hochwertige Verwertung verhindert. Wir hatten daher ursprünglich eine umfassende Änderung des Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetzes geplant, die sich allerdings aufgrund noch ungeklärter euoparechtli- cher Fragen bislang nicht verwirklichen ließ. Daher legen wir ihnen nach intensiven Diskussionen mit den beteilig- ten Kreisen die heutige Verordnung vor. Diese Verordnung hat übrigens im Bundesrat eine breite Mehrheit gefunden. Nach der erstmaligen Befassung des Bundestages mit die- ser Verodnung hat der Bundesrat einige Änderungen be- schlossen, die wir mit einer Ausnahme ausdrücklich be- grüßen. Im Kern beinhaltet diese Verordnung nun vier wesentliche Änderungen gegenüber der jetzigen Rechts- lage: Erstens. Das Getrennthaltungsgebot für die verschie- denen Abfallfraktionen wird verschärft. Zweitens. Die ver- mischten Abfallfraktionen, die dennoch verwertet werden sollen, gelten nur dann als Verwertungsabfälle, wenn in den Sortieranlagen eine Verwertungsquote von mindestens 85 Prozent erreicht wird. Drittens. Jeder Gewerbebetrieb wird in Zukunft über eine Resttonne verfügen müssen, da in jedem Betrieb Abfälle anfallen, die nicht sinnvoll ver- wertet werden können. Viertens. Durch eine Hausmüllde- finition wird sichergestellt, dass der Abfall, der bei priva- ter Lebensführung anfällt, nicht mehr als Gewerbeabfall und Verwertungsabfall umdefiniert werden kann. Auch wenn diese Verodnung nicht die gleiche Wirkung wie eine Gesetzesänderung hat, erfüllt sie dennoch einige wichtige Ziele. Sie ist ein Schritt in die richtige Richtung. Sie wird für die kommunalen entsorgungspflichtigen Ge- bietskörperschaften mehr Planungs- und Rechtssicherheit schaffen und gleichzeitig genügend Anreize für eine hoch- wertige Verwertung sicherstellen. Die kommunalen Spit- zenverbände und die Länderarbeitsgemeinschaft Abfall sind derzeit bereits dabei, für die Kommunen entspre- chende Handreichungen zu erarbeiten, damit eine Umset- zung dieser Verordnung möglichst schnell erfolgen kann. Dennoch werden wir in der nächsten Legislaturperiode eine umfassende Novellierung des Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetzes einbringen. Diese Novelle wird die entsprechenden Urteile des europäischen Gerichtshofes berücksichtigen und somit auch zu mehr Rechtssicherheit führen. Es kann nicht angehen, dass die Mehrzahl der Ver- tragsverletzungsverfahren im Abfallbereich geführt wer- den und dass deutsche Verwaltungsgerichte mit Hunderten von Fällen zur Auslegung des derzeitigen Abfallrechtes beschäftigt sind. Die Rechtsssicherheit auch in diesem Be- reich muss verbessert werden. Eine zukünftige ökologisch orientierte Abfallwirt- schaft muss Wettbewerb sicherstellen, aber auch an den Zielen der Nachhaltigkeit orientiert sein. Nachhaltige Ab- fallwirtschaft bedeutet zuallererst die Erreichung mög- lichst hoher Umweltziele. Aber auch unter Fragen der so- zialen Gerechtigkeit und der finanziellen Zumutbarkeit müssen die zukünftigen Gesetzesvorhaben beurteilt wer- den. Ein ökologisches Ziel der Abfallwirtschaft wird in Zukunft die Ressourcenschonung sein. Wir werden noch einmal eine intensive Debatte über die unterschiedliche Bewertung von stofflicher und energetischer Verwertung zu führen haben. Diese Debatte wird frei von allen Ideo- logien geführt werden müssen. Mit großer Sorge verfolgen wir zurzeit die Diskussio- nen in der bundesdeutschen Politik, die eine vollständige Liberalisierung der Abfallwirtschaft beabsichtigt. In Zu- kunft sollen nach diesen Vorstellungen nicht mehr die Kommunen zuständig für die Abfallentsorgung sein, son- dern diese Aufgabe komplett an Private abgeben. Im Klar- text führt dies zu einem Häuserkampf, weil die Entsor- gungsbetriebe jeden einzelnen Haushalt als Kunden gewinnen müssen. Gleichzeitig würde dies aber auch zu einer weiteren Konzentration in der Abfallwirtschaft führen, weil die kleinen und mittelständischen Entsor- gungsbetriebe, die zum Teil nur über wenige Beschäftigte verfügen, den Verwaltungsaufwand überhaupt nicht be- wältigen könnten. Eine weitere Konzentration in der Ent- sorgungswirtschaft wäre allerdings verheerend. Schon heute beobachten wir mit großer Sorge, wie ei- nige große Entsorger ganze Regionen dominieren. Dabei kommt es auch zu den von uns allen beklagten Missstän- den. Dennoch will ich an dieser Stelle einmal klarstellen, dass die Entsorgungswirtschaft in ihrer überwiegenden Mehrheit gute und rechtlich einwandfreie Arbeit leistet. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Juni 2002 24517 (C) (D) (A) (B) Es ist nur eine kleine Minderheit, die skrupellos Lücken in der Gesetzgebung ausnutzt, um wirtschaftliche Vorteile zu erzielen, und die ohne Rücksicht auf die Umwelt und die nachfolgenden Generationen handelt. Wenn bei dieser Minderheit dann auch noch Korruption im Spiel ist, muss dies für uns Anlass zu grundsätzlichen Überlegungen sein. Die Sicherstellung der mittelständischen Struktur in der Entsorgungswirtschaft ist ein hohes Gut und der Ga- rant für die Beibehaltung des Wettbewerbes im Abfall- markt. Das Miteinander zwischen öffentlichen und priva- ten Entsorgern hat sich im Wesentlichen bewährt. Ich rege an, bei den mit hohen Investitionen zu errichtenden oder bereits bestehenden Entsorgungsanlagen nicht nur auf die großen Beteiligungen von strategischen Partnern zu schielen, sondern auch ganz neue und unkonventionelle Formen der Finanzierungsbeteiligung zu überdenken. Die Funktionalität der Abfallwirtschaft würde nicht gefährdet, wenn sich viele kleine Entsorger an diesen Anlagen betei- ligen würden oder wenn Aktiengesellschaften mit Hun- derten von Kleinaktionären an diesen Anlagen beteiligt würden. Sie sehen also, dass die Abfallwirtschaft auch in Zu- kunft spannend bleibt und viele Aufgaben vor uns liegen. Wir werden uns diesen Herausforderungen stellen und in der nächsten Legislaturperiode hierzu eine Reihe von Ini- tiativen ergreifen. Wir werden der Verordnung zustimmen und selbstverständlich den vorliegenden Entschließungs- antrag der FDP-Fraktion ablehnen. Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung: – des Entwurfs eines Gesetzes zur Steuerfreistellung von Arbeitnehmertrinkgeldern – des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Ein- kommensteuergesetzes (Abschaffung der Trink- geldbesteuerung) (Tagesordnungspunkt 28) Barbara Höll (PDS): Die PDS unterstützt das Anlie- gen, Trinkgelder von Arbeitnehmerinnen und Arbeitneh- mern von der Besteuerung zu befreien. Wir begrüßen auch die am Mittwoch im Finanzausschuss vorgenommene Änderung am Gesetzentwurf. Damit sind auch Trinkgel- der eingeschlossen, die nicht aufgrund einer konkreten Dienstleistung von Kunden oder Gästen zusätzlich zum Rechnungsentgelt gezahlt werden. Die Krankenschwes- ter, der Verkaufsfahrer oder der Postbote werden also zukünftig keine Steuern auf erhaltenes Trinkgeld zahlen müssen. Ich möchte betonen: Die Regelung in ihrer jetzt vorlie- genden Form war Wille aller Fraktionen im Finanzaus- schuss, auch wenn die Koalition den entsprechenden Änderungsantrag – entgegen der Absprache auf Refe- rentenebene – allein eingebracht hat. Hier hat Rot-Grün wieder einmal ein Possenspiel vorgeführt, wie es trauriger nicht sein kann. Aber derzeit geht es eben um Wahlkampf, nicht um Sachpolitik. Wir stimmen dem Gesetzentwurf zu, obwohl grundsätz- lich natürlich alle Einkünfte eines Steuerpflichtigen be- steuert werden sollten, egal warum sie ihm zufließen. Wir meinen aber, dass es – gerade im Dienstleistungs- bereich – viel zu viele Menschen gibt, die in prekären Be- schäftigungsverhältnissen arbeiten oder einen niedrigen Lohn erhalten. Oft reicht das Verdiente gerade aus, um die eigene Existenz abzudecken. Da sind Trinkgelder eine Chance, den Lohn aufzubessern. Die Steuerfreistellung von Arbeitnehmertrinkgeldern ist für uns aber kein Plädoyer für Niedriglöhne oder prekäre Beschäftigungsverhältnisse. Die Begründung der Koalition im Gesetzentwurf weise ich ausdrücklich zurück. Sie führen aus, dass die steuerliche Belastung von Trinkgeldern eine Ursache für die zu geringe Beschäfti- gungsanzahl im Niedriglohnsektor ist. Vielleicht sollten Sie die Ursache der geringen Beschäftigungszahl im Nied- riglohnbereich eher darin sehen, dass Menschen für geleis- tete Arbeit auch angemessen bezahlt werden wollen. Der Ausbau des Niedriglohnsektors ist für uns kein Konzept zur Senkung der Arbeitslosigkeit. Wir meinen, dass es oh- nehin schon zu viele Menschen gibt, die von ihren Löhnen nicht leben können. Trinkgelder und ihre Steuerbefreiung sind nicht die Lösung für dieses Problem. Hier sollten Sie auf unseren Vorschlag der Einführung eines gesetzlichen Mindestlohnes eingehen, der in der vergangenen Woche im Parlament diskutiert wurde. Die Steuerfreistellung von Arbeitnehmertrinkgeldern darf auch kein Feigenblatt für ein Lohndumping seitens der Arbeitgeber sein. Ein weiterer wesentlicher Grund unserer Zustimmung ist die Schwierigkeit, Trinkgelder überhaupt zu erfassen. Derzeit wird dies durch Schätzungen anhand des Umsatzes oder durch die Angabe des Arbeitgebers der Betroffenen geleistet. Hier aber sehe ich das Problem des so genannten „Erfassungsdefizits“. Das BVG hat 1991 im Zusammen- hang mit der Erfassung von Kapitalerträgen festgestellt, dass eine Steuerbelastung nicht nur die erklärungsbereiten Bürgerinnen und Bürger treffen darf. Dies widerspricht dem Gebot der steuerlichen Lastengleichheit. Wer aber mag die Höhe der Trinkgelder kontrollieren. Derzeit sind Finanzämter schon damit überlastet sind, Betriebsprüfun- gen im gesetzlich vorgeschriebenen Turnus durchzuführen. Ich möchte daran erinnern, dass noch bis zum vergange- nen Jahr alle bisherigen parlamentarischen Initiativen zur Steuerfreistellung von Arbeitnehmertrinkgeldern von Rot- Grün abgelehnt wurden. Damals wurden die Argumente der Steuersystematik und der Einnahmeausfälle angebracht. Umso mehr freue ich mich, dass sich die Koalition – so kurz vor der Wahl – noch zu einer arbeitnehmerfreundlichen Maßnahme durchringen konnte. Sollte sich da die Erkennt- nis durchgesetzt haben, dass die Arbeitnehmerinnen und Ar- beitnehmer durch die Politik der Koalition zu kurz gekom- men sind? Vielleicht ringt sich die Koalition angesichts dieser Er- leuchtung auch noch dazu durch, unseren Forderungen nachzukommen. Wir warten noch immer auf die verspro- chene Erhöhung des Freibetrages für Arbeitnehmerabfin- dungen und auf die Aufhebung der Zweijahresfrist für die Absetzbarkeit der Kosten der doppelten Haushalts- führung. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Juni 200224518 (C) (D) (A) (B) Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – der Großen Anfrage: Entwicklung und Stand der Arbeitszeitflexibilisierung in Deutschland – der Beschlussempfehlung und des Berichts: Teil- zeitbeschäftigung wirtschaftsverträglich und fami- liengerecht fördern (Tagesordnungspunkt 29) Klaus Brandner (SPD): In dieser Legislaturperiode haben wir Fehlentwicklungen korrigiert und das Arbeits- recht konsequent modernisiert. Der Reformstau wurde zugunsten einer aktiven Unternehmenskultur aufgelöst. Flexibilität und Sicherheit werden nun in ausgewogener Weise gewährleistet. Auch wenn Sie von der Opposition es nicht wahrhaben wollen, unsere Zahlen können sich im internationalen Vergleich sehen lassen. Die Flexibilisierung der Arbeits- zeit ist in Deutschland weit fortgeschritten. Sie ist für die Unternehmen wichtiges Instrument zur Bewältigung der Arbeitsspitzen und zur Steigerung der Produktivität. Sie ist wichtig für den beschäftigungswirksamen Abbau von Überstunden, die Beschäftigungssicherung und die Schaf- fung von Arbeitsplätzen. Arbeitszeitflexibilisierung ist auch ein Ansatz für mehr Chancengleichheit von Frauen und Männern im Erwerbsleben, für eine bessere Verein- barkeit von Familie und Beruf und für ein Mehr an indi- vidueller Zeitsouveränität. Die CDU/CSU hat nicht einmal gemerkt, dass sich ihr Antrag im Wesentlichen durch das bereits am 1. Januar 2001 in Kraft getretene Teilzeit- und Befristungsgesetz erledigt hat. Die Forderung, den Rechtsanspruch auf Teilzeitarbeit wieder aufzuheben, ist allerdings ein gesellschafts- und sozialpolitischer Rückschritt. Die SPD lehnt das entschieden ab. Arbeitsmarkt-, familien- und gleichstellungspolitischen Zielen kann oder will sie mit der angestrebten Begrenzung des Teilzeitanspruchs nicht gerecht werden. Entgegen ihrer Aussage werden Arbeit- geber durch unser Gesetz nicht unzumutbar belastet. Im Gegenteil: In den meisten Fällen vereinbaren Arbeitgeber und Arbeitnehmer einvernehmlich eine vernünftige inte- ressengerechte Lösung. Den Teilzeitanspruch auf soziale Tatbestände zu begrenzen, wäre familien- und gleichstel- lungspolitisch kontraproduktiv. Wir haben Rahmenbedin- gungen geschaffen, damit Mann und Frau gleichermaßen den Antrag auf Teilzeit stellen können. Die Union provoziert mit ihrer Beschränkung auf soziale Tatbestände regelrecht eine Einstellungshürde für Frauen. Möglicherweise ärgert sie sich auch nur über die Tatsache, dass die von ihr prognostizierte Prozessflut bei den Arbeitsgerichten gar nicht eingegangen ist. Sie soll- ten sich doch wenigstens jetzt ihren Fehler eingestehen. Einer Untersuchung des Kölner Instituts zur Erforschung sozialer Chancen (ISO) zufolge arbeiten in Deutschland 85 Prozent in flexiblen Arbeitszeitformen in den unter- schiedlichsten Ausgestaltungen. Lediglich 15 Prozent der Arbeitnehmer haben eine Vollbeschäftigung, die der herkömmlichen Lage der Arbeitszeit entspricht, nicht variiert und an fünf Wochentagen – Montag bis Freitag – ausgeübt wird. Flexible Arbeitszeitmodelle sind erfolgreich, wenn sie sowohl an den Wünschen der Beschäftigten als auch an betriebswirtschaftlichen Notwendigkeiten ausgerichtet sind. Wir setzen im Gegensatz zu der Opposition auf mündige Beschäftigte. Arbeitnehmerinnen und Arbeit- nehmer wissen selbst am besten, was sie wollen. Wir wollen deshalb nicht, dass der Arbeitgeber allein entschei- det, ob jemand in Teilzeit gehen darf oder nicht. Deshalb haben wir den Teilzeitanspruch eingeführt. All diejenigen, die angekündigt haben, dass mit der Einführung des Rechtsanspruches auf Teilzeit die Teilzeitbeschäftigung zurückgehen würde, haben sich geirrt. Die neueste Sta- tistik, der mikrozensuns, belegt doch, dass wir viel mehr zusätzliche Teilzeitarbeitsstellen haben und nicht weniger. Der Anteil der Teilzeitbeschäftigten hat in 2001 erheblich zugenommen; er ist um 320 000 auf 6,8 Mil- lionen gestiegen. Die Teilzeitquote beträgt nunmehr 20,8 Prozent. Die Union will nicht nur den generellen Anspruch auf Teilzeitarbeit wieder abschaffen. Sie will die Reformen zurücknehmen, auf die Deutschland 16 lange Jahre ge- wartet hat. Es wird immer wieder das Gleiche erzählt: Es seien Arbeitnehmerrechte, die unsere Wirtschaft behin- dern, die die Schaffung von neuen Arbeitsplätzen verhin- dern. Das ist Unsinn. Wir wissen es aus Erfahrung besser: Als die Regierung Kohl 1996 den Kündigungsschutz be- schnitt, wollte sie dadurch 500 000 neue Arbeitsplätze schaffen. Es war ein riesiger Fehlschlag. Selbst der Zen- tralverband des Deutschen Handwerks hat ein Jahr später die Schlappe eingestanden. Nach seiner Umfrage wurden nicht einmal 20 000 Arbeitsplätze geschaffen, stattdessen hätten um ein Haar Millionen von Arbeitnehmern den Kündigungsschutz verloren. Deswegen hat die Regierung gleich nach Amtsantritt den Kündigungsschutz wieder hergestellt. Mit der Beseiti- gung von Arbeitnehmerrechten lässt sich Arbeitslosigkeit nicht bekämpfen. Die OECD hat den Zusammenhang zwischen Beschäftigungsschutz und Arbeitsmarkt in 27 Ländern untersucht. Ergebnis: Die Ausgestaltung des Beschäftigungsschutzes hat laut OECD Employement Gutlook 1999 wenig oder gar keine Auswirkungen auf die Arbeitslosigkeit. Es besteht daher kein nachweisbarer Zusammenhang zwischen Arbeitsrecht und der Höhe der Arbeitslosigkeit. Mit dem Gesetz über Teilzeit- und befristete Arbeits- verträge haben wir einen effektiven Beitrag zum Be- schäftigungsaufbau und zur Beschäftigungssicherung ge- leistet. Wir haben die Befristung dauerhaft geregelt und damit Rechtsicherheit hergestellt und die Vereinbarung der europäischen Sozialpartner umgesetzt. Ein wesentli- cher Kernpunkt in diesem Gesetz ist, den Missbrauch von aufeinander folgenden Kettenbefristungen zu verhindern. Diesen Missstand haben wir beseitigt ebenso wie wir dem Mangel an Teilzeitarbeitsplätzen entgegenwirken. Die CDU/CSU fordert die Aufhebung dieser Be- schränkung. Sie will praktisch den alten Zustand wieder Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Juni 2002 24519 (C) (D) (A) (B) herstellen, bei dem befristete Arbeitsverträge mit und ohne Sachgrund unbegrenzt aufeinander folgen könnten. Kettenbefristungen laufen darauf hinaus, Arbeitnehme- rinnen und Arbeitnehmern den Kündigungsschutz zu neh- men und darüber hinaus ihre gesamte arbeitsrechtliche Stellung zu schwächen. Rechtlose Beschäftigte, die jeder- zeit für Unternehmen verfügbar sind, das ist das Ziel die- ser Forderungen. Aber niemals mit uns! Mit der Dauerregelung im Teilzeit- und Befristungsge- setz haben wir Rechts- und Planungssicherheit für die Ar- beitgeber geschaffen. Zusätzlich wurde die sachgrundlose Befristung branchenspezifisch flexibilisiert, indem die Höchstbefristungsdauer und die Anzahl der zulässigen Befristungen tarifdispositiv gestaltet wurden. Die Tarif- vertragsparteien können die Ausgestaltung der befristeten Beschäftigung also selber in die Hand nehmen. Sie sind in der Regel näher am Ball. Unser Gesetz bietet geradezu ein Muster an Flexibilität. Gleichzeitig bleibt ein sicheres Fundament. Eine erfolgreiche Bekämpfung der Arbeitslosigkeit setzt außer der Schaffung neuer Arbeitsplätze auch eine breitere Verteilung des vorhandenen Beschäftigungsvolu- mens voraus. Hierzu zählen kürzere und flexiblere Ar- beitszeiten sowie der Abbau bezahlter Mehrarbeit. Hier sind in erster Linie die Tarifvertragsparteien gefordert. Flexibilisierung ist von uns gewollt, wenn sie den Men- schen ein Stück Freiheit in ihr Arbeitsleben bringt. Dies setzt voraus, dass diese Arbeitsverhältnisse sozial und ar- beitsrechtlich geregelt sind und tarifpolitisch gestaltet werden können. Hinter den Forderungen der FDP aber auch der CDU/CSU verbirgt sich dagegen allein ein mas- siver Abbau sozialer Standards. Die Opposition erkennt nicht oder will nicht erkennen, dass die Möglichkeiten des Arbeitszeitgesetzes intensiv genutzt werden. Kürzere Arbeitszeiten müssen den indi- viduellen Bedürfnissen der Beschäftigten entgegenkom- men. Ein existenzsicherndes Einkommen ist für viele eine der Voraussetzungen. Auch die Altersvorsorge spielt eine große Rolle. Deshalb haben wir die Probleme der Schein- selbstständigen und der 325-Euro-Jobs gelöst. Die Arbeitnehmerüberlassung hat einen vernünftigen Sinn bei der Deckung vorübergehenden Arbeitskräftebe- darfes. Sie darf aber nicht dazu dienen, Dauerarbeitsplätze zu ersetzen. Wir haben die höchstzulässige Überlassung eines Leiharbeitnehmers auf 24 aufeinander folgende Monate verlängert. Dies gewährleistet die erforderliche Flexibilität. Mit der Arbeitnehmerüberlassung muss so- wohl das Interesse der Unternehmer, schnell auf kurzfris- tigen Arbeitskräftebedarf reagieren zu können, als auch das der Beschäftigten auf tarifliche Standards berücksich- tigt werden. Die Arbeitswelt hat sich grundlegend verändert. Sie ist wesentlich differenzierter und vielschichtiger geworden. Wir haben bei der Reform der Betriebsverfassung die Vo- raussetzungen für moderne und flexible Betriebsrats- strukturen geschaffen. Zudem wurden die Bedingungen für ein effektives Tätigwerden des Betriebsrates verbes- sert. Es wurden Modelle für eine wirkungsvolle betriebli- che Mitbestimmung geschaffen. Eine flexible Anpassung erfolgt durch Tarifverträge, die die Bedürfnisse der Be- triebe und der Arbeitnehmer berücksichtigen. Es sind in den letzten Jahren vermehrt tarifvertragliche Regelungen vereinbart worden, die je nach Gestaltung als Öffnungs-, Härte- oder Kleinbetriebsklauseln bezeichnet wurden. Danach können die Betriebspartner von Tarifregelungen abweichen. Die Tarifvertragsparteien haben damit bewie- sen, dass sie in der Lage sind, eigenverantwortlich bran- chenspezifische Regelungen zu treffen. Es gibt 30 000 Ta- rifverträge. So beweglich könnte keine Gesetzgebung sein, wie dies für die Tarifvertragspartner möglich ist. Sie haben das Heft in der Hand. Nur so kann der Arbeitneh- merschutz gewährleistet werden. In den vergangenen Jahren haben insbesondere die Ar- beitszeitkontenmodelle an Bedeutung gewonnen. Allein von 1998 bis zum Jahr 2001 hat sich der Anteil der deut- schen Betriebe mit Arbeitszeitkontenmodellen um fast die Hälfte erhöht. Im Jahr 2001 nutzten 29 Prozent der deut- schen Betriebe Arbeitszeitkontenmodelle. Für 40 Prozent der Beschäftigten wurden Arbeitszeitkonten geführt. Dies zeigt, dass Deutschland bei der Arbeitszeitflexibilisierung gut dasteht. Sie ist ein bedeutender Beitrag für die Er- werbsfähigkeit. Mit den gesetzlichen Rahmenbedingun- gen haben wir die erforderlichen Voraussetzungen ge- schaffen. Flexible Arbeitszeiten sind auf dem Vormarsch. Dies wird durch die aktuellen Daten des Statistischen Bun- desamtes, durch den Mikrozensus 2001 belegt. Beispiels- weise haben 49 Prozent der abhängig Beschäftigten tägli- che Arbeitszeiten mit festem Beginn und Ende, 30Prozent verfügen über ein Arbeitszeitkonto. Wenn man die heute vorliegenden FDP-Anträge genau liest, dann wird leider deutlich, was dadurch tatsächlich erreicht werden soll. Es geht nicht um Flexibilisierung, sondern ausschließlich darum, Arbeitnehmerrechte zu be- schneiden. Auch der CDU/CSU nützt es nichts, dass der Kanzler- kandidat mit wolkigen Aussagen durch die Lande reist und verkündet, er wolle auf die Arbeitnehmer und Arbeitneh- merinnen zugehen. Damit will der bayerische Ministerprä- sident nur von seiner wahren Politik ablenken; denn hier wird schwarz auf weiß offenbar, was CDU/CSU eigentlich im Schilde führt. Die Opposition unterschätzt die Wähler. Ihre Strategie wird durchschaut. Die Quittung wird sie spä- testens am 22. September diesen Jahres erhalten. Walter Hoffmann (Darmstadt) (SPD):Wer sorgfältig die Antwort der Bundesregierung zur Großen Anfrage der FDP in Sachen Arbeitszeitflexibilisierung in Deutschland liest, der stellt fest, dass die Flexibilisierung der betriebli- chen Arbeitszeiten in den letzen Jahren rapide zugenom- men hat. Ob Schicht- oder Gleitsysteme, Arbeitszeitkon- ten oder Jahresarbeitszeiten, Teilzeit- oder befristete Beschäftigungsverhältnisse – wir finden auf der betriebli- chen Ebene in allen Branchen völlig unterschiedliche Re- gelungen, die alle den Versuch unternehmen, Interessen der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer in Einklang zu bringen. Die Menschen wollen flexible Arbeitszeiten, wollen Teilzeitbeschäftigung, um Arbeit und Freizeit sowie Fa- milienleben in Einklang zu bringen. Der Gesetzgeber tut gut daran, den Rahmen zu gestalten und den Tarifver- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Juni 200224520 (C) (D) (A) (B) tragsparteien ein Höchstmaß an Gestaltungsmöglichkei- ten zu geben. Betriebsräte und Gewerkschaften sowie Ar- beitgeber sind näher dran, kennen die Notwendigkeiten und haben bisher immer die Balance zwischen Arbeitge- ber- und Arbeitnehmerinteressen gefunden. Wenn allerdings Neoliberale wie die FDP über Flexi- bilisierung oder Teilzeitbeschäftigung reden, dann bedeu- tet das immer Verschiebung dieses Gleichgewichtes zu- gunsten der Arbeitgeberseite. Die arbeitsmarktpolitischen Überlegungen der FDP sind ein Rückgriff auf Vorschläge aus der Mottenkiste. Sie heiligen die Selbstheilungskräfte des Marktes. Für die Menschen heißt dies: Abbau des Kündigungsschutzes, mehr befristete Arbeitsverhältnisse – möglichst als Regelfall – und die Aushöhlung des be- währten Flächentarifvertrages. Es geht im Kern darum, die Rechte und den Schutz von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern schrittweise zu beseitigen unter dem Motto: Jeder ist seines Glückes Schmied. Wer betriebliche Realität kennt, weiß, dass die arbei- tenden Menschen soziale Schutzrechte haben müssen, da- mit sie nicht willkürlich den Marktgesetzen ausgeliefert werden. Deshalb wollen wir den Kündigungsschutz er- halten, haben wir die Befristung von Arbeitsverträgen so- zialverträglich eingeschränkt, haben wir ein Recht auf Teilzeitbeschäftigung geschaffen – wovon insbesondere Frauen profitieren –, haben wir den Erziehungsurlaub ausgebaut, haben wir die Arbeitsmöglichkeiten der Be- triebsräte, vor allem auch in Fragen der Qualifizierung und Arbeitszeit, weiterentwickelt. Wir glauben nicht daran, dass die Selbstheilungskräfte des Marktes sich automatisch positiv auswirken, sondern es bedarf immer einer aktiven Arbeitsmarkt- und Be- schäftigungspolitik, die die unterschiedlichen Interessen von Arbeitnehmern und Arbeitgebern miteinander in Ein- klang zu bringen versucht. Sie von der CDU/CSU wollen durch eine einseitige so genannte wirtschaftsverträgliche Gestaltung diese Ba- lance zerstören und mit der Abschaffung des Teilzeitan- spruches den Menschen die Möglichkeit rauben, Familie und Beruf miteinander zu verbinden. Dabei haben wir im- mer klar und deutlich gesagt, dass betriebliche Gründe berücksichtigt werden müssen. Das schützt die Interessen der Arbeitgeber in ausreichender Weise. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben durch un- ser Gesetz Freiräume zur persönlichen Entfaltung gewon- nen. Dies steigert ihre Motivation am Arbeitsplatz, was den Unternehmen zugute kommt und die Produktivität er- höht. Außerdem schafft Teilzeit neue Arbeitsplätze und verbessert damit die allgemeine Beschäftigungssituation. Flexibilisierung darf daher nicht als Kampfbegriff für den Abbau wichtiger Arbeitnehmerrechte missbraucht, sondern muss als Aufforderung verstanden werden, krea- tiv nach Gestaltungsmöglichkeiten von Arbeitszeit und Arbeitsverhältnissen zu suchen. Arbeitnehmer und Ar- beitgeber sind gefordert. Deshalb lehnen wir den Antrag der CDU/CSU ab, der unser Teilzeit- und Befristungsgesetz wieder zurückneh- men will. Wir haben auch keine neue „Reglementierung“ geschaffen. Die Änderungen im Betriebsverfassungs- gesetz, im Kündigungsschutzgesetz und im Arbeitsför- derungsrecht verbessern vielmehr die Situation der Menschen in unserem Lande und tragen zu einem gleich- berechtigten Miteinander im Arbeitsleben bei. Die Entwicklung der Arbeitswelt wird unweigerlich weitere Flexibilisierungen und neue Formen von Arbeits- zeitregelungen mit sich bringen. Wir sollten daran arbei- ten, den Rahmen für diese sozialen Veränderungen sozi- alverträglich zu gestalten. Matthäus Strebl (CDU/CSU): Letzte Woche haben wir im Plenum über Arbeitsmarkt- und Beschäftigungs- politik debattiert. Die derzeitige Situation ist verheerend: Im Frühling dieses Jahres waren über 4 Millionen Men- schen in diesem Land ohne Arbeit. Viele Patentlösungen und Rezepte gegen die Misere werden dieser Tage disku- tiert. Eine Erleichterung der Beschäftigungssituation ist die Möglichkeit von Teilzeitarbeit und befristeten Ar- beitsverhältnissen. Momentan befinden sich über 6 Millionen Arbeitneh- mer in einer Teilzeitbeschäftigung und rund 2,8 Millionen Menschen arbeiten in einem befristeten Arbeitsverhältnis. Umfragen des DIWhaben ergeben, dass in Deutschland ein höherer Anteil der Erwerbstätigen die Arbeitszeit reduzie- ren wollten als verlängern: Im Jahr 2000 sprachen sich 28 Prozent der befragten Arbeitnehmer für eine Verkürzung aus. Gerade Frauen würden deutlich öfter bei einer Voll- zeitbeschäftigung ihre Arbeitszeit reduzieren wollen. Es lieg also auf der Hand, dass die Teilzeitbeschäftigung ein wichtiges Standbein in der Beschäftigungspolitik ist. Es muss einiges dafür getan werden, damit sie vor allem auch für Unternehmen attraktiver gemacht wird. Doch was ist geschehen? Die Bundesregierung hat mit ihrer gesetzlichen Regelung alles getan, damit die Arbeit in Teilzeit für Arbeitgeber uninteressanter ist denn je! Der Teilzeitanspruch, den Riester und Müller durchgeboxt ha- ben, gibt der Bundesregierung auch diesmal wieder keinen Anlass, stolz zu sein. Wenn man ihn sich anschaut, offen- bart sich einem ein sozialistisch angehauchtes Blendwerk, aber keine praxisnahe Lösung! Statt die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen zu stärken und den Wirtschaftsstandort Deutschland attrakti- ver zu gestalten, wurde wieder einmal mehr Bürokratie geschaffen. Doch was haben diejenigen davon, die auf Teilzeitarbeit angewiesen sind? Es sind dies Frauen und Männer, die Zeit haben wollen, um ihre Kinder zu erzie- hen, Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die schwer pflegebedürftige Angehörige betreuen, oder in der Er- werbsfähigkeit geminderte Arbeitnehmerinnen und Ar- beitnehmer, die nicht oder nur schwer in der Lage sind, eine Vollzeitbeschäftigung auszuüben. Der von Rot-Grün initiierte Teilzeitanspruch hilft ih- nen nicht weiter. Er stellt einen einmaligen Systembruch im Arbeitsrecht dar: Er greift schwerwiegend in die Ver- tragsfreiheit ein, indem er ein Gestaltungsrecht gegen den Willen des Arbeitgebers zulässt! Nur ein Beispiel sei hier erwähnt: Ein Arbeitgeber kann mit ein und demselben Arbeitnehmer über dessen gesamtes Erwerbsleben – zumindest aber bis zum 58. Lebensjahr – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Juni 2002 24521 (C) (D) (A) (B) nur einmal einen einfach befristeten Arbeitsvertrag schließen! Ein Anspruch auf Teilzeit für alle geht weit über das Ziel hinaus. Ich will hier nicht den Teufel an die Wand ma- len, aber die Konsequenz ist doch, dass ein Arbeitgeber es sich genau überlegt, ob er bei steigender Nachfrage einen neuen Arbeitnehmer einstellt. Ich denke, er wird wohl eher massiv auf Überstunden ausweichen. Es ist für Unternehmen keine richtige langfristige Per- sonalplanung möglich, wenn die Beschäftigten über An- fang und Ende ihrer Arbeit sowie über die Zahl der Ar- beitsstunden frei entscheiden können. Doch genau dies ist mit dem neuen Teilzeitgesetz der Fall: Nun darf ein Ar- beitnehmer, der gerade erst sechs Monate in einem Ar- beitsverhältnis ist, eine Verringerung seiner vertraglich vereinbarten Arbeitszeit verlangen. Umgekehrt wird erst- mals teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmern das Recht ein- geräumt, bei einem Wunsch nach Ausdehnung ihrer Ar- beitszeit gegenüber Neueinstellungen berücksichtigt zu werden. Die Konsequenz: Bewährte Jahresarbeitssysteme müssen aufgegeben werden. Der Arbeitgeber hat nur eine Möglichkeit, sich dieser Regel zu widersetzen: Wenn er „betriebliche Gründe“ oder „unverhältnismäßige Kosten“ nachweisen kann. Doch wer vermag diese unbestimmten Rechtsbegriffe auszulegen? Die Unternehmen bleiben, bis höchstrichterliche Entscheidungen dazu vorliegen, „in der Luft hängen“. Die Bundesregierung hat die Chance vertan, endlich den Menschen zu helfen, die auf Teilzeitarbeit angewiesen sind. Erst kürzlich hatte der Kanzler das Thema Familie für sich entdeckt. Das im Wahlprogramm von CDU und CSU propagierte Familiengeld wurde als antiquiert verschrien. Frauen würden damit zu Hause „an den Herd“ festgebun- den, hieß es. Die einzigen, die das tun, sind die Damen und Herren auf der Führungsbank unserer Regierung! Eine Frau oder auch ein Mann, der arbeiten möchte, aber trotz- dem Zeit haben möchte, um für seine Kinder da zu sein, kann letzten Endes nur zu Hause bleiben oder sich in eine Vollzeitbeschäftigung begeben. Denn Rot-Grün hat es mit seiner Teilzeitregelung geschafft, die Neuschaffung von Teilzeitjobs wesentlich zu erschweren. Wo bleibt für sie die Vereinbarkeit zwischen Beruf und Familie? Das derzeitige Prinzip vom Teilzeitanspruch für jeder- mann nutzt nichts, sondern schadet nur. Es wäre wesent- lich nutzbringender gewesen, endlich das Arbeitsrecht und die Sozialversicherung den neuen Beschäftigungsfor- men anzupassen. Unser Antrag geht in die richtige Rich- tung, nämlich denen einen Anspruch auf Teilzeit zukom- men zu lassen, die ihn wirklich brauchen, und das, ohne die Unternehmen in ihrer Gestaltungsfreiheit einzu- schränken. Zumindest bis zum Herbst müssen wir uns mit dem rot- grünen Machtwerk begnügen, aber danach wird sich die Gelegenheit finden, Teilzeitarbeit in Deutschland wirt- schafsverträglich und familiengerecht zu gestalten! Brigitte Baumeister (CDU/CSU): Vor vier Jahren, 1998, verkündete der Kanzlerkandidat der SPD, Gerhard Schröder: Ich will die Arbeitslosigkeit deutlich senken. Daran werde ich mich messen lassen.“ Gemessen an diesem Ziel fällt die Bilanz nach vier Jah- ren SPD-geführter Bundesregierung denkbar schlecht aus. Seit Januar 2001 steigt die saisonbereinigte Zahl der Arbeitslosen in Deutschland wieder an. Sie lag im Mai mit 4,042 Millionen um 60 000 über der Zahl des Vormo- nats. Dabei scheiden jährlich rund 200 000 ältere Men- schen mehr aus dem Arbeitsmarkt aus, als jüngere nachrücken. Ohne diese günstige demographische Ent- wicklung wäre die Arbeitslosigkeit also noch höher. Außerdem ist die Zahl der Erwerbstätigen nicht wesent- lich gestiegen; die Zahl der Erwerbstätigen ist von Januar 2001 bis März 2002 saisonbereinigt sogar um 180 000 ge- sunken. Der von der Regierung angepriesene Anstieg der Beschäftigtenzahlen hat allein statistische Gründe. Durch die Einbeziehung geringfügiger Arbeitsverhältnisse etwa wurde die Zahl der Beschäftigten auf dem Papier erhöht. Ob jedoch wirklich neue Arbeitsplätze geschaffen worden sind, bleibt fraglich. Regulierung statt Deregulierung hieß das Programm der Bundesregierung. Der Arbeitsmarkt wurde gefesselt, anstatt seine dynamischen Kräfte zu entfesseln: durch die Einschränkungen bei den befristeten Arbeitsverhältnis- sen, durch das 630-DM-Gesetz, durch das Gesetz gegen die so genannte Scheinselbstständigkeit, durch das Be- triebsverfassungsgesetz und durch ein Teilzeitgesetz, das die Arbeitgeber abschreckt, Teilzeitarbeitsverhältnisse abzuschließen. Dabei waren wir uns am 16. November 2000 in diesem Hause einig, dass Teilzeitarbeit einen wesentlichen Bei- trag zur Verbesserung der Beschäftigungssituation leistet. Umso mehr verwundert die aktuelle Haltung der Bundes- regierung zur Frage: „Welche Gesetze müssen nach An- sicht der Bundesregierung geändert oder reformiert wer- den, um die Flexibilisierung der Arbeitszeit zu erhöhen?“ Antwort: „Die Bundesregierung sieht derzeit keine Not- wendigkeit, das geltende Recht zu ändern.“ Sicher, die Flexibilisierungsmöglichkeiten werden teilweise in ho- hem Maße genutzt. Flexible Arbeitszeitformen werden zur Gestaltung der individuellen Lebens- und Berufsge- staltung wahrgenommen. Teilzeitarbeit nimmt weiter zu: Fast jeder fünfte Arbeitnehmer in Deutschland arbeitet in Teilzeit. Arbeitszeitkonten erfreuen sich großer Beliebt- heit: Fast zwei Fünftel aller Beschäftigten führen ein sol- ches Arbeitszeitkonto. Insgesamt wird vom neuen Gesetz verantwortungsbewusst und interessengerecht Gebrauch gemacht. Das schließt jedoch nicht aus, dass weitere Fle- xibilisierungspotenziale erschlossen werden können. In einer Arbeitsgesellschaft, die vom technischen Fort- schritt geprägt ist, können die Eroberung neuer Märkte, nachhaltiges Wachstum, eine ökonomisch vernünftige Verteilung der Erwerbsarbeit und eine flexible Gestaltung der Arbeitszeit und Arbeitsorganisation wesentlich zur Si- cherung und zum Aufbau neuer Beschäftigung beitragen. Unser Leitsatz für mehr Beschäftigung lautet daher: den Arbeitsmarkt deregulieren. Wir wollen Anreize für Ar- beitslose schaffen und ihnen neue Chancen geben, damit sie wirklich den Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt schaffen. Deshalb werden wir für ein modernes Arbeits- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Juni 200224522 (C) (D) (A) (B) recht sorgen, das zu möglichst vielen Einstellungen führt und vielen Menschen neue Beschäftigungsmöglichkeiten eröffnet. Dazu gehört, dass wir den Arbeitgebern eine fle- xiblere Personalpolitik durch verbesserte Rahmenbedin- gungen für Zeitarbeit, befristete Arbeitsverhältnisse und Teilzeitarbeit ermöglichen wollen. Den von der Regierungskoalition eingeführten gene- rellen Rechtsanspruch auf Teilzeit werden wir abschaffen. Dieser wird von vielen Unternehmern als gravierendes Problem angesehen. Dieses Teilzeitgesetz hat sich als Bremse für Produktion und Beschäftigung erwiesen. Bei Produktionsablauf, Personaleinsatz und Kapazitätspla- nung sind dem Unternehmer die Hände stärker gebunden als jemals zuvor. Die Bereitschaft, neue Arbeitnehmer einzustellen, ist gesunken. Dies hat zur Folge, dass viele arbeitsfähige Menschen auf der Straße bleiben und viele Arbeitgeber Überstunden anordnen – von einer Verringe- rung von Überstunden sind wir im Übrigen in Deutsch- land so weit entfernt wie vor vier Jahren. Teilzeitarbeit funktioniert nicht durch starre Regle- mentierung, sondern nur, wenn Arbeitgeber und Arbeit- nehmer eine einvernehmliche Lösung herbeiführen. Da- her setzen wir auf Freiwilligkeit und auf flexible Vereinbarungen, nicht auf einen einklagbaren Rechtsan- spruch. Deshalb sind wir auch für eine weiter gehende Ar- beitszeitflexibilisierung. Wir wollen aber diejenigen fördern, die neben der Kin- dererziehung und der Pflege arbeiten müssen oder wollen. Wir möchten diejenigen unterstützen, die Familie und Be- ruf in Einklang zu bringen versuchen. Teilzeitarbeit ist in erster Linie ein Thema, das Frauen berührt. Von rund 6,5 Millionen Teilzeitbeschäftigten in Deutschland ist nur jeder Achte ein Mann. Noch nicht ein- mal fünf Prozent aller erwerbstätigen Männer sind teil- zeitbeschäftigt, hingegen arbeiten knapp 40 Prozent aller erwerbstätigen Frauen teilzeit. Dahinter steht meistens nicht die freiwillige Entscheidung, weniger als acht Stun- den am Tag bei der Arbeit verbringen zu wollen. Viele Frauen haben als junge Mütter den Wunsch, während der Kindererziehung nicht den Anschluss ans Berufsleben zu verlieren. Viele Frauen sehen die Notwendigkeit, noch et- was hinzuverdienen zu müssen. Viele Frauen fällen die Entscheidung, kranke Familienangehörige selber zu pfle- gen und nicht ins Heim zu geben. Diese Frauen – und natürlich auch die wenigen Männer, denen es genauso geht – wollen wir unterstützen. Für diese Menschen mit der Doppelbelastung Beruf und Familie wollen wir den Rechtsanspruch auf Teilzeitarbeit beibehalten. Jeder wei- ter gehende Rechtsanspruch ist jedoch ein Beschäfti- gungshemmnis und als solches nicht zu rechtfertigen. Deshalb haben wir unseren Antrag „Teilzeitbeschäftigung wirtschaftsverträglich und familiengerecht fördern“ hier noch einmal eingebracht. Die verheerende Lage auf dem Arbeitsmarkt lässt sich nur durch einen entschiedenen Kurswechsel in der Wirt- schafts- und Finanz-, in der Sozial- und Arbeitsmarktpo- litik ändern. Neben der Senkung der Staatsquote und der Entlastung von Arbeitgebern und Arbeitnehmern von Steuern und Abgaben brauchen wir eine Flexibilisierung des Arbeitsmarktes und der Arbeitszeiten. Der SPD-Kanzlerkandidat Gerhard Schröder hat im Sommer 1998 gesagt: Wenn es uns nicht gelingt, die Arbeitslosigkeit mas- siv zu senken, dann haben wir es nicht verdient wei- ter zu regieren. Herr Bundeskanzler, ich stimme Ihrer damaligen Aus- sage zu. Angesichts der verfehlten Arbeitsmarktpolitik der vergangenen dreieinhalb Jahre haben Sie es nicht ver- dient, weiter zu regieren. Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wie die Antwort der Bundesregierung zeigt, ist die Flexi- bilisierung der Arbeitszeit in Deutschland weit fortge- schritten. Die Antwort zeigt aber, dass im internationalen Vergleich noch Potenziale für mehr Teilzeitarbeit und fle- xible Arbeitszeitmodelle gegeben sind. Wir wissen außer- dem, dass das Teilzeitgesetz bereits zu vermehrter Inan- spruchnahme von Teilzeit geführt hat. Grundsätzlich gilt für uns, dass flexible und sozial verträgliche Arbeitszeit- politik, die eine größere individuelle Wahlfreiheit gerade auch der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer eröffnet , ein Gewinn für Arbeitnehmer, aber auch ein Gewinn für die Betriebe ist. Regelungen der Arbeitszeit sind zuallererst Sache der Wirtschaftsparteien selbst und sollten dies auch bleiben. Wichtig ist daher eine tarifliche Arbeitszeitpolitik, deren Öffnungsklauseln für flexible Regelungen in der Tarif- politik immer mehr verankert werden. In der Tarifpolitik haben sich in den letzten Jahren immer mehr allgemeine kollektive Vereinbarungen herausgebildet, und in vielen Betrieben haben sich spezielle betriebliche Lösungen ent- wickeln lassen. Mittlerweile hat sich eine Vielfalt von Ar- beitszeitformen eingespielt. In den alten Bundesländern arbeitet nur noch jeder siebte Beschäftigte in normalen Arbeitszeiten, also von Montag bis Freitag in Vollzeitar- beit. Aber auch in den neuen Bundesländern haben rund 82 Prozent der Beschäftigen irgendeine Form flexibler Arbeitszeit. Flexible Arbeitszeiten können weiterhin zur Entlas- tung des Arbeitsmarktes beitragen, aber auch die Verein- barkeit von Familie und Beruf fördern. Wir haben deswe- gen durch das Teilzeitgesetz die Rahmenbedingungen deutlich verbessert. Gerade an dieser Stelle und in Rich- tung der Opposition gesagt ist es wichtig, dass das Teil- zeitgesetz für Männer und Frauen gleichermaßen gültig ist. Jede andere Lösung, die sich beispielsweise nur auf Erziehende beziehen würde, würde zu einer weiteren Be- schäftigungsbarriere für Frauen führen. Das Teilzeit- gesetz setzt den Rahmen, um zu einer gerechteren Ar- beitszeitverteilung zwischen Männern und Frauen zu kommen. Wir wollen den Abbau von Überstunden und den Über- stundenausgleich über Arbeitszeitkonten voranbringen, um Qualifikationsphasen und so genannte Sabbatzeiten, Erziehungsarbeit oder lange Erholungspausen möglich zu machen. Bündnis 90/Die Grünen hält auch die Einführung von Tariffonds zum Jobsharing nach dem Vorbild der nie- dersächsischen Metallindustrie für einen sinnvollen Schritt. Im Übrigen haben gerade Betriebe im Metallbe- reich die fantasievollsten Formen der Arbeitszeitregelung Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Juni 2002 24523 (C) (D) (A) (B) gefunden. Wir wollen Teilzeitarbeit fördern, indem wir langfristig die Altersteilzeit in einen fünfjährigen alters- unabhängigen Förderanspruch für alle umwandeln. So können Arbeitszeitreduzierungen auch für Kindererzie- hung, für Pflegearbeit, für Qualifikation oder auch für in- dividuelle Erholungsphasen genutzt werden. So kann über den Erwerbslebenszyklus eine vernünftige Lebens- planung erfolgen. Im Juli 2000 haben BDAund DGB gemeinsam erklärt, sie treten für eine differenzierte, flexibilisierte Arbeits- zeitpolitik und den beschäftigungswirksamen Abbau von Überstunden ein. Bei der Arbeitszeit stehen die tariflichen Vereinbarungen von Arbeitszeitkonten, Jahresarbeitszei- ten, die Schaffung von Jahres-, Langzeit- und Lebensar- beitszeitkonten sowie eine bessere Verknüpfung von Ar- beit, betrieblicher Fort- und Weiterbildung im Mittelpunkt. Das ist gut so und scheint schon Erfolge zu bringen; denn in den letzten Jahren ist der permanente Anstieg von Überstunden gestoppt worden. Dies scheint auch durch Arbeitszeitkonten ausgelöst worden zu sein. Die bessere Abstimmung des Arbeitsvolumens mit über das Jahr verteilten unterschiedlichen Kapazitätsan- forderungen an die Betriebe steigert auch die betriebli- chen Reaktionsmöglichkeiten und den Abbau von Über- stunden. Vormals bezahlte Überstunden verschwinden. Der Umverteilungseffekt zugunsten zusätzlicher Arbeits- plätze entsteht aber nur, wenn verbindliche Regelungen zu Unter- und vor allem zu Obergrenzen bestehen. Zudem muss geregelt werden, dass das Überlaufen von Arbeits- zeitkonten eine Anpassung der Personal- oder der Ein- stellungspolitik nach sich ziehen sollte. Arbeitszeitkonten gibt es allerdings häufiger in Großbetrieben als in kleinen Betrieben. Flexible Arbeitszeitmodelle und Arbeitszeit- konten werden allerdings in der Zukunft nur eine positive Entwicklung nehmen, wenn gegen Geld- und Zeitklau durch Verfall eine Sicherung eingebaut wird. Die Fest- legung der Gestaltungselemente von Arbeitszeitkonten zum Beispiel wie Ober- und Untergrenzen, die Aus- gleichszeiträume, der Freizeitausgleich und vor allen Dingen der Schutz gegen den Verfall von Guthaben wird auch in Zukunft in erster Linie eine tarif- und betriebspo- litische Aufgabe sein, die durch gesetzliche Rahmenbe- dingungen unterstützt werden kann. Zu lösen ist auch die Transferierbarkeit von Zeitar- beitskonten beim Wechsel zwischen den Unternehmen. So könnten Guthaben in Geld oder Creditpoints umge- wandelt werden, mit der Option, die Werteinheiten beim neuen Arbeitgeber in erneute Ansprüche zurückzutau- schen. Flexible Arbeitszeiten sind ein Gewinn für alle Sei- ten und ein Markenzeichen für eine moderne Volkswirt- schaft. Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Zunächst darf ich der Bundesregierung für die Recherche der Antworten auf die Große Anfrage der FDP-Fraktion zu „Entwicklung und Stand der Arbeitszeitflexibilisierung in Deutschland“ danken. Sie liefert insgesamt interessantes Datenmaterial, auch wenn an einigen Stellen Datenlücken vorhanden sind. Aufgrund der Zahlen scheint die Schlussfolgerung richtig, dass die Flexibilisierung der Arbeitszeit in Deutschland weit fortgeschritten ist. Es ist aber bedauerlich, dass zu dem Thema Arbeits- zeitflexibilisierung mit Blick auf den internationalen Ver- gleich und auch die nationale Differenzierung Daten- lücken festzustellen waren, weil dadurch Vergleiche erschwert oder unmöglich werden. Da die Bundesregie- rung die Bedeutung der Arbeitszeitflexibilisierung in ih- rer Antwort selbst betont, sollte sie überlegen, Institutio- nen wie das Statistische Bundesamt oder die ILO zu ermuntern, ein größeres Augenmerk auf die Erfassung von Entwicklungen im Bereich der Arbeitszeitflexibili- sierung – Teilzeit, Wechselschicht, Sonn- und Feiertags- arbeit, Arbeitszeitkonten – zu legen. Unsere Fragen zu Auswirkungen der Arbeitszeitver- kürzung je Beschäftigten und zur Veränderung der relati- ven Stückkosten – Fragen 9, 36 und 37 – wurden sehr pau- schal beantwortet und sind daher nicht befriedigend. Das sind aber Fragen, die aus Sicht der Unternehmen von be- sonderer Bedeutung sind. Hier ist eine differenziertere Darstellung möglich und erforderlich, um Auswirkungen von politischen und tariflichen Entscheidungen im Be- reich der Arbeitszeitflexibilisierung besser abschätzen zu können. Ich finde, da die derzeitige rot-grüne Bundesre- gierung das Teilzeit- und Befristungsgesetz zum 1. Januar 2001 in Kraft gesetzt hat, sollte sie eigentlich über eine bessere Datenbasis verfügen. Oder hat die Bundesregie- rung bei dieser Gesetzesinitiative etwa keine seriöse Kos- tenfolgeabschätzung vorgenommen? Ich frage auch nach dem Grundverständnis. Die rot- grüne Bundesregierung geht in ihren Vorbemerkungen bei den Fragen der Arbeitszeitflexibilisierung fast ausschließ- lich auf die Bedürfnisse der Arbeitnehmer und Arbeitneh- merinnen ein. So wichtig dies ist, bleibt doch festzustel- len: Arbeitszeitflexibilisierung muss in erster Linie vor dem Hintergrund der Erhaltung und Verbesserung der in- ternationalen Wettbewerbsfähigkeit gesehen werden. Der Satz „Erfolgreich können flexible Arbeitszeitmodelle nur sein, wenn es gelingt, diese sowohl an den Wünschen der Beschäftigten als auch an betriebswirtschaftlichen Not- wendigkeiten auszurichten“ kommt erst gegen Schluss und trägt dem nicht ausreichend Rechnung. Ein weiterer Punkt: Es stimmt mich bedenklich, dass in Deutschland seit 1995 ein im internationalen Vergleich überdurchschnittlicher Rückgang der geleisteten Arbeits- stunden zu verzeichnen ist. Die durch die Bundesregie- rung gelieferten Erklärungen für diesen Sachverhalt sind wenig stichhaltig. Weder ein stärkeres Bevölkerungs- wachstum, noch vorhandene Arbeitskräftereserven führen in anderen Volkswirtschaften automatisch zu ei- nem größeren Wachstum der Beschäftigung. Die Ursa- chen im innereuropäischen Finanzausgleich zu suchen ist ebenso falsch, wie die Europäische Kommission erst vor wenigen Tagen festgestellt hat. Die Ursachen für die schlechtere Entwicklung in Deutschland dürften vielmehr in der verfehlten Beschäftigungs- und Arbeitsmarktpoli- tik der Bundesregierung zu suchen sein. Die weitere Zementierung des Arbeitsmarktes durch immer neue Reg- lementierungen und die ständig steigende Sozialabgaben- quote führen zu einer geringen Beschäftigungsdynamik. Diesem falschen Grundverständnis folgend werden die von der Bundesregierung in Kraft gesetzten Gesetze wie Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Juni 200224524 (C) (D) (A) (B) das Teilzeit- und Befristungsgesetz und das Job-AQTIV- Gesetz mit dem Element der Jobrotation in der Antwort völlig zu Unrecht als Beitrag zur Arbeitszeitflexibilisie- rung genannt. Das Gegenteil dürfte der Fall sein: Während Jobrotation bis heute in der Praxis kaum akzep- tiert wird – sehr geringe Fallzahlen; deutliche Ablehnung in den Unternehmen von Arbeitgebern und Arbeitneh- mern – führt insbesondere der Rechtsanspruch auf Teilzeit in Betrieben mit mehr als 15 Beschäftigten langfristig so- gar eher zu einer Benachteiligung teilzeitgeneigter Perso- nengruppen. Das sind vor allem die Frauen – insbeson- dere im Alter von 20 bis 40 Jahren. Dadurch wird die Chancengleichheit von Frau und Mann eher erschwert als verbessert. Der Antrag der Union „Teilzeitbeschäftigung wirt- schaftsverträglich und familiengerecht fördern“ wird aus unserer Sicht seinem selbstgesteckten Anspruch im Titel nicht gerecht. Zu viele Fragen bleiben offen. Der Rechts- anspruch auf Teilzeit zur besseren Vereinbarkeit von Be- ruf und Familie ist aus liberaler Sicht im § 15 des Bun- deserziehungsgeldgesetzes, der einen Anspruch auf Teilzeit vorsieht, wenn ein Kind bis zum Alter von drei Jahren erzogen wird, konstruktiv geregelt. Wir lehnen nicht von vornherein eine Heraufsetzung der Altersgrenze der Kinder ab. Aber warum CDU und CSU die Alters- grenze ausgerechnet auf zwölf Jahre heraufsetzen möchte, wird in dem Antrag nicht begründet. Schon des- wegen ist der Antrag so nicht zustimmungsfähig. Wir Liberale wollen die Teilzeitarbeit für alle Beschäf- tigten, auch unabhängig von der Frage der Familienför- derung, auf freiwilliger Basis fördern. Holland hat in den 90er-Jahren mit der freiwilligen Förderung der Teilzeit enormen Erfolg gehabt. 1999 betrug dort die Teilzeitquote 39,4 Prozent und das bevor Holland einen Rechtsan- spruch auf Teilzeit im Jahre 2000 einführte. Die Bundes- republik Deutschland hat ihre Teilzeitquote ebenfalls von 14 Prozent 1991 auf fast 20 Prozent im Jahre 1999 erhöht, ohne die einseitige gesetzliche Verpflichtung der Unter- nehmen, wie sie mit dem Teilzeit- und Befristungsgesetz eingeführt wurde. Der Gesetzgeber sollte also wieder ei- nen Rahmen schaffen, in dem Teilzeitarbeit aufgrund frei- williger Verabredungen gefördert wird. Wir Liberale hoffen, dass es für eine solche effektive und effiziente Förderung der Teilzeitarbeit in diesem Hause nach dem 22. September 2002 eine Mehrheit gibt. Dr. Klaus Grehn (PDS): Wir befassen uns heute mit einer Thematik, die das Erwerbsleben von Millionen Be- schäftigten in Deutschland beeinflusst und damit Auswir- kungen auch auf die Lebensqualität in unserem Land hat. Angesichts der wirtschaftlichen Lage und der tatsächli- chen Situation auf dem Arbeitsmarkt mit den vier Milli- onen Arbeitslosen hat uns auch zu interessieren, inwieweit flexible und neue Formen der Arbeitszeit Auswirkungen auf den Abbau von Arbeitslosigkeit haben. Es ist nicht so, wie die Bundesregierung in ihrer Antwort auf die Große Anfrage der FDP und Minister Riester in einer der letzten Bundestagsdebatten erklärt haben, dass eine Verkürzung der Wochenarbeitszeit auf 40 und der gesetzlich in Aus- nahmefällen zulässigen Höchstarbeitszeit auf 50 Stunden nichts bringen würde. Auch die Europäische Union hat zu der gesetzlich ermöglichten hohen Wochenarbeitszeit in Deutschland Fragen gestellt; und es bleibt der Standpunkt der PDS, dass die Verkürzung von 48 auf 40 Stunden eine deutlich positive Auswirkung auf den Arbeitsmarkt hätte. Es ist unverständlich, warum hier die Bundesregierung so zögerlich ist. Natürlich unterstützt die PDS alle Anstrengungen, die darauf gerichtet sind, durch Vereinbarungen zwischen Ar- beitgebern und Arbeitnehmern die Arbeitszeit flexibel zu gestalten, und wir haben auch die unter starker Mitwir- kung der Gewerkschaften entstandenen neuen gesetzli- chen Regelungen zur Teilzeitbeschäftigung und zur Be- fristung von Arbeitsverträgen begrüßt. Flexibilisierung darf jedoch nicht missverstanden werden oder zulasten der Arbeitnehmer gehen. Flexibilisierung darf nicht heißen, dass die Erfordernisse der modernen Produktion, des technologischen Ablaufs oder gar der jeweiligen Auf- tragslage Warte- oder Stillstandzeiten bedingen, die durch die Anpassung der Arbeitszeiten daran überbrückt wer- den. Im Zentrum müssen die berechtigten Interessen der Arbeitnehmer und ihrer Familien stehen. Flexible Ar- beitszeiten müssen einen Zuwachs an Lebensqualität der Beschäftigten bringen – der Mensch mit seinen Bedürf- nissen ist und bleibt das Ziel jedes Wirtschaftens. Auch die Überführung von Überstunden in Arbeits- zeitkonten und deren Abbau durch Freizeit ist nicht in je- dem Fall im Interesse der Arbeitnehmer, deren Mehrarbeit damit nicht finanziell angemessen entgolten wird. Lohn- einbußen oder erzwungene Teilzeitarbeit ohne Lohnaus- gleich unter dem Schlagwort einer „Flexibilisierung“ lehnt die PDS strikt ab. Alles in allem jedoch bietet die Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage eine Fülle von Erkenntnissen und gibt zu ihren Zwecken eine brauchbare Momentaufnahme der gegenwärtigen Lage auf dem deutschen Arbeitsmarkt – auch im Vergleich zu unseren europäischen Nachbarn. Die Kollegen der FDP haben klug gefragt. Etwas anders verhält es sich mit dem Antrag von CDU/CSU, der in erster Linie die Rücknahme des durch Gesetz gerade eingeführten Anspruches auf Teilzeitarbeit fordert. Ebenso wird die Rücknahme der erweiterten Be- schränkung befristeter Arbeitsverträge verlangt. Es fällt den Kolleginnen und Kollegen aus dieser Fraktion ganz offensichtlich schwer, etwas zu verstehen oder zu unter- stützen, was die Interessen der Arbeitnehmer denen der Kapitalseite zumindest als gleichwertig gegenüber stellt. Das Recht eines jeden Arbeitnehmers auf Teilzeitarbeit ist eine Errungenschaft, und ganz nebenbei wird damit auch ein Weg zur Schaffung zusätzlicher Arbeitsplätze eröff- net. Auch freiwillig in Anspruch genommene Teilzeitar- beit muss tariflich entlohnt werden und existenzsichernd sein und darf den Anspruch auf die vollen Sozialleistun- gen nicht mindern. Darauf wird zu achten sein. Es mag schon sein, dass in Einzelfällen das Verbot einer wiederholten Befristung des Arbeitsvertrages für denselben Arbeitnehmer eine mögliche erneute Einstel- lung verhindert. Es wäre zu prüfen, ob das zwangsläufig tatsächlich so eintritt. Wirksam sollte das Gesetz dahin ge- hend werden, dass die nur vorübergehende Einstellung von Arbeitskräften für normale, nicht saisonale Arbeit Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Juni 2002 24525 (C) (D) (A) (B) deutlich erschwert wird. Nicht befristete Arbeitsverträge dienen den Interessen des Einzelnen und der Gesellschaft weit mehr, und diese Tendenz muss unterstützt und beför- dert werden. Deshalb lehnt die PDS-Fraktion diesen gegenläufigen Antrag der CDU/CSU ab. Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung – des Entwurfs eines Jugendschutzgesetzes (JuSchG) – des Entwurfs eines Gesetzes zurÄnderung des Gesetzes zum Schutze der Jugend in der Öf- fentlichkeit (Jugendschutzgesetz – JÖSchG) – der Beschlussempfehlung und des Berichts zu dem Antrag: Jugendschutz stärken – der Beschlussempfehlung und des Berichts – zu dem Bericht der Bundesregierung über die Auswirkungen der jetzigen Fassung des § 3 des Gesetzes über die Verbreitung ju- gendgefährdender Schriften und Medien- inhalte (GjS) – zu dem Dritten Zwischenbericht der En- quete-Kommission „Zukunft der Medien in Wirtschaft und Gesellschaft – Deutsch- lands Weg in die Informationsgesellschaft“ zum Thema: Kinder- und Jugendschutz im Multimediazeitalter (Tagesordnungspunkt 32) Kerstin Griese (SPD): Diejenigen von Ihnen, die heute diesem Gesetz zustimmen, können Teil haben an ei- nem Erfolg: Das neue Jugendschutzgesetz gibt die richti- gen Antworten auf die technischen und gesellschaftlichen Entwicklungen, die sich im Bereich der neuen Medien und des Jugendmedienschutzes in den Jahren seit 1985 getan haben. Dabei kann das Jugendschutzgesetz nur ein Beitrag sein, um Kinder und Jugendliche vor Gewalt und Brutalität zu schützen. Wir müssen Kinder und Jugendliche schüt- zen. Und wir müssen sie stärken. Stark machen gegen Ge- walt, stark und kompetent machen im Umgang mit neuen Medien. Eine zweite wichtige Säule, neben dem Jugend- schutz, ist die Medienerziehung, die Medienkompetenz von Kindern und Jugendlichen. Die Bundesregierung hat die Stärkung der Medienkompetenz bereits zum Schwer- punkt ihrer medienpolitischen Arbeit gemacht. Dazu gehören unsere Initiative „Schulen ans Netz“, die Projekte „Kulturelle Bildung im Medienzeitalter, „Mediagenera- tion – Kompetent in die Medienzukunft“„, das Programm „Internet für alle“ oder auch das Bund-Länder-Programm „Innovative Fortbildung an beruflichen Schulen“. Natürlich müssen auch Eltern und Lehrkräfte ihre Me- dienkompetenz weiterentwickeln. Dafür geben wir bes- sere Möglichkeiten. Mit der Reform der Bundeszentrale für politische Bildung im Jahr 2000 beispielsweise wurde ein eigener Fachbereich Multimedia mit einer Koordinie- rungsstelle Medienpädagogik gegründet. Wichtig bleibt auch weiterhin, dass internationale Ver- pflichtungen dazu beitragen müssen, einen wirksamen Kinder- und Jugendmedienschutz rechtlich und technisch auch bei Anbietern von Netzinhalten zu verwirklichen. Wir setzen uns deshalb für die Schaffung europa- und weltweiter Mindeststandards des Kinder- und Jugendme- dienschutzes ein und wollen den UNESCO-Gipfel zur In- formationsgesellschaft 2004 nutzen, um auf internationa- ler Ebene nach Lösungen zu suchen, die Rassismus und Gewaltverherrlichung im Internet verhindern. Auch die EU-Kommission fordert zu Recht eine kon- zertierte Aktion und eine bessere Zusammenarbeit von In- dustrie und Internetanbietern. Ausdrücklich widersprechen möchte ich dem baden-württembergischen Europaminister Christoph Palmer, der, wie ich in einer Pressemitteilung über die Europawoche in Stuttgart gelesen habe, meint, na- tionaler Jugendschutz sei nicht möglich. Doch, mit unse- rem Gesetz und mit dem Jugendmedienschutz-Staatsver- trag, den die Länder alsbald verabschieden werden, ist es möglich! Auch die öffentliche Anhörung hat gezeigt, dass unser Gesetz von den Experten sehr positiv aufgenommen wird. Alle Sachverständigen waren der Auffassung, dass das neue Jugendschutzgesetz verabschiedet werden kann, soll und muss. In der Anhörung wurde auch die große Bedeu- tung von Medienkompetenz betont. Die wichtigsten Punkte unseres Jugendschutzgesetzes sind: Im Bereich des Jugendmedienschutzes ist eine we- sentliche Neuerung unseres Gesetzes, dass auf allen Bild- trägern, die mit Filmen oder Spielen programmiert sind, eine Alterskennzeichnung angebracht werden muss. El- tern, Schulen und Jugendeinrichtungen wird so die Aus- wahl altersgerechter Medien erleichtert. Diese Pflicht zur Alterskennzeichnung entspricht auch der langjährigen Forderung der Obersten Landesjugendbehörden und aller Bundesländer. Die alte Bundesregierung hat dies immer abgelehnt. Die Arbeit und Erfahrung der Bundesprüfstelle für ju- gendgefährdende Medien, wie sie neu benannt wird, ist von großer Bedeutung für den Jugendmedienschutz. Die Administration der Bundesprüfstelle wird gestrafft. So kann das Indizierungsverfahren beschleunigt betrieben, Angebote im Internet können unmittelbar beanstandet werden. Wichtig ist auch, dass mit dem neuen Gesetz auch Verbände, die im Kinder- und Jugendbereich tätig sind, antragsbefugt sind. Außerdem kann die Bundesprüfstelle jetzt auch ohne Antrag gegen jugendgefährdende Ange- bote vorgehen. Wir haben den Katalog der schwer jugendgefährden- den Trägermedien um Gewaltdarstellungen und Darstel- lungen, die die Menschenwürde verletzen und den Krieg verherrlichen, erweitert. Damit unterliegen diese Träger- medien umfassenden Abgabe-, Vertriebs- und Werbever- boten. Das neue geschaffene Abgabeverbot von Tabak und Zigaretten an Jugendliche unter 16 Jahren war längst fäl- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Juni 200224526 (C) (D) (A) (B) lig. Die rot-grüne Regierung hat sich nicht gescheut, hier auch einen Konflikt mit der Wirtschaft einzugehen, zum Schutz der Kinder und Jugendlichen. Mit dem neuen Ab- gabeverbot bieten wir einen vernünftigen Gesundheits- schutz und Jugendschutz. Auch bei der Kinowerbung für Alkohol und Zigaretten haben wir den Jugendschutz verbessert: Diese Werbung darf nicht vor 18 Uhr gezeigt werden. Damit vereinheitli- chen wir den Jugendschutz. In dem Antrag der CDU/CSU-Fraktion finden wir letztendlich nichts anderes als die Forderung nach Verbo- ten, Verboten, Verboten. Ist das Jugendschutz? Der Ent- schließungsantrag von SPD und Bündnis 90/Die Grünen zeigt deutlich, welche Bedeutung wir dem Jugendschutz geben: Jugendschutz gewährleistet das Recht junger Menschen auf Schutz und Integrität ihrer Persönlichkeit und gewährleistet gleichzeitig ihre Integration in die und Teilhabe an der Gesellschaft. Wir fördern die Kreativität und Kompetenz von Kindern und Jugendlichen. Dieses Verständnis eines optimalen Jugendschutzes finden Sie in unserem Gesetz. Im Hinblick auf die Stärkung der Medienkompetenz wäre es auch zu überlegen, wie Kindern und Jugendlichen Zugang zu geeigneten Medien, zum Beispiel in Video- theken, ermöglicht werden könnte. Ebenfalls denke ich, dass wir über die Altersstufen bei der Alterskennzeich- nung demnächst noch einmal nachdenken könnten, denn der Sprung von sechs auf zwölf Jahre ist recht groß. Das müsste allerdings in allen Medienbereichen gleich gere- gelt sein. Eine breite Zustimmung zu dem so bedeutsamen Thema des Schutzes von Kindern und Jugendlichen würde zeigen, dass wir, die Parlamentarierinnen und Parlamenta- rier, gemeinsam uns um diejenigen sorgen, die die Zukunft für unser Land bedeuten. Die intensiven Beratungen über das Jugendschutzgesetz haben gezeigt, dass zwischen al- len Beteiligten große Übereinstimmungen bestehen, wie wir uns einen modernen, einen effektiven Kinder- und Ju- gendschutz vorstellen. Deshalb frage ich mich ernsthaft, wieso die Kolleginnen und Kollegen der Oppositionsfrak- tionen nicht zustimmen könnten. Stimmen sie zu und über- lassen sie ein so wichtiges Thema wie den Kinder- und Ju- gendschutz nicht dem Wahlkampfkalkül von Herrn Stoiber im Bundesrat! Die FDP-Fraktion hat keinen Änderungsantrag zum Entwurf des Jugendschutzgesetzes eingebracht. Ihr Ent- schließungsantrag, den sie in letzter Minute verfasst ha- ben, spiegelt nur wider, dass sie keinen Jugendschutz ver- folgen, sondern wirtschaftsgläubig ihre Lobbygruppen befriedigen möchte. Dazu sage ich: Mit uns nicht! Die Zeit ist reif für ein neues Jugendschutzgesetz, das modern und effektiv ist und Jugendliche schützt und stärkt. Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten wollen Kinder und Jugendliche vor Gewalt schützen und sie stark machen im Leben. Stimmen Sie zu! Thomas Dörflinger (CDU/CSU): Normalerweise hat der Volksmund Recht, wenn er formuliert: „Was lange währt, wird endlich gut.“ Im vorliegenden Fall, dem von der Bundesregierung vorgelegten Gesetz zur Novellie- rung des Jugendschutzes, ist dies nicht der Fall. Wir erin- nern uns, dass die noch amtierende Bundesregierung dieses Vorhaben bereits in Regierungserklärung und Koalitionsvereinbarung angekündigt hatte. Dann ist zunächst einmal lange Zeit nichts passiert, was aber in der Amtszeit von Frau Bergmann ja nicht weiter erstaunlich ist. Dann kam, mehr oder minder aus heiterem Himmel, ein Referentenentwurf ans Tageslicht, der in erster Linie eine Verlängerung der Ausgehzeiten für Jugendliche zum In- halt hatte. Man geht wohl nicht ganz fehl in der Annahme, dass dieses Vorhaben in erster Linie auf den 22. September dieses Jahres gerichtet war. Aber das einhellige Urteil nicht nur der Fachwelt, dass dieses Vorhaben keinen Beitrag zum Jugendschutz darstellt, führte dazu, dass der Entwurf im Papierkorb des Ministeriums verschwand. Wochen später erschütterte uns alle der Amoklauf ei- nes Schülers in Erfurt und folgerichtig war das Thema Ju- gendschutz wieder auf der Tagesordnung. Es herrschte fraktionsübergreifend Einigkeit darüber, dass Handlungs- bedarf besteht – insbesondere, was den Bereich des Ju- gendmedienschutzes angeht. Und es war im Übrigen die CDU/CSU-Bundestagsfraktion, die bereits lange vor Er- furt den Handlungsbedarf durch die Vorlage eines eigenen Antrags unterstrichen hatte. Was die Bundesregierung dann allerdings in der Folge mit dem Deutschen Bundestag veranstaltet hat, das ver- dient die Bezeichnung Gesetzgebungsverfahren im Grunde genommen nicht. Man führe sich folgendes Pro- zedere noch einmal vor Augen: am Montag Anhörung der Sachverständigen, bei der auf diverse Ungereimtheiten hingewiesen wurde; am Dienstag Beratung in den Ar- beitsgruppen der Fraktionen; am Mittwochmorgen berät der federführende Ausschuss; am gleichen Tag kommen die Berichterstatter zu einer einstündigen Beratung zu- sammen; und am Donnerstag winkt der federführende Ausschuss noch kurz vor Beginn des Plenums das Projekt durch. Dies ist eine Missachtung des Parlaments, denn für eine eingehende Beratung des Gesetzes war schlicht keine Zeit. Es war von vornherein klar, dass ein so wichtiges ge- setzgeberisches Vorhaben idealiter im Konsens verab- schiedet werden sollte. Leider haben Sie uns hierzu keine Möglichkeit eröffnet. Für uns bleiben drei zentrale Ge- sichtspunkte, die uns die Zustimmung heute nicht mög- lich machen, wobei wir durchaus anerkennen, dass die Novelle in einigen Punkten durchaus eine Verbesserung des Jugendschutzes erzielt. Folglich werden wir uns heute der Stimme enthalten. Erstens. Sie schaffen neu im § 1 Abs. 1 Nr. 4 die so ge- nannte „erziehungsbeauftragte Person“. Wir haben deutli- che Zweifel, ob hierdurch eine Stärkung des Jugend- schutzes erreicht wird, und zwar aus zwei Gründen. Zum einen ist so die Möglichkeit eröffnet, dass beispielsweise ein 15-jähriger die Bestimmungen des Jugendschutzes un- terläuft, wenn er in Begleitung seines 18-jährigen Freundes ist, der glaubhaft versichert, er sei von den Eltern zur Be- gleitung des Minderjährigen autorisiert. Ich frage: Wie soll Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Juni 2002 24527 (C) (D) (A) (B) im Einzelfall vor Ort nachvollzogen werden, ob es sich tatsächlich um eine „erziehungsbeauftragte Person“ han- delt oder aber ob rein zufällig der ältere Freund des Min- derjährigen ihn begleitet? Zum zweiten ist uns auch in den kurzen Ausschussberatungen nicht klar geworden, wie eine Verifizierung dieser Beauftragung erfolgen soll, wenn es etwa zu einem strafrechtsrelevanten Tatbestand kom- men sollte. Der ältere Freund wird sich darauf berufen, von den Eltern beauftragt zu sein, während die Eltern dies ih- rerseits verneinen. Aussage steht gegen Aussage. Sie ent- gegneten uns im Ausschuss auf diese Frage, es ändere sich ja nichts an der Haftung der Eltern. Das ist richtig, macht die Sache aber nicht besser, sondern schlimmer! Denn Sie nehmen die Eltern für etwas ins Obligo, was sich ihrer Ein- flusssphäre eindeutig entzieht. Zweitens. Sie führen im Jugendschutzgesetz den so ge- nannten „parental guide“ ein. Eltern sollen beispielsweise selbst entscheiden können, ob sie ihre achtjährige Tochter mit ins Kino nehmen, obwohl der Film erst ab 12 freige- geben ist. Ich sage ausdrücklich, dass ich diese Einrich- tung vor dem Hintergrund einer Stärkung der Erziehungs- kompetenz der Eltern durchaus für diskutabel halte – freilich, wenn wir zuvor eine Differenzierung der Alters- klassifizierung bei der Freigabe von Filmen vorgenommen hätten, die den unterschiedlichen Entwicklungsstufen von Kindern und Jugendlichen besser als bisher gerecht wird. Aber, wenn wir uns darauf verständigen wollen, ebendie- sen Aspekt der Stärkung der elterlichen Erziehungskom- petenz zu einem neuen Schwerpunkt des Jugendschutzes zu machen, dann müssen Sie diesen Anspruch auch kon- sequent im gesamten Gesetz durchhalten. Mit welcher Be- rechtigung sagen Sie den Eltern, beim Eintritt ins Kino könnt ihr ein bisschen selbst entscheiden, aber beim Ge- nuss von Alkohol und Nikotin und bei der Werbung hier- für wissen wir als Gesetzgeber besser Bescheid, was rich- tig ist? Das passt nicht zusammen. Drittens. Wir können uns trefflich darüber streiten, welchen Einfluss die Werbung insbesondere auf Kinder und Jugendliche hat. Und ich räume offen ein, dass es über die Werberestriktionen für Kinobetreiber, die mit dem neuen Jugendschutzgesetz verbunden sind, auch in der Unionsfraktion unterschiedliche Auffassungen gibt. Aber auch hier gibt es eine Kehrseite der Medaille, die wir auch gewichten müssen. Als ich im Ausschuss darauf hin- wies, dass das Werbeverbot für Alkohol und Nikotin vor 18 Uhr gerade für kleinere Kinos im ländlichen Raum hin- sichtlich der Einnahmeausfälle eine existenzbedrohende Wirkung entfalten könnte, hat mir auch aus den Reihen von Rot-Grün niemand widersprochen. Vielmehr erhielt ich für diese Bemerkung mindestens teilweise sogar zu- stimmendes Kopfnicken. Angesichts der Tatsache, dass die negative Wirkung der Werbung auf Kinder und Ju- gendliche in dieser Vehemenz auch in der Fachliteratur durchaus umstritten ist, stellt sich für mich persönlich schon die Frage, ob dann ein solcher Schritt gerechtfertigt ist. Schließlich stellen wir heute unter anderem den höchs- ten Alkoholmissbrauch insbesondere in den Ländern fest, in denen es über Jahre überhaupt keine einschlägige Wer- bung gab oder gibt. Quintessenz meiner Überlegungen: Sie haben die Chance, das Jugendschutzgesetz umfassend und in geeigneter Weise zu reformieren, vertan, weil Sie sich zu wenig Zeit genommen haben, um gründlich arbeiten zu können. Christian Simmert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Mit der Novelle des Jugendschutzes passen wir die Schutzbestimmungen für Jugendliche der Realität an. Sie wissen so gut wie ich, dass dies keine Reaktion auf Erfurt darstellen kann. Betrachten wir diese furchtbare Tat, wird deutlich, dass die Nachbesserung im Waffenrecht – von den Jugendpolitikern stetig gefordert – notwendig war. Auch für die Schützenvereine und Sportschützen gilt: wer Jugendliche trainiert, muss entsprechend qualifiziert sein. Ich bin froh, dass es bei den Verhandlungen um die wei- tere Verschärfung des Waffenrechts nun endlich auch um dieses Thema geht. Im Bildungsbereich erwarten wir von den Länderkul- turministern zu Recht eine stärkere Vereinheitlichung der Abschlüsse an Schulen. An dieser Stelle möchte ich deut- lich auf Zwischenabschlüssen an den Gymnasien hinwei- sen. Es kann nicht sein, dass wir Jugendliche alleine las- sen, die an einer Schulform scheitern. Da der Jugendschutz nur den Rahmen für Jugendliche vorgibt, sind andere Impulse des Staates und der Gesell- schaft insgesamt, der Familie, der Schule, der Jugendar- beit und auch der Politik aus meiner Sicht von größerer Bedeutung. Der Rahmen, den wir nun zusammen mit den Bundes- ländern setzten, geht davon aus, dass Jugendliche auf der einen Seite eigenverantwortlich handeln können und auf der anderen Seite umfassenden Schutz bekommen. Wir haben mit diesem Grundsatz das Jugendschutzgesetz mo- dernisiert und den wirklichen Lebensverhältnissen von Jugendlichen angepasst. Deshalb stellen wir Jugendlichen zum Beispiel auch volljährige Geschwister oder Freunde zur Seite, wenn sie sich mit 16 in Gaststätten, in Disko- theken oder auch bei Konzerten aufhalten. Die Eltern haf- ten nach wie vor. Hier schaffen wir aber mehr Eigenver- antwortung für Jugendliche. Wir schaffen aber auch mehr Schutz: Wir haben er- reicht, dass die Abgabe von Tabak und Alkohol an unter 16-Jährige in jeder Form verboten ist. Als Erfolg werten wir auch die Selbstverpflichtung der Kinowerber und Ki- nos, bis 18 Uhr keine Tabak- und Alkoholwerbung zu zei- gen. Sie zeigen hier gesellschaftliche Verantwortung, die wir ausdrücklich begrüßen und die wir uns auch von den privaten Rundfunkmedien wünschen würden. Spielhallen und Glücksspiele bleiben weiterhin verboten. Wir haben hier ein Gleichgewicht zwischen Eigenverantwortung und Schutz gefunden. Im Jugendmedienschutz passt sich der Rahmen an den verantwortlichen Umgang auch mit den neuen Medien an. Filme, Videos und Computerspiele werden mit Alters- kennzeichnung versehen und auf jugendgefährdende In- halte hin geprüft. Gewaltverherrlichung und Pornografie in jeglichen Medien, also auch im Internet, dürfen für Ju- gendliche nicht zugänglich sein und werden bestraft. Wir können uns überlegen, ob Erwachsene auf solche Dar- stellungen nicht auch verzichten können. Denn Jugendli- che orientieren sich stärker an dem, was ihnen vorgelebt wird, als an gesetzlichen Regelungen. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Juni 200224528 (C) (D) (A) (B) Wir setzen bei der Kontrolle und Ahndung in diesem Bereich stark auf die freiwillige Selbstkontrolle der Inter- netbetreiber. Diese arbeiten eng mit der Bundesprüfstelle und den Landesbehörden zusammen. Dadurch beschleu- nigt sich der Prozess der Indizierung, da künftig auch Ju- gendbehörden und Verbände auf jugendgefährdende Dar- stellungen hinweisen können. Diese Hinweise müssen berücksichtigt werden. Auch die neu geschaffenen Auf- sichtsstellen der Länder gewähren eine stärkere Kon- trolle; denn viele Augen sehen mehr als vier. Den Eltern geben wir für das Internet nutzerautonome Filtersysteme an die Hand, die den Zugang für Kinder und Jugendliche zu jugendgefährdenden Websites verhindern können. Ebenfalls haben Eltern mit dieser Novellierung die Möglichkeit, mit ihren Kindern im Kino Filme zu se- hen, die für eine andere Alterstufe gekennzeichnet sind. Damit fördern wir die Auseinandersetzung in der Familie über die Medieninhalte. Der Rahmen für einen modernen Jugendschutz ist also gesteckt. Um Kinder und Jugendliche in ihrer Entwicklung zu fördern und um sie ernst zu nehmen, ist Politik jedoch weiterhin gefragt. Wir müssen am Prinzip der Generatio- nengerechtigkeit festhalten. Das beginnt bei der Beseiti- gung der Kinderarmut – Sie kennen unser grünes Konzept der Kindergrundsicherung – und zieht sich durch den Be- reich der Betreuungsangebote in Kindergärten und Schu- len bis hin zu einer Ausbildungsplatzgaranie, die wir mit der Verstetigung des JUMP-Programmes erreichen wol- len. Die Gesellschaft fordert von den Jugendlichen soziale Kompetenz, Medienkompetenz, interkulturelle Kompe- tenz, naturwissenscaftliche Kompetenz. Ich könnte diese Aufzählung noch lang fortführen. Aber wo bieten wir den Jugendlichen Lernorte an? Zahlreiche Jugendprojekte und Verbände arbeiten in diesem Bereich ständig von Fi- nanzierungssorgen geplagt. Besonders in den neuen Bun- desländern fällt die Finanzknappheit auf den Kinder- und Jugendbereich zurück. Ich frage uns alle ernsthaft, ob wir uns dieses Signal wirklich wünschen. Ich glaube das nicht. Deshalb lassen Sie uns alle gemeinsam um nicht nur für ein besseren Jugendschutz, sondern auch für eine bessere finanzielle Ausstattung im Kinder- und Jugendbe- reich einsetzen! Ingrid Fischbach (CDU/CSU): Zu Beginn meiner Rede möchte ich noch einmal ganz deutlich machen, worin wir uns hier fraktionsübergreifend einig sind. Wir wollen und müssen unsere Kinder und Jugendlichen stär- ken und schützen, deshalb ist eine Novellierung des Ju- gendschutzes, vor allen Dingen des Jugendmedien- schutzes dringend geboten. Der Jugendschutz muss seinem eigentlichen Auftrag, nämlich dem Schutz der Ju- gend wieder stärker gerecht werden. Bei der furchtbaren Tat von Erfurt handelt es sich zwar um eine Einzeltat, de- ren Beweggründe und auch Gesamtursachen zurzeit noch nicht abschließend bewertet werden können. Da sich aber die Zeitabstände zwischen einzelnen schrecklichen Vor- fällen immer stärker verkürzen, muss man feststellen, dass es sich doch auch um ein gesellschaftliches Problem handelt. Daher werden wir uns auch einig sein – davon bin ich überzeugt – dass wir gemeinsam eine breite Allianz aufstellen müssen gegen die hemmungslose Darstellung von Gewalt in den Medien, im Internet, in Computerspie- len und, und, und. Wir alle müssen Jugendliche gegen Gewalt stark ma- chen. Die Erziehung der Kinder durch die Eltern hat da- bei für uns höchste Priorität. Eltern übernehmen mit der Erziehungsaufgabe eine große Verantwortung und leisten einen außerordentlichen Beitrag für unser aller Zusam- menleben. Deshalb müssen wir Mütter und Väter unter- stützen und sie in ihrer Erziehungskompetenz stärken. Das hat für die CDU/CSU-Bundestagsfraktion vorrangige Bedeutung und deshalb ist die dritte Säule unseres Fami- lienkonzeptes ausschließlich der Stärkung der Erzie- hungskompetenz der Eltern gewidmet. Wir sind davon überzeugt, dass feste innerfamiliäre Beziehungen Jugend- liche in ihrem Selbstwertgefühl stärken und ihr Selbstbe- wusstsein aufbauen. Wir müssen für unsere Kinder und Jugendlichen dafür sorgen, dass Information und Kommunikation frei sind von Manipulation, extremistischen Tendenzen, sozialer Einseitigkeit und Ausgrenzung. Medienverantwortung heißt für uns insbesondere Verantwortung für den gesell- schaftlichen Zusammenhalt, bedeutet aber auch Verant- wortung für die Vermittlung von Normen, Denk- und Ver- haltensmustern, die mit unserer Gesellschafts- und Sozialordnung in Einklang stehen. Dabei müssen wir auch auf das Spannungsverhältnis hinweisen, in dem un- sere Kinder und Jugendlichen heute stehen. Auf der einen Seite haben wir ihre Interessen, die natürlich berechtigt sind und auch gefördert werden müssen, auf der anderen Seite aber auch die Anforderungen einer modernen Infor- mations- und Kommunikationsgesellschaft. Für uns ist es wichtig, unserer Jugend nicht nur Verbote entgegenzuhal- ten und die modernen Medien zu verteufeln, sondern wir müssen ihnen die Chancen und Möglichkeiten der neuen Medien eröffnen, damit sie diese für ihre persönliche Ent- wicklung nutzen können. Nur so können unsere Kinder ein selbstbestimmtes Leben leben. Deshalb muss die Stär- kung der Medienkompetenz – sowohl der Kinder als auch der Eltern – für uns oberste Priorität haben. Selbst Rot-Grün hatte dies im Koalitionsvertrag der Bundesregierung zur Jugendpolitik schriftlich fixiert; lei- der sieht die Realität nach vier Jahren Rot-Grün anders aus. Sie haben die dringenden Probleme des Jugend- schutzes und Jugendmedienschutzes bisher nicht gelöst, obwohl wir von der Union bereits zu Beginn der Legisla- turperiode eine Novellierung des Jugendmedienschutzes auf nationaler und internationaler Ebene gefordert haben. Sie sind leider erst – und das muss ich sagen – durch Er- furt aufgeschreckt worden, sodass Sie nun handeln. Ich meine, Sie handeln überhastet, denn es gibt noch Klärungsbedarf, das haben uns die Anhörungen gezeigt. Nicht alles, was und wie Sie es jetzt gesetzlich regeln,. stößt auf Zustimmung. Deshalb hatten wir darum gebeten, dass wir die Anhörungsergebnisse in Ruhe auswerten können, um das Jugendschutzgesetz jetzt so zu novellie- ren, dass es eine echte Novellierung ist und nicht wieder in kürzester Zeit nachgebessert werden muss. Sie haben uns diese Möglichkeit nicht gegeben. Zwischen An- hörung und abschließender Beratung im Ausschuss hatten wir nur zwei Tage Zeit, um die Auswertung der Anhörung Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Juni 2002 24529 (C) (D) (A) (B) vorzunehmen und zu reagieren – einfach zu wenig. Sie selber scheinen ja auch noch Beratungsbedarf zu haben. Denn wie sonst ist der heute vorliegende Entschließungs- antrag zu verstehen? Wenn ich an den ersten Entwurf denke, dann ist festzustellen, dass Sie nach der öffentli- chen Diskussion von einigen wesentlichen Forderungen abgewichen sind. Ich nenne hier nur die Lockerung der Ausgehzeiten. Der nun von Ihnen vorgelegte Gesetzentwurf genügt – nicht nur nach unserer Meinung, sondern auch nach der vieler Sachverständiger – den Anforderungen an ein über- sichtliches, organisiertes und vernetztes Schutzsystem mit eindeutigen Zuständigkeitsregelungen für Jugend- ämter, Ordnungsämter, Gewerbeaufsichtsämter und Poli- zei, auf das sich die Eltern auch verlassen können. So hat- ten wir Ihnen Änderungsvorschläge gemacht, zum Beispiel § 7, in dem es um jugendgefährdende Veranstal- tungen und Betriebe geht. Wir wollten diesen konkreter fassen. Sie haben unsere Vorschläge leider nicht ange- nommen. Die zuständigen Behörden hätten durch diese Klarstellung eine erleichterte Handhabung für den Voll- zug. Sie sagen aber Nein. Der gesamte Bereich der personensorgeberechtigten und erziehungsberechtigten Personen muss deutlicher ge- klärt werden. Ich möchte hier noch einmal erwähnen, dass die Notwendigkeit besteht, die Erziehungsberechtigung auf Dauer oder zeitweise übertragen zu können. Aber nach dem Entwurf – das ist unser Knackpunkt – ist es möglich, die Erziehungsberechtigung auf den volljähri- gen Freund oder die volljährige Freundin des Kindes oder des Jugendlichen zu übertragen. Ich glaube, dass nach ei- nem modernen Partnerschaftsverständnis in einer Bezie- hung nicht ein Partner die Erziehungsberechtigung über den anderen ausüben kann, wie zum Beispiel dann bei Freund und Freundin möglich. Die CDU/CSU-Fraktion freut sich, dass Sie doch den einen und anderen Gedanken von uns aufgenommen ha- ben, so zum Beispiel bei der Notwendigkeit der Regelung zum Jugendmedienschutz auf internationaler Ebene. Auch die Stärkung der Medienkompetenz kommt in Ihrem Antrag vor, ebenso Prüfaufträge. Ich persönlich hätte mir gewünscht – das hätten wir, wenn wir mehr Zeit gehabt hätten, auch leisten können – dass wir uns im Be- reich der Altersfreigabe noch einmal Gedanken hätten machen können. Es wäre meines Erachtens wichtig ge- wesen. Nichtsdestotrotz werden wir uns heute bei der Ab- stimmung enthalten, weil wir die Notwendigkeit einer Re- form sehen. Klaus Haupt (FDP): Schon seit Jahren wird über die Notwendigkeit eines verbesserten gesetzlichen Jugend- schutzes diskutiert. Aber erst jetzt, mitten im Vorwahl- kampf, hat die Ministerin plötzlich das Thema für sich ent- deckt. Die Hektik, mit der Jugendministerin Bergmann innerhalb weniger Sitzungstage am Ende der Legislatur- periode das Jugendschutzgesetz durch die Gremien brin- gen will, ist unangemessen. Durch den unsinnigen Ter- mindruck wird eine sachlich fundierte Beratung verhindert. Das schwächt den Jugendschutz, statt ihn zu stärken. Es sollte aufgrund aktueller, tragischer Ereignisse nicht dazu kommen, dass wesentliche Änderungen im Eil- verfahren durchgesetzt werden, ohne die notwendige Bandbreite an Expertenmeinungen anzuhören. Eine brei- tere wissenschaftliche Basis für die Gesetzesnovelle, die zudem mit internationalen Regelungen verzahnt werden muss, wäre erforderlich; denn für eine Reform des gesetz- lichen Jugendschutzes ist Sorgfalt das wichtigere Gebot als Eile. Doch das übereilte Gesetzgebungsverfahren fand und findet nun – wie im Wahljahr zu erwarten – in einer Atmo- sphäre großer Emotionalität statt, in der Sachargumente nur teilweise angemessen zu diskutieren waren. Der Gesetzentwurf enthält begrüßenswerte Elemente. Beispielsweise kann die Alterskennzeichnung von Com- puterspielen den Eltern bei der schwierigen Entscheidung helfen, was sie ihren Kindern zumuten wollen und was nicht. Die erweiterten Kompetenzen der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien können helfen, effektiver gegen solche Gefährdungen vorzugehen. Wesentliche Punkte des Jugendmedienschutzes sind gemeinsam mit den Ländern erarbeitet worden. Zersplitterte Jugend- schutzregelungen werden nun in einem Gesetz zusam- mengefasst, manche Kompetenzunklarheiten beseitigt und Schwachpunkte in den bisherigen Regelungen besei- tigt. Das Verbot der Abgabe von Tabakwaren analog zum Alkoholverkaufsverbot ist systematisch wie sachlich sinnvoll und war überfällig. Der notwendige gesetzliche Jugendschutz darf nicht einzig und allein von dem Ziel geprägt sein, Kinder und Jugendliche vor Gefährdungen zu schützen. Zu berück- sichtigen ist vielmehr auch das Recht der Kinder und Ju- gendlichen auf ihre eigene Kultur, auf kindgerechte Me- dien und Medieninhalte. Der notwendige Jugendschutz einerseits ist abzuwägen gegen die andererseits für eine Kompetenzentwicklung erforderlichen Freiheiten der Kinder und Jugendlichen. Der Gesetzentwurf der Bun- desregierung enthält insofern neben guten Ansätzen vie- les, was handwerklich schlecht gemacht ist, und manches, was politisch bedenklich ist. Einige Punkte hat die Bundesregierung mit ihren nach- geschobenen Änderungsanträgen zum eigenen Gesetzent- wurf noch in letzter Minute ausgebessert so zum Beispiel die außerordentlich fragwürdige Idee, Kinowerbung für Alkohol und Tabak der Altersgrenzenregelung zu unter- werfen. Schon in der ersten Lesung habe ich dies kriti- siert; ich begrüße, dass die Regierung jetzt zur Vernunft gekommen ist und unseren Vorschlag, weiterhin mit einer Zeitgrenze zu arbeiten, übernommen hat. Allerdings: Die bisherige Selbstverpflichtung, wonach es im Nachmit- tagsprogramm keine solche Werbung zu sehen gab, hat sich durchaus bewährt. Eine gesetzliche Regelung einzu- führen, wo sich bisher nach einhelliger Auffassung die freiwillige Selbstbeschränkung der Filmwirtschaft be- währt hat, ist unsinniger Aktionismus. Diese Regelung zeugt von einem Menschenbild, das den Akteuren in der Gesellschaft nichts und der staatlichen Bürokratie alles zutraut. Wir Liberalen lehnen das ab. Die Systematik der Altersgruppendifferenzierung im Rahmen der FSK konnte in dem übereilten Gesetzge- bungsverfahren leider nicht problematisiert werden. Die FDP ist der Auffassung, dass sich Kinder im Alter zwi- schen 6 und 12 Jahren erheblich stärker verändern und entwickeln als im Alter zwischen 16 und 18 Jahren. Dem- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Juni 200224530 (C) (D) (A) (B) entsprechend wäre eine zusätzliche Altersgrenze zwi- schen 6 und 12 Jahren zu diskutieren. Die FDP-Bundestagsfraktion macht mit ihrem Ent- schließungsantrag deutlich, dass neben diesen Punkten viele handwerkliche Schwächen, insbesondere unklare Formulierungen und Definitionen, die Qualität der No- velle beeinträchtigen. Wir denken dabei an die Frage, wie die erziehungsbeauftragte Person ihren Auftrag darzule- gen hat, oder die Präzisierung der Begriffe der Informati- ons-, Instruktions- und Lehrfilme, die ebenso wie der Be- griff der Jugendbeeinträchtigung im Gesetz noch zu wenig genau sind. Rechtliche Regelungen zum Jugendschutz können nie mehr, als einen Beitrag dazu leisten, dass die Gesellschaft als Ganzes Kinder und Jugendliche vor Gefährdungen schützt. Damit der gesetzliche Jugendschutz diese Auf- gabe wirkungsvoll erfüllen kann, braucht es ein breites Engagement aller für das Aufwachsen der jungen Gene- rationen verantwortlichen Instanzen. Dazu gehört die Ver- antwortung aller – nicht nur der staatlichen Stellen – für den Schutz der Jugend. Die Medien müssen ihre Rolle, ihre Verantwortung in diesem Zusammenhang neu überdenken: Exzessive und hochemotionale Berichterstattung von allen Arten von Gewalttaten sind zwar ein Garant für hohe Einschaltquo- ten. Gewalt darf aber kein probates Vehikel sein, in den Medien Resonanz zu finden. Wenn Kinder und Jugendli- che in den Medien exzessive Gewalt als erfolgreiches Mittel zur Erzielung von Aufmerksamkeit erfahren, wenn sie erleben, dass Gewalt sich lohnt, wird es schwer, sie vom Gegenteil zu überzeugen. In diesem Zusammenhang ist die Entwicklung und Stärkung der Medienkompetenz von Eltern und Kindern unabdingbar. Denn bei aller Kritik an Staat oder Medien: Die eigene Verantwortung jedes Einzelnen darf nicht aus dem Blickfeld geraten. Wissen Eltern immer, was Ihre Kinder gerade am Computer spielen? Wollen Sie es über- haupt wissen? Ist es nicht eine scheinbar einfache Lösung, Kinder mit Fernsehen und Computerspiel zu beschäfti- gen? Machen sich Lehrer immer ausreichend Gedanken über ihre Problemschüler? Können Sie das angesichts ih- rer sonstigen Arbeitsbelastung überhaupt? Unsere Kinder brauchen – auch im Jugendalter – un- sere Zuwendung und Wärme und viel Verständnis, nicht nur in Momenten schrecklicher Ereignisse. Wie oft bet- teln sie stumm oder schreien laut nach Zuwendung – und wie oft bleiben sie im lärmenden Getriebe des Alltags un- gehört! Die Antwort auf solche Fragen ist viel schwieri- ger und unangenehmer als die Forderung nach der Ände- rung von Gesetzen. Jeder muss sich dieser Verantwortung stellen. Angela Marquardt (PDS): Der vorliegende Gesetz- entwurf zum Jugendschutz ist durch den Änderungsan- trag der Koalition besser geworden. Gut ist er deshalb aber noch nicht. Wir sehen durchaus eine Reihe vernünf- tiger Ansätze, halten aber das Gesetz für nicht ausgereift. Ich bin vor allem froh, dass der Änderungsantrag der Koalition ganz viel von der Kritik berücksichtigt, die bei der Anhörung im Familienausschuss von Sachverständi- gen geäußert wurde. Wir erleben leider viel zu selten, dass man das Urteil der eingeladenen Sachverständigen dann auch tatsächlich zum Anlass für Änderungen nimmt. Ich bin zwar nach wie vor nicht glücklich darüber, dass Sie in dem Gesetz auf Filtersoftware setzen. Gut ist aber, dass Sie ihre Ambitionen nun zumindest auf so genannte nutzerautonome Filter eingeschränkt haben. Schade ist hingegen, dass als Beisitzer für die Bundes- prüfstelle für jugendgefährdende Medien nach wie vor In- teressenvertreter der Jugendlichen so gut wie gar nicht vorkommen. Wo ist zum Beispiel die Deutsche Jugend- presse, wie es die Vertreterin der Bundesschülervertre- tung in der Anhörung vorgeschlagen hat? Ich finde es ganz wichtig, Jugendliche an sie betreffenden Entschei- dungen zu beteiligen. Verantwortungsbewusste Jugendli- che bekommt man nur, wenn man ihnen auch Verantwor- tung überträgt, nicht wenn man sie bevormundet. Und verantwortungsbewusste Jugendliche sind immer noch der beste Jugendschutz. Ich sage Ihnen auch, was für den Jugendschutz am Schlechtesten ist: Wenn Interessenvertreter und Lobbyis- ten die Hand führen. Ich habe bei der Anhörung gefragt, weshalb man im Kino Alkoholwerbung vor 18 Uhr ver- bieten will, während jede Sportübertragung von Bierwer- bung eingerahmt ist und Alkoholreklame jedes zweite Fußballertrikot schmückt? Ist Werbung im Kino etwa schädlicher, als wenn sie Tag für Tag im Fernsehen läuft? Eine Studie, in der das behauptet wird, müssen Sie mir erst einmal zeigen. Ich bekam in der Anhörung die einzig logische Ant- wort, nämlich dass dies wohl eine Frage der Lobby sei, wer sich da besser durchsetzen könne als andere. Wohl- gemerkt: durchsetzen gegenüber der Politik, gegenüber uns! Mit diesem Gesetzentwurf macht sich der Bundestag zum Spielball verschiedener wirtschaftlicher Interessen, und zwar auf Kosten der Jugendlichen. Lassen Sie mich als Letztes noch zwei Kritikpunkte der Bundesschülervertretung aus der Anhörung vortragen. In § 5 Abs. 2 heißt es, die Anwesenheit von Jugendlichen un- ter 16 Jahren auf Tanzveranstaltungen sei Ausnahmsweise doch bis 24 Uhr gestattet, wenn es sich um Brauchtums- pflege handele. Was, bitte, soll denn das sein? In Diskos dürfen Jugendliche nicht, aber aufs Oktoberfest? Sie dür- fen also ausgerechnet auf Feste, die ganz auf Erwachsene und dementsprechend auf drastischen Alkoholkonsum ausgerichtet sind. Das ist gelinde gesagt Unfug und ver- antwortungslos. Und noch eine Bemerkung der Schülersprecherin möchte ich mir hier zu Eigen machen: Gewalt, das ist nichts, was einem nur in den Medien begegnet, sondern vor allem tagtäglich im realen Leben. Es war diese Bun- desregierung selbst, die Gewalt und sogar Kriege als Mit- tel zur Konfliktbewältigung wieder salonfähig gemacht hat. Der Kampf gegen die Bilder von Gewalt und gegen die Bilder von Kriegen muss für Jugendliche dann natür- lich recht unglaubwürdig erscheinen. Und mir erscheint das auch so. Dr. Christine Bergmann, Bundesministerin für Fa- milie, Senioren, Frauen und Jugend: Mit dem Entwurf Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Juni 2002 24531 (C) (D) (A) (B) des neuen Jugendschutzgesetzes, den wir heute in zweiter und dritter Lesung beraten, reagieren wir auf die Ent- wicklungen, die durch die neuen Medien entstanden sind, und setzen einen neuen Rahmen für die Zusammenarbeit von Bund und den Ländern. Bund und Länder sind sich im Hinblick auf den Be- reich der Informations- und Kommunikationsdienste ei- nig, dass die derzeitige Medienordnung zahlreiche Schwachpunkte aufweist und einer dringenden Novellie- rung bedarf. Der Gesetzentwurf setzt die mit den Minis- terpräsidenten aller Bundesländer vereinbarten Eck- punkte um und schafft zugleich die gesetzliche Grundlage dafür, dass die Länder den elektronischen Medienbereich umfassend in einem Staatsvertrag regeln können. Das heißt, das neue Jugendschutzgesetz ist Voraussetzung dafür, dass die Länder ihren Entwurf eines Jugendme- dienschutz-Staatsvertrages verabschieden können. Und auch die Länder sind an einem schnellen In-Kraft- Treten der gesamten Reform der Medienordnung im Be- reich des Kinder- und Jugendschutzes interessiert. So fin- det noch in diesem Monat im Auftrag aller Länder die Anhörung zu dem Staatsvertragsentwurf in Berlin statt. Zu einem Zeitpunkt, wo Bund und Länder im Interesse eines effektiven Kinder- und Jugendmedienschutzes an einem Strang ziehen, hätte ich mir gewünscht, dass auch die Opposition an diesem Strang zieht. Sie hat sich in den Ausschuss-Sitzungen der Stimme enthalten, also nicht mitgemacht. Dabei ist es für den Schutz unserer Kinder und Jugendlichen dringend erfor- derlich, zu Handeln und nicht lediglich still zu halten. Die tragischen Ereignisse in Erfurt haben gezeigt, dass auch die Politik aufgerufen ist, schnellstmöglich zu handeln. Ich fordere sie deshalb nochmals auf, ihre Haltung zu dem Gesetzentwurf zu überdenken und bei dem gemeinsamen Vorgehen von Bund und Ländern mitzumachen. Niemand kann ernsthaft bestreiten, dass der Gesetz- entwurf für die Durchsetzung eines effektiven Kinder- und Jugendschutzes wesentliche Verbesserungen bringt. Deshalb will ich, als Jugendministerin hier noch einmal klar betonen: Wir brauchen dieses neue Jugendschutzge- setz. Wir werden dadurch die Sphäre des Aufwachsen un- serer Kinder und Jugendlichen besser schützen, ohne sie von der Welt abzuschotten. Klar muss sein: Die Vorstellung und Wahrnehmung un- serer Kinder und Jugendlichen darf nicht von verherrli- chenden Gewaltdarstellungen überflutet werden. Deshalb ist es besonders wichtig, dass für Computerspiele eine ge- setzliche Alterskennzeichnungspflicht eingeführt wird. Die Notwendigkeit einer verbindlichen Alterskennzeich- nung zeigt sich insbesondere beim Computerspiel „Coun- ter-Strike“. Die freiwillige Selbstkontrolle der Wirtschaft, die USK, hatte die amerikanische Originalversion zwar als „Nicht geeignet unter 18 Jahren“ eingestuft. Da es sich jedoch bei der USK-Kennzeichnung nach der derzeitigen Rechtslage lediglich um eine Empfehlung ohne jede ge- setzliche Verbindlichkeit handelt, können die Jugendäm- ter nichts dagegen unternehmen, wenn Jugendlichen der Zutritt zu LAN-Partys, auf denen dieses Computerspiel gespielt wird, gewährt wird. Dies muss geändert werden und das wird geändert. Mit dem neuen Jugendschutzgesetz ist die Alterskenn- zeichnung rechtlich verbindlich, Verstöße haben klare Rechtsfolgen. Die Jugendämter haben die Möglichkeit, hier Bußgelder bis zu 50 000 Euro zu verhängen. Wichtig ist auch, dass das Indizierungsverfahren bei der Bundes- prüfstelle für jugendgefährdende Medien – wie diese zukünftig heißt – neu geregelt wird. Sie kann zukünftig auch ohne Antrag auf Anregung von Jugendverbänden tätig werden. Überdies wird ihre Zuständigkeit über die herkömmlichen Medien hinaus auf den Bereich aller neuen Medien ausgedehnt. Zudem wird der Katalog der Trägermedien, die schwer jugendgefähr- dend sind, insbesondere im Hinblick auf Gewaltdarstel- lungen erweitert. Und: Schon ohne Indizierung durch die Bundesprüfstelle werden Trägermedien, die den Krieg verherrlichen, die Menschen in einer die Menschenwürde verletzenden Weise darstellen oder Jugendliche in ge- schlechtsbetonter Körperhaltung zeigen, mit weit rei- chenden Abgabe-, Vertriebs- und Werbeverboten belegt. Wichtig im Interesse unserer Kinder und Jugendlichen sind überdies die Regelungen zum Gesundheitsschutz. Das Verbot der Tabakabgabe an Kinder und Jugendliche unter 16 Jahren wird schon seit vielen Jahren von Kinder- und Jugendschützern gefordert. Im Gesetzentwurf wird diese berechtigte Forderung endlich umgesetzt. Darüber hinaus wird die Kinowerbung für Alkohol und Tabak zeitlich beschränkt. Wir haben uns jetzt darauf geeinigt, dass diese Werbefilme vor 18 Uhr im Kino nicht gezeigt werden dürfen. Ich denke, diese Rege- lung ist vernünftig. Nach 18 Uhr sind nach Untersuchun- gen nur 1,4 Prozent der Besucher jünger als 16 Jahre. Angesichts der globalen Vernetzung kann und darf es nicht allein bei nationalen Regelungen bleiben. Die Bun- desregierung setzt sich deshalb für die Schaffung europa- weiter und auch weltweiter Mindeststandards des Kinder- und Jugendmedienschutzes ein und hat hierzu schon We- sentliches beigetragen. Jedoch kann die Notwendigkeit für internationale Re- gelungen zum Jugendmedienschutz nicht dazu führen, dass national kein gesetzlicher Kinder- und Jugendschutz mehr betrieben wird. Auch das Internet kann und darf kein rechtsfreier Raum sein. Manche sprechen dem Staat jegliche Legiti- mation ab, auf das weltweite Computernetz Einfluss aus- zuüben. Das ist nicht meine Sicht der Dinge. Der Staat ist und bleibt verpflichtet, die Rechte seiner Bürgerinnen und Bürger vor denjenigen schützen, die dieses System miss- brauchen. Rechtsfreie Räume sind nicht akzeptabel. Geschützte Rechtsgüter wie der Kinder- und Jugendmedienschutz, der in unserer Verfassung verankert ist, dürfen in einer im- mer mehr vernetzten Welt nicht aufgegeben werden. Un- sere Richtschnur ist klar: Was offline rechtlich üblich ist, das muss auch für den Onlinebereich gelten. Wir wissen, dass staatlicher Jugendschutz allein nicht ausreicht: Wir dürfen nicht aus den Augen verlieren, dass Kinder und Jugendliche, aber auch Eltern und Erzieher Beratung und Unterstützung im Umgang mit den Medien brauchen. Kompetenz im Umgang gerade mit den neuen Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Juni 200224532 (C) (D) (A) (B) Medien tut Not. Deshalb werden wir die Angebote für Fa- milien erweitern, sich auch über neue Medien besser und umfassender zu informieren. Die Selbstkontrolle der Computerwirtschaft wird im August die verabredete In- ternetseite zur Verfügung stellen, auf der sich Eltern über Inhalte, Vorzüge und Gefahren von Computerspielen in- formieren können. Der Kinder- und Jugendschutz kann nur erfolgreich sein, wenn wir in unserer Gesellschaft eine breite Allianz gegen Gewalt haben. Gewalt muss in unserer Gesellschaft in jeder Form geächtet werden. Das beginnt in der Fami- lie und in den Schulen. Eine gewaltfreie Erziehung, das Erlernen von friedlichen Konfliktlösungen, ist die beste Grundlage für das Aufwachsen von Kindern. Diese Politik hat die Bundesregierung in den letzten knapp vier Jahren verfolgt. Ich möchte mich bei allen Beteiligten für das außerge- wöhnlich zügige Gesetzgebungsverfahren bedanken. Das zeigt auch, dass hier im Deutschen Bundestag die Interessen von Jugendlichen und ihren Eltern sehr ernst genommen werden. Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Entwürfe eines Gesetzes zur Regelung der Preisbindung bei Verlagserzeug- nissen (Tagesordnungspunkt 34) Monika Griefahn (SPD):Die Buchpreisbindung trägt seit über 100 Jahren dazu bei, dass im deutschsprachigen Kulturraum eine große Titelvielfalt und flächendeckende Versorgung möglich ist – 90 Prozent des Marktes in Deutschland und Österreich sind von der Preisbindung er- fasst. So soll es auch bleiben. Die bislang auf vertraglicher Basis geregelte Preisbindung bei Verlagserzeugnissen bekommt deshalb jetzt eine verlässliche gesetzliche Grundlage. Das schafft für alle Beteiligten Vorteile. Die Regelung ist für jeden Interessierten zugänglich und die Formulierungen sind leicht verständlich. Ich werde später näher auf die einzelnen Bestimmungen eingehen. Dieser Doppelcharakter des Buches wurde in der De- batte über die Aufhebung der Buchpreisbindung deutlich. Für ein Kulturgut von so überragender Bedeutung, wie es das Buch ist, passen die europäischen Regelungen über den Warenverkehr nicht ohne Modifizierung. Beim Buch sind die kulturellen wie die sozialen Komponenten zu be- achten. Ohne eine Preisregulierung geraten auf der einen Seite kleine Sortiments- und Spezialbuchhandlungen in Gefahr, aber insbesondere die Buchhandlungen in der Fläche, die neben der Funktion als Buchverkaufsstelle auch Kommunikations- und Treffpunkt sind sowie eine pädagogische Aufgabe wahrnehmen, nämlich zum Bei- spiel Kinder ans Lesen heranzuführen. Auf der anderen Seite führt ein entgleistes Preisgefüge, das sich aus- schließlich an Markterfordernissen orientiert, auch dazu, dass viele Kunden sich Bücher einfach nicht mehr leisten können. Das darf nicht sein. Deshalb müssen für Bücher andere Regeln gelten. Wie kam es überhaupt zu der Kontroverse über die Buchpreisbindung? Die Europäische Kommission hatte nach dem Beitritt Österreichs zur Europäischen Union die grenzüberschreitende Regelung zur Buchpreisbindung zwischen Österreich, der Schweiz und Deutschland, die auf vertraglicher Basis getroffen worden war, kritisiert. Sie argumentierte, diese Regelung stelle eine unzulässig wettbewerbsbeschränkende Maßnahme dar. Das Europä- ische Parlament hat dieser Auffassung der Kommission bereits widersprochen. Das Europäische Parlament will das Kulturgut Buch weniger unter Wettbewerbsrecht be- handelt sehen, sondern hat sich vielmehr auf den so ge- nannten Kulturartikel des Maastrichter Vertrages berufen, der die EU-Mitgliedstaaten berechtigt, nationale Kultur- politik zu betreiben. Das Europäische Parlament stellt da- mit die kulturelle Dimension des Buches in den Vorder- grund. Das ist eine wichtige und die richtige Schwerpunktset- zung. Bücher können und dürfen nicht wie jedes andere Handelsgut im Warenverkehr behandelt werden. Denn das Buch dient als Kommunikationsmittel von Sprachen und Dialekten. Dadurch trägt es zur Integration von ho- mogenen Sprachräumen bei fördert regionale Integration von europäischen Kulturräumen und präsentiert gleich- zeitig die kulturelle Vielfalt Europas. Es eignet sich zur grenzüberschreitenden Verbindung solcher Kulturräume, wie ihn auch der große deutschsprachige Raum darstellt. Der europäische Einigungsgedanke wird durch den kultu- rellen Austausch vorangetrieben unter anderem eben auch und gerade durch die Verbreitung von Literatur in den Landessprachen und in guten Übersetzungen. Die grenz- überschreitende Buchpreisbindung ist ein unverzichtba- res Mittel und Instrument europäischer Kultpolitik, das die europäische Integration im Sinne einer Vertiefung be- fördern kann. Im Übrigen ist die Preisbindung von Verlegern, Auto- ren und Buchhändlern gleichermaßen als sinnvoll aner- kannt worden. Bei Wegfall der Buchpreisbindung könn- ten kleinere und mittlere Verlage im Wettbewerb nicht überstehen. Beispiel England: Es ist zwar nicht unbedingt das große Massensterben eingetreten, aber die Bücher sind nicht billiger geworden, sondern in der Regel hat die Qualität nachgelassen. In den USA findet man in der Fläche neben den Universitätsbuchhandlungen allenfalls Bestseller im schlichten Paperback. Die heutige Versorgung mit Buchhandlungen in Deutschland ist so gut, dass auch abgelegene Gebiete er- reicht werden. Damit ist die „geistige Versorgung“ der Bevölkerung gewährleistet. Bei Wegfall der Preisbindung könnte es zu einem Konzentrationsprozess im Markt kommen, bei dem sich letztlich nur die großen Ketten durchsetzen. Solche Tendenzen können wir schon heute beobachten und hier gilt es – soweit das möglich ist – ge- genzusteuern. Die Vielfalt der literarischen Versorgung der Bevölkerung mit „geistigen Tankstellen“, so Helmut Schmidt, wäre sonst auf Dauer gefährdet. Dadurch unterstützen wir auch kleine und speziali- sierte Verlage – übrigens auch schönere Ausstattungen, Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Juni 2002 24533 (C) (D) (A) (B) die die sinnliche Ausstrahlung des Kulturgutes Buch aus- machen! –, die Arbeitsplätze schaffen und erhalten und die Vielfalt bewahren helfen. Es geht hier auch um ver- schiedene Formen des Angebotes von Büchern. Die Käu- fer von Büchern sind so unterschiedlich wie die Titel. Viele möchten einfach nicht in einer großen, anonymen Massenbuchhandlung ohne intensive persönliche Bera- tung ihre Einkünfte tätigen. Sie brauchen die persönliche Ansprache, das Gespräch und die über lange Zeit ge- wachsene Bindung an ihre Buchhandlung. Ein anderer Bereich sind die kleinen Wissenschafts- und Universitäts- verlage, wie sie etwa auch in den USAexistieren. Sie sind für unsere wissenschaftliche Zukunft erforderlich. Auch eine ausgefallene und wenig „Main-Stream-lastige“ Pro- motion muss einen Verlag finden können, der ihre Veröf- fentlichung mit wenig Aussicht auf Profit – nur mit der Möglichkeit der Mischkalkulation und dem Hoffen auf Bestseller geht dies auf – übernimmt. Zum Schluss noch einige Worte zu den einzelnen Re- gelungen. Das Gesetz schafft eingeschränkte Ausnahme- regelungen. So sind verschiedene Endpreise für die so ge- nannten Parallelausgaben, das heißt für Titel, die in unterschiedlicher Ausstattung – Taschenbuch/Hardcover – und/oder für verschiedene Destinatäre – freier Buchhan- del/Buchclubs – erscheinen, zulässig. Klargestellt wird, dass grundsätzlich Zwischenbuchhändler und Letztver- käufer gleich behandelt werden; in besonderen Fällen je- doch, wenn sich die Letztbuchhändler ganz intensiv für ei- nen Titel eingesetzt, sind ausnahmsweise höhere Rabatte als üblich für diese Letztverkäufer zulässig. Die Sorgen der Kommunen und der kleineren Buchhandlungen dort haben wir berücksichtigt. Es bleibt auch in der gesetzlichen Rege- lung bei der Zulässigkeit von Preisnachlässen für Sammel- bestellungen bei Büchern für den Gebrauch im Schulun- terricht. Der Bitte der Hörbuchbranche, Hörbücher nicht in die Regelung einzubeziehen, haben wir entsprochen. Somit stimmen wir heute über ein sinnvolles, ausge- wogenes und aufgrund der europarechtlichen Vorgaben erforderliches Gesetz ab. Ich bin dankbar, dass auch und gerade in Zeiten des Wahlkampfes alle Fraktionen im Ausschuss für Kultur und Medien diesem Gesetz zustim- men. Das zeigt die konstruktive Zusammenarbeit gerade in diesem in dieser Legislaturperiode neu eingerichteten Ausschuss, für den ich mich als Vorsitzende bedanke. Anton Pfeifer (CDU/CSU): Es ist gut, dass es neben den vielen Bereichen, in denen zwischen Regierung und Opposition streitige Auseinandersetzungen über den rich- tigen politischen Weg für die Zukunft unsere Landes ge- führt werden, auch Felder gibt, die von Übereinstimmung und Konsens geprägt sind. Zu diesem Konsens gehört, dass die Buchpreisbindung, die in Deutschland Tradition hat und in unserem Kartellrecht abgesichert ist, auch in der Zukunft Bestand haben soll. Feste Ladenpreise für Bücher sind eine Grundvoraus- setzung für eine lebendige und vielseitige Literaturland- schaft in Deutschland in einem sowohl stabilen als auch differenzierten System unabhängiger Verlage und Buch- handlungen. Sie sind ein wichtiges Instrument zu Erhal- tung der Vielfalt im Verlagswesen. Sie tragen sehr zur Existenzsicherung auch kleinerer Verlage, die oftmals von großer Bedeutung für das Buchwesen in Deutschland sind, bei und begünstigen ganz entscheidend die Heraus- gabe von Büchern mit geringer Auflage. Sie ermöglichen also die Herausgabe von Büchern, die ohne die Buch- preisbindung kaum erscheinen würden, was beispiels- weise auch für jüngere, nicht oder noch nicht arrivierte Autoren von großer Bedeutung ist. Sie soll schließlich vielen um ihre Existenz ringende Buchhandlungen in kleineren Städten und in ländlichen Gebieten eine bessere Existenzchance bieten; denn gerade diese Buchhandlun- gen sind auch ein in jeder Hinsicht schützenswerter Be- standteil des kulturellen Reichtums und der kulturellen Vielfalt unseres Landes. Bücher sind nicht nur Wirtschaftsgut, sie sind in be- sonderer Weise auch Kulturgut. Ihre Produktion und ihr Vertrieb dürfen deshalb nicht allein nach den Kriterien des allgemeinen Wettbewerbsrechts behandelt werden. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat sich deshalb immer und mit Nachdruck dafür eingesetzt, dass die Buchpreis- bindung nicht nur im nationalen Rahmen, sondern auch im grenzüberschreitenden Handel innerhalb eines ge- schlossenen Sprachraumes Berücksichtigung findet und auch von der Europäischen Union anerkannt wird. Dies war schon in der Regierungszeit von Bundes- kanzler Dr. Helmut Kohl ein oftmals mühsamer Weg. Die Europäische Kommission hat zwar 1996 in einem so ge- nannten Comfort-Letter die Buchpreisbindung als vom Kartellverbot freistellungsfähig bezeichnet; der zustän- dige Wettbewerbskommissar und die zuständige General- direktion wollten aber 1998 diese Regelung nicht mehr verlängern, was das Ende der Buchpreisbindung in Deutschland bedeutet hätte. Damals haben wir in sehr in- tensiven Verhandlungen und vor allem durch eine direkte Intervention des damaligen Bundeskanzlers Dr. Helmut Kohl beim Präsidenten der Europäischen Kommission er- reicht, dass die Buchpreisbindung zunächst bis zu einer endgültigen und rechtskräftigen Entscheidung auf der Ebene der Europäischen Union erhalten geblieben ist. Gleichzeitig hatte damals wiederum auf Ininitiative der Bundesregierung die Europäische Kommission eine Stu- die in Auftrag gegeben, in welcher die Auswirkungen der so genannten Kulturverträglichkeitsklausel in Art. 128 d des EG-Vertrags auf die grenzüberschreitende Buchpreis- bindung untersucht werden sollte. Die Kommission hat damals die vom Wettbewerbskommissar gegen die Buch- preisbindung vorgeschlagenen Maßnahmen im Hinblick auf diese Studie zugestellt. Das war ein erster Durchbruch in den Verhandlungen zur Absicherung der Buchpreisbindung in der EU und zeigt im Übrigen auch, wie richtig und notwendig es war, dass die damalige Bundesregierung darauf bestanden und es durchgesetzt hat, dass die Kulturverträglichkeitsklau- sel Aufnahme in das Europäische Vertragswerk gefunden hat. Leider ist nach dem Regierungswechsel 1998 die Fort- setzung dieses erfolgsversprechenden Verhandlungs- weges zur Absicherung der Buchpreisbindung in der Eu- ropäischen Union durch die, wie heute jedermann weiß, ungeschickte, der Sache wenig dienliche und unangemes- sene Verhandlungsführung des damaligen Staatsministers Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Juni 200224534 (C) (D) (A) (B) Naumann inbesondere gegenüber dem damaligen Wettbe- werbskommissar der Europäischen Kommission wieder ernsthaft gefährdet worden. Umso mehr möchte ich es po- sitiv würdigen, dass jetzt nicht zuletzt mit diesem Gesetz die Buchpreisbindung erhalten bleibt und in der Europä- ischen Union abgesichert werden kann. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion stimmt deshalb diesem Gesetz in der Schlussabstimmung zu, auch wenn wir uns gewünscht hätten, dass die Regierungskoalition die von uns in den Ausschussberatungen angeregten und in jedem Fall auch beantragte Klarstellungen zu einzelnen Bestimmungen nicht nur in die Gesetzesmaterialien, also in den schriftlichen Bericht des federführenden Aus- schusses, sondern in den Gesetzestext aufgenommen hätte. Da wir uns hier nicht durchsetzen konnten, werden wir jetzt sehr sorgfältig darauf zu achten haben, ob und in- wieweit im Konfliktfall die zuständigen Gerichte diese im schriftlichen Bericht des Ausschusses wiedergegebenen Auslegungshinweise des Gesetzgebers berücksichtigen. Sollte dies nicht in dem Maße geschehen, wie wir uns das vorstellen, wird eine unbezügliche Nachbesserung des Gesetzes geboten sein. Ich hoffe auch, dass die Bundesregierung und die Koali- tionsfraktionen sich ihre Entscheidungen zum so genannten Schulbuchrabatt genau überlegt haben, insbesondere genau daraufhin überlegt haben, dass die Nichtberücksichtigung aller Vorschläge des Bundesrates, denen über die Partei- grenzen hinweg zehn Bundesländer zugestimmt haben und die nur von einem der 16 Länder abgelehnt wurden, nicht am Ende zu einer Anrufung des Vermittlungsausschusses durch den Bundesrat führt. Dies wäre jetzt, am Ende der Le- gislaturperiode des Bundestages, deshalb fatal, weil im Falle der Anrufung des Vermittlungsausschusses nicht ausge- schlossen werden kann, dass dieses Gesetz mit dem Ablauf der Legislaturperiode der Diskontinuität anheim fällt und dann das Gesetzgebungsverfahren in der nächsten Legisla- turpiode des Bundestages nochmals neu beginnen müsste. Ich möchte jedenfalls der Bundesregierung nahe legen, dies sind jetzt unverzüglich in den entsprechenden Gesprächen mit den Ländern vor dem zweiten Durchgang im Bundesrat so zu klären, dass dieses Gesetz auch tatsächlich in Kraft tre- ten kann. Die Verlage und der Buchhandel sollen sich end- lich darauf verlassen können, dass die Buchpreisbindung auf einer verlässlichen rechtlichen Grundlage dauerhaft ge- sichert bleibt. Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wenn wir heute das Buchpreisbindungsgesetz verab- schieden, gießen wir eigentlich die bestehenden Marktge- pflogenheiten nur in eine gesetzliche Form. Was bis heute auf Absprachen der Verlagshäuser und Buchändler be- ruhte, wird bald aufgrund eines Gesetzes gültig sein. Dieser Weg ist genau richtig; denn das System hat gut funktioniert. Durch festgesetzte Preise für Verlagserzeug- nisse werden Verlage, Buchhändler und nicht zuletzt die Autoren geschützt. Wir haben in Deutschland eine viel- fältige und qualitativ hochwertige Buchlandschaft. Die Verlage decken – trotz zunehmender Konzentrationsten- denzen – eine riesige Bandbeite ab und jeder kleine Ort in Deutschland hat seine Buchhandlung, in der qualifiziertes Personal fachkundig beraten kann. Bücher sind mehr als bloße Papierwaren. Sie machen einen großen Teil unserer geistigen Welt aus. Wir leben in einer kurzatmigen Zeit, in der uns Wellen von Nachrich- ten überrollen und dann schnell verebben, wo Menschen durch Gerüchte und Skandale verbrannt werden, wo ei- gentlich nichts Langsames und Durchdachtes mehr zu zählen scheint. Gleichförmigkeit überwiegt in allen Teilen das Leben. Da ist es fast ein Wunder, dass doch noch ein so großes Interesse an Büchern besteht. Dieses Interesse gilt es zu bewahren, zu fördern und auszubauen. Die PISA-Studie hat es ja gezeigt. Obwohl unsere Bücherwelt so breit und gut ist – lesen können die wenigsten. Deshalb ist es so wichtig, die Bücher zu schützen. Die rot-grüne Koalition hat auch dieses wichtige Projekt in die Hand genommen und wird es heute abschließen. Dies ist wieder ein Baustein mehr in unserer Kulturpolitik, der – längst fällig – das kulturelle Leben in Deutschland ein Stück weit mehr sichert. Die Details des Gesetzes sind vielfältig und zum Teil nur für Juristen verständlich. Für die Bürger und Bürgerinnen ist vor allem wichtig, dass der Status quo in Bezug auf die Bücher und Musikalien bei- behalten bleibt: Erstens. Bücher haben weiterhin feste Preise. Es wird keinen Ausverkauf der Literatur geben. Mit dem festgesetzten Preis können Verlage und Buch- händler sicher kalkulieren und ihre Existenz sichern. Zweitens. Die Unterwanderung der Preisbindung durch den Reimport von Büchern für den deutschen Markt aus Ländern ohne Preisbindung wird verhindert, soweit das durch eine nationale Regelung möglich ist. Das Schöne an der Kulturpolitik ist, dass es öfter als in anderen Bereichen möglich ist, sich über die Parteigren- zen hinweg aufgrund von sachlichen Erwägungen zu ei- nigen. Das Buchpreissbindungsgesetz ist dafür ein weite- res Beispiel: Hier haben wir nicht nur im Parlament über die Grenzen der Fraktionen hinweg einen breiten Konsens gefunden, sondern wir haben auch zusammen mit den In- teressenvertretern der Buch- und Verlagsbranche zu all- seits zufrieden stellenden Einigungen kommen können. So sollten politische Prozesse wahrlich öfter ablaufen: sachlich und kompromissorientiert und ohne viel Aufhe- bens für eine gute Sache. Die Buchpreisbindung ist noch in einer weiteren Hin- sicht beachtlich: Die lange Vorgeschichte dieses Gesetzes hat gezeigt, wie wichtig es ist, für die Kulturpolitik eine starke und einheitliche Stimme auf Bundesebene zu ha- ben. Die beiden Kulturstaatsminister – Michael Naumann in der ersten Phase und nun Julian Nida-Rümelin – waren wesentlich daran beteiligt, dass unser Anliegen, eine na- tionale Buchpreisbindung gegen die kartellrechtlichen Bedenken auf EU-Ebene durchzusetzen, schließlich in den vorliegenden Gesetzentwurf mündete. Die Aufwer- tung der Kulturpolitik ist ein konkreter Erfolg dieser Ko- altion, die sich in entscheidenden Reformen klar bewie- sen hat. Hans-Joachim Otto (Frankfurt) (FDP): Es ist durch- aus nicht selbstverständlich, dass sich Liberale in großer Geschlossenheit zum Instrument der Preisbindung beken- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Juni 2002 24535 (C) (D) (A) (B) nen, ist sie doch eine Ausnahme vom ordnungspolitischen Prinzip der Preisbildung nach Angebot und Nachfrage. Die Argumente für eine Buchpreisbindung sind aber so überzeugend, dass sich sogar der „Markt-Graf“ Otto Graf Lambsdorff zu ihr bekennt; denn wir wissen aus interna- tionalen Erfahrungen, zum Beispiel in unserem Nachbar- land Frankreich, dass die Freigabe der Buchpreise zu einer schwerwiegenden Einschränkung an Vielfalt gleicher- maßen in der Buchproduktion wie im Buchhandel führt. Die bereits 1887 bei uns eingeführte Buchpreisbindung verdient also, verteidigt zu werden. Wir halten es für bedauerlich, dass aus europarechtli- chen Gründen das bisherige System der auf freiwilligen Absprachen beruhenden Preisbindung nicht aufrechter- halten werden kann und durch eine gesetzliche Regelung abgesichert werden muss. Der Gesetzentwurf der Bun- desregierung in seiner veränderten, heute zur Abstim- mung stehenden Fassung, findet aber auch unsere Zu- stimmung. Entgegen sonstigem – schlechten – Brauch hat sich die rot-grüne Koalition nicht nur Änderungsvor- schlägen der Experten, insbesondere des Börsenvereins, zugänglich gezeigt, sondern auch Anregungen aus den Reihen der Opposition. Insofern hat auch das Gesetzge- bungsverfahren eine beispielgebende Funktion. Wir sind der festen Überzeugung, dass durch die im Laufe der Be- ratung erfolgten Änderungen berechtigten Bedenken ins- besondere der kleinen und mittleren Verlage Rechnung getragen wurde, wie sie insbesondere von dem Verleger Christoph Links kürzlich im Börsenblatt vorgetragen wurden. Es liegt auch uns daran, dass sich die Zahl der kleineren, konzernungebundenen Buchhändler nicht wei- ter verringert, sondern dass im Gegenteil ein Signal für mehr Vielfalt auf dem Buchmarkt ausgesandt wird. Trotz aller Einigkeit zwischen den Fraktionen bei die- sem Gesetzentwurf muss ich in einem Punkt etwas Was- ser in den Wein gießen: Wir alle sollten uns keine Illusio- nen darüber machen, dass in zunehmenden Maße durch grenzüberschreitende Verkäufe die Preisbindung durch- löchert wird. Bei solchen grenzüberschreitenden Verkäu- fen verbietet die europäische Waren- und Dienstleis- tungsfreiheit Preisbindungen. Es ist davon auszugehen, dass der Versand- und Internethandel dieses Hintertür- chen stärker nutzen wird. Der Auslöser für die jahrelan- gen Auseinandersetzungen um die Buchpreisbindung – die Preisattacken durch die österreichische Firma Libro – ist also prinzipiell von diesem neuen Gesetz nicht erfasst und wird sicher Nachahmer finden; denn das Umge- hungsverbot in § 4 Abs. 2 des neuen Gesetzes wird in den seltensten Fällen greifen, weil der Nachweis, dass die be- treffenden Bücher allein zum Zweck ihrer Wiedereinfuhr in europäische Nachbarländer verbracht wurden, prak- tisch kaum zu führen sein wird. Dennoch wünsche ich, dass das heute zu verabschie- dende Gesetz seinen Beitrag zum Erhalt des vielfältigen Buchmarktes und zu einer Stärkung des Kulturgutes Buch leisten möge. Dr. Heinrich Fink (PDS): Über Bedeutung und Not- wendigkeit der Buchpreisbindung ist in den vorausgegan- genen Debatten alles gesagt worden. Die heutige, wie ich hoffe, abschließende Debatte, gibt zu großer Polemik kei- nen Anlass. In großer Übereinstimmung haben wir mit dem „Gesetz zur Sicherung der nationalen Buchpreisbin- dung“ vor zwei Jahren zunächst die Voraussetzungen dafür verbessert, dass die Buchpreisbindung nicht durch Reimporte unterlaufen wird. Mit dem vorliegenden Ge- setzentwurf wird nun das in unserem Lande bewährte und bisher auf freiwilligen Absprachen beruhende System der Buchpreisbindung gegenüber den kartellrechtlichen Be- denken der EU abgesichert. Auch dem stimmen wir zu. Die Veränderung, die der Gesetzentwurf in den letzten Tagen noch hinsichtlich des § 5 Abs. 5 erfahren hat, fin- det allerdings nicht meinen Beifall. Die damit eröffneten größeren Spielräume für Preisnachlässe bei den großen Buchgemeinschaften geht meines Erachtens durchaus auf Kosten des kleinen stationären Buchhandels, der fair die Versorgung in der Fläche von besonderer Bedeutung ist. Bezeichnenderweise wurde diese Änderung in einer ers- ten Begründung mit „lex Bertelsmann“ charakterisiert. Diese Bezeichnung fehlt zwar nun in der Begründung – der Sachverhalt aber ist geblieben. Während in diesem Fall hinsichtlich des Hauptzwecks des Gesetzes – der Preisbindung – ein Auge zugedrückt wurde, ist ausdrücklich mit Hinweis auf diese Funktion des Gesetzes das Anliegen des Deutschen Städtetages ab- gewiesen worden, den Rabatt bei Schulbüchern so zu ge- stalten, dass die Kommunen nicht stärker als bisher belastet werden. Angesichts der katastrophalen Finanz- situation der Kommunen hätte diesem Anliegen durchaus entsprochen werden können, auch wenn es zu den vom Städtetag prognostizierten Folgen keine eindeutigen Er- kenntnisse gibt. Demgegenüber begrüße ich sehr, dass in letzter Minute noch die im Unterricht verwendete belletristische Litera- tur in die Rabattregelung für die Schulen einbezogen und ein Weg gefunden wurde, Kataloge, die eine Ausstellung begleiten, zweifelsfrei in die Preisnachlassmöglichkeit einzubeziehen. Der hier vorliegende seltene Fall weitgehender frakti- onsübergreifender Einmütigkeit, der fair die Dauerhaftig- keit der Regelung ja durchaus von Bedeutung ist, hängt offenbar damit zusammen, dass diese gesetzliche Rege- lung den Interessen der Urheber, Vermittler und Nutzer von Verlagserzeugnissen gleichermaßen entspricht. Wir sollten von diesem Interessenausgleich auch bei künfti- gen kulturpolitischen Entscheidungen noch bewusster als bisher ausgehen. Ich weiß natürlich, dass das nicht immer so einfach sein wird wie in diesem Fall. Die jüngsten Aus- einandersetzungen um das Urhebervertragsrecht haben uns das nachdrücklich vor Augen geführt. Aber wir soll- ten es doch zumindest von allen politischen Positionen aus verstärkt versuchen. Mit den beiden Gesetzen zur Buchpreisbindung halten wir aus guten Gründen das Kulturgut Buch ein Stück weit aus der Logik von Marktradikalismus und Profitmaxi- mierung heraus. Damit setzen wir meines Erachtens auch einen kleinen Damm gegenüber den Bestrebungen inner- halb der GATS-Verhandlungen, die darauf abzielen, sol- che öffentlichen Güter wie Kultur und Bildung als „nor- male“ Waren in den freien Handel mit Dienstleistungen einzubeziehen. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Juni 200224536 (C) (D) (A) (B) Meiner Meinung nach müssen wir viel lauter als bisher auf die Gefahren aufmerksam machen, die daraus fair die Qualität dieser Güter und fair den gleichberechtigten Zu- gang zu ihnen erwachsen. Wir müssen auch gründlicher überlegen, was wir dagegen tun können. Ich glaube, die heute zu beschließende Gesetzesinitiative ist ein guter An- lass, um auf diese bedrohliche Entwicklung hinzuweisen. Dr. Julian Nida-Rümelin, Beauftragter der Bundes- regierung für Angelegenheiten der Kultur und der Me- dien: Die Buchkultur in Deutschland nimmt international eine Spitzenstellung ein. Wir haben ein dichtes Netz von Buchhandlungen mit hoch qualifiziertem Fachpersonal auch in kleineren Städten. Die Verlagsangebote sind Jahr für Jahr durch ein breites Spektrum von Neuerscheinun- gen geprägt. Trotz einiger Konzentrationserscheinungen können sich auch kleinere und mittlere Verlage behaup- ten. Diese Charakteristika der Buchbranche bilden ein Kulturgut ersten Ranges. Natürlich ist das Buch auch ein Wirtschaftsgut, das produziert, vertrieben und konsumiert wird. Aber es ist nicht nur ein Wirtschaftsgut, wie es beispielsweise die Schraube darstellt. Auf dem Markt der Schraubenanbieter müssen wir darauf achten, dass nicht übermäßige Kon- zentrationsvorgänge die Konkurrenz aushebeln und damit zu verbraucherfeindlichen Strukturen führen. Wir können dabei darauf vertrauen, dass die Nachfrage durch den Marktmechanismus allein im Großen und Ganzen ge- deckt werden wird. Im Gegensatz dazu hat das Buch neben seiner Rolle für die individuelle Bedürfnisbefriedigung weitere kul- turelle Zwecke zu erfüllen, die nicht nur eine individu- elle, sondern auch eine öffentliche Angelegenheit sind. Wir wünschen uns eine Gesellschaft, in der sich jeder in nahe gelegenen Buchhandlungen von gutem Fachperso- nal informieren, bilden und beraten lassen kann. Das nachvollziehbare Interesse, Bestseller zu einem mög- lichst günstigen Preis zu erwerben, muss abgewogen werden gegen das kulturelle Ziel, die Vielfalt des Buch- angebotes, die Dichte von Buchhandlungen, die Qualität des Fachpersonals und die besonderen Bindungen von Autor und Verleger zu erhalten. Von daher gibt es eine kulturpolitische Legitimation für ein ungewöhnliches Instrument, nämlich das eines nationalen Preisbindungs- gesetzes. Mancher mag sich wundern, dass zum Teil die gleichen Personen, Verbände und Institutionen, die sich bei der Diskussion um das Urhebervertragsrecht vehement gegen jeden weiter gehenden Markteingriff gestellt haben und das Hohelied der Marktfreiheit gesungen haben, in die- sem Fall nun einen weit gehenden Eingriff des Staates in das Marktgeschehen gefordert haben. Ich will diese scheinbare Widersprüchlichkeit wohlwollend interpretie- ren: Hier handelt es sich nicht um bloße Artikulationen materieller Interessen, sondern um ein Verantwortungsge- fühl für das Kulturgut Buch, das in diesem Fall ein Abge- hen von der reinen Lehre der Marktfreiheit begründet. Es kann kein Zweifel bestehen, dass ohne das Instru- ment der Preisbindung, das über hundert Jahre in Deutschland durch freiwillige Branchenabsprachen gesi- chert wurde, die kulturelle Rolle des Buches Schaden nehmen würde: Es gäbe mehr Konzentration, das Netz an Buchhandlungen würde rasch ausdünnen, die Angebots- vielfalt der Verlage zurückgehen. Aber auch umgekehrt gilt: Nur wenn die Buchpreisbindung nicht nur als ein ökonomisches Instrument, sondern als eine kulturpoli- tisch motivierte Maßnahme verstanden wird und wenn alle Beteiligten dies als moralische Verpflichtung emp- finden, lassen sich diese kulturellen Ziele auch in Zu- kunft erreichen. Ohne Quersubventionen im Verlag verliert die Buch- preisbindung ihre segensreiche Wirkung auf die Vielfalt des Angebots. Wenn Verlage auf breiter Front diese Quer- subventionierung der vielen weniger erfolgreichen Titel durch die wenigen sehr erfolgreichen Bücher auf dem Markt nicht mehr praktizierten – und das ist bei einigen Verlagen offizielle Politik geworden –, dann ließe sich durch Preisbindung die Vielfalt des Angebots nicht beför- dern. Schon mein Vorgänger hatte vehement für die Auf- rechterhaltung der Preisbindung gestritten und zur Siche- rung der Preisbindung eine Initiative zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen veranlasst. Die Kommission hatte diese Änderung des § 15 GWB, die am 1. Juli 2000 in Kraft gesetzt wurde, zunächst offiziell begrüßt. Im weiteren Verlauf gab es jedoch nicht den an- gekündigten „Letter of Comfort“, im Gegenteil: Die Be- schwerde des österreichischen Libro-Konzerns führte zu den mit großer Medienaufmerksamkeit durchgeführten, spektakulären Durchsuchungen bei einigen führenden Verlagen und beim Börsenverein des Deutschen Buch- handels selbst. Als ich Anfang des Jahres 2001 mein Amt antrat, ver- festigte sich bei mir rasch der Eindruck, dass wir in Deutschland um ein nationales Buchpreisbindungsge- setz nicht herumkommen. Allerdings schien zu diesem Zeitpunkt in der Verlagsszene noch Unsicherheit zu herrschen, ob dieser Weg beschritten werden soll. Ich habe den Vorschlag, ein nationales Buchpreisbindungs- gesetz zu etablieren, zum ersten Mal öffentlich im März 2001 bei einer Podiumsdiskussion anlässlich der Eröff- nung des Salon du Livre in Paris gemacht. Auch in zwei Gesprächsrunden beim Bundeskanzler wurde diese The- matik angesprochen und schließlich vereinbart, dass ein solches Gesetz von der Bundesregierung auf den Weg gebracht wird, wenn der Börsenverein einen weit ge- henden Konsens für eine nationale Buchpreisregelung in der Branche herstellen kann. So ist es dann auch ge- kommen. In gemeinsamer Federführung des Bundes- wirtschaftsministers und des Kulturstaatsministers ha- ben wir einen Gesetzentwurf eingebracht, der das bewährte Instrument der Buchpreisbindung auf Dauer sichern soll. Er wurde vom Kabinett am 20. März dieses Jahres beschlossen. Die genannten Ziele werden mit diesem Gesetz er- reicht: Zunächst wird endlich Rechtssicherheit im Ver- hältnis zur EU hergestellt. Wie in unseren Nachbarstaaten, zum Beispiel in Frankreich und Österreich, räumt das na- tionale Buchpreisbindungsgesetz EU-kartellrechtliche Bedenken aus. Es stützt sich insoweit auf die gefestigte Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, wonach Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Juni 2002 24537 (C) (D) (A) (B) nationale Buchpreisbindungen mit dem EU-Kartellrecht vereinbar sind. Und die Realisierung der kulturpolitischen Ziele – Vielfalt und hohe Qualität des Buchangebotes in Deutschland, flächendeckende Versorgung durch kompe- tente Buchhandlungen und Existenzsicherung kleiner Verlage und noch nicht etablierter Autorinnen und Auto- ren – ergibt sich durch die mit dem Gesetz auf Dauer ge- währleistete Preistransparenz. Bei den Vorarbeiten zur Erarbeitung des Gesetzent- wurfs sind wir auf bemerkenswerte Vergleichszahlen ge- stoßen: So sind beispielsweise entgegen dem, was man vielleicht prima facie erwarten könnte, die Verbraucher- preise für Verlagserzeugnisse in den Ländern ohne Preis- bindung, zum Beispiel in Finnland und Schweden, ver- gleichsweise höher als in Ländern mit bestehender Preisbindung. Auch in Großbritannien, wo 1995 die Buchpreisbindung suspendiert wurde, hat sich dies nach anfänglichem Preisrückgang gezeigt. Darüber hinaus ist die Zahl lieferbarer Bücher in den Ländern mit Preisbindung deutlich höher als in den Staa- ten ohne diese Bindung. Beispielsweise hat ein Vergleich des deutschen Sprachraums, also einschließlich Öster- reichs und der deutschsprachigen Schweiz, mit dem eng- lischen Sprachraum gezeigt, dass dort pro eine Million Einwohner über 40 Prozent weniger lieferbare Titel ange- boten werden. Die durchschnittliche Anzahl von Buchhandlungen in mittleren Ortschaften zwischen 20 000 und 50 000 Ein- wohnern beträgt zum Beispiel in Schweden im Verhältnis zu Deutschland etwa ein Drittel, in den USA nahezu nur ein Fünftel. Ähnliches können wir bei dem Vergleich der Verlagskonzentration feststellen. Unter dem Gesichtspunkt des Erhalts eines breiten und vielfältigen Buchangebots legitimieren die empirischen Befunde eindeutig den mit einer Preisbindung verbunde- nen Eingriff in den freien Markt. Und für die Verbrauche- rinnen und Verbraucher wird sich auch nach In-Kraft-Tre- ten des Gesetzes so gut wie nichts ändern: Bereits heute sind rund 90 der erscheinenden Buchtitel preisgebunden, wenn auch auf vertraglicher Grundlage. Ich möchte abschließend noch auf zwei Aspekte ein- gehen, die zur Beurteilung dieses Vorhabens wichtig sind. Da ist zum einen die Frage nach dem Internet. Das Gesetz betont in § 4 ausdrücklich, dass die Preisbindung nicht für grenzüberschreitende Verkäufe innerhalb des Europä- ischen Wirtschaftsraumes gilt. Das entspricht dem vor- rangigen Recht der Europäischen Union, wonach grenz- überschreitende Handelshemmnisse unzulässig sind. Aber Abs. 2 dieser Vorschrift schützt im Einklang mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs die natio- nale Buchpreisbindung vor Umgehungsgeschäften. Wenn also der Verkauf deutscher Bücher auch über das Internet vom Ausland aus ausschließlich auf deutsche Abnehmer gerichtet ist, diese Bücher de facto jedoch die Grenze nicht überschreiten, ist auch insoweit die Preisbindung einzuhalten. Gleiches gilt, wenn jemand Bücher ausführt, um sie von vornherein aufgrund eines einheitlichen Plans wieder nur an Letztabnehmer in Deutschland zu verkau- fen. Der zweite Punkt betrifft den Bereich der Zeitungen und Zeitschriften. Wir hatten ursprünglich die Vorstel- lung, dass wir mit dem Preisbindungsgesetz alle Ver- lagserzeugnisse, also auch die Presse, erfassen und da- bei gleichzeitig die bisherige Regelung im GWB aufheben. Die intensiven Gespräche mit der Pressebran- che haben uns jedoch überzeugt, dass in diesem Bereich mehr Flexibilität notwendig ist. Ich darf hier erneut auf das Beispiel der überwiegend in englischer Sprache er- scheinenden wissenschaftlichen Zeitschriften verwei- sen. Sie müssen sich auf dem internationalen Markt be- haupten, was mit zwingender Preisbindung kaum zu realisieren wäre. Das Gesetz beschränkt sich somit le- diglich auf die notwendige Anpassung des § 15 GWB; die insoweit zulässige Preisbindung für Zeitungen und Zeitschriften wird von der EU-Kommission nicht in- frage gestellt. Ich freue mich besonders, dass dieses kulturpolitische Vorhaben von eminenter Bedeutung weite, fraktionsüber- greifende Zustimmung findet. Der bis zuletzt intensive Beratungsprozess – Stichworte: Buchgemeinschaften, Schulbuchsammelbestellungen – hat nach meinem Ein- druck nunmehr zu einem Ergebnis geführt, das alle rele- vanten Interessen angemessen und fair berücksichtigt. Ich danke allen, die an der Erarbeitung des Gesetzes mitge- wirkt haben. Anlage 9 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts – zu dem Bericht: Technikfolgeabschätzung; hier: Monitoring „Risikoabschätzung und Nachzulassungs-Monitoring transgener Pflan- zen“ – zu dem Antrag: Zukunft für die „grüne“ Gen- technik (Tagesordnungspunkt 35) Matthias Weisheit (SPD): Über den Antrag von der CDU/CSU möchte ich nur wenige Worte verlieren; denn wir hatten bereits eine Debatte über diesen überflüssigen, weil völlig an der Sache vorbeigehenden Antrag. Deshalb lehnen wir ihn ab. Ich habe bereits damals festgestellt, dass die Union zu einer sachlichen Diskussion nicht bereit ist, dass sie wis- senschaftliche Untersuchungen ignoriert, ja, dass sie den schon lange vorliegenden TAB-Bericht „Risikoabschät- zung und Nachzulassungsmonitoring transgener Pflan- zen“ offensichtlich nicht gelesen hat – und dies, obwohl er einen fundierten Überblick über den derzeitigen Wis- sensstand und die offenen Fragen gibt, die mit dem Ein- satz gentechnisch veränderter Pflanzen in der Landwirt- schaft verbunden sind. Gebetsmühlenartig wiederholt die CDU/CSU die Phrasen von der angeblichen „ideologischen Verweige- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Juni 200224538 (C) (D) (A) (B) rungshaltung“ der rot-grünen Bundesregierung. So ein Unsinn. Im Unterschied zur Union lesen wir solche Un- tersuchungen wie den TAB-Bericht und ziehen die nöti- gen politischen Konsequenzen daraus. Im Unterschied zur Union nehmen wir zur Kenntnis, dass es noch enorme Wissenslücken über die möglichen Auswirkungen des Anbaus transgener Pflanzen gibt. Im Unterschied zur Union wollen wir deshalb einen vorsichtigen und verant- wortungsvollen Umgang mit der grünen Gentechnik. Auf die komplexen Fragen, die sich im Zusammen- hang mit der grünen Gentechnik stellen, gibt es keine ein- fachen Antworten. Ich möchte ein Beispiel nennen: CDU/CSU erklären in ihrem Antrag die Wahlfreiheit der Verbraucher, also die Möglichkeit, sich für oder gegen genveränderte Produkte zu entscheiden, zu einem bedeu- tenden Grundprinzip. Dieses Grundprinzip verfolgen wir schon seit Beginn der Diskussionen um grüne Gentech- nik. Ich freue mich aber trotzdem, dass auch CDU/CSU endlich erkannt haben, wie wichtig das ist. Wir sollten also gemeinsam alle Anstrengungen unternehmen, um diese Wahlfreiheit gewährleisten zu können. Von der EU-Kommission gibt es eine bei der gemein- samen Forschungsstelle der Europäischen Union JRC in Auftrag gegebene Studie zur Koexistenz von genverän- derten Pflanzen und herkömmlichen bzw. in ökologischem Anbau erzeugten Pflanzen in der Landwirtschaft. Es würde mich nicht wundern, wenn die Damen und Herren von der CDU/CSU auch diese Studie nicht zur Kenntnis genommen hätten, wenngleich ich mir sicher bin, dass diese EU-Forschungsstelle sicherlich nicht „ideologisch“ besetzt ist. Die Forscher simulierten mittels Computermodellen den großflächigen Anbau von genverändertem Raps, gen- verändertem Mais und genveränderten Kartoffeln. Diese Studie kommt zu dem Schluss, dass eine Koexistenz zwi- schen grüner Gentechnik und gentechnikfreier Landwirt- schaft schwierig bis unmöglich ist, zumindest aber sehr teuer. Schon wenn nur auf zehn Prozent aller Felder gen- technisch veränderte Pflanzen wachsen, wird es fast un- möglich, auf den übrigen Flächen gentechnikfreie Er- zeugnisse zu ernten, da auf dem Acker über Pollen, bei der Verarbeitung in der Ölmühle, beim Saatguthändler GVO- Einträge passieren können. So müssten beim Anbau Si- cherheitsabstände zwischen den Feldern von 200 Metern beim Mais bis hin zu 600 Metern beim Raps eingehalten werden. Auch die strikte Trennung der genveränderten Er- zeugnisse von den übrigen erfordert Investitionen. Den- noch wäre in Regionen mit Gentec-Anbau die Einhaltung der im Ökolandbau geltenden Verunreinigungsgrenze von 0,1 Prozent nahezu unmöglich, aber auch die zur Einhal- tung der 1-Prozent-Grenze im herkömmlichen Landbau erforderlichen Sicherheitsmaßnahmen würden den Anbau von Mais und Kartoffeln um bis zu 9 Prozent verteuern, bei Raps sogar bis zu 40 Prozent. Wie teuer wird also die Wahlfreiheit der Verbraucher, wenn wir tatsächlich den großflächigen Anbau genveränderter Pflanzen zulassen? Wer kann sich das leisten? Dies zeigt, dass es auch in Hin- sicht auf mögliche ökonomische Risiken des Einsatzes der grünen Gentechnik noch viele offene Fragen gibt. Mit den offenen Fragen und mit dem Diskussionsstand zur Sicherheitsforschung beschäftigt sich der TAB-Be- richt „Risikoabschätzung und Nachzulassungs-Monito- ring transgener Pflanzen“. Ich bedanke mich an dieser Stelle bei den Mitarbeitern des TAB-Büros für ihre gute Arbeit und für diesen aufschlussreichen Bericht, der eine fundierte Grundlage für eine sachliche Diskussion sein könnte, wenn ihn auch die Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU zur Kenntnis genommen hätten. Der TAB-Bericht stellt eine „dürftige Datenlage“ bei der Risikoabschätzung fest. Nur 1 Prozent der Freiset- zungsversuche in der EU waren in der Vergangenheit mit ökologischer Begleitforschung verbunden, in Deutsch- land zwar 15 Prozent, aber auch das ist wenig. Jedenfalls zu wenig, um zu behaupten, dass direkte und indirekte, erkennbare oder denkbare Auswirkungen auf ökologische Kreisläufe analysiert und ausgeschlossen werden könnten, wie im Antrag der CDU/CSU be- hauptet wird. Im TAB-Bericht heißt es, dass es sich bei den Umwelt- wirkungen von Freisetzungen um unspezifische biologische Phänomene handelt, die von einer Vielzahl wechselwirkender Faktoren ab- hängig sind und die trotz teilweise jahrzehntelanger Forschung in vielen Aspekten nur unvollständig ver- standen sind. Weiter heißt es: Eine Fortführung und Intensivierung der Sicher- heitsforschung ist zweifelsohne notwendig, um die großen Wissenslücken zu den möglichen Auswir- kungen des Anbaus transgener Pflanzen zu verklei- nern. Schon diese wenigen Zitate machen Wissensdefizite und Handlungsbedarf deutlich. Mit unserem Entschlie- ßungsantrag ziehen wir die Konsequenzen aus diesem Be- richt. Bei uns hat das Vorsorgeprinzip oberste Priorität bei der Abwägung der Chancen und der möglichen gesund- heitlichen und ökologischen Risiken. Dies kennzeichnet einen verantwortungsvollen Umgang mit der grünen Gen- technik! Wir wollen die Wissenslücken schließen, indem wir im Rahmen der biologischen Sicherheitsforschung und der Technikfolgenabschätzung die Förderung von Untersu- chungen zu den Auswirkungen von transgenen Pflanzen und zum zukünftigen Umgang mit solchen insbesondere im Hinblick auf gesundheitliche und ökologische Aspekte verstärken wollen. Wir wollen einen verantwortlichen Umgang mit der Gentechnik und die Verankerung und konsequente An- wendung des Vorsorgeprinzips auf allen Ebenen. Wir wol- len den weiteren Ausbau der Maßnahmen zur maximalen Sicherheit und Transparenz für Verbraucher und Umwelt, insbesondere der Regelungen, die der Erfassung, Über- prüfung, Kennzeichnung und Rückverfolgbarkeit aller gentechnisch veränderten Organismen und Produkte die- nen. Wir wollen, dass die Wahlfreiheit der Erzeuger und Verbraucher, gentechnikfreie Produkte herstellen und Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Juni 2002 24539 (C) (D) (A) (B) kaufen zu können, durch geeignete Maßnahmen sicherge- stellt wird. Wir wollen, dass bei der Bewertung von Monitoring- ergebnissen die Nachhaltigkeit als Maßstab zugrunde ge- legt wird. Ein solcher Bewertungsmaßstab legt die Ge- sundheits- und Umweltverträglichkeit auch für die kom- menden Generationen zugrunde und hat gesellschaftliche Akzeptanz. Wir wollen die Fortführung eines breiten gesellschaft- lichen Diskurses – wie ihn die Bundesverbraucherschutz- ministerin Künast bereits eingeführt hat – über die Anwendung der Gentechnik in Landwirtschaft und Le- bensmittelproduktion. Wegen der derzeitigen Verunsiche- rung bei den Verbrauchern und der offenen wissenschaft- lichen und administrativen Fragen sollte gleichzeitig vorläufig auf eine Vermarktung der Produkte verzichtet werden. Wir brauchen das Vertrauen der Verbraucher. Sie haben ein Recht auf Sicherheit, Transparenz und Wahlfreiheit. Die Bundesregierung ist in vielen Bereichen bereits tätig geworden. Wir wollen, dass sie die bereits ergriffenen Maßnahmen fortführt und intensiviert. Wir werden sie dabei unterstützen. Wir wollen, dass uns die Opposition dabei unterstützt und für unseren Entschließungsantrag stimmt. Helmut Heiderich (CDU/CSU): Allein die Tatsache, dass heute ein Bericht vorgelegt wird, der im Wesentli- chen aus dem Jahr 1999 stammt, zeigt, mit welcher Inten- sität die rot-grüne Koalition auf dem Feld der Biotechnik, insbesondere der grünen Biotechnik, arbeitet. In Deutsch- land sind wir auch heute grundsätzlich nicht über den Stand hinaus gekommen, der in dieser Studie beschrieben ist. Die Verzögerungs- und Verhinderungstaktik von Rot- Grün hat es bis heute nicht zugelassen, einen längerfristi- gen, großräumigen Anbau gentechnisch verbesserter Pflanzen in Deutschland zu ermöglichen. Ein sinnvolles und aussagefähiges Monitoring kann aber nur dann erfol- gen, – das ist auch auf dem gestrigen Symposium des Umweltbundesamtes deutlich zum Ausdruck gekommen, – wenn diese Pflanzen auch in der Praxis eingesetzt werden. Das auf der EXPO 2000 vom Bundeskanzler zugesagte dreijährige Anbauprogramm in allen Bundesländern ist bis heute weder realisiert noch in der Umsetzung erkenn- bar. So bleiben alle Fragen des Monitoring und der Fol- genabschätzung nach wie vor ein theoretisches Fingerha- keln. Die CDU/CSU-Fraktion hat bereits im vergangen Jahr einen umfassenden Vorschlag unter dem Titel „Zu- kunft für die Grüne Gentechnik“ vorgelegt. Sie hat dabei insbesondere den Prinzipien der Abschätzung für dieje- den Einzelfall, case by case, und der schrittweisen Vorge- hensweise, step by step, besonderen Nachdruck verliehen. In zahlreichen Ländern weltweit hat sich inzwischen der Anbau gentechnisch verbesserter Pflanzen auf rund 55 Millionen Hektar ausgeweitet. Insbesondere in den USA sind mit einer knapp zehnjährigen großflächigen Anbauerfahrung jeweils die Bedenken ausgeräumt wor- den, welche von den Kritikern dieser Technologie immer wieder aufs Neue vorgebracht wurden. Die UN hat im Oktober 2001 über 81 Studien zur Si- cherheitsforschung von gentechnisch fortentwickelten Pflanzen berichtet. Im Fazit wurde dabei festgestellt, dass für solche die gleichen agronomischen Probleme gelten wie für konventionellle Pflanzen, vermutete spezielle neue Risiken jedoch nicht aufgetreten sind. Die Europäische Union hat im vergangenen Jahr eben- falls auf gut 40 Studien zu diesem Thema verwiesen, die sich intensiv mit den Fragen der Sicherheit beschäftigt ha- ben. Leider hat die Bundesregierung in ihren Forschungs- aufträgen diese langjährigen und großflächigen Erfahrun- gen weltweit bisher nicht ausreichend aufgearbeitet. Stattdessen wird nun mehr und mehr versucht, den Vergleich konventioneller und gentechnisch verbesseerter Pflanzen zu einem allgemeinen Umwelt-Monitoring mit breitessten Fragestellungen umzuwidmen. Dies betrifft zum Beispiel allgemeine agronomische Fragen oder lang- fristige Gesamtentwicklungen des Ökosystems, die Rot- Grün in diesem konkreten Bereich zusätzlich einbeziehen will. Für uns als CDU/CSU-Fraktion kommt es aber viel- mehr darauf an, internationale Vereinbarungen und deren Fortentwicklung, wie zum Beispiel beim Codex Alimen- tarius, zu berücksichtigen, und nicht nationale Allein- gänge aus kurzsichtiger – wahlpolitischer – Einschätzung vorzunehmen. Grundlage und Ausgangspunkt jeglicher Monitoring- Vorhaben können nur entsprechend großflächige land- wirtschaftliche Anbaumaßnahmen sein, die unter Nut- zung der weltweiten Erfahrungen in Deutschland umzusetzen sind. Doch auch dafür hat die Bundesregie- rung die notwendigen Voraussetzungen bis heute nicht ge- schaffen. Die schon längst und mehrfach zugesicherte Umset- zung der „Freisetzungs-Richtlinie“ steht nach wie vor aus, während gleichzeitig auf europäischeer Ebene die Ent- wicklung forciert wird. Europäische Kommission, Euro- päisches Parlament und zuletzt der Rat in Barcelona ha- ben die Biotechnologie zu einem Schwerpunkt ihrer Zukunftsentwicklung erklärt. Im Hinblick darauf liegt das größte Risiko in Deutsch- land gegenwärtig darin, von der europäischen Entwick- lung abgehängt und insbesondere bei der Mittelverteilung des 6. Forschungsrahmenprogramms nicht beteiligt zu werden. In anderen euorpäischen Ländern werden, soweit bekannt, hohe zweistellige Millionenbeträge abgerufen, um insbesondere die Zukunft der grünen Biotechnik vor- anzubringen. Noch ist Deutschland in der Grundlagenforschung, ins- besondere der Institute und einiger Universitäten, an der Spitze der Entwicklung dabei. Aber auch dort macht sich Stagnation, zum Teil Frustration breit. Der neue Biotech- nik-Report 2002 von Ernst & Young macht dies deutlich. Er berichtet von einem abrupten Rückgang der For- schungsanträge im Freiland ab dem Jahr 2000 und vermu- tet rechtliche und politische Unsicherheiten als Ursache. Für die Zukunft der grünen Bio- und Gentechnik, so wörtlich, „ist die weitere Verbesserung der Rahmenbe- dingung unabdingbar“. Auch die Bevölkerung erkennt in- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Juni 200224540 (C) (D) (A) (B) zwischen mehr und mehr die Chancen und die positiven Zukunftsaussichten der Gentechnolgie. So ist nach einer tudie des IFD Allensbach die Akzeptanz bei den Bürgern kontinuierlich angestiegen. Während sich die politische Diskussion in Deutschland noch immer – zum Teil immer ausufernder – um Grund- satzpositionen dreht, ist die Wissenschaft längst zwei Schritte voraus. So wird in den Labors seit einiger Zeit an Pflanzen der zweiten und dritten Generation gearbeitet. Spätestens in fünf Jahren werden diese für die Anwen- dung zur Verfügung stehen. Dazu gehört z um Beispiel auch eine Entwicklung der Universität Gießen, deren Forschern es gelungen ist, den Impfstoff gegen Hepatitis B aus gentechnisch fortent- wickelten Karotten zu gewinnen. Dieses so genannte Molecular-Pharming wird weltweit einen völlig neuen Anwendungsbereich der Pflanzen-Biotechnik bringen. Die Bundesrepublik muss sich deshalb im internatio- nalen Kontext der Biotechnik endlich vorwärts bewegen. Sie muss die überfälligen Entscheidungen für Wissen- schaft und Unternehmen endlich umsetzen. Sie muss aber vor allem die wirtschaftliche Nutzung ermöglichen und darf sich nicht in immer weiter ausufernden theoretischen Diskursen verlieren. Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):Der Ein- satz von Gentechnik in der Lebensmittelproduktion ist hoch umstritten. Während er bei der Enzymproduktion schon zum Alltag gehört, hat er sich bei der Pflanzenproduktion bisher nicht durchsetzen können. Die Verbraucherinnen und Verbraucher lehnen gentechnisch veränderte Lebensmittel ab. Eine verantwortliche Politik muss immer und überall zuvorderst dem Schutz des Lebens, der Menschenrechte und der Umwelt verpflichtet sein. Dies gilt insbesondere auch für die Risikotechnologie Gentechnik. Bevor im großen Stil irreversible Freisetzungen gentechnisch ver- änderter Organismen in die Umwelt erfolgen, müssen möglichst alle Risiken ausgeschlossen werden. Außerdem muss die grüne Gentechnik ihren Nutzen für die Land- wirtschaft und die Verbraucher nachweisen, bevor sie zur Anwendung kommt. Diesen Nachweis ist sie bisher schuldig geblieben Beispielsweise ist es zweifelhaft, ob es ein Fortschritt ist, wenn dem Mais flächendeckend ein pes- tiziderzeugendes Gen gegen den Maiszünzler eingebaut wird, obwohl nur ein Teil der Anbauflächen überhaupt be- fallen wird. Es ist vielmehr ein Rückschritt in alte Zeiten, als Pflan- zenschutzmittel unspezifisch ohne Indikation gespritzt wurden. Das ist ökonomischer und ökologischer Unsinn. Die ersten Folgen zeigen sich schon in den USA: Unnötig werden Resistenzen induziert. Das amerikanische Land- wirtschaftsministerium musste schon zu Resistenzma- nagementplänen greifen. Ein konkreter Nutzen für die Verbraucher ist bisher noch überhaupt nicht sichtbar geworden. Umso wichtiger ist, dass die Wahlfreiheit für alle Verbraucher und Land- wirte erhalten bleibt. Jedem Menschen muss die Mög- lichkeit erhalten bleiben, sich so zu ernähren, wie er selbst es für gesund und ökologisch und ethisch unbedenklich hält – auch gentechnikfrei. Dafür ist eine klare und um- fassende Kennzeichnung von gentechnisch veränderten Nahrungsmitteln erforderlich. Auch der Landwirt muss sich frei entscheiden können, ohne Gentechnik anzubauen. Die nicht gentechnische Produktion und der Markt für gentechnikfreie Produkte dürfen nicht in eine Nische abgedrängt werden. Dazu muss beim Anbau auf den Feldern und im Verarbeitungs- und Vermarktungsprozess eine strikte Trennung der gen- technischen und der nicht gentechnischen Produktion er- folgen. Durch geeignete Mallnahmen muss sichergestellt werden, dass Auskreuzungen und Vermischungen nicht die gentechnikfreie Produktion beeinträchtigen. Außer- dem muss während des Anbaus bekannt sein, welche gen- technisch veränderten Pflanzen auf welchen Feldern und Standorten wachsen, um Sicherheitsmaßnahmen und Ab- standsregelungen treffen zu können. Nur so kann einer allmählichen Ausbreitung von gentechnisch veränderten Organismen in der Natur „durch die Hintertür“ und der allmählichen Ansammlung von „Genmüll“ in konventio- nellem Saat- und Pflanzengut vorgebeugt werden. Gen- technikfreie Produktion und Umwelt müssen gleicher- maßen durch neue Haftungsbestimmungen besser als bisher vor Schäden durch Verunreinigungen geschützt werden. Die Erfahrungen in der Vergangenheit haben jedoch gezeigt, dass es nicht ausreichend ist, die Kennzeichnung des Endproduktes vorzuschreiben. Vielmehr muss eine lückenlose Rückverfolgbarkeit des Herstellungsprozesses einschließlich des Saatgutes und der Futtermittel durch ein Dokumentations- und Kennzeichnungssystem sicher- gestellt werden. Eine EU-weite Novel-Feed-Verordnung für Futtermittel muss daher schnellstmöglich umgesetzt werden. Voraussetzung für die Einführung von Gentech- nik bei Lebensmitteln kann also nur optimale Sicherheit und breite gesellschaftlicher Akzeptanz sein. Deshalb ist es besonders zu begrüßen, dass das BMVEL unter Renate Künast einen breiten gesellschaftliche Diskurs über die Anwendung der Gentechnik in der Landwirtschaft be- gonnen hat, der Wissenschaft, Unternehmen, Verbraucher und Umweltverbände an einen Tisch bringt. Wir pflegen den Diskurs. Die einzigen, die in dieser Frage ideologisch verbohrt sind, sind die Oppositions- fraktionen. Der Antrag der CDU/CSU zeigt erneut, dass sie weder in der Lage sind, eine verantwortungsvolle Gen- technikpolitik zu machen, noch sind sie auf der Höhe der Debatte. Beispiel Welthunger und Gentechnik: Es ist keinesfalls so, dass die Gentechnik den über 800 Millionen Hun- gernden – bei der CDU/CSU übrigens „nur“ 660 Milli- onen Hungernde, sie hat auch hier offensichtlich die FAO- Berichte nicht richtig gelesen – in den armen Ländern der Welt dient. Fakt ist: Die bisherige Entwicklung und An- wendung der grünen Gentechnik bezieht sich fast aus- schließlich auf die industrialisierte landwirtschaftliche Produktion in den hochentwickelten und reichen Ländern der westlichen Welt. Es ist zu befürchten, dass die Ein- führung der Gentechnik die Industrialisierungs- und Mo- nopolisierungstendenzen in der Landwirtschaft noch ver- schärft. Die Welternährungskonferenz hat soeben auch Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Juni 2002 24541 (C) (D) (A) (B) wieder überdeutlich gemacht, dass Hunger ein politi- sches, ein soziales, ein Verteilungsproblem ist und keines, dass durch neue Technologien zu lösen ist. Beispiel Sicherheit: CDU/CSU stellen die grüne Gen- technik als sicher hin, weil bisher nichts Ernstes passiert ist. Abgesehen davon, wie naiv dieser Ansatz ist, und ab- gesehen davon, dass er allen Vorsorgegesichtspunkten widerspricht: Die Gentechnikforscher selber sehen die Freisetzung transgener Pflanzen wesentlich kritischer. Sie stellen Tag für Tag fest, dass sich transgene Pflanzen viel schneller und umfänglicher auskreuzen als ursprünglich angenommen. Sie müssen zugeben, wie wenig sie noch über die komplexen Zusammenhänge auf den Feldern wissen – vom komplizierten Bodenleben ganz zu schwei- gen. Deshalb wird beispielsweise diskutiert, gentechni- sche Veränderungen nur noch bei sterilen Pflanzen durch- zuführen oder die gentechnische Veränderung nur noch in den Chloroplasten vorzunehmen. Im Gegensatz zum untauglichen und der Gentechnik völlig unkritisch gegenüberstehenden Antrag der CDU/CSU machen der hier vorgelegte Bericht zur Tech- nikfolgenabschätzung und die Beschlussempfehlung der Regierungsfraktionen konkrete Vorschläge, welche Maß- nahmen für optimale Sicherheit, Transparenz und Wahl- freiheit nötig sind: bei der verstärkten Förderung der Ri- sikoforschung, bei der gezielten Erforschung der indirekten und langfristiger Auswirkungen transgener Pflanzen, bei der Ausstattung der zuständigen Fachbehör- den mit Kompetenzen und Arbeitsmöglichkeiten für ein Resis-tenzmanagement und bei einer breiten Beteiligung der Öffentlichkeit. Ich bitte daher um eine breite Zustimmung und fordere die Opposition auf, ihren gefährlichen Unsinn nochmals zu überdenken und besser der Beschlussempfehlung der Koalition zu folgen. Ulrich Heinrich (FDP): Die Biotechnologie eröffnet uns Chancen in Arbeitsgebieten wie Ernährung, Land- wirtschaft und Feinchemie. Darüber hinaus hilf sie uns, in der Produktion Rohstoffe und Energie zu sparen. Beson- ders im Bereich der Pflanzenzüchtung liegt ein hohes Po- tenzial der grünen Gentechnik. Hier werden klassische Methoden optimiert, die Züchtung erfolgt äußerst zielge- richtet und positive Eigenschaften aus den Erbanlagen- verschiedener Arten können kombiniert werden. Die Forscher gehen von drei großen Wellen der grünen Gentechnik aus. Die erste, die vor allem durch den BT- Mais repräsentiert wird, war gekennzeichnet von der Ent- wicklung der Herbizidresistenzen. Zurzeit befinden wir uns in der zweiten Welle: Hier wird besonders an den In- haltsstoffen von Pflanzen geforscht. Ziel ist es – zum Bei- spiel den Ölgehalt von Raps qualitativ und quantitativ zu optimieren. Außerordentlich bedeutend für die zukünftige Ernährung der Weltbevölkerung ist jedoch die dritte Welle der Biotechnologie. Hier werden Kälte-, Trockenheits- und Salztoleranzen von Pflanzen verbessert werden kön- nen. Dies verhindert nicht nur eine weitere Ausbreitung von Wüsten und wirkt der Erosion entgegen, sondern er- möglicht auch Landwirtschaft unter ungünstigen Bedin- gungen. Die grüne Gentechnik ist somit die Schlüsseltechnolo- gie des 21. Jahrhunderts. Angesichts von 800 Millionen hungernder Menschen auf der Welt möchte ich Herrn Lester Brown, Präsident des Woldwatch Institutes zitieren: Nicht Multimedia oder Datenautobahn, nicht Unter- haltung oder sportliche Höchstleistungen werden un- seren Weg ins 21. Jahrhundert bestimmen, sondern die grundsätzliche Frage: Wie ernähren wir dem- nächst zehn Milliarden Menschen? Heute hat der FAO-Ernährungsgipfel erstmals in einer Resolution festgehalten, „...dass die Weltgemeinschaft verpflich- tet sei, im Interesse der Ernährungssicherheit einen verantwortungsvollen Einsatz der Biotechnologie zu ermöglichen“. Eine ideologische Verweigerung dieser modernen Technologie, wie die Grünen sie an den Tag legen, ist nicht akzeptabel und schlichtweg eine Verweigerung der Zukunft. Schon heute werden weltweit über 50 Millionen Hek- tar gentechnisch entwickelter Pflanzen angebaut. In den modernen Industriestaaten sind an der Herstellung von mehr als 60 Prozent der Lebensmittel gentechnisch opti- miert Mikroorganismen beteiligt. Der Diskurs zur grünen Gentechnik, den Frau Künast betreibt, ist eine reine Alibiveranstaltung. Hier wird Ge- sprächsbereitschaft signalisiert, aber herauskommen darf dabei nichts. Bei ihr kommen weder Vertreter anderer Par- teien zu Wort noch werden die Argumente der führenden Technologieunternehmen angehört. Eine derartige absolute Ablehnung ist nicht nur für die Lösung der Zu- kunftsprobleme unverantwortbar, sondern auch für den Wirtschafts-, Technologie- und Forschungsstandort Deutschland. Deshalb fordert die FDP die rotgrüne Bundesregierung auf, das De-facto-Moratorium in der grünen Gentechnik noch vor den Wahlen zu beenden und die Weichen für die Zukunft zu stellen. Hierzu gehört ein offener, konstrukti- ver Dialog, der auch die Chancen der grünen Gentechnik herausstellt. Das ständige einseitige Betonen der Risiken führt nur zu weiterer Verunsicherung der Verbraucher, statt aufzuklären und somit die Akzeptanz der Biotechno- logie zu stärken. Sollte in Deutschland die Forschung gestoppt und der Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen weiterhin be- hindert werden, wandern weitere Firmen ins Ausland und damit auch Arbeitsplätze und Investitionen. Für die FDP ist eine derartige Einschränkung der wissenschaftlichen Entwicklung unseres Landes nicht hinnehmbar. Kersten Naumann (PDS): Lassen Sie uns für einen Moment in die Zukunft schauen: Die Landwirtschaft pro- duziert noch unter bestimmten regionalen und nationalen Wirtschaftssystemen, schon bald unter einem Weltwirt- schaftssystem, und wenn die grüne Gentechnik auf dem Acker und im Essen präsent ist, dann produziert die Land- wirtschaft unter der Rigide von Chemiekonzernen. Denn sie bestimmen darüber, wie produziert wird – nämlich mit Monokulturen. Sie bestimmen auch, was für Saatgut und welche Pflanzenschutz- und Düngemittel dafür eingesetzt Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Juni 200224542 (C) (D) (A) (B) werden und wie viel der Bauer für Technologieabgaben und Patentgebühren draufzahlen darf. Man darf nicht vergessen: Gentechnisch verändertes Saatgut kommt mit Patenten wie das Ei im Kuchen daher. Schon jetzt haben sich die Bauern gegen höhere Nach- baugebühren aufgelehnt und beschäftigen Anwälte und Gerichte. Was soll das erst werden, wenn sich unsere im Vergleich zu den USA noch relativ kleinstrukturierten Höfe und Betriebe nun den Patentgebühren bewusst wer- den? Möglichst viel Geld in aller Herren Länder für mög- lichst billigst produzierte einheitliche Massenprodukte zu bekommen, ist gesellschaftsimmanent, marktevident und entspricht der Globalisierungsstrategie. Der internationale Handel wächst zweimal so schnell wie die Weltproduktion und Überseeinvestitionen wach- sen wiederum zweimal so schnell wie der Handel. Die Chemieindustrie und Pharmalobby hat da den größten Vorreiter gespielt. Was wird der Sieg der grünen Gen- technik über die Natur der Menschheit an Reparaturkos- ten kosten? Gentechnik erhöht – nach allem, was wir heute wissen – nochmals die Allergiegefahr. Selbst Wirtschaftsinstitute prognostizieren: Auch Arbeitsplätze schafft sie unter dem Strich nicht. Die Chemiekonzerne wollen die ganze Welt in Geiselhaft nehmen und Bauern werden auf diesem Weg ihre Heimarbeiter. Und wen wundert es, dass verantwortungslose Politiker bei CDU und FDP ihre Helfershelfer sind? Denn sie sitzen in den entsprechenden Aufsichtsräten der Wirtschaft. Gen- technik wird nicht den Hunger in der Welt abschaffen – ihn nicht einmal verringern. Meine Damen und Herren von der CDU, Ernährungssicherheit heißt in Afrika eben nicht her- bizidresistenter Weizen, Bt-Mais und Roundup-Ready- Reis, sondern traditioneller Weise Sorghum, Hirse und Maniok. Der Umweltrat schätzt ein: Die Nutzung der Gentech- nik wird zweifellos mittel- und langfristig einen Einfluss auf ökologische und evolutionäre Prozesse haben. Die ge- zielte Konstruktion eines gentechnisch veränderten Orga- nismus im Labor, insbesondere über Artschranken hin- weg, stellt einen Vorgang dar, der im Rahmen einer natürlichen Evolution höchstwahrscheinlich nie abgelau- fen wäre. Dennoch hält der Umweltrat insgesamt die – ohne Zweifel vorhandenen – Risiken der Gentechnik, die mit einer breiten Einführung in der Landwirtschaft verbunden sind, für tragbar. Es kommt eben auf die eingeführten Gene an, welche toxikologisch oder allergologisch be- deutsame oder fitnessverändernde Eigenschaften im Empfängerorganismus ausprägen werden. Das muss man sich einmal vorstellen. Der Umweltrat und so auch der TAB-Bericht hält es also für tragbar, dass mit der Ablösung der mechanischen hin zur rein chemi- schen Gesamtvernichtung von Kräutern und Unkräutern durch Totalherbizide zum Beispiel bei herbizidresistenten Gen-Kulturen eine weitere Chemisierung auf unseren Äckern vorgenommen wird. Erst vorige Woche wurden die Auswirkungen von Chemie in landwirtschaftlichen Produkten und im Essen diskutiert. Schon jetzt wird von Wissenschaftlern angemahnt, dass die Totalherbizide weiteren genauen Untersuchungen auf unerwünschte Ne- benwirkungen wie Fischgiftigkeit, Grundwassergefähr- dung und kanzerogene Wirkungen unterzogen werden müssen. Der Umweltrat hält es also auch für möglich, dass in den künftigen Jahren und Jahrzehnten Wild- und Kultur- pflanzen, Saat- und Erntegut mit GVO weiter durch- mischt werden. Neben den bereits bekannten Gefährdun- gen über Pollenflug und Resistenzverbreitung wird den künftigen Generationen eine Natur überlassen, die durch und durch gentechnologisiert wird. Er hält es weiterhin für tragbar, dass die Insektenwelt kontinuierlich so geformt wird, dass Schädlingen und Nützlinge gleich mit reduziert werden oder sich Resisten- zen aneignen, die wir nie mehr zurückholen können. Weder der TAB-Bericht noch der CDU-Antrag werden sich der Tragweite der so genannten Chancen über die Gentechnik mit einem Nachzulassungsmonitoring klar. Ein Monitoring nach Inverkehrbringen baut nicht Risken ab, sondern verschärft sie, bevor Forschung und Risiko- analyse vor Inverkehrbringen überhaupt richtig durchge- führt worden sind. Nachbaumonitoring verdrängt den Vorsorgegedanken. Es ist ein falscher Ansatz, Risiken eines großflächigen Anbaus und einer kommerziellen Nutzung als Futtermit- tel und/oder Lebensmittel begleitend zu erforschen, deren Folgen weder in der Umwelt noch in der Gesundheit selbst gewiss sind. Auf einer mit Landwirtschaft dicht genutzten Fläche wie in Deutschland und in Europa kann es kein Neben- einander von gentechfreien und Gentech-Feldern geben. Die Kontaminationsskandale der jüngeren Vergangenheit beweisen, dass weder Bauern noch die Saatgutunterneh- mer dieses Problem im Griff haben. Selbst die nur als Fut- termittel deklarierte Mais-Sorte Star-Link tauchte prak- tisch weltweit in Nahrungsmitteln auf. In den USAmeldet sich im Zuge des Star-Link-Skandals die „Amerikanische Vereinigung der Mais anbauenden Landwirte (ACGA)“ zu Wort und ist besorgt darüber, dass eine Strategie gegen die Konsumenten nicht funktionieren wird. Seit Jahren ist die Bevölkerung in Deutschland und in der EU mehrheitlich ablehnend. Dies wird auch so blei- ben – trotz der Werbekampagnen und der so genannten Aufklärung durch Gentech-Schüler-Labore und -Mobile. Wann wird die deutsche und europäische Land- und Ernährungswirtschaft dies endlich akzeptieren? Anlage 10 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung einer kapitalgedeckten Hütten- knappschaftlichen Zusatzversicherung und zur Änderung anderer Gesetze (Hüttenknappschaft- liches Zusatzversicherungs-Neuregelungs-Ge- setz – HZvNG) (Tagesordnungspunkt 38) Erika Lotz (SPD): Mit dem Gesetz wird die beste- hende Hüttenknappschaftliche Zusatzversicherung im Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Juni 2002 24543 (C) (D) (A) (B) Saarland auf eine kapitalgedeckte betriebliche Altersver- sorgung umgestellt. Diese Maßnahme dient der Sanierung der Hüttenknappschaftlichen Zusatzversicherung, da eine Weiterführung im Umlageverfahren angesichts der verschlechterten Relation von Beitragszahlern zu Leis- tungsempfängern nicht mehr möglich ist. Für die älteren Versicherten, die zum 1. Januar 2003 das 45. Lebensjahr vollendet haben, wird der notwendige Vertrauensschutz geschaffen, indem für diese Beschäftigten die bisherige Zusatzversorgung fortgeführt wird. Der Bund übernimmt dafür die Defizitdeckung, wobei ihm das Vermögen der HZV übertragen wird. Zum Gesetzentwurf gehören aber noch eine ganze Reihe von Änderungen. Auf einige will ich hier ausführ- lich eingehen: Erstens. Bei den Betriebsrenten heben wir eine Be- schränkung auf Pensionsfonds können in Zukunft als Leistung der betrieblichen Altersversorgung auch Aus- zahlungspläne anbieten. Damit werden die Leistungen mit denen von Investmentfonds gleichgestellt. Um die bisherigen Beschränkungen des Pensionsfonds aufzuheben, wird dessen Definition im § 112 des Versi- cherungsaufsichtsgesetzes, VAG, geändert. Der Pensions- fonds soll in Zukunft alle Leistungen der betrieblichen Al- tersversorgung ohne Einschränkungen erbringen können. Dazu gehört auch der bislang fehlende Auszahlungsplan mit anschließender Restverrentung. Die Teil-Kapitalisie- rung orientiert sich ausdrücklich an den Regelungen, die für Altersvorsorgeverträge nach § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 des Altersvorsorgeverträge-Zertifizierungsgesetzes gelten, so- dass maximal 20 Prozent des zu Beginn der Auszahlungs- phase zur Verfügung stehenden Kapitals in einem Betrag ausgezahlt werden dürfen. Wir mussten den Pensionsfonds anders definieren, weil er in seinen Anwendungsmöglichkeiten bisher zu sehr eingeschränkt war. Zu seinen Leistungen gehörten bislang lediglich die lebenslange Altersversorgung in Form einer Rente. Ausgenommen waren dagegen Leis- tungen, mit denen die Langlebigkeit auch durch Auszah- lungspläne mit unmittelbar anschließender Restverren- tung im hohen Alter abgesichert werden kann. Dabei sind diese Leistungen auch eine steuerlich anerkannte Form der Altersvorsorge. Ausgeschlossen waren auch Kapital- leistungen, obwohl es sich auch hierbei um eine Form der Leistung betrieblicher Altersversorgung handelt. Diese Regelungen sind sinnvoll, damit der Pensions- fonds von Lebensversicherungsunternehmen oder von Pensionskassen unterschieden werden kann; als eigen- ständiger Durchführungsweg der betrieblichen Altersver- sorgung kann er nur dann seine Rolle spielen, wenn nicht alle seine Leistungen – also neben der Absicherung der Langlebigkeit auch die Invaliditäts- und Hinterbliebenen- versorgung – durch versicherungsförmige Garantien zu- gesagt werden. Mit diesen Änderungen wird erreicht, dass der Pen- sionsfonds die ihm zugedachte Funktion übernehmen kann, dass Direktzusagen und Zusagen aus Unterstüt- zungskassen zur Bilanzbereinigung von Verpflichtungen aus der betrieblichen Altersversorgung auf ihn übertragen werden. In den letzten Monaten hat sich gezeigt, dass die bei vielen Betrieben übliche Praxis, sowohl Kapital- als auch Rentenleistungen anzubieten, diese Übertragung er- schwert hat. Außerdem erwarten wir, dass der bisherige Genehmi- gungsstau aufgelöst werden kann – beim Bundesamt für Finanzdienstleistungsaufsicht liegen zurzeit 23 noch nicht bewilligte Anträge vor. Zweitens. Wir wollen auch die steuerliche Förderung für die Beteiligung der Arbeitnehmer an der Finanzierung der betrieblichen Altersversorgung durch eigene Beiträge ermöglichen. Auf die betriebliche Altersversorgung, die durch Eigenbeiträge der Arbeitnehmer aufgebaut wird, lassen sich danach ab dem 1. Januar 2003 die besonderen Regelungen für die Entgeltumwandlung entsprechend an- wenden, wenn die zugesagten Leistungen im Wege der Kapitaldeckung finanziert werden. Zu diesen besonderen Regelungen gehört zum Beispiel der Entgeltumwandlungsanspruch, das Recht, die Versi- cherung nach dem Ausscheiden aus dem Arbeitsverhält- nis fortzuführen, die sofortige Unverfallbarkeit der An- wartschaft und weitere spezielle Anpassungsregelungen. Wir machen das so, weil die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer dabei das gleiche Schutzbedürfnis haben wie bei der Entgeltumwandlung. Dass wir die Möglich- keit auf die kapitalgedeckte Altersvorsorge einschränken, entspricht den Regelungen zur steuerlichen Förderfähig- keit. Die Zusatzversorgungssysteme im öffentlichen Dienst sind also nicht in dieser Regelung miteinbezogen. Wir schaffen aber auch eine Ausnahme von dieser Regelung: Für Pensionskassen, deren Leistungen durch untrennbar miteinander verbundene gemeinsame Zahlun- gen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern finanziert wer- den – dies ist vor allem bei Pensionskassen im Bereich der chemischen Industrie der Fall – wird den ausgeschiede- nen Arbeitnehmern nicht das Recht eingeräumt, den Ver- trag mit eigenen Beiträgen fortzuführen. Außerdem muss keine Überschussverwendung erfolgen. Damit vermeiden wir, in bestehende Leistungszusagen einzugreifen. Drittens. Im Einvernehmen mit allen an der Insolvenz- sicherung der betrieblichen Altersversorgung beteiligten Institutionen werden im Hinblick auf die neuen Vor- schriften über die Entgeltumwandlung die bisherigen Begrenzungen der Einstandspflicht des Pensions-Siche- rungs-Vereins bei Zulagen aufgehoben, die auf Entgelt- umwandlungsvereinbarungen beruhen. Entsprechend einer Forderung des Bundesrates wird der Ausschluss des gesetzlichen Insolvenzschutzes nach § 7 Abs. 5 letzter Satz – kein gesetzlicher Insolvenzschutz hinsichtlich in den letzten zwei Jahren vor Eintritt der In- solvenz erfolgten Verbesserungen der betrieblichen Leis- tung – aufgehoben. Damit werden Arbeitnehmer bei der Finanzierung der betrieblichen Altersvorsorge begünstigt. Der Ausschuss hat sich in seinen Beratungen auch mit der jüngst geänderten Rechtsprechung des Bundesarbeits- gerichts zu § 2 Abs. 1 Satz 1 BetrAVG befasst und festge- stellt, dass es in zwei neueren Urteilen für die Berechnung der vorzeitigen Altersrenten von der bisherigen gesetzli- chen Systematik abgewichen ist. Diese Problematik be- darf nach unserer Auffassung der gründlichen Erörterung Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Juni 200224544 (C) (D) (A) (B) und sollte in einem späteren Gesetzgebungsverfahren, auch unter Einbeziehung von Sachverständigen im Rah- men einer Anhörung überprüft werden Insgesamt möchte ich noch einmal darauf hinweisen, dass die betriebliche Altersversorgung einen sehr großen Anteil an der zusätzlichen Altersvorsorge ausmachen wird – aller Voraussicht nach sogar den größten. Alle Be- teiligten sind hier startklar. Vor Ort werden jetzt die Tarif- verträge über Entgeltumwandlung mit Leben gefüllt. Viele Beschäftigten werden Teile des Weihnachtsgeldes oder andere Einmalzahlungen für die Gehaltsumwand- lung verwenden. Mit dem Gesetz, das wir heute verabschieden, haben wir das Spektrum der Möglichkeiten für die betriebliche Altersvorsorge noch einmal erweitert. Viele Arbeitneh- mer werden sicher die neuen Angebote von Pensions- fonds und Pensionskassen nutzen, die ab dem Sommer mit ihren Produkten auf den Markt kommen. Damit haben wir ein wesentliches Ziel unserer Ren- tenreform erreicht: die betriebliche Altersvorsorge wieder attraktiv und für mehr Beschäftigte zugänglich zu ma- chen. Fachleute prognostizieren, dass der Anteil der Ar- beitnehmer, die künftig betriebliche Versorgungsleistun- gen erhalten, langfristig auf bis zu 90 Prozent steigen wird. Die betriebliche Altersversorgung steht also – nach- dem sie 16 Jahre lang von der Kohl-Regierung praktisch vergessen worden war – vor einer wirklichen Renais- sance. Karl-Josef Laumann (CDU/CSU): Eingangs der heutigen Beratungen des vorliegenden Gesetzentwurfs möchte ich ausdrücklich begrüßen, dass trotz aller Gra- benkämpfe in dieser Wahlperiode zum Thema Rente und angesichts des bevorstehenden Wahlkampfes die Bereit- schaft besteht, gemeinsam notwendige Änderungen im Bereich der Alterssicherung durchzusetzen. Das ist uns erst vor kurzem bei dem interfraktionell eingebrachten Entwurf eines „Gesetzes zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Getto und zur Änderung des SGB VI“ gelungen. Und auch der heute zur Beratung vorliegende Entwurf der Bundesregierung eines Hütten- knappschaftlichen Zusatzversicherungs-Neuregelungs- Gesetzes findet die Unterstützung der Union. Ich möchte in meinen Ausführungen auf zwei Rege- lungsbereiche des Gesetzentwurfs eingehen, zunächst auf den Bereich, der dem Gesetz den Namen gegeben hat, nämlich auf die Neuregelung der Hüttenknappschaftli- chen Zusatzversicherung im Saarland. Das bisherige um- lagenfinanzierte System dieser Zusatzversicherung soll durch den Gesetzentwurf auf eine kapitalgedeckte be- triebliche Altersversorgung umgestellt werden. Ange- sichts der erheblichen Verschlechterung der Relation von Beitragszahlern und Leistungsempfängern ist dies sicher ein richtiger und notwendiger Schritt, denn in der Hütten- knappschaftlichen Zusatzversicherung stehen derzeit etwa 18 800 Versicherten rund 41 000 Leistungsempfän- ger gegenüber. Es bestand also in der Tat dringender Handlungsbedarf. Die Defizitdeckung für die umlagenfi- nanzierte Zusatzversicherung soll nach dem Entwurf der Bund übernehmen. Dafür wird das Vermögen der umla- genfinanzierten Zusatzversicherung in Höhe von etwa 375 Millionen Euro auf den Bund übertragen. Für das Land Saarland ist diese Lösung sicher ein politischer Er- folg. Insofern kann ich die saarländische Landesregierung zu ihrer erfolgreichen Überzeugungsarbeit beglückwün- schen. Allerdings sehe ich durchaus die Gefahr, dass durch diesen Schritt Begehrlichkeiten bei anderen defi- zitären betrieblichen Zusatzversicherungen geweckt wer- den. Vor diesem Hintergrund möchte ich deutlich machen: Ich halte die Defizitdeckung für eine betriebliche Zusatz- versicherung durch den Bund grundsätzlich für proble- matisch. Deshalb kann und darf diese Lösung in Zukunft keinesfalls der Regelfall werden. Der zweite Bereich des Gesetzentwurfs, auf den ich eingehen möchte, betrifft die betriebliche Alterssiche- rung. Durch die Änderung des § 112 Versicherungsauf- sichtsgesetz, sollen bisherige Beschränkungen des Pen- sionsfonds aufgehoben werden. Bislang gehörten zu den Leistungen, die der Pensionsfonds erbringen konnte, nur lebenslange Altersversorgungsleistungen in Form einer Rente. Einbezogen werden nunmehr auch Auszahlungs- pläne mit unmittelbar anschließender Restverrentung, in deren Rahmen die Möglichkeit besteht, bis zu 20 Prozent des zu Beginn der Auszahlungsphase vorhandenen Kapi- tals in einem Betrag an den Berechtigen auszuzahlen. Ich begrüße diese Flexibilisierung der Pensionsfonds aus- drücklich, insbesondere weil nunmehr zu erwarten ist, dass der bisherige Genehmigungsstau der Pensionsfonds beim Bundesamt für Finanzdienstleistungsaufsicht aufge- löst werden kann. Allerdings bedaure ich, dass es nicht zu weiter gehenden Änderungen gekommen ist, so wie dies in der ursprünglichen Fassung des Änderungsantrags noch vorgesehen war. An dieser Stelle hat die rot-grüne Bundesregierung leider der Mut verlassen. Deshalb besteht auch nach dieser Änderung für den Bereich der Pensionsfonds wie auch für den Bereich der privaten Alterssicherung insgesamt noch weitergehender Ände- rungsbedarf. Ziel muss es sein, die ergänzende Altersvor- sorge insgesamt freiheitlicher auszugestalten. Erst dann entsteht auch die Bereitschaft bei den Menschen, ergän- zend zur gesetzlichen Rente vorzusorgen, sei es nun pri- vat oder betrieblich. Der Bundesregierung ist es mit ihrer Reform nicht ge- lungen, diese Bereitschaft bei den Menschen zu wecken. Die bisher ernüchternden Zahlen der abgeschlossenen so genannten Riester-Verträge beweisen dies. Auch wenn Bundesminister Riester gebetsmühlenartig seine Reform als Erfolg darzustellen versucht, so zuletzt am Mittwoch in seiner Pressekonferenz zum „Stand der zusätzlichen Altersversorgung – Bilanz und Perspektiven“. In Wirk- lichkeit glaubt die Bundesregierung selbst nicht mehr da- ran. Warum sonst sollte sie überlegen, die staatliche För- derung auch im Jahr 2003 noch rückwirkend für 2002 geltend machen zu können und die private Zusatzrente in eine obligatorische Altersvorsorge umzuwandeln. Für eine private Zwangsrente hatte sich zuletzt immerhin der sozialpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Klaus Brandner, ausgesprochen. An den bestehenden grundle- genden Fehlern der ergänzenden Altersvorsorge kann deshalb auch der vorliegende Gesetzentwurf nicht wirk- lich etwas ändern, auch wenn er mit der Flexibilisierung der Pensionsfonds zumindest in die richtige Richtung Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Juni 2002 24545 (C) (D) (A) (B) weist. Deshalb stimmt die Union dem Gesetzentwurf auch zu. Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die rot-grüne Bundesregierung hat im vergangenen Som- mer ein Förderprogramm zur privaten Altersvorsorge durch Bundestag und Bundesrat gebracht, das von allen Seiten sehr gelobt wurde. Heute werden wir einem Gesetzentwurf zustimmen, auf dessen Grundlage die Hürtenknappschaftliche Zu- satzversorgung im Saarland für jüngere Versicherte auf eine kapitalgedeckte betriebliche Altesversorgung umge- stellt wird. Derzeit wird die Hüttenknappschaftliche Zu- satzversorgung allein über Umlagen finanziert. Die Fi- nanzierung über Umlagen kann dauerhaft nicht mehr für alle Versicherten geleistet werden. Schon heute stehen rund 41 000 Rentner nur noch annähernd 19 000 Bei- tragszahler gegenüber. Für die älteren Versicherten wird die Finanzierung über Umlagen fortgeführt. Der Bund übernimmt die Haftung für Defizite. Es ist Schluss mit der Ungewissheit für Rentner und Beitragszahler. Wir haben im vergangenen Sommer ebenfalls ent- schieden, einen neuen Weg der betrieblichen Altersver- sorgung, die Pensionsfonds, einzuführen. Heute werden wir die gesetzlichen Grundlagen schaffen, damit Pen- sionsfonds in Zukunft leistungsfähiger werden. Sie kön- nen ihren Kunden künftig statt Renten auch Auszahlungs- pläne mit Restverrentung anbieten. Unsere Fraktion wäre gern noch einen Schritt weiter gegangen und hätte diesen neuen Durchführungsweg noch leistungsfähiger gestaltet. Wir hätten den Betrieben die Möglichkeit eröffnet, jede Form der bislang gegebe- nen internen Zusagen auf Pensionfonds zu übertragen, auch Zeitrenten und Kapitalzahlungen. Wir hätten in einer Öffnung kein Signal für einen generellen Wechsel von Renten- zu Kapitalzahlungen gesehen. Alle vorliegenden Informationen zeigen, das in den Betrieben bevorzugt über lebenslange Renten vorgesorgt wird. Noch ein Wort an die Damen und Herren der FDP. Wir werden heute einen Gesetzentwurf verabschieden, der aus Sicht aller Beteiligten sinnvoll und erforderlich ist, um die betriebliche Altersversorgung zu stärken. In der Sache ha- ben auch Sie keine Einwände. Sie stimmen als einzige Fraktion den Änderungen nicht zu, weil Sie schon dem Altesvermögensgesetz nicht zugestimmt haben. Sie sind offenbar weder fähig noch gewillt, dazuzulernen. Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Die rot-grüne Bundes- regierung will mit ihrem Entwurf des Hüttenknapp- schaftlichen Zusatzversicherungs-Neuregelungs-Gesetzes sowie mit ihrem umfangreichen Änderungsantrag we- sentliche Änderungen des Gesetzes zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung (BetrAVG) bzw. des Ver- sicherungsaufsichtsgesetzes (VAG) herbeiführen. Für die FDP sage ich: Wir lehnen diesen Gesetzentwurf ab, weil wir schon die Einführung des Gesetzes über die Förderung der privaten Altersvorsorge als falschen, weil nicht ausreichenden und deutlich zu bürokratischen Schritt abgelehnt haben. Überdies lässt die mit der vorge- sehenen Gesetzesänderung einhergehende Verknüpfung von zweiter und dritter Säule weitere Verkomplizierungen dieses ohnehin bereits komplexen Rechtsgebietes be- fürchten und begegnet auch systematischen Bedenken. Umso mehr wäre hier eine Sachverständigenanhörung angebracht gewesen, um sorgfältig die Wirkungen der ge- planten Änderungen, insbesondere ihre möglichen Vor- und Nachteile für Arbeitgeber und Arbeitnehmer zu prü- fen. Lassen Sie mich nur zwei Punkte herausgreifen, die unsere Skepsis illustrieren. Die vorgesehenen Änderun- gen zielen auf eine Erweiterung der Definition der be- trieblichen Altersvorsorge. Neben der Arbeitgeberfinan- zierung und der Entgeltumwandlung sollen danach – als dritte Finanzierungsform der betrieblichen Altersvorsorge – auch Arbeitnehmerbeiträge an Direktversicherung, Pen- sionskasse und Pensionsfonds zur betrieblichen Alters- vorsorge gehören. Zwar wird der Gesetzentwurf insoweit der Notwendig- keit gerecht, dass der Arbeitgeber den Umfang seiner Haf- tung sowie der Verpflichtungen nach dem BetrAVG selbst bestimmen können muss. Nur sieht Art. 3 des Gesetzent- wurfs eine Änderung des § 1 Abs. 2 BetrAVG durch die Einfügung einer Nr. 4 vor, nach der eigene Beiträge des Arbeitnehmers aus seinem versteuerten Einkommen an einen Pensionsfonds, eine Pensionskasse oder eine Di- rektversicherung als betriebliche Altersversorgung zu werten sein sollen. Aber bislang zählten Beiträge, die der Arbeitnehmer aufgrund eigener Verpflichtung beispiels- weise an eine Pensionskasse erbracht hat, unstreitig zur privaten Eigenvorsorge. So genannte Eigenbeiträge wer- den in der Fachöffentlichkeit als ein Fremdkörper im Be- triebsrentenrecht wahrgenommen. Die vorgesehene Ana- logie zum Rechtsanspruch auf Entgeltumwandlung würde bedeuten: Jeder Arbeitnehmer soll seinen Arbeitgeber zwingen dürfen, ihm Leistungen der betrieblichen Alters- versorgung zuzusagen, ohne dass der Arbeitnehmer im gleichen Zuge auf einen entsprechenden Teil des Barlohns verzichtet. Dies würde die Sachlage in den Unternehmen noch weiter erschweren und zu einem erheblichen Verwal- tungsaufwand führen. Bereits heute haben die Betriebe genug damit zu tun, die Rentenreform 2001 für den Be- trieb umzusetzen. Die mit dieser Änderung einherge- hende Verknüpfung von zweiter und dritter Säule lässt eine weitere Verkomplizierung dieses ohnehin bereits komplexen Rechtsgebietes befürchten. Größtmögliche Verunsicherung bei Betrieben, Arbeitnehmern und Ver- sorgungsträgern wäre die Folge. Die betriebliche Praxis würde zwischen arbeitgeberfinanzierter betrieblicher Al- tersvorsorge, Entgeltumwandlung und Arbeitnehmer- beiträgen als betriebliche Altersvorsorge sowie freiwilli- gen Arbeitnehmerbeiträgen unterscheiden müssen, da im Arbeits-, Steuer- und Sozialversicherungsrecht jeweils spezifische Regelungen gelten. Ein weiterer problematischer Punkt stellt der fehlende Inflationsschutz für Arbeitnehmer bei Auszahlplänen dar (Art. 3 Nr. 6 (§ 16 Abs. 6 BetrAVG)): Das Betriebsren- tengesetz bezweckt unter anderem den Arbeitnehmer durch die Anpassungsprüfungspflicht des Arbeitgebers nach § 16 Abs. 1 BetrAVG bei über lange Zeit laufenden Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Juni 200224546 (C) (D) (A) (B) Versorgungsbezüge vor Kaufkraftverlusten zu bewahren. § 16 Abs. 6 BetrAVG – eingefügt mit der Rentenreform 2002 – macht nunmehr für monatliche Raten im Rahmen eines Auszahlungsplans eine aus Arbeitnehmersicht schwer nachvollziehbare Ausnahme. Diese soll nun auch noch auf die Restrente ausgedehnt werden, sodass der In- flationsschutz hier ersatzlos entfiele. Dadurch besteht die Gefahr, dass die Anpassungsprüfungsverpflichtung durch die Wahl von Auszahlungsplänen auch bei den Durch- führungswegen der Direktzusage oder der Unterstüt- zungskassenzusage zulasten der Arbeitnehmer gezielt umgangen wird und der Inflationsschutz von Anwart- schaften auf betriebliche Altersversorgung insgesamt aus- gehöhlt wird. Pia Maier (PDS):Die Hüttenknappschaftliche Zusatz- versicherung kann nicht überleben. 41 000 Rentner und Rentnerinnen stehen 18 800 Beitragszahlern gegenüber. Der Bund hat in den letzten Jahren die nötigen Zahlungen immer geleistet, jetzt soll aber umstrukturiert werden. Um es vorneweg zu sagen: Die PDS unterstützt den Gesetz- entwurf, weil er jetzt – nach der beschlossenen Riester- schen Rentenreform – für die älteren Beschäftigten der Saarhütten und den Bestandsrentnern einen entsprechen- den Bestandschutz für ihre Zusatzversorgung garantiert, und das will den Arbeitnehmern ja keiner wegnehmen. Außerdem wird den Jüngeren eine Perspektive mit dem Aufbau einer kapitalgedeckten Pensionskasse eröff- net, die nach Riester förderfähig ist. Das findet die PDS- Fraktion zwar grundsätzlich auch jetzt noch nicht richtig, weil sie eine gänzlich andere Rentenreform befürwortet hat. Für die Beschäftigten der Hütten im Saarland ist die Gleichstellung mit der gesetzlichen Rente aber natürlich sinnvoll. Ich möchte die Gelegenheit nutzen, zur Rente in Gänze etwas zu sagen. Die Entwicklung der Hüttenknappschaft zeigt ja eigentlich, was uns die Demographen und Ren- tenreformer auch für die gesetzliche Rente vorhersagen: Viele Leistungsempfänger stehen wenigen Beitragszah- lern gegenüber. Die für das Zusatzversorgungssystem der Saarhütten und der Eisenindustrie im Saarland gefundene Lösung kann al- lerdings kein Modell für den weiteren Umbau der gesetzli- chen Rente zum Kapitaldeckungsprinzip darstellen. Das sieht man deutlich an den enormen Bundeszuschüssen, die schon in einem solchen sehr kleinem Zusatzsystem zur Si- cherung des Bestandschutzes der im Umlagesystem ver- bleibenden Versicherten und Rentner notwendig werden. Damit bekommt man auch eine Ahnung von den gesell- schaftlichen Kosten eines solch radikalen Systemwechsels. Aber Verhältnisse wie bei der Hüttenknappschaft ha- ben wir bei der gesetzlichen Rente ja nicht. Dort stirbt doch nicht die ganze Arbeit. Dort ist es möglich, den Kreis der Beitragszahler auszuweiten. Und damit ist es auch möglich das Umlageverfahren aufrecht zu erhalten. Es wäre nicht nötig gewesen eine Rentenreform durch- zuführen, die auf Privatisierung setzt, die zur Lebensstan- dardsicherung allein die ArbeitnehmerInnen heranzieht und die Arbeitgeber aus der bisherigen paritätischen Mit- finanzierung entlässt. Das Problem der umlagefinanzierten Rente ist nicht, wie sich die Bevölkerung entwickelt, sondern wie sich die Zahl der Beitragszahler und deren Beiträge entwickeln. So wie bei der Hüttenknappschaft kann es nicht funktio- nieren. Da aber noch lange nicht alle in die Rente einzah- len und wir vom Aussterben auch noch ein paar Jahre ent- fernt sind, könnte die Rentenversicherung statt mit Privatvorsorge auch mit einer Ausweitung der Beitrags- zahler erfolgreich verändert werden. Die Einnahmeseite könnte übrigens auch mit einem Mindestlohn, der ein existenzsicherndes Niveau hat, positiv beeinflusst werden: Wenn wieder mehr statt immer weniger verdient wird, sind die Einnahmen der Renten- und Kran- kenkassen auch wieder besser – das aber nur nebenbei. Abgesehen von der Hüttenknappschaftlichen Zusatz- versicherung haben Sie auch weitere Veränderungen vor- genommen, die eigentlich Ihre Rentenreform nachbes- sern: Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung und Einrichtung von Pensionsfonds, um die Riester-Rente interessanter zu machen. Hoffentlich ist sie dadurch auch ein wenig einfacher geworden. Eines der wesentlichen Hindernisse, warum viele noch keine Riester-Rente abschließen wollen, ist wohl vor al- lem darin zu sehen, dass das Vertrauen in die Nachhaltig- keit der Rentenpolitik gründlich gestört ist. Das haben Sie mit den Debatten um die Sicherheit und Unsicherheit der Rente, um die so genannten Reformen und mit den ge- brochenen Versprechen auf diesem Gebiet erreicht. Viele schrecken auch vor langfristigen Entscheidungen zurück: Es ist völlig unverständlich, warum man vor dem Hintergrund eines zusammenwachsenden Europa, vor ei- ner sich über die Grenzen Deutschlands hinaus ent- wickelnden Lebensplanung, vor den Plänen des Ruhesitzes im Spanien, heute mit dem Problem konfrontiert wird, dass bei Rentenbezug im Ausland die Zulagen zurückgezahlt werden müssen. Wer jetzt schon nicht vor hat, seinen Lebensabend hier- zulande zu verbringen, der oder die wird erst einmal keine Riester-Rente abschließen; jedenfalls dann nicht, wenn an- dere Altersvorsorgeprodukte die gleiche Rendite bieten. Lassen Sie mich also abschließend sagen: Nur weil wir der Ausweitung der Grundprinzipien der Rentenreform auf die Hüttenknappschaftliche Zusatzversicherung zu- stimmen, heißt das noch lange nicht, dass wir die Riester- Renten-Reform für zukunftsweisend halten. Eine andere Rentenreform war und ist nach wie vor möglich – eine Re- form, die die Einnahmeseite in den Blick nimmt und die Einnahmen auf ein breites und solides Fundament stellt, damit die solidarische Rente eine Zukunft hat. Anlage 11 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung – der Beschlussempfehlung und des Berichts zu dem Antrag: Bahnpreissystem für Fahrgäste attraktiv gestalten Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Juni 2002 24547 (C) (D) (A) (B) – der Beschlussempfehlung und des Berichts zu dem Antrag: Interregio für die Regionen er- halten – der Beschlussempfehlung und des Berichts zu den Anträgen: – Option für eine Fernbahnanbindung des Bahnhofs Berlin-Lichtenberg offen halten – Realisierung einer direkten Fernbahnan- bindung zwischen den Bahnhöfen Berlin Ostbahnhof und Berlin-Lichtenberg beim Ausbau des Eisenbahnknotens Berlin – des Antrags: Innerdeutschen Verkehr auf die Bahn verlagern – des Entwurfs eines Gesetzes zur Aufhebung des Magnetschwebebahnplanungsgesetzes – der Beschlussempfehlung und des Berichts zu den Anträgen: – Mitwirkungsrechte des Deutschen Bundes- tages bei Transrapid Entscheidungen sichern – Keine Entscheidung über den Bau einer Magnetschwebebahnstrecke in der Bun- desrepublik Deutschland ohne Einstellung der entsprechenden Haushaltsmittel in den Bundeshaushalt – des Antrags: Erhalt der Bahnwerke – behin- dertengerechte Umrüstung des Wagenparks der DBAG (Tagesordnungspunkt 39 und Zusatztagesord- nungspunkt 23) Dr. Peter Danckert (SPD): Auch wenn die heutigen Anträge und Beschlussempfehlungen als letzter Tages- ordnungspunkt der heutigen Debatte aufgeführt sind, gilt dies für mich nur in zeitlicher, nicht aber in inhaltlicher Hinsicht. Das Thema „Bahn“ ist wichtig – egal, ob es nun um den Interregio oder die Magnetschwebebahn geht. Ein gut ausgebautes, integriertes Verkehrssystem ist zentrale Voraussetzung zur Sicherung von Wirtschaftswachstum und Beschäftigung. In diesem Zusammenhang kommt der Bahn, kommt dem Verkehrsträger Schiene insgesamt eine tragende Rolle zu. Verkehr – und dazu zählt auch der Schienenverkehr – muss nachhaltig und perspektivisch gesteuert und gelenkt werden. Hauruck-Aktionen von heute auf morgen sind auch in der Verkehrspolitik nicht möglich. Deshalb ist es auch so wichtig, in Berlin eine Option für eine Fern- bahnanbindung des Bahnhofes Berlin-Lichtenberg an den Ostbahnhof und damit an die Stadtbahnstrecke offen zu halten. Gegenwärtig wird das von der Deutschen Bahn und dem Berliner Senat gemeinsam entwickelte Pilzkon- zept umgesetzt. Eine Maßnahme ist der geplante Umbau des Bahnhofes Ostkreuz. Eine direkte Verbindung zwi- schen dem Bahnhof Berlin-Lichtenberg und dem Ost- bahnhof ist allerdings bisher nicht vorgesehen. Im Hinblick auf die EU-Osterweiterung wird dem Bahnhof Berlin-Lichtenberg künftig eine größere Bedeu- tung zukommen, da schon heute die von Berlin Richtung Polen führende Strecke über Lichtenberg führt. Deswegen halte ich es für sinnvoll, wenn beim künftigen Ausbau des Ostkreuzes, welches zwischen diesen beiden Bahnhöfen liegt, darauf geachtet wird, dass eine spätere Anbindung des Fernverkehrs möglich ist. Wenn man nicht schon heute auf diese mögliche Verbindung achtet, dann kom- men auf uns in absehbarer Zukunft unnötig komplizierte Trassenplanungen und unnötig hohe Kosten zu. Heute Optionen zu schaffen, die diesen Mehraufwand vermei- den – das nenne ich nachhaltige Verkehrspolitik. Auch die Kollegen von der PDS müssten mit diesem Antrag doch eigentlich glücklich sein. Sie setzen sich doch mit ihrem eigenen Antrag ebenfalls für eine direkte Verbindung zwischen den Bahnhöfen Ostbahnhof und Berlin-Lichtenberg ein. Die Anbindung ist allerdings nicht im Entwurf des Bundesverkehrswegeplanes festgeschrieben, und zwar aus gutem Grund. Deshalb konnten wir im Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen auch nicht diesem Antrag zustimmen. Der gute Grund lautet, dass im Pro- gnosezeitraum bis 2015 kein verkehrsrechtlicher Bedarf für eine direkte Fernverkehrsverbindung zwischen diesen beiden Bahnhöfen besteht. Dieses Kriterium ist aber für die Aufstellung im Bundesverkehrswegeplan bedeutsam. Es ist doch nie genug Geld da, um alles Wünschens- werte zu finanzieren. Auch die PDS kann ja nur jeden Euro einmal ausgeben. Wenn man seriöse Politik, seriöse Verkehrspolitik betreiben will, muss man mit dem vor- handenen Budget Prioritäten setzen. Um Prioritäten rich- tig zu setzen, ist ein wichtiges Instrument des Bundesver- kehrswegeplanes die Gesamtverkehrsprognose. Und im Fall Berlin-Lichtenberg besteht aufgrund des vergleichs- weise niedrigen Verkehrsbedürfnisses gegenwärtig kein Bedarf, die Anbindung kurzfristig zu realisieren. An diesem Punkt kommt es doch darauf an, einer Maß- nahme, die nicht im Bundesverkehrswegeplan enthalten ist, dennoch größtmögliche Chancen auf eine Realisie- rung einzuräumen. Das tut man nicht, indem man Luft- schlösser baut, sondern indem man Optionen eröffnet. Genau das tun wir von der SPD und Bündnis 90/Die Grü- nen – übrigens nicht nur in der Verkehrspolitik. Eine letzte Anmerkung zu dem Antrag der FDP: Sie trägt vor, dass sich der Berliner Senat gegenüber dem Vor- standsvorsitzenden der Deutschen Bahn AG, Herrn Hartmut Mehdorn, für die Verbindungsstrecke ausgespro- chen hat. Das bezieht sich wohl auf die 6. Sitzung des Ausschusses für Bauen, Wohnen und Verkehr des Abge- ordnetenhauses in Berlin. Nach meinen Kenntnisstand hat sich der Berliner Senat dafür ausgesprochen, die Zwei- gleisigkeit optional sicherzustellen, optional deswegen, weil die Deutsche Bahn AG keinen Bedarf angemeldet hat und auch der Senat davon ausgeht, dass ein kurzfristiger Bau der beiden Gleise nicht erforderlich ist. Ich denke, dass ist ein kleiner, aber feiner Unterschied. Mit diesem neuen Informationsstand müssen doch auch die Kollegen von der PDS mit unserem Antrag, mit dem wir genau diese Optionsmöglichkeit fordern, glück- lich sein. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Juni 200224548 (C) (D) (A) (B) Die SPD-Bundesregierung hat die Investitionsmittel für die Bahn für die Jahre 1999 und 2000 und – in einem zweiten Schritt – danach um jährlich 2 Milliarden DM aus den Zinsersparnissen infolge der UMTS-Versteigerung für die Jahre 2001 bis 2003 erhöht. Das ist eine Tatsache. Der Investitionsschwerpunkt wurde auf das Bestandsnetz verlagert, um dort dringend erforderliche Erhaltungs- investitionen; aber auch die Modernisierung voranzutrei- ben. Wir wollen, dass die deutsche Schieneninfrastruktur zu einem der modernsten Netze in Europa ausgebaut wird. Auch das sind Fakten. Die SPD-Bundesregierung hat aber nicht nur viel für die Bahn, sondern für die Infrastruktur insgesamt getan. Ein Land, eine Region zu entwickeln bedeutet, die Infra- struktur voran zu bringen. Verkehrsanbindungen müssen günstig sein, und zwar günstig für die Menschen, die in dem Land, in der Region leben und arbeiten. Das haben wir in den letzten Jahren getan und das werden wir auch in den nächsten Jahren tun. Renate Blank (CDU/CSU): Wir befassen uns heute im Plenum überwiegend mit Anträgen der PDS, die aus meiner Sicht alle aus populistischen Gründen gestellt wurden, damit der Bevölkerung suggeriert werden soll, dass die PDS eine staatstragende Partei sei, die sich um die Belange der Bürgerinnen und Bürger intensiv küm- mere. Nun zu den einzelnen Anträgen: „Bahnpreissystem für Fahrgäste attraktiv gestalten“. Grundsätzlich ist die Tarifgestaltung Sache der Deutschen Bahn AG. Es war der politische Konsens sämtlicher sei- nerzeit im Deutschen Bundestag vertretenen Parteien, dass mit der Bahnreform zum 1. Januar 1994 die Deutsche Bahn AG dem politischen Einfluss entzogen werden sollte und dass sie sich selbst als Wirtschaftsunternehmen am Verkehrsmarkt positionieren muss. Ausfluss dieser politisch gewollten Selbstpositionierung ist die eigene Angebots- und Preisfindung der Deutschen Bahn AG im Verkehrsmarkt. Allerdings sind bestimmte Tarifbestandteile auch für grundgesetzlich festgelegte Pflichten der DB AG von besonderer Bedeutung. Die Auswirkungen der voraus- sichtlichen Halbierung des Bahncard-Rabatts auf die Ta- rife im Nahverkehr und die Auswirkungen des Reservie- rungssystems sind noch nicht geklärt. Es fehlt auch die politische Stellungnahme der Bundesregierung zu dem geplanten Bahnpreissystem als einen für den Eisenbahn- verkehr sehr bedeutsamen Schritt. Es muss die Gemein- wohlverpflichtung des Eisenbahnverkehrs im Grundge- setz von der Bundesregierung verwirklicht werden, weshalb die Meinung der Bundesregierung schon inte- ressiert, zumal Bahnchef Mehdorn einen ausgezeichne- ten Kontakt zu Bundeskanzler Schröder hat. Die DB AG schiebt das Thema allerdings über den 22. September hi- naus, damit die Bürgerinnen und Bürger keinen Ärger bereiten, wie zum Beispiel derzeit der Sozialverband VdK Deutschland, dessen Mitglieder mit dem neuen Preissystem teilweise erhebliche Nachteile hinnehmen müssen. „Interregio für die Regionen erhalten“. Mit diesem An- trag soll die Bundesregierung aufgefordert werden, eine Politik der Verlagerung des Verkehrs von der Straße und der Luft auf die Schiene umzusetzen und die Deutsche Bahn AG zu veranlassen, die bestehenden Fernverkehrs- angebote des interregionalen Verkehrs zu erhalten und zu entwickeln, in Abstimmung mit den Ländern darauf hin- zuwirken, dass der Schienenverkehr als ganzheitliches System weiter ausgebaut wird, die einzelnen Verkehrsar- ten optimal aufeinander abgestimmt sowie disponierbare, attraktive und preiswerte Produkte in allen Bereichen an- geboten werden. Meine Damen und Herren von der PDS, was glauben Sie eigentlich, was wir mit der Bahnreform des Jahres 1994 erreichen wollten? Wir wollten mehr Verkehr auf die Schiene bringen und Güterverkehr von der Straße auf die Schiene verlagern, zumindest die Zuwächse. Viele in Ihrem Antrag geforderte Maßnahmen sind nach der in der Bahnreform erfolgten Privatisierung unternehmerische Aufgaben der Deutschen Bahn AG. Die Forderung, die Regionalisierungsmittel zu dynamisieren, geht ins Leere, denn schon zu unserer Regierungszeit wurde die Auf- stockung festgeschrieben; man kann höchstens noch über die Höhe der Dynamisierung trefflich streiten. „Option für eine Fernbahnanbindung des Bahnhofs Berlin-Lichtenberg offen halten“. Es macht durchaus Sinn, im Rahmen der Realisierung des Eisenbahnknotens Berlin über weitere Möglichkeiten der Fernbahnanbin- dung nachzudenken. Dies ist aber keine Aufgabe des Par- laments, sondern der Exekutive. Dem Antrag der rot-grü- nen Koalition, die Bundesregierung aufzufordern, dafür Sorge zu tragen, dass beim Umbau des Bahnhofs Ost- kreuz im Bereich Ringbahnbrücken die Vorsorgemaß- nahmen für eine zweigleisige Verbindung zwischen dem Ostbahnhof und dem Bahnhof Lichtenberg berücksich- tigt werden, um die Option für eine Realisierung der Fernbahnverbindung zu sichern, werden wir zustimmen. Den weiter gehenden Antrag der PDS, die Ferngleis- verbindung in die Bundesverkehrswegeplanung zu inte- grieren, lehnen wir ab, da bei der nächsten Erstellung des Schienenwegeausbauplans über das Kosten-Nutzen-Ver- hältnis der gewünschten Maßnahme noch zu diskutieren sein wird. „Innerdeutschen Luftverkehr auf die Bahn verlagern“. Die PDS macht sich mit diesem Antrag unglaubwürdig. Man kann nur Verkehr auf die Bahn verlagern, wenn sehr gut ausgebaute Schnellverbindungen vorhanden sind. Zum Beispiel wird niemand auf die Idee kommen, mit dem Flugzeug von Nürnberg nach Hannover zu fliegen; hier ist der ICE unschlagbar. Aber zum Beispiel bei der Strecke Nürnberg–Berlin ist das Flugzeug im Vorteil ge- genüber dem Zug, da es noch keine Schnellverbindung gibt, die von der PDS abgelehnt wird. Widersprüchlicher geht es nicht mehr! Im Übrigen wird die Bahn subventioniert und nicht der Luftverkehr. Eine Aufhebung der Mineralölsteuerbefrei- ung ist doch nur international zu machen und keinesfalls im deutschen Alleingang. Diese Meinung ist doch utopisch. Alles in allem sind es reine „Schauanträge“ der PDS. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Juni 2002 24549 (C) (D) (A) (B) Georg Brunnhuber (CDU/CSU): Der Bundesminis- ter für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen Kurt Bodewig hat, obwohl der Deutsche Bundestag bisher keine Finan- zierungsmittel für die beiden Strecken beschlossen hat, für die geplante Magnetschwebebahn zwischen Düssel- dorf und Dortmund 1,75 Milliarden Euro und für die geplante Strecke zwischen Innenstadt und Flughafen München 550 Millionen Euro zugesichert. diese Zusiche- rungen sollen von den beiden Landesregierungen bereits als ausreichende Planungsgrundlage herangezogen wer- den. Die Zusagen des Bundesministers verstoßen gegen elementare Mitwirkungsrechte des Parlaments und es ist von einer Verletzung des parlamentarischen Haushalts- rechtes auszugehen. Kurz gefasst sind folgende Punkte bei der Beurteilung der Transrapid-Planung hervorzuheben: Der von der Bundesregierung zugesagte Bundeszu- schuss ist eine reine Absichtserklärung und besitzt kei- nerlei Rechtsverbindlichkeit, da er haushaltsrechtlich nicht abgedeckt ist. Bei der prekären Haushaltssituation des Bundes ist ungewiss, ob die Mittel jemals durch den Bundestag bereitgestellt werden. Selbst bei einem haushaltsrechtlich abgedeckten Zu- fluss der Bundesmittel mussten für das Projekt in Nord- rhein-Westfalen immer noch 1,44 Milliarden Euro durch Kreditfinanzierung aufgebracht werden. Der daraus ent- stehende Kapitaldienst und die jährlichen Betriebskosten übersteigen die kalkulierten Erträge einschließlich der Bestellerentgelte beträchtlich. Das Finanzierungskonzept der Landesregierung ist unseriös: Einnahmen mit Über- schüssen gleichzusetzen oder einen Kreditrahmen als Überschuss auszugeben, wie es die Landesregierung tut, entspricht nicht einmal einfachsten kaufmännischen Ver- fahrensgrundsätzen. Das Land NRW bezuschusst den Metrorapid über Regionalisierungsmittel sowohl bei den Investitionen – 65 Prozent der Fahrzeugkosten –, als auch beim Be- trieb – Bestellerentgelte: 48,5 Millionen Euro. Dies führt an anderer Stelle zu enormen Einschränkungen und Aus- dünnungen beim Nah-, Regional- und Fernverkehr zu- gunsten des Metrorapid, ohne dass der Metrorapid auf der geplanten Strecke – Zeitvorteil: 2 Minuten gegenüber ei- nes wesentlich billigeren ICE 3 mit Neigetechnik – einen verkehrlichen Nutzen nachweisen kann. – Der Metrorapid ist also nicht betrieblich und wirtschaftlich machbar, wie Minister Bodewig, aber auch die NRW-Landesregierung behaupten. Unsere Forderungen lauten daher im Einzelnen: Die Bundesregierung muss eine Kabinettsentschei- dung treffen und muss dafür sorgen, dass in den Gremien des Deutschen Bundestages die Gesamtfinanzierung be- schlossen wird. In den Fachausschüssen des Deutschen Bundestages soll der Nachweis für die Wirtschaftlichkeit der beiden Strecken erbracht werden. Es ist des Weiteren darzulegen, wie die 2,3 Milliarden Euro den Verkehrshaushalt belasten, und welche Vorha- ben deshalb gekürzt werden müssen oder nicht mehr zum Tragen kommen. Es besteht Erklärungsbedarf über die von der Bundesregierung verwendete Formulierung „an- dere Bundesmittel“ für die Transrapidstrecken. Die vorliegenden Gutachten sind durch einen Obergut- achter gründlich zu prüfen und zu bewerten. Unserer Antrag zielt darauf ab, dass die Plane für die Transrapid-Projekte nach rationalen und finanziellen Ge- sichtspunkten genau untersucht werden. Die Ausführun- gen über die Pläne zum Transrapid machen deutlich, dass dieses Projekt der rot-grünen Bundesregierung schon von vorneherein zum Scheitern verurteilt bzw. nicht machbar ist. Es ist unerlässlich, den Deutschen Bundestag am Ent- scheidungsprozess zu beteiligen. Albert Schmidt (Hitzhofen) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Zum 15. Dezember 2002 will die Deutsche Bahn AG ein neues Fahrpreissystem einführen. Soweit Teile davon öffentlich bekannt sind, steht dieses Preissys- tem in der Kritik. Wir Politiker werden immer wieder auf- gefordert, hier einzugreifen und dieses und jenes zu än- dern. Wie Sie wissen und wie auch die PDS weiß, die dazu einen Antrag vorgelegt hat, können und dürfen wir als Po- litiker, übrigens auch nicht über den Aufsichtsrat der pri- vatrechtlich organisierten DB AG, keinen unmittelbaren Einfluss auf das operative Geschäft des Bahnvorstands nehmen. Die inhaltliche Gestaltung der Tarife gehört zu den rein unternehmerischen Aufgaben eines Verkehrsun- ternehmens. Ebenso wenig kann zum Beispiel der Firma Connex auf der Strecke zwischen Gera und Rostock vor- geschrieben werden, ihre Preise zu verdoppeln oder DB- Tarife einzuführen. Dies heißt aber noch lange nicht, dass wir zur neuen Fahrpreisstruktur der DB AG, soweit sie bekannt ist, keine Meinung haben. Als Fahrgast, als Verkehrspolitiker und als Vertreter des Eigentümers Bund sollten wir dies auch deutlich machen. Lassen Sie mich zunächst erwähnen, was mir am neuen System gefällt: dass nämlich Familien, kleine Gruppen und Frühbucher konkurrenzlos günstig fahren werden, dank einer Ermäßigung um 10 Prozent, 25 Prozent oder gar 40 Prozent für Reisende, wenn sie bis zu sieben Tagen vorher buchen. Inhaber einer Bahncard, die statt 140 Euro künftig nur 60 Euro, für Partner und Kinder gar nur 5 Euro kosten wird, bekommen weitere 25 Prozent Ermäßigung auf diese Frühbucherpreise. Hinzu kommt, dass bis zu vier Mitfahrer nur die Hälfte des Fahrpreises des Hauptreisenden zahlen; Kinder bis einschließlich 14 Jah- ren zahlen gar nichts, wenn sie mit einem Elternteil un- terwegs sind. Dadurch werden Bahncards, die übrigens auch zur Preisnachlässen bei der Anmietung von Fahrrä- dern, oder PKWs berechtigen werden, künftig sicherlich zahlreicher als bisher verkauft werden, und die Bahn wird gerade dadurch Zielgruppen für sich gewinnen können, die bisher aus Kostengründen lieber das Auto benutzt ha- ben. Diese unbestreitbaren Vorteile dürfen aber nicht zulas- ten anderer Bahnfahrer gehen. Bahnfahren im Normalfall darf nicht teuerer werden. Dies gilt vor allem für Gele- genheitsreisende in Nah- und Regionalverkehrszügen auf Relationen, auf denen keine buchbaren Fernverkehrszüge verkehren und somit kein Plan & Spar-Preis gekauft wer- den kann. Hier sollte einfach der heutige Bahncard-Rabatt Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Juni 200224550 (C) (D) (A) (B) von 50 Prozent weiter gelten oder es müssen günstige Sonderkonditionen für diese Fahrgäste eingeführt wer- den. Zum zweiten muss Bahnfahren flexibel bleiben. Ich erwarte, dass Frühbuchen, die aus welchen Gründen auch immer den gebuchten Zug nicht erreichen, mit dem nächs- ten Zug zum Normalpreis unter Anerkennung des schon bezahlten Fahrpreises fahren können. Hier muss es eine kundenfreundliche Storno-Lösung geben. Es kann nicht angehen, dass bei Versäumen eines Zuges das Frühbu- cherticket verfällt und der Fahrgast zur Beförderung eine Normalpreisfahrkarte zusätzlich kaufen muss. Selbst im innerdeutschen Luftverkehr kann man heute noch eine Stunde vor Abflug ohne Aufpreis umbuchen! Bahnfahren muss billiger werden. Es ist Aufgabe der Politik, die Rahmenbedingungen für die Bahn so zu ge- stalten, dass die Preisgestaltung im Vergleich zu anderen Verkehrsträgern auch im internationalen Vergleich kon- kurrenzfähiger wird. Dazu gehört die EU-weite Ein- führung einer Kerosinsteuer für den Luftverkehr ebenso wie die Halbierung der Mehrwertsteuer für das Fernver- kehrsticket der Bahn wie in anderen europäischen Län- dern. Dadurch kann und muss der Fahrpreis der Fernver- kehrsfahrkarte um nahezu zehn Prozent gesenkt werden! Dies sollten wir uns für die nächste Legislaturperiode vor- nehmen, anstatt wie im Antrag der PDS gefordert, einem privatwirtschaftlich organisierten Unternehmen die Preise zu diktieren. Rot-Grün hat die Weichen für eine bessere Bahn ge- stellt. Wir haben die Bahninvestitionen seit 1998 um 50 Prozent gesteigert, jetzt stehen für die Erneuerung des Systems Schiene jährlich 4,5 Milliarden Euro zur Verfü- gung. Damit wird auch endlich im Bestandsnetz kräftig modernisiert. Die Regionalisierungsmittel heben wir seit 1998 um über 10 Prozent erhöht und bis 2007 auf ein Rekordniveau von 6,75 Milliarden Euro verstetigt, mit einer Steige- rungsrate von 1,5 Prozent. Damit können die Bundeslän- der nicht nur mehr Zugkilometer bestellen, sondern auch erhebliche zusätzliche Mittel für Investitionen einsetzen, beispielsweise für den Kauf neuer, komfortabler Nahver- kehrsfahrzeuge. Diese zusätzlichen Mittel stehen auch für die Weiterentwicklung, den Erhalt oder den Ersatz von in- terregionalen Verbindungen vom Typ Interregio zur Ver- fügung. Damit haben wir einer Forderung des PDS-An- trags bereits entsprochen, nämlich dass die Länder mit erhöhten Mitteln auch interregionale Verbindungen bezu- schussen können. Dies können Interregios der DB AG sein, aber auch andere Zuggattungen oder vergleichbare Produkte von Wettbewerbern. Wie innovativ die Länder mit den Mitteln umgehen können, wenn der Wille dazu da ist, zeigt die gemeinsame Bereitschaft der Länder NRW, Hessen und Thüringen, auf der Mitte-Deutschland-Bahn eine Anschubfinanzierung für die Verbindung Düssel- dorf–Weimar zu gewähren. Hier wird eine IC-Verbindung unterstützt – zuschlagsfrei für Berufspendler. Die Politik hat ihre Hausaufgaben gemacht. Auch die Bahnunternehmen müssen jetzt das Ihre tun – für einen fahrgastfreundlichen, bezahlbaren Schienenverkehr auch in der Fläche. Horst Friedrich (FDP): Zum wiederholten Male wer- den wichtige verkehrspolitische Themen von der rot-grü- nen Mehrheit am Tagesrand in diesem Plenum debattiert. Offensichtlich will die jetzige Bundesregierung ihre ver- kehrspolitischen Altlasten im Morgengrauen ohne Zeu- gen entsorgen. Aufgrund der Vielzahl der zu beratenden Gesetze und der begrenzten Zeit bleibt mir leider keine Zeit, auf die Punkte wirklich im Detail einzugehen. Zu den Bahnan- trägen der Kollegen der PDS ist zu sagen, dass im We- sentlichen – dieser Lösungsansatz zieht sich wie ein roter Faden durch alle Anträge – übersehen wird, dass die Bahnreform von 1994 der Bahn in wichtigen wirtschaft- lichen Fragen eine Eigenentscheidung zugesteht. Das ist auch notwendig, weil zu Beginn der Bahnreform bzw. im Jahr davor die Einnahmen der Deutschen Bundesbahn nicht einmal mehr ausgereicht haben, die Personalkosten der Bahn abzudecken. Deswegen war es richtigerweise Ziel der Bahnreform, politische Entscheidungen auf das unbedingt Notwendige zu begrenzen und wirtschaftliche Entscheidungen auch bei der Bahn zu belassen. Das gilt für das Bahnpreissystem, den Erhalt bestimmter Zugver- bindungen oder auch bahneigener Werke. Umgekehrt kann die FDP die Problematik dieser Fra- gen nicht unbeantwortet lassen. Unsere Antwort darauf lautet: Wir müssen die Konsequenz, die in der Bahnre- form angelegt war, nun endgültig umsetzen und das heißt für uns die Herauslösung des Netzes aus dem Verbund der Bahn AG. Wettbewerb auf den Trassen, ohne Diskrimi- nierungsmöglichkeit wird falsche Bahnpreise sehr schnell entlarven, weil Wettbewerb hier der Maßstab ist. Das gilt im Übrigen auch für die Bedienung bestimmter Regionen mit bestimmten Zugqualitäten bzw. für den Erhalt von Kapazitäten der Bahnwerke; denn mehr Wettbewerber be- deuten auch mehr Besteller für die Deutsche Bahn- industrie. Diese Einschätzung gilt grundsätzlich auch für den An- trag der Verlegung des innerdeutschen Flugverkehrs auf die Schiene. Wir sind für den entsprechenden Wettbewerb der Verkehrsträger untereinander, aber wir halten nichts davon, dem Bürger Deutschlands vorzuschreiben, wel- ches Verkehrsmittel er wählen soll. Das hat schon in der alten DDR nicht funktioniert, warum sollte es jetzt funk- tionieren? Im Übrigen kommen alle Expertenstudien zu dem Ergebnis, dass nur fünf Prozent des Luftverkehrs in Deutschland tatsächlich ernsthaft auf die Schiene verla- gert werden können – aus den unterschiedlichsten Grün- den. Dies entspricht ungefähr dem Zuwachs eines einzi- gen Jahres. Danach sind und bleiben die Probleme so wie bisher auch. Was soll dieser Antrag also lösen, es sei denn, eine dirigistische Verkehrspolitik unter staatlicher Ober- aufsicht? Die Magnetschwebebahn entwickelt sich offensicht- lich zum neuen und alten Feindbild der PDS. Die FDP lehnt den Antrag zur Aufhebung des Magnetschwebe- bahnplanungsgesetzes ab. Wir sind der Überzeugung, dass es geradezu zwingend notwendig ist. jetzt auch in Deutschland alle Grundlagen dafür zu schaffen, dass eine anerkannte deutsche Technologie, mit der wir führend in der Welt sind, auch in Deutschland angewendet werden kann. Inhaltlich ist zu diesem Thema eigentlich schon Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Juni 2002 24551 (C) (D) (A) (B) alles gesagt worden. Es kann aber doch nicht sein, dass Kunden für die deutsche Technologie Magnetschwebe- bahn nach Schanghai reisen müssen, um sich die erste An- wendung der Welt auf chinesischem Boden anzusehen. Ich fordere die Kollegen in der SPD und insbesondere Bundesverkehrsminister Bodewig auf, nun alles zu tun, um möglichst schnell eine Anwendungsstrecke in Deutschland zu errichten. Das gilt für die Etatisierung der entsprechenden Beträge im Haushalt und im Zweifel auch für die Konzentration auf eine einzige Strecke. Wir müs- sen zügig bauen, damit wir hier nicht erneut ins Hinter- treffen geraten. Die FDP hat auf ihrem Bundesparteitag in Mannheim der Mobilität ein umfangreiches Kapitel gewidmet. Wir werden unsere Entscheidungen nach diesen Ansätzen aus- richten. Dr. Winfried Wolf (PDS): Zur Debatte – und teilweise zur Abstimmung – steht hier ein ganzer Strauß von PDS- Anträgen und ein PDS-Gesetzentwurf. Auch wenn es sich teilweise um Verkehrspolitikvorschläge handelt, die wir in den letzten Monaten unabhängig voneinander erarbei- tet haben und die nun im Plenarsaal kulminieren, so ge- ben doch alle sieben PDS-Drucksachen zusammenge- nommen auch ein abgerundetes Bild. Ich fasse das der Einfachheit halber in drei Paketen zu- sammen: Paket eins betrifft die Bahnprivatisierung und konkretisiert unsere Kritik an derselben. In Paket zwei wird unsere Alternative konkretisiert – ein Programm zum Erhalt tausender Arbeitsplätze und zur Schaffung zehntausender neuer Arbeitsplätze inbegriffen. Paket drei befasst sich schließlich mit dem Magnetbahnabenteuer von SPD und Grünen. Zum letzteren Komplex möchte ich in meiner Rede nur vorab sagen: Jeder blamiert sich mit dem Transrapid of- fensichtlich mindestens ein Mal je Legislaturperiode. Die Regierung Kohl musste in ihrer Amtszeit zuletzt die Transrapid-Strecke Berlin-Hamburg faktisch ad acta le- gen. Nun hat im Mai dieses Jahres der Bundesrechnungs- hof mit seinem Prüfbericht die Machbarkeitsstudie zum Bau des Metrorapids in NRW und des Transrapids zum Münchner Flughafen dermaßen zerrissen, daß der Bun- desminister für Verkehr, Bau und Wohnungswesen, aber auch der Tausendsassa Clement in NRWeigentlich mit ro- ten Öhrchen dastehen müssten. Sie tun es nicht; sie halten dennoch an diesen Projek- ten fest. Eben wie Kohl vor der Septemberwahl 1998; nach dem 22. September 2002 dürften wir bei diesen zwei Projekten allerdings ein Begräbnis dritter Klasse erleben. Dann können wir ja bald einen Blick nach Schanghai ris- kieren und sehen, wie der Transrapid ab 2003 dort läuft oder dann auch wieder nicht. Interessant wird es natürlich, wenn die Mehrheit des Hauses und wohl auch die Regierungsparteien am Ende dieses Tagesordnungspunktes unsere beiden Anträge ab- lehnen werden – und damit ein weiteres Mal die Vernunft an der Garderobe abgeben. Zu Paket eins unserer Anträge. Hier geht es zunächst um unseren Antrag „Interregio für die Regionen erhal- ten“. Bereits mehrmals befassten wir uns hier mit dem Thema, dass die DB AG flächendeckend die erfolgreiche Zuggattung „Interregio“ einstellt und damit weitere große Gebiete von einer Anbindung an den Schienenfernver- kehr abhängt. Was wir bereits im November 2000 sagten – so lautet das Einbringungsdatum dieses Antrags – hat sich seither konkretisiert. Unser damaliger Verweis, dass nach Artikel 87e des Grundgesetzes der Bund nicht nur für den „Ausbau und Erhalt des Schienennetzes der Eisenbahnen des Bundes“ verantwortlich zeichnet, sondern eben auch – so der Wort- laut der Verfassung – für „deren Verkehrsangebote auf diesem Schienennetz, soweit diese nicht den Schienen- personennahverkehr betreffen.“ Mit diesem Verweis brachten die Länder Bayern und Baden-Württemberg sogar einen Gesetzentwurf in den Bundesrat ein, den wir wortgleich im Bundestag zur Ab- stimmung stellten. Doch es scheint eine Art Große Koali- tion gegen den Schienenverkehr zu geben: Im Bundesrat ist der Gesetzentwurf in Ausschüssen „versenkt“ worden, im Bundestag stimmten alle Parteien gegen unseren Ge- setzentwurf; also gegen einen Gesetzentwurf, den wort- gleich die Landesregierungen von München und Stuttgart formuliert hatten. Heute wird in der Beschlussempfehlung vorgeschla- gen, unseren neuerlichen Interregio-Antrag erneut abzu- lehnen. Alternativen, wie die Regionen an das Netz des Schienenpersonenfernverkehrs angeschlossen bleiben könnten, liegen im Übrigen nicht vor. Auch hier zeigt sich, wie leichtfertig der Verfassungsauftrag von der Mehrheit des Bundestags verletzt wird. Wir haben in diesem „Paket“ weiterhin einen speziel- len Punkt, die Herstellung einer direkten Fernbahnverbin- dung zwischen den Bahnhöfen Berlin Ostbahnhof und Berlin-Lichtenberg, herausgegriffen. Zwei Jahre, nach- dem wir diesen Antrag am 5. Juli 2000 eingebracht hatten, entdeckten SPD und Bündnis 90/Die Grünen, dass wir hier ein ernstes Thema aufgriffen und brachten am 5. Juni 2002 einen eigenen Antrag zum selben Thema ein. Da staunt der Laie und der Fachmann wundert sich. Peinlich ist nämlich, dass die Regierungsparteien sich ob der Hektik als sachlich schlecht informiert erweisen: Es geht nicht, wie in diesem Gegenantrag formuliert, da- rum, dass am Ostkreuz „Platz für den späteren Bau zweier Gleise für die direkte Verbindung zwischen dem Ost- bahnhof und Berlin Lichtenberg“ freizuhalten wäre. Es geht vielmehr darum, dass zwischen dem Ostkreuz und dem Ostbahnhof die Fernbahngleise der Ostbahn an die Fernbahngleise der Stadtbahn angeschlossen werden müssen. Hierfür wäre eine Unterführung unter den zwischen den beiden Fernbahnen liegenden S-Bahn-Gleisen herzu- stellen. Da sich hier eine Hauptwasserleitung befindet, müsste gleichzeitig diese Wasserleitung – und der ent- sprechende so genannte Düker – tiefer gelegt werden. Das würde nach Informationen aus wohl informierten Bahn- kreisen rund 85 Millionen Euro kosten. Angesichts der 10 Milliarden Euro, die im Bereich Berlin in die Schienennetze investiert werden, wäre dies Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Juni 200224552 (C) (D) (A) (B) ein verhältnismäßig bescheidener Betrag, der aber eine sehr große Wirkung haben würde und erhebliche Verbes- serungen im Schienenverkehr, auch demjenigen in Rich- tung Polen, mit sich bringen würde. Doch laut Beschluss- empfehlung ist hier nicht Sachverstand gefragt; die Osterweiterung findet nur per Autobahnen statt. Der PDS- Antrag soll abgelehnt werden. Wird tatsächlich, wie hier empfohlen, alternativ zu un- serem Antrag der Antrag der Koalitionsparteien ange- nommen, dann sei noch darauf verwiesen, dass dieser auch schlicht grammatikalischen und terminologischen Unsinn in Antragsform goss. Man lese dort beispielsweise Punkt 3: Wegen des gegenwärtig bestehenden Verkehrsbedürf- nisses für eine direkte Anbindung des Bahnhofs Berlin Lichtenberg an das Fernbahnnetz sowohl nach Osten als auch nach Westen bestehen z. Z. auch keine Notwendig- keit, die in der Öffentlichkeit mehrfach geforderte Her- stellung einer direkten Verbindung zu dem an der Stadt- bahn gelegenen Ostbahnhof kurzfristig zu realisieren. Das Hohe Haus versteht hier kollektiv „Bahnhof“ und schlägt, obgleich Freitag am späten Nachmittag, „Nach- sitzen“ vor. Schließlich greift ein dritter PDS-Antrag in diesem ers- ten Paket das neue Bahnpreissystem PEP auf, das laut Bahnchef Mehdorn am 15. Dezember dieses Jahres „scharfgeschaltet“ wird. Wir kritisieren dieses neue Sys- tem umfassend – unter anderem, weil damit für die durch- schnittlichen Fahrgäste Bahnfahren erneut teurer wird und weil mit der Halbierung des Bahn-Card-Rabattsatzes von 50 auf 25 Prozent zwei Millionen der treuesten Bahn- kundinnen und -kunden verprellt werden. Vor allem kritisieren wir den Grundgedanken, den die Lufthansa-Implantate im Bahnmanagement nun für den Schienenverkehr dekretieren: dass in Zukunft nur derje- nige Fahrgast relativ preisgünstig mit der Bahn fahren kann und eine Garantie auf einen Sitzplatzes hat, der im Voraus zuggenau seine Hin- und auch noch Rückfahrt bucht – und dabei noch von Glück sagen kann, wenn auf dem Bildschirm nicht „ausgebucht“ aufflimmert. Bahnchef Mehdorn hat kürzlich bei einem Treffen mit meiner Partei hübsch formuliert, wie es den Normalos im aktuellen Bahnverkehr gehen wird: „Spontaneität hat in Zukunft ihren Preis. Das kostet mehr. Und der Fahrgast muss dann eben stehen.“ Exakt eine solche extrem kundenfeindliche Philoso- phie liegt der gesamten Bahnprivatisierung zugrunde. Mit dem neuen Bahnpreissystem werden Millionen Fahrgäste aus den Zügen getrieben. Einmal abgesehen davon, dass bereits rein technisch gesehen das neue System darauf hinauslaufen könnte, dass wir ab 15. Dezember 2002 mit PEP einen GAU erleben. Wir haben in unserem Antrag diesem kontraprodukti- ven Bahnpreissystem die Grundsätze eines alternativen Preissystems gegenübergestellt. Dabei verfolgen wir die entgegengesetzte Strategie wie die des Bahn-Manage- ments. Wir fordern den Ausbau des Halbpreistickets Bahn-Card. Diese Karte muss unter Beibehaltung des Ra- battsatzes mehr Funktionen erhalten, in Richtung Fami- lienfreundlichkeit erweitert werden und die Verkehrsver- bünde in vollem Umfang einbeziehen. Wir fordern des Weiteren die Einführung einer zweiten allgemeinen „Zugangskarte“ zum Schienenverkehr: ein Generalabonnement wie es ein solches in der Schweiz gibt, also die Verbilligung und der Ausbau der Netzkarte, sodass diese für viele Hunderttausende Kundinnen und Kunden attraktiv wird. Bei all dem mischen wir uns keineswegs in die Belange eines privatisierten Unternehmens ein. Vielmehr liegt die Tarifhoheit im Fernverkehr beim Bund So sieht es das All- gemeine Eisenbahn Gesetz, das AEG, in § 12. Als wir dies erstmals im Herbst 2001 reklamierten und dann schriftlich nachhakten, wann denn der für Verkehr verantwortliche Minister dem System PEP die erforderliche Genehmigung erteilt habe, hieß es zunächst, eine solche Genehmigung sei nicht erforderlich. Doch plötzlich gab es – im Dezember 2001 – einen sol- chen Antrag auf Genehmigung der DB AG, dem dann im Januar 2002 laut Staatssekretärin Mertens auch stattgege- ben wurde. Damit ist aber auch klar, dass die Bundesre- gierung PEP genehmigt hat und mitverantwortlich sein wird für das Desaster, das damit droht. Im Übrigen geht die PDS weiter davon aus, dass PEPge- gen bestehende Gesetze verstößt. So wird mit einem Preis- system, das weitgehend auf Reservierungen besteht, die ge- setzlich garantierte Beförderungspflicht – § 10 AEG – verletzt. Zu Paket zwei unserer Anträge. Hier ist unser Antrag zur Verlagerung des innerdeutschen Luftverkehrs auf die Schiene entscheidend. Der „verkehrte Verkehr“ wird kaum irgendwo besser illustriert als bei den Kurzstreckenflügen. Es ist schlicht ein bewusst gestreutes Gerücht, die Airlines hätten kein Interesse an Kurzstreckenflügen. In den letzten zehn Jahren stieg die Verkehrsleistung bei den Inlandsflügen um mehr als 50 Prozent. Die durch- schnittliche Flugweite im innerdeutschen Flugverkehr liegt bei 530 km. Das heißt, mehr als die Hälfte aller In- landsflüge liegt in einem Segment, das für eine Verlage- rung auf die Schiene ideal wäre. Doch das Gegenteil findet statt – das zeigt der aktuelle Preiskrieg, mit welchem die meisten Inlandstickets we- sentlich preiswerter als entsprechende Bahntickets ange- boten werden. Das heißt: Die Rahmenbedingungen im Verkehrsmarkt stimmen nicht; dieser begünstigt das Flie- gen und natürlich den Straßenverkehr. Die Bahnpolitik im Allgemeinen und die bereits skizzierte Bahnpreisreform unterstützen diesen falschen Trend. Unser Antrag nennt konkrete Maßnahmen, wie ein großes Fahrgastaufkom- men von der Luft auf die Schiene gelenkt werden könnte. Zum Schluss sei hier unser Antrag „Erhalt der Bahn- werke – behindertengerechte Umrüstung des Wagenparks der DB AG“ genannt. Hier liegt Ihnen ein Antrag vor, der nicht etwa populistisch Bahnwerke und Arbeitsplätze ret- ten will, sondern der konkret ein längst überfälliges Inves- titionsprogramm vorschlägt, sodass diese Werke auf Jahre hinaus verkehrspolitisch sinnvolle Aufträge hätten. Indem wir erneut fordern, dass fahrzeuggebundene Einstiegshilfen perspektivisch bei allen öffentlichen Ver- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Juni 2002 24553 (C) (D) (A) (B) kehrsmittel Standard werden müssen, greifen wir auch eine maßgebliche Forderung der Behindertenverbände auf. Unser Antrag verknüpft dabei verkehrspolitische Er- fordernisse, Forderungen der Behindertenverbände und Strukturpolitik. Ich verweise ein weiteres Mal darauf: Mit der Vernich- tung weiterer Tausender Arbeitsplätze bei den infrage ste- henden Bahnwerken wird ausgerechnet in den neuen Län- dern ein neuer Höhepunkt in der Kahlschlagpolitik im industriellen Bereich gesetzt. Die Bundesregierung trägt hierfür direkte Verantwortung – sie kann sich nicht hinter Bahnchef Mehdorn verstecken. Gerade unser Antrag zeigt auf, wie die Bundesregierung ihrer Verantwortung hier gerecht werden könnte. Ich zitiere zum Schluss aus der „Erklärung der ost- deutschen Bahnwerker“ vom Mai 2002: „Die Bundesre- gierung hat die Möglichkeit ... diese Arbeitsplätze unter ihren Schutz zu stellen ... Die Privatisierung der Bahn als Vernichtungsmaschine von Arbeitsplätzen muss gestoppt werden.“ Mit diese Sätzen wird auch die Essenz unserer Kritik an der Bahnpolitik und an der Bahnreform auf den Punkt gebracht. Anlage 12 Zu Protokoll gegene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung des Zuschusses zu ambulanten medizinischen Vorsorgeleistungen (Zusatztages- ordnungspunkt 22) Horst Schmidbauer (Nürnberg) (SPD): Dies ist der letzte Schritt der Wiedergutmachung, der letzte Schritt, mit dem der Kahlschlag von Herrn Seehofer im Bereich von Rehabilitation und Kuren wieder aufgeforstet wird. Damit verhelfen wir vielen Tausenden von Patientinnen und Patienten zu mehr Gesundheit. Damit verhelfen wir vielen Einrichtungen und vielen qualifizierten Fachkräften zu einer sicheren Zukunft. Es ist schon makaber, dass ausgerechnet die heutige Opposition, die für die Zerstörung der Kur- und Reha- struktur verantwortlich zeichnet, nun versucht, mithilfe des Bundesrates uns, die Regierungskoalition, mit unge- deckten Schecks zu überholen. Bei der angespannten Finanzsituation der Krankenkassen stellt unsere Wieder- gutmachung schon hohe Anforderungen an die Finanzie- rung. 20 Millionen Euro sind kein Pappenstiel! 20 Milli- onen Euro wollen finanziert sein, ohne dass sie eine Beitragserhöhung bewirken. Da wirkt der Vorschlag aus Bayern, statt auf 13 auf mindestens 25 Euro täglich zu gehen, schon auf den ers- ten Blick unseriös. Genauer betrachtet, ist er wegen seiner Unseriösität nichts anderes als ein Schaufensterantrag, der kurz vor der Bundestagswahl von den Sünden und Fehlgriffen der alten Regierung ablenken soll. Dies ist auch deswegen unseriös, weil im gleichen Atemzug von CDU/CSU von der großen Freiheit der Versicherten gere- det wird, die nach ihren Vorstellungen Leistungen zu- oder abwählen können. Wie bei einem solchen Konzept ungedeckte Schecks wirken, darauf bleibt man die Ant- wort schuldig. Es ist schon makaber, dass CDU/CSU die Menschen fair dumm verkaufen wollen, weil sie ihnen partout nicht sagen wollen, was sie denn bitte schön abwählen oder mit eigener Kostenübernahme zuwählen können. Wir fordern die Bürger auf, mit uns darauf zu drängen, dass vor dem 22. September der Offenbarungseid geleistet werden muss, die CDU/CSU aufzeigen muss, was sie konkret an Leistungen ab- oder zuwählen lassen will. So billig mit Aussitzen lassen wir die CDU/CSU nicht davon kommen. Wer das Solidarsystem zerstören will und eine Zweiklas- senmedizin einführen will, muss Ross und Reiter nennen. Wir sind sehr froh, dass mit der Verbesserung die Zu- gangsschwelle für ambulante Badekuren so weit abge- senkt wird, dass es auch Menschen mit kleinem Geldbeu- tel möglich ist, das Gesundheitstrainingslager Kur zu erreichen. Für viele Menschen bedeutet eine Kur im Ge- gensatz zu ambulanten Maßnahmen am Wohnort, genü- gend Freiräume zu bekommen. Die notwendigen Phasen – Belastung, Entlastung – können verlässlicher garantiert werden. Dies gilt ganz besonders für Menschen, die eine altersspezifische Maßnahme benötigen, weil gerade sie bei zunehmender Multimorbidität solche Entlastungs- effekte erhalten. Den Weg beim Umbau des Gesundheitswesens hin zur Prävention werden wir durch solche Schritte erleichtern. Wir haben nicht vergessen, dass 1 Euro, investiert in Ku- ren, uns 3 Euro an Folgekosten erspart – von dem gewon- nenen Mehr an Lebensqualität der Patienten gar nicht zu sprechen. Gleichzeitig stabilisieren und verbessern wir die wirt- schaftliche Lage in den Kurorten. Damit verhindern wir den Abbau von hoch qualifizierten Gesundheitsarbeits- plätzen. Wir werden auf diese Art eine Strukturverwerfung wieder glätten. Beispiel Bad Wörishofen – auch 2001 laut Amtlicher Statistik immer noch Platz 3 der – „ambulan- ten Kurorte“ in Deutschland: 1995: 1 380000 Über- nachtungen, 75 500 Gäste, 16,8 Tage Verweildauer; 2001: 920 000 Übernachtungen, 78 000 Gäste, 11,8 Tage Verweildauer. 27Prozent dieser 78 000 Gäste sind Kurgä- ste, die mindestens 21 Tage in Bad Wörishofen verbrin- gen. Diese Gäste stellen aber 50 Prozent aller Übernach- tungen. Daraus könnte man die Folgerung ziehen: Der Bedarf für eine bessere Versorgung ist da, aber die Versi- cherten weichen notgedrungen nach dem Seehofer-Kahl- schlag auf für sie bezahlbare Kurzmaßnahmen aus. Würde man die heutige Zahl der Gäste mit der damaligen Verweildauer multiplizieren, wären man wieder auf dem alten Stand. Der Bundesrat wäre gut beraten, in seiner Gänze unse- rem Antrag zuzustimmen. Damit helfen wir den Patien- tinnen und Patienten und dadurch helfen wir vielen Kur- orten, ihren Einrichtungen und Beschäftigten in ganz Deutschland. Dr. Hans Georg Faust (CDU/CSU): Die Regierungs- fraktionen haben sich mal wieder etwas einfallen lassen, Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Juni 200224554 (C) (D) (A) (B) um im Wahljahr auf Stimmenfang zu gehen. Deshalb haben wir uns heute mit dem Entwurf der Regierungsfraktionen zur Verbesserung des Zuschusses zu ambulanten medizini- schen Vorsorgeleistungen zu beschäftigen. Dieser Entwurf ist gut gemeint; er ist aber nicht gut gemacht. Vor allem nicht, wenn sich hinter diesen vermeintlichen Wohltaten Wahlgeschenke verbergen und die Betroffenen diese Ge- schenke hinterher auch noch selbst zahlen müssen. Denn die zu erwartenden Mehrkosten tragen – wie soll es bei die- ser Regierungspolitik auch anders sein – die Versicherten. Allerdings stellt dieser Entwurf bei allen notwendigen Veränderungen in der gesetzlichen Krankenversicherung nur einen kleinen Baustein dar. Mit diesem kleinen Bau- stein beabsichtigen die Regierungsfraktionen eine Er- höhung der Höchstgrenze des täglichen Zuschusses zu den nicht medizinischen Leistungen um fünf Euro. Zukünftig soll den gesetzlichen Krankenkassen ermög- licht werden, den Höchstsatz der Förderung in den Sat- zungen auf 13 Euro festzulegen. Mit diesem Entwurf wird beabsichtigt, den Zuschuss um 62 Prozent zu erhöhen. Außer Acht lassen die Regierungsfraktionen in ihrem Ent- wurf die Situation des chronisch kranken Kleinkindes. Hierzu ist in Ihren Antragswerk keine Erhöhung zu fin- den, obwohl auch hier das primär angeführte Argument der Preisentwicklung sicherlich greifen würde. Hier ver- missen wir eine klare Aussage. Dennoch begrüßt die CDU/CSU-Bundestagsfraktion diese Anpassung des täglichen Zuschusses auf 13 Euro, da hierdurch zumindest ein Teil der Versicherten von Belas- tungen durch die deutlich gestiegenen Unterbringungs-, Fahrt- und Verpflegungskosten entlastet wird. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion verbindet mit dieser An- passung die Hoffnung, dass zukünftig mehr Versicherten die medizinisch notwendigen Vorsorgeleistungen in unse- ren anerkannten Kurorten zugute kommen werden und somit die Gesundheitsförderung gestärkt wird. Für die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat die Präven- tion in einem modernen Gesundheitssystem einen entscheidenden Stellenwert. Denn nur ein System, das dafür sorgt, dass die Menschen nicht krank werden, son- dern gesund bleiben, hat diesen Namen erst verdient. Wenn die Prävention im deutschen Gesundheitswesen einen weitaus höheren Stellenwert hätte als bisher, dann könnten die großen gesellschaftlichen und ökonomischen Herausforderungen an unserem Gesundheitssystem besser bewältigt werden. Leider ist es jedoch so, dass nur vier Pro- zent der Gesundheitsausgaben für Gesundheitsschutz und Prävention zur Verfügung stehen. Dabei sind sich die wis- senschaftlichen Experten darüber einig, dass in Deutsch- land durch eine verstärkte Investition in lang- und mittel- fristige Präventionsmaßnahmen 25 bis 30 Prozent der heutigen Gesundheitsausgaben eingespart werden könnten. Das ist ein gewaltiges Einsparpotenzial. Dies hat auch der Sachverständigenrat für die Konzertierte Aktion im Ge- sundheitswesen bereits in seinem im Frühjahr des vergan- genen Jahres vorgelegten Gutachten hervorgehoben. Zur Verdeutlichung des Ausmaßes: Die Leistungsaus- gaben der Krankenkassen betrugen im Jahr 2001 rund 138 Milliarden Euro. Würden die Potenziale der Präven- tion effektiv genutzt, könnte dies zu Einsparungen von bis zu 41 Milliarden Euro bei der gesetzlichen Krankenversi- cherung führen, Einsparungen, die nicht durch Leistungs- ausschluss, Budgetierung oder Rationierung entstanden sind, sondern durch eine effektive Nutzung der Gesund- heitsförderung und Prävention. Diese Einsparungen, sehr geehrte Frau Ministerin Schmidt, hätten Ihnen Ihre gute Laune und Ihr strahlendes Lächeln erhalten, als Sie im März diesen Jahres das Defizit der gesetzlichen Kranken- versicherung für das Jahr 2001 in Höhe von 2,8 Milliar- den Euro eingestehen mussten. Auch der Alptraum des 800 Millionen-Euro-Defizit des ersten Quartals 2002 wäre Ihnen erspart geblieben. Diese Einsparungen wären den beitragzahlenden Arbeitnehmern und Arbeitgebern zugute gekommen und hätten somit auch dem Wirt- schaftsstandort Deutschland genutzt. Sie hätten den Pati- entinnen und Patienten gedient, da ihnen durch die Leis- tungserbringer keine Behandlungen hätten vorenthalten werden müssen. Diese Einsparungen hätten Ihnen genützt, da Sie dann auf Leistungsausschluss, Budgetie- rung und Rationierung hätten verzichten können. Diese Einsparungen hätten Ihnen die Rechtfertigung für die zu- sätzlichen Ausgaben in Höhe von circa 20 Millionen Euro für die verstärkte Inanspruchnahme ambulanter medizini- scher Vorsorgeleistungen ersparen können. Für die CDU/CSU-Bundestagsfraktion steht jedoch nicht die ökonomische Seite im Vordergrund der gesund- heitspolitischen Betrachtungen – obwohl sie schon von den finanziellen Ergebnissen her sehr interessant ist –, sondern die ethische Seite der Prävention und der Ge- sundheitsförderung. Für uns daher steht fest, dass nur ein Gesundheitswesen, das die Menschen gesund hält, statt sich im Kurieren von Krankheiten zu erschöpfen, diesen Namen erst verdient hat. Bei Gesundheitsförderung und Prävention haben die anerkannten Kurorte eine bedeutende Rolle. Denn statt Ur- laub auf Krankenschein heißt es heute: straffes Programm mit aktiver Beteiligung. Regeneration und Wohlergehen stehen heute im Mittelpunkt des Interesses der Beteiligten. Die werten Kolleginnen und Kollegen der Regierungs- fraktionen werden mit Sicherheit die Vergangenheit bemühen wollen und darstellen versuchen, dass die dama- lige Regierung, bestehend aus CDU/CSU und FPD, die Kur- und Heilbäder in eine tiefe Krise geführt hätte. Anfang bis Mitte der 90er-Jahre waren die Ausgaben für Kuren und Rehabilitationsleistungen in der gesetz- lichen Krankenversicherung von rund 3 Milliarden DM auf rund 5,3 Milliarden DM gestiegen. Diese expansive Entwicklung ließ sich nur zum Teil auf einen „Nachhol- bedarf“ in den neuen Ländern zurückführen. Während sich die Kur-Ausgaben in der GKV-Ost, ausgehend von 95 Millionen DM in 1991 auf rund 860 Millionen DM in 1996 verneunfachten, gab es auch in den alten Bundes- ländern mit einem Zuwachs von rund 2,9 Milliarden DM auf rund 4,4 Milliarden DM eine medizinisch nicht be- gründbare Ausgabenexpansion. Eine differenzierte Betrachtung der Ausgabenentwick- lung in der GKV bis 1996 nach den einzelnen Leistungs- segmenten im Kur- und Rehabilitationsbereich zeigte da- mals bereits auf, dass die Ausgabenentwicklungen höchst unterschiedlich verliefen. So gingen die Ausgaben zum Beispiel für ambulante Kuren von rund 530 Millionen DM in 1991 bis auf rund 490 Millionen DM in 1996 bereits Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Juni 2002 24555 (C) (D) (A) (B) leicht zurück. Demgegenüber zeigte sich im Bereich der stationären Rehabilitationsleistungen ein stark expansiver Trend. So hatten sich zum Beispiel die Anschluss-Heilbe- handlungen (AHB) von 1991 bis 1996 von rund 660 Mil- lionen DM auf rund 1,84 Milliarden DM fast verdreifacht. Aufgrund dieser massiven Ausgabenentwicklungen hatte die Bundesregierung – damit unsere solidarische Krankenversicherung nicht Schiffbruch erlitt – die not- wendigen, aber auch schmerzhaften Maßnahmen einzu- leiten. Mit dem Wachstums- und Beschäftigungsförde- rungsgesetz sowie dem Beitragsentlastungsgesetz konnte die rasante Ausgabenexplosion erfolgreich gestoppt wer- den. Allein im Jahr 1997 wurde rund 1 Milliarde DM in der gesetzlichen Krankenversicherung eingespart. Im Rahmen dieser gesetzlichen Maßnahmen gab es den stärksten Rückgang, und zwar bei den ambulanten Kuren. Der drastische Rückgang lässt sich womöglich auch da- hin gehend erklären, dass besonders der damaligen „am- bulanten Badekur“ in der GKV – möglicherweise auch aus medizinischer Sicht – eine im Vergleich zur sta- tionären Kur immer geringere Bedeutung zuerkannt wurde. Selbst nach dem In-Kraft-Treten des Beitragsent- lastungsgesetzes gab es bei den Anschlussrehabilitationen zweistellige Wachstumsraten. 1997 gab es einen Zuwachs von 14,4 Prozent. Während die jetzigen Regierungsfraktionen damals laut lamentierten und nun heute unser Gesundheitssystem von einer Krise in die nächste führen, nutzten die Kurorte und Heilbäder ihre neuen Chancen. Denn für die Kurorte und Heilbäder haben sich in den letzten Jahren auch in- teressante neue Betätigungsfelder eröffnet. So setzten im- mer mehr Kur- und Heilbäder unter anderem auf Fitness- und Wellnessangebote, statt sich allein auf die durch die gesetzliche Krankenversicherung finanzierten Kuren zu konzentrieren. Diese positive Entwicklung wird auch da- durch unterstrichen, dass mittlerweile jeder fünfzehnte Urlauber in Sachen Wellness verreist. Die Kurorte und Heilbäder haben aktiv ihre Chance, die in jeder Veränderung liegt, genutzt. Sie waren innova- tiv und kreativ, sodass sie nun auch für in- und ausländi- sche Touristen wesentlich attraktiver geworden sind. Durch diese vorzeigbaren Entwicklungen haben sich die Kurorte und Heilbäder zu einem unverzichtbaren Be- standteil der Prävention und der Gesundheitsförderung entwickelt. Heute sind die ambulanten Kuren unverzicht- barer Bestandteil des gestuften Systems der Vorsorge und der Rehabilitation. Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Mit der Rückkehr von Herrn Seehofer auf die po- litische Bühne kehrt nicht Kompetenz, sondern Konfu- sion in die Reihen der Union ein. Unzählige Anträge und Gesetzesvorlagen der Union erwarten uns in den nächsten zwei Sitzungswochen hier im Bundestag, einer schlechter als der andere, Die Rückkehr wurde auch im Bundesrat vorbereitet. Das sind Initiativen der Union, die nur ein Ziel haben: Wahlkampf. Dabei gehen Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, verantwortungslos mit den Bürgerinnen und Bürgern um. Sie fordern Leistungs- ausweitungen in der GKV, wohlwissend, dass diese nicht zu finanzieren sind. Sie spekulieren darauf, dass wir diese ablehnen und damit unsere Verantwortung wahrnehmen. Dies ist im Übrigen der einzige Punkt, in dem Sie Recht behalten werden, wir lassen Ihnen solche Scheinaktivitä- ten nicht durchgehen. Aber Sie haben die Rechnung ohne die Wähler gemacht. Sie können mit Ihren Taschenspie- lertricks die Bürgerinnen und Bürger längst nicht mehr hinters Licht führen. Zu genau können Sie sich an Ge- sundheitspolitik à la CDU/CSU/FDP erinnern. So nun auch unser heutiges Beispiel. Wer hat Mitte der 90er-Jahre Vorsorgeleistungen aus dem Leitungskatalog gestrichen? Die Union. Wer hat gegen die Wiederein- führung von Präventionsleistungen durch Rot-Grün 1999 gestimmt? Die Union. Wer stellte im Frühjahr 2002 im Bundesrat einen Antrag zur Erhöhung des Krankenkas- senzuschusses auf mindestens 25 Euro je Tag und zwar ohne Finanzierungsvorschlag? Die Union. Wer will medi- zinisch notwendige Leistungen wie Vorsorge im Falle ei- nes Wahlsieges als abwählbare Zusatzleistung definieren und somit nur noch für besser Verdienende zugänglich machen? Die Union. Und für wessen Gesundheitspolitik steht der Spruch: Weil du arm bist, musst du früher ster- ben? Für die der Union und FDP. Das wissen die Wähle- rinnen und Wähler. Sie werden Ihnen am 22. September die entsprechende Quittung präsentieren. Wir, die rot-grüne Mehrheit im Bundestag, machen Nägel mit Köpfen. Wir reden nicht nur von Stärkung der Prävention, sondern wir leiten auch verantwortungsvolle Schritte ein, zum Beispiel die Erhöhung der Beteiligung der Krankenkasse an ambulanten medizinischen Vorsor- geleistungen von 8 auf 13 Euro; ein maßvoller, finanzier- barer Betrag, der die Eigenverantwortung der Patientin- nen und Patienten stärkt und gleichzeitig weniger gut Verdienende und Familien nicht ausschließt, sondern mit ins Boot nimmt. Im Ergebnis werden die Krankenkassen Einsparungen erzielen, die die Dynamik der Kostenent- wicklung in der gesetzlichen Krankenversicherung brem- sen werden. Das ist langfristige Politik für die Menschen in diesem Land und nicht gegen sie, wie die Union es vor- hat. Deshalb fordere ich die Opposition auf: Nehmen Sie endlich Ihre Verantwortung als Bundestagsabgeordnete wahr und helfen Sie mit, dieses Land fit für die Zukunft zu machen. Unterstützen Sie unseren Gesetzesentwurf und machen Sie Ihrem S-Team klar: Verantwortungsvolle Politik ist ein Handeln für die Menschen und nicht gegen sie. Dr. Dieter Thomae (FDP): Der Gesetzentwurf, der uns heute vorliegt, hat zum Ziel, den Zuschuss zu den nicht medizinischen Kosten ambulanter Vorsorgeleistungen zu erhöhen. Statt der bisherigen Höchstgrenze von täglich 8 Euro sollen die Krankenkassen einen Höchstbetrag von 13 Euro bezahlen. Auf der einen Seiten erkennen wir an, dass für die Patientinnen und Patienten, die ambulante Vor- sorgeleistungen in anerkannten Kurorten in Anspruch neh- men, durch die Erhöhung auf bis zu 13 Euro eine finanzi- elle Entlastung gewährt wird. Das ist in Ordnung. Besser wäre es in unseren Augen aber gewesen, statt einer gerin- gen finanziellen Entlastung für die Patientinnen und Pati- enten den Zugang zu ambulanten Vorsorgeleistungen zu verbessern. Zurzeit können medizinische Vorsorgeleistun- gen in anerkannten Kurorten im Regelfall alle vier Jahre Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Juni 200224556 (C) (D) (A) (B) gewährleistet werden, es sei denn, eine vorzeitige Leistung ist aus medizinischen Gründen dringend erforderlich. Die Patienten, die auf solche ambulanten Kuren aber vorwie- gend angewiesen sind, haben ein Durchschnittsalter von über 60 Jahren oder sind chronisch krank. Der Gesund- heitszustand dieser Patienten hält sich an keine Vierjahres- fristen, sondern verschlechtert sich häufig rapide. Wenn sie aber erneut eine Kur in Anspruch nehmen wollen, er- halten sie von der Krankenkasse dann die Antwort: Kom- men sie doch bitte in drei Jahren wieder! Dieser Zustand bedeutet für viele Patienten eine unzumutbare Härte und ist aus therapeutischen Gründen nicht tragbar. Dr. Ruth Fuchs (PDS): In einer durchdachten und klar formulierten Gesundheitspolitik kommt neben Dia- gnostik und Therapie der Förderung und Wiederherstel- lung von Gesundheit, das heißt Prävention und Rehabili- tation ein wachsender Stellenwert zu. Gerade gegen die heute im Vordergrund des Erkrankungsgeschehens ste- henden chronischen Krankheiten haben sich Prävention und Rehabilitation als besonders geeignete und hilfreiche Maßnahmen erwiesen. Sie sind heute wissenschaftlich begründete, qualitäts- gesicherte sowie effektive und insofern bewährte Verfah- ren im medizinischen Handlungsspektrum. Vor allem aber ist erfolgreiche Wiedereingliederung in das Berufsleben oder die Verhinderung von Pflegebedürftigkeit und die damit einhergehende Verbesserung der Lebensqualität von Menschen ein humanes Anliegen ersten Ranges. Deshalb sagen wir seit langem: Wer die Leistungsfä- higkeit eines Gesundheitswesens im Ganzen verbessern will, muss die Bereiche der Prävention und Rehabilitation gezielt stärken. Die Union hatte insbesondere in den letzten Jahren ih- rer Regierungszeit im Gegensatz zu aller gesundheitspo- litischen Vernunft ausgerechnet diese Bereiche mit einer Streichorgie sondergleichen überzogen. Die neue Regierungskoalition hat sich seit 1998 um entsprechende Korrekturen bemüht. Das war und ist verdienstvoll, denn Reha-Leistungen und Kuren müssen auch jene in Anspruch nehmen können, die mit ihrem Geld hart rechnen müssen. In diesem Sinne begrüßen wir auch die mit dem heute zur Debatte stehenden Gesetzent- wurf beabsichtigte Anhebung der Höchstgrenze des Zu- schusses zu den nicht medizinischen Kosten ambulanter Vorsorgeleistungen von acht auf 13 Euro. Es ist ein klei- ner, aber für viele Menschen nicht unwichtiger Schritt in die richtige Richtung. Anlage 13 Zu Protokoll gegebene Reden zurAktuellen Stunde: Haltung der Bundesregie- rung zu dem am 6. Juni 2002 vorgestellten Frie- densgutachten der fünf führenden Friedensfor- schungsinstitute (Zusatztagesordnungspunkt 21) Erich G. Fritz (CDU/CSU): Seit 1987 stellen die größ- ten Friedensforschungsinstitute der Bundesrepublik ihr gemeinsames Friedensgutachten vor. Es ist zunächst ein- mal ein Verdienst der Institute, seit Jahren immer wieder auf die explosive Lage in der Welt aufmerksam gemacht zu haben. Das am 6. Juni 2002 vorgestellte Gutachten steht ganz im Zeichen der terroristischen Anschläge vom 11. Sep- tember 2001, die in der internationalen Politik zweifels- ohne eine Machtverschiebung mit sich gebracht haben. Dies zeigt etwa die Aufwertung Russlands zum Sicher- heitspartner der USA. Nicht übereinstimmen kann ich mit der Einschätzung der Experten, wonach das Gewicht der Europäer ins trans- atlantischen Verhältnis abgenommen haben soll. Ganz im Gegenteil: Die neuartige Bedrohung durch Selbstmord- attentate hat gerade im transatlantischen Verhältnis neue Gemeinsamkeiten und Verantwortungen geschaffen. Sie hat bestehende Gemeinsamkeiten und Verantwortungen deutlich aufgewertet. Dies hat auch Präsident Bush in sei- ner Rede vor dem Bundestag sehr deutlich gesagt, als er betont hat, dass die weltweite Bekämpfung des Terrors so- wohl die Amerikaner als auch für die Europäer und über- haupt alle zivilisierten Länder dieser Welt zu einer ge- meinsamen politischen Aufgabe geworden ist. Die Herausgeber des diesjährigen Friedensgutachtens warnen in scharfer Form und mit Blick auf den so genann- ten Antiterrorkrieg vor der Enttabuisierung militärischer Gewalt und der Rückkehr des Krieges in das „Arsenal ge- wöhnlicher außenpolitischer Instrumente“. Hauptadressat ihrer Kritik sind die USA, denen sie vorwerfen, die von ih- nen formierte Koalition sei nur „politische Rückendeckung für eine primär militärische Vorgehensweise“. Diese Be- wertung wird vonseiten der CDU/CSU nicht geteilt. Ganz im Gegenteil: Die Antiterrormaßnahmen der USAerfahren unsere Zustimmung. Es gibt keine Alternative zum jetzigen Vorgehen gegen die Terroristen und diejenigen, die sie un- terstützen. Das schließt militärische Mittel nicht aus. Ob- wohl die Anwendung von Gewalt ein Übel bleibt, ist sie in bestimmten Situationen einfach unvermeidbar. Umso drin- gender besteht unsere Aufgabe darin, alles daran zu setzen, die Anwendung von Gewalt in Zukunft zu verhindern: durch Gewaltprävention, durch die Verstärkung der Ent- wicklungszusammenarbeit sowie durch Abrüstung und Rüstungskontrolle. Verstärkte Bemühungen um Rüstungskontrolle und Abrüstung sind auch eine zentrale Forderung der Frie- densforscher. Völlig unumstritten ist, dass der Kampf ge- gen die Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaf- fen seit dem 11. September eine größere Dringlichkeit bekommen hat. Insofern können wir die Bewertung der Ex- perten teilen, dass unsere Anstrengungen auf diesem Gebiet verstärkt werden müssen. Es geht in diesem Zusammen- hang nicht bloß um die Verbreitung von Massenvernich- tungswaffen an bestimmte Staaten wie etwa den Irak, son- dern auch um die Gefahr einer Verbreitung an Terroristen. Die Ereignisse des 11. September haben uns gezeigt, dass wir die Proliferationsgefahren noch ernster nehmen müs- sen als zuvor. Dies gilt nach wie vor auch für Russland, das selbst nach dem jüngst mit den USA abgeschlossenen Abkommen zur Reduzierung von atomaren Sprengköpfen bei Nuklearwaffen eine Problemregion bleibt. Erforderlich ist also eine umfassende Gewaltprävention. Dafür muss Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Juni 2002 24557 (C) (D) (A) (B) jedoch mehr Geld aufgewendet werden. Die Bundesre- publik Deutschland gab im Jahre 2000 zur vorbeugenden Bekämpfung der Proliferationsgefahren auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion und zur Abrüstungszusam- menarbeit mit Russland und der Ukraine 15 Millionen DM aus. Die USAhingegen stellen für diesen Zweck seit 1992 jährlich 1 Milliarde US-Dollar aus dem Nunn-Lu- gar-Fonds zur Verfügung, an dem sich auch die Briten und Franzosen beteiligen. Wir müssen also der Forde- rung nach verstärkter Rüstungskontrolle und Abrüstung sowie nach mehr Geld zur Gewaltprävention neue Dring- lichkeit angesichts der Tatsache verleihen, dass wir es mit einer neuen Form des Terrorismus beziehungsweise der Bedrohung unserer Freiheit zu tun haben. Die militärische Bekämpfung des Terrors ist das eine, aber auch die Gestaltung der Globalisierung zum Vorteil aller Staaten dieser Welt und ihrer Völker ist nach dem 11. September noch stärker als bisher die gemeinsame Aufgabe von Amerikanern und Europäern. Das Engage- ment der Amerikaner und der Europäer in dem von Krieg und Bürgerkrieg verwüsteten Land Afghanistan bringt diese gemeinsame Verantwortung besonders deutlich zum Ausdruck. Aber auch der erfolgreiche Beginn einer neuen Welthandelsrunde und die verstärkte Zusammenarbeit bei der Bekämpfung von Geldwäsche und anderen Formen der internationalen Kriminalität belegen diese Gemein- samkeiten. Ein Novum stellt sicherlich die Tatsache dar, dass die Friedensgutachter die Bundesregierung in ungewohnt deutlicher Form kritisieren. Sie sprechen in ihrem Gut- achten die Mahnung an Rot-Grün aus, der Einsatz der Bundeswehr drohe „zum normalen Instrument der Außenpolitik zu werden“. Die Warnung vor der Normali- sierung des Krieges geht weit über die bislang gewohnte Kritik an mangelnden Fortschritten bei der Rüstungskon- trolle oder unzureichenden Aktivitäten bei der Konflikt- bearbeitung hinaus. Dieser Vorwurf muss für die Bundes- regierung umso schwerer wiegen, als sie in ihrem Koalitionsvertrag deutsche Außenpolitik per se zur Frie- denspolitik erklärt hatte. Ruprecht Polenz (CDU/CSU): Mit dieser heutigen Aktuellen Stunde möchte die PDS den Nachweis führen, dass die Bundesregierung keine Friedenspolitik betreibt, sondern eine zunehmende Militarisierung der Außenpoli- tik. Das hat die PDS der Bundesregierung seit Jahr und Tag vorgeworfen. Als Vehikel für diesen neuerlichen Vor- wurf soll das Jahresgutachten der Friedensforschungsin- stitute herhalten, nach denn Motto: was Friedenspolitik ist, definieren die Institute, und die kritisieren die Bun- desregierung – fast so wie die PDS das tut. Das Ganze reiht sich ein in das verkrampfte Bemühen der PDS, die Reste der westdeutschen Friedensbewegung aufzusam- meln, nachdem diese sich von den Grünen und der SPD abgewandt haben. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat die Entschei- dungen der Bundesregierung mitgetragen und unterstützt, die Auslandseinsätze deutscher Soldaten auf dem Balkan oder jetzt in Afghanistan und am Horn von Afrika zur Folge hatten. Dafür kritisieren wir die Regierung nicht, wohl aber dafür, dass sie bei zunehmenden Aufgaben für unsere Streitkräfte der Bundeswehr immer weniger Mittel zur Verfügung gestellt hat. Dieser Zerreißprobe sind un- sere Streitkräfte nicht mehr lange gewachsen. Hier ist dringend ein Kurswechsel erforderlich. Das so genannte Friedensgutachten krankt meiner Meinung nach daran, dass aus der richtigen Feststellung, mit militärischen Mitteln allein ließe sich der internatio- nale Terrorismus nicht bekämpfen, gefolgt wird, man müsse diesem militärischen Aspekt nahezu keine Aufmerksamkeit mehr schenken, sondern könne sich stattdessen allein auf die Bekämpfung der Ursachen des internationalen Terrorismus konzentrieren. Außerdem be- kommt man beim Lesen an vielen Stellen den Eindruck, Gefahren für unsere Sicherheit gingen weniger vom in- ternationalen Terrorismus aus als von den Reaktionen der USA auf diese Gefahren. Die Wahrheit ist doch, dass wir nur gemeinsam mit den USA diesen Gefahren begegnen können. Wenn wir Einfluss nehmen wollen auf die Strate- gie, wie wir diesen Kampf führen wollen, dann müssen Europäer untereinander einiger werden und gemeinsam mehr für ihre äußere Sicherheit tun. Das so genannte Friedensgutachten unterstreicht an mehreren Stellen die unverzichtbare Rolle der Vereinigten Staaten für die Lösung regionaler Konflikte, zum Beispiel im Nahen Osten. Die Gutachter verdrängen dabei – ne- benbei gesagt – den Grund, weshalb auf Amerika hier nicht verzichtet werden kann: Es ist nämlich vor allem auch die militärische Macht der USA, ohne deren Sicher- heitsgarantien eine Friedenslösung zwischen Israel und Palästina in der Tat nicht vorstellbar ist. Aber diese posi- tive Bewertung militärischer Macht hätte wohl nicht in den generellen Duktus des Gutachtens gepasst. Natürlich müssen die Europäer nicht – hier stimme ich dem Gutachten zu – dasselbe machen und können wie die Amerikaner. Aber sie müssen mehr tun, weil sie mehr können, und so wie die USA eine unverzichtbare Macht ist, so müssen wir Europäer ein unverzichtbarer Partner sein. Nur dann, wenn wir wirklich gebraucht werden, bei- spielsweise als europäischer Pfeiler in der NATO, werden wir auch gefragt werden und Einfluss haben. Wenn man Terroristen mit Fischen vergleicht, dann kommt es eben darauf an, sowohl die Fische zu fangen, wie auch ihnen das Wasser wegzunehmen. Das so ge- nannte Friedensgutachten konzentriert sich – mit sicher- lich manchen bedenkenswerten Vorschlägen – nahezu ausschließlich darauf, wie das Wasser vermindert werden kann, ohne sich groß Gedanken darüber zu machen, was in der Zwischenzeit mit den Fischen geschieht. Oder wenn Sie mir noch ein anderes Bild gestatten: Wenn ein Patient mit akuten Zahnschmerzen zum Zahnarzt kommt, möchte er nicht allgemeine und richtige Ratschläge zur Prophylaxe hören und dass er sich möglichst jeden Tag drei Mal die Zähne putzen soll. Er wäre auch bitter ent- täuscht, wenn ihn der Arzt nach solchen Ratschlägen nach Hause schicken würde, ohne sich um die Zahnschmerzen gekümmert zu haben. Aber genau so liest sich das so ge- nannte Friedensgutachten mit seinen nicht falschen Hin- weisen für eine vorbeugende Politik mit umfassendem Ansatz. Nach konkreten Vorschlägen für die akute Gefahr des jetzt stattfindenden und uns derzeit bedrohenden in- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Juni 200224558 (C) (D) (A) (B) ternationalen Terrorismus sucht man weitgehend verge- bens. Sicherlich kann sich die PDS bei ihrer Ablehnung der Politik der Bundesregierung auf große Teile des so ge- nannten Friedensgutachtens stützen. Nur, das macht diese Vorschläge deshalb nicht richtiger. Eine Definitionsmacht dessen, was Friedenspolitik sei, haben diese Institute schon längst nicht mehr. Das vergleichsweise spärliche Echo auf die Präsentation des Gutachters hat dies auch deutlich gemacht. Die PDS hat jetzt versucht, mit dieser Aktuellen Stunde dem etwas aufzuhelfen. Die Regie- rungskoalition hat vor lauter Sorge, dass der eine oder an- dere Restbestand aus den Zeiten der Friedensbewegung in den eigenen Reihen wieder rückfällig werden könnte, die Debatte in die späten Abendstunden verlegt. Es steht ja auch keine Vertrauensfrage mehr zur Verfügung, wie beim Afghanistan-Einsatz, um die rot-grünen Reihen geschlos- sen zu halten. Christian Schmidt (Fürth) (CDU/CSU): Man muss klar sehen, dass der Stellenwert des so genannten Frie- densgutachtens in der öffentlichen Perzeption seit den 80er-Jahren kontinuierlich zurückgegangen ist. Neben se- riöser, ernst zu nehmender wissenschaftlicher Analyse ist das Gutachten in Teilen eine Laienveranstaltung, deren Autoren-Kompetenz nicht zuletzt durch eigenwillige Po- sitionen wie zum Beispiel im Vorfeld des Kosovo-Krieges 1999 gelitten hat. Das jetzt vorliegende Friedensgutachten zeichnet sich wiederum durch ein durchgängiges militärkritisches Grundverständnis aus, welches das Gutachten auf Kosten der Glaubwürdigkeit eher in die Nähe alter, überkommener und linker Positionen rückt. Um es ganz klar zu sagen: Der Einsatz militärischer Macht kann Frieden nicht schaffen, sondern nur das haben wir auf dem Balkan und in Afgha- nistan vorexerziert die Rahmenbedingungen für eine trag- fähige Friedensordnung herstellen. Nicht mehr und nicht weniger. Gerade für diese Aufgabe der Friedensschaffung aber ist Militär mehr denn je notwendig. Insofern erinnern die diesbezüglichen militärkritischen Passagen in dem so genannten Friedensgutachten eher an Don Quixotes Kampf gegen Windmühlen oder an eine gewisse 68er Nostalgie als an Realität und Praxis internationaler Beziehungen. Gleichwohl liefert das Friedensgutachten brauchbare Analysen der gegenwärtigen und künftigen Herausforde- rungen, Risiken und Gefahren. Insbesondere die aufge- zeigten Gefahren des Nuklearterrorismus und die Proble- matik von Biowaffen müssen wir mit Blick auf die Lage und die möglichen Absichten des Irak im Auge behalten. Der Irak hält sich nämlich Optionen für die Herstellung von ABC-Waffen offen und ist dabei, sich entsprechende Befähigungen zuzulegen. Angesichts der im Friedensgutachten doch unüberseh- baren, bisweilen amerikakritischen Untertöne, die vor ei- nem neuen amerikanischen Unilateralismus warnen und den USA unterstellen, das Völkerrecht den militärischen Notwendigkeiten unterzuordnen, möchte ich betonen, dass wir froh darüber sein sollten, dass es vor allem die USA sind, die in der Praxis der operativen Außenpolitik die im Friedensgutachten aufgezeigten Herausforderun- gen ernst nimmt und darauf nicht – wie die europäische Seite – mit Betroffenheitsbekundungen, sondern mit Ta- ten und Aktionen reagiert. Dies gilt für die amerikanische Initiative der Raketenabwehr ebenso wie für die von den USA geführte Antiterroroperation gegen die Taliban und al-Quaida seit Ende des vergangenen Jahres. Ich sehe daher nicht die Gefahr, die Amerikaner wür- den in Zukunft die enge Bindung des Einsatzes militäri- scher Gewalt an das Völkerrecht lockern. Auch die Gründe und das Rational aufgrund des entsprechenden Gefahrenpotenzials für das amerikanische Nachdenken über eine Anpassung ihrer „Nuclear Posture“ wird vom Friedensgutachten – nolens volens – eigentlich sehr gut belegt; denn man muss angesichts der neuen Herausfor- derungen durch die Proliferation von Massenvernich- tungswaffen und entsprechende Befähigungen von poli- tisch unzuverlässigen Ländern schon über präventive Optionen nachdenken, um sich Handlungsflexibilität zu erhalten und die Hemmschwelle für den Einsatz atomarer Waffen herabzusenken. Dabei sind natürlich die politi- schen Folgen im Auge zu behalten. Zur NATO und OSZE und ihren Aufgaben in und für Europa muss man sagen, dass wir gerade im Hinblick auf die NATO-Erweiterung und die neuen Aufgaben des Bündnisses nach dem 11. September verhindern müssen, dass die NATO zu einer zweiten OSZE degeneriert. Die Handlungsfähigkeit des Bündnisses muss in jedem Fall erhalten bleiben. Angesichts von künftig 26 Mitglied- staaten – während des Prager NATO-Gipfels im Novem- ber werden wir 7 neue Staaten aufnehmen – müssen wir Organisation, Strukturen und das Konsensprinzip im Bündnis überdenken. Russland ist durch den neuen NATO-Russland-Rat in wichtigen Feldern der Kooperation, wie zum Beispiel der Rüstungskontrolle oder dem Kampf gegen den internatio- nalen Terrorismus, hinreichend eingebunden. Das ist auch im deutschen Interesse. Die Sicherheitspartnerschaft mit Russland ist auszubauen, ohne dass man Russland inner- halb der NATO Vetorechte einräumen darf. Dies würde si- cherlich gerade bei den osteuropäischen Partner zu Irrita- tionen führen. Auch müssen gerade die europäischen NATO-Partner ihrer möglichen Marginalisierung durch verstärkte eigene Verteidigungsanstrengungen entgegen- wirken. Es ist richtig, dass die Auslandseinsätze der Bundes- wehr ihren Ausnahmecharakter abgelegt haben. Das ist aber vor allem ein Verdienst der CDU/CSU-geführten Re- gierung, die seit Mitte der 90er-Jahre diesen Prozess der sicherheitspolitischen Normalisierung Deutschlands ge- gen den bisweilen vehementen Widerstand derer, die heute in Deutschland das Sagen haben, eingeleitet und durchgeführt hat. Das bedeutet nicht, dass wir zukünftig leichtfertiger in Auslandseinsätze gehen sollten. Ich halte es vor dem Hin- tergrund der Gesamtsituation der Bundeswehr und ihrer chronischen Unterfinanzierung bisweilen aber durchaus für leichtfertig, wie die jetzige Regierung mit dem natio- nalen Instrument der Sicherheitsvorsorge umgeht. Die Auslandseinsätze unserer Streitkräfte und der Ein- satz deutscher Soldaten sind nur verantwortbar, wenn man die Bundeswehr nicht demontiert, reduziert und aushöhlt, Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Juni 2002 24559 (C) (D) (A) (B) sondern unsere Streitkräfte einsatzfähig hält und vor al- lem den Verteidigungshaushalt aus dem Schlusslichtbe- reich der NATO herausholt. Innere und äußere Sicherheit kann man nach dem 11. September nicht mehr voneinander trennen. Es ist vor dem Hintergrund der aufgezeigten Risiken und Gefahren müßig, weniger Militär und mehr Polizei zu fordern – das tut das Friedensgutachten –; vielmehr kommt es letztlich auf die synergetischen Effekte beider Instrumente der Si- cherheitsvorsorge an. Meiner Meinung muss man, – gerade im Hinblick auf die Konsequenzen des 11. September, – die spezifischen Fähigkeiten der Bundeswehr auch bei nationalen Notla- gen im Inneren in enger Kooperation mit dem Zivil- und Katastrophenschutz sowie der Polizei und dem Bundes- grenzschutz zum Einsatz bringen. Gerade dieses aktuelle Thema – Einsatz der Bundeswehr im Inneren – hat Rot- Grün in der Vergangenheit stets aus ideologischen Grün- den dämonisiert statt vernünftig diskutiert. Mit Blick auf die Erhaltung des Weltfriedens glaube ich nicht, dass wir mit einer multilateralen Kooperations- kultur allein wesentlich weiter kommen. Ich setze hier eher auf ein enges eurotransatlantisches Verhältnis und ein effizientes Bündnis, nämlich auf eine erneuerte NATO. Gerade im Hinblick auf das transatlantische Verhältnis muss man jedoch sagen, dass sich Deutschland seit vier Jahren aus einem ernst zu nehmenden transatlantischen Dialog faktisch verabschiedet hat. Von Deutschland gin- gen – im Gegensatz zur vorhergehenden Regierung – keinerlei nennenswerte Initiativen aus, weder bei der Frage der NATO-Erweiterung noch bei der Neuausgestal- tung des Verhältnisses zu Russland oder im Bereich von Rüstungskontrolle und Abrüstung. Außenminister Fischer ist erst zum „Atlantiker“ geworden, seit er Nadelstrei- fenanzüge trägt. Heute muss sich unser Außenminister sorgen, dass seine eigene politische Klientel sich so ver- hält wie er selbst, bevor er in Amt und Würden trat, näm- lich zutiefst antiamerikanisch. Die amerikanisch-deutsche Freundschaft läuft Gefahr ausgehöhlt zu werden. Existenzielle Gefahren überlässt man gerne den USA, um sie anschließend wegen ihrer Po- litik ständig zu kritisieren. Deutschland löst zudem einge- gangene internationale Verpflichtungen nicht ein und un- tergräbt damit auch die europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Diese kritischen Fragen habe ich in dem vorgelegten Friedensgutachten vermisst. Anlage 14 Amtliche Mitteilungen Der Bundesrat hat in seiner 776. Sitzung am 31. Mai 2002 beschlossen, den nachstehenden Gesetzen zuzu- stimmen, bzw. einen Antrag gemäß Artikel 84 Absatz 1 Grundgesetz nicht zu zuzustimmen: – Verbraucherinformationsgesetz und Gesetz zur Nutzung von Daten zum Verbraucherschutz Begründung: Das mit dem Gesetzesvorhaben eigentlich verfolgte Ziel, den Verbrauchern mehr Information, Transparenz und Klarheit zu verschaffen, ist grundsätzlich zu be- grüßen. Dieses Ziel wird mit dem nun vorliegenden Verbraucherinformationsgesetz jedoch nicht erreicht. Das Gesetz bleibt hinter den unabdingbaren Notwen- digkeiten zurück. Berechtigte Interessen der Verbrau- cher werden mit dem Gesetz enttäuscht. Das Gesetz ist in sich nicht schlüssig und insbesondere in der Ausgestaltung des Auskunftsanspruches gegen- über Behörden praxisfremd, weil die öffentlichen Stel- len in vielen Fällen überhaupt nicht über die Informa- tionen verfügen, die zur sachgerechten Bearbeitung gerade von individuellen Auskunftsersuchen erforder- lich sind. Zudem wäre eine Abgleichung und Überprüfung des Vorhabens auf europäischer Ebene dringend notwen- dig gewesen, um die Nachteile eines isolierten natio- nalen Vorgehens zu vermeiden. Mit dem Gesetz wird in grundrechtlich geschützte Po- sitionen eingegriffen und damit die Möglichkeit weit reichender wirtschaftlicher Folgewirkungen eröffnet. Daher wäre nach sorgfältiger Analyse eine umfassende Güterabwägung erforderlich gewesen, um ohne zeitli- chen und politischen Druck Zulässigkeit und Grenzen eines solchen Gesetzgebungsvorhabens prüfen zu kön- nen. Das Verbraucherinformationsgesetz würde in seiner jetzigen Ausgestaltung nicht zuletzt zu einer erhebli- chen Kostenbelastung der Länder und Kommunen führen, ohne den Verbrauchern einen nennenswerten praktischen Nutzen zu verschaffen. Die im Gesetz vor- gesehene Kostendeckung durch Erhebung von Ge- bühren für die Gewährung des freien Zugangs zu bei Behörden vorhandenen Informationen erscheint nicht als realistisch. Insgesamt betrachtet ist das vorliegende Gesetz mit so gravierenden Mängeln behaftet, dass diese auch nicht in einem Vermittlungsverfahren behoben werden könnten. Nach Auffassung des Bundesrates machen die Ereig- nisse um die Verunreinigung von Öko-Futterweizen mit Nitrofen deutlich, dass im Bereich des Lebensmit- tel- und Futtermittelrechts auf der Vollzugs- und Le- gislativebene des Bundes dringender Handlungsbedarf besteht. Um Fälle wie die Nitrofenkrise zu verhindern, ist jedoch das Verbraucherinformationsgesetz kein taugliches Mittel, weil es insbesondere keine Verpflich- tung von Unternehmen, die staatlichen Behörden über kritische Ergebnisse bei Eigenkontrollen zu informie- ren, vorsieht. Die Nitrofenkrise beruht genau auf die- ser Informationslücke. So geht es nicht darum, dass die Behörden die Bürger nicht informiert hätten, sondern darum, dass die Überwachungsbehörden von den Her- stellern nicht unterrichtet wurden. Für eine umfassende Information der Öffentlichkeit ist es daher notwendig, diese Informationslücke zu schließen. außerdem ent- hält das Verbraucherinformationsgesetz keine Bestim- mungen zu Futtermitteln. Verunreinigte Futtermittel Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Juni 200224560 (C) (D) (A) (B) sind jedoch Auslöser der Nitrofenkrise. Es ist daher dringend erforderlich, dass die Bundesregierung die er- forderlichen Änderungen und Ergänzungen der gesetz- lichen Bestimmungen des Lebens- und Futtermittel- rechts veranlasst und im Übrigen das bereits vorhandene europarechtliche und nationale Instrumentarium aus- schöpft. Der Bundesrat fordert die Bundesregierung daher auf; sich auf EU-Ebene für die vorgriffsweise Einführung der Bestimmungen zur Verantwortung der Lebensmit- tel- und Futtermittelunternehmer nach Artikel 14 bis 20 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 des Europäischen Parlaments und des Rates zur Lebensmittelsicherheit (Inkraftreten dieser Vorschriften erst ab 1. Januar 2005) und dabei insbesondere der Meldepflicht nach Artikel 19 einzusetzen bzw. auf nationaler Ebene vergleichbare Regelungen umgehend selbst in Kraft zu setzen. Das vorgriffsweise Inkraftsetzen der erst ab 1. Januar 2005 europaweit maßgeblichen Bestimmungen hat zum Ziel, den beteiligten Lebens- und Futtermittelunternehmern umgehend zur Pflicht zu machen, die Behörden bei Kenntnis von Verstößen gegen die Vorschriften der Le- bensmittelsicherheit zu unterrichten, um Lebensmittel eher vom Markt nehmen zu können; über die Verord- nung (EG) Nr. 178/2002 vom 28. Januar 2002 zur Le- bensmittelsicherheit hinaus den Behörden in den bun- desrechtlichen Bestimmungen zur Pflicht zu machen, auch bei Verstößen gegen Vorschriften des Lebens- oder Futtermittelrechts, die im Rahmen schlicht ho- heitlichen Handelns oder eines privatrechtlichen Auf- tragsverhältnisses bekannt geworden sind, die zustän- digen Behörden zu unterrichten. Dies dient einer beschleunigten Entfernung gefährlicher Lebensmittel vom Markt und einer beschleunigten Information und Warnung der Öffentlichkeit. Nach Auffassung des Bundesrates wäre die Weiterleitung der bei der Bun- desanstalt für Fleischforschung (BAFF) vorhandenen Informationen über Nitrofen in Öko-Futterweizen und Lebensmitteln insoweit eher möglich gewesen. Zudem fordert der Bundesrat die Bundesregierung dazu auf, die bereits jetzt bestehenden Möglichkeiten zu nutzen und entsprechend Artikel 10 der – mit aus- nahme der o. g. Vorschriften – kürzlich in Kraft getrete- nen Verordnung (EG) Nr. 178/2002 zu veranlassen, dass die Öffentlichkeit in geeigneter Weise und umfassend über die auf dem Markt befindlichen, durch Nitrofen ri- sikobehafteten Lebens- und insbesondere Futtermittel, die Art der Lebens- und Futtermittel, das damit ver- bundene Risiko und die zur Vorbeugung, Begrenzung und Ausschaltung des Risikos getroffenen Maßnahmen unterrichtet wird. Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mit- geteilt, dass der Ausschuss gemäß § 80 Abs. 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu den nachstehenden Vorlagen absieht: Innenausschuss – Unterrichtung durch den Bundesbeauftragten für Daten- schutz Tätigkeitsbericht 1999 und 2000 des Bundesbeauftragten für den Datenschutz – 18. Tätigkeitsbericht – – Drucksachen 14/5555, 14/8829 Nr. 1.1. – – Unterrichtung durch die Bundesregierung Erster Bericht der Bundesregierung über den Stand der Auszahlungen und die Zusammenarbeit der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ mit den Partnerorganisationen – Drucksachen 14/7728, 14/8086 Nr. 1.4 – Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen – Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht des Bundesministeriums für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen zum Kombinierten Verkehr – Drucksachen 14/6828, 14/7119 Nr. 2 – Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mit- geteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden EU-Vorla- gen bzw. Unterrichtungen durch das Europäische Parla- ment zur Kenntnis genommen oder von einer Beratung abgesehen hat. Innenausschuss Drucksache 14/7708 Nr. 1.1 Drucksache 14/7708 Nr. 1.2 Drucksache 14/7708 Nr. 2.7 Drucksache 14/8339 Nr. 2.7 Drucksache 14/8339 Nr. 2.23 Drucksache 14/8428 Nr. 1.1 Drucksache 14/8428 Nr. 2.50 Drucksache 14/8562 Nr. 2.16 Finanzausschuss Drucksache 14/8562 Nr. 2.21 Drucksache 14/8562 Nr. 2.22 Drucksache 14/8562 Nr. 2.24 Drucksache 14/8562 Nr. 2.25 Drucksache 14/8562 Nr. 2.32 Drucksache 14/8562 Nr. 2.39 Drucksache 14/8562 Nr. 2.41 Drucksache 14/8832 Nr. 2.7 Drucksache 14/8832 Nr. 2.19 Drucksache 14/8940 Nr. 2.36 Ausschuss fürWirtschaft und Technologie Drucksache 14/8832 Nr. 1.6 Drucksache 14/8832 Nr. 2.8 Drucksache 14/8832 Nr. 2.9 Drucksache 14/8832 Nr. 2.10 Drucksache 14/8832 Nr. 2.12 Drucksache 14/8832 Nr. 2.24 Drucksache 14/8832 Nr. 2.25 Drucksache 14/8832 Nr. 2.26 Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft Drucksache 14/8940 Nr. 2.16 Drucksache 14/8940 Nr. 2.18 Drucksache 14/8940 Nr. 2.24 Drucksache 14/8940 Nr. 2.28 Drucksache 14/8940 Nr. 2.32 Drucksache 14/8940 Nr. 2.33 Drucksache 14/8940 Nr. 2.34 Ausschuss für Verkehr, Bau und Wohnungswesen Drucksache 14/8179 Nr. 2.33 Drucksache 14/8428 Nr. 2.16 Drucksache 14/8562 Nr. 1.6 Drucksache 14/8562 Nr. 2.37 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Juni 2002 24561 (C) (D) (A) (B) Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe Drucksache 14/8691 Nr. 1.1 Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Drucksache 14/8940 Nr. 2.6 Drucksache 14/8940 Nr. 2.26 Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Drucksache 14/8428 Nr. 2.3 Drucksache 14/8832 Nr. 1.4 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 243. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Juni 200224562 (C)(A) Druck: MuK. Medien- und Kommunikations GmbH, Berlin
Gesamtes Protokol
Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1424300000
Guten Morgen, liebe
Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.

Heute feiern der Kollege Hans-Ulrich Klose seinen
65. Geburtstag und der Kollege Manfred Hampel seinen
60. Geburtstag. Herzlichen Glückwunsch im Namen des
ganzen Hauses!


(Beifall)

Interfraktionell ist vereinbart worden, die Tagesord-

nung um folgenden Zusatzpunkt 24 zu erweitern:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichtes des Aus-
schusses für Gesundheit (14. Ausschuss) zu den Unterrichtungen
durch die Bundesregierung: Bericht der Kommission über
die Erfahrungen mit den Verfahren zur Erteilung von Ge-
nehmigungen für das Inverkehrbringen von Arzneimitteln
gemäß Verordnung (EWG) Nr. 2309/93 Kap. III der Richt-
linie 75/319/EWGund Kap. IV der Richtlinie 81/851/EWG;
Bericht gemäß Art. 71 der Verordnung (EWG) Nr. 2309/93
KOM (2001) 606 endg.; Ratsdok. 13361/01
Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parla-
ments und des Rates zur Festlegung von Gemeinschafts-
verfahren für die Genehmigung, Überwachung und Phar-
makovigilanz von Human- und Tierarzneimitteln und zur
Schaffung einer Europäischen Agentur für die Beurteilung
von Arzneimitteln; Vorschlag für eine Richtlinie des Euro-
päischen Parlaments und des Rates zur Änderung der
Richtlinie 2001/83/EG zur Schaffung eines Gemeinschafts-
kodexes für Humanarzneimittel; Vorschlag für eine Richt-
linie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Än-
derung der Richtlinie 2001/82/EG zur Schaffung eines
Gemeinschaftskodexes für Tierarzneimittel KOM (2001)

404 endg.; Ratsdok. 14591/01 – Drucksachen 14/8562 Nrn. 2.4
und 2.7, 14/9464 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Ruth Fuchs

Der Zusatzpunkt wird ohne Debatte im Anschluss an
die Abstimmungen zum Bundesverfassungsgerichtsge-
setz aufgerufen werden.

Der Zusatzpunkt 19, Beschlussempfehlung zum Koali-
tionsantrag Deutsche Exportinitiative/Erneuerbare Ener-
gien, soll abgesetzt und in der nächsten Sitzungswoche
beraten werden.

Sind Sie mit beiden Änderungen der Tagesordnung
einverstanden? – Ich höre keinen Widerspruch. – Dann ist
so beschlossen.

Ich rufe den Zusatzpunkt 12 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschus-

(Vermittlungsausschuss)

der Rechtsakte der Europäischen Gemeinschaft
über die Etikettierung von Fischen und Fischerei-

(Fischetikettierungsgesetz – Fisch EtikettG)

14/8810, 14/9330, 14/9429 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Norbert Wieczorek

Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? –
Wird das Wort zu Erklärungen gewünscht? – Das ist nicht
der Fall.

Wir kommen zur Abstimmung. Wer stimmt für die Be-
schlussempfehlung des Vermittlungsausschusses auf
Drucksache 14/9429? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Die Beschlussempfehlung ist einstimmig ange-
nommen.

Ich rufe den Zusatzpunkt 13 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschus-

(Vermittlungsausschuss)

thekengesetzes – Drucksachen 14/756, 14/8875,
14/8930, 14/9342, 14/9431 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Hildegard Wester

Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? – Wird
das Wort zu Erklärungen gewünscht? – Das ist nicht der
Fall.

Wir kommen zur Abstimmung. Wer stimmt für die
Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschusses auf
Drucksache 14/9431? – Gegenprobe! – Enthaltungen? –
Die Beschlussempfehlung ist gegen die Stimmen der FDP
mit den Stimmen des Hauses im Übrigen angenommen.

Ich rufe den Zusatzpunkt 14 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschus-

(Vermittlungsausschuss)


24423


(C)



(D)



(A)



(B)


243. Sitzung

Berlin, Freitag, den 14. Juni 2002

Beginn: 9.00 Uhr

Waffenrechtes (WaffRNeuRegG) – Drucksa-
chen 14/7758, 14/8886, 14/9341, 14/9432 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Ludwig Stiegler

Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? –
Wird das Wort zu Erklärungen gewünscht? – Das ist nicht
der Fall.

Wir kommen zur Abstimmung. Der Vermittlungsaus-
schuss hat gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 seiner Geschäftsord-
nung beschlossen, dass im Deutschen Bundestag über die
Änderungen gemeinsam abzustimmen ist. Wer stimmt für
die Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschusses
auf Drucksache 14/9432? – Wer stimmt dagegen? – Ent-
haltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stim-
men des Hauses bei Enthaltung der FDP angenommen.

Ich rufe den Zusatzpunkt 15 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschus-

(Vermittlungsausschuss)

wachungsgewerberechts – Drucksachen 14/8386,
14/8903, 14/9334, 14/9433 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Ludwig Stiegler

Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? –
Wird das Wort zu Erklärungen gewünscht? – Das ist nicht
der Fall.

Wir kommen zur Abstimmung. Der Vermittlungsaus-
schuss hat gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 seiner Geschäftsord-
nung beschlossen, dass im Deutschen Bundestag über die
Änderungen gemeinsam abzustimmen ist. Wer stimmt für
die Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschusses
auf Drucksache 14/9433? – Wer stimmt dagegen? – Ent-
haltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stim-
men des Hauses gegen die Stimmen der PDS-Fraktion an-
genommen.

Ich rufe Zusatzpunkt 16 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschus-

(Vermittlungsausschuss)

1980 über den internationalen Eisenbahnver-
kehr (COTIF) – Drucksachen 14/8172, 14/8547,
14/9333, 14/9434 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Norbert Wieczorek

Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? – Zu
Erklärungen? – Das ist nicht der Fall.

Wir kommen zur Abstimmung. Wer stimmt für die Be-
schlussempfehlung des Vermittlungsausschusses auf
Drucksache 14/9434? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Die Beschlussempfehlung ist einstimmig ange-
nommen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 41 f auf:
Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen
der SPD und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜ-
NEN eingebrachten Entwurfs eines Sechsten Ge-

setzes zur Änderung des Bundesverfassungs-
gerichtsgesetzes
– Drucksache 14/9220 –
Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsaus-
schusses (6. Ausschuss)

– Drucksache 14/9462 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Erika Simm
Norbert Geis
Volker Beck (Köln)

Jörg van Essen
Dr. Evelyn Kenzler

Eine Aussprache ist nicht vorgesehen. Wir kommen da-
her gleich zur Abstimmung. Der Rechtsausschuss emp-
fiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache
14/9462, den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte dieje-
nigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das
Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? –
Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung ein-
stimmig angenommen.

Wir kommen zur
dritten Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Ich
sehe, der Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen.

Ich rufe Zusatzpunkt 24 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-

(14. Ausschuss)

regierung:
Bericht der Kommission über die Erfahrungen
mit den Verfahren zur Erteilung von Genehmi-
gungen für das Inverkehrbringen von Arznei-
mitteln gemäß Verordnung (EWG) Nr. 2309/93,
Kap. III der Richtlinie 75/319/EWG und Kap.
IV der Richtlinie 81/851/EWG; Bericht gemäß
Art. 71 der Verordnung (EWG) Nr. 2309/93
KOM (2001) 606 endg.; Ratsdok. 13361/01
Vorschlag für eine Verordnung des Europä-
ischen Parlaments und des Rates zur Festlegung
von Gemeinschaftsverfahren für die Genehmi-
gung, Überwachung und Pharmakovigilanz von
Human- und Tierarzneimitteln und zur Schaf-
fung einer Europäischen Agentur für die Beur-
teilung von Arzneimitteln; Vorschlag für eine
Richtlinie des Europäischen Parlaments und
des Rates zur Änderung der Richtlinie
2001/83/EGzur Schaffung eines Gemeinschafts-
kodexes für Humanarzneimittel; Vorschlag für
eine Richtlinie des Europäischen Parlaments
und des Rates zur Änderung der Richtlinie
2001/82/EGzur Schaffung eines Gemeinschafts-
kodexes für Tierarzneimittel KOM (2001) 404
endg.; Ratsdok. 14591/01 – Drucksachen 14/8562
Nrn. 2.4 und 2.7, 14/9464 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Ruth Fuchs




Präsident Wolfgang Thierse
24424


(C)



(D)



(A)



(B)


Eine Aussprache ist nicht vorgesehen. – Ich sehe, Sie
sind damit einverstanden. Dann kommen wir zur Abstim-
mung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für
Gesundheit auf Drucksache 14/9464. Unter Buchstabe a
empfiehlt der Ausschuss, die in den Unterrichtungen der
Bundesregierung genannten Vorlagen der Europäischen
Kommission zur Kenntnis zu nehmen. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? –
Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist damit ein-
stimmig angenommen.

Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung emp-
fiehlt der Ausschuss, eine Entschließung anzunehmen.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegen-
probe! – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist
einstimmig angenommen.

Damit kommen wir zu den Tagesordnungspunkten 22 a
bis 22 h sowie zu den Zusatzpunkten 17 und 18:
22. a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-

richts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss) zu dem An-
trag der Abgeordneten Dr. Ernst Ulrich von
Weizsäcker, Ulrike Mehl, Ulla Burchardt, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der
Abgeordneten Dr. Reinhard Loske, Winfried
Hermann, Hans-Josef Fell, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN
Weltgipfel für nachhaltige Entwicklung in Jo-
hannesburg 2002: Der nachhaltigen Entwick-
lung zum Durchbruch verhelfen
– Drucksachen 14/9052, 14/9417 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Ernst Ulrich von Weizsäcker
Dr. Paul Laufs
Dr. Reinhard Loske
Birgit Homburger
Eva Bulling-Schröter

22. b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für wirtschaftliche Zusam-
menarbeit und Entwicklung (20. Ausschuss) zu
dem Antrag der Abgeordneten Dr. Christian Ruck,
Klaus-Jürgen Hedrich, Dr. Peter Paziorek, Kurt-
Dieter Grill und der Fraktion der CDU/CSU
Die Schöpfung bewahren, entwicklungsorien-
tiert handeln: Weltgipfel in Johannesburg muss
neue Impulse für globale nachhaltige Entwick-
lung setzen
– Drucksachen 14/9025, 14/9420 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Ernst Ulrich von Weizsäcker
Dr. Paul Laufs
Dr. Reinhard Loske
Birgit Homburger
Eva Bulling-Schröter

22. c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss)


– zu dem Antrag der Abgeordneten Ulla
Burchardt, Michael Müller (Düsseldorf),
Brigitte Adler, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten
Winfried Hermann, Dr. Reinhard Loske,
Franziska Eichstädt-Bohlig, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion des BÜNDNIS-
SES 90/ DIE GRÜNEN
Nachhaltige Entwicklung – neuer Gestal-
tungsansatz für die Globalisierung

– zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Peter
Paziorek, Dr. Klaus W. Lippold (Offenbach),
Klaus-Jürgen Hedrich, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der CDU/CSU
Initiative für eine nationale Nachhaltig-
keitsstrategie

– zu dem Antrag der Abgeordneten Birgit
Homburger, Ulrike Flach, Marita Sehn, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Liberale Akzente einer nationalen Nach-
haltigkeitsstrategie

– Drucksachen 14/9056, 14/9024, 14/9091,
14/9380 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Ernst Ulrich von Weizsäcker
Dr. Paul Laufs
Winfried Hermann
Birgit Homburger
Eva Bulling-Schröter

22. d) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss) zu der Un-
terrichtung durch die Bundesregierung
Mitteilung der Kommission an den Rat, das
Europäische Parlament, den Wirtschafts- und
Sozialausschuss und den Ausschuss der Regio-
nen zum sechsten Aktionsprogramm der
Europäischen Gemeinschaft für die Umwelt
„Umwelt 2010: Unsere Zukunft liegt in un-
serer Hand“– Sechstes Umweltaktionspro-
gramm –
Vorschlag für einen Beschluss des Europäischen
Parlaments und des Rates über das Umwelt-
aktionsprogramm 2001–2010 der Europäischen
Gemeinschaft KOM (2001) 31 endg.; Rats-
dok. 05771/01
– Drucksachen 14/5730 Nr. 2.12, 14/6423 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Gudrun Roos
Dr. Paul Laufs
Dr. Reinhard Loske
Birgit Homburger
Eva Bulling-Schröter

22. e) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss) zu der Un-
terrichtung durch die Bundesregierung




Präsident Wolfgang Thierse

24425


(C)



(D)



(A)



(B)


Mitteilung der Kommission
Die Umwelt Europas: Orientierung für die
Zukunft
Gesamtbewertung des Programms der Europä-
ischen Gemeinschaft für Umweltpolitik und
Maßnahmen im Hinblick auf eine dauerhafte
und umweltgerechte Entwicklung – „Für eine
dauerhafte und umweltgerechte Entwicklung“
KOM (99) 543 endg.; Ratsdok. 13598/99
– Drucksachen 14/2817 Nr. 3.1, 14/6922 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Gudrun Roos
Dr. Paul Laufs
Winfried Hermann
Ulrike Flach
Eva Bulling-Schröter

22. f) Beratung der Unterrichtung durch die Bundes-
regierung
Umweltbericht 2002
Bericht über die Umweltpolitik der 14. Legisla-
turperiode
– Drucksache 14/8755 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und
Reaktorsicherheit (f)

Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit
und Entwicklung

22. g) Beratung der Unterrichtung durch die Bundes-
regierung
Umweltgutachten 2002 des Rates von Sachver-
ständigen für Umweltfragen – Für eine neue
Vorreiterrolle
– Drucksache 14/8792 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und
Reaktorsicherheit (f)

Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für Tourismus

22. h) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Innenausschusses (4. Ausschuss) zu dem
Antrag der Abgeordneten Eva Bulling-Schröter,
Rosel Neuhäuser, Carsten Hübner, weiterer Abge-
ordneter und der Fraktion der PDS
Ressourcenverbrauch der Bundesrepublik
Deutschland statistisch besser abbilden
– Drucksachen 14/2654, 14/6012 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Barbara Wittig
Hans-Otto Wilhelm (Mainz)

Grietje Bettin
Dr. Edzard Schmidt-Jortzig
Petra Pau

ZP 17 Beratung des Antrags der Abgeordneten Eva
Bulling-Schröter, Wolfgang Bierstedt, Maritta
Böttcher, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der PDS
Vorbereitung auf den Gipfel der Vereinten
Nationen zur nachhaltigen Entwicklung in
Johannesburg
– Drucksache 14/9364 –

ZP 18 Beratung des Antrags der Abgeordneten Birgit
Homburger, Marita Sehn, Ulrich Heinrich, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Liberale Impulse für eine globale nachhaltige
Entwicklung
– Drucksache 14/9393 –

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. – Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort Frau
Bundesministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul.

Heidemarie Wieczorek-Zeul, Bundesministerin für
wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung: Herr
Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vom 26. Au-
gust bis 4. September findet im südafrikanischen Johannes-
burg der Weltgipfel für nachhaltige Entwicklung statt. Die
südafrikanischen Gastgeber sprechen, bezogen auf die er-
hofften Ergebnisse, von den „3 Ps“ – People, Planet, Pros-
perity. Das heißt, es geht um die nachhaltige Gestaltung
der globalen Entwicklung im Interesse der Menschen und
ihrer wirtschaftlichen Chancen und um den Schutz und
die Erhaltung unserer natürlichen Lebensgrundlagen.

Zur Erinnerung: In dem so genannten Brundtland-
Report von 1987 heißt es: Nachhaltige Entwicklung
meint

eine Entwicklung, die die Bedürfnisse der heutigen
Generation befriedigt, ohne damit die Fähigkeit
künftiger Generationen zu beeinträchtigen, ihre ei-
genen Bedürfnisse zu befriedigen.

Das meint eine Politik, die die ökologischen Grenzen
respektiert, eine hoch effiziente Nutzung der natürlichen
Ressourcen verwirklicht, den Ländern des Südens die
volle Nutzung der Chancen der Globalisierung ermög-
licht und soziale Gerechtigkeit verwirklicht.

Dass es um die nachhaltige Gestaltung der Globalisie-
rung gehen muss, ist eindeutig. Wir erleben doch, dass es
selbst in den europäischen Ländern größere Bevölke-
rungsgruppen gibt, die Angst und Sorge haben, in der glo-
balen Entwicklung die Orientierung und die Verankerung
zu verlieren. Wenn das schon in den Ländern so ist, die ob-
jektiv auf der Gewinnerseite der Globalisierung stehen,




Präsident Wolfgang Thierse
24426


(C)



(D)



(A)



(B)


wie mag die Angst und die Furcht in den Ländern des
Südens sein, die objektiv bisher noch nicht auf der
Gewinnerseite der Globalisierung, sondern auf der Ver-
liererseite stehen?


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Doha, Monterrey, Johannesburg – dieser Dreiklang
großer internationaler Konferenzen soll für Tempo und
auch für Kohärenz, für Übereinstimmung in der nachhal-
tigen Gestaltung der Globalisierung sorgen, soll ein Leit-
motiv für eine neue Partnerschaft zwischen Industrie- und
Entwicklungsländern sein. Es gibt im Nachgang des
Welternährungsgipfels durchaus Kritik an Gipfeln; aber
ich sage: Es kommt immer auf eine genaue Betrachtung
an. In Doha haben sich die Industrieländer auf die Ent-
wicklungsländer zubewegt und zugesagt, dass sie zum
Beispiel ihre Exportsubventionen in Bezug auf Agrarpro-
dukte auslaufen lassen und beenden wollen. Das ist ein
hervorragendes Ergebnis dieser Konferenz gewesen, an
dem wir dann auch festhalten müssen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Im März hat sich die internationale Gemeinschaft bei
der Konferenz Financing for Development in Monterrey
auf den Konsens von Monterrey verpflichtet, der das
wechselseitige In-Verantwortung-Nehmen der Entwick-
lungsländer bei verantwortlicher Regierungsführung, Kor-
ruptionsbekämpfung und auf der Seite der Industrieländer
mehr finanzielle Mittel und besseren Zugang zu den
Märkten beinhaltet.

Auf diesen Verpflichtungen von Monterrey können
und müssen wir in Johannesburg beim Weltgipfel für
nachhaltige Entwicklung aufbauen. Das große Thema
dort heißt „Gestaltung der Globalisierung“. Es geht nicht
um gänzlich neue Ziele und Konzepte, es geht um die
kohärente Umsetzung der bisher festgelegten Konzeptio-
nen und Ziele.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Denn die Ziele, die da festgelegt worden sind, sind gut.
Johannesburg muss zu einem Weltgipfel der Aktion wer-
den und verbindliche Aktionspläne für gemeinsames
Handeln festlegen. Kofi Annan hat das für die Bereiche
Wasser, Energie, Gesundheit, Ernährung und Landwirt-
schaft sowie Biodiversität gefordert.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das größte Hindernis
für eine ökologisch nachhaltige Gestaltung der Globali-
sierung ist die weltweite Armut. Denn arme Menschen
sind gezwungen, die Natur und die Ressourcen auszubeu-
ten. Sie sind aber auch die ersten, die von Naturkatastro-
phen betroffen sind und darunter leiden. Deshalb müssen
wir vor Schmalspurdenken warnen. Wer die Umwelt und
die natürlichen Ressourcen der Welt schützen will, muss
die Armut bekämpfen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wer am liebsten mit erhobenem Zeigefinger an die Ent-
wicklungsländer appelliert, dass sie sich doch aus globa-

ler Verantwortung um den Schutz ihrer Urwälder, Flüsse
und Seen kümmern sollen, der darf sich nicht wundern,
wenn die Entwicklungsländer skeptisch reagieren und uns
Heuchelei vorwerfen. Sie werden daran erinnern, dass es
die Industrieländer waren, die im Zuge ihrer eigenen Ent-
wicklung den Planeten verschmutzt und das Klima verän-
dert haben. Die Entwicklungsländer werden den Verdacht
hegen, dass dieselben Industrieländer jetzt die Leiter hin-
ter sich hochziehen und die Entwicklungsländer vom
wirtschaftlichen Wachstum ausschließen wollen. Diesen
Verdacht werden wir nur dadurch ausräumen können,
dass wir globale Armut mit mindestens der gleichen Ent-
schlossenheit bekämpfen, wie wir die globale Umwelt
schützen wollen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wenn wir dazu beitragen wollen, dass bis zum Jahr
2015 der Anteil der Menschen, die in absoluter Armut le-
ben, halbiert wird, müssen in den Entwicklungsländern
hohe Wachstumsraten erzeugt werden, und das auch an-
gesichts des Tatbestandes, dass in den nächsten etwa
20 Jahren zu den heute 6 Milliarden Menschen weitere
2 Milliarden Menschen hinzukommen werden, vor allem
in den Entwicklungsländern.

Die Frage, mit welchen Technologien und mit wel-
chem Energieansatz und Energieeinsatz in den Entwick-
lungsländern dieses Wachstum erzeugt wird, ist deshalb
zentral. Sind es die alten Technologien, dann sind der wei-
tere Raubbau und die weitere Klimaveränderung vorpro-
grammiert. Deshalb liegt es in unserem ureigenen Inte-
resse, im Verhältnis zu den Entwicklungsländern auf eine
Steigerung der Energieeffizienz, auf die Bereitstellung
von Energie aus sicheren und umweltschonenden Quel-
len, zum Beispiel Sonne und Wind, zu setzen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Weil es um Nachhaltigkeit und Zukunftsorientierung
geht, darf ich an dieser Stelle sagen: Wer von den Parteien
zurück zur Atomenergie will, der will offensichtlich zu
der in unseren Ländern unsichersten und am wenigsten
zukunftsfähigen Energieart zurück.


(Beifall beiderSPDunddemBÜNDNIS90/DIE GRÜNEN – Dr. Christian Ruck [CDU/CSU]: So eine Gemeinheit! Sie fragen uns doch gar nicht!)


Auch das muss gesagt werden: Wenn ein Land wie
China das kopierte, was die USA praktizieren, nämlich
energiebedingte CO2-Emissionen in Höhe von 20,2 Ton-nen pro Kopf der Bevölkerung, dann ginge uns allen die
Luft aus. Zum Vergleich: Bezogen auf die Zahl, die ich
eben für die USA genannt habe, emittiert China rund ein
Zehntel pro Kopf der Bevölkerung.

Deutschland ist für diesen neuen Energieansatz prä-
destiniert; denn bei den Energiespartechniken und den um-
weltschonenden Energien sind wir führend auf der Welt.
Was ehedem unmöglich schien, die Entkoppelung des
Wirtschaftswachstums von dem Anstieg des Energiever-
brauchs, haben wir geschafft. Im Sinne des Konsensus der
Entwicklungspartnerschaft, der in Monterrey vereinbart




Bundesministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul

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(C)



(D)



(A)



(B)


worden ist, wollen wir diese Errungenschaft nicht für uns
behalten, sondern sie mit den Partnern in den Entwick-
lungs- und Transformationsländern teilen.

Einer unserer Schwerpunkte für Johannesburg ist, dass
wir für einen besseren Klimaschutz und für eine nachhal-
tige sowie effiziente Energieversorgung neue strategische
Partnerschaften mit der Industrie auf den Weg bringen
wollen. Es geht auch darum, eine Initiative für den Export
erneuerbarer Energien zu ermöglichen. Mit unseren ent-
wicklungspolitischen Durchführungsorganisationen wol-
len wir dazu beitragen, dass das vor Ort auch praktisch
funktioniert und gute Ergebnisse bringt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Im Hinblick auf den in Johannesburg zu vereinbaren-
den Aktionsplan gibt es zwei Bremser: die USA, die keine
Festlegung eines Anteils von erneuerbaren Energien wol-
len, und die Erdöl exportierenden Länder. Ich appelliere
deshalb an die Erdöl importierenden Entwicklungsländer,
die sich ja mit in der Gruppe der G-77 befinden, sich von
den OPEC-Ländern nicht bevormunden zu lassen, son-
dern mit den europäischen Ländern ein Bündnis zu
schließen. Schließlich sind die armen Erdöl importieren-
den Entwicklungsländer am stärksten von schwankenden
Energie- und Ölpreisen betroffen. Jeder Dollar, den sie
beim Import von Erdöl einsparen, können sie für Gesund-
heit, Bildung und Armutsbekämpfung in ihren Haushalten
einsetzen. Deshalb ist es so wichtig, dieses Bündnis zu
schließen.


(Beifall bei der SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, bezogen auf diese

strategische Partnerschaft wollen wir das Gleiche für den
Wassersektor verwirklichen. Weltweit ist der Zugang zu
sauberem Wasser immer noch über 1 Milliarde Men-
schen versagt. Die Konsequenz ist, dass Hunderttausende,
ja Millionen von Kindern an verschmutztem Wasser ster-
ben. Wir werden vor allem den Entwicklungsländern in
Afrika eine Partnerschaft anbieten, die den Zugang der
Armen zu sauberem Wasser und zu Sanitäreinrichtungen
verbessern soll. Es geht darum, dass die notwendigen In-
vestitionen – das sind im Jahr etwa 180 Milliarden
US-Dollar – in einer gemeinsamen Initiative zwischen
dem privaten Sektor, zwischen den Entwicklungs- und In-
dustrieländern getätigt werden.

Wenn wir mit diesen beiden Initiativen dazu beitragen
können, dass mehr Menschen auf der Welt Zugang zu
sauberem Trinkwasser haben, dass weniger Kinder ster-
ben müssen und dass sich Handwerk und Industrie ent-
wickeln können, weil umweltgerechte Energie bereitge-
stellt wird, dann haben sich die Anstrengungen gelohnt.
Wenn durch die strategischen Partnerschaften im Energie-
und Wasserbereich deutsche Technik und deutsches
Know-how gefragt sind und dadurch Investitionen initi-
iert werden, wenn dadurch bei uns Arbeitsplätze gesichert
und neu geschaffen werden, dann ist uns dies ebenfalls
hochwillkommen. Bei dieser Initiative können alle Teile
gewinnen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Es sind zwar viele unserer Forderungen bei der Vorbe-
reitung für den Weltgipfel in Johannesburg akzeptiert
worden, zum Beispiel die des Vorrangs der Armuts-
bekämpfung. Aber es gibt auch ein neues Misstrauen zwi-
schen Industrie- und Entwicklungsländern. Dies resultiert
bei den Entwicklungsländern vor allen Dingen daraus,
dass sie die große Sorge haben, die Industrieländer könn-
ten ihre Zusagen, ihnen den Zugang zu ihren Märkten und
dem Welthandel zu ermöglichen, nicht einhalten.

Ich sage Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen: Die
Industrieländer sind und bleiben so lange unglaubwürdig,
wie sie den Partnerländern den Freihandel zwar predi-
gen, ihnen aber, wenn es hart auf hart kommt, mit protek-
tionistischen Maßnahmen begegnen und ihnen am Ende
auf den Weltmärkten mit subventionierten Produkten un-
faire Konkurrenz machen, anstatt ihnen unsere Märkte zu
öffnen. Das ist das Gegenteil dessen, was in dieser Welt
notwendig ist, um nachhaltige Entwicklung zu ermögli-
chen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Dass es in Bezug auf Johannesburg im Moment bei be-
stimmten Fragen zu den Aktionsplänen noch Schwierig-
keiten gibt, hängt auch damit zusammen, dass durch die
Aktion der amerikanischen Regierung, die im letzten Mo-
nat massive Agrarsubventionen beschlossen hat, die staat-
liche Subventionierung des amerikanischen Agrarsektors
um 70 Prozent aufgestockt wurde. Das ist ein verheeren-
des Signal an die Adresse der Entwicklungsländer.


(Beifall bei der SPD sowie des Abgeordneten Wolfgang Gehrcke [PDS])


Das ist auch die Ursache dafür, dass bei der Vorbereitung
für den Gipfel in Johannesburg die Entwicklungsländer in
bestimmten Bereichen große Zurückhaltung zeigen.

Zum Schluss möchte ich deshalb die Gelegenheit nut-
zen, an die Bush-Administration zu appellieren, diese
auch letztlich für die US-Landwirtschaft langfristig
schädliche Entscheidung wieder rückgängig zu machen.
Das wäre wirkliche politische Stärke.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Bis zur Eröffnung des Weltgipfels für nachhaltige Ent-
wicklung in Johannesburg sind es noch rund elf Wochen.
Ich habe nach dem in manchen Bereichen unbefriedigen-
den Verlauf der Vorbereitungskonferenz in Bali auf die
derzeitige Situation hingewiesen. Doch Resignation ist
keine politische Kategorie.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir unterstützen Kofi Annan und die Arbeit der EU-
Ratspräsidentschaft sowie das Engagement des südafrika-
nischen Umweltministers Valli Moosa in der weiteren
Vorbereitung, damit Johannesburg zu einem Erfolg wer-
den kann und die nachhaltige Gestaltung der Globalisie-
rung kein hehres Zukunftsziel bleibt. In Johannesburg
kann und muss – ein Jahr nach den entsetzlichen Terroran-
schlägen auf New York und Washington – ein Pakt zwi-
schen Industrie- und Entwicklungsländern für eine gerech-




Bundesministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul
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tere Welt geschlossen werden. In diesem Sinne arbeiten wir
für einen Erfolg dieser Konferenz.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜND NIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1424300100
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Paul Laufs, CDU/CSU-Fraktion.


Prof. Dr. Paul Laufs (CDU):
Rede ID: ID1424300200
Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Die Nachhaltigkeit ist zu einem Be-
griff großer Beliebigkeit geworden. Der Sachverständi-
genrat für Umweltfragen merkt in seinem Umweltgutach-
ten 2002 zur Nachhaltigkeitsstrategie der rot-grünen
Bundesregierung kritisch an, dass neue Unklarheit er-
zeugt und Themen angesprochen werden, deren Zusam-
menhang mit Nachhaltigkeit durchaus fraglich ist.

In der Regierungserklärung zur Zukunftssicherung
durch Nachhaltigkeit war von all dem die Rede, was aus
deutscher Binnensicht zukunftsrelevant erscheint: von der
Gefahr der Renationalisierung in Europa bis zum Bun-
deswehreinsatz in Kabul. Auch nach Ihrer Rede, Frau Mi-
nisterin, fragen wir uns: Welche konkreten Ziele wird die
Bundesregierung in Johannesburg verfolgen? Was ist Ihre
Konzeption für die Auseinandersetzung mit den Ländern,
die nicht so wie wir über nachhaltige Entwicklung denken?


(Dr.PeterPaziorek[CDU/CSU]:NichtresignierenistdieKonzeption!Dasistzuwenig!)


Auch die internationalen Verhandlungen zur Vorberei-
tung des Weltgipfels für nachhaltige Entwicklung in Jo-
hannesburg waren thematisch diffus. Fragen des Handels,
der Marktzugänge, der Verschuldung und der Finanzen
standen im Mittelpunkt und nicht die nachhaltige Ent-
wicklung. Johannesburg dürfe nicht zum Treffen der Be-
liebigkeit werden, hat der Bundesumweltminister dieser
Tage gesagt. Damit hat er völlig Recht. Aber sonst hört
man arg wenig von ihm.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir erinnern uns noch lebhaft an die Konferenzen in Rio
und Kioto, als die damaligen deutschen Umweltminister
Klaus Töpfer und Angela Merkel eine mitreißende und
prägende Rolle gespielt haben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Auch auf diesen Konferenzen waren die USA gewiss
nicht die treibende Kraft beim Natur- und Klimaschutz.

Worum geht es eigentlich?

(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das fragen wir uns bei Ihrer Rede schon die ganze Zeit!)


Das zentrale Anliegen einer nachhaltigen, zukunftsfähi-
gen Entwicklung ist die haushälterische und schonende
Nutzung der Ressourcen unserer Erde; das heißt, dass da-
bei die Natur und Umwelt, aber auch die Interessen kom-
mender Generationen geschützt und nicht unzumutbar be-
einträchtigt werden. Jede Nachhaltigkeitsstrategie hat

zudem der globalen Verantwortung gerecht zu werden,
die ökonomischen, die ökologischen und die sozialen Un-
gleichgewichte in dieser Welt zu mindern und auszuglei-
chen. Darum geht es in Johannesburg.

Bei der Vorbereitung des Weltgipfels für nachhaltige
Entwicklung in Johannesburg erleben wir schmerzlich,
dass die Industrieländer keine erfolgreiche globale Nach-
haltigkeitspolitik betreiben können, ohne ihre in Rio 1992
und in Monterrey im März dieses Jahres eingegangenen
Verpflichtungen und Absichtserklärungen zur Entwick-
lungsfinanzierung und zur Öffnung der Märkte wirklich
einzulösen. Im Weltgipfelvorbereitungsausschuss in Bali
haben die Entwicklungsländer vergeblich auf ein klares
politisches Signal in dieser Richtung gewartet und dann,
als es ausblieb, weitere Verhandlungen über greifbare
Zielvereinbarungen und Programme verweigert. Die Er-
gebnisse von Bali sind ernüchternd und enttäuschend.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Dort, wo es konkret und hart zur Sache ging, konnten
sich die EU und Deutschland mit ihren Vorschlägen nicht
durchsetzen. Es gibt keine Fortschritte beim Schutz der
biologischen Vielfalt, kein Weiterkommen im Kampf um
dieBeendigung derWaldzerstörung, keine konkretenZiele
und Aktionsprogramme für eine nachhaltige Energie- und
Wasserpolitik, keine Fortschritte bei den streitigen Quer-
schnittsthemenMenschenrechte, gute Regierungsführung,
Handel, FinanzenundVerbraucherinformation, integrierte
Produkt- und Produktionspolitik und internationales Che-
mikalienmanagement. Wohin man auch blickt: Man hat
nichts erreicht.


(Zuruf von der SPD: Das ist ja die Stärke der Union! – Weitere Zurufe von der SPD)


– Ja, darüber ist gestritten worden. – Die wichtigsten Fra-
gen sind offen. Über sie muss auf dem Weltgipfel in Jo-
hannesburg insbesondere auf Ministerebene weiter verhan-
delt werden. Nun ist die Regierung gefordert, die Dinge zu
bewegen. Aber sie wirkt nach Bali eher kleinlaut und er-
schöpft.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Was wird sich langfristig als nachhaltig und zukunfts-

fähig erweisen? Wir wissen es nicht mit Sicherheit. Die
heute bestehenden Ungewissheiten über die Wirkung und
Größenordnung von Klimaveränderungen, über die An-
passungsfähigkeit biologischer, physischer und gesell-
schaftlicher Systeme, über Verbraucherpräferenzen sowie
über künftige technische Fortschritte und Marktentwick-
lungen werden uns lange und immer wieder aufs Neue be-
gleiten. Nachhaltigkeitspolitik ist deshalb zuallererst dem
Vorsorgegrundsatz verpflichtet. Wir müssen mit Augen-
maß handeln, schon bevor sich die Ungewissheiten aufge-
klärt haben. Eine nachhaltige, zukunftsfähige Entwicklung
ist deshalb ein evolutionärer Prozess, der von regelmäßi-
gen Überprüfungen des erreichten Entwicklungsstandes,
von ständigen Abwägungen zwischen den ökonomischen,
den ökologischen und den sozialen Belangen sowie von
neuen Richtungsentscheidungen begleitet ist.

Wir brauchen natürlich für jeden Schritt konkrete Ziel-
setzungen. Aber wir halten es prinzipiell für falsch, wenn




Bundesministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul

24429


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sich Rot-Grün schon heute auf langfristige technologie-
bezogene Vorgaben festlegt, etwa auf die Höhe des An-
teils der erneuerbaren Energien an der Energieversorgung
im Jahr 2020 oder im Jahr 2050. Es wird bis dahin große
wissenschaftlich-technische Fortschritte auch in anderen
Bereichen geben.


(Zuruf von der SPD: Ach, Sie wissen doch selber nicht, was Sie wollen! Bei Ihnen fordert der eine dies und der andere das!)


Wer kann denn ausschließen, dass es in absehbarer Zeit kos-
tengünstigere, gleichermaßen umweltverträgliche Alterna-
tiven wie etwa das CO2-freie fossile Kraftwerk mit CO2-Abscheidung und -Endlagerung in geologischen Aquiferen
oder in bereits erschöpften Erdgaslagerstätten gibt?

Die Vorschläge der EU und der Bundesregierung im
Vorbereitungsausschuss zum Johannesburger Weltgipfel,
für den Einsatz erneuerbarer Energien weltweite Steige-
rungsziele festzuschreiben, sind jedenfalls auf den schärfs-
ten Widerstand der Gruppe der 77, aber auch der USA, Ja-
pans und anderer Industriestaaten gestoßen.

Erneuerbare Energien – das stellt kein Mensch in-
frage – haben ihre sinnvollen und wichtigen Anwen-
dungsbereiche. Aber es ist nicht im Interesse der Ent-
wicklungsländer, wenn wir uns beim Technologietransfer
vorrangig auf kostenaufwendige regenerative Energie-
techniken konzentrieren, für die vor Ort auch keine preis-
günstigen Speichermöglichkeiten vorhanden sind.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Birgit Homburger [FDP])


Beim Transfer von nachhaltigen Technologien, Know-
how und Kapital in die Entwicklungsländer sind die je-
weiligen kulturellen, wirtschaftlichen, sozialen und öko-
logischen Gegebenheiten vor Ort zu berücksichtigen. Die
als Voraussetzung jeder nachhaltigen Entwicklung zu er-
richtenden effizienten und von den Kosten her tragbaren
sowie finanzierbaren Systeme zur Bereitstellung, Vertei-
lung und Nutzung von Energie sind an diese Gegebenhei-
ten anzupassen. Die private Wirtschaft muss dafür ge-
wonnen und mobilisiert werden, am Strukturwandel mit
Bereitstellung von Kapital und Technologie mitzuwirken.
Anreize dazu könnten von einer Verzahnung mit der in-
ternationalen Klimaschutzpolitik durch Anwendung der
Kioto-Mechanismen ausgehen.

Auch öffentliche Entwicklungshilfe muss erheblich
ausgebaut und in den Dienst nachhaltiger Entwicklung
gestellt werden. Gekürzte Haushaltsmittel, Frau Entwick-
lungshilfeministerin, kann man nicht durch rhetorische
Emphase ersetzen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Birgit Homburger [FDP])


Eine nachhaltig zukunftsfähige Entwicklung erfordert
gleichzeitiges Handeln in Industrie- und Entwicklungs-
ländern, jede Seite in ihrer besonderen Verantwortung.
Wir wünschen uns für Johannesburg das Eine-Welt-Be-
wusstsein, das in Kioto und Rio herrschte.

Frau Ministerin Wieczorek-Zeul hat gerade wieder ge-
gen die Atomenergienutzung gesprochen. Wir halten es

grundsätzlich für falsch, technische Optionen apodiktisch
auszuschließen und sie ganz allgemein als nicht nachhal-
tig zu bezeichnen, wie es von Rot-Grün mit der Kern-
energie in allen ihren Nutzungsformen gemacht wird.


(Beifall bei der CDU/CSU)

In vielen Ländern – das war auch in Bali zu sehen – wird
dies ganz anders eingeschätzt, zum Beispiel in Frank-
reich, in Finnland, in den USA, in Japan und in Südafrika.

Eines der zentralen Gegenargumente von Rot-Grün ist
die angeblich ungelöste Frage der Entsorgung radioakti-
ver Abfälle. Mit dem Planfeststellungsbeschluss zum
Endlager Konrad bei Salzgitter, der vor zwei Tagen im
Niedersächsischen Ministerialblatt und im Bundesanzei-
ger veröffentlicht wurde, bestätigt die Bundesregierung
nunmehr, dass die über sehr lange Zeiträume sichere End-
lagerung und damit Entsorgung radioaktiver Abfälle in
tiefen geologischen Formationen auch in Deutschland
möglich ist.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Birgit Homburger [FDP] – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Unsinn! Das stimmt überhaupt nicht!)


Wir können nicht einsehen, warum der Zubau von
Kernkraftwerkssystemen mit neuesten Technologien, die
katastrophale Freisetzungen von Radioaktivität prinzipi-
ell, aus physikalischen Gründen, ausschließen, verboten
bleiben soll. Es ist die Aufgabe des Staates, die strategi-
schen Nachhaltigkeitsziele zu setzen, aber nicht seine
Aufgabe, die technischen Mittel zu ihrer Erreichung vor-
zuschreiben. Es gehört zu den eigentlichen staatlichen
Gestaltungsaufgaben, einen langfristig orientierten Ord-
nungsrahmen einzurichten und zu sichern, innerhalb des-
sen sich der Marktmechanismus mit seinen Such- und Op-
timierungsprozessen entfalten kann.

Regelungen für die In-Wert-Setzung von Umwelt und
Natur, also die Internalisierung externer Kosten, sind zu
finden und Forschung und Entwicklung sind zu intensi-
vieren. Es gibt immer unterschiedliche Wege, auf denen
man Ziele erreichen kann. Nachhaltigkeitsziele werden
dann bestmöglich erreicht, wenn die langfristig entste-
henden volkswirtschaftlichen Kosten am niedrigsten
sind. Es fällt schon auf, dass in den rot-grünen Anträgen
die Kosten nur beiläufig oder gar nicht untersucht werden.
Gerade in jüngster Vergangenheit sind gesetzliche Tatbe-
stände für milliardenschwere Dauersubventionen im
Energiebereich begründet worden. Auch 200 000 zusätz-
liche Solardächer bedeuten noch keine nachhaltige Ener-
gieversorgung. Das wissen Sie so gut wie wir. Ihr Beitrag
zur Stromversorgung ist minimal, ihre Kosten aber sind
gigantisch. Dasselbe gilt für die Errichtung von immer
mehr Windanlagen an den besonders hoch subventionier-
ten ungünstigen Standorten. Wir werden es erleben: Un-
kontrolliert anwachsende Subventionen führen rasch zu
sozialen und wirtschaftlichen Schieflagen und spürbaren
Ungerechtigkeiten.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Die gegenwärtige nationale Nachhaltigkeitspolitik be-

darf einer Umsteuerung. Sie muss sich von ihrem inter-
ventionistischen, technologiebezogenen, überwiegend




Dr. Paul Laufs
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(C)



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aus der deutschen Binnensicht begründeten, einseitig auf
einzelne Belange ausgerichteten Vorgehen lösen. Die
ökologischen, ökonomischen und sozialen Ziele müssen
im Rahmen eines funktionierenden marktwirtschaftlichen
Systems und im internationalen Kontext gleichrangig und
mit derselben Intensität verfolgt werden.

Ich komme zum Schluss meiner letzten Rede im Deut-
schen Bundestag, dem ich seit 1976 angehöre. Ich möchte
allen meinen politischen Freunden und Gegnern, mit de-
nen ich mich in der Umwelt- und Energiepolitik sachbe-
zogen austauschen und auch streitig auseinander setzen
konnte, herzlich danken.


(Beifall im ganzen Hause)

Ein Dilemma unserer Zeit ist sicherlich, dass die Sach-

fragen immer verwickelter werden und ihre Lösung im-
mer schwieriger wird, während ihre öffentliche Vermitt-
lung und Wahrnehmung immer weiter verflacht. Das
bringt uns Politiker, die wir für unser Handeln öffentliche
Zustimmung gewinnen müssen, in eine schwierige Lage.
Von Emotionen beherrschte Vorurteile dürfen das nüch-
terne, ernste und gewissenhafte Ringen um die Sache
nicht verdrängen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der PDS)


Ich bin davon überzeugt, dass letztlich nur eine solide
Sacharbeit erfolgreich ist.

Ich wünsche Ihnen alles Gute, meine verehrten Kolle-
ginnen und Kollegen.


(Beifall im ganzen Hause)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1424300300
Lieber Kollege
Laufs, ich möchte Ihnen nach Ihrer letzten Rede im Na-
men des ganzen Hauses unseren Dank und Respekt aus-
drücken und Ihnen für Ihr weiteres Leben alles Gute
wünschen.


(Beifall im ganzen Hause)

Ich erteile nun dem Bundesminister Jürgen Trittin das

Wort.

Jürgen Trittin, Bundesminister für Umwelt, Natur-
schutz und Reaktorsicherheit: Herr Präsident! Meine Da-
men und Herren! Ich möchte der Äußerung ausdrücklich
zustimmen, die Sie, Herr Laufs, zuletzt gemacht haben.
Nur eine engagierte Sachpolitik wird politisch erfolgreich
sein. Auch wenn wir in vielen Sachfragen unterschiedli-
cher Auffassung waren, will ich Ihnen gern konzedieren,
dass Sie sich dabei immer um eine sehr argumentative
Auseinandersetzung bemüht haben.


(Beifall im ganzen Hause)

Wenn Ende August/Anfang September dieses Jahres

60 000 Menschen zu dem Weltgipfel für nachhaltige Ent-
wicklung zusammenkommen, aber gleichzeitig viele
Menschen fragen, was Nachhaltigkeit eigentlich ist, dann
stehen wir sicherlich gemeinsam vor der Frage, was wir
vermitteln wollen. Ich meine, diese Debatte hat eines
deutlich gemacht: Nachhaltige Politik und nachhaltige

Entwicklung sind keine anderen Begriffe für Entwick-
lungshilfepolitik, aber auch nicht für Umweltpolitik.

Worum geht es bei der Nachhaltigkeit? Bei diesem Be-
griff geht es letztendlich um das, was wir gemeinsam als
globale Gerechtigkeit definieren würden, und zwar Ge-
rechtigkeit zwischen den Generationen, innerhalb der Ge-
sellschaften, aber auch zwischen den Ländern des Nordens
und des Südens sowie in den Lebenschancen und den Le-
benserwartungen. Mit unserem Begriff von globaler Ge-
rechtigkeit ist es nicht zu vereinbaren, wenn die Lebens-
chancen auf diesem Globus von Nord nach Süd völlig
unterschiedlich verteilt sind. Es ist mit dem Begriff von
globaler Gerechtigkeit nicht zu vereinbaren, wenn 20 Pro-
zent der Weltbevölkerung 80 Prozent der Ressourcen ver-
wenden oder gar, weil es sich häufig um endliche Res-
sourcen handelt, schlicht und ergreifend verschwenden.
Hier geht es darum, tatsächlich Veränderungen einzuleiten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Globale Gerechtigkeit muss sich aber an zwei Bedin-
gungen messen lassen. Indira Gandhi hat einmal gesagt:
Das größte Umweltgift ist die Armut. Sie hat Recht. Um-
gekehrt gilt aber auch: Es ist auf diesem Planeten, weil
seine Ressourcen endlich sind, keine Armutsbekämp-
fungmöglich, ohne dass wir uns um den Schutz der natür-
lichen Lebensgrundlagen kümmern.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Deswegen gehören Umwelt und Entwicklung zusammen.
Nachhaltige Entwicklung kann man nicht gönnerhaft

aus den reichen Gesellschaften des Nordens an den Süden
weiterreichen. Nachhaltige Entwicklung muss bei uns
hier im Norden beginnen, wo die meisten Ressourcen
verbraucht und verschwendet werden, wo übrigens auch
das meiste Wissen und das meiste Kapital zur Lösung der
globalen Probleme vorhanden ist. Das ist die Herausfor-
derung gerade an die Gesellschaften des Nordens in Be-
zug auf nachhaltige Entwicklung.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Deswegen hat die Bundesrepublik Deutschland zusam-
men mit ihren Freunden in der Europäischen Union so da-
rauf gedrängt, dass in den Vorbereitungen für Johannes-
burg konkrete Ziele im Aktionsprogramm festgeschrieben
werden. Hierbei handelt es sich nicht einfach nur um eine
instrumentelle oder akademische Frage.

Wir haben uns im Wesentlichen auf zwei Felder kon-
zentriert, nämlich auf die Frage der Wasserpolitik und
auf die Frage der Energiepolitik. Beide sind für die Ar-
mutsbekämpfung und für die Entwicklung in den Ländern
des Südens die Schlüsselprobleme. Wenn 2 Milliarden
Menschen ohne Wasser oder ohne Entsorgung von Ab-
wasser auf diesem Globus leben müssen, dann sind sie von
der Entwicklung abgeschnitten. Deswegen haben wir uns
das Ziel vorgenommen, bis 2015 die Hälfte dieser Men-
schen mit sauberem Wasser zu versorgen und bei ihnen
eine ordentliche Abwasserentsorgung zu installieren. Das




Dr. Paul Laufs

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ist ein konkretes Ziel, für das wir in Johannesburg streiten
müssen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Meine Damen und Herren, wenn auf diesem Globus
2 Milliarden Menschen ohne Anschluss an Elektrizität
leben, dann heißt das: Diese 2 Milliarden Menschen sind
von der Globalisierung, von den Chancen, die die Globa-
lisierung bietet, ausgeschlossen. Daher ist es auch kein
akademisches Ziel, zu sagen: Wir wollen, dass die Men-
schen Zugang zur Elektrizität bekommen. Wir wissen
sehr genau, dass das nicht ausschließlich eine technische
Frage ist. Das ist auch eine Frage von politischen Ent-
scheidungen. Wenn wir die Elektrizität nicht zu den Men-
schen bringen, werden die Menschen dorthin gehen, wo
es Energieversorgung gibt; sie werden weiterhin das Land
verlassen, in die großen Städte gehen und all die beste-
henden Probleme verschärfen.

Deswegen wollen wir eine große Initiative für erneu-
erbare Energien. Diese haben zwar zugegebenermaßen,
Herr Laufs, ein Speicherproblem, haben aber gegenüber
unserer ziemlich zentralisierten Stromversorgung einen
entscheidenden Vorteil: Sie sind dezentral anwendbar und
bieten gerade in den Ländern des Südens ganz andere
Chancen als hier bei uns. Deswegen verfolgen wir das
Ziel, bis 2010 einen Anteil der erneuerbaren Energien von
15 Prozent zu erreichen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Jetzt kommen wir zu einem anderen Punkt: Warum
waren diese politischen Ansätze auf der Vorbereitungs-
konferenz in Bali nicht durchsetzbar? Frau Kollegin
Wieczorek-Zeul hat dazu ja einiges gesagt. Ich will Ihnen
eine relativ einfache Antwort geben: Wenn man das
durchsetzen will, müssen die Industrieländer zu ihren Ver-
pflichtungen stehen. Dann kann man nicht auf der einen
Seite langwierige Verhandlungen über die Erhöhung der
„global environment facility“ auf 2,7Milliarden US-Doll-
lar führen, wozu die Bundesrepublik Deutschland und
auch die EU bereit sind, andererseits aber in der voraus-
gegangenen Verpflichtungsperiode die Beiträge nicht be-
zahlen, wie es leider die USA gemacht haben. Die betrof-
fenen Länder sagen dann: Wir fühlen uns von euch nicht
ernst genommen. Es geht nicht an, dass man sagt: „Wir
wollen, dass ihr mehr Chancen für eine eigenständige
wirtschaftliche Entwicklung habt“, während man die Sub-
ventionen für die Landwirtschaft in den USA gleichzeitig
um 83 Prozent erhöht.

Ich möchte nicht, dass Sie mich hier missverstehen: Ich
könnte über die Unterschiede im Hinblick auf die Zahlung
von Entwicklungshilfe zwischen der EU und den USA
viel sagen. Die Zusagen der USA in Monterrey bedeuten,
dass der Entwicklungshilfeanteil der USAvon 0,1 Prozent
auf 0,11 Prozent des Bruttosozialprodukts ansteigt. Wir
Europäer haben uns verpflichtet, diesen Anteil bis 2006
auf 0,39 Prozent des Bruttosozialprodukts zu steigern.


(Zuruf von der CDU/CSU: Ja, ja, Worte!)

Es geht aber um etwas anderes: Es geht darum, dass wir

unsere Verpflichtungen auch in anderer Hinsicht ernst

nehmen. Woran ist das Bündnis mit den Entwicklungs-
ländern in Bali gescheitert? Ich will es Ihnen sagen: Es ist
daran gescheitert, dass sich Europa nicht darauf verstän-
digen konnte, der Aussage, dass auch wettbewerbsver-
zerrende und nicht nur umweltschädliche Subventionen
abgebaut werden sollen, zuzustimmen.

Ich will Ihnen an einem einfachen Beispiel erläutern,
was das heißt.


(Zuruf von der CDU/CSU: Aber Sie sind doch an der Regierung!)


– Nein wir, die Vertreter der Bundesrepublik Deutschland,
hatten in dieser Frage eine sehr eindeutige Position.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Wir haben ganz deutlich gesagt: Die Subventionen müs-
sen gesenkt werden. Herr Kollege, wir sind nicht bereit,
eine Politik zu akzeptieren, die beispielsweise zehn Jahre
nach dem Sturz des Apartheidregimes in Südafrika dazu
geführt hat, dass einerseits südafrikanische Produkte auf
dem europäischen Markt angeboten werden durften, dass
andererseits die Südafrikaner ihren Markt für europäische
Produkte öffnen mussten und dass Europa dann Folgen-
des gemacht hat: Europa ist unter anderem mit Pfirsichen
auf den südafrikanischen Markt gegangen, deren Vertrieb
so stark subventioniert war, dass beispielsweise griechi-
sche Pfirsiche trotz der Transportkosten in Südafrika
10 Prozent billiger waren als die heimischen Pfirsiche. So
hat man eine funktionierende südafrikanische Pfirsich-
konservenproduktion kaputtgemacht; 3 000 Menschen
sind arbeitslos geworden. Von diesen Erfahrungen spre-
chen die Entwicklungsländer.

Gerade im Hinblick auf unsere Kolleginnen und Kol-
legen in der Europäischen Union sage ich – wir werden
darüber in der übernächsten Woche im Umweltrat sehr
ernsthaft diskutieren müssen –: Wenn Europa das Ziel er-
reichen will, die Brücke zwischen den Industrieländern
und den Entwicklungsländern zu sein, dann muss es zu
seinen Verpflichtungen bei der Öffnung derMärkte und
beim Abbau von Subventionen stehen. Ob dieses Ziel er-
reicht wird oder nicht, ist die Schlüsselfrage. Die Beant-
wortung dieser Frage entscheidet darüber, ob Johannes-
burg ein Erfolg wird.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Hartmut Schauerte [CDU/ CSU]: Das gilt auch für die Kohlesubventionen!)


Lassen Sie mich zusammenfassend Folgendes sagen:
Sicherlich gab es in Bali erst einmal einen Rückschlag;
aber das ist bei internationalen Verhandlungen häufig so.
Ich glaube jedoch nicht, dass uns dies entmutigen sollte.
Die Bundesrepublik kann gemeinsam mit den anderen eu-
ropäischen Staaten viel erreichen. Lassen Sie uns gemein-
same Anstrengungen unternehmen, damit Johannesburg
ein Erfolg wird. Der Weltgipfel für nachhaltige Ent-
wicklung ist zwar noch nicht über den Berg; aber er ist
auch noch nicht den Bach runter. Deswegen lassen Sie
uns gemeinsam die notwendige Kraft investieren, damit
„nachhaltige Entwicklung“ nicht zu einer Leerformel




Bundesminister Jürgen Trittin
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(A)



(B)


wird, sondern ein Schritt hin zu wirklicher globaler Ge-
rechtigkeit.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1424300400
Ich erteile der Kolle-
gin Birgit Homburger, FDP-Fraktion, das Wort.


Birgit Homburger (FDP):
Rede ID: ID1424300500
Herr Präsident! Liebe Kol-
leginnen und Kollegen! In wenigen Wochen findet der
Weltgipfel in Johannesburg statt. Zusammengeschlossen
unter dem Dach der Vereinten Nationen, werden sich die
Regierungen der internationalen Staatengemeinschaft da-
ran messen lassen müssen, inwieweit sie dem Ziel der
Nachhaltigkeit gerecht werden.

Seit der Konferenz in Rio 1992 richten sich insbeson-
dere auf Deutschland erwartungsvolle Blicke. Diese Er-
wartungen an Deutschland werden in Johannesburg wohl
aber bitter enttäuscht werden. Der Sachverständigenrat für
Umweltfragen hat sein jüngstes Gutachten mit der Über-
schrift versehen – sie ist sicherlich nicht zufällig gewählt,
Herr Trittin –: „Für eine neue Vorreiterrolle“. Es ist genau
diese Vorreiterrolle, die unter Rot-Grün verloren ging.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Widerspruch des Abg. Winfried Hermann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


– Ja, Herr Kollege Hermann, sowohl bei der wirtschaftli-
chen Stabilität im europäischen Vergleich als auch im in-
ternationalen Rio-Prozess hat Deutschland seine Vorbild-
und Führungsfunktion eingebüßt; und das ausgerechnet
unter einem grünen Umweltminister. Herr Trittin, ich
muss Ihnen sagen: Das ist mehr als peinlich für Sie.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Winfried Hermann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das bezieht sich auf die 90er-Jahre bis 1998!)


Vor diesem Hintergrund kann man nicht erwarten, dass
man viel bewegt. Wenn wir uns einmal an die Konferenz
in Rio erinnern, dann sehen wir, dass Deutschland damals
eine zentrale und wichtige Rolle gespielt hat


(Ulla Burchardt [SPD]: Aber nur verbal! Praktisch nicht!)


und den Durchbruch bei der internationalen Klimaverein-
barung, die damals in Rio ihren Ausgang nahm, miterzielt
hat. In Johannesburg – das möchte ich Ihnen sehr deutlich
sagen – erwarten wir, dass die Bundesregierung dieselben
Anstrengungen unternimmt wie seinerzeit die alte Bun-
desregierung. Ich weiß, dass das nicht einfach und nicht
bequem ist, aber es muss sein, wenn dieser Prozess fort-
gesetzt werden soll.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Damit Johannesburg zu einem Erfolg für die nationale

und globale Entwicklung wird, ist mehr erforderlich als
wohlklingende Worte und politische Fensterreden, wie
wir sie gehört haben. Ja, es geht um die Verknüpfung von
ökonomischen, ökologischen und sozialen Fragestellun-
gen. Aber um engagiert Verantwortung für nachfolgende

Generationen tragen zu können, müssen auch die Ent-
wicklungsländer für den Umwelt- und Klimaschutz ge-
wonnen werden. Wir alle wissen, dass die zentrale Frage
auf dieser Konferenz die von Reichtum und Armut ist. Die
Sorge der Entwicklungsländer um ihren wirtschaftlichen
Wohlstand und ihre Angst, der Umwelt- und Klima-
schutz könnte sie in diesem Bereich behindern, darf nicht
dazu führen, dass in Johannesburg letzten Endes aus-
schließlich über Handel, Wirtschaft und Finanzen gespro-
chen wird.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das halte ich für eine zentrale Herausforderung. Vor al-
lem mit Blick auf die Entwicklungs- und Schwellenländer
liegen die Herausforderungen doch darin, eine dramatisch
wachsende Weltbevölkerung ausreichend mit sauberem
Wasser, mit Nahrung und auch mit Energie versorgen zu
können. Wir haben das heute Morgen schon in anderen
Worten gehört. Unter dem Eindruck der Empfehlungen
der Bonner Wasserkonferenz und der Ziele der Agenda 21
muss die Bundesregierung endlich aktiv werden. Wir wol-
len den Zugang zu sauberem Trinkwasser und vor allen
Dingen auch ein Gewässermanagement erreichen. Doch
wir wissen, dass diese Frage nach den Vorverhandlungen
noch offen ist. Es kommt darauf an, dass wir uns bei den
Konsultationen auf europäischer Ebene mit den europä-
ischen Partnern, die sich gesperrt haben und die letztend-
lich in Bali einen Vorkompromiss verhindert haben, näm-
lich Frankreich und Irland, beraten und versuchen, sie
davon zu überzeugen, dass wenigstens die Europäer in die
richtige Richtung gehen. Herr Trittin und Frau Ministerin
Wieczorek-Zeul, wir erwarten von Ihnen, dass Sie durch in-
formelle Konsultationen alle Anstrengungen unternehmen,
um die Europäer auf eine einheitliche Linie zu bringen. Wir
sollten uns für den Erfolg dieser Konferenz einsetzen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Die Frage, wie in den Entwicklungsländern wieder

eine höhere Akzeptanz für den Umweltschutz geschaffen
werden könnte, ignoriert die Bundesregierung permanent.
Es handelt sich um die einmaligen ökologischen aber
auch ökonomischen Chancen, die ein moderner Klima-
schutz auf der Grundlage der flexiblen Mechanismen des
Kioto-Protokolls auch für diese Länder bietet. Wir haben
vonseiten der FDP mehrfach darauf hingewiesen: Es gibt
gerade durch die Instrumente des Kioto-Protokolls eine
besondere Chance, dass den Entwicklungsländern die
Möglichkeit erschlossen wird, auf der einen Seite sub-
stanzielle Beiträge zum globalen Klimaschutz zu leisten,
aber gleichzeitig aktiv und in eigener Verantwortung am
Welthandel teilzunehmen. Das ist eine andere Dimen-
sion, weil man damit nicht mehr zum Hilfsempfänger
wird, sondern man selber Marktteilnehmer ist. In diesem
Zusammenhang muss ich ganz deutlich sagen: Obwohl
wir seit Jahren fordern, dass die Möglichkeiten, die das
Kioto-Protokoll hierzu bietet, genutzt werden, ermöglicht
die Bundesrepublik Deutschland es nicht. Sie, Herr Trittin,
sind derjenige, der dies in der Bundesrepublik Deutsch-
land blockiert.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)





Bundesminister Jürgen Trittin

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Die Ministerin Wieczorek-Zeul sagte hier heute Mor-
gen: Gerade mit diesen Mechanismen hätten wir auch die
Chance, in regenerative Energien zu investieren. Aber Sie
lassen die Nutzung der Art. 6 und 12 im Augenblick nicht
zu. Es gibt deutsche Firmen, die bereit wären, hierzu Ko-
operationen einzugehen und bereits investieren, ohne im
Augenblick Geld zu erhalten. Sie verhindern das, indem
Sie die nötigen Übereinkommen mit den Ländern, die da-
ran interessiert sind, nicht abschließen und damit diese
Chance für den Klimaschutz nicht nutzen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Man müsste eine derartige Förderung mit dem ent-

wicklungspolitischen Etat verknüpfen. Damit könnte man
auf Dauer etwas Substanzielles erreichen. Die Bundesre-
gierung trat mit dem Versprechen an, künftig das 0,7-Pro-
zent-Ziel bei der Entwicklungshilfe endlich zu erreichen
und den Beitrag Deutschlands zu verbessern. Das Ver-
hältnis zwischen den Aufwendungen für die Entwick-
lungshilfe und dem Bruttosozialprodukt ist jedoch
schlechter geworden, als es früher war.


(Ulla Burchardt [SPD]: Schlechter als unter Ihrer Regierung wohl nicht, Frau Homburger! Bleiben Sie doch einmal bei der Wahrheit!)


Angesichts eines solchen Bildes, mit dem Sie internatio-
nal und auf der bevorstehenden Konferenz antreten, muss
man sich nicht wundern, dass Sie nicht ernst genommen
werden. Bemühen Sie sich erst einmal darum, das durch-
zusetzen, was Sie angekündigt haben!


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Herr Trittin, Sie sagten, bei den regenerativen Ener-

gien gebe es ein Speicherproblem. Es besteht tatsächlich.
Ich frage mich allerdings, warum die rot-grüne Koalition
diese Woche im Deutschen Bundestag den Antrag der
FDP-Fraktion abgelehnt hat, Geld für die Erforschung von
Speicherfunktionen bereitzustellen, mit deren Hilfe die re-
generativen Energien gespeichert und damit langfristig ge-
nutzt werden könnten. Warum haben Sie diesen Antrag ab-
gelehnt? Warum wollen Sie in dem Bereich nicht forschen?
Es ist doch völlig inkonsistent, was Sie hier machen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Deswegen sage ich Ihnen sehr deutlich: Sie sind nicht da-
ran interessiert, dass es weitergeht.


(Zurufe von der SPD: Das ist ja toll! – Das wird ja immer schöner! – Zuruf vom BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Es wird immer schlimmer!)


Das sieht man auch daran, dass Sie sich nicht einigen kön-
nen. Wir haben vonseiten der FDP konstruktive Vor-
schläge hierzu gemacht, die seit Monaten vorliegen, aber
nicht beraten werden.


(Widerspruch bei der SPD)

Sie wurden in dieser Woche wieder von der Tagesordnung
des Umweltausschusses abgesetzt, weil Sie nicht in der
Lage sind, sich zu einigen und Ihren eigenen Antrag vor-
zulegen. Es ist peinlich, was Ihnen hier passiert, und zeigt,
dass Sie überhaupt nicht in der Lage sind, in diesem Be-
reich etwas zu unternehmen. Wir fordern Sie auf, sich
endlich den Anträgen anzuschließen,


(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Auffordern nützt nichts! Das reicht nicht! Die müssen abgewählt werden!)


die Chancen zu nutzen und dazu beizutragen, dass Johan-
nesburg ein Erfolg wird.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1424300600
Ich erteile der Kolle-
gin Eva Bulling-Schröter, PDS-Fraktion, das Wort.


Eva-Maria Bulling-Schröter (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1424300700
Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Die Nachrichten, die wir über
die Vorbereitung des Weltgipfels in Johannesburg erhal-
ten, sind alarmierend. Rio minus 10 statt Rio plus 10
könnte das Ergebnis im September werden, und zwar in
zweierlei Hinsicht: zum einen, was die reale Entwicklung
in der Zeit seit 1992 betrifft, zum anderen, was die wahr-
scheinliche Substanz der Konferenz angeht.

Die real messbaren Fortschritte in den vergangenen
zehn Jahren lassen sich schnell zusammenfassen: In den
Entwicklungsländern gibt es einen Rückgang der Todes-
ursachen Lungenentzündung und Tuberkulose. Wir hatten
einen relativ raschen Ausstieg aus der Produktion ozon-
schädigender Stoffe in den Industriestaaten. Wenn aber in
den letzten zehn Jahren gleichzeitig die Armut nicht ver-
ringert werden konnte, die Kindersterblichkeit nur ge-
ringfügig abnahm, der Ausstoß von Klimagasen global
eben nicht sank, sondern um 7 Prozent stieg und auch die
Abholzungsrate der Urwälder weiter zunahm, können wir
kaum von Fortschritt sprechen.


(Beifall bei der PDS)

Der Bericht des Worldwatch-Instituts von diesem Jahr

nennt drei wesentliche Gründe, die den Übergang zu einer
nachhaltigen Entwicklung und zu einer stabileren Welt
bisher verhinderten:

Zum einen habe Umweltpolitik weltweit eine zu geringe
Priorität. Die wachsende Zahl internationaler Umweltüber-
einkommen werde von unzureichenden Verpflichtungen,
vor allem von zu kärglicher Finanzierung, flankiert.
Während das UN-Umweltprogramm mit durchschnittlich
gerade einmal 100 Millionen Dollar pro Jahr auskommen
müsse, beliefen sich die Militärausgaben auf 2 Milliar-
den Dollar pro Tag.


(Zuruf von der PDS: Pfui!)

Zum anderen bleibe die Entwicklungshilfe bei ihrem

ohnehin schon niedrigen Niveau weiter rückläufig.
Während das Weltsozialprodukt seit Rio 1992 um 30 Pro-
zent stieg, seien die offiziellen Entwicklungstransfers von
Nord nach Süd um 69 Milliarden von 52 Milliar-
den Dollar im Jahre 2001 gefallen.

Drittens schließlich habe die Verschuldung der Dritten
Welt trotz anderer Verheißungen nicht ab-, sondern weiter
zugenommen. Sie erreichte 2001 mit rund 2,5 Billio-
nen Dollar einen historischen Höchststand.

So weit zur Bilanz. Angesichts dieser Entwicklungen
sind die Erwartungen an den Weltgipfel zwiespältig. Er




Birgit Homburger
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(C)



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(A)



(B)


könnte und müsste ein Signal setzen – das wollen wir
alle –, ein Signal, wie es damals von Rio ausging, indem
erstmals auf UN-Ebene der Zusammenhang von sich aus-
weitender Armut, Hungersnöten und Krankheiten, fort-
schreitender Zerstörung von Lebensgrundlagen und
Rückgang der Artenvielfalt festgestellt wurde.

Allerdings werden nicht nur Feststellungen erwartet,
sondern auch eine Verankerung international anerkannter
Ziele in den Dokumenten und die Vereinbarung konkreter
aktionsorientierter Schritte für eine nachhaltige Entwick-
lung.


(Beifall bei der PDS)

Gerade in Bezug auf diesen Punkt sind inzwischen viele
Aktivistinnen und Aktivisten der Umwelt- und Entwick-
lungsorganisationen pessimistisch. Der Gipfel scheint ein
Flop bzw. mit seiner Partnerschaftsmesse eine Show von
Konzernen und Umweltbeamten zu werden.

Wie schon all die Jahre vorher sind es vor allem die
USA, Kanada und Neuseeland, die jegliche substanzielle
Vereinbarung torpedieren. Zudem ist es angesichts der
GATT- und GATS-Verhandlungen keine besondere Über-
raschung, wenn die G-77-Staaten, also die Entwicklungs-
länder, globale Umweltvereinbarungen überwiegend als
verdeckten Protektionismus zu ihren Lasten sehen. Sie
sollen alle Märkte öffnen, ihre Exportchancen sinken
aber. Umweltschutz bedeutet, ganz klar, erst einmal Kos-
ten, die die ausgeplünderten Länder nur selten aufbringen
können. Dabei müssen wir ihnen helfen. Gerade hier zeigt
sich, wie die von den Industriestaaten vorangetriebene Li-
beralisierung aller Märkte Übereinkünfte über den Schutz
unserer natürlichen Lebensgrundlagen verhindert.


(Beifall bei Abgeordneten der PDS)

Die EU will nach Verhandlungsbeobachtern das Ab-

schlussdokument für Johannesburg nach vorne bringen.
Gleichzeitig ist die Europäische Union Vorreiter bei der
Forderung, innerhalb des GATS-Abkommens den Was-
sersektor für die Liberalisierung zu öffnen. Was die
Kommerzialisierung der Wasserversorgung durch die
Global Player für Umwelt und Entwicklung aber für die
Entwicklungsländer bedeutet, konnte man in vielen süd-
amerikanischen Länder feststellen: Die Preise steigen und
nur wer reich ist, kann sich dieses Wasser noch leisten.

Ich denke, das ist nicht in unserem Sinne. In diesem
Punkt muss sich in Europa etwas ändern. Diese Forde-
rungen müssen zurückgezogen werden, denn sonst wird
auch bei uns Wasser privatisiert. Das hat Folgewirkungen.


(Beifall bei der PDS)

Zum Schluss noch ganz kurz zum Zusammenhang von

Entwicklungshilfe und Bruttosozialprodukt. Gegen-
wärtig werden 0,23 Prozent des BSP an Entwicklungs-
hilfe gezahlt. Sie wollen das auf 0,33 Prozent erhöhen.
Das ist immer noch zu wenig und muss weiterhin ange-
mahnt werden.

Ich kann abschließend nur sagen: Ob Umweltschutz
oder globale Gerechtigkeit, jetzt sind Taten gefragt, gere-
det wurde lange genug.


(Beifall bei der PDS)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1424300800
Ich erteile das Wort
Kollegin Ulrike Mehl, SPD-Fraktion.


Ulrike Mehl (SPD):
Rede ID: ID1424300900
Herr Präsident! Liebe Kollegin-
nen und Kollegen! In den nächsten Monaten werden sich
viele Menschen auf der Welt darüber Gedanken machen,
was bei der Weltkonferenz in Johannesburg wohl heraus-
kommen wird. Es gibt sehr unterschiedliche Erwartungs-
haltungen und Ausgangslagen. Die Frage wird sein: Wird
nach dieser Konferenz tatsächlich gehandelt?

Zehn Jahre nach Rio lohnt es sich, einmal zurückzu-
schauen, um die Entwicklung nach dieser zweifellos sehr
erfolgreichen Konferenz zu betrachten. Es gibt positive
Aspekte, auch wegen der Auflösung der Blöcke. Die Welt
ist offener und erreichbarer geworden. Es gibt eine bes-
sere Verwirklichung der Menschenrechte und mehr De-
mokratie.

Aber wenn man sich die Entwicklung des Zustandes
der Erde in den letzten zehn Jahren anschaut, könnten ei-
nem eher die Tränen kommen. Denn man hat den Ein-
druck, dass die Erde trotz guter Vorsätze, vieler Be-
mühungen und zahlreicher Konferenzen eher auf dem
Weg zu einer Intensivstation ist.

Ein wesentlicher Grund dafür ist die wachsende Ar-
mut und die Kluft zwischen den armen und den reichen
Ländern. Dieser Abstand ist nicht kleiner, sondern größer
geworden. Wir wissen, dass das ein wesentlicher Grund
dafür ist, dass es in den armen Ländern nicht mehr Wohl-
stand gibt. Wir als Industrieländer tragen dafür im We-
sentlichen die Verantwortung.

Trotzdem ist festzuhalten: Der Weltgipfel in Johannes-
burg ist eine sehr wichtige Konferenz auf dem Weg zu ei-
ner nachhaltigen Entwicklung. Es nützt nichts, zu unken
und zu sagen: Wir haben im Vorfeld noch keine griffigen
Ergebnisse gefunden. – Es muss vielmehr weitergekämpft
und hartnäckig verhandelt werden. Wir müssen darauf
bauen, dass in der Summe auch kleine Schritte zum Ge-
samterfolg führen werden. Wir werden die Bundesregie-
rung in diesen Bemühungen mit allen zur Verfügung ste-
henden Mitteln unterstützen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Das tun wir auch mit unserem Antrag. Ich glaube, dass
wir in Deutschland alle Gründe dafür haben. Denn wir
gehören innerhalb Europas zu den größten CO2-Emitten-ten. Auch in Deutschland werden noch immer 10 Tonnen
CO2 pro Kopf und Jahr emittiert und 120 Liter Wasser proKopf und Tag verbraucht. Wir haben also Gründe, uns be-
sonders zu engagieren und uns in diese Prozesse über-
durchschnittlich einzubringen.

Das tun wir auch. Wir haben eine sehr erfolgreiche und
zukunftsweisende Klimaschutz- und Energiepolitik ein-
geleitet. Wir werden das fortsetzen. Wir werden das Über-
einkommen über die biologische Vielfalt umsetzen sowie
das Cartagena-Protokoll und die Århus-Konvertion ratifi-
zieren, um nur einige wenige Punkte zu nennen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)





Eva Bulling-Schröter

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(D)



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(B)


Nur wenn wir selbst zeigen, dass wir wirklich bereit
sind, uns zu einer nachhaltigen Gesellschaft zu ent-
wickeln, können wir Forderungen an andere stellen. Die
Entwicklungsländer werden genau dies völlig zu Recht
einfordern; einige Beispiele sind genannt worden. Man
kann nicht Wasser predigen und Wein trinken. Deswegen
müssen wir die Programme, die wir in den letzten vier
Jahren aufgelegt haben, konsequent umsetzen. Dies geht
bis hin zu einem internationalen Engagement, das heißt
bis hin zu einem weiteren Abbau von Exportsubventionen
im Agrarbereich und zur Umsetzung der Forderung, die
WTO-Regeln mit den Zielen internationaler Umweltab-
kommen vereinbar zu machen.

Für einen Erfolg in Johannesburg wird es unabhängig
davon, dass man selber tun muss, was man von anderen ver-
langt, wichtig sein, dass die Europäer geschlossen an einem
Strang ziehen. Nicht nur der Blick über den Atlantik ist be-
rechtigt. Ich finde es im Übrigen ziemlich unsäglich, dass
eine große Macht wie die USAzwar am Verhandlungstisch
sitzt und auf das Verhandlungsergebnis Einfluss nimmt,
aber gleichzeitig von vornherein sagt: Wir setzen es nicht
um. Das ist problematisch genug. Aber auch die Interessen
innerhalb Europas sind sehr unterschiedlich.

Deswegen unterstützen wir auch hier mit Nachdruck
die Bundesregierung, die massiv dazu beitragen soll, dass
sich die Europäer einig sind. Denn die Europäer haben in
den Verhandlungen die zentrale Funktion, darauf hinzu-
wirken, dass gezielt das umgesetzt wird, was bisher auf-
gelegt worden ist: Aktionsprogramme im Bereich Wasser
und für den Schutz der Wälder sowie die Schaffung einer
starken, weltweit tätigen Umweltorganisation. Denn man
sollte sich nicht nur auf Programme konzentrieren. UNEP
hat mit Sicherheit getan, was zu tun ist; die Tätigkeit von
Klaus Töpfer ist sicherlich lobend zu erwähnen. Aber das
reicht bei weitem nicht aus. Wir brauchen eine Weltorga-
nisation, die stark ist und Umweltbelange gegenüber an-
deren Interessen durchsetzt.


(Beifall bei der SPD)

Meine Redezeit ist leider abgelaufen. Ich komme da-

her zum Schluss: Ich wünsche der Bundesregierung bei
ihren Verhandlungen viel Erfolg. Unsere Unterstützung
hat sie.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1424301000
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Christian Ruck, CDU/CSU-Fraktion.


Dr. Christian Ruck (CSU):
Rede ID: ID1424301100
Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! Diese Debatte ist ein Spiegel-
bild unserer Auseinandersetzungen um eine nachhaltige
Politik in dieser Legislaturperiode. Rot-Grün stellt seine
Politik pauschal und verbal unter die Überschrift „Nach-
haltigkeit“. Wir von der Union halten die rot-grüne Poli-
tik für gerade nicht nachhaltig.


(Winfried Hermann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und lehnen jede Änderung in diesem Sinne ab!)


Ich greife einige Punkte des SPD-Antrages auf: Es
kann wirklich nicht Ihr Ernst sein, bei 4 Millionen Ar-
beitslosen und steigender Jugendarbeitslosigkeit von
Nachhaltigkeit in der Wirtschaftspolitik zu sprechen.


(Ulla Burchardt [SPD]: Da sollten Sie einmal ganz ruhig sein, Herr Ruck!)


Die Rede von Herrn Riester als „nachhaltig“ zu bezeich-
nen ist schwer zu verdauen.


(Ulla Burchardt [SPD]: Weniger Arbeitslose als unter Ihrer Regierungszeit!)


Von einer erfolgreichen Nachhaltigkeit in Ihrer Agrarpo-
litik ist zurzeit nichts, aber auch gar nichts zu spüren.


(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Leider wahr!)


In der Umweltpolitik – Herr Trittin und die Grünen sind
auf diesem Gebiet ja selbst ernannte Spezialisten – stellt
sich die Frage der Nachhaltigkeit besonders dringend.
Umweltpolitik ist nicht per se nachhaltig. Umweltschutz
mit den richtigen Zielen, aber falschen Instrumenten wird
zum Bumerang. Gerade das halten wir Ihnen vor. Das sind
Ihre politischen Fehler hinsichtlich der Nachhaltigkeit.

Mein Kollege Paul Laufs, den wir sehr vermissen wer-
den, hat in seiner letzten Rede im Deutschen Bundestag
die Konsequenzen einer, vielleicht gut gemeinten, aber
politisch und ökonomisch unattraktiven Umweltpolitik
sehr gut herausgearbeitet: Aufgrund Ihres ökonomisch in-
effizienten Instrumentariums, Ihrer technologischen Na-
belschau, Ihres Konfrontationskurses im Naturschutz und
Ihres fehlenden entwicklungspolitischen Konzeptes hat
Deutschland an Einfluss verloren. Das zeigt sich vor allem
jetzt, im Vorfeld internationaler Weichenstellungen wie
den WTO-Runden und dem Weltgipfel in Johannesburg.


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Leider wahr!)


Ihnen ist es nicht gelungen, eine richtige Kombination
von Ökologie und Ökonomie als Modell aufzustellen.

Es gibt dieses Modell: ein Modell, das ein Land vom
Agrarstaat zum Hochtechnologieland führt, mit der ge-
ringsten Arbeitslosigkeit, dem höchsten Wirtschafts-
wachstum, den mit Abstand höchsten Ausgaben für den
Naturschutz


(Ulla Burchardt [SPD]: Mit der größten Pleitenzahl im letzten Jahr! Mit den wenigsten Ganztagsbetreuungsplätzen!)


und einem um zwei Drittel niedrigeren CO2-Ausstoß proKopf. Minister Trittin wollte ich schon lange sagen: Er
soll in diesem Land einmal Urlaub machen; es ist der Frei-
staat Bayern.


(Beifall bei der CDU/CSU – Zurufe von der SPD: Oh!)


Die Vorbereitungskonferenz in Bali war kein Erfolg.
Sie war vom Misstrauen zwischen Entwicklungsländern
und Industrieländern geprägt. Die Fronten sind verhärtet;
übrigens nicht nur zwischen Entwicklungs- und Industrie-
ländern, sondern auch im Kreise der Industrieländer. Von
einem Eine-Welt-Denken ist bisher keine Spur.




Eva Bulling-Schröter
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(C)



(D)



(A)



(B)


Bei diesem Status quo wird die Konferenz in Johan-
nesburg kein Erfolg werden. Das hat dramatische Konse-
quenzen: für den Klimaschutz, für die Erhaltung der
Schöpfung, für die Bekämpfung von Hunger und Armut
und letztendlich auch für die Schaffung einer dringend
notwendigen größeren sozialen, ökologischen, ökonomi-
schen und politischen Balance auf unserem Planeten. Ich
glaube, dass das niemand in diesem Hause und auch nie-
mand in der Bundesregierung will. Deswegen ist es wich-
tig, dass wir uns noch einmal mit voller Kraft für den Er-
folg der Konferenz in Johannesburg konzeptionell und
mit persönlichem Einsatz engagieren.

Der Konferenzerfolg ist allerdings nicht nur durch ver-
härtete Fronten gefährdet, sondern auch durch eine Über-
lagerung von Themen. Wenn so viele Themen auf einer
Konferenz behandelt werden, muss das schief gehen. Wir
sind der Meinung, dass es entscheidend ist, sich auf fol-
gende Schwerpunkte zu konzentrieren:

Erstens. Wir brauchen eine neue Offensive zur Be-
wahrung von Schöpfung und Umwelt. An dieser Front
gibt es keine Entwarnung. Im Gegenteil: Die Umweltzer-
störung ist in dramatischem Ausmaß weitergegangen. Es
wurde schon erwähnt, dass gleichzeitig immer mehr Mil-
liarden Menschen mit sauberem Trinkwasser und mit
Energie versorgt werden müssen. Das geht nur mit einem
erheblich größeren Know-how-Transfer und einem er-
heblich größeren Kapitaltransfer. Das wiederum schaffen
wir nur mit einer intensiveren Einbindung der Privatwirt-
schaft. Das wiederum geht nur – jetzt komme ich zu dem
Punkt, den Frau Homburger bereits angesprochen hat –,
wenn wir endlich die Clean Development Mechanism
umsetzen. Bisher arbeiten Sie daran mit angezogener
Handbremse.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Zweitens. Wir brauchen mehr Engagement in der Be-

völkerungspolitik, sonst laufen viele mühsam erkämpfte
Fortschritte ins Leere.

Drittens. Wir müssen auch auf der Basis der Ergebnisse
der Konferenz in Monterrey die Mittel für die Entwick-
lungszusammenarbeit tatsächlich und zuverlässig auf-
stocken. Hier zählen nicht leere Versprechungen, sondern
Nägel mit Köpfen. Wir glauben Ihnen nur noch das, was
wir an Zahlen im Haushalt vorfinden. Diese haben Sie uns
für 2003 bis heute verweigert.

Viertens. Wir brauchen mehr Effizienz und Koordi-
nation in internationalen Institutionen. Gerade im Ent-
wicklungs- und Umweltbereich verpuffen gewaltige
Summen, weil zu viele Organisationen um die Mittel rau-
fen. Wir erteilen deswegen, Frau Ministerin, Ihrem na-
hezu blinden Glauben an internationale Organisationen
eine klare Absage. Im Gegensatz zum SPD-Antrag, Herr
von Weizsäcker, wollen wir deshalb nicht noch mehr Or-
ganisationen, sondern die vorhandenen sollten gestrafft,
zurechtgestutzt und besser geführt werden. Deshalb ver-
langen wir auch, dass Deutschland seinen Einfluss für
eine solche Reform geltend und die Vergabe von Steuer-
geldern von erfolgreichen Reformen abhängig macht.

Fünftens. Wir wollen und müssen im Rahmen einer
internationalen sozialen Marktwirtschaft mithelfen,

dass die ärmeren Länder an der internationalen Arbeitstei-
lung und an der Globalisierung fair beteiligt werden.
Hierin sind wir uns alle einig. Das heißt, wir brauchen eine
stärkere Unterstützung regionaler Zusammenschlüsse,
eine Reform des internationalen Finanzsystems, die Er-
tüchtigung eines möglichst korruptionsfreien und qualifi-
zierten Verwaltungsapparates und vor allem – auch da-
rüber sind wir uns, glaube ich, einig, zumindest verbal –
den Abbau von Protektionismus und Subventionitis in den
Industrieländern. Aber auch hier ist Rot-Grün trotz großer
Versprechen keinen Schritt weitergekommen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Wenn wir dafür nicht zumindest eine schrittweise Lösung
und einen zeitlichen Horizont zugunsten der Entwick-
lungs- und Schwellenländer präsentieren, werden die
Gräben immer tiefer.

Sechstens. Wir müssen umgekehrt auch darauf beste-
hen, dass die Entwicklungsländer ihre Hausaufgaben ma-
chen, das heißt gute Regierungsführung, „good gover-
nance“. Wir dürfen uns nämlich nicht einreden lassen
– siehe Simbabwe –, dass aller Hunger, alle Armut und Um-
weltzerstörung nur aus der Unterdrückung aus dem Norden


(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Richtig!)

oder der Globalisierung herrühren.


(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Leider wahr!)


Entwicklung scheitert leider allzu oft auch an der Ver-
antwortungslosigkeit und Korruption in den Entwicklungs-
ländern. Wer deswegen einen Erfolg beim Weltgipfel in Jo-
hannesburg will, muss Hilfen an Konditionen knüpfen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP und der Abg. Michaele Hustedt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Wir müssen gerade nach dem 11. September entschlossen
sein, dort, wo „bad governance“ herrscht, engagierter als
bisher und mit längerem Atem Änderungen in die Wege
zu leiten.

Das bedeutet natürlich eine enge Abstimmung zwi-
schen Auswärtigem Amt und Entwicklungshilfeministe-
rium – bisher Fehlanzeige – und Rückendeckung durch
den Kanzler, auch hier Fehlanzeige.


(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Da weiß die Rechte nicht, was die Linke tut!)


Angesichts der gewaltigen internationalen Herausfor-
derungen und Probleme braucht der Rio-Prozess vor dem
Johannesburg-Gipfel neue Kraft, neue Energie und kon-
krete Angebote. Vollmundige Ankündigungen und große
Worte können nicht darüber hinwegtäuschen, dass das
Entwicklungsbudget gesunken und der internationale
Einfluss der deutschen Politik zurückgegangen ist.


(Ulla Burchardt [SPD]: Tiefer als bei Ihnen aber garantiert nicht!)


Es ist ganz offenkundig, dass ein schlüssiges Energie-
konzept fehlt, das Klimaschutz, Versorgungssicherheit
und Wettbewerbsfähigkeit in Einklang bringt und damit




Dr. Christian Ruck

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(D)



(A)



(B)


auch auf internationale Gesprächspartner wie die USA
einladend wirken könnte.

Darüber hinaus steht der Modellstaat der sozialen
Marktwirtschaft, Deutschland, aufgrund rot-grüner Wirt-
schafts- und Sozialpolitik eher als Abschreckung denn als
attraktives Vorbild dar. Wenn wir als Deutsche eine ähn-
lich positive und entscheidende Rolle in Johannesburg
spielen wollen, wie dies damals unter Helmut Kohl in Rio
de Janeiro geschehen ist, dann muss die Bundesregierung
die verbleibenden Monate nutzen, um überzeugende Kon-
zeptionen zu präsentieren und auch dafür zu kämpfen.

Helmut Kohl hat die Weichen für Rio auf dem G-7-Gip-
fel in Houston gestellt. Kanzler Schröder hat auf dem nächs-
ten G-8-Gipfel eine ähnliche Chance; er muss sie wahrneh-
men, er muss selber nach Johannesburg fahren, sonst
versagt er auch auf diesem entscheidenden Zukunftsfeld.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1424301200
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Reinhard Loske, Bündnis 90/Die Grünen.


Dr. Reinhard Loske (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1424301300

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen
wir die zehn Jahre zwischen der Rio-Konferenz und dem
vor uns liegenden Gipfel in Johannesburg Revue passie-
ren, kommen wir wohl zu einer gespaltenen Bilanz. Es
gibt Licht und Schatten.

Ich komme zunächst auf das Licht zu sprechen: Die
beiden großen Kinder der Rio-Konferenz, die Klimarah-
menkonvention und die Konvention zum Schutz der
biologischen Vielfalt, sind in Kraft getreten. Das ist mehr
als nichts; das ist ein wichtiger Schritt zur Erreichung ei-
nes internationalen Regelwerkes.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Jetzt geht es darum, dass diese beiden Kinder gewis-
sermaßen Enkel gebären, nämlich das Kioto-Protokoll
und das Cartagena-Protokoll zur biologischen Sicher-
heit. Beim Kioto-Protokoll sind wir auf einem guten
Wege, auch wenn es wohl bis zum Johannesburg-Gipfel
bedauerlicherweise nicht mehr in Kraft treten wird. Die
Ratifizierung des Cartagena-Protokolls verläuft schlep-
pender. Bei den Verhandlungen über diese beiden Proto-
kolle konnte man deutlich erkennen, dass der Erfolg der
Europäischen Union im Wesentlichen damit zusammen-
hing, dass sie den engen Kontakt mit der G 77 gesucht hat.
Die Zusammenarbeit zwischen Europa und den Entwick-
lungsländern war ein Schlüssel zum Erfolg.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Auch beim Thema Agenda 21 gibt es nicht nur Schat-
ten. Gerade die vielen lokalen Agenda-21-Initiativen in
unserem Land haben gute Arbeit geleistet. Dafür sollten
wir als Parlamentarier einmal Danke schön sagen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie der Abg. Birgit Homburger [FDP])


Ich komme nun zum Schatten: Es ist ganz eindeutig
– das wurde von Ulrike Mehl schon angesprochen –, dass
die reale Umweltsituation sich weiter verschlechtert hat.
In den 90er-Jahren hat es – das ist die politische Dimen-
sion – eine Überlagerung des Nachhaltigkeitsdiskurses
durch die Globalisierungsdebatte gegeben. Diese Überla-
gerung ist gerade von Herrschaften aus diesen Reihen des
Hauses forciert worden. Mitte der 90er-Jahre galt Um-
weltschutz im Prinzip nur noch als Wettbewerbshemmnis,
Nord-Süd-Gerechtigkeit war nur noch ein Thema für ir-
gendwelche Idealisten. Die Übermacht des Ökonomi-
schen stellte alles andere in den Schatten.

Diese Grundstimmung hat sich allerdings durch ver-
schiedene Entwicklungen verändert. Man muss sie nicht
alle gut finden – einige davon sind sogar ganz fürchter-
lich –; aber sie haben das Thema neu auf die Tagesord-
nung gesetzt. Zum einen ist es die Globalisierungskritik.
Der ungezügelte Lauf der Ökonomie wird von immer we-
niger Menschen akzeptiert. Zum Zweiten hat die rabiate
Absage der Bush-Administration an das Kioto-Protokoll
viele Menschen erschüttert. Das Dritte betrifft alles, was
mit den fürchterlichen Geschehnissen am 11. September
zusammenhängt. Unabhängig von der Frage, welches die
Ursachen sind, kann man doch sagen, dass der Boden für
Fundamentalismus und Radikalismus dort am fruchtbars-
ten ist, wo die Verhältnisse besonders ungerecht sind oder
als ungerecht empfunden werden. Das heißt, die Aussage,
dass Umweltschutz und Gerechtigkeit beim Ressourcen-
zugang auch praktizierte Friedenspolitik sind, ist plötzlich
nicht mehr Träumerei, sondern Teil der Lösung. Das ist
unsere Linie.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Von Johannesburg muss ein klares Signal ausgehen. Wir
brauchen – ich kann es jetzt nur allgemein sagen – eine
wechselseitige Versicherung, einen globalen Sozialkon-
trakt: Der reiche Norden arbeitet an seinem Übergewicht,
da sein Nutzungsdruck auf die Natur zu hoch ist. Die Haus-
aufgaben, die er zu erledigen hat, sind unter anderem durch
die Stichworte Effizienz, Kreislaufwirtschaft und solare Zi-
vilisation, aber auch durch die Frage nach dem rechten Maß
gekennzeichnet. Auch muss der Norden bereit sein – da-
rüber hat Jürgen Trittin ausführlich gesprochen –, in den in-
ternationalen Beziehungen durch mehr Wettbewerbsfair-
ness im Welthandel, den Abbau umweltschädlicher
Subventionen und auch durch die Aufstockung der Ent-
wicklungshilfemittel zu mehr Nachhaltigkeit beizutragen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Vom Süden erwarten wir, dass er im Gegenzug seine
Naturschätze so schonend wie möglich nutzt – dabei wol-
len wir ihm helfen –, dass Rechtsstaatlichkeit sicherge-
stellt wird, dass lokale Gemeinschaften gestärkt werden
und dass er im internationalen Prozess insgesamt kon-
struktiv mitarbeitet.

Lassen Sie mich zum Schluss einige konkrete Punkte
nennen: Erstens. Wir müssen bei der globalen Wasser-
und Energiestrategie weiterkommen. Hier spielen, Herr
Kollege Laufs, die erneuerbaren Energien natürlich
eine ganz zentrale Rolle.




Dr. Christian Ruck
24438


(C)



(D)



(A)



(B)


Zweitens. Die internationalen Umweltorganisatio-
nen müssen institutionell aufgewertet werden. UNEP ist
heute trotz des Engagements von Klaus Töpfer eine
schwache Organisation. Die Umweltseite und übrigens
auch die Sozialseite verhandeln in den internationalen Be-
ziehungen mit der Wirtschaftsseite gegenwärtig nicht auf
Augenhöhe. Es ist ganz wichtig, dass sich das ändert.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Drittens. Wir müssen neue globale Finanzierungs-
mechanismen entwickeln, wie sie beispielsweise der
Wissenschaftliche Beirat „Globale Umweltveränderung“
vorgeschlagen hat. Hier wäre es vielleicht ganz vernünftig,
nicht im Sinne einer neuen Kommission, aber im Sinne ei-
ner systematischen Bearbeitung eine der Brundtland-
Kommission ähnliche Weltkommission für Globalisie-
rung und Nachhaltigkeit einzurichten, die den auf zwei bis
drei Jahre begrenzten Auftrag hat, solche Mechanismen
zu entwickeln und uns vorzuschlagen.

Abschließend zum Kollegen Laufs: Auch von meiner
Seite ganz herzlichen Dank für die Zusammenarbeit. Ich
habe gern mit Ihnen diskutiert und oft auch gestritten. Wir
sind manchmal nicht einer Meinung; das wird wohl auch
so bleiben. Aber auch ich wünsche Ihnen alles Gute. In ei-
nem Punkt war der Dissens zwischen uns – das betrifft
auch Frau Homburger – immer am größten, nämlich in der
Frage, ob das früher unter Kohl goldene Zeiten waren und
heute alles furchtbar ist.


(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Darüber konnte man gar nicht streiten!)


Ich glaube, die Wahrheit sieht wohl so aus, dass es sich
doch zum Guten gewendet hat, jedenfalls aus unserer
Sicht. In den Bereichen erneuerbare Energien, Energieef-
fizienz, Naturschutz und bei vielen anderen Themen ha-
ben wir die Dinge gewendet und eine Vorreiterrolle über-
nommen. Die Stagnation ist überwunden.


(Birgit Homburger [FDP]: Das sieht der Sachverständigenrat aber anders!)


Wir wollen an diesem Elan festhalten, auch nach dem
22. September.

Danke schön.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1424301400
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Ernst Ulrich von Weizsäcker, SPD-Frak-
tion.


Dr. Ernst Ulrich von Weizsäcker (SPD):
Rede ID: ID1424301500
Herr Präsi-
dent! Meine verehrten Damen und Herren! „Nachhaltige
Entwicklung“ – darauf hat Herr Minister Trittin schon
hingewiesen – ist für viele immer noch ein Fremdwort.
Das darf es nicht bleiben. Aber auch das Wort „Demokra-
tie“ war irgendwann einmal in Deutschland ein Fremd-
wort und dasselbe gilt auch für das Wort „Computer“. Wir
werden und wir müssen uns daran gewöhnen. Schließlich
steht hinter der nachhaltigen Entwicklung ein uraltes

Prinzip: Auch an die Enkel denken. Das steht in der Bibel
als Goldene Regel und hat nichts mit dem Parteienstreit
zu tun.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Unser Antrag zielt nicht auf Parteienstreit. Er ist natür-
lich vor Bali formuliert worden. Besonders nach Bali
müssen wir uns die Frage stellen, woher diese Stagnation
eigentlich kommt. In der Enquete-Kommission „Globali-
sierung der Weltwirtschaft“ sind wir der Idee auf der Spur,
die Welt habe sich nach 1990 wesentlich in der Richtung
verändert, dass die Anwälte der öffentlichen Aufgaben
einschließlich Entwicklungshilfe und Umwelt eher ins
Hintertreffen gekommen sind, während die Anwälte der
privaten Anliegen, insbesondere die großen Konzerne,
das Weltgeschehen dominieren.

51 der 100 größten Wirtschaftseinheiten der Welt
sind heute nicht mehr Staaten, sondern Unterneh-
men, die nicht dem Gemeinwohl, sondern ihren Pro-
fitzielen verpflichtet sind.

Das ist ein Zitat, und zwar nicht aus der „Kommunisti-
schen Plattform“, sondern aus dem Antrag der
CDU/CSU-Fraktion


(Dr. Reinhard Loske [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Eine neue Allianz! – Zurufe von der PDS: Hört! Hört!)


Die Dominanz der Privatwirtschaft muss uns zu den-
ken geben. Das von Professor Klaus Töpfer geleitete
UNO-Umweltprogramm hat kürzlich einen Bericht mit
dem Namen „GEO 3“ herausgegeben. In diesem Bericht
werden vier verschiedene Szenarien betrachtet, darunter
„Markets First“ und „Security First“, also Verlass auf die
Märkte oder der absolute Vorrang für Sicherheit. Beide
Optionen führen schnurstracks ins Verderben,


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


weil die Märkte blind und taub sind, was die Umwelt an-
geht, und weil die Illusion der totalen Sicherheit alle
Kräfte bindet, die man eigentlich woanders nötiger
braucht. Besser steht es um die Welt nach dem UNO-Be-
richt bei „Policy First“, das heißt Politik wieder machen,
und „Sustainability First“, das heißt Nachhaltigkeit als Zi-
vilisationsmerkmal.

Die Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung ist
ein guter Beginn. Den täglichen Flächenverbrauch auf ein
Viertel zu reduzieren, das ist ein Wort! Fast noch wichti-
ger ist mir der erste der 21 Indikatoren: Wir müssen mehr
Wohlstand aus einer Kilowattstunde oder einer Tonne Erz
herausholen, das heißt, die Ressourcenproduktivität dras-
tisch erhöhen, langfristig um einen Faktor vier. Daran
führt kein Weg vorbei.

Manches muss in Johannesburg erst einmal ohne die
Amerikaner laufen, die nämlich in Bali selbst diese Effi-
zienzstrategien torpediert und sabotiert haben. Wir wol-
len, wie Reinhard Loske gerade gesagt hat, endlich eine
schlagkräftige UNO-Umweltorganisation.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)





Dr. Reinhard Loske

24439


(C)



(D)



(A)



(B)


Frau Homburger, ich habe vorhin mit großem Amüse-
ment Ihren schönen, in vielen Dingen völlig richtigen An-
trag zu Johannesburg gelesen. Darin schreiben Sie: Man
muss die Institutionen stärken, die für Umwelt zuständig
sind. Sie nennen namentlich die Welthandelsorganisation,
die WTO.


(Lachen bei der SPD – Dr. Reinhard Loske [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genauso ist das! – Birgit Homburger [FDP]: Das ist eine Aufzählung!)


Sic! Wir wollen eine zuverlässige und erhöhte Entwick-
lungshilfe. Wir wollen den Schutz der öffentlichen Güter
sichern. Wir wollen, dass das Kioto-Protokoll, das Carta-
gena-Protokoll und die &rhus-Konvention endlich in
Kraft treten. Und, meine Damen und Herren, wir stellen
uns vor, dass unsere Enkel und Urenkel in Johannesburg
mit am Tisch sitzen. Politik für die Urenkel, das ist nach-
haltige Entwicklung!

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1424301600
Ich schließe die Aus-
sprache.

Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussemp-
fehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und
Reaktorsicherheit auf Drucksache 14/9417 zu dem Antrag
der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grü-
nen mit dem Titel „Weltgipfel für nachhaltige Entwicklung
in Johannesburg 2002: Der nachhaltigen Entwicklung zum
Durchbruch verhelfen“. Der Ausschuss empfiehlt, den An-
trag auf Drucksache 14/9052 anzunehmen. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? – Gegenprobe! – Enthaltun-
gen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen
von SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen
von CDU/CSU, FDP und PDS angenommen.

Tagesordnungspunkt 22 b: Abstimmung über die Be-
schlussempfehlung des Ausschusses für wirtschaftliche
Zusammenarbeit und Entwicklung auf Drucksache
14/9420 zu dem Antrag der Fraktion der CDU/CSU mit
dem Titel „Die Schöpfung bewahren, entwicklungsorien-
tiert handeln: Weltgipfel in Johannesburg muss neue Im-
pulse für globale nachhaltige Entwicklung setzen“. Der
Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/9025
abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? –
Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschluss-
empfehlung ist mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/
Die Grünen und PDS gegen die Stimmen von CDU/
CSU und FDP angenommen.

Tagesordnungspunkt 22 c: Abstimmung über die Be-
schlussempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Natur-
schutz und Reaktorsicherheit auf Drucksache 14/9380.
Unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der
Ausschuss die Annahme des Antrages der Fraktionen der
SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache
14/9056 mit dem Titel „Nachhaltige Entwicklung – neuer
Gestaltungsansatz für die Globalisierung“. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? –
Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den

Stimmen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen die
Stimmen von CDU/CSU, FDP und PDS angenommen.

Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der
Ausschuss die Ablehnung des Antrages der Fraktion der
CDU/CSU auf Drucksache 14/9024 mit dem Titel „Initia-
tive für eine nationale Nachhaltigkeitsstrategie“. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt da-
gegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist
mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und
PDS gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP ange-
nommen.

Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Nr. 3 seiner
Beschlussempfehlung die Ablehnung eines Antrages der
Fraktion der FDP auf Drucksache 14/9091 mit dem Titel
„Liberale Akzente einer nationalen Nachhaltigkeitsstrate-
gie“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer
stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussemp-
fehlung ist mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die
Grünen und PDS gegen die Stimmen von CDU/CSU und
FDP angenommen.

Tagesordnungspunkt 22 d: Abstimmung über die Be-
schlussempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Natur-
schutz und Reaktorsicherheit auf Drucksache 14/6423 zur
Unterrichtung der Bundesregierung über das sechste Um-
weltaktionsprogramm der Europäischen Gemeinschaft.
Der Ausschuss empfiehlt, in Kenntnis der Unterrichtung
eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für diese Be-
schlussempfehlung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? – Die
Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von SPD und
Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen von CDU/
CSU und FDP bei Enthaltung der PDS angenommen.

Tagesordnungspunkt 22 e: Abstimmung über die Be-
schlussempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Natur-
schutz und Reaktorsicherheit auf Drucksache 14/6922 zu
der Unterrichtung durch die Bundesregierung über die
Mitteilung der Kommission mit dem Titel „Die Umwelt
Europas: Orientierung für die Zukunft“. Der Ausschuss emp-
fiehlt, in Kenntnis der Unterrichtung eine Entschließung an-
zunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? –
Gegenprobe! – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung
ist mit den Stimmen der SPD, des Bündnisses 90/
Die Grünen und der PDS gegen die Stimmen der CDU/
CSU und der FDP angenommen.

Tagesordnungspunkte 22 f und 22 g: Interfraktionell
wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen
14/8755 und 14/8792 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann sind die Überwei-
sungen so beschlossen.

Tagesordnungspunkt 22 h: Abstimmung über die Be-
schlussempfehlung des Innenausschusses auf Drucksache
14/6012 zu dem Antrag der Fraktion der PDS mit dem Ti-
tel „Ressourcenverbrauch der Bundesrepublik Deutsch-
land statistisch besser abbilden“. Der Ausschuss empfiehlt,
den Antrag auf Drucksache 14/2654 abzulehnen. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt da-
gegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist
mit den Stimmen des Hauses gegen die Stimmen der PDS-
Fraktion angenommen.




Dr. Ernst Ulrich von Weizsäcker
24440


(C)



(D)



(A)



(B)


Zusatzpunkt 17: Abstimmung über den Antrag der
Fraktion der PDS auf Drucksache 14/9364 mit dem Titel
„Vorbereitung auf den Gipfel der Vereinten Nationen zur
nachhaltigen Entwicklung in Johannesburg“. Wer stimmt
für diesen Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Stimment-
haltungen? – Der Antrag ist mit den Stimmen des Hauses
gegen die Stimmen der PDS-Fraktion abgelehnt.

Zusatzpunkt 18: Abstimmung über den Antrag der
Fraktion der FDP auf Drucksache 14/9393 mit dem Titel
„Liberale Impulse für eine globale nachhaltige Entwick-
lung“. Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dage-
gen? – Enthaltungen? – Der Antrag ist mit den Stimmen
der SPD, des Bündnisses 90/Die Grünen und der PDS ge-
gen die Stimmen der CDU/CSU und der FDP abgelehnt.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 27 a und 27 b auf:
a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-

richts des Ausschusses für Arbeit und Sozialord-
nung (11. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeord-
neten Karl-Josef Laumann, Horst Seehofer,
Brigitte Baumeister, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der CDU/CSU
Arbeit statt Sozialhilfe – Hin zu einer Kultur
von Geben und Nehmen
– Drucksachen 14/7443, 14/8663 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Brigitte Lange

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Arbeit und Sozialord-
nung (11. Ausschuss)

– zu dem Antrag der Abgeordneten Dirk Niebel,

Dr. Irmgard Schwaetzer, Dr. Heinrich L. Kolb,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
FDP
Für eine sinnvolle Zusammenfassung von
Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe

– zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Irmgard
Schwaetzer, Dr. Heinrich L. Kolb, Dirk
Niebel, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion der FDP
Für eine beschäftigungsorientierte und ak-
tivierende Sozialpolitik – Sozialhilfe und
Arbeitsmarktpolitik grundlegend refor-
mieren
– Drucksachen 14/5983, 14/6951, 14/8665 –
Berichterstattung:
Abgeordnet Brigitte Lange

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. – Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen
Karl-Josef Laumann, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.


Karl-Josef Laumann (CDU):
Rede ID: ID1424301700
Sehr geehrter
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen!

In den 60er-Jahren gab es bei uns in Deutschland rund
eine halbe Million Sozialhilfeempfänger. Heute sind
2,7 Millionen Menschen auf Hilfe zum Lebensunterhalt
angewiesen. Für die entsprechenden Leistungen haben
wir alleine im letzten Jahr einen Betrag von 20 Milliar-
den DM aufgewendet. Von den 2,7 Millionen Sozialhilfe-
empfängern sind nach Schätzungen vieler Fachleute rund
1 Million grundsätzlich arbeitsfähig, weil sie weder Fa-
milienpflichten haben noch krank, behindert oder über
65 Jahre alt sind. Daneben gibt es rund 1,5 Millionen
Menschen, die ebenfalls keine Arbeit haben, bedürftig
sind und von der Bundesanstalt für Arbeit im Jahr 2000
25,7 Milliarden DM bezogen haben.

Wenn wir über die Zusammenführung der Arbeits-
losen- und der Sozialhilfe reden, finde ich es wichtiger,
im Auge zu haben, dass wir über 3,5 Millionen Menschen
sprechen, die durch diese Hilfesysteme ihre Existenz si-
chern, als sich die Zahlen anzuschauen. Im Mittelpunkt
unserer Arbeit und Auseinandersetzung muss, bevor wir
die Systeme zusammenführen, deshalb stehen, dass es uns
nicht um eine Leistungsabsenkung, sondern vor allen
Dingen darum geht, die beiden Systeme in ein neues Sys-
tem zusammenzuführen, mit dem es uns besser gelingt,
den Menschen eine Hilfe zu geben, damit sie im ersten Ar-
beitsmarkt wieder Fuß fassen und ihre Bedürftigkeit
durch Arbeit überwinden können.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Deswegen muss man zunächst einmal überlegen: Wel-

che Gruppen gehören eigentlich in ein vorübergehend be-
darfs- und bedürftigkeitsabhängiges System? Wir alle sind
uns einig: Seit Jahren gibt es in Deutschland die Fehlent-
wicklung, dass rund 1 Million Kinder von der Sozialhilfe
leben. Die erste Voraussetzung für staatliche Transferleis-
tung muss sein – damit sind wir beim Thema Familien-
bzw. Kindergeld –, dass Kinder kein Grund sein dürfen,
von der Sozialhilfe abhängig zu werden.

Ich glaube, dass die Diskussion über das so genannte
Lohnabstandsgebot nur dann geführt werden darf, wenn
Kinder nicht mehr von der Sozialhilfe abhängig sind. Der
Sozialhilfebedarf einer Familie mit mehreren Kindern hat
zusammen mit einem anteiligen Mietzuschuss in vielen
Fällen eine Höhe erreicht, bei der so manches Arbeitneh-
mer- und Facharbeitergehalt nicht mehr mithalten kann.
Sie bekommen das Problem des Lohnabstandsgebotes nur
dann in den Griff, wenn eine Familie mit mehreren Kin-
dern für die Kinder nicht mehr Sozialhilfe, sondern ein
Familiengeld bekommt. Für die Eltern lohnt es sich in
dem Fall eher, einer Beschäftigung nachzugehen, weil sie
dann die Möglichkeit haben, ihren Lebensstandard durch
eigene Arbeit zu verbessern.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Ein weiterer Punkt sollte unstrittig sein. Zwei Drittel

der Leistungen der Sozialhilfe gehen in die so genannte
institutionelle Sozialhilfe, zum Beispiel in die Eingliede-
rungshilfe. Gehört ein Mensch, der zum Beispiel geistig
oder körperlich behindert ist und niemals in der Lage sein
wird, seinen Lebensunterhalt durch Arbeit zu verdienen, in
ein System wie die Sozialhilfe, die immer darauf angelegt
war, eine kurzfristige bedarfs- und bedürftigkeitsabhän-
gige Leistung zu sein? Bei der Zusammenführung der




Präsident Wolfgang Thierse

24441


(C)



(D)



(A)



(B)


Arbeitslosen- und der Sozialhilfe müssen wir im Auge ha-
ben, dass wir – dazu gibt es viele Resolutionen des Parla-
mentes – die Behinderten durch ein Leistungsgesetz aus
der Sozialhilfe herausnehmen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Nach meiner tiefen Überzeugung gibt es noch einen

weiteren Punkt, den wir in Angriff nehmen müssen, bevor
wir die beiden Systeme zusammenführen. Wir müssen
den Unterschied zwischen brutto und netto im Bereich
von niedrigen Löhnen zugunsten von netto verringern.
Die Hälfte der Menschen, die in Deutschland langzeitar-
beitslos und auf diese beiden bedarfs- und bedürftigkeits-
abhängigen Systeme angewiesen sind, hat keine abge-
schlossene und qualifizierte Berufsausbildung.

Ich bin sehr für Qualifizierung. Aber ich glaube, dass es
zu einem realistischen Menschenbild gehört – das christli-
che Menschenbild ist ein sehr realistisches –, dass man nicht
jeden so qualifizieren kann, wie es die jetzige wirtschaft-
liche und gesellschaftliche Situation erfordert. Deswegen
brauchen wir Arbeitsplätze für gering Qualifizierte.
Diese haben wir in der Geschichte im Übrigen immer ge-
braucht. Ich kann mich aus meiner Lehrzeit daran erin-
nern, dass es in unserer Firma viele Hilfsarbeiter gab.

Diese Jobs sind in der Fertigung und in der Industrie
sehr stark weggebrochen. Sie sind im Dienstleistungsbe-
reich neu entstanden, aber mit einem Lohnniveau, das un-
ter dem der Industrie liegt. Dieses liegt in vielen Berei-
chen leider Gottes unterhalb der Sozialhilfe. Dass bei
Einkommen, die über 325 Euro liegen, ein Sozialversi-
cherungsbeitrag von 20 Prozent erhoben wird, halte ich
für unsozial. Wir müssen deswegen zu einem degressiven
Aufbau des Sozialversicherungsbeitrages kommen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dirk Niebel [FDP])


Wenn wir so weit sind, dass wir für den Niedriglohn-
bereich eine Lösung gefunden haben, dass kein Kind mehr
von Sozialhilfe leben muss, dass Behinderte außerhalb der
Sozialhilfe zuverlässig abgesichert sind, dann kann man die
Systeme zusammenführen. In dem Fall muss der Grundsatz
gelten, dass nur Bedürftigkeit plus Eigenleistung, um aus
dieser Situation herauszukommen, einen Anspruch auf die
volle Höhe der Leistungen ergibt. Durch die Umkehr der
Beweislast können wir den Grundsatz von Fördern und
Fordern wieder enger zusammenführen.

Was heißt das? In Deutschland darf es nicht so bleiben,
dass junge Menschen, die zum Beispiel keinen Hauptschul-
abschluss haben, Sozialhilfe als staatliche Transferleistung
beziehen, ohne zumindest an Maßnahmen zur Erreichung
des Hauptschulabschlusses teilzunehmen. Ähnliches muss
auch für unsere ausländischen Mitbürger, die an Sprach-
kursen teilnehmen, gelten, wenn sie Leistungen aus unse-
ren Hilfesystemen beziehen. Das muss auch im Bereich
der gemeinnützigen Arbeit gelten. Konkrete Angebote aus
dem Bereich des Niedriglohnsektors müssen, wie gesagt,
ebenfalls angenommen werden.

Ich bin fest davon überzeugt, dass in den letzten Jahren
das Unsozialste an der Sozialpolitik in Deutschland war,
dass wir den Menschen, die wir nicht so sehr für die Ar-
beitswelt gebraucht haben, zwar staatliche Transferleis-

tungen gezahlt haben, dass wir uns dann aber viele Jahre
um diese Menschen nicht weiter gekümmert haben. Ich
kann mich noch daran erinnern, dass Anfang der 90er-
Jahre, als ich Mitglied dieses Parlaments wurde, alles, was
man als gemeinnützige Arbeit bezeichnen konnte, insbe-
sondere bei der SPD ziemlich verpönt war.


(Dirk Niebel [FDP]: „Arbeitsdienst“ haben sie das genannt!)


Wir wissen, dass es hier ein großes Umdenken in den
Kommunen gegeben hat und dass die Kommunen heute
– dafür sind wir alle ihnen sehr dankbar – sehr viele Hil-
feangebote machen.

Wenn man den betroffenen Menschen nur Geld
gibt und sie ansonsten in ihrer Perspektivlosigkeit alleine
lässt, dann führt dies zu schweren, fast nicht mehr zu re-
parierenden Schäden. Viele sind daran psychisch krank
geworden. Das wissen wir alle doch durch unsere Wahl-
kreisarbeit. Andere wiederum sind in die Drogenabhän-
gigkeit und in das Kneipenmilieu abgerutscht. Es ist ganz
schwer, solche Menschen wieder für den Arbeitsmarkt zu
reaktivieren.

An der Volksweisheit „Müßiggang ist aller Laster An-
fang“ ist etwas Wahres dran. Ich füge noch hinzu: Je jünger
die Menschen sind, die davon betroffen sind, desto mehr
stimmt diese Volksweisheit. Deswegen bin ich der festen
Überzeugung, dass es sehr sozial ist, wenn wir in unserem
Antrag fordern, dass die Menschen die konkreten Ange-
bote, die ihnen gemacht werden, annehmen müssen, wenn
sie die Transferleistungen, die sie bisher in Anspruch ge-
nommen haben, in vollem Umfang behalten wollen.

Ich möchte gerne noch drei weitere Punkte kurz anspre-
chen. Wenn wir in der nächsten Wahlperiode die Arbeitslo-
sen- und Sozialhilfe zusammenführen werden, dann wird
die schwierigste Frage sein: Wie soll die Finanzierung
durch Bund, Länder und Gemeinden aussehen? Die Ge-
meinden sind zurzeit diejenigen, die sich am meisten und
am zielgenauesten um die Menschen kümmern, die Leis-
tungen aus diesen Hilfesystemen beziehen. Die Gemeinden
müssen – darin bin ich mir ganz sicher – eine Schlüsselrolle
in dem neu zu schaffenden Hilfesystem übernehmen. Es
wird daher sehr wichtig sein, dass wir für die Gemeinden
eine verlässliche Grundlage zur Finanzierung der diesbe-
züglichen Aufgaben schaffen. Ziel muss es sein, zu ver-
meiden, dass die Gemeinden – es gibt viele Gemeinden, die
in Gebieten liegen, in denen es einen großen Struktur-
wandel gibt – das Risiko der Finanzierung der Langzeitar-
beitslosigkeit übernehmen. Wir müssen ein System schaf-
fen, das auf der einen Seite den Gemeinden den Anreiz
bietet, sich um die betroffenen Menschen zu kümmern und
davon auch zu profitieren, und das auf der anderen Seite
dafür sorgt, dass das Risiko der Finanzierung der Lang-
zeitarbeitslosigkeit beim Bund bleibt, weil wir in diesem
Parlament über die wichtigsten Instrumente der Steuer-,
der Wirtschafts- und der Sozialpolitik und damit auch in
starkem Maße über die wirtschaftliche Entwicklung in
Deutschland entscheiden. Diese Möglichkeiten haben die
Gemeinderäte nicht.

Wie sieht es mit der Sozialversicherungspflicht in
dem neu zu schaffenden Hilfesystem aus? Ich bin sehr
dafür, dass die Menschen Mitglied in der gesetzlichen




Karl-Josef Laumann
24442


(C)



(D)



(A)



(B)


Krankenkasse sind. Das ist bislang immer daran geschei-
tert, dass sich Krankenkassen und Sozialhilfeträger nie
über die Höhe des Krankenkassenbeitrages einig werden
konnten. Unser konkreter Vorschlag ist, dass die gesetz-
lichen Krankenkassen zwar die Finanzierung der Gesund-
heitsversorgung übernehmen, dass sie aber ihre Leistun-
gen mit den Sozialhilfeträgern spitz abrechnen. So können
wir das Problem der Höhe des Beitragssatzes lösen.

Ein allerletzter Punkt. Ich bin der Meinung, dass wir
uns die Vermögensfreigrenzen genau anschauen müs-
sen, bevor wir Veränderungen bei der Arbeitslosenhilfe
und der Sozialhilfe vornehmen. Ich halte vor allen Dingen
die Grenzen für die älteren Menschen für viel zu niedrig.
Wir alle sind uns sicherlich darüber einig, dass ein Einfa-
milienhaus, das von einer Familie bewohnt wird und das
eine bestimmte Größe nicht überschreitet, nicht einge-
bracht werden muss, wenn es um die Feststellung der Be-
dürftigkeit geht. Denken wir aber einmal an die Gebiete,
in denen es nicht üblich ist, ein Einfamilienhaus zu besit-
zen, und an die Menschen, die vielleicht nie das Geld hat-
ten, sich ein eigenes Haus kaufen zu können. Solche Men-
schen haben sich unter Umständen – weil sie viele Jahre
sparsam gelebt haben – 30000, 40000 oder 50000 DM er-
spart. Diese sollen nach Ihren Vorstellungen erst einen
Großteil ihres Vermögens aufbrauchen, bevor sie Hilfe-
leistungen in Anspruch nehmen können. Bei den Hausbesit-
zern sehen Sie das anders. Ich bin dagegen der Meinung
– das steht auch in unserem Antrag –, dass es insbesondere
für die Menschen, die mit 50 oder 55 Jahren Hilfeleistun-
gen in Anspruch nehmen, eine hohe Vermögensfreigrenze
geben muss, damit nicht die Früchte ihres langen Arbeits-
lebens zerstört werden. Deswegen bin ich sehr dafür, den
Unterschied zwischen der Behandlung von Immobilien-
besitz und Geldvermögen zu verringern.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir haben sehr sorgfältige Vorschläge gemacht und ei-

nen für eine Oppositionsfraktion sehr ausgefeilten Antrag
vorgelegt. Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie diesem
Antrag heute zustimmen würden; denn dann hätte die
Bundesregierung den Auftrag, in der nächsten Wahlperi-
ode in ein Gesetzgebungsverfahren einzutreten. Dass die
jetzigen Systeme in ihren Ergebnissen unbefriedigend
sind – sowohl für den Staat als auch für die Betroffenen –,
ist allen bekannt. Deswegen sollten wir einmal den Mut
haben, ein neues System zu schaffen, das den Menschen
vielleicht gerechter wird als das heutige.

Schönen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1424301800
Ich erteile Kollegin
Brigitte Lange, SPD-Fraktion, das Wort.


Brigitte Lange (SPD):
Rede ID: ID1424301900
Herr Präsident! Liebe Kolle-
ginnen und Kollegen! Herr Laumann, Sie haben mich mit
Ihrer Rede insofern überrascht, als Sie es im Gegensatz zu
den letzten Debatten, die wir zu diesem Thema im Ple-
num, aber auch im Ausschuss hatten, weitgehend vermie-
den haben, polemisch zu argumentieren.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Das tut der nie!)


– Lesen Sie nach und hören Sie zu! – Herr Laumann, es
gehört aber noch etwas dazu, was ich auf Ihrer Seite ver-
misse. Ich frage mich, ob Sie so viel Gelassenheit und
Realitätssinn aufbringen können, um die Regelungen, die
bereits Gesetz sind oder in Auftrag gegeben sind, einfach
einmal zur Kenntnis zu nehmen.

Sie sagen, wir möchten Ihren Antrag heute be-
schließen, damit die Bundesregierung einen Auftrag be-
komme. Einen solchen Auftrag hat sie. Den haben wir hier
beschlossen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Karl-Josef Laumann [CDU/CSU])


– Herr Laumann, wir haben nicht etwas anderes be-
schlossen, sondern wir haben etwas Umfassenderes be-
schlossen, nämlich die Gesamtreform der Sozialhilfe,
und dabei ist die Überprüfung der beiden Systeme; der
Sozialhilfe und der Arbeitslosenhilfe, ein Teilbereich, den
wir angesprochen haben.

Ich wäre dankbar, wenn in der fortschreitenden Dis-
kussion Ihre Beispiele nicht wieder den Eindruck er-
weckten, als würden Sie sich Ohren, Augen und Gedächt-
nis verstopfen – so vermittelt es sich mir manchmal –, um
keinen Vergleich zwischen der Ausgangslage 1998 und
heute ziehen zu müssen. Wir haben eine Menge großer
und kleiner Schritte zur Verbesserung getan, und zwar
auch zur Verbesserung der Lebenssituation von Sozial-
hilfeempfängern in den vorgelagerten Bereichen. Wir
werden sie zäh und beharrlich sowie mit Empathie für die
Menschen fortsetzen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Wolfgang Meckelburg [CDU/ CSU]: Die Übergangsregelung verlängert!)


Ihr Kanzlerkandidat meinte uns vor der BDA rügen zu
müssen. Er sagte, Schröder wolle nur, dass es den Unter-
nehmen gut gehe. Zur Erklärung: Zu Unternehmen
gehören Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Herr Stoiber
stellte fest, ihm sei es wichtig, dass es den Unternehmern
besser gehe.


(Erika Lotz [SPD]: Hört! Hört!)

Die Arbeitnehmer hat er dabei vergessen.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: So ein Blödsinn!)


Voller Begeisterung hat er festgestellt, Herr Hinsken
– wortwörtlich; ich habe zugehört –, dass das Maß aller
Dinge das Wirtschaftswachstum sei.


(Zuruf von der CDU/CSU: Fantasiert vom Himmel!)


Solche Aussagen bringen einen schon ins Grübeln, um es
freundlich auszudrücken. Ich glaube, dass eine Politik
dieser Art für unser Land nicht gut wäre.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir haben 1998 nicht den Jahrmarkt im Himmel ver-
sprochen. Wir waren sehr bescheiden. Schröder ist oft




Karl-Josef Laumann

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(C)



(D)



(A)



(B)


dafür gescholten und verhöhnt worden, dass er gesagt hat:
Wir wollen nicht alles anders, aber vieles besser machen.


(Zurufe von der CDU/CSU: Und selbst das war zu viel! – Das hat man gemerkt! – Bei euch ist alles schief gegangen!)


In dem „nicht alles anders“ drückt sich auch etwas aus,
was ich Ihnen für einen seriösen Wahlkampf empfehle: et-
was Bescheidenheit und auch Respekt und Anerkennung
gegenüber dem, was gelungen ist.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Er hat aber auch gesagt, dass er nichts aussitzen wolle,
und Sie haben sich sehr über seine Ankündigung aufge-
regt, er wolle besonders in Situationen großer Schwierig-
keiten und Aufgeregtheiten mit ruhiger Hand regieren.


(Harmut Schauerte [CDU/CSU]: 3,5 Millionen Arbeitslose!)


Ich tröste Sie mit einem Zitat von Laotse:
Durch Bewegung überwindet man Kälte. Durch
Stillhalten überwindet man Hitze. Der Weise vermag
es, durch seine Reinheit und Ruhe alle Dinge der
Welt ins Gleichmaß zu bringen.

(Beifall bei der SPD – Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Durch Taten macht man Politik!)


Auf diesem Weg sind wir seit 1998 gut vorangekommen.

(Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Rückwärts seid ihr gegangen!)

– „Rückwärts“, es geht schon wieder los.

Meine lieben Kolleginnen und Kollegen von der
CDU/CSU, Arbeitnehmerfamilien haben nicht weniger,
sondern mehr Geld in der Tasche. Den Familien geht es
nicht schlechter, sondern besser. Sie haben vorausgesagt,
dass Minister Riester scheitern werde. Inzwischen gibt es
die Riester-Rente, die zum Gütesiegel seiner Reform wer-
den wird.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Lachen bei der CDU/CSU – Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: In welcher Welt leben Sie, gnädige Frau?)


Im Vergleich mit 1998 ist die Arbeitslosigkeit im
Durchschnitt gesunken. Es gibt 430 000 Arbeitslose we-
niger; es gibt auch weniger Langzeitarbeitslose und weni-
ger arbeitslose Schwerbehinderte.


(Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Haben Sie schon einmal etwas von Vertragsstornierungen gehört? – Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Die Arbeitslosigkeit steigt seit Dezember 2000 Monat für Monat!)


Ferner gibt es 1,2 Millionen Erwerbstätige mehr, darunter
auch mehr Frauen, die aus der stillen Reserve heraus-
kommen. Des Weiteren haben mit unserem JUMP-Pro-
gramm 400 000 Jugendliche eine Chance bekommen.


(Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Ein Anstieg der Jugendarbeitslosigkeit um 16 Prozent in einem Jahr, Frau Lange!)


Aufgrund unserer Steuerentlastungen, der Familienförde-
rung und des Wohngeldes beziehen seit 1998 weniger
Menschen Sozialhilfe bei sinkenden Ausgaben in der So-
zialhilfe.

Ich bitte die FDP, zur Kenntnis zu nehmen, dass der in
ihrem Antrag genannte Betrag, nämlich angeblich 40Mil-
liarden DM im Jahr 1999 – ich warte eben, bis der Kol-
lege von der FDP mir sein Gehör leiht –,


(Dirk Niebel [FDP]: Ich höre Ihnen zu!)

falsch ist. Sie haben in Ihrem Antrag eine falsche Zahl ge-
nannt, die aber wichtig ist. Sie haben angegeben, dass
1999 die Ausgaben für Hilfe zum Lebensunterhalt rund
40 Milliarden DM betragen hätten. Bei dieser Summe
handelt es sich aber um die Gesamtausgaben für die So-
zialhilfe, das heißt für HLU und Hilfe in besonderen Le-
benslagen. Für die von Ihnen angesprochene Hilfe zum
Lebensunterhalt sind im Jahr 1999 19 Milliarden DM
verausgabt worden. Inzwischen sind die Ausgaben dafür
auf netto 8,7 Milliarden Euro gesunken.


(Beifall bei der SPD – Konrad Gilges [SPD]: Die Liberalen können nicht rechnen!)


Ich möchte zudem nur erwähnen, dass die Ausgaben
für Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe zurückgegan-
gen sind.

Wir behaupten nicht, dass wir alle Probleme hundertpro-
zentig gelöst hätten. Wir behaupten auch nicht, dass wir sie
gleich für das ganze Jahrhundert gelöst haben. – Diese Be-
hauptung kenne ich noch aus der Vergangenheit. – Das
können Sie kritisieren. Sie können für sich auch einen
Wechsel aus der Opposition erhoffen, aber dafür benöti-
gen Sie Konzepte, nicht nur ein Kompetenzteam.


(Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Genau das haben wir! – Gegenruf des Abg. Konrad Gilges [SPD]: Nein!)


Was das angeht, sieht es aber ziemlich mau aus. Ihre Kon-
zepte sind widersprüchlich und manchmal furchtbar alt-
backen und von vorgestern.


(Beifall bei der SPD)

Manchmal weiß man auch nicht, was Sie eigentlich mei-
nen, weil sich in kurzer Folge die Widersprüche häufen.
Wir haben erst gestern über einen dieser Widersprüche ge-
redet.


(Beifall bei der SPD)

Was ich aber für schlimm und den Wählerinnen und

Wählern für nicht angemessen halte, ist, dass Sie auf
Stimmungen setzen. Späth hat zwar festgestellt, dass Po-
litik und Wirtschaft zu 70 Prozent aus Psychologie be-
stünden – er ist wenigstens noch ein Optimist –, aber un-
ter Ihnen, lauter enthusiastischen Pessimisten, wird er
kaum eine Chance haben. Dieser Pessimismus und diese
Schwarzmalerei finden sich auch in Ihren Anträgen – trotz
der Ansätze, die ich auch respektiere, Herr Laumann –,
aber auch in denen der FDP, die wir heute beraten. Es geht
dabei grundsätzlich um die Forderung, die Arbeitslosen-
hilfe und die Sozialhilfe zusammenzulegen. Was mir da-
bei besonderen Kummer bereitet, ist Folgendes: Sie ne-
gieren Regelungen, die bereits bestehen. Sie arbeiten mit




Brigitte Lange
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Unterstellungen und beleben alte Vorurteile. Sie wollen
weder die Unterschiede begreifen noch die Komplexität
– das gilt besonders für die FDP – und ihnen nicht Rech-
nung tragen.


(V o r s i t z : Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms)


Aus einer falschen Diagnose wird aber auch keine rich-
tige Therapie. Wer eine Vereinheitlichung fordert, muss
zur Kenntnis nehmen, dass zwar beides steuerfinanzierte
Leistungen sind, aber sehr unterschiedliche Systeme. So-
zialhilfe soll ein menschenwürdiges Leben sichern. Diese
Aufgabe hat Arbeitslosenhilfe nicht, sondern sie ist abge-
leitet von dem, was man vorher verdient hat. Reicht das
zur Existenzsicherung nicht aus, dann gibt es nur genau
ergänzendes Geld. Weil sie unterschiedliche Zielsetzun-
gen haben, sind sie unterschiedlich geregelt. Die Leistun-
gen der Arbeitslosenhilfe sind in der Regel höher; sie
können auch mal niedriger sein.


(Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Wollen Sie die zusammenführen oder nicht? – Dirk Niebel [FDP]: Nicht vor der Wahl!)


Zugleich sind alle Arbeitslosenhilfebezieher sozialversi-
chert.


(Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Richtig!)

Haben Sie eigentlich so richtig umfänglich bedacht,

welche Auswirkungen das hätte, wenn man das zusam-
menführt?


(Dirk Niebel [FDP]: Haben Sie den Antrag eigentlich gelesen? – Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Steht im Antrag drin!)


Der Bund finanziert die Arbeitslosenhilfe und entlastet
damit die Kommunen und trägt auch zu einem Ausgleich
bei, insbesondere für von Arbeitslosigkeit betroffene
Kommunen. Haben Sie darüber nachgedacht, wie Sie das
machen wollen?


(Dirk Niebel [FDP]: Lesen Sie doch einmal den Antrag! Steht alles drin!)


– Den Antrag habe ich sehr genau gelesen. Sie zeigen dort
sehr wenige Problemlösungen auf. Sie haben den schma-
len Blick auf die Sache, die Sie wollen, gerichtet, aber
nicht darauf, was damit verbunden ist. Dass man in einem
Gesamtsozialsystem nicht an einem Baustein arbeiten
kann, ohne die anderen auch zu treffen, müssten Sie als
Sozialpolitiker eigentlich wissen.

Bei Ihnen dominieren die Vorurteile; sie kommen trotz
aller Ihrer Beteuerungen immer wieder stark durch. Ich
frage mich, was Ihnen eigentlich Sozialhilfebezieher und
Arbeitslose getan haben, dass Sie sie immer wieder unter
den Generalverdacht stellen, dass sie nicht arbeiten woll-
ten, sich in der sozialen Hängematte wohl fühlten und
Leistungen zu Unrecht bekämen.


(Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Wer sagt das? – Abg. Wolfgang Meckelburg [CDU/ CSU] meldet sich zu einer Zwischenfrage)


– Ich beantworte jetzt keine Zwischenfrage. – Außerdem
verhinderten die hohen Transfers die Arbeitsaufnahme.

Arbeitgeber stellen das ja gerne fest, um das Existenzmi-
nimum zu beseitigen, weil die Ausdifferenzierung der
Löhne – –


(Zurufe des Abg. Dirk Niebel [FDP])

– Sie reden doch gleich noch; machen Sie es doch an-
schließend. Oder darf er heute nicht reden?


(Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Wer hat denn die Arbeitslosen als Faulenzer bezeichnet? Der Bundeskanzler! – Gegenruf des Abg. Konrad Gilges [SPD]: Hat er nicht! Das Zitat ist falsch! Wie vieles bei Ihnen falsch ist!)


– Gut, ich werde Ihnen darauf antworten: Wenn er von ei-
nem Reporter gefragt wird, ob es möglich ist, zu Unrecht
Sozialhilfe zu beziehen oder die Arbeitsaufnahme zu ver-
weigern, dann muss er darauf antworten, dass das nicht
geht. Damit hat er auch Recht.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Sie aber sind immer der Meinung, man müsse diesen

Leuten erst auf die Füße treten oder sie an die Kandare
nehmen.


(Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Ein Angebot!)


Selbst wenn das so wäre, Herr Weiß, kommen Sie mit
Ihren Methoden nicht weiter. Das ist wirklich eine pädago-
gische Auffassung aus dem vorletzten Jahrhundert.


(Beifall bei der SPD – Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Es reicht langsam mit den Beschimpfungen, Frau Lange!)


Das DIW hat am 30. Mai 2002 eine Untersuchung ver-
öffentlicht. Es ging darum festzustellen, ob Arbeitslose
arbeitsunwillig sind. Das Ergebnis war, dass 80 Prozent
der registrierten Arbeitslosen dem Arbeitsmarkt zur Ver-
fügung stehen, 60 Prozent sofort, davon 90 Prozent der
jungen Arbeitslosen. 40 Prozent schaffen es, einen Ar-
beitsplatz innerhalb eines Jahres zu finden. So viel zu der
Trägheit von Arbeitslosen. Daneben gibt es diejenigen,
die resigniert haben, weil sie sich in einem Alter befinden,
wo sie entgegen aller forschen Aussagen der Unternehmer
nicht mehr eingestellt werden, oder weil sie zig Bewer-
bungen geschrieben haben, auf die ihnen jedes Mal ge-
antwortet wurde, dass man sie nicht mehr wolle.

Ich sage Ihnen: Nein, Ihre Vorstellungen von Anreizen
sind keine Visionen, sondern die gibt es bereits alle. Ich
könnte Ihnen dafür auch Stellen aus dem Sozialhilfe-
gesetz zitieren.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1424302000
Frau
Kollegin Lange, kommen Sie bitte zum Schluss.


Brigitte Lange (SPD):
Rede ID: ID1424302100
Ich komme gleich zum
Schluss.

Mit der Umkehr der Beweislast, mit Quartalsmelde-
pflichten und mit der Beschränkung der Leistungsdauer
von Arbeitslosengeld kommen Sie überhaupt nicht weiter.
Sie sollten uns folgen. Wir wollen die Situation von Ar-
beitslosenhilfe- und Sozialhilfebeziehern verbessern. Der




Brigitte Lange

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Bezug von Sozialhilfe darf kein Dauerzustand sein. Wir
werden mit unseren Reformen dazu beitragen, dass ein
solcher Dauerzustand überwunden wird. Unsere Refor-
men sind eingeleitet worden. Ich fordere Sie auf, sich an
unseren Reformen zu beteiligen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Wolfgang Meckelburg [CDU/ CSU]: Die Rede war leider nicht sachlich!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1424302200
Das Wort
hat jetzt der Kollege Dirk Niebel von der FDP–Fraktion.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Jetzt wird einiges wieder zurechtgerückt!)



Dr. h.c. Dirk Niebel (FDP):
Rede ID: ID1424302300
Herr Präsident! Meine sehr ver-
ehrten Damen und Herren! Der Umgang mit dem Thema
der Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozial-
hilfe ist ein Paradebeispiel für die Politik der ruhigen
Hand sowie für Untätigkeit und Unfähigkeit dieser Re-
gierung. Dieser Umgang steht im Gegensatz zu den blu-
migen Ankündigungen des Bundeskanzlers in seiner Re-
gierungserklärung, bei der Reform der Sozialhilfe einen
grundlegenden Schritt zu gehen. Frau Kollegin Lange, es
ist mir unbegreiflich, warum Sie mit dieser Regierung
noch irgendetwas zu tun haben, wenn Sie alles negieren,
was diese Regierung sagt.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Rolf Stöckel [SPD]: Ihr habt doch 16 Jahre nichts auf die Reihe gekriegt!)


Der Bundesarbeitsminister hat in diesem Hause die
Notwendigkeit der Zusammenlegung der beiden steuerfi-
nanzierten Transferleistungen Arbeitslosenhilfe und So-
zialhilfe vom Grundsatz her schon vielfach anerkannt. Vor
der Bundestagswahl traut er sich bloß nicht, die ersten
notwendigen Weichenstellungen vorzunehmen; denn er
hat Angst, dass ihm gerade der Gewerkschaftsflügel der
SPD massiv in die Parade fährt.


(Konrad Gilges [SPD]: Die Rede haben Sie schon dreimal hier gehalten! Sagen Sie doch einmal etwas Neues! Die können wir schon auswendig!)


Eines ist selbstverständlich klar: Wir müssen auch in die-
sem Land dem Gerechtigkeitsprinzip „Keine Leistung
ohne grundsätzliche Bereitschaft zur Gegenleistung“ wie-
der Geltung verschaffen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Herr Gilges, an diesem Punkt widerspreche ich dem

Bundeskanzler ausdrücklich: Selbstverständlich gibt es in
einer liberalen Gesellschaft ein Recht auf Faulheit. Es gibt
aber keinen Anspruch darauf, dass die Allgemeinheit sie
finanziert.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Es gibt 2,7 Millionen Sozialhilfeempfänger. Ungefähr

800 000 davon sind grundsätzlich arbeitsfähig. Wir müs-
sen Anreize schaffen, diesen Menschen die Rückkehr in
den ersten Arbeitsmarkt zu erleichtern.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP)


Das schaffen wir nicht, wenn es weiterhin möglich ist,
dass jemandem, der hinzuverdient, fast alles von dem,
was er verdient, wieder abgezogen wird. Jemand, der
wirtschaftlich klar denkt, muss sich sagen: Es lohnt sich
nicht, legal zu arbeiten. Er findet andere Wege. Deswegen
müssen wir die Freibeträge im Rahmen der sozialen
Transferleistungen langsam erhöhen. Wir müssen dafür
sorgen, dass es sich wieder lohnt zu arbeiten. Wir müssen
dafür sorgen, dass derjenige, der in den Arbeitsmarkt
zurückkehrt, mehr in der Tasche hat als derjenige, der
nicht zurückkehrt.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Das bedeutet in der Konsequenz natürlich auch, dass

wir die im Moment vorgesehenen Sanktionsmechanis-
men besser anwenden müssen. Zurzeit ist es so, dass die
Sozialbehörde nachweisen muss, dass jemand nicht ar-
beiten will. Wir sind der Ansicht: Wenn jemand Hilfe vom
Staat, also von allen Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern,
haben möchte, dann ist es gegenüber dem Hilfeempfänger
durchaus nicht zu viel verlangt, dass er nachweist, dass er
nicht arbeiten kann. Wenn wir das erreichen, wird denje-
nigen, die unserer Hilfe bedürfen, ein Leben in Würde
tatsächlich finanziert werden können.

Allein die Doppelverwaltung von Arbeitslosenhilfe
und Sozialhilfe kostet uns im Jahr 3,5 Milliarden Euro.
Das ist doch hanebüchen. Wenn wir das Geld zur Verfü-
gung hätten, um die Reintegration der Hilfeempfänger in
den Arbeitsmarkt zu verbessern, dann wäre allen wesent-
lich mehr geholfen.


(Beifall bei der FDP – Konrad Gilges [SPD]: Quatsch!)


Von daher fordert die FDPmit einem ganz klaren Kon-
zept, Kollegin Lange – offenkundig haben Sie die letzten
Seiten unseres Antrags nicht bekommen oder nicht gele-
sen –, die Zusammenführung von Arbeitslosenhilfe und
Sozialhilfe, ohne dass die Kommunen mehr belastet wer-
den, als es jetzt der Fall ist. Das unterscheidet unseren An-
trag von dem der Union sehr. Wir begrüßen diesen Antrag
ansonsten durchaus, weil er ein Schritt in die richtige
Richtung ist.

Wir wollen den Ländern und Gemeinden, die die So-
zialhilfekosten zu tragen haben, die Mittel, über die der
Bund im Moment dafür aufwendet, in Form eines Budgets
nach dem Schlüssel der Arbeitslosenhilfeempfänger zu-
kommen lassen. Dieses Budget stärkt auch den Anreiz für
die Kommunen, ihre Hilfeempfänger möglichst schnell in
den Arbeitsprozess zurückzuführen. Dieses Budget be-
deutet in der Konsequenz, dass diejenige Gemeinde oder
diejenige Stadt, die ihren Hilfeempfänger schnell in Ar-
beit vermitteln kann, Geld übrig hat, das sie zur Verbes-
serung der Infrastruktur verwenden kann. Dadurch be-
kommt sie wirklich einen fiskalischen Anreiz, ihre
Hilfeempfänger schnell zu vermitteln.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das geht nur, wenn wir diese Hilfesysteme hinsichtlich
des verwaltungstechnischen Ablaufs in ein neues Korsett
bringen. Es soll nur noch einen Ansprechpartner geben.
Außerdem schlagen wir ein Jobcenter vor, in dem die Hil-




Brigitte Lange
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(B)


feempfänger umfassend betreut werden – von der staat-
lichen über die private Arbeitsvermittlung hin zu Zeitar-
beitsfirmen und Bildungsträgern. Dazu gehören auch
Qualifizierungsmaßnahmen, die im Haus am Computer
oder mit welchen Hilfsmitteln auch immer durchgeführt
werden können, und Umschulungsmaßnahmen. Dazu
zählen weiterhin Schuldnerberatung und Therapieange-
bote aus einer Hand, damit all diejenigen, die Hilfe brau-
chen, sie sofort bekommen.

Wir wollen mit unserem Konzept der Zusammenle-
gung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe die Teilha-
bemöglichkeiten der Menschen in dieser Gesellschaft
verbessern. Wir wollen Chancen schaffen, dabei zu sein.
Dabei zu sein bedeutet, mehr Freiheit zu haben. In 100 Ta-
gen ist Freiheitszeit.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zuruf von der SPD: Das tut ja weh!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1424302400
Das Wort
hat jetzt die Kollegin Ekin Deligöz vom Bündnis 90/
Die Grünen.


Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1424302500
Herr
Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir reden
hier wieder einmal über die Sozialhilfe, über die letzte tra-
gende Säule des Sozialstaates. Diese Säule dient dazu, das
soziokulturelle Existenzminimum in Deutschland sicher-
zustellen. Mit ihr wird dafür Sorge getragen, dass die Ar-
mut bekämpft wird, sodass wir sie in unserem reichen
Land nicht erleben müssen. Es geht aber auch um Vertei-
lungsgerechtigkeit und Chancengleichheit.


(Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Aber in beide Richtungen!)


Am Anfang war ich angenehm überrascht, Herr
Laumann. Es schien so zu sein, dass wir eine grundsolide
Debatte darüber führen könnten, wie wir in diesem Be-
reich gemeinsam vorankommen können.


(Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Laumann war grundsolide! – Dirk Niebel [FDP]: Das war eine sehr gute Rede!)


Nach der Rede von Herrn Niebel muss ich aber sagen: Sie
dürfen nicht so tun, als ob die Menschen, die Sozialhilfe
oder Arbeitslosenhilfe beziehen, ein Wahlrecht zwischen
Arbeitsaufnahme und Sozialhilfe oder ein Wahlrecht zwi-
schen faul sein und arbeiten gehen hätten. Das ist de facto
nicht der Fall. Es gibt heute schon in beiden Systemen
Sanktionsmöglichkeiten.

Wir haben die Sanktionsmöglichkeit, beispielsweise
die Sozialhilfe um bis zu 25 Prozent zu kürzen oder auch
komplett zu streichen, wenn sich die betreffenden Men-
schen offenkundig weigern, eine Arbeit anzunehmen. Das
ist heute schon möglich. Sie reden über Jobcenter; einen
entsprechenden Vorschlag haben Sie gemacht. Aber die
gibt es doch schon heute. Entsprechende Regelungen ha-
ben wir gesetzlich verankert.

Sie reden über eine bessere Qualifizierung. Genau in
diesen Bereich investieren wir. Die Zahl der Qualifizie-
rungsmaßnahmen ist gestiegen. Sie reden darüber, dass
man Sozialhilfeempfängern einen Zugang zum Arbeits-
markt schaffen sollte, damit sie eine Arbeit aufnehmen
können. Das geht doch heute auch schon. Sie reden da-
rüber, dass wir keine Weichen gestellt und dass wir nichts
getan hätten. Ich erinnere Sie an die vielen Modell-
projekte, die zurzeit laufen, und nenne in diesem Zusam-
menhang das Modellprojekt MoZArT, in dem es um die
Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe
sowie um Pauschalbeträge geht. Damit wird die Verant-
wortung des mündigen Bürgers herausgestellt.

Ich nenne ferner das Mainzer Modell, in dem es darum
geht, Anreize zu schaffen, damit die Menschen eine Ar-
beit aufnehmen können, ohne sich fragen zu müssen, ob
es sich rentiert, zu arbeiten. Genau das ist das Ziel des
Mainzer Modells. Nicht zuletzt haben wir das Job-
AQTIV-Gesetz verabschiedet, das sich auf die Langzeit-
arbeitslosen konzentriert. Kernpunkt dieses Gesetzes ist
das Konzept des Förderns und des Forderns.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Hartmut Schauerte [CDU/ CSU]: Aber es hilft nichts!)


– Sie sagen jetzt, es helfe nicht. Dieses Gesetz ist seit dem
1. Januar 2002 in Kraft. Wie können Sie erwarten, dass
man nach wenigen Monaten schon entscheiden kann, ob
dieses Gesetz hilft oder nicht? Selbstverständlich hilft
dieses Konzept.


(Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Um ältere Leute aus der Arbeitsmarktstatistik herauszubringen!)


Sie müssen nur genau hinschauen und dem Gesetz Zeit
geben, seine Wirkung zu entfalten.


(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Es hilft nicht!)


Aber das tun Sie nicht. Bevor Sie unser Gesetz kritisieren,
sollten Sie sich besser informieren.

Sie reden zwar. Trotzdem muss man fragen: Wo sind
die Taten?


(Dirk Niebel [FDP]: Sie regieren doch! Wo sind denn Ihre Taten? Ruhige Hand!)


Die Taten werden von der anderen Seite des Hauses voll-
bracht. Diese Regierung hat gehandelt. Während Sie re-
den, setzen wir unsere Maßnahmen um.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Ich komme jetzt zu den Zahlen, die Sie so vollmundig
verkünden. Ich zitiere einmal aus dem Armuts- und Reich-
tumsbericht der Bundesregierung. Diese Bundesregie-
rung hat als erste Regierung einen solchen Bericht erstellt.
Wir wollen Transparenz und Ehrlichkeit. Deshalb wollen
wir nicht nur über Armut, sondern auch über Reichtum in
diesem Land informiert werden. Wir wollen wissen, wie
die Zahlen sind und uns offen dazu bekennen.


(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Sie sind ratlos und tatenlos!)





Dirk Niebel

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Wir reden über die 2 879 000 Empfänger von Hilfe
zum laufenden Lebensunterhalt, nicht aber über die be-
dürftigen Menschen, wie es von der FDP immer wieder
verwechselt wird. Darunter sind Minderjährige, darunter
sind Personen über 60 Jahre, darunter sind wegen häusli-
cher Bindung nicht erwerbstätige Menschen – sie be-
treuen Pflegebedürftige oder haben Kinder unter drei Jah-
ren –, darunter sind wegen Krankheit, Behinderung oder
Arbeitsunfähigkeit nicht erwerbstätige Menschen. Darun-
ter sind auch Vollzeit- oder Teilzeiterwerbstätige, die ein
niedriges Einkommen haben. Darunter sind aufgrund von
Qualifikationsmaßnahmen, Weiterbildung oder Ausbil-
dung nicht erwerbstätige Menschen. Darunter sind auch
Menschen, die nicht arbeiten können, weil sie zwei Kin-
der im Alter von über drei Jahren haben, aber Alleinerzie-
hende sind und nicht wissen, wo die Kinder betreut wer-
den sollen, wenn der Kindergarten um 12.30 Uhr schließt,
sich die Teilzeitarbeit aber bis 13 Uhr erstreckt.

Wir müssen uns zu diesen Menschen bekennen, die wir
nicht bestrafen wollen und auch nicht bestrafen sollten,
weil sie ein Teil dieser Gesellschaft sind; ihnen müssen
wir Rückendeckung geben. Wenn wir deren Zahl abzie-
hen, dann reden wir über 400 000 Menschen.


(Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Das stimmt nicht! 800 000!)


Diesen Menschen wird vonseiten der FDP und teilweise
auch der CDU/CSU unterstellt, sie seien einfach nur faul
und wollten nicht arbeiten.


(Dirk Niebel [FDP]: Quatsch! Das hat der Kanzler gemacht, nicht wir! Nur um das klarzumachen: Das war der Kanzler!)


– Nein, das hat nicht der Kanzler gemacht.
In der weiteren Debatte sagen Sie, wir könnten die ge-

samten Mittel durch die Zusammenlegung von Arbeitslo-
sen- und Sozialhilfe einsparen; es ginge noch viel besser,
wenn wir das Geld zugunsten von Familien einsparten
und es für das 600-Euro-Familiengeld-Konzept einsetz-
ten. Ich finde schon die Rechnung seltsam, bei
400 000 Menschen 20 Milliarden Euro einzusparen; denn
das Gesamtbudget für das Sozialhilfesystem beträgt
21 Milliarden Euro.

Aus dem eingesparten Geld soll ein Familiengeld für
die Eltern von Kindern in den ersten drei Lebensjahren fi-
nanziert werden. Sie wollen die gesamte Sozialhilfe ab-
schaffen und auch den sehr gut verdienenden Partner mit
dem 600-Euro-Konzept fördern. Sie schaffen damit eine
Herdprämie für Frauen, damit sie nicht erwerbstätig wer-
den oder sind. Ich zitiere Herrn Friedrich Merz, der sagte:
Darin sehen wir die Lösung des Arbeitsmarktproblems.


(Beifall der Abg. Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Anschließend erklären Sie hier, wie toll Ihr Konzept ist. Ich
sage Ihnen: Ihr Konzept ist nichts anderes als eine Lüge.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Was müssen die Eckpunkte eines Sozialsystems sein?
Wir brauchen ein System, das unbürokratisch, transparent

und bürgergerecht ist, ein System, das für die Menschen
weniger entmündigend ist und mehr auf sie ausgerichtet
ist, das Anreize setzt, erwerbstätig zu sein, aber vor allem
ein System, bei dem die Menschen und nicht irgendwel-
che Vorurteile ihnen gegenüber im Mittelpunkt stehen. In
diesem System – das haben Sie in Ihren Konzepten über-
haupt nicht vorgesehen – brauchen wir auch Infrastruktur.

40 Prozent der Sozialhilfeempfängerinnen sind allein
erziehende Frauen. Für diese Frauen brauchen wir Kin-
derbetreuungseinrichtungen, die ihnen Erwerbstätigkeit
erst grundsätzlich ermöglichen. Wir brauchen ein System,
das Familien aus der Sozialhilfe herausholt. Dazu brau-
chen wir aber nicht diese Faulheitsdebatte, sondern Hilfe-
stellungen.


(Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Familiengeld heißt das bei uns!)


Unser Vorschlag einer Kindergrundsicherung ist eine
Lösung, die finanzierbar, systemkompatibel und sofort
umsetzbar ist,


(Zuruf von der CDU/CSU: Unseres auch!)

mit der Familien aus dem Sozialhilfesystem herausgeholt
werden, die dafür sorgt, dass keine Familie sozialhilfebe-
dürftig wird, weil Kinder da sind, eine Lösung, die vor al-
lem Anreize zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit stei-
gert, weil das Geld nicht wie im derzeitigen System eins
zu eins angerechnet wird.

Eine unserer wichtigsten Forderungen ist die Sen-
kung der Lohnnebenkosten. Eine weitere Forderung
richtet sich auf eine sehr gute und intensive Arbeits-
marktpolitik, deren Eckpunkte wir nicht nur festgelegt,
sondern bereits umgesetzt haben. Ein ganz wichtiger
Punkt, über den derzeit debattiert wird, ist folgender:
Wir müssen auch Schwarzarbeit und illegale Beschäfti-
gung aktiv bekämpfen. Dazu haben wir einen Gesetz-
entwurf vorgelegt, der noch immer im Bundesrat liegt.
Sie stimmen dagegen.

Wenn Sie das, was Sie in Bezug auf die Armuts-
bekämpfung und das Setzen von Anreizen für die Er-
werbsarbeit sagen, ernst meinen, dann müssen wir auch
Schwarzarbeit und illegale Beschäftigung, die immer zu-
lasten von Menschen gehen, bekämpfen. Sie haben jetzt
die einmalige Chance, dabei mitzumachen. Was hält Sie
davon ab? Machen Sie doch einfach mit!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Ich sage Ihnen, was unsere Konzepte im Wesentlichen
von Ihren Konzepten unterscheidet: Es ist das Men-
schenbild, das dahinter steht. Wir gehen noch immer vom
guten Menschen aus, der einen Anspruch auf Unterstüt-
zung durch den Staat hat, der nicht von Grund auf schlecht
ist.


(Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Meinen Sie wirklich, das wäre anders als unser Menschenbild? Wovon reden Sie eigentlich?)


Deshalb ist unser Leitmotto jetzt und auch in Zukunft,
vor allem aber in diesem Wahlkampf: Im Zweifelsfall sind
wir für den Menschen, mit den Armen und den Bedürfti-




Ekin Deligöz
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(D)



(A)



(B)


gen sowie mit den Familien, egal ob allein erziehend oder
nicht, und nicht gegen sie.


(Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Das sind wir auch! Bauen Sie keinen Popanz auf! – Dirk Niebel [FDP]: Seien Sie vorsichtig! Ich habe noch zwei Minuten! Ich melde mich noch mal, wenn das so weitergeht! – Gegenruf des Abg. Franz Thönnes [SPD]: Das ist aber eine starke Drohung!)


Das ist unsere Antwort und daran werden wir festhalten.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1424302600
Das Wort
hat jetzt die Kollegin Pia Maier von der PDS-Fraktion.


Pia Maier (PDS):
Rede ID: ID1424302700
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen
und Herren! Ich hoffe, dass sich die SPD und die Grünen
auch in der nächsten Legislaturperiode noch an diese Re-
den erinnern werden.


(Beifall bei der PDS)

Sie reden von der Verzahnung der Arbeitslosenhilfe

und der Sozialhilfe. Die CDU/CSU und die FDP sprechen
etwas klarer von der Abschaffung der Arbeitslosenhilfe.


(Dirk Niebel [FDP]: Zusammenführung zu einem System haben wir gesagt!)


In dem Papier der SPD-regierten Länder steht aber auch,
dass sie Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe zu einem Sys-
tem zusammenlegen möchten. Das kann doch nicht an-
ders aussehen, als dass die Arbeitslosenhilfe im Wesentli-
chen abgeschafft wird; denn die Sozialhilfe kann man
nicht abschaffen. Das würde ihrem Grundsatz widerspre-
chen.


(Adolf Ostertag [SPD]: Lesen Sie noch einmal das Programm! Was Sie sagen, stimmt nicht!)


Wir werden sehen, was Sie in den nächsten Jahren ma-
chen. Ich weiß, was Sie in Ihr Wahlprogramm geschrie-
ben haben. Ich hoffe, dass Sie das hinterher auch umset-
zen werden. Aber die Signale, die von Herrn Gerster und
von Herrn Eichel kommen, widersprechen leider den Sig-
nalen, die von Herrn Riester kommen. Wir werden sehen,
ob er dann noch Arbeitsminister ist.


(Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Das ist die Frage! – Konrad Gilges [SPD]: Wir werden nach dem 22. September vieles sehen!)


Von der CDU/CSU und der FDP haben wir die altbe-
kannte Leier gehört. Sie sagen immer wieder, man müsse
den Leuten weniger geben, damit sie arbeiten.


(Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Mehr! Da haben Sie falsch gelesen!)


Sie drohen damit, dass die Arbeitslosen gar nichts mehr
bekommen, wenn sie nicht ihren Arbeitswillen zu jeder
Bedingung nachweisen, also auch für einen Hungerlohn
arbeiten würden. Dann, versprechen Sie, werde es neue
Arbeitsplätze geben. Ich sage: Das ist alles Quatsch.

Zu der Behauptung, dass Arbeitslose nicht arbeiten
wollten, ist von Frau Lange schon die DIW-Studie zitiert
worden. Ich füge hinzu, dass es kein Wunder ist, dass die
Arbeitslosen keine Arbeitsstellen bekommen, solange wir
fast 4 Millionen Arbeitslose haben. Vermutlich fehlen so-
gar 7 Millionen Arbeitsplätze. Angeblich sind 1,5 Milli-
onen Stellen offen. Gemeldet sind lang nicht so viele. Auf
jede gemeldete freie Stelle kommen im Augenblick 7,6Ar-
beitslose. Bei einem solchen Verhältnis kann man es den Ar-
beitslosen nicht zum Vorwurf machen, wenn sie keine Stelle
finden. Sie wollen arbeiten, bekommen aber keine Arbeit.


(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der SPD)


Zu Ihrer zweiten Grundprämisse. Sie sagen immer
wieder, die Menschen, die Leistungen bezögen, bekämen
zu viel; der Anreiz zu arbeiten sei zu gering. Ich sage: Die
Sozialhilfe und die Arbeitslosenhilfe sind nicht so hoch.
Es lohnt sich für jeden zu arbeiten; der Lohnabstand ist
gewahrt, solange Tariflöhne gezahlt werden. Das ist auch
richtig so, denn Niedriglöhne sind der falsche Weg, die
Leute in Arbeit zu bringen. Damit verlagern Sie die Pro-
bleme und schicken die Leute in die Armut.

Sie schicken mit Ihrem Vorschlag, die Arbeitslosen-
hilfe abzuschaffen, fast 1,5 Millionen Menschen in die Ar-
mut. Ich möchte Ihnen an einem Beispiel vorrechnen, was
passiert, wenn die Arbeitslosenhilfe abgeschafft wird. Ich
nehme dafür das Beispiel einer Durchschnittsfamilie.
Der Ehemann, 42, verdient – so ist der bundesweite Durch-
schnitt – knapp 2 400 Euro. Die Ehefrau ist ebenfalls er-
werbstätig; sie verdient zwei Drittel des Durchschnittsent-
gelts – so ist leider die Realität –, knapp 1 600 Euro. Beide
haben Steuerklasse IV, ein Kind; Warmmiete 465 Euro.

Im Falle der Arbeitslosigkeit würde sich das Haushalts-
einkommen dieser Familie nach der Abschaffung der Ar-
beitslosenhilfe um 438 Euro verringern. Denn die Arbeits-
losenhilfe, auf die der Ehemann einen Anspruch hätte, geht
vom ehemaligen Lohn aus. Das Haushaltseinkommen läge
bei knapp 2 000 Euro. Die Sozialhilfe geht vom Bedarf
der Familie aus. In der Sozialhilfe liegt der Bedarf dieser
Beispielfamilie bei 1 287 Euro. Diese 1 287 Euro blieben
für die Familie, wenn die Arbeitslosenhilfe abgeschafft
würde. Das Kindergeld käme nicht hinzu.


(Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Bei uns kommt das Familiengeld dazu! Das wäre eine völlig andere Situation!)


Das Einkommen der Ehefrau müsste hinzugerechnet wer-
den. Eventuell bestehendes Vermögen müsste aufge-
braucht werden. Eine Durchschnittsfamilie hätte438 Euro
weniger, wenn die Arbeitslosenhilfe abgeschafft würde.
Das sind Ihre Vorschläge.


(Beifall bei der PDS – Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Das Wohngeld haben Sie aber vergessen, Frau Maier!)


– Ich habe das Wohngeld mit eingerechnet. Sie können
diese Beispiele nachlesen; ich habe sie mir nicht allein
ausgedacht. Sie stammen von Johannes Steffen von der
Arbeiterkammer Bremen und sind im Internet zu finden.

Der Vorschlag, die Arbeitslosenhilfe abzuschaffen, ist
ein Verarmungsprogramm für all diejenigen, die länger




Ekin Deligöz

24449


(C)



(D)



(A)



(B)


als 12 Monate arbeitslos sind und nicht schon vorher arm
waren. Wir wollen die Arbeitslosenhilfe ganz bestimmt
nicht abschaffen. Wir wollen, dass diese Leistungen, das
Arbeitslosengeld und die Arbeitslosenhilfe, ausgebaut
werden. Denn die Menschen, die diese Leistungen be-
kommen, leben schon heute häufig in Armut.

Wir fordern eine Grundsicherung in der Arbeitslosen-
versicherung. Arbeitslosen sollen Leistungen in Höhe der
Sozialhilfe von Amts wegen garantiert werden. Wir for-
dern einen gesetzlichen Mindestlohn, das heißt einen
Stundenlohn von 9,42 Euro. Er soll dafür sorgen, dass
Menschen, die arbeiten, nicht arm sind.

Das sind zukunftsweisende Vorschläge. So lassen sich
die Prinzipien des Sozialsystems erhalten. Man sollte die
Menschen nicht mit Niedriglöhnen in die Armut treiben.
Denn wenn sie auf Lohnersatzleistungen angewiesen
sind, bekommen sie zu wenig. Davon können sie im Alter
garantiert nicht mehr leben; denn auch die Riester-Rente
hilft ihnen nicht.

Zu Ihren Vorstellungen bleibt mir zum Schluss nur zu
sagen: Hände weg von der Arbeitslosenhilfe! Richten Sie
eine Grundsicherung ein! Das wäre ein besserer Weg für
die Menschen, die Hilfe brauchen. Führen Sie einen Min-
destlohn ein! Damit würden die Menschen, die Arbeit ha-
ben, ordentlich entlohnt.

Danke.

(Beifall bei der PDS)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1424302800
Das Wort
hat jetzt der Kollege Konrad Gilges von der SPD-Frak-
tion.

Konrad Gilges (SPD) (von Abgeordneten der SPD
mit Beifall begrüßt): Herr Präsident! Meine sehr verehr-
ten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wir beschäftigen uns heute mit Anträgen der CDU/CSU
und der FDP.


(Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Das zeigt unsere Produktivität!)


Diese Anträge sind ein Ausdruck Ihrer 16-jährigen Ver-
säumnisse.


(Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Das ist wieder die alte Leier! – Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Können Sie eigentlich etwas Neues sagen? – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Sie haben in vier Jahren mehr versäumt als wir in 16 Jahren, Herr Gilges!)


Wenn man sie liest, fragt man sich: Warum haben die Da-
men und Herren, die schon vor unserer Regierungszeit im
Parlament waren und regiert haben – der Herr Kolb war
sogar Mitglied der Regierung; das war ein wichtiger
Mann in dieser Regierung –, das alles, was Sie in Ihre An-
träge hineingeschrieben haben, nicht schon längst in die-
sen 16 Jahren umgesetzt?


(Dirk Niebel [FDP]: Da war ich noch gar nicht im Parlament!)


– Sie kommen wahrscheinlich nicht mehr hinein. Das ist
kein Verlust für das Parlament, Herr Niebel.


(Beifall bei der SPD – Dirk Niebel [FDP]: Ich komme wieder hinein! Aber Sie kommen aus Köln! Sie kommen sicher nicht wieder hinein!)


In den 16 Jahren Ihrer Regierungszeit hat sich die Zahl
der Sozialhilfeempfänger – das muss man hier einmal
festhalten – verdreifacht. In keiner Regierungszeit nach
1945 sind diese Zahlen so stark gestiegen wie zu Ihrer Re-
gierungszeit, zu der Zeit von Helmut Kohl.


(Zuruf von der SPD: Sehr richtig! – Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Sie haben ja auch nie so lange regiert!)


Jetzt kommen Sie mit klugen Anträgen und klugen
Sprüchen. Sie hätten das schon längst tun können.

Die Bevölkerung kann nicht darauf vertrauen, dass Sie
in den nächsten Jahren die Probleme, die Sie 16 Jahre lang
nicht bewältigt haben – in diesen Jahren bestanden ja
schon die Probleme, über die wir heute sprechen –, lösen
werden. Sie haben es 16 Jahre lang nicht getan und wer-
den es auch in Zukunft nicht tun.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Sie halten auch keine neue Rede!)


Nun zu einem weiteren Punkt, zu den Anträgen und de-
ren Menschenbild. Die Anträge sind – so möchte ich das
einmal bezeichnen – gefühllos.


(Dirk Niebel [FDP]: Trienekens!)

In diesen Anträgen gibt es keine real existierenden Lebe-
wesen. Vielmehr wird nur von irgendwelchen Empfän-
gern oder was auch immer gesprochen.


(Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Das muss der Kölner sagen!)


Man hat den Eindruck, Sie unterstellen in Ihren Anträgen,
dass die Armen an ihrer Lebenssituation, an ihrem Schick-
sal schuld seien.


(Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Wer hat das gesagt? – Dirk Niebel [FDP]: So ein Quatsch!)


Ich sage: Das stimmt nicht. Das ist unrichtig.

(Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Richtig! – Dirk Niebel [FDP]: Da haben Sie völlig Recht, Herr Gilges!)


Die Mehrheit derjenigen, die Sozialhilfe bzw. Arbeitslo-
senhilfe erhalten, sind unverschuldet in diese Lebenslage
geraten. Jeder, der zum Sozialamt bzw. Arbeitsamt geht,
kann das nachvollziehen.


(Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Das hat Herr Laumann auch gesagt! Darüber brauchen wir nicht zu streiten!)


Er braucht nur einmal mit den zuständigen Beamten zu
sprechen. Die können ihm die einzelnen Schicksale auf-
zeigen und erklären, wie die Situation ist.




Pia Maier
24450


(C)



(D)



(A)



(B)


Ich nenne ein Beispiel, Herr Laumann: Ein 50-jähriger
Mann arbeitet seit 35 Jahren in einer Bude,


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das ist keine Bude! Das ist ein Unternehmen!)


als sie Pleite macht. – Das war in Ihrer Regierungszeit,
etwa im Jahr 1995. –


(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Wir haben ja jetzt ganz wenig Pleiten! Die Zahl derer nimmt ab, stündlich!)


Er geht zum Arbeitsamt und dort wird ihm mitgeteilt, er
sei nicht mehr vermittelbar. Dann treten folgende Stufen
ein: Zunächst bekommt er Arbeitslosengeld, bis das irgend-
wann ausläuft. Dann erhält er Arbeitslosenhilfe; das ist die
nächste Stufe. Wenn er Pech hat, wird er zum Sozialhilfe-
empfänger. Wenn er Glück hat, bekommt er mit 65 Jahren
endlich seine Rente. – Das ist das Leben eines 50-Jährigen,
der 35 Jahre in einem Betrieb gearbeitet und der dem
Schicksal unterworfen ist, dass sein Arbeitgeber – ich füge
hinzu: unverschuldet – Pleite gemacht hat. Es wäre gut,
wenn Sie sich dieser Lebensrealität einmal annehmen und
sich damit in Ihren Anträgen auseinander setzen würden.
Aber dazu sagen Sie kein Wort.


(Beifall bei der SPD – Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Deshalb will Riester das auch zusammenlegen!)


Ich nehme als zweites Beispiel die allein erziehende
Mutter. Sie verliert ihren Job spätestens nach dem dritten
Kind, weil der Arbeitgeber sagt: Das geht nicht mehr mit
dir. Diese Frau weiß nämlich nicht, wo sie ihre Kinder un-
terbringen soll, weil es in ihrer Gemeinde keine Krippe für
Kinder bis zu drei Jahren gibt, weil auch kein Kindergar-
ten und kein Hort für Schüler vorhanden ist, weil es in die-
ser Bundesrepublik keine Ganztagsschulen gibt.


(Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Dann muss das aber eine SPD-regierte Gemeinde sein!)


– Das trifft auf Bayern genauso wie auf Nordrhein-West-
falen, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz oder Hessen zu.
Ich will das gar nicht bewerten und jemandem die Schuld
zuweisen. Ich will Sie nur auf die Problemlage aufmerk-
sam machen.

Diese Frau hat überhaupt keine Chance, ihren Lebens-
unterhalt durch Arbeit zu bestreiten, weil es ihr Schicksal
ist, allein erziehend zu sein und drei Kinder zu haben, und
wir als Gesellschaft nicht in der Lage sind, ihr die Bürde
der Erziehung in der Zeit abzunehmen, wenn sie arbeitet.
– Das sind Lebensschicksale. Ich habe Ihnen nur zwei
Beispiele genannt.

Herr Laumann, ich gehe davon aus, dass wir in unse-
ren Grundwerten, auch was das Menschenbild angeht
– Sie sind Christ, ich bin Sozialdemokrat –, nicht so weit
auseinander liegen; anders ist es mit Herrn Niebel von der
FDP. Deshalb möchte ich insbesondere Sie ansprechen.
Herr Laumann, es ist nicht ungerecht, wenn jemand So-
zialhilfe bekommt. Deshalb darf gegenüber den Men-
schen auch nicht der Eindruck erweckt werden, Sozialhilfe
sei etwas Ungerechtes bzw. – auf der anderen Seite – et-
was Unanständiges, dass man, wenn man Sozialhilfe be-
kommt, von der Gesellschaft ausgegrenzt ist. Auch der

Sozialhilfeempfänger ist ein vollwertiges Mitglied unse-
rer Gesellschaft.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Dr. Angelika Köster-Loßack [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1424302900
Herr Kol-
lege Gilges, erlauben Sie eine Zwischenfrage der Kolle-
gin Dr. Luft?


Konrad Gilges (SPD):
Rede ID: ID1424303000
Sicher, wenn es sein muss.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1424303100
Bitte
schön, Frau Kollegin Dr. Luft.


Dr. Christa Luft (PDS):
Rede ID: ID1424303200
Herr Kollege Gilges, ich un-
terstreiche gerne all das, was Sie gerade zu den Auswir-
kungen einer Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und
Sozialhilfe gesagt haben. Würden Sie mir aber bitte ein-
mal erklären, was die SPD unter der „Verzahnung“ von
Sozialhilfe und Arbeitslosenhilfe versteht? Trifft nicht ein
Teil der Einwendungen, die Sie zu den Anträgen von
CDU/CSU und FDP vorgebracht haben, auch für die
„Verzahnung“ dieser beiden Leistungen zu?


Konrad Gilges (SPD):
Rede ID: ID1424303300
Frau Kollegin, ich werde Ih-
nen gleich sagen, was wir darunter verstehen.

Wir reden heute, aus welchen Gründen auch immer,
über drei Anträge von CDU/CSU und FDP.


(Dirk Niebel [FDP]: Wir haben Anträge gestellt und reden jetzt darüber! So ist das Verfahren!)


Wir haben hier bereits vor einigen Wochen über unsere
Vorstellungen bezüglich der Sozialhilfe einen Beschluss
gefasst. Ich werde gleich noch etwas dazu sagen und die
Kernpunkte nennen.

Ich will mich aber zunächst noch einmal der
CDU/CSU und der FDP zuwenden. Ich hätte mir ge-
wünscht, dass in Ihren Anträgen auch einmal etwas über
den Reichtum in der Bundesrepublik und über die Verant-
wortung der Reichen den Armen gegenüber steht. Dazu
steht in den Anträgen kein Satz.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Dr. Angelika Köster-Loßack [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])


Der Armuts- und Reichtumsbericht, den die Bun-
desregierung im April des vergangenen Jahres vorgelegt
hatte, hat ausgesagt, dass es 1995 rund 13 000 Einkom-
mensmillionäre in unserem Land gab, die durchschnitt-
lich 3 Millionen DM pro Jahr bezogen haben.


(Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Und unter Ihrer Regierung wird keine Körperschaftsteuer mehr von den Unternehmen gezahlt! Hören Sie also bloß auf!)


Dabei ist von ihrem Vermögen noch gar nicht die Rede.
Es wäre also gut gewesen, dann, wenn man über Sozial-




Konrad Gilges

24451


(C)



(D)



(A)



(B)


hilfeempfänger und ihre Belastungen redet, auch einmal
etwas zu den Reichen und deren gesellschaftlicher Ver-
antwortung zu sagen. Das hätte insbesondere einer christ-
lichen Partei gut angestanden.


(Beifall bei der SPD)

Herr Laumann, zu einem Ihrer Sätze möchte ich eine

Bemerkung machen. Sie sagten: Müßiggang ist aller Las-
ter Anfang. Das ist christliche Ideologie. Die kenne ich,
weil ich katholisch wie Sie erzogen wurde. Wenn diese
Ideologie stimmen würde, Herr Laumann, dann gäbe es
unter den Millionären, den Vermögenden und Reichen in
diesem Land, die an jedem Tag der Woche Golf spielen
können, nur Alkoholiker und Drogenabhängige.


(Heiterkeit bei der SPD)

Für die Millionäre, die ich kenne,


(Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Dass die Kölner SPD Millionäre kennt, glauben wir!)


trifft das nicht zu. Es stimmt schlicht und einfach nicht.

(Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Da ist schon etwas dran!)

Ich möchte etwas zu dem Unterschied zwischen So-

zialhilfe und Arbeitslosenhilfe anmerken. In Ihrem Antrag
sagen Sie: Das sind zwei Leistungen, die eigentlich iden-
tisch sind; und weil es sich um zwei Leistungen handelt,
kann man sie zusammenwerfen und daraus eine Leistung
machen. Das stimmt nicht. Es stimmt aufgrund der histo-
rischen Entwicklung und der Ideologie und Theorie der
beiden Leistungen nicht. Das wissen Sie auch.

Die Sozialhilfe gründet sich auf Art. 1 des Grundge-
setzes: „Die Würde des Menschen ist unantastbar“. Das
heißt für einen demokratischen Rechtsstaat im Klartext,
dass wir jedem Menschen unabhängig von seiner Schuld
oder Unschuld die Menschenwürde garantieren müssen.
Das finde ich auch richtig so.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der FDP und der PDS)


Dass wir dem gerecht werden müssen, unterscheidet uns
von anderen Staaten. Das müssen wir der Bevölkerung
auch sagen.


(Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Worüber reden Sie? Das sind Grundsätze, denen alle zustimmen!)


– Das kommt in Ihrem Antrag nicht so zum Ausdruck. –
Die Garantie der Menschenwürde ist die entscheidende
Frage für denjenigen, der über die Gewährung von So-
zialhilfe entscheidet.

Die Arbeitslosenhilfe hat, wie Sie wissen, eine andere
Funktion. Man könnte es sich nach dem Grundgesetz ein-
fach machen, man könnte die Arbeitslosenhilfe abschaf-
fen und das Ganze den Kommunen überantworten. Das
wäre verfassungsrechtlich möglich. Ich will aber die Fi-
nanzierung beiseite lassen. Die Arbeitslosenhilfe hat die
Funktion, dass derjenige, der aus dem Arbeitslosengeld,
das richtigerweise – es setzt sich nämlich aus Beitrags-
mitteln der Arbeitgeber und Arbeitnehmer zusammen –

zeitlich begrenzt ist, herausfällt, wieder leichter in den Ar-
beitsmarkt integriert werden kann und dem Arbeitsmarkt
zur Verfügung steht. Das ist im Interesse des betroffenen
Menschen, aber insbesondere im Interesse der Unterneh-
men.

Deshalb haben sich die Unternehmer für die Schaffung
der Arbeitslosenhilfe ausgesprochen. Das war nie wider-
sprüchlich, Herr Niebel. Da sind Sie in Ihrer Entwicklung
noch zu weit zurück, um etwas von der Theorie der So-
zialhilfe zu kennen. Das sieht man ja auch in Ihrem An-
trag, aber lassen wir das!


(Dirk Niebel [FDP]: Man weiß nicht, wer weiter zurück ist!)


Deswegen hat die Arbeitslosenhilfe eine Funktion für
beide, für die Arbeitnehmer und die Unternehmen. Man
muss deshalb darüber nachdenken, ob man diese zer-
stören und aus dem sozialen Netz herausnehmen will.

Hinzu kommt ein zweiter Punkt: Fast 50 Prozent der
Ausgaben des Bundes für die Arbeitslosenhilfe sind Leis-
tungen an die Renten- und Krankenkasse und an die Bun-
desanstalt für Arbeit. Ich kann das jetzt nicht im Detail,
sondern nur aus dem Kopf sagen: Die Kosten für die Ar-
beitslosenhilfe betragen rund 13 Milliarden Euro. Davon
fließen gut 5 Milliarden Euro an staatliche Institutionen:
damit die Rente der betroffenen Menschen – um die Men-
schen geht es – gesichert ist und


(Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Deshalb haben Sie auch die Beiträge gekürzt, Herr Gilges! Das kann doch nicht wahr sein!)


sie krankenversichert sind.
Aus diesem Grund ist die Frage der Zusammenlegung

nicht so einfach zu beantworten, wie Sie das hier darstel-
len. Es geht auch um Transferleistungen zwischen Län-
dern, Gemeinden und dem Bund. Deshalb muss das gut
überlegt sein; das kann man nicht locker vom Hocker, wie
das in Ihren Anträgen steht, entscheiden.


(Beifall bei der SPD)

Weil Frau Luft danach gefragt hat, mache ich eine Be-

merkung zu den Alternativen. Wir haben sie in unserem
Antrag dargestellt. Sie können unser Konzept dort nach-
lesen; es ist die Drucksache 14/7293.

Ich möchte nur die zwei Gründe anführen, weshalb wir
die Änderungen nicht in dieser Legislaturperiode vorneh-
men. Der erste Grund: Die alte Bundesregierung hat Mo-
dellprojekte im Hinblick auf ein zukünftiges System in
Auftrag geben, die erst in diesem Jahr endgültig abge-
schlossen werden. Wir hielten es für nicht korrekt, ein
neues Konzept für Sozialhilfe und Arbeitslosenhilfe zu ent-
wickeln, bevor die einschlägigen Modellprojekte abge-
schlossen sind. Das wäre auch den Wissenschaftlern ge-
genüber nicht korrekt, die im Auftrag der Bundesregierung
daran arbeiten.


(Dirk Niebel [FDP]: Aber andere Sachen hat die Regierung doch auch geändert!)


Der zweite Grund: Es ist auch eine Kapazitätsfrage.
Wir hatten andere Reformwerke im Bereich der Sozialpo-




Konrad Gilges
24452


(C)



(D)



(A)



(B)


litik zu organisieren, die Sie nicht geregelt bekommen ha-
ben.


(Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Zum Beispiel?)


– Bei der Rentenversicherung, Arbeitslosenversicherung
usw.


(Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Alles danebengegangen!)


Wir mussten den Reformmüll, den Sie uns hinterlassen
haben, irgendwann einmal aufarbeiten. Das ging ja so
nicht weiter.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dirk Niebel [FDP]: Müll? Sie kommen doch aus Köln! – Zurufe des Abg. Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU])


– Wer im Glashaus sitzt, soll nicht mit Steinen werfen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Ich erinnere an den CDU-Fraktionsvorsitzenden aus
Bonn, Herr Meckelburg.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1424303400
Herr Kol-
lege Gilges, bitte achten Sie auf die Zeit!


Konrad Gilges (SPD):
Rede ID: ID1424303500
Ich habe noch 36 Sekunden.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1424303600
Nein, Sie
haben Ihre Redezeit schon um 36 Sekunden überschritten.


(Heiterkeit bei der SPD – Lachen bei der CDU/ CSU – Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Der verwechselt plus und minus!)



Konrad Gilges (SPD):
Rede ID: ID1424303700
Ich dachte, ich hätte noch
36 Sekunden.

Dann komme ich sofort zu meiner Schlussbemerkung.
Ihr Kandidat hat dem „Focus“ ein Interview gegeben, das
uns alle irritiert, weil wir den Eindruck gewonnen haben,
dass sich Ihr Kandidat in der Sozialhilfe und der Arbeits-
losenhilfe gar nicht auskennt.


(Klaus Brandner [SPD]: Sehr wahr!)

Er ist ein Dilettant auf hohem Niveau.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich empfehle Ihnen, Herr Laumann, Ihrem Kandidaten
Nachhilfeunterricht zu geben und ihm zu erklären, wie es
mit der Sozialhilfe und der Arbeitslosenhilfe funktioniert.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1424303800
Herr Kol-
lege Gilges, kommen Sie bitte zum Schluss. Sie haben
Ihre Redezeit jetzt fast um zwei Minuten überschritten.


Konrad Gilges (SPD):
Rede ID: ID1424303900
Noch ganz wenige Sekunden,
bitte.

Beispielsweise schlägt er Job-Center vor, die Sie bis-
her immer bekämpft haben und verhindern wollten. Sozi-
aldemokraten haben sie durchgesetzt. Daher glaube ich,
dass wir bei der Sozial- und Arbeitslosenhilfe auf dem
richtigen Wege sind. Wenn Sie sich uns anschließen, wird
es eine gute und menschliche Reform werden, die im In-
teresse der Betroffenen liegt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1424304000
Als letz-
ter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat jetzt der
Kollege Peter Weiß von der CDU/CSU-Fraktion das
Wort.


(Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Du kannst zwei Minuten länger reden! Gilges-Zuschlag! – Erika Lotz [SPD]: Jetzt wird es wieder wie im Festzelt!)



Peter Weiß (CDU):
Rede ID: ID1424304100
Herr Präsi-
dent! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Was ist der Un-
terschied zwischen Miroslav Klose und Florian Gerster?
Antwort: Der neue deutsche Stürmerstar macht den Salto
vorwärts. Das war in der „Welt“ nachzulesen.


(Ilse Janz [SPD]: Das war ein richtig toller Witz!)


Bei Herrn Gerster erleben wir in Sachen ABM gerade im
Vergleich zu seinen Ankündigungen bei Amtsantritt einen
Salto rückwärts. Er scheint auch in ihrer Fraktion Mode
geworden zu sein: Nachdem der Bundesarbeitsminister
und die SPD-geführten Bundesländer angekündigt haben,
dass sie die Arbeitslosenhilfe und die Sozialhilfe zusam-
menführen wollen, haben wir in der heutigen Debatte er-
lebt, dass sämtliche Rednerinnen und Redner der Koaliti-
onsfraktionen einen Salto rückwärts machten. Das, was
Sie vorgetragen haben, enthält nur eine Botschaft: Sie
wollen an dieses Thema nicht mehr herangehen.


(Zurufe von der SPD: Quatsch! Lüge!)

Verehrte Frau Lange, Sie haben behauptet, Sie hätten es

eigentlich schon auf den Weg gebracht. Dazu muss ich Ih-
nen sagen: Diese vier Jahre rot-grüner Regierung sind in Sa-
chen Sozialhilfe und Arbeitslosenhilfe nach dem Motto
„Wir vertagen, vertrösten und führen Modellprojekte
durch“ vorübergegangen. Ein Modellprojekt trägt den schö-
nen Namen MoZArT, ist aber leider schlecht komponiert.


(Brigitte Lange [SPD]: Haben Sie den Antrag von Koch gelesen?)


Sie haben in Sachen Bundessozialhilfegesetz nur eines
geschafft: Sie haben zweimal die Übergangsfristen ver-
längert. Wer an das Thema heran will, kann hier nicht er-
klären: Wir vertagen alles bis 2004; dann fangen wir neu
an zu überlegen. Wer das Zeug zum Regieren hat, der
handelt auch, wenn es notwendig ist. Und notwendig ist
es jetzt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Der Rückwärtssalto von Herrn Gerster in Sachen ABM

zeigt mit aller Deutlichkeit: Sie sehen, dass es auf dem




Konrad Gilges

24453


(C)



(D)



(A)



(B)


Arbeitsmarkt brennt. Die Situation auf dem Arbeits-
markt bezeichnet ja mittlerweile auch die eher Ihnen
nahe stehende „Frankfurter Rundschau“ als trostlos. Ich
will hier einfach noch einmal die Zahlen vortragen, die
Sie offensichtlich nicht zur Kenntnis nehmen: Im Mai die-
ses Jahres waren 3 946 400 Menschen arbeitslos.


(Zuruf von der SPD: Nennen Sie doch mal Ihre Zahlen!)


Das sind 225 600 mehr als im Mai letzten Jahres.

(Peter Dreßen [SPD]: So ein Schwätzer!)


Seit Dezember 2000 steigt die Zahl der Arbeitslosen sai-
sonbereinigt kontinuierlich an.


(Dirk Niebel [FDP]: Auch die Zahl der Jugendarbeitslosen steigt!)


Frau Lange, weil Sie von Jugendarbeitslosigkeit geredet
haben: Das Gegenteil von dem, was Sie hier vorgetragen
haben, ist der Fall. In den letzten zwölf Monaten ist die
Jugendarbeitslosigkeit um nahezu 16 Prozent angestie-
gen. Dass Sie den Jugendlichen in unserem Land eine der-
art trostlose Situation bereiten, ist doch ein Skandal.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Detlev von Larcher [SPD]: Und das sagt so einer!)


– Das ist so. Das sind die Zahlen, Herr von Larcher.

(Detlev von Larcher [SPD]: Was haben Sie denn gemacht? Schämen Sie sich!)

Auch zur Zahl der Erwerbstätigen sagen Sie etwas

Falsches. Die Zahl der Erwerbstätigen sank im März sai-
sonbereinigt um 13 000. Wir hatten 152 000 Beschäftigte
weniger als im Vorjahr. Das ist die Realität. Und was tut
die Bundesregierung?


(Dirk Niebel [FDP]: Nichts!)

Sie tut nichts. Das ist der Vorwurf, den wir Ihnen machen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Zu diesem Nichtstun gesellt sich nun auch noch Ihre Pers-
pektivlosigkeit in Sachen Langzeitarbeitslosigkeit.


(Erika Lotz [SPD]: Das ist eine Rede von vor vier Jahren!)


Langzeitarbeitslosigkeit ist eines der zentralen Probleme
auf unserem Arbeitsmarkt. Heute gibt es mit 1,5 Milli-
onen Menschen dreimal so viele Langzeitarbeitslose wie
vor zehn Jahren. Hinzu kommen 800 000 von insgesamt
2,7 Millionen Sozialhilfeempfängern, die arbeitsfähig
sind, darunter besonders viele gering Qualifizierte, die in
der Tat prinzipiell für eine Tätigkeit im Niedriglohnsektor
infrage kommen.

Bei der Reform der Arbeitslosen- und Sozialhilfe geht
es doch vor allem um einen Punkt: Langzeitarbeitslose
haben es nach aller Erfahrung besonders schwer, den Weg
zurück in den ersten Arbeitsmarkt zu finden. Sie brauchen
Hilfe und Beratung, sie brauchen auch finanzielle An-
reize. Wir wollen den Langzeitarbeitslosen nicht den Vor-
wurf machen, dass sie in diese Situation gekommen sind,
nein, wir wollen ihnen ein Angebot unterbreiten, damit sie

wieder herauskommen. Die Faulenzerdebatte über Ar-
beitslose in Deutschland hat Ihr Bundeskanzler begonnen
und nicht wir.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Ekin Deligöz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ist doch gar nicht wahr! Das war der Herr Koch, der das angefangen hat!)


Entscheidend ist – das wollen Sie nicht zur Kenntnis
nehmen –: Erstens. Wir sorgen dafür, dass niemand wegen
seiner Kinder in die Sozialhilfe fällt. Zweitens. Wir wol-
len, dass es ein eigenes Leistungsrecht für Behinderte gibt
und sie nicht mehr auf die Sozialhilfe angewiesen sind.
Drittens. Wir wollen, mit der Zusammenlegung von So-
zialhilfe und Arbeitslosenhilfe, gerade auch für ältere Ar-
beitnehmer bessere Regelungen als heute schaffen.


(Erika Lotz [SPD]: Dazu hatten Sie 16 Jahre Zeit!)


Ihre Gegenargumente, die Sie vorgetragen haben, sind
demgegenüber Schall und Rauch.

Das von den Unionsparteien vorgelegte Drei-Säulen-
Modell mit abgesenkten Sozialversicherungsbeiträgen
für Geringverdiener und mit Kombilöhnen wird abge-
stufte Anreize für eine Arbeitsaufnahme im Niedriglohn-
sektor setzen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wir wollen nicht, dass die Empfänger von Sozialhilfe und
Arbeitslosenhilfe in Zukunft weniger haben. Im Gegen-
teil, wenn sie eine Beschäftigung annehmen, sollen sie
mehr Geld als heute zur Verfügung haben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Arbeit soll sich wieder lohnen, das ist unser Standpunkt.

Unser Angebot gilt nicht nur für Langzeitarbeitslose
und Sozialhilfeempfänger, sondern für alle Bezieher von
niedrigen Einkommen; denn so wird eine tragfähigere
Brücke in die Beschäftigung gebaut als mit den vielen der
bisherigen Instrumente so genannter aktiver Arbeits-
marktpolitik. Arbeitslose, die eine Arbeit annehmen, de-
ren Nettolohn bisher bezogene soziale Leistungen nicht
erreicht, sollen als Anreiz zur Arbeitsaufnahme einen
Aufstockungsbeitrag erhalten. Nirgendwo ist von Kür-
zung die Rede.

Meine Damen und Herren, 12,7 Milliarden Euro
musste der Staat im Jahr 2001 für die 1,5 Millionen Be-
zieher von Arbeitslosenhilfe aufwenden. 2,7 Millionen
Menschen bezogen jahresdurchschnittlich 2001 laufende
Hilfe zum Lebensunterhalt, davon 1,2 Millionen im er-
werbsfähigen Alter. 8,7 Millionen Euro mussten Stadt-
und Landkreise für Sozialhilfe aufwenden. Weil das so ist,
diskutieren alle Experten seit Jahren darüber, wie wir die-
ses System effizienzsteigernd zusammenführen können,
wie wir die Anreize für die Aufnahme einer Arbeit er-
höhen und die Hilfen für eine Vermittlung in das Arbeits-
leben für alle gleich gestalten können. Das ist der zentrale
Ansatz unseres Antrages.

Auch Florian Gerster gab, kaum berufen in sein neues
Amt als Vorstandsvorsitzender der Bundesanstalt für Ar-
beit, das Motto „Sozialhilfe und Arbeitslosenhilfe zusam-




PeterWeiß (Emmendingen)

24454


(C)



(D)



(A)



(B)


menlegen“ aus. Der Deutsche Städtetag hat übrigens erst
in der vergangenen Woche beschlossen – ich zitiere –:

Arbeitslosen- und Sozialhilfe müssen dringend re-
formiert werden, damit Langzeitarbeitslose viel stär-
ker als bisher in Arbeit vermittelt werden können.

Und was tun Sie? Sie schlagen einen Salto rückwärts;
Nichtstun ist Ihr Motto.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, mit dem Antrag der

CDU/CSU-Bundestagsfraktion liegt ein konkreter Vor-
schlag vor, wie Sozialhilfe und Arbeitslosenhilfe tatsäch-
lich zu einem neuen Hilfesystem zusammengeführt wer-
den können: gemeinsame Job-Center, gleiche Beratungs-
und Hilfemöglichkeiten, gleiche Zumutbarkeitsschran-
ken, gleiche Förderinstrumentarien, gleiche Möglichkei-
ten, vor einer Arbeitsaufnahme mehr hinzuzuverdienen
als heute, und gleiche Möglichkeiten der Qualifizierung,
aber auch gleiche Sanktionsmöglichkeiten, wenn trotz ei-
nes Angebots Hilfe und Arbeitsgelegenheit abgelehnt
werden.

Ich möchte Sie daran erinnern, verehrte Kolleginnen
und Kollegen, dass es ein Spitzenergebnis der rot-grünen
Arbeitsmarktpolitik gibt. Das ist die Zunahme der
Schwarzarbeit. Die Schwarzarbeit ist in Deutschland
heute mit einem Anteil von 16,3 Prozent im Spitzenbe-
reich der EU-Mitgliedstaaten.


(Konrad Gilges [SPD]: Reine Spekulation! Es gibt keine Daten darüber! Woher haben Sie die Zahl?)


Das tatsächliche Ergebnis Ihrer Arbeitsmarkt- und Wirt-
schaftspolitik ist: Die legale Wirtschaftstätigkeit schrumpft;
die Schwarzarbeit ist das Einzige, was in Deutschland noch
wächst.


(Konrad Gilges [SPD]: Woher haben Sie die Zahlen? – Weitere Zurufe von der SPD)


Meine Damen und Herren, mit unserem konkreten
Vorschlag, den Niedriglohnsektor zu aktivieren, den Be-
ziehern von Arbeitslosen- und Sozialhilfe zu helfen, in
Beschäftigung zu kommen und dafür eine zusätzliche
staatliche Förderung zu erhalten,


(Konrad Gilges [SPD]: Das ist reine Spekulation! – Detlev von Larcher [SPD]: So ein Quatsch!)


schaffen wir die Voraussetzungen dafür, dass aus illegaler
Arbeit legale Arbeit werden kann.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Anhaltender Widerspruch bei der SPD)


– Da sich die Kolleginnen und Kollegen der SPD-Frak-
tion bei diesen Ausführungen so aufregen,


(Lachen bei der SPD – Erika Lotz [SPD]: Unverschämtheit, was Sie hier sagen!)


möchte ich Ihnen gern vorhalten, was der neue sozialde-
mokratische Stern am Himmel der Bundesanstalt für Ar-
beit dazu gesagt hat. Florian Gerster – ich zitiere ihn – er-
klärte:

Ich bin überzeugt, dass wir nach diesem Prinzip eine
Vielzahl neuer Stellen, etwa im Handel, in der Land-
wirtschaft oder in der Gastronomie, schaffen kön-
nen, Jobs, die heute allenfalls schwarz gemacht wer-
den. Wir brauchen ein Gesamtkonzept, um mit
gezielten staatlichen Zuschüssen das riesige Be-
schäftigungsfeld gering qualifizierter Tätigkeiten,
etwa in Privathaushalten, zu erschließen.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1424304200
Herr Kol-
lege Weiß, kommen Sie bitte zum Schluss.


Peter Weiß (CDU):
Rede ID: ID1424304300
Ja. – Was
Gerster kapiert hat, fordern wir schon lange; Sie von Rot-
Grün blockieren.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1424304400
Herr Kol-
lege Weiß, ich meinte es ernst. Kommen Sie bitte zum
Schluss.


(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Peter Weiß (CDU):
Rede ID: ID1424304500
Meine Da-
men und Herren von Rot-Grün, was Sie heute vorgetragen
haben, hat erneut bewiesen: Sie sind kopf- und konzepti-
onslos.


(Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Zurufe von der SPD: Oh!)


Es ist höchste Zeit, dass diese rot-grüne Mannschaft am
22. September hinausgeschickt wird.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Detlev von Larcher [SPD]: Wunschträume!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1424304600
Zu einer
Kurzintervention erteile ich dem Kollegen Brandner das
Wort.


Klaus Brandner (SPD):
Rede ID: ID1424304700
Der Abgeordnete Weiß hat
vor dem Deutschen Bundestag festgestellt, dass das En-
gagement der Parteien gegen illegale Beschäftigung und
Schwarzarbeit verbessert werden muss.

Die Regierungskoalition hat dazu einen Gesetzentwurf
eingebracht.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir wollen ein wirkungsvolles Gesetz verabschieden, da-
mit diesem Übel in der Gesellschaft offensiv der Kampf
angesagt werden kann. Eine Arbeitsgruppe der Koalition
und eine Arbeitsgruppe des Vermittlungsausschusses ha-
ben dazu ein entsprechendes Ergebnis erarbeitet.

Meine konkrete Frage an den Abgeordneten Weiß lau-
tet: Warum wurde dieser Kompromiss, nachdem die
CDU-regierten Länder auf Anweisung der Staatskanzlei
in Bayern zunächst zugestimmt hatten, widerrufen,




PeterWeiß (Emmendingen)


24455


(C)



(D)



(A)



(B)


sodass illegale Beschäftigung und Schwarzarbeit nicht
wirksam und zeitnah bekämpft werden können?


(Dirk Niebel [FDP]: Oppositionsbefragung! Ihr übt schon wieder für eure Oppositionszeit! – Detlev von Larcher [SPD]: Hört! Hört! Aber das Maul hier aufreißen!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1424304800
Zur Erwi-
derung, Kollege Weiß.


Peter Weiß (CDU):
Rede ID: ID1424304900
Herr Kol-
lege Brandner, mit Ihrer Kurzintervention haben Sie auf
den entscheidenden Dissens zwischen Ihnen und uns auf-
merksam gemacht. Rot-Grün glaubt, dass man die
Schwarzarbeit mit immer mehr Kontrollen bekämpfen
kann. Kontrollen sind ohne Zweifel notwendig. Entschei-
dend ist aber: Schwarzarbeit nimmt dann ab, wenn es sich
für die Menschen lohnt, eine legale Beschäftigung aufzu-
nehmen, statt illegal zu arbeiten. Das ist der Punkt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Sie können hinter jeden Unternehmer und Arbeitneh-

mer in Deutschland zwei, drei oder vier Kontrolleure stel-
len.


(Zuruf von der SPD: Das ist doch Quatsch!)

Wenn sich die Arbeit für die Menschen in unserem Land
nicht wieder lohnt, werden sie intelligenter als alle Kon-
trolleure sein und einen Ausweg suchen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Herr Gilges hat nach dem Menschenbild gefragt. Darin
eben unterscheidet sich unser Menschenbild: Wir ver-
trauen den Menschen, Sie vertrauen den Apparaten.


(Beifall bei der CDU/CSU – Lachen bei der SPD – Dirk Niebel [FDP]: Das ist doch unser Satz!)


Sie setzen auf Kontrolle, wir setzen darauf, dass die Men-
schen mit legaler Arbeit das verdienen, was ihnen zusteht,
nämlich mehr als heute.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Ilse Janz [SPD]: 5 Millionen Arbeitslose! – Weitere Zurufe von der SPD)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1424305000
Ich
schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussemp-
fehlung des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung auf
Drucksache 14/8663 zu dem Antrag der Fraktion der
CDU/CSU mit dem Titel „Arbeit statt Sozialhilfe – Hin zu
einer Kultur von Geben und Nehmen“. Der Ausschuss
empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/7443 abzuleh-
nen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussemp-
fehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und
der PDS bei Gegenstimmen der CDU/CSU und Enthal-
tung der FDP angenommen.

Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses
für Arbeit und Sozialordnung auf Drucksache 14/8665.
Unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der
Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion der
FDP auf Drucksache 14/5983 mit dem Titel „Für eine
sinnvolle Zusammenfassung von Arbeitslosenhilfe und
Sozialhilfe“. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die
Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koaliti-
onsfraktionen und der PDS gegen die Stimmen von
CDU/CSU und FDP angenommen.

Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der
Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion der
FDP auf Drucksache 14/6951 mit dem Titel: „Für eine be-
schäftigungsorientierte und aktivierende Sozialpolitik –
Sozialhilfe und Arbeitsmarktpolitik grundlegend refor-
mieren“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung?
– Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Be-
schlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitions-
fraktionen und der PDS gegen die Stimmen von
CDU/CSU und FDP angenommen.

Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 24 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-

(3. Ausschuss)

Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deut-
scher Streitkräfte an dem NATO-geführten
Einsatz auf mazedonischem Territorium zum
Schutz von Beobachtern internationaler Orga-
nisationen im Rahmen der weiteren Implemen-
tierung des politischen Rahmenabkommens
vom 13. August 2001 auf der Grundlage des Er-
suchens der mazedonischen Regierung vom
28. April 2002 und der Resolution 1371 (2001)

des Sicherheitsrats derVereinten Nationen vom
26. September 2001
– Drucksachen 14/9179, 14/9436 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Gert Weisskirchen (Wiesloch)

Karl Lamers
Rita Grießhaber
Dr. Helmut Haussmann
Wolfgang Gehrcke
Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss)

gemäß § 96 der Geschäftsordnung
– Drucksache 14/9446 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Uta Titze-Stecher
Dietrich Austermann
Antje Hermenau
Dr. Werner Hoyer
Dr. Christa Luft

Ich weise darauf hin, dass wir über die Beschlussemp-
fehlung zu dem Antrag später namentlich abstimmen wer-
den.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.




Klaus Brandner
24456


(C)



(D)



(A)



(B)


Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner spricht
der Bundesminister Rudolf Scharping.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1424305100

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolle-
ginnen und Kollegen! Das Engagement der internationa-
len Gemeinschaft in Mazedonien ist ein mustergültiges
Beispiel für das kluge Zusammenwirken von Vereinten
Nationen, NATO, Europäischer Union und OSZE. Es ist
gelungen, militärische und zivile Instrumente mit dem ge-
meinsamen Ziel der Friedenssicherung zu verknüpfen
und ein gutes Beispiel für Prävention zu geben. Damit
wurden die Schlussfolgerungen aus den vier blutigen Bal-
kankriegen mit ihren Millionen von Vertriebenen und den
ungezählten Toten gezogen.

Das umsichtige und auf Vertrauensbildung zielende
Engagement der internationalen Gemeinschaft alleine
wird allerdings nicht reichen. Es müssen auch von der ma-
zedonischen Regierung und den Bevölkerungsgruppen
weiterhin Anstrengungen unternommen werden, das
Land auf dem Weg der Demokratie und der friedlichen
Entwicklung zu halten.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Auf diesem Weg gibt es Fortschritte. Aber es sind auch
noch einige Meilensteine zu bewältigen. Beispielsweise
darf der erreichte Fortschritt durch die Rückkehr von zur-
zeit etwa 16 000 Vertriebenen nicht gefährdet werden.
Beispielsweise müssen sich die öffentlichen Sicherheits-
institutionen des mazedonischen Staates auf der Grund-
lage einer multiethnischen Zusammensetzung Vertrauen
erwerben und in die nordmazedonischen Gebiete zurück-
kehren. Beispielsweise ist die Normalisierung des öffent-
lichen Lebens noch nicht vollständig gelungen und muss
weiter vorangebracht werden.

Von zentraler Bedeutung wird sein, dass die demokrati-
schen Wahlen in Mazedonien störungsfrei ablaufen und
ihre Ergebnisse von allen in Mazedonien akzeptiert werden.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Deshalb hat die OSZE beschlossen, die Wahlen durch
800 Beobachter begleiten zu lassen. Diese bedürfen or-
dentlicher Arbeitsbedingungen, aber auch des Schutzes. Ich
sage das deshalb, weil der Schutz dieser Wahlbeobachter
und der schon im Lande befindlichen Monitore der Euro-
päischen Union und der Organisation für Sicherheit und
Zusammenarbeit in Europa weiter fortgeführt werden
muss. Das Land ist – das wollte ich mit den wenigen Be-
merkungen deutlich machen – noch nicht so stabil, als dass
wir auf das internationale Engagement verzichten könnten.

Damit bin ich bei der Rolle der Bundeswehr. Ich will
auf frühere Debatten überhaupt nicht zurückkommen.
Aber ich will doch sagen, dass es eine besondere Aus-
zeichnung unserer Soldatinnen und Soldaten war, die
Operation „Fox“ in Mazedonien über Monate hinweg zu
führen und maßgeblich zu gestalten.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der FDP)


Mit ihrer Leistungsfähigkeit, mit ihrer Professionalität,
aber auch mit ihrem unparteiischen, klaren und entschie-
denen Auftreten sowie dem notwendigen Fingerspitzen-
gefühl haben sich die Soldatinnen und Soldaten der Bun-
deswehr das Vertrauen der gesamten – das muss man sehr
deutlich sagen – Bevölkerung in Mazedonien erworben.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der CDU/CSU)


Ich finde – Sie, die Mitglieder des Deutschen Bundestages,
werden sicherlich auch dieser Meinung sein –, dass das eine
großartige Leistung ist. Sie wurde unter Hintanstellung per-
sönlicher und familiärer Belange erbracht. Ich möchte des-
halb namens der Bundesregierung den Angehörigen der
Bundeswehr und denjenigen, die die Operation „Fox“
durchgeführt haben, auch im Deutschen Bundestag aus-
drücklich danken und meine Anerkennung aussprechen.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der FDP)


Wir werden uns – Voraussetzung ist natürlich ein posi-
tiver Beschluss des Bundestags – an dieser Operation wei-
ter beteiligen. Allerdings werden am 27. Juni die nieder-
ländischen Streitkräfte die Führungsrolle übernehmen.
Das wird uns im Rahmen der Beschlüsse, die in der NATO
gefasst worden sind, ermöglichen, den Umfang unseres
derzeitigen Beitrags von 520 Soldaten um etwa 300 Sol-
daten zu verringern. Ich füge wie schon bei anderen De-
batten hinzu: Das schafft den Spielraum, um die Soldaten
zu entlasten. Insbesondere das Führungspersonal und das
die Führung unterstützende Personal bedarf dringend der
Entlastung. Deswegen ist es gut, dass wir im Rahmen die-
ses gemeinsamen multinationalen Engagements die
Führung an die Niederlande abgeben können. Das sagt ja
auch etwas über die sehr enge Zusammenarbeit zwischen
Deutschland und den Niederlanden aus und ermöglicht der
Bundeswehr, zumindest in Mazedonien – ich denke, später
auch in Bosnien und im Kosovo – den Umfang ihres En-
gagements zu reduzieren und gleichzeitig zu gewährleisten,
dass die Aufgaben zuverlässig und dauerhaft wahrgenom-
men werden. Das zeichnet die Bundeswehr und – nebenbei
gesagt – auch die Politik der Bundesregierung aus.

Ich möchte aber jetzt nicht in die Terminologie und die
Lautstärke des Kollegen Weiß verfallen. Wenn das, was er
gesagt hat, stimmen würde, dann müsste ich mich fragen,
warum in Deutschland noch irgendjemand normal arbei-
tet und normal Steuern zahlt. Ich finde, dass seine Argu-
mentation eine Beleidigung derjenigen ist, die wissen,
dass sie eine Verantwortung für die Gemeinschaft haben,
und ein Freisprechen derjenigen, die schwarzarbeiten und
die Gemeinschaft betrügen.


(Anhaltender Beifall bei der SPD – Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1424305200
Das Wort
hat jetzt der Kollege Carl-Dieter Spranger von der
CDU/CSU-Fraktion.

Carl-Dieter Spranger (CDU/CSU) (von Abgeordne-
ten der CDU/CSU mit Beifall begrüßt): Herr Präsident!




Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms

24457


(C)



(D)



(A)



(B)


Meine Damen und Herren! Manchmal beschleicht einen
schon das Gefühl, dass die Bundesregierung, nachdem die
Reporter und die Fernsehkameras nach Afghanistan und
Israel weitergewandert sind und sich das öffentliche Inte-
resse auf die dortigen Konflikte gerichtet hat, meint, den
risikoreichen Konfliktherd, der direkt vor der Haustür der
EU liegt, vernachlässigen zu können. Das wäre eine kurz-
sichtige und auch eine gefährliche Einstellung.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Denn wir dürfen die Augen nicht davor verschließen, dass
das Konfliktpotenzial in Mazedonien und in der südost-
europäischen Region sowie die dort vorhandenen immen-
sen politischen, wirtschaftlichen und sozialen Probleme
bislang nur ansatzweise bewältigt wurden. Hier kommt
auch noch in den nächsten Jahren eine gewaltige Heraus-
forderung auf uns zu.

Umso wichtiger ist es, uns und vor allem den Men-
schen in der betroffenen Region klar zu machen, wie die
Zukunft gestaltet werden soll. Gerade weil wir hier vor
komplizierten und langwierigen Aufgaben stehen, müs-
sen wir zuallererst einen schlüssigen strategischen Ansatz
für die betroffene Region entwickeln. Über eine solche
Strategie verfügt die Bundesregierung jedoch nicht. Das
zeigt der im März 2001 vorgelegte Bericht über eine Ge-
samtstrategie für Südosteuropa. Es wurden einfach ver-
schiedene Initiativen addiert, die größtenteils während der
Kosovo-Kriege geboren wurden und nicht aufeinander ab-
gestimmt sind. Statt analytischer Tiefe und strategischer
Schärfe gibt es ein beinahe hilflos wirkendes „Weiter so“.


(Johannes Kahrs [SPD]: Das ist doch Unsinn!)

Das halte ich für bedenklich. Ohne einen klaren Blick für
das Ganze, ohne eine realistische oder vor allem europä-
ische Perspektive für die Region bleiben unsere Einsätze
in Mazedonien, Bosnien-Herzegowina oder im Kosovo
mehr auf das Prinzip Hoffnung als auf ein solides Funda-
ment gebaut.


(Christian Schmidt [Fürth] [CDU/CSU]: Leider wahr! – Dr. Elke Leonhard [SPD]: Das ist eine Beleidigung aller derjenigen, die daran arbeiten!)


Es ist höchste Zeit, endlich die entscheidenden Fragen
anzugehen: Wie soll die politische Ordnung in dieser Re-
gion in Europa gestaltet sein? Wie lange müssen die in-
ternationale Gemeinschaft und die EU bereit sein, teure
militärische Missionen in der Region zu unterhalten und
umfassende Wiederaufbauleistungen zu finanzieren? Wie
lange noch dauert es, bis Bundesregierung und EU eine
Konzeption zu Papier bringen, die die einzelnen Pro-
blembereiche verknüpft und den Ländern und Menschen
der Region eine realistische und vor allem europäische
Perspektive gibt?

Deutschland hat seit Ende September des vergangenen
Jahres die NATO-Operation „Fox“ bravourös geführt und
wird ein wohl bestelltes Haus an die Niederlande überge-
ben.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)


Die Bundeswehr hat ihre Sache gut gemacht. Unsere Sol-
daten verdienen Lob und Anerkennung.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Sie tragen erheblich zur Stabilität im Lande bei und schaf-
fen für die Bevölkerung Sicherheit.

Massiv zu kritisieren bleibt allerdings die Verteidi-
gungspolitik der Bundesregierung.


(Johannes Kahrs [SPD]: Unsinn! – Wolfgang Gehrcke [PDS]: Sehr richig!)


Das Scheitern der Bundeswehrreform und die Unterfi-
nanzierung unserer Streitkräfte bringen unsere Soldaten
im Einsatz beinahe täglich in prekäre Situationen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Johannes Kahrs [SPD]: Unsinn!)


Beständige Auftragserweiterungen ohne zusätzliche Mit-
telbereitstellung übersteigen die Fähigkeiten der Bundes-
wehr.


(Johannes Kahrs [SPD]: Davon haben Sie doch gar keine Ahnung!)


Bereits anlässlich der letzten Verlängerung dieses Ein-
satzes hat meine Fraktion darauf gedrängt, die Führung
der Mission baldmöglichst der Europäischen Sicher-
heits- und Verteidigungspolitik zu überantworten, wie
dies von der Bundesregierung und ihren EU-Partnern
beim Gipfel in Barcelona auch beschlossen worden war.
Wir fragen: Warum ist das bisher nicht geschehen? Wie
intensiv hat sich die Bundesregierung darum bemüht, dass
die EU ihre militärischen Fähigkeiten unter Beweis stel-
len kann? Was hat die Bundesregierung getan, damit die
Vereinbarungen der EU mit der NATO nicht länger
blockiert werden?


(Christian Schmidt [Fürth] [CDU/CSU]: Eine gute Frage!)


Die Bundesregierung bleibt deshalb aufgefordert, Ver-
säumtes umgehend nachzuholen. Eine auch tatsächlich
einsatzfähige ESVP ist für Deutschland angesichts der
Verantwortung, die wir gemeinsam mit unseren Verbün-
deten in Europa und auch außerhalb Europas übernehmen
müssen, von allergrößter Wichtigkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Schließlich ist beunruhigend, dass die Bundesregie-
rung die umfassende Entwicklungszusammenarbeit,
die ab dem Jahr 1992 zwischen Deutschland und der süd-
osteuropäischen Region aufgebaut wurde, immer mehr
einschlafen lässt, indem sie ihr nach und nach den Geld-
hahn zudreht. Die bilaterale Entwicklungszusammenar-
beit Deutschlands mit der südosteuropäischen Region
hatte bis einschließlich 1999 einen Umfang von circa
1,5 Milliarden DM. Dazu kommen unsere Finanzanteile
an den Entwicklungsprogrammen von EU und internatio-
nalen Organisationen wie der Weltbank in der Region. Al-
lein die EU-Programme zugunsten von Mazedonien ha-
ben zwischen 1992 und 2000 einen Finanzumfang von




Carl-Dieter Spranger
24458


(C)



(D)



(A)



(B)


475 Millionen Euro erreicht. Deutschland war hieran mit
einem Viertel beteiligt.

Aber nicht nur die Quantität, sondern vor allem auch
die Qualität unserer Entwicklungskooperation hat bei un-
seren internationalen Partnern hohe Anerkennung erhal-
ten. Die Regierungen und Bevölkerungen in Südost-
europa haben hierdurch großes Vertrauen in Deutschlands
tatkräftige Unterstützung genommen. Das darf man nicht
aufs Spiel setzen. Mit dem Bundeshaushalt 2002 läuten
SPD und Grüne jedoch das Ende der deutschen Unter-
stützung für den Stabilitätspakt für Südosteuropa ein;
denn die Bundesregierung hat im Zusammenhang mit den
Sondermitteln für den Stabilitätspakt keine Verpflich-
tungsermächtigungen mehr im Haushalt ausgebracht.

Trotz all dieser Vorbehalte und Bedenken wird meine
Fraktion der Verlängerung des Mazedonien-Einsatzes der
Bundeswehr zustimmen. Sie tut dies jedoch mit der Auf-
forderung an die Bundesregierung, endlich ein schlüssi-
ges Gesamtkonzept für die politische Zukunft der Region
vorzulegen, das den Ländern und Menschen in der Region
eine ebenso realistische Perspektive bietet wie unseren
Soldaten und Steuerzahlern.

Unsere Zustimmung ist mit der Aufforderung an die
Bundesregierung verbunden, ihre Aktivitäten zum wirt-
schaftlichen Wiederaufbau in der Region sinnvoll den Be-
dürfnissen und Notwendigkeiten anzupassen. Unsere Zu-
stimmung ist auch mit der Aufforderung verbunden, der
Bedeutung einer tatsächlichen Einsatzfähigkeit der ESVP
gemäß zu handeln, und mit der wiederholten Aufforderung
an die Bundesregierung, die Finanzausstattung der Bundes-
wehr umgehend zu verbessern und damit den Anforderun-
gen anzupassen, die sich aus unseren außen- und sicher-
heitspolitischen Verpflichtungen und vor allem auch aus
unserer Fürsorgepflicht gegenüber den Soldaten ergeben.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen, ge-
statten Sie mir zum Schluss noch einige persönliche
Worte. Nach 30 Jahren Mitgliedschaft ist dies mein letz-
ter Redebeitrag im Deutschen Bundestag. Ich möchte
mich natürlich gern von Ihnen verabschieden. Im Bun-
destag gibt es nur noch drei Mitglieder, die schon vor
1972 und nur weitere elf, die wie ich 1972 in jenen alten
Plenarsaal in Bonn eingezogen sind, in dem nach 1949 so
erfolgreich Demokratie in Deutschland gestaltet wurde.

Wir erlebten den Wechsel in das recht bescheidene
Wasserwerk und dort die Sternstunde des Parlaments am
9. November 1989, als die Öffnung der Mauer in Berlin
bekannt gegeben wurde und alle Fraktionen nach einer
bewegenden Debatte über dieses historische Ereignis
voller Freude und Dankbarkeit unsere Nationalhymne an-
stimmten.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)


Der neue Plenarsaal in Bonn war danach nur noch eine
Zwischenstation bis zum Umzug in den neu eröffneten
Reichstag 1999.

Welch bedeutende Debatten und Parlamentarier erleb-
ten wir in diesen Jahrzehnten! Welch einen Weg haben
Deutschland und Europa seit 1972 zurückgelegt und wie
viel Glück und Segen hielt dieser Weg für uns bereit!

Wenn man, wie ich, die Chance hatte, bei der Wahr-
nehmung seiner parlamentarischen und regierungsamtli-
chen Aufgaben große Teile der Welt kennen zu lernen,
dann weiß man, wie dankbar die Deutschen angesichts
zahlloser Kriege, schrecklicher Katastrophen, grauenvol-
len Massenelends und schwerster Menschenrechtsverlet-
zungen in vielen Teilen der Welt sein müssen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das Abschiednehmen von Menschen und Dingen, die
einem wichtig und wertvoll sind, erfolgt nicht ohne eine
gewisse Wehmut. Die Arbeit als Abgeordneter und Re-
gierungsmitglied hat mein Leben geprägt, mir außeror-
dentliche und vielfältige Erfahrungen ermöglicht und
viele menschlich wertvolle Begegnungen, Verbindungen
und Freundschaften vermittelt. Das gilt nicht nur für die
eigene Landesgruppe und Fraktion, die für mich eine Art
Heimat wurden, sondern auch für alle anderen Fraktionen
und deren Mitglieder.

Es gab natürlich auch Ärger und Verdruss, heftigen
Streit und massive Auseinandersetzungen, aber für aus-
scheidende Abgeordnete verklären sie sich im milden
Abendlicht.


(Heiterkeit bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Ich bin jedenfalls zuversichtlich, dass unsere Demokratie
und unser Bundestag trotz aller ungelösten Probleme, De-
fizite und Mängel in Deutschland die Herausforderungen
der Zukunft bestehen werden.

Mich erfüllt heute große Dankbarkeit dafür, dass mir
die Bürgerinnen und Bürger im Wahlkreis so lange ihr
Vertrauen entgegengebracht haben und dass ich mit so
vielen geschätzten Kollegen im Parlament erfolgreich ar-
beiten konnte. Ich danke allen, die mir gute Wegbegleiter,
Mitarbeiter und Kollegen waren, den Mitarbeiterinnen
und Mitarbeitern in der Bundestagsverwaltung, der CSU-
Landesgruppe, meiner Fraktion und den Ministerien. Be-
sonders den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im BMI,
BMZ und im AA gilt mein herzlicher Dank. Ich wünsche
Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen, und den nach der
Bundestagswahl neu hinzukommenden Mitgliedern viel
Glück und Erfolg. Den Kolleginnen und Kollegen, die mit
mir ausscheiden, wünsche ich viele gesunde, gute und
friedliche Jahre.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1424305300
Herr Kol-
lege Spranger, ich danke Ihnen im Namen des Hauses für
die langen Jahre der guten, vertrauensvollen Zusammen-
arbeit hier im Bundestag, aber auch in Ihren Funktionen
als Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminis-
ter des Innern und als Bundesminister für wirtschaftliche
Zusammenarbeit und Entwicklung. Ich wünsche Ihnen
für die nächsten Jahre alles Gute und interessante Be-
schäftigungen. Begleiten Sie uns mit Ihrem Wohlwollen.




Carl-Dieter Spranger

24459


(C)



(D)



(A)



(B)


Vielen Dank.

(Beifall im ganzen Hause)


Das Wort hat jetzt der Kollege Winfried Nachtwei von
Bündnis 90/Die Grünen.


Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1424305400

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Genau
vor einem Jahr musste der Flughafen von Skopje ge-
schlossen werden, weil er im Schussbereich albanischer
Extremisten lag. 76 000 Flüchtlinge wurden damals ge-
zählt. In Mazedonien drohte damals ein Bürgerkrieg zu
explodieren, der eine Kettenreaktion zur Folge gehabt
hätte. Genau heute vor einem Jahr, am 14. Juni 2001, be-
gann dank des Drucks der internationalen Gemeinschaft
ein intensiver interethnischer Dialog, der schließlich zum
Abkommen von Ohrid führte.

Heute ist in Mazedonien noch längst keine heile Frie-
denswelt ausgebrochen, aber der sichere Bürgerkrieg
wurde verhindert, verhindert wurde auch ein Wiederauf-
flammen der Kämpfe im vergangenen Frühjahr. Die Um-
setzung des Friedensvertrages von Ohrid kommt, wenn
auch mit erheblichen Schwierigkeiten und Verzögerun-
gen, voran.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


Mazedonische Sicherheitskräfte konnten bisher in 112
von 136 Dörfern zurückkehren. Das ging nur mithilfe der
insgesamt 254 zivilen Beobachter von OSZE und Euro-
päischer Union. Die Soldaten der Taskforce „Fox“ hielten
ihnen den Rücken frei und sorgten für ein einigermaßen
sicheres Umfeld dort, wo es weiterhin gewaltbereite und
hochgerüstete Extremisten auf beiden Seiten gibt. Den zi-
vilen Beobachtern wie den Soldaten gebührt der Dank des
ganzen Hauses.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Die OSZE bildete inzwischen 250 Polizeischüler für die
multiethnische Polizei aus. Die „Süddeutsche Zeitung“
sprach in einem Kommentar vor wenigen Wochen von ei-
nem stillen Erfolg, wo erreicht wurde, was versprochen war:
Frieden zu sichern. Weiter heißt es: Die Operation „Fox“

hat den Vorwurf gegen die deutsche Außenpolitik na-
mentlich auf dem Balkan widerlegt, sie setze zu sehr
auf militärische Krisenbereinigung statt auf politi-
sche Konfliktverhinderung. Die schiere Präsenz der
Truppen wirkt bis heute präventiv ...

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Die PDS lehnt die Mandatsverlängerung ab, sie fordert

also im Klartext den Abzug der Bundeswehr aus Maze-
donien wie auch, bei anderen Anlässen, aus Bosnien, aus
dem Kosovo und aus Kabul. Ich will hier ausdrücklich
nicht einem Konsenszwang das Wort reden. Gerade beim
Einsatz bewaffneter Streitkräfte ist äußerste Sorgfalt und
Zurückhaltung angesagt; dabei darf es keine Routine und
keine Normalität geben. Allerdings provozieren die Be-
gründung der Position der PDS und der großmäulig dabei

erhobene Anspruch eine Entgegnung. Die PDS behauptet
nämlich, sie sei die einzige Antikriegs- und Friedenspar-
tei. Alle anderen Parteien hier im Hause diffamiert sie als
Kriegsparteien. Sie begründet das mit der Ablehnung aller
Bundeswehreinsätze, auch der vielen – das ist eigentlich
die Masse –, die bekanntlich friedenserhaltender Art sind
und von den Vereinten Nationen mandatiert sind.

Auffällig ist, dass die PDS bisher notorisch der Kern-
frage praktischer Friedenspolitik auswich,


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


nämlich was in konkreten Konfliktsituationen zur Ein-
dämmung von Gewalt oder gar Krieg notwendig und
möglich ist. Sie weicht auch der schlichten Konsequenz
ihrer Ablehnungsposition aus: Mit dem Abzug durchset-
zungsfähiger Peacekeeper würde örtlichen Extremisten,
Terroristen und Kriegstreibern das Feld überlassen, würde
dem Wiederaufflammen von Gewalt Vorschub geleistet.
Man muss deutlich feststellen: Das ist das Gegenteil von
Antikriegs- und Friedenspolitik; es ist Beihilfe zur Mili-
tarisierung und zum Krieg.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


Redner der PDS zitieren immer wieder vorwurfsvoll
aus früheren Reden der Grünen. Das macht natürlich
Stimmung. Aus Ihrem Mund ist das allerdings kein Beleg
für Prinzipienfestigkeit, sondern für schlichte Lernver-
weigerung.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


Die Erfahrungen aus zehn Jahren Krieg auf dem Balkan,
die Erfahrungen mit weltweiter Friedenssicherung im
UN-Rahmen, die Anforderungen der Vereinten Nationen
an ihre Mitglieder, gegebenenfalls gemäß Kap. VII der
UN-Charta mit militärischen Zwangsmaßnahmen gegen
Gefährdungen der internationalen Sicherheit und des
Weltfriedens vorzugehen, spielen für die angebliche An-
tikriegspartei PDS keine Rolle. Sie beweist damit eine
ausdrückliche UN-Unfähigkeit.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD sowie des Abg. Paul Breuer [CDU/CSU])


Das wäre konsequent und glaubwürdig, wenn es von
einer strikten Ablehnung militärischer Gewalt getragen
wäre. Davon kann bei der PDS allerdings bekanntlich
keine Rede sein. Ein wachsender Teil der PDS, gerade ih-
rer Führung, vertritt seine kategorische Ablehnungsposi-
tion wider besseres Wissen und ohne Gewissen.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


Sie demonstrieren einzig und allein aus parteitaktischen
Motiven Geschlossenheit. Die Streitfrage von Auslands-
einsätzen der Bundeswehr ist bei keiner Partei im Bun-
destag so wenig eine Gewissensfrage und so sehr eine
Frage der Linientreue wie bei der PDS.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)





Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
24460


(C)



(D)



(A)



(B)


Auch wenn das öffentliche Interesse am Balkan
zurückgegangen ist, betone ich, dass wir die europäische
Verantwortung für Frieden auf dem Balkan nicht nur se-
hen, sondern dass wir zu dieser Verantwortung auch ste-
hen. Wir haben den notwendigen langen Atem. Um den
Friedensprozess in Mazedonien – wir befinden uns erst
am Anfang – fortsetzen zu können, unterstützen wir die
Verlängerung des Mandats für den Bundeswehreinsatz.
Dies ist eine notwendige Voraussetzung.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1424305500
Das Wort
hat jetzt der Kollege Günther Nolting von der FDP-Frak-
tion.


Günther Friedrich Nolting (FDP):
Rede ID: ID1424305600
Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! Mehr als 500 Angehörige der
Bundeswehr sind in Mazedonien eingesetzt. Das Mandat
dauert bereits neun Monate. Wir werden es heute um ein
weiteres Vierteljahr verlängern. Ich denke, wir stimmen
alle darin überein, dass dieser Einsatz, nicht zuletzt auf-
grund der deutschen Führungsrolle im Hauptquartier und
der vorbildlichen Leistung aller dort eingesetzten Solda-
ten, erfolgreich war und immer noch ist. Auch ich spreche
allen Angehörigen der Bundeswehr, die dort im Einsatz
sind, meine Anerkennung aus und bedanke mich für ihre
Arbeit.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die Bundeswehr leistet Vorzügliches. Sie ist, trotz einer
unausgewogenen Reform und trotz unverantwortlicher
Einschnitte in den Verteidigungshaushalt, ein hoch ange-
sehener und überaus geachteter Botschafter unseres Lan-
des. Die FDP-Bundestagsfraktion stimmt der Verlänge-
rung des Mandats heute zu.

Herr Minister, Sie haben die Übernahme der Führungs-
rolle durch die Niederlande angesprochen. Ich bin fest da-
von überzeugt, dass die Niederländer diese Arbeit gut be-
wältigen werden. Die FDP-Bundestagsfraktion bedauert
aber, dass diese Führungsrolle nicht an die Europäische
Union übertragen werden konnte.


(Beifall des Abg. Markus Meckel [SPD])

Wäre es für die Europäische Union nicht ein erheblicher
Schritt nach vorn gewesen, wenn sie durch die Führungs-
übernahme ihre außen- und sicherheitspolitischen Fähig-
keiten hätte unter Beweis stellen können?


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Hätte sie dadurch nicht ihre Absicht deutlich unterstrei-
chen können, den Weg in Richtung europäischer Streit-
kräfte ernsthaft gehen zu wollen?


(Beifall bei der FDP – Gert Weisskirchen [Wiesloch] [SPD]: Aber Sie wissen doch, warum!)


Herr Kollege, ich hoffe, dass dies bei der nächsten Man-
datsverlängerung gelingen wird.


(Gert Weisskirchen [Wiesloch] [SPD]: Das lag ja nicht an uns!)


Die schmerzlichen Erfahrungen des Kanzlers, die Ver-
trauensfrage stellen zu müssen, um zu Mehrheiten zu
kommen, mögen ihn dazu bewogen haben, die Notwen-
digkeit eines, wie er es bezeichnete, Entsendegesetzes
herauszustreichen. Es scheint das Ziel des Bundeskanz-
lers zu sein, die Rechte der Regierung zu stärken und so-
mit die des Parlamentes zu schwächen. Hier macht die
FDP-Bundestagsfraktion nicht mit.


(Beifall bei der FDP)

Die FDP-Bundestagsfraktion wird von dem Grundsatz
der Parlamentsarmee nicht abweichen. Ich erwarte dies
auch von allen anderen Fraktionen im Hause.


(Beifall bei der FDP – Peter Zumkley [SPD]: Gespensterdiskussion! – Gert Weisskirchen [Wiesloch] [SPD]: Wissen Sie überhaupt, worüber Sie reden?)


Die FDP-Bundestagsfraktion hat sich dieser wichtigen
Frage und dieser wichtigen Thematik angenommen. Wir
haben in dieser Woche einen entsprechenden Antrag ein-
gebracht. Aber hier geht es um die Beteiligung des Deut-
schen Bundestages und nicht um die Streichung von wei-
teren Rechten. Auch wir sehen natürlich, dass es hier
Regelungsbedarf gibt. So hat das Bundesverfassungsge-
richt bewusst nicht definiert, was unter Einsatz oder un-
ter Einsatz bewaffneter Streitkräfte zu verstehen ist. In
welcher Form ist der Deutsche Bundestag bei militäri-
schen Planungen und Vorbereitungen auf den Einsatz be-
waffneter Streitkräfte im Ausland wie auch bei den
Einsätzen selbst zu beteiligen? Auch dies muss geregelt
werden.

Die Erarbeitung eines vorsorglichen Operationspla-
nes oder die Durchführung spezieller Ausbildungspro-
gramme zur Vorbereitung auf einen eventuellen bewaff-
neten Einsatz ist schon von anderer Qualität als der
tatsächliche Einsatz bewaffneter Streitkräfte. Es besteht
also Regelungsbedarf. Deswegen fordert die FDP-Bun-
destagsfraktion die Bundesregierung auf, einen entspre-
chenden Gesetzentwurf vorzulegen.


(Beifall bei der FDP)

Zukünftige Mandatserteilungen sollten auf sauberer ge-
setzlicher Grundlage getroffen werden. Ich hoffe, dass wir
hier die Unterstützung aller Fraktionen finden werden.

Herr Spranger, ich möchte an Sie noch ein persönliches
Wort richten. Ich wünsche Ihnen im Namen der FDP-
Bundestagsfraktion alles Gute.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1424305700
Das Wort
hat jetzt der Kollege Wolfgang Gehrcke von der PDS-
Fraktion.




Winfried Nachtwei

24461


(C)



(D)



(A)



(B)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1424305800
Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Als gewissenloser Geselle,
wie ich vom Kollegen Nachtwei hingestellt wurde, will
ich zunächst mein Gewissen entlasten und meinem Kol-
legen Carl Spranger meine herzlichen Wünsche sagen.
Lieber Carl Spranger, ich teile viel von dem, was Sie heute
an Kritik über die Einsätze in Mazedonien gesagt haben,
aber nicht die Schlussfolgerung. Ich persönlich habe
gerne mit Ihnen zusammengearbeitet. Es war vielleicht
auch ein Beweis dafür, dass Konservative und Sozialisten
trotz unterschiedlicher Positionen in der Gesellschaft fair
und korrekt miteinander umgehen können. Ich wünsche
Ihnen von Herzen alles Gute!


(Beifall bei der PDS)

Nicht von Herzen will ich mich mit meinem Kollegen

Nachtwei auseinander setzen und dabei auf die Kern-
differenz zu sprechen kommen. Bundeskanzler Schröder
und Außenminister Fischer haben diese Woche auf einer
Pressekonferenz eine Bilanz derAußenpolitik vorgelegt.
Beide rechnen sich hoch an, den militärischen Bereich in
der Außenpolitik enttabuisiert zu haben. Das ist die Leis-
tungsbilanz der rot-grünen Regierung, das Militär in der
Außenpolitik enttabuisiert zu haben! Das ist Schritt für
Schritt über mehr als acht Mandate – darunter auch Verlän-
gerungsmandate – im Bundestag gelaufen: Kosovo, Ostti-
mor – auch daran muss man erinnern –, Afghanistan, Ma-
zedonien etc. Das war die Linie in der Außenpolitik.

Jemand, der sein Gewissen, das ihn früher dazu veran-
lasst hat, Nein zu einer solchen Politik zu sagen, beim Ein-
tritt in die Regierung ablegt,


(Johannes Kahrs [SPD]: Das wäre ein Verbrechen an den Menschen gewesen!)


jemand, der bei Afghanistan einen Salto geschlagen hat
und der, wenn es darauf ankam, hier im Parlament Farbe
zu bekennen, immer wieder abgetaucht ist, soll anderen
nicht Gewissenlosigkeit vorwerfen.


(Beifall bei der PDS – Johannes Kahrs [SPD]: Das ist unglaublich! Ihre Rede zeigt Gewissenlosigkeit!)


Man kann auch an Prinzipien in der Politik festhalten,
wenn allgemein propagiert wird, dass Prinzipien in der
Politik eher hinderlich sind. Ich habe es immer damit ge-
halten, dass Prinzipien in der Politik auch in einer Zeit
eine Bedeutung haben, in der es Mode geworden ist, sich
so prinzipienlos zu verhalten, wie es die Fraktion der Grü-
nen gegenüber ihren Wählerinnen und Wählern gerade an
den Tag gelegt hat.


(Johannes Kahrs [SPD]: Sie haben einfach nicht kapiert, dass es um Menschen geht! Das ist doch gewissenlos! Das ist doch scheinheilig!)


Wenn Sie solche Töne anschlagen, dann müssen Sie sol-
che Töne auch aushalten.


(Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich warte darauf, dass Sie etwas zum Mandat sagen! Aber wahrscheinlich tun Sie das wieder nicht!)


Die Politik und die Entscheidungen der Führung und
der Basis der PDS sind an ihrem Verhalten hier im Parla-

ment nachzuvollziehen. Wir haben keinem Militäreinsatz
zugestimmt und wir werden auch im nächsten Deutschen
Bundestag keinem Militäreinsatz zustimmen. Damit kön-
nen Sie rechnen.


(Johannes Kahrs [SPD]: Ein gewissenloses, verantwortungsloses Verhalten ist das! Sie sollten sich schämen!)


Ich nenne Ihnen ein weiteres Argument: Mit dem jetzt
stattfindenden Probelauf in Mazedonien soll die vorgese-
hene europäische Sicherheitstruppe, eine Interventi-
onstruppe mit 60 000 Personen, durchgesetzt werden.
Dieser Probelauf stellt den Übergang dazu und die Vorbe-
reitung darauf dar. Das wollen Sie.


(Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist für Mazedonien notwendig und was nicht?)


So sind Sie im Kosovo vorgegangen, als Sie über den
Jugoslawien-Krieg die neue NATO-Doktrin durchgesetzt
haben. Genauso operieren Sie jetzt in Mazedonien und
wollen damit die europäische Sicherheitstruppe durchset-
zen, die keine Sicherheit bringt. Das ist das Ergebnis Ih-
rer Politik.


(Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und so etwas nennt sich politische Verantwortung! – Johannes Kahrs [SPD]: Das ist geschichtslos, unhistorisch, peinlich!)


Darüber sollten Sie nicht hinwegtäuschen.

(Beifall bei der PDS – Johannes Kahrs [SPD]: Sie sollten sich schämen für eine solche Rede! Das ist charakterlos!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1424305900
Bevor ich
das Wort weitergebe, nutze ich die Gelegenheit, unserem
Kollegen Hans-Ulrich Klose zu seinem heutigen 65. Ge-
burtstag sehr herzlich zu gratulieren.


(Beifall)

Als letzter Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt

erteile ich jetzt der Kollegin Monika Heubaum von der
SPD-Fraktion das Wort.


Monika Heubaum (SPD):
Rede ID: ID1424306000
Sehr geehrter Herr Präsi-
dent! Meine sehr geehrten Herren und Damen! Liebe Kol-
legen und Kolleginnen! Exakt eine Woche vor der Bundes-
tagswahl werden auch die Mazedonier an die Wahlurnen
gerufen: Am 15. September sind dort Parlamentswahlen.
Damit steht das in der Vergangenheit von Kriegen und eth-
nischen Säuberungen so gebeutelte Land vor einem weite-
ren entscheidenden Schritt der demokratischen Stabilisie-
rung.

Noch vor wenigen Monaten schien die Aussicht auf ge-
waltfreie und in demokratischem Klima ablaufende Par-
lamentswahlen blanke Utopie. Wir alle haben noch die
Bilder vom Frühjahr des vergangenen Jahres vor Augen,
als Morde und brutale Überfälle das Land erschütterten
und Mazedonien am Abgrund eines Bürgerkrieges stand.

Das Ohrid-Abkommen, das im vergangenen August
verabschiedet wurde, brachte die entscheidende Wende.






(C)



(D)



(A)



(B)


Es hat den Grundstein für die demokratische Entwicklung
und Stabilisierung Mazedoniens gelegt. Seither wächst
auch in diesem Teil Europas die Demokratie, wenn auch
zunächst nur als zartes Pflänzchen. Die Verabschiedung
eines Amnestiegesetzes und die ebenfalls vom Parlament
beschlossenen gesetzlichen Rahmenbedingungen für die
lokale Selbstverwaltung sind hoffnungsvolle Schritte
dazu. Gleiches gilt für die multiethnischen Sicherheits-
kräfte, die mittlerweile ihre Arbeit aufgenommen haben,
und für die zunehmende Privatisierung.

Wesentliche Garanten für diese äußerst positive Ent-
wicklung waren und sind auch unsere Soldatinnen und
Soldaten.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Im Rahmen des NATO-Mandats sorgen sie gemeinsam
mit Soldaten der anderen beteiligten Nationen für ein
Klima, in dem Rechtsstaatlichkeit, die Wahrung der Men-
schenrechte, wirtschaftliche Stabilität und die so wich-
tige, aber auch so schwierige Aussöhnung der Bevölke-
rungsgruppen gedeihen können.

Wir alle wissen: Demokratie kann nur dort wachsen,
wo Vertrauen herrscht. Es sind gerade die deutschen Sol-
datinnen und Soldaten, die mit ihrer Anwesenheit Ver-
trauen schaffen – zum einen bei der mazedonischen Be-
völkerung, zum anderen bei jenen, die den Vertrag von
Ohrid umsetzen, den Beobachtern der Europäischen
Union sowie der OSZE.

Man kann es nicht oft genug betonen: Unsere Solda-
tinnen und Soldaten leisten in Mazedonien einen unver-
zichtbaren Beitrag zur Absicherung genau dieses Frie-
densprozesses.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ihr Engagement bei der Mitgestaltung der demokrati-
schen Entwicklung verdient große Anerkennung und
großen Dank.

Natürlich dürfen wir uns keine Illusionen machen. Auch
wenn die Fundamente bereits gelegt sind und der demo-
kratische Prozess damit Boden unter den Füßen hat, wird
der Weg Mazedoniens zu einem festen und stabilen Haus
innerhalb der Demokratien Europas sicher ein langer sein.

Aber die Tür zu Demokratisierung und Stabilisierung
der gesamten Region steht weit offen. Die Chance auf ei-
nen dauerhaften Aussöhnungsprozess und auf Frieden ist
zum Greifen nah. Mit einer Verlängerung des Mandats
schaffen wir hierzu die weiteren Voraussetzungen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Denn was die Menschen in Mazedonien neben Geduld
und Verständnis in den kommenden Monaten am drin-
gendsten brauchen, sind Verlässlichkeit und Vertrauen.
Dies weiterhin zu festigen, das ist die Hauptaufgabe des
Mandats. Niemand, der ernsthaft Interesse an der demo-
kratischen Entwicklung Mazedoniens hat, wird an der
Notwendigkeit der Fortführung des erfolgreichen NATO-
Engagement zweifeln.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Der Verlängerung des Mandats nicht zuzustimmen hieße,
auf halbem Wege stehen zu bleiben. Die daraus erwachsen-
den Risiken wären unabsehbar, gerade im Hinblick auf die
bevorstehenden Parlamentswahlen im September.

In diesem Zusammenhang freue ich mich ganz beson-
ders darüber, dass sich die Frauen für die Listenaufstel-
lung zur Wahl über Partei- und ethnische Grenzen hinweg
sehr gut organisiert haben.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Lassen Sie mich an dieser Stelle noch einen weiteren
Baustein für die Stabilisierung der Region nennen: den
Stabilitätspakt für Südosteuropa. Er ist von großer Be-
deutung für eine umfassende regionale Krisen- und Kon-
fliktprävention. Deshalb ist, auch als Signal an unsere eu-
ropäischen Partner für unser andauerndes Engagement,
eine rechtliche Entscheidung im Bundeshaushalt über
seine Fortführung über das Jahr 2003 hinaus erforderlich.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Gerade der Stabilitätspakt bleibt ein entscheidendes In-
strument, um die regionale Zusammenarbeit dieser Län-
der, die für die langfristige Befriedung der Region unab-
dingbar ist, weiter fortzuführen.

Mazedonien ist auf einem hoffnungsvollen und guten
Weg. Die SPD-Bundestagsfraktion will diesen Weg wei-
ter konstruktiv begleiten.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wir wollen tatkräftig dazu beitragen, dass in Mazedonien
die viel versprechende Perspektive einer beständigen
Demokratie innerhalb Europas verwirklicht wird. Des-
halb stimmt die Bundestagsfraktion der SPD einer Ver-
längerung des Mandats um vier Monate zu.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1424306100
Ich
schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussemp-
fehlung des Auswärtigen Ausschusses auf Drucksache
14/9436 zu dem Antrag der Bundesregierung zur Fortset-
zung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an
dem NATO-geführten Einsatz auf mazedonischem Territo-
rium. Der Ausschuss empfiehlt, dem Antrag auf Drucksa-
che 14/9179 zuzustimmen. Es ist namentliche Abstimmung
verlangt. Ich bitte Sie, zu beachten, dass Sie die richtigen,
mit Ihrem Namen bezeichneten Stimmkarten haben.

Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die
vorgesehenen Plätze einzunehmen. Ist das erfolgt? – Ich
eröffne die Abstimmung.

Sind alle Stimmkarten abgegeben? – Das ist der Fall.
Dann schließe ich die Abstimmung. Ich bitte die Schrift-
führerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu be-
ginnen. Das Ergebnis der namentlichen Abstimmung wird
Ihnen später bekannt gegeben.1)




Monika Heubaum

24463


(C)



(D)



(A)



(B)


1) Seite24466 C

Wir setzen die Beratungen fort. Ich rufe die Tagesord-
nungspunkte 25 a bis 25 d auf:
a) – Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-

richts des Auswärtigen Ausschusses (3. Ausschuss)

zu dem Antrag der Bundesregierung
Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deut-
scher Streitkräfte an dem Einsatz einer inter-
nationalen Sicherheitsunterstützungstruppe in
Afghanistan auf Grundlage der Resolutionen
1386 (2001) vom 20. Dezember 2001 und 1413

(2002) vom 23. Mai 2002 des Sicherheitsrats der

Vereinten Nationen
– Drucksachen 14/9246, 14/94378 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Gert Weisskirchen (Wiesloch)

Karl Lamers
Rita Grießhaber
Dr. Helmut Haussmann
Wolfgang Gehrcke

– Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss)

gemäß § 96 der Geschäftsordnung
– Drucksache 14/9447 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Uta Titze-Stecher
Dietrich Austermann
Antje Hermenau
Dr. Werner Hoyer
Dr. Christa Luft

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des

(3. Ausschuss)

Dr. Dietmar Bartsch, Petra Bläss, Carsten Hübner,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der PDS
Bundeswehreinheiten aus der Golfregion
zurückziehen
– Drucksachen 14/8270, 14/8834 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Christoph Moosbauer
Joachim Hörster
Rita Grießhaber
Dr. Helmut Haussmann
Wolfgang Gehrcke

c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-

(3. Ausschuss)

Bläss, Wolfgang Gehrcke, Carsten Hübner, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion der PDS
Bündnisfall aufheben
– Drucksachen 14/8664, 14/9435 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Markus Meckel
Karl Lamers
Rita Grießhaber
Dr. Helmut Haussmann
Wolfgang Gehrcke

d) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Auswärtigen Ausschusses (3. Ausschuss)

zu dem Antrag der Fraktion der PDS
Den internationalen Terrorismus wirksam
bekämpfen – den Krieg in Afghanistan beenden
– Drucksachen 14/7500, 14/8234 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Gert Weisskirchen (Wiesloch)

Christian Schmidt (Fürth)

Dr. Helmut Lippelt
Ulrich Irmer
Wolfgang Gehrcke

Über die Beschlussempfehlung zu dem Antrag der Bun-
desregierung werden wir später namentlich abstimmen.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Bevor ich die Aussprache eröffne, bitte ich, die Plätze
einzunehmen bzw. die Gespräche außerhalb des Plenar-
saals fortzusetzen.

Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat der
Bundesminister Rudolf Scharping das Wort.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1424306200

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Afghanistan
wird in wenigen Tagen eine legitimierte und politisch
handlungsfähige Übergangsregierung haben. Wer hätte
das vor sechs oder acht Monaten geglaubt?


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)


Ich gratuliere dem gewählten Präsidenten Hamid
Karzai von diesem Hohen Hause aus namens der Bun-
desregierung ganz herzlich und wünsche ihm Glück,
Fortune und die nötige Unterstützung, damit sein Land
wieder auf einen guten Weg kommt.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der FDP)


Wir erleben zurzeit einen Meilenstein auf dem Weg
dieses Landes in eine Zukunft ohne Terror, ohne Krieg,
ohne Gewalt, eine Zukunft, die allen Menschen Grund-
rechte garantiert und ein Leben in Würde ermöglicht. In
diesem Land werden die Frauen, insbesondere die
Mädchen, wieder Zugang zum öffentlichen Leben, zu Bil-
dung und Ausbildung und zu dem kulturellen Reichtum
des Landes und der gesamten Region haben. Das ist ein
unglaublich wichtiger Fortschritt.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)


Dieser Fortschritt ist aber ganz und gar ungesichert. Er
bedarf der Stabilisierung durch die Arbeit der Interims-
administration in Afghanistan und umfassender Unter-
stützung bei der Festigung der staatlichen Autorität und
ihrer Ausweitung auf das ganze Land.

Ich glaube, man kann im Deutschen Bundestag auch ein-
mal sagen, dass wir nicht nur auf die Leistungen stolz sind,




Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
24464


(C)



(D)



(A)



(B)


die wir mithilfe unserer Soldatinnen und Soldaten im Rah-
men der Sicherheitspräsenz in Afghanistan erbringen. Die
Bundesregierung, insbesondere der Bundeskanzler und der
Bundesaußenminister, hat mithilfe unter anderem der Ver-
einten Nationen Erhebliches dazu beigetragen, dass dieser
politische Weg überhaupt beschritten werden konnte:


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir haben die Afghanistan-Konferenz auf dem Peters-
berg unterstützt und in gewisser Weise ermöglicht. Wir
haben mitgewirkt an einer umfassenden Strategie der po-
litischen Stabilisierung. Wir haben unter dem Dach der
Europäischen Union und in der internationalen Staaten-
gemeinschaft wirtschaftliche Beiträge zum Wiederaufbau
geleistet. Nicht zuletzt leisten wir auch einen substanziel-
len Beitrag beim Aufbau der Polizei und bei der Gewähr-
leistung der Sicherheit in Kabul und seiner Umgebung. –
Das alles muss konsequent fortgesetzt werden.

Der Weg ist frei für eine verfassungsgebende Ver-
sammlung, für demokratische Wahlen innerhalb von zwei
Jahren. Der Weg des „nation building“, also der Entwick-
lung des Landes in einer Weise, die es den Menschen er-
möglicht, das Schicksal ihres Landes in die Hände zu neh-
men und selbst zu bestimmen, hat aber erst begonnen; er
ist noch nicht erfolgreich zurückgelegt. Damit diese Auf-
gabe bewältigt werden kann, muss es bei der politischen,
wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen und auch sicher-
heitspolitischen Unterstützung eines der ärmsten Länder
der Erde bleiben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Es gibt in Afghanistan noch viel zu tun, darüber hinaus
aber auch in der ganzen Region. Der Sicherheitsrat der
Vereinten Nationen hat am 23. Mai festgestellt, dass „die
Situation in Afghanistan weiterhin eine Bedrohung des
Weltfriedens und der internationalen Stabilität darstellt“.

Die umfassende Niederlage der Taliban und die ver-
gleichsweise friedlichen Bilder aus Kabul dürfen über
eines nicht hinwegtäuschen: Marodierende Banden,
Überfälle, Widerstandsnester versprengter Taliban, unter-
getauchte al-Qaida-Kämpfer gehören zur afghanischen
Realität. Hinzu kommt, dass einzelne Stammesfürsten
Teile des Landes noch als Warlords kontrollieren. – Das
macht die Risiken deutlich, denen sich das Land und all
diejenigen gegenüber sehen, die das Land international zu
unterstützen versuchen.

Im Wissen darum, welch schlechte Erfahrungen das
afghanische Volk mit einer starken Präsenz ausländischer
Streitkräfte gemacht hat, und im Wissen darum, wie sehr
es sich dagegen gewehrt hat und dass dies das falsche po-
litische Signal wäre, verzichten wir bewusst auf eine
starke militärische Präsenz, nicht aber auf einen militäri-
schen Beitrag. Vor diesem Hintergrund ist es sinnvoll und
auch notwendig, das ISAF-Engagement in Kabul und sei-
ner Umgebung fortzusetzen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie des Abg. Manfred Grund [CDU/CSU] und des Abg. Günther Friedrich Nolting [FDP])


Mit dem Antrag der Bundesregierung bitten wir den
Bundestag um die Zustimmung, die Obergrenze von
1 200 Soldaten der Bundesrepublik Deutschland bedarfs-
und zeitweise auf bis zu 200 Soldaten erhöhen zu können,
um flexibler auf jeweils unterschiedliche Entwicklungen
der Lage reagieren und – das ist genauso wichtig – den
Schutz der eigenen eingesetzten Soldaten gut gewährleis-
ten zu können.

Meine Damen und Herren, das Vertrauen der afghani-
schen Bevölkerung in Deutschland war auf der Grundlage
historischer Erfahrungen und guter Beziehungen von An-
fang an groß. Es ist deshalb auch richtig, dieses umfas-
sende Engagement fortzusetzen und den Einsatz der
Sicherheitspräsenz in das Engagement klug zu integrie-
ren.

Ich füge hinzu: Auch das ist präventive Politik.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Es ist präventive Politik im eigentlichen Sinne des Wor-
tes. Wir wollen nämlich verhindern, dass Afghanistan in
Zeiten der Unterdrückung und des Bürgerkriegs zurück-
fällt; wir wollen nicht, dass Afghanistan in Zeiten zurück-
fällt, in denen das Land als scheinbar sicherer Hafen für
terroristische Organisationen missbraucht wurde.

Wenn es gelingt, die gesellschaftliche, politische und
wirtschaftliche Situation in diesem Land zu verbessern,
wird das auch der gesamten Region zugute kommen, und
zwar schon deshalb, weil es ein glaubwürdiges Beispiel
dafür bietet.

Hier will ich darauf aufmerksam machen, dass ich zum
Beispiel Veränderungen in der amerikanischen Haltung
spüre. Die Amerikaner hatten am Anfang die Vorstellung,
dass sie gegen den Terrorismus kämpfen, ihn mit Stumpf
und Stiel ausrotten und dann Afghanistan verlassen. Auch
unsere Freunde verstehen inzwischen besser, dass mi-
litärische Mittel nur dann vertretbar sind, wenn sie letztes
Mittel bleiben und in einem umfassenden politisch ver-
standenen Prozess eine unterstützende und nicht die do-
minierende Rolle spielen. Dabei muss es auch bleiben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Afghanistan könnte, wenn wir alle klug sind und ent-
schlossen handeln, ein gutes Beispiel für die Region ge-
ben. Afghanistan könnte auch mit Blick auf andere Kon-
flikte – Kaschmir, Naher Osten und andere Staaten –
hilfreich sein. Damit meine ich nicht, dass hier eine Lö-
sung modelliert wird; aber in Bezug auf die Glaubwür-
digkeit, die Konsequenz, die Langfristigkeit und die Ent-
schlossenheit unseres Handelns wird es hilfreich sein.

Meine Damen und Herren, ich will auf internationale
sicherheitspolitische Probleme ansonsten nicht eingehen,
sondern nur noch hinzufügen, dass der bisherige Verlauf
der Loya Jirga, der Großen Ratsversammlung, Grund zur
Hoffnung gibt. Wir müssen diese Hoffnung allerdings wei-
terhin stärken. Ich bitte Sie, auch in Respekt vor der beson-
deren Leistung unserer Soldatinnen und Soldaten, ange-
sichts des sehr substanziellen Beitrags, den sie erbringen,
um breite Unterstützung des Deutschen Bundestages für




Bundesminister Rudolf Scharping

24465


(C)



(D)



(A)



(B)


das, was wir mit der Hilfe unserer Soldatinnen und Solda-
den eingebettet in ein umfassendes Konzept in Afghanis-
tan leisten.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1424306300
Ich
komme zum Tagesordnungspunkt 24 zurück und gebe
das von den Schriftführerinnen und Schriftführern
ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung
bekannt. Abgegebene Stimmen 556. Mit Ja haben
gestimmt 517, mit Nein haben gestimmt 34, Enthaltun-
gen 5.




Bundesminister Rudolf Scharping
24466


(C)



(D)



(A)



(B)


Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 556;
davon

ja: 517
nein: 34
enthalten: 5

Ja
SPD
Brigitte Adler
Gerd Andres
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Hermann Bachmaier
Ernst Bahr
Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Eckhardt Barthel (Berlin)

Klaus Barthel (Starnberg)

Ingrid Becker-Inglau
Dr. Axel Berg
Hans-Werner Bertl
Friedhelm Julius Beucher
Petra Bierwirth
Kurt Bodewig
Klaus Brandner
Anni Brandt-Elsweier
Willi Brase
Rainer Brinkmann (Detmold)

Bernhard Brinkmann

(Hildesheim)


Hans-Günter Bruckmann
Ulla Burchardt
Dr. Michael Bürsch
Hans Büttner (Ingolstadt)

Marion Caspers-Merk
Wolf-Michael Catenhusen
Dr. Peter Danckert
Dr. Herta Däubler-Gmelin
Christel Deichmann
Karl Diller
Peter Dreßen
Detlef Dzembritzki
Dieter Dzewas
Sebastian Edathy
Ludwig Eich
Marga Elser
Petra Ernstberger
Annette Faße
Lothar Fischer (Homburg)

Gabriele Fograscher
Iris Follak
Norbert Formanski
Rainer Fornahl
Hans Forster

Lilo Friedrich (Mettmann)

Harald Friese
Anke Fuchs (Köln)

Arne Fuhrmann
Monika Ganseforth
Konrad Gilges
Iris Gleicke
Günter Gloser
Renate Gradistanac
Günter Graf (Friesoythe)

Angelika Graf (Rosenheim)

Dieter Grasedieck
Monika Griefahn
Kerstin Griese
Achim Großmann
Wolfgang Grotthaus
Hans-Joachim Hacker
Klaus Hagemann
Alfred Hartenbach
Klaus Hasenfratz
Nina Hauer
Hubertus Heil
Reinhold Hemker
Frank Hempel
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Monika Heubaum
Stephan Hilsberg
Gerd Höfer
Jelena Hoffmann (Chemnitz)

Walter Hoffmann

(Darmstadt)


Frank Hofmann (Volkach)

Ingrid Holzhüter
Eike Hovermann
Christel Humme
Lothar Ibrügger
Barbara Imhof
Brunhilde Irber
Gabriele Iwersen
Renate Jäger
Jann-Peter Janssen
Ilse Janz
Dr. Uwe Jens
Johannes Kahrs
Ulrich Kasparick
Sabine Kaspereit
Susanne Kastner
Ulrich Kelber
Hans-Peter Kemper
Klaus Kirschner
Marianne Klappert
Siegrun Klemmer
Hans-Ulrich Klose
Walter Kolbow
Fritz Rudolf Körper
Anette Kramme

Nicolette Kressl
Volker Kröning
Angelika Krüger-Leißner
Horst Kubatschka
Ernst Küchler
Helga Kühn-Mengel
Ute Kumpf
Konrad Kunick
Dr. Uwe Küster
Werner Labsch
Christine Lambrecht
Brigitte Lange
Christian Lange (Backnang)

Detlev von Larcher
Christine Lehder
Waltraud Lehn
Robert Leidinger
Klaus Lennartz
Dr. Elke Leonhard
Eckhart Lewering
Götz-Peter Lohmann

(Neubrandenburg)


Gabriele Lösekrug-Möller
Erika Lotz
Dr. Christine Lucyga
Dieter Maaß (Herne)

Winfried Mante
Dirk Manzewski
Tobias Marhold
Lothar Mark
Ulrike Mascher
Christoph Matschie
Heide Mattischeck
Markus Meckel
Ulrike Mehl
Ulrike Merten
Angelika Mertens
Dr. Jürgen Meyer (Ulm)

Ursula Mogg
Christoph Moosbauer
Siegmar Mosdorf
Michael Müller (Düsseldorf)

Jutta Müller (Völklingen)

Christian Müller (Zittau)

Franz Müntefering
Andrea Nahles
Volker Neumann (Bramsche)

Dr. Edith Niehuis
Dr. Rolf Niese
Dietmar Nietan
Günter Oesinghaus
Eckhard Ohl
Leyla Onur
Manfred Opel
Holger Ortel
Adolf Ostertag
Kurt Palis
Albrecht Papenroth

Dr. Martin Pfaff
Georg Pfannenstein
Johannes Pflug
Dr. Eckhart Pick
Karin Rehbock-Zureich
Dr. Carola Reimann
Margot von Renesse
Renate Rennebach
Bernd Reuter
Dr. Edelbert Richter
Christel Riemann-
Hanewinckel

Reinhold Robbe
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth (Heringen)

Birgit Roth (Speyer)

Gerhard Rübenkönig
Marlene Rupprecht
Thomas Sauer
Dr. Hansjörg Schäfer
Gudrun Schaich-Walch
Rudolf Scharping
Bernd Scheelen
Dr. Hermann Scheer
Siegfried Scheffler
Horst Schild
Otto Schily
Dieter Schloten
Horst Schmidbauer

(Nürnberg)


Ulla Schmidt (Aachen)

Silvia Schmidt (Eisleben)

Dagmar Schmidt (Meschede)

Wilhelm Schmidt (Salzgitter)

Dr. Frank Schmidt

(Weilburg)


Regina Schmidt-Zadel
Heinz Schmitt (Berg)

Carsten Schneider
Dr. Emil Schnell
Walter Schöler
Karsten Schönfeld
Fritz Schösser
Ottmar Schreiner
Dr. Mathias Schubert
Richard Schuhmann

(Delitzsch)


Brigitte Schulte (Hameln)

Reinhard Schultz

(Everswinkel)


Volkmar Schultz (Köln)

Ewald Schurer
Dr. Angelica Schwall-Düren
Rolf Schwanitz
Bodo Seidenthal
Erika Simm
Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk






(C)



(D)



(A)



(B)


Dr. Cornelie Sonntag-
Wolgast

Wieland Sorge
Wolfgang Spanier
Dr. Margrit Spielmann
Jörg-Otto Spiller
Dr. Ditmar Staffelt
Antje-Marie Steen
Ludwig Stiegler
Rolf Stöckel
Rita Streb-Hesse
Reinhold Strobl (Amberg)

Dr. Peter Struck
Joachim Stünker
Joachim Tappe
Jörg Tauss
Jella Teuchner
Dr. Gerald Thalheim
Wolfgang Thierse
Franz Thönnes
Uta Titze-Stecher
Adelheid Tröscher
Hans-Eberhard Urbaniak
Rüdiger Veit
Simone Violka
Ute Vogt (Pforzheim)

Hans Georg Wagner
Hedi Wegener
Dr. Konstanze Wegner
Wolfgang Weiermann
Reinhard Weis (Stendal)

Matthias Weisheit
Gunter Weißgerber
Gert Weisskirchen

(Wiesloch)


Dr. Ernst Ulrich von
Weizsäcker

Jochen Welt
Dr. Rainer Wend
Hildegard Wester
Lydia Westrich
Inge Wettig-Danielmeier
Dr. Margrit Wetzel
Dr. Norbert Wieczorek
Jürgen Wieczorek (Böhlen)

Helmut Wieczorek

(Duisburg)


Dieter Wiefelspütz
Heino Wiese (Hannover)

Klaus Wiesehügel
Brigitte Wimmer (Karlsruhe)

Engelbert Wistuba
Barbara Wittig
Dr. Wolfgang Wodarg
Verena Wohlleben
Hanna Wolf (München)

Waltraud Wolff

(Wolmirstedt)


Heidemarie Wright
Dr. Christoph Zöpel
Peter Zumkley
CDU/CSU
Ulrich Adam
Peter Altmaier
Dietrich Austermann
Günter Baumann
Brigitte Baumeister

Meinrad Belle
Dr. Sabine Bergmann-Pohl
Otto Bernhardt
Hans-Dirk Bierling
Dr. Joseph-Theodor Blank
Renate Blank
Dr. Heribert Blens
Peter Bleser
Dr. Norbert Blüm
Sylvia Bonitz
Jochen Borchert
Klaus Brähmig
Dr. Ralf Brauksiepe
Paul Breuer
Georg Brunnhuber
Klaus Bühler (Bruchsal)

Hartmut Büttner

(Schönebeck)


Dankward Buwitt
Cajus Caesar
Peter H. Carstensen

(Nordstrand)


Leo Dautzenberg
Wolfgang Dehnel
Hubert Deittert
Albert Deß
Renate Diemers
Thomas Dörflinger
Dr. Hansjürgen Doss
Marie-Luise Dött
Rainer Eppelmann
Ilse Falk
Dr. Hans Georg Faust
Albrecht Feibel
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer (Hamburg)

Axel E. Fischer

(Karlsruhe-Land)


Herbert Frankenhauser
Dr. Gerhard Friedrich

(Erlangen)


Dr. Hans-Peter Friedrich

(Hof)


Erich G. Fritz
Dr. Jürgen Gehb
Norbert Geis
Dr. Reinhard Göhner
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Kurt-Dieter Grill
Manfred Grund
Horst Günther (Duisburg)

Carl-Detlev Freiherr von
Hammerstein

Gottfried Haschke

(Großhennersdorf )


Gerda Hasselfeldt
Hansgeorg Hauser

(Rednitzhembach)


Helmut Heiderich
Ursula Heinen
Manfred Heise
Detlef Helling
Ernst Hinsken
Peter Hintze
Martin Hohmann
Josef Hollerith
Siegfried Hornung
Joachim Hörster

Hubert Hüppe
Susanne Jaffke
Georg Janovsky
Dr.-Ing. Rainer Jork
Dr. Harald Kahl
Bartholomäus Kalb
Dr.-Ing. Dietmar Kansy
Volker Kauder
Eckart von Klaeden
Ulrich Klinkert
Norbert Königshofen
Hartmut Koschyk
Thomas Kossendey
Rudolf Kraus
Dr. Martina Krogmann
Werner Kuhn
Karl Lamers
Dr. Karl A. Lamers

(Heidelberg)


Dr. Norbert Lammert
Helmut Lamp
Dr. Paul Laufs
Karl-Josef Laumann
Vera Lengsfeld
Werner Lensing
Peter Letzgus
Ursula Lietz
Walter Link (Diepholz)

Dr. Klaus W. Lippold

(Offenbach)


Dr. Manfred Lischewski
Wolfgang Lohmann

(Lüdenscheid)


Dr. Michael Luther
Erich Maaß (Wilhelmshaven)

Erwin Marschewski

(Recklinghausen)


Dr. Martin Mayer

(Siegertsbrunn)


Wolfgang Meckelburg
Dr. Michael Meister
Friedrich Merz
Bernward Müller (Jena)

Elmar Müller (Kirchheim)

Günter Nooke
Franz Obermeier
Friedhelm Ost
Eduard Oswald
Dr. Peter Paziorek
Anton Pfeifer
Dr. Friedbert Pflüger
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Marlies Pretzlaff
Dr. Bernd Protzner
Thomas Rachel
Hans Raidel
Dr. Peter Ramsauer
Helmut Rauber
Peter Rauen
Christa Reichard (Dresden)

Katherina Reiche
Erika Reinhardt
Hans-Peter Repnik
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Franz Romer
Hannelore Rönsch

(Wiesbaden)


Kurt J. Rossmanith
Adolf Roth (Gießen)

Dr. Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Volker Rühe
Dr. Wolfgang Schäuble
Hartmut Schauerte
Karl-Heinz Scherhag
Dr. Gerhard Scheu
Norbert Schindler
Christian Schmidt (Fürth)

Dr.-Ing. Joachim Schmidt

(Halsbrücke)


Andreas Schmidt (Mülheim)

Hans Peter Schmitz

(Baesweiler)


Reinhard Freiherr von
Schorlemer

Dr. Erika Schuchardt
Gerhard Schulz
Clemens Schwalbe
Dr. Christian Schwarz-
Schilling

Wilhelm Josef Sebastian
Marion Seib
Heinz Seiffert
Werner Siemann
Johannes Singhammer
Bärbel Sothmann
Margarete Späte
Carl-Dieter Spranger
Erika Steinbach
Dr. Wolfgang Freiherr von
Stetten

Andreas Storm
Dorothea Störr-Ritter
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Thomas Strobl (Heilbronn)

Michael Stübgen
Edeltraut Töpfer
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Angelika Volquartz
Andrea Voßhoff
Peter Weiß (Emmendingen)

Gerald Weiß (Groß-Gerau)

Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese (Ehingen)

Hans-Otto Wilhelm (Mainz)

Bernd Wilz
Matthias Wissmann
Werner Wittlich
Dagmar Wöhrl
Elke Wülfing
Peter Kurt Würzbach
Wolfgang Zeitlmann
Wolfgang Zöller
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Gila Altmann (Aurich)

Volker Beck (Köln)

Angelika Beer
Matthias Berninger
Grietje Bettin
Ekin Deligöz
Amke Dietert-Scheuer

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms






(C)



(D)



(A)



(B)


Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Dr. Thea Dückert
Franziska Eichstädt-Bohlig
Dr. Uschi Eid
Hans-Josef Fell
Joseph Fischer (Frankfurt)

Katrin Göring-Eckardt
Rita Grießhaber
Gerald Häfner
Antje Hermenau
Ulrike Höfken
Michaele Hustedt
Dr. Angelika Köster-Loßack
Steffi Lemke
Dr. Reinhard Loske
Kerstin Müller (Köln)

Winfried Nachtwei
Cem Özdemir
Simone Probst
Christine Scheel
Irmingard Schewe-Gerigk
Rezzo Schlauch
Albert Schmidt (Hitzhofen)

Werner Schulz (Leipzig)

Christian Sterzing
Jürgen Trittin
Dr. Antje Vollmer
Dr. Ludger Volmer
Sylvia Voß
Helmut Wilhelm (Amberg)

Margareta Wolf (Frankfurt)


FDP
Hildebrecht Braun

(Augsburg)


Ernst Burgbacher
Jörg van Essen
Gisela Frick
Paul K. Friedhoff
Rainer Funke
Dr. Wolfgang Gerhardt
Hans-Michael Goldmann
Joachim Günther (Plauen)

Dr. Karlheinz Guttmacher
Klaus Haupt
Dr. Helmut Haussmann
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Dr. Klaus Kinkel
Dr. Heinrich L. Kolb
Gudrun Kopp
Jürgen Koppelin
Ina Lenke
Dirk Niebel
Günther Friedrich Nolting
Hans-Joachim Otto

(Frankfurt)


Detlef Parr
Dr. Günter Rexrodt
Gerhard Schüßler
Marita Sehn
Gudrun Serowiecki
Dr. Hermann Otto Solms

Dr. Dieter Thomae
Jürgen Türk

Nein
CDU/CSU
Dr. Wolf Bauer
Wolfgang Börnsen

(Bönstrup)


BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Monika Knoche
PDS
Dr. Dietmar Bartsch
Wolfgang Bierstedt
Petra Bläss
Maritta Böttcher
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Heidemarie Ehlert
Dr. Heinrich Fink
Dr. Ruth Fuchs
Wolfgang Gehrcke
Dr. Klaus Grehn
Uwe Hiksch
Dr. Barbara Höll
Carsten Hübner
Gerhard Jüttemann

Dr. Evelyn Kenzler
Rolf Kutzmutz
Ursula Lötzer
Dr. Christa Luft
Heidemarie Lüth
Pia Maier
Angela Marquardt
Kersten Naumann
Rosel Neuhäuser
Christine Ostrowski
Petra Pau
Christina Schenk
Gustav-Adolf Schur
Dr. Ilja Seifert
Dr. Winfried Wolf
Fraktionslose Abgeordnete
Christa Lörcher

Enthalten
CDU/CSU
Norbert Otto (Erfurt)

BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Annelie Buntenbach
Winfried Hermann
Christian Simmert
Hans-Christian Ströbele

Entschuldigt wegen Übernahme einer Verpflichtung im Rahmen ihrer Mitgliedschaft in den Parlamentarischen Versammlungen des
Europarates und der WEU, der Parlamentarischen Versammlung der NATO, der OSZE oder der IPU
Abgeordnete(r)
Behrendt, Wolfgang Bindig, Rudolf Lintner, Eduard Dr. Lippelt, Helmut

SPD SPD CDU/CSU BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Müller (Berlin), Manfred Zierer, Benno
PDS CDU/CSU

Der Antrag ist angenommen.
Als nächstem Redner gebe ich dem Kollegen Christian

Schwarz-Schilling von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.


Dr. Christian Schwarz-Schilling (CDU):
Rede ID: ID1424306400
Herr
Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr
Kollege Scharping, durch Ihre Eingangsworte bin ich an
etwas erinnert worden. Sie können sich auf die Mitwir-
kung der Opposition bei diesem Einsatz voll verlassen.
Wir stimmen ihm zu.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich sage das mit einer gewissen Anspielung auf die Zei-
ten, als die CDU/CSU hier entsprechende Dinge – ich

denke an den Einsatz von zwei kleinen Schiffen auf der
Adria – vorgenommen hat.


(V o r s i t z : Vizepräsidentin Petra Bläss)

Als Folge bekamen wir einen Verfassungsgerichtspro-

zess an den Hals und es hat sehr lange gedauert, bis die Op-
position einer solchen Regierungspolitik zugestimmt hat.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Gert Weisskirchen [Wiesloch] [SPD]: Da war auch die FDP dabei!)


Meine Damen und Herren, wenn man diesem Hause
26 Jahre angehört, darf man auch einmal an einige histo-
rische Dinge erinnern. Auch das gehört dazu.

Wir stimmen, wie ich eben bereits sagte, diesem Ein-
satz zu. In einem Moment, in dem militärische Aktionen

und diplomatische Aktionen in einer eigentlich erst im
21. Jahrhundert sichtbaren Weise parallel wirken, ist eine
solche Zustimmung umso mehr angebracht. Ich habe das
Wort „parallel“ gebraucht, weil ich immer noch den von
manchen für besonders klug gehaltenen Satz im Ohr habe,
Militäreinsätze seien nur das allerletzte Mittel, wobei man
aber nicht bedacht hatte, dass dieses Mittel zumindest als
Bedrohung, nicht unbedingt in der Ausführung am An-
fang stehen muss, wenn man es mit Diktatoren oder Ge-
waltherrschern zu tun hat. Die Möglichkeit eines Einsat-
zes muss jederzeit gegeben sein, wenn man das Spiel
zwischen Diplomatie und Militär im 21. Jahrhundert
richtig versteht.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)


Herr Kollege Gehrcke, ich wiederhole das, was ich
vorgestern im Auswärtigen Ausschuss gesagt habe: Ihre
Politik ist von vorgestern und ohne jede Moral.


(Zustimmung bei der SPD)

Sie hätten wohl weiter zugeschaut, wenn die Massaker in
Bosnien weitergegangen wären,


(Zuruf von der SPD: Ja!)

wenn alle Menschen im Kosovo vertrieben worden wären


(Zuruf von der SPD: Ja!)

und wenn die Dinge in Afghanistan weiter wie früher ge-
laufen wären.


(Zuruf von der SPD: Ja!)

Dann würden Sie immer noch sagen, Sie seien die einzig
Moralischen in diesem Hause.


(Zuruf von der CDU/CSU: Sehr richtig!)

Ich lasse Sie bei Ihrem Glauben, meine aber zu wissen,
dass Sie Ihren Worten selber nicht glauben.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)


Meine Damen und Herren, wir haben gestern die Nach-
richt gehört – es wurde schon darauf hingewiesen –, dass
die Loya Jirga Hamid Karzai mit über 80 Prozent der
Stimmen gewählt hat. Das ist wirklich ein Erfolg. Da ich
sonst auch sehr viele kritische Äußerungen mache, sage
ich dem Außenminister, dass er auf dem Petersberg maß-
geblich einen Prozess in Gang gebracht hat, der zu diesem
Erfolg geführt hat.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)


Ich danke ihm dafür. Es ist ja nicht ganz selbstverständ-
lich, dass diese Politik mit dem Einsatz von Diplomatie
und Militär von dieser Bundesregierung mit entsprechen-
der Kraft vorangetrieben worden ist.

Die Zusammenarbeit zwischen Militär und Diplomatie
ist meines Erachtens von großer Bedeutung. Besonders
interessant ist aber, dass wir auch gelernt haben, dass die
Polizei ganz wichtig ist. Was habe ich mich in den ver-
gangenen Jahren bemüht, die Polizei als eine der wichtigs-
ten demokratischen Säulen in einem aufzubauenden Staat

auch uns präsent zu machen! Ich bin dankbar, dass gerade
die Bundesregierung diesen Teil sehr ernst nimmt und da-
bei eine maßgebliche Rolle spielt. Dies ist für die lang-
fristige Befriedung dieses Landes von außerordentlicher
Bedeutung: mindestens von der Bedeutung des Aufbaus
einer afghanischen Armee, vielleicht sogar von größerer
Bedeutung.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)


Dass das Ganze kein Zuckerschlecken und kein Spa-
ziergang ist, haben wir gestern und vorgestern ebenfalls in
den Nachrichten gehört. Auch deutsche Soldaten wurden
in tätliche Auseinandersetzungen verwickelt und bedroht.
Wir alle wissen nicht, welche Risiken hier noch auf uns
zukommen können. Deswegen müssen wir umso mehr
unsere Bundeswehr ermutigen, indem wir – bis auf die
Vorgestrigen hier im Hause – alle hinter ihr stehen und
voller Bewunderung darüber sind, mit welcher Professio-
nalität diese Aufgabe erfüllt wird.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)


Das hat bei manchen, die nach 1989/90 meinten man
könne die ganze Bundeswehr abschaffen, wahrscheinlich
zu einem gewissen Umkehrprozess in der Achtung vor der
Bundeswehr geführt.

Ein großer Erfolg ist auch die Wiedereröffnung der
Schulen. Sie sehen Bilder mit Jungen und Mädchen, die
wieder in die Schule gehen können. Sie sehen auch die
Aktivität der Frauen.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)


Über 100 Frauen – das sind fast 5 Prozent – sind Mitglied
der Großen Ratsversammlung. Es hat sich sogar eine Kan-
didatin für die Präsidentschaft gefunden, eine 35-jährige
Ärztin, die zwar keine Chancen hatte,


(Hildebrecht Braun [Augsburg] [FDP]: Noch nicht!)


die aber ein Zeichen gesetzt hat, in welche Richtung die-
ses Land geht.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)


Die Sicherheitslage hat weitere positive Konsequen-
zen. Wir haben über 900 000 Rückkehrer, bald werden es
1 Million sein. Damit stellt sich natürlich auch die Frage
nach der Sicherheit der zurückkehrenden Flüchtlinge.
Dazu möchte ich eine Anmerkung machen, weil immer
etwas schnell gesagt wird: Wir beschränken uns auf Ka-
bul. Das ist im Moment sicher richtig. Langfristig gese-
hen werden wir Sicherheit aber nur im ganzen Land ha-
ben oder sie wird gar nicht kommen. Als nächstes Zeichen
muss auch in den Provinzhauptstädten Sicherheit einkeh-
ren. Wir können das nicht den Amerikanern überlassen
nach dem Motto „Jagt die Terroristen“, sondern das Ziel
muss eine kontinuierliche Erhöhung der Sicherheit auch
draußen im Lande sein, zumindest schon einmal in den
Metropolen der Provinzen, damit sich Sicherheit von dort
weiter ausbreitet. Sicherheit allein in der Hauptstadt wird
auf lange Sicht nicht ausreichen.






(C)



(D)



(A)



(B)


Dr. Christian Schwarz-Schilling

Lassen Sie mich noch zu einem anderen Punkt kom-
men, gerade auch vor dem Hintergrund der Diskussion
über den NATO-Einsatz auf dem Balkan. Es ist sehr merk-
würdig, wie alle Dinge heute zusammenwirken; der Kol-
lege Spranger hat auch schon darauf hingewiesen. Die
Frage, unter welchem Gesichtspunkt wir heute Interven-
tionen durchführen dürfen, hat sich in den letzten zehn
Jahren unglaublich stark weiter entwickelt. Auf dem Mil-
lenniumsgipfel hatte der Generalsekretär der Vereinten
Nationen, Kofi Annan, die Frage gestellt: Wenn die hu-
manitäre Intervention tatsächlich einen nicht hinnehmba-
ren Angriff auf die Souveränität darstellt, wie sollen wir
dann die Antwort auf ein Ruanda, auf ein Srebrenica fin-
den, auf grobe und systematische Menschenrechtsver-
letzungen, die jeglichem universellen Gebot der Mit-
menschlichkeit Hohn sprechen?

Die Kommission von Lloyd Axworthy, eine stark von
Kanada finanzierte Kommission, kam zu dem Ergebnis,
dass sich in Theorie und Praxis tatsächlich ein Grundsatz
der humanitären Intervention herauszubilden beginnt,
der die Doktrin der Staatensouveränität überlagern
könnte. In Gesprächen mit Menschen in aller Welt erfah-
ren wir das Bild eines Übergangs von der Kultur der sou-
veränen Straflosigkeit zu einer Kultur der nationalen und
internationalen Rechenschaftspflichtigkeit.


(Zuruf von der SPD: Sehr gut!)

Ich glaube, damit ist der Weg sehr gut beschrieben.

Diesen Weg müssen wir weiter gehen. Das ist das Thema
des 21. Jahrhunderts. Das möchte ich hier deutlich sagen.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP – Gert Weisskirchen [Wiesloch] [SPD]: So ist es!)


Gerade vor dem Hintergrund der Geschichte Europas,
wo wir Jahrhunderte gebraucht haben, um Menschen-
rechte, Rechtsstaatlichkeit und Gewaltenteilung zu ent-
wickeln, wo wir etwas ungeduldig sind und in diesen
Staaten das alles in zwei, drei Jahren erreichen wollen,


(Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!)

möchte ich sagen: Bitte etwas mehr Geduld, auch in der
militärischen Präsenz. Wir sollten nicht immer im Sinne
einer Exit-Strategie die Frage stellen: Gehen wir in einem
Jahr oder in zwei Jahren? Das ist keine konstruktive Ein-
stellung. Die Amerikaner haben 1945, als sie nach
Deutschland kamen, auch nicht gleich von einer Exit-Stra-
tegie gesprochen. Sie sind jahrzehntelang hiergeblieben,
bis heute, ohne uns in irgendeiner Weise zu behelligen.

Meine Damen und Herren, das ist ein Punkt, den ich
deutlich hervorheben wollte; denn es handelt sich hier um
einen Paradigmenwechsel innerhalb der Charta der Ver-
einten Nationen. Es ist auch die argumentative Antwort
auf diejenigen, die bei jeder Menschenrechtsfrage in ihrer
Abwehrhaltung auf die Souveränität ihres Staates pochen.
So kann es nicht bleiben. Menschenrechte sind unteilbar.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und der FDP)


Ich möchte jetzt, zum Schluss meiner Rede, die höchst-
wahrscheinlich die allerletzte nach einer 26-jährigen
Tätigkeit in diesem Hohen Hause ist, einige Punkte an-
sprechen, die mir am Herzen liegen.

Erstens. Ich hatte die großartige Gelegenheit, in einer
Zeit, da die Informationstechnologie eine rasante Ent-
wicklung nahm und die so genannte Globalisierung der
Politik und der Wirtschaft einleitete, an entscheidender
Stelle mitwirken zu dürfen. Ich möchte hier auch, gerade
weil ich ein sehr kritischer Weggenosse war, was die
Außen- und Menschenrechtspolitik auf dem Balkan be-
traf, unumwunden sagen, dass ich dem Altkanzler Helmut
Kohl immer dankbar dafür sein werde, dass ich die Gele-
genheit und die Chance bekommen habe, dort zehn Jahre
lang an verantwortlicher Stelle mitwirken zu dürfen.
Herzlichen Dank!


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Zweitens. Ich möchte auch denjenigen Kolleginnen

und Kollegen im Kabinett danken, die mir damals in der
Schlussphase meiner Tätigkeit inneren und manchmal
auch äußeren Beistand in der für mich plötzlich an Prio-
rität gewinnenden Frage des Balkans geleistet haben. Es
war für mich furchtbar, dort zuzuschauen und gleichzeitig
zu hören, dass das, was vor 50 Jahren geschah, nie wieder
geschehen dürfe. Ich erinnere mich an die Eröffnung des
Holocaust-Museums, als Eli Wiesel plötzlich den Präsi-
denten der Vereinigten Staaten ansah und sagte: Ich war
gerade in Sarajevo, und ich kann Ihnen nur sagen: Tun Sie
etwas, Herr Präsident! Wir eröffnen gerade jetzt hier ein
Holocaust-Museum; wir wollen nicht bald ein neues
eröffnen müssen! – Die Doppelmoral, auf Vergangen-
heitsfeiern an die Befreiungstaten vor 50 Jahren zu erin-
nern, aber im Angesicht dieser Feierlichkeiten das Mas-
saker 100 Kilometer von unseren Grenzen entfernt zu
ignorieren, hat mir nie eingeleuchtet. Das hat mich dann
auch sehr konsequent zu den Schritten geführt, die ich ge-
gangen bin. Ich danke allen, die mich dabei unterstützt ha-
ben. Ich möchte auch all diejenigen, denen ich vielleicht
mit Härte entgegengetreten bin, um Nachsicht bitten.
Aber es gibt solche Paradigmenwechsel im Leben eines
Menschen.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP sowie bei Abgeordneten der PDS)


Ich möchte drittens sagen: Diese Begleitung, die ich
dann auch in meiner Fraktion erfahren habe, hat mich mit
großer Freude erfüllt. Ich habe erfahren, dass man sich
auch im Dissens aufgehoben fühlen kann und dass es kei-
neswegs so ist, wie immer gesagt wird, dass die Fraktio-
nen einen riesigen Zwang ausübten. Ich habe eigentlich
immer nur erfahren, dass es am Mut einzelner Abgeord-
neter fehlt, nicht umgekehrt.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)


Ich möchte aus der Sicht dieser Zeit etwas für das
21. Jahrhundert sagen. Die Kommissarin für Menschen-
rechte hat in ihrer Rede am 6. Juni über die großen Chan-
cen gesprochen, die wir durch das Zusammenwachsen der
humanitären Verpflichtungen des Rechtsstaates und der
Möglichkeiten der Diplomatie und des Militärs haben
werden. Ich glaube, das ist genau der Weg, den auch die-
ses Haus in der nächsten Legislaturperiode gehen muss.






(C)



(D)



(A)



(B)


Dr. Christian Schwarz-Schilling

Aber ich möchte noch um eines bitten. Ich freue mich,
dass gerade auch der Innenminister hier ist. Dieses Zu-
sammenwachsen bedeutet auch Zusammenwachsen von
Außen- und Innenpolitik. Wir können nicht einfach so-
zusagen souverän Innenpolitik betreiben, ohne jeweils zu
wissen, welche Wirkungen dies auf unsere außenpoliti-
schen Verpflichtungen hat.


(Beifall des Abg. Markus Meckel [SPD])

Auch in diesem Punkt habe ich in Bosnien einiges erlebt, bei
dem ich mir eine stärkere Bewusstwerdung unserer Innen-
politiker gewünscht hätte, damit sie nicht zur Unzeit Dinge
tun, die die Zielsetzungen dort konterkarieren und nicht be-
fördern. Auch das wollte ich hier noch einmal sagen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich möchte mich bedanken, wünsche Ihnen alles Gute
für die Zukunft und hoffe, dass wir auch weiterhin in
gutem Kontakt bleiben; ich werde das Meinige dazu tun.
Ich hoffe, dass wir auf dem beschriebenen Wege die
Chance nutzen, dass das 21. Jahrhundert das Jahrhundert
der Menschenrechte wird, und dass wir insofern etwas aus
dem 19. und dem 20. Jahrhundert gelernt haben.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, dem BÜND NIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1424306500
Herr Kollege
Schwarz-Schilling, Sie hören es am Beifall der Kollegin-
nen und Kollegen des Hauses: Wir danken Ihnen für Ihr
Wirken auf Bundesebene in den letzten drei Jahrzehnten.
Sie haben die Politik dieses Landes als Bundesminister
und – vor allem im vergangenen Jahrzehnt – als Men-
schensrechtspolitiker entscheidend mitgeprägt.

In Ihrer Rede haben Sie bereits darauf hingewiesen, dass
Sie uns als internationaler Streitschlichter für Bosnien-Her-
zegowina erhalten bleiben. Für eine produktive Zusam-
menarbeit mit den neu gewählten Parlamentarierinnen und
Parlamentariern und für Ihren neuen Lebens- und Arbeits-
abschnitt wünsche ich Ihnen im Namen der Kolleginnen
und Kollegen des gesamten Hauses alles Gute.


(Beifall im ganzen Hause)

Zu einer Kurzintervention erteile ich jetzt dem Kolle-

gen Wolfgang Gehrcke das Wort.

(Zuruf von der SPD: Oh je!)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1424306600
Es dauert nur kurz, da es
ja eine Kurzintervention ist.

Sehr geehrter Herr Kollege Schwarz-Schilling, ich
hätte nach Ihrer letzten Rede hier mit Sicherheit keine
Kurzintervention angemeldet, wenn Sie mich nicht in drei
Punkten sehr direkt und persönlich angesprochen hätten,
zu denen ich mich kurz äußern möchte.


(Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herr Gehrcke, das, was Sie hier machen, ist stillos! Einfach stillos!)


Es gibt noch andere Wege zwischen Tun und Nichttun,
zwischen Hinsehen und Nichthinsehen. Wir haben Sorge,
dass man immer mehr von Anfang an mit militärischen
Mitteln auf Menschenrechtsverletzungen reagiert und
dass mit dem Vorwurf der Menschenrechtsverletzung im-
mer funktionaler umgegangen wird. Bei den Staaten, bei
denen man es für notwendig hält, es vielleicht sogar be-
rechtigt ist, reagiert man. Bei anderen Staaten wird darü-
ber hinweggesehen. Nehmen Sie uns und mir bitte ab,
dass wir die Militäreinsätze abgelehnt haben, weil man
die zivilen Mittel eben nicht vollständig ausnutzt. Das war
nicht ideologisch begründet und es war kein Wegschauen,
sondern es war unsere Art, Verantwortung wahrzuneh-
men.


(Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oh je!)


Beim zweiten Punkt, den Sie, auch in der Auseinan-
dersetzung mit der Regierung hier sehr klar benannt ha-
ben, haben Sie gesagt, dass in dem Zusammenspiel zwi-
schen Diplomatie und Militär letzteres nicht am Ende,
sondern am Anfang stehen und eingeplant werden muss.
Ich finde es gut, dass das so ausgesprochen wurde. Krieg
beginnt nie mit dem Krieg selbst, aber ein Konflikt endet
beim Krieg, wenn er als Möglichkeit eingeplant worden ist.


(Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn die PDS nur etwas zu sagen hätte!)


Herr Schwarz-Schilling, Sie haben gesagt, dass die Mög-
lichkeit des Krieges am Anfang mitbedacht werden muss.
Gerade hier liegt unsere große Sorge.

Ich komme zum dritten Punkt. Sie haben meiner Frak-
tion und mir persönlich vorgehalten, wir würden uns tak-
tisch verhalten. Ich will Ihnen sagen: Ganz im Gegenteil,
wenn wir uns taktisch verhalten würden, wäre unser Weg
auf die Regierungsbank schon längst gebahnt.


(Lachen bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir wussten ja, welchen Preis wir zahlen, wenn wir bei
unseren Positionen bleiben. Wir haben diesen Preis sehr
bewusst gezahlt. Um dort zu landen, müssten wir das tun,
was man von uns verlangt; das ist es uns nicht wert.

Entschuldigen Sie, das wollte ich Ihnen mit allem Res-
pekt am Ende Ihrer Rede noch gesagt haben.


(Beifall bei der PDS – Joseph Fischer, Bundesminister: Damit hat sich die Frage, ob die PDS an der Regierung beteiligt werden kann, erledigt! – Hildebrecht Braun [Augsburg] [FDP]: Er hätte ja noch ein bisschen mehr sagen können! Zum Beispiel wer den Weg gebahnt hätte!)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1424306700
Die nächste Rednerin
in der Debatte ist die Kollegin Rita Grießhaber für die
Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen.


Rita Grießhaber (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1424306800

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sehr ver-
ehrter Herr Kollege Schwarz-Schilling, Ihnen ein ganz






(C)



(D)



(A)



(B)


Dr. Christian Schwarz-Schilling

herzliches Dankeschön für die wunderbare Zusammenar-
beit im Auswärtigen Ausschuss! Gerade Ihre Art zu de-
battieren und Ihr Stil waren sehr bereichernd. Das hat ge-
zeigt, dass die parteiübergreifend gute Zusammenarbeit
im Auswärtigen Ausschuss nur durch Ihre Art und Weise,
Politik zu machen, möglich war.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und der FDP)


Wenn man sieht, wie viele berüchtigte ehemalige
Kriegsherren in der afghanischen Großen Ratsversamm-
lung sitzen, könnte man es eine Farce nennen, dass die ge-
wählten Vertreter dieser Loya Jirga bei ihrer Bewerbung
eine Erklärung abgeben mussten, in der sie sich zu den
Beschlüssen der Petersberger Konferenz bekennen, und
versichern mussten, dass sie die Menschenrechte niemals
verletzt haben. Bedenkt man die Umstände, grenzt es an
ein Wunder, dass diese Versammlung nach 23 Jahren
Krieg und Bürgerkrieg – und sogar im Zeitplan – über-
haupt zustande gekommen ist.

Die Auswahl der Delegierten verlief nicht nach west-
europäischem Vorbild. Aber die Verhältnisse einer kriegs-
zerrütteten Stammesgesellschaft sind davon weit entfernt.
Man kann wirklich nur staunen, was in Afghanistan bis-
her alles erreicht worden ist.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der CDU/ CSU)


Ich freue mich zum Beispiel auch darüber, dass zu-
sätzlich zu den 160 garantierten Vertreterinnen 50 Frauen
direkt in die Loya Jirga gewählt wurden. Dies ist in einem
Land geschehen, über das mir einmal eine Entwicklungs-
helferin gesagt hat: Hier gibt es viele Gegenden, in denen
jede Ziege wertvoller als eine Frau ist. – Es ist ein Riesen-
erfolg, dass diese 50 Frauen in Direktwahl in die Loya
Jirga eingezogen sind.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Die Bundesregierung genießt für ihr Engagement in Af-
ghanistan große Anerkennung. Der Vertreter der Vereinten
Nationen, Herr Brahimi, nannte Deutschland im Zusam-
menhang mit der internationalen Unterstützung für Frie-
den und Wiederaufbau in der Loya Jirga an erster Stelle.
Sogar die „Neue Zürcher Zeitung“ lobt die multinationale
Brigade in Kabul unter deutschem Kommando und
schreibt, dass sie ein Gefühl der Sicherheit im Land gebe.

Ich kann verstehen, dass deshalb viele nach einer Aus-
weitung des Mandats über Kabul und Umgebung hinaus
rufen. Das ist aber nicht die Lösung. Nicht umsonst hat
Präsident Karzai auf der Ratsversammlung betont, dass
das Land für seine Souveränität und seine territoriale In-
tegrität selber eintreten muss. In keiner Frage einen sich
die zerstrittensten Afghanen schneller als bei der Gefahr
einer möglichen ausländischen Besatzung. Deshalb ist es
richtig, dass die Bundesregierung Afghanistan beim Auf-
bau einer eigenen Polizei unterstützt und die USA beim
Aufbau der Armee helfen, damit es, wie Kollege
Schwarz-Schilling gesagt hat, auch in den Provinzen Si-
cherheit geben wird.

Wichtig ist auch, dass die internationale Sicherheitsun-
terstützungstruppe und die Operation „Enduring Free-
dom“ weiterhin deutlich getrennt bleiben. Es ist eine Sa-
che, die Regierung bei der Herstellung der Sicherheit zu
unterstützen. Aber es ist eine andere Sache, die verbliebe-
nen al-Qaida- und Taliban-Terroristen zu bekämpfen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Dass Letzteres immer noch nötig ist, daran besteht lei-
der kein Zweifel. Das zeigt auch der soeben verübte An-
schlag in Karachi. Im Übrigen müssen selbstverständlich
alle Vorwürfe über gezielte Massenmorde an Tali-
bankämpfern Ende letzten Jahres unter Beteiligung von
US-Soldaten vollständig aufgeklärt und die Verantwortli-
chen zur Rechenschaft gezogen werden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Keine Frage: Es gibt in Afghanistan noch zahlreiche
verfeindete Clans und jede Menge Kriegsherren, die um
territorialen Einfluss kämpfen. Allein auf der Strecke von
Kabul nach Herat – das sind knapp 600 Kilometer – soll
es über 100 Checkpoints geben. Jeder wird von einem an-
deren Kriegsfürsten kontrolliert.

Damit, was in der Sprache der Vereinten Nationen la-
pidar „nation building“ heißt, hat Afghanistan erst begon-
nen. Aber auch wenn der Weg lang ist: Mit der Wahl von
Präsident Karzai, dem Prozess der Loya Jirga und der ver-
fassungsgebenden Versammlung sowie weiterer tatkräfti-
ger internationaler Unterstützung sind die Weichen für
eine friedliche und stabile Entwicklung gestellt. Wir un-
terstützen die Verlängerung des Mandats für die Bundes-
wehr.

Danke.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1424306900
Für die FDP-Fraktion
spricht jetzt der Kollege Hildebrecht Braun.


Hildebrecht Braun (FDP):
Rede ID: ID1424307000
Frau Präsi-
dentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lieber
Herr Schwarz-Schilling, ich möchte Ihnen den Dank der
FDP-Fraktion für Ihre Führungsrolle ausdrücken, die Sie
eingenommen haben, wenn es darum ging, unser Land in
den Kreis derer zu führen, die auch mit den Mitteln der
Macht eine aktive Rolle gegen die Macht des Terrors und
der Gegner der Menschenrechte spielen wollten. Herzli-
chen Dank! Ich möchte noch eine persönliche Bemerkung
hinzufügen: Ich bin stolz darauf, dass ich Anfang 1995
mit Ihnen und zwei Vertretern anderer Fraktionen einen
offenen Brief schreiben konnte, der vielleicht damals ein
bisschen zum Umdenken der NATO und auch unserer Re-
gierung beigetragen hat, als es im Zusammenhang mit
dem Balkan um diese Grundsatzfrage ging.

Die FDP stimmt natürlich dem heutigen Antrag der
Bundesregierung zu. Die Friedensaktion der Bundeswehr
im Rahmen der ISAF muss fortgesetzt werden. Noch vor
sechs Monaten hatte die Bundesregierung keine eigene






(C)



(D)



(A)



(B)


Rita Grießhaber

Mehrheit. Mittlerweile hat sich für jedermann, auch für
diejenigen, die damals noch in der außen- und sicherheits-
politischen Lernphase waren, gezeigt, dass der Einsatz der
Bundeswehr der Sicherung des Friedens in Kabul dient.


(Beifall bei der FDP)

Außer der PDS, die in diesem Punkt beratungs- und er-
fahrungsresistent ist, werden wohl alle aus gutem Grund
dem Antrag der Bundesregierung zustimmen. Frieden in
Kabul bedeutet ein Mehr an Sicherheit und Frieden welt-
weit; denn es gibt nur eine Welt des Terrors und auch nur
eine Welt des Friedens.

Die Bundeswehr genießt in Kabul hohes Ansehen, und
zwar zu Recht. Deutsche Soldaten zeichnen sich wieder,
wie schon im Kosovo, in Mazedonien und in Bosnien,
durch Verlässlichkeit, Hilfsbereitschaft, Pflichterfüllung,
aber auch durch Sensibilität gegenüber den Bewohnern
aus. Übergriffe auf Afghanen gibt es nicht. Deutsche wer-
den als Helfer, als Schutztruppe gegen Chaos, aber auch
gegen Terror und Unfreiheit sowie als Wegbereiter für
eine positive Entwicklung sowohl der Stadt Kabul als
auch des gesamten Landes wahrgenommen.

Wir selbst konnten uns vor 14 Tagen vor Ort davon
überzeugen, dass unsere Soldaten unter wirklich schwie-
rigen Bedingungen und in unsicherer Lage ihren Dienst
vorbildlich leisten. Großes Engagement ist auch erforder-
lich, um auf engstem Raum in Kabul sechs Monate aus-
zuharren. Es ist ein Leben in Zelten unter unwirtlichen kli-
matischen Bedingungen, mit großer Hitze am Mittag und
oft mit großer Kälte in der Nacht, mit Staub ohne Ende
und gelegentlich auch mit Sandstürmen, ohne die Mög-
lichkeit, sich an einen Ort der Privatheit zurückzuziehen,
viele Tausend Kilometer von der Familie, der Freundin
und von den eigenen Kindern entfernt. Das alles sind Op-
fer, die hingenommen werden, weil jeder weiß, dass sein
Aufenthalt in Afghanistan den dort lebenden Menschen
nützt. Würden die Truppen abziehen, hätten die Menschen
in Afghanistan nach 24 Jahren Krieg wieder keine
Chance. Dass Mädchen wieder in die Schule gehen kön-
nen, dass Frauen wieder arbeiten dürfen, dass Meinungs-
freiheit herrscht und dass demokratische Elemente im-
mer mehr das öffentliche Leben prägen, das alles ist nur
wegen der Präsenz unserer Soldaten möglich.

Natürlich erinnern die jetzt in Afghanistan stattfinden-
den Prozesse an unser Mittelalter. Präsident Karzai sam-
melt die Stimmen der Warlords quasi wie damals der Kai-
ser die Stimmen der Kurfürsten, denen er für ihre
Unterstützung weit gehende Unabhängigkeit und Rechte
vor Ort zugestehen muss.

Von knapp 1 200 Soldaten sind nur 170 für die eigent-
liche Aufgabe frei, nämlich für Sicherheit in Kabul zu sor-
gen und insbesondere die neue, noch junge Übergangsre-
gierung zu schützen, damit sie dauerhafte Strukturen im
Land schaffen kann. Mehr als 1 000 Soldaten werden also
gebraucht, um 170 in die Lage zu versetzen, ihren Auftrag
zu erfüllen. Das ist zwar ein unglückliches Verhältnis von
Versorgungs- und Einsatzkräften, aber angesichts der be-
sonderen Gegebenheiten in diesem Land wohl hinnehm-
bar. Denken wir nur daran, dass die Versorgung über viele
Tausend Kilometer erfolgen muss, äußerst kompliziert
und natürlich auch teuer ist. Ich freue mich allerdings,

festzustellen, dass die Verantwortlichen in der Streitkräf-
tebasis alles unternehmen, um die notwendigen Trans-
porte von Deutschland nach Kabul billiger zu gestalten.
Dass wir unter Zuhilfenahme eines usbekischen Carriers
mit zwei Antonow-124-Flugzeugen den Großteil der Ver-
sorgung mit Material, zum Beispiel auch mit Fahrzeugen,
der Bewaffnung, Zelten, aber auch Lebensmitteln be-
werkstelligen, ist sehr gut. Wir sollten allerdings versu-
chen, speziell die Lebensmittelversorgung in Zukunft
möglichst ortsnäher zu organisieren, damit Transportkos-
ten gespart werden können.

Wir wissen von Problemen bei der elektronischen Auf-
klärung. Es ist wohl immer noch so, dass auch die inter-
nationalen Partner eines Einsatzes, der ein gemeinsames
Ziel, nämlich die Friedenssicherung, hat, ihre Auf-
klärungsergebnisse, die der Sicherheit nicht nur der örtli-
chen Bevölkerung, sondern auch unserer Soldaten selbst
dienen, nicht selbstverständlich austauschen. Hier müssen
Strukturen geändert werden. Das kann wohl nur auf höchs-
ter Ebene erörtert und geändert werden, da nationale Ego-
ismen in diesem Bereich noch immer vorherrschen.

Lassen Sie mich zum Abschluss ein Thema anspre-
chen, mit dem wir Liberalen uns im Parlament bisher noch
nicht durchgesetzt haben. Wir sind immer und immer wie-
der darauf angesprochen worden, dass die sechsmonatige
Stehzeit ein Unding sei. Das ist richtig. Es ist an der Zeit,
dass der Minister einer Division für einen bestimmten
Zeitraum den Auftrag gibt, den Einsatz vor Ort zu organi-
sieren. Dann kann der Divisionskommandeur für die
nötige Flexibilität sorgen, die den Soldaten und ihren Fa-
milien zugute kommen würde. Alle sagten, sie wären lie-
ber jedes Jahr drei Monate im Ausland als alle zwei Jahre
sechs Monate.


(Peter Zumkley [SPD]: Das ist aber nicht durchgängig so!)


Ein Aufenthalt von sechs Monaten ist für die Familie nicht
zumutbar. Ich hoffe, dass diese Botschaft endlich verstan-
den wird.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1424307100
Das Wort hat der Vor-
sitzende der PDS-Fraktion, Roland Claus.


Roland Claus (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1424307200
Frau Präsidentin! Meine sehr
verehrten Damen und Herren! Die PDS-Fraktion lehnt die
Fortsetzung des Militäreinsatzes in Afghanistan ab, sowie
sie auch den Beginn dieses Einsatzes abgelehnt hat.


(Beifall des Abg. Wolfgang Gehrcke [PDS])

Mit Unterstützung der konservativen Opposition versucht
diese Bundesregierung seit dem 24. März 1999, die Öf-
fentlichkeit und so auch uns im Parlament beharrlich da-
von zu überzeugen, dass kriegerische Mittel die Voraus-
setzung für humanitäre Hilfe sind. Sie tut das alles andere
als ungeschickt. Aber wir wollen und werden uns an diese
Logik nicht gewöhnen.


(Beifall bei der PDS)







(C)



(D)



(A)



(B)


Hildebrecht Braun (Augsburg)


Der Kampf gegen den Terror kann und muss gewonnen
werden; ein Krieg kann nicht gewonnen werden.


(Beifall bei der PDS)

Meine Damen und Herren, die Sie jetzt der Verlänge-

rung dieses Einsatzes zustimmen wollen, Sie nehmen die
Bilder und Berichte aus Kabul als Begründung für Ihre
Zustimmung. Wir haben Zweifel daran, dass diese Bilder
und Berichte die Lage in Afghanistan tatsächlich wider-
spiegeln. Wir haben diese Zweifel geäußert, als es zum ers-
ten Mal um die Abstimmung zu diesem Mandat ging, und
wir haben sie auch heute noch. Wir zweifeln daran, dass
wir wirklich die authentische Lage in Afghanistan kennen.

Wann endet das Mandat? Diese Frage können Sie noch
immer nicht beantworten. Was machen deutsche KSK-
Kräfte wo in Afghanistan? Das geht bis hin zu der Frage:
Wohin sind die Talibankämpfer verbracht worden? Be-
kanntlich sind nicht alle in Guantanamo. Diese Fragen
bleiben nach wie vor offen.

Sie nehmen für sich jetzt in Anspruch, dass über diese
Einsätze Frauenrechte gestärkt werden. So wünschens-
wert dies natürlich ist: Es ist unglaubwürdig, dass Sie dies
heute mit der Nordallianz erreichen können, so unglaub-
würdig, wie es war, die Taliban erst mit amerikanischer
Hilfe aufzurüsten.


(Beifall bei der PDS)

Wir haben zum Gegenstand dieser Debatte einen An-

trag unserer Fraktion gemacht mit dem Ziel, den Bünd-
nisfall, also den NATO-Bündnis- und -Beistandsfall, wie-
der aufzuheben; denn interessanterweise regelt der
NATO-Vertrag nur den Eintritt, aber nicht die Beendigung
des Falls. Auch darüber muss gesprochen werden.

Wir sind nicht die Einzigen, die Zweifel an der realen
Lage in Afghanistan haben. In der „Frankfurter Rund-
schau“ vom 10. Juni wird der Begriff „bleigraues Schwei-
gen“ geprägt. Dieses „bleigraue Schweigen“ wird auch
belegt. Aus diesem Grunde hat sich unsere Fraktion ent-
schieden, am Mittwoch dieser Woche einem britischen
Filmteam die Möglichkeit einzuräumen, Zeugenaussagen
über die Ermordung gefangener Taliban-Kämpfer zu prä-
sentieren. Wer sich diesen Film anschaut, wird feststellen,
dass es darin nicht um tendenziöse Selbstbestätigung
geht, sondern um die Suche nach Authentizität. Deshalb
sind auch zu Recht Untersuchungen durch das Internatio-
nale Rote Kreuz und die Vereinten Nationen gefordert
worden.

Die PDS lehnt es auch weiterhin ab, militärische und
kriegerische Mittel als humanitäre Hilfe auszugeben.
Wer das als Beihilfe zur Militarisierung diffamiert, wie es
die Grünen heute getan haben, argumentiert nicht nur auf
absurde Art und Weise, sondern zeigt sein eigenes Versa-
gen in der Friedenspolitik seit März 1999.


(Beifall bei der PDS – Zuruf von der SPD: Sie argumentieren doch so!)


Deshalb bleiben wir dabei: Die Politik der uneinge-
schränkten Solidarität ist falsch. Es war gut, dass am
21. Mai in Berlin hunderttausend Menschen gegen diese
falsche Politik demonstriert haben. Auch die Unterstüt-

zung aus dem Bundestag war richtig und wichtig. Krieg
ist die falsche Antwort auf den Terror.


(Beifall bei der PDS – Zuruf von der CDU/ CSU: Sie bleiben sich eben doch treu, die Kommunisten!)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1424307300
Ich erteile dem Bundes-
außenminister Joseph Fischer das Wort.


Joseph Fischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1424307400

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist fast
nicht mehr möglich, auf den Vorredner einzugehen;


(Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Lass es sein! Es lohnt sich auch nicht!)


es nutzt ohnehin nichts.
Nehmen Sie allein die Tatsache, dass es gelungen ist

– wir haben das vorhin im Zusammenhang mit der Ope-
ration „Amber Fox“ gesehen –, einen Bürgerkrieg zu
verhindern, über dessen Verlauf man sich, ohne das
unnötig zu dramatisieren, keine Illusionen machen sollte.
Wenn er in Mazedonien ausgebrochen wäre, wäre es zu
ähnlich schlimmen Ereignissen gekommen, wie wir sie in
Bosnien erlebt haben. Wenn Sie eine Position als Frie-
denspolitik bezeichnen, die diesen Bürgerkrieg sehenden
Auges zugelassen hätte und die Zustimmung zum Ein-
greifen verweigert hat, muss ich dem entgegenhalten,
dass dies nichts mit Friedenspolitik zu tun hat, sondern
schlichtweg Blindheit beweist. Es stellt vielmehr das Ge-
genteil einer Friedenspolitik dar.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Diese Bundesregierung hat mit dem Stabilitätspakt
einen entscheidenden Beitrag dazu geleistet, dass die ge-
samte Region aus einem blutigen und kriegerischen Na-
tionalismus heraus den Weg zu einem Europa der Inte-
gration findet. Das ist Friedenspolitik unter den konkret
gegebenen Bedingungen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Dasselbe gilt für Afghanistan. Wer hätte es noch vor ei-
nem Jahr für möglich gehalten, dass wir heute die Not-
Loya Jirga haben und dass wir mit der Umsetzung des
Petersberger Abkommens so weit vorangekommen sind?
Das ist die gute Nachricht.

Die schlechte Nachricht ist, dass wir noch weit von
wirklich stabilen Verhältnissen entfernt sind. Insofern
kann ich allen nur darin zustimmen, dass wir uns an die-
ser Stelle auf Dauer weiter engagieren müssen.

All diejenigen, die meinen, wir könnten heute den
Rückzug der Bundeswehr beschließen, müssen wissen,
dass dies einen Rückfall in einen alles zerstörenden Bür-
gerkrieg mit großen humanitären Katastrophen nach sich
ziehen würde. Diese Erfahrungen wurden in der Vergan-
genheit bereits gemacht. Auch dabei handelt es sich nicht
um eine schwarze Prophezeiung, sondern das ergibt sich
schlicht und einfach durch eine konkrete Analyse auf-






(C)



(D)



(A)



(B)


Roland Claus

grund der vorhandenen Erfahrungen. Deswegen möchte
ich mich bei diesem Hause bedanken. Weil es schlechter-
dings keine verantwortbare Alternative zu der Verlänge-
rung des Mandats gibt, möchte ich um Ihre Zustimmung
dafür werben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Wir gehen einen schwierigen Weg. Es geht darum,
Sicherheit herzustellen. Sicherheit bedeutet vor allen
Dingen, dass die Kriegsherren unter Kontrolle gehalten
werden, dass auch der Einfluss von außen kontrolliert
wird und dass die Taliban, soweit sie noch zu militäri-
schen Aktionen in der Lage sind, zurückgedrängt werden,
sodass es auf diese Weise wie auch durch den Aufbau ei-
ner Polizei und einer afghanischen Armee Schritt für
Schritt zu einer größeren Sicherheit kommt.

Die afghanische Armee ist auch deswegen von großer
Bedeutung, weil sie den Zusammenhalt des Landes ga-
rantieren muss. Das Land ist in einzelne Provinzen und
Herrschaftsgebiete von Kriegsherren zerfallen. Es ist von
allergrößter Bedeutung, dort eine afghanische Realität
– dazu gehört auch eine Sicherheitsrealität – zu schaffen.
Die Bundesregierung engagiert sich an dieser Stelle zu-
sammen mit unseren Partnern in einem langfristigen Auf-
bauwerk.

Allerdings, Herr Kollege Schwarz-Schilling, eine Aus-
dehnung des ISAF-Mandates auf andere Regionen in Af-
ghanistan würde dem Mandat eine völlig neue Qualität
geben. Deswegen hat sich die internationale Staatenge-
meinschaft entschieden, vor allen Dingen auf den Aufbau
eines eigenen afghanischen Militärs zu setzen.

Gegenwärtig sehen wir allerdings mit großer Sorge
– gestern habe ich in Kanada mit den Außenministern der
anderen G-8-Staaten darüber gesprochen –, dass es an
Mitteln in erheblicher Höhe fehlt, um die Gehälter zu
zahlen und die entsprechenden Besoldungen zu ermögli-
chen. Alle Ausbildung wird nichts nützen, wenn schließ-
lich die Gehälter nicht gezahlt werden können. Deswegen
haben wir gemeinsam noch einmal an alle Geberstaaten
appelliert, die Mittel jetzt zu deblockieren, nicht nur die
Mittel für einzelne Projekte und die Mittel für den Wie-
deraufbau und die Ausbildung, sondern vor allen Dingen
auch die Mittel, die für die Bezahlung der dortigen Si-
cherheitsleute und der Lehrer sowie der gesamten zivilen
Administration notwendig sind.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


Ganz entscheidend wird es sein, meine Damen und
Herren, dass wir jetzt bei der Umsetzung des Petersberg-
Abkommens vorankommen. Voraussetzung dafür ist die
Präsenz der internationalen Sicherheitskomponente in
Form der UN-Truppe. Ohne diese UN-Truppe wird es
keine Sicherheit geben und damit wird auch der Wieder-
aufbau nicht möglich sein. Bei der Umsetzung des Pe-
tersberg-Abkommens setzen wir auf diese zentrale Per-
spektive. Wir engagieren uns aber darüber hinaus – das
wurde vorhin schon angesprochen – in zwei zentralen
Punkten: erstens beim Polizeiaufbau, das heißt bei der
Polizeiausbildung. Das ist in der Tat ein ganz zentraler

Faktor. Zum Zweiten engagieren wir uns nachdrücklich
auch und gerade beim Wiederaufbau des Bildungs-
systems. Hier liegt unser Schwerpunkt darauf, Bildungs-
und Ausbildungsmöglichkeiten für Frauen und Mädchen
zu schaffen. Auch hier ist es uns, wie ich denke, gelungen,
bereits in den ersten Monaten entscheidende Fortschritte
zu erreichen.

Ich möchte hier allen Beteiligten aus der Bundesregie-
rung, aber auch allen Beteiligten der Nichtregierungsor-
ganisationen recht herzlich danken. Sie haben unter
schwierigsten Bedingungen eine sehr gute Arbeit geleis-
tet.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Meine Damen und Herren, zu dem Kampf gegen den
Terror gibt es meines Erachtens keine ernsthafte Alterna-
tive. Wir sehen das gerade angesichts des Terroranschla-
ges in Pakistan, der heute in Karatschi geschah und dort
einer größeren Anzahl unschuldiger Menschen das Leben
gekostet hat. Der internationale Terrorismus wird nicht
warten; er wird auch nicht mit gutem Zureden davon zu
überzeugen sein, von seinem mörderischen Tun zu las-
sen – leider, sonst wäre ich für gutes Zureden. Er wird
vielmehr nur durch entschlossenes Handeln bekämpft
werden können und bekämpft werden müssen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Das hat unsere Politik auf dem Balkan gezeigt; das wird
sie auch in Afghanistan zeigen. Dank dieser Politik wird
sich meines Erachtens der Erfolg im Kampf gegen den
Terrorismus einstellen. Es reicht nicht, diesen Terroris-
mus nur zu bekämpfen, wir werden uns gleichzeitig mit
den Entstehungsursachen des Terrorismus auseinander
setzen müssen.


(Beifall der Abg. Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Es ist auch eine geistige Auseinandersetzung in Form
eines offenen Dialoges der Kulturen und ein umfassen-
des Engagement zum Aufbau von Nationen und Zivilge-
sellschaften sowie zur Durchsetzung der Menschenrechte
wesentliche Voraussetzung, um diese Auseinanderset-
zung mit dem Terrorismus bestehen zu können.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


In Afghanistan hat, wie ich denke, die Bundesrepublik
Deutschland gemeinsam mit unseren Partnern wie schon
auf dem Balkan gezeigt, dass wir uns dieser Politik ver-
pflichtet fühlen. Ich bitte Sie hier um Ihr Vertrauen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie des Abg. Manfred Grund [CDU/CSU])



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1424307500
Nächster Redner ist
der Kollege Werner Siemann für die Fraktion der CDU/
CSU.






(C)



(D)



(A)



(B)


Bundesminister Joseph Fischer


Werner Siemann (CDU):
Rede ID: ID1424307600
Frau Präsidentin!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nach der er-
folgreichen Bekämpfung der terroristischen Strukturen in
Afghanistan gilt es heute, dem Land eine Perspektive für
eine friedliche Zukunft zu eröffnen.

Mit der Mandatsverlängerung, die wir heute be-
schließen, kann der nationale Versöhnungsprozess in
Afghanistan tiefer implementiert werden. Dieser Prozess
bedarf jedoch einer militärischen Absicherung durch die
internationale Staatengemeinschaft. Der stabilisierende
Einfluss der ISAF ist sehr deutlich erkennbar. Ohne die
Präsenz bewaffneter Streitkräfte in Kabul hätte die Loya
Jirga nicht vorbereitet und durchgeführt werden können.

In diesem Zusammenhang möchte ich den zivilen Mit-
arbeitern der verschiedenen Hilfsorganisationen, den Sol-
daten im Inland, aber auch ganz besonders den deutschen
Soldaten im Einsatzland meinen Dank aussprechen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)


Tag für Tag leisten sie unter widrigsten Bedingungen, teil-
weise unter Einsatz ihres Lebens, eine herausragende Ar-
beit für den Wiederaufbau und die Befriedung Afghanis-
tans. Es gilt aber auch, einen Dank an die Türkei zu
richten, die Großbritannien am 20. Juni als Leitnation ab-
lösen wird. Die Regierung wird sich in diesem Zusam-
menhang überlegen müssen, ob sie ihre Einstellung zu
Rüstungsexporten in die Türkei im Hinblick auf diese
Entwicklung nicht auf den Prüfstand stellt.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Die Destabilisierungsversuche im Vorfeld der Stam-
mesversammlung sowie die Anschläge auf Mitglieder der
Übergangsregierung belegen die zerbrechliche Sicher-
heitslage im Einsatzland. Die Rahmenbedingungen, unter
denen die Demokratisierung fortgeführt wird, sind ausge-
sprochen schwierig: Der Einflussbereich des neu gewählten
Präsidenten ist noch auf den Großraum Kabul beschränkt.
Nach wie vor geht von den etwa 5000 untergetauchten Ta-
libankämpfern ein hohes Gefährdungspotenzial aus. Noch
immer bedrohen stammesorientierte Interessengegensätze
sowie Konflikte zwischen den verschiedenen ethnischen
Gruppierungen den Prozess des Wiederaufbaus staat-
licher Strukturen in Afghanistan. Die Reintegration von
Hunderttausenden bewaffneter Kämpfer kann fast nur mit
ausländischer Hilfe gelingen. Von den rund 5 Millionen
afghanischen Flüchtlingen sind weit über 800 000 wieder
in ihre Heimat zurückgekehrt; sie müssen ebenfalls inte-
griert und versorgt werden.

Erhebliche Bedeutung für eine Stabilisierung der Si-
cherheitslage besitzt die rasche Aufstellung gesamt-
afghanischer Streitkräfte.Nach Einschätzung von Exper-
ten werden die Sicherheitskräfte der Übergangsregierung
und der Folgeregierung bis zur Aufstellung afghanischer
Streitkräfte nicht in der Lage sein, Sicherheit im Land her-
zustellen und zu garantieren. Mit anderen Worten: Die Si-
cherheit muss durch die militärische Hilfe der internationa-
len Staatengemeinschaft gewährleistet werden.

Nach amerikanischen Berechnungen wird nicht vor
2005 eine erste flächendeckende Präsenz afghanischer

Streitkräfte erreicht werden. Zwei Jahre später, also 2007
– in diesen Kategorien müssen wir denken –, soll die Auf-
stellung der Armee abgeschlossen sein. Damit dürfte für
alle diejenigen, die hier heute entscheiden, klar sein, dass
sich der Deutsche Bundestag noch in diesem Jahr mit ei-
ner weiteren Verlängerung des Mandats wird beschäf-
tigen müssen. Spätestens im Oktober ist auch die Frage zu
klären, wer die Türkei als Leitnation ablöst.

In der Debatte vom 22. Dezember über die Beteiligung
der Bundeswehr an ISAF haben Sie, Herr Verteidigungs-
minister Scharping, gesagt:

Wir haben auch hinsichtlich der Dauer des Einsatzes
nicht den Ehrgeiz, die Obergrenze auszuschöpfen.

Sie sprachen in diesem Zusammenhang auch von „politi-
scher Glaubwürdigkeit“.

Im Anschluss an diese Debatte werden wir be-
schließen, die Obergrenze nicht nur auszuschöpfen, son-
dern um 200 Soldaten zu erhöhen. Dabei ist fraglich, ob
diese Erhöhung ausreichend ist und eine realistische An-
passung an die tatsächlichen Auftragserfordernisse in
Afghanistan darstellt. Wir sollten unseren Soldaten klar
und ganz deutlich sagen: Die Dauer des deutschen Enga-
gements in Afghanistan ist nicht absehbar. Bereits heute
gibt es erste Anzeichen dafür, dass wir unser Kontingent
vor Ort in Zukunft personell verstärken müssen, um die
operative Flexibilität und Reaktionsfähigkeit zu erhöhen.
Uns allen sollte und muss klar sein, dass für uns der Ein-
satz am Hindukusch nicht im Dezember enden wird.

Leider – dies haben auch die Vorredner schon betont –
gibt es zur militärischen Absicherung des Friedensprozesses
keinerlei Alternative; daher wird die Union der Mandats-
verlängerung zustimmen und somit einer gesamtstaatli-
chen Verantwortung gerecht werden.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord neten der FDP)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1424307700
Herr Kollege
Siemann, auch für Sie war es die letzte Rede in diesem
Hohen Hause. Im Namen aller Kolleginnen und Kollegen
bedanke ich mich für Ihre Arbeit hier und wünsche Ihnen
auf dem kommenden Weg alles Gute.


(Beifall im ganzen Hause)

Der letzte Redner in dieser Debatte ist der Kollege

Peter Zumkley für die SPD-Fraktion.


Peter Zumkley (SPD):
Rede ID: ID1424307800
Frau Präsidentin! Meine Da-
men und Herren! Nach über 20 Jahren Krieg steht Afgha-
nistan vor einem politischen und wirtschaftlichen Neuan-
fang. Dem neu gewählten Präsidenten Karzai wünschen
wir eine erfolgreiche Arbeit auf dem gewiss noch schwie-
rigen Weg, den Afghanistan noch vor sich hat.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Nur eine radikale Abkehr von Strukturen der Vergan-
genheit, kriegerischen Verhaltensweisen und Hinwen-






(C)



(D)



(A)



(B)


dung zu einem friedlichen Miteinander der verschiedenen
Volksgruppen und Stämme werden das Land aus seiner
derzeit noch bestehenden Armut und dem Elend heraus-
bringen.


(Beifall bei der SPD)

Jetzt geht es darum, dem Land beim Wiederaufbau zu
helfen und der Bevölkerung, das heißt allen ethnischen
Gruppen, eine Perspektive für eine friedliche Zukunft zu
geben. Der Neubeginn und der international unterstützte
Wiederaufbau Afghanistans wird von Deutschland maß-
geblich mitgestaltet.

Der politische Weg, wie in der Petersberg-Konferenz
vereinbart und durch die Loya Jirga unterstützt, ist nur
möglich, wenn er durch militärische, wirtschaftliche und
humanitäre Unterstützung der internationalen Völkerge-
meinschaft abgesichert wird.

Zunächst muss es darum gehen, die zerstörte Infra-
struktur aufzubauen, Minen zu räumen, in den Lehmhäu-
sern der Ärmsten endlich Wasser und Elektrizität zu in-
stallieren sowie Fensterscheiben einzubauen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Schulbildung und Berufsausbildung, gerade auch für die
bisher benachteiligten Mädchen und Frauen, müssen ge-
nauso entschlossen vorangebracht werden.

Darüber hinaus wird Deutschland im Rahmen der ver-
einbarten Koordinierungsverantwortlichkeiten speziell den
Aufbau der Polizei begleiten und mitgestalten. Dies wird
bei erfolgreicher Durchführung zur Stärkung der inneren
Sicherheit in Afghanistan führen. Der Aufbau afghanischer
Streitkräfte, die unter dem Primat der Politik stehen müs-
sen, bietet die Chance auf zunehmende Stabilisierung der
Sicherheitslage des Landes. Taliban und al-Qaida sind noch
nicht endgültig überwunden. Sie stellen nach wie vor ein
Problem dar.

Wie wichtig der schnelle Aufbau afghanischer Sicher-
heitskräfte ist, zeigt die Tatsache, dass Vereinte Nationen
und Rotes Kreuz ihre Hilfskräfte aus Masar-i-Scharif und
Kandahar wegen der instabilen Sicherheitslage vorüberge-
hend abgezogen haben. In anderen Landesteilen erbringen
deutsche Hilfsorganisationen auf den Gebieten Gesund-
heit, Instandsetzung von Schulen sowie Lebens-
mittelverteilung erhebliche Leistungen. Dafür danken wir
ihnen, auch anlässlich dieser Debatte, sehr herzlich.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Bisher haben bis zu 1 200 deutsche Soldaten zur Auf-
rechterhaltung der Sicherheit und somit zur Stabilisierung
der Übergangsregierung beigetragen. Sie leisten unter
schwierigen und gewiss nicht ohne Risiko verbundenen
Bedingungen einen unverzichtbaren Beitrag für den Frie-
den in dieser Region und für die Fortsetzung des einge-
leiteten Reformprozesses. Herr Claus, dies hat mit krie-
gerischen Aktivitäten überhaupt nichts zu tun. Ihre
Argumentation in diesem Punkt ist wirklich absurd.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der FDP)


Ohne diese militärische Komponente wären wichtige
Hilfsleistungen nur schwer zu erbringen. Das eine bedingt
das andere. Beides ist notwendig.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Unsere Soldatinnen und Soldaten haben sich bei ihrem

Einsatz – dies gilt übrigens für alle Krisenregionen, wo
deutsche Soldaten eingesetzt werden – einen hervorra-
genden Ruf erworben. Sie erfüllen ihre Aufgaben profes-
sionell, diszipliniert, unparteiisch und unbestechlich. Sie
genießen in der Bevölkerung Afghanistans und bei unse-
ren Partnerländern hohes Ansehen. Davon haben sich
viele Parlamentarier dieses Hauses bei ihren Besuchen in
Kabul, so auch ich, persönlich überzeugen können.

Unsere Soldatinnen und Soldaten sind hervorragend
ausgebildet, gut ausgerüstet und verfügen über den best-
möglichen persönlichen Schutz. Die dafür notwendige fi-
nanzielle Vorsorge ist sichergestellt. Wir danken unseren
Soldatinnen und Soldaten für ihren Einsatz.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der FDP)


Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hat Ende
Mai die Verlängerung des Mandats beschlossen. Gleich-
zeitig hat der Sicherheitsrat festgestellt, dass die Situation
in Afghanistan weiterhin eine Bedrohung des Weltfrie-
dens und der internationalen Sicherheit darstellt. Er for-
dert die Mitgliedstaaten erneut auf, Personal, Material
und andere Ressourcen für die internationale Sicherheits-
unterstützungstruppe beizutragen. Auf dieser Grundlage
hat die Bundesregierung dem Deutschen Bundestag eine
Beschlussempfehlung zur Mandatsverlängerung vorge-
legt. Der Einsatz deutscher Kräfte ist bis zum 20. Dezem-
ber 2002 befristet.

Zugleich mit der heutigen Entschließung wird der
Bundestag beschließen, dass weitere Kräfte vorüberge-
hend zur Unterstützung herangezogen werden können.
Dies halten wir für notwendig, Herr Kollege Siemann; ich
sage das, weil Sie gerade eine kritische Bemerkung hierzu
gemacht haben.

Die dadurch mögliche Flexibilität wird von uns aus-
drücklich unterstützt. Den erhöhten Sicherheitsrisiken
während der Loya Jirga und den damit verbundenen Not-
wendigkeiten zur Gewährleistung des politischen Stabili-
sierungsprozesses wird Rechnung getragen. Ein über den
Großraum Kabul hinausgehendes militärisches Engage-
ment übersteigt unsere Möglichkeiten und erscheint auch
deshalb nicht sinnvoll, weil die afghanische Regierung die
Kontrolle über ihr Land letztlich selbst gewinnen muss.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir stimmen der Mandatsverlängerung zur „Fortset-
zung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte
an dem Einsatz einer internationalen Sicherheitsunterstüt-
zungstruppe in Afghanistan“ auf Grundlage der UN-Re-
solutionen 1386 und 1413 zu.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)







(C)



(D)



(A)



(B)


Peter Zumkley


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1424307900
Ich schließe die Aus-
sprache.

Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des Auswärtigen Ausschusses auf Druck-
sache 14/9437 zum Antrag der Bundesregierung zur
Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streit-
kräfte an dem Einsatz einer internationalen Sicherheits-
unterstützungstruppe in Afghanistan. Es gibt zwei schrift-
liche Erklärungen zur Abstimmung gemäß § 31 unserer
Geschäftsordnung, zum einen vom Kollegen Jürgen
Koppelin1) und zum anderen von den Kolleginnen und
Kollegen Buntenbach, Lemke und Simmert2). Der Aus-
schuss empfiehlt, dem Antrag auf Drucksache 14/9246
zuzustimmen. Es ist namentliche Abstimmung verlangt.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich mache Sie darauf
aufmerksam, dass im Anschluss an diese namentliche Ab-
stimmung eine Abstimmung stattfinden muss, bei der zur
Annahme eines Ergebnisses des Vermittlungsausschusses
die Mehrheit des gesamten Hauses erforderlich ist. Daher
bitte ich Sie alle, nach der namentlichen Abstimmung
wieder in den Saal zurückzukommen. Im Anschluss daran
findet eine weitere namentliche Abstimmung statt.

Ich bitte nun die Schriftführerinnen und Schriftführer,
die vorgesehenen Plätze einzunehmen. Sind alle Urnen
besetzt? – Das ist der Fall. Ich eröffne die Abstimmung.

Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme nicht abgegeben hat? – Das ist offensichtlich
nicht der Fall. Ich schließe die Abstimmung und bitte jetzt
alle Kolleginnen und Kollegen, schnellstmöglich ihre
Plätze einzunehmen, damit wir zügig weitermachen kön-
nen. Die Schriftführerinnen und Schriftführer bitte ich,
mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Ab-
stimmung wird Ihnen später bekannt gegeben.3)

Wir setzen die Abstimmungen fort.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussemp-

fehlung des Auswärtigen Ausschusses auf Drucksache
14/8834 zu dem Antrag der Fraktion der PDS mit dem Ti-
tel „Bundeswehreinheiten aus der Golfregion zurückzie-
hen“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache
14/8270 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussemp-
fehlung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? – Die Beschluss-
empfehlung ist gegen die Stimmen der PDS-Fraktion
angenommen.

Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des Auswärtigen Ausschusses auf Drucksa-
che 14/9435 zu dem Antrag der Fraktion der PDS mit dem
Titel „Bündnisfall aufheben“. Der Ausschuss empfiehlt,
den Antrag auf Drucksache 14/8664 abzulehnen. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenprobe! –
Enthaltungen? – Auch diese Beschlussempfehlung ist ge-
gen die Stimmen der PDS-Fraktion angenommen.

Jetzt kommen wir zur Abstimmung über die Be-
schlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses auf

Drucksache 14/8234 zu dem Antrag der Fraktion der PDS
mit dem Titel „Den internationalen Terrorismus wirksam
bekämpfen – den Krieg in Afghanistan beenden“. Der
Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/7500
abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? –
Gegenprobe! – Enthaltungen? – Die Beschlussempfeh-
lung ist gegen die Stimmen der PDS-Fraktion angenom-
men.

Ich rufe den Zusatzpunkt 20 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschus-

(Vermittlungsausschuss)

Zollfahndungsdienstes (Zollfahndungsneurege-
lungsgesetz – ZFnrG)
– Drucksachen 14/8007 (neu), 14/8515, 14/9332,
14/9430 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Joachim Poß

Bericht erstattender Abgeordneter ist der Kollege
Joachim Poß. Wird das Wort zur Berichterstattung ge-
wünscht? – Das ist nicht der Fall. Wird das Wort zu Er-
klärungen gewünscht? – Auch das ist nicht der Fall. Des-
halb kommen wir sofort zur Abstimmung. Ich weise
darauf hin, dass zur Annahme der Beschlussempfehlung
des Vermittlungsausschusses zur Änderung des nach
Art. 87 Abs. 3 des Grundgesetzes mit absoluter Mehrheit
angenommenen Gesetzentwurfs ebenfalls die absolute
Mehrheit, das sind 334 Stimmen, für erforderlich gehal-
ten wird. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung des
Vermittlungsausschusses auf Drucksache 14/9430? – Ge-
genprobe! – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung
ist gegen die Stimmen der PDS-Fraktion und einer
Stimme aus der FDP-Fraktion bei Enthaltung der übrigen
FDP-Fraktion mit der absoluten Mehrheit des Hauses an-
genommen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 26 auf:
– Zweite und dritte Beratung des von der Bun-

desregierung eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes

(Art. 96)

– Drucksache 14/8994 –

(Erste Beratung 236. Sitzung)


– Zweite und dritte Beratung des von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Änderung des Gerichtsverfas-
sungsgesetzes
– Drucksache 14/8978 –

(Erste Beratung 236. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des
Rechtsausschusses (6. Ausschuss)

– Drucksache 14/9425 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Jürgen Meyer (Ulm)

Dr. Norbert Röttgen
Volker Beck (Köln)

Rainer Funke
Dr. Evelyn Kenzler






(C)



(D)



(A)



(B)


1) Anlage 2
2) Anlage 3
3) Seite 24479

Über den Gesetzentwurf zur Änderung des Grundge-
setzes werden wir gleich namentlich abstimmen. Es ist
vereinbart, dass keine Aussprache erfolgen soll. – Ich
sehe, Sie sind damit einverstanden.

Wir kommen damit zur Abstimmung über den von der
Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes
zur Änderung des Art. 96 des Grundgesetzes, Drucksa-
che 14/8994. Der Rechtsausschuss empfiehlt unter Buch-
stabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-
che 14/9425, den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte
diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen,
um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Bera-
tung einstimmig angenommen.

Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich weise darauf hin, dass nach
Art. 79 des Grundgesetzes ein Gesetz zur Änderung des
Grundgesetzes die Zustimmung von zwei Dritteln der
Mitglieder des Bundestages, das heißt mindestens
444 Stimmen, erfordert. Es ist namentliche Abstimmung
verlangt worden. Nochmals bitte ich Sie, Kolleginnen und
Kollegen, bei der Stimmabgabe sorgfältig darauf zu ach-
ten, dass die Stimmkarten, die Sie verwenden, Ihren Na-
men tragen.

Ich bitte jetzt die Schriftführerinnen und Schriftführer,
die vorgesehenen Plätze einzunehmen. Sind alle Urnen
besetzt? – Das ist der Fall. Ich eröffne die Abstimmung.

Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme nicht abgegeben hat? – Das ist nicht der Fall. Ich
schließe die Abstimmung. Ich bitte alle Kolleginnen und
Kollegen, die der Sitzung noch beiwohnen wollen, recht
schnell ihre Plätze einzunehmen. Ich bitte die Schriftfüh-
rerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu begin-
nen.

Ich gebe jetzt das von den Schriftführerinnen und Schrift-
führern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstim-
mung über den Antrag der Bundesregierung mit dem Titel
„Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streit-
kräfte an dem Einsatz einer internationalen Sicherheits-
unterstützungstruppe in Afghanistan auf Grundlage der Re-
solutionen 1386 (2001) vom 20. Dezember 2001 und
1413 (2002) vom 23. Mai 2002 des Sicherheitsrats der
Vereinten Nationen“ bekannt – es handelte sich um die
Drucksachen 14/9246 und 14/9437 –: Abgegebene Stim-
men 539. Mit Ja haben gestimmt 497 Kolleginnen und
Kollegen, mit Nein haben gestimmt 37 Abgeordnete.






(C)



(D)



(A)



(B)


Vizepräsidentin Petra Bläss

Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 539;
davon

ja: 496
nein: 38
enthalten: 5

Ja
SPD
Brigitte Adler
Gerd Andres
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Hermann Bachmaier
Ernst Bahr
Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Eckhardt Barthel (Berlin)

Klaus Barthel (Starnberg)

Ingrid Becker-Inglau
Dr. Axel Berg
Hans-Werner Bertl
Friedhelm Julius Beucher
Petra Bierwirth
Kurt Bodewig
Klaus Brandner
Anni Brandt-Elsweier
Willi Brase
Rainer Brinkmann (Detmold)

Bernhard Brinkmann

(Hildesheim)


Hans-Günter Bruckmann
Ulla Burchardt
Dr. Michael Bürsch
Hans Büttner (Ingolstadt)


Marion Caspers-Merk
Wolf-Michael Catenhusen
Dr. Peter Danckert
Dr. Herta Däubler-Gmelin
Christel Deichmann
Karl Diller
Peter Dreßen
Detlef Dzembritzki
Dieter Dzewas
Sebastian Edathy
Ludwig Eich
Marga Elser
Petra Ernstberger
Annette Faße
Lothar Fischer (Homburg)

Gabriele Fograscher
Iris Follak
Norbert Formanski
Rainer Fornahl
Hans Forster
Lilo Friedrich (Mettmann)

Harald Friese
Anke Fuchs (Köln)

Arne Fuhrmann
Monika Ganseforth
Konrad Gilges
Iris Gleicke
Günter Gloser
Renate Gradistanac
Günter Graf (Friesoythe)

Angelika Graf (Rosenheim)

Dieter Grasedieck
Monika Griefahn
Kerstin Griese
Achim Großmann
Wolfgang Grotthaus
Hans-Joachim Hacker
Klaus Hagemann

Alfred Hartenbach
Klaus Hasenfratz
Nina Hauer
Hubertus Heil
Reinhold Hemker
Frank Hempel
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Monika Heubaum
Stephan Hilsberg
Gerd Höfer
Jelena Hoffmann (Chemnitz)

Walter Hoffmann

(Darmstadt)


Frank Hofmann (Volkach)

Ingrid Holzhüter
Eike Hovermann
Christel Humme
Lothar Ibrügger
Barbara Imhof
Brunhilde Irber
Gabriele Iwersen
Renate Jäger
Jann-Peter Janssen
Ilse Janz
Johannes Kahrs
Ulrich Kasparick
Sabine Kaspereit
Susanne Kastner
Ulrich Kelber
Hans-Peter Kemper
Klaus Kirschner
Marianne Klappert
Siegrun Klemmer
Hans-Ulrich Klose
Walter Kolbow
Fritz Rudolf Körper

Anette Kramme
Nicolette Kressl
Volker Kröning
Angelika Krüger-Leißner
Horst Kubatschka
Ernst Küchler
Helga Kühn-Mengel
Ute Kumpf
Konrad Kunick
Dr. Uwe Küster
Werner Labsch
Christine Lambrecht
Brigitte Lange
Christian Lange (Backnang)

Detlev von Larcher
Christine Lehder
Waltraud Lehn
Robert Leidinger
Klaus Lennartz
Dr. Elke Leonhard
Eckhart Lewering
Götz-Peter Lohmann

(Neubrandenburg)


Gabriele Lösekrug-Möller
Erika Lotz
Dr. Christine Lucyga
Dieter Maaß (Herne)

Winfried Mante
Dirk Manzewski
Tobias Marhold
Lothar Mark
Ulrike Mascher
Christoph Matschie
Heide Mattischeck
Markus Meckel
Ulrike Mehl
Ulrike Merten
Angelika Mertens




Vizepräsidentin Petra Bläss
24480


(C)



(D)



(A)



(B)


Dr. Jürgen Meyer (Ulm)

Ursula Mogg
Christoph Moosbauer
Siegmar Mosdorf
Michael Müller (Düsseldorf)

Jutta Müller (Völklingen)

Christian Müller (Zittau)

Franz Müntefering
Andrea Nahles
Volker Neumann (Bramsche)

Dr. Edith Niehuis
Dr. Rolf Niese
Dietmar Nietan
Günter Oesinghaus
Eckhard Ohl
Leyla Onur
Manfred Opel
Holger Ortel
Adolf Ostertag
Kurt Palis
Albrecht Papenroth
Dr. Martin Pfaff
Georg Pfannenstein
Johannes Pflug
Dr. Eckhart Pick
Karin Rehbock-Zureich
Dr. Carola Reimann
Margot von Renesse
Renate Rennebach
Bernd Reuter
Dr. Edelbert Richter
Christel Riemann-
Hanewinckel

Reinhold Robbe
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth (Heringen)

Birgit Roth (Speyer)

Gerhard Rübenkönig
Marlene Rupprecht
Thomas Sauer
Dr. Hansjörg Schäfer
Gudrun Schaich-Walch
Rudolf Scharping
Bernd Scheelen
Dr. Hermann Scheer
Siegfried Scheffler
Horst Schild
Otto Schily
Dieter Schloten
Horst Schmidbauer

(Nürnberg)


Ulla Schmidt (Aachen)

Silvia Schmidt (Eisleben)

Dagmar Schmidt (Meschede)

Wilhelm Schmidt (Salzgitter)

Dr. Frank Schmidt

(Weilburg)


Regina Schmidt-Zadel
Heinz Schmitt (Berg)

Carsten Schneider
Dr. Emil Schnell
Walter Schöler
Karsten Schönfeld
Fritz Schösser
Ottmar Schreiner
Dr. Mathias Schubert
Richard Schuhmann

(Delitzsch)


Brigitte Schulte (Hameln)


Reinhard Schultz

(Everswinkel)


Volkmar Schultz (Köln)

Ewald Schurer
Dr. Angelica Schwall-Düren
Rolf Schwanitz
Bodo Seidenthal
Erika Simm
Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk
Dr. Cornelie Sonntag-
Wolgast

Wieland Sorge
Wolfgang Spanier
Dr. Margrit Spielmann
Jörg-Otto Spiller
Dr. Ditmar Staffelt
Antje-Marie Steen
Ludwig Stiegler
Rolf Stöckel
Rita Streb-Hesse
Reinhold Strobl (Amberg)

Dr. Peter Struck
Joachim Stünker
Joachim Tappe
Jörg Tauss
Jella Teuchner
Dr. Gerald Thalheim
Wolfgang Thierse
Franz Thönnes
Adelheid Tröscher
Hans-Eberhard Urbaniak
Rüdiger Veit
Simone Violka
Ute Vogt (Pforzheim)

Hans Georg Wagner
Hedi Wegener
Dr. Konstanze Wegner
Wolfgang Weiermann
Reinhard Weis (Stendal)

Matthias Weisheit
Gunter Weißgerber
Gert Weisskirchen

(Wiesloch)


Dr. Ernst Ulrich von
Weizsäcker

Jochen Welt
Dr. Rainer Wend
Hildegard Wester
Lydia Westrich
Inge Wettig-Danielmeier
Dr. Margrit Wetzel
Dr. Norbert Wieczorek
Jürgen Wieczorek (Böhlen)

Helmut Wieczorek

(Duisburg)


Heidemarie Wieczorek-Zeul
Dieter Wiefelspütz
Heino Wiese (Hannover)

Klaus Wiesehügel
Brigitte Wimmer (Karlsruhe)

Engelbert Wistuba
Dr. Wolfgang Wodarg
Verena Wohlleben
Hanna Wolf (München)

Waltraud Wolff

(Wolmirstedt)


Heidemarie Wright
Dr. Christoph Zöpel
Peter Zumkley

CDU/CSU
Ulrich Adam
Peter Altmaier
Dietrich Austermann
Günter Baumann
Brigitte Baumeister
Meinrad Belle
Dr. Sabine Bergmann-Pohl
Otto Bernhardt
Hans-Dirk Bierling
Renate Blank
Dr. Heribert Blens
Peter Bleser
Dr. Norbert Blüm
Sylvia Bonitz
Jochen Borchert
Wolfgang Bosbach
Klaus Brähmig
Dr. Ralf Brauksiepe
Paul Breuer
Georg Brunnhuber
Klaus Bühler (Bruchsal)

Hartmut Büttner

(Schönebeck)


Dankward Buwitt
Cajus Caesar
Peter H. Carstensen

(Nordstrand)


Leo Dautzenberg
Wolfgang Dehnel
Hubert Deittert
Albert Deß
Renate Diemers
Thomas Dörflinger
Dr. Hansjürgen Doss
Marie-Luise Dött
Rainer Eppelmann
Ilse Falk
Dr. Hans Georg Faust
Albrecht Feibel
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer (Hamburg)

Axel E. Fischer

(Karlsruhe-Land)


Dr. Gerhard Friedrich

(Erlangen)


Dr. Hans-Peter Friedrich

(Hof)


Erich G. Fritz
Dr. Jürgen Gehb
Dr. Reinhard Göhner
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Kurt-Dieter Grill
Manfred Grund
Horst Günther (Duisburg)

Carl-Detlev Freiherr von
Hammerstein

Gottfried Haschke

(Großhennersdorf )


Gerda Hasselfeldt
Hansgeorg Hauser

(Rednitzhembach)


Helmut Heiderich
Ursula Heinen
Manfred Heise
Detlef Helling
Ernst Hinsken

Peter Hintze
Martin Hohmann
Siegfried Hornung
Joachim Hörster
Hubert Hüppe
Susanne Jaffke
Georg Janovsky
Dr.-Ing. Rainer Jork
Dr. Harald Kahl
Dr.-Ing. Dietmar Kansy
Volker Kauder
Eckart von Klaeden
Ulrich Klinkert
Norbert Königshofen
Hartmut Koschyk
Thomas Kossendey
Rudolf Kraus
Dr. Martina Krogmann
Werner Kuhn
Karl Lamers
Dr. Karl A. Lamers

(Heidelberg)


Dr. Norbert Lammert
Helmut Lamp
Dr. Paul Laufs
Karl-Josef Laumann
Vera Lengsfeld
Werner Lensing
Peter Letzgus
Ursula Lietz
Dr. Manfred Lischewski
Wolfgang Lohmann

(Lüdenscheid)


Dr. Michael Luther
Erich Maaß (Wilhelmshaven)

Erwin Marschewski

(Recklinghausen)


Dr. Martin Mayer

(Siegertsbrunn)


Wolfgang Meckelburg
Dr. Michael Meister
Friedrich Merz
Bernward Müller (Jena)

Elmar Müller (Kirchheim)

Günter Nooke
Franz Obermeier
Friedhelm Ost
Eduard Oswald
Norbert Otto (Erfurt)

Anton Pfeifer
Dr. Friedbert Pflüger
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Marlies Pretzlaff
Hans Raidel
Dr. Peter Ramsauer
Helmut Rauber
Peter Rauen
Christa Reichard (Dresden)

Katherina Reiche
Erika Reinhardt
Hans-Peter Repnik
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Franz Romer
Kurt J. Rossmanith
Dr. Christian Ruck
Volker Rühe
Dr. Wolfgang Schäuble




Vizepräsidentin Petra Bläss

24481


(C)



(D)



(A)



(B)


Hartmut Schauerte
Karl-Heinz Scherhag
Dr. Gerhard Scheu
Norbert Schindler
Christian Schmidt (Fürth)

Dr.-Ing. Joachim Schmidt

(Halsbrücke)


Andreas Schmidt (Mülheim)

Hans Peter Schmitz

(Baesweiler)


Reinhard Freiherr von
Schorlemer

Dr. Erika Schuchardt
Gerhard Schulz
Dr. Christian Schwarz-
Schilling

Wilhelm Josef Sebastian
Marion Seib
Heinz Seiffert
Werner Siemann
Bärbel Sothmann
Margarete Späte
Carl-Dieter Spranger
Erika Steinbach
Dr. Wolfgang Freiherr von
Stetten

Andreas Storm
Dorothea Störr-Ritter
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Thomas Strobl (Heilbronn)

Michael Stübgen
Edeltraut Töpfer
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Angelika Volquartz
Andrea Voßhoff
Peter Weiß (Emmendingen)

Gerald Weiß (Groß-Gerau)

Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese (Ehingen)

Hans-Otto Wilhelm (Mainz)

Bernd Wilz
Matthias Wissmann
Werner Wittlich
Dagmar Wöhrl
Elke Wülfing
Peter Kurt Würzbach

Wolfgang Zeitlmann
Wolfgang Zöller
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Gila Altmann (Aurich)

Volker Beck (Köln)

Angelika Beer
Matthias Berninger
Grietje Bettin
Ekin Deligöz
Amke Dietert-Scheuer
Dr. Thea Dückert
Franziska Eichstädt-Bohlig
Dr. Uschi Eid
Hans-Josef Fell
Joseph Fischer (Frankfurt)

Katrin Göring-Eckardt
Rita Grießhaber
Gerald Häfner
Antje Hermenau
Ulrike Höfken
Michaele Hustedt
Dr. Angelika Köster-Loßack
Dr. Reinhard Loske
Kerstin Müller (Köln)

Winfried Nachtwei
Cem Özdemir
Simone Probst
Christine Scheel
Albert Schmidt (Hitzhofen)

Werner Schulz (Leipzig)

Christian Sterzing
Hans-Christian Ströbele
Jürgen Trittin
Dr. Antje Vollmer
Dr. Ludger Volmer
Helmut Wilhelm (Amberg)

Margareta Wolf (Frankfurt)

FDP
Hildebrecht Braun

(Augsburg)


Ernst Burgbacher
Jörg van Essen
Gisela Frick
Paul K. Friedhoff

Rainer Funke
Dr. Wolfgang Gerhardt
Hans-Michael Goldmann
Joachim Günther (Plauen)

Dr. Karlheinz Guttmacher
Klaus Haupt
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Dr. Klaus Kinkel
Gudrun Kopp
Ina Lenke
Dirk Niebel
Günther Friedrich Nolting
Hans-Joachim Otto

(Frankfurt)


Detlef Parr
Dr. Günter Rexrodt
Gerhard Schüßler
Marita Sehn
Gudrun Serowiecki
Dr. Hermann Otto Solms
Dr. Dieter Thomae
Jürgen Türk

Nein
CDU/CSU
Dr. Wolf Bauer
Wolfgang Börnsen

(Bönstrup)


BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Annelie Buntenbach
Monika Knoche
Christian Simmert
FDP
Dr. Heinrich L. Kolb
Jürgen Koppelin
PDS
Dr. Dietmar Bartsch
Wolfgang Bierstedt
Petra Bläss

Maritta Böttcher
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Heidemarie Ehlert
Dr. Heinrich Fink
Dr. Ruth Fuchs
Wolfgang Gehrcke
Dr. Klaus Grehn
Uwe Hiksch
Carsten Hübner
Ulla Jelpke
Gerhard Jüttemann
Dr. Evelyn Kenzler
Rolf Kutzmutz
Ursula Lötzer
Dr. Christa Luft
Heidemarie Lüth
Pia Maier
Angela Marquardt
Kersten Naumann
Rosel Neuhäuser
Christine Ostrowski
Petra Pau
Christina Schenk
Gustav-Adolf Schur
Dr. Ilja Seifert
Dr. Winfried Wolf
Fraktionslose Abgeordnete
Christa Lörcher

Enthalten
SPD
Dr. Uwe Jens
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Winfried Hermann
Steffi Lemke
Irmingard Schewe-Gerigk
Sylvia Voß

Entschuldigt wegen Übernahme einer Verpflichtung im Rahmen ihrer Mitgliedschaft in den Parlamentarischen Versammlungen des
Europarates und der WEU, der Parlamentarischen Versammlung der NATO, der OSZE oder der IPU
Abgeordnete(r)
Behrendt, Wolfgang Bindig, Rudolf Lintner, Eduard Dr. Lippelt, Helmut

SPD SPD CDU/CSU BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Müller (Berlin), Manfred Zierer, Benno
PDS CDU/CSU

Es haben sich fünf Kolleginnen und Kollegen enthal-
ten. Der Antrag ist damit angenommen.

Ich unterbreche nun kurz die Sitzung.

(Unterbrechung von 14.09 bis 14.13 Uhr)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1424308000
Die Sitzung ist wieder
eröffnet.

Ich gebe das von den Schriftführerinnen und Schrift-
führern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstim-
mung über den von der Bundesregierung eingebrachten
Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes,
Art. 96, auf den Drucksachen 14/8994 und 14/9425 be-
kannt: Abgegebene Stimmen 533. Mit Ja haben gestimmt
532 Abgeordnete, eine Kollegin bzw. ein Kollege hat sich
enthalten. Der Gesetzentwurf ist angenommen, da be-
kanntlich 444 Stimmen erforderlich waren.




Vizepräsidentin Petra Bläss
24482


(C)



(D)



(A)



(B)


Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 532;
davon

ja: 531
enthalten: 1

Ja
SPD
Brigitte Adler
Gerd Andres
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Ernst Bahr
Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Eckhardt Barthel (Berlin)

Klaus Barthel (Starnberg)

Ingrid Becker-Inglau
Dr. Axel Berg
Hans-Werner Bertl
Friedhelm Julius Beucher
Petra Bierwirth
Kurt Bodewig
Klaus Brandner
Anni Brandt-Elsweier
Willi Brase
Rainer Brinkmann (Detmold)

Bernhard Brinkmann

(Hildesheim)


Hans-Günter Bruckmann
Ulla Burchardt
Dr. Michael Bürsch
Hans Büttner (Ingolstadt)

Marion Caspers-Merk
Wolf-Michael Catenhusen
Dr. Peter Danckert
Dr. Herta Däubler-Gmelin
Christel Deichmann
Karl Diller
Peter Dreßen
Detlef Dzembritzki
Dieter Dzewas
Sebastian Edathy
Ludwig Eich
Marga Elser
Petra Ernstberger
Annette Faße
Lothar Fischer (Homburg)

Gabriele Fograscher
Iris Follak
Norbert Formanski
Rainer Fornahl
Hans Forster

Lilo Friedrich (Mettmann)

Harald Friese
Anke Fuchs (Köln)

Arne Fuhrmann
Monika Ganseforth
Konrad Gilges
Iris Gleicke
Günter Gloser
Renate Gradistanac
Günter Graf (Friesoythe)

Angelika Graf (Rosenheim)

Dieter Grasedieck
Monika Griefahn
Kerstin Griese
Achim Großmann
Wolfgang Grotthaus
Hans-Joachim Hacker
Klaus Hagemann
Alfred Hartenbach
Klaus Hasenfratz
Nina Hauer
Hubertus Heil
Reinhold Hemker
Frank Hempel
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Monika Heubaum
Stephan Hilsberg
Gerd Höfer
Jelena Hoffmann (Chemnitz)

Walter Hoffmann

(Darmstadt)


Frank Hofmann (Volkach)

Ingrid Holzhüter
Eike Hovermann
Christel Humme
Lothar Ibrügger
Barbara Imhof
Brunhilde Irber
Gabriele Iwersen
Renate Jäger
Jann-Peter Janssen
Ilse Janz
Dr. Uwe Jens
Johannes Kahrs
Ulrich Kasparick
Sabine Kaspereit
Susanne Kastner
Ulrich Kelber
Hans-Peter Kemper
Klaus Kirschner
Marianne Klappert
Siegrun Klemmer
Hans-Ulrich Klose
Walter Kolbow

Fritz Rudolf Körper
Anette Kramme
Nicolette Kressl
Volker Kröning
Angelika Krüger-Leißner
Horst Kubatschka
Ernst Küchler
Helga Kühn-Mengel
Ute Kumpf
Konrad Kunick
Dr. Uwe Küster
Werner Labsch
Christine Lambrecht
Brigitte Lange
Christian Lange (Backnang)

Detlev von Larcher
Christine Lehder
Waltraud Lehn
Robert Leidinger
Klaus Lennartz
Dr. Elke Leonhard
Eckhart Lewering
Götz-Peter Lohmann

(Neubrandenburg)


Gabriele Lösekrug-Möller
Erika Lotz
Dr. Christine Lucyga
Dieter Maaß (Herne)

Winfried Mante
Dirk Manzewski
Tobias Marhold
Lothar Mark
Ulrike Mascher
Christoph Matschie
Heide Mattischeck
Markus Meckel
Ulrike Merten
Angelika Mertens
Dr. Jürgen Meyer (Ulm)

Ursula Mogg
Christoph Moosbauer
Siegmar Mosdorf
Michael Müller (Düsseldorf)

Jutta Müller (Völklingen)

Christian Müller (Zittau)

Franz Müntefering
Andrea Nahles
Volker Neumann (Bramsche)

Dr. Edith Niehuis
Dr. Rolf Niese
Dietmar Nietan
Günter Oesinghaus
Eckhard Ohl
Leyla Onur
Manfred Opel
Holger Ortel

Adolf Ostertag
Kurt Palis
Albrecht Papenroth
Dr. Martin Pfaff
Georg Pfannenstein
Johannes Pflug
Dr. Eckhart Pick
Karin Rehbock-Zureich
Dr. Carola Reimann
Margot von Renesse
Renate Rennebach
Bernd Reuter
Dr. Edelbert Richter
Christel Riemann-
Hanewinckel

Reinhold Robbe
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth (Heringen)

Birgit Roth (Speyer)

Gerhard Rübenkönig
Marlene Rupprecht
Thomas Sauer
Dr. Hansjörg Schäfer
Gudrun Schaich-Walch
Rudolf Scharping
Bernd Scheelen
Dr. Hermann Scheer
Siegfried Scheffler
Horst Schild
Otto Schily
Dieter Schloten
Horst Schmidbauer

(Nürnberg)


Ulla Schmidt (Aachen)

Silvia Schmidt (Eisleben)

Dagmar Schmidt (Meschede)

Wilhelm Schmidt (Salzgitter)

Dr. Frank Schmidt

(Weilburg)


Regina Schmidt-Zadel
Heinz Schmitt (Berg)

Carsten Schneider
Dr. Emil Schnell
Walter Schöler
Karsten Schönfeld
Fritz Schösser
Ottmar Schreiner
Dr. Mathias Schubert
Richard Schuhmann

(Delitzsch)


Brigitte Schulte (Hameln)

Reinhard Schultz

(Everswinkel)


Volkmar Schultz (Köln)

Ewald Schurer




Vizepräsidentin Petra Bläss

24483


(C)



(D)



(A)



(B)


Dr. Angelica Schwall-Düren
Rolf Schwanitz
Bodo Seidenthal
Erika Simm
Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk
Dr. Cornelie Sonntag-
Wolgast

Wieland Sorge
Wolfgang Spanier
Dr. Margrit Spielmann
Jörg-Otto Spiller
Dr. Ditmar Staffelt
Antje-Marie Steen
Ludwig Stiegler
Rolf Stöckel
Rita Streb-Hesse
Reinhold Strobl (Amberg)

Dr. Peter Struck
Joachim Stünker
Joachim Tappe
Jörg Tauss
Jella Teuchner
Dr. Gerald Thalheim
Wolfgang Thierse
Franz Thönnes
Adelheid Tröscher
Hans-Eberhard Urbaniak
Rüdiger Veit
Simone Violka
Ute Vogt (Pforzheim)

Hans Georg Wagner
Hedi Wegener
Dr. Konstanze Wegner
Wolfgang Weiermann
Reinhard Weis (Stendal)

Matthias Weisheit
Gunter Weißgerber
Gert Weisskirchen

(Wiesloch)


Dr. Ernst Ulrich von
Weizsäcker

Jochen Welt
Dr. Rainer Wend
Hildegard Wester
Lydia Westrich
Inge Wettig-Danielmeier
Dr. Margrit Wetzel
Dr. Norbert Wieczorek
Jürgen Wieczorek (Böhlen)

Helmut Wieczorek

(Duisburg)


Heidemarie Wieczorek-Zeul
Dieter Wiefelspütz
Heino Wiese (Hannover)

Klaus Wiesehügel
Brigitte Wimmer (Karlsruhe)

Engelbert Wistuba
Dr. Wolfgang Wodarg
Verena Wohlleben
Hanna Wolf (München)

Waltraud Wolff

(Wolmirstedt)


Heidemarie Wright
Dr. Christoph Zöpel
Peter Zumkley
CDU/CSU
Ulrich Adam

Peter Altmaier
Dietrich Austermann
Dr. Wolf Bauer
Günter Baumann
Brigitte Baumeister
Meinrad Belle
Dr. Sabine Bergmann-Pohl
Otto Bernhardt
Hans-Dirk Bierling
Renate Blank
Dr. Heribert Blens
Peter Bleser
Dr. Norbert Blüm
Sylvia Bonitz
Jochen Borchert
Wolfgang Börnsen

(Bönstrup)


Wolfgang Bosbach
Klaus Brähmig
Dr. Ralf Brauksiepe
Paul Breuer
Georg Brunnhuber
Klaus Bühler (Bruchsal)

Hartmut Büttner

(Schönebeck)


Dankward Buwitt
Cajus Caesar
Peter H. Carstensen

(Nordstrand)


Leo Dautzenberg
Wolfgang Dehnel
Hubert Deittert
Albert Deß
Renate Diemers
Thomas Dörflinger
Dr. Hansjürgen Doss
Marie-Luise Dött
Rainer Eppelmann
Ilse Falk
Dr. Hans Georg Faust
Albrecht Feibel
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer (Hamburg)

Axel E. Fischer

(Karlsruhe-Land)


Dr. Gerhard Friedrich

(Erlangen)


Dr. Hans-Peter Friedrich

(Hof)


Erich G. Fritz
Dr. Jürgen Gehb
Dr. Reinhard Göhner
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Kurt-Dieter Grill
Manfred Grund
Horst Günther (Duisburg)

Carl-Detlev Freiherr von
Hammerstein

Gottfried Haschke

(Großhennersdorf )


Gerda Hasselfeldt
Hansgeorg Hauser

(Rednitzhembach)


Helmut Heiderich
Ursula Heinen
Manfred Heise
Detlef Helling
Ernst Hinsken

Peter Hintze
Martin Hohmann
Siegfried Hornung
Joachim Hörster
Hubert Hüppe
Georg Janovsky
Dr.-Ing. Rainer Jork
Dr. Harald Kahl
Dr.-Ing. Dietmar Kansy
Volker Kauder
Eckart von Klaeden
Ulrich Klinkert
Norbert Königshofen
Hartmut Koschyk
Thomas Kossendey
Rudolf Kraus
Dr. Martina Krogmann
Werner Kuhn
Karl Lamers
Dr. Karl A. Lamers

(Heidelberg)


Dr. Norbert Lammert
Helmut Lamp
Dr. Paul Laufs
Karl-Josef Laumann
Vera Lengsfeld
Werner Lensing
Peter Letzgus
Ursula Lietz
Dr. Manfred Lischewski
Wolfgang Lohmann

(Lüdenscheid)


Dr. Michael Luther
Erich Maaß (Wilhelmshaven)

Erwin Marschewski

(Recklinghausen)


Dr. Martin Mayer

(Siegertsbrunn)


Wolfgang Meckelburg
Dr. Michael Meister
Friedrich Merz
Bernward Müller (Jena)

Elmar Müller (Kirchheim)

Günter Nooke
Franz Obermeier
Friedhelm Ost
Eduard Oswald
Norbert Otto (Erfurt)

Anton Pfeifer
Dr. Friedbert Pflüger
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Marlies Pretzlaff
Hans Raidel
Dr. Peter Ramsauer
Helmut Rauber
Peter Rauen
Christa Reichard (Dresden)

Katherina Reiche
Erika Reinhardt
Hans-Peter Repnik
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Franz Romer
Kurt J. Rossmanith
Dr. Christian Ruck
Volker Rühe
Dr. Wolfgang Schäuble
Hartmut Schauerte

Karl-Heinz Scherhag
Dr. Gerhard Scheu
Norbert Schindler
Christian Schmidt (Fürth)

Dr.-Ing. Joachim Schmidt

(Halsbrücke)


Andreas Schmidt (Mülheim)

Hans Peter Schmitz

(Baesweiler)


Reinhard Freiherr von
Schorlemer

Dr. Erika Schuchardt
Gerhard Schulz
Dr. Christian Schwarz-
Schilling

Wilhelm Josef Sebastian
Marion Seib
Heinz Seiffert
Werner Siemann
Bärbel Sothmann
Margarete Späte
Carl-Dieter Spranger
Erika Steinbach
Dr. Wolfgang Freiherr von
Stetten

Andreas Storm
Dorothea Störr-Ritter
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Thomas Strobl (Heilbronn)

Michael Stübgen
Edeltraut Töpfer
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Angelika Volquartz
Andrea Voßhoff
Peter Weiß (Emmendingen)

Gerald Weiß (Groß-Gerau)

Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese (Ehingen)

Hans-Otto Wilhelm (Mainz)

Bernd Wilz
Matthias Wissmann
Werner Wittlich
Dagmar Wöhrl
Elke Wülfing
Peter Kurt Würzbach
Wolfgang Zeitlmann
Wolfgang Zöller
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Gila Altmann (Aurich)

Volker Beck (Köln)

Angelika Beer
Matthias Berninger
Grietje Bettin
Annelie Buntenbach
Ekin Deligöz
Amke Dietert-Scheuer
Franziska Eichstädt-Bohlig
Hans-Josef Fell
Joseph Fischer (Frankfurt)

Katrin Göring-Eckardt
Rita Grießhaber
Gerald Häfner
Antje Hermenau
Ulrike Höfken




Vizepräsidentin Petra Bläss
24484


(C)



(D)



(A)



(B)


Michaele Hustedt
Dr. Angelika Köster-Loßack
Steffi Lemke
Dr. Reinhard Loske
Kerstin Müller (Köln)

Winfried Nachtwei
Cem Özdemir
Simone Probst
Christine Scheel
Irmingard Schewe-Gerigk
Albert Schmidt (Hitzhofen)

Werner Schulz (Leipzig)

Christian Simmert
Christian Sterzing
Hans-Christian Ströbele
Dr. Antje Vollmer
Dr. Ludger Volmer
Sylvia Voß
Helmut Wilhelm (Amberg)

Margareta Wolf (Frankfurt)

FDP
Hildebrecht Braun

(Augsburg)


Ernst Burgbacher
Jörg van Essen
Gisela Frick
Paul K. Friedhoff
Rainer Funke
Dr. Wolfgang Gerhardt
Hans-Michael Goldmann
Joachim Günther (Plauen)

Dr. Karlheinz Guttmacher
Klaus Haupt
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Dr. Klaus Kinkel
Dr. Heinrich L. Kolb
Gudrun Kopp
Jürgen Koppelin
Ina Lenke
Dirk Niebel
Günther Friedrich Nolting
Hans-Joachim Otto

(Frankfurt)


Detlef Parr
Dr. Günter Rexrodt
Gerhard Schüßler

Marita Sehn
Gudrun Serowiecki
Dr. Hermann Otto Solms
Dr. Dieter Thomae
Jürgen Türk
PDS
Dr. Dietmar Bartsch
Wolfgang Bierstedt
Petra Bläss
Maritta Böttcher
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Heidemarie Ehlert
Dr. Heinrich Fink
Dr. Ruth Fuchs
Wolfgang Gehrcke
Dr. Klaus Grehn
Uwe Hiksch
Carsten Hübner
Ulla Jelpke
Gerhard Jüttemann
Dr. Evelyn Kenzler
Rolf Kutzmutz

Ursula Lötzer
Dr. Christa Luft
Heidemarie Lüth
Pia Maier
Angela Marquardt
Kersten Naumann
Rosel Neuhäuser
Christine Ostrowski
Petra Pau
Christina Schenk
Gustav-Adolf Schur
Dr. Ilja Seifert
Dr. Winfried Wolf
Fraktionslose Abgeordnete
Christa Lörcher

Enthalten
CDU/CSU
Susanne Jaffke

Entschuldigt wegen Übernahme einer Verpflichtung im Rahmen ihrer Mitgliedschaft in den Parlamentarischen Versammlungen des
Europarates und der WEU, der Parlamentarischen Versammlung der NATO, der OSZE oder der IPU
Abgeordnete(r)
Behrendt, Wolfgang Bindig, Rudolf Lintner, Eduard Dr. Lippelt, Helmut

SPD SPD CDU/CSU BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Müller (Berlin), Manfred Zierer, Benno
PDS CDU/CSU

Wir kommen nun zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung
des Gerichtsverfassungsgesetzes, Drucksache 14/8978. Der
Rechtsausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Be-
schlussempfehlung auf Drucksache 14/9425, den Gesetz-
entwurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Ge-
setzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. –
Gegenprobe! – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist da-
mit in zweiter Beratung einstimmig angenommen.

Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Ge-
genprobe! – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist mit
den Stimmen des gesamten Hauses angenommen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 28 auf:
– Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen

der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ-
NEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Steuerfreistellung von Arbeitnehmertrinkgel-
dern
– Drucksache 14/9029 –

(Erste Beratung 236. Sitzung)


– Zweite und dritte Beratung des von den Abge-
ordneten Ernst Burgbacher, Gerhard Schüßler,
Dr. Hermann Otto Solms, weiteren Abgeordneten
und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs
eines Gesetzes zur Änderung des Einkommen-

(Abschaffung der Trinkgeldbesteuerung)

– Drucksache 14/9061 –

(Erste Beratung 236. Sitzung)


a) Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzaus-
schusses (7. Ausschuss)

– Drucksache 14/9428 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Jörg-Otto Spiller
Heinz Seiffert
Carl-Ludwig Thiele
Dr. Barbara Höll

b) Berichte des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss)

gemäß § 96 der Geschäftsordnung
– Drucksachen 14/9444, 14/9443 –
Berichterstattung:

Abgeordnete Hans Jochen Henke
Hans Georg Wagner
Oswald Metzger
Dr. Günter Rexrodt
Dr. Uwe-Jens Rössel

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Debatte eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Erste Rednerin für die
SPD-Fraktion ist die Kollegin Susanne Kastner.


Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1424308100
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Ich denke, manchmal sollte
man vor Beginn einer Debatte ein paar Sachverhalte klar-
stellen. Man sollte das, wenn es um die Abschaffung der
Trinkgeldbesteuerung geht, zum einen für diejenigen
tun, die sich nicht jeden Tag mit diesem Thema beschäfti-
gen, und zum anderen für die werten Kolleginnen und Kol-
legen, die in den letzten Wochen einiges durcheinander ge-
bracht haben. Manche versuchten dabei, die berühmten
Hundehaare zu streuen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Klaus Brähmig [CDU/CSU]: Quatsch!)


– Herr Brähmig, um was geht es hier eigentlich? Es geht
um ein Gesetz aus dem Jahre 1920. Es stammt aus einer
Zeit, als das Trinkgeld die eigentliche Entlohnung des
Kellners war. Mittlerweile – da werden Sie mir sicher
Recht geben – sind einige Jahre ins Land gegangen, in de-
nen verschiedene Regierungen in unterschiedlichen Kon-
stellationen Verantwortung getragen haben.

Von 1982 bis 1998 haben die Damen und Herren von
der rechten Seite des Hohen Hauses die Regierungsver-
antwortung getragen


(Klaus Brähmig [CDU/CSU]: Freibeträge!)

– ja, Herr Brähmig, ich betone das deshalb, weil in den
letzten Tagen ein wenig der Eindruck entstanden ist, dass
gerade in der Frage der Trinkgeldbesteuerung während
dieser Zeit ein Vakuum geherrscht habe – und es ist rein
gar nichts in Sachen Abschaffung der Trinkgeldbesteue-
rung in dieser Zeit von dort gekommen.

Der damalige Finanzminister – ich glaube, wir alle
erinnern uns noch –, Herr Waigel, hat dankend die Hand
aufgehalten und die Steuern aus den Händen der Kell-
nerinnen und Kellner angenommen. Auf der anderen
Seite haben die Abgeordneten bei den entsprechenden
Zusammenkünften mit Touristikerinnen und Touristi-
kern immer wieder vollmundige Versprechungen abge-
geben.


(Horst Kubatschka [SPD]: Und nichts erreicht!)


Auch in den drei Jahren ihrer Oppositionstätigkeit ist
vonseiten der CDU/CSU dabei nur ein halbherziger Ver-
such herausgekommen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – HansPeter Repnik [CDU/CSU]: Frau Kastner, bitte!)


– So war es, Herr Repnik, ganz genau so!


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1424308200
Frau Kollegin
Kastner, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Hinsken?


Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1424308300
Aber klar.


Ernst Hinsken (CSU):
Rede ID: ID1424308400
Verehrte Frau Kollegin
Kastner, mich interessiert, warum Sie, Ihre Fraktion und
die Fraktion der Grünen, vor acht Wochen, als der gleiche
Antrag im Deutschen Bundestag zur Abstimmung an-
stand, gegen die Abschaffung der Trinkgeldbesteuerung
waren. Jetzt sind Sie plötzlich dafür? Worauf ist dieser
Sinneswandel zurückzuführen?


(Sylvia Voß [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist kein Sinneswandel!)


Herr Eichel ist nach wie vor nicht begeistert, seine
Staatssekretärin hat mir das heute noch einmal bestätigt.
Ich finde die vorgesehene Regelung gut. Lassen Sie doch
denjenigen, die sie so weit gebracht haben, die Freude da-
rüber, dass man so weit gekommen ist.


(Zurufe von der SPD: Frage!)

– Ich habe gefragt. Ich möchte gerne wissen, woher der
Sinneswandel kommt.


Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1424308500
Herr Kollege Hinsken, wir
haben in dieser Frage überhaupt keinen Sinneswandel
durchgemacht.


(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Das war eine schwere Geburt! Acht Wochen habt ihr gebraucht!)


Vor acht Wochen haben Sie vonseiten der CDU/CSU eine
Erhöhung des Freibetrags und vonseiten der FDP einen
Vorschlag zur Abschaffung eingebracht. Dieser war aber
so formuliert, dass er vor dem Verfassungsgericht nicht
standgehalten hätte.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Deshalb haben wir einen eigenen Antrag eingebracht, der
vor dem Verfassungsgericht standhält und mit der Freibe-
tragsregelung überhaupt nichts zu tun hat. So und kein
bisschen anders ist die Wahrheit.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Klaus Brähmig [CDU/CSU]: Das ist nicht richtig!)


Ich komme nun auf die FDP zu sprechen. Die FDPwar
in dieser Frage ein Stück weit fleißig. Aber, liebe Kolle-
ginnen und Kollegen, ich muss es wiederholen – das tue
ich natürlich auch gern –, man kann es sich wahrschein-
lich nur als Spaßpartei erlauben, einen Gesetzentwurf ein-
zubringen, der einer verfassungsmäßigen Überprüfung
nicht standgehalten hätte.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Ist doch nicht wahr!)


Einmal mehr stand hier Effekthascherei im Vordergrund,
anstatt wirklich seriöse Politik für die Menschen zu ma-
chen.




Vizepräsidentin Petra Bläss

24485


(C)



(D)



(A)



(B)


Damit sind wir bei unserer Initiative angekommen,
Herr Kollege Hinsken. Wir haben in unseren tourismus-
politischen Leitlinien – das wissen Sie so gut wie ich –
bereits im Jahre 1998 festgelegt, die Trinkgeldbesteue-
rung abzuschaffen. Dieses Vorhaben setzen wir jetzt um.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen von der Opposition,
das hat bei uns bereits nach einer Legislaturperiode zum
Erfolg geführt. Wir haben nicht wie Sie vier Legislatur-
perioden lang heiße Luft produziert.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Herr Kollege Brähmig, anstatt sich jetzt mit den Be-
schäftigten des Hotel- und Gaststättengewerbes zu freuen,
verhalten Sie sich nach dem Motto Wilhelm Buschs:
„Kaum hat mal einer ein bissel was, gleich gibt es welche,
die ärgert das.“


(Klaus Brähmig [CDU/CSU]: Mich freut das!)

Hätte sich die SPD nicht so intensiv mit der Thematik aus-
einander gesetzt, um eine einwandfreie gesetzliche Rege-
lung zu finden, und dabei politische Geradlinigkeit und
Konsequenz gezeigt, könnten wir wohl nochmals 82 Jahre
warten, ohne dass etwas geschähe.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, die bisherige Situ-
ation des Servicepersonals gestaltete sich folgender-
maßen: Ein Kellner musste beim Finanzamt eine Er-
klärung über die erhaltenen Trinkgelder abgeben. Lag
diese Summe über dem entsprechenden Freibetrag von
ehemals 2 400 DM, den die Union dankenswerterweise er-
höhen wollte, waren neben der üblichen Lohnsteuer auch
Beiträge für die Sozialversicherungen zu zahlen. Als
wäre das Ganze noch nicht kompliziert genug gewesen,
musste der Arbeitgeber anteilig ebenfalls Sozialversiche-
rungsleistungen erbringen. Erschien dem Finanzamt
diese Summe nicht glaubhaft, wurden unangemeldete
Prüfungen in den Betrieben durchgeführt, um die Um-
sätze zu überprüfen.

Die Gewerkschaft NGG und der Deutsche Hotel- und
Gaststättenverband, DEHOGA, legen Zahlen von ledig-
lich 10 Prozent steuerpflichtigen Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmern mit einem tatsächlichen Steueraufkom-
men von 6 Millionen Euro zugrunde. Die Frage, inwie-
weit sich der zeitliche, personelle, bürokratische und da-
mit auch finanzielle Aufwand lohnt, ist schnell zu
beantworten: Die Trinkgeldsteuer gehört abgeschafft.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie des Abg. Klaus Brähmig [CDU/CSU] und des Abg. Klaus Haupt [FDP])


Für diese schlichte Erkenntnis haben die Union und die
Spaßpartei ganze 19 Jahre gebraucht.


(Ernst Burgbacher [FDP]: Sie machen sich ja selbst lächerlich!)


Jetzt ärgern sie sich über die politische Konsequenz der
Regierungsparteien.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Verehrte Kolleginnen und Kollegen, wenn ich dann
auch noch etwas von Wahlkampfmanövern höre, kann ich
nur sagen – –


(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Frau Kastner, passen Sie auf! Das ist zustimmungspflichtig! Wenn Sie noch lange gegen uns reden!)


– Damit habe ich keine Probleme. Besonders dem Kandi-
daten aus Bayern wünsche ich eine gute Reise, wenn er
diese Gesetzesinitiative im Bundesrat blockiert.


(Manfred Grund [CDU/CSU]: Verprellen Sie uns nicht!)


Ich kann nur sagen: Wer jahrzehntelang nichts getan
hat, sollte sich jetzt schön zurückhalten, gute Trinkgelder
geben und sich über unsere Schaffenskraft freuen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1424308600
Das Wort hat der Kol-
lege Klaus Brähmig für die Fraktion der CDU/CSU.


Klaus Brähmig (CDU):
Rede ID: ID1424308700
Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren! Die heutige zweite und dritte
Lesung des Entwurfs eines Gesetzes zur Steuerfreistel-
lung von Arbeitnehmertrinkgeldern ist angesichts des jah-
relangen Kampfes um die Aufwertung und Anerkennung
von Dienstleistungen und Dienstleistungsbereitschaft in
unserem Lande wie ein glücklicher Zieleinlauf beim Ma-
rathon. Dies ist auch bitter notwendig. Hierbei geht es
nicht nur um das Berufsbild der Kellner in den Gaststät-
ten und Biergärten, sondern auch um das der Friseure, Ta-
xifahrer, Möbelpacker, Postboten, Pannenhelfer von Au-
tomobilvereinen, Verkaufsfahrer, des Pflegepersonals in
Krankenhäusern und Altenheimen und auch unserer Fahr-
dienstmitarbeiter. Außerdem gehören Leistungen im Rah-
men der Nachbarschaftshilfe dazu.

Für unsere Fraktion erkläre ich, dass wir mit dem Er-
gebnis der Ausschussberatungen in dieser Woche zufrie-
den sind, da auch die SPD im Ziel angekommen ist.

Änderungen bei der Trinkgeldbesteuerungwaren vor
Beginn dieser Legislaturperiode ein Anliegen fast aller
Parteien.


(Susanne Kastner [SPD]: Nur habt ihr nichts gemacht!)


So heißt es in Punkt 19 der „Tourismuspolitischen Leitli-
nien“ der Union vom September 1998:

Der Bundesfinanzminister hat bei der Trinkgeldbe-
steuerung die Freibeträge dankenswerterweise ver-
doppelt. Wir setzen uns ein für weitere steuerliche
Erleichterungen.

(Beifall des Abg. Hans-Peter Repnik [CDU/ CSU] – Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)





Susanne Kastner
24486


(C)



(D)



(A)



(B)


In den „Tourismuspolitischen Leitlinien der SPD“ vom
Mai 1998 steht auf Seite 44 – Frau Kastner, hören Sie bitte
zu –:


(Susanne Kastner [SPD]: Ich weiß, was darin steht!)


Eine Form der Anerkennung für Beschäftigte im
Gastgewerbe stellt Trinkgeld dar, mit dem Gäste ihre
Zufriedenheit ausdrücken.

Als Maßnahme wird dort die Abschaffung der Trinkgeld-
besteuerung empfohlen.


(Susanne Kastner [SPD]: Schön, dass Sie unsere „Tourismuspolitischen Leitlinien“ vorlesen!)


– Jawohl, ich lese auch die Leitlinien der SPD.
Ich möchte auch darauf hinweisen, dass ich persönlich

der Erhöhung des Steuerfreibetrages bei Trinkgeldern von
2 400 DM auf 4 200 DM am Anfang der Legislaturperi-
ode höhere Priorität eingeräumt habe, nicht zuletzt des-
halb, weil vor allem die SPD-Länderfinanzminister noch
im April 2000 einer Änderung des Einkommensteuerge-
setzes eine klare Absage erteilt haben.


(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Hört! Hört!)

Ich möchte hier den niedersächsischen Finanzminister

Heinrich Aller aus einem an mich gerichteten Schreiben
vom 19. April 2000 zitieren:

Ein über die Freibetragsregelung hinausgehender
Verzicht auf die Besteuerung von freiwilligen Trink-
geldern wäre meines Erachtens mit dem Grundsatz
der steuerlichen Gleichbehandlung aller Arbeitneh-
mer nicht zu vereinbaren.

(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: So sind die Sozis! – Susanne Kastner [SPD]: Sie sollen nicht so viel vorlesen, was wir alles aufgeschrieben haben! Sie sollen sagen, was Sie für richtig halten!)

Da ich auch davon ausgehe, dass die niedersächsi-
schen Finanzämter das geltende Recht mit Augen-
maß anwenden, sehe ich gegenwärtig keinen Hand-
lungsbedarf bei der Besteuerung von Trinkgeldern.

Im Gegensatz zur SPD haben wir im Übrigen nicht gegen
unsere eigenen Wahlkampfversprechen gestimmt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Susanne Kastner [SPD]: Jetzt werden Sie aber unlauter und unglaubwürdig!)


Meine Damen und Herren, heute kann unser Kollege
Ernst Burgbacher eine Flasche Sekt öffnen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Es ist vollbracht. Seiner unerschütterlichen Beharrlichkeit
ist es zu verdanken, den Stein vor einigen Wochen end-
gültig ins Rollen gebracht zu haben.


(Zurufe von der SPD: Oh!)

Das verdient meinen persönlichen Respekt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Lieber Ernst, mit Max Weber gesagt: Politik ist das Boh-
ren dicker Bretter.


(Dr. Uwe Küster [SPD]: Passen Sie auf, dass Sie nicht von dem Stein erschlagen werden! – Susanne Kastner [SPD]: Der Steinroller!)


Mein Dank gilt auch meinen Kollegen von der Arbeits-
gruppe Finanzen der CDU/CSU-Fraktion. Stellvertretend
seien hier Gerda Hasselfeldt, Klaus-Peter Willsch und
Heinz Seiffert genannt, denen es gemeinsam mit den Tou-
rismuspolitikern gelungen ist, das Totschlagargument der
Finanzbürokratie, die Steuersystematik werde geändert,
zu überwinden.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Uwe Küster [SPD]: Die Balken biegen sich!)


Ein Wort zur SPD und zu den Grünen: Nachdem Sie
sich in den letzten Jahren immer wieder – zuletzt noch vor
wenigen Wochen – vehement gegen Änderungen bei der
Trinkgeldbesteuerung ausgesprochen haben,


(Susanne Kastner [SPD]: Jetzt erzählen Sie schon wieder die Unwahrheit! – Sylvia Voß [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch nicht wahr!)


ist bei Ihnen kurz vor Toresschluss der 14. Legislaturperi-
ode endlich der Groschen gefallen.


(Susanne Kastner [SPD]: Permanent sagen Sie die Unwahrheit!)


Ich glaube, dies geschah allerdings nicht aus der Erkennt-
nis, dass die Position der FDP und der Union richtig ist,
sondern weil offensichtlich erstens Panik bei SPD-Ge-
nossen in den Wahlkreisen aufgekommen ist


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


sowie die vielen fleißigen Mitarbeiter in Gastronomie und
Handwerk eine Macht darstellen und über ein gutes Ge-
spür für soziale Gerechtigkeit verfügen,


(Susanne Kastner [SPD]: Werden Sie nicht ein bisschen peinlich, Herr Brähmig?)


weil man zweitens zu der Erkenntnis gekommen ist, dass
die rot-grüne Wirtschafts- und Steuerpolitik seit Oktober
1998 den Mittelstand in eine Sackgasse geführt hat, und
weil drittens – hören Sie ruhig zu, Frau Kastner! –,


(Sylvia Voß [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da kann man ja gar nicht mehr zuhören! Das ist ja hanebüchen!)


die Situation unter anderem im Gastgewerbe schwieriger
ist, als es die Genossen in ihren Sonntagsreden den Men-
schen vorgaukeln.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

An dieser Stelle möchte ich auf die Konsumzurück-

haltung der Bürger hinweisen. Im ersten Quartal 2002 lag
der Umsatz im Gastgewerbe 2,1 Prozent unter dem Vor-
jahreswert; preisbereinigt ergibt sich sogar ein Rückgang
um 5,7 Prozent.




Klaus Brähmig

24487


(C)



(D)



(A)



(B)


Die Reaktion der Bundesregierung war wieder einmal
typisch für Rot-Grün: Es wurde ein so genannter Teuro-
gipfel einberufen. Die Wahrheit ist aber: Mit der Er-
höhung der Versicherungsteuer, der Tabaksteuer und der
Ökosteuer


(Dr. Uwe Küster [SPD]: Jetzt kommt schon wieder die alte Geschichte vom Pferd!)


sorgt die Bundesregierung selber für Preisauftrieb und
klagt nachher über die Betriebe, die Steuererhöhungen an
die Kundschaft weitergeben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Susanne Kastner [SPD]: Jetzt erzählen Sie mal, ob Sie die Abschaffung der Trinkgeldsteuer gut finden! – Sylvia Voß [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo bleibt das Thema?)


Vier Jahre belasten Sie den Mittelstand und dann erfolgt
der Ruf: „Haltet den Dieb!“ Das ist rot-grüne Regie-
rungspolitik.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Es war und ist die Politik der gebrochenen Versprechen

der SPD sowie eine Politik, die sich gegen den arbeits-
platzintensiven Mittelstand, das Handwerk und die
Dienstleistungsbranche richtet


(Susanne Kastner [SPD]: Jetzt werden Sie aber rot, Herr Brähmig, nicht?)


und somit auch gegen die 3,46 Millionen Selbstständiger
in der Bundesrepublik Deutschland.

Einige Stichworte dieser mittelstandsfeindlichen Poli-
tik und ihrer Folterwerkzeuge, erfunden von Rot-Grün:
Ökosteuer, 630-DM-Gesetz, Betriebsverfassungsgesetz,
Arbeitsmarktstrangulierungen wie das Gesetz zur Verhin-
derung der Scheinselbstständigkeit und die Rücknahme
der Unionsreformen von 1996.


(Susanne Kastner [SPD]: Gott sei Dank!)

Die Folgen einer solchen Politik sieht man am Syndrom
der Schwarzarbeit in unserem Lande.

Zwei Sektoren der Wirtschaft können nach vier Jah-
ren rot-grüner Bundesregierung ein klares Wachstum
verzeichnen: die Arbeitslosigkeit und die Schwarzar-
beit.


(Susanne Kastner [SPD]: Herr Brähmig, warum hat man Ihnen eigentlich die ganze Redezeit gegeben?)


Auf dieses Wachstum können Sie aber nicht stolz sein.

(Dr. Uwe Küster [SPD]: Sie machen jetzt aber auch Schwarzarbeit!)

Schwarzarbeit entsteht ja nicht bei Siemens, VW oder
der Deutschen Bank, sondern in der deutschen Touris-
mus-, Handwerks- und Dienstleistungswirtschaft. Bei ei-
nem Volumen von 350 Milliarden Euro Jahresumsatz
wird deutlich, wo ein Teil unserer aktuellen Probleme
liegt.


(Susanne Kastner [SPD]: Bei Ihnen liegen die!)


Wenn wir dieses Gesamtvolumen ins Verhältnis setzen zu
einem durchschnittlichen Jahreslohn von 40 000 Euro im
Dienstleistungs- und Tourismusbereich, wären bei einer
völligen Reduzierung der Schwarzarbeit und der Schatten-
wirtschaft in unserer Volkswirtschaft mehrere Millionen
sozialversicherungs- und steuerpflichtige Arbeitsplätze zu
schaffen.


(Arnold Vaatz [CDU/CSU]: So ist es!)

Ich bin der festen Überzeugung, hier liegt die zentrale
Herausforderung der Politik in der 15. Legislaturperiode.
Packen wir sie an! Die Union wird am 22. September zu-
packen.


(Sylvia Voß [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber nicht mit Ihnen!)


Mit der heutigen Gesetzesänderung zur Steuerbefreiung
von Trinkgeldern im Handwerk, im Tourismus, bei den
Dienstleistungen und in der Gastronomie werden die vie-
len Millionen fleißiger Mitbürger belohnt, die arbeiten
wollen und auch gutes Geld für gute und aufmerksame
Dienstleistungen erwarten.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Susanne Kastner [SPD]: Die SPD schafft die Trinkgeldbesteuerung ab!)


Auch wird ein tatsächlicher Beitrag zur Entbürokratisie-
rung geleistet und werden Staatsschikanen bei der Ein-
treibung von so genannten geschätzten Überschüssen zu
den Freibeträgen abgeschafft. Unsere Finanzbehörden ha-
ben jetzt wieder mehr Zeit für ihre eigentlichen Aufgaben.

Die Union wird heute im Bundestag der Beschlussvor-
lage und dem Bericht des Finanzausschusses zustimmen,


(Susanne Kastner [SPD]: Warum haben Sie dann alles so schwarz gemalt, Herr Brähmig?)


obwohl wir uns schon eine interfraktionelle Initiative ge-
wünscht hätten. Dies wurde leider von den Genossen ab-
gelehnt. Man schmückt sich eben gern mit fremden Fe-
dern,


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


vor allem mit der Initiative von Herrn Burgbacher und der
FDP, aber auch von der Union.

Die Bundesregierung bleibt nach wie vor die Nennung
der Quellen der angeblich durch die heutige gesetzliche
Abschaffung der Trinkgeldbesteuerung in Deutschland
plötzlich entstehenden 6 Millionen Euro Steuerminder-
einnahmen schuldig. Ich bin gespannt, wo das Kaninchen
aus dem Hut gezaubert wird, liebe Frau Kastner.


(Susanne Kastner [SPD]: Welches Kaninchen? Das ist doch alles seriös! Was haben Sie denn?)


Ich habe auf alle Fälle darum gebeten, diese Fragen noch
im Ausschuss schriftlich beantwortet zu bekommen.

Meine Damen und Herren, mein Wunsch und meine
Bitte an den Bundesrat lauten nun, sich der heutigen Ent-
scheidung des Deutschen Bundestages zur Stärkung des




Klaus Brähmig
24488


(C)



(D)



(A)



(B)


Tourismus- und Dienstleistungsstandorts Deutschland an-
zuschließen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Susanne Kastner [SPD]: Sie hätten auch mal etwas Positives sagen können!)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1424308800
Nächste Rednerin ist
die Kollegin Voß für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.


Sylvia Voß (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1424308900
Sehr ge-
ehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Brähmig, Sie haben es immer mit dem Zaubern. Das
war im Ausschuss auch schon so. Ich sage Ihnen: Wir kön-
nen es wenigstens und wir zaubern den schwarzen Hasen
lieber in den Hut, als dass wir ein weißes Häschen her-
ausholen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Zur Besteuerung des Trinkgelds: Es gibt eine schöne
Schweizer Werbung, in der es heißt: „Wer hat’s erfun-
den?“ Wer hat es denn überhaupt erfunden, das Trinkgeld
und die Trinkgeldbesteuerung? Ich freue mich, dass die
Abschaffung der Trinkgeldsteuer heute beschlossene Sa-
che ist. Es ist wirklich ein schöner Tag für alle diejenigen,
die uns in Pensionen, Hotels, Restaurants, Biergärten oder
anderen Bereichen verwöhnen und denen wir unseren
persönlichen Dank dadurch sagen, dass wir ihnen ein so
genanntes Trinkgeld überlassen, das selbstverständlich
nicht vertrunken werden muss.

Dass sich die Opposition auf der rechten Seite des Hau-
ses diesen rot-grünen Erfolg gern selbst auf die Fahnen
schreiben möchte, kann man menschlich nachvollziehen.
Aber man kann es auch politisch nachvollziehen, wenn
man sich die wirklich dürre tourismuspolitische Bilanz
von CDU/CSU und FDP in dieser Legislaturperiode an-
sieht. Fakt ist nämlich, dass gerade diese beiden Fraktio-
nen in ihrer Regierungszeit nie den Mut gefunden haben,
irgendetwas zu korrigieren und die Trinkgeldsteuer zu-
rückzunehmen.


(Klaus Brähmig [CDU/CSU]: Wir haben ständig Initiativen eingebracht!)


Nur weil Sie diesen Mut nicht gefunden haben, konnten
Sie jetzt in der Opposition so furchtlos dafür streiten.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Sie haben uns immer unterschätzt!)


So möchte ich in Richtung dieser beiden Fraktionen mit
dem Korintherbrief antworten: „Aber nicht darum ist einer
tüchtig, dass er sich selbst lobt.“ Tüchtig, Herr Brähmig
und Herr Burgbacher, ist einer, der Dinge tatsächlich zum
Besseren wendet. Das hat Rot-Grün getan.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Ernst Burgbacher [FDP]: Oh!)


Gerhard Schröder und Joschka Fischer haben im Wahl-
kampf 1998 die Abschaffung der Trinkgeldsteuer in Aus-
sicht gestellt.


(Marita Sehn [FDP]: Ja, in Aussicht!)


Heute setzen wir das nach gründlicher Prüfung und langer
Diskussion um. Wollen Sie das etwa bestreiten?


(Beifall bei der SPD – Marita Sehn [FDP]: Kurz vor Toresschluss!)


Dass Ihnen das nicht schmeckt, merkte man daran, dass
Sie nach dieser Entscheidung in den Sitzungen der Aus-
schüsse ziemlich beleidigt herumgenörgelt haben.


(Klaus Brähmig [CDU/CSU]: Quatsch! Ist doch gar nicht wahr! Ich habe mich immer gefreut, aber die Tatsachen müssen doch gesagt werden!)


– Das haben Sie heute nach dem Motto „Wieso haben Sie
sich denn so plötzlich entschieden?“ wieder getan. –
Ihnen war doch genau bekannt, dass wir an der Lösung
dieses Problems ganz grundlegend gearbeitet haben.

Natürlich haben – das muss man auch zugeben – einige
Finanzexperten insofern Recht, als sie anmerken, dass
Trinkgelder steuersystematisch Bestandteil des Einkom-
mens sind und somit der Besteuerung unterliegen müss-
ten. Natürlich sollten hierzu auch alle Einkommen erfasst
werden. An diesem Punkt muss ich aber fragen, ob eine
solche Steuersystematik nicht obsolet ist; denn die Um-
setzung dieses Rechts ist tatsächlich problematisch.


(Klaus Brähmig [CDU/CSU]: Ich habe das doch nicht erfunden! Die Frage richtet sich an die Bundesregierung!)


– Das habt ihr erfunden. – Es gibt keine Aufzeichnungs-
pflicht und es kann sie auch nicht geben. Denn wie sollte
man sie kontrollieren?

Das Finanzamt ist auf die Aussage des Steuerpflichti-
gen angewiesen. Macht der Steuerpflichtige keine Aus-
sage, muss das Finanzamt prüfen. Macht er eine Aussage,
muss das Finanzamt ebenfalls prüfen. Frau Kastner hat
eben bereits sehr lebendig geschildert, wie diese Prüfung
aussieht: Es ist einfach eine Schätzung. Die Faktoren, die
bei einer solchen Schätzung berücksichtigt werden müs-
sen, sind schlicht und einfach nicht objektivierbar. Es
kommt auf die spezielle Lage des Betriebes, die finanzi-
elle Situation der Kunden und deren typische Eigenheiten
an.

Zu Letzterem zählt auch, dass es in Deutschland im
Gegensatz zu vielen anderen Ländern keinen relativ
festen Prozentsatz für das Trinkgeld gibt, an dem man sich
mehr oder weniger verbindlich orientiert. Die notwendi-
gen Daten für eine seriöse und gerechte Schätzung kann
kein Finanzamt verlässlich erheben und bewerten. Des-
wegen haben die Finanz- und Tourismuspolitiker der Ko-
alition diese Sachverhalte so lange genauestens geprüft,
bevor diese Entscheidung fiel.

Schließlich haben der erhebliche Verwaltungsaufwand,
fehlende steuerstatistische Unterlagen über die genaue
Höhe des Steueraufkommens und die eben genannten
nicht objektivierbaren Erhebungsmaßstäbe zur Entschei-
dung für den vorliegenden Gesetzentwurf geführt. Die
Trinkgelder werden rückwirkend zum Januar dieses Jahres
in voller Höhe beim Trinkgeldempfänger verbleiben.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)





Klaus Brähmig

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(C)



(D)



(A)



(B)


Ich möchte mich noch einmal ganz ausdrücklich und
herzlich bei den Finanzpolitikern der Koalition dafür be-
danken, dass sie hier über ihren steuersystematischen
Schatten gesprungen sind.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Das Gerechtigkeitsgefühl, das durch die Praxis der Erhe-
bung der Trinkgeldsteuer verletzt wurde, ist jetzt wieder
hergestellt. Es wurde dadurch verletzt, dass die Finanz-
ämter, wie gesagt, regelmäßig davon ausgingen, dass
Kellnerinnen und Kellner den bislang geltenden Freibe-
trag überschritten haben und dass das bei anderen Berufs-
gruppen eben nicht der Fall war.

Unsere wohl überlegte Entscheidung – für mich als tou-
rismuspolitische Sprecherin war das maßgeblich – wird
schließlich auch dazu beitragen, dass der arbeitsintensive
und anstrengende Beruf des Kellners und der Kellnerin
wieder an Attraktivität gewinnen wird. Es weiß jetzt näm-
lich wirklich jeder, dass sich Freundlichkeit für ihn per-
sönlich auch lohnt.


(Birgit Homburger [FDP]: Progressiv!)

„Ein jeder gebe, wie er es sich im Herzen vorgenom-

men hat ... denn einen fröhlichen Geber hat Gott lieb.“ Ich
füge hinzu: den Kellner und die Kellnerin auch. Die Ent-
scheidung wurde also im Sinne aller Beteiligten – auch im
Sinne der Opposition – getroffen. Deshalb möchte ich
jetzt schließen, um den Dankesreden der Opposition an
Rot-Grün zu lauschen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1424309000
Jetzt hat der Kollege
Ernst Burgbacher für die FDP-Fraktion das Wort.


(Horst Kubatschka [SPD]: Jetzt kommt die erste Dankesrede!)



Ernst Burgbacher (FDP):
Rede ID: ID1424309100
Frau Präsidentin! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Frau Kastner,
ich muss Ihnen sagen, es macht Spaß, hier zu stehen und
festzustellen, dass es uns als Opposition gelungen ist, das
durchzusetzen, was heute mit großer Mehrheit beschlos-
sen werden wird.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Lachen bei der SPD)


Ich erinnere daran, dass wir am 6. Oktober 1999 den
ersten Gesetzentwurf eingebracht haben; ein zweiter
folgte.


(Horst Kubatschka [SPD]: Was haben Sie während Ihrer Regierungszeit gemacht? Geschlafen!)


Rot-Grün hat beide Gesetzentwürfe in allen Ausschüssen
und im Plenum abgelehnt; den letzten vor ein paar Wo-
chen.


(Susanne Kastner [SPD]: Sie wissen doch ganz genau, warum, Herr Burgbacher!)


Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, ich
muss allerdings auch sagen, dass es unredlich ist, dass
Herr Ramsauer über die Koalition sagt – das habe ich in
einer Tickermeldung gelesen –, dass sie die Abstrafung
durch den Wähler fürchtet und nun endlich den Vorschlag
der Union, die Trinkgelder von der Steuer zu befreien,
übernimmt.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Sylvia Voß [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Die Union hat den ersten Gesetzentwurf in allen Aus-
schüssen abgelehnt. Sie hat sich dann im Plenum enthal-
ten. Bei der Abstimmung über den zweiten Gesetzent-
wurf, liebe Kollegen Hinsken und Brähmig, gab es ein
paar Jastimmen. Aber jetzt davon zu reden, – wie es am
Schluss gesagt wurde –, die Union habe sich durchgesetzt,
ist wahrlich vermessen.


(Brunhilde Irber [SPD]: Das ist gelogen!)

Tatsächlich ist es ganz anders gelaufen. Die Union hat
sich bisher mehrheitlich dagegen gesperrt; das muss man
dazusagen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)


Liebe Frau Kastner, wir wollten über diese Regelung
hinausgehen; das ist richtig. Wir wollten, dass freiwillig
gezahlte Trinkgelder nicht zu den Einkünften aus un-
selbstständiger Arbeit gehören. Das wäre klarer als das ge-
wesen, was Sie machen. Frau Kastner, Sie haben gesagt,
unsere Forderung sei verfassungswidrig. Es gibt keinerlei
Hinweise für Ihre Behauptung. Würden Sie unserem Ge-
setzentwurf zustimmen, würde die Lage für die Betroffe-
nen viel klarer, als das bei Ihrem Entwurf der Fall ist.


(Beifall bei der FDP – Susanne Kastner [SPD]: Sie sollten einmal einen ordentlichen Verfassungsjuristen einstellen, Herr Burgbacher!)


Wir haben mit Ihnen im Ausschuss gerungen. Wir hat-
ten eine gemeinsame Arbeitsgruppe gebildet und ein ge-
meinsames Ergebnis erarbeitet. Darüber, dass Sie das als
Ihren Entwurf einbringen, sollte sich jeder sein eigenes
Urteil bilden.


(Klaus Brähmig [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

Wir halten unseren Entwurf in der Systematik für bes-

ser. Aber da wir die Abschaffung der Trinkgeldbesteue-
rung durchsetzen wollen, werden wir um der Sache wil-
len zustimmen. Uns geht es um den Erfolg in der Sache
und nicht um Rechthaberei an irgendeiner Stelle.


(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Klaus Brähmig [CDU/CSU])


Wir werden mit dem heutigen Beschluss bei uns einiges
wirklich verändern. Der Tourismusstandort Deutsch-
land wird mit anderen Orten nie über den Preis konkurrie-
ren können. Wir müssen das bei uns über die Qualität er-
reichen. Hierzu gehören zuallererst guter Service und
Dienstleistungsbereitschaft. Der heutige Beschluss, die
Trinkgeldbesteuerung abzuschaffen, wird ein ganz we-
sentlicher Schritt dazu sein, die Servicebereitschaft zu er-




Sylvia Voß
24490


(C)



(D)



(A)



(B)


höhen und besseren Service in Deutschland zu garantie-
ren. Deshalb ist dieser Schritt für den Tourismusstandort
Deutschland ganz wichtig.


(Beifall bei der FDP – Susanne Kastner [SPD]: Darin sind wir uns einig, Herr Burgbacher!)


Frau Kollegin Kastner, Sie haben vorher die CDU/
CSU mit Blick auf den Bundesrat angesprochen. Ich lese
Ihnen eine Meldung aus der „Berliner Zeitung“ vom ges-
trigen Donnerstag vor:

Der nordrhein-westfälische Finanzminister Peer
Steinbrück (SPD) kündigte an, sein Land werde die
Steuerbefreiung im Bundesrat ablehnen.

(Zurufe von der FDP: Aha! – Klaus Brähmig [CDU/CSU]: Das ist doch ein Skandal!)


Meine Damen und Herren von der Regierung, falls Sie
hier ein doppeltes Spiel vorhaben, diesen Beschluss im
Parlament durchzusetzen und ihn im Bundesrat zu boy-
kottieren –, dann prophezeie ich Ihnen: Damit werden Sie
nicht froh werden. Es kann nicht sein, dass Sie diese
Regelung durch die Hintertür Bundesrat blockieren.


(Beifall bei der FDP – Susanne Kastner [SPD]: Das war der Finanzminister, nicht der Ministerpräsident!)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, es sei uns vergönnt,
stolz darauf zu sein, dass es uns aus der Opposition heraus
gelungen ist, zu diesem Ergebnis zu kommen. Ich be-
haupte: Ohne die Gesetzentwürfe der FDP, ohne das stän-
dige Drängeln und ohne die ständigen Initiativen der FDP
wären wir heute nicht so weit gekommen.


(Beifall bei der FDP – Susanne Kastner [SPD]: Wieso ist euch das nicht mit der Union gelungen? – Sylvia Voß [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ohne uns hättet ihr das nie geschafft!)


Wir freuen uns, dass wir diesen Gesetzentwurf mit
großer Mehrheit beschließen werden. Das ist für unseren
Standort ein gutes Zeichen. Übrigens unterstreicht es die
Politik der FDP: weg mit unsinnigen Regelungen, die so-
wieso nicht durchsetzbar sind, runter mit den Steuern. Das
muss das Signal sein. In dieser Richtung werden wir wei-
termachen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1424309200
Da die Kollegin
Dr. Barbara Höll ihre Rede zu Protokoll gegeben hat, ist
jetzt schon die letzte Rednerin in dieser Debatte an der
Reihe, die Kollegin Brunhilde Irber.1)

Brunhilde Irber (SPD) (von Abgeordneten der SPD
mit Beifall begrüßt): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Letzten Freitag habe ich an
diesem Rednerpult vor Freude gesungen.


(Horst Kubatschka [SPD]: So schön hast du gesungen! – Klaus Brähmig [CDU/CSU]: Ist dies das politische Abschiedslied?)


Dabei ging es um den wunderbaren Beschluss für die
Donau. Heute singe ich nicht. Das erspare ich Ihnen. Aber
ich könnte es wieder tun;


(Beifall bei Abgeordneten der FDP)

denn heute ist ein Freudentag für alle Kellnerinnen und
Kellner, Bedienungen und Servicekräfte, die nicht nur,
aber hauptsächlich in der Gastronomie tätig sind. Wir
schaffen heute die ungerechte Trinkgeldbesteuerung ab.

Wenn man in einer Gaststätte Trinkgeld gibt, dann ist
dies ein Zeichen, dass man mit dem Essen und dem Ser-
vice zufrieden war. Bisher hat der Fiskus als stiller Zecher
immer mit kassiert. Natürlich hat der Staat das Recht, alle
Einkommen seiner Bürger einer Besteuerung zu unter-
werfen. Aber muss ein moderner Staat denn wirklich in
das individuelle Verhältnis zwischen dem Dienstleister
und dem Gast eingreifen und hier das Netz seiner Steuer-
interessen auswerfen?

Unserem Verständnis eines gerechten, aber nicht raff-
gierigen Staates steht die bisherige Besteuerung von
Trinkgeldern entgegen. Deshalb setzen wir heute auch ein
Stück mehr Gerechtigkeit für diejenigen Arbeitnehmer
und Arbeitnehmerinnen durch, deren Trinkgelder bisher
per Schätzung durch das Finanzamt besteuert wurden.
Wenn man Gerichtsurteile über streitige Steuerfälle aus-
wertet, dann erschrickt man über den Dschungel der
Bürokratie. Die Abschaffung der Trinkgeldbesteuerung
ist ein Beitrag zum Abbau von Bürokratie.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Lieber Kollege Burgbacher, wir reden nicht nur darü-
ber, sondern tun es auch. Die Abschaffung der Trinkgeld-
besteuerung ist auch ein Beitrag zur Stärkung des Dienst-
leistungs- und des Tourismusstandortes Deutschland
sowie ein Zeichen für einen modernen Staat.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir haben lange auf den heutigen Tag hingearbeitet.
Bereits 1995 haben wir in unserem Antrag „Die Arbeits-
platz- und Ausbildungssituation in der Fremdenverkehrs-
wirtschaft“ die Abschaffung der Trinkgeldbesteuerung
gefordert. Die damalige Regierung aus CDU/CSU und
FDP


(Susanne Kastner [SPD]: Und FDP!)

hat dieses Begehren glattweg abgeschmettert. Zwar ist
uns in Erinnerung geblieben, dass der Vertreter der FDP
bei der Abstimmung im Ausschuss immer gerade dann
den Saal verließ, wenn dieser Punkt auf der Tagesordnung
stand. Aber im Plenum hat die FDP tapfer zur Steuerfront
von Waigel gehalten. Ein entsprechender Beschluss zur
damaligen Zeit hätte den heutigen Tag bereits vor sieben
Jahren wahr werden lassen können und hätte vielen die Be-
steuerung ihrer Trinkgelder erspart. Deshalb, lieber Kol-
lege Ernst Burgbacher, ist es unredlich, wenn die FDP jetzt
behauptet, die Abschaffung der Trinkgeldbesteuerung sei




Ernst Burgbacher

24491


(C)



(D)



(A)



(B)


1) Anlage 5

einzig und allein ihren Aktivitäten zuzuschreiben. Das ist
unredlich.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Ernst Burgbacher [FDP]: Ohne uns hättet ihr das nie geschafft!)


Ich bin enttäuscht, dass heute nur in wenigen Punkten
Konsens herrscht.


(Horst Kubatschka [SPD]: Sie haben als Trittbrettfahrer mitfahren dürfen! – Zuruf des Abg. Ernst Hinsken [CDU/CSU])


– Das gilt vor allem für die CDU/CSU. Die hat doch über-
haupt nichts zustande gebracht. Ihr habt nicht einen einzi-
gen Antrag zu diesem Thema gestellt.


(Klaus Brähmig [CDU/CSU]: Was? Mehrere Anträge!)


In der letzten Woche habt ihr das noch torpediert und ein
Störmanöver durchgeführt. So schaut es aus.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Der Durchbruch in dieser Steuersache ist uns nur da-
durch gelungen – das muss man nicht beweisen, wenn
man in der Opposition ist; deshalb haben Sie es so leicht –,
dass unzweifelhaft nachgewiesen werden konnte, dass der
Vollzug – ich will besser sagen: das Eintreiben – der
Steuer den Staat mehr Geld kostet, als die Besteuerung
einbringt.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Das glaubt der Eichel heute noch nicht!)


Da der öffentlichen Hand somit unter dem Strich keine
Einnahmen aus der Trinkgeldbesteuerung verbleiben,
darf diese Steuer nach einem Steuergrundsatz auch nicht
erhoben werden.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Für diese Rede würde ich kein Trinkgeld geben!)


Genau dies stellen Sie in Ihrem Antrag anders dar.
Sie sehen nämlich Trinkgelder als Geschenk und nicht
als einen Teil des Arbeitslohnes an. Sie haben es ver-
säumt, die in Ihrem Antrag erhobenen Forderungen auf
Verfassungsmäßigkeit hin zu prüfen.


(Susanne Kastner [SPD]: Schlimm genug, dass man Ihnen das noch erklären muss, Herr Burgbacher!)


Das haben wir herausgearbeitet. Dafür haben wir natürlich
ein bisschen Zeit benötigt. Leider haben Sie sich mit unse-
ren Argumenten nicht auseinander gesetzt. Kein verantwor-
tungsvoller Minister hätte während Ihrer Regierungszeit die
beiden Gesetzentwürfe der FDP unterzeichnet.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich verweise nochmals auf den von uns bereits 1995
gestellten Antrag, der den Prüfauftrag enthielt, die Höhe
der vereinnahmten Steuern zu beziffern. Nicht einmal
dazu waren Sie bereit. Ich bitte Sie deshalb: Seien Sie ehr-
lich und erkennen Sie an, dass die Tourismuspolitik der

Regierungskoalition einen bahnbrechenden Erfolg gegen
die angestammte Steuersystematik durchsetzen konnte.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Erkennen Sie auch an, dass die Regierung und die sie
tragenden Koalitionsfraktionen das Wahlversprechen, das
sie vor der letzten Bundestagswahl gegeben haben, in der
ersten Legislaturperiode ihrer Amtszeit eingehalten haben.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Hören Sie auf, sich nach draußen selbst zum Autor dieser
Abschaffung zu erklären! Das wird vom Kollegen
Ramsauer von der CSU sogar in Pressemitteilungen ver-
breitet. Das ist das Dreisteste, was ich mir vorstellen kann.
Er macht sich jetzt zum Vater der Abschaffung der Trink-
geldbesteuerung.


(Lachen bei der SPD – Ernst Hinsken [CDU/ CSU]: Er hat die Abschaffung immer gefordert! – Gegenruf des Abg. Dr. Uwe Küster [SPD]: Durchsetzen! – Susanne Kastner [SPD]: Waigel hat ihn nicht gelassen!)


– Herr Ramsauer hat nie was gefordert. Hören Sie also auf,
sich zum Autor dieser Abschaffung zu erklären! Erzählen
Sie so etwas auch nicht auf Ihren Wahlveranstaltungen;
denn sonst sehe ich mich genötigt, dem Herrn Kollegen
Brähmig mal eins zwischen die Hörner zu geben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Zum Abschluss möchte ich denen danken, die diesen
Durchbruch möglich gemacht haben. Mein Dank geht an
die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten; denn sie
hat belastbare Berechnungsgrundlagen geliefert, die eine
Entscheidung ermöglicht haben. Mein Dank geht auch an
den Deutschen Hotel- und Gaststättenverband, vor allem
aber an Peter Struck und Susanne Kastner sowie die Fi-
nanzpolitiker unserer Fraktion, die sich überzeugen ließen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Heute ist ein guter Tag für die Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer im Dienstleistungsgewerbe,


(Klaus Haupt [FDP]: Ein guter Tag für die FDP!)


aber auch ein guter Tag für den Tourismusstandort
Deutschland. Meine sehr verehrten Damen und Herren,
geben Sie reichlich Trinkgeld! Die Kellnerinnen und
Kellner werden sich freuen, weil sie es jetzt ganz behal-
ten dürfen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1424309300
Ich schließe die Aus-
sprache.

Wir packen hier nicht irgendwelche Kollegen, sondern
den Stier bei den Hörnern und kommen zur Abstimmung
über den von den Fraktionen der SPD und des Bündnis-




Brunhilde Irber
24492


(C)



(D)



(A)



(B)


ses 90/Die Grünen eingebrachten Gesetzentwurf zur Steu-
erfreistellung von Arbeitnehmertrinkgeldern, auf Druck-
sache 14/9029. Der Finanzausschuss empfiehlt unter
Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache
14/9428, den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung an-
zunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf
zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Gegenprobe! –
Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter
Beratung einstimmig angenommen.

Wir kommen zur
dritten Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Ge-
setzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Gegen-
probe! – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist damit mit
den Stimmen des gesamten Hauses angenommen.

Wir kommen zur Abstimmung über den von der Frak-
tion der FDP eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung

(Abschaffung der Trinkgeldbesteuerung)

seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 14/9428
empfiehlt der Finanzausschuss, den Gesetzentwurf abzu-
lehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zu-
stimmen wollen, um das Handzeichen. – Gegenprobe! –
Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter
Beratung gegen die Stimmen der FDP-, CDU/CSU- und
PDS-Fraktion abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Ge-
schäftsordnung die weitere Beratung.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 29 a und 29 b auf:
a) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Dr.

Irmgard Schwaetzer, Dirk Niebel, Dr. Heinrich L.
Kolb, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
FDP
Entwicklung und Stand der Arbeitszeitflexibili-
sierung in Deutschland
– Drucksachen 14/7870, 14/9177 –

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts

(11. Ausschuss)

Maria Böhmer, Horst Seehofer, Peter Rauen, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU
Teilzeitbeschäftigung wirtschaftsverträglich und
familiengerecht fördern
– Drucksachen 14/4526, 14/9414 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Renate Rennebach

Die Kolleginnen und Kollegen Klaus Brandner,
Walter Hoffmann, Brigitte Baumeister, Dr. Thea Dückert,
Dr. Heinrich L. Kolb und Dr. Klaus Grehn haben ihre Re-
den zu Protokoll gegeben1) – Ich höre keinen Wider-
spruch dagegen, dass das so geschehen ist.

Dann kommen wir zur Abstimmung über die Be-
schlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit- und So-
zialordnung auf Drucksache 14/9414 zu dem Antrag der

Fraktion der CDU/CSU mit dem Titel „Teilzeitbeschäfti-
gung wirtschaftsverträglich und familiengerecht fördern“.
Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache
14/4526 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussemp-
fehlung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? – Die Be-
schlussempfehlung ist gegen die Stimmen der CDU/CSU-
Fraktion angenommen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 32 a bis 32 c auf:
a) – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen

der SPD und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜ-
NEN eingebrachten Entwurfs eines Jugend-
schutzgesetzes (JuSchG)

– Drucksache 14/9013 –

(Erste Beratung 236. Sitzung)


– Zweite und dritte Beratung des von den Abgeord-
neten Uta Titze-Stecher, Werner Lensing, Sylvia
Voß, Hildebrecht Braun (Augsburg) und weiteren
Abgeordneten eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes zur Änderung des Gesetzes zum Schutze der Ju-

(Jugendschutzgesetz – JÖSchG)

– Drucksache 14/8956 –

(Erste Beratung 236. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

(13. Ausschuss)

– Drucksache 14/9410 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Kerstin Griese
Thomas Dörflinger
Christian Simmert
Klaus Haupt
Monika Balt

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend (13. Ausschuss) zu dem Antrag
der Abgeordneten Dr. Maria Böhmer, Maria
Eichhorn, Ilse Aigner, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der CDU/CSU
Jugendschutz stärken
– Drucksachen 14/9027, 14/9410 –
Berichterstattung:
Kerstin Griese
Thomas Dörflinger
Christian Simmert
Klaus Haupt
Monika Balt

c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend (13. Ausschuss)


– zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht der Bundesregierung über die Auswir-
kungen der jetzigen Fassung des § 3 des Geset-
zes über die Verbreitung jugendgefährdender
Schriften und Medieninhalte (GjS)





Vizepräsidentin Petra Bläss

24493


(C)



(D)



(A)



(B)


1) Anlage 6

– zu dem Dritten Zwischenbericht der Enquete-
Kommission „Zukunft der Medien in Wirtschaft
und Gesellschaft – Deutschlands Weg in die Infor-
mationsgesellschaft“
zum Thema
Kinder- und Jugendschutz im Multimediazeit-
alter
– Drucksachen 14/1105, 14/1187 Nr. 1.4, 13/11001,
14/6675 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Kerstin Griese
Maria Eichhorn
Klaus Haupt
Christian Simmert
Christina Schenk

Es liegt je ein Entschließungsantrag der Fraktionen der
SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen sowie der Frak-
tion der FDP zum Entwurf eines Jugendschutzgesetzes
vor.

Die Kolleginnen und Kollegen Kerstin Griese, Thomas
Dörflinger, Christian Simmert, Klaus Haupt, Angela
Marquardt, Dr. Christine Bergmann und Ingrid Fischbach
haben ihre Reden zu Protokoll gegeben.1 Das wird ohne
Widerspruch zur Kenntnis genommen.

Wir kommen zur Abstimmung über den von den Frak-
tionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen ein-
gebrachten Entwurf eines Jugendschutzgesetzes auf
Drucksache 14/9013. Unter Nr. 1 seiner Beschlussemp-
fehlung empfiehlt der Ausschuss für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend auf Drucksache 14/9410, den Gesetz-
entwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte
diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen,
um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Bera-
tung gegen die Stimmen der PDS-Fraktion bei Enthaltung
der CDU/CSU- und der FDP-Fraktion angenommen.

Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer
stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf
ist damit mit denselben Mehrheitsverhältnissen angenom-
men.

Wir kommen nun zur Abstimmung über den Ent-
schließungsantrag der Fraktionen der SPD und des Bünd-
nisses 90/Die Grünen auf Drucksache 14/9458. Wer
stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Gegenprobe! –
Enthaltungen? – Der Entschließungsantrag ist gegen die
Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU und der PDS an-
genommen.

Wir kommen zur Abstimmung über den Ent-
schließungsantrag der Fraktion der FDP auf Drucksache
14/9395. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? –
Die Gegenprobe! – Enthaltungen? – Der Entschließungs-
antrag ist gegen die Stimmen der FDP-Fraktion bei Ent-

haltung der Fraktionen der CDU/CSU und der PDS abge-
lehnt.

Wir kommen zur Abstimmung über den von den Ab-
geordneten Uta Titze-Stecher, Werner Lensing, Sylvia
Voß, Hildebrecht Braun und weiteren Abgeordneten ein-
gebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Gesetzes
zum Schutze der Jugend in der Öffentlichkeit, Drucksa-
che 14/8956. Der Ausschuss für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend empfiehlt unter Nr. 2 seiner Be-
schlussempfehlung auf Drucksache 14/9410, den Gesetz-
entwurf abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetz-
entwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. –
Gegenprobe! – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist da-
mit in zweiter Beratung gegen die Stimmen der PDS-
Fraktion abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Geschäfts-
ordnung die weitere Beratung.

Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussemp-
fehlung des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen
und Jugend auf 14/9410 zu dem Antrag der Fraktion der
CDU/CSU mit dem Titel „Jugendschutz stärken“. Der
Ausschuss empfiehlt unter Nr. 3 seiner Beschlussempfeh-
lung, den Antrag auf Drucksache 14/9027 abzulehnen.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegen-
probe! – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist
gegen die Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU und der
FDP angenommen.

Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschus-
ses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend auf Druck-
sache 14/6675. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a
seiner Beschlussempfehlung, den Bericht der Bundes-
regierung über die Auswirkungen der jetzigen Fassung
des § 3 des Gesetzes über die Verbreitung jugendgefähr-
dender Schriften und Medieninhalte auf Drucksache
14/1105 zur Kenntnis zu nehmen. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? –
Die Beschlussempfehlung ist bei Enthaltung der FDP-
Fraktion angenommen.

Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner
Beschlussempfehlung die Kenntnisnahme des Dritten
Zwischenberichts der Enquete-Kommission auf Drucksa-
che 13/11001 zum Thema Kinder- und Jugendschutz im
Multimediazeitalter. Wer stimmt für diese Beschlussemp-
fehlung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? – Die Be-
schlussempfehlung ist einstimmig angenommen.

Der Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
empfiehlt unter Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung
auf Drucksache 14/6675, einen Entschließungsantrag anzu-
nehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Die
Gegenprobe! – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung
ist gegen die Stimmen von CDU/CSU bei Enthaltung von
FDP und PDS angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 34 auf:

– Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Regelung der Preisbindung bei Verlagser-
zeugnissen
– Drucksache 6, 14/9239 –

(Erste Beratung 239. Sitzung)





Vizepräsidentin Petra Bläss
24494


(C)



(D)



(A)



(B)


1) Anlage 7

– Zweite und dritte Beratung des von den Abgeord-
neten Monika Griefahn, Hermann Bachmaier,
Eckhardt Barthel (Berlin), weiteren Abgeordneten
und der Fraktion der SPD sowie den Abgeordneten
Dr. Antje Vollmer, Kerstin Müller (Köln), Rezzo
Schlauch und der Fraktion des BÜNDNIS-
SES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs
eines Gesetzes zur Regelung der Preisbindung
bei Verlagserzeugnissen
– Drucksache 14/8854 –

(Erste Beratung 233. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Kultur und Medien (23. Ausschuss)

– Drucksache 14/9422 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Monika Griefahn
Anton Pfeifer
Dr. Antje Vollmer
Hans-Joachim Otto (Frankfurt)

Dr. Heinrich Fink

Auch zu diesem Tagesordnungspunkt haben alle Kol-
leginnen und Kollegen ihre Reden zu Protokoll gegeben.1)

Wir kommen deshalb zur Abstimmung über den von
der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf. Der
Ausschuss für Kultur und Medien empfiehlt unter Buch-
stabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache
14/9422, den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung an-
zunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in
der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Hand-
zeichen. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der
Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung einstimmig
angenommen.

Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Ge-
genprobe! – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist mit
den Stimmen des gesamten Hauses angenommen.

Wir kommen zur Abstimmung über den von den Frak-
tionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen einge-
brachten Gesetzentwurf zur Regelung der Preisbindung bei
Verlagserzeugnissen, Drucksache 14/8854. Der Ausschuss
für Kultur und Medien empfiehlt unter Buchstabe b seiner
Beschlussempfehlung auf Drucksache 14/9422, den Ge-
setzentwurf für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? –
Die Beschlussempfehlung ist einstimmig angenommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 35 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Verbraucherschutz,
Ernährung und Landwirtschaft (10. Ausschuss)

– zu dem Bericht des Ausschusses für Bildung,
Forschung und Technikfolgenabschätzung

(19. Ausschuss) gemäß § 56 a der Geschäftsord-

nung

Technikfolgenabschätzung
hier: Monitoring „Risikoabschätzung und
Nachzulassungs-Monitoring transgener Pflan-
zen“

– zu dem Antrag der Abgeordneten Helmut
Heiderich, Dr. Maria Böhmer, Peter Bleser, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/
CSU
Zukunft für die „grüne“ Gentechnik

– Drucksachen 14/5492, 14/6616, 14/8091 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Helmut Heiderich
Heino Wiese (Hannover)


Auch hier haben alle Kolleginnen und Kollegen ihre
Reden zu Protokoll gegeben.2) – Ich sehe Freude darüber
im gesamten Haus.

Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussemp-
fehlung des Ausschusses für Verbraucherschutz, Ernäh-
rung und Landwirtschaft auf Drucksache 14/8091 zu dem
Bericht gemäß § 56 a der Geschäftsordnung zu dem
Thema „Risikoabschätzung und Nachzulassungs-Moni-
toring transgener Pflanzen“.

Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 1seiner Beschluss-
empfehlung, den Bericht gemäß § 56 a der Geschäftsord-
nung auf Drucksache 14/5492 zur Kenntnis zu nehmen.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegen-
probe! – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist
einstimmig angenommen.

Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der
Ausschuss die Annahme einer Entschließung. Wer stimmt
für diese Beschlussempfehlung? – Gegenprobe! – Enthal-
tungen? – Die Beschlussempfehlung ist gegen die Stim-
men von CDU/CSU und FDP bei Enthaltung der PDS-
Fraktion angenommen.

Unter Nr. 3 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-
che 14/8091 empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des
Antrags der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache
14/6616 zur Zukunft für die „grüne“ Gentechnik. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenprobe! –
Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist gegen die
Stimmen der Fraktionen von CDU/CSU und FDP ange-
nommen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 36 a und 36 b auf:
a) – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktio-

nen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes über eine finanzielle Hilfe für Dopingopfer
der DDR (Dopingopfer-Hilfegesetz – DOHG)

– Drucksache 14/9028 –

(Erste Beratung 236. Sitzung)


– Zweite und dritte Beratung des von den Abge-
ordneten Klaus Riegert, Friedrich Bohl, Peter




Vizepräsidentin Petra Bläss

24495


(C)



(D)



(A)



(B)


1) Anlage 8 2) Anlage 9

Letzgus, weiteren Abgeordneten und der Frak-
tion der CDU/CSU sowie dem Abgeordneten
Dr. Klaus Kinkel und der Fraktion der FDP ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes über eine
finanzielle Hilfe für Dopingopfer der DDR

(Dopingopfer-Hilfegesetz – DOHG)

– Drucksache 14/9022 –

(Erste Beratung 236. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Sportaus-
schusses (5. Ausschuss)

– Drucksache 14/9440 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Dagmar Freitag
Klaus Riegert

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Sportausschusses (5. Ausschuss) zu dem
Antrag der Abgeordneten Klaus Riegert, Norbert
Barthle, Friedrich Bohl, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der CDU/CSU
Errichtung eines Fonds zur Unterstützung der
Doping-Opfer der DDR
– Drucksachen 14/5674, 14/9440 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Dagmar Freitag
Klaus Riegert

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Erster Redner für die SPD-
Fraktion ist der Kollege Friedhelm Julius Beucher.


Friedhelm Julius Beucher (SPD):
Rede ID: ID1424309400
Frau Präsidentin!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir verabschie-
den heute das Dopingopfer-Hilfegesetz. Nach diesem Ge-
setz werden wir den Opfern des staatlich verordneten Do-
pings in der ehemaligen DDR finanzielle Hilfen gewähren.
Voraussetzung hierfür ist, dass ihnen ohne ihr Wissen oder
gegen ihren Willen Dopingsubstanzen verabreicht wurden
und es wahrscheinlich ist, dass sie deshalb erhebliche Ge-
sundheitsschäden erlitten haben. Wir kommen mit der
Verabschiedung dieses Gesetzes zum vorläufigen Ende
eines Prozesses, der die Sportpolitik und die Öffentlich-
keit insbesondere seit drei Jahren beschäftigt.


(V o r s i t z : Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer)


Zuvor hatte ich bereits als Mitglied des Untersuchungs-
ausschusses „Kommerzielle Koordinierung“ – Schalck-
Golodkowski – anhand entsprechender Gutachten und Pa-
piere Anfang der 90er-Jahre erfahren können, dass vor
1990 die ehemalige DDR offensichtlich versucht hatte,
wirkungsvolle, aber in der DDR nicht erhältliche Do-
pingsubstanzen im Westen zu kaufen. Herr Schalck-Go-
lodkowski sollte seinerzeit dabei behilflich sein. Das ist
ein Indiz für uns, dass es ein staatliches Interesse daran
gab, flächendeckend zu dopen. Es gab aber, wie Sporthis-
toriker bewiesen haben, nicht nur ein staatliches Interesse,

sondern auch ein staatlich organisiertes Dopingmit dem
Ziel, in der Systemkonkurrenz zwischen Ost und West zu
gewinnen.

Natürlich ist auch in der alten Bundesrepublik gedopt
worden. Der Tod von Birgit Dressel sei hier als sicherlich
traurigstes Beispiel genannt. Das Doping war aber nicht
staatlich verordnet, es war Ergebnis der Gewissenlosig-
keit von Managern, Trainern und oft auch der Blauäu-
gigkeit der Sportler selbst. Die Schadenersatzansprüche
konnten hier – im Gegensatz zur ehemaligen DDR – auf
zivilrechtlichem Wege geltend gemacht werden. Nach der
Wiedervereinigung wurde in einer Reihe von Prozessen,
vor allem in dem des Gewichthebers Roland Schmidt,
deutlich, dass eine große Anzahl ehemaliger Sportlerin-
nen und Sportler der DDR teilweise sogar gravierende ge-
sundheitliche Schäden durch die Einnahme von Doping-
mitteln erlitten haben. Diese Prozesse haben jedoch auch
zu dem für die Dopingopfer beklagenswertem Ergebnis
geführt, dass Ansprüche gegen die Bundesrepublik
Deutschland wegen der nicht gegebenen Rechtsnachfol-
gerschaft nicht bestehen. Insofern war es nach 1998 ge-
boten, zu überlegen, ob den Dopingopfern auf andere
Weise geholfen werden kann.

1999 wurde der Doping-Opfer-Hilfe-Verein in Wein-
heim gegründet. Leider war und ist die finanzielle Situa-
tion dieses Vereins alles andere als rosig. Deshalb hat der
Sportausschuss den Vorsitzenden dieses Vereins, Herrn
Dr. Zöllig, zu einer Ausschusssitzung im Oktober 2000
eingeladen. Gemeinsam wollten wir überlegen, wie den
berechtigten Interessen der Dopingopfer besser Geltung
verschafft werden kann. Leider blieben die Bemühungen
der Sportpolitiker, die Finanzausstattung dieses Vereins
nachhaltig zu verbessern, ohne größeren Erfolg. Insofern
war es nachvollziehbar, dass ein Antrag in den Bundestag
eingebracht wurde, mit dem die Bundesregierung aufge-
fordert werden sollte, den Doping-Opfer-Hilfe-Verein
durch Einrichtung eines Fonds in die Lage zu versetzen,
den durch Dopingsubstanzen geschädigten Sportlerinnen
und Sportlern der ehemaligen DDR eine angemessene
Hilfe zu geben.

In der Debatte über diesen Antrag ist dann deutlich ge-
worden, dass die Fraktionen der SPD, des Bündnisses 90/
Die Grünen, der CDU/CSU und der FDP eine gemeinsame
Lösung in dieser Frage anstreben. Eine öffentliche An-
hörung des Sportausschusses im Oktober 2001 hat die Dis-
kussion über die finanziellen Hilfen vor allem in medizini-
scher und juristischer Sicht entscheidend vorangebracht.
Die Aussagen und Hinweise der Sachverständigen flossen
somit in die vorliegenden Gesetzentwürfe ein.

Leider steckt der Teufel aber oft im Detail oder, anders
gesagt, im Geld. Der von der Regierungskoalition einge-
brachte Gesetzentwurf und der Gesetzentwurf der
CDU/CSU und der FDP unterscheiden sich nämlich nur
in einem Punkt, und zwar in der Frage, ob den Opfern ein
Festbetrag in Höhe von 5 000 Euro gezahlt werden soll
oder nicht. Die Regierungskoalition hält auch nach den
über den Gesetzentwurf geführten Diskussionen an ihrer
Auffassung fest, keinen Festbetrag im Gesetz vorzuse-
hen. Das bedeutet jedoch nicht, dass sich die SPD-Frak-
tion im Falle von möglicherweise rund 1 000 Anspruchs-




Vizepräsidentin Petra Bläss
24496


(C)



(D)



(A)



(B)


berechtigten nicht dafür einsetzt, die vom Bund bereitge-
stellte Summe in Höhe von 2 Millionen Euro zu erhöhen.

Bevor der Bund jedoch weitere Mittel bereitstellt, sind
die Sportorganisationen und die Wirtschaft, allen voran
die Pharmaindustrie, gefordert, finanzielle Beiträge zu
dem Fonds zu leisten. Für die Sportorganisationen und die
Industrie gilt leider, dass sich die viel versprechenden
Ankündigungen bisher nicht in klingender Münze nieder-
geschlagen haben.

Ich halte es nicht für verantwortbar, den Dopingopfern
einen Festbetrag in Höhe von 5 000 Euro zu zahlen, um
nach den Anträgen von 400 Anspruchsberechtigten mög-
licherweise festzustellen, dass das Geld nicht reicht. Man
kann immer nur das verteilen, was man hat. Leider hat
sich diese Auffassung von verantwortlicher Haushaltspo-
litik noch nicht in allen Köpfen festgesetzt.

Als Vorsitzender des Sportausschusses begrüße ich je-
doch, dass sich vier Fraktionen auf eine gemeinsame Ent-
schließung verständigen konnten. Wir halten es für erfor-
derlich, uns von der künftigen Bundesregierung über die
Erfahrungen mit dem Gesetzesvollzug berichten zu las-
sen, um auf der Grundlage dieses Berichtes prüfen zu kön-
nen, ob weitere Hilfen noch erforderlich sind.

Ich stelle an diesem Punkt der Debatte mit Zufrieden-
heit fest: Der Doping-Opfer-Hilfe-Verein begrüßt, dass es
gelungen ist, in verhältnismäßig kurzer Zeit ein Gesetz
auf den Weg zu bringen, das die gesundheitlichen Schä-
den anerkennt. Von Professor Dr. Franke, einem Wissen-
schaftler, der im Westen dafür bekannt ist, dass er für Do-
pingopfer eintritt, stammt ausweislich der „FAZ“ die
Aussage:

Wo ist in irgendeinem Land der Welt je ein Doping-
opfer entschädigt worden?

Dennoch gilt, dass man mit Geld körperliches Leid und
seelischen Schaden sowieso nicht wieder gutmachen
kann. An die Adresse der Opfer sage ich an dieser Stelle:
Nehmen Sie das als einen Versuch an, Ihnen gegenüber
mit den uns zur Verfügung stehenden Mitteln zum Aus-
druck zu bringen, dass wir Ihnen helfen wollen.

Zum Abschluss des gesamten Verfahrens sage ich allen
Mitarbeitern des Bundesinnenministeriums, ohne deren
Hilfe wir das Gesetz nicht so schnell hätten zur Abstim-
mung vorlegen können, einen sehr herzlichen Dank für
die hervorragende Unterstützung. Ich denke, in diesem
Punkt stimmen die vier Fraktionen, die das bereits im
Sportausschuss so geäußert haben, auch hier im Hause
überein.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1424309500
Danke schön.
Das Wort hat der Abgeordnete Klaus Riegert.


Klaus Riegert (CDU):
Rede ID: ID1424309600
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Heute Nachmittag scheint der Nach-
mittag der Opposition zu sein. Die zur abschließenden Be-

ratung anstehenden Gesetzentwürfe von CDU/CSU und
FDP auf der einen Seite und der Koalitionsfraktionen auf
der anderen Seite haben das gemeinsame Anliegen, Sport-
lerinnen und Sportlern zu helfen, die durch staatliches
Zwangsdoping der ehemaligen DDR geschädigt wurden.

Außerhalb jeglicher Rechtspflicht – der Vorsitzende des
Sportausschusses hat es schon erklärt – wird aus huma-
nitären, sozialen und moralischen Gründen anerkannt, dass
Sportlerinnen und Sportler durch staatlich verordnetes Do-
ping physisch und psychisch Schaden genommen haben.
Die geschädigten Sportlerinnen und Sportler sind Opfer
eines Systems, das durch sportliche Höchstleistungen in-
ternationales Ansehen erwerben wollte, das sozialistische
Fehlleistungen durch sportliche Höchstleistungen verges-
sen machen wollte. Dafür war den in der ehemaligen DDR
politisch Verantwortlichen jedes Mittel recht.


(Heinz Wiese [Ehingen] [CDU/CSU]: So ist es!)


Spätestens seit der strafrechtlichen Aufarbeitung wis-
sen wir, dass junge, talentierte Sportlerinnen und Sportler
schon im Alter von zwölf oder 13 Jahren mit Dopingsub-
stanzen manipuliert wurden – ohne Rücksicht auf spätere
Folgen. Wir wissen von der Kooperation des staatlich or-
ganisierten Sports mit der Pharmaindustrie, dass Substan-
zen zur Leistungssteigerung am Sportler direkt getestet
wurden. Wir wissen wenig darüber, wie es um die Bereit-
schaft von Sportlerinnen und Sportlern stand, leistungs-
fördernde Substanzen wissentlich einzunehmen.

Wir können heute nicht mit Sicherheit sagen, wer was
wann mit oder ohne Wissen, gegen den Willen oder mit
stillschweigendem Einverständnis eingenommen hat. Wir
werden nicht mit absoluter Sicherheit den Nachweis des
wissentlichen Dopings führen können. Es wäre aber
grundsätzlich falsch, daraus zu folgern, dass daher keine
Entschädigungen gezahlt werden dürften. Hier sind mit
Sicherheit Menschen vorsätzlich manipuliert worden.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich möchte an dieser Stelle auch dem Bundesministe-

rium des Innern für die zügige Erarbeitung der Formulie-
rungshilfen danken. Diese Formulierungshilfen ermögli-
chen unbürokratische Lösungen und berücksichtigen
die damalige und heutige Situation der Sportler angemes-
sen. Die geschädigten Sportlerinnen und Sportler sind
Mahnung und Aufforderung zugleich, Doping jeglicher
Art im Spitzen-, Breiten- und Freizeitsport massiv zu
bekämpfen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Klaus Kinkel [FDP])


Es ist eine Mahnung, weil sichtbar wird, welche Schä-
den durch Manipulationen hervorgerufen werden können.
Es ist eine Mahnung, dass sportliche Höchstleistungen
nicht um jeden Preis erstrebenswert sind – weder zur per-
sönlichen Reputation oder zum Gewinnstreben noch zur
staatlichen Repräsentation.

Es ist eine Aufforderung, in dem Kampf nicht nachzu-
lassen, die Prävention zu verstärken, die Kontrollen zu
verbessern und Vergehen stärker und einheitlich zu sank-
tionieren. Wer in diesem Zusammenhang die Forderung




Friedhelm Julius Beucher

24497


(C)



(D)



(A)



(B)


nach Legalisierung so genannter weicher Drogen stellt,
der verharmlost die Gefahren und ebnet den Weg für Dro-
gen- und Dopingmissbrauch.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Die vorliegenden Gesetzentwürfe von CDU/CSU und

FDP und der Koalition unterscheiden sich in einem ganz
entscheidendem Punkt: CDU/CSU und FDP wollen eine
schnelle Hilfe und zügige Auszahlung der Entschädigun-
gen. Wir wollen, dass die anerkannten Opfer eine Ein-
malzahlung von 5 000 Euro erhalten, unabhängig von der
Fondshöhe. Das gibt Sicherheit. Sport und Wirtschaft,
insbesondere die pharmazeutische Industrie, müssen sich
Gedanken machen, wie sie ihrer moralischen Verpflich-
tung und Verantwortung gerecht werden. Mit Freude ha-
ben wir registriert, dass der Deutsche Sportbund eine Be-
nefizgala zugunsten der Opfer durchführen will.

Meine Damen und Herren, den von den Koalitions-
fraktionen vorgesehenen Weg halten wir für unangemes-
sen für die Betroffenen. Es ist nicht gut, die Höhe der Ent-
schädigung von der Anzahl der Opfer abhängig zu
machen. Im Klartext bedeutete dies: Melden sich wenige
Opfer, erhält der Einzelne mehr; melden sich viele, be-
kommt der Einzelne weniger. Soll dies die Opfer animie-
ren, ihr Wissen nicht an andere Opfer weiterzugeben?


(Beifall bei der FDP)

Sie wollen zunächst einen Abschlag zahlen. Dieser kann
nur gering sein, da Sie die Anzahl der Betroffenen nicht
kennen. Die Restzahlungen können Sie erst vornehmen,
wenn nach einem möglichen Klageweg die endgültige
Zahl der Opfer feststeht. Soll es dann eine zweite Ab-
schlagszahlung und eine dritte, endgültige Zahlung ge-
ben? Halten Sie dieses Verfahren für würdig? – Nein,
liebe Kolleginnen und Kollegen, dies können und wollen
wir den Opfern nicht zumuten.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Deshalb fordere ich Sie noch einmal auf: Stimmen Sie un-
serem Gesetzentwurf zu, jedem anerkannten Dopingopfer
sofort 5 000 Euro zu zahlen!

Unsere Positionen in den Beratungen lagen in der Tat
dicht beieinander. Sportpolitiker und Haushaltspolitiker
von Bündnis 90/Die Grünen gaben klar zu verstehen, dass
sie unseren Gesetzentwurf präferieren. Selbst Sportpoliti-
ker der SPD sehen in unserem Gesetzentwurf die bessere
Alternative.


(Zuruf von der CDU/CSU: Wer hat sie denn zurückgepfiffen?)


Wir bedauern, wenn die Koalition nur die für die Betrof-
fenen zweitbeste Lösung zulässt.

Das Dopingopfer-Hilfegesetz eignet sich nicht für par-
teipolitische Scharmützel. Bundestagspräsident Thierse
sieht das offensichtlich anders. Angesprochen auf die Do-
pingopferhilfe, war seine erste Reaktion in der „Frankfur-
ter Allgemeinen Zeitung“ im Mai 2002: Nicht die Regie-
rung Kohl, sondern die SPD habe sich der Sache
angenommen. Der Herr Bundestagspräsident irrt. Ist Herr
Thierse falsch informiert?


(Karl Lamers [CDU/CSU]: Das kommt öfter vor!)


Es wäre wirklich beschämend, wenn er die Opfer für par-
teipolitische Auseinandersetzungen instrumentalisierte.

Das Ausmaß des systematischen Zwangsdopings ist
insbesondere bei der strafrechtlichen Aufarbeitung
Ende der 90er-Jahre offenkundig geworden. Die CDU/
CSU-Bundestagsfraktion war die einzige, die aktiv ge-
worden ist.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich kann Ihnen sagen, was die SPD von 1990 bis 1998

in der Opposition für die Dopingopfer getan hat: nichts.
Was hat die SPD in der Regierungsverantwortung ab 1998
getan? – Nichts. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion war
es, die dieses Thema in der laufenden Legislaturperiode
aufgegriffen hat, nicht die Koalition. Die SPD hat diesen
Antrag unserer Fraktion in allen Ausschüssen abgelehnt.
Erst im Haushaltsausschuss haben Sie die Notbremse ge-
zogen und den von uns geforderten Fonds eingerichtet. So
sind die Tatsachen. Diesen Erfolg im Haushaltsausschuss
reklamiert der Kollege Hermann für sich. Wenn es so war,
gebührt ihm Dank und Anerkennung, dass er unserer Ini-
tiative letztendlich zum Erfolg verholfen hat.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, der Gesetzentwurf und des-

sen Umsetzung bedeuten keinen Schlussstrich unter die
Behandlung dieses Themas. Unser gemeinsamer Ent-
schließungsantrag macht deutlich: Wir werden uns auch
in der kommenden Legislaturperiode mit dem Thema
auseinander setzen. Wir müssen prüfen, inwieweit es so
schwere gesundheitliche Schädigungen gibt, dass mehr
als die jetzt vorgesehene Entschädigung geleistet werden
muss, und welche Hilfeleistungen dann erforderlich sind.
Ich betone ausdrücklich: Nicht nur der Staat, sondern
auch der Sport und die Wirtschaft sind gefordert.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Friedhelm Julius Beucher [SPD])


Forschung und Wissenschaft müssen sich dieses Themas
verstärkt annehmen. Wir müssen mehr wissen, um
zukünftig Manipulationen im Ansatz ersticken zu können.

Wir begrüßen, dass in der Sache fraktionsübergreifend
Übereinstimmung besteht. Sie sollte sich zugunsten der
Opfer auswirken. Auf die Hilfe für die Opfer kommt es
letztlich an.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1424309700
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Winfried Hermann.


Winfried Hermann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1424309800

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Her-
ren! Auch ich möchte meine Rede damit beginnen, einen
kurzen Rückblick auf das System der Sportpraxis in der
ehemaligen DDR zu halten.

Das System erscheint im Rückblick erschreckend am-
bivalent, weil es in der DDR auf der einen Seite sportli-
che Höchstleistungen gab, die durch den heute vorliegen-
den Gesetzentwurf auch nicht in jedem Fall infrage




Klaus Riegert
24498


(C)



(D)



(A)



(B)


gestellt werden, aber auf der anderen Seite deutlich ge-
worden ist, dass viele dieser Erfolge nur möglich waren,
weil es ein ganz konsequent geplantes Dopingsystem zur
Förderung von Höchstleistungen gab, nicht bei allen und
auch nicht in jeder Entwicklungsphase, aber in einer be-
stimmten Phase sehr wohl.

Es war ein systematisches Dopen von ganzen Genera-
tionen von Sportlern, zum Teil von lokalen Funktionären
unterstützt, wissentlich betrieben von Ärzten, Wissen-
schaftlern und Trainern. Auch manche Sportler waren be-
teiligt, aber eben nur manche; die überwiegend große Zahl
vor allem der jugendlichen Sportlerinnen und Sportler
waren wohl unwissentliche Opfer.

Um diese Opfer geht es heute. Ich glaube, dass dieses
System des DDR-Sports in seiner Ausprägung in beson-
derer Weise inhuman war, weil es die Zukunft der Ju-
gendlichen und ihren möglichen Werdegang überhaupt
nicht bedacht hat, weil es keine Rücksicht auf Mensch und
Gesundheit genommen hat. Eigentlich ist das zutiefst un-
sportlich, denn mit diesem Dopingsystem werden Grund-
werte des Sports, nämlich Fairness und Gesundheit,
bekämpft und untergraben. Das ist eine verheerende, fa-
tale Geschichte.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Die Ambivalenz der Geschichte des Sports finden wir
bei der Aufklärung des Dopingsystems wieder. Heute sind
wir – auch das ist fatal – bei der Aufklärung dessen, wie
das alles funktioniert hat und wer wie viel bekommen hat,
auf die Quellen der Stasi angewiesen, die damals dazu
beigetragen hat, dass dieses System lange Zeit, über viele
Jahre, geheim geblieben ist, dass es überhaupt funktio-
niert hat. Heute reklamieren gerade die Opfer zu Recht
den Zugang zu diesen Akten, weil sie nicht ein zweites
Mal um ihr Wissen gebracht werden dürfen; nur diese Ak-
ten helfen ihnen weiter, herauszufinden, was mit ihren ju-
gendlichen Körpern geschehen ist, um nachvollziehen zu
können, welche Schäden von heute auf was zurückzu-
führen sind.

Hinsichtlich der Aufklärung der Auswirkungen dieses
Systems haben wir einigen Menschen zu danken. Aus
meiner Sicht haben Brigitte Berendonk und Klaus
Franke – sie waren nicht die Einzigen – mutig gehandelt.
Sie haben Akten gesichtet und wesentlich dazu beige-
tragen, dass dieses System aufgedeckt wurde. Danken
möchte ich auch den Journalisten, die immer wieder
nachgebohrt haben, und nicht zuletzt den betroffenen
Sportlerinnen und Sportlern, die in Prozessen mutig auf-
gestanden sind, über ihr Leid gesprochen und Dinge aus-
gesprochen haben, mit denen sie sich vielleicht selber ge-
schadet haben. Nur dadurch war es überhaupt möglich,
über das sprechen zu können, worüber heute mit diesem
Gesetz zu befinden ist.

Im System der DDR wurden Sportler sozusagen ziel-
gerichtet zu Siegern ausgebildet. Oftmals sind dadurch
Opfer „produziert“ worden. Viele Sportlerinnen und
Sportler und zum Teil auch deren Kinder wissen ein trau-
riges Lied davon zu singen.

Wir haben mit diesem Gesetzentwurf diesen lange ver-
drängten Vorgang aufgegriffen und werden ihn jetzt einer

Lösung zuführen. Ich will ganz deutlich sagen: Es wäre
nicht notwendig gewesen, dass die Bundesrepublik
Deutschland hierzu ein Gesetz verabschiedet; denn juris-
tisch ist völlig klar, dass die Bundesrepublik Deutschland
nicht Rechtsnachfolger des DDR-Sportsystems ist. Es
gibt also keine Verpflichtung zu einem Gesetz. Wir hät-
ten sagen können: Das ist zwar schade, aber wir müssen
da nichts tun, denn wir sind dafür nicht verantwortlich.

Wir haben nicht so gedacht, sondern bewusst Verant-
wortung übernommen und nun einen Gesetzentwurf vor-
gelegt, der heute glücklicherweise verabschiedet werden
kann. Dieser Gesetzentwurf stellt eine unbürokratische
Hilfe dar, keine wirkliche Entschädigung. Es kann nicht
wirklich angemessen entschädigt werden, was da gesche-
hen ist. Der Gesetzentwurf bedeutet ein Stück weit die
Übernahme von Verantwortung aus humanen Gründen
durch die Bundesrepublik Deutschland. Es ist eine ge-
wisse Anerkennung der Folgen des Dopings, mehr nicht.
Ich würde micht freuen, wenn aus der Wirtschaft und von
den Organisationen des Sports eine entsprechende Aner-
kennung käme, die sich auch in finanzieller Beteiligung
niederschlägt.

Es gab den Versuch einer einheitlichen Lösung; der
Kollege Riegert hat es angesprochen. Ich selber habe, wie
Sie wissen, lange dafür gekämpft, dass wir einen gemein-
samen Gesetzentwurf zustande bekommen. Jetzt gibt es
zwar zwei; aber sie sind fast identisch. Nur in einem Punkt
konnten wir uns nicht verständigen. Herr Kollege Riegert,
ich möchte an dieser Stelle nicht mehr auf den Verlauf der
Entscheidung eingehen, darauf, wer was geleistet hat.
Lassen Sie mich aber salomonisch sagen: Manchmal wird
man erst in der Opposition einsichtig und weise


(Klaus Riegert [CDU/CSU]: Ich hoffe, das Lob schadet Ihnen nicht!)


und manchmal ist es in Koalitionen so, dass das größere
Gewicht des Partners und nicht die besseren Argumente
des kleineren Partners ausschlaggebend sind.

Mit diesem Gesetz geben wir keine endgültige Antwort
auf die bestehenden Probleme. Ich bin froh, dass wir zu-
sätzlich einen Antrag aller Fraktionen verabschiedet ha-
ben, in dem wir deutlich machen: Der nächste Bundestag
muss sich mit dieser Angelegenheit nochmals beschäfti-
gen. Er muss prüfen, ob das Gesetz das erreicht hat, was
wir wollten, und ob es nicht noch andere Opfer gibt, die
keine Hilfe finden und vielleicht Hilfe benötigen. Das
sollte eine Verpflichtung für den neuen Bundestag sein.

Gestatten Sie mir noch ein Wort an die Betroffenen, an
die Opfer: Manche haben sich zunächst sehr kritisch
geäußert, als der Gesetzentwurf vorgelegt wurde. Jetzt
hört man versöhnliche Töne, weil sie erkannt haben, dass
gemessen an dem, was vorher nicht geschehen ist, und an
der Tatsache, dass die Einhaltung von Versprechungen
ziemlich unsicher ist, eine sehr vernünftige Lösung zu-
stande gekommen ist. Viele sehen, dass dies eine zumin-
dest akzeptable, wenn auch nicht vollkommen befriedi-
gende Lösung für die Probleme der Dopingopfer ist.

Lassen Sie mich zum Schluss feststellen: Dieser Ge-
setzentwurf ist für uns Sportpolitiker die Verpflichtung,
dafür zu sorgen, dass es nie wieder solche Opfer gibt und
wir nie wieder solche Gesetze machen müssen.




Winfried Hermann

24499


(C)



(D)



(A)



(B)


Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1424309900
Das Wort hat
jetzt der Herr Abgeordnete Klaus Kinkel.


Dr. Klaus Kinkel (FDP):
Rede ID: ID1424310000
Frau Präsidentin! Liebe Kol-
leginnen und Kollegen! Das systematische staatliche Do-
ping – ich würde es eigentlich Zwangsdoping nennen –
gehört zu den schlimmen Hinterlassenschaften der frühe-
ren DDR; da besteht kein Zweifel. Mehr als ein Jahrzehnt
nach dem Fall der Mauer ist es höchste Zeit, dass sich das
wiedervereinigte Deutschland dem Schicksal der Doping-
opfer annimmt.

Im Übrigen habe ich, was die Rechtsfrage anbelangt,
eine etwas andere Meinung als die nicht absolut höchst-
richterliche Entscheidung, die in diesem Zusammenhang
getroffen worden ist; das habe ich im Ausschuss immer
wieder gesagt. Ich glaube schon, dass der Staat eine Ver-
pflichtung hat.

Das Unrecht, das den Betroffenen von ihrem Staat an-
getan wurde, das Leid, das ihnen physisch und psychisch
zugefügt wurde, die Schäden, die sie davon getragen ha-
ben, das alles kann im Grunde nur schwer – wenn über-
haupt – wieder gutgemacht werden. Dafür kann im enge-
ren Sinne des Wortes kaum eine Entschädigung geleistet
werden.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP)

Die meist schon im Kindesalter – das ist besonders

schlimm – zwangsgedopten DDR-Leistungssportler kön-
nen und müssen rehabilitiert werden. Ihnen wurde Unrecht
getan und sie sind im Übrigen keine Dopingtäter, sondern
Dopingopfer. Das muss anerkannt werden und den Opfern
muss geholfen werden; da waren wir uns einig.

Darauf zielt das Gesetz, das wir heute endlich zustande
bringen werden. Mit diesem Gesetz werden vom Bund
2 Millionen Euro für einen Dopingopferhilfefonds zur
Verfügung gestellt. Das ist zwar weiß Gott nicht viel; da-
rüber haben wir lange gestritten. Denn die Zahl der poten-
ziell anspruchsberechtigten Dopingopfer wird auf bis zu
1 000 geschätzt. Aber es ist ein wichtiger Schritt in Rich-
tung Rehabilitation, Anerkennung geschehenen Unrechts
und konkrete Hilfe.


(Beifall bei der FDP)

Es wäre natürlich wichtig – das ist bereits angedeutet

worden – dass der Hilfsfonds, der eingerichtet werden soll,
zusätzlich durch Sportverbände und die Wirtschaft unter-
stützt wird. Ich freue mich, dass hier offensichtlich, wie es
Herr Riegert sagte, ein erster Ansatz besteht. Dies ist aber
zu wenig. Denn sie alle haben mächtig mitgetönt und an-
gedeutet, dass Unterstützung komme. Bisher ist nichts ge-
schehen. Ich appelliere von diesem Pult aus an die Be-
troffenen, zu versuchen, etwas Konkretes beizutragen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die Dopingopfer haben im Vorfeld das, was jetzt ge-
setzlich festgelegt wird, nicht begrüßt und es zum Teil hef-
tig kritisiert. Ich teile die Meinung von Herrn Hermann,
dass jetzt in dieser Hinsicht eine Gott sei Dank etwas
versöhnlichere Stimmung besteht. Man hatte uns vorge-
worfen – ich sage bewusst: uns –, da finde eine Art Frei-
kauf statt. Ich glaube, so kann man das nicht nennen. Auch
deshalb ist der fraktionsübergreifende Entschließungsan-
trag so wichtig; denn er belegt, dass wir hier keinen abso-
luten Schlussstrich ziehen, sondern uns darüber durchaus
noch unterhalten wollen.

Es ist gut, dass der Deutsche Bundestag heute dieses
Gesetz und den Entschließungsantrag verabschieden
wird. Es bleibt aber ein Wermutstropfen; das ist bereits
mehrfach angedeutet worden: Die FDP war gemeinsam
mit der Union der Meinung, das ein Festbetrag von
5 000 Euro pro Opfer in den Gesetzentwurf aufgenommen
werden sollte. Auch wenn die genaue Zahl der An-
spruchsberechtigten noch nicht feststeht, wäre jeder Be-
trag unterhalb dieser ohnehin mehr symbolischen Summe
lächerlich. Das will ich einmal so deutlich sagen. Lächer-
lich erscheint mir auch, dass wir um den Betrag feilschen
mussten. Die Knute des Finanzministers war offensicht-
lich so massiv, dass seitens der SPD-Fraktion Bedenken
bestanden, sich unserem Vorschlag anzuschließen. Ich
halte das für ein bisschen kleinlich und dem Problem nicht
angemessen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie des Abg. Winfried Hermann [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])


Wenn man sich vorstellt, für welche Dinge 2 Milli-
onen Euro im Bundeshaushalt ausgegeben werden, kann
man darüber ein wenig lachen.

Die Grünen haben bis zum Schluss mächtig gekämpft.
Herr Hermann, Sie sind ein großer Kämpfer vor dem
Herrn; das will ich Ihnen gerne bescheinigen. Aber leider
Gottes – man muss es so sagen – mussten Sie zum Schluss
nachgeben. Das tut mir Leid für Sie, weil Sie in dieser An-
gelegenheit immer sehr engagiert waren. Sie haben in der
Sache geholfen und dazu beigetragen, den Gesetzentwurf
vorwärts zu bringen.

Die FDP-Fraktion begrüßt dieses Gesetz. Im Grunde
sind wir mit dem Tenor und den Formulierungen einver-
standen – das habe ich immer wieder gesagt –, bis auf ei-
nen, für uns allerdings sehr wichtigen Punkt: Wir wollen
einen Festbetrag. Deshalb werden wir dem Gesetzentwurf
nicht zustimmen, sondern uns der Stimme enthalten. Wir
werden aber dem Entschließungsantrag zustimmen in der
Hoffnung, dass das, was wir uns gemeinsam vorgenom-
men haben, in der nächsten Legislaturperiode in die Pra-
xis umgesetzt wird.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1424310100
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Täve Schur.




Winfried Hermann
24500


(C)



(D)



(A)



(B)



Gustav-Adolf Schur (PDS):
Rede ID: ID1424310200
Frau Präsidentin! Werte
Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte zu dieser Thema-
tik eigentlich ein bisschen mehr sagen, als es mir in den
drei Minuten – ich habe die kürzeste Redezeit erhalten –
möglich ist. Mir bleibt also nichts weiter übrig, als mich
kurz zu fassen.

Die uns vorliegenden Gesetzentwürfe sind hinrei-
chend bekannt, die öffentliche Debatte wurde ausgiebig
geführt. Im Sportausschuss haben wir das Für und Wider
sachlich erörtert. Die Planungszeit für diesen Gesetzent-
wurf reicht beim besten Willen nicht aus, bisher unge-
klärte Fragen heute und hier zu klären. Ich beschränke
mich daher auf einige Feststellungen, die mir belangvoll
erscheinen.

Die PDS war vom ersten Tag an für diesen Gesetzent-
wurf, wenn er denn vom Bodensee bis zum Stralsunder
Bodden gilt.


(Beifall bei Abgeordneten der PDS)

Das Argument, dass man im Rechtsstaat der alten Bun-
desrepublik Deutschland alle Möglichkeiten hatte, sich
gegen Dopingschäden zur Wehr zu setzen, ist lückenhaft.
Wer sich dafür interessiert, sollte die Akten – Herr
Beucher hat das schon angeführt – der durch Doping auf
schlimme Weise zu Tode gekommenen Siebenkämpferin
Birgit Dressel lesen! Dann wird man wohl darauf ver-
zichten, die Gesetzentwürfe logisch zu nennen.

Jeder weiß, dass in West und Ost und in Nord und Süd
gedopt wurde und auch heute noch gedopt wird, weil wir
es einfach nicht in den Griff kriegen. Wem das entfallen
oder nicht mehr gegenwärtig sein sollte, empfehle ich
nachdrücklich die Lektüre des Protokolls zur Befragung
des Herrn Parlamentarischen Staatssekretärs von
Schoeler am 17. März 1977 im Deutschen Bundestag
bzw. der öffentlichen Anhörung im Sportausschuss vom
28. September 1977. Nun der untergegangenen DDR die
Alleinschuld aufbürden zu wollen beruhigt vielleicht ei-
nige Gemüter, ist aber mit gutem Gewissen nicht zu ver-
treten. Obendrein: In diesem Hohen Hause wird pausen-
los und mit vollem Recht dafür plädiert, die Gräben
zwischen Ost und West nicht zu vertiefen. Die Gesetzent-
würfe in vorliegender Form könnten den Verdacht auf-
kommen lassen, dass diese Sorge nicht beschworen wird,
wenn es darum geht, Plädoyers gegen die DDR und ihre
Athleten zu halten. Ein renommierter Sportjournalist
warnte im Zusammenhang mit den Gesetzentwürfen vor
den Trittbrettfahrern. Man kann ihm nur zustimmen.

Abschließend möchte ich sagen: Wir sind für ein Do-
pingopfer-Hilfegesetz entsprechend der Grundgesetzfor-
derung, dass vor dem Gesetz alle Menschen gleich sein
sollen. Wir wollen ein Dopingopfer-Hilfegesetz, das nach-
weislich geschädigten Sportlerinnen und Sportlern aus
ganz Deutschland Entschädigungen sichern wird.

Mit den vorliegenden Gesetzentwürfen wird das aus-
geschlossen. Deshalb stimme ich dagegen. Meines Wis-
sens nach werden sich viele aus meiner Fraktion der
Stimme enthalten.

Kürzlich gab es eine Anhörung im Sportausschuss. Ex-
perten haben uns gesagt, dass in Deutschland gegenwär-

tig etwa zwischen 150 000 und 200 000 Jugendliche in
Fitnesscentern Anabolika zu sich nehmen. Es ist schon be-
trüblich, dass wir diese Sache nicht in Angriff nehmen.
Wir werden sie wahrscheinlich auch nicht in den Griff be-
kommen. Ich wollte nur darauf aufmerksam machen, wie
stark diese schlimme Sache in unserer Gesellschaft Fuß
gefasst hat. Wirken wir dem entgegen!

Ich bedanke mich.

(Beifall bei der PDS)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1424310300
Eine Kurzinter-
vention des Kollegen Riegert.


Klaus Riegert (CDU):
Rede ID: ID1424310400
Lieber Sportfreund Täve
Schur, ich habe es bereits im Sportausschuss erklärt: Der
Unterschied ergibt sich einfach daraus, dass es im Osten
ein staatlich verordnetes Doping und einen Staat gab, der
im juristischen Sinne keinen Rechtsnachfolger hat,
während Dopingopfer im Westen auch heute noch gegen
ihren Verband, ihren Trainer, ihre Eltern und jeden, der sie
geschädigt hat, klagen und ihre Rechte juristisch durch-
setzen können. Genau das ist der Unterschied.

Deshalb muss der Bundestag ein Gesetz vorlegen, auf
das sich alle Dopingopfer berufen können. Den Doping-
opfern im Westen stehen bereits heute sämtliche juristi-
schen Möglichkeiten offen und sie können mit Schadens-
ersatzklagen reagieren.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1424310500
Herr Schur,
bitte.


Gustav-Adolf Schur (PDS):
Rede ID: ID1424310600
Kollege Riegert, das
sehe ich ein. Es geht aber um die Menschen. Wenn wir die
Zahlen von Sportlerinnen und Sportlern wüssten, die
durch Doping argen Schaden erlitten haben, dann würden
wir uns überlegen, ob wir ein solches auf Moral begrün-
detes Gesetz machen sollen.

Wissen Sie: Einer der Experten, Professor Rietbrock,
hat ausgeführt, dass ein Schaden aus den damals ge-
bräuchlichen Dosierungen kaum abzuleiten ist. Deswe-
gen meine ich: Wir gehen hier nicht nach Recht und Ge-
setz vor. Ich bin nun einmal für Recht und Gesetz und
deswegen dagegen, dass wir so verfahren. Wir müssen
jetzt für alle Menschen in Deutschland Sorge tragen.

Deshalb habe ich auch kurz zum Ausdruck bringen
wollen, was gegenwärtig mit unseren Jugendlichen in den
Fitnesscentern geschieht. Wollen wir sie sitzen lassen?
Das ist die gleiche Situation. Hier müssten wir sofort ein
Gesetz beschließen, um denjenigen zu helfen, die sich mit
Anabolika dopen. Es fällt doch auf uns selbst zurück: Un-
sere Pharmaindustrie produziert pro Jahr 6 Tonnen davon;
das wissen Sie auch. Zu medizinischen Zwecken brau-
chen wir in Deutschland jedoch nur 400 bis 500 Kilo-
gramm. Wo bleibt der Rest? Wo sind die Löcher?

Es wäre schon angezeigt, dass wir uns auch um die an-
deren kümmern und nicht im Sinne von Siegerjustiz






(C)



(D)



(A)



(B)


verfahren. So empfinde ich jedenfalls das, was wir heute
tun. Entschuldigen Sie, aber so sehe ich die Situation.

Vielen Dank.

(Beifall bei der PDS)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1424310700
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Peter Danckert.


Dr. Peter Danckert (SPD):
Rede ID: ID1424310800
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Mit dem heutigen Gesetzentwurf
über eine finanzielle Hilfe für die Dopingopfer wird ein
weiteres Kapitel geschrieben. Nachdem die strafrechtli-
che Seite abgeschlossen ist und die Täter verurteilt wor-
den sind – jedenfalls weitgehend, die Beweislage war
nicht immer ganz einfach –, nachdem die gesellschaftli-
che Diskussion geführt worden ist, wenden wir uns, wie
leider so oft, erst sehr spät den Opfern zu.

Herr Kollege Riegert, es macht überhaupt keinen Sinn,
sich darüber zu streiten, wer das Erstgeburtsrecht an die-
ser Initiative hat.


(Klaus Riegert [CDU/CSU]: Das ist eindeutig!)


Es macht überhaupt keinen Sinn, sich vorzurechnen, wer
was bis 1998 hätte machen können und nicht getan hat.
Fakt ist – darüber bin ich ganz froh –, dass wir heute frak-
tionsübergreifend ähnliche Gesetzentwürfe auf den Tisch
gelegt haben.

Auch wir sind daran interessiert, dass dieses Thema in
einem ersten Schritt geregelt wird, damit wir hier ein Zei-
chen setzen und die Opfer nicht so lange warten lassen,
dass sie von dieser Hilfe möglicherweise gar nichts mehr
haben. Deshalb sind diese beiden Initiativen, die sich nur
in Nuancen, in der Frage des Festbetrages, unterscheiden,
ein wichtiger Schritt. Hinsichtlich des Festbetrages kann
man unterschiedlicher Meinung sein, das gebe ich Ihnen
zu. Die SPD-Fraktion hat sich nun einmal für einen Pau-
schalbetrag ausgesprochen. Wir werden sehen, wie viele
Opfer Ansprüche stellen und welcher Betrag am Schluss
herauskommt, wobei auch ich meine, dass es kein Baga-
tellbetrag sein darf. Sollte der Betrag weit unter dem lie-
gen, was Ihnen als Festbetrag vorschwebt, dann müssen
wir sehen, ob wir in dieser Frage einen weiteren Schritt
gehen.

Auch mich haben die öffentliche Diskussion sowie die
Art und Weise beunruhigt – das ist hier schon zum Aus-
druck gebracht worden –, wie einige der Opfer auf diese
Initiative des Parlaments reagiert hatten. Das Parlament
hat sich hier fraktionenübergreifend durchgesetzt – mehr
möchte ich an dieser Stelle dazu nicht sagen – und einen
ersten wichtigen Schritt gemacht. Die Hilfe, die hier an-
geboten werden soll, als Schweigegeld oder als Wurst-
stulle zu bezeichnen, empfinde ich als wirklich peinlich.
Nun ist die öffentliche Reaktion allerdings etwas modera-
ter geworden; aber sie trägt der Problematik immer noch
nicht Rechnung.

Wir bewegen uns hier in einer sehr komplizierten
rechtlichen Materie. Wir erwarten von den Opfern keinen

Nachweis bis ins letzte Detail, sondern begnügen uns mit
einer Wahrscheinlichkeit. Lassen wir die Entschädi-
gungszahlungen auf Wahrscheinlichkeiten basieren, dann
kann man an dieser Stelle eben nicht sehr viel mehr tun.
Ansonsten wäre ein sehr mühsamer Prozess notwendig.
Lebenslängliche Rentenzahlungen erfordern einen ganz
anderen Nachweis.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Auf diesen Nachweis wollen wir im Interesse der Opfer
und ihrer Angehörigen verzichten.

Das Gesetz sieht eine Öffnung des Hilfsfonds für an-
dere Beteiligte vor. Ich wünsche mir sehr, dass sich Sport-
organisationen wie NOK und DSB ebenfalls an diesem
Fonds beteiligen. Sie sind herzlich eingeladen. Bedauerli-
cherweise sind sie bisher in dieser Frage aber sehr zurück-
haltend.


(Beifall des Abg. Winfried Hermann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Die Wirtschaft ist hier genauso gefragt. In der Nach-
folge der früheren Dopingmittelhersteller stehen heute
zum Teil große Konzerne, die wenn nicht eine rechtliche
Verantwortung, so doch eine moralische Verantwortung in
dieser Frage haben. Meine herzliche Bitte ist, dass sie sich
hier ebenfalls beteiligen. Auf diesem Wege wäre sicherge-
stellt, dass der Entschädigungsbetrag höher werden kann.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich fordere also von dieser Stelle aus öffentlich dazu auf,
sich zu beteiligen.

Als positiv empfinde ich es, dass wir in einem gemein-
samen Entschließungsantrag den Willen des Parlaments
deutlich machen, dass es sich hier um einen ersten Schritt
handelt und dass wir abwarten wollen, wie sich diese erste
Maßnahme zugunsten der Opfer auswirkt.

Noch ein Wort an unseren Sportsfreund Täve Schur:
Der Versuch, eine gesamtdeutsche Lösung zu finden, geht
an der zentralen Frage vorbei. Im Westen gab es zwar
auch Sportler, die gedopt waren; sie haben es aber in der
Regel selber zu verantworten gehabt. Ich kenne kaum je-
manden, der gegen seinen Willen oder ohne sein Wissen
gedopt worden ist. Das ist doch das Entscheidende. In der
DDR waren die Opfer zum großen Teil minderjährige
Kindern, die im Interesse des Sports schwerst missbraucht
wurden.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜ NEN, der CDU/CSU und der FDP)

Lieber Sportsfreund Täve Schur, ich hätte es sehr be-

grüßt, wenn auch Ihre Fraktion sich an dieser Stelle zu ih-
rer Verantwortung bekannt hätte und nicht versucht hätte,
auszuweichen und eine gesamtdeutsche Lösung herbeizu-
führen, die aus sachlichen Gründen überhaupt nicht ge-
rechtfertigt ist.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der FDP)


Aber wir lernen ja. Da wir uns sonst sehr schätzen, will
ich das hier nicht über Gebühr geißeln.




Gustav-Adolf Schur
24502


(C)



(D)



(A)



(B)


Es wäre schön gewesen, wenn das Parlament sich ins-
gesamt zumindest in dem Entschließungsantrag zusam-
mengefunden hätte. So sind wir uns in der Sache, wie ich
meine, sehr nahe gewesen. Ich denke, das war ein erster
Schritt, und ich vermute, dass wir in der 15. Legislaturpe-
riode dieses Thema wieder behandeln werden und dann
vielleicht noch einen weiteren Schritt zugunsten der Op-
fer tun können.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1424310900
Ich schließe da-
mit die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den von den Frak-
tionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen ein-
gebrachten Gesetzentwurf über eine finanzielle Hilfe für
die Dopingopfer der DDR. Der Sportausschuss empfiehlt
unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache
14/9440, den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung an-
zunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem zustimmen wollen,
um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltun-
gen? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung ange-
nommen worden mit den Stimmen der Koalitionsfraktio-
nen gegen drei Stimmen aus der PDS bei Enthaltung der
übrigen Abgeordneten der PDS, von CDU/CSU und FDP.

Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer
stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf
ist damit in dritter Lesung mit dem eben festgestellten
Stimmenverhältnis angenommen worden.

Abstimmung über den von den Fraktionen der
CDU/CSU und der FDP eingebrachten Gesetzentwurf
über eine finanzielle Hilfe für Dopingopfer der DDR. Un-
ter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Sport-
ausschuss, den Gesetzentwurf abzulehnen. Ich bitte dieje-
nigen, die diesem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um
das Handzeichen. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? –
Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung abgelehnt
worden mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und
der PDS gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP. Da-
mit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere
Beratung.

Abstimmung über die Beschlussempfehlung des
Sportausschusses auf Drucksache 14/9440 zu dem Antrag
der Fraktion der CDU/CSU mit dem Titel „Errichtung ei-
nes Fonds zur Unterstützung der Doping-Opfer der
DDR“. Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 3 seiner Be-
schlussempfehlung, den Antrag für erledigt zu erklären.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegen-
stimmen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung
ist einstimmig angenommen worden.

Der Sportausschuss empfiehlt unter Nr. 4 seiner Be-
schlussempfehlung, eine Entschließung anzunehmen.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegen-
stimmen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung
ist angenommen worden mit den Stimmen des ganzen

Hauses gegen drei Stimmen aus der PDS bei Enthaltung
der übrigen Abgeordneten der PDS.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 38 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Einführung einer kapitalgedeckten Hütten-
knappschaftlichen Zusatzversicherung und zur

(Hüttenknappschaftliches Zusatzversicherungs-Neuregelungs-Gesetz – HZvNG)

– Drucksache 14/9007 –

(Erste Beratung 236. Sitzung)

a) Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-

schusses für Arbeit und Sozialordnung

(11. Ausschuss)

– Drucksache 14/9442 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Wolfgang Meckelburg


(8. Ausschuss)

– Drucksache 14/9445 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Konstanze Wegner
Susanne Jaffke
Antje Hermenau
Dr. Günter Rexrodt
Dr. Christa Luft

Die Abgeordneten Lotz, Laumann, Dückert, Kolb und
Maier bitten darum, ihre Reden zu Protokoll geben zu dür-
fen1). Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall.

Wir kommen deshalb gleich zur Abstimmung. Der
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung empfiehlt in sei-
ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 14/9442, den
Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich
bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschuss-
fassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Ge-
genstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist
damit in zweiter Beratung angenommen worden mit den
Stimmen des ganzen Hauses gegen die Stimmen der FDP.

Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die zustim-
men wollen, sich zu erheben. – Gegenstimmen? – Gibt es
Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist damit in dritter
Beratung mit dem gleichen Stimmverhältnis wie eben an-
genommen worden.

Ich rufe den Zusatzpunkt 21 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion der PDS
Haltung der Bundesregierung zu dem am
6. Juni 2002 vorgestellten Friedensgutachten
der fünf führenden Friedensforschungsinsti-
tute




Dr. Peter Danckert

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1) Anlage 10

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst der
Abgeordnete Wolfgang Gehrcke.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1424311000
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Das am 6. Juni 2002 vorge-
stellte Friedensgutachten der fünf führenden Friedensfor-
schungsinstitute sollte meines Erachtens im Bundestag
eine ebensolche Bedeutung bekommen wie das jährliche
Gutachten der Wirtschaftsweisen. Deshalb diese Aktuelle
Stunde. Irgendwann muss man damit beginnen: Warum
nicht heute? Künftig, so meine ich, sollten wir uns jähr-
lich mit diesem Friedensgutachten auseinander setzen.

Das vorliegende Friedensgutachten ist bestechend
überparteilich und streitbar in seinen Analysen. Viele,
vielleicht die Mehrheit der Positionen teile ich, zu einigen
habe ich erheblichen Widerspruch. Gerade das macht die
Debatte interessant.

Das Gutachten ist toleranter gegenüber der Bundesre-
gierung, als ich es für angemessen halte. Vielleicht macht
es dies ja der Regierung leichter, die Ratschläge des Gut-
achtens anzunehmen. Wir werden es sehen, Herr Staats-
minister.

Beschäftigen wir uns mit einigen Grundzügen des Gut-
achtens. Die Friedensforschungsinstitute analysieren,
dass die „Koalition gegen den Terror“ der politischen
Rückendeckung für eine primär militärische Vorgehens-
weise dient, und warnen davor, dass die Rückkehr des
Krieges als Handlungsoption eine gefährliche Eigendyna-
mik der Vergeltung in Gang setzt und damit das Kriegs-
verbot der UNO aushöhlt. Genau diese Sorgen bewegen
die PDS und genau die haben wir beschrieben.

Die Friedensforscher machen darauf aufmerksam, dass
die USA dabei sind, von einer Strategie der Selbstvertei-
digung zu einer Offensivstrategie überzugehen, und be-
nennen die massive Aufstockung des Rüstungshaushalts,
die Raketenabwehr, die Planung von Mini-Atomwaffen.
US-Präsident Bush entwickelte in seiner West-Point-
Rede die Strategie des Präventivkrieges. Drohungen soll-
ten bekämpft werden – ich zitiere –, „bevor sie auftau-
chen“. US-Verteidigungsminister Rumsfeld führt in
seinem Interview mit der Zeitschrift „Foreign Affairs“ die
US-Strategie in Afghanistan auf die Erfahrungen der fa-
schistischen deutschen Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg
zurück und spricht von „Blitzkrieg“ und „Blitzschlägen“.
Eindeutiger und, wie ich finde, unappetitlicher geht es
kaum. Wenn man jetzt das Verhalten der USA zum Inter-
nationalen Strafgerichtshof in den Niederlanden betrach-
tet, bemerkt man, was hier abläuft.

Unüberhörbar ist die Warnung der Friedensforscher
vor einem Krieg gegen den Irak – dieser droht und dieser
wird vorbereitet –, auch wenn Präsident Bush und der
deutsche Bundeskanzler davon ablenken wollen. Die Frie-
densforscher sagen, ein solcher Krieg – ich zitiere sie –
„wäre ein Akt der Willkür“. Ich zitiere weiter:

Jede Regierung, die daran mitwirkt, sei es durch mi-
litärischen Beistand, durch materielle Hilfe oder
durch politische Unterstützung, übernimmt Mitver-
antwortung – für die Folgen, für die Opfer, für die
Toten.

Die Friedensforscher sagen: „Mitmachen muss man
nicht.“ Nicht mitmachen, sondern gegenhalten, das for-
dert die PDS-Fraktion von der Bundesregierung, wenn sie
die Friedensforschung in Deutschland ernst nimmt.

Skeptisch und differenzierter sehe ich – das will ich
überhaupt nicht verschweigen – die positive Bewertung
der Friedensgutachter für die Einsätze von SFOR, KFOR
und in Mazedonien. Darüber haben wir uns vorhin ge-
stritten, deshalb brauche ich hier nicht weiter zu argu-
mentieren.

Ein anderer Punkt liegt mir aber genauso am Herzen.
Eine deutliche Differenz habe ich zu den Erwägungen der
Friedensforscher, in der Europäischen Sicherheits- und
Verteidigungspolitik, in europäischen Einsatztruppen eine
Alternative zur NATO und zur Dominanz der USA zu se-
hen. Aus meiner Sicht haben wir es mit einer ganz ande-
ren Entwicklung zu tun:

Erstens. Die Europäische Union, die als Gemeinschaft
bisher militärfrei war, erhält einen militärischen Arm und
militärische Aufgaben. Das wird ihren Charakter weiter
verändern. Europäische Staaten, die der EU und nicht der
NATO angehören, finden sich so plötzlich in einem Mi-
litärbündnis wieder.

Zweitens. Die sich bei der Europäischen Union in Auf-
stellung befindlichen Eingreiftruppen haben keine Vertei-
digungsaufgaben, sondern sind vom Aufbau, von der Be-
waffnung und von der Ausbildung her auf weltweite
Einsätze spezialisiert. Das wird sie zum bevorzugten Part-
ner der USAmachen. Während die NATO durch die poli-
tisch gewollte Erweiterung und die Kooperation mit Rus-
sland politisch wichtiger, möglicherweise militärisch aber
unbeweglicher wird, wächst eine neue Arbeitsteilung.
Überlegungen der USA deuten in diese Richtung. Die
Hoffnung, dass sich Europa gegenüber den Forderungen
der USAdann besser verweigern könnte, ist, so meine ich,
zumindest derzeitig auf Sand gebaut.

Drittens. Diese europäische Militärorganisation im
Rahmen der EU ist mit der NATO durch vieles verbandelt
– auch vertraglich –, sodass die NATO faktisch am Tisch
der Europäischen Union Platz nimmt. Was wäre damit ge-
wonnen, wenn man die NATO in Europa nicht will?

Ich glaube, es lohnt sich, über die im Gutachten aufge-
worfenen Fragen weiter zu diskutieren und die Kontro-
verse auszutragen. Es wäre wünschenswert, wenn die Re-
gierung den Friedensforschern mehr Raum gäbe und ihre
Ratschläge annehmen würde, statt weiterhin wie bisher
nach dem Motto „Wir wissen nicht nur alles, sondern auch
alles besser!“ zu verfahren. Wir sollten das Gutachten der
Friedensforscher gemeinsam ernst nehmen.

Danke sehr.

(Beifall bei der PDS)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1424311100
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Hans-Peter Bartels.


Dr. Hans-Peter Bartels (SPD):
Rede ID: ID1424311200
Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren! In dem vorliegenden Gutach-




Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
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(C)



(D)



(A)



(B)


ten der deutschen Friedensforschungsinstitute wird eine
Bilanz der internationalen Lage nach dem 11. September
gezogen. Manche Einschätzungen teilen wir, manche
nicht.

Der PDS, die diese Aktuelle Stunde beantragt hat, sind
vor allem die kritischen Anmerkungen zu den militäri-
schen Aspekten der internationalen Terrorbekämpfung
willkommen. Sie wertet das Gutachten als Beleg für ihre
fundamentalistische Ablehnung jeglicher Beteiligung des
Militärs am Kampf gegen den Terrorismus.


(Hildebrecht Braun [Augsburg] [FDP]: Wenn Fundamentalismus doch nur etwas mit Fundament zu tun hätte!)


Die PDS lehnt aber auch die Bundeswehrbeteiligung an
der internationalen Sicherheitspräsenz in Bosnien-Herze-
gowina, im Kosovo und in Mazedonien ab. Dafür haben
Sie, meine Damen und Herren von der PDS, allerdings
keinerlei Argumentationshilfe durch die Friedensfor-
schungsinstitute erhalten.

Im Gegenteil: Unsere Balkanpolitik wird von den Gut-
achtern ausdrücklich begrüßt. Man erhofft sich, dass un-
ser zivil-militärisches Engagement geradezu Modellcha-
rakter für andere Regionen bekommt; das hoffe auch ich.
Unsere Balkanpolitik ist erfolgreich. Die Bundeswehr
leistet dazu einen ausgezeichneten Beitrag.

Interessanterweise machen die Gutachter darauf auf-
merksam, dass die Behauptung, Terrorismus könne nicht
militärisch bekämpft werden, nach ihrer Auffassung zu-
gleich richtig und falsch sei. Sie ist richtig, weil sich
Selbstmordattentäter, die zivile Flugzeuge entführen und
zu Anschlägen missbrauchen, nicht durch einen Mi-
litäreinsatz stoppen lassen. Die Gutachter schreiben aber
an gleicher Stelle – ich zitiere –:

Zugleich genoss ... Bin Ladens grenzüberschreiten-
des Netzwerk staatliche Protektion von unterschied-
lichen Seiten und errang nach dem Sieg der Taliban
in Afghanistan einen quasi-staatlichen Status. Das
immerhin hat der Krieg zerschlagen.
„Immerhin!“

Der Gedanke, dass das Militär gegen Terroraktionen
und -organisationen sowie ihre staatlichen Herbergsväter
nichts ausrichten kann, ist falsch. Bruno Schoch von der
Hessischen Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung
sprach in der vergangenen Woche bei der Vorstellung des
Gutachtens deshalb von einer gemischten Bilanz des
Krieges in Afghanistan.

Auf der Habenseite sah er das Ende der Taliban-Dikta-
tur und die Zerstörung der terroristischen Infrastruktur im
Land. Das sei die Voraussetzung dafür, dass Afghanistan
nach 22 Jahren Krieg und Bürgerkrieg zu einem geregel-
ten Staatswesen zurückkehren und schrittweise das staat-
liche Gewaltmonopol wieder herstellen könne.

Auf der anderen Seite fürchten die Friedensforscher
eine Enttabuisierung militärischer Gewalt. Sie solle wohl,
so die Wissenschaftler, in das Arsenal der gewöhnlichen
außenpolitischen Instrumente zurückgeholt werden. –
Nein, ich sage: Der Einsatz und auch schon die Andro-
hung von militärischer Gewalt sind niemals etwas Nor-

males und Alltägliches. Gerade deshalb muss der Deut-
sche Bundestag dem Einsatz der Bundeswehr in jedem
einzelnen Fall mit Mehrheit zustimmen. Das ist gut so und
soll so bleiben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Im Übrigen zeigt das Beispiel Afghanistan wie auch
die Entwicklung auf dem Balkan, dass es meist eben nicht
um zwei klar trennbare Alternativen geht: militärisches
oder nicht militärisches Eingreifen. Ohne die militärische
Operation Amerikas und seiner Verbündeten hätte sich für
Afghanistan nicht die Möglichkeit eröffnet, dem Land
eine politische Perspektive zu geben. Die Politik der USA
in diesem Zusammenhang als „neues Beispiel von Staats-
terrorismus“ zu bezeichnen, wie es der Kollege Gehrcke
von der PDS in einer Pressemitteilung vom 27. Oktober
des vergangenen Jahres getan hat, ist absurd und verant-
wortungslos.

Dass Deutschland überhaupt nicht einseitig auf mi-
litärische Mittel setzt, belegt die Bilanz unserer Afghanis-
tanpolitik. Deutschland war Gastgeber der Petersberg-
Konferenz und hilft beim Aufbau von Schulen, Polizei
und Infrastruktur. All dies ist nur möglich, weil die ISAF-
Soldaten, unter denen auch Deutsche sind, den politischen
Prozess absichern.

Die Maßstäbe unserer Außen- und Sicherheitspolitik
sind klar. Ethnische Verfolgung, Völkermord, Ver-
treibung, Terror und das Faustrecht des Stärkeren können
nicht neutral und bequem hingenommen werden. Entge-
gen dem altklugen Merksatz, mit Gewalt könne man keine
Probleme lösen, ist militärische Intervention dann legitim
und geboten, wenn der Mangel an Sicherheit das allen an-
deren zugrunde liegende Problem darstellt. Solange ge-
schossen wird, sind alle anderen Probleme nicht lösbar.

Ich will noch einmal daran erinnern, dass die PDS die
Beteiligung der Bundeswehr an der Politik zur Stabilisie-
rung des ehemaligen Jugoslawiens stets abgelehnt hat.
Vor jeder Mandatsverlängerung, sei es in Bosnien, im Ko-
sovo oder in Mazedonien, haben Sie das Scheitern der
Mission vorhergesagt. Ein Jahr ist es gerade her, als die
PDS-Bundestagsfraktion in einem Antrag die Beendigung
der Bundeswehreinsätze auf dem Balkan forderte. In die-
ser Drucksache hieß es:

Die vom militärischen Interventionismus geprägte
Balkanpolitik der NATO-Staaten ist vollständig ge-
scheitert.

Das ist wirklich dummes Zeug. Wo leben Sie eigentlich?

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Die Autoren des Friedensgutachtens teilen Ihre Auffas-
sung jedenfalls nicht.

Schönen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1424311300
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Karl Lamers.




Wolfgang Gehrcke

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Karl Lamers (CDU):
Rede ID: ID1424311400
Frau Präsidentin! Verehrte
Kolleginnen und Kollegen! Der Kollege Gehrcke hat
eben ausgeführt, der Sinn dieser Aktuellen Stunde sei es,
dem Friedensgutachten die notwendige Aufmerksamkeit
zu schenken. Kollege Gehrcke, ich bezweifle, dass dies
– erstens – am Freitagnachmittag um 16.02 Uhr möglich
ist und dass dies vor allen Dingen – zweitens – Sinn einer
Aktuellen Stunde ist.

Ich muss Ihnen wirklich sagen, das Thema ist viel zu
ernst, als es für offensichtlich begrenzte parteipolitische
Zwecke zu nutzen. Sie selber tun sich in Bezug auf all die-
jenigen keinen Gefallen, die Ihre sonst differenzierte Dar-
stellungsweise sehr wohl zu schätzen wissen. Das Gut-
achten enthält nichts Neues und nichts Aktuelles. Es gibt
nichts darin, was bei der parlamentarischen Behandlung
keines Aufschubs bedurft hätte. Es sind ungewöhnlich
wichtige Dinge; aber das Gutachten enthält nichts, was
eine Aktuelle Stunde erfordert hätte.

Frau Präsidentin, ich meine im Ernst, dass man sich
einmal eingehend im Präsidium damit befassen müsste,
ob das nicht ein Missbrauch des Instruments der Aktuellen
Stunde ist. Sie können als Argument anführen, dass etwa
die Berichte der Bundesanstalt für Arbeit häufig Themen
Aktueller Stunden sind. Aber bei diesem Thema gibt es
leider dauernd etwas Neues, und zwar schlechte Nach-
richten. Das wird so lange so gehen, wie diese Koalition
an der Regierung ist. Aber in diesem Bericht ist kein ein-
ziger neuer Gedanke. Alles, was darin steht, wird tagtäg-
lich in allen möglichen Gazetten in diesem Lande und jen-
seits des großen Teiches diskutiert. Es ist kein Thema für
eine Aktuelle Stunde.

Ich habe offen gestanden wenig Lust, mich mit dem
Thema sachlich auseinander zu setzen. Ich stimme all
dem, was Sie gesagt haben, Herr Kollege, zu. Das haben
wir aber alles schon x-mal miteinander ausgetauscht. Da-
rüber haben wir früher leidenschaftlich gestritten. Heute
sind wir, abgesehen von Ihnen, meine Damen und Herren
von der PDS – Herr Schwarz-Schilling hat heute Morgen
zu Recht von „vorgestrig“ gesprochen –, in den prinzipiel-
len Fragen gottlob einer Meinung. Wir setzen zwar die
Akzente anders. Aber auch wir wissen selbstverständ-
lich – eine solche Selbstverständlichkeit steht auch in dem
Friedensgutachten –, dass allein mit militärischen Mitteln
der Frieden nicht zu gewährleisten und der Terrorismus
nicht zu bekämpfen ist. Wer bezweifelt das denn?

Die Tatsache, dass der militärische Faktor in dem vor-
liegenden Friedensgutachten mit keinem einzigen Wort
erwähnt wird, dokumentiert die ideologische Blindheit
der Herausgeber genauso wie die der PDS.


(Dr. Ruth Fuchs [PDS]: Vielleicht ist die ideologische Blindheit bei Ihnen!)


– Frau Kollegin, mit Verlaub, wenn Sie unsere Debatten
etwa im Auswärtigen Ausschuss verfolgt hätten, hätten
Sie diesen Zuruf nicht gemacht. Er ist nämlich vollkom-
men neben der Sache.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Rita Grießhaber [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Dr. Ruth Fuchs [PDS]: Jeder hat seine Wahrheiten!)


Wir reden so oft darüber, was man alles tun müsste,
aber nicht tun kann. Wir wissen sehr wohl, dass der Ein-
satz militärischer Mittel Konflikte nicht löst, sondern
zunächst sogar zusätzliche Probleme schafft. Das zu-
zugeben fällt mir nicht schwer. Auch wir wissen – darauf
haben Sie eben hingewiesen –, dass es überhaupt keine
Lösung geben wird, solange geschossen wird, und dass
man deswegen das Schießen beenden muss. Es ist aber in
der Weltgeschichte leider noch nie gelungen, das
Schießen durch gutes Zureden zu beenden.

Wir sind – Gott sei Dank – in diesem Land zu der Er-
kenntnis gelangt, dass auch militärische Mittel ein Mittel
der Friedens- und der Außenpolitik sind, ohne auch nur
den leisesten Anschein der Militarisierung unserer
Außenpolitik zu erwecken. Trotzdem versuchen Sie, mit-
hilfe eines so schwachen Friedensgutachtens Ihren Über-
zeugungen ein bisschen Auftrieb zu geben. Kollege
Gehrcke, das ist von der Sache und von der Methode her
gleichermaßen verfehlt.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDPsowie der Abgeordneten Rita Grießhaber [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1424311500
Herr Kollege
Lamers, da Sie mich vorhin direkt angesprochen haben,
möchte ich in eigener Sache Folgendes sagen: Es gab
einmal eine Zeit, in der das Präsidium darüber befunden
hat, ob das Thema einer Aktuellen Stunde aktuell ist oder
nicht. Das ist lange vorbei. Nach einem Beschluss des Äl-
testenrates entscheiden jetzt die Parlamentarischen Ge-
schäftsführer darüber. Das ist quasi zum Gewohnheits-
recht geworden. Wie gesagt, das Präsidium entscheidet
– vielleicht kann man sagen: leider – nicht mehr darüber.
Ihr Vorschlag ist aber vielleicht eine Anregung, das wie-
der zu ändern.


(Beifall auf der Regierungsbank)

Jetzt hat das Wort der Staatsminister Dr. Ludger

Volmer für die Bundesregierung.

D
Dr. Ludger Volmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1424311600
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Es freut mich, dass mir die heutige Aktuelle Stunde
Gelegenheit gibt, die Arbeit der fünf Friedensforschungsin-
stitute, die im Friedensgutachten 2002 ihren Ausdruck fin-
det, hier zu würdigen, auch wenn diese Arbeit sicherlich
eine ausführlichere Debatte in den Ausschüssen verdient
hätte.

Das jährliche Gutachten widmet sich immer einem be-
stimmten Schwerpunkt. In diesem Jahr hat es das Ziel
– ich zitiere aus dem Vorwort des Gutachtens –, „die weit
reichenden Folgen des 11. September und des Krieges in
Afghanistan für die sich abzeichnenden Machtverschie-
bungen in der internationalen Politik aufzuspüren und zu
bewerten“. Das Gutachten setzt sich in 27 Beiträgen auf
mehr als 300 Seiten mit der Politik internationaler Orga-
nisationen und einzelner Staaten auseinander. Auf ver-
schiedenen Feldern wird auch die Politik der Bundesre-
gierung einer kritischen Analyse unterzogen. Das






(C)



(D)



(A)



(B)


Auswärtige Amt wird das Gutachten durch den Planungs-
stab und durch einzelne Fachabteilungen wie schon in den
letzten Jahren auch diesmal sorgfältig auswerten.

Die Bundesregierung und insbesondere das Auswär-
tige Amt sahen es von Anfang an als eine Aufgabe an, mit
den Friedensforschungsinstituten und den Wissenschaft-
lern, die sich mit den internationalen Beziehungen befas-
sen, einen kontinuierlichen Diskussionsprozess zu eröff-
nen. „Praktiker treffen sich mit Wissenschaftlern und
lernen voneinander“ ist das Motto dieser nicht immer ein-
fachen Übung. Sie findet zum Beispiel im Forum „Glo-
bale Fragen“ und in einer Reihe von Fachkonferenzen
statt. Auf Einladung des Leiters des Planungsstabes und
von Professor Harald Müller, des Direktors der Hessi-
schen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung, gibt es
zudem seit Frühjahr 1999 einen festen Arbeitszusammen-
hang zwischen dem Auswärtigen Amt und den Friedens-
forschern. Der nutzbringende Effekt für beide Seiten liegt
in der Regelmäßigkeit und der Kontinuität der Diskussio-
nen. Ich möchte zudem darauf hinweisen, dass es diese
Bundesregierung war, die die von der Vorgängerregierung
eingestellte Förderung der Friedensforschung wieder auf-
genommen hat.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Karl Lamers [CDU/CSU]: Das Gutachten rechtfertigt nicht diese Entscheidung!)


Es zeigt sich, dass sich die außenpolitischen Praktiker
und die Friedensforscher in ihren Wertmaßstäben und Be-
urteilungskriterien kaum unterscheiden, dass sie jedoch
unter sehr unterschiedlichen Bedingungen agieren. For-
scher fällen Urteile; in der politischen Praxis müssen Ent-
scheidungen getroffen werden. Forscher werfen einen oft
pauschalen Blick auf die Politik als Ganzes; Politiker
müssen oft diesseits des eigentlich Wünschbaren zwi-
schen verschiedenen real existierenden Alternativen ent-
scheiden. Berufsbedingte Erkenntnis- und Erfahrungsde-
fizite können nur durch einen gegenseitigen Meinungs-
austausch klein gehalten werden. Daran, dass das ge-
schieht, ist das Auswärtige Amt sehr interessiert.

Die Friedensforscher kommen in ihrer einleitenden ge-
meinsamen Stellungnahme zu einem durchaus positiven
Urteil über Regierungsentscheidungen und Regierungs-
handlungen, dies übrigens genau auf den Feldern, Herr
Gehrcke – das muss man hier ganz deutlich ausspre-
chen –, auf denen die PDS die Regierungspolitik erbittert
bekämpft hat. So heißt es in dem Gutachten – ich zitiere –:

Die deutsche Außenpolitik, die 1999 den Stabilitäts-
pakt für Südosteuropa aus der Taufe gehoben hat,
muss ihn weiterentwickeln und dafür sorgen, dass
Interesse und Hilfe der EU für den Balkan nicht er-
lahmen. Wenn das gelingt, könnte der Stabilitätspakt
Modellcharakter auch für andere Krisenregionen ge-
winnen.

Modellcharakter, meine Damen und Herren!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Aber – so frage ich die PDS – hätte der Stabilitätspakt

je in Kraft treten können – inzwischen ist übrigens auch

die Republik Serbien Teilnehmer –, wenn die Bundesre-
publik nicht 1999 zusammen mit ihren Bündnispartnern
der Aggression im Kosovo entschieden entgegengetreten
wäre? Nur so konnte ein neuer Flächenbrand auf dem Bal-
kan in letzter Minute verhindert werden. Stabilität wurde
wieder denkbar. Diese Politik ist von der PDS damals er-
bittert bekämpft worden.

Werfen wir noch einmal einen Blick auf die Ereignisse
im ehemaligen Jugoslawien. Es ist der PDS-Ortsverband
Berlin-Friedrichshain, der sich nun daran beteiligt hat, ein
Milosevic-Solidaritätskomitee ins Leben zu rufen. Das ist
eine Ungeheuerlichkeit und wirft ein bezeichnendes Licht
auf die Politik der PDS.


(Hildebrecht Braun [Augsburg] [FDP]: So ist es! So Recht hatte er noch nie!)


Zu Mazedonien wird in der gemeinsamen Stellung-
nahme der Herausgeber festgestellt – ich zitiere wieder –:

Zwar ist Mazedonien noch längst nicht befriedet, das
Zusammenleben zwischen Mehrheit und Minderheit
ist weiterhin gespannt. Doch die konzertierte Aktion
zwischen EU und NATO hat die Gewalteskalation
unterbunden.

Weiter heißt es in der gemeinsamen Stellungnahme, dass
die Forscher schon früher hervorgehoben haben, „dass wir
die Präsenz von SFOR und KFOR für den Frieden dienlich
halten. Dasselbe gilt für den Einsatz in Mazedonien.“
Mussten diese Einsätze der PDS nicht als Beispiele einer
angeblichen Kriegslüsternheit der rot-grünen Regierung
dienen, wie wir es auch heute Morgen wieder erfahren ha-
ben? Das war doch der Tenor Ihrer heutigen Beiträge.

Nehmen wir einmal an, der Bundestag wäre den Vor-
schlägen der PDS in Sachen Mazedonien gefolgt. Dann
hätten wir heute nicht einen sich selbst tragenden Frie-
densprozess, sondern wir stünden hilflos vor einem grau-
enhaften Bürgerkrieg. Man muss die Konsequenzen der
Politik zu Ende denken. Wenn Sie meinen, unsere Politik
habe in der Konsequenz negative Folgen, dann denken Sie
auch einmal Ihre Politik zu Ende! Dabei haben wir viel-
leicht einige Probleme; Sie haben ganz grauenhafte Sze-
narien vor sich, für die Sie dann überhaupt keine Lösung
haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Der Konflikt im Kosovo hat diese Bundesregierung in
einer Phase der rasanten Konflikteskalation getroffen. Die
Bundesregierung hat das Problem nicht gemacht. Sie hat
das Problem geerbt und vieles zu seiner Lösung beigetra-
gen. Eine Schlussfolgerung daraus war, die Mittel zur
frühzeitigen zivilen Konfliktbearbeitung, die die Regie-
rung eben nicht vorgefunden hatte, zu stärken. Dazu heißt
es in diesem Gutachten – ich zitiere –:

Positiv beurteilen wir, dass die Bundesrepublik ... die
Instrumente für zivile Konfliktbearbeitung auszu-
bauen und zu erproben begonnen hat.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Genauso wenig wie sich die Bundesregierung an den

Terrorismus gewöhnen wird, wird sie den Einsatz von




Staatsminister Dr. Ludger Volmer

24507


(C)



(D)



(A)



(B)


Militär jemals als normal betrachten. Für uns haben die
Krisenprävention und die zivile Konfliktbearbeitung ab-
solute Priorität. Wir haben aber erkannt, dass in bestimm-
ten Fällen ein integrierter Einsatz ziviler Kräfte flankiert
von militärischen Kräften sinnvoll und notwendig ist.

Die PDS hätte sich und den Mitgliedern dieses Hauses
die Zeit einräumen sollen, das gesamte Gutachten gründ-
lich zu lesen, statt auf die in der FR veröffentlichte Ein-
zelmeinung des Herrn Mutzlin in agitatorische Hektik zu
verfallen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Der Versuch, die Friedens- und Konfliktforschung vor
den Karren der PDS zu spannen, wird schiefgehen.

Wenn man die Außenpolitik der PDS genau analysiert,
wird man herausfinden, dass die PDS nicht die Partei ei-
ner Friedensbewegung, sondern eines hochgefährlichen
Nationalneutralismus ist. Wer, außer vielleicht der PDS,
will widersprechen, wenn in dem Gutachten festgestellt
wird: „Gerade nach dem 11. September ist die EU als
kooperative Gestaltungsmacht in der Weltpolitik nötiger
den je“? – Wir sehen das genauso.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1424311700
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Hildebrecht Braun.


Hildebrecht Braun (FDP):
Rede ID: ID1424311800
Frau Präsi-
dentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lassen
Sie mich zunächst einmal kurz erklären, warum wir vor
nahezu leeren Rängen über ein so wichtiges Thema wie
den Frieden sprechen. Es sind sehr viele Zuhörer anwe-
send, die sich diese Frage sicherlich stellen. Dafür gibt es
zwei Gründe. Zum einen hatten wir am Donnerstag eine
sehr lange Tagesordnung; die Sitzung sollte eigentlich bis
4.30 Uhr heute früh dauern. Jetzt sitzen wir auch schon
wieder seit 9 Uhr zusammen.

Aber zum anderen hat es damit zu tun, dass der Antrag,
eine Diskussion über den Frieden zu führen, ausgerechnet
von der PDS eingebracht wurde. Wenn die PDS über den
Frieden diskutiert, handelt es sich um eine Veranstaltung
der besonderen Art. Darauf komme ich noch zu sprechen.

In einem Punkt muss den Friedensforschern Recht ge-
geben werden: Die rot-grüne Bundesregierung hat die im
Koalitionsvertrag versprochenen Fortschritte in der Frie-
dens-, Sicherheits- und Abrüstungspolitik zumindest
nicht vollständig erreichen können. In manchen Teilen ist
sogar das Gegenteil der Fall. Aus der zum Bündnis 90/Die
Grünen mutierten ehemaligen deutschen Friedensbewe-
gung ist inzwischen eine Entsendebewegung geworden.


(Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hildebrecht, nein!)


Das stelle ich nicht kritisch fest, sondern ich meine, dass
diese Entwicklung notwendig und richtig war. Es ist fest-
zustellen, dass unter rot-grüner Verantwortung circa
10 000 Männer und Frauen in zehn Krisenregionen der

Welt stationiert sind. In der Abrüstungs-, Rüstungs- und
Friedenspolitik ist die Bilanz, gemessen an den Vorgaben
des Koalitionsvertrags, zumindest dünn. Deutschland
spielt in der Weltliga der Rüstungsexporteure unverändert
auf einem der vordersten Plätze.


(Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Deshalb ist die FDP für eine Verschärfung der Rüstungsexportrichtlinien!)


Da nützt auch die durch gezielte Indiskretionen im Bun-
dessicherheitsrat noch so kunstvoll applizierte weiße
Salbe auf die grüne Seele nichts.

Auch der mit viel Pomp inszenierte zivile Friedens-
dienst ist bei näherer Betrachtung nichts als Augen-
wischerei. Knapp 10 Millionen Euro stellt die Bundes-
regierung in diesem Jahr insgesamt für den zivilen
Friedensdienst zur Verfügung. Angesichts der präzedenz-
losen Kürzungen der deutschen Entwicklungshilfeleistun-
gen, insbesondere auch der freiwilligen Leistungen für die
humanitären UNO-Organisationen, muss die Frage erlaubt
sein, ob durch diesen puren Aktionismus nicht in erster
Linie erneut die grüne Basis besänftigt werden soll.

Selten ist das Dilemma zwischen Anspruch und Wirk-
lichkeit grüner Politik deutlicher geworden als beim
jüngsten Besuch des US-Präsidenten Bush in Berlin.
Während sich der grüne Außenminister zwar sorgenzer-
furcht, aber staatsmännisch der Verantwortung für die
Lösung globaler Sachzwänge stellt, buhlen seine Mit-
streiter heftig um die Gunst des verbliebenen harten Kerns
der ehemaligen Friedensbewegung und werden dafür hef-
tig ausgepfiffen.

Die PDS indes – das belegt die heutige Aktuelle Stunde
erneut – versucht, die von den Grünen hinterlassene
Marktlücke zu besetzen. Diese selbst ernannten politi-
schen Erben derjenigen, die 1968 das Einrücken sowjeti-
scher Truppen in die Tschechoslowakei als sozialistische
Bruderhilfe willkommen geheißen und Pol Pot, einen der
größten Schlächter der Neuzeit, Solidaritätsadressen über-
sandt haben,


(Wolfgang Gehrcke [PDS]: Das stimmt nicht!)

ganz zu schweigen von der brüderlichen Unterstützung
des sowjetischen Vernichtungskrieges in Afghanistan,
bieten sich jetzt als politisches Auffangbecken für frus-
trierte deutsche Friedensbewegte an.


(Widerspruch bei der PDS)

Niemand hier im Hohen Hause und schon gar nicht die

Freien Demokraten wollen eine Militarisierung der Außen-
politik. Doch es führt einfach kein Weg an der Feststellung
vorbei, dass durch Militäreinsätze sowohl die politschen
Verhandlungsergebnisse auf dem Balkan erfolgreich abge-
sichert als auch die Voraussetzungen für politische Ver-
handlungen in Afghanistan geschaffen worden sind. All
diese Einsätze waren Ultima Ratio; sie haben Schlimmeres
verhindert. Das weiß auch die PDS. Sie bleibt aber aus tak-
tischen Erwägungen bei ihrer Ablehnung.

Es ist bezeichnend, dass bei der aktuellen Debatte über
die Verlängerung der Mandate für die deutschen Streit-
kräfte die PDS zwar in den Ausschüssen erklärt, man sehe




Staatsminister Dr. Ludger Volmer
24508


(C)



(D)



(A)



(B)


sehr wohl die Erfolge der Aktionen, sich aber im Parla-
ment dennoch gezwungen sieht, die Anträge abzulehnen.
Das ist keine Art, Politik zu machen.


(Beifall bei der FDP)

Es darf nicht zugelassen werden, dass sie sich dabei auch
noch auf das Friedensgutachten 2002 beruft.

Für Liberale ist es ganz selbstverständlich, dass der
11. September nicht, wie im Friedensgutachten behauptet,
Gewalteskalation als Mittel der Konfliktlösung legiti-
miert und dass eine Verallgemeinerung bzw. Eskalation
der Logik des Krieges nicht zugelassen werden darf. An-
gesichts der umfassenden und erfolgreichen Bemühungen
der USAum internationale Abstimmung kann aus unserer
Sicht der Bush-Administration nicht pauschal vorgewor-
fen werden, sie setze einseitig auf das Militär. Immerhin
kommt die Studie zu dem Ergebnis, dass die so genannten
robusten Verhandlungen in Mazedonien letztlich erfolg-
reich waren und die Bilanz bezüglich Afghanistan ge-
mischt sei.

Es kann überhaupt kein Zweifel daran bestehen, dass
die Strategie friedenspolitischer Prävention auch in Zu-
kunft absolute Priorität haben muss. Aber gerade die in-
ternationalen Einsätze aus jüngerer Zeit belegen, dass
eine solche Strategie ohne Sicherheitskomponente zum
Scheitern verurteilt ist. Dabei muss den friedensbewah-
renden und friedensschaffenden Einsätzen der Vereinten
Nationen absolute Priorität eingeräumt werden. Das in
jüngerer Zeit vereinzelt infrage gestellte Gewaltmonopol
der Vereinten Nationen darf nicht angetastet werden.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1424311900
Die Abgeordne-
ten Polenz, Schmidt und Fritz haben gebeten, ihre Reden
zu Protokoll geben zu dürfen.1) Sind Sie damit einver-
standen? – Dann verfahren wir so.

Als Nächste hat jetzt die Abgeordnete Angelika Graf
das Wort.


Angelika Graf (SPD):
Rede ID: ID1424312000
Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich
zunächst eine Dankesadresse an die akademische Fach-
welt richten, die nun kontinuierlich seit 15 Jahren ein sol-
ches Friedensgutachten erstellt und uns Politikern, wie ich
meine, aktuelle Themen aufbereitet und sie mit einer um-
fangreichen, vor allen Dingen verständlichen Abhandlung
begleitet, an der wir uns auch orientieren können. Wir von
der AG Menschenrechte der SPD-Bundestagsfraktion
danken den Autoren des Gutachtens.

Es ist gut, dass die unterschiedlichen Auffassungen von
circa 26 Experten in diesem Gutachten zutage treten. Ich
möchte mich aber auf die Kernaussagen der Herausgeber
beziehen, auf die sich ja offensichtlich die fünf beteiligten
Forschungsinstitute geeinigt haben. Ich meine, dass man
damit der Qualität des Gutachtens eher gerecht wird als

mit der Rosinenpickerei, die Sie von der PDS ja in vielen
Politikbereichen betreiben.

Unbestritten sollten meines Erachtens zwei wichtige
Sätze im Vorwort des Gutachtens sein. Hier steht auf der
einen Seite: „Der 11. September hat die internationale
Politik verändert.“ – Das ist eine erfreuliche Richtigstel-
lung des falschen, aber populären Satzes, dieser Tag habe
die Welt verändert. Der zweite wichtige Satz heißt:

Dass man Terrorismus nicht manu militari – also mit
militärischer Gewalt – bekämpfen könne, ist richtig
und falsch zugleich.

Der Kollege Bartels hat diesen Satz auch schon zitiert.
Gerade dieser zweite Satz beinhaltet meiner Meinung
nach eine interessante Feststellung, über deren ambiva-
lente Aussage die PDS, die ja diese Aktuelle Stunde, die
so aktuell nicht ist, beantragt hat, tiefer nachdenken sollte.

Die Gutachten weisen einerseits auf die Chancen auf
Stabilisierung in Asien nach dem Afghanistankrieg und
auf die erfreuliche Einigkeit im Kampf gegen den Terro-
rismus in weiten Teilen der Welt hin; andererseits – auch
das wird im Vorwort festgestellt – wird natürlich die
prekäre Balance zwischen bürgerlichen Freiheitsrechten
sowie den Sicherheitsbedürfnissen des Staates und des
einzelnen Bürgers zurzeit zu Recht als gefährdet angese-
hen. Im Menschenrechtsausschuss fand zu dem Span-
nungsfeld „Terrorismus und seine Auswirkungen auf die
Menschenrechte“ erst in dieser Woche eine hochinteres-
sante Anhörung statt. Man darf in diesem Zusammenhang
nicht vergessen: Terrorismus verletzt Menschenrechte zu-
allererst.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der PDS)


Ich komme auf die Einschätzung zurück, die Behaup-
tung, der Terrorismus könne nicht manu militari, also mit
militärischer Gewalt, bekämpft werden, sei wahr und
falsch zugleich. Jedem denkenden Menschen muss klar
sein, dass der Militäreinsatz in Afghanistan den interna-
tionalen Terrorismus nicht ausrotten wird. Er war eine Re-
aktion auf ein die Welt erschütterndes Ereignis und hatte
mehrere Effekte: Einer davon war, dass ein verbrecheri-
sches Regime – ich habe es selbst erlebt –, welches aus
kulturstürmerischem Fanatismus heraus die Bevölkerung
ins Mittelalter zurückgestoßen hat, gestürzt wurde. In der
Folge können Mädchen nun wieder beschult werden,
Frauen einer Berufsausbildung nachgehen und Ärztinnen
wieder für die Gesundheit von Frauen sorgen.

Die Loya Jirga ist trotz aller Vorbehalte gegenüber Vor-
kommnissen im Vorfeld – auch darüber sollte man nicht
hinwegsehen – ein wichtiger Schritt hin zu einer zivilen
Gesellschaft, die der Region Stabilität geben kann. Wir
müssen alles tun, damit diese Chance nicht vertan wird.
Es ist gut, dass sich die Bundesregierung im militärischen
und im zivilen Bereich an dem Prozess der Befriedung der
Region aktiv beteiligt. Wir haben das Mandat heute Vor-
mittag verlängert. Ich meine, dass das richtig war; denn
Sicherheit ist die notwendige Voraussetzung für zivile
Entwicklung in Afghanistan.

Zu den Quellen des Terrorismus und den Feldern, auf
denen Terroristen rekrutiert werden, zählen – ich zitiere




Hildebrecht Braun (Augsburg)


24509


(C)



(D)



(A)



(B)


1) Anlage 13

aus der Zusammenfassung eines Aufsatzes –, „eine Atmo-
sphäre der Hoffnungslosigkeit, ungelöste Regionalkon-
flikte mit besonderer Symbolkraft, ein dramatisches Aus-
einanderklaffen zwischen politischen Legitimationen und
gesellschaftlichen Realitäten sowie die Blockade friedli-
cher Oppositionsformen durch repressive Systeme“.

Dem Terrorismus diese Wurzeln nachhaltig zu entzie-
hen ist für uns alle wichtiger als militärische Aktion. Die
Bundesregierung hat dies von Anfang an erkannt und sich
an der Lösung von Konflikten in Krisengebieten aktiv be-
teiligt. Ich erinnere an das Engagement des Außenminis-
ters im Nahen Osten.

Unsere Politik der Entwicklungszusammenarbeit zielt
in dieselbe Richtung. Ich glaube, es ist dringend notwen-
dig, dass wir diese Richtung der Politik über den 22. Sep-
tember hinaus verfolgen können. Ich bin sicher, es wird
klappen. Ich sehe viele Chancen für den Frieden in der
Welt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1424312100
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Winfried Nachtwei.


Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1424312200

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir
begrüßen ausdrücklich das Friedensgutachten, das soeben
zum 16. Mal erschienen ist und an dem sich das Bonner
Internationale Konversionszentrum und das Institut für
Entwicklung und Frieden erstmals beteiligt haben. Das
Gutachten enthält die Stellungnahme einiger unabhängi-
ger und kritischer Friedensforscher, die sich mit den frie-
dens- und sicherheitspolitischen Herausforderungen in
voller Breite auseinander setzen. Das ist in der öffentli-
chen und auch in der parlamentarischen Diskussion – ich
schaue in Richtung PDS – in keiner Weise selbstver-
ständlich.

Bemerkenswert ist, dass die fünf Friedensforschungs-
institute zu einer in wesentlichen Fragen gemeinsamen
Position finden. Für eine Außenpolitik, die Friedenspoli-
tik sein will, bietet das Friedensgutachten Anlass zu kriti-
scher Überprüfung und konstruktive Vorschläge. Die Ak-
tuelle Stunde – das ist vorhin schon deutlich betont
worden – kann nur ein erster Schritt zur Auseinanderset-
zung mit dem Friedensgutachten sein.

Zu Recht, so meine ich, warnt das Friedensgutachten
vor einer Enttabuisierung des Krieges und vor einer Un-
terhöhlung des Kriegsverbotes der UN-Charta. Wo mi-
litärische Bekämpfung des Terrorismus schrankenlos
wird, wo Selbstverteidigung in Offensivstrategien um-
schlägt, wo Präventionsangriffe gegen terroristische Be-
drohung zu jeder Zeit und an jedem Ort in Aussicht ge-
stellt werden, da wird der Willkür in den internationalen
Beziehungen Tür und Tor geöffnet. Dies wäre – wenn
auch auf einer anderen Ebene – eine Form der Privatisie-
rung von Gewalt. Die Bundesrepublik und die Europäer
sind gefordert, demgegenüber die Stärkung des interna-
tionalen Rechts zu fördern. Das taten die Europäer und die

Bundesrepublik bisher und das werden sie auch weiterhin
tun.

Das Friedensgutachten warnt darüber hinaus vor einer
so genannten Normalisierung des Instruments Bundes-
wehr in der deutschen Außenpolitik. In der Differenziert-
heit, wie sie im Friedensgutachten enthalten ist, stimme
ich dieser Feststellung zu. Einerseits befürwortet das Frie-
densgutachten die Einsätze von SFOR, KFOR, in Maze-
donien und Kabul und nennt diese Einsätze ausdrücklich
friedensförderlich. Andererseits bleibt für uns das Instru-
ment Militär ein besonders kostspieliges und riskantes
Mittel. Im Rahmen von so genannter Friedenserzwingung
wäre es immer auch ein tückisches Mittel, so wie es zum
Beispiel die katholischen Bischöfe in ihrem Friedenswort
festgestellt haben.

Weil die Bundeswehr für uns kein normales Politik-
instrument neben anderen ist, haben wir den Parlaments-
vorbehalt und halten daran auch eindeutig fest. Deshalb
befleißigen wir uns einer Zurückhaltung und eines beson-
ders hohen Verantwortungsbewusstseins bei Entschei-
dungen bezüglich Entsendungen der Bundeswehr.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Das Friedensgutachten betont völlig richtig die Not-
wendigkeit umfassender Friedensstrategien, in denen die
Fähigkeiten der zivilen Vorbeugung Vorrang haben und
deshalb ganz anders gefördert werden müssen. Die deut-
sche Balkanpolitik – aus dem Gutachten sind die entspre-
chenden Stellen schon mehrfach zitiert worden – kann
hier inzwischen als vorbildlich gelten.

Ich freue mich aber außerordentlich, dass die Bundes-
regierung und die Koalition auf diesem Feld der vorbeu-
genden Friedenspolitik inzwischen sogar schon einiges
mehr auf den Weg gebracht haben, als in diesem Gutach-
ten zum Ausdruck kommt. Es werden zum Beispiel in-
zwischen systematisch die Fähigkeiten entwickelt, von
deutscher Seite aus an der zivilen Komponente von inter-
nationalen Friedensmissionen teilzunehmen. In dem Zu-
sammenhang möchte ich erwähnen, dass in der übernächs-
ten Woche, am 24. Juni, das Zentrum für internationale
Friedensmissionen in Berlin eröffnet werden wird.

Was vorher schon angesprochen wurde: Die Bundes-
förderung der deutschen Friedens- und Konfliktforschung
wurde mit der Gründung der Deutschen Stiftung Frie-
densforschung wieder aufgenommen. Damit wurde die
unabhängige Friedensforschung auf eine bessere Grund-
lage gestellt.

Insgesamt gesehen, muss dieses Gutachten für uns An-
lass zur Selbstprüfung sein. Es ist für meine Fraktion und
wie ich glaube, für Rot-Grün insgesamt zugleich eine Er-
mutigung, uns weiterhin um eine praktische Friedenspo-
litik zu bemühen, die neue sicherheits- und friedenspoli-
tische Herausforderungen annimmt und die sich mit aller
Kraft für die Verhütung und Eindämmung von Krieg und
Gewalt sowie für die gemeinsame Sicherheit und für ei-
nen gerechten Frieden einsetzt.

Danke schön.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)





Angelika Graf (Rosenheim)

24510


(C)



(D)



(A)



(B)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1424312300
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Heinrich Fink.


Dr. Heinrich Fink (PDS):
Rede ID: ID1424312400
Frau Präsidentin! Meine lie-
ben Kolleginnen und Kollegen! Warum musste es zu die-
ser Aktuellen Stunde kommen?


(Zuruf von der SPD: Das ist eine wirklich gute Frage!)


Warum wird die Debatte über Krieg und Frieden im Jahr
2002 nicht in der Kernzeit geführt, also zu einer Zeit, in
der die Diskussion von öffentlichem Interesse ist? Wir
nutzen die uns gebotene Möglichkeit der Aktuellen
Stunde, um genau die Fragen, die Ihnen offenbar nicht be-
hagen, einmal zu thematisieren.

Das Friedensgutachten erscheint in diesem Jahr zum
16. Mal. An ihm arbeiten jetzt fünf renommierte wissen-
schaftliche Institute, was nicht nur eine wirklich kom-
plexe Analyse ermöglicht, sondern auch die Qualität er-
heblich verbessert hat. Da Sie nur das gelten lassen, was
Sie bestätigt, empfehle ich differenziertes Lesen dieses
Gutachtens, um daraus Konsequenzen für politisches
Handeln ziehen zu können.

Das jetzt vorliegende Gutachten konzentriert sich da-
rauf, die weit reichenden Folgen des 11. September und
des Krieges in Afghanistan für die sich gegenwärtig in der
internationalen Politik vollziehenden Machtverschiebun-
gen zu analysieren und zu bewerten. Ich verweise nur auf
den zunehmenden Unilateralismus der USA, die sich ver-
ändernde internationale Rolle Russlands oder den Funkti-
onswandel der NATO. Das ist neu in diesem Gutachten;
darüber sollten wir wirklich nachdenken.

Aber auch in den bundesrepublikanischen Verhältnis-
sen gibt es beträchtliche Veränderungen. So wurde der
weltweite Einsatz der Bundeswehr zu einem normalen In-
strument deutscher Außenpolitik erhoben. Die kompli-
zierte Balance zwischen Bürgerrechten und Sicherheits-
bedürfnissen wird unter dem Ruf nach innerer Sicherheit
gefährdet. Allein die Komplexität dieser Prozesse zeigt,
dass die Politik in zunehmendem Maße qualifizierter Be-
ratung bedarf.

In Zeiten, in denen die Führungsnation dieser Welt
nicht mehr nur die atomare Erstschlagsoption aufrechter-
hält, sondern für die nächste Zukunft den Übergang zu
atomaren Präventivschlägen diskutiert, in Zeiten, in de-
nen dieses Haus ungefähr vierteljährlich auf Regierungs-
antrag den Einsatz deutscher Soldaten im Ausland bis hin
zum Kriegseinsatz beschließt – dies geschieht seit Beginn
dieser Legislaturperiode –, ist die Beschäftigung mit Frie-
denspolitik mehr als geboten, und zwar nicht nur dann,
wenn es einmal mehr darum geht, den nächsten Einsatz zu
beschließen, sondern gerade auch unabhängig von dem
dann immer wieder gesetzten Zustimmungszwang, der
gelegentlich den freien Blick auf die Dinge zu vernebeln
vermag.


(Beifall bei der PDS)

Die Bundesregierung betont seit ihrem Sündenfall

– das sage ich sehr bewusst –, seit der Beteiligung am
Krieg gegen Jugoslawien im Jahre 1999, ihre Politik der

militärischen Krisenintervention sei alternativlos, sie sei
zwar nicht das alleinige, aber letztlich das einzige erfolg-
versprechende Mittel internationaler Konfliktbearbei-
tung. Konsequente Folgen dieser Haltung sind die nicht
enden wollenden und immer neuen Militärinterventionen.
Dass diese Politik eben nicht alternativlos ist, dass erfolg-
versprechende Wege unabhängig von diesen Interventio-
nen gesucht und gefunden werden, können wir in diesem
Friedensgutachten deutlich sehen. Mir geht es darum,
dass Erkenntnisse für politische Entscheidungen in Parla-
ment und Regierung genutzt werden.

In anderen Politikbereichen ist es eine gute Tradition,
dass sich die Bundesregierung aus dem Kreis von Exper-
tinnen und Experten Vorschläge für ihre Politik unterbrei-
ten lässt. Diese Gutachten finden in aller Regel auch ei-
nen Widerhall in der Öffentlichkeit. Bestes Beispiel dafür
ist das Jahresgutachten des Rates der fünf Weisen, bezo-
gen auf die in der Wirtschaftspolitik einzuschlagenden
Wege. Aber auch in anderen Fällen greift die Exekutive
gerne auf Ratschläge aus der Wissenschaft zurück, an die
sie sich ja nicht halten muss, aber die sie kennen sollte.

Es ist für mich wichtig, dass Friedensforschung
Präventivforschung ist. Es ist an der Zeit, dass das Gutach-
ten, das die führenden Friedens- und Konfliktforschungs-
einrichtungen jährlich vorlegen, auch von der Regierung
beachtet und in den parlamentarischen Willensbildungs-
prozess einbezogen wird.

Die Bundesregierung hat mit der Schaffung der Stif-
tung Deutsche Friedensforschung Grundlagen geschaf-
fen, um zu einer stetigen Ausbildung und Forschungsför-
derung in diesem Bereich zu kommen. Ob die dafür
vorgesehenen Mittel ausreichend sind, braucht an dieser
Stelle nicht diskutiert zu werden. Aber die Etablierung der
Friedensforschung als eines wichtigen Wissenschafts-
zweigs, der auch der Politikberatung dienen soll, wird ad
absurdum geführt, wenn man dieser Disziplin nur ein Ni-
schendasein zuweist. Friedenspolitik soll die Grundlage
deutscher Außenpolitik sein. Dafür dürfte in diesem
Hause doch eine überwältigende Mehrheit zu gewinnen
sein.


(Beifall bei der PDS)

Dann sollte man das Friedensgutachten als eine He-

rausforderung annehmen, um intensiver über friedenspo-
litische Optionen deutscher Politik zu sprechen. Wir se-
hen diese Aktuelle Stunde also nicht als einmaligen Akt,
der sich eventuell im Wahljahr gut macht. Uns geht es
nicht darum, immer wieder die Hintergründe von Kriegen
deutlich zu machen. Uns geht es um Grundsätzliches: Die
Erkenntnisse und Vorschläge der Friedens- und Konflikt-
forschung sollen in unseren außenpolitischen Debatten
und Entscheidungen endlich den Rang einnehmen, der ih-
nen nach unserer Überzeugung zukommt.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1424312500
Herr Kollege,
denken Sie bitte an die Redezeit.


Dr. Heinrich Fink (PDS):
Rede ID: ID1424312600
Die Fraktion der demokra-
tischen Sozialisten hat das diesjährige Friedensgutachten
zum Gegenstand dieser Aktuellen Stunde gemacht, weil






(C)



(D)



(A)



(B)


wir meinen, dass dieses Gutachten, wie übrigens auch die
Gutachten aus den vorhergehenden Jahren, nicht allein
eine möglichst große Öffentlichkeit und eine parlamenta-
rische Behandlung, sondern auch eine fortgesetzte Befas-
sung der Bundesregierung verdient hat.


(Beifall bei der PDS)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1424312700
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Christian Sterzing.


Christian Sterzing (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1424312800

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Man
fragt sich am Ende dieser Aktuellen Stunde, ob die PDS
sie auch beantragt hätte, wenn sie das Gutachten gelesen
hätte. In der Kürze der Zeit seit Erscheinen war das ja
kaum möglich. Ich glaube, dass die vielen Zitate gezeigt
haben, dass dieses Gutachten eine wesentlich differen-
ziertere, problemorientiertere Auseinandersetzung ver-
dient, als das hier in einer Aktuellen Stunde möglich ist.

Dieses Gutachten eignet sich wirklich nicht als Muni-
tionskiste, um die Bundesregierung vorzuführen. Die
Friedensgutachten waren in den letzten Jahren immer
durchaus wertvolle Beiträge. Es waren Analysen und pro-
blemorientierte Auseinandersetzungen auch mit den Stra-
tegien der Politik der jeweiligen Regierung. Wir müssen
uns immer wieder den Vorwurf anhören, diese Regierung
betreibe eine Politik der Militarisierung und blicke nur auf
das Militär als möglichen Problemlöser. Dieses Gutachten
zeigt jedoch sehr deutlich, dass das nicht der Fall ist. In
ihm wird differenziert das Instrumentarium ausgebreitet,
mit dem den verschiedenen Bedrohungslagen heute be-
gegnet werden muss.

Wenn wir die Politik der Bundesregierung genauso dif-
ferenziert betrachten, dann stellen wir fest, dass dieses
breite Instrumentarium auch genutzt wird. Lassen Sie
mich nur kurz die zivile Polizei erwähnen. Deutschland
– wir haben heute darüber gesprochen – hat in besonderer
Weise die Verantwortung für die Ausbildung der Polizei
in Afghanistan übernommen, weil wir gelernt haben, wel-
che entscheidende Rolle die Polizei in einem solchen zer-
fallenden Staatssystem und dann wieder bei der Staatsbil-
dung, dem „nation building“, spielt.

Wir haben im Rahmen der Gemeinsamen Außen- und
Sicherheitspolitik und der europäischen Sicherheits- und
Verteidigungspolitik eben nicht nur eine Eingreiftruppe
von 60 000 Mann in den Blick genommen, sondern auch
die Herausbildung eines Potenzials von 5 000 Polizisten.
Auch hier wird der nicht militärische, zivile Sektor des
Konfliktmanagements deutlich, dem die Bundesregie-
rung die notwendige Aufmerksamkeit widmet.

In dem Gutachten wird auch auf den Zusammenhang
zwischen Frieden und Demokratie hingewiesen. Natür-
lich haben wir auch in dieser Beziehung gelernt. In dem
Plan des Außenministers Fischer für den Frieden im Na-
hen Osten wird zum Beispiel auf genau dieses Problem
hingewiesen. Es wird gesagt: Gerade auf palästinensi-
scher Seite müssen wir – das ist eine Lehre aus den Ver-
säumnissen in der Vergangenheit – der Herausbildung zi-
vilgesellschaftlicher Elemente mehr Aufmerksamkeit

widmen. Wir müssen hier einen Verfassungsprozess und
die Entwicklung von Demokratie fördern.

Auch hier wird also deutlich sichtbar: Wir nehmen die
Anregungen und Ideen von Friedensforschungsinstituten
durchaus ernst. Sie aufzunehmen ist die Politik der Bun-
desregierung.

Insofern eignet sich das Friedensgutachten nicht dazu,
die Bundesregierung vorzuführen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Sie sollten dieses Gutachten als Maßstab nutzen, Ihre ei-
gene Politik zu überprüfen. Dann wird es bis zur Beantra-
gung einer nächsten Aktuellen Stunde zu diesem Thema
wahrscheinlich noch lange Zeit dauern.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1424312900
Ich schließe da-
mit die Aktuelle Stunde.

Ich rufe Zusatzpunkt 22 auf:
Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD
und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN einge-
brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesse-
rung des Zuschusses zu ambulanten medizini-
schen Vorsorgeleistungen
– Drucksache 14/9357 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit

Die Kolleginnen und Kollegen Schmidbauer, Faust,
Göring-Eckardt, Thomae und Fuchs haben gebeten, ihre
Reden zu Protokoll geben zu dürfen. Sind Sie damit ein-
verstanden1)? – Das ist der Fall.

Interfraktionell ist die Überweisung des Gesetzentwur-
fes auf Drucksache 14/9357 an den Ausschuss für Ge-
sundheit vorgeschlagen worden. Sind Sie damit einver-
standen? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so
beschlossen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 39 a bis 39 f sowie Zu-
satzpunkt 23 auf:
39. a)Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-

richts des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Woh-
nungswesen (15. Ausschuss) zu dem Antrag der
Abgeordneten Dr. Winfried Wolf, Eva Bulling-
Schröter, Christine Ostrowski, weiterer Abgeord-
neter und der Fraktion der PDS
Bahnpreissystem für Fahrgäste attraktiv ge-
stalten
– Drucksachen 14/7768, 14/8557 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Karin Rehbock-Zureich




Dr. Heinrich Fink
24512


(C)



(D)



(A)



(B)


1) Anlage 12

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Verkehr, Bau- und
Wohnungswesen (15. Ausschuss) zu dem Antrag
der Abgeordneten Dr. Winfried Wolf, Eva Bulling-
Schröter, Heidi Lippmann, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der PDS
Interregio für die Regionen erhalten
– Drucksachen 14/4543, 14/8575 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Klaus Hasenfratz

c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Woh-
nungswesen (15. Ausschuss)

– zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Peter

Danckert, Siegfried Scheffler, Reinhard Weis

(Stendal), weiterer Abgeordneter und der

Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten
Albert Schmidt (Hitzhofen), Franziska
Eichstädt-Bohlig, Helmut Wilhelm (Amberg),
weiterer Abgeordneter und der Fraktion des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Option für eine Fernbahnanbindung des
Bahnhofs Berlin-Lichtenberg offen halten

– zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Winfried
Wolf, Gerhard Jüttemann, Rolf Kutzmutz, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion der PDS
Realisierung einer direkten Fernbahnver-
bindung zwischen den Bahnhöfen Berlin
Ostbahnhof und Berlin-Lichtenberg beim
Ausbau des Eisenbahnknotens Berlin

– Drucksachen 14/9270, 14/3783, 14/9403 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Peter Danckert
Renate Blank

d) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Winfried Wolf, Eva Bulling-Schröter, Rosel
Neuhäuser und der Fraktion der PDS
Innerdeutschen Luftverkehr auf die Bahn ver-
lagern
– Drucksache 14/9255 –

(f e)

neten Dr. Winfried Wolf, Eva Bulling-Schröter,
Wolfgang Bierstedt, weiteren Abgeordneten und
der Fraktion der PDS eingebrachten Entwurfs ei-
nes Gesetzes zur Aufhebung des Magnetschwe-
bebahnplanungsgesetzes
– Drucksache 14/8300 –

(Erste Beratung 224. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen

(15. Ausschuss)

– Drucksache 14/9345 –

Berichterstattung:
Abgeordneter Reinhard Weis (Stendal)


f) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Woh-
nungswesen (15. Ausschuss)

– zu dem Antrag der Abgeordneten Georg

Brunnhuber, Dirk Fischer (Hamburg),
Dr.-Ing. Dietmar Kansy, weiterer Abgeordne-
ter und der Fraktion der CDU/CSU
Mitwirkungsrechte des Deutschen Bundes-
tages bei Transrapid-Entscheidungen si-
chern

– zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Winfried
Wolf, Eva Bulling-Schröter, Wolfgang
Bierstedt, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der PDS
Keine Entscheidung über den Bau einer
Magnetschwebebahnstrecke in der Bun-
desrepublik Deutschland ohne Einstellung
der entsprechenden Bundesmittel in den
Bundeshaushalt

– Drucksachen 14/8590, 14/8296, 14/9345 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Reinhard Weis (Stendal)


ZP 23 Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Winfried Wolf, Dr. Ilja Seifert, Monika Balt,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der PDS
Erhalt der Bahnwerke – behindertengerechte
Umrüstung des Wagenparks der DB AG
– Drucksache 14/9365 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen

Hier haben die Abgeordneten Danckert, Brunnhuber,
Blank, Schmidt (Hitzhofen), Friedrich (Bayreuth) und
Wolf gebeten, die Reden zu Protokoll geben zu dürfen. –
Auch damit sind Sie, wie ich sehe, einverstanden.1)

Wir kommen also gleich zur Abstimmung über die Be-
schlussempfehlung des Ausschusses für Verkehr, Bau-
und Wohnungswesen auf Drucksache 14/8557 zu dem
Antrag der Fraktion der PDS mit dem Titel „Bahnpreis-
system für Fahrgäste attraktiv gestalten“. Der Ausschuss
empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/7768 abzuleh-
nen. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? – Gegen-
stimmen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung
ist gegen die Stimmen der PDS mit den Stimmen des übri-
gen Hauses angenommen worden.

Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Aus-
schusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen auf
Drucksache 14/8575 zu dem Antrag der Fraktion der PDS
mit dem Titel „Interregio für die Regionen erhalten“. Der
Ausschuss empfiehlt, den Antrag abzulehnen. Wer stimmt
für die Beschlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Ent-
haltungen? – Die Beschlussempfehlung ist gegen die




Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer

24513


(C)



(D)



(A)



(B)


1) Anlage 11

Stimmen der PDS mit den Stimmen des übrigen Hauses
angenommen worden.

Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Aus-
schusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen, Druck-
sache 14/9403. Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 1 sei-
ner Beschlussempfehlung die Annahme des Antrags der
Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen
mit dem Titel „Option für eine Fernbahnanbindung des
Bahnhofs Berlin-Lichtenberg offen halten“. Wer stimmt
für diese Beschlussempfehlung? – Gegenstimmen? –
Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist bei Enthal-
tung der PDS mit den Stimmen des übrigen Hauses ange-
nommen worden.

Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der
Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion der
PDS mit dem Titel „Realisierung einer direkten Fern-
bahnverbindung zwischen den Bahnhöfen Berlin Ost-
bahnhof und Berlin-Lichtenberg beim Ausbau des Eisen-
bahnknotens Berlin“. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltun-
gen? – Die Beschlussempfehlung ist gegen die Stimmen
der PDS mit den Stimmen des übrigen Hauses angenom-
men worden.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 14/9255 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie einverstan-
den? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so be-
schlossen.

Abstimmung über den von der Fraktion der PDS
eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Aufhebung
des Magnetschwebebahnplanungsgesetzes, Drucksa-
che 14/8300. Der Ausschuss für Verkehr, Bau- und Woh-
nungswesen empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschluss-
empfehlung, den Gesetzentwurf abzulehnen. Ich bitte
diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen,
um das Handzeichen. – Gegenstimmen? – Enthaltun-
gen? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung gegen

die Stimmen der PDS mit den Stimmen des übrigen Hau-
ses abgelehnt worden. Damit entfällt nach unserer Ge-
schäftsordnung die weitere Beratung.

Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Aus-
schusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen, Druck-
sache 14/9345. Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung
empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der
Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 14/8590 mit dem
Titel „Mitwirkungsrechte des Deutschen Bundestages bei
Transrapid-Entscheidungen sichern“. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Enthal-
tungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen
der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von
CDU/CSU, FDP und PDS angenommen.

Unter Nr. 3 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der
Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion der
PDS auf Drucksache 14/8296 mit dem Titel „Keine Ent-
scheidung über den Bau einer Magnetschwebebahn-
strecke in der Bundesrepublik Deutschland ohne Ein-
stellung der entsprechenden Bundesmittel in den
Bundeshaushalt“. Wer stimmt für diese Beschlussem-
pfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die Be-
schlussempfehlung ist mit den Stimmen von SPD, Bünd-
nis 90/Die Grünen, CDU/CSU und FDP gegen die
Stimmen der PDS angenommen.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 14/9365 an den Ausschuss für Verkehr, Bau-
und Wohnungswesen vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.

Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesord-
nung, die, wie wir alle wissen, sehr reichhaltig war.

Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes-
tages auf Mittwoch, den 26. Juni 2002, 13 Uhr, ein.

Die Sitzung ist geschlossen.