Protokoll:
14240

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 14

  • date_rangeSitzungsnummer: 240

  • date_rangeDatum: 7. Juni 2002

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:00 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 16:11 Uhr

  • account_circleMdBs dieser Rede
  • tocInhaltsverzeichnis
    Absetzung des Tagesordnungspunktes 25 . . . . 24063 C Tagesordnungspunkt 17: Zweite und dritte Beratung des von den Ab- geordneten Hermann Bachmaier, Wilhelm Schmidt (Salzgitter), Dr. Peter Struck und der Fraktion der SPD sowie den Abgeord- neten Gerald Häfner, Cem Özdemir, weite- ren Abgeordneten und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN ein- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung von Volksinitiative, Volks- begehren und Volksentscheid in das Grundgesetz (Drucksachen 14/8503, 14/9260) . . . . . . . 24017 A Hermann Bachmaier SPD . . . . . . . . . . . . . . . 24017 B Erwin Marschewski (Recklinghausen) CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24019 C Gerald Häfner BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 24021 D Dr. Max Stadler FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24024 C Roland Claus PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24025 D Dr. Herta Däubler-Gmelin, Bundesministerin BMJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24026 C Dr. Rupert Scholz CDU/CSU . . . . . . . . . . . . 24028 B Namentliche Abstimmung . . . . . . . . . . . . . . . . 24030 A Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24032 B Tagesordnungspunkt 18: Antrag der Abgeordneten Pia Maier, Monika Balt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der PDS: Einführung eines existenzsichernden gesetzlichen Min- destlohns (Drucksache 14/8921) . . . . . . . . . . . . . . . . 24030 B Pia Maier PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24030 B Anette Kramme SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24035 A Karl-Josef Laumann CDU/CSU . . . . . . . . . . 24037 A Ekin Deligöz BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 24039 B Dr. Heinrich L. Kolb FDP . . . . . . . . . . . . . . . 24040 D Renate Rennebach SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . 24042 C Dr. Heinrich L. Kolb FDP . . . . . . . . . . . . . . . 24045 C Renate Rennebach SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . 24046 B Peter Weiß (Emmendingen) CDU/CSU . . . . 24046 C Dr. Christa Luft PDS . . . . . . . . . . . . . . . . 24048 D Tagesordnungspunkt 19: a) Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses zu dem An- trag der Bundesregierung: Fortset- zung der deutschen Beteiligung an der internationalen Sicherheits- präsenz im Kosovo zur Gewährleis- tung eines sicheren Umfeldes für die Flüchtlingsrückkehr und zur mili- tärischen Absicherung der Friedens- regelung für das Kosovo auf der Grundlage der Resolution 1244 (1999) des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen vom 10. Juni 1999 und des Militärisch-Techni- schen Abkommens zwischen der Internationalen Sicherheitspräsenz (KFOR) und den Regierungen der Plenarprotokoll 14/240 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 240. Sitzung Berlin, Freitag, den 7. Juni 2002 I n h a l t : Bundesrepublik Jugoslawien und der Republik Serbien vom 9. Juni 1999 (Drucksachen 14/8991, 14/9248, 14/9253) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24049 C b) Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses zu dem An- trag der Fraktion der PDS: Bundes- wehreinsätze beenden – Politische Lösungen auf dem Balkan durch UNO und OSZE durchsetzen (Drucksachen 14/5964, 14/6194) . . . . . 24050 A Uta Titze-Stecher SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . 24050 A Reinhard Freiherr von Schorlemer CDU/CSU 24051 D Dr. Helmut Lippelt BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24053 B Walter Hirche FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24054 C Wolfgang Gehrcke PDS . . . . . . . . . . . . . . . . 24056 A Rudolf Scharping, Bundesminister BMVg . . . 24057 A Ursula Lietz CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . 24058 C Joseph Fischer, Bundesminister AA . . . . . . . . 24059 D Namentliche Abstimmung . . . . . . . . . . . . . . . . 24060 C Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24063 C Tagesordnungspunkt 20: Antrag der Abgeordneten Ulf Fink, Wolfgang Lohmann (Lüdenscheid), wei- terer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Prävention umfassend stärken (Drucksache 14/9085) . . . . . . . . . . . . . . . . 24060 D Zusatztagesordnungspunkt 17: Antrag der Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Stär- kung von Prävention und Gesundheits- förderung (Drucksache 14/9224) . . . . . . . . . . . . . . . . 24060 D Ulf Fink CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24061 A Klaus Kirschner SPD . . . . . . . . . . . . . . . . 24061 B Wolfgang Lohmann (Lüdenscheid) CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24061 D Eike Maria Hovermann SPD . . . . . . . . . . . . . 24065 B Detlef Parr FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24068 C Katrin Göring-Eckardt BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24069 C Dr. Ruth Fuchs PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24070 C Dr. Sabine Bergmann-Pohl CDU/CSU 24071 B Tagesordnungspunkt 21: – Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Alfred Hartenbach, Joachim Stünker, weiteren Abgeordne- ten und der Fraktion der SPD sowie den Abgeordneten Volker Beck (Köln), Hans-Christian Ströbele, weiteren Ab- geordneten und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN ein- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung (Drucksachen 14/8586, 14/9264) . . . . . 24072 A – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Einführung der vorbehaltenen Sicherungsver- wahrung (Drucksachen 14/9041, 14/9264) . . . . . 24072 A Joachim Stünker SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24072 B Dr. Jürgen Gehb CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . 24073 B Volker Beck (Köln) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24075 A Dr. Jürgen Gehb CDU/CSU . . . . . . . . . . . 24076 A Jörg van Essen FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24076 C Alfred Hartenbach SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . 24077 B Dr. Evelyn Kenzler PDS . . . . . . . . . . . . . . . . 24077 C Dr. Eckhart Pick, Parl. Staatssekretär BMJ . . . 24078 B Tagesordnungspunkt 22: a) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen – zu dem Antrag der Abgeordneten Annette Faße, Reinhard Weis (Sten- dal), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Ab- geordneten Albert Schmidt (Hitz- hofen), Helmut Wilhelm (Amberg), weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN: Für einen sanften Ausbau der Donau zwischen Straubing und Vilshofen – zu dem Antrag der Abgeordneten Renate Blank, Dirk Fischer (Ham- burg), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Ver- besserung der Schifffahrtsver- hältnisse im Donauabschnitt zwi- schen Straubing und Vilshofen – zu dem Antrag der Abgeordneten Hans-Michael Goldmann, Horst Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Freitag, den 7. Juni 2002II Friedrich (Bayreuth), weiterer Ab- geordenter und der Fraktion der FDP: Ausbau derDonau zwischen Straubing und Vilshofen – zu dem Antrag der Abgeordneten Eva Bulling-Schröter, Dr. Winfried Wolf, Uwe Hiksch und der Fraktion der PDS: Ausbau der Donau zwi- schen Straubing und Vilshofen ökologisch gestalten (Drucksachen 14/8589, 14/8484, 14/8497, 14/7196, 14/9251) . . . . . . . . 24079 D b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Michael Meister, Dirk Fischer (Hamburg), weiterer Ab- geordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Notwendigkeit des Saale- ausbaus (Drucksachen 14/8485, 14/9247) . . . . 24080 A Angelika Mertens, Parl. Staatssekretärin BMVBW . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24080 B Renate Blank CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . 24081 C Albert Schmidt (Hitzhofen) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24083 B Hans-Michael Goldmann FDP . . . . . . . . . . . 24084 C Steffi Lemke BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 24085 D Hans-Michael Goldmann FDP . . . . . . . . . . . 24086 B Eva Bulling-Schröter PDS . . . . . . . . . . . . . . 24086 D Annette Faße SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24087 C Bartholomäus Kalb CDU/CSU . . . . . . . . . . . 24089 A Brunhilde Irber SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24090 C Tagesordnungspunkt 23: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Rechts derVertretung durch Rechtsanwälte vor den Oberlandesgerichten (Drucksachen 14/8763, 14/9266) . . . . . . . 24091 D Dr. Eckhart Pick, Parl. Staatssekretär BMJ 24092 A Dr. Norbert Röttgen CDU/CSU . . . . . . . . . . 24093 A Volker Beck (Köln) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24095 A Rainer Funke FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24096 A Christine Ostrowski PDS . . . . . . . . . . . . . . . 24096 D Alfred Hartenbach SPD . . . . . . . . . . . . . . . . 24097 C Tagesordnungspunkt 24: a) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Rainer Brüderle, Dr. Hermann Otto Solms, weiteren Ab- geordneten und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Umsatzsteuer- gesetzes (Drucksachen 14/5331, 14/8314) . . . . 24098 D b) Antrag der Abgeordneten Dr. Hermann Otto Solms, Carl-Ludwig Thiele, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Steuerrecht vereinfachen – ille- gale Betätigung im Baugewerbe sinnvoll bekämpfen (Drucksache 14/7541) . . . . . . . . . . . . . 24099 A Tagesordnungspunkt 26: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Wirtschaftsplans des ERP-Sondervermö- gens für das Jahr 2003 (ERP-Wirtschafts- plangesetz 2003) (Drucksachen 14/8985, 14/9250) . . . . . . . 24099 B Tagesordnungspunkt 27: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung der Gewerbeordnung und sonstiger gewer- berechtlicher Vorschriften (Drucksachen 14/8796, 14/9254) . . . . . . . 24099 D Tagesordnungspunkt 28: Zweite und dritte Beratung des vom Bun- desrat eingebrachten Entwurfs eines Ge- setzes zur Änderung tierarzneimittel- rechtlicher Vorschriften (Drucksachen 14/8613, 14/9252) . . . . . . . 24100 A Tagesordnungspunkt 29: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Mineralölsteuergesetzes (Drucksachen 14/8711, 14/9265) . . . . . . . 24100 B Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24100 D Berichtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24100 D Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Freitag, den 7. Juni 2002 III Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . . 24101 A Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Dirk Niebel (FDP) zur Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Einführung von Volksinitiative, Volksbegehren und Volksent- scheid in das Grundgesetz (Tagesordnungs- punkt 17) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24102 B Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Amke Dietert-Scheuer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur namentlichen Abstimmung über den Antrag der Bundesregierung: Fortset- zung der deutschen Beteiligung an der inter- nationalen Sicherheitspräsenz im Kosovo zur Gewährleistung eines sicheren Umfeldes für die Flüchtlingsrückkehr und zur militärischen Absicherung der Friedensregelung für das Kosovo auf der Grundlage der Resolution 1244 (1999) des Sicherheitsrats der Vereinten Natio- nen vom 10. Juni 1999 und des Militärisch- Technischen Abkommens zwischen der Inter- nationalen Sicherheitspräsenz (KFOR) und den Regierungen der Bundesrepublik Jugo- slawien und der Republik Serbien vom 9. Juni 1999 (Tagesordnungspunkt 19 a) . . . . . . . . . . 24102 C Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – Gesetzentwurf: Änderung des Umsatz- steuergesetzes – Antrag: Steuerrecht vereinfachen – illegale Beschäftigung im Baugewerbe sinnvoll bekämpfen (Tagesordnungspunkt 24 a und b) . . . . . . . . . . 24102 C Dieter Grasedieck SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . 24102 D Jochen-Konrad Fromme CDU/CSU . . . . . . . 24103 C Christine Scheel BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 24107 A Gerhard Schüßler FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . 24107 C Heidemarie Ehlert PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . 24108 A Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Wirtschaftsplans des ERP-Sondervermö- gens für das Jahr 2003 (ERP-Wirtschaftsplan- gesetz 2003) (Tagesordnungspunkt 26) . . . . . . 24108 C Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk SPD . . . . . . . . . . 24108 D Otto Bernhardt CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 24110 C Hans-Josef Fell BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 24111 D Gudrun Kopp FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24112 C Rolf Kutzmutz PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24113 A Margareta Wolf, Parl. Staatssekretärin BMWi 24113 C Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung der Gewerbeordnung und sonstiger gewer- berechtlicher Vorschriften (Tagesordnungs- punkt 27) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24114 B Christian Lange (Backnang) SPD . . . . . . . . . 24114 B Hartmut Schauerte CDU/CSU . . . . . . . . . . . 24115 B Gudrun Kopp FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24116 B Rolf Kutzmutz PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24116 C Margareta Wolf, Parl. Staatssekretärin BMWi 24117 A Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurf eines Gesetzes zur Änderung tierarz- neimittelrechtlicher Vorschriften (Tagesord- nungspunkt 28) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24118 A Jella Teuchner SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24118 A Helmut Lamp CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . 24119 A Ulrike Höfken BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 24119 D Marita Sehn FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24120 C Kersten Naumann PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . 24121 B Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Mineralölsteuergesetzes (Tagesordnungs- punkt 29) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24121 D Reinhard Schultz (Everswinkel) SPD . . . . . . 24121 D Norbert Schindler CDU/CSU . . . . . . . . . . . . 24123 A Dr. Reinhard Loske BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24124 C Gerhard Schüßler FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . 24125 A Dr. Barbara Höll PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24125 B Anlage 9 Amtliche Mitteilungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24126 B Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Freitag, den 7. Juni 2002IV Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Freitag, den 7. Juni 2002
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    Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Freitag, den 7. Juni 2002 Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer 24100 (C) (D) (A) (B) 1) Anlage 7 2) Anlage 8 Berichtigung 239. Sitzung, Seite 23965 (D), Zweiter Absatz, der erste Satz ist wie folgt zu lesen: „Das, was wir bei dieser Minis- tererlaubnis gehört haben, ist schon abenteuerlich:“ Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Freitag, den 7. Juni 2002 24101 (C) (D) (A) (B) Altmaier, Peter CDU/CSU 07.06.2002 Dr. Bauer, Wolf CDU/CSU 07.06.2002 Beck (Bremen), BÜNDNIS 90/ 07.06.2002 Marieluise DIE GRÜNEN Bettin, Grietje BÜNDNIS 90/ 07.06.2002 DIE GRÜNEN Bierling, Hans-Dirk CDU/CSU 07.06.2002 Dr. Bötsch, Wolfgang CDU/CSU 07.06.2002 Bohl, Friedrich CDU/CSU 07.06.2002 Bonitz, Sylvia CDU/CSU 07.06.2002 Borchert, Jochen CDU/CSU 07.06.2002 Brudlewsky, Monika CDU/CSU 07.06.2002 Brunnhuber, Georg CDU/CSU 07.06.2002 Eppelmann, Rainer CDU/CSU 07.06.2002 Erler, Gernot SPD 07.06.2002 Flach, Ulrike FDP 07.06.2002 Francke, Klaus CDU/CSU 07.06.2002 Frick, Gisela FDP 07.06.2002 Friedrich (Altenburg), SPD 07.06.2002 Peter Dr. Geißler, Heiner CDU/CSU 07.06.2002 Glos, Michael CDU/CSU 07.06.2002 Göllner, Uwe SPD 07.06.2002 Dr. Grygier, Bärbel PDS 07.06.2002 Hampel, Manfred SPD 07.06.2002 Hauser (Rednitzhem- CDU/CSU 07.06.2002 bach), Hansgeorg Dr. Hendricks, Barbara SPD 07.06.2002 Hoffmann (Wismar), SPD 07.06.2002 Iris Homburger, Birgit FDP 07.06.2002 Dr. Hoyer, Werner FDP 07.06.2002 Irmer, Ulrich FDP 07.06.2002 Jüttemann, Gerhard PDS 07.06.2002 Jung (Düsseldorf), SPD 07.06.2002 Volker Kampeter, Steffen CDU/CSU 07.06.2002 Kauder, Volker CDU/CSU 07.06.2002 Dr. Kohl, Helmut CDU/CSU 07.06.2002 Kossendey, Thomas CDU/CSU 07.06.2002 Dr. Krogmann, Martina CDU/CSU 07.06.2002 Kühn-Mengel, Helga SPD 07.06.2002 Labsch, Werner SPD 07.06.2002 Dr. Lamers CDU/CSU 07.06.2002 (Heidelberg), Karl A. Leidinger, Robert SPD 07.06.2002 Dr. Leonhard, Elke SPD 07.06.2002 Lintner, Eduard CDU/CSU 07.06.2002* Maaß (Wilhelms- CDU/CSU 07.06.2002 haven), Erich Merten, Ulrike SPD 07.06.2002 Dr. Meyer (Ulm), SPD 07.06.2002 Jürgen Neuhäuser, Rosel PDS 07.06.2002 Neumann (Bremen), CDU/CSU 07.06.2002 Bernd Neumann (Gotha), SPD 07.06.2002 Gerhard Nolte, Claudia CDU/CSU 07.06.2002 Palis, Kurt SPD 07.06.2002** Raidel, Hans CDU/CSU 07.06.2002*** Rauber, Helmut CDU/CSU 07.06.2002 Rauen, Peter CDU/CSU 07.06.2002 Ronsöhr, CDU/CSU 07.06.2002 Heinrich-Wilhelm Roos, Gudrun SPD 07.06.2002 Schily, Otto SPD 07.06.2002 Schlee, Dietmar CDU/CSU 07.06.2002 Schmitz (Baesweiler), CDU/CSU 07.06.2002** Hans Peter entschuldigt bis Abgeordnete(r) einschließlich entschuldigt bis Abgeordnete(r) einschließlich Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Anlagen zum Stenographischen Bericht von Schmude, Michael CDU/CSU 07.06.2002** Schröder, Gerhard SPD 07.06.2002 Schuhmann SPD 07.06.2002 (Delitzsch), Richard Seehofer, Horst CDU/CSU 07.06.2002 Dr. Freiherr von CDU/CSU 07.06.2002 Stetten, Wolfgang Dr. Süssmuth, Rita CDU/CSU 07.06.2002*** Thiele, Carl-Ludwig FDP 07.06.2002 Dr. Thomae, Dieter FDP 07.06.2002 Trittin, Jürgen BÜNDNIS 90/ 07.06.2002 DIE GRÜNEN Dr. Volmer, Ludger BÜNDNIS 90/ 07.06.2002 DIE GRÜNEN Wagner, Hans Georg SPD 07.06.2002 Wettig-Danielmeier, SPD 07.06.2002 Inge Wöhrl, Dagmar CDU/CSU 07.06.2002 Wolf, Aribert CDU/CSU 07.06.2002 Zierer, Benno CDU/CSU 07.06.2002** * für die Teilnahme an den Sitzungen der Parlamentarischen Ver- sammlung des Europarates ** für die Teilnahme an den Sitzungen der Westeuropäischen Union *** für die Teilnahme an den Sitzungen der Parlamentarischen Ver- sammlung der OSZE Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Dirk Niebel (FDP) zur Ab- stimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Einführung von Volksinitiative, Volksbegehren und Volksentscheid in das Grundgesetz (Tages- ordnungspunkt 17) Ich hätte dem Gesetz gern zugestimmt, weil ich eine Stärkung der plebiszitären Elemente für notwendig halte. Insbesondere das Instrument der Volksinitiative ist geeignet, Bürgerbeteiligung in einer repräsentativen De- mokratie zu erhöhen. Politik muss für Bürgerinnen und Bürger transparent sein und ihre Beteiligung darf sich nicht auf die Abgabe des Wahlzettels alle vier Jahre be- schränken. Aber die vorgesehene Ausgestaltung, dass bei einer Wahlbeteiligung von vielleicht 40 Prozent aller Bürgerinnen und Bürger nur 27 Prozent aller Wahlbe- rechtigten, nämlich zwei Drittel von 40 Prozent, eine Grundgesetzänderung herbeiführen könnten, ohne dass sie dafür Verantwortung übernehmen müssen und kön- nen, halte ich für nicht tragbar. Deshalb muss ich dieses Gesetz ablehnen. Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Amke Dietert-Scheuer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur namentlichen Abstimmung über den Antrag der Bundesregie- rung: Fortsetzung der deutschen Beteiligung an der internationalen Sicherheitspräsenz im Ko- sovo zur Gewährleistung eines sicheren Umfel- des für die Flüchtlingsrückkehr und zur mi- litärischen Absicherung der Friedensregelung für das Kosovo auf der Grundlage der Resolu- tion 1244 (1999) des Sicherheitsrats der Verein- ten Nationen vom 10. Juni 1999 und des Mi- litärisch-Technischen Abkommens zwischen der Internationalen Sicherheitspräsenz (KFOR) und den Regierungen der Bundesrepublik Jugo- slawien und der Republik Serbien vom 9. Juni 1999 (Tagesordnungspunkt 19 a) Ich stimme der Verlängerung des KFOR-Mandats zu, da angesichts der Situation im Kosovo derzeit ein Abzug nicht zu verantworten wäre. Ich möchte aber zum Aus- druck bringen, dass ich den Kriegseinsatz gegen Serbien und im Kosovo im Jahre 1999 nach wie vor für falsch halte und meine jetzige Zustimmung zu der Mandatsver- längerung keine Änderung dieser Einschätzung bedeutet. Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – Gesetzentwurf: Änderung des Umsatzsteuer- gesetzes – Antrag: Steuerrecht vereinfachen – illegale Beschäftigung im Baugewerbe sinnvoll be- kämpfen (Tagesordnungspunkt 24 a und b) Dieter Grasedieck (SPD): Die FDP besteht aus vie- len Bewerbern für die Kompetenzmannschaft. Als Be- werber müssen Sie sich bewähren. Sie müssen Fehler schnell erfassen und korrigieren. Schon bei der ersten Prü- fung haben Sie versagt. Sie hätten sonst die Argumente im Finanzausschuss und im Plenum zu Ihrem Antrag berück- sichtigt. Sie wollten durch Ihren Antrag eigentlich die Bürokra- tie der Betriebe reduzieren. Nur, die Betriebe empfinden die Berechnung der Umsatzsteuern nicht belastend. Die Betriebe beklagen, dass sie die Lohn-, Einkommen- und Körperschaftsteuer und die Sozialversicherungsbeiträge berechnen müssen. Deshalb will das Wirtschaftsministe- rium die bürokratischen Abläufe vereinfachen. Erste Vor- schläge werden umgesetzt; jede Firma erhält zum Bei- spiel nur eine Wirtschaftsnummer für alle Verfahren. Von Umsatzsteuern war bei den Betriebsumfragen keine Rede, weil die Erstellung der Voranmeldung über die EDVals Ergebnis der Buchhaltung erfolgt. Es ist praktisch Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Freitag, den 7. Juni 200224102 (C) (D) (A) (B) ein Abfallprodukt. Nun, die monatliche Anmeldung auf umsatzstärkere Unternehmen hat sich bewährt. CDU/CSU und FDP haben diese Regelung im Übrigen 1996 einge- führt. Wenn Sie sich informiert hätten, wüssten Sie, dass in der Finanzverwaltung die elektronische Datenübermittlung zwischen dem Steuerpflichtigen und dem Steuerberater fast üblich ist. Durch die Steueranmeldungs-Datenübermitt- lungsverordnung („STADÜV“) können die Betriebe die Daten dem Finanzamt elektronisch übermitteln. Die Tech- nologien haben sich doch weiterentwickelt. Der Stand der EDV von 1996 ist mit 2002 nicht mehr vergleichbar. Was 1996, mit Ihrem Segen, richtig war, ist 2002 erforderlich. Die FDP erleichtert durch ihren Antrag den Betrügern die Arbeit. Das wollen wir nicht. Der Finanzausschuss will hingegen die Steuerhinterziehung bei der Umsatz- steuer eindämmen. So wird diskutiert, dass Unterneh- mensgründer im Gründerjahr und im ersten Folgejahr un- abhängig von den erzielten Umsätzen ihre Voranmeldung monatlich abgeben. Die Finanzämter können dadurch schneller kriminelle Scheinfirmen aufdecken. Das will der Ausschuss, weil die Scheinfirmen bei Karussellbe- trugsgeschäften nur kurze Zeit existieren. Zwei Monate bedeuten einen enormen Informationsvorsprung. Es feh- len dem Bundeshaushalt, so schätzen Experten, durch den Umsatzsteuerbetrug 10 Milliarden Euro. Gerade in Grenzregionen ist deshalb der unbürokratische Informati- onsaustausch mit den Finanzämtern der Nachbarländer nötig. Der zeitraubende Weg zum Bundesamt für Finan- zen muss in Europa im 21. Jahrhundert der Geschichte an- gehören. Ein weiteres wichtiges Argument spricht gegen den FDP-Antrag: Existenzgründer haben bei Investitionen häufig Liquiditätsprobleme. Durch Ihren Antrag bekom- men diese Firmen die Vorsteuerüberhänge zwei bis drei Monate später. Existenzgründer warnen, sie benötigen gerade in den ersten zwei bis drei Jahren jeden Euro. Der Zeitraum zur Abgabe der Umsatzsteuervoranmeldung darf nicht ver- längert werden. So investiert ein Jungunternehmer im Ja- nuar für eine CNC-Fräsmaschine netto 100 000 Euro. Ins- gesamt muss er mit Umsatzsteuer 116 000 Euro an den Lieferanten bezahlen. 16 000 Euro Umsatzsteuer bekommt der Unternehmer nach der bisherigen Gesetzgebung Anfang Februar erstat- tet – nach Ihrem Vorschlag erst zwei bis drei Monate spä- ter. Unsere Koalition will Jungunternehmer fördern statt bremsen. Ihr Gesetzesvorschlag ist unternehmerfeindlich. Jetzt sagen Sie, die Unternehmer können zwischen ein und drei Monaten frei entscheiden. Durch weitere Aus- nahmeregelungen bauen Sie keine Bürokratie ab. Da Sie keinen Gesetzesrahmen schaffen, könnte der Verdacht aufkommen, dass Sie eigentlich nur die Größtunterneh- mer fördern wollen. Die Größtunternehmer wären die wirklichen Gewinner. Sie sagten in Ihrer Rede am 6. Juli 2001: „Was die Hand- und Spanndienste im Mittelalter waren, sind heute die Bürokratiedienste des Mittelstandes für den Staat.“ Dazu kann ich nur sagen: Politik ist mehr als Karneval. Weil Politik mehr als Karneval ist, lehnen wir derartige unternehmerfeindliche Gesetze ab. Wir fördern hingegen junge Unternehmer. 1 000 Jungunternehmer werden mit 0,65 Milliarden Euro vom Bund unterstützt. Das Land NRW und der EU-Stukturfonds fördern mit 2 Milliarden Euro 17 000 Unternehmensgründungen. 200 000 neue moderne Arbeitsplätze wurden so einge- richtet. In meinem Wahlkreis sind so 2 650 Arbeitsplätze geschaffen worden. Fördern statt bremsen ist angesagt. Deshalb lehnen wir Ihren Antrag ab. Jochen-Konrad Fromme (CDU/CSU): Das Thema Verwaltungsvereinfachung und Entlastung der Wirtschaft von unnötiger Bürokratie ist ein wichtiger Bereich der Wirtschaftsförderung. Gerade im Laufe der letzten Wahl- periode hat es hier Auswüchse gegeben, die die Vorzeit bei weitem übertreffen. Bürokratieabbau muss ein ständi- ger Kampf sein und ist immer und zu jeder Zeit notwen- dig. In 50 Jahren Bundesrepublik Deutschland haben wir unser Staatswesen immer stärker perfektioniert und für immer mehr Bürokratie gesorgt. Natürlich ist die Bundes- republik Deutschland von heute mit einer hochkompli- zierten Wirtschaft und einer großen Bevölkerungsdichte nicht mehr mit der Bundesrepublik von 1950 zu verglei- chen. Wir brauchen sicherlich heute zur Regelung der In- teressenskonflikte, die sich nicht von alleine regeln, mehr staatlichen Aufwand. Allerdings sind wir in vielen Berei- chen über das Ziel hinausgeschossen. Insbesondere dort, wo sich mehrere Behörden mit der gleichen Problematik befassen, ist dringender Handlungsbedarf gegeben. Wenn hier nachhaltig Erfolge erzielt werden könnten, wäre das ein großer Beitrag zur Senkung der Staatsquote. Unser Ziel „Dreimal unter 40“ ist ehrgeizig, aber erreich- bar und erst recht notwendig, um die Wirtschaft wieder stärker in Gang zu bringen. Wer die Staatsquote senken will, muss die Staatstätigkeit verringern. Das ist für beide Beteiligte gut, einerseits für den Staat, weil er Aufwand spart, und andererseits für die Bürger, weil sie sich besser entwickeln können. Das gilt auch für die Wirtschaft. Die Reduzierung der Staatstätigkeit soll sich zunächst einmal auf die Bereiche beschränken, in denen Doppelarbeit in- nerhalb der Gesellschaft geleistet wird oder wo inner- staatliche Akte reduziert werden können, ohne dass die Außenleistung gegenüber dem Bürger weniger werden muss. Dafür gibt es viele Beispiele. Alle Bundesländer haben Ende der 60er- und Anfang der 70er-Jahre Gebiets- und Verwaltungsreformen durch- geführt. Sinn dieser Maßnahmen war es, die Gebietskör- perschaften so groß zu gestalten, dass ihre Verwaltungs- kraft ausreicht, um Fachpersonal zu beschäftigen. Wir wollten weg von dem „Feierabendbürgermeister“ auf dem Sofa, hin zu mehr Professionalität, weil die Probleme größer geworden waren und der Staat vom überwachen- den Staat zum planenden und vorsorgenden Staat gewor- den war. Die Gebietsreform ist in den alten Bundeslän- dern durchgeführt. Die Kommunen haben sich mit Fachpersonal bestückt. Allerdings ist die Entwicklung meistens an dieser Stelle stehen geblieben. Der Abbau von Aufsicht und insbesondere auch Fachaufsicht, die zur Un- terstützung der „Feierabendbürgermeister“ notwendig war, erfolgte weitgehend nicht. Ganz im Gegenteil: Wir Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Freitag, den 7. Juni 2002 24103 (C) (D) (A) (B) haben die Verwaltung insbesondere im Bereich der Fach- aufsicht und des Fachpersonals verstärkt. Hier ist eine Umkehr erforderlich. Die Christlich Demokratische Union hat mit dem Konzept „Schlanker Staat – starker Bürger“ im Jahre 2001 hier erhebliche Vorarbeit geleistet und viele Möglichkeiten aufgezeigt. Der FDP-Antrag zur Änderung des Umsatzsteuer- gesetzes gehört in diese Kategorie. Es geht um die Frage, in welchen Zeitabständen der Bürger seine Steuern an den Staat erklären und abführen muss. Bei der Umsatzsteuer haben wir im Prinzip die Quartalseinteilung. Nur wer mo- natlich auf eine Zahllast von mehr als 6 136 Euro kommt, muss monatlich melden und abführen. Der Fiskus ist da- ran interessiert, die Abführungszeiträume möglichst kurz zu gestalten, damit er über die notwendigen liquiden Mit- tel verfügt, um die laufenden Staatsausgaben zu finanzie- ren. Je später das Geld eintrifft, umso größer ist der Zins- ausfall. Allerdings muss man sich immer darüber im Klaren sein, worüber man redet. Hier geht es um die Frage, ob bei einer Zahllast von über 6 136 Euro der Steu- erpflichtige monatlich oder quartalsweise melden und ab- führen muss. Geht man von 6136 Euro und von 5 Prozent Zinsen aus, dann geht die Steuer aus dem ersten Monat 60 Tage später und im zweiten Monat 30 Tage später an das Finanzamt. Der Zinsvorteil beträgt für die 60 Tage circa 51 Euro und für die 30 Tage etwa 26 Euro. Nun muss abgewogen werden, wie hoch der Verwaltungsaufwand für eine dreimalige Abführung gegenüber einer einmali- gen Abführung im Quartal ist und wie hoch der Zinsver- lust ist. Der Zinsverlust beträgt maximal 77 Euro. Für die- sen Betrag kann man nur geringe Verwaltungsleistungen erbringen. Das Finanzamt ist verpflichtet, bei jedem Steu- erpflichtigen zu prüfen, ob er seine Steuererklärung recht- zeitig abgibt und die entsprechenden Zahlungen leistet. Das heißt, wir reden darüber, ob innerhalb eines Quartals dreimal die Akte gezogen und überprüft werden muss, ob die Meldung und die Zahlung eingegangen sind. Ange- sichts des Zinsvorteils von 77 Euro bei 6 135 Euro ist fis- kalisch sicherlich die monatliche Meldefrist in den unte- ren Bereichen für den Fiskus teurer als die quartalsweise. Der Zinsaufwand liegt unter dem Aufwand für die Ver- waltung. Mit höheren Steuerlasten kann sich das natürlich ändern. Angesichts des geringen Zinsverlustes ist der Vierjahreszeitraum mit weniger Aufwand für die Betriebe und weniger Aufwand für den Fiskus zu befürworten. Die Union wird deshalb dem Gesetzentwurf der FDP aus der Drucksache 14/3531 in der Fassung des Ausschusses zu- stimmen. Nun zu dem zweiten Antrag, mit dem die Bauabzug- steuer in der jetzigen Form aufgehoben werden soll. Die Bundesregierung soll dazu aufgefordert werden, prakti- kable und zweckdienliche Vorschläge zur Bekämpfung der illegalen Betätigung im Baugewerbe zu machen. Lassen Sie mich vorweg deutlich machen, dass wir jeg- lichen Steuermissbrauch und jegliche Steuerhinterzie- hung energisch bekämpfen. Allerdings müssen die Mittel, die eingesetzt werden, auch geeignet sein, das entspre- chende Ziel zu erreichen. Da hapert es in letzter Zeit doch häufig. So mussten wir am Mittwoch im Finanzausschuss gerade erst erlassene Gesetze, wie die Bankenaufsicht und das Bundesbankengesetz, schon wieder nachbessern, weil die Beratung offensichtlich nicht sorgfältig genug ausge- fallen ist. Die Gesetze wurden durchgepeitscht, ohne dass entsprechende Anhörungen im angemessenen Zeitrahmen stattfinden und ohne dass ausreichend darüber diskutiert wurde. Ich nenne hier nur das Beispiel der Verlustver- rechnung, das 630-DM-Gesetz und auch die Bauabzug- steuer. Die Bauabzugsteuer war von Anfang an umstritten. Uns kamen von der ersten Minute an erhebliche Beden- ken, ob der Weg richtig sei, zur notwendigen Bekämpfung von schwarzen Schafen die gutwilligen und ordentlich Arbeitenden mit Bescheinigungsverfahren zu überziehen. Ich will es noch einmal deutlich machen: Jeder, der or- dentlich arbeitet und sich nichts zuschulden kommen lässt, wird von den Bekämpfungsmaßnahmen insofern er- fasst, als er sich eine Bescheinigung ausstellen lassen muss. Außerdem sind Auftraggeber verpflichtet zu prü- fen, ob der Auftragnehmer eine Bescheinigung hat. Das heißt also, zur Herausfilterung von schwarzen Schafen wird jeder ordentlich Arbeitende zur zusätzlichen Büro- kratie verdonnert. Es gab von Anfang Zweifel, ob wirk- lich die schwarzen Schafe auf diesem Wege erfasst wer- den können. Da es sich um einen Antrag der Länder handelte und die Verbände der Bauwirtschaft dieses Verfahren wollten, haben wir uns im wahrsten Sinne des Wortes breitschla- gen lassen und unsere Bedenken beiseite geschoben. Ich jedenfalls habe mich schon nach kurzer Zeit sehr über mich selbst geärgert, dass ich nicht meiner ursprünglichen Intention gefolgt bin, weil der Ärger los ging. Das fing schon damit an, dass die meisten Betroffenen überhaupt nicht mitbekommen haben, dass es sich um eine Forde- rung ihrer eigenen Verbände handelte. Sie haben der Po- litik all dies angelastet. Außerdem bestand die große Gefahr, dass sich die Fi- nanzverwaltung diesem Instrument zur Erleichterung des Steuervollzuges auch in solchen Bereichen bedienen würde, in denen der Fiskus den Vollzugsaufwand und das Vollzugsrisiko tragen muss. Es kann nicht angehen, dass beides immer stärker auf die Wirtschaft verlagert wird. Erst als dann viel zu spät die sehr komplizierten Aus- fuhrbestimmungen kamen, ließ die Unruhe bei den Be- troffenen etwas nach. Dabei hat die Bundesregierung den Fehler gemacht, dass bereits vor den Sommerferien in Kraft getretene Gesetz erst durch Anwendungsbestim- mungen vom 1. November 2001 zu konkretisieren. Prak- tisch sechs Monate blieben die Betroffenen im Ungewis- sen, in welcher Art und Weise sie von den Dingen berührt und beeinträchtigt werden. Das hat Spekulationen Tür und Tor geöffnet und eine große Verunsicherung geschaf- fen. Das zeigt im Übrigen auch, dass das Gesetz inhaltlich problematisch ist, wenn eine solche Unruhe entstehen konnte, die erst durch eine Eingrenzung im Wege des Er- lasses wieder eingegrenzt werden musste. Bei dieser Gelegenheit möchte ich daran erinnern, dass der vom Finanzausschuss geforderte Bericht der Bundes- regierung über die praktischen Auswirkungen, der von mir mit Schreiben vom 7. November 2001 an die Vorsit- zende des Finanzausschusses gefordert worden ist und der Gegenstand verschiedentlicher Debatten im Ausschuss Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Freitag, den 7. Juni 200224104 (C) (D) (A) (B) war, noch aussteht. Wir wollten insbesondere wissen, in welchem Umfang und aus welchen Gründen Bescheini- gungen versagt worden sind und in welchem Umfang Be- scheinigungen ausgestellt worden sind. Der entsprechende Bericht ist zugesagt, aber noch nicht gegeben. Von großem Interesse wird sein, das Verhältnis von Aufwand und Ertrag festzustellen. Insbesondere aber gilt es festzustellen, aus welchen Gründen Bescheinigun- gen versagt worden sind. Wir sahen von Anfang an die große Gefahr, dass sich die Steuerverwaltung dieses In- strument zu Eigen machen würde und damit auch Pro- bleme benutzt, die mit der eigentlichen Steuerverkürzung durch Unternehmen, die ihre Steuerpflicht nicht erfüllen, nichts zu tun haben: nicht rechtzeitige Abgabe von Steue- rerklärungen, geringfügige Fristverzögerung usw. Auch bei der Bauabzugsteuer muss man, wie bei der Frage der Festlegung der Zeiträume für Umsatzsteuer- erklärungen, den ökonomischen Sinn von Zusatzregelun- gen untersuchen und infrage stellen. Es muss abgewogen werden, welcher Aufwand bei der Finanzverwaltung und bei den Betrieben entsteht. Dieser muss dem zusätzlichen Ertrag an Steuern gegenübergestellt werden und erst wenn sich hier eine vernünftige Kosten-Nutzen-Relation ergibt, ist das Verfahren sinnvoll. Deshalb würde mich schon die Frage interessieren: Wie viele Finanzbeamte sind mit dem Ausstellen der entsprechenden Bescheinigungen beschäf- tigt? Da keine zusätzlichen Planstellen bewilligt wurden, werden sie anderen Steuervollzugsbereichen entzogen. Wäre es nicht wichtiger, sich auf die inhaltliche Bearbei- tung und Bekämpfung des Umsatzsteuermissbrauches zu konzentrieren? Hier werden ja angeblich Steuerhinterzie- hungen in Milliardenhöhe vorgenommen. Bei der Um- satzsteuer scheint mir der Computer das einzige Kontroll- mittel zu sein, ohne dass anhand von den wenigen Verdächtigungsmerkmalen, die den Umsatzsteuermiss- brauch kennzeichnen, die Vorgänge ausgeworfen und ei- ner inhaltlichen Überprüfung durch Beamte unterworfen werden. Wenn ich aber zig Tausende von Beamten mit sinnlosen Freistellungsbescheinigungen beschäftige, dann brauche ich mich nicht zu wundern, wenn ich das Personal für die eigentlich wichtige Arbeit nicht mehr habe. Auch diese Frage müsste einmal beantwortet werden. Die Tatsache, dass der im Finanzausschuss vereinbarte Bericht zu diesem Komplex nicht gegeben worden ist, scheint mir Bände zu sprechen. Hat man etwas zu verber- gen oder warum kommt der Bericht nicht auf den Tisch? Bei so wichtigen Fragen kann man sich auch nicht damit ausreden, dass der Vollzug Sache der Länder sei und man nicht über entsprechende Fakten verfüge. Dann muss man eben die Länder bitten, die entsprechenden Unterlagen für den Bericht an den Bund zu geben. Auch wenn sich momentan die öffentliche Diskussion ein wenig beruhigt hat, ist das noch nicht ein Zeichen dafür, dass die Dinge in Ordnung sind. Möglicherweise haben sich die Betroffenen notgedrungen nur mit der zu- sätzlichen Bürokratie abgefunden. Deshalb ist es richtig, die Dinge immer wieder zu hinterfragen und sich damit zu beschäftigen. Wie gesagt, Bürokratieabbau ist eine Dauer- aufgabe. Insbesondere die beratenden Berufe machen zweierlei deutlich: Zum einen gibt es ganz erhebliche Probleme mit der Abwicklung. Immer wieder werden Bescheinigungen mit der Begründung abgelehnt, dass Unternehmen Steu- ern nicht pünktlich zahlen oder Steuererklärungen nicht pünktlich abgeben. Das war genau nicht Sinn der Sache. Auch gehen die Finanzgerichte immer stärker dazu über, Freistellungen im Klageweg anzuerkennen, weil bei der Ausstellung der Freistellungsbescheinigungen der allge- meine Verhältnismäßigkeitsgrundsatz beachtet werden müsse und es Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung sei, illegale Beschäftigung zu bekämpfen, nicht aber vor- rangig Steuern einzutreiben. Sinn des Gesetzes war es, Wettbewerbsverzerrungen zu verhindern, die dadurch entstehen, dass einzelne Unter- nehmen sich der Steuerpflicht entziehen, während andere pünktlich zahlen. Gemessen an diesem Ziel ist der Erfolg des Gesetzes eher bescheiden. Allerdings ist der Bera- tungsaufwand und sind damit die Kosten in der Praxis sehr hoch. Dieses ist ein Ausdruck überzogener Bürokratie. Zum anderen empfinden insbesondere Anbieter aus dem Ostblock es immer noch als sehr profitabel, sich mit dem „endgültigen Steuersatz“ von 15 Prozent zu bedie- nen. Das bedeutet, dass das Gesetz gerade ins Gegenteil verkehrt wird. Die Bauverbände, die das Gesetz seinerzeit gefordert hatten, verteidigen das Gesetz. Dies ist als selbstverständ- lich anzunehmen, kann jedoch kein Indikator für die Funktionsfähigkeit der Regelung sein. Wenn mehr als 95 Prozent der beauftragten Unternehmen steuerlich ge- meldet sind und fast durchgängig auf drei Jahre befristete Freistellungsbescheinigungen durch die Finanzverwal- tung erhalten haben, dann macht das deutlich, dass mög- licherweise hier wieder einmal das Kind mit dem Bade ausgeschüttet wird. Nur wegen eines ganz geringen Teils, der weit unter 5 Prozent liegen muss – ein Teil der Unter- nehmen hat ja zusätzlich zu den 95 Prozent noch kürzere bzw. auftragsbezogene Bescheinigungen erhalten –, wer- den alle Unternehmen dem Bescheinigungsverfahren un- terzogen. Selbst der Zentralverband des Deutschen Baugewerbes muss einräumen, dass derzeitig nicht eingeschätzt werden kann, ob das Zurückdrängen unseriöser Unternehmen vom Markt wirklich durch das Gesetz erreicht worden ist. Die Steuerberaterkammer hat zurecht darauf hingewie- sen, dass der Arbeitsaufwand mit den Freistellungs- bescheinigungen bei den Finanzämtern offenbar dazu ge- führt hat, dass reguläre Arbeit liegen geblieben ist. Dies führt unter anderem auch dazu, dass Einkommensbe- scheide erst später ergehen. Dies kann die sehr ärgerliche Folge haben, dass in Nachzahlungsfällen zusätzliche 6 Prozent Nachzahlungszinsen nach § 233 AO anfallen. Das trifft die Steuerbürger besonders hart, weil durch das Steuerentlastungsgesetz die Möglichkeit des Sonderaus- gabenabzugs von Zinsen auf Steuerforderungen wegge- fallen ist. Außerdem weist sie darauf hin, dass der Verwal- tungsaufwand durch eine gegenwärtig in Vorbereitung befindlichen neuen Verwaltungsanweisung in Form ei- nes BMF-Schreibens noch ausgedehnt werden soll und die Freistellungsbescheinigung offensichtlich zu einem Sanktionsmittel besonderer Art gemacht werden sollen. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Freitag, den 7. Juni 2002 24105 (C) (D) (A) (B) Die Steuerberaterkammer hat sich aus diesem Grund mit Schreiben vom 23. Mai 2002 an den Bundesfinanzmi- nister gewandt und darauf hingewiesen, dass es gerade nicht Sinn des Bauabzugsteuergesetzes war, ein weiteres Zwangmittel zum Eintreiben von Steuern zu erhalten. Auch der Zentralverband des Deutschen Handwerks hat auf eine Vielzahl von ungeklärten Rechtsfragen und praktischen Fragen bei der Anwendung des Gesetzes hin- gewiesen. Wenn nach fast einem Jahr noch immer so viel Unklarheiten bestehen, was auch Ausdruck einer in einer Vielzahl von OFD-Verfügungen zum Thema Steuerabzug bei Bauleistungen seinen Ausdruck findet, dann spricht das eher dafür, dass die Regelung nicht besonders gelun- gen ist. Ganz besonders schlimm ist es dann, wenn wir Signale aus der Praxis bekommen, dass sich hier Unternehmen auf diesem Wege sogar steuerlich entlasten. Sie benutzen das Instrument der Bauabzugsteuer als Definitivbesteuerung und erlangen dadurch Wettbewerbsvorteile. Alles in allem lässt sich zusammenfassen: Wir haben mit der Bauabzugsteuer ein bürokratisches Monster kre- iert, das Betriebe und Finanzbehörden mit einem erhebli- chen Verwaltungsaufwand überzieht, ohne dass es Anzei- chen dafür gibt, dass die illegale Beschäftigung auf dem Bau wirksam damit bekämpft werden kann. Das sollte uns zur Nachdenklichkeit bringen. Ganz offenbar ist es Ihr Ziel in dieser Wahlperiode ge- wesen, der Unternehmerschaft mit großem Misstrauen entgegenzutreten. Sie haben auch immer wieder erklärt, dass Sie Unternehmen fördern wollen, aber Unternehmer nicht. Diese Trennung macht eine Denke deutlich, die nicht geeignet ist, Menschen zur wirtschaftlichen Leis- tung anzuspornen. Das wiederum hat fatale Folgen für die Arbeitsplätze, denn nur wenn sich Unternehmerpersön- lichkeiten finden, die Lust daran haben, wirtschaftlich tätig zu sein, gibt es auch Arbeitsplätze. Stattdessen über- ziehen Sie diese Gruppe mit zusätzlich Bürokratie und kriminalisieren sie, wie Ihr Verhalten zu § 370 a Abgaben- ordnung beweist. Nicht einmal die 15-zu-Null-zu-Eins- Entscheidung im Bundesrat kann Sie offensichtlich zur Einsicht zwingen. Deshalb haben Sie wieder im letzten Finanzausschuss einen entsprechenden Änderungsantrag der CDU abgelehnt. Ja, vor kurzem haben Sie noch jegli- che Änderungsnotwendigkeit in Abrede gestellt und ge- meint, durch eine Verwaltungsanweisung könne man das Gesetz korrigieren. Was ist das für eine Auffassung vom Rechtsstaat? Erst ein Gesetz machen und dann durch die Verwaltung wieder einschränken oder auch bei passender Gelegenheit ausweiten? So kann es nicht gehen. Deshalb sind wir für eine sehr kritische Überprüfung des Bauab- zugsteuergesetzes, die aller Wahrscheinlichkeit nach mit der Aufhebung endet; wieder einmal wird mit Schrot auf eine Mücke geschossen. Dabei ist die Wahrscheinlichkeit, dass man die Mücke trifft, sehr gering, aber der Schaden im Umfeld ist unermesslich groß. Diejenigen, die wegen Missbrauchs herausgefiltert werden sollen, werden nicht betroffen. Dafür aber die Vielzahl der steuerlich ehrlichen Betriebe mit zusätzlicher Bürokratie überzogen. Probleme gibt es auch mit der EU-rechtlichen Zuläs- sigkeit. Die Vorgängerregelung aus dem Steuerentlas- tungsgesetz 1999/2000/2002 in § 50 a Abs. 7 EstG war als nicht EU-tauglich qualifiziert wurden. Auch bezüglich der jetzt geltenden Regelung gibt es erhebliche Bedenken. Privatdozentin Dr. Hey von der Universität Köln hat in ihrem Gutachten vom 5. März 2002 festgestellt, dass EU- Ausländer im Vergleich zu Inländern nur unter deutlich erschwerten Bedingungen eine Freistellungsbescheini- gung erhalten, und dies, obwohl hier – anders als bei in- ländischen Bauleistenden – vielfach kein Besteuerungs- recht der Bundesrepublik besteht. Im Wege genereller Freistellung bei Steuerinländern gegenüber nur aus- nahmsweiser Freistellung bei Steuerausländern darf nicht durch die Hintertür dieselbe Rechtslage erzeugt werden wie unter § 50 a Abs. 7 EstG in der Fassung des StEntlG 1999/2000/2002. In diesem Fall muss der gegen § 50 a Abs. 7 EstG in der Fassung des StEntlG 1999/2000/2002 erhobene Vorwurf der Europarechtswidrigkeit mit der gleichen Schärfte auch gegen die Neuregelung erhoben werden. Dass die §§ 48 ff. EstG lediglich formal nicht mehr zwischen In- und Ausländern differenzieren, kann den Diskriminierungsvorwurf nicht beseitigen; wenn die Differenzierung im Ergebnis in ähnlicher Weise durch Anwendung unterschiedlicher Maßstäbe bei der Erteilung von Freistellungsbescheinigungen erfolgt. Gemeinschaftsrechtswidrig wegen eines Verstoßes ge- gen die Dienstleistungsfreiheit des Art. 49 EGV sind fol- gende Einzelregelungen: das Erfordernis der Bestellung eines inländischen Empfangsbevollmächtigten (§ 48 b Abs. 1 Satz 1 EstG); das Erfordernis der Ansässigkeitsbe- scheinigung als Voraussetzung der Freistellungsbeschei- nigung (§ 48 b Abs. 1 Nr. 3 EstG) sowie der Erstattung § 48 d Abs. 1 Satz 4 EstG); die generelle Beweislastum- kehr, die ausländischen Steuerpflichtigen sowohl im Frei- stellungs- als auch im zeitnahen Erstattungsverfahren hohe Nachweispflichten aufbürdet, um das Nichtbestehen eines Steueranspruchs glaubhaft zu machen, während in- ländische Bauleistende, soweit sie steuerlich erfasst sind und in der Vergangenheit ihren Pflichten ordnungsgemäß nachgekommen sind, ohne weiteres die Freistellungser- klärung erhalten; die Ausgestaltung von § 48 b Abs. 2 EstG als Ermessensvorschrift; die Möglichkeit europa- rechtskonformer Auslegung wurde durch das Anwen- dungsschreiben des BMF nicht genutzt (BMF-Schreiben vom 1. November 2001, BStBl. I 2001, Seite 804 Rand- ziffer 29); die auf einzelne Aufträge beschränkte Erteilung von Freistellungsbescheinigungen an nicht ansässige Steuerpflichtige, während inländische Steuerpflichtige Sammelfreistellungsbescheinigungen mit einer Laufzeit von bis zu drei Jahren erhalten (BMF-Schreiben vom 1. November 2001, BStBl. I 2001, Seite 804 Randziffer 31); der Ausschluss des Einwandes, dass aufgrund eines Dop- pelbesteuerungsabkommens kein zu sichernder Steueran- spruch entstanden ist, im Haftungsverfahren des Leis- tungsempfängers (§ 48 d Abs. 1 Satz 6 EstG). Aufgrund der vom Gesetzgeber intendierten Verknüp- fung von Steuerabzug und Freistellungsverfahren durch das Verhältnismäßigkeitsprinzip wirken diese Nachteile auf den Steuerabzug als solchen zurück und begründen die Gemeinschaftsrechtswidrigkeit der insoweit unteilba- ren Gesamtregelung der §§ 48 ff. EstG. Auch wenn sich die Diskussion zurzeit ein wenig be- ruhigt hat, sind die Probleme mit dem Bauabzugsteuerge- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Freitag, den 7. Juni 200224106 (C) (D) (A) (B) setz nicht gelöst und müssen aufgearbeitet werden. Es spricht vieles dafür, dass die Regelung ihr Ziel nicht er- reicht oder dass Aufwand und Nutzen in keinem vernünf- tigen Verhältnis zueinander stehen. Deshalb ist sehr kri- tisch zu prüfen, ob die Regelung beibehalten werden soll oder wieder aufgehoben werden muss. Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Letztes Jahr haben wir beschlossen, dass Unternehmens- gründer im Jahr der Gründung und im ersten Folgejahr, unabhängig von den tatsächlich erzielten Umsätzen, ihre Voranmeldungen monatlich abgeben. Das hatte gute Gründe: Seit Jahren wurde in Sonntags- reden über Umsatzsteuerbetrug in zweistelliger Milliar- denhöhe geklagt. Nichts ist passiert. Wir haben dann im letzten Jahr, übrigens auf Initiative der Länder, Maßnah- men zur Sicherung des Steueraufkommens beschlossen, zu denen auch die monatliche Meldung der Umsatzsteuer für Existenzgründer gehört. Und das war auch höchste Zeit! Die Entwicklung der Umsatzsteuereinnahmen im Jahr 2001 zeigte überdeut- lich, dass dringender Handlungsbedarf bestand. Die sonst so sicheren Umsatzsteuereinnahmen sind absolut zurück- gegangen um 1,4 Prozent, und das, obwohl das Bruttoin- landsprodukt nominal noch um 1,9 Prozent gewachsen ist. Das war schwer erklärbar. Allgemein wurden Betrü- gereien mit dem Vorsteuerabzug durch so genannte Ka- russellgeschäfte als eine Ursache vermutet. Deshalb war es durchaus sinnvoll für „neue“ Unterneh- men, eine zweijährige Pflicht zur monatlichen Umsatz- steuererklärung einzuführen. Die Finanzämter bekommen so schneller Informationen über neue Unternehmen und sind damit eher an den Hinterziehungsfällen dran. Ange- sichts der sehr kurzen Lebensdauer von Unternehmen, die an solchen Karussellbetrugsfällen beteiligt sind, können zwei Monate schon den entscheidenden Informationsvor- sprung ausmachen. Eine positive Nachricht der Steuerschätzung im Mai war, dass das Umsatzsteueraufkommen wieder wächst. Das beweist eindeutig: Die Maßnahmen, die Rot-Grün zur Sicherung des Steueraufkommens beschlossen hat, beginnen zu greifen. Es macht schon deshalb keinen Sinn, in dieser Situation die monatlichen Umsatzsteuervoran- meldungen völlig abzuschaffen. Hinzu kommt aber noch: Niemand fordert es! Die Wirtschaftsverbände fordern es nicht, und auch die Fi- nanzverwaltungen fordern es nicht. Die Länder hatten den verschärfenden Maßnahmenkatalog ja einstimmig be- grüßt. Warum sollten sie dann jetzt die monatliche Mel- dung ganz abschaffen? Das ergäbe keinen Sinn. Was die Mittelstandsfreundlichkeit angeht, so ist das deutsche System im europäischen Vergleich mittelstands- freundlicher und unbürokratischer, als man annimmt. Es gab ja in letzter Zeit von verschiedenen Seiten Überle- gungen, wie man die Umsatzsteuer reformieren könnte. Die Frage war: Wie müsste das Umsatzsteuersystem aus- sehen, um es weniger betrugsanfällig zu machen. Ich denke zum Beispiel an das Mittler-Modell. Bei der Diskussion zeigte sich dann sehr schnell, das ei- gentlich alle vor einer wirklichen Reform zurück- schrecken. Das deutsche Umsatzsteuersystem ist gar nicht so schlecht. Die Unternehmen mögen es, weil es ihnen Li- quidität gerade dann verschafft, wenn sie klamm sind, also viele Rechnungen bezahlen müssen, aber wenig Forderun- gen an andere haben. Wir finden das normal, weil wir da- ran gewöhnt sind, aber dem ist nicht so. Fragen sie doch einmal einen italienischer Unternehmer, was er für Pro- bleme hat, zu viel gezahlte Vorsteuer zurückzubekommen. Wir haben jetzt national dem Umsatzsteuerbetrug ei- nen Riegel vorgeschoben. Mittelfristig wollen wir auf EU-Ebene eine einheitliche Lösung finden, die das Steu- eraufkommen sichert und für die mittelständischen Un- ternehmen unbürokratisch ist. Hier müssen alle EU-Län- der an einem Strang ziehen, denn die Mehrwertsteuer ist bereits weitgehend harmonisiert. Gerhard Schüßler (FDP): Gesetzentwurf und Antrag der FDP, die wir heute beraten, dienen einem Zweck: der Steuervereinfachung. Diese wird in allen Reden gefor- dert, wenn es um Steuerpolitik geht. In der Praxis sieht es dann vollkommen anders aus. Die Abschaffung der monatlichen Umsatzsteuervoran- meldung wäre ein Signal für Entbürokratisierung gerade für kleine und mittlere Unternehmen. Diese ersticken ge- radezu an der Formularflut, die sie nicht nur für steuer- liche Zwecke bewältigen müssen. Am grünen Tisch in der Bundesregierung wird beschlossen, zur besseren Kon- trolle oder aus fiskalischen Gründen diesen Unterneh- mern Monat für Monat eine Voranmeldung abzufordern. Für Existenzgründer sind diese Anforderungen gerade noch verschärft worden. Haben Sie, liebe Kollegen von der Koalition, eigent- lich einmal daran gedacht, was das für die Betroffenen bedeutet? Man erwartet die Schaffung von Arbeitsplät- zen, mehr wirtschaftliche Aktivitäten und Investitionen. Gleichzeitig wird eine Existenzgründung nicht nur mit steuerlichen Anforderungen dermaßen erschwert, dass viele potenzielle Unternehmer mutlos werden und gar nicht erst beginnen. Kann das richtig sein? Woran liegt es, dass bei uns ein schier unüberwind- licher Berg an Bürokratie aufgebaut wird ohne Rücksicht auf den, der ihn bewältigen soll? Warum muss es für alles und jedes Statistiken geben? Warum traut der Staat den Unternehmern nicht, von denen er doch erwartet, dass sie Arbeitsplätze schaffen? Es muss endlich Schluss sein mit immer neuen staat- lichen Auflagen, Pflichten und Bevormundungen! Die Bauabzugsteuer, Gegenstand des vorliegenden An- trags der FDP, ist nichts als ein einziges Ärgernis. Der Staat ist nicht in der Lage, die Auswirkungen der Schwarzarbeit zu bekämpfen, und – viel wichtiger – nicht bereit, die Ursachen der Schwarzarbeit endlich zu beseitigen. Stich- wort: Runter mit den Steuern und Abgaben! Aus diesen Gründen werden die Auftraggeber von Bau- leistungen verpflichtet, die Steuer für ihre Auftragnehmer an das Finanzamt abzuführen. Ich gebe an dieser Stelle zu, dass die Zustimmung der FDPzu diesem Gesetz ein grober Fehler war. Aus einer einfachen, wenn auch schlechten Re- gel wurde allerdings ein bürokratisches Monster. In von Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Freitag, den 7. Juni 2002 24107 (C) (D) (A) (B) der Verwaltung so geliebten BMF-Schreiben wurden Ab- grenzungsfragen aufgeworfen, ein für Unternehmer und Verwaltung aufwendiges Freistellungsverfahren kreiert und im Ergebnis bei den Betroffenen zornige Reaktionen provoziert. Teile der betroffenen Wirtschaft – auch das muss einmal gesagt werden – haben diese Regelungen massiv gefordert. Als die rot-grüne Koalition daranging, auch eine Haftung für Sozialversicherungsabgaben einzu- führen, wurde protestiert. Dieses Verhalten kann man ei- gentlich nur als scheinheilig bezeichnen. Was bleibt unterm Strich? Wir sollten die Unternehmer das machen lassen, was sie können: wirtschaften, inves- tieren und Arbeitsplätze schaffen. Bürokratische Rege- lungen müssen abgebaut, Steuern und Abgaben gesenkt werden. Die Initiativen der FDP, die heute vorliegen, sind gute Ansätze dazu. Heidemarie Ehlert (PDS): Uns liegt heute zur Bera- tung und Beschlussfassung ein Gesetzentwurf der Frak- tion der FDPzur Änderung des Umsatzsteuergesetzes vor. Den von den Antragstellern verfolgten Anliegen steht meine Fraktion prinzipiell aufgeschlossen gegenüber. Auch die Fraktion der PDS hält Vereinfachungen in der Steuergesetzgebung, Erleichterungen bei der Umsetzung der Steuergesetze und Entlastungen der Finanzverwaltun- gen beim Prozess der Steuerfestsetzung für dringend ge- boten. Dem vorliegenden Gesetzentwurf unter Drucksa- che 14/5331 werden wir dennoch unsere Zustimmung versagen. Der Gesetzentwurf sieht im Kern vor, den Kalender- monat als Voranmeldungszeitraum für die Umsatzsteuer prinzipiell zu streichen. Die mit dieser Streichung ver- bundenen volkswirtschaftlichen und betriebswirtschaftli- chen Nachteile sowohl für den Staat als auch für die Steu- erpflichtigen überwiegen jedoch beträchtlich. Eine nur vierteljährlich abzugebende Umsatzsteuervoranmeldung würde praktisch dazu führen, dass der Staat zum „Kredit- geber“ für die Betriebe werden würde, bei denen eine Um- satzsteuerzahllast anfällt, da diese Beträge erst mit zwei- monatiger Verzögerung festgesetzt und fällig werden würden. Diese Tatsache wäre auch eine Zumutung für die Bürger unseres Landes, die die mit Umsatzsteuer belaste- ten Produkte täglich erwerben. Für Unternehmen, die sich in der Phase der Existenz- gründung befinden, ist die vom Gesetzgeber eingeräumte Möglichkeit der Vorsteuererstattung auch ein nicht zu un- terschätzender wirtschaftlicher Faktor. Diese Erstattungs- möglichkeit nur vierteljährlich in Anspruch nehmen zu können, würde sich bei vielen Existenzgründern bereits als eine existenzielle Gefahr darstellen und bei ihnen zu Liquiditätsengpässen führen. Um all dem zu begegnen, käme man nicht umhin, zahlreiche Ausnahmetatbestände im Gesetz zu verankern. Dies würde jedoch wiederum ei- ner angestrebten Vereinfachung gegenüber der bisherigen Regelung zuwiderlaufen. Ich sehe allerdings noch ein anderes praktisches Pro- blem im Zusammenhang mit der von der FDP angestreb- ten Regelung, was, wie ich finde, bei der Diskussion im Ausschuss nur eine untergeordnete Rolle gespielt hat. Ihr Gesetzesvorschlag beabsichtigt, durch den Wegfall der monatlichen Voranmeldung die vierteljährliche Voran- meldung ohne Ausnahme vorzusehen. Dies führt zugleich dazu, dass der Vierteljahrzeitraum der kürzeste Zeitraum ist, der einer Kontrolle durch die Finanzämter zugänglich gemacht werden kann. Dies erschwert sowohl kurzfristige als auch punktuelle Prüfungen in einem bekanntermaßen betrugsanfälligen Bereich erheblich. All diesen Überle- gungen wird die derzeit bestehende gesetzliche Regelung besser gerecht, als es der Gesetzentwurf der FDP tun würde. Der mit der Drucksache 14/7541 eingebrachte Antrag der FDP zur Abschaffung der erst zum 1. Januar 2002 ein- geführten Bauabzugsteuer wird im Ausschuss intensiv be- raten werden müssen. Es erhöht in keiner Weise das Ver- trauen in den Gesetzgeber, wenn Regelungen kurz nach ihrer Verabschiedung erneut zur Disposition gestellt wer- den. Eine Entscheidung darüber wird von einer Analyse der bisher mit der Umsetzung dieser Steuer gemachten Er- fahrungen auszugehen haben. Dazu sollte eine Anhörung sowohl von Vertretern der Finanzverwaltungen als auch der betroffenen Steuerpflichtigen durchgeführt werden. Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden Zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Wirtschaftsplans des ERP- Sondervermögens für das Jahr 2003 (ERP-Wirt- schaftsplangesetz 2003) (Tagesordnungspunkt 26) Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk (SPD):Als Berichterstat- terin des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie habe ich heute die angenehme Pflicht, Ihnen über unsere Be- schlussfassung zum Wirtschaftsplan des ERP-Sonderver- mögens für das Jahr 2003 zu berichten. Der Wirtschafts- ausschuss und seine mitberatenden Ausschüsse schlagen Ihnen mit großer Mehrheit – bei Enthaltung der PDS-Frak- tion die Annahme des vorliegenden Gesetzes vor. Ich möchte mich als Unterausschussvorsitzende sehr herzlich bei allen Mitgliedern dieses arbeitsintensiven Unterausschusses für die stets offene und angenehme Zu- sammenarbeit bedanken, besonders bei meiner Stellver- treterin Dagmar Wöhrl und den Obleuten Hans-Josef Fell, Gudrun Kopp und Rolf Kutzmutz. Uns war und ist in unserer gemeinsamen Arbeit stets bewusst, dass wir mit den Programmen aus dem ERP- Sondervermögen das Kreditprogramm für den Mittel- stand in Deutschland entscheiden und in Zusammenarbeit mit dem Bundeswirtschaftsministerium und den beiden Förderbanken des Bundes, der Deutschen Ausgleichs- bank (DtA) und der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW), fortentwickeln. Deswegen möchte ich mich an dieser Stelle auch bei al- len Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern dieser wichtigen Institutionen sehr herzlich bedanken: Durch ihr Engage- ment und ihre Kreativität gelingt es, die Förderinstru- mente immer wieder den neuen Bedingungen auf den na- tionalen und internationalen Kapitalmärkten anzupassen und auf die vielen hoffnungsvollen Gründer, die vielen in- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Freitag, den 7. Juni 200224108 (C) (D) (A) (B) novativen kleinen und mittleren Unternehmen, die Hand- werker und kleinen Selbstständigen zuzugehen und ihnen mit Krediten, aber auch mit Rat beiseite zu stehen. Was in den letzten 10 Jahren da neu entstanden ist – im Osten wie im Westen unseres Landes – was sich in der Gründerszene und bei risikoreichen innovativen Unter- nehmen getan hat, kann sich – auch wenn es zum Beispiel auf dem neuen Markt tiefe Einbrüche gegeben hat – in- ternational sehen lassen und gibt Hoffnung, dass von dort aus sich nicht nur der Stamm der deutschen Unternehmen fortlaufend verjüngt, sondern dass mit der Unterstützung aus diesen Programmen auch eine neue, immer notwen- dige Dynamik für unsere Volkswirtschaft zum Tragen kommt und unternehmerische Talente eine Chance be- kommen, die ansonsten in traditionellen Hierarchien ver- sauern und in Arbeitslosigkeit resignieren würden. Natür- lich gab und gibt es in weltwirtschaftlich schwachen Zeiten auch erhebliche Rückgänge in der Nachfrage bei den ERP-Programmen, aber bei hoffentlich bald deutlich anziehenden Wachstumsraten werden wir bei den ERP- Programmen wieder auf mehr Nachfrage stoßen und die Mittelstandsfinanzierung wird damit weiter im Brenn- punkt wirtschaftspolitischer Überlegungen stehen. Denn ohne mittelständische Unternehmen geht in Deutschlands Wirtschaft nur wenig: Die mittelständischen Unternehmen in Deutschland beschäftigen rund 70 Pro- zent aller Arbeitnehmer, bilden rund 80 Prozent aller Aus- zubildenden aus, tragen rund 55 Prozent zur Bruttowert- schöpfung bei und erwirtschaften rund 50 Prozent aller steuerpflichtigen Umsätze. Der Mittelstand kann aber seine wichtige Rolle nur be- halten, wenn seine Finanzierungsbedürfnisse im Zuge von Unternehmensgründungen und Wachstum mit Kredi- ten und mit Eigenkapital erfüllt werden können. Das ERP-Sondervermögen ist das zentrale Instrument der finanziellen Mittelstandsförderung des Bundes. Dabei stehen genau die beiden Schwerpunkte im Vor- dergrund, also die Gewährung von günstigen Investiti- onskrediten und die Bereitstellung von Risiko- und Betei- ligungskapital. Die beiden Förderinstitute des Bundes, die Deutsche Ausgleichsbank und die Kreditanstalt für Wiederaufbau, ergänzen die ERP-Förderung durch ihre Eigenmittelpro- gramme mit Darlehens- und Beteiligungskapital. Das ERP-Wirtschaftsplangesetz 2003, über das wir heute entscheiden wollen, bildet die jährliche rechtliche und haus- haltsmäßige Grundlage der ERP-Wirtschaftsförderung. Im Wirtschaftsplan 2003 stehen – wie im laufenden Jahr – 5 Milliarden Euro für zinsgünstige ERP-Kredite zur Verfügung. Hinzu kommt der Förderansatz im Programm „Beteili- gungskapital für kleine Technologieunternehmen“. Hier ist – ebenfalls wie 2002 – ein Betrag von 1 Milli- arde Euro mobilisiertes Eigenkapital angesetzt. Insgesamt kann damit der zu erwartenden Nachfrage nach Darlehen und Beteiligungskapital aus ERP-Mitteln in 2003 ent- sprochen werden. Knapp die Hälfte der finanziellen Fördermittel aus dem ERP-Plan, also rund 2,5 Milliarden Euro, sind für die För- derung von Investitionen in den neuen Bundesländern vorgesehen. Damit ist auch in 2003 die Förderintensität im Osten, gemessen an der Bevölkerungszahl, größer als im Westen. Auch die Konditionen für den Osten bleiben nach wie vor günstiger. Dies bedeutet niedrigere Zinssätze, höhere Mit- finanzierungsquoten, längere Kreditlaufzeiten und län- gere tilgungsfreie Anlaufzeiten. Zusammengefasst bedeutet dies: Der ERP-Wirt- schaftsplan 2003 leistet mit seinem Fördervolumen von insgesamt rund 6 Milliarden Euro einen wichtigen Beitrag zur Förderung von Existenzgründungen sowie zur Stär- kung der Wettbewerbsfähigkeit der kleinen und mittleren Unternehmen, einschließlich der Freien Berufe. Dies ist gleichbedeutend mit einem substanziellen Beitrag zur Schaffung neuer und zur Sicherung bestehender Arbeits- plätze. Wir rechnen damit, dass durch diese Fördermittel ein Investitionsvolumen von rund 20 Milliarden Euro an- gestoßen wird. Aber wir können auch nicht leugnen, dass die Mittel- standsfinanzierung in Deutschland vor neuen Herausforde- rungen und Problemen steht: Globalisierung der Finanz- märkte, die zunehmende Verschärfung des Wettbewerbs und die Konzentration durch Fusionen von Banken und anderen Finanzierungseinrichtungen sowie die stärkere Ausrichtung am Shareholder Value verändern das Banken- verhalten und die Finanzierungslandschaft drastisch. Neue Eigenkapitalvorschriften für Banken, Stichwort „Basel II“, werden diese Entwicklungen verstärken. Die Auswirkungen betreffen alle Bereiche und damit natürlich auch die öffentlichen Finanzierungshilfen. Der Unterausschuss „ERP-Wirtschaftspläne“ hat sich schon frühzeitig mit den möglichen Konsequenzen dieser Entwicklung für die Mittelstandsfinanzierung zum Bei- spiel in seinen Potsdamer Gesprächen befasst. Auch hat er – gemeinsam mit dem Finanzausschuss – eindeutige Position bezogen, damit die Baseler Neurege- lungen keine Nachteile für die mittelständischen Unter- nehmen mit sich bringen. Der Deutsche Bundestag hat diese Forderung zweimal einstimmig unterstützt. Die deutsche Verhandlungsführung hat einiges erreicht und inzwischen weisen viele Vorschläge aus Basel in die richtige Richtung. Beispiele hierfür sind: Die Zulässigkeit des internen Ratings oder die Einbeziehung von mittel- ständischen Unternehmen in das so genannte Retail-Port- folio. Hier werden die Kredite zusammengefasst und ver- einfacht ge„ratet“. Es bleiben aber noch wesentliche Punkte wie die höhere Risikopositionierung längerfristi- ger Kredite und die sehr ungünstige Risikoeinstufung von Bankenbeteiligungen an Wagniskapital – um nur zwei Beispiele zu nennen – die noch dringend nachgebessert werden müssen, um die kleinen und mittleren Unterneh- men in Deutschland nicht schlechter zu stellen. Durch die globale Konkurrenz werden aber – unabhängig von Basel II, Bankenkredite künftig stärker risikogewichtet vergeben. Für die kleinen und mittleren Unternehmen bedeutet dies, dass die Transparenz der Unternehmen gegenüber dem Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Freitag, den 7. Juni 2002 24109 (C) (D) (A) (B) Kreditinstitut steigen muss, um eine gute Bonitäts- einstufung zu erhalten. Und die finanzielle Mittelstandsförderung des ERP- Sondervermögens muss sich den durch die Veränderung der Finanzierungslandschaft entstehenden Herausforde- rungen stellen. Wir müssen dafür sorgen, dass auch in Zu- kunft der Zugang zu Finanzierungsmitteln für den Mittel- stand offen bleibt! Deshalb hat das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie bereits im Jahr 2000 den Dialog mit der Kreditwirtschaft und den betroffenen Ver- bänden aufgenommen, um für die möglichen auftretenden Probleme aus verändertem Kreditvergabeverhalten ge- meinsame Lösungen zu finden und von der öffentlichen Seite her Maßnahmen zur Senkung der Transaktionskos- ten zum Beispiel durch elektronische Verfahren und ver- stärkte Risikoübernahme in öffentlichen Förderprogram- men zum Beispiel Haftungsfreistellung, Bürgschaften unter Beibehaltung eines substanziellen Kreditrisikos bei den privaten Banken zu erreichen. Die Kreditwirtschaft selbst hat dabei erklärt, dass sie die Mittelstandsfinanzierung zum Kernbereich ihrer Tätigkeiten zählt. Den Beweis dafür bleiben uns insbe- sondere die privaten Großbanken bisher schuldig. Eine Umfrage der KfW bei mittelständischen Unter- nehmen macht deutlich, dass die Finanzierungsbedingun- gen für ein knappes Drittel schwieriger geworden sind – für eine kleine Minderheit von 3 Prozent freilich besser. Besonders Kleinst- und Kleinunternehmen stöhnen über zunehmende Schwierigkeiten. Vor allem der Bau und der Einzelhandel klagen in überdurchschnittlichem Maße über Schwierigkeiten bei der Kreditbeschaffung, übrigens unabhängig von der Größe. Aber auch ostdeutsche Unter- nehmen beklagen sich häufiger über eine schwierigere Kreditaufnahme – unabhängig von Größe und Branche. Die öffentliche Seite hat ihre Versprechungen gehalten, die Deutsche Ausgleichsbank und die Kreditanstalt für Wiederaufbau haben viele Maßnahmen für den Mittel- stand vereinbart und die Zusammenarbeit auf vielen Fel- dern ausgebaut und damit Synergieeffekte erzielt. Die Nutzung spezieller Finanzinstrumente erlaubt eine Risi- koentlastung bei den durchleitenden Hausbanken. Zu- sammen mit der Kreditanstalt für Wiederaufbau wurde das Instrument zur Verbriefung von Risiken aus den För- derkrediten entwickelt und inzwischen praktiziert. Jetzt geht es darum, solche Transaktionen auch für kleine Kreditinstitute wie Sparkassen und Genossen- schaftsbanken zu ermöglichen. Bei den Förderkrediten von ERP, DtA und KfW wird daran gearbeitet, die Programmabwicklung zu vereinfa- chen und stärker an die banküblichen Strukturen anzu- passen. Dazu gehört der Einsatz von modernen elektroni- schen Verfahren ebenso wie die abwicklungstechnische Vereinfachung der Programme. Aber auch an der Ent- wicklung verbesserter oder neuer Förderinstrumente ar- beitet das ERP-Sondervermögen. Für Pilotvorhaben ste- hen im ERP-Wirtschaftsplangesetz entsprechende Mittel zur Verfügung. Ich meine, wir sollten unbefangen über Änderungen auch höherer Durchleitungsmargen bei Kleinkrediten re- den, damit die Banken wieder ein Interesse an der Kredit- vergabe haben. Denn der Bankenkredit wird auch in Zu- kunft für die große Masse der über drei Millionen kleinen und mittelständischen Unternehmen in Deutschland die klassische Finanzierungsform bleiben. Aber auch die Großbanken müssen wissen, dass sie ihre Seite des Versprechens zur Sicherstellung der Mittel- standsfinanzierung halten müssen, weil sonst die Gesetz- geber sich wie in den USAund Großbritannien Gedanken über gesetzliche Maßnahmen machen müssen. Wichtig ist daher, dass wir rechtzeitig den Fragen nach- gehen, die sich bei der Weiterentwicklung dieser Finan- zierungsformen stellen. Das ERP-Sondervermögen wird wie bisher innovativ beteiligt sein. Otto Bernhardt (CDU/CSU): Grundlage für das heu- tige ERP-Sondervermögen waren Warenlieferungen nach Westdeutschland durch die Vereinigten Staaten in den Jahren 1948 bis 1951 in einer Größenordnung von über 3 Milliarden Euro. Die Vereinigten Staaten verzichteten damals auf die Gegenleistung und diese bildete den Grundstock für das ERP-Sondervermögen, das heute eine Größenordnung von gut 12 Milliarden Euro umfasst. Grundlage für den Einsatz diese Sondervermögens ist das ERP-Verwaltungsgesetz aus dem Jahre 1953. Eine der wichtigsten Bestimmungen dieses Gesetzes ist das so ge- nannte Substanzerhaltungsgebot, das heißt, diese Gelder sollen zwar im weitesten Sinne für Wirtschaftsförderung eingesetzt werden, aber immer unter der Auflage, dass die Substanz des Vermögens dadurch nicht verringert wird. Außerdem steht in diesem Gesetz, dass der Bundestag jährlich einen Wirtschaftsplan für die Verwendung des ERP-Sondervermögens zu beschließen hat. Der Bundes- tag hat zur Vorbereitung dieser Entscheidung einen Un- terausschuss des Wirtschaftsausschusses gebildet, der sich am 24. April dieses Jahres mit dem Gesetz ausführ- lich beschäftigt hat. Am 16. Mai war die erste Lesung im Deutschen Bundestag, heute geht es um die zweite und dritte Lesung und somit um die Verabschiedung des ERP- Wirtschaftsplanes für das Jahr 2003. Die Inanspruchnahme der Förderkredite aus dem ERP- Sondervermögen ist seit dem Jahre 2000 rückläufig und hat sich insbesondere in den letzten Monaten deutlich ver- ringert. Während im Jahre 2000 Kredite in einer Größen- ordnung von insgesamt 5,15 Milliarden Euro zugesagt wurden, betrugen die Zusagen im Jahre 2001 nur knapp 3,9 Milliarden Euro. Das entspricht einem Rückgang von fast einem Drittel; genau: 32,1 Prozent. Der Wirtschaftsplan für das laufende Jahr 2002 sieht insgesamt Förderkredite in einer Größenordnung von 5 Milliarden Euro vor. Nach den Zahlen des ersten Quar- tals scheint sich die rückläufige Entwicklung der Zusagen bei dem ERP-Förderkreditprogramm aber fortzusetzen. Die Nachfragerückgänge über praktisch alle ERP-Pro- gramme führt die Bundesregierung, wie sie im Unteraus- schuss ausgeführt hat, im Wesentlichen auf die allgemein schlechtere konjunkturelle Situation zurück. Zum Teil wird dies im Bereich der Existenzgründungen vonseiten der Regierungskoalition auch als Trend zur Nor- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Freitag, den 7. Juni 200224110 (C) (D) (A) (B) malisierung betrachtet, so der Parlamentarische Staatsse- kretär Dr. Staffelt in einer seiner letzten Äußerungen. Mei- nes Erachtens ist dies wiederum sehr kritsch zu bewerten und ich hoffe sehr, dass dieser Rückgang nicht tatsächlich eine Normalisierung bedeutet. Die Selbstständigenquote in Deutschland nimmt bekanntermaßen im internationalen Vergleich nicht gerade einen der vorderen Plätze ein. Ich hoffe, dass bei einer konjunkturellen Belebung die Zahl der Existenzgründungen wieder zunimmt. Wenn dies nicht gelingt, dann muss man jedoch sehr ernsthaft überlegen, an welcher Stelle die entsprechenden Rahmenbedingun- gen verbessert werden könnten. Ungeachtet dessen, geht das Wirtschaftsplangesetz für das Jahr 2003 wiederum von Förderkrediten in Höhe von 5 Milliarden Euro insgesamt aus. Auch in der Verteilung der Mittel hat sich im Vergleich zum laufenden Jahr nichts verändert. An der Spitze stehen wiederum Vorhaben in regionalen Fördergebieten mit 1,175 Millionen Euro, gefolgt von Existenzgründungsdarlehen in Höhe von 1,125 Millionen Euro und Kredite für Umweltschutzmaß- nahmen in Höhe von 1 Million Euro. Da die einzelnen Po- sitionen gegenseitig deckungsfähig sind, besteht nicht die Gefahr, dass es in einer Position zu Engpässen kommen kann. Über die Ausgestaltung des Wirtschaftsplanes für das ERP-Vermögen hat es wiederum im Ausschuss weitge- hende Übereinstimmung gegeben. Die Zusammenarbeit in diesem Gremium ist erfreulich konstruktiv und sach- lich. Schließlich will ich noch zwei Punkte ansprechen: Erstens. Der geplante Verkauf der Deutschen Aus- gleichsbank, DtA, an die Kreditanstalt für Wiederaufbau, KfW. Wir waren und sind für eine engere Zusammenar- beit beider Institute, nicht zuletzt, um Synergieeffekte zu erzielen, die der Mittelstandsförderung dann zugute kom- men sollen. Mit der gemeinsamen Refinanzierung ist der wichtigste Bereich für Synergieeffekte voll erschlossen worden. Auch in anderen Bereichen ist es zu einer deut- lich besseren und engeren Zusammenarbeit zwischen den beiden großen Förderinstituten der Bundesrepublik ge- kommen. Ob vor diesem Hintergrund der geplante Ver- kauf noch sinnvoll ist, sollte in Ruhe überlegt werden. Letzlich geht es hierbei meines Erachtens nur noch da- rum, Geld in die Kasse des Finanzministers zu bekom- men. Die Zinsen, die die KfW für die Finanzierung der Übernahme aufbringen müsste, würden aber der Wirt- schaftsförderung verloren gehen. Zweitens. Die vom Bundeskanzler angezettelte Dis- kussion um eine so genannte Mittelstandsbank ist über- flüssig und substanzlos. Mit der Deutschen Ausgleichs- bank haben wir eine Mittelstandsbank. Das Duo Deutsche Ausgleichsbank und Kreditanstalt für Wiederaufbau kann allen Ansprüchen im öffentlichen Förderungsbereich ge- recht werden. Richtig ist, dass sich immer mehr Kreditin- stitute – of mit dem Hinweis auf Basel II – aus der Mit- telstandsfinanzierung zurückziehen oder zumindest restriktiver in der Kreditvergabe werden. Im Übrigen, so auch ein Vertreter der Kreditanstalt für Wiederaufbau, KfW, hätten gut informierte größere Unternehmen die veränderte Finanzierungslage längst erkannt und reagie- ren zum Teil in der Weise, sich gänzlich andere Finanzie- rungsmöglichkeiten zu suchen. Zudem seien sich diese gut informierten Unternehmen bewusst, dass von Basel II keine gravierend negativen Auswirkungen zu befürchten seien. Die bestehenden Probleme lassen sich somit nicht mit einer – wie immer gearteten – neuen bzw. weiteren Mittelstandsbank lösen, sondern nur durch gezielte und umfassende Aufklärungskampagnen, gerade bei den klei- neren und eher schlecht informierten Unternehmen. Abschließend einige Anmerkungen zum Entschlie- ßungsantrag der PDS-Fraktion, Drucksache 14/9290. Die dort genannten Feststellungen sind – zumindest teilweise – richtig, die daraus gezogenen Schlussfolgerungen finden aber nicht unsere Zustimmung. Die geforderte Aufgabe des Hausbankenprinzips bedarf einer gründlichen Dis- kussion. Letztlich würde dies dazu führen, dass die zen- tralen Förderinstitute, Deutsche Ausgleichsbank und Kreditanstalt für Wiederaufbau, ein Filialnetz vor Ort aufbauen müssten, um in der Fläche präsent zu sein. Da- mit würden erhebliche Mittel, die heute für die Wirt- schaftsförderung zur Verfügung stehen, für die eigene Organisation benötigt. Die Forderung, bestimmte Förde- rungen an die Auflage zu binden, dass die Unternehmen eine erweiterte Mitbestimmung nach dem Montanmodell einführen, lehnen wir strikt ab. Dies wäre ein Schritt zurück und kein zukunftsträchtiger Weg. Meine Fraktion dankt den Mitarbeitern der Deutschen Ausgleichsbank und der Kreditanstalt für Wiederaufbau für ihre erfolgreiche Arbeit, schwerpunktmäßig zum Wohle des deutschen Mittelstandes. Wir werden dem Ge- setz über die Feststellung des Wirtschaftsplanes des ERP- Vermögens für das Jahr 2003 unsere Zustimmung geben. Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Un- ternehmen, die investieren und Arbeitsplätze schaffen wollen, brauchen Zugang zu Kapital. Die meisten Arbeitsplätze entstehen in kleinen und mittleren Unter- nehmen. Gerade für sie ist der Zugang zu Finanzmitteln jedoch häufig besonders schwer. Durch Globalisierung und Wettbewerbsorientierung des Bankensektors hat sich diese Situation deutlich verschlechtert. Deshalb muss die Politik hier ein besonderes Augenmerk auf gute Rahmen- bedingungen haben. Eine ausreichende Eigenkapitalquote ist die beste Ab- sicherung der Mittelstandsfinanzierung. Mit der Steuerre- form haben wir die Eigenkapitalbildung besonders der kleinen und mittleren Unternehmen deutlich erleichtert. Die Wirtschaftsweisen haben es uns bestätigt. Mit unserer Steuerpolitik haben wir den Mittelstand deutlich entlastet. Bereits im Jahr 2001 wurde der Mittelstand um netto 7 Milliarden Euro entlastet. Im Jahr 2005 wird die letzte Stufe der Steuerreform greifen; die Entlastung des Mittel- standes wird dann gegenüber 1998 15 Milliarden Euro be- tragen. Wir haben damit die Voraussetzung für die Ver- besserung der Eigenkapitalsituation der mittelständischen Personengesellschaften geschaffen. Wichtig bleiben die Förderkredite des Bundes aus dem Marshall-Plan-Vermögen, dem ERP-Vermögen. Auch im nächsten Jahr werden 5 Milliarden Euro zinsverbilligte Kredite zur Verfügung stehen. Rund die Hälfte davon kommt den neuen Ländern zugute. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Freitag, den 7. Juni 2002 24111 (C) (D) (A) (B) Zusätzlich stellen die Förderbanken des Bundes KfW und DtA 10 Milliarden Euro für die Kreditfinanzierung des Mittelstandes bereits, insgesamt also ein Volumen von 15 Milliarden Euro. Der Rückzug der Privatbanken aus dem Kreditgeschäft mit den kleinen und mittelständischen Unternehmen führt dazu, dass für diese der Zugang zu Krediten immer schwerer wird. Die bundeseigene Kreditanstalt für Wiederaufbau hat zur Sicherung des Zugangs des Mittelstandes zu Krediten neue Instrumente entwickelt. Auf Initiative des BMWi wurden Instrumente zur Verbriefung von Risiken vor al- lem aus Förderkrediten der durchleitenden Hausbanken an mittelständische Unternehmen und deren Platzierung am Kapitalmarkt vorbereitet. So ermöglichen zum Bei- spiel Kreditderivate die Trennung und den Handel von Kreditrisiken. Die Eigenkapitalbelastung bei diesen Ban- ken wird so verringert und ihre Spielräume für Mittel- standskredite werden erhöht. In einem nächsten Schritt soll dieses Instrument auf Sparkassen und Genossen- schaftsbanken ausgeweitet werden. Wir haben in den letz- ten Jahren viel für mehr Selbstständigkeit und für kleine und mittlere Unternehmer erreicht. Eine neue Kultur der Selbstständigkeit hat sich entwickelt und unserem Land einen Modernisierungsschub gegeben. Daran hat die Überbewertung neuer Unternehmen wie Technologieun- ternehmen von Medien und Börse in der Phase der über- triebenen Euphorie und die derzeitige Unterbewertung nichts ändern können. Die Zahl der Unternehmensgrün- dungen in Deutschland hat kontinuierlich zugenommen – im Jahr 2001 gab es in der Summe von Gründungen und Insolvenzen 7 000 Unternehmen mehr als im Jahr 1998. Mit dem Erneuerbare-Energien-Gesetz haben wir ei- nen weltweit beachteten Boom in der Sonnen- und Wind- energie ausgelöst. Viele neue Unternehmen sind entstan- den. Das ERP-Programm ist ein wichtiges Instrument zur Gestaltung des ökologischen Strukturwandels. Allein die Mittel im ERP-Umwelt- und Energieeinsparprogramm haben wir seit Beginn unserer Regierungsbeteiligung ver- doppelt. Mehr als 1 Milliarde Euro wurden im Jahr 2001 dafür verausgabt. Auch die Mittel der Deutschen Ausgleichsbank für in- novative ökologische Technologien sind kontinuierlich nach oben gefahren worden: von 350 Millionen Euro im Jahr 1998 auf 800 Millionen Euro im Jahr 2001. Diese Mittel kommen zu einem wesentlichen Teil der Förderung erneuerbarer Energien zugute. Wir haben bis Ende 2000 60 000 Arbeitplätze im Be- reich der erneuerbaren Energien geschaffen – bis Ende dieses Jahres werden es 120 000 sein. Überwiegend sind diese Arbeitsplätze bei der Windenergie entstanden. In Zukunft werden Biomasse und Solaranlagen noch schnel- ler wachsen. Die Kreditvergabe wird international durch die so ge- nannten Baseler-Eigenkapital-Unterlegungsvorschriften für Kreditinstitute geregelt. Diese Vorschriften werden derzeit neu festgelegt. Wir setzen uns dafür ein, dass da- bei die Interessen des Mittelstandes stärker berücksichtigt werden. Dabei haben wir schon einiges für den Mittel- stand erreicht, zum Beispiel die Anerkennung des bank- internen Rating. Weiteres, wie die Anerkennung mittel- standsüblicher Sicherheiten, bringen wir auf die Tages- ordnung. Gudrun Kopp (FDP): Der deutsche Mittelstand ist derzeit in höchster Not. Grund dafür ist die anhaltende Konjunkturflaute, die wiederum mit den falschen Rah- menbedingungen, wie zu hohen Steuern, Abgaben, zuneh- mender Bürokratie und Regulierungen, zusammenhängt. Die Eigenkapitalquote von vielen kleinen und mittel- großen Unternehmen beträgt zum Beispiel in den krisen- geschüttelten Branchen der Bauindustrie und der Holz- verarbeitung derzeit gerade einmal 2 bis 5 Prozent. Es ist kein Wunder, dass eine rasant steigende Insolvenzquote zu verzeichnen ist. Die ERP-Finanzierungshilfen für den Mittelstand sind deshalb besonders wertvoll. Im Einzelnen sind im ERP- Wirtschaftsplangesetz für 2003 vorgesehen: Vorhaben in regionalen Fördergebieten in Höhe von 1 175 Millionen Euro, ein Eigenkapitalhilfe-Programm in Höhe von 725 Millionen Euro, Existenzgründungsdarlehnens-Pro- gramm in Höhe von 1 125 Millionen Euro, Innovationen in Höhe von 650 Millionen Euro, mittelständige Bürg- schaftsbanken, Beteiligungsfonds in Höhe von 150 Milli- onen Euro. Diese wertvollen Hilfen für den Mittelstand müssen erhalten, nicht geschmälert werden. Klarheit über den bereits von der rot-grünen Bundes- regierung beschlossenen – von der FDP in dieser Form ab- gelehnten – Zusammenschluss der Deutschen Aus- gleichsbank (DtA) mit der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) gehört zur nötigen Gestaltung der Zukunft der Mit- telstandsbank des Bundes. Die sinnvoll erscheinende Ge- schäftsfeldabgrenzung zwischen DtA und KfW muss vollzogen werden. Geplant ist, dass künftig die Mittel- standsprogramme der KfW an die DtA übergehen und die Umweltprogramme der DtA der KfW übertragen werden. Es ist nicht hinnehmbar, dass der seit einem Jahr anste- hende Vertragsabschluss mit der Festlegung des Wertes der DtA-Anteile, den die KfW als Kaufpreis zu leisten hat, weiter hinausgeschoben wird. Der Bundeswirt- schaftsminister und der Finanzminister müssen ihre Un- stimmigkeiten zugunsten der Mittelstandsbank beilegen. Zur Verbesserung der Eigenkapitalquote von kleinen und mittelgroßen Unternehmen (KMU) muss die Bun- desregierung ihren Einfluss auf die EU geltend machen, um eine Verbesserung der Basel-II-Kriterien zu erreichen: Der Verteuerung von Langfristkrediten ist entgegenzu- wirken. Im Verlauf der Basel-II-Verhandlungen muss ge- prüft werden, ob Ratingverfahren insbesondere bei klei- nen Banken für das gesamte Kreditgeschäft gelten müssen. Alle in Deutschland marktüblichen Sicherheiten wie Lebensversicherungen, Bausparguthaben etc. müssen als risikomindernd anerkannt werden. Die Finanzierung von Existenzgründungen darf nicht grundsätzlich deshalb verschlechtert und so erschwert werden, weil Daten aus der Vergangenheit für ein Rating nicht zur Verfügung ste- hen. Die FDP fordert die Bundesregierung auf, parallel zu den Verhandlungen zu Basel II Maßnahmen einzuleiten, Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Freitag, den 7. Juni 200224112 (C) (D) (A) (B) mit denen die Eigenkapitalfinanzierung der Unternehmen verbessert werden kann. Gerade die Steuerpolitik muss dem Mittelstand größere Chancen zur Eigenkapitalbil- dung belassen. Als alternative Finanzierungswege sind auch Mittelstandsfonds zu prüfen. Rolf Kutzmutz (PDS): „Die Mittelstandsfinanzierung in Deutschland erlebt derzeit eine Phase des Wandels ... Wir müssen bestehende Finanzierungsprodukte weiter verbessern und neue entwickeln, um dem Unternehmer- nachwuchs die Tür zur Mittelstandsfinanzierung weiter offen zu halten. Denn eines haben die Erfahrungen der letzten Jahre auch gezeigt: In unserem Land gibt es genügend fähige Existenzgründer, die sich auch von konjunkturellen Rück- schlägen nicht aus der Bahn werfen lassen.“ So stand es im Begleitbrief der Deutschen Ausgleichs- bank zu ihrer Jahreschronik 2001, die uns vor wenigen Wochen übergeben wurde. Diese Einschätzung teile ich in vollem Umfang. Damit wird der Finger auf die offene Wunde gelegt, die auch durch die zahlenmäßige Kontinuität des heute zu be- schließenden ERP-Wirtschaftsplanes nicht verdeckt wer- den kann. Es werden zwar wie für 2002 über 4,8 Milliarden Euro Fördermittel bereitgestellt, neu ist aber, dass die Haf- tungszusagen des Sondervermögens weiter anschwellen sollen – nun auf über 1,4 Milliarden Euro. Die wirt- schaftspolitisch ja durchaus gerechtfertigte Übernahme von Haftungsfreistellungen für die westdeutschen ERP- Programme ist in ihrem Volumen zwar überhaupt nicht mit dem im Vorjahr hereingenommenen Risiko der Betei- ligungsförderung technologieorientierter Unternehmen (BTU) vergleichbar. Den damit fortgesetzten Trend halten wir aber für indiskutabel. Der Bundeshaushalt darf sich nicht immer mehr aus den Kosten der Wirtschaftsförde- rung verabschieden. Ich sage hier für die PDS klipp und klar: Man kann mit dem ERP-Sondervermögen gewiss viel kreativ machen – aber nur, solange nicht dessen Substanz gefährdet wird. Und diese Risiken dürfen dann auch nicht ohne zusätzli- che Haushaltvorsorge einfach auf den schon arg gerupften Wirtschaftsetat des Bundes abgewälzt werden, wie es im vergangenen Jahr beim Airbus-Darlehen geschah. Ich kann ja verstehen, dass das ERP-Sondervermögen momentan geradezu einlädt, es als Schattenhaushalt für Dinge zu nutzen, die nichts mit seinem gesetzlichen Zweck zu tun haben. Schließlich sackte die jährliche För- derung innerhalb des vergangenen Jahrzehnts von bis zu 7 Milliarden auf 4 Milliarden Euro. Und der bisherige Mittelabfluss lässt erwarten, dass auch in diesem Jahr bereitgestellte Mittel in der Größen- ordnung von mindestens 0,8 Milliarden Euro überhaupt nicht abgerufen werden. Das sollte uns aber viel mehr zu Überlegungen beflü- geln, wie die Förderangebote wieder an den tatsächlichen Bedarf der Existenzgründungen und kleineren Unterneh- men angepasst werden können. Jetzt – so scheint es – wird der Ansatz der Mittel an deren Abfluss angepasst, der we- gen offenkundig nicht mehr tauglicher Programme stockt. Die PDS hat dazu in dem hier ebenfalls zur Abstim- mung stehenden Entschließungsantrag konkrete Vor- schläge gemacht. Ich weiß natürlich, dass dies der Ge- setzgeber nicht im Rahmen eines Wirtschaftsplanes tun kann. – Deshalb werden wir uns bei ihm auch enthalten. – Er muss es aber schnell tun – sonst ist die Tür zur Mittel- standsfinanzierung plötzlich zu. Margareta Wolf, Parl. Staatssekretärin beim Bundes- minister für Wirtschaft und Technologie: Ein zentrales Element der Mittelstandspolitik des Bundes ist die Mit- telstandsfinanzierung durch das ERP-Sondervermögen. Die finanzielle Förderung ist für Existenzgründungen und die wirtschaftliche Entwicklung von kleinen und mittle- ren Unternehmen eine wichtige Grundlage. Insbesondere bei der Anschubfinanzierung von Existenzgründern stellt das ERP-Sondervermögen mit der Eigenkapitalhilfe und den Existenzgründungsdarlehen zwei der wichtigsten Bausteine zur Verfügung. Existenzgründer erhalten dabei mit der Eigenkapitalhilfe einen Beitrag zur Eigenkapital- ausstattung. Die Gründungsdarlehen stellen die Gesamt- finanzierung der Vorhaben sicher. Diese Förderung ist uns wichtig. Denn gerade kleine innovative und dynamische Unternehmen leisten einen wichtigen Beitrag zur Schaffung und Sicherung von Ar- beitsplätzen. Mit ihren innovativen Ideen und Konzepten treiben sie den Strukturwandel voran. Sie stärken damit auch die Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit unserer Volkswirtschaft insgesamt. Mit dem ERP-Wirtschaftsplangesetz 2003 legen wir heute erneut für ein weiteres Jahr die rechtlichen und haushaltsmäßigen Grundlagen der ERP-Wirtschaftsför- derung fest. Die einzelnen ERP-Programme betreffen ne- ben Gründungsförderung durch Eigenkapitalhilfe und Existenzgründungskrediten den Aufbau und die Moderni- sierung bestehender Unternehmen im Osten und in regio- nalen Fördergebieten im Westen, die Innovationsförde- rung, die Förderung von Umweltschutzinvestitionen, die Mobilisierung von Beteiligungskapital. Die beiden Förderinstitute des Bundes, die Deutsche Ausgleichsbank und die Kreditanstalt für Wiederaufbau, flankieren in einer beträchtlichen Größenordnung die Förderaktivitäten des ERP-Sondervermögens durch ihre eigenen Mittel und Programme. Dies geschieht abge- stimmt mit dem ERP-Sondervermögen. Im Wirtschafts- plan 2003 des ERP-Sondervermögens stehen 5 Milliarden Euro für zinsgünstige ERP-Kredite zur Verfügung. Hinzu kommt eine weitere Summe von rund 1 Milliarde Euro für mobilisiertes Eigenkapital im Rahmen des Programms „Beteiligungskapital für kleine Technologieunternehmen (BTU)“. Damit ermöglicht der ERP-Wirtschaftsplan 2003 ein Fördervolumen wie im laufenden Jahr. Der Plan dokumentiert den Willen der Bundesregierung, in 2003 die bewährten ERP-Programme für bestehende und wachsende Unternehmen auf einem bedarfsgerechten und hohen Niveau fortzusetzen. Der vorliegende ERP-Wirt- schaftsplan 2003 zeigt auch erneut, dass wir auf die spezi- ellen Finanzierungsprobleme von Existenzgründern und Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Freitag, den 7. Juni 2002 24113 (C) (D) (A) (B) mittelständischen Unternehmen in den neuen Ländern in besonderem Maße eingehen. Rund 2,5 Milliarden Euro, also knapp die Hälfte der finanziellen Fördermittel, können von dortigen Unternehmen in Anspruch genommen wer- den. Ein wichtiges Element im Wirtschaftsplan 2003 ist abermals die Haftungsübernahme für Beteiligungen im Rahmen des BTU, des Beteiligungsprogramms für kleine Technologieunternehmen. Für Zusagen, die seit 2001 gegeben werden, trägt das ERP-Sondervermögen die entsprechenden Belastungen, wenn einzelne Beteiligungen notleidend werden. Eine Belastung des ERP-Sondervermögens aus Schäden von Altzusagen vor 2001 ist ausgeschlossen, diese Ausfälle werden weiterhin aus dem Bundeshaushalt getragen. Ur- sächlich für die hohen Ausfälle für Beteiligungszusagen früherer Jahre, die im Kalenderjahr 2001 abgerechnet worden sind, ist die Krise der Unternehmen im Bereich des Neuen Marktes, die zu den Hauptadressaten des BTU- Programms gehören. Diese besondere Situation wird sich nicht auf die vom ERP-Sondervermögen zu tragende Aus- fallquote im Kalenderjahr 2001 auswirken. Außerdem sind die mit der Betreuung des Programms beauftragten Förderinstitute aufgrund ihrer Erfahrungen wesentlich kritischer bei der Auswahl der zu fördernden Technologieunternehmen, als dies zuvor der Fall war. Ein derartiger Lerneffekt ist auch bei den antragstellenden pri- vaten Beteiligungsgebern zu beobachten. Die aktuellen Zusagezahlen bestätigen diese Tendenz. Wir haben außerdem im ERP-Sondervermögen ent- sprechend Risikovorsorge betrieben. Das Bundesministe- rium für Wirtschaft und Technologie als Verwalter des ERP-Sondervermögens hat in der ERP-Bilanz, die unab- hängig vom Wirtschaftsplangesetz jedes Jahr aufgestellt wird, erstmals per 31. Dezember 2001 eine Reserveposi- tion zur Absicherung bestehender Risiken aus BTU-Zu- sagen des Jahres 2001 gebildet. Ein Blick auf die aktuali- sierten Zahlen der Ausfallentwicklung zeigt, dass den Risiken ausreichend Rechnung getragen worden ist. Das ERP-Sondervermögen ist in der Lage, die finanzi- ellen Belastungen aus der Übernahme des BTU-Pro- gramms ab 2001 zu tragen. Insgesamt belegt das vorliegende Wirtschaftsplange- setz 2003, dass die finanzielle Förderung des Mittelstan- des auch im kommenden Jahr ohne Einschränkungen auf hohem Niveau fortgesetzt werden kann. Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung des Entwurfs eines Dritten Geset- zes zurÄnderung derGewerbeordnung und sons- tiger gewerblicherVorschriften (Tagesordnungs- punkt 27) Christian Lange (Backnang) (SPD): Mit der Ände- rung der Gewerbeordnung und der weiteren durch die No- vellierung erfassten Gesetze und Verordnungen werden wir einen weiteren Erfolg im Kampf gegen Bürokratie und Regulierungswut erzielen. Nicht nur kleine und mitt- lere Unternehmen, die durch bürokratische Überregle- mentierung und veralterte oder sprachlich nur schwer ver- ständliche Gesetzestexte ganz besonders belastet sind, werden sich über die Novellierung freuen können. Die bisherigen arbeitsrechtlichen Vorschriften des Titels VII der Gewerbeordnung sind zum Teil sowohl in ihrer inhaltlichen als auch in ihrer sprachlichen Fassung nicht mehr zeitgemäß. Sie sind unübersichtlich und des- halb im Arbeitsleben schwer anwendbar, sodass diese grundsätzlich neu gestaltet werden sollen. Elementare und bewährte arbeitsrechtliche Bestimmungen werden natürlich beibehalten. Im gewerberechtlichen Teil der Ge- werbeordnung sind außerdem einige Verbots- und Anzei- getatbestände nicht mehr zeitgemäß. Es war angezeigt, die arbeitsrechtlichen Bestimmungen der Gewerbeordnung auf verständliche und unverzichtbare Grundnormen zu beschränken. Wichtig war dabei, auf eine moderne und verständliche Formulierung zu achten. Außerdem haben wir die Gewerbeordnung als Standort für arbeitsschutzrechtliche Bestimmungen komplett aufgege- ben. Damit haben wir auch die Zielsetzung durch Art. 4 des Gesetzes zur Umsetzung der EG-Rahmenrichtlinie Arbeitsschutz und weiterer Arbeitsschutzrichtlinien vom 7. August 1996 konsequent fortgeführt. Darüber hinaus konnten etliche Vorschriften ersatzlos gestrichen werden. Im Einzelnen: Die arbeitsvertragsrechtlichen Bestim- mungen in Titel VII werden auf die Grundzüge des Ar- beitsvertragsrechts in insgesamt nur sechs Paragraphen zurückgeführt. Weitere Bestimmungen in der Gewerbe- ordnung, zum Beispiel Lohnauszahlungen an Jugend- liche, in Gaststätten, betreffen heute nicht mehr relevante Fälle und werden ersatzlos gestrichen. Weiterhin wird klargestellt, dass die in der Gewerbeordnung neu gestal- teten arbeitsvertragsrechtlichen Bestimmungen auf alle Arbeitnehmer Anwendung finden; das heißt: auch Ar- beitsverträge mit Privatleuten – Haushaltshilfen, Kinder- mädchen usw. – sind erfasst. Die arbeitsschutzrechtlichen Bestimmungen werden entweder komplett aufgehoben, oder in die Arbeitsstättenverordnung überführt. Damit können wir die Gewerbeordnung gänzlich vom Arbeits- schutzrecht befreien. Künftig wird sich dies nur noch nach dem speziellen Arbeitsschutzgesetz und den darauf ge- stützten Verordnungen richten. Mit dieser Rechtsbereini- gung können die derzeit 31 Paragraphen des Titels VII auf letztlich acht reduziert werden. Das ist ein großer Erfolg für mehr Übersichtlichkeit, Klarheit und Verständlichkeit des Gesetzestextes. Darüber hinaus werden die gewerberechtlichen Be- stimmungen der Gewerbeordnung, also die Zulassungs-, Anzeige- und Verbotstatbestände, auf ein adäquates Maß reduziert. Damit soll dem Ziel der Bereinigung und der Anpassung an eine moderne und kundenfreundliche Da- tenverarbeitung Rechnung getragen werden. Die von den Gewerbetreibenden auszufüllenden For- mulare für die Gewerbeanzeige werden übersichtlicher und aussagekräftiger gestaltet. Damit sind sie übrigens auch für statistische Zwecke besser verwertbar. Schließlich soll die elektronische Gewerbeanmeldung erleichtert werden. Im Einzelnen: Die aufgrund des Datenschutzrechts ge- setzlich vorgegebenen Formblätter für die Gewerbean- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Freitag, den 7. Juni 200224114 (C) (D) (A) (B) zeige als ersten Schritt bei Gründung eines Unternehmens werden überarbeitet, damit man über die Statistik ein ge- naueres Bild über das Gründungsgeschehen erhalten kann. Beim Gründungsgeschehen von Frauen ist man bis- lang noch auf grobe Schätzungen oder Untersuchungen mit ungenügender Datenbasis angewiesen. Auch hier wird es damit Verbesserungen geben. Die Novelle sieht außerdem eine engere Verzahnung mit den Daten der Finanzämter vor, da viele Gewerbetrei- bende sich nur beim Finanzamt abmelden und daher beim Gewerbeamt als Karteileichen verbleiben. Das Gewerbe- amt leitet die Gewerbeanzeigen an die Statistik weiter, so- dass diese Änderungen möglicherweise zu neuen Zahlen in der Unternehmensstatistik führen werden. Weitere Beispiele: In den Vorschriften zum stehenden Gewerbe wird das veraltete und deshalb überflüssige Ver- bot der industriellen Fertigung von orthopädischen Maß- schuhen gestrichen. – In den Vorschriften zum Reisege- werbe werden die ebenfalls überflüssigen Verbote zum Verkauf von Fertiglesebrillen sowie zum Handel mit Bäu- men, Sträuchern und Rebenpflanzgut aufgehoben. Außer- dem wird das Verbot zum Verkauf alkoholischer Getränke zugunsten selbstgewonnener regionaler Spezialitäten – Obstgeister etc. – gelockert. Die Anzeigepflicht für Volksfeste wird aufgehoben. – Einige Änderungen in den Vorschriften zur reisegewerblichen Ausübung von im ste- henden Gewerbe erlaubnispflichtigen Tätigkeiten dienen der Klarstellung und Beseitigung bislang bestehender Wi- dersprüche. So soll zum Beispiel die Ausübung des Ver- steigerergewerbes als Reisegewerbe zulässig sein, soweit ein stehendes Gewerbe vorhanden ist. Gleiche Änderun- gen werden für das Messe-, Ausstellungs- und Marktge- werbe vorgenommen. – Im Abschnitt über Straf- und Bußgeldvorschriften werden Lücken geschlossen und notwendige Folgeänderungen eingearbeitet. Außerdem wird zur Eindämmung des „grauen Kapitalmarktes“ die mögliche Bußgeldsanktion von 5 000 auf 50 000 Euro er- höht, für den Fall, dass der Anlagevermittler ohne die er- forderliche Erlaubnis tätig wird. – Die gewerberechtliche Erlaubnispflicht in § 140 der Gewerbeordnung für die Neugründung von Kranken-, Hilfs- und Sterbekassen wird als nicht mehr erforderlich gestrichen. Die Neuregelungen haben keine finanziellen Auswir- kungen auf die öffentlichen Haushalte. Zwar werden we- gen der neu gestalteten Gewerbeanzeigenformulare die alten Formulare nicht mehr verwendbar sein. Es wird aber gewährleistet, dass alte Formulare rechtzeitig aufge- braucht werden, da die Bundesländer früh an der Neuge- staltung der Vordrucke beteiligt wurden. Die Gesetzesvereinfachungen werden für die Gewer- betreibenden entlastende Effekte erzielen. Das Preisni- veau in einzelnen Branchen kann sich ebenfalls tenden- ziell entspannen. Letztlich sichert die Novellierung Wachstumseffekte gerade bei den von Überregulierung besonders belasteten kleinen und mittleren Unternehmen. Hartmut Schauerte (CDU/CSU): Die Gewerbeord- nung stellt das allgemeine Gesetz zur Regelung der öf- fentlich-rechtlichen Rechtsverhältnisse der Gewerbetrei- benden dar. Sie regelt den Zugang zu einer gewerblichen Tätigkeit, die Ausgestaltung dieser Betätigung sowie die Beendigung der Gewerbeausübung. Kurzum, wir haben es bei der vorliegenden Rechtsmaterie mit einem der zen- tralen rechtlichen Pfeiler unserer Wirtschaftsverfassung zu tun. Erlauben Sie mir die Randbemerkung, dass es für ei- nen Wirtschafts- und Wettbewerbspolitiker wie mich , der sich der Tradition der erhardtschen Grundüberzeugungen der sozialen Marktwirtschaft verpflichtet fühlt, ein selte- ner Anlass zur Freude ist, wenn ein Gesetz sich auch ein- mal namentlich der fairen Ordnung unserer Wirtschafts- beziehungen verschreibt. Ordnungspolitik im Sinne fairer Spielregeln und zum Wohle der Verbraucher hat es in den letzten dreieinhalb Jahren leider kaum gegeben. Interven- tionistische Eingriffe in die Spielzüge der Wirtschafts- akteure kamen unter dieser Bundesregierung hingegen zuhauf vor. Einseitigkeit liegt in der Natur solcher staat- lichen Reglementierungen unserer Wirtschaft; gemein- wohloptimierendeWirkungen haben sie im Vergleich zum fair geordneten Marktprozess indes in der Vergangenheit kaum je erreicht. Das ordnungspolitische Sündenregister, das diese rot-grüne Bundesregierung seit 1998 angehäuft hat, schmerzt und es schadet vor allem unserer Wirtschaft. Auch deshalb wird es höchste Zeit für einen Wechsel im September, hin zu einer Wirtschaftspolitik, die sich wie- der ordnungspolitischen Grundsätzen und Prinzipien ver- pflichtet fühlt und nach diesen auch handelt. Bei der vorliegenden kleinen Novellierung der Ge- werbeordnung und weiterer durch sie erfasster Gesetze und Verordnungen geht es um die Rechtsbereinigung und Deregulierung einzelner Vorschriften, die sich in der heu- tigen Wirtschaftsrealität überholt hatten. Insbesondere waren die bisherigen arbeitsrechtlichen Vorschriften des Kapitels VII der Gewerbeordnung zum Teil in ihrer in- haltlichen als auch in ihrer sprachlichen Fassung nicht mehr zeitgemäß. Gleiches gilt für einige Verbots- und An- zeigetatbestände. Hier soll nun in einigen Bereichen Ab- hilfe geschaffen werden. Bei einigen Regelungstatbeständen dieser Gesetzes- novelle hätten wir uns an der einen oder anderen Stelle durchaus noch bessere oder präzisere Lösungen vorstel- len können. Da die CDU/CSU-Bundestagsfraktion die Grundrichtung des Vorhabens aber unterstützt, haben wir uns in allen Fachausschüssen der Empfehlung angeschlos- sen, dem vorliegenden Gesetzentwurf zuzustimmen. Begrüßen möchte ich hier ausdrücklich, dass auf unser Drängen hin, auf die ursprünglich geplante Regelung des § 11 a GewO, der die Finanzbehörden ermächtigen sollte, steuerrechtliche Pflichtverletzungen an die Gewerbe- behörden mitzuteilen, verzichtet wurde. Diese Regelung wäre unverhältnismäßig und zu weit gehend gewesen. Ge- werbetreibende hätten sich dann möglicherweise einem Untersagungsverfahren ausgesetzt sehen können, obwohl im Einzelfall eine mehr als geringe Pflichtverletzung vor- gelegen hätte. Denn bekanntlich sind steuerrechtliche Vor- schriften schon dann verletzt, wenn ein Zahlungstermin überschritten wird, was in der alltäglichen Geschäftspraxis auch ohne kriminelle Energie durchaus einmal passieren kann. Voraussetzung für die Mitteilung an die Gewerbe- behörden und eine so weit reichende Sanktion wie ein Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Freitag, den 7. Juni 2002 24115 (C) (D) (A) (B) eventuelles Untersagungsverfahren kann unseres Erach- tens jedenfalls erst die Erfüllung des Straftatbestands der Steuerhinterziehung sein. Schwarze Schafe fängt man nicht, indem man die ganze Herde schlachtet. Dass es nur bei einer kleinen Lösung geblieben ist, die nur einige wenige Bereiche des Gewerberechts moderni- siert, bedauern wir sehr. Die Betroffenen sind zu Recht enttäuscht über diese magere Leistung. Aus der großen Novelle ist ein kleines „Novellchen“ geworden. Zu mehr war diese Bundesregierung wohl nicht in der Lage. Wir wissen aus anderen Politikbereichen, dass der derzeitigen Exekutive zu großen Würfen die politische Gestaltungs- kraft, der Mut und leider oft auch der Sachverstand fehlt oder abhanden gekommen ist. Wünschenswert wäre eine grundsätzliche Überarbei- tung der Gewerbeordnung gewesen. Der Arbeitskreis Ge- werberecht des DIHK hat bereits vor einigen Jahren einen beachtenswerten Entwurf vorgelegt, der als Grundlage ei- ner umfassenden Novellierung von Nutzen gewesen wäre. Wie die Begründung des Gesetzesentwurfs betont, sind die Deregulierung und der Abbau unnötiger bürokrati- scher Hindernisse dringender notwendig denn je. Die ra- santen Veränderungen der wirtschaftlichen Praxis machen dies nötig. Ich nenne nur die Stichworte Globalisierung, verändertes Verbraucherverhalten oder die rasante Ent- wicklung der Informations- und Kommunikationstechno- logien. Die Anforderungen, die das Bundeswirtschaftsministe- rium in seinem Bericht „Abbau bürokratischer Hemm- nisse“ an sich selbst stellt, erfüllt diese Überarbeitung ge- werbeordnungsrechtlicher Vorschriften nach Einschätzung vieler Experten jedenfalls bei weitem noch nicht. Wir nehmen daher der Auftrag eines vollständigen kri- tischen Durchforstens der gewerberechtlichen Vorschrif- ten auch in Bezug auf Internetsachverhalte, den diese Bundesregierung bislang nicht erfüllt hat und mit dieser kleinen Novelle nicht erfüllen wird, an und werden eine umfassende Modernisierung des Gewerberechts unter ei- ner unionsgeführten Bundesregierung in der 15. Legisla- turperiode des Deutschen Bundestags zügig angehen. Die hier vorgeschlagenen Maßnahmen sollen insge- samt für die Wirtschaft und im Besonderen für unsere mit- telständischen Gewerbebetriebe Erleichterungen und eine Entbürokratisierung bewirken, die sich hoffentlich auch auf die Vollzugspraxis positiv auswirken werden. Dies al- les ist allerdings ein wahrlich kleiner Tropfen auf den heißen Stein, wenn man sich die Lage des Mittelstands in unserem Land vergegenwärtigt und die systematische Be- nachteiligung kleiner und mittlere Unternehmen unter dieser rotgrünen Bundesregierung bedenkt. Unser Mittel- stand braucht zuvorderst keine kleinen Reförmchen wie diese, sondern endlich wieder eine mutige Politik, die Zu- kunftschancen schafft, statt sie zu verhindern. Gudrun Kopp (FDP):Der Abbau von Bürokratie und Regulierungen gehört zu den wichtigsten Anliegen des Mittelstandes. Allein die vielen Statistik- und Anzeige- und Anmeldungsverfahren, die die Wirtschaft kostenlos für den Staat erbringen muss, entsprechen inzwischen im Wert einem Arbeitsvolumen von 30 Milliarden Euro pro Jahr. Die FDP unterstützt deshalb alle Initiativen, die zu einer Minderung von bürokratischen Abläufen beitragen. Weniger Aufwand in diesem Bereich bedeutet auch weni- ger Kosten. Das Dritte Gesetz zur Änderung der Gewer- beordnung und sonstiger gewerberechtlicher Vorschriften stellt eine Modernisierung der umfassenden Gewerbeord- nung dar. Insbesondere die Ablösung der Gewerbeord- nung als rechtlicher Standort für arbeitsschutzrechtliche Bestimmungen ist zu begrüßen. Die FDP stimmt dieser Gesetzesänderung zu. Rolf Kutzmutz (PDS):Die PDS begrüßt dieses Gesetz, weil mit ihm nicht nur die bis ins 19. Jahrhundert zurückrei- chende Gewerbeordnung sprachlich modernisiert und ge- strafft wird, sondern auch eine Vielzahl positiver Verände- rungen erfolgen. Ich möchte nur zwei herausgreifen. Lebenspartner werden auch im Gewerberecht Ehepartnern gleich gestellt. Und die elementaren Grundlagen des Ar- beitsrechts – Regelungen zu Vertragsfreiheit, Weisungs- recht, Entgeltzahlung, Zeugnis und Wettbewerbsverbot nach Arbeitsvertragsende – werden gesetzlich auf alle For- men abhängiger Beschäftigung ausgedehnt. Das ist zwar bereits ständige Rechtsprechung, aber bisher fehlte dafür die ausdrückliche gesetzliche Grundlage. Jedoch zeigt sich auch bei diesem lobenswerten Vor- haben: Die Schaffung eines in sich geschlossenen Arbeitsgesetzbuches ist längst überfällig. Denn mit dem jetzigen Gesetzesschritt werden nur Überschneidungen zwischen Gewerbeordnung, Arbeitsschutzgesetz und Arbeitsstättenverordnung gemildert bzw. abgeschafft – ein allgemein verständliches und damit akzeptables Arbeitsrecht aus einem Guss fehlt nach wie vor. Aber auch inhaltlich muss ich noch etwas Wasser in den Wein des nun zur Abstimmung stehenden Entwurfes gießen. Völlig unverständlich bleibt uns, warum die Koali- tion ausgerechnet auf Druck des DIHK kurzfristig den vor- geschlagenen neuen § 11 a Gewerbeordnung wieder ge- kippt hat. Damit sollten die Finanzämter künftig die Gewerbeämter über steuerrechtliche Erkenntnisse, die auf gewerberechtliche Unzuverlässigkeit von Unternehmern, Geschäftsführern oder wesentlich beteiligten Gesellschaf- tern schließen lassen, informieren müssen. Natürlich wissen wir, dass dies übliche, von den Ge- richten bisher stets gebilligte Verwaltungspraxis ist. Zum einen stützt sie sich aber nur auf eine höchst schwammige Rechtsgrundlage, die vom konkreten Finanzbeamten selber zu interpretieren ist – „zwingendes öffentliches Interesse“ nach § 30 Abs. 4 Nr. 5 der Abgabenordnung. Und wenn beim Arbeitsrecht Rechtsprechung und deren Buchstaben in Übereinstimmung gebracht werden, so wäre es bei dem ebenso bedeutsamen Thema der wirkungsvollen, weil für den Täter schmerzhaft spürbaren Bekämpfung der Steuer- und Abgaben-Kriminalität doch auch nur logisch gewesen. Der Verweis auf Datenschutz, Interessen der Wirtschaft und Gebot der gleichmäßigen Besteuerung in der Be- gründung der Streichung riecht dann doch allzu sehr da- nach, dass man es bei der Bekämpfung dieser Ursache von fehlenden öffentlichen Finanzen lieber bei Deklarationen belässt, als zu Taten zu schreiten. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Freitag, den 7. Juni 200224116 (C) (D) (A) (B) Zum anderen hat man sich durch diesen Verzicht der Chance beraubt, das Reisegewerberecht weiter zu dere- gulieren, als es nun geschieht. So begrüßen wir, dass Fer- tiglesebrillen jetzt nicht mehr einem Vertriebsverbot nach § 56 unterliegen. Wenn die erwähnte Konkretisierung der Zusammenarbeit von Behörden erfolgt wäre, dann hätte man beispielsweise ohne Not auch das Verbot des Haar- schneidens aus diesem Paragraphen entfernen können. Denn dann wäre das Argument jener Friseure hinfällig, sie müssten „schwarz“ frisieren, weil sie es legal sowieso nicht dürften. Laut der Innungen werden derzeit die Hälfte der Haarschnitte in Schwarzarbeit erledigt. Friseuren ohne Meisterbrief steht aber heute auch keine Möglich- keit offen, ihren erlernten Beruf legal selbstständig aus- zuüben. Diese Möglichkeit zu eröffnen wäre ein wichti- ger Beitrag zur Zurückdrängung von Schwarzarbeit. Und das ist ja wohl ein wichtiges Anliegen aller Fraktionen in diesem Hause. Trotz dieser Kritiken: Wegen der Vielzahl positiver Änderungen, insbesondere auch beim Verbraucherschutz, auf den ich nicht näher eingehen konnte, stimmt die PDS dem Gesetzentwurf als Schritt in die richtige Richtung zu. Margareta Wolf, Parl. Staatssekretärin beim Bundes- minister für Wirtschaft und Technologie: Ein zentrales Element der Mittelstandspolitik des Bundes ist die Mit- telstandsfinanzierung durch das ERP-Sondervermögen. Die finanzielle Förderung ist für Existenzgründungen und die wirtschaftliche Entwicklung von kleinen und mittle- ren Unternehmen eine wichtige Grundlage. Insbesondere bei der Anschubfinanzierung von Existenzgründern stellt das ERP-Sondervermögen mit der Eigenkapitalhilfe und den Existenzgründungsdarlehen zwei der wichtigsten Bausteine zur Verfügung. Existenzgründer erhalten dabei mit der Eigenkapitalhilfe einen Beitrag zur Eigenkapital- ausstattung. Die Gründungsdarlehen stellen die Gesamt- finanzierung der Vorhaben sicher. Diese Förderung ist uns wichtig. Denn gerade kleine innovative und dynamische Unternehmen leisten einen wichtigen Beitrag zur Schaffung und Sicherung von Ar- beitsplätzen. Mit ihren innovativen Ideen und Konzepten treiben sie den Strukturwandel voran. Sie stärken damit auch die Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit unserer Volkswirtschaft insgesamt. Mit dem ERP-Wirtschaftsplangesetz 2003 legen wir heute erneut für ein weiteres Jahr die rechtlichen und haushaltsmäßigen Grundlagen der ERP-Wirtschaftsför- derung fest. Die einzelnen ERP-Programme betreffen ne- ben Gründungsförderung durch Eigenkapitalhilfe und Existenzgründungskrediten den Aufbau und die Moderni- sierung bestehender Unternehmen im Osten und in regio- nalen Fördergebieten im Westen, die Innovationsförde- rung, die Förderung von Umweltschutzinvestitionen, die Mobilisierung von Beteiligungskapital. Die beiden Förderinstitute des Bundes, die Deutsche Ausgleichsbank und die Kreditanstalt für Wiederaufbau, flankieren in einer beträchtlichen Größenordnung die Förderaktivitäten des ERP-Sondervermögens durch ihre eigenen Mittel und Programme. Dies geschieht abge- stimmt mit dem ERP-Sondervermögen. Im Wirtschafts- plan 2003 des ERP-Sondervermögens stehen 5 Milliarden Euro für zinsgünstige ERP-Kredite zur Verfügung. Hinzu kommt eine weitere Summe von rund 1 Milliarde Euro für mobilisiertes Eigenkapital im Rahmen des Programms „Beteiligungskapital für kleine Technologieunternehmen (BTU)“. Damit ermöglicht der ERP-Wirtschaftsplan 2003 ein Fördervolumen wie im laufenden Jahr. Der Plan dokumentiert den Willen der Bundesregierung, in 2003 die bewährten ERP-Programme für bestehende und wachsende Unternehmen auf einem bedarfsgerechten und hohen Niveau fortzusetzen. Der vorliegende ERP-Wirt- schaftsplan 2003 zeigt auch erneut, dass wir auf die spezi- ellen Finanzierungsprobleme von Existenzgründern und mittelständischen Unternehmen in den neuen Ländern in besonderem Maße eingehen. Rund 2,5 Milliarden Euro, also knapp die Hälfte der finanziellen Fördermittel, können von dortigen Unternehmen in Anspruch genommen wer- den. Ein wichtiges Element im Wirtschaftsplan 2003 ist abermals die Haftungsübernahme für Beteiligungen im Rahmen des BTU, des Beteiligungsprogramms für kleine Technologieunternehmen. Für Zusagen, die seit 2001 gegeben werden, trägt das ERP-Sondervermögen die entsprechenden Belastungen, wenn einzelne Beteiligungen notleidend werden. Eine Belastung des ERP-Sondervermögens aus Schäden von Altzusagen vor 2001 ist ausgeschlossen, diese Ausfälle werden weiterhin aus dem Bundeshaushalt getragen. Ur- sächlich für die hohen Ausfälle für Beteiligungszusagen früherer Jahre, die im Kalenderjahr 2001 abgerechnet worden sind, ist die Krise der Unternehmen im Bereich des Neuen Marktes, die zu den Hauptadressaten des BTU- Programms gehören. Diese besondere Situation wird sich nicht auf die vom ERP-Sondervermögen zu tragende Aus- fallquote im Kalenderjahr 2001 auswirken. Außerdem sind die mit der Betreuung des Programms beauftragten Förderinstitute aufgrund ihrer Erfahrungen wesentlich kritischer bei der Auswahl der zu fördernden Technologieunternehmen, als dies zuvor der Fall war. Ein derartiger Lerneffekt ist auch bei den antragstellenden pri- vaten Beteiligungsgebern zu beobachten. Die aktuellen Zusagezahlen bestätigen diese Tendenz. Wir haben außerdem im ERP-Sondervermögen ent- sprechend Risikovorsorge betrieben. Das Bundesminis- terium für Wirtschaft und Technologie als Verwalter des ERP-Sondervermögens hat in der ERP-Bilanz, die un- abhängig vom Wirtschaftsplangesetz jedes Jahr aufge- stellt wird, erstmals per 31. Dezember 2001 eine Reser- veposition zur Absicherung bestehender Risiken aus BTU-Zusagen des Jahres 2001 gebildet. Ein Blick auf die aktualisierten Zahlen der Ausfallentwicklung zeigt, dass den Risiken ausreichend Rechnung getragen wor- den ist. Das ERP-Sondervermögen ist in der Lage, die finanzi- ellen Belastungen aus der Übernahme des BTU-Pro- gramms ab 2001 zu tragen. Insgesamt belegt das vorliegende Wirtschaftsplange- setz 2003, dass die finanzielle Förderung des Mittelstan- des auch im kommenden Jahr ohne Einschränkungen auf hohem Niveau fortgesetzt werden kann. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Freitag, den 7. Juni 2002 24117 (C) (D) (A) (B) Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung tierarzneimittelrechtlicher Vorschrif- ten (Tagesordnungspunkt 28) Jella Teuchner (SPD):Am 8. November letzten Jah- res haben Nordrhein-Westfalen, Sachsen-Anhalt, Schles- wig-Holstein und Sachsen im Bundesrat einen Antrag zur Änderung tierarzneimittelrechtlicher Vorschriften einge- bracht. Dieser Antrag wurde im Bundesrat einstimmig an- genommen. Seitdem die ersten Gerüchte um geplante – oder auch nicht geplante – Änderungen unter Tierärzten, Landwir- ten und Brieftaubenzüchtern kursierten, gibt es eine in- tensive Diskussion um die Regelungen zum Einsatz von Tierarzneimitteln. Zahlreiche Gespräche und Anhörun- gen, zahlreiche Briefe und Telefonate haben dazu geführt, dass wir heute über ein Tierarzneimittel-Neuordnungs- gesetz abstimmen, das zum einen eine Minimierung des Tierarzneimitteleinsatzes und eine bessere Kontrolle möglich macht, zum anderen aber auch in der Praxis um- gesetzt werden kann. Wir sind uns alle einig darüber, dass Tierarzneimittel sorgfältig eingesetzt werden müssen, insbesondere bei Tieren, die der Lebensmittelproduktion dienen. Arznei- mittelrückstände in Lebensmitteln und Antibiotikaresis- tenzen sind nur zwei Stichworte, die hier aufgeführt wer- den müssen. Es gibt bereits Vorschriften wie zum Beispiel Wartezeitregelungen, die für einen Schutz der Verbrau- cherinnen und Verbraucher sorgen. Dennoch werden noch Lücken festgestellt. So vertreten Wissenschaftler die Auf- fassung, dass zum Beispiel Unterdosierungen von anti- biotischen Wirkstoffen – wie sie zum Beispiel durch die so genannten Hofmischungen auftreten können – zu An- tibiotikaresistenzen führen können. Die Regelungen, die wir heute beschließen werden, sind für den Verbraucherschutz notwendig. Und sie sind, wie zum Beispiel bei den Hofmischungen, europarecht- lich auch geboten. Ich glaube, wir haben in den Ge- sprächen zu diesem Gesetz einen vernünftigen Weg ge- funden, hier die notwendigen Maßnahmen zu treffen. Ich will einige der stark diskutierten Punkte herausgreifen, um dies deutlich zu machen. Es wird sich bei den Brieftauben nichts am Status quo ändern. Allein der Bundesrat wollte die Tauben wie Le- bensmittel liefernde Tiere behandeln, was den Bezug von Arzneimitteln stark erschwert hätte. Die SPD-Fraktion hat sich hier für die Taubenzüchter eingesetzt, da das Pro- blem in erster Linie bei der Überwachung durch Landes- behörden liegt. Auch eine Arzneimittelpositivliste wird es nicht geben. Antibiotika, die nicht nur lokal wirken, dürfen vom Tierarzt nur für 7 Tage an den Tierhalter abgegeben wer- den, es sei denn, die Zulassungsbedingungen sehen be- reits eine längere Abgabemöglichkeit vor. Antibiotika, die nur lokal wirken, sowie andere Arzneimittel, für die die EU-Verordnung Wartezeiten festgelegt hat, dürfen für höchstens 31 Tage an den Tierhalter abgegeben werden, wenn eine Bestandsbetreuung vorliegt. Diese muss min- destens einen Tierarztbesuch monatlich beinhalten. Mit dieser Regel wird sowohl dem Grundsatz des vor- sorgenden Verbraucherschutzes als auch den Erfordernis- sen eines modernen Betriebsmanagements Rechnung ge- tragen. Mit dieser Regelung wird zugleich verhindert, dass Arzneimittel durch eine längerfristige Lagerung beim Tierhalter an Qualität verlieren und dass sie ohne tierärztlich festgestellte Indikation eingesetzt werden. Hormone zur Brunstharmonisierung und nur lokal wir- kende Trockensteller können für 31 Tage im Voraus im Rahmen einer ordnungsgemäßen Behandlung an den Tierhalter abgeben werden, sodass diese Regelung auch in der Praxis anwendbar ist. Bei den so genannten Hofmischungen wird eine un- bedingt erforderlich Einschränkung für Tierhalter und Tierärzte beim Umgang mit Fütterungsarzneimitteln ein- geführt, die auch weitgehend unumstritten ist. Zukünftig dürfen Fütterungsarzneimittel nur noch auf Verschreibung durch den Tierarzt unter Verantwortung des Herstellers hergestellt werden. Wer Fütterungsarznei- mittel herstellen will, bedarf einer Herstellungserlaubnis, die an strenge – technische und personelle Voraussetzun- gen geknüpft ist. Um einerseits den betroffenen Herstel- lern von Fütterungsarzneimitteln hinreichend Zeit zur Umstellung auf die geänderten Voraussetzungen für das Herstellen und das Inverkehrbringen von Fütterungsarz- neimitteln einzuräumen und andererseits weiterhin eine ausreichende Versorgung mit Fütterungsarzneimitteln zu gewährleisten, wird eine Übergangsfrist von zwei Jahren eingeräumt. Der Bundesrat hat mit seiner Initiative Erkenntnisse aufgegriffen, die die Länder im Rahmen ihrer Kontroll- tätigkeiten gewonnen haben. Er hat damit auch auf die illegalen Vorkommnisse im Tierarzneimittelbereich rea- giert. Mit den Änderungen zu dieser Bundesratsinitiative räumen wir Probleme des Verfassungsrechts und der prak- tischen Umsetzung aus. Der Ansatz, den der Bundesrat gewählt hat, ist zu be- grüßen: Die Minimierung des Arzneimittelbestandes beim Tierhalter kann aus Gründen des Verbraucher- schutzes nur begrüßt werden. Eine Reduzierung des Arz- neimitteleinsatzes auf das therapeutisch unerlässliche Mindestmaß bei Tieren kann zu einer geringeren Rück- standsbelastung und zu einem geringeren Risiko von Aus- bildungen von Antibiotikaresistenzen führen. Die Zielset- zung, bei der Behandlung von Tieren in erster Linie Fertigarzneimittel zu verwenden, sorgt für eine kontrol- lierte Qualität der Lebensmittel und dient sowohl dem Verbraucher- als auch dem Tierschutz. Die Tierärzte be- kommen insbesondere im Rahmen eines Betreuungsver- trages eine stärkere Position. Dies wird zu einem kontrol- lierteren Umgang mit Tierarzneimitteln führen. Wir verringern die Gefahren des Tierarzneimittel- einsatzes und schaffen bessere Kontrollmöglichkeiten. Dies dient dem Verbraucherschutz, ohne Landwirte und Tierärzte über Gebühr zu belasten. Durch die intensiven Diskussionen und die konstruktive Zusammenarbeit aller Beteiligter konnten viele Bedenken an der Bundesrats- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Freitag, den 7. Juni 200224118 (C) (D) (A) (B) initiative zerstreut werden. Dadurch ist auch der in der Gegenäußerung angekündigte Gesetzentwurf der Bun- desregierung unnötig geworden. Ich bitte Sie daher um die Zustimmung zum Tierarzneimittel-Neuordnungsgesetz mit den vom Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft beschlossenen Änderungen. Helmut Lamp (CDU/CSU): In den Medien wird häu- fig die Resistenzbildung gegen antimikrobielle Wirk- stoffe herausgestellt. Doch Tierarzneimittel sind – in aller Regel – schon längst keine Bedrohung für Verbraucher mehr. So bestätigen beispielsweise Berliner Untersu- chungsinstitutionen, dass schon seit langem keine Anti- biotikareste im Fleisch nachzuweisen sind. Eine im ver- gangenen Jahr im Auftrag der Zeitschrift „Computerbild“ durchgeführte Untersuchung von aus dem Internet be- stellten 79 Wurstsorten auf Antibiotikarückstände er- brachte keine Beanstandungen. Die Zeitschrift „Öko- Test“ konnte bei 419 untersuchten Putenfleischproben keine Medikamentenrückstände feststellen und auch die Untersuchungen des Nationalen Rückstandskontrollrats belegen, dass Antibiotikarückstände im Fleisch praktisch kein Thema sind. Es ist daher festzustellen, dass Tierärzte und Landwirte ganz offensichtlich verantwortungsbe- wusst mit Tierarzneimitteln umgehen. Dass es trotzdem zu unsachgemäßem oder gar illegalem Arzneimitteleinsatz kommen kann, ist in Einzelfällen belegt. Die Intention des Gesetzentwurfs, Missbrauch noch besser als bisher zu un- terbinden, ist daher grundsätzlich zu begrüßen. Aber mit dieser Gesetzesvorlage werden Tierschutz und Verbraucherschutz nicht in Einklang gebracht. Über- bordende, teilweise unsinnige Bürokratie behindert die Behandlung kranker Tiere und praxisuntaugliche Vorga- ben verhindern teilweise eine sachgerechte Behandlung. Hierzu einige Beispiele: Erstens. Tierärzte müssen künftig die Genehmigung zur Führung einer Hausapotheke haben. Die Regelung be- gegnet nicht nur erheblichen rechtlichen Bedenken wegen des Verstoßes gegen den Grundsatz der Verhältnismäßig- keit. Zu fragen ist auch, wie der Landwirt kontrollieren können soll, ob sein Tierarzt diese Berechtigung hat. Zweitens. Tierärzten soll es nicht mehr erlaubt sein, aus apothekenpflichtigen, nicht verschreibungspflichtigen Substanzen Arzneimittel herzustellen. Wie sollen Ziegen, Kaninchen und andere Tiere behandelt werden, für die es auf dem Markt gar keine Arzneimittel gibt? Drittens. Was ist zu tun, wenn benötigte Mittel im Handel nicht oder nur in Kombination mit anderen Wirk- stoffen erhältlich sind? Viertens. Arzneimittel dürfen nur für eine siebentägige Behandlungsdauer abgegeben werden, im Ausnahmefall 28 Tage. Was ist zu tun, wenn eine Kuhherde mit einem antibakteriellen Trockensteller nach der jeweiligen Lakta- tionszeit behandelt werden muss? Wie reagiert man auf eine drohende Einzelfallbehandlung, deren akut werden- der Zeitpunkt aber nicht einschätzbar ist? Fünftens. Bezug und Anwendung geeigneter Futterarz- neimittel werden für den Tierarzt und den Landwirt er- heblich eingeschränkt. Also lieber Spritze statt im Futter? Sechstens. Arzneimittel dürfen nur noch in handelsüb- lichen, therapieentsprechenden Fertigpackungen abgege- ben werden. Ist es dem Tierarzt möglich, von jedem Arz- neimittel Packungen mit sich zu führen, die von der Einzelfall- bis Großherdenbehandlung reichen? Ich möchte Ihnen die Situation vor Ort einmal plastisch am Beispiel des Kreises Plön in Schleswig-Holstein schil- dern: Der Kreis hat einen Durchmesser von circa 70 Kilo- metern mit etwa 200 Ortschaften, Dörfern und vielen Ein- zelhofstellen. Acht Tierarztpraxen für Großtiere stehen zur Verfügung. Die Einzelbehandlung eines Tieres kostet normalerweise 20 bis 40 Euro. Dafür muss ein Landwirt drei bis vier Schweine mästen. Ihr Gesetzentwurf führt dazu, dass der Tierarzt zukünftig erheblich häufiger an- reisen müsste. Das kann der Arzt aus Zeitgründen nicht und das kann sich der Landwirt aus finanziellen Gründen gar nicht leisten. Ihr Gesetzentwurf führt also zu völlig unzumutbaren Folgen. Aber was uns in letzter Zeit an Gesetzesvorlagen ge- boten wird, hat schon länger nichts mehr mit der Praxis im Lande und den Realitäten zu tun: Mit der Hennenhal- tungsverordnung wurde praktisch die Eierproduktion in Deutschland aufgegeben. Das Absatzfondsgesetz ist eine Zumutung. Das Geld der Bauern soll in ideologische Kanäle der grünen Agrarwende gelenkt werden. Das Ver- braucherinformationsgesetz, ein Placebogesetz, soll den Verbrauchern suggerieren, sie würden besser informiert. Und nun das Tierarzneimittelgesetz, ein Schnellschuss, der voll daneben trifft. Wir brauchen nicht zusätzliche Kompliziertheiten, sondern effektive Information und Kontrolle. Doch daran hapert es im Künast-Ministerium an allen Ecken und Enden. Klasse statt Masse? Fangen wir doch mal in der Gesetzgebung an! Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Hor- mone in Kälberfleisch, Antibiotika, Autobahntierärzte, die säckeweise Arzneimittel aus dem Kofferraum verkau- fen – Skandale mit Tierarzneimitteln haben das Image der Landwirtschaft bei den Verbrauchern beschädigt. Und sie haben die gesamte Berufsgruppe der Veterinäre immer wieder in Verruf gebracht. Aber es waren nicht nur einzelne schwarze Schafe, die diese Skandale bewirkt haben. Die Verantwortung trägt die alte Agrarpolitik, die die Landwirte in immer schnel- lere und billigere Fleischproduktion getrieben und gleich- zeitig Lücken in Gesetzen und bei der Kontrolle offenge- lassen hat. Mit dem jetzt vorliegenden Tierarzneimittelneuord- nungsgesetz verbessern wir in ersten Schritten die recht- lichen Rahmenbedingungen für eine wirksame Kontrolle, die für eine Eindämmung des Missbrauchs entscheidend ist. Grundlage dieses Gesetzes ist ein Entwurf des Bun- desrates. An dieser Stelle möchte ich den Expertinnen und Experten der Bundesländer für die Anregungen aus der Kontrollpraxis und die gute Zusammenarbeit ausdrück- lich danken. Ich will die Verbesserungen am Beispiel „Antibiotika- einsatz in der Tiermast“ verdeutlichen. Der übermäßige Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Freitag, den 7. Juni 2002 24119 (C) (D) (A) (B) Einsatz von Antibiotika ist durch die Entstehung von re- sistenten und multiresistenten Bakterien zwar auch ein großes Problem für die Tiergesundheit, die eigentliche Gefahr aber droht in der Humanmedizin: Seit Jahren war- nen Mediziner vor direkten oder indirekten Resistenzen, den so genannten Kreuzresistenzen beim Menschen. Das größte Problem liegt dabei noch vor uns: Es besteht die Gefahr, dass wir uns den Einsatz ganzer Antibiotikastoff- klassen in der Humanmedizin für die Zukunft verbauen, weil wir durch den überzogenen Einsatz in der Tiermast bereits heute resistente Krankheitserreger heranzüchten. Wir setzen uns deshalb seit Jahren für die deutliche Re- duzierung des Antibiotikaverbrauchs in der Landwirt- schaft ein. Antibiotika werden leider immer noch als Leis- tungsförderer im Tierfutter, zur Prophylaxe und zur Therapie eingesetzt. Wir verfolgen das Ziel, dass Antibio- tika möglichst nur noch zur Therapie eingesetzt werden. Kurzfristig könnte man ganz und gar auf die Verwendung als Leistungsförderer verzichten. Die EU hat die letzten vier antibiotischen Leistungs- förderer jetzt ab 2006 verboten. Das dauert uns zu lange. Die deutsche Futtermittelwirtschaft hat sich bereits ver- pflichtet, auf antibiotische Leistungsförderer im Stan- dardfutter zu verzichten. Wir wünschen uns eine solche Selbstverpflichtung auch von den Fleischproduzenten. Es besteht die Gefahr, dass jetzt Antibiotikagaben ver- mehrt als Prophylaxe deklariert werden. Die Praktiker, die Kontrolleure vor Ort haben uns gesagt, dass durch die zeitlich nicht begrenzte Abgabe von Tierarzneimitteln nicht kontrollierbar war, ob vor Ort vorgefundene, zum Teil umfangreiche Lagerbestände in die aktuelle Behand- lung, in eine künftige Behandlung, in die Behandlung noch nicht einmal eingestallter Tiere, in die Prophylaxe oder in die Tiermast gingen. Damit ist nun Schluss. Künftig darf nur noch die für sieben Tage Behandlung notwendige Menge vom Tierarzt abgegeben werden. Mast und überflüssige Prophylaxe sind mit diesen Mengen nicht mehr zu machen. Durch verbesserte Dokumentations- und Meldepflichten und eine größere Transparenz bei der Tierarzneimittelherstel- lung werden die Stoffflüsse – gerade auch für Antibiotika – endlich nachvollziehbar. Im Bereich der Fütterungsarzneimittel wird durch die Abschaffung der so genannten Hofmischung und des Her- stellungsauftrages ein höheres Qualitätsniveau gesichert. Auch dies schützt die Verbraucher vor den Risiken eines unsachgemässen Antibiotika-Einsatzes. Das heute vorlie- gende Gesetz ist ein wesentlicher Fortschritt für den Schutz der Verbraucher vor Tierarzneimittelmissbrauch. Dieses Gesetz ist ein weiterer Baustein in unserer Politik, um das Vertrauen der Verbraucher in die Sicherheit und Qualität der Lebensmittel, insbesondere des Fleisches, wiederzugewinnen. Und es wird von den Bundesländern, die für die Kontrolle zuständig sind, für absolut notwen- dig erachtet. 16:0 im Bundesrat. Liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU, CSU und FDP: Sie sollten dem Gesetz zustimmen, anstatt hier die Gegenargumente der Lobbyisten vorzutragen, die alles beim Alten belassen wollen. Tatsächlich geht der Vor- schlag des Bundesrates erheblich weiter, da er den Be- reich der tierärztlichen Hausapotheken gleichzeitig neu regelt. Diese Reformen werden wir in weiteren Schritten angehen, weil hier noch an vielen Seiten Diskussionsbe- darf gesehen wird. Wir haben in den parlamentarischen Beratungen eine Reihe von Anregungen aus der landwirtschaftlichen und tierärztlichen Praxis aufgenommen, sodass wir jetzt ein Gesetz vorlegen, das gleichermaßen praxisgerecht für die Tierhaltung als auch effizient für den Verbraucherschutz ist. Wir erhoffen uns im Bundestag und im Bundesrat eine genauso breite Zustimmung dafür, wie wir sie in der Ge- sellschaft von Humanmedizinern, Landwirten, Lebens- mittelwirtschaft und Verbraucherschützern, von der Bun- destierärztekammer und vom Handel erhalten haben. Marita Sehn (FDP): Was ist eigentlich Basisdemo- kratie? Ich habe immer gedacht, wenn etwas demokra- tisch ist, dann ist die Basis automatisch mit eingebunden. Die Grünen haben aber bei der Neuordnung des Tierarz- neimittelrechtes eine ganz andere Form der Basisdemo- kratie vorgeführt. Dieses Gesetzgebungsverfahren findet vielleicht auf der Basis demokratischer Institutionen statt, ist aber zugleich zutiefst undemokratisch. Zuerst verspricht Frau Künast einen eigenen Entwurf. Den gibt es nicht. Stattdessen übernimmt die Bundesre- gierung den des Bundesrates. Dieser wird dann kurzfristig über eine Flut von Änderungsanträgen so entstellt, das selbst für Experten keine sachgerechte Beurteilung des Gesetzes mehr möglich ist. Dies ist ein weiterer Beleg dafür, dass Frau Künast längst eine Ministerin ohne Ministerium geworden ist. Sie hat ihr Haus nicht im Griff. Wie erklärt es sich sonst, dass sie vollmundig einen eigenen Entwurf ankündigt und dann der Bundesrat für die Regierung die Arbeit machen muss? Diese Ministerin ist hoffnungslos überfordert. Ob Chloramphenicol, ob Nitrofen, Frau Künast kann nur rea- gieren, aber nicht agieren. Vor gar nicht allzu langer Zeit haben alle hier versam- melten Parteien die Einführung des Tierschutzes in das Grundgesetz beschlossen. Damit steht der Tierschutz zwar im Grundgesetz, in den Köpfen der Regierungsko- alition ist er noch nicht angekommen. Denn die Vorstel- lungen von Rot-Grün gehen nur in eine Richtung. Der Einsatz von Tierarzneimitteln soll reduziert werden, koste es, was es wolle, selbst wenn es auf Kosten der Tierge- sundheit geht. Die Tiere sollen nach den Vorstellungen von Rot-Grün ruhig leiden, Hauptsache, es werden keine Medikamente eingesetzt. Diese Politik ist nicht nur kurz- sichtig und tierfeindlich, sie ist obendrein zynisch. Sagen Sie doch bitte den Verbrauchern, dass die Kos- ten eines Tierarztbesuches den mit einem Mastschwein erzielbaren Gewinn übersteigen. Welcher Bauer kann es sich denn leisten, den Tierarzt mehrfach kommen zu las- sen, weil ein Huhn oder ein Mastschwein erkrankt ist? Ich kann es Ihnen sagen, welcher Bauer das ist. Das sind hoch technisierte, hoch spezialisierte Veredlungsbetriebe, die es sich leisten können, einen Tierarzt für die eigenen Tiere einzustellen. Es sind die Betriebe, die Bundeskanzler Schröder so wortreich bekämpft. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Freitag, den 7. Juni 200224120 (C) (D) (A) (B) Mit ihrem Erfindungsreichtum in Sachen Auflagen – sei es unter dem Deckmantel des Verbraucher-, des Tier- oder des Umweltschutzes – ruinieren sie die kleinbäuerli- chen Betriebe. Sie treiben die Betriebe in den Ruin, die Ihnen angeblich so am Herzen liegen. Das ist die Schizo- phrenie der Agrarwende künastscher Prägung. Rot-Grün betreibt ein perfides Spiel mit den Verbrau- chern. Den Verbrauchern wird bei jedem „Lebensmittel- skandal“ signalisiert: Wir machen ein neues Gesetz und dann wird so etwas nicht mehr passieren. Dass Rot-Grün ein neues Gesetz macht, stimmt, nur mehr Sicherheit für die Verbraucher gibt es nicht. Die berühmten schwarzen Schafe bleiben weiter schwarz. Die guten Bauern – und die, das möchte ich ausdrücklich betonen, sind in der überwältigenden Mehrheit – bekommen mehr Auflagen und wieder ein paar neue Dokumentationspflichten aufs Auge gedrückt, während die kriminellen weitermachen wie bisher. Mittlerweile sind doch viele unserer Bauern damit beschäftigt, die eine Hälfte des Tages das aufzu- schreiben, was sie in der anderen getan haben. Dieses Gesetz im Eilverfahren durchzuziehen zeigt einmal mehr: Rot-Grün fehlt es an Konzepten. Erst gibt es den Lebensmittelskandal und dann wird überstürzt ein Gesetz beschlossen. Anstatt vorausschauend zu planen, wird hastig und überstürzt nachgebessert. Das ist die trau- rige Realität des rot-grünen „vorsorgenden“ Verbraucher- schutzes. Bei Rot-Grün ist es zu einer neuen Bauernregel ge- worden: Findet man in Lebensmitteln irgendwelchen Mist, machen die Grünen ein Gesetz und alles bleibt, wie’s ist. Kersten Naumann (PDS): Bei der vorliegenden Än- derung tierarzneimittelrechtlicher Vorschriften musste auch erst ein Skandal, der Anfang 2001 für Schlagzeilen sorgte, die Chance für ein politisches Überdenken an- stoßen. Wegen des illegalen Handels mit Tierarzneimit- teln sowie des Verkaufs von nicht zugelassenen Medika- menten in mehreren Hundert Fällen wurde ein Tierarzt verurteilt. Damals war die bayerische Gesundheitsminis- terin Barbara Stamm, CSU, zurückgetreten, weil in ihrem Haus Berichte über den Einsatz illegaler Medikamente ig- noriert worden waren. Im Zusammenhang mit dem Skandal gerieten ver- schiedene bayerische Tierärzte in den Verdacht, Hunder- ten von Schweinemästern in Deutschland und Österreich illegal Arzneimittel verkauft zu haben, darunter Hor- mone, Impfstoffe und Antibiotika. Besonders der Einsatz von Antibiotika in der Schweinemast gilt als gefährlich, da der Verzehr von mit Antibiotika versetztem Fleisch dazu führen kann, dass das Medikament beim Menschen nicht mehr wirkt. Nun darf aber nicht jeder Tierarzt verdächtigt und um sein Dispensierrecht gebracht werden. Eine Vertrauensba- sis zwischen Landwirt und Tierarzt ist genauso wichtig wie das Vertrauensverhältnis zwischen Patient und Arzt. Wir sind uns alle einig: Es gab massiven Handlungs- bedarf. Verbraucherschutz und Tierschutz erfordern es, rückstandsfreie Lebensmittel zu erhalten. Fakt ist, dass trotz sinkender Tierbestände der Tierarzneimittelmarkt – in Geldwertangaben –, insbesondere auch auf dem An- tibiotikasektor, gestiegen ist. Ein Mangel seitens der Pharmaindustrie und der Bundesregierung ist, dass die tatsächlichen mengenmäßigen Verbräuche statistisch nicht erfasst werden. Hier ist unbedingt Abhilfe zu leisten. Ein Gesetz sollte dem Medikamentenmissbrauch Rechnung tragen, denn eine Überwachung mit dem gülti- gen Gesetz war nicht mehr gegeben. Auch eine Reduzie- rung des Tierarzneimittelverbrauchs insgesamt, dort wo es nicht erforderlich ist, ist mit diesem Gesetz bezweckt. Einer höheren Transparenz und Kontrolltätigkeit soll es ebenso dienen. Dieser Handlungsbedarf wurde mit einem seltenen Einstimmigkeitsergebnis im Bundesrat von 16:0 für einen Gesetzentwurf der Länderkammer erzielt. Inzwischen kam der Gesetzentwurf des Bundesrates auf Bundes- und Landesebene zur Anhörung. Seitens der Tierärztekammern und Wirtschaft – Pharma- und Futtermittelindustrie – gab es erhebliche Vorbehalte hinsichtlich der praktikablen Anwendung solcher strittigen Punkte wie der Einführung einer Sie- bentagesfrist, das heißt frei praktizierende Tierärzte sollten Medikamente nur noch für eine Behandlung von höchstens sieben Tagen an die Landwirte abgeben dür- fen und nicht gleich für mehrere Wochen. Das Verdün- nen von Medikamenten soll verboten werden. Auch die Landwirte – insbesondere Kleinbetriebe, die Arznei, Fütterungsarznei, auf Vorrat halten – sahen große Pro- bleme, wenn ein Schweinchen einen Schnupfen be- kommt, da die Praxis der „Hofmischung“ verboten wer- den sollte. Inzwischen sind diese Punkte durch die Koalitionspar- teien präzisiert worden und entsprechend den Interessen- vertretern der Landwirtschaft, Wirtschaft und Tierärzte- kammern größtenteils angepasst worden. Mit einer 31-Tage-Frist zur Anwendung von Arzneimitteln, die keine Antibiotika sind und nicht lokal angewendet wer- den, können unter der Bedingung der Bestandsbetreuung sowohl die Landwirte als auch die praktizierenden Tierärzte sehr gut leben. Bei den Brieftauben wurde ein Problem der Taubenzüchter aufgegriffen und Brieftauben werden nicht als Lebensmittel liefernde Tiere betrachtet. Wir werden dem Gesetz des Bundesrates mit den Än- derungen der Koalition zustimmen. Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Zweiten Geset- zes zur Änderung des Mineralölsteuergesetzes (Tagesordnungspunkt 29) Reinhard Schultz (Everswinkel) (SPD): Auf Initia- tive der Koalitionsfraktionen ist der Entwurf eines Zwei- ten Gesetzes zur Änderung des Mineralölsteuergesetzes, der ursprünglich überwiegend technischen Charakter hat- te, zu einem bedeutenden Beitrag für eine Politik „Weg Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Freitag, den 7. Juni 2002 24121 (C) (D) (A) (B) vom Öl“ entwickelt worden. Ich bedanke mich bei allen, sowohl bei den Koalitions- als auch bei den Oppositions- parteien, die daran mitgewirkt haben und – mit Ausnahme der FDP – das Gesetz im Wesentlichen mittragen. Durch die Freistellung von Kraftstoffen pflanzlichen Ursprungs über den so genannten Biodiesel hinaus von der Mineralölsteuer werden günstige Rahmenbedingungen ge- schaffen, um der Landwirtschaft ein zusätzliches ökonomi- sches Standbein zu schaffen, die steigende Mengennach- frage nach biologischen Kraftstoffen zu befriedigen, den Herstellern von Motoren die Voraussetzungen für moderne technische Entwicklungen zu geben und CO2-Emissionenauch in dem Sektor Verkehr zu mindern. Gemeint sind sol- che biologische Rohstoffe, wie sie in der Biomasse-Ver- ordnung definiert sind. Neben Biogas in überwiegend sta- tionären Anlagen wird Agraralkohol eine große Rolle spielen, der entweder eigenständig oder vermischt mit her- kömmlichen Mineralölen dann – wie seit langem in Süd- amerika und auch bereits in einigen anderen europäischen Ländern – an jeder Tankstelle zu beziehen sein wird. Mit der Mineralölwirtschaft wird darüber zu reden sein, wie insbesondere bei der Vermischung von herkömmlichen und biologischen Kraftstoffen eine vernünftige Abgrenzung im Hinblick auf die Steuerbefreiung verwirklicht werden kann. Wahrscheinlich wird die Lösung eine unabhängige Zertifizierung der unterschiedlichen Kraftstoffkomponen- ten sein. Aber auch eine Abgrenzung zum Trinkalkohol, so wie er im Branntweinmonopol geschützt ist, wird erforder- lich, zum Beispiel durch Vergällung der dem Kraftstoff zu- zusetzenden Agraralkoholen. Wenn wir künftig Biogasanlagen, insbesondere auch Gemeinschaftsanlagen, im Außenbereich ähnlich privile- gieren wie Windkraftanlagen, wird es für die Landwirt- schaft außerordentlich attraktiv, einen wichtigen Beitrag zur Energieversorgung zu leisten. Wir mussten die Steuerbefreiung begrenzen, weil sie einen beihilferechtlichen Tatbestand im Sinne des EU- Umwelt-Beihilferegimes darstellt. Und wir haben ange- sichts unsicherer Prognosen über die Mengenentwicklung und die damit verbundenen Steuerausfälle eine regel- mäßige Berichtspflicht für die Bundesregierung einge- baut, sodass wir die Entwicklung gegebenenfalls im Laufe der kommenden Jahre, erstmals im Jahre 2004, kor- rigieren können. Einen weiteren wichtigen Beitrag dieses Gesetzes stellt die Befreiung von besonders effizienten GuD-Kraftwer- ken von der Erdgassteuer dar. Bereits im Rahmen der Ökosteuergesetzgebung sollten diese Kraftwerke für einen definierten Zeitraum von der Erdgassteuer befreit werden. Dies hat die EU-Kommission nicht genehmigt. Wir unternehmen nunmehr einen neuen Anlauf und wol- len Kraftwerke mit einem Wirkungsgrad von 57,5 Prozent für einen Zeitraum von fünf Jahren von der Erdgassteuer befreien, wenn sie innerhalb von 39 Monaten nach Ver- kündung des Gesetzes in den Dauerbetrieb gegangen sind. Die Messvorschrift für den Wirkungsgrad ist in Eck- punkten unter Federführung des Bundesfinanzministers gemeinsam mit dem Wirtschaftsminister und dem Um- weltminister sowie den Ländern Mecklenburg-Vorpom- mern und Nordrhein-Westfalen bereits erarbeitet. Es geht uns darum, einen neuen Effizienzsprung in der Kraft- werkstechnik zu initiieren. Wenn diese Innovation gelingt und eine Referenzanlage steht, ist ein neuer Stand der Technik geschaffen, der dann ohne die spezifischen Vor- laufkosten der Referenzanlage auch ohne steuerliche För- derung wettbewerbsfähig ist. Wir gehen davon aus, dass die Referenzanlage in Lubmin in Mecklenburg-Vorpom- mern verwirklicht werden kann. Wir können jedoch leider nicht ausschließen, dass die EU-Kommission ein Haupt- prüfverfahren hinsichtlich dieses Beihilfetatbestandes eröffnet, was zu einer Verzögerung des Inkrafttretens um 18 Monate führen kann. Wir haben überdies für den deutschen Schiffsmotoren- bau auch vor dem Hintergrund von Wettbewerbsver- zerrungen im europäischen Ausland einen bedeutenden Beitrag dadurch geleistet, dass wir den Einsatz von Schwerölen zum Betrieb dieser Motoren auf Prüfständen von der Mineralölsteuer befreit haben. Hiervon wird zum Beispiel das Schiffsmotorenwerk von MAN in Augsburg profitieren. Wir haben ebenfalls dafür gesorgt, dass die mineral- ölsteuerbegünstigte Kraft-Wärme-Kopplung künftig so definiert wird, dass nicht nur die Stromerzeugung, son- dern auch die Krafterzeugung, die zum Beispiel für Stoff- umwandlungsprozesse erforderlich ist, anerkannt wird. Hiervon werden vor allen Dingen Unternehmen der che- mischen Industrie profitieren, so zum Beispiel auch die Stickstoffwerke SKW Piesteritz in der Lutherstadt Wit- tenberg, einer der Leuchttürme des Aufbaus Ost. Netzgebundene Stromerzeugungsaggregate im Außen- bereich auf Mineralölbasis werden für weitere drei Jahre von der Mineralölsteuer befreit, allerdings mit der Auf- lage, innerhalb dieser Frist Alternativen zu verwirklichen. Es geht zum Beispiel um Holzläger oder touristische Ein- richtungen wie Tropfsteinhöhlen, die der Öffentlichkeit zugänglich sind. Hier empfehlen wir dringend, den Strom künftig durch Biogasanlagen zu erzeugen oder aber in den Motoren biologische Kraftstofe einzusetzen. Im Übrigen werden künftig auch Notstromaggregate von der Mineralölsteuer befreit. Einen ganz bedeutenden Beitrag zur Klimaschutzpoli- tik, aber auch zur Entwicklung alternativer industrieller Strukturen auf dem Gebiet der Photovoltaik liefert die Anhebung des Deckels für Photovoltaikanlagen, die Strom ins allgemeine Netz einspeisen und dafür eine be- sondere Vergütung beziehen. Dieser Deckel lag bislang bei 350 Megawatt, der aber in den nächsten Monaten ausgeschöpft sein dürfte. Wir haben diesen Deckel auf 1 000 Megawatt angehoben und tragen damit der Tatsa- che Rechnung, dass die Erzeugung von Strom aus Son- nenlicht von vielen Bürgern angenommen wird. Ich bedaure es außerordentlich, dass die CDU/CSU sich dieser Maßnahme verweigert und einen Änderungs- antrag für die zweite Lesung eingebracht hat, der diese Regelung wieder streichen will. In den letzten Jahren der Regierung Kohl haben CDU und CSU durch Nichtstun und Verweigerung dafür gesorgt, dass die Photovoltaik- industrie aus Deutschland fast verschwunden war. Erst durch das Energieeinspeisegesetz, das 100 000-Dächer- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Freitag, den 7. Juni 200224122 (C) (D) (A) (B) Programm und eine gezielte Industriepolitik ist es gelun- gen, Produktionsanlagen für Solarzellen, zum Beispiel in Gelsenkirchen, anzusiedeln und damit auch dem Hand- werk einen wichtigen zusätzlichen wirtschaftlichen Im- puls zu geben. Diese Strategie ist aufgegangen, weil wir es nicht hinnehmen, für alle Beteiligten, ob den Investor, ob den Handwerker oder die herstellende Industrie, ei- ne strukturpolitische Abbruchkante vorzuprogrammieren, was unweigerlich dazu führen würde, dass die gesamte Solarindustrie wieder vor die Wand gefahren würde. Wir wollen, dass durch die Produktion großer Zahlen auch die Photovoltaik schrittweise in den Bereich der Wirtschaft- lichkeit und Wettbewerbsfähigkeit geführt wird. Leider konnten wir in diesem Gesetzgebungsverfahren noch nicht alle anderen Gesichtspunkte des Erneuerbare- Energien-Gesetzes mitregeln, die möglicherweise ände- rungsbedürftig sind. Wir sagen aber zu, dass dies zu Be- ginn der nächsten Wahlperiode geschieht. Dies bezieht sich auch auf die Veränderung des Wälzungsmecha- nismus für die Einspeisevergütung, die immer noch pri- vate Haushalte und Industrie unterschiedlich belastet. Wir wollen einen ähnlichen Wälzungsmechanismus einfüh- ren, wie wir ihn für die Kraft-Wärme-Kopplung ent- wickelt haben. Alles in allem ist dieses Gesetz ein weiterer Beitrag für eine zukunftsorientierte Energiepolitik mit Augenmaß, die zum einen auf Klimaschutz ausgerichtet ist und zum anderen die Interessen der Industrie wahrt. Norbert Schindler (CDU/CSU): In den letzten drei- einhalb Jahren gab es zwischen der Landwirtschaft und ihren Vertretern auf der einen und dem Finanzminister und den zuständigen Ausschüssen auf der anderen Seite noch nie einen solchen Konsens, wie er mit dem nun vor- liegenden und in Details geänderten Gesetzesentwurf zur Änderung des Mineralölsteuergesetzes hergestellt worden ist. Ich gebe zu: Die Freude ist hierbei sicherlich etwas ein- seitig bei den Produzenten und Verbrauchern von biogenen Kraftstoffen und weniger beim Fiskus. Die Rechtsänderung wird in den kommenden Jahren schätzungsweise zu Min- dereinnahmen bei der Mineralölsteuer in folgender Höhe führen: 2003: 100 Millionen Euro, 2004: 120 Millionen Euro, 2005: 130 Millionen Euro, 2006: 150 Millionen Euro. Diese Mindereinnahmen werden jedoch über die Jahre deut- lich von den prognostizierten Beschäftigungszuwächsen, vor allem im von der jetzigen Bundesregierung stark ver- nachlässigten ländlichen Raum, kompensiert werden, so- dass dem Herrn Finanzminister an anderer Stelle Steuern zu- fließen werden, die diese Mindereinnahmen deutlich übersteigen werden. Zur Frage, ob die Erhöhung der Produktion von Bio- kraftstoffen, die bisher ja noch keinen relevanten Markt- anteil erreicht haben, neben den Nutzeffekten einer wei- teren Vermeidung von CO2-Emmissionen und einemersten Schritt bei der Erdölsubstitution zur Erhöhung der Versorgungssicherheit, auch Nutzen für die Landwirt- schaft in Deutschland bringt, haben sich die Antragsteller des Gesetzentwurfes deutlich ausgedrückt: „Eine ver- stärkte Produktion von Ausgangsstoffen für Biokraft- stoffe wird einen Beitrag zur Multifunktionalität der Landwirtschaft leisten und der ländlichen Wirtschaft durch die Erschließung neuer Einkommensquellen und durch die Schaffung von Arbeitsplätzen neue Impulse ver- leihen. Die Herstellung von Biokraftstoffen ist relativ ar- beitsintensiv, vor allem in ländlichen Gebieten während der Ernte und des Betriebs der Biokraftstoffanlagen. Ver- schiedene Studien prognostizieren einen Arbeitsplatzef- fekt von 16 bis 26 Beschäftigten pro 1 000 Tonnen Rohöleinheiten pro Jahr. Rechnet man diese Ergebnisse hoch, so würde ein Biokraftstoffanteil von etwa einem Prozent des Gesamtverbrauchs an fossilen Kraftstoffen in der EU 45 000 bis 75 000 neue Stellen schaffen, der Groß- teil davon in ländlichen Gebieten. Der Beschäftigungs- effekt liegt zum Beispiel bei der Erzeugung von Biodiesel beim 50-fachen der Produktion der gleichen Menge her- kömmlichen Dieselkraftstoffs in einer Raffinerie!“ Dem ist aus Sicht der Landwirtschaft nichts hinzuzu- fügen, wenn man davon absieht, dass die zweijährige Überprüfung der Besteuerung respektive Nichtbesteue- rung der biogenen Kraftstoffe zu Unsicherheiten bei Pro- duzenten und Verbrauchern führen kann; somit ist die Preisstabilität des Produktes – hier: Biodiesel – nicht langfristig gewährleistet! Hier sollte nicht so sehr auf die Entwicklungen am Rohölmarkt und die Preise für Bio- masse und Kraftstoffe abgestellt werden, sondern den land- und forstwirtschaftlichen Produzenten eine langfris- tige Absatzmöglichkeit für ihre Produkte zu einem ver- nünftigen Preis ermöglicht werden. Diese Gesetzesänderung möchte ich zum Anlass neh- men, Ihnen die ökologischen Errungenschaften in der Mineralölsteuergesetzgebung der unionsgeführten Bun- desregierungen vor Augen zu führen. Ich weiß, dass Sie, liebe Damen und Herren der Noch-Bundesregierung, nicht gerne hören, dass wir uns schon vor sehr langer Zeit für den Einsatz von biogenen Treibstoffen stark gemacht haben und dass die Steuerbefreiung von Biodiesel und Biogas auf Initiative der Regierung Kohl zustande ge- kommen ist. Wir haben uns schon 1992 dafür stark gemacht, dass die Steuerbefreiung für Biodiesel bei der europäischen Harmonisierung einen garantierten Be- standsschutz erhält, der bis heute gilt. Mittlerweile ist die Ausrichtung der EU-Kommission ja eine andere: Sie ist auch für eine Verlängerung der Nichtbesteuerung. Somit steht die von uns zu beschließende Steuerbefrei- ung im Einklang mit den gegenwärtig von Europäischem Parlament und EU-Ministerrat beratenen Vorschlägen für Richtlinien bezüglich der Förderung der Verwendung von Biokraftstoffen sowie zur Möglichkeit, Biokraftstoffe und Biokraftstoffe enthaltende Mineralöle von der Steuer aus- zunehmen. Auch in den EU-Staaten Frankreich, Großbri- tannien, Schweden, Italien und Spanien werden Biokraft- stoffe gefördert. Lassen Sie mich, des vielen Lobes genug, einige kri- tische Anmerkungen zum Ablauf, wie dieser Gesetzent- wurf zustande gekommen ist, und zu einigen Details im Text machen: Erstens. Die Hektik, in der der Entwurf vorgelegt und durch die Ausschüsse gepeitscht worden ist, ist sympto- matisch für die Regierungskoalition. Wenn sich SPD und Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Freitag, den 7. Juni 2002 24123 (C) (D) (A) (B) Grüne nicht grün sind, ob sie das eine wollen, ohne das andere zu lassen, so sollten sie dies doch gefälligst vor Einbringung eines Gesetzentwurfes tun. Das ständige Nachbessern während der Beratungen und kurzfristig über Nacht nervt! Zweitens. Mit der Verknüpfung der Änderung des Mineralölsteuergesetzes mit der Änderung des Erneuer- bare-Energien-Gesetzes sollte die Dauer einer Subven- tionierung von Solarstrom mit der Einspeisevergütung verlängert werden. Dies ruft bei mir große Bedenken per- sönlicher Art hervor: Was hat das EEG, dessen Leistung in der Begründung mit Lob überhäuft wird, im Mine- ralölsteuergesetz zu suchen? Da stellt sich doch die Frage, ob der Wirtschaftsausschuss bei der Beratung hier nicht hätte eingebunden werden müssen. Abgesehen davon ist aus technischer Sicht die Erhöhung der Deckelung der Einspeiseleistung auf 1 000 MW sinnvoll und notwendig; da ich jedoch das EEG als solches schon nicht mitgetra- gen habe, kann ich persönlich auch dieser Änderung nicht zustimmen. Drittens. Sehr positiv ist die nun eingeführte Formulie- rung, dass Steuerregelsätze auf jede beliebige Mischung von Treibstoff entsprechend dem enthaltenen Anteil aus Biokraftstoff angewendet werden und somit sowohl reine als auch Biokraftstoffe in Mischungen steuerbefreit sind. Für den Praktiker stellt sich hierbei jedoch wieder das Problem der Umsetzung der von uns beschlossenen Re- gelungen. Fragen, wie die der Anteilsermittlung von bio- genen Teilen einer Mischung oder die einer Steuerrück- erstattung, bleiben erst mal unbeantwortet, was man unter dem Credo, man wolle alle Biokraftstoffe steuerfrei stel- len, fürs Erste tolerieren kann. Nun aber genug der Detailkritik! Kleine Scharten müs- sen noch ausgewetzt werden; diese sind eben das Resultat der oben angegebenen Gesetzgebungshektik von Rot- Grün. Aber dafür habe ich ein gewisses Maß an Verständ- nis; gleichzeitig teile ich jedoch die Kritik derjenigen, die die Erwartung mitbrachten, dass mit diesem Ge- setzentwurf auch viele ungelöste Probleme bei der prakti- schen Ausgestaltung des Mineralölsteuergesetzes geregelt werden könnten und nun enttäuscht worden sind. Alles in allem bin ich froh, dass wir in dieser Sache eine gemeinsame und vernünftige Lösung insbesondere für unsere Bauern gefunden haben und dass wir – anders als beim Nitrofen-Skandal – hier sachlich und fachlich vortrefflich gestritten haben. Die Zielrichtung war hierbei für alle klar: Schonung unserer Ressourcen und Schaffung neuer Arbeitsplätze im ländlichen Raum. Ich wünschen Ihnen allen ein schönes Wochenende und freue mich auf ein Wiedersehen in der nächsten Sit- zungswoche hier in Berlin. Ich hoffe, dass wir dann hier wieder gemeinsam gute Gesetze für unsere Menschen und unser Land beschließen werden. Der Streit und die poli- tische Auseinandersetzung sollte bei so wichtigen The- men nicht parteipolitisch überzogen werden, denn die Wahlkampftaktik und die -hektik haben noch selten ein Gesetz hervorgebracht, das langfristigen Bestand gehabt und Nutzen gebracht hätte. Ideologisches Vorführen, gerade in der Landwirt- schaftspolitik, dient niemandem, schon gar nicht unseren Bauern! Dr. Reinhard Loske (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die heutige Novellierung des Mineralölsteuergesetzes ist ein wichtiger Beitrag zur von uns eingeleiteten Energie- wende! Drei wichtige Weichenstellungen sorgen für einen weiteren Schritt in Richtung klimaschonender und zu- kunftsfähiger Energiepolitik: Erstens. Mit der befristeten Steuerbefreiung für hoch effiziente Gaskraftwerke wird Gas in der Stromerzeugung endlich – zumindest teilweise – gleich behandelt mit Kohle und Kernkraft. Damit geben wir ein klares Investi- tionssignal: Wer in Deutschland moderne Gaskraftwerke baut, ist willkommen. Aus ökonomischen und aus ökolo- gischen Gründen müssen wir unsere knappen Energieres- sourcen effizient nutzen. Moderne GuD-Kraftwerke sind dabei ein wichtiges Element. Bei Bau und Entwicklung dieser hochmodernen Technologie muss Deutschland weltweit eine führende Rolle spielen. Nur dann eröffnen sich auch auf den internationalen Märkten neue Chancen. Dafür stellen wir mit dieser Regelung die richtigen Wei- chen. Durch die Begrenzung der Steuerbefreiung auf sehr hohe Wirkungsgrade schaffen wir den nötigen Anreiz für besonders anspruchsvolle und innovative Kraftwerke. Die Befristung stellt klar, dass es um eine Anschubhilfe, nicht um Dauersubventionen geht. Einige Investoren aus dem In- und Ausland stehen bereits in den Startlöchern. Wir hoffen sehr, dass nun der Weg frei ist für die geplan- ten Pionierprojekte. Sie stehen auch für die Attraktivität des Standortes Deutschland. Die Schaffung neuer Arbeits- plätze durch Spitzentechnologie für den Klimaschutz sind ein Markenzeichen für diese Koalition. Wir begrüßen da- her dieses positive Signal für die Modernisierung in Deutschland und für den Klimaschutz. Zweitens. Wir befreien außerdem mit diesem Gesetz alle biogenen Treibstoffe von der Mineralölsteuer. Die be- stehende Steuerfreiheit für Pflanzenöle und Biodiesel wird auf alle anderen Biokraftstoffe ausgedehnt. Auch dies ist ein Signal für moderne Technologien und Kraftstoffe ei- nerseits, für Klima- und Umweltschutz andererseits. Treib- stoffe aus nachwachsenden Rohstoffen erhalten dadurch eine echte Marktchance. Der Ausstoß klimaschädlicher Gase kann gesenkt werden. Die Abhängigkeit vom Erdöl wird verringert, die Entwicklung neuer Antriebstechnolo- gie erleichtert. Biologische Reststoffe aus Land- und Forstwirtschaft können sinnvoll erwartet werden. Die Landwirte erhalten eine neue Einkommensquelle und können einen Teil ihres Geldes mit erneuerbaren Energien verdienen – wie schon durch das EEG. So kann der Landwirt auch zum Energiewirt werden. Rot-Grün schafft damit neue Perspektiven für eine zukunftsorien- tierte Landwirtschaft. Energie- und Agrarwende gehen gemeinsam auf dem Weg der Nachhaltigkeit. Drittens. Ein weiteres wichtiges Mosaiksteinchen der Energiewende ist die Anhebung des Deckels bei der Pho- tovoltaikförderung im Erneuerbare-Energien-Gesetz von 350 auf 1 000 Megawatt. Damit wird die Zurückhaltung der Investoren, die sich zuletzt gezeigt hatte, beseitigt. Mit der Erweiterung des Deckels schaffen wir die Vorausset- zungen für den weiteren Ausbau der Photovoltaikproduk- tion in Deutschland. Es existiert nun eine klare Zukunfts- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Freitag, den 7. Juni 200224124 (C) (D) (A) (B) perspektive über 2004 hinaus: Weitere Produktionsstätten in Deutschland können errichtet, Kostensenkungen reali- siert und neue Arbeitsplätze geschaffen werden. Die För- derung der Photovoltaik kann ungebremst weitergehen. Die beispiellose Erfolgsstory des EEG wird fortgeschrie- ben. Dies ist gut für den Standort Deutschland, gut für die In- novationsfähigkeit in unserem Land und gut für den Kli- maschutz, übrigens gegen den Willen von Union und FDP – ein deutlicher Fingerzeig für Ihren Umgang mit Zukunftstechnologien. Die Modernisierung des Standor- tes und der Klimaschutz verkommt bei Ihnen zur bloßen Phrase! Der heutige Tag ist ein guter Tag für den Klima- schutz. Das Gesetz leistet einen wichtigen Beitrag zur Energiewende von Rot-Grün! Sie hat heute ihren Feinschliff bekommen und muss in den nächsten Jahren energisch verteidigt und weitergeführt werden. Wir sind dazu bereit. Gerhard Schüßler (FDP): Mit dem vorliegenden Ge- setz zur Änderung des Mineralölsteuergesetzes setzt sich eine lange Reihe handwerklich schlecht gemachter und in keiner Weise zu Ende gedachter Gesetzentwürfe der rot- grünen Koalition fort. Wieder einmal wird ein Gesetzent- wurf kurzfristig mit Änderungsanträgen überschwemmt, die wenig durchdacht und mit der betroffenen Wirtschaft nicht zufriedenstellend abgestimmt worden sind. Die Folgen der vorgesehenen Steuerbefreiung für Bio- kraftstoffe sind in keiner Weise absehbar. Unter umwelt- politischen Aspekten ist die Förderung von Biokraftstof- fen überhaupt stark umstritten. Das hat insbesondere dies Anhörung des Finanzausschusses ergeben. Unter fiskali- schen Gesichtspunkten droht ein Desaster. Ernst zu neh- mende Sachverständige sprechen von einem neuen Dau- ersubventionstatbestand, da eine Wettbewerbsfähigkeit von Biokraftstoffen nicht absehbar ist. All diese Aspekte sind der Koalition bekannt. Selbst Bundesfinanzminister Hans Eichel hat vor neuen Sub- ventionen und den nicht absehbaren Folgen gewarnt. Es steht zu vermuten, dass hier so eine Art grüner Akzent vor der Bundestagswahl gesetzt werden soll. Anders ausge- drückt: Die Grünen, von denen ohnehin niemand mehr spricht, wollen im Wahlkampf auf sich aufmerksam ma- chen. Die SPD ist zu diesem Zweck bereit, Subventionen in Milliardenhöhe zu verteilen. Die FDP wird hier nicht mitmachen. Es ist unverant- wortlich, einen Wirtschaftszweig zu fördern, ohne die fi- nanziellen Auswirkungen auch nur annähernd zu kennen. Dr. Barbara Höll (PDS): Die PDS begrüßt grundsätz- lich die im Gesetzentwurf beabsichtigten Änderungen des Mineralölsteuergesetzes. Doch stellt sich uns schon die Frage, warum die Bundesregierung mehrere Jahre ge- braucht hat, um die Notwendigkeit dieser Änderungen einzusehen und dies umzusetzen. Ich kann mich des Ein- drucks nicht erwehren, dass es mehr oder weniger darum geht, den Steuererhöhungen der vergangenen Jahre noch ein ökologisches Mäntelchen umzuhängen; denn mehr als ein „Mäntelchen“ ist es ja wohl nicht. Inzwischen ist es eine Binsenweisheit, dass die ökolo- gischen Lenkungswirkungen der Mineralöl- und Strom- steuererhöhungen gegen null tendieren, allein schon des- halb, weil diese Bundesregierung die Alternativen zum Individualverkehr – Busse und Bahn, hier insbesondere den Verkehr in die Fläche – systematisch abbaut bzw. für dessen Verteuerung maßgeblich verantwortlich ist. Nicht zuletzt die massiven Steuerausfälle aufgrund der Unter- nehmensteuerreform zwingen zahlreiche Kommunen zu enormen Einsparungen auch in diesem Bereich und somit zur Verteuerung oder Einstellung des Personennahver- kehrs. Nach wie vor wird der Personenverkehr auf der Schiene mit 16 Prozent Umsatzsteuer belastet. Die Netto- belastung des öffentlichen Personennahverkehrs mit der so genannten Ökosteuer beträgt in 2002 rund 57 Millionen Euro. In 2003 wird sie auf 77 Millionen Euro steigen. Die ökologischen Lenkungswirkungen tendieren aber vor allem deshalb gegen null, weil die so genannte Öko- steuer eben nicht an der Wurzel, am Primärenergieträger, angreift, sondern an einem Endprodukt der Energieum- wandlung dem Strom. Dadurch bleiben die entscheiden- den Einsparpotenziale, die nicht bei den privaten Haus- halten, sondern im Prozess der Energieumwandlung liegen, unausgeschöpft. Solange diese wesentlichen Strukturfehler der so genannten Ökosteuer nicht beseitigt werden, verdient sie ihren Namen nicht bzw. handelt es sich hierbei lediglich um eine Steuererhöhung, deren aus- schließlicher Zweck die Finanzierung des Bundeshaus- halts ist. Und so stellt auch dieser Gesetzentwurf lediglich ein Herumdoktern an den Symptomen einer schon in den An- sätzen verfehlten Finanz- und Umweltpolitik dar. Doch selbst dieses Herumdoktern offenbart nur, wie wenig ernst es der Regierung und der Koalition mit dem Umwelt- schutz ist. So sollte ursprünglich die Mineralölsteuerbe- freiung für Gas- und Dieselkraftwerke mit einem elektri- schen Wirkungsgrad von 57,5 Prozent nur unter der Bedingung gewährt werden, dass die dauerhafte Stromer- zeugung binnen einer Frist von nur zwei Jahren und drei Monaten aufgenommen wird. Diese Frist hätte im Ergeb- nis bedeutet, dass die Steuerbefreiung lediglich für ein einziges, in Mecklenburg-Vorpommern zu bauendes Kraftwerk zur Anwendung gekommen wäre, da hier ein hinreichend großer Planungsvorlauf vorhanden war. Zu- dem bestand die hohe Wahrscheinlichkeit – da es sich eben nur um eine Ausnahme handelt –, dass auch diese dem EU- Wettbewerbsrecht zum Opfer gefallen wäre. In- zwischen wurde die Frist zwar auf drei Jahre und drei Mo- nate erhöht, doch zugleich wurde die bisherige Verord- nungsermächtigung erweitert. Statt einer gesetzlichen Regelung wird das Bundesministerium für Finanzen im Einvernehmen mit dem Wirtschafts- und Umweltministe- rium ermächtigt, das Verfahren zu bestimmen, mit dem der elektrische Wirkungsgrad ermittelt werden soll, und festzulegen, für welchen Zeitraum dieser Wirkungsgrad nachzuweisen ist. Abgesehen davon, dass dem Finanz- ministerium kein Termin gesetzt wird, bis zu welchem dieser Abstimmungsprozess zu Ende zu bringen ist, stelle ich mir die Frage, welcher Investor aufgrund einer solch unsicheren Rechtslage – einer Rechtslage, die nicht durch das Gesetz, sondern durch die widerstreitenden Interessen Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Freitag, den 7. Juni 2002 24125 (C) (D) (A) (B) von drei Ministerien bestimmt wird – zu milliarden- schweren Investitionen veranlasst werden soll. Auch die anderen Änderungsanträge zum vorliegen- den Gesetzentwurf sind wohl mehr vom ökologischen Schein denn vom Sein durchdrungen. Zweifellos sind Steuerleichterungen für Biokraftstoffe ökologisch und volkswirtschaftlich sinnvoll. Aber warum muss es gleich eine vollständige und undifferenzierte Steuerbefreiung sein? Mit dieser Steuerbefreiung werden Biokraftstoffe gefördert, völlig unabhängig davon, ob sie aus der kon- ventionellen Intensiv-Landwirtschaft stammen oder aus extensiv angebauter Biomasse hergestellt werden. Ist es denn wirklich ein Akt des Umweltschutzes, wenn der Schutz der Atmosphäre durch Schädigung von Böden und Wasser ersetzt wird? Dies wird nämlich mit Sicherheit eine Folge dieser undifferenzierten Steuerbefreiung sein. Abgesehen davon wird auch diese Steuerbefreiung Biotreibstoffen nicht zum Durchbruch verhelfen. Die Au- toindustrie müsste für deren massenhaften Einsatz die Motoren völlig überarbeiten, da es Probleme mit Dich- tungen und Einspritzpumpen gibt, da bei Biodiesel-Ein- satz die Emissions- und Verbrauchswerte der Motoren steigen. Sie scheut aber diese Kosten, weil sie sich auf völlig neue Antriebstechnologien – Wasserstoff – konzen- triert. Bestenfalls die geringfügige Beimischung zu kon- ventionellem Diesel erscheint als sinnvoller Zwischen- schritt. Das ist auch ökologisch sinnvoll, da im Biodiesel enthaltenes Lachgas nachweislich die Ozonschicht schä- digt und der Ausdehnung beispielsweise des Rapsanbaus wegen Einhaltung von Fruchtfolgen und des mit ihm ver- bundenen Pflanzenschutz- und Düngemitteleinsatzes Grenzen gezogen werden müssen. Die PDS hat zwar Zweifel, ob der Gesetzentwurf tatsächlich Wirkungen zeigen wird. Wir denken aber, dass es einen Versuch wert sein sollte. Deshalb stimmen wir dem vorliegenden Gesetzentwurf zu. Anlage 9 Amtliche Mitteilungen Der Bundesrat hat in seiner 776. Sitzung am 31. Mai 2002 beschlossen, den nachstehenden Gesetzen zuzu- stimmen, bzw. einen Antrag gemäß Artikel 77 Absatz 2 Grundgesetz nicht zu stellen: – Fünftes Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Landwirtschaftliche Rentenbank – Gesetz zur weiteren Fortentwicklung des Finanzplatzes Deutschland (Viertes Finanzmarktförderungsgesetz) – Gesetz zur Modernisierung der Besoldungsstruktur (Be- soldungsstrukturgesetz – BesStruktG) – Gesetz zur Durchführung der Rechtsakte der Europä- ischen Gemeinschaft auf dem Gebiet des ökologischen Landbaus (Öko-Landbaugesetz – ÖLG) – Gesetz zur Durchführung der Rechtsakte der Euro- päischen Gemeinschaft über gemeinschaftliche Informa- tions-undAbsatzförderungsmaßnahmenfürAgrarerzeug- nisse (Agrarabsatzförderungsdurchführungsgesetz – AgrarAbsFDG) – Erstes Gesetz zur Änderung des Gesetzes über den Auswärtigen Dienst (GAD) – Gesetz zur Zahlbarmachung von Renten aus Be- schäftigungen in einem Ghetto und zur Änderung des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch – Zweites Gesetz zur Änderung des Mutterschutz- rechts – Gesetz zurÄnderung des Grundstoffüberwachungs- gesetzes – Gesetz zur Änderung des Grundheitsstrukturge- setzes – Achtes Gesetz zur Änderung des Parteiengesetzes – Gesetz zur Sicherstellung des Embryonenschutzes im Zusammenhang mit Einfuhr und Verwendung men- schenlicher embryonaler Stammzellen (Stammzell- gesetz – StZG) – Gesetz zur Errichtung einer Stiftung Deutsche Geis- teswissenschaftliche Institute im Ausland, Bonn – Zweites Gesetz zur Änderung schadensersatzrecht- licher Vorschriften – Gesetz zur Modernisierung des Stiftungsrechts – Gesetz zur Ausführung des Römischen Statuts des internationalen Strafgerichtshofes vom 17. Juli 1998 – Gesetz über die Entsorgung von Altfahrzeugen (Alt- fahrzeug-Gesetz – AltfahrzeugG) – Gesetz zur Änderung des Umweltauditgesetzes – Siebtes Gesetz zur Änderung des Bundes-Immis- sionsschutzgesetzes – Gesetz zur Änderung des Personenbeförderungs- gesetzes (PBefG) – Erstes Gesetz zur Änderung des Regionalisierungs- gesetzes – Gesetz zu dem Übereinkommen vom 2. Februar 1998 über die Vorrechte und Befreiungen der Kom- mission zum Schutz der Meeresumwelt der Ostsee – Gesetz zu dem Abkommen vom 10. März 2000 zwi- schen der Bundesrepublik Deutschland und derRe- publik Korea zur Vermeidung der Doppel- besteuerung und zur Verhinderung der Steuerverkürzung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen – Gesetz zu dem Vertrag vom 19. September 2000 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Tschechischen Republik über die gegenseitige Hil- feleistung bei Katastrophen und schweren Un- glücksfällen – Gesetz zu der Änderung des Abkommens vom 4. Dezember 1991 zur Erhaltung der Fledermäuse in Europa – Gesetz zu dem Abkommen vom 21. November 2000 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und derRegierung derRepublik Polen über den Bau und die Erhaltung von Grenzbrücken im nachgeordneten Straßennetz Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Freitag, den 7. Juni 200224126 (C) (D) (A) (B) – Gesetz zu dem Vertrag vom 12. September 2000 zwischen der Bundesrepbulik Deutschland und der Tschechischen Republik über den Zusammen- schluss der deutschen Autobahn A17 und der tsche- chischen Autobahn D 8 an der gemeinsamen Staats- grenze durch Errichtung einer Grenzbrücke – Gesetz zu dem Abkommen vom 10. November 2000 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Französischen Republik über die Zusammenarbeit bei der Wahr- nehmung schifffahrtspolizeilicher Aufgaben auf dem deutsch-französischen Rheinabschnitt – Gesetz zu dem Abkommen vom 12. Juni 2001 zwi- schen der Regierung der Bundesrepublik Deutsch- land und der Regierung der Französischen Repu- blik über den Bau und die Erhaltung von Grenzbrücken über den Rhein, die nicht in der Baulast der Vertragsparteien liegen – Gesetz zu dem Zusatzprotokoll Nr. 6 vom 21. Okto- ber 1999 zu der Revidierten Rheinschifffahrtsakte vom 17. Oktober 1868 Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mit- geteilt, dass der Ausschuss gemäß § 80 Abs. 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu den nachstehenden Vorlagen absieht: Ausschuss fürWirtschaft und Technologie – Unterrichtung durch die Bundesregierung Fortschrittsbericht zum Aktionsprogramm der Bundes- regierung Innovation und Arbeitsplätze in der Informationsgesell- schaft des 21. Jahrhunderts – Drucksache 14/8456 – Ausschuss für Gesundheit – Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und Tech- nikfolgenabschätzung (19. Ausschuss) gemäß § 56 a der Ge- schäftsordnung Technikfolgenabschätzung hier: Monitoring „Xenotransplantation“ – Drucksache 14/3144 – – Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und Tech- nikfolgenabschätzung (19. Ausschuss) gemäß § 56 a der Ge- schäftsordnung Technikfolgenabschätzung hier: Monitoring „Stand und Perspektiven der geneti- schen Diagnostik“ – Drucksache 14/4656 – – Unterrichtung durch die Bundesregierung Zweiter Bericht der Bundesregierung über Erfahrungen mit dem Gentechnikgesetz – Drucksache 14/6763 – Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent- wicklung – Unterrichtung durch die Bundesregierung Dritter Bericht über die Armutsbekämpfung in der Drit- ten Welt durch Hilfe zur Selbsthilfe – Drucksache 14/6269 – – Unterrichtung durch die Bundesregierung Elfter Bericht zur Entwicklungspolitik der Bundesregie- rung – Drucksache 14/6496 – Ausschuss für die Angelegenheiten derEuropäischen Union – Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung über ihre Bemühungen zur Stärkung der gesetzgeberischen Befugnisse des Europä- ischen Parlaments 2001 – Drucksachen 14/8210, 14/8321 Nr. 1.2 – Ausschuss für Kultur und Medien – Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung zur Auswärtigen Kultur- politik 2000 – Drucksache 14/6825 – Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mit- geteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden EU-Vorla- gen bzw. Unterrichtungen durch das Europäische Parla- ment zur Kenntnis genommen oder von einer Beratung abgesehen hat. Rechtsausschuss Drucksache 14/4170 Nr. 1.8 Drucksache 14/5363 Nr. 2.1 Drucksache 14/5610 Nr. 1.13 Drucksache 14/5836 Nr. 2.12 Drucksache 14/6508 Nr. 2.21 Drucksache 14/7129 Nr. 1.1 Drucksache 14/7129 Nr. 2.1 Drucksache 14/7129 Nr. 2.27 Drucksache 14/7883 Nr. 2.2 Drucksache 14/7883 Nr. 2.8 Drucksache 14/8339 Nr. 2.46 Drucksache 14/8562 Nr. 2.13 Haushaltsausschuss Drucksache 14/8562 Nr. 2.17 Ausschuss fürWirtschaft und Technologie Drucksache 14/7000 Nr. 2.56 Drucksache 14/7883 Nr. 2.12 Drucksache 14/8339 Nr. 2.46 Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft Drucksache 14/8832 Nr. 1.3 Drucksache 14/8832 Nr. 2.22 Drucksache 14/8940 Nr. 2.19 Drucksache 14/8940 Nr. 2.20 Drucksache 14/8940 Nr. 2.21 Drucksache 14/8940 Nr. 2.22 Drucksache 14/8940 Nr. 2.23 Drucksache 14/8940 Nr. 2.35 Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung Drucksache 14/7129 Nr. 2.2 Drucksache 14/7409 Nr. 2.5 Drucksache 14/7883 Nr. 2.9 Ausschuss für Verkehr, Bau und Wohnungswesen Drucksache 14/7000 Nr. 2.30 Drucksache 14/7409 Nr. 2.3 Drucksache 14/7708 Nr. 2.4 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Freitag, den 7. Juni 2002 24127 (C) (D) (A) (B) Drucksache 14/7708 Nr. 2.11 Drucksache 14/7708 Nr. 2.15 Drucksache 14/7883 Nr. 2.11 Drucksache 14/8339 Nr. 2.9 Drucksache 14/8428 Nr. 2.27 Drucksache 14/8428 Nr. 2.28 Drucksache 14/8428 Nr. 2.46 Drucksache 14/8562 Nr. 2.38 Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Drucksache 14/8832 Nr. 2.14 Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Drucksache 14/8691 Nr. 2.2 Drucksache 14/8832 Nr. 1.5 Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Drucksache 14/7522 Nr. 1.1 Drucksache 14/7883 Nr. 1.2 Drucksache 14/8081 Nr. 2.13 Drucksache 14/8179 Nr. 1.11 Drucksache 14/8179 Nr. 2.23 Drucksache 14/8339 Nr. 1.1 Drucksache 14/8339 Nr. 1.2 Drucksache 14/8339 Nr. 1.4 Drucksache 14/8339 Nr. 1.5 Drucksache 14/8339 Nr. 2.12 Drucksache 14/8339 Nr. 2.29 Drucksache 14/8339 Nr. 2.52 Drucksache 14/8562 Nr. 2.2 Drucksache 14/8562 Nr. 2.12 Drucksache 14/8562 Nr. 2.18 Drucksache 14/8562 Nr. 2.19 Drucksache 14/8562 Nr. 2.26 Drucksache 14/8562 Nr. 2.29 Drucksache 14/8562 Nr. 2.31 Drucksache 14/8562 Nr. 2.33 Drucksache 14/8691 Nr. 1.2 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Freitag, den 7. Juni 200224128 (C) (D) (A) (B) Druck: MuK. Medien- und Kommunikations GmbH, Berlin
Gesamtes Protokol
Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1424000000
Guten Morgen, liebe
Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 17 auf:
Zweite und dritte Beratung des von den Abge-
ordneten Hermann Bachmaier, Wilhelm Schmidt

(Salzgitter), Dr. Peter Struck und der Fraktion der

SPD sowie den Abgeordneten Gerald Häfner, Cem
Özdemir, Irmingard Schewe-Gerigk, weiteren Ab-
geordneten und der Fraktion des BÜNDNIS-
SES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs
eines Gesetzes zur Einführung von Volksinitia-
tive, Volksbegehren und Volksentscheid in das
Grundgesetz
– Drucksache 14/8503 –

(Erste Beratung 227. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Innenaus-
schusses (4. Ausschuss)

– Drucksache 14/9260 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Hermann Bachmaier
Erwin Marschewski (Recklinghausen)

Gerald Häfner
Dr. Max Stadler
Ulla Jelpke

Über den Gesetzentwurf werden wir später namentlich
abstimmen.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für Aus-
sprache eine Stunde vorgesehen. – Ich höre keinen Wi-
derspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen
Hermann Bachmaier, SPD-Fraktion, das Wort.


Hermann Bachmaier (SPD):
Rede ID: ID1424000100
Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Ohne Zweifel sind wir in mehr als
50 Jahren mit der parlamentarisch-repräsentativen Demo-
kratie gut gefahren.


(Manfred Grund [CDU/CSU]: So soll es auch bleiben!)


Nichts ist aber so gut, dass man es nicht ausbauen und ver-
bessern könnte. Uns liegt es völlig fern, unsere stabile und
gefestigte demokratische Ordnung umzukrempeln. Wir
wollen vielmehr die Demokratie in unserem Lande bele-
ben und bereichern.

Wir wollen das Grundgesetz so ergänzen, dass neben
den in der Regel alle vier Jahre stattfindenden Bundes-
tagswahlen auch über wichtige Sachfragen entschieden
werden kann. Damit sollen die Bürgerinnen und Bürger
mehr Rechte erhalten, allerdings auch mehr Verantwor-
tung übernehmen.

Ich bin mir sicher, dass schon allein die Möglichkeit
von Volksinitiativen, Volksbegehren und Volksentschei-
den eine heilsame Rückwirkung auf das parlamentarische
Leben und vor allem auf die Bürgernähe der parlamen-
tarischen Entscheidungsprozesse haben wird.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Gerald Häfner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Was wir Ihnen heute zur Entscheidung vorlegen, ist in
den 16 Bundesländern schon längst Realität. In allen Lan-
desverfassungen ist die Möglichkeit vorgesehen, Gesetz-
gebungsinitiativen zu ergreifen und diese Initiativen ge-
gebenenfalls zum Volksentscheid zu führen. Die Länder
haben damit ganz offensichtlich gute Erfahrungen ge-
macht.


(Dieter Wiefelspütz [SPD]: Zum Beispiel in Bayern!)


Sie nutzen diese Instrumente dann, wenn es ihnen not-
wendig erscheint. Von einem inflationären Gebrauch kann
keine Rede sein. In keinem Land gibt es Bestrebungen ir-
gendeiner Partei, diese Rechte wieder einzuschränken.


(Dieter Wiefelspütz [SPD]: Sehr richtig!)

Wir wollen, dass diese Möglichkeiten auch auf Bun-

desebene geschaffen werden.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Ein guter und durchdachter Entwurf liegt Ihnen vor. Er
sieht ein dreistufiges Verfahren von der Volksinitiative über
das Volksbegehren bis hin zum Volksentscheid vor. Dieses

24017


(C)



(D)



(A)



(B)


240. Sitzung

Berlin, Freitag, den 7. Juni 2002

Beginn: 9.00 Uhr

Verfahren und die vorgesehenen Zeiträume gewährleisten
eine breite gesellschaftliche Diskussion. Wir haben beim
Volksentscheid bestimmte Mindestbeteiligungsquoren
vorgesehen: 20 Prozent der Stimmberechtigten bei einfa-
chen Gesetzen, 40 Prozent der Stimmberechtigten bei
verfassungsändernden Gesetzen. Direkte Demokratie kann
damit nicht zu einer Spielwiese für Minderheiten werden.
Wir haben der föderalistischen Struktur unserer Republik
Rechnung getragen. Bei Gesetzen, die im parlamentari-
schen Verfahren der Zustimmung des Bundesrates bedür-
fen, ist auch die direktdemokratische Zustimmung in einer
entsprechenden Anzahl von Bundesländern erforderlich.

Wir haben die Möglichkeit einer Vorabkontrolle
durch das Bundesverfassungsgericht vorgesehen. Zweifel
an der Verfassungsmäßigkeit einer Volksinitiative können
rechtzeitig geklärt werden.

Zeitablauf, Quoren, Vorabkontrolle durch das Bun-
desverfassungsgericht – dieses Verfahren sieht genügend
Sicherungen gegen einen möglichen Missbrauch vor. Für
populistische Hauruckaktionen eignen sich diese Instru-
mente nicht.

Leider müssen wir davon ausgehen, dass die beabsich-
tigte Grundgesetzänderung heute nicht die erforderliche
Zweidrittelmehrheit finden wird


(Dieter Wiefelspütz [SPD]: Aber eine Mehrheit!)


– in der Tat –, denn die Opposition hat Bedenken.

(Widerspruch bei der PDS – Dr. Ilja Seifert [PDS]: Ein Teil der Opposition!)

Die FDP kann sich zunächst nur zu einer ersten Stufe
durchringen, die CDU/CSU lehnt sogar diesen Mini-
malschritt ab. Für diese Ablehnung gibt es überhaupt kei-
nen vernünftigen Grund.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


Was würde es eigentlich verschlagen, wenn der Bun-
destag verpflichtet wäre, einen Gesetzentwurf zu beraten,
für den 400 000 Unterschriften gesammelt worden sind?
Gibt es gegen einen solchen Vorschlag auch nur einen ein-
zigen vernünftigen Grund? – Nein, es gibt keinen Grund
außer vielleicht einem. Die Wählerinnen und Wähler wer-
den sich fragen: Warum können wir über diesen von uns
eingebrachten Gesetzentwurf nicht auch selbst abstim-
men und entscheiden? Davor fürchten Sie sich. Die Union
fürchtet den ersten Schritt, weil sie dann möglicherweise
später um den zweiten nicht mehr herumkommen wird.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Dr. Peter Struck [SPD]: Die Union fürchtet den Wähler! – Dieter Wiefelspütz [SPD]: Herr Marschewski hat Angst vor dem Volk!)


Wir werden nachher von der Union sicher noch hören,
welche angeblichen verfassungsrechtlichen Gründe ge-
gen unseren Entwurf sprechen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie sich nichts
vormachen. Selbstverständlich kann die Verfassung um
Volksinitiative, Volksbegehren und Volksentscheid er-

gänzt werden. Im Übrigen bleibt es ohnehin in der Regel
beim parlamentarischen Gesetzgebungsverfahren; das
zeigen die Erfahrungen in den Bundesländern. So wie
die Bürger auf Landesebene über Schul- und Bil-
dungspolitik oder über Abfallpolitik entscheiden kön-
nen, könnten sie auch auf Bundesebene über eine Fülle
von Fragen entscheiden, die sie unmittelbar berühren. In
vielen unserer Nachbarländer ist das übrigens schon heute
möglich.

Die Union möchte das nicht. Die Bürgerinnen und
Bürger sollen zwar alle vier Jahre wählen können, mehr
aber nicht. In Sachfragen sollen sie keinerlei Ent-
scheidungsbefugnis haben.

Ich weiß zwar, dass es gegen unser Vorhaben auch
manche durchaus ernst zu nehmenden Bedenken gibt,
auch zu einzelnen Punkten einer solchen Regelung. Wir
haben darüber lange genug und gründlich diskutiert. Die
Union hat sich allerdings inhaltlichen Gesprächen völlig
verweigert.


(Widerspruch bei der CDU/CSU)

Von mir angeregte Berichterstattergespräche kamen nie
bis zur inhaltlich-sachlichen Erörterung voran. Über alle
Fragen, seien es die Quoren, sei es der Ausschlusskatalog,
seien es Fristen oder die vorgesehenen föderalen Ele-
mente, hätte man mit uns reden können. An Gesprächs-
bereitschaft von unserer Seite hat es wahrlich nicht ge-
fehlt. Deshalb muss ich es leider wiederholen: Sie wollen
nicht, dass das Volk auch in Sachfragen entscheiden kann.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Darüber wollen Sie auch weiterhin ausschließlich allein
entscheiden. Sie wollen den blauen Himmel, manche den
weiß-blauen, über sich haben und sich gerade einmal alle
vier Jahre zur Wahl stellen.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: In Bayern haben wir doch Volksbegehren!)


– Ja, ja in Bayern! – Es stimmt natürlich: Demokratie ist
nicht risikofrei, bei Wahlen bekanntlich auch nicht. Sie
sagen, die Sachfragen, die auf Bundesebene anstehen,
seien zu schwierig und zu kompliziert für das Volk. Auch
die Probleme der Schul- und Bildungspolitik, über die in
den Ländern durch Plebiszite entschieden werden kann,
sind nicht gerade einfach und – wie wir in diesen Tagen ja
noch deutlicher als früher erfahren – von weit tragender
Bedeutung.

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch eines
hinzufügen. In dieser ganzen Diskussion bin ich leider
manchmal einen Eindruck nicht ganz losgeworden: Ich
habe mich manches Mal gefragt, ob sich hinter den so nach-
haltigen Zweifeln, ob das Volk denn tatsächlich den so
schwierigen Sachfragen gewachsen sei, nicht letztlich doch
ein gutes Stück subtiler Demokratieverachtung verbirgt.


(Beifall des Abg. Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Widerspruch bei der CDU/CSU)


– Ich weiß nicht, warum Sie so empört sind. Ich habe das
nicht an Ihre Adresse gesagt. Ich habe gesagt „in dieser
ganzen Diskussion“. Aber merkwürdigerweise schreien




Hermann Bachmaier
24018


(C)



(D)



(A)



(B)


Sie auf, wie Betroffene aufschreien. Das ist schon inte-
ressant.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich habe nicht Sie angesprochen. Aber offensichtlich liege
ich auch da nicht ganz falsch. Das gibt mir schon zu den-
ken.

Demokratie bedeutet ganz sicher nicht, dass wir Be-
rufspolitiker immer alles besser wissen oder alles besser
wissen können.


(Dr. Rupert Scholz [CDU/CSU]: Wir sind nicht alle Berufspolitiker!)


Hierzu für die, die ihre Ablehnung vielleicht mit ge-
schichtlichen Erfahrungen begründen wollen – auch das
habe ich öfter gehört –, nur ein ganz kleiner Hinweis: Das
Ermächtigungsgesetz wurde 1933 vom Reichstag be-
schlossen und nicht durch ein Plebiszit.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der PDS sowie des Abg. Wolfgang Gehrcke [PDS])


Für die mangelnde Zivilcourage bei Entscheidungen, die
weiß Gott nicht zum Ruhme der repräsentativen demo-
kratischen Tradition dieses Landes beitragen, hat der
Reichstag, also das Parlament, das schlechteste Beispiel
geliefert.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Das ist klar! Es kommt immer auf die Mehrheit an!)


Wenn es um Wahlkampagnen geht, kann die Union gar
nicht genug Unterschriften sammeln. Wenn aber die Leute
ihre Unterschriften für selbst erklärte Ziele einsetzen wol-
len und dieses Recht gern verfassungsrechtlich abge-
sichert hätten, sagt die Union Nein. Warum wohl?

Ich will einen weiteren Vorwurf aufgreifen, den Sie in
dieser Debatte sicherlich noch in den Raum stellen werden.
Sie sagen immer, es sei uns mit diesem Gesetz nicht ernst
– dies wird stereotyp wiederholt –, weil wir es erst im Früh-
jahr dieses Jahres eingebracht hätten. Dieses Zeitargument
ist durchsichtig, vorgeschoben und falsch. Sie selbst hätten
dieses Anliegen jederzeit aufgreifen können, zumal wir es
bereits in der Koalitionsvereinbarung angekündigt hatten.

Außerdem fangen wir bei diesem Thema nicht bei
Adam und Eva an. Seit den Zeiten der Verfassungskom-
mission verfolgen wir Sozialdemokraten – und auch die
Grünen – dieses Ziel. Bereits 1993 haben wir nach gründ-
licher Vorarbeit einen ausgereiften Gesetzentwurf zur Ab-
stimmung gestellt, der für den jetzt vorgelegten Entwurf
Pate gestanden hat. Die vor einigen Wochen erneut durch-
geführte Sachverständigenanhörung hat übrigens – bei
aller Kritik im Einzelnen – eine breite, grundsätzliche Zu-
stimmung zu unserem Vorhaben ergeben.

Auch wenn wir Sie heute noch nicht auf den rechten
Weg bringen können, so sind diese Debatte und die nach-
folgende Abstimmung ein wichtiger Schritt zum Ziel.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Schließlich hat sich zum ersten Mal eine Regierungskoali-
tion dieses Vorhaben zu Eigen gemacht, es zu ihrem urei-

gensten Ziel erklärt und sich damit verpflichtet, dieses Ziel
weiterzuverfolgen und nicht aus dem Auge zu verlieren.
Sie können deshalb sicher sein: Sie werden dieses Thema
nicht mehr los. Wir bleiben – um es in der Sprache dieser
Tage zu sagen – am Ball. Steter Tropfen höhlt auch hier
den Stein. Der Tag wird kommen, an dem Sie gar nicht
mehr anders können, als diesem Anliegen zuzustimmen.

Ein schönes Beispiel haben wir hier vor 14 Tagen er-
lebt, als Sie nach hartnäckigem, langjährigem Widerstand
dem Staatsziel Tierschutz zugestimmt haben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich prophezeie: In Kürze wird es sich hier ähnlich verhal-
ten. Da wird Ihnen manches Argument bzw. Scheinargu-
ment, das Sie heute verbreiten, im Halse stecken bleiben.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1424000200
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Erwin Marschewski, CDU/CSU-Fraktion.


Erwin Marschewski (CDU):
Rede ID: ID1424000300

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Placebo statt Plebiszit,


(Beifall bei der CDU/CSU – Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sage mal! – Dieter Wiefelspütz [SPD]: Waren Sie gestern beim Arzt, oder was?)


das ist das, Herr Kollege Bachmaier, was mir zu Ihrer
Rede eingefallen ist. Zwischen der Überschrift und dem
Inhalt Ihres Gesetzentwurfs ergibt sich wieder einmal eine
sehr große Differenz.


(Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist denn Ihr Vorschlag? Was ist Ihre Medizin? Wo sind denn Ihre Tabletten? Was ist Ihre Alternative?)


Herr Schlauch, das ist genauso wie bei der Zuwande-
rungsdebatte: Zwischen Überschrift und Inhalt besteht
eine riesige Differenz. Sie missbrauchen eine populäre
Forderung für ein populistisches Scheinangebot. Das ist
das Problem.


(Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann machen Sie doch Ihr Angebot! Wo ist denn Ihr Angebot?)


– Jetzt hören Sie mal zu! – „So tun, als ob, ist kein Mehr
an Demokratie“,


(Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bei Ihnen ist Schweigen im Walde!)


so wurde in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ zu
Recht geschrieben.

Ansonsten – das hat die Anhörung gezeigt – hat Ihr
Entwurf schwere Mängel. Es geht um eine Verfassungs-
änderung. Diese Verfassungsänderung kann man nicht
ein paar Tage vor der Bundestagswahl gewissermaßen als




Hermann Bachmaier

24019


(C)



(D)



(A)



(B)


Geschenk an die Grünen, als Äquivalent für irgendetwas,
durchziehen.


(Dieter Wiefelspütz [SPD]: Ein paar Tage nach der Wahl! – Hermann Bachmaier [SPD]: Was haben Sie schon alles kurzfristig durchgezogen!)


– Herr Kollege Bachmaier, hören Sie zu und schreien Sie
nicht so viel! – Angst und Misstrauen, wie Sie es vorhin
angesprochen haben,


(Hermann Bachmaier [SPD]: Sind schlechte Ratgeber!)


hat das Volk nicht hinsichtlich seiner Rechte, sondern hin-
sichtlich der Politik von SPD und Grünen, Herr Kollege
Schlauch. Das ist die Problematik.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Es kann doch nicht sein, dass ein Gesetzentwurf zu-

stande kommt, weil 10 Prozent und ein Stimmberechtig-
ter zustimmen,


(Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aha!)


oder dass eine Verfassungsänderung mit Zustimmung von
27 Prozent der Stimmberechtigten möglich ist.


(Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie ist das denn mit dem Mehrheitsprinzip in der Demokratie?)


Sie wollen kurz vor Toresschluss eine Verfassung ändern,
die 50 Jahre lang Demokratie gewährleistet und die frei-
heitlich-demokratische Grundordnung bewahrt hat. Es
ist überhaupt kein Grund ersichtlich, etwas zu ändern. Das
will auch keiner außerhalb dieses Hauses.


(Beifall bei der CDU/CSU – Hermann Bachmaier [SPD]: Verbessern! – Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ihr Kandidat Stoiber hat dazu etwas anderes gesagt! Wo ist denn der Herr Stoiber heute?)


– Herr Kollege Schlauch, kommen Sie gerade vom Fuß-
ballplatz?


(Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, ich komme vom Frühstück! Im Gegensatz zu Ihnen bin ich ausgeschlafen!)


Da gab es vorgestern wenig zu jubeln. Vielleicht können
Sie übermorgen positivere Zurufe machen.

Im parlamentarischen Verfahren haben wir uns – das ist
die Erfahrung des Dritten Reiches – erhebliche Hürden
gesetzt: Zwei Drittel der gesetzlich festgelegten Mitglie-
derzahl von Bundestag und Bundesrat müssen zustim-
men, um das Grundgesetz zu ändern. Die Sachverständi-
gen haben uns dies vor Augen geführt: Entweder sind die
Quoren so niedrig, dass das Mehrheitsprinzip gefährdet
ist, oder so hoch, dass durch Boykott der Gegner ein Er-
folg von vornherein aussichtslos ist.

Sie haben die Konsequenzen aus der Anhörung nicht
gezogen. Was Sie vorschlagen, ist vielmehr ein Abschied
von der Mehrheitsdemokratie;


(Widerspruch bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Hermann Bachmaier [SPD]: Wo haben Sie denn das gelesen? – Gerald Häfner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mehrheitsentscheidungen, Herr Marschewski!)


es ist der Einstieg in eine zufällige „Minderheitsmehr-
heit“.


(Beifall bei der CDU/CSU – Gerald Häfner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben Sie noch irgendein begründetes Argument?)


Ein weiterer Punkt: Trotz erheblicher Bedenken haben
Sie an der Vorwegkontrolle durch das Bundesverfas-
sungsgericht festgehalten. Ex-ante-Kontrolle heißt doch:
Sie halten das Volk für dümmer als die Politik, also Volkes
Meinung wohl eher für verfassungswidrig. Wer sollte
denn sonst verstehen, dass Volksgesetze vor Einbringung
durch das Bundesverfassungsgericht geprüft werden,


(Gerald Häfner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herr Marschewski, das ist in allen Bundesländern so! Das ist doch in den Länderverfassungen auch so!)


Gesetzentwürfe von Abgeordneten, meine Damen und
Herren der Grünen, aber nicht?

Ich sage Ihnen eines: Gäbe es eine Ex-ante-Kontrolle
in Bezug auf dieses Gesetz, so hätte der rot-grüne Ge-
setzentwurf diese Ex-ante-Kontrolle durch das Bundes-
verfassungsgericht nicht überstanden, weil der Entwurf
verfassungswidrig ist. Ihr Entwurf ist deswegen verfas-
sungswidrig, weil er gegen Art. 79 Abs. 3 des Grundge-
setzes verstößt, Herr Schlauch.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Die Ewigkeitsgarantie des Grundgesetzes umfasst nicht
nur die Menschenwürde, das Demokratieprinzip und den
sozialen Rechtsstaat;


(Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herr Marschewski, der Interpretator der Verfassung!)


die Ewigkeitsgarantie umfasst vielmehr auch die
„grundsätzliche Mitwirkung der Bundesländer an der Ge-
setzgebung“. Dies verändern Sie hier.

Bei den Einspruchsgesetzen – das hat die Anhörung
doch klar gezeigt – berücksichtigen Sie dies in keiner Hin-
sicht. Ihr Entwurf – ich wiederhole es – verstößt eklatant
– und das ist ein Mangel – gegen Art. 79 Abs. 3 des Grund-
gesetzes. Er ist daher verfassungswidrig.


(Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo ist Ihr Entwurf? Wo ist Ihr Vorschlag? – Hermann Bachmaier [SPD]: Wo ist Ihr Vorschlag? Sie wollen doch nicht!)


Noch etwas politisch Wichtiges: Die Mitwirkung des
Bundesrates bedeutet die Berücksichtigung der Vielfalt
der Länder. Die Mitwirkung des Bundesrates ist lebendi-
ger Ausdruck des Föderalismus. Die Mitwirkung des
Bundesrates bedeutet eine geschichtlich begründete Be-
grenzung von Zentralismus in Deutschland. Meine Da-
men und Herren, das darf nicht angetastet werden. Des-
wegen sind wir auch politisch gegen Ihren Gesetzentwurf.


(Beifall bei der CDU/CSU)





Erwin Marschewski (Recklinghausen)

24020


(C)



(D)



(A)



(B)


Völlig unverständlich – dazu können Sie sich melden,
Herr Schlauch –


(Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich melde mich, wann ich will!)


ist Ihr ursprünglicher Ausnahmekatalog. Sie wollten um
die Abgeordneten herum gewissermaßen einen Volksab-
stimmungszaun errichten.


(Hermann Bachmaier [SPD]: Das ist doch alles geändert!)


Warum um Himmels willen wollten Sie eigentlich jene
Gesetze ausklammern,


(Hermann Bachmaier [SPD]: Sie reden über einen Gesetzentwurf, den es nicht mehr gibt!)


die uns Abgeordnete betreffen? Meine Damen und Herren
von SPD und Grünen, Volksverbundenheit und Unabhän-
gigkeit der Abgeordneten würden eben nicht geschwächt,
wenn unsere Rechtsstellung direkt vom Volk bestimmt
würde, so zum Beispiel in der Frage von Abgeordneten-
mandat und oft bezahlter Interessenvertretung bei Ge-
werkschaften, Unternehmen und Verbänden.


(Lachen des Abg. Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Hermann Bachmaier [SPD]: Die Reihenfolge ist interessant!)


Abgeordnete müssen unabhängiger werden und hier-
bei wird uns der Souverän mit Sicherheit unterstützen.
Auch Ihr jetzt reduzierter Ausnahmekatalog ist so nicht
nachvollziehbar. Das Volk soll zwar mehr Steuern zah-
len; aber das Mitentscheiden über die Höhe und die
Struktur der Steuern wollen Sie weiterhin verbieten.
Fürchten Sie, Herr Struck oder Herr Schlauch, vielleicht,
dass das Volk Ihre unsinnige Ökosteuer wieder ab-
schafft?


(Hermann Bachmaier [SPD]: Ihnen ist keine Pfütze zu klein! – Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich fürchte alles, nur Sie nicht!)


Eines ist klar: Durch die Verankerung von Volksent-
scheiden im Grundgesetz – das schlagen Sie vor – kann
das Vertrauen der Bevölkerung in die Politik nicht ge-
stärkt werden. Politik- und Politikerverdrossenheit – hö-
ren Sie genau zu! – entstehen dadurch, dass sich die Re-
gierenden – Herr Schlauch, auch Sie sind gemeint – vom
deutschen Volk meilenweit entfernt haben, und dadurch,
dass sie die Sorgen und Nöte der Menschen nicht mehr
kennen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn ich Sie höre, dann werde ich auch verdrossen!)


Um es mit Oskar Lafontaine zu sagen – das wird Peter
Struck besonders interessieren –: „Politikverdrossenheit
ist eine direkte Folge gebrochener Wahlversprechen.“


(Beifall des Abg. Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU])


Wenn dann noch Klüngel und Korruption hinzukommen,
sind ganz andere Konsequenzen zu ziehen.

Die „Berliner Morgenpost“ hat Recht, wenn sie
schreibt, dass Ihr Gesetz ein scheinheiliger Vorstoß sei. Es
sei der Versuch, populistische Themen für den Wahlkampf
zu besetzen. – Dies muss scheitern, weil sich die parla-
mentarisch-repräsentative Demokratie bewährt hat.


(Hermann Bachmaier [SPD]: Darauf bauen wir doch auf!)


Herr Schlauch, wir ziehen daraus die Konsequenz, dass
wir diese parlamentarisch-repräsentative Demokratie si-
chern und stärken müssen. Wir wollen sie nicht aufwei-
chen. Plebiszite – das wissen Sie doch – verengen die Ent-
scheidung selbst bei schwierigsten Problemen auf ein
schlichtes Ja oder Nein.


(Hermann Bachmaier [SPD]: Das tut der Politik manchmal gut!)


Plebiszite erlauben eben nicht die Kompromisse, die We-
sensinhalt der Demokratie sind. Sie blenden die Orientie-
rung am Gemeinwohl sehr oft aus. Herr Bachmaier, leider
geht es doch oft auch um die Durchsetzung egoistischer
Interessen Einzelner.


(Hermann Bachmaier [SPD]: Hier nicht!)

Ihre Forderungen sind Wahlkampf. Sie bedeuten keine

Stärkung der Demokratie. Sie nützen niemandem. Sie,
meine Kollegen von der SPD und den Grünen, wissen aus
den Ausschussberatungen, dass ich weder populistischer
Befürworter noch fanatischer Neinsager bin. Dieser Ge-
setzentwurf ist allerdings nicht zustimmungsfähig, weil er
trotz der Komplexität der Materie mit heißer Nadel ge-
strickt und verfassungswidrig ist sowie vor allem – das ist
für mich der wesentliche Punkt – den Föderalismus, die
demokratische und moderne Mitwirkungsform in unserer
bundesstaatlichen Ordnung, aushebelt.

Diese Mitwirkung – ich sage dies insbesondere in
Richtung der Damen und Herren von SPD und Grünen –
auf Bundesebene zu schwächen bedeutet, die historische
Erfahrung nicht zu kennen und gegenwärtig Erlebtes
– schauen Sie sich doch um! – zu ignorieren.

Der Föderalismus ist ein Segen für unser Land! Auch
deswegen sagen wir zu Ihrem Gesetzentwurf Nein.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1424000400
Ich erteile dem Kolle-
gen Gerald Häfner, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.


Gerald Häfner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1424000500
Sehr
geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kolle-
gen! Deutschland will mehr Demokratie wagen. Dieses
Versprechen wurde diesem Land nicht erst seit den 70er-
Jahren, sondern bereits mit dem Grundgesetz gegeben.
Wir nehmen unser Grundgesetz ernst, in dem es heißt:

Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom
Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch be-
sondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehen-
den Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.

Im Unterschied zu den Wahlen – wir Politiker brau-
chen diese Wahlen, um gewählt zu werden – sind die




Erwin Marschewski (Recklinghausen)


24021


(C)



(D)



(A)



(B)


Abstimmungen bis heute nicht geregelt. Das wollen wir
jetzt ändern.

Herr Marschewski, Ihre Rede hat mich an den Amts-
vorgänger von Herrn Stoiber – zu Herrn Stoiber selbst
sage ich gleich auch noch etwas – erinnert.


(Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/ CSU]: Das ist aber eine Ehre für mich! – Friedrich Merz [CDU/CSU]: Das wird ihn schwer erschüttern!)


– Herr Merz, hören Sie zu! – Herr Streibl, der damalige
bayerische Ministerpräsident, hat, als das Bundesverfas-
sungsgericht seine letzte Entscheidung zum Abtreibungs-
recht gefällt hat, aschfahl und mit einem leeren Gesichts-
ausdruck vor den Kameras gestanden und gesagt: Es kann
doch nicht sein, dass das Bundesverfassungsgericht heute
nur aufgrund des Zeitablaufs anders entscheidet als vor
20 Jahren.

Das ist Ihr Verständnis von Politik. In diesen 20 Jahren
hat sich diese Republik doch verändert, und zwar ganz ge-
waltig. In diesen 20 Jahren hat sich aufgrund der Frauen-
bewegung, der Bürgerbewegung, der Demokratiebewe-
gung usw. sehr viel getan. Das haben Sie anscheinend
überhaupt nicht mitbekommen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Das hat Ihr Verständnis von Politik überhaupt nicht
berührt. Ich sehe schon Herrn Stoiber, der dann, wenn der
Volksentscheid im Gesetzblatt steht, sagen wird, es könne
nicht sein, dass das Parlament anders als vor 20 Jahren
entschieden habe. Ich hoffe, dass wir in 20 Jahren anders
als heute entscheiden werden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Demokratie ist nie fertig, sondern immer etwas, was sich
entwickeln muss.

Ich kann gut verstehen, dass die Väter und Mütter des
Grundgesetzes 1949 nach der Erfahrung mit dem Natio-
nalsozialismus zwar das Grundprinzip der direkten De-
mokratie, „Wahlen und Abstimmungen“, im Grundge-
setz verankert, zunächst aber nicht ausgestaltet haben,
weil sie „bindende Verantwortung“ ausschließlich in den
Parlamenten sichern wollten, da sie Bedenken hatten, ei-
nem Volk, das den Nationalsozialismus mitgemacht
hatte, sofort plebiszitäre Rechte zu geben. Allerdings be-
stand damals die Auffassung – Sie können das in den
Protokollen des Parlamentarischen Rates nachlesen –,
dass der Begriff „Abstimmungen“ später durch den Ge-
setzgeber ausgefüllt werden müsse. Das tun wir nun,
53 Jahre nach Verabschiedung des Grundgesetzes. Das
ist ein mehr als langer „Zeitablauf“, um diesen Auftrag
endlich zu erfüllen.

Nicht nur diese Koalition will das. 82,7 Prozent der Be-
völkerung wollen dies ebenfalls, übrigens auch drei Vier-
tel Ihrer Wählerinnen und Wähler, Herr Marschewski.


(Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hört! Hört! – Norbert Geis [CDU/CSU]: Das ist Populismus!)


Sie sind schlechte Sachwalter der Interessen jener Men-
schen, die Sie gewählt haben, wenn Sie sich nicht für de-
ren, sondern nur für Ihre eigenen Interessen einsetzen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Herr Stoiber hat nicht zu irgendeiner Schimäre, son-
dern zu diesem Vorhaben der rot-grünen Koalition nach
Erscheinen unserer Koalitionsvereinbarung in der Mün-
chener „Abendzeitung“ wörtlich gesagt:

Deshalb werde ich die Absicht der rot-grünen Koali-
tion, ... einen Volksentscheid auch auf Bundesebene
einzuführen, unterstützen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Was ist das für ein Kanzlerkandidat und was ist von sei-
nen Ankündigungen zu halten?


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Sie dürfen nicht alles glauben, was in den Zeitungen steht! – Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/CSU]: „Bild“-Zeitung! – Lachen auf der Regierungsbank)


Herr Späth und andere – früher hat das Herr Merz ge-
macht – kassieren die Ankündigungen dieses Kandidaten
vor laufenden Kameras ständig wieder ein. Was ist das für
ein Kanzlerkandidat, der von den Menschen gewählt wer-
den will und das Gegenteil dessen tut, was er zu tun ver-
sprochen hat?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Die Entscheidung, dass die Union unseren Gesetzentwurf
nicht mitträgt, ist, wie Sie alle wissen, im Stoiber-Team,
in Ihrem Headquarter, gefallen, nicht aber hier im Hause.
Auch das ist ein schlechtes Zeichen für den Zustand un-
serer Demokratie und vor allem für den Zustand der rech-
ten Seite dieses Hauses.

Herr Marschewski, ich habe lange gewartet, ob bei Ih-
nen noch ein sachliches Argument kommt. Das war nicht
der Fall. Deswegen kann ich es mir weitgehend ersparen,
auf Ihre Rede einzugehen.

Wir haben einen Gesetzentwurf vorgelegt, der die
Frage der Bürgerbeteiligung außerordentlich ausgewo-
gen und vernünftig regelt. Nach wie vor wird das Schwer-
gewicht der politischen Verantwortung im Parlament lie-
gen. Über 99 Prozent der Gesetze werden im Parlament
entschieden werden. Aber es muss und wird die Möglich-
keit geben, dass sich die Bürgerinnen und Bürger auch
zwischen den Wahlen unmittelbar einmischen können.

Ich sagte bereits, dass 82,7 Prozent der Bevölkerung
dieses Vorhaben unterstützen. Unter den Jugendlichen in
Deutschland sind es 93 Prozent. Auch das sollten wir ernst
nehmen.

Lassen Sie mich an dieser Stelle ein Wort zu der Jugend
unseres Landes sagen, weil ich glaube, dass sie zu viel und
oft auch zu Unrecht geschmäht wird. Unter ihnen sind
sehr viele engagierte und interessierte Menschen. Aber
wir müssen zur Kenntnis nehmen – das hat mit dem zu




Gerald Häfner
24022


(C)



(D)



(A)



(B)


tun, was Herr Streibl „Zeitablauf“ nannte –, dass die vor-
handenen Formen der politischen Beteiligung für viele
junge Menschen heute nicht mehr die Attraktion haben,
die sie früher hatten. Das hat auch damit zu tun, dass sich
das Land und die Rolle der Parteien in der Gesellschaft
verändert haben und Parteibindungen nicht mehr wie
früher bestehen. Dennoch sind junge Menschen sehr
gerne bereit, sich für ein Ziel zu engagieren, wenn sie wis-
sen, dass sie real und in einer vernünftigen Zeit etwas ver-
ändern können, nicht aber dann, wenn sie den Eindruck
haben, sie könnten nur zuschauen und sonst nichts ma-
chen, weil „die da oben“, wie es oft so unschön heißt, so-
wieso machen würden, was sie wollen. Deswegen müssen
wir auch den jungen Menschen in diesem Land ein Ange-
bot machen, wie sie sich stärker beteiligen können.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie der Abg. Dr. Evelyn Kenzler [PDS])


Die direkte Demokratie ist ein solches Angebot. Sie
führt – das zeigen alle Forschungsarbeiten auf diesem Ge-
biet – erstens zu einer Versachlichung der Politik, die uns
im Übrigen außerordentlich gut täte. Sie führt darüber hi-
naus zu einer „Entschleunigung“ der Politik. In meinen
Augen ist es ein Problem der heutigen Politik, dass alle
paar Wochen – lassen Sie es mich als Bayern so drastisch
sagen – eine neue Sau durchs Dorf gejagt wird, dass also
schon das nächste Thema kommt, bevor man eine Sache
vernünftig diskutiert und sich ein Urteil gebildet hat. Da-
ran sind wir nicht immer unschuldig.

Weiterhin beobachten wir eine immer stärkere Perso-
nalisierung, die immer stärker von den Sachfragen ab-
lenkt. Direkte Demokratie führt dazu, dass anders als bei
den Wahlen, bei denen man nur Personen und Parteien
wählen kann, eine Sachfrage im Mittelpunkt steht und sie
ausführlich und gründlich in der Bevölkerung diskutiert
und abgewogen wird.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich saß vor einiger Zeit – das ist ein Schicksal, das wir

Abgeordnete häufig haben – zu noch recht nachtschlafen-
der Zeit auf dem Weg zum Münchner Flughafen in der
S-Bahn. Neben mir saßen sechs Männer im Anzug und
mit Aktenkoffern und diskutierten hoch diffizile Fragen
der Verfassung, Fragen des Ausbalancierens von Rechten
verschiedener Organe usw. Ich habe sie schließlich ge-
fragt, ob sie Politiker oder Juristen seien. Nein, sie waren
Bürger, aber eben Bürger aus der Schweiz, und hatten als
Bürger über eine Revision ihrer Verfassung abzustimmen.

Machen Sie sich einmal bewusst, was es bedeutet,
wenn die Menschen erleben, dass solche Entscheidungen
nicht nur Sache der Politiker, sondern ihre eigene Sache
sind, dass es um ihr Land, um ihre eigene Verfassung und
um ihre Gesetze geht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Das Wichtigste, um das es bei diesem Thema geht, ist,
dass wir die Distanz zwischen Repräsentanten und Re-
präsentierten verringern müssen, dass wir die Bürger wie-
der mehr beteiligen und ihr Engagement stärken müssen.
Die Bereitschaft dazu ist durchaus vorhanden. Wir müs-

sen die Möglichkeit schaffen, dass sich die Bürger wieder
mehr mit dem Gemeinweisen identifizieren.

Manchmal diskutieren wir hier im Bundestag über kurz-
fristige Tagespolitik hinausreichende längerfristige
Perspektiven. Zum Beispiel wurde für die Enquete-Kom-
mission, die sich mit der Zukunft bürgerschaftlichen Enga-
gements beschäftigte, viel Geld aufgewandt. Viele Wissen-
schaftler sind angereist, um uns einen Bericht vorzulegen.
Ich frage mich, wer ihn überhaupt gelesen hat. In diesem Be-
richt, der ohne Gegenstimmen verabschiedet wurde


(Ilse Aigner [CDU/CSU]: Aber mit einigen Enthaltungen!)


– ich weiß, mit einigen Enthaltungen; es gab auch aus der
Union keine Gegenstimmen; in der Kommission saßen ei-
nige aus Ihren Reihen, die sich jahrelang mit diesem
Thema beschäftigt haben –, steht klar und deutlich, dass
wir die Bürgerbeteiligung auf Bundesebene, dass wir di-
rektdemokratische Verfahren wie Volksbegehren und
Volksentscheid einführen sollten, um die Bürger stärker
an Entscheidungen über Sachfragen zu beteiligen.


(Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aha, das ist ja hochinteressant!)


Was hat es denn für einen Wert, wenn wir solche Kom-
missionen einrichten und dann deren Ergebnisse über-
haupt nicht ernst nehmen?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Lassen Sie mich zum Schluss noch ein paar Sätze sa-
gen, die ein klein wenig über den Horizont des eben Ge-
sagten hinausgehen. Dies ist voraussichtlich meine letzte
Rede im Deutschen Bundestag; ich werde nicht wieder
kandidieren. Was ich jetzt sage, richtet sich an uns alle, in-
klusive meine Person. Ich habe die Sorge, dass mit der
Übernahme politischer Ämter schleichend und oft fast
unmerklich eine bestimmte Form der Gravität einhergeht,
die sich immer mehr so auswirkt, dass der Wunsch immer
wichtiger wird, die eigene Bedeutung einschließlich der
Bedeutung der eigenen Fraktion und Partei zu mehren,
während der Wunsch, die Bedeutung der Bürger unseres
Landes zu mehren, demgegenüber in den Hintergrund
tritt. Ich halte es für wichtig, dass wir über allem, was wir
im Hinblick auf Einzelfragen in diesem Hause immer
wieder zu entscheiden haben und worüber wir uns auch
streiten, eines nicht aus dem Auge verlieren und uns darin
wirklich einig sind: Wir sitzen nicht für uns hier, sondern
für die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes; wir ha-
ben einen Auftrag für sie zu erfüllen. Dieser Auftrag geht
weit darüber hinaus, dieses und jenes gut zu regeln; er lau-
tet vielmehr, dem Land eine Perspektive zu geben, mit der
sich die Menschen identifizieren können.

In einem unterscheidet sich unser Grundgesetz von al-
len Verfassungen dieser Welt. Es enthält zwei Grundsätze,
die die so genannte Ewigkeitsgarantie besitzen. Dies sind
Art. 1 und Art. 20. Ich will es hier noch einmal ausspre-
chen, obwohl es jedem ohnedies bewusst sein könnte. Das
ist zum einen der Grundsatz:

Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu ach-
ten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen
Gewalt.




Gerald Häfner

24023


(C)



(D)



(A)



(B)


Das ist die genaue Umkehrung dessen, was im National-
sozialismus galt: Der Einzelne galt nichts, das Volk war
alles. Oder: „Ein Volk, ein Reich, ein Führer“, hieß es da-
mals. Das Grundgesetz aber sagt: Im Mittelpunkt all des-
sen, was der Staat tut, steht der einzelne Mensch, das freie
Individuum. Damit korrespondiert Art. 20 des Grund-
gesetzes, denn dieses Freiheitsprinzip funktioniert nicht
ohne das Demokratieprinzip, insbesondere den zweiten
Absatz des Art. 20:

Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom
Volke in Wahlen und Abstimmungen ... ausgeübt.

Diese beiden Grundsätze, die Rechte des Einzelnen zu
mehren und im gleichen Zug die Demokratie zu stärken,
sind bedeutsam. Vieles von dem, was wir heute weltweit
beklagen, die Ohnmachtsgefühle, die sich bei rechten
Rattenfängern – dabei denke ich nicht nur an diejenigen,
die gegenwärtig auch orographisch ganz rechts im Parla-
ment sitzen, sondern auch an andere – breit machen, das,
was dort aufgegriffen wird, und der Unmut, der sich viel-
fach zu Recht gegen die Globalisierung regt,


(Zuruf von der CDU/CSU: Vergiss die Linken nicht!)


hat mit einem Mangel an eigenen Möglichkeiten, auf
diese Entwicklungen Einfluss zu nehmen, mit einem
Mangel an Demokratie zu tun.

Wenn ich kurz etwas zu Ihnen, der FDP, sagen darf:

(Dr. Max Stadler [FDP]: Muss nicht sein!)


Ich war oft sehr begeistert von den Programmen der
FDP. Ich war auch von dem Beschluss, den Sie vor zwei
Jahren auf Ihrem Nürnberger Parteitag mit überwältigen-
der Mehrheit gefasst haben, eingebracht von Ihrem Bun-
desvorsitzenden Guido Westerwelle, begeistert, in dem es
heißt, dass ein notwendiger Schritt die Ausdehnung von
Bürgerentscheiden, Bürgerbegehren und Bürgerbefragun-
gen auch auf Landes- und Bundesebene sei. Ich habe ge-
dacht, dies sei eine Ankündigung dessen, was die FDP zu
tun gedenkt. Die FDPwird hier nicht ja, ja oder nein, nein
sagen, sondern ein klares Jein sagen. Sie wird dem wider-
sprechen, was sie immer gefordert hat, nämlich mehr di-
rekter Demokratie auf Bundesebene. Ich finde es ausge-
sprochen schade, dass Sie sich auch in diesem Bereich
von sinnvollen Forderungen verabschieden.

Ich möchte mit einem Wort enden, das nun schon ziem-
lich alt und überhaupt kein Brüller ist. Es hat aber eine sol-
che Tiefe, dass es sich lohnt, immer wieder darüber nach-
zudenken. Es stammt aus der Hochzeit des deutschen
Geistes, dem deutschen Humanismus. In den „Maximen
und Reflexionen“ von Goethe heißt es:

Welche Regierung die beste sei? Diejenige, die uns
lehrt, uns selbst zu regieren.

Ich danke Ihnen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1424000600
Ich erteile dem Kolle-
gen Max Stadler, FDP-Fraktion, das Wort.


Dr. Max Stadler (FDP):
Rede ID: ID1424000700
Herr Präsident! Meine sehr
geehrten Damen und Herren! Der Kollege Gerald Häfner
hatte sich offensichtlich vorgenommen, eine dem Thema
angemessene und tief schürfende Rede zu halten. Ich
finde, Herr Häfner, dazu hat es nicht gepasst, dass Sie am
Ende der Versuchung erlegen sind, hier noch mit kleinem
Karo Wahlkampf gegen die FDP zu betreiben.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Walter Hirche [FDP]: Wer auf dem Schlauch steht, ist allenfalls zu kleinem Karo fähig!)


Dennoch möchte ich, Herr Kollege Häfner, den Leit-
gedanken, den Sie am Schluss formuliert haben, aufgrei-
fen. Sie haben gesagt, die politischen Institutionen, die
Parteien und diejenigen, die gewählt sind, haben die Nei-
gung, wenn sie dann die Ämter und die Macht inne haben,
die Bürgermacht zurückzudrängen und die Rechte des
Einzelnen hintanzustellen.

Genau dem wollen wir begegnen. Ein Leitsatz im
Wahlprogramm der FDP lautet daher: Wir wollen die
„Parteienmacht zugunsten von mehr Bürgermacht
zurückdrängen“. Deswegen machen wir Ihnen, dem ge-
samten Hohen Haus, heute ein ganz konkretes Angebot.
Wir als FDP haben einen Änderungsantrag für die zweite
Lesung eingebracht, mit dem wir vorschlagen, dass wir
hier und heute beschließen, das neue Institut der Volks-
initiative in das Grundgesetz aufzunehmen.

Ich appelliere an alle Fraktionen, dem zuzustimmen.
Ich appelliere an die Regierungsfraktionen, weil Politik
doch auch die Kunst des Möglichen ist.


(Beifall bei der FDP)

Wir wissen alle ganz genau, dass mehr heute nicht er-
reichbar ist. Es ist eine Zweidrittelmehrheit erforderlich,
um Volksbegehren und Volksentscheide auf Bundesebene
einzuführen. Diese Zweidrittelmehrheit kann nur im Kon-
sens mit der Union erlangt werden. Die Union hat aber
klipp und klar erklärt, dass sie dem hier nicht zustimmen
wird.

Also folgen wir doch dem Rat, den uns Sachverstän-
dige wie etwa Hans-Jochen Vogel, der frühere SPD-Vor-
sitzende, in der Expertenanhörung gegeben haben. Lassen
Sie uns dem Rat folgen, den wir auch aus der Publizistik
erhalten, wie etwa von Sigrid Averesch in der gestrigen
Ausgabe der „Berliner Zeitung“, und heute das be-
schließen, was zurzeit möglich und wofür Einvernehmen
erreichbar ist! Lassen Sie uns heute durch das Instrument
der Volksinitiative eine stärkere Bürgerbeteiligung und
mehr Bürgerrechte schaffen! Das ist unser Vorschlag.


(Beifall bei der FDP)

Wir appellieren auch an die Unionsfraktion, sich dem
nicht zu verschließen.

Ich möchte das aufgreifen, was zu Edmund Stoiber ge-
sagt worden ist. Bayern ist doch ein Bundesland mit einer
über 50-jährigen Tradition der Volksgesetzgebung.


(Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Konfessionsschulen! Die Liberalen! Erfolgreich vor zig Jahren!)





Gerald Häfner
24024


(C)



(D)



(A)



(B)


Wir, die wir aus Bayern kommen, sind stolz auf die
bayerische Verfassung, die wir in vielen Bereichen für
moderner halten, obwohl sie älter ist als das Grundgesetz.
Wir sollten uns daher gemeinsam – ich appelliere insbe-
sondere an die CSU, weil sowohl Edmund Stoiber als
auch Günther Beckstein dem gegenüber aufgeschlossen
sind – diesen ersten Schritt in der bayerischen Verfassung
zum Vorbild nehmen und heute die Volksinitiative ein-
führen.

Wenn unser Änderungsantrag abgelehnt wird, kommt
es selbstverständlich zur Abstimmung über den weiter ge-
henden Gesetzentwurf der Koalition über die Einführung
von Volksbegehren und Volksentscheid. Die FDP hat be-
schlossen, diese Abstimmung für ihre Mitglieder freizu-
geben. Das ist aber eigentlich eine unrichtige Formulie-
rung; denn einen Fraktionszwang gibt es ohnehin nicht. In
unserem eigenen Parteiprogramm, das kürzlich auf dem
Bundesparteitag in Mannheim verabschiedet worden ist,
heißt es:

Die FDP lehnt daher, entsprechend ihrer eigenen
Tradition, die Ausübung von Fraktionszwang und die
Maßregelung von Abgeordneten aufgrund abwei-
chender Auffassungen ... entschieden ab.

(Beifall bei der FDP– Alfred Hartenbach [SPD]: Möllemann! – Gegenruf des Abg. Dr. Edzard Schmidt-Jortzig [FDP]: Schröder!)


Das werden wir gleich praktizieren, indem jeder einzelne
unserer Abgeordneten gemäß seiner eigenen Gewissens-
entscheidung über Ihren weiter gehenden Vorschlag zum
Volksbegehren und Volksentscheid abstimmen wird.


(Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir sind tief beeindruckt!)


Sie von der Koalition haben es allerdings den Befür-
wortern wahrlich nicht leicht gemacht. 1998 haben Sie im
Koalitionsvertrag angekündigt, Volksbegehren und Volks-
entscheid auf Bundesebene einzuführen. Dreieinhalb
Jahre haben Sie gebraucht, bis Sie sich intern auf einen
Gesetzentwurf verständigt haben. Sie haben ihn erst in
diesem Frühjahr vorgelegt. Es ist allgemein bekannt – ich
wiederhole, was ich bereits in der ersten Lesung gesagt
habe –, dass ohne die engagierten Kollegen Hermann
Bachmaier und Gerald Häfner am Ende nicht einmal die-
ser Entwurf vorgelegt worden wäre.


(Dieter Wiefelspütz [SPD]: Was ist eigentlich gegen Engagement zu sagen?)


Es ist diesem schwierigen Thema nicht angemessen, es
am Ende einer Legislaturperiode noch in aller Eile abzu-
handeln.


(Beifall bei der FDP)

Ich verhehle aber nicht, dass es in unserer Fraktion

auch Kolleginnen und Kollegen mit prinzipiellen Beden-
ken gegen die Einführung dieser Instrumente gibt, weil sie
befürchten, dass damit die bewährte Balance von reprä-
sentativer Demokratie und Volksbeteiligung ins Wanken
geraten könnte.


(Dieter Wiefelspütz [SPD]: Bei der FDP werden alle Positionen vertreten!)


Es wird auch Ja-Stimmen aus der FDP-Fraktion geben;

(Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ NEN]: Enthaltungen auch?)

denn uns ist bekannt, dass in den Bundesländern gute
Erfahrungen mit einer stärkeren Volksbeteiligung an der
Gesetzgebung gemacht worden sind.

Ich möchte denjenigen, die wie ich mit Ja stimmen wer-
den, noch eine verblüffende Erkenntnis aus der Sachver-
ständigenanhörung mitteilen. Der Schweizer Experte
Professor Thürer hat dargelegt, dass eine größere Volks-
beteiligung an der Gesetzgebung eher zu einer sparsameren
Haushaltsführung führt, als wenn nur das Parlament – denn
ein Oswald Metzger allein macht noch keinen Sommer –
über die Haushaltsgesetze entscheidet. Das gibt zu denken.

Professor Thürer hat noch etwas ausgeführt, was ich
Ihnen nicht vorenthalten will. Er hat sogar festgestellt,
dass die Menschen dort, wo es Volksbegehren und Volks-
entscheide gibt, glücklicher leben. Das lässt sich natürlich
nur schwer überprüfen; deswegen ist das vielleicht doch
nicht das entscheidende Argument, um die Erfahrungen
der Schweiz auf die Bundesrepublik zu übertragen.

Alles in allem bleibt es dabei: Unabhängig davon, wel-
che Entscheidung heute getroffen wird, wird uns dieses
Thema – weil die Union nicht mitzieht – in der nächsten
Legislaturperiode aufs Neue beschäftigen.


(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Ich klatsche dem Stadler, nicht der FDP!)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1424000800
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Roland Claus, PDS-Fraktion.


Roland Claus (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1424000900
Herr Präsident! Meine sehr ver-
ehrten Damen und Herren! Die PDS-Fraktion wird die-
sem Gesetzentwurf zustimmen. Wir tun dies nicht unkri-
tisch. Es gibt für diese Kritik sachliche Gründe. Aber es
ist endlich eine Grundgesetzänderung im Sinne von mehr
und nicht von weniger Demokratie.


(Beifall bei der PDS)

Allerdings muss man sich zuerst das Verhalten der

CDU/CSU anschauen. Sie haben im Ausschuss zu Proto-
koll gegeben, Sie hätten keine grundsätzlichen Vorbehalte
gegen die Volksgesetzgebung. Ihnen ginge es vor-
nehmlich um den knappen Zeithorizont. Ich frage Sie:
Was ist denn das für ein Parlaments- und Demokratiever-
ständnis, wenn man die Losung ausgibt, dass am Ende der
Legislaturperiode beschlossene Gesetze schlechter als
solche sind, die am Anfang beschlossen worden sind?


(Beifall bei der PDS)

Was Sie wirklich von Demokratie halten, meine Da-

men und Herren von der Union, lesen wir in einem amtli-
chen Papier aus Bayern. Ich zitiere:

Die rechtspolitische Sprecherin der PDS-Fraktion
Dr. Evelyn Kenzler ... plädierte für eine „neue
Kombination aus repräsentativer und direkter Demo-
kratie“.




Dr. Max Stadler

24025


(C)



(D)



(A)



(B)


Das stimmt, das hat sie so gesagt, das geht in Ordnung.
Trotzdem handelt es sich nicht um eine Werbeschrift aus
Bayern für die PDS oder Evelyn Kenzler – beide hätten es
wohl verdient –, sondern um ein Zitat aus dem Verfas-
sungsschutzbericht des Landes Bayern vom ersten Halb-
jahr 2000.


(Zuruf von der PDS: Hört! Hört!)

Dort wird – das ist das, was mich so empört – eine Initia-
tive für Volksgesetzgebung unter der Rubrik „Linksextre-
mismus“ abgehandelt. Hier offenbaren Sie Ihre wahre Ge-
sinnung! Das werden wir so nicht hinnehmen. Das ist ein
Grund mehr gegen Edmund Stoiber.


(Beifall bei der PDS)

Ich verstehe viele Bayerinnen und Bayern, dass sie den
Ministerpräsidenten Stoiber loswerden wollen, aber bitte
schieben Sie ihn nicht nach Berlin ab.


(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der PDS)


Zum Verhalten der FDP. Zu der Tatsache, dass Sie
diesen Sachverhalt einmal so und einmal anders darstel-
len, fällt mir wirklich nur ein Spruch aus dem Wahlkampf
in meiner Heimatstadt in Halle aus dem Jahre 1990 ein,
der meines Erachtens heute aktueller denn je ist. Er heißt:
Wie winden sich die Aale? – Wie Liberale!


(Beifall des Abg. Dieter Wiefelspütz [SPD])

Da lobe ich mir die PDS. Die PDS hat bereits 1999 in

Bonn einen Gesetzentwurf zur Volksgesetzgebung ein-
gebracht. Sie haben ihn damals, wie Sie es so oft mit un-
seren Vorschlägen machen, als populistisch abgetan. Die
Vorteile dieses Gesetzentwurfes waren aber: Er lag in der
Tat rechtzeitig auf dem Tisch. Er ging mit gesellschaft-
lichen Initiativen konform. Er hat eine vernünftige Unter-
schriftenzahl vorgeschlagen. Sie hingegen wollen jetzt für
ein Volksbegehren 3 Millionen Unterschriften. Wir mein-
ten und meinen noch immer, dass 1 Million Unterschrif-
ten reichen müssen.


(Beifall bei der PDS)

Nun einige Worte an die Adresse der SPD. Wir hätten

es für ein klareres Bekenntnis zur Volksgesetzgebung ge-
halten, wenn Sie sich für die Verankerung in Art. 20 des
Grundgesetzes ausgesprochen hätten. Jetzt haben wir
eine eher beiläufigere Verankerung. Wir finden, dass Sie
bei den Unterschriftenzahlen sehr hohe Hürden errichtet
haben. Meine Hauptkritik an die Adresse der Sozial-
demokraten ist aber die: Ich werde beim Hinundherüber-
legen den Eindruck nicht los, dass Sie die Grundge-
setzänderung erst dann beantragt haben, als Sie sich völlig
sicher waren, dass eine Grundgesetzänderung an der
CDU/CSU scheitern wird.


(Widerspruch bei der SPD)

Sie wissen genauso gut wie ich, dass ich nicht alleine die-
sen Eindruck habe.

Trotz alledem ist ein spätes Gesetz besser als keines.
Deshalb werden wir heute zustimmen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der PDS)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1424001000
Ich erteile das Wort
der Bundesministerin Herta Däubler-Gmelin.

Dr. Herta Däubler-Gmelin, Bundesministerin der
Justiz: Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Heute hat der Deutsche Bundestag wieder
einmal die Chance, die Mitwirkungsrechte der Bürgerin-
nen und Bürger zu stärken und mit Zweidrittelmehrheit
dafür einen klaren verfassungsrechtlichen Rahmen zu
schaffen. Wir sollten diese Chance und damit die vielen
guten Erfahrungen nutzen, die man mit stärkeren Mitwir-
kungsrechten, mit Bürgerbegehren, mit Volksbegehren
und Volksentscheiden nicht nur in den Gemeinden und in
den Ländern, sondern auch in anderen Demokratien
Europas gemacht hat.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir alle wissen, dass das so ist.
Der Entwurf der rot-grünen Koalition bringt noch ein-

mal sehr klar zum Ausdruck, worum es geht. Es handelt
sich im Wesentlichen um folgende beiden Schritte:

Zum einen geht es darum, den Bürgerinnen und Bür-
gern das Recht zu geben, sich in Sachfragen unmittelbar
an den Bundestag zu wenden und dort Gehör zu finden,
wenn die entsprechenden Quoren erfüllt sind. Das will die
Volksinitiative. Ich darf wiederholen, was hier gesagt
wurde: Wer kann eigentlich etwas dagegen haben?

Zum anderen wollen wir, dass die Bürgerinnen und
Bürger das Recht bekommen, in Sachfragen über Volks-
begehren und Volksentscheide mehr mitzuwirken. Das
muss ebenfalls in einem klaren verfassungsrechtlichen
Rahmen geschehen, der nicht manipuliert werden kann.
Wir ergänzen damit die parlamentarisch-repräsentative
Demokratie. Es ist also weder eine Revolution noch etwas
anderes Dunkles oder Gefährliches.

Es ist daher völlig unverständlich, dass die Union nach
mehr als einem Jahrzehnt der Auseinandersetzung hier
noch immer kategorisch Nein sagt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


Neu ist eigentlich nur, dass die alten Begründungen im-
mer verändert wieder vorgebracht werden.

Ich fand es heute außerordentlich originell, wie der
Kollege Marschewski sein Nein vorgetragen hat. Das war
deswegen so originell, weil seine Argumente so überaus
widersprüchlich waren: Er hat auf der einen Seite erklärt,
der Gesetzentwurf sei ein Placebo; das heißt auf Deutsch,
er verändere nichts. Gleichzeitig hat er jegliches zur Ab-
lehnung in der Sache dienende Geschütz aufgefahren, das
ihm eingefallen ist.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


Übrigens, alle diese Argumente sind – das ist ja be-
kannt – nicht haltbar. Unser Vorgehen ist weder politisch
falsch noch verfassungswidrig. Es bedeutet auch nicht




Roland Claus
24026


(C)



(D)



(A)



(B)


den Eintritt in eine Minderheitsdemokratie. Ein Verstoß
gegen Art. 79 Abs. 3 des Grundgesetzes ist es schon gar
nicht.

Verehrter Herr Kollege Marschewski, das Einzige, was
man heute wieder gesehen hat, ist: Sie wollen die zusätzli-
chen Mitwirkungsrechte der Bürgerinnen und Bürger
nicht. Uns zeigt sich wieder: Herr Stoiber sagt in der Öf-
fentlichkeit das eine, während Sie das andere machen. Uns
drängt sich in der Tat der Eindruck auf, dass von Ihrer Seite
wieder einmal Wahlkampf gemacht wird, so oder so!


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Das machen Sie doch!)


Ich halte das für außerordentlich bedauerlich. Der Kol-
lege Bachmaier hat völlig Recht: Das Thema „Mehr Mit-
wirkungsrechte für Bürgerinnen und Bürger“ wird auf der
Tagesordnung dieses Parlaments bleiben. Es ist nicht
schwer, das vorherzusehen: Der CDU/CSU wird es dabei
so gehen wie bei den anderen Grundgesetzänderungen,
denen Sie sich fälschlicherweise lange entgegengestemmt
haben; Herr Bachmaier hat den Naturschutz, Umwelt-
schutz und Tierschutz schon erwähnt. Ich will auch daran
erinnern, wie lange es gedauert hat, Ihren, wie ich finde,
sachlich nicht berechtigten Widerstand gegen die Integra-
tion und gegen das Verbot der Diskriminierung von Be-
hinderten zu überwinden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Norbert Geis [CDU/CSU]: Das haben wir nicht gemacht!)


Neben den schon bekannten guten Gründen will ich ei-
nige herausgreifen, die die Einführung von mehrMitwir-
kungsrechten gerade heute so wichtig erscheinen lassen.
Gerade wir verantwortlichen Politikerinnen und Politiker
machen in unseren Gesprächen jeden Tag die Erfahrung,
dass die Unsicherheit bei vielen Menschen durch die Eu-
ropäisierung, durch die Globalisierung und die Verände-
rungen, die wir in unserem Alltag erleben, ständig zu-
nimmt; jeder weiß das. Die Aufgabe der gesamten Politik
kann nur, muss aber auch sein, durch Sicherheit und durch
Gerechtigkeit für jeden Einzelnen die notwendigen Inno-
vationen und die Modernisierung vorzubereiten, die un-
sere Demokratie stärken, die mithelfen, unsere soziale
und demokratische Rechtsstaatlichkeit in den National-
staaten Europas und darüber hinaus zu verankern und da-
mit zum Aufbau einer friedensfähigen Gesellschaft bei-
zutragen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Das kann man, verehrte Damen und Herren von der
CDU/CSU, den Menschen nicht verordnen, und man
kann nicht so verfahren, wie Sie das tun, nämlich Si-
cherheit verringern und Rechte aushöhlen und dann mei-
nen, man könne die Menschen für Innovationen und Mo-
dernisierung gewinnen. Das geht nicht. Dazu braucht
man, und das wollen wir: mehr Sicherheit, mehr Gerech-
tigkeit, mehr Rechte.

Damit komme ich auf die Stärkung der Mitwirkungs-
rechte zu sprechen. Mehr Mitwirkungsrechte für die Bür-
gerinnen und Bürger sind der richtige Weg, die Verände-

rungen, vor denen wir stehen, mitzugestalten. Deswegen
ist es so fatal, dass Sie sich jeder Diskussion über die Stär-
kung der Mitwirkungsrechte der Bürgerinnen und Bürger
verschließen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Was sagen denn die Menschen in unserem Land, wenn
man sie auf unsere Demokratie anspricht? – Sie sagen:
Jawohl, wir dürfen alle vier Jahre wählen; das finden wir
gut. Aber auch unsere Bürger stellen in ihrem täglichen
Leben fest, dass es längst einen anderen Trend gibt als nur
den zu der bekannten Verbändedemokratie oder – darauf
hat der Kollege Scholz, dem ich an dieser Stelle nachträg-
lich zu seinem 65. Geburtstag gratuliere, zu Recht hinge-
wiesen – einer pluralen Demokratie. Unsere Demokratie
ist besonders in den langen Jahren, in denen Sie regiert ha-
ben, gelegentlich zu einer Interessen- und Lobby-Demo-
kratie degeneriert. Das hat bei den Bürgerinnen und Bür-
gern den Eindruck bestärkt, dass derjenige, der über Geld
oder Medienmacht verfügt, seine Mitwirkungsrechte,
sprich: seinen Einfluss, in ungeahnter Weise stärken kann.
Die Gruppen, die das können, setzen durch die Forderung
nach Besitzstandswahrung jeder Veränderung, jeder Inno-
vation und jeder Form von Modernisierung Widerstand
entgegen. Das trägt zu dem Frust, zu dem Desinteresse
und zu dem Protest bei, den wir überall spüren. Das muss
uns allen Sorge bereiten.

Ich möchte an dieser Stelle noch Folgendes erwähnen:
Wir alle haben in den letzten Wochen gesehen, wie schäd-
lich es ist, wenn eine Partei auf den vorhandenen Frust,
das Desinteresse und den Protest mit noch mehr unpoli-
tischer Gaukelei oder sogar mit dem Verstärken von Vor-
urteilen – das ist ein gefährliches Spiel – reagiert.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Mag das als Reaktion auf den Frust, das Desinteresse und
den Protest gemeint sein. Aber das versetzt der Demokra-
tie einen schweren Schlag. Das schadet allen, auch der
Friedensfähigkeit unserer Gesellschaft. Deswegen müssen
Demokraten sagen: Ein solcher Weg darf nicht beschrit-
ten werden. Der Weg der Stärkung der Mitwirkungsrechte
der Menschen durch Volksinitiativen, Volksbegehren und
Volksentscheide hingegen ist richtig, weil er dazu beitra-
gen kann, den Frust, das Desinteresse und den Protest in
aktives Engagement für unsere soziale, freiheitliche und
rechtsstaatliche Demokratie umzuwandeln.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich finde, dass Karl Jaspers völlig Recht hat, der heute
in einer großen deutschen Tageszeitung mit dem Satz
zitiert wird: „Ein Volk, dem das Referendum versagt ist“ –
er meint, dass das von den Staatsbürgern selber ausgehen
muss –, „wird in seiner Unmündigkeit festgehalten.“ So ist
es. Dieser Satz gehört natürlich gerade ihnen in der
CDU/CSU ins Stammbuch geschrieben, die Sie sich seit
Jahren beharrlich und – lassen Sie mich das auch sagen –
aus Eigeninteresse jeder inhaltlichen Diskussion versagen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)





Bundesministerin Dr. Herta Däubler-Gmelin

24027


(C)



(D)



(A)



(B)


Übrigens, Kollege Stadler, ich habe gerne gehört, was
Sie gesagt haben. Sie wissen aufgrund meiner zahlreichen
Ausführungen dazu, dass ich den Weg, den Sie beschrie-
ben haben, für denkbar gehalten hätte, wenn nicht klar
wäre, dass auch er heute an dem kategorischen Nein der
CDU/CSU-Opposition scheitern wird. Mir tut das Leid.
Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen von der Union
auch darum, über ihren eigenen Schatten zu springen und
sich ihre Einwände nochmals vor Augen zu führen. Wenn
Sie das tun, dann werden Sie feststellen, dass Ihre Ein-
wände unseren Argumenten nicht standhalten.

In Deutschland besteht in der Tat die Neigung, dass
jede gute Idee zunächst einmal auf mindestens 18 Beden-
kenträger stößt. Das steht auch dem „Ruck durch
Deutschland“ entgegen, den Altbundespräsident Herzog
zu meiner großen Freude immer wieder einfordert und
den diese Bundesregierung mit ihrer Politik der Moderni-
sierung und Gerechtigkeit in den letzten vier Jahren auch
begonnen hat.

Sie aber, meine Damen und Herren von der CDU/CSU,
mäkeln an Quoren, an Ausnahmevorschriften oder an an-
deren Details des Gesetzentwurfs herum, dessen inhaltli-
cher Beratung Sie sich entzogen haben. Wir hätten mit Ih-
nen gern über diese Einzelheiten auch sachlich geredet!

Selbstverständlich ist dieser Gesetzentwurf keine Re-
volution, sondern ein erster Schritt, dem sicherlich noch
weitere Überlegungen und ein breiter Konsens zu weite-
ren Fragen folgen müssen. Denn die Gefahr, dass Parteien
Gaukelei statt Politik betreiben oder meinen, mit Vorur-
teilen gegen Minderheiten Vorteile zu erhalten, kann
durch die modernen Medien und ihre Vermarktung auch
größer werden. Auch das müssen wir in diesem Kontext
berücksichtigen. Deswegen müssen wir gemeinsam für
einen neuen Konsens in unserer Gesellschaft werben, dass
es zur Ehrenpflicht von Medienunternehmen gehören
muss, im demokratischen Sinne umfassend zu informie-
ren, Verständnis zu fördern und damit die Grundlage für
demokratische Abstimmungen zu legen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir hätten das alles gern mit Ihnen durchdiskutiert.
Wir halten es für außerordentlich bedauerlich, dass Sie
von CDU und CSU sich jeder inhaltlichen Auseinander-
setzung entzogen haben. Ich wage dennoch den Appell:
Stimmen Sie heute in der Abstimmung unserem Gesetz-
entwurf zu! Es ist der richtige Weg und es ist ein erster
guter Schritt.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1424001100
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Rupert Scholz, CDU/CSU-Fraktion.


Dr. Rupert Scholz (CDU):
Rede ID: ID1424001200
Herr Präsident!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die antragstel-
lenden Fraktionen SPD und Grüne vertreten mit viel Pa-

thos die Meinung – und die Bundesjustizministerin hat es
eben wieder sehr deutlich zum Ausdruck gebracht –, es
ginge um mehr Mitwirkungsrechte für Bürger. Damit
möchte ich beginnen, weil das der entscheidende Punkt ist.

Meine Damen und Herren, niemand kann in einer De-
mokratie gegen mehr Mitwirkungsrechte von Bürgern
sein. Aber das muss richtig organisiert sein und das muss
wirklich demokratisch sein.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Das ist der entscheidende Punkt, der schon aus demokra-
tiestaatlichen Gründen in entscheidender Weise gegen
diese Initiative spricht. Demokratie heißt bekanntlich
Mehrheitsprinzip, Demokratie heißt Fähigkeit zum Kom-
promiss und Demokratie basiert in entscheidender Weise
auf der Gleichheit aller Staatsbürger. Das Recht auf glei-
che Teilhabe findet seine Grenze im Recht des anderen auf
ebenso gleiche Teilhabe.

Wenn ich eine Regelung dieser Art schaffe, die in der
Tat wie Erwin Marschewski es deutlich belegt hat, den
Einstieg in die Minderheitendemokratie bedeutet – 10 Pro-
zent plus eine Stimme schaffen ein Gesetz, 26,6 Prozent
können eine Verfassungsänderung realisieren –, nehme ich
die Privilegierung von Minderheiten und damit den Ein-
stieg in eine verfassungsmäßige Ungleichheit in Kauf.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Schon aus diesem Grunde ist das nicht akzeptabel und ist
das Pathos hohl und unglaubwürdig, mit dem hier der An-
schein zu erwecken versucht wird, es ginge um die Ge-
währleistung von mehr Mitwirkungsrechten für den Bür-
ger. Es geht nicht um die Gewährleistung von mehr
Mitwirkungsrechten, es geht in Wahrheit – das sagen wir
hier in aller Deutlichkeit – um den Einstieg in weniger
Mitwirkungsrechte, weil um weniger Gleichheit der Bür-
ger in der demokratischen Partizipation.

Darüber hinaus wird – das ist der zweite entscheidende
Punkt – von der Politikverdrossenheit und der Parteien-
verdrossenheit der Bürger gesprochen. In der Tat, es gibt
Politikverdrossenheit in unserem Land, es gibt auch Par-
teienverdrossenheit in unserem Land. Aber die Feststel-
lung dessen ist an die politischen Parteien zu adressie-
ren – und das geht im Übrigen an alle.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Die politischen Parteien selbst sind aufgefordert. Das ist
ihr Verfassungsauftrag in der parteienstaatlichen Demo-
kratie: aus ihrer Verantwortung heraus mit ihrem Engage-
ment Verdrossenheit und Frust zu überwinden.

Ihre Initiative ist in dieser Frage wiederum kontrapro-
duktiv. Wir wissen doch alle – das zeigen auch die Erfah-
rungen aus den Ländern –: Wenn ich ein Volksbegehren,
das Verfahren einer Volksinitiative, einen Volksentscheid
durchführen will, brauche ich natürlich eine bestimmte
Organisation, die das Ganze gestaltet, präpariert, auf den
Weg bringt, die dafür wirbt. Meine Damen und Herren,
ich prophezeie Ihnen: Wenn das, was Sie hier vorhaben,
Realität würde, wüchse die von Ihnen hier so beklagte
Macht der politischen Parteien massiv an. Denn natürlich




Bundesministerin Dr. Herta Däubler-Gmelin
24028


(C)



(D)



(A)



(B)


würden sich die politischen Parteien, dann legitimer-
maßen, dieses neuen Instruments bedienen. Sie würden es
nutzen. Das würden Sie tun und das würden auch wir tun.
Das liegt doch auf der Hand.

Aber was bedeutet das für die parlamentarische De-
mokratie? – Dies bedeutet – auch das prophezeie ich in
aller Deutlichkeit – den Wechsel von der verantwortlichen
parlamentarischen Demokratie in die Schönwetterdemo-
kratie.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Denn dann würden hier im Parlament nur noch die Dinge
entschieden, bei denen man sagt: Ach, das können wir
noch so machen. Aber wenn es schwierig wird – und an
der Schwierigkeit hat sich eine Demokratie, hat sich ein
Parlament zu bewähren –, würden wir sagen: Ach, das las-
sen wir da draußen entscheiden. Das wäre die Konse-
quenz.

Meine Damen und Herren, Sie treiben ein leichtferti-
ges Spiel mit bewährten Institutionen, die uns zum ersten
Mal in der Geschichte Deutschlands eine stabile Demo-
kratie beschert haben. Mit einer solchen Errungenschaft,
für die wir dankbar zu sein haben, spielt man nicht. Die
mag man hier und dort fortentwickeln. Da mag man über
Einzelheiten sprechen. Das ist immer möglich, aber im
Übrigen nicht wenige Wochen vor einer Bundestagswahl;
dann ist das Ganze äußerst durchsichtig.

Ich will an dieser Stelle auf den FDP-Antrag eingehen.
Ich habe schon in der ersten Lesung gesagt, dass ich per-
sönlich mir durchaus vorstellen kann, dass ein richtig
strukturiertes Verfahren einer Volksinitiative als eine
sinnvolle Ergänzung der parlamentarischen Demokratie
diskutabel sein kann. Aber das, was Sie jetzt vorschlagen,
Herr Stadler, ist auch nicht ausgereift. Das sieht man
schon daran sehr deutlich, dass 400 000 Stimmen für eine
Volksinitiative genügen sollen. Ich halte das Quorum für
zu niedrig; darüber kann man aber reden. Zusätzlich se-
hen Sie jedoch ein Anhörungsrecht vor. Wie soll denn das
funktionieren? Das macht deutlich, dass die Gesamtpro-
blematik nicht wirklich verfassungsrechtlich und verfas-
sungspolitisch ausdiskutiert ist.

Wir haben nämlich – auch darauf habe ich schon in der
ersten Lesung hingewiesen – nicht nur demokratiestaatli-
che, sondern auch rechtsstaatliche Aspekte zu berück-
sichtigen. Das rechtsstaatliche Verfahren der Petition, hier
möglicherweise der Massenpetition, muss man sehr deut-
lich in Relation setzen. Man muss fragen und kann ernst-
haft darüber diskutieren, wie die Dinge zusammenpassen
und wie sie gegebenenfalls weiterzuentwickeln sind. Aber
so ist es leider zu unausgegoren, Herr Stadler, und es
kommt zu sehr aus dem hohlen Bauch. Deshalb wird die
Union auch diesem Vorschlag, obwohl er unvergleichlich
verantwortlicher ist als das, was Rot-Grün vorschlägt,
nicht zustimmen.

Meine Damen und Herren, ein Letztes zum Demokratie-
prinzip in unserem Land. Aus gutem Grunde ist unsere
Demokratie eine föderative Demokratie. Ein Volksent-
scheid und ein Volksbegehren in der Form, wie Sie sie hier
vorschlagen, würden – auch unter dem Aspekt der Min-

derheitendemokratie; Erwin Marschewski hat mit Recht
darauf hingewiesen – in der Tat in verfassungswidriger
Weise – auch ich zitiere ausdrücklich Art. 79 Abs. 3 unse-
res Grundgesetzes – unser System der föderativen Ge-
waltenteilung und Demokratie aus den Angeln heben. Der
Bundesrat wäre ausgeschaltet.

Der Bundesrat hat im Übrigen nicht nur eine demokra-
tiestaatliche Funktion. Er ist auch ein ganz eigentümliches,
aber hochbewährtes Element der Gewaltenteilung zwi-
schen den exekutiven und den legislativen Gewaltenträ-
gern. Das alles wäre weg. Das können Sie auch nicht kom-
pensieren, indem Sie nun erklären: Wir zählen die Stimmen
etwas anders aus, je nachdem, wie groß die Einwohnerzahl
der jeweils beteiligten Bundesländer, umgerechnet auf das
Bundesvolk, ist. Das ist nicht mehr der Föderalismus un-
seres Grundgesetzes. Das ist der Einstieg – ich sage wieder
das Wort vom Einstieg – in den Zentralstaat. Das ist der Ab-
schied von unserem Bundesstaat.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Das werden Sie mit einer Fraktion wie der CDU/CSU, die
entscheidend zum Aufbau und zur Entwicklung des funk-
tionstüchtigen deutschen Föderalismus beigetragen hat,
nicht machen können. Wir sind Föderalisten und wir wer-
den unseren Föderalismus nicht durch hohle Manöver
dieser Art aushöhlen oder zerstören lassen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Das gilt im Übrigen auch für unseren Kanzlerkandidaten
Edmund Stoiber, dessen Aussagen Sie hier mehrfach
falsch und ungenau zitiert haben.

Meine Damen und Herren, die föderative und reprä-
sentative Demokratie dieser Republik ist das Fundament
unseres Landes.


(Hermann Bachmaier [SPD]: Bestreiten wir nicht!)


Darüber haben wir damals schon in der Verfassungskom-
mission diskutiert, die Argumente gewogen und abgewo-
gen und richtig entschieden. So werden wir auch heute
richtig entscheiden, wenn wir mit Nein stimmen.

Danke.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1424001300
Ich schließe die Aus-
sprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den von den Frak-
tionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen ein-
gebrachten Gesetzentwurf zur Einführung von Volks-
initiative, Volksbegehren und Volksentscheid in das
Grundgesetz, Drucksache 14/8503.

Der Innenausschuss empfiehlt in seiner Beschlussemp-
fehlung auf Drucksache 14/9260, den Gesetzentwurf in
der Ausschussfassung anzunehmen.

Es liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der FDPvor,
über den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für den
Änderungsantrag der Fraktion der FDP auf Drucksa-
che 14/9296? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? –




Dr. Rupert Scholz

24029


(C)



(D)



(A)



(B)


Der Änderungsantrag ist gegen die Stimmen der FDP-
Fraktion abgelehnt.

Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Aus-
schussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. –
Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzent-
wurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen von
SPD, Bündnis 90/Die Grünen, PDS und einigen Stimmen
aus der FDP-Fraktion gegen die Stimmen der CDU/CSU-
Fraktion und einer Reihe von Stimmen aus der FDP-Frak-
tion angenommen.

Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich weise darauf hin, dass nach
Art. 79 des Grundgesetzes ein Gesetz zur Änderung des
Grundgesetzes die Zustimmung von zwei Dritteln der Mit-
glieder des Bundestages, das heißt mindestens 444 Stim-
men, benötigt.

Es ist namentliche Abstimmung verlangt. Bei der
Stimmabgabe bitte ich alle Kolleginnen und Kollegen,
sorgfältig darauf zu achten, dass die Stimmkarten, die Sie
verwenden, Ihren Namen tragen. Zur Abstimmung liegt
eine persönliche Erklärung des Kollegen Niebel vor.1)

Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die
vorgesehenen Plätze einzunehmen. – Sind alle Urnen be-
setzt, sodass wir mit der Abstimmung beginnen können? –

Das ist der Fall. Ich eröffne die Abstimmung. Ist noch
ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme
nicht abgegeben hat? – Das ist offensichtlich nicht der
Fall. Ich schließe die Abstimmung. Ich bitte die Schrift-
führerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu be-
ginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später
bekannt gegeben.2)

Wir setzen die Beratungen fort.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 18 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Pia Maier,
Monika Balt, Dr. Ruth Fuchs, weiterer Abgeord-
neter und der Fraktion der PDS
Einführung eines existenzsichernden gesetz-
lichen Mindestlohns
– Drucksache 14/8921 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen, wobei die Fraktion
der PDS zehn Minuten erhalten soll. – Ich höre keinen Wi-
derspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile Kollegin Pia
Maier, PDS-Fraktion, das Wort.


Pia Maier (PDS):
Rede ID: ID1424001400
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Wissen Sie eigentlich, was eine Friseurin

in Nordrhein-Westfalen verdient? – 1 114 Euro. In Sach-
sen bekommt eine Friseurin nach Tarif 637 Euro. Ist
Ihnen bewusst, dass 150 000 Menschen Vollzeit arbeiten
und trotzdem Anspruch auf ergänzende Sozialhilfe haben,
weil der Lohn niedriger ist als die Sozialhilfe, die ja ei-
gentlich das Existenzminimum darstellt? Diese 150 000
sind aber bestimmt noch nicht alle, die arbeiten und trotz-
dem arm sind; die Dunkelziffer ist hoch.

Fragen Sie Arbeitslose, welche Jobs ihnen vom Arbeits-
amt angeboten werden. Löhne unter 5 Euro sind die Re-
gel. Haben Sie einmal einen der Fahrer, die uns Bundes-
tagsabgeordnete fahren, gefragt, was er verdient? Mir hat
neulich einer gesagt, er habe drei Jobs, einer würde nicht
reichen. Weiter nachgefragt, sagte er – ich zitiere mit Ih-
rer Erlaubnis, Herr Präsident –: „Was ich hier verdiene,
liegt unter der Kotzgrenze.“

Das ist leider die Realität in diesem Land. Das ist die
alltägliche Erfahrung derer, die Arbeit suchen. Die Rea-
lität ist, dass Menschen arbeiten und trotzdem arm sind.
Das wollen wir verändern.


(Beifall bei der PDS)

Deswegen legt die PDS-Fraktion einen Antrag zur Ein-

führung eines existenzsichernden gesetzlichen Mindest-
lohnes vor. Wir fordern einen bundesweit einheitlichen
branchenübergreifenden Mindestlohn in Höhe von
68 Prozent des nationalen Durchschnittslohnes. Das sind
ungefähr 9,42 Euro pro Stunde und macht gut 1 500 Euro
brutto im Monat bei einer vollen Stelle.

Ein existenzsichernder Mindestlohn kann Armut ver-
meiden, er kann die Wirtschaft ankurbeln und damit für
mehr Arbeitsplätze sorgen. Wer davon nicht überzeugt
ist, glaubt seit Jahren an die neoliberale Politik, die für die
Massenarbeitslosigkeit verantwortlich ist, vor der wir
jetzt stehen. Alle Fraktionen dieses Hauses außer der PDS
machen seit Jahren eine Politik, die davon ausgeht, es
brauche nur ein günstiges Angebot, dann würden die
Leute schon kaufen, und die Arbeit müsse für die Arbeit-
geber nur noch günstiger werden, dann würden schon
Arbeitsplätze entstehen. Aber dieser Weg ist ein Irrweg.
Wo sind denn die Arbeitsplätze? In den letzten Jahren ist
die Arbeit billiger geworden; es sind aber keine Arbeits-
plätze entstanden. Wo sind denn die vielen Arbeitsplätze
im Osten, wo die Löhne schon so niedrig sind?

Ihre neoliberale angebotsorientierte Wirtschaftspolitik
hat viele Familien in die Armut gestürzt, obwohl sie Ar-
beit haben. Sie haben zwar Arbeit, aber sie haben zu we-
nig Geld, um sich viel zu leisten. Die Wirtschaft können
sie mit ihrer Nachfrage jedenfalls nicht ankurbeln. Sie
kurbeln auch den Dienstleistungsbereich nicht an, weil sie
keinen Fensterputzer bezahlen können, auch wenn der
schon für einen Hungerlohn arbeitet.

Das Ergebnis Ihrer Politik – heute Morgen wurden die
aktuellen Arbeitslosenzahlen veröffentlicht –: Es gibt im-
mer noch knapp 4 Millionen Arbeitslose. Geschenkt, dass
es ein paar weniger geworden sind! Von den 4 Millionen
sind ein Drittel Langzeitarbeitslose. Geschenkt, dass es
ein paar weniger geworden sind! Wirkliche Besserung ist
nicht in Sicht.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, fraktionsübergrei-
fend verkaufen Sie immer wieder das Instrument der




Präsident Wolfgang Thierse
24030


(C)



(D)



(A)



(B)


1) Anlage 2
2) Seite 24032 C

Niedriglöhne als Ausweg aus der Beschäftigungskrise.
Entsprechende Modelle hat Rot-Grün jüngst bundesweit
eingerichtet. Ihre Kombilohnjobs will aber keiner haben.
Wann geben Sie endlich zu, dass dies der falsche Weg ist,
und wechseln zu einer anderen, zu einer nachfrageorien-
tierten Politik?


(Beifall bei der PDS)

Eine Politik, die auf Nachfrage setzt, braucht für den

Konsum höhere Löhne. Mit einem gesetzlichen Mindest-
lohn, wie die PDS ihn fordert, kommt mehr Geld in die
Taschen derer, die es richtig brauchen können. Dann hät-
ten diejenigen mehr Geld in der Tasche, die zu Dum-
pinglöhnen arbeiten, die in den Niedriglohnbereichen im
Osten arbeiten, wo selbst die geringsten Tariflöhne noch
unterschritten werden, die sich mit zwei oder drei Jobs ge-
rade über Wasser halten können. Genau diese Arbeitneh-
mer und Arbeitnehmerinnen haben Nachholbedürfnisse.
Sie wollen konsumieren, weil sie seit Jahren an der But-
ter auf dem Brot sparen mussten. An der fehlenden Butter
auf dem Brot ändert sich nichts, nur weil etwas ein paar
Euro billiger wird, wie die neoliberalen Angebotsstrate-
gen schon seit Jahren predigen.

Die Menschen konsumieren erst dann mehr, wenn sie
mehr Geld zur Verfügung haben, das sie selbst verdient
haben. Dann kaufen sie natürlich auch hierzulande ein
und sorgen damit für mehr Beschäftigung. Diese Logik
der Nachfrage funktioniert. Bei den öffentlichen Investi-
tionen haben das auch die Wirtschaftsweisen mittlerweile
erkannt, bei der privaten Nachfrage ist das nicht anders.

Meine Damen und Herren, 9,42 Euro sind keine un-
anständige Größe. Im Gegenteil. Das macht brutto
1 500 Euro, netto bei Steuerklasse drei 1 250 Euro. Ange-
nommen, wir Abgeordneten arbeiteten hier für unsere
Diäten die gesetzliche Höchstarbeitszeit von 60 Stunden
pro Woche – mehr dürfen wir ja eigentlich nicht –, dann
bekommen Abgeordnete pro Stunde 26,35 Euro. Und da
wollen Sie vielen, die schwer arbeiten, 9,42 Euro nicht
gönnen? Wir schon.


(Beifall bei der PDS)

Für uns gilt: Von Arbeit muss man leben können, Arbeit
darf nicht arm machen.

Arbeiter und Angestellte wurden in den letzten Jahren
aber immer ärmer. Die Löhne stiegen kaum, mit dem Ver-
sprechen, es gebe dann mehr Arbeitsplätze. Die Gewerk-
schaften haben sich bis vor kurzem zurückgehalten. Er-
klärt wurde das unter anderem mit der Billigkonkurrenz,
entweder der internationalen oder der aus dem Osten.

Was ist passiert? – Nach Tarif bezahlte Arbeit wurde
immer öfter durch Outsourcing, durch Ausgründungen,
durch Auswege aus den Tarifverträgen in Billigarbeit
umgewandelt, aber eben nur umgewandelt. Mit der Schaf-
fung von Niedriglohnjobs in der Industrie entstehen keine
zusätzlichen dauerhaften Arbeitsplätze. Billigjobs werden
vorübergehend eingerichtet und schnell wieder abgebaut.
Niedriglöhne helfen nur der Statistik und nicht den Ar-
beitslosen. Das ist für die PDS keine Lösung der Massen-
arbeitslosigkeit.


(Beifall bei der PDS)


Auch in den Dienstleistungsbereichen, zum Beispiel
bei den Gebäudereinigern, würden anständige Löhne zu
mehr Arbeit führen. Zugegeben, die Angebote würden
teurer. Aber erstens haben dann die Menschen mehr Geld,
überhaupt Dienstleistungen einzukaufen, und zweitens
führt ein ordentlicher Lohn dazu, dass der Ausweg, Sozi-
alleistungen zu kassieren und schwarz zu arbeiten, selte-
ner als bisher gegangen wird.

Wer genug verdient, wird nicht mehr drei Jobs haben
müssen, um genug Geld zur Verfügung zu haben. Der
braucht auch nicht in die Schattenwirtschaft auszuwei-
chen. Gerade Dienstleistungsunternehmen bekämen mehr
Aufträge, weil Schummeln nichts mehr bringt. Sie wür-
den Leute finden, die dort motiviert arbeiten würden.

Vielleicht haben auch Sie diese T-Shirts beim IG-Bau-
Streik gesehen: „Solange mein Chef so tut, als würde er
mich richtig bezahlen, tue ich so, als würde ich richtig ar-
beiten.“ Ich finde, der Spruch trifft es: Arbeit muss sich
wieder lohnen.


(Beifall bei der PDS)

Verhältnisse wie in den USA mit Millionen Working

Poors wollen wir hier nicht. Die Einführung eines Min-
destlohnes könnte Armut verhindern. Niedrige Löhne
führen viele in die Sozialhilfe. Darüber beklagen sich die
Kommunen zu Recht. Niedrige Löhne führen in die Al-
tersarmut. Wer schon heute zu wenig zum Leben hat, kann
von einem Rentenniveau in Höhe von 64 Prozent erst
recht nicht leben und auch keine private Vorsorge bezah-
len.

Meine Damen und Herren, für soziale Sicherheit brau-
chen wir gute Löhne. Nicht nur die Rentnerinnen und
Rentner haben ein Problem, wenn sie von ihrer geringen
Rente leben sollen. Auch die Rentenkassen haben ein Pro-
blem, wenn zu wenig verdient wird und die Löhne kaum
steigen. Die Einnahmen der Sozialkassen hängen von der
Zahl der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und von
der Höhe der Entgelte ab.

Ein höheres Niveau der Löhne kurbelt nicht nur die
Nachfrage an und schafft nicht nur jetzt und später soziale
Sicherheit, sondern sichert auch die Einnahmen der Ren-
ten- und Krankenkassen. Viele Spardiskussionen, die wir
hier führen, weil die Kranken angeblich zu teuer und die
Rentner angeblich zu zahlreich sind, bräuchte es dann
nicht mehr. Es braucht die nötigen Einnahmen durch an-
ständige Löhne. Das wäre eine gute Grundlage, um unser
solidarisches Rentensystem zu erhalten und auszubauen.


(Beifall bei der PDS)

Die PDS ist nicht nur davon überzeugt, dass Arbeit bes-

ser bezahlt werden muss. Was hätten die 4 Millionen
Arbeitslosen davon? Wir haben gerade ein beschäfti-
gungspolitisches Programm zum Abbau der Massen-
arbeitslosigkeit vorgelegt. Darin zeigen wir, wie man
1,3 Millionen Arbeitsplätze schaffen könnte. Wir schla-
gen eine öffentlich geförderte Beschäftigung, Investiti-
onspauschalen und den Schutz vor unverschuldeter In-
solvenz vor. Mit all diesen Maßnahmen könnten
Arbeitsplätze geschaffen werden. Damit würden wir die
Arbeitslosenstatistik wirklich verändern und nicht nur




Pia Maier

24031


(C)



(D)



(A)



(B)


eine bessere Vermittlung versprechen, ohne gleichzeitig
zu sagen, wohin man eigentlich vermitteln will, und ohne,
wie die Union und die FDP es vorschlagen, die Arbeits-
losen mit weniger Lohn und mehr Druck aus der Statistik
zu drängen.

Damit hier keine Missverständnisse aufkommen: Wir
stehen zur Tarifautonomie. Kein Mindestlohn enthebt die
Gewerkschaften davon, künftig für bessere Tarifverträge
zu streiten. Das Ziel muss sein, mehr als das Mindeste zu
bekommen. Für manche Branchen ist der von uns vorge-
schlagene Mindestlohn ohnehin das untere Ende der Ta-
riflohnskala. Der Mindestlohn sollte zudem künftig an die
Lohnentwicklung angepasst werden.

Die Gewerkschaft Nahrung – Genuss – Gaststätten for-
dert schon lange einen gesetzlichen Mindestlohn. Sie
weiß, warum. Weitere Gewerkschaften griffen diese For-
derung mittlerweile auf. Wir bringen sie hier ein, über-
zeugt davon, dass es politisch erforderlich ist, mit einem
Mindestlohn für soziale Sicherheit und mehr Gerechtig-
keit zu sorgen.

Wir fordern bewusst einen branchenübergreifenden
Mindestlohn, weil in den schlecht entlohnten Bereichen
eine deutliche Steigerung nötig und eine Angleichung der
Branchen überfällig ist. Wir fordern ebenso bewusst einen
für Ost und West einheitlichen Mindestlohn. Mit dem ge-
setzlichen Mindestlohn wäre dann ein gutes Stück des
Weges zur Angleichung der Löhne geschafft – und das
gerade in den Bereichen, in denen man bestimmt nicht
von unterschiedlicher Produktivität sprechen kann und in
denen die Löhne sowieso sehr niedrig sind. Oder glauben
Sie wirklich, einen Fensterputzer nach Ost und West un-

terscheiden zu können? Der Tarif von 11,25 Euro pro
Stunde in Hessen und 8 Euro in Mecklenburg-Vorpom-
mern macht aber einen deutlichen Unterschied. Das darf
so nicht bleiben.


(Beifall bei der PDS)

Ich komme zum Schluss. Heute findet der Aktionstag

der Arbeitslosen statt. Er hat das Motto: Hände weg von
der Arbeitslosenhilfe! Von den Arbeitslosen wird ein ge-
setzlicher Mindestlohn genauso gefordert, weil auch de-
ren Probleme dann geringer würden. Das unterstützen wir
an dieser Stelle voll und ganz. Insofern stehe ich zwar jetzt
hier im Plenum, aber im Grunde genommen auch bei den-
jenigen, die heute auf den Straßen gegen die Arbeitslosig-
keit und die Abschaffung der Arbeitslosenhilfe demons-
trieren.

Danke.

(Beifall bei der PDS)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1424001500
Liebe Kolleginnen
und Kollegen, ich komme zu Tagesordnungspunkt 17
zurück und gebe das von den Schriftführerinnen und
Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Ab-
stimmung über den Gesetzentwurf der Fraktionen der
SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen zur Einführung
von Volksinitiative, Volksbegehren und Volksentscheid in
das Grundgesetz bekannt: Abgegebene Stimmen 549. Mit
Ja haben gestimmt 348, mit Nein haben gestimmt 199,
Enthaltungen zwei. Der Gesetzentwurf ist damit, weil
444 Stimmen erforderlich waren, abgelehnt.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Buh!)





Pia Maier
24032


(C)



(D)



(A)



(B)


Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 549;
davon

ja: 348
nein: 199
enthalten: 2

Ja
SPD
Brigitte Adler
Gerd Andres
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Hermann Bachmaier
Ernst Bahr
Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Eckhardt Barthel (Berlin)

Klaus Barthel (Starnberg)

Ingrid Becker-Inglau
Wolfgang Behrendt
Dr. Axel Berg
Hans-Werner Bertl
Friedhelm Julius Beucher
Petra Bierwirth
Rudolf Bindig
Lothar Binding (Heidelberg)


Kurt Bodewig
Klaus Brandner
Anni Brandt-Elsweier
Willi Brase
Rainer Brinkmann (Detmold)

Bernhard Brinkmann

(Hildesheim)


Hans-Günter Bruckmann
Edelgard Bulmahn
Ulla Burchardt
Dr. Michael Bürsch
Hans Martin Bury
Hans Büttner (Ingolstadt)

Marion Caspers-Merk
Wolf-Michael Catenhusen
Dr. Peter Danckert
Dr. Herta Däubler-Gmelin
Christel Deichmann
Karl Diller
Peter Dreßen
Detlef Dzembritzki
Dieter Dzewas
Dr. Peter Eckardt
Sebastian Edathy
Ludwig Eich
Marga Elser
Peter Enders
Petra Ernstberger
Annette Faße
Lothar Fischer (Homburg)

Gabriele Fograscher

Iris Follak
Norbert Formanski
Rainer Fornahl
Hans Forster
Dagmar Freitag
Lilo Friedrich (Mettmann)

Harald Friese
Anke Fuchs (Köln)

Arne Fuhrmann
Monika Ganseforth
Konrad Gilges
Iris Gleicke
Günter Gloser
Renate Gradistanac
Günter Graf (Friesoythe)

Angelika Graf (Rosenheim)

Dieter Grasedieck
Monika Griefahn
Kerstin Griese
Achim Großmann
Wolfgang Grotthaus
Hans-Joachim Hacker
Klaus Hagemann
Alfred Hartenbach
Anke Hartnagel
Klaus Hasenfratz
Nina Hauer
Hubertus Heil
Reinhold Hemker
Frank Hempel
Rolf Hempelmann

Gustav Herzog
Monika Heubaum
Reinhold Hiller (Lübeck)

Stephan Hilsberg
Gerd Höfer
Jelena Hoffmann (Chemnitz)

Walter Hoffmann

(Darmstadt)


Frank Hofmann (Volkach)

Ingrid Holzhüter
Eike Hovermann
Christel Humme
Lothar Ibrügger
Barbara Imhof
Brunhilde Irber
Gabriele Iwersen
Renate Jäger
Jann-Peter Janssen
Ilse Janz
Dr. Uwe Jens
Johannes Kahrs
Ulrich Kasparick
Sabine Kaspereit
Susanne Kastner
Ulrich Kelber
Hans-Peter Kemper
Klaus Kirschner
Marianne Klappert
Siegrun Klemmer
Walter Kolbow
Fritz Rudolf Körper




Präsident Wolfgang Thierse

24033


(C)



(D)



(A)



(B)


Karin Kortmann
Anette Kramme
Nicolette Kressl
Volker Kröning
Angelika Krüger-Leißner
Horst Kubatschka
Ernst Küchler
Ute Kumpf
Konrad Kunick
Dr. Uwe Küster
Werner Labsch
Christine Lambrecht
Brigitte Lange
Christian Lange (Backnang)

Detlev von Larcher
Christine Lehder
Eckhart Lewering
Götz-Peter Lohmann

(Neubrandenburg)


Gabriele Lösekrug-Möller
Erika Lotz
Dr. Christine Lucyga
Dieter Maaß (Herne)

Winfried Mante
Dirk Manzewski
Tobias Marhold
Lothar Mark
Ulrike Mascher
Christoph Matschie
Heide Mattischeck
Markus Meckel
Ulrike Mehl
Angelika Mertens
Ursula Mogg
Christoph Moosbauer
Michael Müller (Düsseldorf)

Christian Müller (Zittau)

Franz Müntefering
Andrea Nahles
Volker Neumann (Bramsche)

Dr. Edith Niehuis
Dr. Rolf Niese
Dietmar Nietan
Günter Oesinghaus
Eckhard Ohl
Leyla Onur
Manfred Opel
Holger Ortel
Adolf Ostertag
Albrecht Papenroth
Dr. Martin Pfaff
Georg Pfannenstein
Johannes Pflug
Dr. Eckhart Pick
Joachim Poß
Karin Rehbock-Zureich
Dr. Carola Reimann
Margot von Renesse
Renate Rennebach
Bernd Reuter
Christel Riemann-
Hanewinckel

Reinhold Robbe
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth (Heringen)

Birgit Roth (Speyer)

Gerhard Rübenkönig
Marlene Rupprecht
Thomas Sauer
Dr. Hansjörg Schäfer

Gudrun Schaich-Walch
Rudolf Scharping
Bernd Scheelen
Dr. Hermann Scheer
Siegfried Scheffler
Horst Schild
Dieter Schloten
Horst Schmidbauer

(Nürnberg)


Ulla Schmidt (Aachen)

Silvia Schmidt (Eisleben)

Dagmar Schmidt (Meschede)

Wilhelm Schmidt (Salzgitter)

Dr. Frank Schmidt

(Weilburg)


Regina Schmidt-Zadel
Heinz Schmitt (Berg)

Carsten Schneider
Dr. Emil Schnell
Walter Schöler
Karsten Schönfeld
Fritz Schösser
Ottmar Schreiner
Gisela Schröter
Dr. Mathias Schubert
Brigitte Schulte (Hameln)

Reinhard Schultz

(Everswinkel)

Volkmar Schultz (Köln)

Ewald Schurer
Dr. Angelica Schwall-Düren
Rolf Schwanitz
Bodo Seidenthal
Erika Simm
Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk
Dr. Cornelie Sonntag-
Wolgast

Wieland Sorge
Wolfgang Spanier
Dr. Margrit Spielmann
Jörg-Otto Spiller
Dr. Ditmar Staffelt
Antje-Marie Steen
Rolf Stöckel
Rita Streb-Hesse
Reinhold Strobl (Amberg)

Dr. Peter Struck
Joachim Stünker
Joachim Tappe
Jörg Tauss
Jella Teuchner
Dr. Gerald Thalheim
Wolfgang Thierse
Franz Thönnes
Uta Titze-Stecher
Adelheid Tröscher
Hans-Eberhard Urbaniak
Rüdiger Veit
Simone Violka
Ute Vogt (Pforzheim)

Hedi Wegener
Dr. Konstanze Wegner
Wolfgang Weiermann
Reinhard Weis (Stendal)

Matthias Weisheit
Gunter Weißgerber
Dr. Ernst Ulrich von
Weizsäcker

Jochen Welt
Dr. Rainer Wend

Hildegard Wester
Lydia Westrich
Dr. Margrit Wetzel
Dr. Norbert Wieczorek
Jürgen Wieczorek (Böhlen)

Heidemarie Wieczorek-Zeul
Dieter Wiefelspütz
Heino Wiese (Hannover)

Klaus Wiesehügel
Brigitte Wimmer (Karlsruhe)

Engelbert Wistuba
Barbara Wittig
Dr. Wolfgang Wodarg
Verena Wohlleben
Hanna Wolf (München)

Waltraud Wolff

(Wolmirstedt)


Heidemarie Wright
Uta Zapf
Dr. Christoph Zöpel
Peter Zumkley
CDU/CSU
Dr. Christian Schwarz-
Schilling

BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Gila Altmann (Aurich)

Volker Beck (Köln)

Angelika Beer
Matthias Berninger
Annelie Buntenbach
Ekin Deligöz
Amke Dietert-Scheuer
Dr. Thea Dückert
Franziska Eichstädt-Bohlig
Dr. Uschi Eid
Hans-Josef Fell
Andrea Fischer (Berlin)

Katrin Göring-Eckardt
Rita Grießhaber
Gerald Häfner
Winfried Hermann
Antje Hermenau
Ulrike Höfken
Michaele Hustedt
Dr. Angelika Köster-Loßack
Steffi Lemke
Dr. Helmut Lippelt
Dr. Reinhard Loske
Oswald Metzger
Winfried Nachtwei
Christa Nickels
Cem Özdemir
Simone Probst
Christine Scheel
Irmingard Schewe-Gerigk
Rezzo Schlauch
Albert Schmidt (Hitzhofen)

Werner Schulz (Leipzig)

Christian Simmert
Christian Sterzing
Hans-Christian Ströbele
Dr. Antje Vollmer
Sylvia Voß
Helmut Wilhelm (Amberg)

Margareta Wolf (Frankfurt)


FDP
Ina Albowitz
Ulrike Flach
Dr. Wolfgang Gerhardt
Hans-Michael Goldmann
Klaus Haupt
Gudrun Kopp
Jürgen Koppelin
Ina Lenke
Sabine Leutheusser-
Schnarrenberger

Dr. Irmgard Schwaetzer
Dr. Hermann Otto Solms
Dr. Max Stadler
Jürgen Türk
Dr. Guido Westerwelle
PDS
Monika Balt
Wolfgang Bierstedt
Petra Bläss
Maritta Böttcher
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Heidemarie Ehlert
Dr. Heinrich Fink
Dr. Ruth Fuchs
Wolfgang Gehrcke
Dr. Klaus Grehn
Dr. Barbara Höll
Carsten Hübner
Ulla Jelpke
Sabine Jünger
Dr. Evelyn Kenzler
Rolf Kutzmutz
Dr. Christa Luft
Heidemarie Lüth
Pia Maier
Angela Marquardt
Manfred Müller (Berlin)

Kersten Naumann
Christine Ostrowski
Petra Pau
Dr. Uwe-Jens Rössel
Christina Schenk
Gustav-Adolf Schur
Dr. Ilja Seifert
Fraktionslose Abgeordnete
Christa Lörcher

Nein
CDU/CSU
Ulrich Adam
Ilse Aigner
Dietrich Austermann
Norbert Barthle
Günter Baumann
Brigitte Baumeister
Meinrad Belle
Dr. Sabine Bergmann-Pohl
Otto Bernhardt
Dr. Joseph-Theodor Blank
Renate Blank
Dr. Heribert Blens
Peter Bleser
Dr. Norbert Blüm




Präsident Wolfgang Thierse
24034


(C)



(D)



(A)



(B)


Antje Blumenthal
Dr. Maria Böhmer
Wolfgang Börnsen

(Bönstrup)


Klaus Brähmig
Dr. Ralf Brauksiepe
Paul Breuer
Hartmut Büttner

(Schönebeck)


Dankward Buwitt
Cajus Caesar
Peter H. Carstensen

(Nordstrand)


Leo Dautzenberg
Wolfgang Dehnel
Hubert Deittert
Renate Diemers
Thomas Dörflinger
Dr. Hansjürgen Doss
Marie-Luise Dött
Maria Eichhorn
Anke Eymer (Lübeck)

Ilse Falk
Dr. Hans Georg Faust
Albrecht Feibel
Ulf Fink
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer (Hamburg)

Axel E. Fischer


(Karlsruhe-Land)

Herbert Frankenhauser
Dr. Gerhard Friedrich

(Erlangen)


Dr. Hans-Peter Friedrich

(Hof)


Erich G. Fritz
Jochen-Konrad Fromme
Hans-Joachim Fuchtel
Dr. Jürgen Gehb
Norbert Geis
Georg Girisch
Dr. Reinhard Göhner
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Kurt-Dieter Grill
Hermann Gröhe
Manfred Grund
Horst Günther (Duisburg)

Carl-Detlev Freiherr von
Hammerstein

Gottfried Haschke

(Großhennersdorf )


Gerda Hasselfeldt

Klaus-Jürgen Hedrich
Helmut Heiderich
Manfred Heise
Siegfried Helias
Detlef Helling
Hans Jochen Henke
Ernst Hinsken
Peter Hintze
Klaus Hofbauer
Martin Hohmann
Josef Hollerith
Dr. Karl-Heinz Hornhues
Siegfried Hornung
Joachim Hörster
Hubert Hüppe
Susanne Jaffke
Georg Janovsky
Dr.-Ing. Rainer Jork
Dr. Harald Kahl
Bartholomäus Kalb
Dr.-Ing. Dietmar Kansy
Irmgard Karwatzki
Eckart von Klaeden
Ulrich Klinkert
Norbert Königshofen
Eva-Maria Kors
Hartmut Koschyk
Rudolf Kraus
Dr. Hermann Kues
Werner Kuhn
Dr. Norbert Lammert
Helmut Lamp
Dr. Paul Laufs
Karl-Josef Laumann
Werner Lensing
Peter Letzgus
Ursula Lietz
Walter Link (Diepholz)

Dr. Manfred Lischewski
Wolfgang Lohmann

(Lüdenscheid)


Julius Louven
Dr. Michael Luther
Erwin Marschewski

(Recklinghausen)


Dr. Martin Mayer

(Siegertsbrunn)


Wolfgang Meckelburg
Dr. Michael Meister
Friedrich Merz
Hans Michelbach
Meinolf Michels
Bernward Müller (Jena)


Elmar Müller (Kirchheim)

Günter Nooke
Franz Obermeier
Friedhelm Ost
Norbert Otto (Erfurt)

Dr. Peter Paziorek
Anton Pfeifer
Dr. Friedbert Pflüger
Beatrix Philipp
Ruprecht Polenz
Marlies Pretzlaff
Dr. Bernd Protzner
Thomas Rachel
Dr. Peter Ramsauer
Peter Rauen
Christa Reichard (Dresden)

Erika Reinhardt
Hans-Peter Repnik
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Franz Romer
Dr. Klaus Rose
Kurt J. Rossmanith
Dr. Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Volker Rühe
Dr. Wolfgang Schäuble
Hartmut Schauerte
Heinz Schemken
Karl-Heinz Scherhag
Norbert Schindler
Bernd Schmidbauer
Christian Schmidt (Fürth)

Dr.-Ing. Joachim Schmidt

(Halsbrücke)


Andreas Schmidt (Mülheim)

Dr. Andreas Schockenhoff
Dr. Rupert Scholz
Reinhard Freiherr
von Schorlemer

Gerhard Schulz
Clemens Schwalbe
Marion Seib
Heinz Seiffert
Werner Siemann
Johannes Singhammer
Bärbel Sothmann
Margarete Späte
Wolfgang Steiger
Erika Steinbach
Andreas Storm
Dorothea Störr-Ritter
Max Straubinger

Matthäus Strebl
Thomas Strobl (Heilbronn)

Michael Stübgen
Dr. Susanne Tiemann
Edeltraut Töpfer
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Andrea Voßhoff
Peter Weiß (Emmendingen)

Gerald Weiß (Groß-Gerau)

Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese (Ehingen)

Hans-Otto Wilhelm (Mainz)

Klaus-Peter Willsch
Bernd Wilz
Willy Wimmer (Neuss)

Werner Wittlich
Elke Wülfing
Peter Kurt Würzbach
Wolfgang Zeitlmann
Wolfgang Zöller
FDP
Hildebrecht Braun

(Augsburg)


Ernst Burgbacher
Jörg van Essen
Paul K. Friedhoff
Horst Friedrich (Bayreuth)

Rainer Funke
Joachim Günther (Plauen)

Dr. Karlheinz Guttmacher
Dr. Helmut Haussmann
Walter Hirche
Dr. Heinrich L. Kolb
Dirk Niebel
Hans-Joachim Otto

(Frankfurt)


Detlef Parr
Dr. Edzard Schmidt-Jortzig
Gerhard Schüßler
Marita Sehn
Gudrun Serowiecki

Enthalten
CDU/CSU
Dr. Gerhard Scheu
FDP
Günther Friedrich Nolting

Entschuldigt wegen Übernahme einer Verpflichtung im Rahmen ihrer Mitgliedschaft in den Parlamentarischen Versammlungen des
Europarates und der WEU, der Parlamentarischen Versammlung der NATO, der OSZE oder der IPU
Abgeordnete(r)
Lintner, Eduard Palis, Kurt Raidel, Hans Schmitz (Baesweiler), Hans Peter
CDU/CSU SPD CDU/CSU CDU/CSU

von Schmude, Michael Dr. Süssmuth, Rita Zierer, Benno
CDU/CSU CDU/CSU CDU/CSU

Nun zurück zu unserer gegenwärtigen Debatte. Ich er-
teile der Kollegin Anette Kramme, SPD-Fraktion, das
Wort.


Anette Kramme (SPD):
Rede ID: ID1424001600
Sehr geehrter Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist einige Zeit her, da
haben wir auf Antrag der FDP in einer Aktuellen Stunde
über das Angebot von VW diskutiert, 5 000 Arbeitsplätze
für 5 000 DM zu schaffen. Damals habe ich erklärt, dass
staatliches Handeln dem Grundsatz „Schuster, bleib bei
deinem Leisten!“ zu folgen hat. Als sich die Damen und
Herren von der FDP in die Tarifpolitik der IG Metall ein-
mischen wollten, habe ich ihnen gesagt: Bleiben Sie bei
Ihrem Leisten! Ich sage auch Ihnen von der PDS: Lassen
Sie die Finger von der Tarifpolitik!

Art. 9 Abs. 3 des Grundgesetzes gewährt Tarifautono-
mie, ein Grundrecht soll dabei vor staatlichem Handeln
schützen. Das Bundesverfassungsgericht hat Sinn und
Zweck der Tarifautonomie sehr schön beschrieben:

Mit der grundrechtlichen Garantie der Tarifautono-
mie wird ein staatlicher Freiraum gewährleistet, in
dem die Arbeitnehmer und Arbeitgeber ihre Interes-
sensgegensätze in eigener Verantwortung austragen
können. Diese Freiheit findet ihren Grund in der his-
torischen Erfahrung, dass auf diese Weise eher Er-
gebnisse erzielt werden, die den Interessen der wi-
derstreitenden Gruppen und dem Gemeinwohl
gerecht werden, als bei einer staatlichen Regelung.

Das Bundesverfassungsgericht nimmt deshalb eine
Normsetzungsprärogative zugunsten der Koalition an.
Deshalb sage ich Ihnen von der PDS noch einmal: Lassen
Sie die Finger von der Tarifautonomie!


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Widerspruch bei der PDS)


Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir haben in
der Bundesrepublik Deutschland in den letzten 50 Jahren
exzellente Erfahrungen mit der Tarifpolitik der Gewerk-
schaften und der Arbeitgeberverbände gemacht. Das
hängt auch damit zusammen, dass sich in Deutschland
eine starke Gewerkschaftsbewegung entwickelte. Es ist
eine relative Wohlstandssicherung auch zugunsten der Ar-
beitnehmer und Arbeitnehmerinnen erreicht.


(Wolfgang Gehrcke [PDS]: Baurecht! – Weiterer Zuruf der PDS: Keine Ahnung!)


Gesetzliche Mindestlöhne sind demgegenüber in vie-
len Ländern, zum Beispiel in den USA, ein Ersatz für feh-
lende Tarifverträge. In Deutschland existieren demge-
genüber 8 000 tarifvertragliche Abkommen, in denen für
die verschiedenen Wirtschaftssektoren oder Branchen
verbindliche Mindestlöhne festgehalten werden.


(Christine Ostrowski [PDS]: Und in Ostdeutschland?)


1990 betrug nach OECD-Angaben der tarifvertragliche
Abdeckungsgrad in Deutschland 90 Prozent. Dieser An-
teil dürfte sich zwar in der Zwischenzeit nach unten ver-
ändert haben, ist aber durchaus noch erheblich.

Eine schweizerische Studie aus dem Jahre 2000 unter-
suchte für den Zeitraum zwischen 1986 und 1991, wie

viele Jahre Arbeitnehmer durchschnittlich auf einer Tief-
lohnstelle verbleiben. Für Dänemark ergab sich eine Ver-
weildauer von 1,8 Jahren, für Deutschland von 2,8 Jahren;
beide Länder kennen keinen gesetzlichen Mindestlohn.
Beschäftigte in Großbritannien brauchten demgegenüber
3,8 Jahre, in den USAsogar 4 Jahre, bis sie ihren Verdienst
merklich steigern konnten. Diese Länder haben Mindest-
lohnregelungen.

Das ist ein Beleg für die Funktionsfähigkeit und die
Flexibilität des deutschen Tarifsystems. Unter Umständen
zementiert ein gesetzlicher Mindestlohn sogar das Nied-
riglohngefüge, so könnte eine Schlussfolgerung aus der
Studie lauten. Hierfür spricht auch, dass in Ländern wie
Frankreich und Luxemburg, in denen es relativ hohe Min-
destlöhne gibt, ein relativ hoher Anteil der Arbeitnehmer
– 13,6 Prozent der Beschäftigen bzw. 15,5 Prozent der Ar-
beitnehmer und Arbeitnehmerinnen – beim Mindestlohn
verbleiben.

Ich meine sogar, ein gesetzlicher Mindestlohn könnte
das Erfolgssystem der Bundesrepublik Deutschland ein-
seitig zulasten der Gewerkschaften nicht unerheblich
schwächen.


(Christine Ostrowski [PDS]: Welches „Erfolgssystem“?)


Zum einen dürfte das Interesse der Tarifvertragsparteien
an autonomen Regelungen im Niedriglohnbereich abneh-
men, zum anderen dürfte wohl das Organisationsinteresse
der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen vor allem in
den unteren Lohngruppen, auf die die Mindestlohnrege-
lung zielt, massiv nachlassen. Die Folge wäre eine allge-
meine Lohnsenkungstendenz.

Neben den tarifvertraglichen Regelungen sind die
gesamten wirtschaftlichen, arbeitsmarktpolitischen und
arbeitsrechtlichen Rahmenbedingungen in der Bundes-
republik Deutschland für die Verdienstsituation der Ar-
beitnehmer entscheidend. Das System der Tarifautonomie,
das sich gerade im Bereich der Löhne bewährt hat, wird
durch gesetzliche Sicherungssysteme lediglich ergänzt.

Man braucht gar nicht so weit in die Vergangenheit
zurückzuschauen, um auf die Einrichtung eines neuen ge-
setzlichen Mindestlohnes zu stoßen; gemeint ist der Min-
destlohn am Bau. Mit dem Ziel, die Niedriglohnkonkur-
renz aus dem Ausland, das Lohndumping und die illegale
Beschäftigung zurückzudrängen, wurde für einen einzel-
nen Sektor des Arbeitsmarktes ein Entgeltschutz im Rah-
men des Entsendegesetzes geschaffen. Die rot-grüne Ko-
alition hat diese Regelung 1998 zu Recht ausgedehnt.

Wenn es das öffentliche Interesse erfordert, können Ta-
rifverträge für allgemein verbindlich erklärt werden. Das
bedeutet, dass ein Tarifvertrag – wie ein Gesetz – unab-
hängig von der Tarifbindung des einzelnen Unternehmens
für eine ganze Branche gilt. Alle Arbeitnehmer einer
Branche können sich, auch wenn sie nicht tarifgebunden
sind, auf den Tarifvertrag berufen. In der Praxis erfolgt die
Allgemeinverbindlichkeitserklärung vor allen Dingen
in den Bereichen, in denen die Arbeitnehmer eine schwa-
che Stellung haben, insbesondere im Baubereich, im Ho-
tel- und Gaststättengewerbe und im Reinigungsgewerbe.

Eine Art Mindestlohnregelung existiert auch für die in
Heimarbeit Beschäftigten. Die obersten Arbeitsbehörden




Präsident Wolfgang Thierse

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(D)



(A)



(B)


der Länder können Entgelte festsetzen. Von dieser Rege-
lung machen sie zuhauf Gebrauch. Auch Auszubildende
haben gemäß § 10 des Berufsbildungsgesetzes Anspruch
auf eine angemessene Vergütung.

Genauso könnte das Tariftreuegesetz, dem Sie, mei-
ne Damen und Herren von der Union, im Bundesrat un-
angemessenerweise nicht zugestimmt haben, einen Bei-
trag für die Durchsetzung angemessener Lohnstandards
leisten.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Es gibt zwei weitere wichtige rechtliche Schranken für
eine unangemessen niedrige Entlohnung. Eine Unter-
schreitung des Tariflohnes um mehr als 20 Prozent führt
– ebenfalls unabhängig von einer Tarifbindung – zur
Nichtigkeit der Lohnvereinbarung gemäß § 138 BGB. Je-
der Arbeitnehmer hat dann Anspruch auf die übliche Ver-
gütung. Anknüpfungspunkt für die übliche Vergütung ist
immer der Tarifvertrag. Die Arbeitnehmer und Arbeitneh-
merinnen können dann den Tariflohn einfordern. Eine sol-
che Regelung greift viel weiter als ein gesetzlicher Min-
destlohn: Es wird ein Berufsgruppen- und damit ein
Qualifikationsschutz gewährt. Ein Arbeitgeber, der die ta-
riflichen Mindestlöhne in der beschriebenen Weise unter-
schreitet, macht sich darüber hinaus nach § 302 a Abs. 1
Nr. 3 StGB strafbar. Die vorgesehene Strafe ist durchaus
beachtlich.

Sozialdemokratische Politik hat andere Aufgaben, als
sich in die Tarifpolitik der Gewerkschaften einzumischen.
Wir haben für die Tarifvertragsparteien allerdings funk-
tionsfähige Arbeitsbedingungen zu schaffen. Deshalb
wird es mit uns keine Politik geben, die durch die Aus-
höhlung des Günstigkeitsprinzips – das wollen FDP und
CDU/CSU – Tarifverträge zu einer unverbindlichen Mei-
nungsäußerung macht.


(Beifall bei der SPD)

Wir wollen keine Erpressbarkeit der Betriebsräte vor Ort.
Wir wollen, dass Betriebsräte nicht vor die Alternative
Lohnreduzierung oder Arbeitsplatzabbau gestellt werden.

Auch zum Zwecke der Wiederherstellung funktions-
fähiger Arbeitsbedingungen für die Gewerkschaften
haben wir das Kündigungsschutzgesetz und die Befris-
tungsregelung wieder geändert sowie das Betriebsverfas-
sungsgesetz modernisiert.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Staatliche Politik hat staatliche Aufgaben zu bewälti-

gen. Sozialdemokratische Politik steht für soziale Ge-
rechtigkeit und sozialen Schutz.


(Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Das steht für Armut und Arbeitslosigkeit!)


In den letzen dreieinhalb Jahren haben wir kontinuierlich
und intensiv daran gearbeitet, Ihre Versäumnisse, meine
Damen und Herren der FDP und der Union, aufzuholen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Der Eingangssteuersatz betrug 1998 noch 25,9 Prozent;
im Jahr 2005 wird er bei nur noch 15 Prozent liegen.

Gleichzeitig wurde der Grundfreibetrag von 6 322 Euro
auf 7 235 Euro in diesem Jahr angehoben.


(Beifall der Abg. Dr. Angelica Schwall-Düren [SPD])


Zum 1. Januar 2005 steigt er auf 7 664 Euro. Das Kinder-
geld liegt zurzeit um 42 Euro pro Monat höher als 1998.


(Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Das haben Sie den Familien vorher alles abgeknöpft!)


– Hören Sie gut zu! – Eine Familie mit einem Jahresein-
kommen von 30 000 Euro hat im Jahr 2002 rund
1 900 Euro mehr zur Verfügung als 1999.


(Beifall bei der SPD – Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Das haben Sie über die Ökosteuer wieder einkassiert!)


– Hören Sie weiterhin gut zu, Sie können etwas lernen!

(Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Von Ihnen kann ich nichts lernen!)

In der 13. Legislaturperiode, also unter der Regie-

rungsverantwortung von Union und FDP, sanken die Net-
toverdienste der Arbeitnehmer um 0,48 Prozent. Seit 1998
sind sie demgegenüber um 8,4 Prozent angestiegen.


(Beifall bei der SPD)

Auch preisbereinigt hat sich das 5,3-prozentige Minus bei
den Arbeitnehmerverdiensten, das in der 13. Wahlperiode
zu verzeichnen war, in ein Plus von 1,5 Prozent umge-
kehrt.

Andere unserer Maßnahmen haben sich ebenfalls auf
den Geldbeutel der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen
ausgewirkt, so die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und
das Schlechtwettergeld am Bau. Etwa 420 000 Haushalte
kommen zusätzlich in den Genuss von Wohngeld. In den
alten Ländern hat sich das durchschnittliche Wohngeld
von 283 DM auf 368 DM pro Monat erhöht. Statt 341 000
erhalten künftig 445 000 Schüler und Schülerinnen sowie
Studenten und Studentinnen BAföG.

Die beste Garantie einer existenzsichernden Entloh-
nung sind eine gute und solide Ausbildung und lebens-
lange Fortbildung.


(Beifall bei der SPD – Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: PISA lässt grüßen!)


Deshalb haben wir große Anstrengungen im Bereich von
Bildung und Ausbildung unternommen. So haben mehr
als 400 000 Jugendliche am JUMP-Programm teilgenom-
men. Das Job-AQTIV-Gesetz sieht eine frühzeitige Wei-
terbildung zur Reintegration in den Arbeitsmarkt vor.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, unter einer sozialde-
mokratisch-grünen Koalition existiert jedenfalls ein aus-
gewogenes und ausgeklügeltes System des staatlichen
Nebeneinanders von gesetzlichen Regelungen und Tarif-
politik. Hieran werden wir auch in der nächsten Legisla-
turperiode weiterarbeiten. Durch ein System flächen-
deckender Ganztagsschulen wird es gerade Frauen
möglich sein, Erwerbstätigkeit aufzunehmen bzw. fortzu-
setzen. Damit sichern wir Existenzen.




Anette Kramme
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(B)


Gestatten Sie mir einen allerletzten Satz, meine Damen
und Herren von der PDS: Auch dieser Antrag zeugt wie-
der einmal von äußerstem Praxisbezug. Zur Klarstellung:
Das ist ironisch gemeint. Sie wollen einen europaweit ein-
zigartig hohen Mindestlohn. Selbst Frankreich setzt nur
55,5 Prozent des Durchschnittseinkommens als Mindest-
lohn an. Ihr Vorschlag sieht nicht einmal eine Übergangs-
regelung vor. Haben Sie sich einmal vorgestellt, was in ei-
nigen Betrieben passierte, wenn es von heute auf morgen
rigorose Lohnsteigerungen gäbe, beispielsweise bei den
Gebäudereinigern oder den Friseurinnen?

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Antje Hermenau [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1424001700
Ich erteile dem Kolle-
gen Karl-Josef Laumann, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.


Karl-Josef Laumann (CDU):
Rede ID: ID1424001800
Sehr geehrter
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Für meine Fraktion stelle ich gleich zu Beginn meiner
Rede fest: Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion lehnt die
Einführung eines gesetzlichen Mindestlohnes ab.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Sehr vernünftig!)


Wir haben gerade gehört, dass die SPD dies auch tut.

(Rolf Kutzmutz [PDS]: Das ist eine schlimme Koalition!)

Selbst die Gewerkschaften in Deutschland halten nichts
von der Einführung eines gesetzlichen Mindestlohnes,
weil sie dadurch ihre Tarifautonomie verletzt sehen. Dass
die Arbeitgeber keinen gesetzlichen Mindestlohn wollen,
brauche ich hier nicht näher zu erläutern. Sehr geehrte
Frau Kollegin Maier, insofern sehe ich beim besten Wil-
len keine gesellschaftliche Unterstützung für Ihren
Wunsch, einen gesetzlichen Mindestlohn in Deutschland
einzuführen.

In Europa gibt es durchaus Länder, die in ihrer Rechts-
tradition Mindestlöhne kennen. Die OECD hat sich in
vielen Untersuchungen mit den Auswirkungen von ge-
setzlichen Mindestlöhnen beschäftigt. Selbst dort, wo es
gesetzliche Mindestlöhne gibt, sind sie nicht das Nonplus-
ultra zur Bekämpfung der Armut.


(Heinz Wiese [Ehingen] [CDU/CSU]: Sehr wahr!)


Sie gehen logischerweise erst einmal an allen Menschen
vorbei, die gar keine Beschäftigung haben.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Des Weiteren führen sie dazu, dass Menschen von ihnen
profitieren, die gar nicht zu den Bedürftigen gehören.

Gleichwohl ist man unter vernünftigen Menschen nor-
malerweise der Meinung, dass man in einem Land ein be-
stimmtes Lohnniveau braucht, weil der Lebensunterhalt
eine gewisse Summe Geldes kostet. Niemand hier im
Bundestag hält es für gerecht, wenn Menschen nach einer
dreijährigen handwerklichen Berufsausbildung und ei-

nem qualifizierten Berufsabschluss in einigen Regionen
Deutschlands Löhne bekommen, die weit unter den Tarif-
löhnen liegen, weil mittlerweile keine Tarifbindungswir-
kung mehr vorhanden ist. Ich war vorgestern Abend auf
einer Veranstaltung in Dresden. Dort sind noch 15 Prozent
der Unternehmen Mitglied des Unternehmerverbandes.
Jeder weiß, welche Auswirkungen das auf die Bindungs-
kraft von Flächentarifen hat.

Aber ich bin fest davon überzeugt, dass wir dieses Pro-
blem nur lösen können, wenn es uns gelingt, in Deutsch-
land zu einem allgemeinen wirtschaftlichen Aufschwung
und zu mehr Beschäftigung zu kommen. Wir streiten uns
in diesem Haus schon seit längerer Zeit darüber, mit wel-
chen politischen Rezepten man dazu einen Beitrag leisten
kann. – Politik kann auch dazu nur einen Beitrag leisten;
allein kann sie es mit Sicherheit nicht bewerkstelligen. –
Darüber gibt es hier im Hause zwei Auffassungen. Eine
davon sieht vor, das Arbeitsrecht noch enger zu fassen.
Das ist von der jetzigen Mehrheit hinsichtlich des Be-
triebsverfassungsgesetzes, der befristeten Arbeitsverträge
und des Rechtsanspruchs auf Teilzeitarbeit gemacht wor-
den. Auf der anderen Seite, bei CDU/CSU und FDP, be-
steht die Vorstellung, hinsichtlich solcher Fragen fle-
xiblere Regelungen zu treffen.


(Heinz Wiese [Ehingen] [CDU/CSU]: Deregulierung!)


Dazu haben wir Vorschläge gemacht, die Sie auch in un-
serem Regierungsprogramm nachlesen können und die
von Ihnen auf das Heftigste kritisiert werden.

Heute ist wieder einer der denkwürdigen Tage, an dem
um 9 Uhr die Arbeitslosenzahlen veröffentlicht worden
sind. Ich stelle ganz ruhig und gelassen fest, dass auf dem
Arbeitsmarkt nach wie vor eine sehr schwierige Situation
besteht und wir in Deutschland schlicht und ergreifend
keine Erfolge auf dem Arbeitsmarkt zu vermelden haben.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das ist eine Bankrotterklärung der Bundesregierung!)


Als der Bundesarbeitsminister in der letzten Woche zu-
sammen mit Herrn Müller, dem Wirtschaftsminister, eine
Pressekonferenz abgehalten hat, von der ich gelesen habe,
und gesagt hat, die Arbeitslosigkeit sei in diesem Monat
um 150 000 Personen zurückgegangen,


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Dann hat er keine Ahnung!)


habe ich mich schon gefragt, wie er eigentlich zu diesen
Zahlen kommt; denn ich weiß, wie die Zahlen über die
Landesarbeitsämter ermittelt werden. Die traurige Tatsa-
che ist, dass die Arbeitslosigkeit nur um 78 000 zurück-
gegangen ist.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Unglaublich!)

Wie können zwei Bundesminister, die für diesen Bereich
zuständig sind, noch vor einer Woche eine Pressekon-
ferenz abhalten, bei der sie bei dem Zahlenmaterial um
100 Prozent daneben liegen? Das ist wirklich keine seriöse
Politik mehr; daran sieht man, wie hier gearbeitet wird.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP und der PDS)





Anette Kramme

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(A)



(B)


Nach den Zahlen, die heute veröffentlicht wurden, liegt
die Arbeitslosigkeit um 225 000 höher als vor einem Jahr.
Saisonbereinigt ist die Arbeitslosigkeit um 60 000 ge-
stiegen.


(Zurufe von der CDU/CSU: Hört! Hört!)

Wir werden in diesem Jahr wahrscheinlich eine durch-
schnittliche Arbeitslosigkeit von 3,98 Millionen haben;
im letzten Jahr lag sie bei 3,78 Millionen.


(Anette Kramme [SPD]: Immer noch weit besser als bei Ihnen!)


Eines macht mich aber vor allen Dingen sehr nachdenk-
lich – ich habe es mir heute Morgen extra noch einmal
angeschaut –: Vor genau drei Jahren, als das Job-AQTIV-
Gesetz in Kraft trat, gab es in Deutschland 368 000 Ju-
gendliche unter 25 Jahren, die arbeitslos waren. Heute
sind es trotz Job-AQTIV-Gesetzes, trotz der 1 Milli-
arde Euro, die dafür jedes Jahr in die Hand genommen
werden, 453 000 arbeitslose Jugendliche.


(Erika Lotz [SPD]: Das ist doch erst später in Kraft getreten!)


Dann höre ich von Ihnen, Frau Kramme, dass das
JUMP-Programm Gott weiß was gebracht habe. Ich kann
Ihnen nur sagen: Als wir das JUMP-Programm nicht hat-
ten, war die Jugendarbeitslosigkeit niedriger als heute.


(Renate Rennebach [SPD]: Das ist ja wohl eine Lüge! – Anette Kramme [SPD]: Das ist einfach falsch!)


– Ich habe nicht gesagt, dass das JUMP-Programm an
dieser Steigerung schuld ist. Aber tun Sie bitte nicht so,
als hätten Sie das Problem der Jugendarbeitslosigkeit
im Griff. Auch hier baut sich aufgrund der schlechten
wirtschaftlichen Lage und der schlechten Arbeitsmarkt-
zahlen eine immer problematischer werdende Situation
auf.

Ich glaube schon, Sie müssen auch sehen, dass mit der
Art, wie Sie in den letzten Jahren Politik gemacht haben,
zwar die Zahl der Erwerbstätigen zugenommen hat – das
hat mit den 630-DM-Jobs und anderen Zählweisen zu
tun –, aber das Entscheidende ist, dass die Zahl der Er-
werbstätigenstunden, also das in diesem Land vorhandene
Gesamtarbeitsvolumen, schlicht und ergreifend abge-
nommen hat. Das ist ein ganz schlechtes Beweismittel
und zeigt, dass Ihre Arbeitsmarktpolitik schlicht und er-
greifend völlig erfolglos war.

Ich will Ihnen noch einmal sagen, worüber wir uns an-
gesichts dieser Arbeitslosenzahlen noch mehr Sorgen ma-
chen müssen. Es ist völlig klar, dass bei der Entwicklung
der Arbeitslosenzahlen von April auf Mai aufgrund der so
genannten Sommerkonjunktur immer ein starker Rück-
gang der Arbeitslosigkeit zu verzeichnen ist. Von April
auf Mai 1998 hat die Arbeitslosenzahl um 220 000 abge-
nommen, von April auf Mai 1999 um 145 000, von April
auf Mai 2000 um 200 000, von April auf Mai 2001 um
140 000 und – jetzt kommt es – von April auf Mai 2002
waren es minus 78 000.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Der Sommeraufschwung fällt aus!)


Meine sehr verehrten Damen und Herren vom Regie-
rungslager, Sie haben nicht einmal mehr eine Sommer-
konjunktur. Selbst diese, die wir traditionell immer ge-
habt haben, haben Sie in diesem Land erdrosselt und
erstickt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Sie machen alles kaputt! – Peter Dreßen [SPD]: Es sind immer noch 10 Prozent weniger als zu eurer Zeit!)


Es gibt noch einen weiteren Punkt: Zur Arbeitsmarkt-
politik hört man von der Regierung eigentlich nie etwas
Neues. Wenn man etwas hört, dann wird das Job-
AQTIV-Gesetz gelobt.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Auch das funktioniert nicht so richtig!)


Wir haben im Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
– weil Sie dort Mitglied sind, waren Sie dabei – Herrn
Gerster gefragt, welche Erfolge es denn mit diesem Job-
AQTIV-Gesetz gebe. Herr Gerster teilte uns im Aus-
schuss mit, dass von den 132 000 Menschen, die zwischen
März und April 2002 nicht mehr in der Statistik geführt
wurden, lediglich 30 000 eine ungeförderte Beschäfti-
gung auf dem ersten Arbeitsmarkt aufgenommen haben.
Noch einmal: Von März bis April 2002 gab es 132 000 we-
niger Arbeitslose, aber nur 30 000 haben eine ungeför-
derte reguläre Beschäftigung gefunden.


(Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Eine echte Glanzleistung!)


Die restlichen 100 000 Menschen sind schlicht und
ergreifend aus dem Erwerbsleben ausgeschieden. Sie be-
ziehen als über 58-Jährige unter erleichterten Vorausset-
zungen Arbeitslosengeld, sind in Altersteilzeit oder in an-
deren Maßnahmen des zweiten Arbeitsmarktes.

Vor dem Hintergrund dieser Zahlen spricht das Bundes-
arbeitsministerium doch tatsächlich davon, dass die Tal-
sohle auf dem Arbeitsmarkt durchschritten sei. Wenn an-
gesichts dieser Zahlen, die Sie mir nicht widerlegen
können, weil sie schlicht und ergreifend stimmen, und die
auch nicht in irgendeiner CDU-Zentrale ausgerechnet
worden sind, sondern im Bericht der Bundesanstalt für
Arbeit stehen, unter Ihrem Parteifreund Herrn Gerster er-
mittelt und heute an die Öffentlichkeit gebracht,


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

der Bundesarbeitsminister sagt, die Talsohle auf dem Ar-
beitsmarkt sei durchschritten,


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Er hat keine Ahnung!)


wenn er so etwas in einer solchen Situation sagt, dann lebt
er nicht mehr in der Wirklichkeit, sondern unter einer
Käseglocke. Ein solcher Mensch sollte in Deutschland
nicht mehr in einer Bundesregierung für diesen sensiblen
Bereich verantwortlich sein.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Peter Weiß [Emmendingen])

lieber zurücktreten!)

Deswegen werden wir natürlich in den kommenden
Wochen und Monaten, in den gut 100 Tagen bis zur Bun-




Karl-Josef Laumann
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(A)



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destagswahl, mit den Menschen in diesem Land über
diese unterschiedlichen Politikrezepte reden.


(Klaus Brandner [SPD]: Nun sagen Sie den Leuten wenigstens, dass wir das erste Mal in der Nachkriegsgeschichte aus einer Krise mit weniger Arbeitslosen herausgehen, als das jemals der Fall war!)


Sie – wie Sie dies heute in der Debatte gezeigt haben – ste-
hen auf der einen Seite für mehr Staat, mehr Regulierung
und für ein strengeres Arbeitsrecht, und wir stehen auf der
anderen Seite für einen Weg, der Flexibilisierung und Si-
cherheit für die Menschen ermöglicht, der aber vor allen
Dingen darauf abzielt, dass die Menschen einen besseren
Arbeitsmarkt haben.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: So ist es!)

Nur dann, wenn wir einen besseren Arbeitsmarkt ha-

ben, werden wir auch wieder zu gerechteren und zu ver-
nünftigen Löhnen für die Arbeitnehmerinnen und Arbeit-
nehmer in der Bundesrepublik Deutschland kommen.
Dafür zu kämpfen ist eine wunderschöne Aufgabe. Sie
können Gift darauf nehmen, dass wir, die CDU, mit allen
uns zur Verfügung stehenden demokratischen Mitteln ver-
suchen werden, dass wir die gestaltende Kraft werden, da-
mit endlich den kleinen Leuten in unserem Land wieder
geholfen wird.

Schönen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Franz Thönnes [SPD]: Die kleinen Leuten erinnern sich noch!)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1424001900
Ich erteile der Kolle-
gin Ekin Deligöz, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.


Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1424002000
Herr
Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir debat-
tieren heute über die Einführung eines gesetzlichen Min-
destlohnes.


(Klaus Brandner [SPD]: Sprechen Sie doch einmal über Möllemann! Wir können heute über alles reden!)


Das wichtigste Argument, das dagegen spricht, hat meine
Vorrednerin von der SPD-Fraktion schon angeführt, näm-
lich die garantierte Tarifautonomie, die wir in Deutsch-
land haben. Dies ist ein gut funktionierendes Tarifver-
handlungssystem. Es ist ein System, in dem bereits über
Mindestentgelte debattiert wird, die auch schon an vielen
Stellen festgeschrieben sind. Dieses System hat sich be-
währt. Es war schon immer und wird auch in Zukunft ein
Erfolgsmodell für Deutschland sein. Davon wollen wir
auf keinen Fall abrücken.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Pia Maier [PDS]: Das machen wir auch nicht!)


Lassen Sie mich zu sehr einfachen Fragen kommen,
nämlich zu Fragen der Praktikabilität eines solchen Vor-
schlags. Sie wollen eine übergeordnete Festsetzung. Ich
frage mich, wie Sie das machen wollen. Die Durch-

schnittslöhne in Deutschland unterscheiden sich je nach
Branche. Es ist schließlich ein Unterschied, ob jemand als
Arzt oder als Arbeiter eingestellt ist.


(Klaus Brandner [SPD]: Wohlstand für alle!)

Sie können doch nicht alles über einen Kamm scheren und
einen x-beliebigen Vertrag aufsetzen.

Wie wollen Sie dabei die Lebenshaltungskosten einbe-
rechnen? Das sind doch die wesentlichen Fragen einer
Lohndebatte. Wie wollen Sie das Ganze kontrollieren?
Wer soll die Kontrollen durchführen? Soll das die BAma-
chen? Das wäre dann noch eine versicherungsfremde Leis-
tung mehr, obwohl wir doch gerade die versicherungs-
fremden Leistungen aus der BA herausholen wollen.
Wollen Sie dafür neue Stellen und Institutionen schaffen?
Und vor allem: Wer trägt die Kosten?

Das sind einfache Fragen zur Praktikabilität, auf die
Sie keine Antworten geliefert haben. Sie halten das auch
nicht für nötig.

Kommen wir zum dritten Punkt der Debatte. Welches
Ziel wird mit einer solchen Forderung verfolgt? Was soll
damit bezweckt und was soll damit erreicht werden? Ich
behaupte, Sie wollen mit solch einem Mindestlohn für die
Erreichung des Ziels der sozialen Sicherheit der Men-
schen kämpfen. In diesem Punkt hätte Ihre Forderung in
einem anderen Sozialstaatssystem durchaus ihre Berech-
tigung. Wenn wir uns in einem Land der Dritten Welt be-
fänden, in dem es keine sozialen Netze gäbe und auf das
die Begriffe „Billiglohnland“ und „Lohndumping“ zuträ-
fen – beispielsweise in Ländern in Südostasien oder La-
teinamerika –, wäre eine solche Forderung berechtigt.

Deutschland ist aber bekanntlich kein Entwicklungs-
land.


(Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau! Wir lassen uns auch von der PDS nicht zum Entwicklungsland machen!)


Deutschland ist ein Land, das auf mehreren sozialen Si-
cherungssystemen beruht. In Deutschland gibt es ein
Netzwerk, das Menschen davor bewahrt, in Armut zu fal-
len. Sie bekommen Hilfestellung vom Staat und werden
durch ein komplexes System der sozialen Sicherung auf-
gefangen. Deshalb hat eine solche Forderung mit dem An-
spruch, soziale Sicherheit zu schaffen, in Deutschland
keinen Platz.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ein weiteres Anliegen, aus dem eine solche Forderung
aufgestellt werden kann, ist die Armutsbekämpfung.
Das ist in der Tat eine wesentliche Frage, über die wir im-
mer wieder reden, für die jeder seine eigenen Lösungen
und in Bezug auf die jeder seine eigene Herangehens-
weise hat. Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang
eine Aussage aus Ihrem Antrag herausgreifen, nämlich
die, dass Erwerbstätigkeit nicht vor Armut schützt. Ich
aber meine, dass die Erwerbsarbeit nach wie vor die beste
Form der Armutsbekämpfung ist.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)





Karl-Josef Laumann

24039


(C)



(D)



(A)



(B)


Die beste Form der Armutsbekämpfung besteht darin,
seine eigene Existenz zu sichern, für die Menschen Arbeit
zu schaffen und die Rahmenbedingungen so zu setzen,
dass Arbeit und Berufstätigkeit möglich werden. Wir ha-
ben Arbeit geschaffen. Wir haben in Deutschland neue
Arbeitsplätze geschaffen. Vor allem im Bereich der neuen
Technologien, der alternativen und der erneuerbaren Tech-
nologien, haben wir eine Reihe neuer Berufe, neuer Lehr-
berufe und Aktivitäten geschaffen. Bis zu 200 000 Arbeits-
plätze wurden allein im Bereich der ökologischen
Modernisierung in Deutschland geschaffen.


(Vo r s i t z : Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer)

Was sind darüber hinaus unsere Antworten auf die Fra-

gen der Lohnentwicklung? Dazu gehört zum Beispiel, den
Menschen durch Senkung der Lohnnebenkosten mehr Geld
zu verschaffen. Das war unser Ziel, das wir auch umgesetzt
haben. Wir wollten in der Tat aus dem Niedriglohnsektor
heraus. Die beste Form, den Menschen zu einer – auch sehr
gut bezahlten – Erwerbsarbeit zu verhelfen, ist nach wie
vor, sie zu qualifizieren und ihnen die Möglichkeit zu bie-
ten, besser zu verdienen. Das haben wir getan, und zwar
durch Maßnahmen der Weiterbildung, durch Jobrotation
und die einzelnen Elemente von Job-AQTIV.

Wir haben noch mehr getan. Wir haben Sozialhilfe-
empfängerinnen und -empfängern den Zugang zu Maß-
nahmen des Arbeitsamtes ermöglicht, um sie zu qualifi-
zieren, um ihre Chancen zu steigern und um das zu
erreichen, was sie eigentlich wollen, nämlich irgendwann
einmal in eine besser qualifizierte Arbeit mit einem ange-
messenen Gehalt zu kommen. Das nenne ich eine aktive
und individuelle Förderung, die bei den Menschen an-
kommt und von den Menschen gefordert wird.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir haben mehr als das getan. Ich will jetzt gar nicht all
die Programme aufzählen, die schon mehrfach genannt
worden sind, das JUMP-Programm, Programme für ältere
Menschen oder Schwerbehinderte, um sie besser in Arbeit
zu bringen. In diesem Bereich sehen die Zahlen sehr gut
aus. Ich will einen anderen Punkt nennen, der mir sehr
wichtig ist. Armut in Deutschland betrifft nach wie vor vor
allem Familien und Alleinerziehende. Alleinerziehende
sind nicht deshalb häufig in der Sozialhilfe, weil sie faul
sind und nicht arbeiten wollen, sondern weil sie nicht wis-
sen, wer sich um die Kinder kümmern soll, wenn der Kin-
dergarten um 12 Uhr schließt, sie aber bis 12.30 Uhr arbei-
ten müssen. Sie wissen nicht, wie sie gleichzeitig die
Kinder betreuen und einer Erwerbsarbeit nachgehen sollen.

Ein Lösungsansatz hierfür ist eine gute Familienpoli-
tik, wie wir sie bereits gemacht haben. Weiterhin haben
wir Investitionen in Ganztagsschulen und Kinderbetreu-
ungseinrichtungen angekündigt sowie Teilzeitmodelle
gefördert. Herr Laumann, durch das Recht auf Teilzeit für
Eltern oder Alleinerziehende können Beruf und Fami-
lie tatsächlich vereinbart werden. Damit bleibt dies in
Deutschland nicht nur eine leere Hülse, sondern wird
Realität.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Aber das darf nicht nur für die Mütter ein Thema blei-
ben. Wir haben ein Elternzeitmodell geschaffen, mit dem
auch Väter angesprochen werden, zu Hause zu bleiben,
um so eine Arbeitsteilung in der Familie zu ermöglichen.

Nicht zuletzt möchten wir auch über die Sozialhilfe-
reform debattieren. In diese Richtung hat sich übrigens
auch die Sprecherin der PDS-Fraktion gestern in der Ar-
beitsmarktdebatte geäußert. Sie hat im Namen der PDS
gesagt, man müsse im Sinne eines aktiven Sozialstaates
auch über die Zusammenlegung von Sozialhilfe und Ar-
beitslosenhilfe debattieren. Wenn dies die Linie der PDS
ist, dann sollte sie dabei bleiben.


(Dr. Irmgard Schwaetzer [FDP]: Darüber redet ihr seit vier Jahren, nur gemacht habt ihr nichts!)


Wir haben ein Modell zur Kindergrundsicherung vor-
gestellt, um Familien aus der Armut herauszuholen. Wir
haben ein zweites Modell zum Durchbrechen der Teil-
zeitmauer entwickelt. Darüber hinaus haben wir ein wei-
teres Modell zur Grundsicherung durch Zusammenlegung
von Arbeitslosen- und Sozialhilfe auf den Tisch gelegt,
wobei dies nicht als Spar- oder Strafmaßnahme definiert
werden soll, sondern als eine aktivierende Maßnahme ge-
dacht ist, um Rahmenbedingungen zu schaffen, damit die
Menschen in den Arbeitsmarkt zurückfinden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

In Deutschland wird ein Bündel von Maßnahmen in

der Finanzpolitik, der Wirtschaftspolitik und der Sozial-
politik gebraucht, um diese Debatte zum Arbeitsmarkt
führen zu können. Platte und einfache Antworten gibt es
hier nicht. Das Ganze ist eine Herausforderung. Die Grü-
nen stellen sich dieser Herausforderung und haben die
richtigen Antworten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1424002100
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Heinrich Kolb.


Dr. Heinrich L. Kolb (FDP):
Rede ID: ID1424002200
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Die PDS beweist mit dem
vorgelegten Antrag einmal mehr, dass sie ihre Ideen oft
aus der ideologischen Mottenkiste holt.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Mit der Realität am Arbeitsmarkt, Frau Maier, hat Ihr Vor-
schlag eines Mindestlohnes jedenfalls nichts zu tun.


(Rolf Kutzmutz [PDS]: Deshalb sind wir ja gespannt, was Sie sagen!)


Ich frage mich wirklich, wie bei einem von der rot-grü-
nen Bundesregierung zu verantwortenden aktuellen Stand
von knapp 4 Millionen Arbeitslosen ein Mindestlohn
mehr Menschen in Arbeit bringen soll. Nur darum kann es
gehen. Ist eine Maßnahme geeignet, auch geringer quali-
fizierten Menschen eine Arbeitsstelle bieten zu können,


(Beifall der Abg. Dr. Irmgard Schwaetzer [FDP])





Ekin Deligöz
24040


(C)



(D)



(A)



(B)


eine Arbeit, die sie ausfüllt und mit der sie zum eigenen
Lebensunterhalt beitragen? Das hat letztendlich etwas mit
der Würde des Menschen zu tun.


(Dr. Irmgard Schwaetzer [FDP]: So ist es!)

Der von Ihnen angestrebte gesetzliche Mindestlohn

im produzierenden Gewerbe würde – ich habe das an-
hand der Zahlen des Statistischen Bundesamtes für das
Jahr 2000 berechnet; Sie haben es bestätigt – für Arbeiter
1 452 Euro und für Angestellte 2 321 Euro betragen. Das
sind jeweils 68 Prozent des durchschnittlichen Bruttover-
dienstes.

Betrachten wir einmal den Fall des Arbeiters, der
1 452 Euro verdient. Ich weiß nicht, welcher Arbeitgeber
einem Arbeiter 1 452 Euro im Monat für Tätigkeiten be-
zahlen könnte, die nur eine geringe Qualifikation erfor-
dern. Das muss man sehen. Es handelt sich ja nicht um
eine Frage des Wollens, sondern des Könnens; denn – um
es volkswirtschaftlich auszudrücken – die Faktorpreise
setzen sich natürlich in Produktpreise um. Unternehmen
drücken das oft einfacher aus: Nicht die Unternehmen,
sondern die Kunden bezahlen die Löhne. Das heißt, nur
dass, was man am Markt erzielen kann, ist auf Dauer als
Lohn zu gewährleisten.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP– Dr. Irmgard Schwaetzer [FDP]: So einfach ist Marktwirtschaft!)


Es stellt sich nur die Frage: Wollen Sie zusätzlich zum
gesetzlichen Mindestlohn noch eine gesetzliche Ver-
pflichtung, Arbeitsplätze zu schaffen, sprich: Menschen
einzustellen?


(Renate Rennebach [SPD]: So schlecht ist das auch nicht!)


Ein entsprechendes Vorhaben haben wir in dieser Woche
– Gott sei Dank in großer Gemeinsamkeit – bei der Über-
arbeitung der Gewerbeordnung im Ausschuss abgelehnt.
Wir haben gesagt: Es bleibt bei der Abschlussfreiheit des
Arbeitgebers; kein Unternehmen kann gezwungen werden.
Damit ist eigentlich schon alles gesagt, was man zu dieser
Forderung nach Einführung eines Mindestlohns sagen
muss. Wir von der FDP lehnen diesen Vorschlag klar ab.

Frau Maier, ich gebe Ihnen und der PDS in einigen
Feststellungen, die Ihr Antrag enthält, Recht.


(Erika Lotz [SPD]: Jetzt kommt die Mottenkiste zwo!)


Den Menschen in Deutschland, Frau Lotz, bleibt von
ihrem vergleichsweise hohen Bruttoeinkommen netto ein-
fach zu wenig. Das muss man doch einmal sehen. Der in-
ternationale Vergleich zeigt: Die Bruttolöhne in Deutsch-
land sind nicht so schlecht.


(Beifall bei der FDP – Erika Lotz [SPD]: Reden Sie jetzt von 1997? – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das ist in Deutschland alles besser geworden! Zu Ihrer Zeit war das doch alles schlimm!)


– Herr Schmidt, hören Sie zu! – Die ansehnlichen Brut-
tolöhne und Bruttogehälter in Deutschland verdunsten

nämlich unter der alles versengenden rot-grünen Steuer-
und Abgabensonne; deswegen reicht es für die Menschen
am Schluss nicht.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – KarlJosef Laumann [CDU/CSU]: Sie wollten doch alles besser machen!)


An diesem Punkt müssen wir ansetzen. Um im Bild zu
bleiben: Die Menschen in Deutschland brauchen einfach
einen wirksamen Sonnenschutz. Mit anderen Worten: Sie
brauchen ein einfaches und gerechtes Steuersystem mit
niedrigen Steuern. Steuersätze in Höhe von 15 Prozent,
25 Prozent und 35 Prozent werden dazu führen, dass die
Menschen entlastet werden und dass solche Steuern wie-
der gezahlt werden, die dem Finanzamt heute vorenthal-
ten werden. Es ist doch kein Zufall, dass dem Fiskus in
Deutschland durch Schwarzarbeit pro Jahr 350 Milli-
arden Euro entgehen und dass gerade der Sektor der
Schwarzarbeit der einzig noch boomende Sektor unserer
Volkswirtschaft ist.

Wir müssen die Steuern senken; aber wir müssen auch
die Höhe der Sozialabgaben senken. Frau Rennebach, da
brauchen Sie gar nicht den Kopf zu schütteln. Das in Ih-
rer Koalitionsvereinbarung enthaltene große Ziel, die
Höhe der Sozialversicherungsbeiträge auf 40 Prozent zu
senken, ist, wie eigentlich alle Ihre Ziele – ob das die Sen-
kung der Zahl der Arbeitslosen auf 3,5 Millionen oder die
Senkung der Zahl der arbeitslosen Schwerbehinderten um
50 000 ist – nicht erreicht worden. Man kann es auf die
Formel bringen: Sie haben regelmäßig alle Messlatten ge-
rissen, die Sie sich aufgelegt hatten. Nennen Sie mir ein
Ziel, das Sie erreicht haben! Wir brauchen mehr Mut zu
Reformen, mehr Wettbewerb und mehr Eigenverantwor-
tung. Nur so lassen sich die Beiträge zu den Sozialversi-
cherungen senken.

Mich erschüttert immer wieder, dass Sie die umfang-
reichen Gutachten des Sachverständigenrates der rot-grü-
nen Bundesregierung offensichtlich nicht zur Kenntnis
nehmen. Herr Brandner, auf Seite 196 ff. des aktuellen
Gutachtens steht das sehr deutlich geschrieben. Wenn Sie
sich an die Ratschläge des Sachverständigenrats dieser
Bundesregierung halten würden, dann hätten wir nicht die
gewaltigen Probleme, mit denen wir auf dem Arbeits-
markt gegenwärtig konfrontiert werden.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Damit mehr Menschen – auch im Niedriglohnbereich –

in Arbeit kommen, brauchen wir bessere Vermittlungs-
und Qualifizierungsinstrumente als bisher. Die Bundes-
regierung ist auf diesem Feld aktiv geworden, was
wir in der Tendenz durchaus anerkennen; aber – Frau
Rennebach, ich sage das auch im Hinblick auf Ihren nach-
folgenden Redebeitrag – das ist nur die eine Seite der
Medaille. Ich erinnere an die Demonstration der Mitar-
beiter der Bundesanstalt für Arbeit in Nürnberg vor weni-
gen Wochen. Die Demonstranten haben gesagt: Was sol-
len wir denn vermitteln, wenn es keine Arbeitsstellen
gibt? Aktivierende Sozialpolitik, „Fordern und Fördern“,
reicht nicht, wenn es nicht gleichzeitig in den Unterneh-
men, insbesondere im Mittelstand, ein entsprechendes
Angebot an Arbeitsplätzen gibt. Das wird aber nur funk-
tionieren – leider blenden Sie das in Ihren Überlegungen




Dr. Heinrich L. Kolb

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(C)



(D)



(A)



(B)


vollkommen aus –, wenn man den ersten Arbeitsmarkt
endlich flexibilisiert. Auch das steht übrigens in dem
Sachverständigengutachten.

Nun komme ich – ich werde Ihnen das so lange sagen,
bis Sie es verstehen; vielleicht kapieren Sie das bis zum
Ende Ihrer Regierungszeit überhaupt nicht mehr – auf das
Gesetz zur Bekämpfung der Scheinselbstständigkeit zu
sprechen.


(Dr. Irmgard Schwaetzer [FDP]: Das kapieren die nie!)


Das Gesetz zur Regelung der Teilzeitarbeit und befristeter
Arbeitsplätze muss flexibilisiert werden. Teilzeit kann
man nicht verordnen. Auch ein befristeter Arbeitsplatz
– das muss man immer wieder deutlich sagen – ist ein
guter Arbeitsplatz für denjenigen,


(Dr. Irmgard Schwaetzer [FDP]: Der nichts hat!)


der vorher arbeitslos war.
Auch das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz muss drin-

gend flexibilisiert werden. Unsere europäischen Nach-
barn zeigen eindrucksvoll, wie man mit Zeitarbeit eine
Brücke in den ersten Arbeitsmarkt hinein bauen kann.
Auch das Betriebsverfassungsgesetz sollte ein Thema
sein.

Den Kündigungsschutz – das ist eine unangenehme
Wahrheit; man muss sie aber aussprechen – müssen wir
einer kritischen Betrachtung unterziehen. Wir wollen den
Kündigungsschutz nicht abschaffen. Aber wir müssen uns
überlegen, ob er nicht in zu vielen Fällen ein Einstel-
lungshindernis darstellt und, wenn ja, wie wir es besei-
tigen können. Wir haben mit Interesse zur Kenntnis ge-
nommen, dass der niedersächsische Ministerpräsident
Sigmar Gabriel in dieser Woche das ebenfalls erkannt hat
und erstmals einen entsprechenden Vorschlag gemacht
hat. Er ist immerhin auf dem richtigen Weg.


(Dr. Irmgard Schwaetzer [FDP]: Den werden sie schon klein machen!)


Auch wir erkennen, dass man mit dem Arbeitsentgelt
aus einfachen Tätigkeiten seinen Lebensunterhalt nur sehr
schwer oder gar nicht bestreiten kann. Aber ein gesetz-
licher Mindestlohn hilft diesen Menschen nicht. Er führt
nur dazu, dass diese Menschen nicht nur zum Teil, son-
dern vollständig von der Arbeitslosen- oder der Sozial-
hilfe leben müssen, weil bestimmte Arbeitsplätze in Zu-
kunft nicht mehr angeboten werden.

Die FDP-Fraktion hat wiederholt Vorschläge zur Re-
form des Niedriglohnsektors vorgelegt. Wir müssen die
Anreize erhöhen, auch gering entlohnte Arbeitsplätze an-
zunehmen. Das ist der richtige Weg. Letztendlich ist das
nach unseren Vorstellungen nur möglich, wenn der Staat
lohnergänzende Leistungen etwa in Form eines Bürger-
geldes erbringt.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1424002300
Herr Kollege,
denken Sie bitte an Ihre Redezeit.


Dr. Heinrich L. Kolb (FDP):
Rede ID: ID1424002400
Ein Mindestlohn ist der
falsche Weg.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1424002500
Er hat sofort auf
meine Ermahnung reagiert.

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Renate Rennebach.

(Dr. Irmgard Schwaetzer [FDP]: Das ist ihre letzte Rede!)



Renate Rennebach (SPD):
Rede ID: ID1424002600
Frau Schwaetzer, Sie
können sich wie immer verhalten. Sie müssen mich nicht
schonen.


(Dr. Irmgard Schwaetzer [FDP]: Ich habe Ihnen immer gesagt, dass ich Ihre Lebensleistung schätze!)


Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Der Kollege Kolb hat eben die PDS bezichtigt, in die
Mottenkiste gegriffen zu haben. Ich möchte seinen Bei-
trag nicht weiter kommentieren. Aber ich hatte den Ein-
druck, dass hier eine Diskussion zwischen FDP und
PDS über Vorschläge aus der Mottenkiste stattgefunden
hat.


(Beifall bei der SPD – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Dann hat Herr Gabriel also einen Vorschlag aus der Mottenkiste gemacht? – Walter Hirche [FDP]: Sagen Sie mal etwas zu Herrn Gabriel!)


Die Opposition redet ständig von Deregulierung. Sie
sprechen von desaströsen und dramatischen Verhält-
nissen.


(Werner Siemann [CDU/CSU]: Die haben wir leider!)


Ich erinnere nur an die Zeit, als ein Bundeskanzler namens
Helmut Kohl gesagt hat: Wir wollen die Arbeitslosigkeit
halbieren. Damals lag sie schon über 4Millionen. Was hat
er, der sich das vorgenommen hat, bis zum Ende seiner
Regierungszeit tatsächlich geschafft? Er hat die Arbeits-
losigkeit verdoppelt.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das Ziel von Schröder war viel weniger ehrgeizig und er hat es trotzdem nicht erreicht!)


– Herr Kolb, jetzt rede ich. Ich werde meine Rede so hal-
ten, wie ich mir das vorgenommen habe.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich habe mir lange genug Ihre Beschimpfungen und die
des Kollegen Laumann angehört, der sich jetzt leider der
Debatte entzieht, obwohl ich auf ihn eingehen möchte.


(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Kommen Sie mal zur Sache! – Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Er hat einen guten Grund!)


Der Kollege hat über die Bekämpfung der Arbeitslo-
sigkeit geredet. Ich sage Ihnen: Wir haben jetzt 450 000 Ar-
beitslose weniger als 1998, als Sie regiert haben. Wir ha-
ben 1,2 Millionen Arbeitsplätze mehr als Sie geschaffen.




Dr. Heinrich L. Kolb
24042


(C)



(D)



(A)



(B)


Ich erinnere noch einmal daran: Sie wollten die Arbeits-
losigkeit halbieren. Tatsächlich haben Sie sie verdoppelt.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: 630-DM-Verträge! Statistische Tricks!)


Sie haben 16 Jahre lang – glauben Sie, die Menschen
haben ein so kurzes Gedächtnis? – die soziale Schraube
immer weiter nach unten gedreht, bis den Menschen kaum
noch etwas übrig blieb.


(Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Quatsch! – Werner Siemann [CDU/CSU]: Das glauben Sie selber nicht!)


Während Ihrer Regierungszeit hatten die Menschen we-
niger Geld in der Tasche, mussten sie mehr Steuern und
Abgaben zahlen und hat sich die Armut in unserem Land
vergrößert. Wir haben die Schraube zuerst angehalten und
sie dann langsam nach oben gedreht. Im Laufe meiner
Rede werde ich noch darauf eingehen, was wir alles dafür
getan haben, um die soziale Schraube langsam nach oben
zu drehen.


(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Die Schraube ist ziemlich locker!)


Ich sage es Ihnen noch einmal: Glauben Sie nicht, dass die
Leute ein so schlechtes Gedächtnis haben!


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das werden wir am 22. September sehen!)


Wenn Sie hier schwarze Propaganda für eine Politik ma-
chen, die Sie nie gemacht haben, wir uns aber daran erin-
nern, was Sie in diesem Land angerichtet haben, dann
glauben Sie doch nicht, dass die Menschen Ihnen das ab-
nehmen werden.


(Beifall bei der SPD – Werner Siemann [CDU/ CSU]: Das werden wir am 22. September sehen!)


– Das werden wir sehen, ja.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1424002700
Liebe Kollegen
und Kolleginnen, wenn man nicht einen halben Satz ohne
Zwischenrufe hinter sich bringen kann, ist es recht schwer
zu reden. Ein bisschen weniger und dann konzentrierter
wäre vielleicht gut.


Renate Rennebach (SPD):
Rede ID: ID1424002800
Ich bedanke mich auf-
richtig, Frau Präsidentin, und werde jetzt fortsetzen.

Ich werde mich gegen den Antrag eines existenz-
sichernden gesetzlichen Mindestlohnes als Gewerkschaf-
terin und ehemalige Betriebsratsvorsitzende aussprechen,
die sich immer gegen Lohn- und Sozialdumping in dieser
Republik und auch in ihrem Betrieb eingesetzt hat, aber
– und das muss ich der PDS sagen – nicht unter falschen
Prämissen. Ihr Antrag hat zwei entscheidende Fehler. Er
beinhaltet erstens die falsche Diagnose und damit zwei-
tens die falschen Forderungen zur Umsetzung fairer
Lohn- und Arbeitsbedingungen in Deutschland.

Zuerst komme ich zur falschen Diagnose. Das Grund-
problem ist: Sie beschreiben im Verhältnis zwischen Ar-
beitgeber und Arbeitnehmer die Arbeitswelt des 19. Jahr-

hunderts, zugegebenermaßen so, wie sie Herrn Kolb ge-
fallen würde: Unterteilung in Schwarz und Weiß, in „die
da oben“ und „wir da unten“. Auf der einen Seite
– O-Ton im Antrag – das Kapital, das – wieder O-Ton –
grundsätzlich die soziale Notlage der Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmer zur Steigerung der Rendite ausnutzt,
auf der anderen Seite völlig rechtlose, unorganisierte
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die sich Niedrig-
löhne diktieren lassen müssen.

Woran liegt das wohl? Es liegt daran, dass immer mehr
Arbeitgeber in den neuen Ländern aus der Tarifgemein-
schaft austreten.


(Dr. Ilja Seifert [PDS]: Richtig!)

Es liegt daran, dass immer weniger Menschen in die Ge-
werkschaften eintreten, weil von ihnen nicht mit propa-
giert wird, dass nur ein gerechter Ausgleich zwischen Ar-
beitnehmern und Arbeitgebern stattfinden kann, wenn
Gewerkschaften und Arbeitgeber in Augenhöhe miteinan-
der diskutieren können.


(Beifall bei der SPD)

Da können Sie mithelfen, aber nicht mit einer Diskussion
um Mindestlohn. Denn, zugegeben, die neuen Länder ha-
ben Probleme mit untertariflichen Löhnen, die neuen Län-
der sind ein Billiglohngebiet. Das stimmt. Aber wir kön-
nen gemeinsam etwas an dieser rechtlosen Situation
ändern. Hier wird doch gegen ein Gesetz verstoßen. Wenn
wir das gemeinsam anprangern, haben wir eher Chancen
als beim Bemühen des Gesetzgebers.

Kolleginnen und Kollegen, wir befinden uns im
21. Jahrhundert mit einer rot-grünen Bundesregierung in
einer pluralistischen Gesellschaft mit starken Gewerk-
schaften. Diese Bundesregierung hat mit dem sozialen
Kahlschlag der Kohl-Ära Schluss gemacht. Statt neolibe-
raler Pferdeäpfeltheorie nach der Methode „Wenn ich die
Großen füttere, kommt auch hinten mehr für die Kleinen
raus“, haben wir eine soziale Marktwirtschaft, die ihren
Namen auch verdient.


(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Ich dachte, das war für den Genossen der Bosse! – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Denken Sie an Ihre Steuerreform!)


Nur einige Beispiele – stichwortartig –, wie für Rot-
Grün faire Bedingungen auf dem Arbeitsmarkt aussehen:
Arbeitnehmerentsendegesetz, gleicher Lohn für gleiche
Arbeit, Bekämpfung von Lohn- und Sozialdumping auf
deutschen Baustellen. Dies haben wir in die Wege gelei-
tet. Sie haben illegale Beschäftigung auf Baustellen erst
salonfähig gemacht.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das ist doch wohl unerhört, Frau Rennebach! Das nehmen Sie zurück!)


Schwarzarbeit und illegale Beschäftigung auf Baustellen
wurden von Ihnen zu einem Kavaliersdelikt erklärt.
16 Jahre lang haben Sie dieses Problem nicht gelöst; wir
haben damit angefangen.


(Beifall bei der SPD – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Jetzt können wir nicht mehr an uns halten!)





Renate Rennebach

24043


(C)



(D)



(A)



(B)


Wir haben die Sanktionen verschärft, wir haben die
Scheinselbstständigkeit bekämpft, auch eine Methode
von Ihnen, Menschen zu suggerieren, sie seien selbststän-
dig, und sie in Abhängigkeit zu halten.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das ist ein notwendiger Zwischenschritt auf dem Weg zum selbstständigen Unternehmer!)


Wir haben das 325-Euro-Gesetz geschaffen und damit
4 Millionen Menschen, insbesondere Frauen, mehr
sozialversichert, als Sie es geschafft haben.


(Beifall bei der SPD – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Aber die Frauen haben doch persönlich nichts davon!)


Wir haben das Gesetz zur Förderung von Teilzeitarbeit ge-
schaffen.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1424002900
Gestatten Sie
eine Zwischenfrage des Kollegen Kolb?


Renate Rennebach (SPD):
Rede ID: ID1424003000
Ich würde gern im Zu-
sammenhang reden, Herr Kolb. Ich habe Sie auch nicht
unterbrochen, obwohl es mich mehrfach gejuckt hat.

Wir haben das Gesetz zur Förderung – –

(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: 4 Millionen Frauen haben gar nichts davon!)

– Frau Präsidentin, soll ich jetzt mit den Kollegen der Op-
position im Chor singen oder darf ich allein weiterreden?


(Heiterkeit bei der SPD – Detlev von Larcher [SPD]: Das zeigt doch nur, dass sie sich getroffen fühlen! Getroffene Hunde heulen!)


Wir haben das Gesetz zur Förderung der Teilzeitarbeit
geschaffen. Wir haben die hundertprozentige Lohnfort-
zahlung im Krankheitsfall wieder eingeführt usw. usf.

Ich spreche jetzt wieder die PDS an: Sie unterschätzen
die wichtige Rolle der Tarifautonomie. Auch wenn Sie
das Gegenteil behaupten: Das bisherige freie Tarifver-
handlungssystem mit starken Gewerkschaften hat sich
bewährt. Ein Gleichgewicht der Kräfte von Arbeitgeber-
verbänden und Gewerkschaften und ein allenfalls vermit-
telnder Staat bilden die Tarifautonomie. So muss sie er-
halten werden.

Löhne und Arbeitsbedingungen werden in Deutsch-
land frei zwischen den Gewerkschaften und den Arbeit-
gebern vereinbart. Wir haben ein pluralistisches Verhand-
lungssystem und keine von oben nach unten organisierte
Gesellschaft, in welcher der Staat die Bedingungen dik-
tiert. Das ist auch gut so. Arbeitgeberverbände und Ge-
werkschaften übernehmen es, bei allen tarifvertraglichen
Arbeitsverhältnissen Mindestentgelte und Mindestar-
beitsbedingungen im Geltungsbereich des Tarifvertrages
festzulegen, wie es das Grundgesetz vorschreibt.

Der aktuelle Streit in der Bauwirtschaft zeigt doch die
Folgen eines Mindestlohnes. Dieser Mindestlohn wird
auch noch unterschritten und kein Mensch hält sich daran.


(Pia Maier [PDS]: Das ist aber nicht die Schuld des Mindestlohnes!)


Der Mindestlohn ist ein Papiertiger. Da halte ich mich lie-
ber an klare Vorschriften in Tarifverträgen, die zur Not
auch für allgemein verbindlich erklärt werden können, so-
dass die Welt sich daran hält. Es muss auch mehr Kläger
geben. Dazu könnten Sie die Leute auffordern, statt sich
mit ihnen in die Ecke zu setzen und gemeinsam mit ihnen
zu jammern.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Aus der falschen Diagnose ergibt sich auch die falsche

Behandlungsmethode in Ihrem Antrag. Durch Einführung
eines gesetzlichen Mindestlohnes von 68 Prozent der na-
tionalen Durchschnittsentlohnung und der Forderung
nach staatlichen Sanktionen bei Nichteinhaltung würde es
vielen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern schlechter
gehen als zuvor – ein Szenario, das auch Sie nicht wollen
können.

Ich komme auf Ihr Beispiel mit dem hessischen Fens-
terputzer, der 11 Euro verdient, und dem ostdeutschen Fens-
terputzer, der 8 Euro verdient. Mit Ihrem Mindestlohn
wollen Sie doch, dass der Hesse weniger verdient; der Ost-
deutsche hat nicht eine müde Mark mehr in der Tasche.


(Dr. Ruth Fuchs [PDS]: Quatsch! Lesen Sie doch einmal richtig! So ein Blödsinn! Das ist doch unter Ihrem Niveau!)


Das ist ein Beispiel, das auf jeden Fall hinkt.
Staatlicher Mindestlohn müsste notgedrungen niedrig

sein. Denn Tarifverträge mit ohnehin niedrigen Brut-
tolöhnen, teilweise unter 6 Euro, dürften nicht überboten
werden. Auch das ist Gesetz in dieser Republik. Daraus
folgt, dass Sie mit Ihrem Mindestlohn die Lohnspirale
nach unten drehen würden. Tarifvertragsparteien versän-
ken in Lethargie. Untere Einkommensgruppen sähen kei-
nen Grund mehr, für höhere Löhne und bessere Arbeits-
bedingungen zu kämpfen, sich gewerkschaftlich zu
organisieren. Bezieher von mittleren und höheren Löhnen
gerieten auch unter Hinweis auf den festgesetzten
Mindestlohn in den Sog einer Niedriglohnspirale. Denn
der Mindestlohn würde sich sicher als Standard durchset-
zen. Gesamtwirtschaftliche Konsequenz: Rückgang der
Binnennachfrage.

Noch einmal: Wir wollen nicht Staatsdirigismus. Von
oben diktierte Löhne sind nicht der richtige Weg. Für eine
moderne, demokratische Gesellschaft ist diese Lösung
keine Möglichkeit, den Arbeitsmarkt zu regeln. Das be-
währte System, dass alle wichtigen gesellschaftspoli-
tischen Vertreter an einem Tisch sitzen, muss erhalten
bleiben. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in
Deutschland sind gerade wegen der Gewerkschaften
keine unorganisierte „industrielle Reservearmee“ mehr
und wegen unseres Tarifsystems keine „working poor“
wie in den USA, jedenfalls nicht bei normalen Arbeits-
verhältnissen, wo Tarifverträge eingehalten werden.

Daher der Appell an die PDS: Nicht mit einer kapita-
lismuskritischen Grundsatzdebatte zum großen Wurf aus-
holen und damit genau das Gegenteil des Gewollten be-
wirken!


(Beifall des Abg. Gert Weisskirchen [Wiesloch] [SPD])





Renate Rennebach
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(C)



(D)



(A)



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Nicht spalten, sondern gemeinsam darauf aufbauen, was
in den letzten vier Jahren erreicht wurde!

Jetzt komme ich zu meinem letzten Wort. Kolleginnen
und Kollegen, dies wird meine letzte Rede im Deutschen
Bundestag sein. Ich war zwölf Jahre Mitglied dieses Par-
laments und der SPD-Fraktion. Ich habe diese zwölf Jahre
sehr gerne gearbeitet, die letzten vier Jahre in der Regie-
rung allerdings viel lieber als die ersten acht Jahre in der
Opposition.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Die rot-grüne Bundesregierung hat wahrhaftig gestaltet
und die erforderlichen Rahmenbedingungen für ein ausge-
wogenes Verhältnis zwischen Arbeitnehmern und Arbeit-
gebern und eine bessere wirtschaftliche Situation gesetzt
oder angefangen zu setzen. Das zeigen die Zahlen. Sie ge-
hen in unserer Regierungszeit deutlich nach oben. Den
Menschen geht es besser. Wir werden diese vier Jahre als
Beginn einer Wende in dieser Republik betrachten und in
den nächsten vier Jahren einer rot-grünen Bundesregierung
die Sachen, die wir in die Wege geleitet haben, vollenden.

An die Adresse von Herrn Laumann – schön, dass er
wieder da ist –


(Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Ich bin die ganze Zeit hier gewesen!)


möchte ich auch noch einen Satz sagen: Sie haben ja das
Job-AQTIV-Gesetz mit dem JUMP-Programm verwech-
selt.


(Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Ja, gut!)

Das verzeihe ich Ihnen und trage ich Ihnen nicht nach.
Das Job-AQTIV-Gesetz haben wir seit dem 1. Januar
2002.


(Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Ich hatte das JUMP-Programm gemeint!)


Wir sind zugleich mit Umstellungen bei der Bundesanstalt
für Arbeit beschäftigt. Ein bisschen Geduld – das muss ich
Ihnen ehrlich sagen – ist erforderlich, wenn ein solch her-
vorragendes Gesetzeswerk in die Tat umgesetzt wird.


(Beifall bei der SPD)

Kolleginnen und Kollegen, ich habe gesagt, wie lange

ich hier gearbeitet habe. Ich wünsche dieser rot-grünen
Bundesregierung, dass sie weitere vier Jahre und auch
noch länger regieren kann. Ich glaube, dass sich die Men-
schen, da sie ja ein gutes Gedächtnis haben, die alten Zei-
ten nicht wieder zurückwünschen werden, sondern Rot-
Grün unterstützen werden. Ich wünsche euch und Ihnen
viel Erfolg bei der weiteren Arbeit.

Ich bedanke mich.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Unser Beifall gilt der Person und nicht der Sache!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1424003100
Liebe Frau Kol-
legin Rennebach, da es, wie Sie sagten, Ihre letzte Rede

war, möchte ich Ihnen auch im Namen des Hauses für Ihre
Arbeit danken. Sie haben ja gesehen, dass es dann, wenn
es um so schlichte menschliche Tatsachen wie einen Ab-
schied geht, auch im Hause ruhig wird und Sie Beifall von
allen Seiten bekommen.

Aber man kann sich auch täuschen; denn vielleicht war
es doch nicht Ihre letzte Rede. Jetzt bekommt nämlich das
Wort zu einer Kurzintervention der Herr Kollege Kolb.
Darauf könnten Sie dann noch einmal antworten.


Dr. Heinrich L. Kolb (FDP):
Rede ID: ID1424003200
Liebe Kollegin
Rennebach, ich muss mich auf diesem Weg an Sie wenden,
weil Sie ja meine Zwischenfrage nicht zugelassen haben.


(Detlev von Larcher [SPD]: Sie können auch einfach ruhig sein!)


– Nein.
Auch ich möchte vorweg eine persönliche Bemerkung

machen. Wir haben in den letzten vier Jahren intensiv zu-
sammengearbeitet; wir waren in der Summe selten einer
Meinung,


(Zuruf von der SPD: Das spricht nicht für Sie!)


aber trotzdem habe ich persönlich die Zusammenarbeit
mit Ihnen als angenehm empfunden. Dafür bedanke ich
mich.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Nun können Sie sich setzen!)


Sie haben in Ihrer Rede gesagt, dass Sie offensichtlich
sehr viel lieber regieren als Oppositionsarbeit machen.
Von daher ist es nur konsequent, wenn Sie am 22. Sep-
tember aufhören.


(Lachen bei der SPD)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1424003300
Sehr charmant.


Dr. Heinrich L. Kolb (FDP):
Rede ID: ID1424003400
Ich wollte zu zwei Punk-
ten in der Sache etwas sagen. Zum ersten Punkt sollten
Sie, Frau Rennebach, vielleicht doch noch einmal das
Wort ergreifen und das klarstellen.

Sie haben an die Adresse der früheren CDU/CSU-
FDP-Koalition gesagt, wir hätten Schwarzarbeit in
Deutschland salonfähig gemacht.


(Renate Rennebach [SPD]: Richtig!)

Das ist, wie ich finde, ein ungeheuerlicher Vorwurf. Ich
möchte Sie wirklich bitten, das zurückzunehmen. Wir ha-
ben zu allen Zeiten deutlich gemacht, dass Schwarzarbeit
kein Kavaliersdelikt ist, dass es aber zugleich nicht reicht,
die Symptome zu kurieren. Vielmehr muss man an die
Wurzel des Übels herangehen.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Die Wurzel des Übels war die FDP!)


Wir müssen daher bei der Bekämpfung der Schwarzar-
beit – wobei auch wir ja nicht besonders erfolgreich wa-
ren – darauf achten, Frau Rennebach, dass diejenigen




Renate Rennebach

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Unternehmen, die legal arbeiten, am Schluss nicht über
Gebühr durch neue, zusätzliche Bürokratie belastet wer-
den. Das ist meine Kritik, die ich an Ihren Vorlagen zur
Bauabzugsteuer und zur Nachunternehmerhaftung sowie
an Ihrem Tarifvertragsgesetz übe. Hierbei sind diejenigen,
die sich korrekt verhalten, am Schluss die Dummen und
bleiben auf der Strecke, während dem Grundübel nicht
wirksam abgeholfen wird.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Zweiter Punkt in der Sache, den ich ansprechen muss
– dazu nur ein kurzer Satz –: Sie haben gesagt, es sei Ihr
Verdienst, dass 4 Millionen Frauen jetzt sozialversiche-
rungspflichtig seien. Man muss ehrlicherweise dazu sa-
gen, dass sie nur insofern in der Sozialversicherung sind,
als zwar Beiträge, aber nicht ad personam gezahlt werden.
Sie erwerben persönlich keine Ansprüche, es sei denn,
Frau Rennebach, sie würden noch selber Beiträge einzah-
len. Aber davon machen weniger als 5 Prozent der Be-
troffenen Gebrauch. Im Klartext heißt das: Sie haben ein
Problem gelöst, das aus Sicht der Betroffenen offen-
sichtlich nicht bestand.

Insbesondere zu dem ersten Punkt, dem ungeheuer-
lichen Vorwurf, wir hätten Schwarzarbeit salonfähig ge-
macht, möchte ich Sie doch noch einmal bitten – ich sehe,
dass Sie das Mikrofon schon richten –, das Wort zu er-
greifen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Renate Rennebach (SPD):
Rede ID: ID1424003500
Herr Kolb, dass Sie mei-
nen Abgang verlängern, finde ich sehr sympathisch. Wir
haben im Laufe der letzten vier Jahre irgendwann einmal
eine neue Höflichkeit zwischen uns beschlossen und sie
hat in der Tat über weite Strecken funktioniert. Ihre letzte
Bemerkung zu meinem Abgang war allerdings nicht der
neuen Höflichkeit entsprechend. Das muss ich wirklich
rügen.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Ich entschuldige mich dann für diesen konkreten Verstoß!)


Das, was ich zur Schwarzarbeit und zur illegalen Be-
schäftigung gesagt habe, Herr Kolb, habe ich bereits in
der Oppositionszeit, in den letzten vier Jahren Ihrer Re-
gierungszeit, gesagt. Damals ist von Ihnen nicht wider-
sprochen worden.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Was?)

Somit ist das heute eine Wiederholung. Außerdem ist es
die Wahrheit: Die Schwarzarbeit beginnt zurückzugehen.


(Walter Hirche [FDP]: Wie bitte? 6 Prozent Wachstum im letzten Jahr! – Dr. Irmgard Schwaetzer [FDP]: Ja, 6 Prozent Wachstum im letzten Jahr!)


– Frau Schwaetzer bleiben Sie sitzen, keine künstliche
Aufregung. – Wir sind die erste Bundesregierung, die in
diesem Land etwas gegen Schwarzarbeit und illegale Be-
schäftigung unternimmt.


(Beifall bei der SPD)


Sie haben die Schwarzarbeit ins Uferlose steigen lassen,
und zwar durch Ihr Nichtstun.

Ich erinnere mich an das Wort eines früheren Staatsse-
kretärs aus dem Arbeitsministerium, als Blüm noch
Minister war. Ich habe ihn gefragt: Warum sorgt ihr nicht
für eine Generalunternehmerhaftung? Denn dieser Staats-
sekretär und ich, wir haben uns um Baustellenkontrollen
gekümmert, wir sind auf die Baustellen gegangen und wa-
ren uns einig, dass die Generalunternehmerhaftung ein
wirksames Mittel ist. Wissen Sie, was er mir daraufhin ge-
sagt hat? – Beschweren Sie sich bei der FDP! Die FDP
verhindert die Generalunternehmerhaftung seit Jahren.

Danke.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Walter Hirche [FDP]: Die Generalunternehmerhaftung ist auch falsch!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1424003600
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Peter Weiß.


Peter Weiß (CDU):
Rede ID: ID1424003700
Frau Präsi-
dentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Was viel zu
vielen Menschen in Deutschland zur eigenen Existenzsi-
cherung und zur Existenzsicherung ihrer Familien fehlt,
ist nicht ein per Gesetz vorgeschriebener Mindestlohn,
sondern überhaupt eine Arbeit, mit der sich ein Lohn ver-
dienen lässt. Diese Menschen erwarten von uns Abgeord-
neten nicht irgendeine Geisterdebatte über irgendwelche
sozialistischen Hirngespinste, sondern sie erwarten, dass
wir die Realitäten dieses Landes zur Kenntnis nehmen
und ihnen eine Antwort auf die zentrale Frage geben: Wie
schaffen wir Arbeit und Wohlstand für alle in Deutsch-
land?

Die heute in Deutschland herrschende Massenarbeits-
losigkeit ist Folge zahlreicher Fehlentscheidungen der
rot-grünen Bundesregierung.


(Beifall bei der CDU/CSU – Lachen des Abg. Detlev von Larcher [SPD] – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Jetzt führen Sie aber wirklich eine Geisterdebatte!)


Der hier von der PDS vorgelegte Gesetzentwurf ist kein
Gesetzentwurf zur Korrektur der Fehlentscheidungen,
sondern er setzt noch eine weitere obendrauf.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Es ist kein Gesetzentwurf zum Abbau der Arbeitslosig-
keit, sondern ein Gesetzentwurf zur Steigerung der Ar-
beitslosigkeit.

Ich finde es sehr gut, dass dieser Gesetzentwurf zu ei-
ner öffentlichkeitswirksamen Zeit in der Bundesregierung
diskutiert wird, weil wenige Wochen vor der Bundestags-
wahl so für jeden in Deutschland klar und deutlich wer-
den kann:


(Erika Lotz [SPD]: Was reden Sie da eigentlich? Haben wir einen Antrag gestellt?)


Wenn Rot-Rot oder Rot-Rot-Grün nach der Wahl regieren
würde, dann würde der Karren in Deutschland erst recht




Dr. Heinrich L. Kolb
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an die Wand gefahren werden und die Arbeitslosen hätten
erst recht keine Perspektive.


(Erika Lotz [SPD]: Wir sind doch hier nicht im Wahlkampfzelt! Es geht um einen Antrag der PDS!)


Arbeit schafft man nur durch die Ankurbelung der
Wirtschaft und vor allem dann, wenn man dabei vor allem
diejenigen nicht vergisst, die in Deutschland Arbeits-
plätze und Ausbildungsplätze schaffen; das sind unsere
kleinen und mittleren Unternehmen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Renate Rennebach [SPD]: Blühende Landschaften!)


Zu den Hauptfehlern der Wirtschaftspolitik dieser rot-grü-
nen Koalition gehört, dass sie die Großkonzerne faktisch
von der Körperschaftsteuer befreit hat.


(Erika Lotz [SPD]: Was plärren Sie denn so?)

Das bringt dem Genossen der Bosse, Gerhard Schröder,
vielleicht Applaus in seinen Zigarrenrunden, aber eben
keine Arbeitsplätze für Deutschland.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Detlev von Larcher [SPD]: Mein Gott, wie billig! – Renate Rennebach [SPD]: Das glaubt Ihnen vielleicht noch der letzte Mensch in Ihrem Dorf, aber nicht wir!)


Deutschland ist Schlusslicht beim Wirtschafts-
wachstum in Europa. Das Urteil der Wirtschaftsfor-
schungsinstitute ist eindeutig: Die wirtschaftlichen Auf-
triebskräfte in Deutschland sind zu schwach und die
wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen falsch ge-
setzt.


(Erika Lotz [SPD]: Halten Sie Ihre Wahlkampfrede?)


Karl-Josef Laumann hat es zu Eingang der Debatte
schon vorgetragen: Die heute veröffentlichten Arbeitslo-
senzahlen sind eine Katastrophe.


(Karl-Josef Laumann [CDU/CSU] BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gewandt)

euch! – Zuruf von der SPD: Zur Sache haben
Sie noch nichts gesagt!)

Es ist beschämend, dass Sie von Rot-Grün in dieser De-
batte versuchen, die Zahlen gesundzubeten, indem Sie
Äpfel mit Birnen vergleichen.


(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Pferdeäpfel! – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Faule Äpfel!)


Meine Damen und Herren, seit Monaten haben wir in
Deutschland die Situation, dass jeden Monat mehr Ar-
beitnehmerinnen und Arbeitnehmer in den Ruhestand ge-
hen als junge Leute in den Arbeitsmarkt nachkommen.
Die Arbeitslosigkeit müsste „bei ruhiger Hand“ automa-
tisch sinken. Das Gegenteil ist der Fall. Das zeigt die
wahre Katastrophe, die Sie in der Arbeitsmarktpolitik in
Deutschland verursacht haben.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Wo leben Sie eigentlich? – Detlev von Larcher [SPD]: Können Sie eigentlich keine Zahlen lesen?)


Deswegen lassen sich die Deutschen nicht davon abhal-
ten, Gerhard Schröder an seinem großspurigen Verspre-
chen, die Arbeitslosigkeit auf 3,5 Millionen zu senken,
wirklich zu messen.


(Erika Lotz [SPD]: Wie heißt der Tagesordnungspunkt, zu dem Sie reden?)


Was man aber dreieinhalb Jahre versäumt hat, lässt sich
kurz vor der Wahl nicht mehr reparieren und gesundbeten.


(Doris Barnett [SPD]: Wahlkampfzelt!)

Das untauglichste Mittel zur Reparatur ist natürlich der

vorliegende Vorschlag der PDS zur Einführung eines ge-
setzlichen Mindestlohnes. Verehrte Kolleginnen und Kol-
legen, es genügt schon ein Blick über den Rhein nach
Frankreich, wo gerade dieser Mindestlohn jüngeren Ar-
beitnehmerinnen und Arbeitnehmern den Zugang zum
Arbeitsmarkt erschwert und versperrt. Es zeigt sich leider,
wie wenig die in der PDS versammelten Postkommunis-
ten nach wie vor


(Zurufe von der PDS: Oh!)

– so ist es – von einer freien Gewerkschaft halten, die au-
tonom mit Arbeitgebern die Löhne aushandelt. Lieber set-
zen die Erben Erich Honeckers auf den ewig gestrigen
Staatsdirigismus.


(Zuruf von der PDS: Schön gelernt!)

Mit gutem Grund verbietet in Deutschland die verfas-

sungsmäßig garantierte Tarifautonomie dem Staat, Min-
destlöhne festzusetzen. Es wundert nicht, dass die PDS
nach 40 Jahren ihrer totalitären Alleinherrschaft im Osten
Deutschlands Nachhilfeunterricht in Sachen demokrati-
scher Grundregeln und freier Gewerkschaften und in
Fragen der Tarifautonomie braucht. Ich will einen der an-
gesehensten Grundgesetzkommentare unseres Landes zi-
tieren, in dem es heißt:

Der grundsätzliche Übergriff in das Regelungsfeld
„Lohn“ ist mit der Tarifautonomie prinzipiell unver-
einbar.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Übrigens zeigt die wirtschaftspolitische Totalignoranz

der PDS ein weiteres Mal, warum die DDR ökonomisch
und politisch untergehen musste und warum zum Bei-
spiel jetzt in Sachsen-Anhalt nach Jahren rot-roten Re-
gierens eine neue CDU-geführte Landesregierung die
Trümmer einer gescheiterten Wirtschaftspolitik beseiti-
gen muss.


(Zuruf von der SPD: Die haben als Erstes neue Schulden aufgebaut! – Weitere Zurufe von der SPD)


Eine solche Katastrophe, wie sie die Bürgerinnen und
Bürger in Sachsen-Anhalt erleben mussten, wollen wir
Gesamtdeutschland ersparen.

Meine Damen und Herren, unser Problem in Deutsch-
land ist nicht der Mindestlohn. Unser Problem ist


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Die CDU/CSU!)





PeterWeiß (Emmendingen)


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das Versagen dieser Bundesregierung bei der Bekämp-
fung der Massenarbeitslosigkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU – Rolf Kutzmutz [PDS]: Und Sie! – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Lächerlich!)


Die Bürgerinnen und Bürger haben mittlerweile genug
davon, dass Sie ihnen – wie in dieser Debatte erneut – vor-
rechnen und vortragen, was Sie alles getan haben, was an-
geblich zu Entlastungen beispielsweise bei den Steuern
führt.


(Zuruf von der SPD: 1,2 Millionen Arbeitsplätze mehr!)


Die Bürgerinnen und Bürger fragen sich: Was kommt bei
der Politik, die Sie gemacht haben, unter dem Strich für
mich heraus?


(Detlev von Larcher [SPD]: 1 Million mehr Arbeitsplätze!)


Entlastungen und Belastungen müssen saldiert werden,
das ist der Punkt.

Sie haben versprochen, die Steuern, die Renten-
beiträge und die Krankenversicherungsbeiträge zu
senken.


(Detlev von Larcher [SPD]: Das sinkt ja alles! – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das haben wir doch alles gemacht!)


Stattdessen haben wir Beitragserhöhungen und eine Öko-
steuer, die eine Preisspirale sondergleichen nach oben
ausgelöst hat.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: So ein Unsinn! Das ist alles Lug und Trug, was Sie hier machen! – Erika Lotz [SPD]: Sind 19,1 Prozent nicht weniger?)


Die meisten Bürgerinnen und Bürger in unserem Land ha-
ben durch Ihre Politik unter dem Strich weniger. Das ist
Faktum.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Jetzt ist aber Schluss mit dem Lügen! Sie sind ein Lügner! Unglaublich! Wo leben Sie eigentlich?)


Arbeitsplätze kann eben letztlich nicht der Staat schaf-
fen. Arbeitsplätze können nur geschaffen werden, indem
wir die brachliegenden Kräfte für mehr Wachstum in
Deutschland endlich mobilisieren und frei werden lassen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Die von Ihnen zu verantwortenden lähmenden Wirkungen
übermäßiger Bürokratie und einer zu hohen Steuer- und
Abgabenlast müssen beseitigt werden. Das ist der Punkt,
auf den es ankommt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Es muss Schluss damit sein, dass der Staat als Arbeits-

platzvernichter agiert. Mit Ihrem 630-Mark-Gesetz ha-
ben Sie ein neues Bürokratiemonster geschaffen, das in

Deutschland keine neuen Arbeitsplätze bewirkt, sondern
sie vernichtet hat. Das ist das Faktum.


(Detlev von Larcher [SPD]: Die Wahrheit widerlegt Sie!)


Für viele Menschen stellt sich nicht nur die Frage
„Finde ich eine Arbeit?“, sondern auch: Lohnt es sich für
mich überhaupt zu arbeiten?


(Rolf Kutzmutz [PDS]: Gut erkannt! – Weitere Zurufe von der PDS: Ja! – Genau!)


Für die meisten Menschen, die sich in den unteren Lohn-
segmenten befinden, lohnt es sich nicht zu arbeiten, weil
die Steuer- und vor allem die Abgabenlasten, die Sie er-
höht haben, die Arbeitsaufnahme uninteressant machen.
Das ist der Punkt.


(Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer hat die Abgabenlasten erhöht? Sagen Sie mal: Spinnen Sie? – Detlev von Larcher [SPD]: So ein Quatsch! – Erika Lotz [SPD]: Solche Verdrehungen habe ich ja noch nie erlebt! Sie haben die Wahrheit auf den Kopf gestellt!)


Deshalb wird, wenn wir die Regierung übernehmen, Ihr
630-Mark-Gesetz keinen Bestand haben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Hier werden auch noch die Lügen beklatscht! – Erika Lotz [SPD]: Das hat ein Nachspiel!)


Wir werden für Geringverdiener eine Gesetzgebung
schaffen, die abgestufte Sozialversicherungsbeiträge
vorsieht, sodass es überhaupt erst wieder interessant wird,
eine Beschäftigung als Arbeitnehmerin oder Arbeitneh-
mer anzunehmen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1424003800
Herr Kollege, ge-
statten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Christa Luft?


(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Das ist Luft!)



Peter Weiß (CDU):
Rede ID: ID1424003900
Bitte
schön.


Dr. Christa Luft (PDS):
Rede ID: ID1424004000
Herr Kollege Weiß, könnten
Sie dem Hohen Hause und allen, die uns zuschauen, bitte
erklären, wie das Lieblingsprojekt der Union, die Ar-
beitslosenhilfe und die Sozialhilfe zusammenzulegen mit
dem Ziel, die Arbeitslosenhilfe abzuschaffen, arbeitslosen
Menschen Anreize geben kann, einen Job anzunehmen,
der sie in die Lage versetzen würde, die Abgabenlast, von
der Sie soeben gesprochen haben, zu tragen?


(Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Das steht nächsten Freitag auf der Tagesordnung!)



Peter Weiß (CDU):
Rede ID: ID1424004100
Verehrte
Frau Kollegin Luft, wir werden am Freitag der kommen-




PeterWeiß (Emmendingen)

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den Woche die Gelegenheit haben, über diese Frage aus-
führlich zu diskutieren.


(Erika Lotz [SPD]: Das ist wirklich ein Armutszeugnis!)


Ein gemeinsames, neues Hilfesystem für arbeitslose
Menschen, die heute entweder Sozialhilfe oder Arbeitslo-
senhilfe erhalten, ist nur dann wirkungsvoll – das ist un-
ser Vorschlag –, wenn ihnen zum einen geholfen wird, ei-
nen Job zu finden, und sie ein Angebot zur Qualifizierung
erhalten und sie zum anderen dann, wenn sie einen Job ge-
funden haben – sei er noch so niedrig entlohnt –, von die-
sem Verdienst mehr behalten dürfen als heute. Genau das
ist der Inhalt des Konzepts von CDU/CSU.


(Renate Rennebach [SPD]: Das setzt aber voraus, dass sie arbeitsfähig sind! Wie viele Menschen können überhaupt nicht arbeiten! Sie suggerieren etwas, was überhaupt nicht wahr ist!)


Wer eine Arbeit annimmt, soll mehr Geld zur Verfügung
haben als heute, damit sich für ihn Arbeiten wieder lohnt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1424004200
Gestatten Sie
noch eine Zwischenfrage der Kollegin Luft?


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Frau Präsidentin, wir sind unter Zeitdruck! – Weitere Zurufe von der SPD: Nein!)



Peter Weiß (CDU):
Rede ID: ID1424004300
Bitte
schön.


Dr. Christa Luft (PDS):
Rede ID: ID1424004400
Wenn dann jener, der einen
niedrigst bezahlten Job angenommen hat, wieder arbeits-
los wird, wovon soll dieser dann leben?


(Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir haben hier eine Bundestagsdebatte und keinen Dialog!)



Peter Weiß (CDU):
Rede ID: ID1424004500
Verehrte
Frau Kollegin Luft, dann kommt er wieder in das Hilfe-
system, das ihm das gleiche Angebot wie vor Annahme
des Jobs macht. Die Erfahrung aber ist: Wenn ein Lang-
zeitarbeitsloser, der Sozialhilfe oder Arbeitslosenhilfe be-
zieht, erneut den Einstieg in die Arbeit gefunden hat, hat
er wesentlich bessere Aussichten als bisher,


(Erika Lotz [SPD]: So ein Gelaber!)

im Beschäftigungsbereich wirklich wieder Fuß zu fassen.


(Renate Rennebach [SPD]: Als Katholik und Abgeordneter sind Sie zur Wahrheit verpflichtet!)


Das ist der Sinn und das Ziel unseres Angebotes, das
wir Sozialhilfe- und Arbeitslosenhilfeempfängern in
Deutschland machen wollen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Pia Maier [PDS]: Die werden sich bedanken! – Weitere Zurufe von der PDS)


Verehrte Kolleginnen und Kollegen, das Programm der
Union ist:


(Doris Barnett [SPD]: Katastrophal! – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Völlig daneben!)


Arbeit in Deutschland muss sich wieder lohnen. Mit diesem
Programm werden wir das Vertrauen der Bürgerinnen und
Bürger am 22. September erhalten und mit dem Chaos, das
uns Rot-Grün hinterlassen hat, endlich aufräumen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Lachen bei der SPD – Detlev von Larcher [SPD]: Man muss nur ganz fest daran glauben! – Weiterer Zuruf von der SPD: Alles Lug und Trug!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1424004600
Ich schließe da-
mit die Aussprache.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 14/8921 an die in der Tagesordnung aufgeführ-
ten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie einverstanden? –
Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 19 a und 19 b auf:
a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-


(3. Ausschuss)

Fortsetzung der deutschen Beteiligung an der
internationalen Sicherheitspräsenz im Kosovo
zurGewährleistung eines sicheren Umfeldes für
die Flüchtlingsrückkehr und zur militärischen
Absicherung der Friedensregelung für das Ko-
sovo auf der Grundlage der Resolution 1244

(1999) des Sicherheitsrats der Vereinten Natio-

nen vom 10. Juni 1999 und des militärisch-tech-
nischen Abkommens zwischen der internationa-
len Sicherheitspräsenz (KFOR) und den
Regierungen der Bundesrepublik Jugoslawien
und der Republik Serbien vom 9. Juni 1999
– Drucksache 14/8991 –
aa) Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-

wärtigen Ausschusses (3. Ausschuss)

– Drucksache 14/9248 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Gert Weisskirchen (Wiesloch)

Karl Lamers
Dr. Helmut Lippelt
Dr. Helmut Haussmann
Wolfgang Gehrcke

(8. Aus schuss)

– Drucksache 14/9253 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Uta Titze-Stecher
Herbert Frankenhauser
Antje Hermenau
Dr. Werner Hoyer
Dr. Uwe-Jens Rössel




PeterWeiß (Emmendingen)


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b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-

(3. Ausschuss)

Bundeswehreinsätze beenden – Politische Lö-
sungen auf dem Balkan durch UNO und OSZE
durchsetzen
– Drucksachen 14/5964, 14/6194 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Gert Weisskirchen (Wiesloch)

Karl Lamers
Dr. Helmut Lippelt
Ulrich Irmer
Wolfgang Gehrcke

Über die Beschlussempfehlung zu dem Antrag der
Bundesregierung werden wir, wie Sie wohl wissen, später
namentlich abstimmen.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst die
Abgeordnete Uta Titze-Stecher.


Uta Titze-Stecher (SPD):
Rede ID: ID1424004700
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Der Deutsche Bundestag
berät und beschließt heute bereits zum vierten Mal über
das Mandat der Bundeswehr im Kosovo. Es handelt sich
dabei um die dritte Verlängerung des so genannten
KFOR-Mandats über den 10. Juni des Jahres hinaus.

Der Beratung liegt ein Antrag der Bundesregierung
vom 8. Mai dieses Jahres zugrunde. Darin wird um die
Fortsetzung der Beteiligung an der internationalen Si-
cherheitspräsenz im Kosovo gebeten. In der Begründung
heißt es, die Verlängerung sei zum einen nötig, um ein si-
cheres Umfeld für die Flüchtlingsrückkehr zu gewähr-
leisten, und zum anderen, um die Friedensregelung für
das Kosovo militärisch abzusichern. Ich werde auf die
beiden Punkte noch genauer eingehen.

Für das verlängerte Mandat sollen die gleichen völker-
rechtlichen und verfassungsmäßigen Voraussetzungen
gelten wie für den von uns gemeinsam bereits gefällten
Beschluss des Deutschen Bundestages vom 9. Mai letzten
Jahres. Die einsatzbedingten Zusatzkosten sind mit der
Haushaltslage des Bundes vereinbar, so sieht es der ge-
samte Haushaltsausschuss bis auf seine PDS-Mitglieder;
denn in der geltenden Finanzplanung sind die dafür not-
wendigen Finanzen im Einzelplan 14 bereits im Rahmen
des Stabilitätspaktes in Höhe von 1,023 Milliarden Euro
pro Jahr etatisiert. Dieser Betrag bezieht sich allerdings
auf beide Einsätze: auf das KFOR- und das SFOR-Man-
dat. – So weit zum Antrag der Bundesregierung; der Bun-
desverteidigungsminister wird ihn sicher noch präzisieren.

Schauen wir uns die Realität im Kosovo an, dann wird
deutlich, warum es bis auf weiteres keine Alternative zur
Mandatsverlängerung gibt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Niemand verkennt, dass das Kosovo auf dem schwierigen
Weg in die demokratische Normalität Fortschritte ge-

macht hat. So waren die ersten demokratischen Wahlen
vom 17. November letzten Jahres ein wichtiger Schritt hin
zur Normalität. Dabei hat sich auch schon gezeigt, dass
sich die im Kosovo vertretenen Parteien bewusst sind,
dass letzten Endes die Verantwortung für einen erfolgrei-
chen Wiederaufbau in der Region bei ihnen selbst liegt.
Die internationale Unterstützung kann immer nur die
Funktion von vorübergehender Hilfe haben, ähnlich der
von Krücken nach einer Operation; irgendwann hat man
sie nicht mehr nötig und stellt sie weg.

Auch die am 4. März dieses Jahres erfolgte Wahl von
Präsident Rugova und die Installierung des Kabinetts
– Geburtshelfer dabei war der Sonderbeauftragte des VN-
Generalsekretärs für das Kosovo, Michael Steiner; ihm
möchte ich von hier aus für seinen Erfolg danken –


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


schaffen die Voraussetzung dafür, dass die Kosovaren im
Rahmen provisorischer Selbstverwaltungsorgane nun we-
sentliche Bereiche ihres Gemeinwesens selbst gestalten
können.

Allerdings muss man ehrlich sagen, dass die neue
Regierung vor unendlich schwierigen und langwierigen
Aufgaben steht: Rechtsstaatliche Strukturen müssen auf-
gebaut und Korruption und organisierte, vor allem grenz-
überschreitende Kriminalität bekämpft werden. Neue
wirtschaftliche Perspektiven müssen entwickelt werden,
was angesichts einer Arbeitslosigkeit von 70 Prozent sehr
schwierig ist. – Im Vergleich dazu leben wir hier im Para-
dies, möchte ich an die CDU/CSU gerichtet sagen. – Be-
wegungsfreiheit und öffentliche Sicherheit sind für alle
Kosovaren zu verbessern. Darauf hoffen alle ethnischen
Gruppierungen und diese Hoffnungen dürfen wir nicht
enttäuschen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Trotz wachsender Einsicht in die Notwendigkeit der
Zusammenarbeit ist das Verhältnis zwischen den Kosovo-
Albanern und den ethnischen Minderheiten noch äußerst
fragil. Das betrifft nicht nur die Lebensrealität der serbi-
schen Minderheit – da gibt es besondere Schwierigkei-
ten –, sondern auch das Lebensumfeld aller anderen Min-
derheiten, der Roma, Ashkali, Ägypter, Bosniaken und
Gorani.

Es gibt zwei aktuelle Berichte vom April dieses Jahres
zur Situation im Kosovo: einen von der Schweizerischen
Flüchtlingshilfe mit dem Titel „Kosova – Situation der
Minderheiten“ und einen aktualisierten UNHCR-Bericht
zur fortdauernden Schutzbedürftigkeit von Personen aus
dem Kosovo. Man sollte diese Berichte lesen. Wenn man
die Situation von Deutschland aus betrachtet, könnte man
– sofern man die Verhältnisse nicht kennt – zu der Mei-
nung gelangen, dass die Flüchtlinge langsam alle zurück-
kehren könnten. Die überwiegende Mehrheit der Kosovo-
Albaner ist auch zurückgekehrt. Das ist in Ordnung und
erfreulich. Dies gilt allerdings nur sehr bedingt bis gar
nicht für Personen aus dem Kosovo, die nicht albanische
Volksangehörige sind. Sie sind weiterhin ernsthaften Ge-
fahren für ihre Freiheit, für Leib und Leben ausgesetzt, die
oft genug Anlass sind, die Provinz zu verlassen.




Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
24050


(C)



(D)



(A)



(B)


Zur Begründung der Mandatsverlängerung sage ich:
Trotz unbestrittener Verbesserungen der allgemeinen Si-
tuation im Kosovo wie der Wiederherstellung der zivilen
Verwaltung und der Verbesserung des Polizei- und Justiz-
wesens – das Auswärtige Amt unterstützt zurzeit den Auf-
bau der Justizvollzugsverwaltung – gibt die Lage der
MinderheitengruppenAnlass zu größter Sorge.

Die Gefahren für die persönliche Sicherheit dauern an.
Es besteht für die Minderheitengruppen eine einge-
schränkte Bewegungsfreiheit, weil Gefahr besteht, sobald
sie sich aus ihren enklavenartigen Bezirken hinausbewe-
gen. Dies ist nicht nur aus humanitären Gründen, sondern
vor allem aufgrund der destabilisierenden sozialen Wir-
kung unakzeptabel. Die Situation eines Menschen, der
nur begrenzten Zugang zu Grundleistungen hat und Akti-
vitäten, die zum Überleben notwendig sind, gar nicht
durchführen kann, bezeichnen wir als unbefriedigend.
Hinzu kommen Probleme bei der Ausübung von Sprache,
Religion und Kultur.

Akzeptable inländische Alternativen zur Flucht sind
– so die Berichte – nicht vorhanden. Deswegen halte ich
es für politisch absolut korrekt und richtig, dass der Men-
schenrechtsausschuss Rückführungen nur befürwortet,
wenn sie auf freiwilliger Basis erfolgen, und an die In-
nenministerkonferenz appelliert hat, eine Aussetzung der
Rückführung von Jugendlichen und Minderheiten aus
dem Kosovo zu beschließen.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Ohne diese Rücksichtnahme würden alle bisher getätigten
Initiativen und Maßnahmen konterkariert, weil die Rück-
kehr nicht nachhaltig wäre.


(Zuruf des Abg. Wolfgang Gehrcke [PDS])

– Darüber muss man reden. Ich bin gespannt, was vonsei-
ten der Regierung zu diesem Punkt gesagt wird.

Die internationale Sicherheitspräsenz ist aber nicht nur
wegen der von mir beschriebenen ethnisch begründeten
Übergriffe, also wegen der Situation der Minderheiten,
weiterhin erforderlich. Die Lage ist schlicht und einfach
weder ruhig noch stabil. Nach wie vor werden enorme
Mengen an Waffen und Munition sichergestellt. Illegale
Aktivitäten albanischer Extremisten destabilisieren die
Region. Um den grenzüberschreitenden Extremismus
– organisierte Kriminalität, Drogenhandel, Menschen-
handel, Schmuggel – in den Griff zu bekommen, hat die
KFOR bereits im letzten Jahr im Rahmen ihrer Operation
„Eagle“ den Schwerpunkt auf die Sicherung der Grenzen
zu Mazedonien, Albanien und zur Bundesrepublik Jugos-
lawien gelegt. Zur Beherrschung dieser Gefahrensituation
ist die militärische Präsenz unabdingbar.

Sie ist aber auch erforderlich, um die demokratische
Entwicklung voranzubringen. Insofern hängt – das sage
ich in Richtung PDS – das eine mit dem anderen zusam-
men. Ich kann nicht das eine sein lassen und glauben, das
andere tun zu können.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Sieht man von den militärischen Maßnahmen ab – sie
funktionieren aufgrund der verbindenden Klammer durch

die NATO recht gut –, stellt man fest, dass die vielfältigen
Aktivitäten der Akteure diesseits und jenseits des Atlantiks
im Rahmen des Stabilitätspaktes ohne Einbindung in ein
Gesamtkonzept für den Balkan, geschweige denn mithilfe
wirksamer Absprachen zur Vermeidung von Doppelstruktu-
ren oder Mehrfachaktivitäten, erfolgen. Daher begrüßen wir
das erste deutsch-amerikanische Südosteuropa-Experten-
Treffen im März dieses Jahres, das vom Auswärtigen Amt
und der Südosteuropa-Gesellschaft initiiert wurde. Dabei
wurde in aller Offenheit gesagt, dass der Weg zu einem ge-
meinsamen Konzept noch sehr weit ist. Es wurde aber
auch darauf hingewiesen, dass sich das Koordinatensystem
Amerikas seit dem 11. September letzten Jahres – Sie wis-
sen, worauf ich hinweisen möchte – verschoben hat, mit
dem Ergebnis, dass sich Amerika in Zukunft auf die
Bekämpfung des Terrorismus und der organisierten Krimi-
nalität konzentrieren wird. Demzufolge wird Europa mehr
Verantwortung, sprich die Hauptverantwortung, für die Ver-
hältnisse auf dem Balkan und in Südosteuropa übernehmen
müssen. Ich halte das für absolut verständlich, da es sich
schließlich um Probleme vor unserer Haustür handelt.

Die schrittweise Übertragung der Zuständigkeiten
der KFOR insbesondere im Bereich der inneren Sicher-
heit auf zivile lokale Stellen und zivile internationale Or-
ganisationen muss natürlich Rücksicht darauf nehmen,
dass keine unkalkulierbaren Risiken für die Stabilität der
Lage vor Ort entstehen, also keine Sicherheitslücke
zurückgelassen wird. Praktisch muss dafür gesorgt wer-
den, dass synchron zur Reduzierung die Implementierung
der Restrukturierungs- und Flexibilisierungsmaßnahmen
erfolgen wird.

Zu diesem Komplex wird es zwei Konferenzen geben.
Bei der einen, dem NATO-Herbsttreffen, soll die NATO
einen bis dahin erarbeiteten Implementierungsplan vorle-
gen, der in drei Phasen die Voraussetzungen für die eben
angesprochenen Reduzierungen beim SFOR- und KFOR-
Mandat schaffen soll. Die im Juni stattfindende Truppen-
stellerkonferenz wird sich mit dem gesamten Einsatz-
gebiet Balkan befassen. Beide Treffen werden ihre
Entscheidungen entlang der bis dahin erzielten Fort-
schritte in den politischen Prozessen fassen.

Ich komme zum Schluss. Auf der Grundlage der bei-
den Konferenzen und ihrer zu erwartenden Ergebnisse ist
nach unserer Auffassung dem Antrag der Bundesregie-
rung auf Verlängerung des KFOR-Mandats zuzustim-
men – auch von Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen
von der PDS; denn die von Ihnen geforderte politische
Lösung für Südosteuropa kann am sichersten und am
ehesten mit der eben beschriebenen Doppelstrategie er-
reicht werden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1424004800
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete von Schorlemer.

Reinhard Freiherr von Schorlemer (CDU/CSU)


(von der CDU/CSU mit Beifall begrüßt): Frau Präsiden-

tin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die „Neue
Zürcher Zeitung“ schrieb kürzlich: „Gefährlicher Still-
stand im Kosovo. Internationaler Aktivismus – fehlende




Uta Titze-Stecher

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(C)



(D)



(A)



(B)


Perspektiven“. Diese fehlende Perspektive birgt die Ge-
fahr, dass wir uns mit der Situation wie mit einem not-
wendigen Übel abfinden. Dies darf aber nicht sein, denn
es würde den Menschen im Kosovo und in der Region
nichts nutzen, sondern ihnen schaden. Außerdem wäre es
eine große politische Niederlage für Europa.

Seit 1999 ist die KFOR als ein unerlässliches Instrument
der Friedenssicherung im Kosovo. Derzeit ist nicht abseh-
bar, wie lange ihre Präsenz nötig ist. Der gegenwärtige
Stand des Aufbaus eines Quasi-Staatswesens im Kosovo
und dessen immer noch ungeklärter endgültiger Status in
den Beziehungen zu Serbien und der Bundesrepublik Jugos-
lawien lassen eine Beendigung der militärischen wie auch
der zivilen Mission der Vereinten Nationen im Kosovo
auch für die nächsten Jahre unmöglich erscheinen. Weder
der Stabilitätspakt noch die Stabilisierungs- und Assoziie-
rungsabkommen der EU können das ersetzen, was drin-
gend nötig ist: ein umfassendes Konzept, das den Ländern
und der Bevölkerung der Region eine realistische Perspek-
tive bietet. Es muss eine europäische Perspektive sein, die
das Mögliche und Nötige klar beim Namen nennt.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Das vor kurzem auf EU-Ebene vorgestellte Papier ist nach
unserer Meinung schlecht abgestimmt und noch nicht der
große Wurf.

Gestern haben die Verteidigungsminister der NATO
einen Fahrplan für die Truppenreduzierung auf dem Bal-
ken beschlossen. Wir würden schon gerne wissen, was
dies ganz konkret für den Einsatz der Bundeswehr im
Rahmen des KFOR-Kontingents im Kosovo bedeutet.


(Walter Hirche [FDP]: Das wird uns der Verteidigungsminister wohl gleich sagen!)


Wir sind es nämlich den Menschen in der Region ebenso
wie der eigenen Bevölkerung schuldig, zu sagen, wie un-
ser Ordnungskonzept für die Zukunft aussieht, wie lange
wir noch Zehntausende von KFOR-Soldaten allein im
Kosovo und daneben weitere Soldaten in Bosnien-
Herzegowina und in Mazedonien stationieren wollen.
Wir Europäer können es uns nicht leisten, unsere militä-
rischen Fähigkeiten über Jahrzehnte hinweg zur Kontrolle
überhitzter ethnischer und nationalistischer Umtriebe in
einem Teil Europas zu binden.

Ganz klar möchte ich sagen: Die Bundeswehr leistet im
Kosovo eine vorzügliche Arbeit.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)


Zugleich bleibt sie jedoch sträflich unterfinanziert.
Die Bundestagsfraktion der CDU/CSU hat sich stets zu

ihrer Verantwortung für unsere Soldaten bekannt. Die
Bundeswehr stellt bei ihren schwierigen und gefährlichen
Einsätzen immer wieder ein großes Maß an Professiona-
lität und Können unter Beweis.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir müssen aber auch darüber nachdenken, ob die Ver-
weildauer im Interesse der Soldaten und ihrer Angehöri-
gen verkürzt werden kann.

Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion wird der Verlänge-
rung des Kosovo-Einsatzes der Bundeswehr zustim-
men. Sie tut dies, da es zur Präsenz einer starken KFOR
derzeit keine Alternative gibt. Sie tut es aber auch ver-
bunden mit der nochmaligen klaren Aufforderung an die
Bundesregierung, dafür zu sorgen, dass diese Mission
eine politische Perspektive bekommt und in ein politi-
sches europäisches Gesamtkonzept für die Region einge-
bettet wird.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Während dieser Rede erinnere ich mich an das Jahr

1987 oder 1988, als ich mit dem damaligen Vorsitzen-
den der Deutsch-Jugoslawischen Parlamentariergruppe,
Hans-Peter Repnik, nicht nur in Belgrad, sondern auch in
Pristina war. Jugoslawien war damals noch eine Einheit.
Die flehentlichen Hilferufe der Kosovaren wegen der kul-
turellen Unterdrückung in den Schulen und Hochschulen,
im Zeitungswesen und bei der Religionsausübung sowie
die Berichte über die Postenvorherrschaft der serbischen
Minderheit und die polizeilichen Maßnahmen, die von
Belgrad ausgeübt wurden, gaben damals schon Anlass zu
großer Sorge. Als wir anschließend in Belgrad die große
Arroganz der kommunistisch-nationalistisch geprägten
serbischen Gesprächspartner erlebten, nahm diese Be-
sorgnis bei uns nur noch weiter zu.

Vielleicht haben wir im Westen die Menschen dort zu
lange sich selbst überlassen. Der Schaden und auch unsere
Kosten sind dadurch nicht geringer, sondern wahrschein-
lich größer geworden.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, nach
22-jähriger Tätigkeit im Deutschen Bundestag ist dies
heute meine letzte Rede im Parlament.


(Dr. Hermann Kues [CDU/CSU]: Sehr bedauerlich!)


Ich habe übrigens in fünf Plenarsälen sprechen dürfen.
Diese 22 Jahre waren für mich eine faszinierende Zeit: die
Wiedervereinigung, die weitere europäische Integration,
die Rückkehr unserer östlichen Nachbarn zur Demokratie
sowie die völlig neue Rolle Russlands in Europa und im
Verhältnis zu den USA. Wir leben mit all unseren Nach-
barn in Freundschaft und enger Partnerschaft.

In meiner außenpolitischen Arbeit waren für mich ge-
rade die parlamentarischen Kontakte zu unseren östlichen
Nachbarn – bei allen Problemen angesichts unserer wech-
selvollen und schmerzlichen Geschichte – immer ein
großes Erlebnis. Über zehn Jahre war ich Vorsitzender der
Deutsch-Ungarischen Parlamentariergruppe. Ich bin
glücklich und dankbar, diese Aufgabe wahrgenommen zu
haben. So wünsche ich Ungarn, das ein Nachbarland Ser-
biens ist – eine große ungarische Minderheit lebt in Ser-
bien –, dass es den Platz in Europa einnimmt, der ihm zu-
steht, und dass es ein wichtiger Bestandteil der
Europäischen Union werden möge, einer Union, in der
jede Nation ihre Identität wahren soll.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)


Erlauben Sie mir zum Schluss noch einige persönliche
Bemerkungen. Ich bin oft gefragt worden: Wie ist denn
wirklich der Kontakt zwischen den Abgeordneten, gerade
auch zwischen den Abgeordneten unterschiedlicher Frak-




Reinhard Freiherr von Schorlemer
24052


(C)



(D)



(A)



(B)


tionen? Ich erwähne dies, weil ich als ehemaliger Präsi-
dent der Deutschen Parlamentarischen Gesellschaft und
als deren jetziger Vizepräsident diese Gesellschaft immer
als einen Ort gesehen habe, an dem die menschlichen
Kontakte und Begegnungen zwischen den Kolleginnen
und Kollegen der einzelnen Fraktionen ungetrübt stattfin-
den können, menschliche Begegnungen, ohne die eine
parlamentarische Demokratie nicht leben kann und ohne
die wir für unsere Mitmenschen nicht verantwortungsbe-
wusst wirken können.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)


Das war mir neben der eigentlichen parlamentarischen
Arbeit immer ein Anliegen, bei dem ich viel Freude, viel
Freundschaft und viel Unterstützung erfahren habe.

Vielen Dank.

(Beifall im ganzen Hause)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1424004900
Herr Kollege
von Schorlemer, ich möchte mich bei Ihnen auch im Na-
men des Hauses und aller Kolleginnen und Kollegen, die
Ihnen bereits applaudiert haben, für Ihre Arbeit, Ihre herz-
liche Kollegialität sowie die von Ihnen wahrgenommenen
führenden Aufgaben bedanken. Eine 22-jährige Zu-
gehörigkeit zum Parlament erreicht kaum ein Parlamen-
tarier. Allen Respekt! Ich glaube, es gibt bald auch noch
ein Fest der Deutschen Parlamentarischen Gesellschaft.


(Beifall im ganzen Hause)

Auch der nächste Redner, Helmut Lippelt, dem ich

jetzt das Wort erteile, hält – glaube ich – seine letzte Rede.

(Walter Hirche [FDP]: Das ist nicht sicher!)


– Das ist nicht sicher, sie ist aber so angekündigt worden.


Dr. Helmut Lippelt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1424005000

Frau Präsidentin, da bin ich nicht so ganz sicher. Jeden-
falls habe ich mich nicht darauf vorbereitet, dass dies
meine letzte Rede ist.


(Heiterkeit)

Ich habe auch nicht so oft in der Deutschen Parlamentari-
schen Gesellschaft getafelt, um hier etwas dazu sagen zu
können, was für ein tolles Verhältnis wir haben.

Aber eines kann ich sagen: Ich freue mich über die bei-
den Reden, die ich zuvor gehört habe. Ich freue mich sehr,
dass wir in der Sache, also bezüglich dessen, was im Ko-
sovo zu tun ist, übereinstimmen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Ich weiß, dass eine Fraktion nicht zustimmen wird. Das
ist nun einmal so. Ich habe aber immer mehr den Ein-
druck, lieber Kollege, dass das, was Sie hier vertreten,
mehr eine Frage der Dogmatik und nicht des von Ihnen
empfundenen Pazifismus ist.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Wolfgang Gehrcke [PDS]: Ich habe doch gar nichts gesagt!)


– Nein, es genügt aber, Sie im Ausschuss zu hören und
sich zu fragen, ob man sich immer wieder dieselben Ar-
gumente anhören muss.

Wir sind davon überzeugt, dass es zum Verbleib der
KFOR im Kosovo keine Alternative gibt. Wir sind auch
überzeugt davon, dass es richtig ist, dass wir den Einsatz
des deutschen Kontingents noch um ein weiteres Jahr ver-
längern. Wir wissen, dass die Lösung des Kosovo-Pro-
blems auf einem guten Weg ist. Im Gegensatz zu all den
so oft betonten Problemen, die dort nach wie vor bestehen
und die ich überhaupt nicht leugnen möchte – ich komme
vielleicht noch auf das eine oder andere –, muss man sa-
gen: Politisch sind wir vorangekommen.

Unter dem letzten Kosovo-Beauftragten, unter
Haekkerup, ist eine Rahmenverfassung verabschiedet
worden. Entsprechend dieser Rahmenverfassung hat es
Wahlen gegeben, vor denen schließlich nach einigem Zö-
gern auch die serbische Regierung ihren Leuten gesagt
hat: Macht mit! Ein großer Teil der Serben hat dann mit-
gemacht. Danach hat es die Bildung der provisorischen
Selbstverwaltungsinstitutionen inklusive der Wahl eines
Präsidenten und einer Regierung gegeben.

Ich möchte hier ganz klar sagen: Dies ist auch deshalb
so gut gelaufen, weil wir jetzt Herrn Steiner im Kosovo
haben. Dies darf man vielleicht einmal sagen – trotz aller
Hintergedanken, die man dabei auch haben mag.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Hier hat er aber wirklich ein Meisterstück abgelegt.
Zu dieser politischen Entwicklung und der Frage nach

den politischen Perspektiven muss man, Herr von
Schorlemer, noch eines sagen: Nicht nur die vorletzte
Deutsch-Jugoslawische Parlamentariergruppe, sondern
auch die jetzige, wieder neu gegründete Parlamentarier-
gruppe ist über Belgrad nach Pristina gefahren, aber nicht
um zu sagen: Zu Belgrad gehört auch Pristina, sondern
um den Serben zu sagen: Wir fahren auch zu einem Par-
lament, das jetzt im Kosovo gewählt ist.

Ich glaube, wir haben uns gute Einblicke in das schwie-
rige Verhältnis der beiden Völker zueinander verschafft.
Ich glaube, dies wird auch weiterhin schwierig bleiben.
Wir werden sehr daran arbeiten müssen, damit es eine
Perspektive für eine Versöhnung gibt.

Eines muss aber auch gesagt werden: Wenn man immer
über die anhaltenden Gewaltsamkeiten klagt, muss man
aber auch sehen, was der jetzige UNMIK-Chef vor dem
UN-Sicherheitsrat ausgeführt hat, dass nämlich die Zahl
der Morde von 500 in 1999 über 250 in 2000 und 156 in
2001 jetzt in der Zeit von Januar bis April 2002 auf 16 ge-
sunken ist.

Ich habe in den Statistiken geblättert und festgestellt,
dass darin ja nicht zwischen ethnisch begründeten und
kriminellen Handlungen – bei all dem Schmuggel im
Grenzverkehr – unterschieden wird. Ich kann Ihnen sa-
gen: Diese Zahlen unterscheiden sich nicht sehr von den
Zahlen der Morde und Gewalttaten dieser Art in den an-
deren Ländern Europas. Vielleicht hat das Kosovo in die-
ser Beziehung die Zahlen für andere Länder schon unter-
schritten.




Reinhard Freiherr von Schorlemer

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(C)



(D)



(A)



(B)


Deshalb sprechen auch derzeit im Kosovo alle Seiten
über die Rückkehr der serbischen Flüchtlinge. Dazu
muss man wissen, dass es sich noch um 200 000 Flücht-
linge handelt. Selbst die Serben entwickeln Pläne zur
Rückkehr. Aber auch die nationalistische Partei von Herrn
Thaci hat eine Resolution verabschiedet, in der in idealis-
tischen Worten vom Recht auf Heimat, Rückkehr und Ei-
gentum die Rede ist. Man kann es sich zwar kaum vor-
stellen; aber es ist tatsächlich so.

Es ist wohl realistisch, wenn die UNMIK zunächst in
14 oder 15 Dörfern eine langsame Rückkehr versuchen
will. Ich meine, selbst das geht noch zu weit und wird
nicht funktionieren. Denn das persönliche Gefühl der Be-
drohung lässt sich nicht durch Verweis auf Statistiken
überwinden. Da die Angelegenheit auf einem guten Weg
und an diesem Punkt angelangt ist, ist festzustellen, dass
die deutschen Innenminister aus diesem Grund der Situa-
tion in keiner Weise gewachsen sind.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wie sieht denn die innenpolitische Lage aus? Es waren
200 000 Flüchtlinge aus dem Kosovo in Deutschland. Die
Innenminister haben 1999 nach dem Ende des Kosovo-
Kriegs dankenswerterweise beschlossen, dass sie nicht
zurückgeschickt werden. 85 000 Flüchtlinge sind längst
freiwillig zurückgekehrt. Worüber sprechen wir eigent-
lich? – Wir sprechen über 120 000 Flüchtlinge.

Ich meine, wenn der Weg der freiwilligen Rückkehr
und der Unterstützung all derer, die freiwillig zurückge-
hen wollen, weiterverfolgt würde, dann würde es nicht zu
einer Belastung des Kosovo kommen, zu der es derzeit
leicht kommen kann.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP und der Abg. Heidi Lippmann [PDS])


Deswegen appelliere ich dringend, keine Abschiebungen
durchzuführen, und zwar aus dem einfachen Grund, dass
im Kosovo 50 Prozent der Menschen arbeitslos sind. Die-
jenigen, die Häuser besitzen, sind schließlich schon
zurückgekehrt. Das heißt, diejenigen, die abgeschoben
werden, haben dort weder Arbeit noch ein Haus oder ein
Stück Land, auf dem sie ein Haus bauen könnten. Wohin
werden sie denn abgeschoben? Statt einen Teil der Lösung
des Problems darzustellen – indem sie nämlich hier blei-
ben und ihren Sippen auch weiterhin Geld schicken –,
werden sie in massiver Weise zu einem Teil des Problems.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP und der Abg. Heidi Lippmann [PDS])


Das geschieht zudem zu einem Zeitpunkt, zu dem alle Par-
teien im Kosovo entschlossen sind, erst einmal Sorge für die
Rückkehr der Flüchtlinge aus dem Nachbarland zu tragen.

Lassen Sie mich mit folgender Bemerkung schließen:
Als ich auf dem Landweg von Pristina nach Belgrad
zurückgefahren bin, bin ich über die Brücke gefahren, auf
der es damals durch einen Fehlschuss der NATO zu der
Zerstörung eines Flüchtlingstrecks gekommen ist. Die
Brücke war auf beiden Geländern über und über mit Blu-
men bedeckt. Ich meine, das macht sehr deutlich, dass es

einige Zeit dauert, bis sich die Wunden schließen. Wir
sollten nicht erneut Salz hineinstreuen. Die Wunden müs-
sen sich schließen. Das dauert seine Zeit und dafür
braucht man auch Geduld. Deshalb halte ich das, was die
Bundesregierung in ihrem Antrag beabsichtigt, für richtig
und bitte darum, dass die Innenminister künftig auch et-
was mehr nachdenken.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1424005100
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Walter Hirche.


Walter Hirche (FDP):
Rede ID: ID1424005200
Frau Präsidentin! Meine Da-
men und Herren! Ich möchte den letzten Gedanken von
Herrn Lippelt aufgreifen, weil in Debatten auch auf den
Vorredner eingegangen werden sollte. Ich meine, dass der
Faktor Zeit in der Tat wichtig ist, insbesondere in Prozes-
sen, in denen wir es mit der Überwindung von Vorurtei-
len, Klischees, historischen Zerrissenheiten und aktuellen
Konflikten zu tun haben. Von daher ist es sicherlich für
niemanden in diesem Hause oder draußen in der Öffent-
lichkeit eine Überraschung, dass wir darüber debattieren,
dass eine Verlängerung des Mandats angebracht ist.

Wenn wir einmal zurückblicken, dann ist es vielen in die-
sem Hause seinerzeit sicherlich nicht leicht gefallen, sich für
dieses Mandat zu entscheiden. Ich habe dafür nachträglich
Respekt. Ich glaube allerdings, dass die Entwicklung, die
wir im Kosovo erkennen können, deutlich macht: Es war
richtig, sich in dieser Weise zu entscheiden und mitzuhelfen,
dass dort zunächst einmal ein Stück mehr Befriedung mög-
lich wird und dann parallel zu dem militärischen Einsatz ein
Aufbau ziviler Strukturen vor sich geht.

In der Medienberichterstattung der letzten Zeit ist es
um den Kosovo etwas still geworden. Wenn Sie aber die
Mediengesetzlichkeiten kennen – wir alle tun das –, dann
wissen wir: Wenn es irgendwo still geworden ist, dann
sind die Dinge meist besser geregelt, als wenn über eine
Region lautstark und überhitzt berichtet wird.

Von daher kann man sagen, dass zum Beispiel die Re-
gierungsbildung im März zu spürbaren Fortschritten bei der
Selbstverwaltung im Kosovo geführt hat, dass die Wieder-
aufbaubemühungen der internationalen Gemeinschaft ins-
besondere im Rahmen des Stabilitätspaktes zu einer Ver-
besserung der Lebensumstände geführt haben, dass sich die
Infrastruktur verbessert hat, dass die Wiedereingliederung
zurückkehrender Flüchtlinge und erste ausländische Inves-
titionen Hoffnungen auf eine bessere Zukunft begründen.
Ich stehe nicht an, dem Koordinator Steiner den Dank mei-
ner Fraktion auszusprechen. Dort ist vorzügliche Arbeit ge-
leistet worden. Das sollte man festhalten.


(Beifall bei der FDP, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir alle wissen gleichzeitig, dass der Kosovo noch
weit davon entfernt ist, ohne die Sicherheitskomponente
der NATO zu einer eigenen selbsttragenden Stabilität zu
finden. Insbesondere im Norden, an den Grenzen zu
Serbien und Montenegro, bestehen die ethnischen Span-




Dr. Helmut Lippelt
24054


(C)



(D)



(A)



(B)


nungen fort. Während in vielen anderen Teilen des Amsel-
feldes der Wiederaufbau nach Kriegsende in Gang ge-
kommen ist, gibt es in den so genannten Zonen des Ver-
trauens, in denen die wenigen übrig gebliebenen Albaner
im ansonsten von Serben dominierten Nordteil Mitrovi-
cas wohnen, noch ganz erhebliche Konfliktpotenziale.
Aber auch in anderen Teilen des Kosovo ist die Stabilität
durch grenzüberschreitende serbische und albanische Ex-
tremisten bedroht.

Deshalb ist es unerlässlich, dass der durch UNMIK und
KFOR garantierte Sicherheitsrahmen so lange aufrechter-
halten wird, bis die Voraussetzungen für ein friedliches
Zusammenleben einer multiethnischen Gesellschaft ge-
geben sind. Daher unterstützt die FDP-Bundestagsfrak-
tion den von der Bundesregierung gestellten Antrag zur
Fortsetzung der deutschen Beteiligung an der internatio-
nalen Sicherheitspräsenz um ein Jahr grundsätzlich und
stimmt diesem Antrag zu.

Es ist auch wichtig, dass die Bundeswehr – das sage
ich, weil hier ein anders lautender Antrag vorliegt – im
Rahmen der NATO ihre Aufgaben wahrnimmt. Wir haben
uns für Bündnispolitik in der NATO und für europäische
Integration entschieden. Wir sollten diesen Aspekt unse-
rer Politik, die Einbettung in europäisches Handeln in al-
len Phasen, in denen Europa gefordert ist, durchhalten.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Nichtsdestoweniger geht es darum, zu überlegen, wie
der Einsatz deutscher Streitkräfte im Rahmen des Man-
dats flexibel gestaltet werden kann. Wenn die Amerikaner
eine weitere Reduzierung ihrer KFOR-Kräfte ankündi-
gen, dann würden wir heute vom Bundesverteidigungs-
minister gerne wissen, was mit den 4 700 Mann, die die
Bundeswehr im Kosovo stellt, passiert, wie weit die Zahl
deutscher Streitkräfte im Rahmen einer allgemeinen Re-
duzierung reduziert wird. Das ist deswegen nötig, weil die
Bundeswehr durch die vielfältigen Einsatzaufgaben in der
Welt die Grenze ihrer Belastbarkeit erreicht hat und bei
ihrem miserablen Ausrüstungsstandard jede Möglichkeit
zu Einsparungen nutzen sollte. Ich sage das an dieser
Stelle, weil wir höchsten Respekt vor der Leistung unse-
rer Soldaten im Kosovo haben.


(Beifall bei der FDP, der SPD und der CDU/CSU)


Es wird international anerkannt, wie professionell die
Bundeswehr – ich sage das bewusst – als Wehrpflicht-
armee in diesem Gebiet wirkt. Wir würden es begrüßen,
Herr Verteidigungsminister, wenn Sie etwas zu den
Standzeiten der Soldatinnen und Soldaten sagen würden.
Wir denken, dass diese im Einsatzgebiet auf drei bis vier
Monate reduziert werden sollten, weil Studien belegen,
dass eine darüber hinausgehende Standzeit in Konfliktre-
gionen zu erheblichen physischen und psychischen Be-
einträchtigungen führen kann.

Wir möchten ferner – ich knüpfe an einen vorhin ge-
äußerten Gedanken an –, dass die EU im Rahmen des
KFOR-Prozesses mehr Verantwortung übernimmt.

Lassen Sie mich noch einmal betonen, dass parallel zu
der militärischen die zivile Seite, also der Wiederaufbau
im Kosovo, bedacht werden muss. Das betrifft insbeson-

dere die Bemühungen um den Aufbau funktionierender
staatlicher Institutionen in den Bereichen Justiz und Poli-
zei, aber sicherlich auch – das ist eben schon angespro-
chen worden – im Bildungssektor: Schule, Kultur und an-
deres. Ich schließe mich den Vorrednern, die gesagt
haben: „Behandelt das Problem der Rückkehrer, der in
Deutschland verbliebenen Flüchtlinge sensibel!“ aus-
drücklich an.

Wir müssen die noch verbleibende Zeit nutzen, um
über das Thema „zukünftiger Status des Kosovo“ zu re-
den. Dazu habe ich hier noch nicht so viel gehört. Wir
müssen darüber weiter diskutieren. Wenn es im Anschluss
an die Debatten der nächsten Zeit keine Lösung, keine
Regelung gibt, dann werden wir auf diesem Gebiet nicht
weiterkommen. Es muss ein Rahmen gefunden werden,
der den legitimen Ansprüchen der Kosovo-Albaner auf
Autonomie und Selbstbestimmung gerecht wird, ohne
neue Konfliktherde entstehen zu lassen.

Lassen Sie mich abschließend den Kollegen danken,
die vor mir gesprochen haben. Auch ich werde am Ende
dieser Legislaturperiode aus dem Deutschen Bundestag
ausscheiden, allerdings mit der Absicht, auf der Bundes-
ratsbank als Folge des Ergebnisses einer Landtagswahl
Platz zu nehmen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Helmut Lippelt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das werden wir in Niedersachsen erst einmal sehen!)


Ich kenne die Kollegen Lippelt und Schorlemer aus
Niedersachsen seit den 70er-Jahren. Herr Lippelt gehörte
früher einer anderen Partei an. Frau Titze-Stecher, er war
damals – ich halte das für eine durchaus bemerkenswerte
Laufbahn – in Ihren Reihen. Reinhard von Schorlemer bin
ich als Abgeordnetem des Niedersächsischen Landtags
begegnet.

Auch ich schätze – Frau Präsidentin, das darf ich viel-
leicht als letzten Satz noch sagen –, dass insbesondere wir
im Auswärtigen Ausschuss – ich war in einigen anderen
Ausschüssen; es ist nicht überall das Gleiche – versuchen,
in Ruhe Analysen unterschiedlicher Art zu erarbeiten und
anschließend Meinungen auszutauschen. Die internatio-
nalen Probleme sind manchmal so kompliziert und so
vielfältig, dass man es sich nicht so einfach machen darf,
wie es manchmal bei tagespolitischen Fragen in der In-
nenpolitik geschieht. Wir stimmen der Verlängerung des
Mandats zu und freuen uns, wenn das auch der Bundestag
mit einer breiten Mehrheit tut.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1424005300
Auch Ihnen im
Namen des Hauses vielen Dank für das, was Sie selbst als
Zwischenetappe bezeichnet haben.

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Wolfgang Gehrcke.

(Dr. Andreas Schockenhoff [CDU/CSU]: Sie müssen jetzt den Erwartungen des Kollegen Lippelt gerecht werden!)





Walter Hirche

24055


(C)



(D)



(A)



(B)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1424005400
Das ist ein hoher Leis-
tungsdruck! – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Ich möchte zu Beginn meiner Rede den drei
Kollegen, die vorher gesprochen haben, auch meinen
herzlichen Dank für ihre Debattenbeiträge, für den Streit,
für die Kameradschaft und für die Solidität ausdrücken.
Das ist wahrscheinlich das einzig Versöhnliche, was ich in
dieser Rede zu sagen habe. Es kommt aber von Herzen;
die Betreffenden wissen das.


(Beifall bei Abgeordneten der PDS sowie des Abg. Dr. Helmut Lippelt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Wir kehren mit dieser Debatte am Ende dieser Legis-
laturperiode


(Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Ganz am Ende sind wir noch nicht!)


faktisch an ihren Anfang zurück. Am Anfang der Legisla-
turperiode sah die Situation im ehemaligen Jugoslawien
ohne Zweifel folgendermaßen aus: Terror, Nachfolgekriege,
Bürgerkriege und Verzweiflung. Damals fiel die Entschei-
dung, gegen die Bundesrepublik Jugoslawien militärisch
vorzugehen. Am Anfang stand der Bombenkrieg der NATO.


(Gert Weisskirchen [Wiesloch] [SPD]: Am Anfang stand die Diktatur von Herrn Milosevic!)


Am Anfang stand ein dreifacher Rechtsbruch: Bruch des
Völkerrechts, Bruch des Verfassungsrechts, Bruch des in-
ternationalen Rechts.


(Beifall bei der PDS)

Am Anfang standen die zivilen Opfer. Haben wir
denn das Wort „Kollateralschäden“ vergessen? Am An-
fang standen Vertreibungen verschiedener Art und Weise.
Gerade deswegen kann ich heute über die Vertreibung von
Serben und Roma aus dem Kosovo nicht schweigen.


(Beifall bei der PDS)

Ich bitte die Bundesregierung sehr, insbesondere was die
Roma angeht, von einer Abschiebung in den Kosovo ab-
zusehen. Die Roma sagen selber, dass das, was sie erlebt
haben, das größte Pogrom an ihnen seit dem Zweiten
Weltkrieg gewesen sei. Man darf die Roma also nicht
dorthin abschieben.


(Beifall bei der PDS)

Am Anfang stand auch – das kann ich der Bundesre-

gierung nicht ersparen; das weiß sie auch –: Die deutsche
Bevölkerung ist über den Krieg im Kosovo nach Strich
und Faden belogen worden, und zwar auch von Mitglie-
dern dieser Bundesregierung.


(Beifall bei der PDS)

Wenn ich an den Anfang denke, dann stelle ich fest,

dass Rot-Grün für viele Hoffnung und Aufbruch war und
für das Versprechen stand, dass deutsche Außenpolitik
Friedenspolitik ist. Der Kosovo-Krieg war aus meiner
Sicht der Anfang vom Ende dieses Verständnisses. Mit
diesem Krieg ist man auf die schiefe Bahn geraten. Auf
diese haben und werden wir uns nicht zerren lassen.


(Beifall bei der PDS)


Dieser Krieg war der Sündenfall der rot-grünen Re-
gierung. Das ist nicht nur meine Auffassung. Ich möchte
hier gern jemanden, der damals noch in der Regierung saß
und Parteivorsitzender der Sozialdemokratischen Partei
Deutschlands war – das ist noch nicht so lange her –, zu
Wort kommen lassen, indem ich ihn zitiere. In seinem
neuen, sehr lesenswerten Buch schreibt Oskar Lafontaine:

Der außenpolitische Sündenfall der Regierung
Schröder war der Kosovo-Krieg, bei dem auch die
NATO auf das Recht des Stärkeren setzte. Es war ein
historischer Fehler, die USA darin zu bestärken, in-
ternationales Recht zu missachten.

Das schreibt Ihr ehemaliger Parteivorsitzender und Fi-
nanzminister in seinem neuen Buch.


(Beifall bei der PDS – Dr. Helmut Lippelt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Leider ist er zurückgetreten!)


Zumindest darüber sollten Sie nachdenken und damit
sollten Sie sich auseinander setzen.

Nun sagt die Bundesregierung, dass der Erfolg ihr
Recht gebe. Kein Zweifel, die Gewalt im Kosovo ist
zurückgegangen. Es gibt einen gewissen Zuwachs an
Stabilität. Das Leben verläuft in halbwegs gesicherten
Bahnen. Das will ich überhaupt nicht bestreiten. Aber die
Philosophie, die dem zugrunde liegt, ist, dass der Zweck
bzw. der Erfolg die Mittel heiligt. Das kann nicht funk-
tionieren.


(Beifall bei der PDS)

Auch der beste Zweck, wenn es ihn denn gegeben haben
sollte – ich bestreite das ja –, heiligt nicht die Mittel. Un-
heilige Mittel zerstören den Zweck selber. Lassen Sie
mich das etwas volkstümlich formulieren: Auf den Rui-
nen eines Bordells kann man eben keine Kirche bauen.
Das erleben wir immer wieder.


(Widerspruch bei der SPD)

Deswegen brauchen wir politische Lösungen. Wir müs-

sen endlich über den Status des Kosovo debattieren und
darüber diskutieren, ob es nicht besser ist – das schlagen
wir vor –, wenn sich die Bundesregierung um das Zustan-
dekommen einer wirklichen UNO-Mission bemüht, an
der die damals Krieg führenden Staaten nicht teilnehmen
sollten. Darum hat sich die Bundesregierung nie bemüht.
Dieser Frage ist sie immer aus dem Weg gegangen.


(Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie gehen der jetzigen Situation aus dem Weg!)


Dieser Weg wäre vielleicht eine Alternative, um Si-
cherheit, Stabilität und die Einhaltung des Völkerrechts zu
gewährleisten.


(Beifall bei der PDS)

Das alles konnte ich Ihnen nicht ersparen. Sie haben ja

erwartet, dass ich das vortrage. Ich wollte Ihre Erwartun-
gen nicht enttäuschen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der PDS)







(C)



(D)



(A)



(B)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1424005500
Das Wort hat
jetzt der Herr Bundesverteidigungsminister, Rudolf
Scharping.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1424005600

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Drei Jahre
nach Beginn des internationalen Engagements im Kosovo
kann man feststellen: Die militärische Mission der NATO
und die zivile Mission der Vereinten Nationen haben ge-
meinsam mit der OSZE und der Europäischen Union viel
erreicht.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Sie haben gemeinsam eine weitere Stabilisierung der
Sicherheitslage erreicht und die Rückkehr eines Großteils
der Flüchtlinge ermöglicht. Sie haben gemeinsam den
Wiederaufbau eingeleitet und die Fundamente für ein nor-
males öffentliches und wirtschaftliches Leben gelegt. Sie
haben nicht zuletzt gemeinsam die staatsrechtlichen
Grundlagen für ein demokratisch orientiertes Kosovo ge-
schaffen.

Zwei Entwicklungen der vergangenen zwölf Monate
sind besonders bemerkenswert: die allgemeinen Wahlen
im Kosovo vom 17. November 2001 und das in Belgrad
verabschiedete Gesetz über die Zusammenarbeit mit dem
Kriegsverbrechertribunal der Vereinten Nationen. Wir
alle wissen, die Wahlen verliefen ordnungsgemäß und
friedlich. Rund 1,2 Millionen Wähler, darunter circa
180 000 serbischer Abstammung, haben sich registrieren
lassen und haben am demokratischen Prozess und an der
Gestaltung ihrer Zukunft teilgenommen.

Am 4. März, leider ziemlich spät, haben sich die Par-
teien auf eine Übergangsregierung verständigt. Das ist
aber, selbst wenn es spät kam, ein substanzielles Zeichen
von Autonomie auf der Grundlage der Beschlüsse des
Sicherheitsrates der Vereinten Nationen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich erwähne diesen Umstand, weil es auch für die Zukunft
wichtig sein wird, dass insbesondere die zivile Mission
der Vereinten Nationen diese neue Regierung nicht allein
lässt, sondern engagiert, geduldig und mit Fingerspitzen-
gefühl sowie mithilfe der so genannten Principal Interna-
tional Officers sich weiter engagiert. Nur auf diese Weise
kann sichergestellt werden, dass sich Hoffnungen verstär-
ken, die Erwartungen der Bevölkerung erfüllt werden und
die guten Erfahrungen ausgebaut werden können, die das
Kosovo mit den allgemeinen Wahlen und mit der Ent-
wicklung, die sich insgesamt aus heutiger Sicht als posi-
tiv darstellt, bisher gemacht hat.

Im Zusammenhang mit dem Gesetz zur Zusammenar-
beit mit dem VN-Kriegsverbrechertribunal will ich da-
rauf aufmerksam machen, dass sechs der 23 noch gesuch-
ten Angeklagten auf das Belgrader Ultimatum, das ja in
diesem Gesetz steckt, reagiert und sich gestellt haben. Ein
weiterer ist zwischenzeitlich verhaftet worden.

Wir sollten uns vor der Illusion hüten, dass es damit ge-
tan sei. Der Prozess der Auseinandersetzung auch mit der

eigenen Vergangenheit muss in der gesamten Region vor-
angebracht werden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ohne vollständige und schonungslose Aufdeckung der
Wahrheit wird nämlich einer Legendenbildung und revi-
sionistischen Tendenzen Vorschub geleistet, wichtiger
noch, der Aussöhnungsprozess substanziell erschwert. Ich
sage das vor dem Hintergrund, dass auch heute noch die
Hälfte der serbischen Bevölkerung, wenn man Umfragen
trauen darf, beispielsweise das Massaker von Srebrenica
leugnet und viele auch das Gefühl haben, dass das serbi-
sche Volk in Den Haag auf der Anklagebank sitze, nicht
aber Milosevic für Kriegsverbrechen, für die er verant-
wortlich gemacht wird.

In diesem Rahmen vollzieht sich das Engagement der
internationalen Staatengemeinschaft auch mit militäri-
schen Fähigkeiten. Zurzeit sind 37 000 Soldaten aus
38 Nationen im Kosovo engagiert. Wir wissen um die be-
sondere Rolle der Bundeswehr und der Bundesrepublik
Deutschland. 4 700 Soldatinnen und Soldaten sind dort
eingesetzt, übrigens gemeinsam mit Soldaten aus sieben
weiteren Nationen im deutschen Verantwortungsbereich,
Soldaten aus Aserbaidschan, Bulgarien, Georgien, Öster-
reich, der Schweiz, der Slowakei und der Türkei. Wir ma-
chen damit auch im Kosovo deutlich, dass wir an multi-
nationalem Handeln und an enger Integration in Europa
und mit Partnernationen außerhalb der NATO oder der
Europäischen Union interessiert sind.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Es ist hier bereits ganz zu Recht gesagt worden, dass
unsere Soldatinnen und Soldaten persönliche Einschrän-
kungen in Kauf nehmen, eine unverzichtbare Aufgabe
leisten und im Übrigen auch Ansehen für unser Land er-
werben.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)


Unsere Soldatinnen und Soldaten sind hoch angesehen.
Das will ich hier ausdrücklich erwähnen und mit einem
Dank verbinden, in den ich auch die zivilen Kräfte sowie
die Nichtregierungsorganisationen und alle anderen
einbeziehe.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der FDP)


Meine Damen und Herren, Sie alle wissen, dass die
Bundeswehr zurzeit sechs größere internationale Einsätze
zu bewältigen hat. Das bedeutet aber auch, dass wir Raum
brauchen, nicht etwa für zusätzliches Engagement, son-
dern für die Entlastung der Angehörigen der Bundeswehr
und übrigens auch ihrer Familien.

In diesen Zusammenhang gehört, dass das Bündnis
gestern beschlossen hat, sich bei einer weiteren Entspan-
nung der Sicherheitslage nicht nur einer neuen Struktur
von KFOR zuzuwenden, nicht nur mobile Reserven zur
Verfügung zu stellen, sondern ebenso wie in Bosnien den
Umfang des Engagements zu reduzieren. Genaue Zahlen






(C)



(D)



(A)



(B)


dazu, Herr Kollege Hirche und andere, wird man nennen
können, wenn die Abstimmung zwischen allen Truppen
stellenden Nationen abgeschlossen ist. Man kann nicht
Multinationalität einfordern und praktizieren und dann
isolierte eigene Entscheidungen treffen wollen.


(Beifall bei der SPD)

Ich glaube, es ist dennoch realistisch, davon auszuge-

hen, dass der Gesamtumfang des Engagements der Bun-
deswehr in Bosnien, im Kosovo und Mazedonien um etwa
1 000 Mann reduziert werden kann. Man kann das noch
nicht präzise sagen; aber in dieser Größenordnung wird es
liegen.

Dennoch müssen wir die Fähigkeit aufrecht erhalten,
unseren Teil der Aufgabe bei der Gewährleistung von Si-
cherheit zu erfüllen. Das wird leichter werden, je stärker
internationale Organisationen ihren Teil der Aufgabe,
nämlich die zivilen Aufgaben, eigenverantwortlich über-
nehmen.

Ich will dafür ein Beispiel nennen: die Polizei. Es sind
immerhin 4 500 Beamte – ein großer Teil davon aus
Deutschland – im Kosovo im Einsatz. Sie werden von
dem neu aufgebauten Kosovo Police Service unterstützt.
Das ist ein Beispiel dafür, dass das, was in der Vergan-
genheit zum Teil mithilfe von Soldaten geleistet wurde,
jetzt zunehmend von zivilen Organisationen übernommen
wird.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Meine Damen und Herren, Illusionen sind nicht ange-
bracht. Es ist trotz enormer Fortschritte noch sehr viel zu
tun, damit innere und äußere Sicherheit gewährleistet,
selbsttragende Strukturen errichtet und übrigens auch das
Problem der Flüchtlingsrückkehr verantwortlich gelöst
werden können. Die Grundlage dafür ist mit der Resolu-
tion 1244 des Sicherheitsrates geschaffen.

Unbeschadet dessen, was zum Beispiel der Kollege
Lippelt gesagt hat, gibt es auch immer noch eine latente
Gewaltbereitschaft zwischen den Ethnien. Sie wird leider
durch eine doch beachtlich hohe Kriminalität – Drogen-
handel, organisierte Kriminalität, Schmuggel und vieles
andere – ergänzt. Das macht deutlich, dass die Präsenz
von KFOR im Kosovo unverzichtbar bleibt. Im Zusam-
menhang und im Auftrag der Vereinten Nationen ist das
nicht zuletzt eine Erfolgsbedingung für den Stabilitäts-
pakt.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Die Verlängerung des KFOR-Mandats für die Bundes-

wehr ist eine absolut notwendige politische Entscheidung.
Die Bundesregierung begrüßt ausdrücklich die sich ab-
zeichnende sehr breite Mehrheit in diesem Hause und
dankt Ihnen im Namen der Soldatinnen und Soldaten, die
wir im Kosovo und andernorts einsetzen, für die Unter-
stützung.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1424005700
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Ursula Lietz.


Ursula Lietz (CDU):
Rede ID: ID1424005800
Frau Präsidentin! Meine
sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Ich denke, wir alle haben die Bilder von Flucht,
von Vertreibung, von umherirrenden Menschen mit ihren
Kindern aus dem Frühjahr 1999 noch vor Augen. Men-
schen wurden schlimmer als Tiere behandelt, nur weil sie
einer anderen ethnischen Gruppe angehörten. Diese Zei-
ten sind – gottlob! – vorbei. Im Verbund mit unseren
Freunden und Aliierten in der NATO haben wir es im Ko-
sovo nicht zugelassen, dass ein so barbarischer Bürger-
krieg wie in Kroatien und in Bosnien-Herzegowina zu Be-
ginn und in der Mitte der 90er-Jahre stattfand.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Auf der Grundlage der Resolution 1244 des Sicher-

heitsrates der Vereinten Nationen und des Militärisch-
Technischen Abkommens zwischen der KFOR und den
Regierungen der Bundesrepublik Jugoslawien und der Re-
publik Serbien haben wir in diesem Hause am
11. Juni 1999 zum ersten Mal die Entsendung von deut-
schen Soldaten in das Kosovo zur Friedenssicherung be-
schlossen. Diese Mission geht nun in ihr viertes Jahr. Zur-
zeit sind 4 661 Bundeswehrsoldaten im Kosovo stationiert,
darunter – ich denke, auch das sollte man hier einmal er-
wähnen – 98 Frauen. Es waren schon einmal 8 500 Solda-
ten. Das zeigt sehr deutlich, dass dort unten etwas passiert
ist, was sich zugunsten des Landes ausgewirkt hat.

Zugunsten des Landes wird es sich auch auswirken,
dass Slobodan Milosevic als Gefangener in Den Haag
sitzt. Ich glaube fest daran, dass weitere Verantwortliche
für Krieg und Vertreibung dorthin überstellt werden.

Der Staatenbund Serbien und Montenegro ist an die
Stelle der Bundesrepublik Jugoslawien getreten. Das ser-
bische Volk hat die Chance, in den Kreis der freien Völ-
ker Europas einzutreten. Auch wenn wir noch lange nicht
an diesem Punkt angekommen sind, unterstützen wir dies
nachdrücklich. Nur wenn es dem größten Volk auf dem
Balkan, nämlich den Serben, dauerhaft besser geht und
gleichzeitig ein Ausgleich mit den Albanern hergestellt
wird, kann auch diese Region als Ganze befriedet werden.

Demilitarisierung und die Rückkehr zu zivilen Struk-
turen sind unser Hauptziel. Das Problem, wie man den
Hass zwischen den Serben und Albanern in den Griff be-
kommen und letztendlich abbauen kann, haben wir noch
lange nicht gelöst. Das ist vielleicht sogar ein Generatio-
nenproblem. Vor diesem Hintergrund sollten wir alle uns
ehrlich eingestehen, dass unsere Mission da unten noch
lange nicht zu Ende ist. Wir sollten das auch sehr viel ehr-
licher gegenüber den Soldaten und Soldatinnen tun, die da
unten stationiert sind. Die Einheiten der Nationen, die für
den Friedensdienst gebraucht werden, können wir zum
jetzigen Zeitpunkt nicht abziehen, weil neue Kriege ent-
stehen würden, die niemand, weder Deutschland noch
Europa noch die Vereinigten Staaten von Amerika, ver-
antworten kann. Das heißt, wir müssen das Mandat für die
KFOR-Mission erneut verlängern.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Bau des Hauses
der Freiheit, das gerade in Europa entsteht, ist es wert,




Bundesminister Rudolf Scharping
24058


(C)



(D)



(A)



(B)


weiterhin militärisch unterstützt zu werden. Das Funda-
ment für dieses Haus, Herr Verteidigungsminister – dazu
haben Sie eben überhaupt nichts gesagt –, muss allerdings
auch durch eine solide Finanzierung gesichert werden.
Wenn ich sehe, dass die insgesamt 2,3 Milliarden Euro,
die wir für alle Auslandseinsätze benötigen, bis heute
noch nicht gesichert sind, und wenn ich höre, was für ein
Streit zwischen Ihnen und dem Finanzminister bei den
Haushaltsvorbereitungen entstanden ist, dann kann ich
dazu nur sagen, dass mir das ganz große Sorgen hinsicht-
lich der Zukunft unserer Bundeswehr macht.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Unsere Soldaten haben da unten eine schwierige Auf-
gabe; sie erfüllen sie gut. Ich möchte mich dem herzlichen
Dank, der hier schon mehrfach ausgesprochen wurde,
ausdrücklich anschließen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Ich möchte hier aber auch einmal erwähnen, dass 20 Pro-
zent der Soldaten, die dort unten im Moment aktiv für den
Frieden arbeiten freiwillig länger Wehrdienst Leistende
sind, die ihren Kameraden dorthin freiwillig gefolgt sind.
Auch das bedarf einmal eines besonderen Lobes.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Die Bundeswehr hat sich dort unten


(Zurufe von der SPD: Was heißt denn „dort unten“?)


als ein Stabilitätsfaktor erwiesen. Ich habe das in vielen
Besuchen im Kosovo feststellen können, ob im Gespräch
mit Serben oder Albanern, mit Christen oder Moslems.
Angesichts der Tatsache, dass man Menschen hilft, damit
langsam, aber sicher wieder der Friede einkehrt, weiß
man, dass unsere Entscheidung damals richtig war. Es
geht darum, den Menschen in ihrer Heimat ein Stück
Hoffnung auf ein zukünftiges Zusammenleben in Frieden
zu geben. Ich gebe all denen Recht, die gesagt haben: Wir
müssen uns genau überlegen, wie dieses Kosovo in Zu-
kunft auszusehen hat und welchen Status es bekommen
soll.

Lassen Sie mich auch erwähnen, dass unsere deutsche
Bundeswehr, weil sie eine Armee aus Wehrpflichtigen
ist, dort unten ein besonderes Ansehen hat. Die Soldaten
haben nämlich, bevor sie zur Bundeswehr gekommen
sind, zum Teil zivile Berufe ausgeübt; sie waren Dach-
decker oder Installateure, also Handwerker, die jetzt
beim Wiederaufbau aktiv Hand anlegen und mithelfen.
Das können Berufsarmeen nicht leisten; deshalb beteili-
gen sich die anderen dort stationierten Armeen nicht an
diesen Aufgaben.

Es muss jedoch auch an dieser Stelle deutlich gesagt
werden: Die Leistungen im Kosovo erbringen die Solda-
ten der Bundeswehr nicht wegen, sondern trotz der Poli-
tik dieser Bundesregierung.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Widerspruch bei der SPD)


Hier zu Hause feiert der Verteidigungsminister die Bun-
deswehrreform als eine Jahrhundertreform. Herr Vertei-

digungsminister, die Soldaten im In- und Ausland nehmen
Ihre Aussagen zu diesem Thema nicht mehr ernst.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP– Detlev von Larcher [SPD]: Das müssen ausgerechnet Sie sagen!)


Vor drei Wochen war ich mit einer Delegation in Af-
ghanistan. Wir haben von Brigadegeneral von Butler sehr
eindringlich nahe gelegt bekommen, dass die Politik den
Soldaten gegenüber ehrlicher sein muss, nicht nur hin-
sichtlich der Gesamteinsatzzeiten, sondern auch in vielen
anderen Beziehungen. Er hat sehr deutlich gesagt – da-
rüber habe ich mich besonders gefreut –, dass er die sechs-
monatige Stehzeit für Soldaten für falsch hält und drin-
gend dazu rät, endlich zu Beratungen zu kommen, die eine
flexible Einsatzzeit als Resultat haben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Das hat mich deswegen besonders gefreut, weil ausge-

rechnet Frau Beer die entsprechende Frage gestellt hat
und eine Antwort bekommen hat, die sie so eigentlich
nicht erwartet hätte. Sie hat dann in Radio Andernach,
dem dortigen Soldatensender, gesagt, sie sei schon immer
für eine flexible Einsatzzeit gewesen. Ich denke, wir soll-
ten sie bei einem unserer nächsten Anträge zu diesem
Thema beim Wort nehmen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1424005900
Frau Kollegin,
denken Sie bitte daran, dass Ihre Redezeit jetzt vorbei ist.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)



Ursula Lietz (CDU):
Rede ID: ID1424006000
Herr Verteidigungsminis-
ter, Sie, der Finanzminister und letztendlich auch der Bun-
deskanzler haben die Verantwortung für diesen Einsatz.
Sie haben diese Verantwortung nicht wahrgenommen. Sie
wird Ihnen demnächst vom deutschen Volke per Wahl ent-
zogen.


(Peter Zumkley [SPD]: Die ganze Debatte wird jetzt auf ein solches Niveau heruntergezogen!)


Wir stimmen der Verlängerung des KFOR-Einsatzes
zu.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1424006100
Das Wort hat
jetzt der Herr Bundesaußenminister Joschka Fischer.


Joseph Fischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1424006200

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Gestatten
Sie mir einige kurze Bemerkungen anlässlich der Verlän-
gerung des KFOR-Mandats.

Das KFOR-Mandat ist die Voraussetzung für den zivi-
len Wiederaufbau. Der Kosovo insgesamt hat die entschei-
dende Schlüsselrolle bei der Orientierung der gesamten
Region des westlichen Balkans auf das Europa der Integra-
tion hin. Es ist demnach für Frieden und Stabilität unerläss-
lich. Insofern möchte ich mich bei allen Kolleginnen und




Ursula Lietz

24059


(C)



(D)



(A)



(B)


Kollegen bedanken, dass sie diesem Mandat – hier greife
ich der Abstimmung vor, ohne deswegen irgendetwas zu
präjudizieren – zustimmen werden. Es ist sehr wichtig für
Frieden und Stabilität in der gesamten Region.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


All diejenigen, die meinen, wir könnten die Verlänge-
rung dieses Mandats ablehnen, müssen sich über die Kon-
sequenzen im Klaren sein. In der Tat, es geht hier nicht um
einen Sündenfall durch den Einsatz der NATO. Dieser
Sündenfall, wenn es ihn gegeben haben sollte, hat in den
Jahren 1991/92 stattgefunden, indem nämlich zu spät ein-
gegriffen wurde und es zu furchtbaren Menschenrechts-
verletzungen kam.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)


Außerdem ist durch den Einsatz eine positive Ent-
wicklung möglich, indem es keinen Rückfall in einen
neuen Nationalismus gibt, sondern diese europäische Re-
gion den Weg nach Brüssel gehen kann, und zwar auf der
Grundlage von Frieden und Demokratie.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Der Kosovo hat – ich habe es gerade angesprochen –
eine zentrale Bedeutung. Er ist gewissermaßen der archi-
medische Punkt für die Gesamtneuordnung dieser Re-
gion. Der Ansatz, den wir dort gewählt haben, ist, eine Re-
nationalisierung zu vermeiden und diese Region Schritt
für Schritt an das Europa der Integration heranzuführen.
Es hat sich dort auch gezeigt, gerade im Zusammenhang
mit dem Kosovo und später mit Mazedonien, dass das
Verhältnis von NATO und Europäischer Union auf eine
völlig neue Grundlage gestellt wurde. Ich denke, dies ist
ebenfalls über den Tag hinaus von zentraler Bedeutung.

Alles in allem entscheiden wir uns mit der heutigen
Verlängerung des Mandats dafür, den Beitrag, den wir in
militärischer Hinsicht geleistet haben, fortzusetzen. Die-
ser Beitrag in militärischer Hinsicht ist aber lediglich die
Voraussetzung für den zivilen Beitrag.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


Ich möchte allen Soldatinnen und Soldaten, aber auch
den zivilen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Bun-
deswehr sowie den Nichtregierungsorganisationen recht
herzlich danken, die dort eine unverzichtbare Aufbauar-
beit leisten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1424006300
Ich schließe da-
mit die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussemp-
fehlung des Auswärtigen Ausschusses auf Drucksache
14/9248 zu dem Antrag der Bundesregierung zur Fortset-

zung der deutschen Beteiligung an der internationalen Si-
cherheitspräsenz im Kosovo. Der Ausschuss empfiehlt,
dem Antrag auf Drucksache 14/8991 zuzustimmen. Es ist
namentliche Abstimmung verlangt. Ich bitte alle Kolle-
ginnen und Kollegen, bei der Stimmabgabe sorgfältig da-
rauf zu achten, dass die Stimmkarten, die sie verwenden,
ihren Namen tragen.

Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die
vorgesehenen Plätze einzunehmen. – Sind alle Urnen be-
setzt? – Dann eröffne ich die Abstimmung.

Ist noch ein Mitglied des Hause anwesend, das seine
Stimme nicht abgegeben hat? – Nein. Dann schließe ich
jetzt die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und
Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Er-
gebnis wird Ihnen später bekannt gegeben.1)

Die Kollegin Amke Dietert-Scheuer hat eine persönliche
Erklärung zur Abstimmung abgegeben, die wir zu Protokoll
nehmen.2) Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall.

Wir setzen die Abstimmungen fort. Abstimmung über
die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses
auf Drucksache 14/6194 zu dem Antrag der Fraktion der
PDS mit dem Titel „Bundeswehreinsätze beenden – Politi-
sche Lösungen auf dem Balkan durch UNO und OSZE
durchsetzen“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf
Drucksache 14/5964 abzulehnen. Wer stimmt für diese Be-
schlussempfehlung des Ausschusses? – Gegenstimmen? –
Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen, von CDU/CSU und
FDP gegen die Stimmen der PDS angenommen worden.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 20 sowie Zusatzpunkt 17
auf:
20. Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulf Fink,

Wolfgang Lohmann (Lüdenscheid), Dr. Wolf
Bauer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
CDU/CSU
Prävention umfassend stärken
– Drucksache 14/9085 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit (f)

Innenausschuss
Sportausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

ZP 17 Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD
und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Stärkung von Prävention und Gesundheitsför-
derung
– Drucksache 14/9224 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit (f)

Innenausschuss
Sportausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie




Bundesminister Joseph Fischer
24060


(C)



(D)



(A)



(B)


1) Seite 24063 C
2) Anlage 3

Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Es gibt kei-
nen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst der
Abgeordnete Ulf Fink.


Ulf Fink (CDU):
Rede ID: ID1424006400
Frau Präsidentin! Meine sehr
verehrten Damen und Herren! Die Gesundheitsreform
wird eine der ganz wichtigen innenpolitischen Reformen
der nächsten Legislaturperiode sein. Leider sind die ver-
gangenen vier Jahre nicht genutzt worden,


(Jörg Tauss [SPD]: Oje! Sie könnten mal eine neue Platte auflegen! – Gegenruf des Abg. Detlef Parr [FDP]: Jetzt kommt die Bildung wieder zu Wort!)


um sich diesem großen Thema wirklich intensiv und zu-
kunftsgerichtet zu widmen.

Aus diesem Grund legt meine Fraktion heute einen An-
trag vor mit dem Titel „Prävention umfassend stärken“.
Wir alle wissen: Wenn nichts Entscheidendes geschieht,
werden die Beitragssätze der gesetzlichen Krankenver-
sicherung in den nächsten Jahren steigen. Im Jahre 2030
wird der Beitragssatz nach heutiger Schätzung bei 20 bis
25 Prozent liegen; heute beträgt er 14 Prozent. Dies ist
eine wirklich dramatische Entwicklung. Deshalb ist es
von allergrößter Bedeutung, dass man sich rechtzeitig mit
dem Thema Gesundheitsreform beschäftigt.

Bisher haben wir immer gesagt, dass die Zahl und die
Schwere der Erkrankungen im Wesentlichen vorgegeben
sind, und haben uns mehr oder weniger damit beschäftigt,
wie wir die Kosten der Behandlung in den Griff bekom-
men. Ein Grundfehler des bundesdeutschen Gesundheits-
wesens ist es, im Wesentlichen auf die Heilung oder Lin-
derung von Krankheiten orientiert zu sein, während das
Thema, dass Krankheiten gar nicht oder zumindest nicht
so schwer entstehen – dies ist mit dem Begriff „Präven-
tion“ gemeint –, einen zu geringen Stellenwert hat. Mit
unserem Antrag wollen wir erreichen, dass die Prävention
im deutschen Gesundheitswesen endlich den Stellenwert
bekommt, den sie verdient.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Jörg Tauss [SPD]: Hattet ihr doch abgeschafft!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1424006500
Gestatten Sie
eine Zwischenfrage?


Ulf Fink (CDU):
Rede ID: ID1424006600
Ja, gerne.


Klaus Kirschner (SPD):
Rede ID: ID1424006700
Herr Kollege Fink, können
Sie mir einmal sagen, warum Sie im Rahmen des Bei-
tragsentlastungsgesetzes den § 20 SGBV, gemäß dem die
Prävention vorgeschrieben war, zu einer Restgröße zu-
sammenschrumpfen ließen?


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Das ist eine gute Frage! – Detlef Parr [FDP]: Wegen Bauchtanz!)



Ulf Fink (CDU):
Rede ID: ID1424006800
Herr Kollege Kirschner, wir
können uns über den § 20 sicherlich vertiefter unterhalten.


(Jörg Tauss [SPD]: Jetzt gleich!)

Auch ich frage mich, ob das, was an dieser Stelle gesche-
hen ist, so weise gewesen ist. Ich teile die Meinung: Das
hätte man auch anders machen können.


(Beifall des Abg. Jörg Tauss [SPD])

Aber Sie stimmen doch mit mir darin überein, dass der
§ 20 in keiner Weise dazu geeignet ist, das große Thema
Prävention auch nur annähernd zu lösen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Dieser Paragraph ist ein sehr kleiner Teil im Verhältnis zu
dieser großen Aufgabe. Lieber Kollege Kirschner, nach
dem üblichen parteipolitischen Spiel könnte ich auf Ihre
Frage entgegnen: Wer hat denn den § 20 überhaupt einge-
führt?


(Jörg Tauss [SPD]: Unverschämtheit!)

Dies war die CDU/CSU-Fraktion. Als Sie mit Schmidt
und Brandt die Regierung gestellt haben, gab es gar kei-
nen § 20. Wir haben den erst eingeführt.


(Lachen bei der SPD)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1424006900
Herr Kollege
Fink, es besteht noch ein Wunsch nach einer Zwi-
schenfrage.


Ulf Fink (CDU):
Rede ID: ID1424007000
Selbstverständlich gerne.

(Jörg Tauss [SPD]: Aber nicht hier die Rede zeit verlängern!)



Wolfgang Lohmann (CDU):
Rede ID: ID1424007100

Herr Kollege, Stichwort § 20: Haben nicht auch Sie es für
richtig gehalten, dass dieser seinerzeit von uns einge-
führte Paragraph um gewisse Auswüchse, zum Beispiel
Bauchtanzkurse, Taucherbrille und Partnerschaftsmas-
sage, bereinigt wurde?


(Detlef Parr [FDP]: Sehr richtig!)



Ulf Fink (CDU):
Rede ID: ID1424007200
Herr Kollege Lohmann, man
muss einräumen, dass mit dem § 20 nicht nur Gutes, son-
dern zum Teil auch Dinge gemacht worden sind, die nicht
im Mittelpunkt der Präventionsaufgabe stehen.

Lassen Sie mich nun zum wirklich großen Thema der
Zukunft zurückkommen. In Deutschland gibt es pro Jahr
allein 300 000 Herzinfarktfälle. Rund 6 Milliarden DM
geben wir jährlich dafür aus, um mit den Folgen fertig zu
werden.

Wir haben eine sehr sorgfältige Studie des Robert-
Koch-Instituts vorliegen. Wenn nichts Entscheidendes ge-
schieht, wird in den nächsten 30 Jahren die Zahl der
Herzinfarkte in Deutschland um 120 000 bis 150 000 an-
steigen. Das bedeutet – unabhängig von den menschli-
chen Schicksalen –, dass die Kosten von 6 auf 9 Milliar-
den DM ansteigen. Dabei wissen wir, dass die Zahl der




Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer

24061


(C)



(D)



(A)



(B)


Herzinfarkte etwa halbiert werden könnte, wenn wir für
mehr Bewegung und gesunde Ernährung sorgen und den
Alkohol- und Nikotinmissbrauch eindämmen. Das ist
auch nicht unmöglich.

In Finnland wurde eine umfassend angelegte Präventi-
onskampagne zur Senkung der Sterblichkeitsrate bei
Herz-Kreislauf-Erkrankungen angelegt. Finnland belegte
vor dieser Kampagne einen der letzten Plätze in der inter-
nationalen Skala. Inzwischen hat es einen der vorderen
Plätze erreicht. Das zeigt doch, dass sehr viel möglich ist,
wenn man sich mit der Aufgabe richtig beschäftigt.

Ähnliches haben wir auch in Deutschland erlebt, als
wir die Aidspräventionskampagne starteten. Auf diesem
Feld haben wir sehr viel erreicht. Wäre diese Kampagne
nicht durchgeführt worden, sähe es in Europa vielleicht
genauso schlimm aus wie in Afrika. Das zeigt, dass die
allgemeine Auffassung – Prävention ist ja etwas Gutes,
aber die Leute werden es ja doch nicht machen, lassen wir
es also, es hat keinen Sinn, das ist nur was für Sonntags-
reden – falsch ist.

Ich will an dieser Stelle mit allem Nachdruck sagen: Es
ist gegenüber der Zukunft der Bundesrepublik Deutsch-
land, unserem Gesundheitswesen und den Menschen un-
verantwortlich, die Prävention klein zu schreiben; statt-
dessen ist es notwendig, die Prävention ernst zu nehmen
und zu einer zentralen Aufgabe zu machen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Jörg Tauss [SPD]: Deshalb schafft Baden-Württemberg den Schulsport ab!)


Es gibt einiges, was man auf diesem Feld tun kann. Wir
haben uns mit unseren Reformkommissionen, denen der
CSU und der CDU, besonders darum gekümmert. Wir ha-
ben beispielsweise ein Gutachten bei Frau Dr. Walter und
Professor Schwartz in Auftrag gegeben. Das ist eines der
umfassenden, grundlegenden Werke für die Prävention.
Es freut mich sehr, dass, wenngleich ohne Quellenangabe,
die Spitzenverbände der gesetzlichen Krankenversiche-
rungen ihre Stellungnahme zur Prävention mit einem
Schaubild aus diesem Gutachten, das für die „Kommis-
sion Humane Dienste“ der Christlich Demokratischen
Union erarbeitet worden ist, beginnen. Das finde ich gut.

Ich finde es auch gut, dass der Runde Tisch, der sonst
nicht so viel zustande bekommen hat, beeinflusst und be-
flügelt durch die Vorschläge, die wir zum Thema Präven-
tion gemacht haben, wenigstens an dieser Stelle einige
Themen und positive Gemeinsamkeiten zustande bekom-
men hat. Aber was muss in der nächsten Legislaturperiode
gemacht werden?

Wir brauchen ein umfassendes Aktionsprogramm,
das sich nicht auf die gesetzliche Krankenversicherung
beschränkt. Es wäre ein grundlegender Fehler, wenn man
die Prävention lediglich einem Bereich, nämlich den
durch Beiträge finanzierten gesetzlichen Krankenversi-
cherungssystemen, überantworten würde. Die gesetzliche
Krankenversicherung spielt dabei eine wichtige Rolle,
aber sie allein kann das Problem nicht lösen. Es ist not-
wendig, dass Bund, Länder, Gemeinden und die Sozial-
versicherungseinrichtungen an der Prävention mitarbei-
ten, denn sonst wird es nichts werden.

In den Studien steht, dass für die Verlängerung der Le-
benserwartung vielleicht zu 30 bis 50 Prozent der Medi-
zinbetrieb verantwortlich sei, aber zu 70 bis 50 Prozent sei
eben nicht der Medizinbetrieb verantwortlich; stattdessen
spielten das Bildungs- und Verkehrssystem, die Ernäh-
rung und andere Dinge dabei eine ganz wichtige Rolle.
Deshalb ist es unabdingbar notwendig, das Aktionspro-
gramm nicht auf die gesetzliche Krankenversicherung zu
beschränken, sondern die anderen Beteiligten mit ins
Boot zu nehmen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Das kann daher auch nicht nur eine Aufgabe des Bun-

desgesundheitsministers sein. Es muss eine Aufgabe des
Bundeskanzlers sein, er muss sich dieses Thema zu Eigen
machen und dafür sorgen, dass die Ministerpräsidenten
der Länder und alle Beteiligten die Prävention zu einem
zentralen Thema der deutschen Politik machen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Dazu gehört auch Folgendes: Wir wissen doch, dass auf

den öffentlichen Gesundheitsdienst, der eine wesentliche
Rolle spielen und eine der großen Säulen des deutschen
Gesundheitssystems sein sollte, mittlerweile nicht einmal
mehr 1 Prozent der Gesundheitsausgaben in Deutschland
entfällt. Das ist nicht in Ordnung und muss geändert wer-
den. Man darf nicht nur auf die beitragsfinanzierten Sys-
teme schauen; auch die steuerfinanzierten Systeme müs-
sen ihren Beitrag dazu leisten.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Es gibt einen zweiten Punkt. Es ist selbstverständlich

richtig, dass der Bund die Dinge tun muss, die in seiner
Verantwortung liegen. Er ist für die gesetzliche Kran-
kenversicherung, für das Bundessozialhilfegesetz, für
die Unfallversicherung und für den Arbeitsschutz ver-
antwortlich, um nur einige Beispiele zu nennen. Es ist
dringend an der Zeit für ein Gesetz, das die verschiede-
nen, völlig unabgestimmten Begriffe der Prävention, die
überall in diesen Bereichen auftauchen, einmal harmo-
nisiert und dafür sorgt, dass die Systeme, für die der
Bund verantwortlich zeichnet, wirklich gut zusammen-
arbeiten.

Wir haben lange gebraucht, bis wir ein Rehabilitati-
onsgesetz erreicht haben. Ich finde, wir sollten die nächste
Legislaturperiode nutzen, um ein Präventionsgesetz auf
die Beine zu stellen, das dafür sorgt, dass die völlig unab-
gestimmten Begriffe und Verantwortlichkeiten besser ko-
ordiniert werden.

Dritter Punkt. Selbstverständlich muss die gesetzli-
che Krankenversicherung in diesem Zusammenhang ei-
nen ganz wesentlichen Beitrag leisten. Da fragt man sich
nun sehr, ob man beim Thema Prävention immer nur auf
Verhältnisprävention setzen sollte, also sagt, wir müssen
die Verhältnisse so ändern, dass die Dinge gut laufen,
oder ob man auch auf Verhaltensprävention setzen
sollte, dass man sich also dafür einsetzt, dass die Men-
schen gesünder und bewusster mit ihrer Gesundheit um-
gehen.

Das ist der grundlegende Fehler Ihrer Gesund-
heitspolitik, den ich Ihnen vorwerfe: Sie haben gering-




Ulf Fink
24062


(C)



(D)



(A)



(B)


fügige Selbstbeteiligungselemente zurückgenommen.
Es kommt darauf an, dass wir den Menschen, der sich
gesundheitsbewusst verhält, belohnen müssen.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: So ist es!)


Es hat keinen Sinn, einfach zu sagen: Das geht alles ir-
gendwie und ist von irgendjemanden vorbestimmt. – Nein,
es handelt sich um mündige Menschen. In unserem Sys-
tem müssen wir denjenigen, der nicht alles tut, um seine
Gesundheit zu ruinieren, sondern sich gesundheitsbewusst
verhält, belohnen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Das ist übrigens etwas, was man sehr gut durchführen

kann. Zum Beispiel beim Zahnersatz haben wir einen
richtigen Ansatz: Demjenigen, der sich um seine Zahn-
gesundheit kümmert, wird für den Zahnersatz ein höhe-
rer Prozentsatz gezahlt. Das ist ein richtiger und guter
Ansatz.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Aber es muss weitergehen, indem man beispielsweise
Personen, die sich gesundheitsbewusst verhalten, von be-
stimmten Zuzahlungen ausnimmt. Das wäre ein Schritt in
die richtige Richtung.

Deshalb sage ich noch einmal: Wir werden der Präven-
tion und dem deutschen Gesundheitswesen dann eine gute
Chance geben, wenn wir darauf setzen, dass die Men-
schen auch selber in ihrer Verantwortung angesprochen
werden und wir den mündigen Bürger erreichen. Dann ha-
ben wir eine gute Chance für mehr Prävention im deut-
schen Gesundheitswesen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1424007300
Bevor ich
dem nächsten Redner das Wort gebe, möchte ich Ihnen
zwei Mitteilungen machen.

Erstens. Der Tagesordnungspunkt 25 – Geldwäsche-
bekämpfungsgesetz – wird einvernehmlich von der Ta-
gesordnung abgesetzt. – Ich sehe, es gibt keinen Wider-
spruch. Dann ist das so beschlossen.

Zweitens gebe ich Ihnen das von den Schriftführerin-
nen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der nament-
lichen Abstimmung über den Antrag der Bundesregie-
rung „Fortsetzung der deutschen Beteiligung an der
internationalen Sicherheitspräsenz im Kosovo“ bekannt.
Abgegebene Stimmen 523. Mit Ja haben gestimmt 483,
mit Nein haben gestimmt 36, Enthaltungen 4. Der Antrag
ist angenommen.




Ulf Fink

24063


(C)



(D)



(A)



(B)

Endgültiges Ergebnis

Abgegebene Stimmen: 523;
davon

ja: 483
nein: 36
enthalten: 4

Ja
SPD
Gerd Andres
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Hermann Bachmaier
Ernst Bahr
Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Eckhardt Barthel (Berlin)

Klaus Barthel (Starnberg)

Ingrid Becker-Inglau
Wolfgang Behrendt
Dr. Axel Berg
Hans-Werner Bertl
Friedhelm Julius Beucher
Petra Bierwirth
Rudolf Bindig
Lothar Binding (Heidelberg)

Kurt Bodewig
Anni Brandt-Elsweier
Willi Brase
Rainer Brinkmann (Detmold)

Bernhard Brinkmann

(Hildesheim)


Hans-Günter Bruckmann

Edelgard Bulmahn
Ulla Burchardt
Dr. Michael Bürsch
Hans Martin Bury
Hans Büttner (Ingolstadt)

Wolf-Michael Catenhusen
Dr. Peter Danckert
Dr. Herta Däubler-Gmelin
Christel Deichmann
Karl Diller
Peter Dreßen
Detlef Dzembritzki
Dieter Dzewas
Dr. Peter Eckardt
Sebastian Edathy
Ludwig Eich
Marga Elser
Peter Enders
Petra Ernstberger
Annette Faße
Lothar Fischer (Homburg)

Gabriele Fograscher
Norbert Formanski
Rainer Fornahl
Hans Forster
Dagmar Freitag
Lilo Friedrich (Mettmann)

Harald Friese
Anke Fuchs (Köln)

Arne Fuhrmann
Monika Ganseforth
Konrad Gilges
Iris Gleicke
Günter Gloser
Renate Gradistanac
Günter Graf (Friesoythe)


Angelika Graf (Rosenheim)

Dieter Grasedieck
Monika Griefahn
Kerstin Griese
Achim Großmann
Wolfgang Grotthaus
Hans-Joachim Hacker
Klaus Hagemann
Alfred Hartenbach
Anke Hartnagel
Klaus Hasenfratz
Nina Hauer
Hubertus Heil
Reinhold Hemker
Frank Hempel
Rolf Hempelmann
Gustav Herzog
Monika Heubaum
Reinhold Hiller (Lübeck)

Stephan Hilsberg
Gerd Höfer
Jelena Hoffmann (Chemnitz)

Walter Hoffmann

(Darmstadt)


Frank Hofmann (Volkach)

Ingrid Holzhüter
Eike Hovermann
Christel Humme
Lothar Ibrügger
Barbara Imhof
Brunhilde Irber
Gabriele Iwersen
Renate Jäger
Jann-Peter Janssen
Ilse Janz
Johannes Kahrs

Ulrich Kasparick
Sabine Kaspereit
Hans-Peter Kemper
Klaus Kirschner
Marianne Klappert
Siegrun Klemmer
Hans-Ulrich Klose
Walter Kolbow
Fritz Rudolf Körper
Karin Kortmann
Anette Kramme
Nicolette Kressl
Volker Kröning
Angelika Krüger-Leißner
Horst Kubatschka
Ernst Küchler
Ute Kumpf
Konrad Kunick
Dr. Uwe Küster
Werner Labsch
Christine Lambrecht
Brigitte Lange
Christian Lange (Backnang)

Detlev von Larcher
Christine Lehder
Eckhart Lewering
Götz-Peter Lohmann

(Neubrandenburg)


Gabriele Lösekrug-Möller
Erika Lotz
Dieter Maaß (Herne)

Winfried Mante
Dirk Manzewski
Tobias Marhold
Lothar Mark
Ulrike Mascher




Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
24064


(C)



(D)



(A)



(B)


Christoph Matschie
Heide Mattischeck
Markus Meckel
Ulrike Mehl
Angelika Mertens
Ursula Mogg
Christoph Moosbauer
Michael Müller (Düsseldorf)

Jutta Müller (Völklingen)

Christian Müller (Zittau)

Franz Müntefering
Andrea Nahles
Volker Neumann (Bramsche)

Dr. Edith Niehuis
Dr. Rolf Niese
Dietmar Nietan
Günter Oesinghaus
Eckhard Ohl
Leyla Onur
Manfred Opel
Holger Ortel
Adolf Ostertag
Albrecht Papenroth
Dr. Martin Pfaff
Georg Pfannenstein
Johannes Pflug
Dr. Eckhart Pick
Joachim Poß
Dr. Carola Reimann
Margot von Renesse
Renate Rennebach
Bernd Reuter
Dr. Edelbert Richter
Christel Riemann-
Hanewinckel

Reinhold Robbe
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth (Heringen)

Gerhard Rübenkönig
Marlene Rupprecht
Thomas Sauer
Dr. Hansjörg Schäfer
Gudrun Schaich-Walch
Rudolf Scharping
Bernd Scheelen
Dr. Hermann Scheer
Siegfried Scheffler
Horst Schild
Otto Schily
Dieter Schloten
Horst Schmidbauer

(Nürnberg)


Ulla Schmidt (Aachen)

Silvia Schmidt (Eisleben)

Dagmar Schmidt (Meschede)

Wilhelm Schmidt (Salzgitter)

Dr. Frank Schmidt

(Weilburg)


Regina Schmidt-Zadel
Heinz Schmitt (Berg)

Carsten Schneider
Dr. Emil Schnell
Karsten Schönfeld
Fritz Schösser
Ottmar Schreiner
Gisela Schröter
Dr. Mathias Schubert
Brigitte Schulte (Hameln)

Reinhard Schultz

(Everswinkel)


Volkmar Schultz (Köln)

Ewald Schurer
Dr. Angelica Schwall-Düren
Rolf Schwanitz
Bodo Seidenthal
Erika Simm
Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk
Dr. Cornelie Sonntag-
Wolgast

Wieland Sorge
Wolfgang Spanier
Dr. Margrit Spielmann
Jörg-Otto Spiller
Dr. Ditmar Staffelt
Antje-Marie Steen
Ludwig Stiegler
Rolf Stöckel
Rita Streb-Hesse
Reinhold Strobl (Amberg)

Dr. Peter Struck
Joachim Stünker
Joachim Tappe
Jörg Tauss
Jella Teuchner
Dr. Gerald Thalheim
Franz Thönnes
Uta Titze-Stecher
Adelheid Tröscher
Hans-Eberhard Urbaniak
Rüdiger Veit
Simone Violka
Ute Vogt (Pforzheim)

Hedi Wegener
Dr. Konstanze Wegner
Wolfgang Weiermann
Reinhard Weis (Stendal)

Matthias Weisheit
Gunter Weißgerber
Gert Weisskirchen

(Wiesloch)


Dr. Ernst Ulrich von
Weizsäcker

Jochen Welt
Dr. Rainer Wend
Hildegard Wester
Lydia Westrich
Dr. Margrit Wetzel
Dr. Norbert Wieczorek
Jürgen Wieczorek (Böhlen)

Heidemarie Wieczorek-Zeul
Dieter Wiefelspütz
Heino Wiese (Hannover)

Klaus Wiesehügel
Brigitte Wimmer (Karlsruhe)

Engelbert Wistuba
Barbara Wittig
Dr. Wolfgang Wodarg
Verena Wohlleben
Hanna Wolf (München)

Waltraud Wolff

(Wolmirstedt)


Heidemarie Wright
Uta Zapf
Dr. Christoph Zöpel
Peter Zumkley
CDU/CSU
Ulrich Adam
Ilse Aigner
Dietrich Austermann

Norbert Barthle
Günter Baumann
Brigitte Baumeister
Meinrad Belle
Dr. Sabine Bergmann-Pohl
Otto Bernhardt
Renate Blank
Dr. Heribert Blens
Dr. Norbert Blüm
Antje Blumenthal
Wolfgang Bosbach
Klaus Brähmig
Dr. Ralf Brauksiepe
Paul Breuer
Hartmut Büttner

(Schönebeck)


Dankward Buwitt
Cajus Caesar
Leo Dautzenberg
Wolfgang Dehnel
Hubert Deittert
Renate Diemers
Dr. Hansjürgen Doss
Marie-Luise Dött
Maria Eichhorn
Anke Eymer (Lübeck)

Ilse Falk
Dr. Hans Georg Faust
Ulf Fink
Ingrid Fischbach

(KarlsruheLand)


Herbert Frankenhauser
Dr. Gerhard Friedrich

(Erlangen)


Dr. Hans-Peter Friedrich

(Hof)


Erich G. Fritz
Jochen-Konrad Fromme
Dr. Jürgen Gehb
Norbert Geis
Dr. Reinhard Göhner
Dr. Wolfgang Götzer
Kurt-Dieter Grill
Hermann Gröhe
Manfred Grund
Horst Günther (Duisburg)

Carl-Detlev Freiherr von
Hammerstein

Gottfried Haschke

(Großhennersdorf )


Gerda Hasselfeldt
Helmut Heiderich
Manfred Heise
Siegfried Helias
Detlef Helling
Hans Jochen Henke
Peter Hintze
Klaus Hofbauer
Martin Hohmann
Josef Hollerith
Dr. Karl-Heinz Hornhues
Siegfried Hornung
Susanne Jaffke
Georg Janovsky
Dr.-Ing. Rainer Jork
Dr. Harald Kahl
Bartholomäus Kalb
Dr.-Ing. Dietmar Kansy

Irmgard Karwatzki
Eckart von Klaeden
Ulrich Klinkert
Norbert Königshofen
Eva-Maria Kors
Hartmut Koschyk
Dr. Hermann Kues
Werner Kuhn
Dr. Norbert Lammert
Helmut Lamp
Dr. Paul Laufs
Karl-Josef Laumann
Vera Lengsfeld
Werner Lensing
Peter Letzgus
Ursula Lietz
Walter Link (Diepholz)

Dr. Manfred Lischewski
Wolfgang Lohmann

(Lüdenscheid)


Julius Louven
Dr. Michael Luther
Erich Maaß (Wilhelmshaven)

Dr. Martin Mayer

(Siegertsbrunn)


Wolfgang Meckelburg
Dr. Michael Meister
Dr. Angela Merkel
Friedrich Merz
Hans Michelbach
Meinolf Michels
Bernward Müller (Jena)

Elmar Müller (Kirchheim)

Franz Obermeier
Friedhelm Ost
Norbert Otto (Erfurt)

Dr. Peter Paziorek
Anton Pfeifer
Dr. Friedbert Pflüger
Beatrix Philipp
Ruprecht Polenz
Marlies Pretzlaff
Dr. Bernd Protzner
Thomas Rachel
Dr. Peter Ramsauer
Christa Reichard (Dresden)

Erika Reinhardt
Hans-Peter Repnik
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Franz Romer
Kurt J. Rossmanith
Dr. Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Volker Rühe
Dr. Wolfgang Schäuble
Hartmut Schauerte
Heinz Schemken
Dr. Gerhard Scheu
Bernd Schmidbauer
Christian Schmidt (Fürth)

Dr.-Ing. Joachim Schmidt

(Halsbrücke)


Andreas Schmidt (Mülheim)

Dr. Andreas Schockenhoff
Dr. Rupert Scholz
Reinhard Freiherr von
Schorlemer

Dr. Erika Schuchardt




Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms

24065


(C)



(D)



(A)



(B)


Gerhard Schulz
Clemens Schwalbe
Dr. Christian Schwarz-
Schilling

Marion Seib
Heinz Seiffert
Bernd Siebert
Werner Siemann
Bärbel Sothmann
Margarete Späte
Wolfgang Steiger
Erika Steinbach
Andreas Storm
Dorothea Störr-Ritter
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Thomas Strobl (Heilbronn)

Michael Stübgen
Dr. Rita Süssmuth
Edeltraut Töpfer
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Andrea Voßhoff
Peter Weiß (Emmendingen)

Gerald Weiß (Groß-Gerau)

Heinz Wiese (Ehingen)

Hans-Otto Wilhelm (Mainz)

Klaus-Peter Willsch
Bernd Wilz
Elke Wülfing
Wolfgang Zeitlmann
Wolfgang Zöller
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Gila Altmann (Aurich)

Volker Beck (Köln)

Angelika Beer
Matthias Berninger
Ekin Deligöz
Amke Dietert-Scheuer

Dr. Thea Dückert
Franziska Eichstädt-Bohlig
Dr. Uschi Eid
Hans-Josef Fell
Andrea Fischer (Berlin)

Joseph Fischer (Frankfurt)

Katrin Göring-Eckardt
Rita Grießhaber
Gerald Häfner
Winfried Hermann
Ulrike Höfken
Michaele Hustedt
Dr. Angelika Köster-Loßack
Dr. Helmut Lippelt
Dr. Reinhard Loske
Oswald Metzger
Winfried Nachtwei
Christa Nickels
Cem Özdemir
Simone Probst
Christine Scheel
Rezzo Schlauch
Albert Schmidt (Hitzhofen)

Werner Schulz (Leipzig)

Christian Sterzing
Dr. Antje Vollmer
Sylvia Voß
Helmut Wilhelm (Amberg)

Margareta Wolf (Frankfurt)

FDP
Hildebrecht Braun

(Augsburg)


Ernst Burgbacher
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Paul K. Friedhoff
Horst Friedrich (Bayreuth)

Rainer Funke
Dr. Wolfgang Gerhardt
Hans-Michael Goldmann

Dr. Karlheinz Guttmacher
Dr. Helmut Haussmann
Walter Hirche
Dr. Heinrich L. Kolb
Gudrun Kopp
Jürgen Koppelin
Ina Lenke
Sabine Leutheusser-
Schnarrenberger

Günther Friedrich Nolting
Hans-Joachim Otto

(Frankfurt)


Detlef Parr
Dr. Edzard Schmidt-Jortzig
Gerhard Schüßler
Dr. Irmgard Schwaetzer
Marita Sehn
Gudrun Serowiecki
Dr. Hermann Otto Solms
Dr. Max Stadler
Jürgen Türk
Dr. Guido Westerwelle

Nein
CDU/CSU
Wolfgang Börnsen

(Bönstrup)


Willy Wimmer (Neuss)

BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Monika Knoche
Hans-Christian Ströbele
PDS
Monika Balt
Wolfgang Bierstedt
Petra Bläss

Maritta Böttcher
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Heidemarie Ehlert
Dr. Heinrich Fink
Dr. Ruth Fuchs
Wolfgang Gehrcke
Dr. Klaus Grehn
Dr. Barbara Höll
Carsten Hübner
Ulla Jelpke
Sabine Jünger
Dr. Evelyn Kenzler
Rolf Kutzmutz
Heidi Lippmann
Dr. Christa Luft
Heidemarie Lüth
Pia Maier
Angela Marquardt
Manfred Müller (Berlin)

Kersten Naumann
Christine Ostrowski
Petra Pau
Dr. Uwe-Jens Rössel
Christina Schenk
Gustav-Adolf Schur
Dr. Ilja Seifert
Dr. Winfried Wolf
Fraktionslose Abgeordnete
Christa Lörcher

Enthalten
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Annelie Buntenbach
Steffi Lemke
Irmingard Schewe-Gerigk
Christian Simmert

Entschuldigt wegen Übernahme einer Verpflichtung im Rahmen ihrer Mitgliedschaft in den Parlamentarischen Versammlungen des
Europarates und der WEU, der Parlamentarischen Versammlung der NATO, der OSZE oder der IPU
Abgeordnete(r)
Lintner, Eduard Palis, Kurt Raidel, Hans Schmitz (Baesweiler), Hans Peter
CDU/CSU SPD CDU/CSU CDU/CSU

von Schmude, Michael Zierer, Benno
CDU/CSU CDU/CSU

Wir setzen die Aussprache fort. Als nächster Redner
hat der Kollege Eike Hovermann von der SPD-Fraktion
das Wort.


Eike Hovermann (SPD):
Rede ID: ID1424007400
Herr Präsident!
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Da eben
Herr Lohmann die mehr oder minder vorbereitete oder

aus dem großen Schatz der Erkenntnis gewonnene Frage
an Herrn Fink stellte, ob es seinerzeit nicht um Bauchtanz
gegangen sei


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Das war nicht die Frage! Ich habe gefragt, ob es richtig war, das aus dem Gesetz zu streichen!)


– ich versuche, es etwas zu verkürzen –,

(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Nein, zu verdrehen!)


und Herr Fink darauf antwortete, erinnere ich nur an die
wirklichen Zusammenhänge. Herr Fink, mit Sätzen wie
„Krankenkassen finanzieren Bauchtanz“ wurde ein po-
pulärer Angriff gegen die Kassen gestartet, um im Zu-
sammenhang mit dem berühmten Beitragsentlastungsge-
setz und insbesondere dem Gesetz für Arbeit und
Beschäftigung Rückenschulung, Diabetikerberatung usw.
plattzureden.


(Beifall bei der SPD)

Ich erinnere an eine Sitzung in Bonn im Jahr 1998, als Sie
noch die Regierung geführt haben, in der der Vorsitzende
des Bayerischen Heilbäderverbandes, Herr Gnan, damals
noch Mitglied der CSU, sagte, Seehofer habe mit seiner
Politik nicht nur den Kurorten, sondern insbesondere der
Rehabilitation und der Prävention geschadet.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Interessenorientierte Äußerung!)


Sie sollten sich also auch an das erinnern, was Sie in der
Vergangenheit im Hinblick auf Prävention gemacht ha-
ben. Das war ein populärer Angriff, um Geld aus der
Prävention herauszuziehen und in die Akutmedizin zu
stecken.


(Dr. Martin Pfaff [SPD]: Sehr wahr!)

Heute beklagen Sie das Ergebnis dessen, was Sie selbst

verursacht haben. Die „SZ“ hat das sehr deutlich charak-
terisiert, als sie über Herrn Seehofer schrieb:

Der CSU-Politiker kennt bestens die Fallgruben die-
ses Systems. Er hat das auch zunächst als ein solches
geortet und ist immer äußerst flexibel in seinen Mei-
nungen geblieben,

– jetzt kommt das, was ich für richtig halte –
die er gerne nach dem öffentlichen Wind ausrichtete.

Damals war es sehr populär, gegen Prävention zu spre-
chen, da Prävention seinerzeit häufig unter Bauchtanz
subsumiert wurde.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Zitieren Sie einmal, was die „Süddeutsche Zeitung“ heute über Sie schreibt!)


Das ist es aber nicht gewesen. Wenn die Pflanze damals
auch noch so zart war, so hätte sie doch gegossen werden
müssen. Das ist aber nicht gemacht worden.


(Beifall bei der SPD)

Gleichwohl gibt es zwischen uns einige Übereinstim-

mungen. Wir müssen nur sehen, ob wir diese Überein-
stimmungen später in ein gemeinsames Konzept – viel-
leicht Lüdenscheid II – gießen.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Die müssen Sie erst einmal in Ihrer eigenen Fraktion durchsetzen!)


– Jetzt lassen Sie mich erst einmal reden! Wenn Sie eine
Frage stellen wollen, dann werde ich sie auch gerne be-
antworten.

Unser Ziel muss es im Grunde sein, aus dem Reparatur-
betrieb einen Gesunderhaltungsbetrieb zu machen. In
diesem Punkt sind wir uns einig. Der überwiegende Teil der
zur Verfügung stehenden Mittel in Höhe von 270 Milliar-
den wird in der Akutmedizin verbraten. Gleich wichtig ist
aber, dass die Versicherten der Erhaltung ihrer Gesundheit
größeren Wert als bisher beimessen. Wir können es uns
nicht länger leisten, Gesundheit als ein selbstverständliches
Gut zu betrachten, über das wir erst dann nachdenken,
wenn es uns abhanden gekommen ist. Die beklagenswert
geringe Inanspruchnahme von Vorsorge- und Früherken-
nungsmaßnahmen ist eine ganz wesentliche Ursache für
viele Krankheiten. Hier wird auch der berühmte § 1 des So-
zialgesetzbuches V von Patienten und Beitragszahlern
nicht ernst genug genommen – oft zulasten der Solidarität
und damit letztlich zum eigenen Schaden.

Gerade im Hinblick auf die Behandlung von Krebs – Sie
führten dies auch an –, Diabetes und Herz-Kreislauf-Er-
krankungen könnten durch Prävention erhebliche Fort-
schritte erzielt werden. Das senkte langfristig die Behand-
lungskosten, sicherte die Produktivkraft der Beschäftigten
und trüge unter anderem dazu bei, die Lohnfortzahlung im
Krankheitsfall zu senken, das verhinderte nicht zuletzt
frühzeitige Berufs- und Erwerbsunfähigkeit und entlastete
damit auch die Rentenkassen, die ebenfalls – das haben Sie
bei diesen Bausteinen vergessen – verstärkt in präventive,
integrierte Versorgungsabläufe einzubinden sind. Aber Sie
alle kennen das besondere Verhältnis zwischen den Ren-
tenkassen und den Krankenkassen; hier ist noch viel Arbeit
zu leisten.

In all diesen Politikfeldern hat die Bundesregierung
neue Akzente gesetzt, die wir in den nächsten Jahren aus-
bauen werden. Trotzdem müssen wir heute leider feststel-
len, dass die Ausgaben der GKV für Prävention immer
noch auf 4,5 Prozent der Gesamtausgaben beschränkt sind.
Wir sind uns wohl alle einig, dass das viel zu wenig ist.

Lassen Sie mich ein Beispiel aus dem Alltag referieren:
Ein Unding in diesem Zusammenhang ist, dass sich die
Krankenkassen gegenseitig blockieren, wenn es darum
geht, Präventionsleistungen im Rahmen der betrieblichen
Gesundheitsvorsorge zu leisten. So ist es bei Maßnahmen
zur Hautkrebsvorsorge geschehen. Der Verband der Ange-
stelltenkrankenkassen hatte hier die BKK beim Bundes-
versicherungsamt mit der Folge angeschwärzt, dass diese
Präventionsleistung eingestellt worden ist. Dies nur einmal
als kleines Aperçu zum Thema „Mehr Gestaltungsräume
und mehr Wettbewerb der Kassen um mehr Qualität“.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, Sie sehen, es
gibt noch viel zu tun. Ich lade deshalb alle hier versam-
melten Fraktionen ein


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Deshalb warten wir es ab!)


– Herr Lohmann, stellen Sie doch bitte eine Frage; dann
kann ich sie gut beantworten –, gemeinsam mit uns die
Empfehlungen der Arbeitsgruppe 5 des Runden Tisches
zum Thema Prävention umzusetzen. Damit kommen wir
dem Ziel ein Stück näher, die Prävention neben der Akut-
medizin, der Rehabilitation und der Pflege zur gleichbe-
rechtigten Säule des Gesundheitssystems zu machen.

Ich darf Sie erinnern, Herr Fink: Ich kenne Ihren Vater-
schaftsanspruch, Sie hätten all das, was Prävention anbe-




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trifft, schon längst gemacht. Wenn man aber Vater eines
Kindes wird und ihm anschließend das Geld entzieht, wäre
das nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch eine Klage wert.


(Beifall bei der SPD und der PDS)

Darüber muss man sich klar werden.

Ich darf Sie an viele Aktionsbündnisse wie „Allergie-
prävention“ und „Umwelt und Gesundheit“ sowie an das
Forschungsprojekt „Gesund Altern“ – Herr Lohmann,
auch dieses Forschungsprojekt gehört dazu – bis hin zu
den hervorragenden Leistungen im Bereich der Drogen-
und Suchtprävention erinnern.

Jetzt kommen Sie, Herr Fink, drei Monate vor der Wahl
mit einem Antrag zur Prävention. Erstens stehen darin
Forderungen


(Ulf Fink [CDU/CSU]: Das ist doch eine alte Platte!)


– das ist keine alte Platte –, für deren Erfüllung Sie
16 Jahre Zeit hatten. Zweitens stellt sich natürlich die
Frage, wie Sie denn zu dieser späten Einsicht gekommen
sind und wie ernst es Ihnen diesmal ist; denn mit densel-
ben Worten – ich habe die Rede von Herrn Fink aus dem
Jahr 1994 nachgelesen – hatten Sie ursprünglich die
Prävention als Leitbild für Ihre Gesundheitspolitik defi-
niert. Das hinderte Sie allerdings nicht daran, die Präven-
tion zwei Jahre später fast völlig aus dem Leistungskata-
log des Sozialgesetzbuches V zu streichen, wie Kollege
Kirschner aus Baden-Württemberg dankenswerterweise
schon sagte. Das bedeutete damals faktisch das Aus für
Prävention als Auftrag der gesetzlichen Krankenkassen.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Das ist falsch! Der Kirschner hat eben keine Ahnung! – Klaus Kirschner [SPD]: Ich weiß es doch!)


– Ich weiß nicht, was ich von dieser transparenten Unter-
haltung untereinander halten soll. Nachher sitzt mir der
Präsident im Nacken.


(Heiterkeit bei der SPD)

Es musste erst eine neue, SPD-geführte Bundesregierung

her, um diese gesundheitspolitisch und im Grunde auch öko-
nomisch völlig unsinnige Entscheidung zu revidieren.

Fast mit Goethe sage ich: Herr Fink, Ihre Botschaft von
der Prävention hör ich wohl, allein, mir fehlt der Glaube


(Ulf Fink [CDU/CSU]: Das mit dem Glauben ist bei der SPD immer so eine Sache!)


– ich bin bei den Jesuiten aufgewachsen; ich weiß, was los
ist –, insbesondere, da Sie nun unter dem Deckmantel von
Freiheit und Selbstbestimmung versuchen, Instrumente
der privaten Krankenversicherung wie Selbstbehalte und
Beitragsrückerstattungen auf die GKV zu übertragen.

Dass dies nicht ohne weiteres möglich ist, können Sie
in einem sehr interessanten Aufsatz aus der „Ärzte Zei-
tung“ nachlesen:

Denn wenn die Jungen und Gesunden mit Beitrags-
nachlässen belohnt werden, kommt insgesamt

– so die Studie –
weniger Geld ins System.

Die Studie fährt wie folgt fort:
Für Alte und Kranke stehen solche Wahloptionen oh-
nehin nur auf dem Papier, sie blieben in den jeweils
teuersten Volltarifen.
Dies würde eine Spirale von Tarifwechseln in Gang
setzen, an deren Ende womöglich ein Einheitstarif
auf niedrigem Versorgungsniveau steht.

(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Wir lesen gerade Ihren Aufsatz über Pflichtund Wahlleistungen!)


– Fragen Sie mich ruhig dazu! Ich bin bereit, Ihre Fragen
in einem größeren Zusammenhang zu beantworten.


(Lachen bei der CDU/CSU und der FDP)

Wenn die Versicherten dann noch auf notwendige Leis-
tungen verzichten würden, nur um Selbstbehalte zu spa-
ren oder um Beitragsrückerstattungen nicht zu gefährden,
hätten wir genau das, was wir nicht wollen, nämlich eine
erneute Ausgrenzung von Prävention. Das ist im Grunde
die Zielrichtung Ihrer Politik, die alle negativen gesund-
heitlichen und ökonomischen Folgen in Kauf nimmt.

Wie sollten dagegen weitere, verantwortungsvolle
Schritte hin zu mehr Prävention aussehen? – Um das he-
rauszufinden, hat die SPD-geführte Bundesregierung
genau das getan, was die ehemalige CDU-geführte Regie-
rung – wenn ich nicht alle wichtigen Dokumente übersehen
habe – 16 Jahre lang versäumt hat. Zum ersten Mal werden
in Zusammenarbeit mit den beteiligten Akteuren im Ge-
sundheitswesen Gesundheitsziele definiert, um eine ganz
schlichte Frage beantworten zu können: Was können und
was wollen wir in welchen Bereichen überhaupt erreichen?

Erste Arbeitsergebnisse dazu liegen bereits vor. Auch
der Runde Tisch hat in seiner Sitzung am 22. April kon-
krete Handlungsempfehlungen vorgestellt, die nun umge-
setzt werden müssen. Die darin genannten Möglichkeiten
sind geeignet, um Prävention tatsächlich zu einem Leitbild
der Gesundheitspolitik werden zu lassen. Das wollen wir,
aber nicht wie Sie nur drei Monate vor der Wahl. Wir ha-
ben seit 1998 Resultate und Aktionen. Wir haben unter an-
derem dafür gesorgt, dass die Prävention als Querschnitts-
aufgabe zum Beispiel in der Ausbildung von Pflegenden
und Medizinern einen größeren Raum als bisher erhält.
Deswegen haben wir sie in der neuen ärztlichen Approba-
tionsordnung sowie im novellierten Krankenpflegegesetz
verankert. Für beides war die Bundesregierung maßgeb-
lich verantwortlich, denn auch die Prävention muss selbst-
verständlich in die Perspektive der integrierten Versorgung
nach § 140 SGB V eingebaut werden.

Wir haben nicht zuletzt dafür gesorgt, dass der Vorrang
der Prävention vor Reha und Rente im neuen SGB IX ver-
ankert wird, übrigens ein Projekt, das die CDU-geführte
Regierung nach der Verabschiedung der Ergänzung des
Art. 3 Abs. 3 des Grundgesetzes 1992 in der Schublade
verschwinden ließ, um auch hier den Vorrang der Präven-
tion nicht durchzusetzen. All dies hat die jetzige Regie-
rung nicht nur eingeleitet, sondern in großen Teilen be-
reits umgesetzt. Wir werden dies selbstverständlich nach
dem 22. September weiter ausbauen.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Das fehlte noch! Keine Drohung jetzt!)





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Zusätzlich müssen wir auch die Krankenkassenmehr
als bisher in die Pflicht nehmen, ihre Versicherten zu
einer Gesundheitsvorsorge zu bewegen, so wie es
§ 25 SGB V vorsieht. Das, was hier gegenwärtig passiert,
ist bei weitem noch nicht ausreichend, zumal die Kassen
selbst noch – oftmals ohne Not – Gelder in die Kuration
fließen lassen.

Im Zusammenhang mit der Prävention ist es sicherlich
richtig, Herr Fink, über Anreizsysteme nachzudenken, um
die Eigenverantwortung der Versicherten im System zu
stärken, zumal dies als Auftrag im berühmten § 1 SGB V
steht.


(Ulf Fink [CDU/CSU]: Gut!)

Im Gegensatz zur Union bedeutet mehr Eigenverant-

wortung für die SPD nicht, den Beitragszahlern einfach
tiefer in die Tasche zu greifen oder es allein dem Patien-
ten zu überlassen, für seine Prävention und damit für seine
Gesundheit zu sorgen.


(Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU)

– Bevor Sie lachen, lesen Sie sich einmal den Text Ihres
Antrags durch! Er folgt nämlich genau den Intentionen
von Professor Beske, was herauszunehmen ist und was
nicht. Er war der Erste, der gesagt hat: Prävention gehört
nicht zu den Pflichtleistungen der Kassen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Mehr Eigenverantwortung zuzulassen muss also in Be-
zug auf die Prävention vor allem heißen, dass wir die
Menschen erst einmal in die Lage versetzen, Verantwor-
tung für ihre Gesundheit zu übernehmen. Hierfür sind
Voraussetzungen zu schaffen, Herr Parr.


(Detlef Parr [FDP]: Dann müssen Sie ihnen wirklich mehr zutrauen! Das ist das, was wir immer fordern, nämlich dem Einzelnen mehr zuzutrauen! – Regina Schmidt-Zadel [SPD]: Mehr zuzahlen lassen! – Detlef Parr [FDP]: Nein, zutrauen!)


– Ihr macht mich völlig stumm. Ich habe einen ganzen
Katalog von Dingen vorgestellt, wo wir den Patienten
nicht nur mehr zutrauen, sondern auch abfordern. Dann
sagen Sie erneut, wir müssten den Patienten mehr abfor-
dern. Sie machen genau das Gegenteil. Sie geben ihm kein
Geld, lassen ihn allein und sagen ihm: Sieh mal zu, was
du mit der Prävention machst.


(Detlef Parr [FDP]: Das stimmt doch überhaupt nicht!)


Wir wollen einen ganzheitlichen Ansatz von Präven-
tion, wobei schrittweise die Zuständigkeiten geklärt und
eine konstruktive Zusammenarbeit mit all den Gremien,
die mit Prävention zu tun haben, ermöglicht werden
muss.

Dieser Präventionsgedanke muss dann unter anderem
auch in den Schulunterricht einfließen. Denn eine AOK-
Studie aus Stuttgart – damit schließe ich ab – stellt fest,
dass viele Schüler nicht mehr in der Lage sind, rückwärts
zu laufen. Wiewohl es nicht zu den gepflegtesten All-
tagsübungen gehört, rückwärts zu laufen, kann man daran

erkennen, ob der Bewegungsapparat noch in Ordnung ist,
Herr Zöller.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Wer rückwärts läuft, denkt auch rückwärts! Das ist das Schlimme!)


Ich komme zum Schluss, Herr Präsident. Diese Studie
hat also festgestellt, dass viele Kinder nicht mehr rück-
wärts laufen können. Außerdem nehmen durch frühzeiti-
ges Rauchen die obstruktiven Atemwegserkrankungen in
katastrophaler Weise zu. Dies sind die chronisch Kranken
von morgen, wenn wir nicht heute etwas tun. Ich möchte
Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, daher alle auffor-
dern, mit Begeisterung für unseren Antrag zu stimmen.

Herzlichen Dank fürs Zuhören.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1424007500
Das Wort
hat jetzt der Kollege Detlef Parr von der FDP-Fraktion.


Detlef Parr (FDP):
Rede ID: ID1424007600
Herr Präsident! Meine Damen und
Herren! Herr Kollege Hovermann, mit dem Rückwärts-
laufen haben Sie ein schönes Bild dessen gezeichnet, was
typisch für das ist, was sich hier seit dreieinhalb Jahren in
der Gesundheitspolitik abspielt.


(Heiterkeit und Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Ich würde mir dabei wenigstens das Tempo der Echter-
nacher Springprozession wünschen, wo man zwei Schritte
voraus und einen zurück macht. Dies ist aber ein anderes
Thema.

Prävention ist heute unser Thema. Prävention ist zu ei-
nem Zauberwort in der aktuellen gesundheitspolitischen
Diskussion geworden. Ich frage mich allerdings: zu Recht
oder zu Unrecht? Zu Recht, weil präventives Verhalten zu
einer erheblichen Steigerung der Lebensqualität führen
kann. Wer von uns verzichtet bei Geburtstagswünschen
schon gern auf den Hinweis auf gute Gesundheit? Sie ist
ein hohes Gut. Zu Unrecht, weil manche von uns vorgau-
keln wollen – das kommt auch in den heute vorliegenden
Anträgen gelegentlich zum Ausdruck –, es bedürfe nur ei-
ner nachhaltigen Präventionsstrategie und schon ließen
sich die finanziellen Engpässe beheben, in die uns die
falsche Gesundheitspolitik der letzten Jahre getrieben hat.
So einfach ist das nicht. Das Krankheitsgeschehen in der
Bevölkerung hat sich in den vergangenen Jahren deutlich
verändert. Früher dominierten die akuten Infektionskrank-
heiten; heute bestimmen Zivilisationskrankheiten wie Dia-
betes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, chronisch degenera-
tive Erkrankungen des Stütz- und Bewegungsapparates
und Suchterkrankungen das Bild. 90 Prozent der Todes-
fälle sind auf diese Erkrankungen zurückzuführen.

In der Tat wären langfristig erhebliche Einsparungen
zu erzielen, wenn es uns gelingen würde, diese Erkran-
kungen deutlich zu reduzieren. Darin sind wir uns einig.
Dieses Ziel können wir aber nur erreichen, wenn diese
Erkrankungen völlig vermieden statt nur auf einen späte-
ren Zeitpunkt verschoben werden.




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Der Schlüssel zum Erfolg liegt – darin stimme ich Ih-
nen ausdrücklich zu, Herr Kollege Hovermann – bei je-
dem Einzelnen von uns selbst. Dabei müssen wir ihm
mehr zutrauen. Es müssen positive Anreize für Verhal-
tensänderungen geschaffen werden. Gesunde Lebens-
führung – das kann ich nur unterstützen, Herr Kollege
Fink – muss sich lohnen. Es muss die Aufgabe einer Auf-
klärungs- und Motivationsstrategie sein, die Einsicht in
die Vorteile eines gesundheitsbewussten Lebensstils zu
vermitteln.

Wenn die FDP von Eigenverantwortung spricht, Frau
Kollegin Schmidt-Zadel, wird uns immer unterstellt, es
ginge um die Erhöhung der finanziellen Eigenbeteiligung.


(Regina Schmidt-Zadel [SPD]: Das ist doch so!)


Darauf reduzieren Sie das immer. In Wahrheit geht es für
uns vorrangig um die Mitbestimmung und Eigenverant-
wortung des Einzelnen für seine Gesundheit durch sein
Verhalten. Dazu gehören auch mehr Wahlfreiheiten in
dem gesetzlichen Krankenversicherungssystem.


(Beifall bei der FDP)

Die Autonomie des Einzelnen muss gestärkt werden.

Auch müssen persönliche Kompetenzen entwickelt wer-
den, um auf die eigene Gesundheit Einfluss zu nehmen.
Das muss schon in den Kindergärten beginnen und in den
Schulen gefestigt werden. Kindern können zumindest in
den ersten Lebensjahren Gewohnheiten vermittelt werden,
die dann auch in die Familien hineingetragen werden und
lebenslang ihre Bedeutung behalten können. Das bezieht
sich zum Beispiel auf die Fragen der Ernährung, der Be-
wegung und des Freizeitverhaltens. Gesundheitserziehung
heißt zunächst Bewegungserziehung.

Über den Sport- und Spielbereich hinaus müssen Ge-
sundheitserziehung und Gesundheitsförderung zu einem
integralen Bestandteil unserer Bildungseinrichtungen,
des Lebens in unseren Gemeinden und des Arbeitens in
unseren Betrieben und Unternehmen werden. Wir müssen
den Einzelnen durch eine gesundheitsfördernde Gesamt-
politik und die Schaffung gesundheitserhaltender Lebens-
bedingungen unterstützen.

Die Grundvoraussetzung dafür sind intakte und leis-
tungsfähige Kommunen. Ich beobachte – wie Sie alle hof-
fentlich auch – mit Sorge die finanzielle Not. Ich habe
gestern mit den Bürgermeistern meines Wahlkreises über
die finanziellen Probleme, die Haushaltssicherungskon-
zepte und Ähnliches gesprochen, Frau Schmidt-Zadel.
Musikschulen und Altentagesstätten werden geschlossen
und die Förderung von Sportvereinen muss eingeschränkt
werden. Angebote, die das Leben erst lebenswert machen,
werden zurückgefahren. Ich meine, dass zu einer Präven-
tionsstrategie auch gehören muss, die Finanzkraft unse-
rer Städte und Gemeinden zu stärken, damit ein Umfeld
geschaffen wird, das gesundheitsbewusstes Leben erst er-
möglicht.

Lassen Sie uns abschließend noch einen Blick auf die
gesundheitliche Vorsorge werfen. Wir haben eine An-
hörung zu der Problematik der Erfassung von Krebs-
erkrankungen durchgeführt, in der wieder einmal deutlich
geworden ist, wie wichtig Früherkennungsmaßnahmen

und Vorsorgeuntersuchungen sind. Unsere Bevölke-
rung geht mit den Risiken von Brust-, Darm- oder Prosta-
taerkrankungen, um nur einige Beispiele zu nennen, zu
leichtfertig um. Es muss uns gelingen, im Rahmen einer
umfassenden Präventionsstrategie auch dieses Verhalten
zu ändern und Anreize dafür zu schaffen, Vorsorgeunter-
suchungen rechtzeitig wahrzunehmen.

Prävention löst die großen finanziellen Probleme der
gesetzlichen Krankenversicherungen kurzfristig nicht, sie
muss aber Teil einer Gesundheitsreform sein, die Eigen-
verantwortung, Selbstbestimmung und Wettbewerb stärkt
sowie Wahlfreiheiten und Transparenz herstellt. Auf die-
sem Wege werden wir gern mitarbeiten, wenn die Anträge
im Ausschuss diskutiert werden.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1424007700
Das Wort
hat jetzt die Kollegin Katrin Göring-Eckardt vom Bünd-
nis 90/Die Grünen.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Bei so viel Einigkeit geht es möglicherweise nur noch um
die Ausführung. Manche sind eben eher und andere spä-
ter so weit.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Das ist wahr!)


Es ist jedenfalls sehr erstaunlich, Herr Lohmann. Aus dem
Antrag der Union wird ersichtlich, dass bei Ihnen Einsicht
eingekehrt ist. Ich zitiere aus Ihrem Antrag:

Eine entscheidende Voraussetzung, um die Heraus-
forderung des Gesundheitswesens im 21. Jahrhun-
dert zu bestehen, liegt in der Stärkung von Gesund-
heitsförderung und Prävention.

Das ist wohl wahr. Das ist eine Erkenntnis, die Grüne und
SPD schon während ihrer Regierungszeit nicht nur vor
sich hergetragen, sondern eben auch umgesetzt haben.
Mich verwundert deswegen, dass Sie auf diese Tatsache
erst jetzt stoßen.

Wenn man sich anschaut, wie das in anderen europä-
ischen Ländern ist und was der Sachverständigenrat dazu
gesagt hat, dann kann man nur feststellen, dass Ihr An-
trag – aller Wahlkampf in Ehren – weiß Gott eher hätte
kommen können. Auch hätten Sie im Rahmen der Ge-
sundheitsreform 2000 den Regelungen zur Prävention zu-
stimmen können. Das haben Sie nicht getan.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Das war doch ein Torso! So einer missratenen Reform kann man nicht zustimmen!)


Ebenso hätten Sie es unterlassen können – das ist hier
ebenfalls schon angesprochen worden –, die Präventions-
leistungen aus dem Leistungskatalog zu streichen.

Ich sage Ihnen jetzt, warum Sie meiner Meinung nach
Ihren Antrag vorgelegt haben. Ich habe nach der Lektüre
Ihres Antrags den Eindruck gewonnen, dass Sie erst die




Detlef Parr

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Umfrage des EMNID-Instituts gebraucht haben. Diese
machte deutlich, dass Ihre Gesundheitspolitik an den Be-
dürfnissen der Bürgerinnen und Bürger weit vorbeigeht,


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Wer regiert denn?)


weil die Versicherten wirkliche Vorsorgemaßnahmen wol-
len. Wir haben gestern über die Frage der so genannten Ei-
genverantwortung debattiert, unter der Sie Zuzahlung
verstehen. Eine DIW-Studie hat nachgewiesen, dass sol-
che zusätzlichen Zuzahlungen von den Bürgerinnen und
Bürgern nicht gewollt werden. Auch das können Sie in
Ihrem Wahlprogramm umsetzen. Jetzt ist Ihnen zunächst
einmal klar geworden, wie wichtig Prävention ist.

Sie erwähnen zu Recht, dass für Prävention zurzeit nur
4,5 Prozent der Gesamtausgaben der GKV verwendet
werden. Auch wir sind der Meinung, dass dies nicht dem
tatsächlichen Bedarf entspricht. Was Sie dabei vergessen
zu erwähnen, ist, dass in den letzten Jahren die Ausgaben
für Prävention gestiegen sind, und zwar im ersten Quar-
tal 2002 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum im Bereich
der Vorsorge- und Rehamaßnahmen um 2,7 Prozent und
bei den sozialen Diensten sogar um 6,8 Prozent. Zumin-
dest das hätte dazu gehört, wenn Sie einen solchen Antrag
schreiben.

Sie haben durchaus Recht mit Ihrer Feststellung, dass
noch nicht genügend Präventionsmaßnahmen zur Verfü-
gung stehen. Wir mussten die Präventionsmaßnahmen in
§ 20 SGBVgegen Ihren Widerstand durchsetzen. Die De-
batte um den Bauchtanz – dieser wird in den Rücken-
schulen eher den Frauen angeboten; bei den Männern sind
es die Besuche in Fitnessstudios für Bodybuilder, die si-
cherlich nicht gesundheitsfördernd sind – hat gezeigt,
welchen Stellenwert die Prävention in Ihrer Regierungs-
zeit tatsächlich hatte.

Wenn Sie in Ihrem Antrag die Ergebnisse des von Ulla
Schmidt einberufenen runden Tisches als Ihre Ideen ver-
kaufen, dann machen Sie dies bitte nicht halbherzig; Herr
Hovermann hat darauf hingewiesen. Dazu gehört, eine
Antwort auf die Frage nach der Geldquelle zu geben. Das
haben Sie nicht getan. Deswegen halte ich das insgesamt
für nicht sehr seriös.

Am Schluss möchte ich Ihnen ein weiteres Beispiel
nennen, warum insbesondere wir Grünen Ihren Antrag ab-
lehnen. Wir glauben, dass Patientinnen und Patienten
unabhängige Beratungwollen, und zwar bevor das Kind
in den Brunnen gefallen ist, also bevor ein Versicherter als
Patient zum Arzt oder zur Ärztin gehen muss. Deswegen
muss es eine unabhängige Beratung und Gesundheitstests
geben, die ähnlich wie bei der Stiftung Warentest deutlich
machen, worauf man sich bei der gesundheitlichen Ver-
sorgung verlassen kann und worauf nicht.

Falls Sie es mit der Stärkung der Prävention doch ernst
meinen, dann empfehle ich Ihnen, unserem Antrag zuzu-
stimmen. Damit wäre den Bürgerinnen und Bürgern wirk-
lich geholfen. Die Prävention sollte in der Tat auch außer-
halb der GKV sehr früh anfangen. Sie haben zum Beispiel
das Verbraucherinformationsgesetz im Bundesrat
blockiert. Auch daran sieht man, dass das Reden über Prä-
vention mit Ihren Taten offensichtlich nichts zu tun hat.

Wenn es anders wäre, dann würden Sie den Gesetzent-
würfen, die Prävention von Anfang an fördern, zustimmen.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Ulf Fink [CDU/CSU]: Das war aber sehr lustlos!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1424007800
Als letzte
Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt hat das Wort die
Kollegin Dr. Ruth Fuchs von der PDS-Fraktion.


Dr. Ruth Fuchs (PDS):
Rede ID: ID1424007900
Herr Präsident! Meine Damen
und Herren! Liebe Kollegin Göring-Eckardt, ich kann
keinem Gesetzentwurf zustimmen, an dem vielleicht drei
Zehntel gut sind, aber dessen restliche sieben Zehntel ich
nicht teilen kann. Ich denke, wir sollten uns auf die vor-
liegenden Anträge konzentrieren. Letztendlich sind in
beiden Anträgen für mich völlig neue Inhalte enthalten.
Ich wäre sehr froh, wenn wir gemeinsam dafür sorgten,
dass die in beiden Anträgen enthaltenen Forderungen in
die Praxis umgesetzt würden und damit unserem Gesund-
heitswesen und den Patienten einen Vorteil brächten.


(Beifall bei der PDS)

Beide Anträge enthalten das Ziel, der Prävention und

der Gesundheitsförderung im Gesundheitssystem einen
neuen Stellenwert zu verschaffen. Besonders hat mich ver-
wundert, dass Sie erstmals von Gesundheitszielen reden.
In den vergangenen zwölf Jahren, in denen ich Abgeord-
nete des Deutschen Bundestages bin, war es nicht möglich,
Gesundheitsziele zu definieren. Ich glaube, dass eine sol-
che Definition absolut notwendig ist. Forderungen nach ei-
ner solchen Definition sind richtig und begrüßenswert.

Auch im Hinblick auf das Bekenntnis, dass Prävention
niemals ausschließlich das Gesundheitswesen, also nur
einen einzigen Bereich, betreffen sollte, sondern eine ge-
samtgesellschaftliche Aufgabe ist, haben Sie unsere volle
Unterstützung. Notwendig ist darüber hinaus eine Har-
monisierung sämtlicher Strukturen. Dazu muss die ein-
schlägige Gesetzgebung wirklich erweitert werden.

An dieser Stelle hört mein Lob auf.

(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Das ist aber schade! Ich habe mich schon so gefreut!)


Meine Damen und Herren von Rot-Grün, die Behaup-
tung, die Bundesregierung habe zum Beispiel durch die
Novellierung von § 20 SGB V und die Einrichtung eines
runden Tisches tatsächlich entscheidende Weichenstel-
lungen in Richtung stärkerer Prävention getroffen, ist
nicht nur übertrieben, sondern auch sehr kühn.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Unverschämt ist das!)


Wäre das tatsächlich so, würden für eine nachhaltige
Prävention doch nicht, wie derzeit, nur weniger als
4,5 Prozent der gesamten Gesundheitsausgaben – diese
Feststellung enthalten beide Anträge – zur Verfügung ste-
hen. Es hat sich auf diesem Gebiet nicht viel getan. Die
Tatsachen sprechen eine deutliche Sprache. Wir müssen




Katrin Göring-Eckardt
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(A)



(B)


– das habe ich schon gesagt – für die Zukunft wirklich
eine grundlegende Neuausrichtung planen. Daran sollten
wir alle arbeiten.


(Beifall bei der PDS)

Meine Damen und Herren von der CDU/CSU, Ihr An-

trag ist ohne Frage inhaltlich gut. Über die Selbstbeteili-
gung reden wir zu einer anderen Zeit. Man muss über die
Finanzierung der Selbstbeteiligung klare, umfassende
Aussagen machen. Richtig ist auch, dass nicht nur Ver-
haltensprävention, sondern auch Verhältnisprävention
eine ganz wichtige Rolle spielen muss.


(Regina Schmidt-Zadel [SPD]: Das steht in unserem Antrag drin!)


– Ich weiß, das Ihr Antrag diese Forderung enthält. Sie
müssen es aber auch umsetzen!

Lieber Kollege Fink – ich hoffe, dass ich Ihnen mit
dem Wort „lieber“ nicht wehtue –:


(Ulf Fink [CDU/CSU]: Nein! – Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Das ist ein lieber Kerl!)


Wenn Sie in Ihrer 16-jährigen Regierungszeit nur einen
kleinen Teil Ihrer Forderungen umgesetzt hätten, dann
müssten wir alle miteinander jetzt nicht einen solchen
Rückstand in der Prävention und in der Gesundheitsför-
derung beklagen. Kollege Fink, Sie sagten, Sie bedauer-
ten es, dass nur 1 Prozent der Mittel für den öffentlichen
Gesundheitsdienst ausgegeben wird. Sie müssen sich die
Fragen gefallen lassen: Wer ist denn dafür verantwortlich,
dass der öffentliche Gesundheitsdienst in den Ländern im-
mer mehr ausgedünnt worden ist? Wer hat den – ohnehin
begrenzten – Versuch, die Gesundheitsförderung in der
GKV zu verankern, im Keim erstickt?

Kollege Fink, angesichts der Tatsache, dass Sie in der
Vergangenheit politisch so versagt haben, ist es, ehrlich
gesagt, ein bisschen unverfroren, die Behauptung aufzu-
stellen – das steht in Ihrem Antrag –, dass der CDU/CSU
die politische Urheberschaft für diesen Bereich zuzu-
schreiben ist.

Ich komme zum Schluss.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1424008000
Frau Kol-
legin Fuchs, erlauben Sie noch eine Zwischenfrage?
Eigentlich ist Ihre Redezeit abgelaufen; aber wenn Sie die
Zwischenfrage zulassen, dann lasse ich auch Ihre Antwort
darauf zu.


Dr. Ruth Fuchs (PDS):
Rede ID: ID1424008100
Gerne.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1424008200
Frau
Bergmann-Pohl, bitte.


Dr. Sabine Bergmann-Pohl (CDU):
Rede ID: ID1424008300
Frau Kol-
legin Fuchs, stimmen Sie mir darin zu, dass ich in den acht
Jahren meiner Zeit als Parlamentarische Staatssekretärin
permanent darüber Klage geführt habe, dass die Länder
den öffentlichen Gesundheitsdienst – sie sind es, die dafür
zuständig sind – einschränken?


Dr. Ruth Fuchs (PDS):
Rede ID: ID1424008400
Ich kann die Frage ganz ein-
fach beantworten – das sage ich auch achtungsvoll –: Ich
weiß, dass Sie sich als Staatssekretärin um diese Frage
sehr viel gekümmert haben. Das tun Sie auch heute als
Abgeordnete. Sie sind mit Vehemenz und Ehrlichkeit
dafür eingetreten.

Auch die Länder werden aber von politischen Parteien
regiert.


(Beifall bei der PDS)

Man muss deshalb sagen: Es gibt Zusammenhänge, die
nicht nur ich, sondern auch Sie bedauern. Ich weiß, dass
auch Ihr Einsatz für andere Einrichtungen auf Landes-
ebene ein Kampf gegen Windmühlen war.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1424008500
Kommen
Sie bitte zum Schluss.


Dr. Ruth Fuchs (PDS):
Rede ID: ID1424008600
Herr Präsident, da meine Re-
dezeit vorbei ist, möchte ich es ganz kurz machen:


(Heiterkeit bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1424008700
Sehr kurz.


Dr. Ruth Fuchs (PDS):
Rede ID: ID1424008800
Es bringt nichts, dem anderen
immer nur vorzuhalten, was er in der Vergangenheit alles
falsch gemacht hat. Die vorliegenden Anträge enthalten
sowieso nur Ansätze. Keiner der Anträge zeigt einen Weg
auf, wie man die Ziele erreichen kann. Lassen Sie uns in der
nächsten Legislaturperiode diesbezüglich etwas Vernünfti-
ges auf die Beine bringen – nicht zugunsten einer Partei,
sondern zugunsten der Versicherten und der Menschen!

Danke.

(Beifall bei der PDS)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1424008900
Ich
schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 14/9085 und 14/9224 an die in der Ta-
gesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Die
Vorlage auf Drucksache 14/9085 soll zusätzlich an den
Sportausschuss überwiesen werden. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann sind die Überwei-
sungen so beschlossen.

Bevor ich den nächsten Tagesordnungspunkt aufrufe,
möchte ich Folgendes anmerken: In der Diskussion über
den Tagesordnungspunkt 18 – zu dieser Zeit hat Frau
Vizepräsidentin Vollmer präsidiert – hat ausweislich des
Protokolls der Kollege Wilhelm Schmidt (Salzgitter)

mehrere Zwischenrufe gemacht. Darunter war folgender:

Jetzt ist aber Schluss mit dem Lügen! Sie sind ein
Lügner! Unglaublich!

Meine Damen und Herren, ich darf Sie bitten, mit Ihren
Formulierungen das Maß einzuhalten, das im Deutschen
Bundestag üblich sein sollte, und sich insbesondere dann
zurückzuhalten, wenn es um persönliche Kritik geht.




Dr. Ruth Fuchs

24071


(C)



(D)



(A)



(B)


Ich rufe den Tagesordnungspunkt 21 auf:
– Zweite und dritte Beratung des von den Abge-

ordneten Alfred Hartenbach, Joachim Stünker,
Hermann Bachmaier, weiteren Abgeordneten
und der Fraktion der SPD sowie den Abge-
ordneten Volker Beck (Köln), Hans-Christian
Ströbele, Grietje Bettin, weiteren Abgeordne-
ten und der Fraktion des BÜNDNISSES
90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs ei-
nes Gesetzes zur Einführung der vorbehal-
tenen Sicherungsverwahrung
– Drucksache 14/8586 –

(Erste Beratung 228. Sitzung)


– Zweite und dritte Beratung des von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Einführung der vorbehaltenen
Sicherungsverwahrung
– Drucksache 14/9041 –

(Erste Beratung 235. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des
Rechtsausschusses

(6. Ausschuss)

– Drucksache 14/9264 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Joachim Stünker
Dr. Jürgen Gehb
Volker Beck (Köln)

Jörg van Essen
Dr. Evelyn Kenzler

Es liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der CDU/
CSU vor.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Es gibt kei-
nen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat das
Wort der Kollege Joachim Stünker von der SPD-Fraktion.


Joachim Stünker (SPD):
Rede ID: ID1424009000
Herr Präsident! Liebe Kol-
leginnen und Kollegen! Es ist gut, dass wir heute die Neu-
regelung der Sicherungsverwahrung –man kann auch von
einer Ergänzung sprechen – für besonders gefährliche
Wiederholungsstraftäter – wir alle wissen ja, dass es sich
dabei im Wesentlichen um Sexualstraftäter handelt – in
zweiter und dritter Lesung zum Abschluss bringen. In der
Tat war der Beratungsbedarf bezüglich des vorliegenden
Gesetzentwurfs sehr groß. Ich glaube, wir haben im
Rechtsausschuss insgesamt drei Sachverständigenan-
hörungen durchgeführt. Alle Sachverständigenanhörun-
gen waren sehr gut, das heißt, wir haben immer etwas im
Hinblick auf die Regelung dieser schwierigen Problema-
tik dazugelernt. Das sehen Sie unter anderem auch daran,
dass wir sogar noch in dieser Woche eine Änderung in un-
seren Gesetzentwurf aufgenommen haben. Angesichts
der Bedeutung der Maßnahme, um die es hier geht, war es
richtig, dass wir uns Zeit genommen und sehr gründlich
diskutiert haben; denn die Anordnung der Sicherungsver-
wahrung ist eigentlich die schärfste Maßnahme, die der
Staat bei der Durchsetzung seines strafrechtlichen An-

spruchs überhaupt ergreifen kann. Diese Maßnahme ist
nämlich das eigentliche „Lebenslänglich“.

Ich hoffe, dass der Gesetzentwurf, den wir heute ver-
abschieden werden, nicht im Bundesrat scheitern und
dann in den Vermittlungsausschuss verwiesen wird. Da-
her appelliere ich schon an dieser Stelle an Sie, Herr van
Essen, und Ihre Kollegen von der FDP – ich weiß ja, dass
Sie den Gesetzentwurf mittragen wollen –, mit dafür
Sorge zu tragen, dass wir damit nicht in den Vermitt-
lungsausschuss müssen. Dort wäre er im Endeffekt nicht
besonders gut aufgehoben.

Wir haben in erster Lesung – lassen Sie mich das kurz
rekapitulieren – über zwei gegensätzliche Gesetzentwürfe
diskutiert. Die Union war die erste Fraktion, die hierzu ei-
nen Gesetzentwurf vorgelegt hat. Diesen habe ich im vo-
rigen Jahr in zwei Reden als in verfassungsrechtlicher
Hinsicht sehr problematisch bezeichnet. Diese verfas-
sungsrechtlichen Bedenken, die ich nicht alle im Einzel-
nen wiederholen möchte – ich hatte sie damals alle ge-
nannt –, haben sich in den Anhörungen bestätigt.

Heute liegt Ihnen in zweiter und dritter Lesung ein Ge-
setzentwurf der Koalitionsfraktionen vor, der auf eine Vor-
behaltslösung hinausläuft. Das heißt, das erkennende Ge-
richt muss sich bei der Beurteilung eines Straftäters mit der
Frage auseinander setzen, ob er ein gefährlicher Wiederho-
lungstäter ist, ob also zu erwarten ist, dass er nach seiner
Haftentlassung wieder vergleichbare Straftaten begeht.

Wir schaffen heute mit diesem Gesetz die Möglichkeit,
dass das Gericht genau die Regelung, dass dann Siche-
rungsverwahrung anzuordnen ist, im Urteil vorbehalten
kann. Was heißt „vorbehalten kann“? Das heißt, es wird im
Urteilstenor der Ausspruch stehen müssen: „Die Siche-
rungsverwahrung bleibt vorbehalten.“ Dann muss im Laufe
des Vollzuges, wenn sich weitere Erkenntnisse zu diesem
Straftäter, zu diesem Menschen, zu dieser Persönlichkeit
ergeben, geprüft werden, ob die Staatsanwaltschaft, die die
antragstellende Behörde ist, Anhaltspunkte dafür hat, zu sa-
gen: Jawohl, wenn wir den entlassen, geht er morgen los
und macht das Gleiche in ähnlicher Art und Weise wieder. –
Das sind die schlimmen Fälle, die wir kennen und weshalb
wir uns mit diesem Thema heute hier beschäftigen.

Für diesen Fall – und das ist das Neue in der Änderung,
die wir Ihnen vorgelegt haben – muss sich das erkennende
Gericht, also das Gericht, das diesen Straftäter verurteilt
und den Vorbehalt ausgesprochen hat, noch einmal in ei-
ner öffentlichen Hauptverhandlung mit entsprechenden
Sachverständigengutachten mit dieser Person beschäfti-
gen und muss sozusagen die endgültige Abwägung tref-
fen, ob denn nun Sicherungsverwahrung anzuordnen ist.
Das heißt, das erkennende Gericht prüft in einem zweiak-
tigen Erkenntnisprozess zunächst, ob es den Vorbehalt
ausspricht, und dann, am Ende des Vollzuges bzw. zu dem
Zeitpunkt, zu dem die Entlassung ansteht, ob er umgesetzt
werden muss.

Wir als Koalitionsfraktionen sind mit dieser Regelung,
wie wir sie jetzt gefunden haben, sehr zufrieden; denn wir
meinen, dass wir hiermit eine verfassungsrechtlich sau-
bere Lösung vorgelegt haben, die Strafprozessordnung als
Magna Charta des Beschuldigten – und das ist sie ja im-
mer noch – wirklich ernst nehmen und die Prämissen und




Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
24072


(C)



(D)



(A)



(B)


Anforderungen der Strafprozessordnung an einen fai-
ren Strafprozess erfüllen. Diese Punkte sind: mündliche
öffentliche Hauptverhandlung, die Beteiligung von Schöf-
fen, die Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme – es muss zu
diesem Punkt noch einmal die Beweisaufnahme erfolgen –
und die Möglichkeit des Einlegens von Revision gegen das
Urteil, und zwar in der ganzen Breite; der Bundesgerichts-
hof hat diese Entscheidung dann zu überprüfen. Natürlich
muss dem Angeklagten, dem Beschuldigten in der Haupt-
verhandlung ein Pflichtverteidiger bestellt werden.

Meine Damen und Herren, ich meine, das ist eine
rechtsstaatlich wirklich vorzeigbare Lösung der Proble-
matik dieser Sicherungsverwahrung. Wir wissen aus em-
pirischen Erhebungen, dass es im Jahr drei bis sechs Fälle
gibt, für die überhaupt derartige Regelungen in Betracht
kommen. Aber das sind dann eben die Fälle, die wirklich
schlimm sind und die wir aus den Medien kennen. Um
solche Vorkommnisse auszuschließen, haben wir jetzt die
entsprechenden Änderungen in der Strafprozessordnung
vorgenommen. Ich finde, das ist ein guter Weg, weil er im
Interesse des Opferschutzes liegt, zu mehr innerer Sicher-
heit führen wird und im Sinne derjenigen ist, die das Ge-
setz anzuwenden haben, nämlich Staatsanwaltschaft und
Gerichte. Denn wir bewegen uns in den bekannten Glei-
sen und von daher wird man mit dieser Regelung auch
sehr vernünftig umgehen können.

Ich meine, diejenigen, die zustimmen wollen, haben in
den Monaten der Beratung – es hat ja einige Zeit gedau-
ert – eine wirklich gute Lösung gefunden. Dafür möchte
ich mich bedanken.

Schönen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1424009100
Das Wort
hat jetzt der Kollege Dr. Jürgen Gehb von der CDU/CSU-
Fraktion.


Dr. Jürgen Gehb (CDU):
Rede ID: ID1424009200
Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Es ist nicht davon auszugehen, dass
alle Zuschauer und alle Zuhörer Rechtsexperten sind,
rechtskundig sind, den Unterschied zwischen Strafe,
Maßregel und Besserung kennen. Deswegen erlaube ich
mir, ein bisschen zur Genesis dieses Gesetzes und auch
zur Unterscheidung darzulegen.

Wer ein Verbrechen begeht, wird bestraft, wenn er eine
rechtswidrige Tat schuldhaft begangen hat. Über die Ver-
urteilung hinaus kommt eine Anordnung der Sicherungs-
verwahrung in Betracht, wenn es sich um einen Hangtäter
handelt, der gemeingefährlich ist und vor dem die Bevöl-
kerung geschützt werden muss. Nach geltendem Recht ist
diese Sicherungsverwahrung gleichzeitig mit dem Urteil
im Erkenntnisverfahren anzuordnen. Das heißt, es muss
in diesem Zeitpunkt eine Gefährlichkeitsprognose ge-
troffen werden.

Sollte der Strafgefangene im Laufe seiner Strafhaft zei-
gen, dass er nicht mehr gefährlich ist – auch das gibt es;
das sollte man ruhig einmal sagen –, weil er sich gebes-
sert hat, weil ihm die Strafe als Warnung gedient hat, weil

er, vielleicht auch aus Altersgründen oder wegen Ge-
brechlichkeit, nicht mehr als Sexualtäter in Betracht
kommt, so muss er nicht in die Sicherungsverwahrung,
obwohl sie angeordnet ist.

In dem umgekehrten Fall, dass das Gericht bei der Ver-
hängung der Strafe aus welchen Gründen auch immer – sei
es wegen eines Justizirrtums, sei es, weil es im Zeitpunkt
der Urteilsfällung die Gefährlichkeitsprognose nicht mit
hinreichender Sicherheit hat geben können – die Anord-
nung der Sicherheitsverwahrung unterlassen hat, muss es
doch möglich sein – insofern unterscheiden wir uns nicht
von den Koalitionsparteien –, dass jemand nicht mehr
freigelassen wird, also nachträglich die Sicherungsver-
wahrung angeordnet wird, wenn er sich als gefährlich für
die Allgemeinheit herausstellt.

Anträge mit diesem Ziel haben unionsgeführte Länder
seit 1998 ständig gestellt. Sie sind immer wieder an SPD
und Grünen gescheitert. Einen Entwurf mit diesem Ziel
hat auch die CDU/CSU-Bundestagsfraktion eingebracht;
die Drucksachennummer 14/6709 weiß ich noch auswen-
dig. Aber auch dieses Gesetz zur Verbesserung des
Schutzes vor Sexualverbrechen ist hier an Rot-Grün ge-
scheitert, übrigens mit der Begründung, der Bundesge-
setzgeber sei nicht zuständig, weil es sich dabei eher um
ein präventives Gesetz zur Gefahrenabwehr handele.

Deswegen haben einige Länder, unter anderem Bay-
ern, ein Gesetz zur Unterbringung hochgradig rückfallge-
fährdeter, für die Allgemeinheit gefährlicher Täter als
Landesgesetz verabschiedet. Allerdings wird damit dem
Bedürfnis nach bundeseinheitlicher Regelung insbeson-
dere auf dem Gebiet des Strafrechts nicht hinreichend
Rechnung getragen. Es ist also eine Krücke, aber immer-
hin etwas.

Nun passierte Folgendes: Der Bundeskanzler hat in ei-
ner bekannten Boulevardzeitung in seiner üblichen bei-
fallsheischenden Art und Weise gesagt: Wer sich an kleinen
Mädchen vergreift, muss weggeschlossen werden – „und
zwar für immer!“ Wenn ich das gesagt hätte, dann hätte es
wieder geheißen: Der Gehb will die Lufthoheit über den
Stammtischen erobern. Bei Bundeskanzler Schröder hat es
viel Applaus gegeben. Dann haben sich plötzlich auch die
Rechtspolitiker beider Koalitionsfraktionen – übrigens
auch nicht alle rechtskundig – dazu durchgerungen, einen
Entwurf einzubringen: die so genannte Vorbehaltslösung,
wie Herr Stünker sie genannt hat – eine Mogelpackung, ein
Etikettenschwindel, wie er schlimmer nicht geht.

Wir wollen die nachträgliche Anordnung der Siche-
rungsverwahrung schon kraft Gesetzes vorbehalten.
Warum zum Kuckuck muss eigentlich der erkennende
Richter diesen Vorbehalt noch einmal aussprechen, wenn
wir im Anschluss daran ein mit allen rechtsstaatlichen
Kautelen ausgestattetes Verfahren haben, mit staatsan-
waltschaftlicher Prüfung, Gutachtern vorne und hinten,
einem erstinstanzlichen Urteil, Revision und BGH?

In erster Lesung hatten wir gedacht, die Vorbehaltslö-
sung bleibe zwar hinter unserem Antrag zurück, sei aber
gegenüber der jetzigen Gesetzeslage ein bisschen besser.
Weit gefehlt!


(Margot von Renesse [SPD]: Am besten Todesstrafe!)





Joachim Stünker

24073


(C)



(D)



(A)



(B)


– Frau von Renesse, solch ein Beitrag von Ihnen? Seit Sie
wissen, dass Sie den Bundestag verlassen, kultivieren Sie
sich in einer unglaublichen Art und Weise. Ich habe Sie
immer geschätzt. Jetzt machen Sie solche dümmlichen
Zwischenrufe.


(Alfred Hartenbach [SPD]: Vorsicht!)

In diesen Fällen bringt Ihr Entwurf sogar eine Ver-

schlechterung gegenüber der jetzigen Rechtslage. Ich will
Ihnen das erklären.


(Joachim Stünker [SPD]: Das will ich einmal hören!)


– Ja, hören Sie gut zu, Herr Stünker!
Erstens werden alle, die jetzt einsitzen, von Ihrer Vor-

behaltslösung nicht mehr erfasst. Deswegen kann ich
nicht verstehen, wie die Frau Bundesjustizministerin ges-
tern vollmundig sagen konnte: „Wer es mit dem Schutz
von Kindern vor Sexualstraftätern ernst meint, darf das
Gesetz nicht verzögern.“ Ich möchte einmal wissen, wie
Sie den Opfern, den Hinterbliebenen oder den Angehöri-
gen erklären, wo der Schutz bleibt, wenn das Gesetz mit
der Vorbehaltslösung nicht greift. Denn Altfälle werden
nicht gelöst.

Zweitens ist es doch klar – Richter sind auch nur Men-
schen –: Wenn der Richter die Möglichkeit hat, die Si-
cherungsverwahrung direkt anzuordnen, wird er versucht
sein, die weichere Variante zu wählen. Er wähnt sich da-
mit auf der sicheren Seite, weil er, wenn er sich die Si-
cherungsverwahrung vorbehält, sehen kann, wie sich der
Delinquent in Zukunft entwickelt.


(Margot von Renesse [SPD]: Wo kommt Ihr Misstrauen gegen Richter eigentlich her?)


– Das ist kein Misstrauen, sondern das muss man so se-
hen. Sonst könnte man doch gleich die Sicherungsver-
wahrung anordnen. Der Vorbehalt macht ja nur so Sinn.

Schließlich mögen Sie, Herr Stünker, die Sicherungs-
verwahrung eigentlich gar nicht. Sie haben vorgestern in
der Sitzung des Rechtsausschusses in entwaffnender Art
und Weise gesagt: Also, unter Zurückstellung der Beden-
ken gegenüber der Notwendigkeit einer Sicherungsver-
wahrung überhaupt haben wir diese Lösung eingebracht.

Hier möchte ich im Übrigen auch noch etwas zu den
Grünen sagen: Deren einzige Sorge ist offenbar – das ha-
ben Sie, Herr Beck, auch in der Rechtsausschusssitzung
gesagt –, wie man die armen Sicherungsverwahrten bes-
ser unterbringt. Sie haben nicht den Opferschutz, sondern
immer nur den Täterschutz im Sinne. Auch das muss an
dieser Stelle einmal gesagt werden.


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist unwahr!)


Eine dritte latente Schwierigkeit ist auch ganz offen-
sichtlich – diese ist in der Konzeption der Sicherungsver-
wahrung ja geradezu angelegt –: Durch die vorverlagerte
Prüfung der Gefährlichkeitsprognose, nämlich sechs
Monate vor dem Verbüßen von zwei Dritteln der Strafe,
ist möglicherweise der empirische Datenbestand gar nicht
groß genug, um eine hinreichende Gefährlichkeitspro-

gnose zu stellen. Das hätte zur Konsequenz, dass man
dann, wenn in einem Verfahren, in dem aufgrund des Vor-
behalts von einer Anordnung der Sicherungsverwahrung
abgesehen wurde, nach wenigen Monaten schon wieder
prüfen muss, obwohl man gar nicht genügend Erkennt-
nisse darüber hat, ob der Täter sich zum Besseren gewan-
delt hat oder eine tickende Zeitbombe ist. Was passiert
also? Die Sicherungsverwahrung wird überhaupt nicht
angeordnet.

Eine weitere, sehr schwere Schwäche beinhaltet der
Gesetzentwurf von Rot-Grün: All diejenigen Täter, die
mehrmals eine Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren be-
kommen haben, aber nie mehr als drei Jahre, können trotz
erkannter Gemeingefährlichkeit nicht in Sicherungsver-
wahrung untergebracht werden. Das ist ein unmöglicher
Zustand, meine Damen und Herren.


(Jörg van Essen [FDP]: Das ist kein Problem der nachträglichen Anordnung!)


Alles in allem kann man nur sagen: Nach langem Boh-
ren und einem Machtwort des Bundeskanzlers dazu, der
Sie wiederum einmal zum Jagen getragen hat, weil Sie ge-
merkt haben, wie populär solche Forderungen sind
– „Wegschließen, und zwar für immer!“; es gab noch ein
paar andere Sprüche in dieser Richtung –, entspricht das
Gesetz, nachdem es Akademiker in die Hand bekommen
haben, plötzlich nicht mehr den Forderungen des Bun-
deskanzlers. Erst holen Sie sich den Beifall bei den Leu-
ten, die in der Frühstückspause bei einem Brot mit Ge-
hacktem und ein paar Gürkchen die „Bild“-Zeitung lesen;
aber Ihre Akademiker machen dann jeglichen guten An-
satz an der Wurzel zunichte.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zurufe von der SPD)


Deswegen kann ich dazu nur sagen: Die Vorbehaltslösung
stellt gegenüber der gegenwärtigen Rechtslage eine ein-
deutige Verschlechterung dar.


(Joachim Stünker [SPD]: Ihr überlasst also das Strafrecht der „Bild“-Zeitung?)


Ein wirklicher Schutz der Opfer vor Hangtätern, ins-
besondere vor Sexualverbrechern, kann in Zukunft nur
auf der Basis des Entwurfs, den die CDU/CSU früher ein-
mal eingebracht hat, verwirklicht werden. Da dieser aber
aufgrund des Wiederbefassungsverbotes in dieser Wahl-
periode nicht mehr eingebracht werden kann, kann er erst
wieder nach der Bundestagswahl beraten werden. Ich
gehe davon aus, dass das nach dem 22. September der Fall
sein wird.


(Joachim Stünker [SPD]: Davor schütze uns der Wähler!)


Noch eines: Die Bundesjustizministerin hat ja gestern
im Interview mit dem Deutschen Depeschen-Dienst
voller Larmoyanz gesagt, dass im Bundesrat Gesetzes-
vorhaben verschleppt werden. Ich kann dazu nur sagen:
Da wird nichts verzögert; dort liegen genügend Anträge,
die in diese Richtung zielen, vor. Gleichzeitig hat sie aber
mit keiner Silbe erwähnt, dass ein viel griffigeres Gesetz
mit den Stimmen ihrer Partei abgelehnt worden ist. Sie
muss wohl jeglichen Bezug zur Realität vollkommen ver-




Dr. Jürgen Gehb
24074


(C)



(D)



(A)



(B)


loren haben. Dass sie dieses dann auch noch mit Inbrunst
und voller Überzeugung vertritt, zeugt von einer Bera-
tungsresistenz – gestern Abend, als ich die Frau Ministe-
rin bei Maybrit Illner gesehen habe, dachte ich, dass diese
eigentlich gar nicht mehr zu überbieten sei –, die die Mi-
nisterin immer wieder aufs Neue bestätigt und dann sogar
noch toppt.

Vielen Dank, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1424009300
Als
nächster Redner hat der Kollege Volker Beck von Bünd-
nis 90/Die Grünen das Wort.


Volker Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1424009400

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Siche-
rungsverwahrung ist der schwerwiegendste Eingriff in die
Freiheitsrechte eines Menschen, den unser Strafgesetz-
buch vorsieht. Sie ist das eigentliche Lebenslänglich.
Möglich ist das Weggeschlossensein für immer und ewig.
Deshalb ist die Verhängung dieser einschneidenden Maß-
nahme nur zu rechtfertigen, wenn sie zum Schutz der Be-
völkerung vor schwerwiegenden Straftaten absolut uner-
lässlich ist. Sie ist auch nur zu rechtfertigen, wenn das
Verfahren insgesamt auf verfassungsrechtlich solider
Grundlage steht.

Beides haben wir mit diesem Gesetzentwurf sicherge-
stellt. Wir Grünen haben in den Beratungen Wert beson-
ders darauf gelegt, dass der ursprüngliche Entwurf um ei-
nige Punkte angereichert wurde, die die rechtsstaatliche
Qualität dieses Gesetzes deutlich erhöhen. Der Vorbehalt
soll durch das erkennende Gericht – da waren wir uns mit
den Kollegen in unserer Fraktion von Anfang an einig –
und nicht durch die Vollstreckungskammer verhängt wer-
den. Dies ist vorzugswürdig, weil so die Einheit des ge-
samten Verfahrens gewahrt wird. Wir meinen, dass es so
nicht zu einer inflationären Verhängung von Vorbehalten
durch die Gerichte kommen wird. Denn auch, wenn wohl
die personelle Besetzung der Kammer Jahre später nicht
mehr dieselbe sein wird: Es gibt keinen Grund, daran zu
zweifeln, dass die Richterinnen und Richter mit diesem
scharfen Schwert verantwortungsvoll umgehen werden.

Wir haben im Gesetz ebenfalls klargestellt, dass im
Vorbehaltsverfahren immer auch ein medizinischer Gut-
achter sein Votum abgeben muss. Wir haben gewährleis-
tet, dass, wenn die Sicherungsverwahrung später nicht
verhängt wird, dieser Vorbehalt auch nicht in einem
Führungszeugnis auftaucht. Welcher Arbeitgeber würde
denn eine Person einstellen, die einmal mit dem Stempel
„hochgefährlich“ belegt wurde?

Wir schließen eine Gesetzeslücke, die, wenn auch nur
in sehr wenigen Fällen, dazu führen könnte, dass Perso-
nen selbst dann aus der Strafhaft entlassen werden, wenn
nahezu sicher feststeht, dass sie danach weitere schwere
Straftaten begehen werden. Wir optimieren den Schutz
der Bevölkerung vor schweren Straftaten, insbesondere
vor schweren Sexualstraftaten. Die Menschen sind durch
Einzelfälle bewegt worden, in denen man eine weitere
Straftat vielleicht hätte verhindern können. Das muss uns

jede Mühe wert sein. Aber auch die rechtsstaatlichen Ge-
sichtspunkte müssen dabei Beachtung finden.

Wir beschränken den Anwendungsbereich auf
schwere Delikte, auf Straftaten gegen das Leben, die se-
xuelle Selbstbestimmung oder die körperliche Unver-
sehrtheit. Die Entscheidung über die Sicherungsverwah-
rung muss spätestens ein halbes Jahr vor dem Zeitpunkt
getroffen werden, zu dem über die Aussetzung des
Strafrestes zur Bewährung entschieden werden kann.

Dieser Entwurf ist unseres Erachtens der einzige Weg,
um die Gesetzeslücke in rechtsstaatlich vertretbarer
Weise zu füllen. Wären wir Ihnen, verehrte Kolleginnen
und Kollegen von der Union, wirklich gefolgt, dann hät-
ten wir mit Sicherheit Probleme in Karlsruhe bekommen.


(Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Oder nicht!)

Wer hat denn etwas von einem Gesetz, bei dem die
Rechtsfolgen später von Karlsruhe aufgehoben werden,
nicht, weil sie nicht sachgerecht wären, sondern weil die
Rechtsgrundlage verfassungswidrig ist?


(Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Hat das der Kanzler nicht gewusst?)


Deshalb haben die potenziellen Opfer mehr von einem
Gesetz, das verfassungsrechtlich Bestand hat, weil dann
auch die Sanktionen Bestand haben werden.


(Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: War das dem Juristen Schröder nicht bekannt?)


– Herr Schröder hat hier kein Modell vorgeschlagen. Er
hat eine Linie vorgegeben und das ist auch die Aufgabe
des Bundeskanzlers.


(Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Nicht nervös werden!)


Um die Details müssen sich die Fachpolitiker und die
Fachressorts kümmern und das hat das Fachressort in vor-
züglicher Art und Weise mit den Rechtspolitikern der Ko-
alition getan.

Die Sachverständigen haben in der Anhörung ganz
deutlich gemacht, dass der Weg, den Sie gehen, verfas-
sungsrechtlich in keiner Weise zu halten ist.


(Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Was?)

Viele Sachverständige haben selbst bei diesem Gesetz-
entwurf ein mulmiges Gefühl, was unter rechtsstaatlichen
Gesichtspunkten verständlich ist. Aber wir haben als Po-
litiker beides abzuwägen und zu berücksichtigen: die
rechtsstaatlichen Grundlagen und die Sicherheit der Be-
völkerung. Deshalb mussten wir diesen Weg gehen.

Herr Gehb, ich wundere mich: Ich denke, bei dieser Art
von Sanktion, die keine Strafe ist, sondern die Hinzufügung
eines Übels nach Verbüßung der Strafe, muss sich jeder
Rechtspolitiker, auch wenn das draußen vielleicht nicht po-
pulär ist, dreimal fragen, ob es am Ende wirklich die trifft,
bei denen das Ganze notwendig ist, um Sicherheit zu pro-
duzieren. Man kann damit nicht so leger umgehen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Mir ist bei solch einem Gesetz nie wohl und ich finde es
richtig, dass man sich immer fragt: Ist es gerechtfertigt?




Dr. Jürgen Gehb

24075


(C)



(D)



(A)



(B)


Ist es notwendig? Wir kommen zu dem Ergebnis: „Das ist
es“, aber wir haben das hier mit allen Kautelen erwogen.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1424009500
Herr Kol-
lege Beck, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Gehb? – Bitte schön, Herr Gehb.


Dr. Jürgen Gehb (CDU):
Rede ID: ID1424009600
Herr Beck, gibt es em-
pirische Erkenntnisse, die den Schluss zulassen, dass aus-
gerechnet in der Bundesrepublik Deutschland, in der die
Rechtsstaatlichkeit so ausgeprägt ist, dass sie für andere
beispielhaft ist, sowohl Strafgefangene als auch Personen
in Sicherungsverwahrung unmenschlich behandelt wer-
den, eingekerkert werden oder sogar einen Eisenklumpen
am Fuß haben, dass es bei uns, jedenfalls im Verhältnis zu
anderen demokratischen Staaten, also unbedingten Nach-
holbedarf gibt, während wir die Frage, ob die Bevölke-
rung zu schützen ist, eher mit spitzen Fingern oder am
besten gar nicht anfassen?


Volker Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1424009700

Herr Gehb, es stimmt einfach nicht, dass man das mit spit-
zen Fingern anfasst,


(Joachim Stünker [SPD]: Es lohnt sich nicht, darauf zu antworten! Das begreift er nicht!)


sondern man muss wirklich in Abwägung beider Problem-
stellungen – einerseits der Schutz gerade von Kindern vor
Sexualstraftaten, anderseits aber auch die Zufügung eines
Übels nur da, wo es unabdingbar ist – die Frage beantwor-
ten und zu einer ausgewogenen Entscheidung kommen.

Ich möchte Ihnen aber gern noch etwas dazu sagen, wie
Sicherungsverwahrung tatsächlich stattfindet. Es ist
natürlich nicht so, wie Sie hier bildreich darstellen, dass
die Leute mit einer Metallkugel am Fuß ihr Leben fristen
müssen. Wenn Sie sich die Strafanstalten einmal von innen
anschauen


(Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Nur als Anwalt!)


und von der Strafabteilung zur Abteilung Sicherungsver-
wahrung gehen, werden sie den Wechsel nicht bemerken,
wenn es Ihnen keiner sagt. Da sehe ich ein Problem. Der
Strafgefangene muss die Eingriffe in seine Rechte erdul-
den, weil er eine Strafe zu verbüßen hat. Das ist recht und
fair. Bei einem Sicherungsverwahrten ist die Strafe ver-
büßt; er bringt danach noch ein Opfer wegen seiner ver-
meintlichen oder tatsächlichen Gefährlichkeit für die Si-
cherheit der Bevölkerung.


(Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: „Opfer“? – Gegenruf des Abg. Alfred Hartenbach [SPD]: Das ist ein feststehender Rechtsbegriff! Wer das nicht weiß, soll sich hinsetzen! – Gegenruf des Abg. Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Ich muss stehen bleiben!)


Ich meine, Herr Gehb, dass wir an diesem Punkt wirk-
lich in eine Debatte über die Grundlagen des Vollzugs der
Sicherungsverwahrung eintreten müssen. Ich wünsche
mir, dass wir in der nächsten Wahlperiode gemeinsam mit
den Bundesländern, die hier nicht vertreten sind – viel-

leicht sagt ihnen jemand, dass es diesen Wunsch aus die-
sem Haus gibt –, zu einem Sicherungsverwahrungsvoll-
zugsgesetz kommen, das versucht, nur die notwendigen
Sicherungsmaßnahmen zu treffen, aber im Übrigen nicht
notwendige Einschnitte in die Rechte der Verwahrten
vermeidet. Ich wünsche mir diese Diskussion. Ich weiß,
das ist nicht populär; aber ich finde, wir sind uns als Poli-
tiker solche Fragestellungen schuldig.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1424009800
Das Wort
hat jetzt der Kollege Jörg van Essen von der FDP-Frak-
tion.


Jörg van Essen (FDP):
Rede ID: ID1424009900
Herr Präsident! Liebe Kolle-
ginnen und Kollegen! Das Problem der nachträglichen Si-
cherungsverwahrung beschäftigt uns tatsächlich schon
lange Zeit. Es hat bisher erheblichen Widerstand – Herr
Gehb, Sie haben zu Recht darauf hingewiesen – seitens der
rot-grünen Landesregierungen gegeben, die mit diesen
Fragen befasst waren. Es hat übrigens auch in diesem
Hause Widerstand gegeben. Ich erinnere mich noch sehr
gut daran, welche Position hier vertreten wurde, beispiels-
weise an den Hinweis, dass das Ganze im Ordnungsrecht
und nicht im Strafprozessrecht zu verankern sei.

Wir als FDP haben uns, weil wir uns dem Opferschutz
verpflichtet fühlen, immer dafür eingesetzt, hier zu einer
Regelung zu kommen. Ich muss gestehen, dass ich am
Anfang auch für eine offenere Gestaltung war, wie sie der
Änderungsantrag der CDU/CSU vorsieht. Herr Stünker,
Sie haben zu Recht auf mehrere Sachverständigenan-
hörungen hingewiesen. Ich bin nach diesen Sachverstän-
digenanhörungen nachdenklich geworden und war nicht
mehr sicher, ob das alles tatsächlich mit der Verfassung zu
vereinbaren ist.

Für diejenigen, die keine Rechtsspezialisten sind, ganz
kurz der Hinweis: Es gibt den Grundsatz, dass man wegen
einer Straftat nicht zweimal bestraft werden kann. Natür-
lich ist Sicherungsverwahrung keine Strafe; aber – auch
das ist in der Debatte zu Recht schon gesagt worden – Si-
cherungsverwahrung ist das wahre Lebenslänglich, weil
beim „richtigen“ Lebenslänglich nach 15 Jahren geprüft
wird, ob eine weitere Vollstreckung notwendig ist oder
nicht. Bei der Sicherungsverwahrung findet in aller Regel
ein sehr viel längerer und intensiverer Vollzug statt. Ich
habe einen Fall erlebt, in dem diese Sicherungsverwah-
rung mehr als 40 Jahre gedauert hat. Das macht deutlich,
dass deshalb besondere Anforderungen an eine Regelung
zu stellen sind. – Das ist der eine Gesichtspunkt, den man
zu berücksichtigen hat.

Auf der anderen Seite haben uns die Sachverständigen
in der Anhörung deutlich gemacht – auch das ist in dieser
Debatte zu Recht angesprochen worden –, dass es tatsäch-
lich Fälle gibt, bei denen sich erst im Vollzug herausstellt,
dass jemand gefährlich ist. Wir haben gegenüber der Be-
völkerung bzw. gegenüber uns allen die Verantwortung,
dass diese Täter nicht erneut schwerste Straftaten begehen
können.




Volker Beck (Köln)

24076


(C)



(D)



(A)



(B)


Ich glaube, dass das, was jetzt eingebracht worden ist,
ein verfassungsfester Mittelweg ist. Die nachträgliche Si-
cherungsverwahrung – Herr Gehb, da bin ich anderer Mei-
nung als Sie – wird nach meiner Auffassung nicht dazu
führen, dass sich Gerichte vor der Verantwortung drücken


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Das war ja auch nicht mein Haupteinwand!)


oder dass sie etwa weniger oft eine Sicherungsverwah-
rung verhängen. Das geschieht schon deshalb nicht, weil
sie so ausgestaltet ist, dass eine spätere Entscheidung das
Gericht natürlich belastet. Es muss neu in die Sache ein-
gestiegen und es muss verhandelt werden. Deshalb wird
derjenige, der sich Arbeit vom Hals schaffen will – ich
glaube nicht, dass das bei Richtern der Fall ist; aber un-
terstellen wir einmal, dass diese theoretische Möglichkeit
besteht –, gleich mitentscheiden.

Im Übrigen habe ich das Gefühl, dass man eher häufi-
ger entscheiden wird, sich die Sicherungsverwahrung
vorzubehalten, wenn Anzeichen für deren Notwendigkeit
vorhanden sind. Das ist genau das Ergebnis, das wir wol-
len. Durch das jetzt vorgesehene Verfahren wollen wir si-
cherstellen, dass in den Fällen, in denen es Anzeichen gibt
– auch wenn es nur geringfügige sind –, hinterher Klarheit
geschaffen werden kann.


(Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Kann man doch auch jetzt!)


Von daher ist es kein Rückschritt, sondern ein Fortschritt,
den wir hiermit erzielen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Eine Frage, bei deren Beantwortung ich durchaus an-
derer Auffassung bin als zu Beginn der Debatte, lautet:
Wer soll die Sicherungsverwahrung anordnen? Zwei
Möglichkeiten bestehen: zum einen die Strafvoll-
streckungskammer oder zum anderen das Gericht, das ur-
sprünglich über die Tathandlung geurteilt hat. Auch da hat
uns die Anhörung gezeigt, dass es viele Gründe dafür gibt,
dem erkennenden Gericht die Zuständigkeit dafür zuzu-
weisen.

Wir haben im Übrigen auf dem FDP-Bundesparteitag
in Mannheim außerordentlich sorgfältig über die Rege-
lungen diskutiert und sind zu dem Beschluss gekommen,
dass das erkennende Gericht diese Entscheidung treffen
soll. Das Ergebnis ist damit: Die FDP-Bundestagsfraktion
wird heute diesem wichtigen Schritt, mehr Opferschutz zu
erreichen, zustimmen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1424010000
Zu einer
Kurzintervention erteile ich Ihnen, Herr Kollege
Hartenbach, das Wort.


Alfred Hartenbach (SPD):
Rede ID: ID1424010100
Im Namen der SPD-Frak-
tion möchte ich Herrn van Essen, der als Praktiker für

Praktiker gesprochen und den Nagel auf den Kopf getrof-
fen hat, herzlich danken.


(Beifall des Abg. Jürgen Koppelin [FDP])



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1424010200
Möchte
jemand entgegnen? – Nein.

Dann erteile ich der Kollegin Evelyn Kenzler von der
PDS-Fraktion das Wort.


Dr. Evelyn Kenzler (PDS):
Rede ID: ID1424010300
Herr Präsident! Liebe Kol-
leginnen und Kollegen! Ich habe selten erlebt, dass sich die
Regierungskoalition bei einer ihrer Gesetzesinitiativen so
gequält hat wie bei dem heute zu debattierenden Gesetz-
entwurf.


(Alfred Hartenbach [SPD]: So ist das manchmal im Leben, Frau Dr. Kenzler! – Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Aber sie haben ja die Qual bald los!)


Nicht nur die Vertreter des Bündnisses 90/Die Grünen
mussten sich wenden. Nein, auch die Kollegen der SPD
haben sich aus guten Gründen schwer getan. Doch ein
Kanzlerwort verpflichtet eben. So war die Quadratur des
Kreises angesagt: nachträgliche Sicherungsverwahrung,
aber bitte rechtsstaatlich.


(Alfred Hartenbach [SPD]: Das haben wir doch geschafft, Frau Dr. Kenzler, oder?)


– Wenn Sie das meinen.
Natürlich ist auch meiner Fraktion der Schutz der Bür-

gerinnen und Bürger und insbesondere der der Kinder vor
gefährlichen Gewaltverbrechern außerordentlich wichtig.
Aber dabei dürfen der Schutz der Persönlichkeitsrechte
und das Verfahren nicht auf der Strecke bleiben.


(Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Tun sie auch nicht!)


Diese schwierige Balance ist von uns ohne externen
Sachverstand kaum zu leisten.

Deshalb habe ich mit großem Interesse die Experten-
anhörung verfolgt. Das Votum gegen die vorbehaltene Si-
cherungsverwahrung hat mich dann allerdings in seiner
Eindeutigkeit überrascht. Viele meiner grundsätzlichen Be-
denken aus der ersten Lesung wurden bestätigt. So lehnte
Herr Pollähne vom Bremer Institut für Kriminalpolitik den
Gesetzentwurf aus verfassungsrechtlichen und rechtspoli-
tischen Gründen ab. Die in der Verfassung begründete Un-
schuldsvermutung „in dubio pro reo“ werde unterlaufen,
wenn künftig „im Zweifel“ der Vorbehalt einer Siche-
rungsverwahrung angeordnet werde. Außerdem habe die
Sicherungsverwahrung erhebliche Nebenwirkungen auf
den Strafvollzug, da die Betroffenen von Freigang, Außen-
beschäftigung und Ausgang ausgeschlossen würden.

Ebenso gravierende Einwände hatte Herr Kinzig vom
Max-Planck-Institut. So könne das Gesetzesvorhaben ge-
gen das Rückwirkungsverbot sowie das Verbot der Dop-
pelbestrafung verstoßen.

Als sehr fragwürdig stufte auch Herr Professor Egg
von der Kriminologischen Zentralstelle eine Gefährlich-
keitsprognose ein, die zu einer deutlich ungünstigeren




Jörg van Essen

24077


(C)



(D)



(A)



(B)


Bewertung des Straftäters komme und damit für eine
nachträgliche Sicherungsverwahrung ausreichend sei.

Auch die von der CDU/CSU benannten Experten wa-
ren gegen diese Gesetzesinitiative. Sie waren das aller-
dings deshalb, weil ihnen die Regelung nicht weit genug
geht – Herr Gehb hat das hier ausgeführt – und sie eine
nachträgliche Sicherungsverwahrung ohne Einschrän-
kung wollen.

Die Anhörung brachte also eine eindeutige Ablehnung
des Gesetzentwurfs.


(Jörg van Essen [FDP]: Oh nein, wirklich nicht!)


Den einen gehen die Regelungen nicht weit genug, den
anderen gehen sie viel zu weit. Summa summarum lässt
das doch wohl nur einen Schluss zu: den Gesetzentwurf
nicht zu verabschieden. Wozu brauchen wir denn sonst
Expertenanhörungen?


(Joachim Stünker [SPD]: Was machen wir dann?)


– Weiter diskutieren und darüber nachdenken, welche Al-
ternativen es zur Sicherungsverwahrung gibt.


(Joachim Stünker [SPD]: Machen Sie einen Vorschlag! – Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Und was erzählen Sie den Leuten draußen?)


Die Nachbesserungen im Gesetzentwurf mögen eine
sauberere Lösung für die StPO sein, wie Sie, Herr Kollege
Stünker, es im Rechtsausschuss ausgeführt haben, doch
sie sind in der Sache selbst keine bessere Lösung. Eine ab-
solute Sicherheit vor gefährlichen Straftätern gibt es lei-
der nicht, auch dann nicht, wenn dieser Gesetzentwurf
geltendes Recht werden sollte. Wir sollten die Bevölke-
rung darauf hinweisen und ihr kein falsches Sicherheits-
gefühl vorgaukeln.

Im Rahmen dieser Relativität von Sicherheit gibt es
selbstverständlich auch Alternativen zur Sicherungsver-
wahrung, die rechtsstaatlich unproblematischer sind und
mit Persönlichkeitsrechten vorsichtiger umgehen. Für mich
ist und bleibt die nachträgliche Sicherungsverwahrung des-
halb, ob mit oder ohne Vorbehalt, nicht akzeptabel.


(Beifall bei der PDS)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1424010400
Für die
Bundesregierung spricht jetzt der Parlamentarische
Staatssekretär Dr. Pick.

D
Prof. Dr. Eckhart Pick (SPD):
Rede ID: ID1424010500
Herr Präsident! Meine Damen und
Herren! Erlauben Sie mir eine Vorbemerkung. Es ist ein
Lob für die Gremien dieses Hauses, wenn festgestellt
wird, dass man durch Anhörungen und die Erfahrungen
anderer klüger geworden ist.


(Beifall bei der SPD)

Das ist nicht die Regel, egal wer die Regierung stellt. In-
sofern stimmt das, was Herr van Essen gesagt hat. Die un-
terschiedlichen Auffassungen, übrigens auch die Diskus-
sion mit dem Bundesrat, Herr Gehb, haben uns in der Tat

zu einer Lösung gebracht, die wir unter allen Gesichts-
punkten für die beste halten.

Ich fand es aber nicht sehr glücklich, Herr Gehb, dass Sie
Kollegen aus dem Rechtsausschuss zitiert oder so getan ha-
ben, als zitierten Sie sie. Zumindest war das mein Eindruck.
Ich denke aber, dass es in einem nicht öffentlichen Gre-
mium möglich sein muss, etwas zu sagen, was man hinter-
her in der Debatte etwas anders formulieren würde.


(Beifall bei der SPD)

Ich hatte zumindest den Eindruck, dass Sie den Kollegen
Stünker zitiert haben.

Meine Damen und Herren, wenn wir heute über die
vorbehaltene Sicherungsverwahrung diskutieren, haben
wir aufwühlende Berichte von Sexualverbrechen, vor al-
lem an Kindern, vor Augen. Gemeinsam tragen wir die
Verantwortung dafür, unsere Kinder so gut wie möglich
zu schützen, damit ihr Leben nicht auf eine brutale Weise
zerstört wird. Hier sind sicherlich Vorbeugung und Be-
handlung der Täter gefragt; aber das ist ganz gewiss nicht
alles. Selbstverständlich muss es möglich sein, die Ge-
sellschaft vor anhaltend gefährlichen Straftätern zu schüt-
zen, und zwar, wenn nötig, für immer.

Die Gerichte haben heute schon eine Reihe von Mög-
lichkeiten, solche Taten streng zu bestrafen und dafür zu
sorgen, dass die Täter – wenn nötig – in Sicherungsver-
wahrung gelangen, also ihre entsetzlichen Taten nicht
wiederholen können.

Der Gesetzentwurf, der Ihnen jetzt vorliegt, verbessert
über die bestehenden Regelungen hinaus den Schutz der
Bevölkerung vor besonders gefährlichen Straftätern, vor
Gewalt- und Sexualverbrechen, vor allem an Kindern.
Der Gesetzentwurf wird eine mögliche Regelungslücke
– da die Bundesministerin der Justiz schon mehrfach an-
gesprochen wurde, darf ich in Klammern hinzufügen,
dass sie schon Mitte der 90er-Jahre in schriftlicher Form
auf diese Regelungslücke hingewiesen hat – für die Fälle
schließen, in denen hochgefährliche Straftäter entlassen
werden könnten, deren Gefährlichkeit zum Zeitpunkt des
Urteils noch nicht sicher festgestellt werden konnte,


(Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Hic Rhodus, hic salta!)


deren Gefährlichkeit aber bei der Entlassung feststeht.
Wir wollen den Gerichten die Möglichkeit geben, in

Zweifelsfällen abzuwarten, welche Erfahrungen man im
Strafvollzug mit dem Täter macht, damit sie dann in
Zweifelsfällen zutreffende Prognosen stellen können. In-
sofern, Herr Gehb, ist es natürlich eine andere Regelung,
als die, die wir bisher haben. In Fällen, in denen sich die
Gerichte heute mit der Frage schwertun, Sicherungsver-
wahrung zu beschließen oder nicht, können sie eine Vor-
behaltslösung finden. Ich denke, dass die Gerichte von
dieser zusätzlichen Möglichkeit verantwortungsvoll Ge-
brauch machen werden.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Der Entwurf sieht vor, dass das erkennende Gericht
in seinem Urteil die Unterbringung in der Sicherungsver-




Dr. Evelyn Kenzler
24078


(C)



(D)



(A)



(B)


wahrung vorbehalten kann und die endgültige Anordnung
später erfolgt, wenn nach Teilverbüßung der Strafe die
Gefährlichkeit des Verurteilten feststeht. Diese Regelung
ermöglicht es, bei der Gefährlichkeitsprognose nicht al-
lein die Umstände der Tat und ihre Vorgeschichte, sondern
auch die Erkenntnisse und Erfahrungen aus dem Straf-
vollzug Eingang finden zu lassen. Die neue Möglichkeit
gibt den Gerichten gerade bei schwersten Straftaten mehr
Beurteilungssicherheit in den Fällen, in denen die Grund-
lage für eine Kriminalprognose bisher nicht ausreichte, in
denen also das Gericht bisher zu wenig sicher vorhersa-
gen konnte, ob der Straftäter auch weiterhin eine Gefahr
für die Bevölkerung darstellt.

Dieses Vorbehaltsmodell hat – dies ist bereits gesagt
worden – gegenüber der nachträglichen Sicherungsver-
wahrung entscheidende Vorteile und unterliegt im Gegen-
satz zur nachträglichen Sicherungsverwahrung auch kei-
nen rechtsstaatlichen Bedenken. Insbesondere hat der
Bundesgesetzgeber lediglich für die vorbehaltene, nicht
aber für die nachträgliche Sicherungsverwahrung Gesetz-
gebungskompetenzen. Es ist nach wie vor die Auffassung
der Bundesregierung, dass Prävention Sache der Länder
ist und typisches Gefilde des Polizeirechts. Auf diesem
Gebiet hat der Bund – selbst wenn er dies wollte – keine
Gesetzgebungskompetenz.


(Beifall des Abg. Alfred Hartenbach [SPD])

Die Regelungskompetenz des Bundes folgt aus dem Titel
„Strafrecht“, während für die isoliert angeordnete
nachträgliche Sicherungsverwahrung die Gesetzgebungs-
kompetenz bei den Ländern liegt.

Die Vorbehaltslösung hat auch den Vorteil, dass die
spätere Anordnung der Sicherungsverwahrung nicht die
Rechtskraft des Urteils durchbricht und nicht die Gefahr
besteht, dass die neue Regelung zur Korrektur des Urteils
benutzt wird.

Wir haben uns hinsichtlich der vorbehaltenen Siche-
rungsverwahrung für ein zweiaktiges Verfahren entschie-
den; das hat Herr Stünker bereits ausgeführt. Wir behalten
dem erkennenden Gericht die Entscheidung über die end-
gültige Sicherungsverwahrung, ja oder nein, vor. Ich
denke, dass das eine rechtsstaatlich einwandfreie Lösung
ist. Hinsichtlich des erkennenden Gerichts haben wir uns
davon überzeugen lassen, dass das die angemessenere Lö-
sung ist. Die Möglichkeit der einheitlichen Rechtspre-
chung wird hier befördert und es bestehen die gleichen
verfahrensrechtlichen Rechte zugunsten des Verurteilten.
Es handelt sich also insgesamt um eine zweckmäßige und
rechtsstaatliche Lösung.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1424010600
Ich
schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung, und zwar zunächst über
den von den Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/
Die Grünen eingebrachten Gesetzentwurf zur Einführung
der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung, Drucksa-

che 14/8586. Der Rechtsausschuss empfiehlt unter Buch-
stabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-
che 14/9264, den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung
anzunehmen. Dazu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion
der CDU/CSU auf Drucksache 14/9298 vor, über den wir
zuerst abstimmen. Wer stimmt für diesen Änderungsan-
trag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Än-
derungsantrag ist bei Zustimmung der CDU/CSU-Frak-
tion mit den Stimmen des Hauses im Übrigen abgelehnt.

Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der
Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzei-
chen. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetz-
entwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen
der Koalitionsfraktionen mit Ausnahme einer Stimme aus
der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen, die dagegen
war, und der FDP-Fraktion bei Gegenstimmen von
CDU/CSU und PDS angenommen.

Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Ge-
genstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist
mit gleichem Stimmenverhältnis angenommen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Abstimmung über die Beschlussempfehlung des

Rechtsausschusses auf Drucksache 14/9264 zu dem von
der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur
Einführung der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung.
Der Rechtsausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner
Beschlussempfehlung, den Gesetzentwurf auf Drucksa-
che 14/9041 für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Die Beschlussempfehlung ist bei Enthaltung
der FDP-Fraktion mit den Stimmen des Hauses im Übri-
gen angenommen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 22 a und b auf:
22. a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-

richts des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Woh-
nungswesen (15. Ausschuss)

– zu dem Antrag der Abgeordneten Annette

Faße, Reinhard Weis (Stendal), Hermann
Bachmaier, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten
Albert Schmidt (Hitzhofen), Helmut Wilhelm

(Amberg), Ekin Deligöz, weiterer Abgeordne-

ter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/
DIE GRÜNEN
Für einen sanften Ausbau der Donau zwi-
schen Straubing und Vilshofen

– zu dem Antrag der Abgeordneten Renate
Blank, Dirk Fischer (Hamburg), Eduard
Oswald, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion der CDU/CSU
Verbesserung der Schifffahrtsverhältnisse
im Donauabschnitt zwischen Straubing
und Vilshofen

– zu dem Antrag der Abgeordneten Hans-
Michael Goldmann, Horst Friedrich (Bayreuth),




Parl. Staatssekretär Dr. Eckhart Pick

24079


(C)



(D)



(A)



(B)


Dr. Karlheinz Guttmacher, weiterer Abgeord-
neter und der Fraktion der FDP
Ausbau der Donau zwischen Straubing und
Vilshofen

– zu dem Antrag der Abgeordneten Eva Bulling-
Schröter, Dr. Winfried Wolf, Uwe Hiksch und
der Fraktion der PDS
Ausbau der Donau zwischen Straubing und
Vilshofen ökologisch gestalten

– Drucksachen 14/8589, 14/8484, 14/8497, 14/7196,
14/9251 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Annette Faße
Hans-Michael Goldmann

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Verkehr, Bau- und
Wohnungswesen (15. Ausschuss) zu dem Antrag
der Abgeordneten Dr. Michael Meister, Dirk
Fischer (Hamburg), Eduard Oswald, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion der CDU/CSU
Notwendigkeit des Saaleausbaus
– Drucksachen 14/8485, 14/9247 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Annette Faße

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Als erste Rednerin spricht
für die Bundesregierung die Parlamentarische Staatsse-
kretärin Angelika Mertens.

A
Angelika Mertens (SPD):
Rede ID: ID1424010700
Herr
Präsident! Meine Damen und Herren! Am 17. Oktober
1996 erklärten der damalige Verkehrsminister Wissmann
und der derzeitige Kanzlerkandidat von CDU und CSU,
Stoiber, zum geplanten Donauausbau:

Bund und Bayern vereinbaren daher in Abwägung
der finanzpolitischen Situation der öffentlichen
Hand, der verkehrswirtschaftlichen Situation und
ökologischen Ziele einen Ausbau in zwei Schritten:
Zunächst werden in den Jahren 1998 und 1999 Opti-
mierungsmaßnahmen mit einem Investitionsvolu-
men von 24 Millionen DM durchgeführt, die bereits
eine beachtliche Transportkostensenkung erreichen.
... Die Entscheidung über die Art des zweiten Aus-
bauschrittes soll im Jahre 2000 unter Berücksichti-
gung der weiteren verkehrlichen Entwicklung auf
der Donau erfolgen.

Die „Süddeutsche Zeitung“ stellte gestern treffend
fest:

Und ein Verkehrsminister der CDU, Matthias
Wissmann, war es, der in der vorhergehenden Legis-
laturperiode alle Ausbaupläne auf Eis legte. Einziger
Grund: Geldmangel.

Sie wollen heute die Maximallösung mit drei Staustu-
fen, für die fast 800 Millionen Euro veranschlagt werden
müssen. Ich erinnere nur daran, dass sich der Bayerische
Rechnungshof wegen dieser Summen schon einmal kri-
tisch über allzu große Pläne geäußert hat.


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: So ist es!)


Immerhin wurde 1996 ein umfangreiches Untersu-
chungsprogramm auf den Weg gebracht, durch das ins-
besondere dargestellt werden sollte, welche Ergebnisse
sich mit flussregelnden Varianten erzielen lassen. Wie wir
alle wissen, sind diese Untersuchungen abgeschlossen
und von uns intensiv fachlich und juristisch geprüft wor-
den. Nach Abschluss dieser Prüfung ist der Bund davon
überzeugt, dass es richtig ist, ausschließlich die Ausbau-
variante A in ein Raumordnungsverfahren zu bringen.

Die vertieften Untersuchungen zeigen, dass nur die
sensible Variante Awesentliche Verbesserungen in einem
angemessenen Zeitraum ermöglicht. Hier gilt sicherlich
ein Satz, der von allen verstanden wird: Zeit ist Geld.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Vor dem Hintergrund der deutlich veränderten europä-
ischen Rechtslage im Umweltschutz würde die Forderung
nach Staustufen möglicherweise jahrelange Verzögerun-
gen bedeuten. Die Nachteile einer Staustufenlösung lie-
gen auf der Hand: erhebliche Umweltnachteile, wesent-
lich höhere Ausbaukosten und die beschriebenen
rechtlichen Risiken, die einem zügigen Ausbau entgegen-
stehen.

Die Kosten für die Ausbauvariante A liegen bei etwa
125 Millionen Euro zuzüglich der Kosten für den Hoch-
wasserschutz in Höhe von knapp 300Millionen Euro. Da-
mit ist diese Variante günstiger als alle anderen. Sie hat
obendrein das beste Nutzen-Kosten-Verhältnis; das heißt,
sie ist auch volkswirtschaftlich besonders sinnvoll.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Naturschutz und Verbesserungen für die Binnenschiff-
fahrt stehen also nicht im Widerspruch zueinander, son-
dern ergänzen sich. Eine Blockade der Bayerischen
Staatsregierung wäre also zum Schaden für die Binnen-
schifffahrt, aber auch für Mensch und Natur. Ich hoffe da-
her, dass sich auch Bayern zum Wohle des Vorhabens ein-
bringt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Der Schifffahrt ist mit einer schnelleren und durchsetz-
baren Lösung wesentlich mehr gedient. Bayern sollte des-
halb nicht aus Wahlkampftaktik Verbesserungen für die
Schifffahrt blockieren.

Unser Ziel ist es jetzt, das Raumordnungsverfahren
für die Variante Amöglichst schnell einzuleiten, denn nur
das bringt die notwendigen Verbesserungen für die Schiff-
fahrt. Die Bayerische Staatsregierung kann uns nicht
zwingen, auch die Staustufenvarianten untersuchen zu
lassen. Allerdings kann sie ein Raumordnungsverfahren




Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
24080


(C)



(D)



(A)



(B)


zur Variante A blockieren. Das würde einen erheblichen
Schaden für die Binnenschifffahrt bedeuten.


(Lachen bei der CDU/CSU und der FDP)

Ich hoffe deshalb auf Einsicht und Vernunft in München.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Es ist unumstritten, dass der Ausbau der Donau zwi-
schen Straubing und Vilshofen notwendig ist.


(Renate Blank [CDU/CSU]: Das ist aber etwas Neues!)


Diese Strecke stellt einen qualitativen und quantitativen
Engpass im nationalen und internationalen Verkehrsnetz
dar.


(Renate Blank [CDU/CSU]: Das sieht der Kollege Schmidt allerdings anders!)


Der Donausaubau ist eine verkehrspolitische Voraus-
setzung für eine konkurrenzfähige Binnenschifffahrt. Ich
gehe deshalb davon aus, dass der Deutsche Bundes-
tag heute die Bundesregierung beauftragt, nunmehr das
Raumordnungsverfahren und weitere Planungen für den
Ausbau der Donau zwischen Straubing und Vilshofen ein-
zuleiten und dabei ausschließlich die Ausbauvariante A,
also flussregelnde Maßnahmen, zugrunde zu legen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Um die planungsrechtlichen Voraussetzungen für den
Ausbau der Donau zu schaffen, wird das Bayerische
Staatsministerium für Wirtschaft, Verkehr und Technolo-
gie zeitnah darüber unterrichtet werden, dass die Wasser-
und Schifffahrtsverwaltung des Bundes bei der zuständi-
gen Landesplanungsbehörde einen Antrag auf Einleitung
eines Raumordnungsverfahrens stellt.


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Sehr gut!)


Der von den Koalitionsfraktionen vorgeschlagene Be-
schluss für den Ausbau ohne Staustufen eröffnet ein
neues Kapitel in der Geschichte der Donau. Ich bin sicher,
dass damit ein zukunftsweisender Kompromiss gefunden
wird, der sowohl die deutschen und europäischen Interes-
sen an einem Lückenschluss als auch die wirtschaftlichen
und ökologischen Belange der Region berücksichtigen
wird.

Der Bayerischen Staatsregierung empfehle ich in
diesem Zusammenhang die Lektüre der „Süddeutschen
Zeitung“ vom 6. Juni. Darin heißt es:

Eine realistische Annahme geht dahin, dass es ent-
weder einen sanften Ausbau ohne Staustufen oder
– jedenfalls für lange Zeit – gar keinen Ausbau geben
wird.

(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: So ist es!)

Bayerns Regierung muss es sich gut überlegen, ob
sie juristisch gegen die Entscheidung des Bundes-
tages ... vorgehen soll. Die Sache wird bis zur letzten

Instanz ausgefochten werden und für die Schifffahrt
auf der Donau wäre in all diesen Jahren nichts ge-
wonnen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Lachen des Abg. HansMichael Goldmann [FDP] – Zuruf von der CDU/CSU: Da muss selbst die Frau Staatssekretärin lachen!)

... Ob es hingegen ein Erfolgskonzept ist, mit der
Forderung nach Staustufen in den Bundestagswahl-
kampf zu ziehen, das ist sehr zweifelhaft. Gut mög-
lich, dass der Unionskandidat Edmund Stoiber dieses
Risiko dann doch lieber nicht eingeht.

Dem ist nichts hinzuzufügen.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1424010800
Das Wort
hat jetzt die Kollegin Renate Blank von der CDU/CSU-
Fraktion.


Renate Blank (CSU):
Rede ID: ID1424010900
Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Frau Staatssekretärin, die Binnen-
schifffahrt sieht Ihre Aussage allerdings etwas anders;


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Etwas?)

denn aus unserer Sicht wird der Verkehrsminister – er
hat gut daran getan, nicht da zu sein – heute wieder ein-
mal von der Regierungskoalition brüskiert und bloßge-
stellt.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Horst Kubatschka [SPD]: Das glauben nur Sie!)


Noch im letzten Oktober hat er, nachdem alle Gutachten
vorgelegt worden waren, in Aussicht gestellt, in das
Raumordnungsverfahren zum Ausbau der Donau zwi-
schen Straubing und Vilshofen drei mögliche Ausbau-
varianten einzubeziehen. Nun muss er eine verkehrspoli-
tische Wende vollziehen.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Eine grüne Kröte muss er schlucken!)


Diese Kehrtwende macht er in erster Linie auf Druck der
Grünen,


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Na klar! – Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Sie kennen sich aber aus!)


die sonst laut Zeitungsmeldungen richtig Ärger gemacht
hätten.

Kollege Schmidt, Ihre Haltung wird den Grünen in
Niederbayern keinen einzigen zusätzlichen Wähler brin-
gen, auch wenn Sie noch so viele Lagerfeuer wie an
Pfingsten veranstalten. Wie mager der Besuch war,
konnte man den Fernsehbildern entnehmen.

Auch die SPD wird davon bei der Bundestagswahl
nicht profitieren. Das haben schon die Kommunalwahlen
im März gezeigt, als das Ergebnis der SPD einen




Parl. Staatssekretärin Angelika Mertens

24081


(C)



(D)



(A)



(B)


Tiefstand erreichte. Kollegin Irber, Sie mussten das bei
dieser Wahl schmerzlich erfahren.


(Brunhilde Irber [SPD]: Wir haben 30,3 Prozent bekommen! Das ist in Bayern ein Spitzenergebnis!)


Zum Ausbau der Donau zwischen Straubing und Vils-
hofen wurde in den letzten 20 Jahren nun wirklich alles
untersucht, was zu untersuchen war. Nahezu 30 Gutach-
ten wurden erstellt; eine umfangreiche Expertenanhörung
wurde noch im Februar dieses Jahres durchgeführt. In die-
ser Anhörung haben sich die Sachverständigen mehrheit-
lich für eine Staustufenlösung ausgesprochen. Rot-Grün
missachtet die Ergebnisse dieser Anhörung jedoch in
eklatanter Weise. Angesichts dessen frage ich mich schon,
wozu Anhörungen überhaupt durchgeführt werden, wenn
die daraus gewonnenen Erkenntnisse einfach so vom
Tisch gewischt werden.


(Beifall bei der CDU/CSU – Horst Kubatschka [SPD]: Haben wir nicht gemacht!)


Die Sachverständigen müssen sich ja auf dem Arm ge-
nommen fühlen. Eine drastischere Ausdrucksweise ver-
meide ich.

Damit kein Irrtum aufkommt: Auch wir wollen, dass
die Verbesserung der Schifffahrtsverhältnisse unter Be-
rücksichtigung ökologischer Belange erfolgt,


(Horst Kubatschka [SPD]: Sie wollen die Donau zerstören!)


weshalb wir nichts gegen die Einleitung der Raumord-
nungsverfahren für drei Varianten, nämlich die Varian-
ten C, D2 und A, eingewandt hätten. Nur vergleichende
Raumordnungsverfahren führen zu einem überzeugen-
den Ergebnis und zu einem ordentlichen Planfeststellungs-
verfahren.

Diese Chance eines vergleichenden Raumordnungs-
verfahrens vertun Sie, wenn Sie ausschließlich zur Vari-
ante A, also nur zu flussbaulichen Maßnahmen ein Raum-
ordnungsverfahren einleiten wollen.


(Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Sehr vernünftig!)


Ich frage mich allerdings, warum Sie bei nur einer Vari-
ante nicht gleich in ein Planfeststellungsverfahren gehen.
Vielleicht können Sie mir darauf eine Antwort geben.


(Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Die kennen Sie doch!)


Kollege Schmidt, Sie werden ja nach mir sprechen und
sicher wieder Ihre juristischen Fähigkeiten unter Beweis
stellen, indem Sie erklären, dass gegen Staustufen geklagt
und dann jeder Prozess – bis hin zum Europäischen Ge-
richtshof – zugunsten der frei fließenden Donau verloren
werden wird. Wer sagt denn, dass bei einem Planfeststel-
lungsverfahren zur Variante A mit flussbaulichen Maß-
nahmen keine Klagen eingehen werden?


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Die Umweltschutzverbände sagen das!)


Flussbauliche Maßnahmen allein bringen für die
Binnenschifffahrt nichts, sondern sind eine Verschwen-

dung von Steuergeldern. Denn mit der Variante A kann
über die Hälfte des Jahres eine sinnvolle Abladetiefe nicht
erreicht werden. So wird die Binnenschifffahrt auch wei-
terhin nicht in der Lage sein, verlässliche Logistikketten
aufzubauen, die notwendig wären, um mehr Verkehr auf
das Binnenschiff zu verlagern. Sie sind die Totengräber
der Binnenschifffahrt!


(Zustimmung bei der CDU/CSU – Zurufe von der SPD: Oh! – Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie sind ein Meilenstein in der Parlamentskultur! – Michaele Hustedt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie sind der Totengräber der Donau! Das ist viel schlimmer!)


Man kann nicht ständig scheinheilig von der Ver-
lagerung des Güterverkehrs auf den umweltfreundlichen
Verkehrsträger Binnenschifffahrt reden und dann den
notwendigen Ausbau mit ideologischen Scheuklappen
blockieren. Sie werden mit Ihrer Politik immer unglaub-
würdiger, vor allem wenn Sie in Ihrem Antrag davon
reden, dass der Verkehrsträger Binnenschifffahrt eine be-
sondere Förderung verdient, Sie aber mit Ihrer Verweige-
rungshaltung der Binnenschifffahrt das Wasser abgraben.

Den Donauausbau zwischen Straubing und Vilshofen
kann man nicht isoliert betrachten. Es geht um die
Binnenschifffahrtsverbindung zwischen Nordsee und
Schwarzem Meer. Die Donau ist die Verkehrsalternative
der Zukunft, insbesondere im Hinblick auf die Staaten
Mittel- und Osteuropas, und deshalb volkswirtschaftlich
unverzichtbar. Die EU-Kommission hat dies auch erkannt
und die Donau in die transeuropäischen Netze und in die
Prioritätenliste des Weißbuchs der EU-Kommission auf-
genommen.

Die Bundesregierung muss jetzt mit dem Freistaat Bay-
ern reden. Ich gehe davon aus, dass beim Donauausbau
noch nicht das letzte Wort gesprochen wurde. Schließlich
gibt es Verträge zwischen dem Freistaat Bayern und dem
Bund, die – das wurde auch von den Sachverständigen in
der Anhörung bestätigt – einzuhalten sind.

Unser Ziel ist es, mehr Verkehr auf das umweltfreund-
liche Binnenschiff zu verlagern. Sie jedoch opfern die Bin-
nenschifffahrt auf dem Altar der Koalition und tragen dazu
bei, dass mehr Verkehr auf der Straße stattfinden wird.


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das glauben Sie doch selbst nicht!)


Auf der Tagesordnung steht auch noch der Saaleaus-
bau.Wir wollen diesen Ausbau – die Frau Staatssekretä-
rin hat kein Wort dazu gesagt –, denn er hat erhebliche
Auswirkungen auf das Wirtschaftswachstum und die
Arbeitsplätze in der Region. Es ist schon sehr verwunder-
lich, wenn die Abgeordneten von Rot-Grün, die für die
Binnenschifffahrt zuständig sind, vor Ort den Eindruck
erwecken, als ob sie für den Ausbau sind, und dann hier
im Plenum unseren Antrag ablehnen. Mit Ihrer Ablehnung
dokumentieren Sie, dass Sie nicht für einen Aufschwung
Ost, sondern für den Abstieg Ost sind.


(Annette Faße [SPD]: Solch ein Quatsch!)





Renate Blank
24082


(C)



(D)



(A)



(B)


Deshalb wurden Sie in Sachsen-Anhalt abgewählt. Die
neue Landesregierung wird sich für den Ausbau der Saale
einsetzen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Zu Ihrer völlig unverständlichen Haltung zum Ausbau

der Wasserstraßeninfrastruktur fällt mir, nachdem der
Ausbau der Main-Donau-Wasserstraße bereits seit 1921
festgelegt ist, nur noch ein Witz ein: Ein amerikanischer
und ein deutscher Wasserbauer wetten darauf, wer mit sei-
nem Projekt, dem Ausbau einer Wasserstraße, zuerst fer-
tig ist. Nach einem Jahr fragt der Amerikaner bei seinem
deutschen Kollegen nach: Noch 30 Tage und die Schiffe
können ganzjährig fahren. Darauf der Deutsche: Noch
30 Gutachten und wir können im nächsten Jahrhundert
anfangen.

So lange muss die Binnenschifffahrt nicht warten; denn
mit dem 22. September wird sich der Wind zugunsten des
umweltfreundlichen Verkehrsträgers Binnenschiff wenden.


(Beifall bei der CDU/CSU – Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann wollen Sie mit Segelschiffen fahren?)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1424011000
Ich erteile
dem Kollegen Albert Schmidt vom Bündnis 90/Die Grü-
nen das Wort.


(Michaele Hustedt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt spricht der Kämpfer für die Donau! – Renate Blank [CDU/CSU]: Jetzt spricht der Jurist Schmidt!)


Albert Schmidt (Hitzhofen) (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kol-
legen! Wer in diesen Tagen im Mündungsgebiet der Isar
entlang der Donau spazieren geht, erlebt eine wilde
Auenlandschaft, wie sie in Deutschland, vielleicht sogar
in Europa einmalig ist. Probieren Sie das einmal aus, Frau
Kollegin Blank! Ich lade Sie ein.


(Renate Blank [CDU/CSU]: Ich habe das schon ausprobiert! Wir kennen das!)


Orchideen, Knabenkraut, Schwertlilien und Frauenschuh
blühen auf; Pirol, Blaukehlchen und Silberreiher tummeln
sich dort.


(Renate Blank [CDU/CSU]: Die tummeln sich auch nachher!)


Hunderte – das ist keine Übertreibung – von Tier- und
Pflanzenarten, die auf der Roten Liste stehen und vom
Aussterben bedroht sind, haben in dem 2 800 Hektar
großen Mündungsgebiet der Isar ihre Heimat. Dabei han-
delt es sich um ein Paradies, das zu Recht als der nieder-
bayerische Dschungel bezeichnet wird.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Renate Blank [CDU/CSU]: Den gleichen Protest habt ihr beim Main-Donau-Kanal vorgebracht!)


Die Natur feiert dort zurzeit ein Fest. Es ist ein Fest,
das jeden, der dafür offen ist, Ehrfurcht empfinden lässt –

Ehrfurcht vor dem lebendigen Reichtum dieser Land-
schaft und der Schöpfung. Wir dürfen dieses Fest heute
mitfeiern, liebe Kolleginnen und Kollegen. Denn mit un-
serer heutigen Entscheidung für einen sanften Ausbau der
Donau entscheiden wir auch, dass dieser Reichtum erhal-
ten wird,


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


dass wir ihn achten und zu schätzen wissen und ihn an die
Generationen nach uns weitergeben wollen. Das ist das
eigentlich Historische an diesem Beschluss. Ich würde
mich nicht darüber lustig machen, wie es aufseiten der
CDU/CSU in diesem Hause geschieht. Denn wenn Sie
sich darüber lustig machen, liebe Kolleginnen und Kolle-
gen von der CDU/CSU, zeigt das nur, wie kalt und egois-
tisch eine Politik ist, die von sich behauptet, christlich und
konservativ zu sein, in Wahrheit aber respektlos, gefühl-
los und zerstörerisch mit unserer Heimat umgeht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS – Renate Blank [CDU/CSU]: Das ist doch lächerlich! Regen Sie sich nicht so auf, Herr Kollege!)


Der Abschnitt der Donau zwischen Straubing und
Vilshofen steht zu Recht unter dem besonderen Schutz der
Vogelschutz- und der Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie der
EU. In zahllosen Untersuchungen wurde die ökologische
Einzigartigkeit dieser letzten 70 Kilometer frei fließender
Donau nachgewiesen. Deshalb fördert das Bundesamt für
Naturschutz seit Jahren mit erheblichen Mitteln Maßnah-
men und Gebietsankäufe im Isar-Mündungsgebiet an
der Donau. Deshalb hat übrigens auch die Europäische
Kommission in ihrem Weißbuch zur Verkehrspolitik am
12. September vergangenen Jahres den Ausbau der
Donau in die Liste der Transeuropäischen Netze auf-
genommen, liebe Kollegin Blank, mit der Maßgabe der
„Beachtung gemeinschaftlicher Rechtsvorschriften zum
Umweltschutz“.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Renate Blank [CDU/CSU]: Sie tun ja so, als ob wir keinen Umweltschutz betrieben!)


Das Europäische Parlament hat dies vor wenigen Tagen in
einem eigenen Beschluss noch einmal bekräftigt. Das be-
deutet, dass die europäischen Richtlinien nur die fluss-
regulierende Ausbauvariante zulassen.

Ein vernichtender Eingriff durch Staustufen wäre nur
dann zulässig, wenn es keine zumutbare Alternative gäbe.
Aber es gibt sie: Die Variante A ist nicht nur zumutbar,
sondern auch ökologisch verträglich und zugleich ökono-
misch überlegen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Renate Blank [CDU/CSU]: Warum lasst ihr die andere nicht zu?)


Das haben die zusammenfassenden Gutachten der Was-
ser- und Schifffahrtsdirektion Süd gezeigt: Die VarianteA
ist nicht nur die umweltverträglichste, sondern zugleich
auch die kostengünstigste Variante und weist mit 8,3
den mit Abstand besten Kosten-Nutzen-Faktor auf. Sie




Renate Blank

24083


(C)



(D)



(A)



(B)


erbringt mit 11 Millionen Jahrestonnen 90 Prozent der
Verkehrsleistung einer Staustufenlösung.


(Renate Blank [CDU/CSU]: An 180 Tagen!)

Das heißt, diese Lösung ist nicht nur ökologisch sinnvoll,
sondern auch ökonomisch angebracht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Der sanfte Ausbau ist auch gerichtsfest;

(Annette Faße [SPD]: So ist es!)


denn keiner der Verträge zwischen dem Bund und Bayern
– wir haben genau zugehört – verlangt eine Staustufenlö-
sung mit Kanal. Deshalb bedanke ich mich ausdrücklich
bei Ihnen, Frau Staatssekretärin, und bei dem Minister
selbst für die klaren Worte in diesen Tagen, dass die recht-
liche Prüfung abgeschlossen ist und ergeben hat, dass die
sanfte Variante A nicht nur mit den Verträgen kompatibel
ist, sondern auch die einzige Variante darstellt, die einen
jahre- oder jahrzehntelangen Rechtsstreit mit den Um-
weltverbänden bis hinauf zum EuGH vermeidet, den die
Staustufenlobby letztlich verlieren würde.


(Renate Blank [CDU/CSU]: Das bilden Sie sich ein!)


Nur die Variante A beendet die jahrelange Investitions-
blockade und führt schnell zu einer verbesserten Schifffahrt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Renate Blank [CDU/CSU]: Ich habe es Ihnen gerade gesagt: Es kann auch gegen die Variante A geklagt werden! Nehmen Sie das zur Kenntnis!)


– Frau Kollegin Blank, ich appelliere an Sie – richten Sie
das Ihrem Parteivorsitzenden aus – und an die Bayerische
Staatsregierung: Die Betonstrategie der CSU hat mit dem
heutigen Tag auf der Donau Schiffbruch erlitten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Lachen bei der CDU/CSU)


Respektieren Sie doch endlich den Willen der nieder-
bayerischen Bevölkerung und der Bundestagsmehrheit!
Drohen Sie nicht länger mit Rechtsmitteln gegen diesen
Ausbau! Die juristischen Gefälligkeitsgutachten, die Herr
Badura vorgelegt hat, sind völlig wertlos.


(Renate Blank [CDU/CSU]: Das ist ein hervorragender Jurist!)


Sie haben gegen das europäische Umweltrecht keine
Chance.

Ebenso wenig haben Sie gegen eine ganz große Koa-
lition, die von Naturschützern und Grünen über Sozial-
demokraten bis zum Altabt der Abtei Niederaltaich,
Emmanuel Jungclaussen, reicht, eine politische Chance. Er
hat dieser Tage erklärt, dass er unsere heutige Entscheidung
mit tiefer Dankbarkeit zur Kenntnis nimmt, und spricht von
einem Erfolg für sein Beten, Frau Kollegin Blank. Was ler-
nen wir daraus? Dass gegen den lieben Gott noch nicht ein-
mal die Bayerische Staatsregierung eine Chance hat.


(Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS)


Hören Sie also auf, weiterhin die Zerstörung dieses wun-
derbaren Teils unserer Heimat zu betreiben!

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die heutige Ent-
scheidung ist ein Sieg für die Umwelt. Sie ist gleichzeitig
ein positives Signal an die Binnenschifffahrt. Naturschutz
und Interessen der Schifffahrt können miteinander in Ein-
klang gebracht werden. Die Botschaft des heutigen Tages
ist: Die Donau bleibt ein Fluss.

Nachdem nun meine Redezeit zu Ende ist, Herr Präsi-
dent, sehe ich mich gezwungen, die letzten vier Zeilen zu
singen:

Für uns in Bayern gibt’s heit was zum Feiern,
nämlich unsere Donau bleibt ein freier Fluss.
Und des zoagt uns: Die Vernunft wird siegen
und dass Rot und Grün Regierung bleiben muss.

(Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Was für ein Theater!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1424011100
Das Wort
hat jetzt der Kollege Michael Goldmann von der FDP-
Fraktion.


(Horst Kubatschka [SPD]: Wenn er singt, dann darf er auch sprechen!)



Hans-Michael Goldmann (FDP):
Rede ID: ID1424011200
Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Schmidt, das ha-
ben Sie wirklich hübsch gemacht. Aber nicht alles, was
hübsch ist, ist richtig. Lesen Sie noch einmal im Protokoll
nach, was Sie zum Teil an blumigen Bildern gebracht ha-
ben. Ich bin sehr dafür, dass die Natur Feste feiert. Als
Biologe habe ich davon ein bisschen Ahnung. Dass Sie
das aber mit den maßlosen Angriffen gegen die Christ-
demokraten verbinden, fand ich nicht sehr geglückt.


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Gegen die CSU!)


Ich bin als Liberaler in dieser Woche gegenüber Wor-
ten vielleicht besonders sensibel.


(Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Das hätten Sie früher sein sollen!)


Ich will Ihnen ganz ehrlich sagen: Ich glaube nicht, dass
der Abt mit dem, was Sie eben gemacht haben, einver-
standen ist.


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Doch!)


Herr Schmidt, wir sollten uns einmal miteinander unter-
halten. Ich weiß nicht, in welchem Maße Sie praktizie-
render Katholik sind. Ich jedenfalls bin es.


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Ich auch!)


Ich möchte diese Verbindung nicht herstellen.

(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Die hat er hergestellt!)


Hier hat jemand gebetet und der liebe Gott hat ihn er-
hört. Deswegen reagiert die Bayerische Staatsregierung




Albert Schmidt (Hitzhofen)

24084


(C)



(D)



(A)



(B)


eventuell in der einen oder anderen Form. – Das hat mir
nicht gefallen. Das, was Sie gemacht haben, ist mir zu
platt und zu populistisch.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Lachen bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN und der SPD)


– Wenn Sie das genauso sehen, dann freut mich das. Ich
möchte Ihnen in diesem Fall empfehlen, darauf nicht
zurückzugreifen.

Lassen Sie mich zur Sache kommen. In der Sache lie-
gen Sie schlicht und ergreifend falsch, Herr Schmidt. Sie
behaupten, dass die Binnenschiffer mit dieser Lösung ein-
verstanden sind. Sie sind es nicht. Sie sagen bei jeder
Gelegenheit – Sie machen das sehr engagiert und qualifi-
ziert –, dass Sie eine Abladetiefe von 2,50 Meter brau-
chen. Sie erreichen diese Abladetiefe nicht.


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Über die Hälfte des Jahres! 60 Prozent! – Gegenruf der Abg. Renate Blank [CDU/CSU]: Nein, nicht einmal die Hälfte des Jahres!)


Deswegen ist Ihre Ausbauvariante ungeeignet, um den In-
teressen der Binnenschiffer Rechnung zu tragen.

Sie sagen, die Variante D2, die mit einer Abladetiefe
von 2,50 Meter unserer Favorit ist, sei ökologisch nicht
akzeptabel. Diese Aussage ist falsch. Sie haben anschei-
nend Angst davor, diese Variante zu prüfen; sonst würden
Sie in das sicherlich notwendige Raumordnungsverfahren
eine solche Variante aufnehmen.

Sie behaupten schlicht und falsch, dass die Variante A
die einzig vernünftige ökologische und die richtige öko-
nomische ist. Herr Schmidt und liebe Frau Kollegin Faße,
auch das ist falsch. Lesen bildet. Lesen Sie die „Donau-
Nachrichten“. In der Ausgabe 14 steht unter der Über-
schrift „Volkswirtschaftlicher Nutzen – richtig gerech-
net“, dass die Variante D2 wirtschaftlicher als die
VarianteA ist. Es geht eben nicht nur um den Nutzen-Kos-
ten-Faktor, sondern auch um die Differenz aus den Nut-
zen- und den Kostenbarwerten. Dabei errechnet man ei-
nen Quotienten von 4,36 für die Variante D2. Jeder, der
sich mit ökonomischen Fragestellungen beschäftigt,
weiß, dass das der echte Bezugswert und die Grundlage
für die Feststellung der Notwendigkeit eines Ausbaus ist.

Nebenbei bemerkt: Die Donau ist ein Fluss, den ich re-
lativ gut kenne und an dem ich mich sehr gerne aufhalte;
ich bin an seinem Ufer möglicherweise schon öfter spa-
zieren gegangen als Herr Schmidt.


(Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Sogar mit den Fraktionsvorsitzenden sind wir gemeinsam vor Ort gewesen, und zwar mehrfach!)


– Herr Kollege Schmidt, ich war vor Ort und habe mich
nach Ihren Aktivitäten dort erkundigt. Sie sind zwar aus
der Presse bekannt, nicht aber aufgrund konkreter Akti-
vitäten vor Ort. Das Wahlverhalten der Bürgerinnen und
Bürger bei der letzten Kommunalwahl und bei den letzten
Landtagswahlen hat das auch widergespiegelt. Ihre Posi-

tion wird vor Ort überhaupt nicht verstanden. Das zu glau-
ben ist Ihrerseits ein großer Irrtum.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Die Wahlergebnisse belegen, dass die Parteien, die für ei-
nen vernünftigen, sachgerechten und zukunftsfähigen
Ausbau eintreten, besonders erfolgreich sind.

Gerade die Kollegen, die in der Parlamentariergruppe
„Binnenschifffahrt“ sind, reden immer wieder darüber,
dass es notwendig ist, für verbesserte Rahmenbedingun-
gen auf dem Gebiet der Binnenschifffahrt zu sorgen. So-
bald vonseiten der Binnenschiffer Wünsche geäußert wer-
den, etwas für sie, beispielsweise an der Donau, an der
Saale, beim Jade-Weser-Port, an der Elbe oder an anderen
Flüssen, zu tun, sagen die Grünen: Auf keinen Fall, das
kann überhaupt nicht sein, das ist rechtlich überhaupt
nicht möglich, das ist auf europäischer Ebene nicht um-
setzbar. Das ist falsch. Ich habe schon im Ausschuss ver-
sucht, Ihnen klar zu machen, dass es nicht von vornherein
ausgeschlossen ist, Eingriffe in ein FFH-Gebiet oder ein
Naturschutzgebiet vorzunehmen; vielmehr muss man
diese Eingriffe ausgleichen. Fachleute sagen eindeutig,
dass man diese Eingriffe ausgleichen kann.


(Horst Kubatschka [SPD]: Große Fehler kann man nicht ausgleichen!)


Es gibt eine sehr genaue Untersuchung über die Auen-
wälder. Ich komme von der Ems; dort gibt es auch Auen-
wälder. Es gibt genaue Untersuchungen, die belegen, dass
es keine Beeinträchtigung der Auenwälder gibt, wenn
man auf 2,50 Meter geht und – das sieht die Variante D2
vor – Ausgleichsmaßnahmen vornimmt.

Wir sollten hier ehrlicherweise sagen: Heute verlieren
die Binnenschiffer in Deutschland wieder einmal; heute
verlieren auch die Menschen in den östlichen Nachbar-
ländern.


(Renate Blank [CDU/CSU]: So ist es!)

Fahren Sie einmal nach Ungarn und unterhalten Sie sich
mit den Schiffern darüber, wie sehr sie auf einen Ausbau
der Donau warten, der der Binnenschifffahrt bessere
Chancen einräumt! Der Ausbau auf 2,50 Meter – Varian-
te D2 – ist ökologisch verträglich. Das hat die Anhörung
all derer, die bereit waren, wirklich zuzuhören, ergeben.

In diesem Sinne bedauere ich sehr, dass die Bundes-
regierung und auch die sozialdemokratischen Vertreter im
Plenum heute eine grüne Kröte schlucken, die ich persön-
lich für überhaupt nicht akzeptabel halte; schließlich
müsste es darum gehen, der Binnenschifffahrt eine Zu-
kunft zu geben.


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Was haben Sie denn gegen Kröten? Sie sind doch Biologe! – Horst Kubatschka [SPD]: Wir schlucken keine Kröten!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1424011300
Zu einer
Kurzintervention erteile ich der Kollegin Steffi Lemke
vom Bündnis 90/Die Grünen das Wort.


Steffi Lemke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1424011400
Ver-
ehrter Herr Kollege Goldmann, in Ihrer Rede haben Sie




Hans-Michael Goldmann

24085


(C)



(D)



(A)



(B)


das Thema Saaleausbau angesprochen. Die Opposition
hat dazu heute einen Antrag eingebracht. Ich möchte Sie
darauf hinweisen, dass Sie hinsichtlich der Debatte um
den Donauausbau eben argumentiert haben, es gebe keine
ökologische Benachteiligung, wenn die Maßnahme ent-
sprechend ausgeglichen werde.

Ich möchte Sie weiter darauf aufmerksam machen, dass
es zum Saaleausbau Gutachten gibt, die eindeutig belegen,
dass die von Ihnen geplante Staustufe am letzten frei
fließenden Abschnitt der Saale gravierende ökologische
Auswirkungen auf die Flussmündung der Saale hätte. Ih-
nen ist es bisher in keiner Weise gelungen, auf der Grund-
lage realer Schifffahrtsprognosen einen auch nur geringen
ökologischen Nutzen dieser Maßnahme nachzuweisen.

Frau Blank, die Landesregierung von Sachsen-Anhalt
– FDP und CDU – beabsichtigt, diese Maßnahme durch-
zuführen, obwohl dadurch ökologische Schäden eintreten
werden und ein ökonomischer Nutzen ausbleiben wird.
Sie will diese Maßnahme realisieren, ohne ein Raumord-
nungsverfahren durchzuführen. Von der Bundesregierung
wurden Untersuchungen zu der Frage der ökologischen
Verträglichkeit in Auftrag gegeben. Die Landesregierung
will die Ergebnisse aber nicht abwarten. Mit dieser Maß-
nahme werfen Sie das Tafelsilber der deutschen Einheit in
den Mülleimer.

Ich erwarte von der Landesregierung Sachsen-Anhalt
– von Ihnen, Herr Goldmann, erwarte ich, dass Sie ent-
sprechend Einfluss nehmen –, dass sie sich wenigstens an
geltendes Planungsrecht hält, ein Raumordnungsverfah-
ren durchführt und nicht gegen die geltende FFH-Richt-
linie verstößt, zumal sicher ist – das haben Bürgerinitiati-
ven und Umweltverbände angekündigt –, dass gegen den
Bau der jetzt zur Diskussion stehenden Staustufe geklagt
werden wird. Sie riskieren zum Schaden des Landes Sach-
sen-Anhalt, dass keine Strukturfondsgelder mehr fließen.
Mit diesem Vorhaben werden Sie keine positive Entwick-
lung in Sachsen-Anhalt in Gang setzen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1424011500
Zur Erwi-
derung Herr Goldmann.


Hans-Michael Goldmann (FDP):
Rede ID: ID1424011600
Liebe Kollegin
Lemke, wir haben im Ausschuss über den Saaleausbau
diskutiert. Wir, die Parlamentariergruppe „Binnenschiff-
fahrt“, haben uns das vor Ort angeschaut. Die geschätzte
Kollegin Faße und unser lieber Freund Wilhelm waren
auch dabei. Die Lösung, die uns vor Ort präsentiert wurde,
haben wir in ökologischer Hinsicht beeindruckend gefun-
den. Es ist ja an dieser letzten Staustufe sehr lange „he-
rumgedoktert“ worden.


(Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die dritte Staustufe ist die größte Lüge, die es je gegeben hat!)


– Das mag ja sein, liebe Frau Lemke. Das kann ich nicht
beurteilen. Ich habe doch gesagt, dass ich nicht beurteilen
kann, welche Informationen Sie haben. Ich kann nur das
wiedergeben, was damals alle, die an Bord waren – es wa-

ren Vertreter der Wirtschaftsverbände, der betroffenen
Gemeinden und der Umweltverbände sowie Fachleute
dabei, die sich mit der Binnenschifffahrt befassen –, ge-
sagt haben. Frau Lemke, Sie hätten ja mitfahren können.
Das wäre doch kein Problem gewesen. Auch Sie sollten
solche Termine wahrnehmen.

Wir, die Parlamentariergruppe „Binnenschifffahrt“,
sind jedenfalls angeschrieben und gefragt worden, ob wir
etwas für die wirtschaftliche Entwicklung der Schifffahrt
auf der Saale und damit auch für Sachsen-Anhalt tun
können, also für ein Land, in dem – darauf haben Sie zu
Recht hingewiesen – die Entwicklung nicht gerade posi-
tiv verläuft. Wir sind dorthin gefahren, haben uns das vor
Ort angeschaut und die Vorschläge aufgegriffen, die man
uns gemacht hat. Wir arbeiten daran.

Die Stadt Halle und die Industrie- und Handelskam-
mern haben uns geschrieben und Varianten für die dort zu
entwickelnde so genannte Brunnengalerie vorgeschlagen,
die dazu beitragen soll, dass der Wasserstand nicht abfällt.
Ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen: Ich fand es faszinie-
rend, welche Lösung die Wasserbauer vorgeschlagen ha-
ben, um der dortigen ökologischen Situation – das ist not-
wendig – Rechnung zu tragen. Wenn wir uns aber Ihre
Haltung zu Eigen machen – die Sie gerade wieder vorge-
tragen haben, nämlich im Grunde genommen von vorn-
herein dagegen zu sein –, dann werden wir den von uns al-
len in ökologischer Hinsicht geschätzten Verkehrsträger
Wasserweg nicht so nutzen können, wie ich das für not-
wendig erachte. Deswegen bemühen wir uns um Kom-
promisse und um einen Ausgleich zwischen Ökologie und
Ökonomie.

Ich meine, an dieser Stelle sollten wir Ihrer Position
nicht folgen. Wir sollten vielmehr darauf hinwirken, dass
an der Saale mehr passiert, natürlich unter Berücksichti-
gung ökologischer Gesichtspunkte. Letzteres ist für mich
überhaupt kein Thema. Jemand, der wie ich von der Küste
kommt, weiß sehr wohl, dass die ökologischen Belange
einer Region geschützt werden müssen. Sonst könnten
wir in den Küstenregionen gar nicht mehr leben.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1424011700
Als
nächste Rednerin hat das Wort die Kollegin Bulling-
Schröter von der PDS-Fraktion.


Eva-Maria Bulling-Schröter (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1424011800
Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Der Radikalausbau der Do-
nau zwischen Straubing und Vilshofen scheint jetzt vor-
erst vom Tisch zu sein. Die Koalition hat sich endlich zu
einem Antrag durchgerungen, der belegt, dass sie die jah-
relangen Proteste von Bürgerinitiativen und Fachleuten
gegen die Staustufenprojekte ernst nimmt. Den Bürger-
initiativen und den Fachleuten muss endlich einmal Dank
ausgesprochen werden.


(Beifall bei der PDS – Renate Blank [CDU/ CSU]: Sie scheinen nicht bei der Anhörung gewesen zu sein!)


– Ich war bei der Anhörung dabei, auch wenn Sie mich
nicht gesehen haben.




Steffi Lemke
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(C)



(D)



(A)



(B)


Unklar bleibt allerdings, warum sich Rot-Grün noch
nicht einmal dazu durchringen konnte, sich bei der Ab-
stimmung über unseren Antrag, der als erster vorlag, zu
enthalten. Ich verstehe das erst recht nicht, wenn man uns
dann unterstellt, wir hätten ihn nur abgeschrieben. Egal,
im Kern ist der Antrag, den Sie vorgelegt haben, mit un-
serem vergleichbar. Auf jeden Fall hat die Vernunft ge-
siegt. Die letzten naturnahen Donauabschnitte – das muss
man feststellen – werden jetzt so ausgebaut, dass nur ein
minimaler Schaden für die Umwelt und ein großer Nutzen
für einen umweltfreundlichen Güterverkehr auf dem
Wasser entsteht.

Mit den vorgesehenen strombaulichen Maßnahmen
können 92 Prozent – ich betone: 92 Prozent – des Aus-
bauziels erreicht werden. Ihre Variante des Staustufenaus-
baus wäre um eine halbe Milliarde Euro teurer gewesen.
Man muss den Wählerinnen und Wählern, auch den
bayerischen, einmal sagen, wie Sie mit deren Geld her-
umwerfen.


(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Renate Blank [CDU/CSU]: Entweder man macht es ordentlich oder man lässt es bleiben!)


Sie sagen immer, dass die öffentlichen Kassen leer sind
und dass Sie sparen wollen. Hier kann ökologisch gespart
werden. Das muss man den Leuten sagen. Darum, meine
ich, ist der heutige Beschluss ein Glücksfall für Bayern.


(V o r s i t z : Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer)


Allein die CSU-Staatsregierung will sich nicht be-
glücken lassen. Mit erstaunlicher Ignoranz hat sie sich ge-
genüber ihren eigenen Bürgermeistern und auch dem um-
weltpolitischen Sprecher der CSU, der hier schon öfter
eine Rolle gespielt hat – vielleicht kommt er in den Bun-
destag und es verändert sich etwas –, durchgesetzt.


(Horst Kubatschka [SPD]: Bei denen net, naa!)


– Gut, das werden wir sehen. – Sie setzen bis heute auf
Beton; das hat sich immer wieder gezeigt. Glücklicher-
weise – das kann man in diesem Fall einmal sagen – ist
die Donau eine Bundeswasserstraße. Da können meine
Kollegen von der CSU hier und auch der Stoiber Edi in
Bayern wie im Übrigen auch Ihre Bauspezies im Kreis
hüpfen: Diesmal ist nichts zu holen, auch am 22. Septem-
ber nicht, obgleich Sie das immer meinen.


(Beifall bei der PDS und der SPD)

Wir sind ja mit 7 Prozent zufrieden.


(Heiterkeit bei der PDS und der SPD)

Jetzt zu Saale und Elbe. Hier ist die Kuh noch nicht

vom Eis. Die Union spielt ihr übliches Spiel und die SPD
mit gezinkten Karten.


(Widerspruch bei der SPD)

Es wird nicht ausgebaut, so hört man von den Sozialde-
mokraten im Verkehrsministerium, das seien alles nur Un-
terhaltungsmaßnahmen. Dabei werden uralte Pläne aus

den 30er-Jahren aus den Schubladen gezogen. Dass sich
der Fluss in diesen 70 Jahren verändert hat und damit die
so genannte Unterhaltung einem Ausbau gleichkommt,
dürfte klar sein. Deshalb haben wir etwas dagegen.

Im Unionsantrag zum Saaleausbau stehen so viele
Märchen, dass man schon mitleidig wird. Der so genannte
Flaschenhals, von dem Sie schreiben, besteht nicht nur an
der unteren Saale, sondern auf der gesamten Elbe mit ih-
rer Tauchtiefe von 1,40 Metern. Ein Ausbau der Saale hat
also nur Sinn, wenn die Elbe dran glauben muss. Für sol-
che Dinge stehen wir nicht zur Verfügung.


(Beifall bei der PDS – Renate Blank [CDU/CSU]: So ein Quatsch!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1424011900
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Annette Faße.


Annette Faße (SPD):
Rede ID: ID1424012000
Frau Präsidentin! Liebe Kolle-
ginnen und Kollegen! Wir stehen zum Ausbau der Donau
und wir stehen zur Variante A.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


Dies ist keine Kröte, die wir hier schlucken müssen. Man
konnte in den letzten Wochen und auch heute wieder fest-
stellen, dass suggeriert wird, damit passiere für die Bin-
nenschifffahrt gar nichts. Dies ist aber völliger Unsinn;
das wissen Sie. Um das eindeutig zu sagen: Die Binnen-
schifffahrt wird gewinnen, wenn auch nicht so, wie sie es
sich vorgestellt hat.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wofür streiten wir heute? Wir streiten über den Um-
fang des Ausbaus. Wir streiten über den Nutzen der ver-
schiedenen Ausbauvarianten für die Schifffahrt und die
wirtschaftliche Entwicklung der Region. Wir streiten über
die Folgen des Donauausbaus für die Natur und für die
Menschen. Wir streiten über das künftige Erscheinungs-
bild einer alten Kulturlandschaft und die Folgen für den
Tourismus.


(Renate Blank [CDU/CSU]: Das habt ihr auch schon beim Rhein-Main-Donau-Kanal gemacht!)


Wir streiten über den effizienten Einsatz von Bundesmit-
teln im Wasserstraßenbau.

Die Antworten, die Sie geben, sind sehr schlicht und
sehr einseitig. Die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen
Binnenschifffahrt hängt nämlich nicht allein davon ab,
wie die Donau zwischen Straubing und Vilshofen ausge-
baut wird.


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: So ist es!)


Wir haben uns die Entscheidung für die VarianteA si-
cherlich nicht einfach gemacht. Die Anhörung hat dazu
geführt, dass wir die Entscheidung so schnell treffen
konnten. Wir haben diese Anhörung sehr wohl ernst




Eva Bulling-Schröter

24087


(C)



(D)



(A)



(B)


genommen; das müssten Sie allmählich einmal zur
Kenntnis nehmen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Die VarianteA ist die einzige Variante, bei der die Chance
besteht, dass sie überhaupt realisiert wird. Sie ist die ein-
zige Variante, bei der nicht die Gefahr besteht, dass sie ir-
gendwo auf dem langen Instanzenweg der Verwaltungs-
gerichte auf der Strecke bleibt. – Sie ist die einzige
Variante, die sich rasch realisieren lässt.


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: So ist es!)


Um es noch einmal deutlich zu sagen: Wir stehen si-
cherlich vor der Schwierigkeit, dass wir nicht wissen, was
die EU-Kommission zu den Ausbauvarianten in der Viel-
falt, wie Sie sie gerne hätten untersuchen lassen, sagen
würde. Bei den Varianten C, D1 und D2 würden wir auf
jeden Fall vor einem Gericht landen.


(Renate Blank [CDU/CSU]: Das kann Ihnen bei der Variante A auch passieren!)


Ob wir dort mit der Variante A landen werden, wage ich
zu bezweifeln. Warum sollten wir parallel Varianten un-
tersuchen, mit denen wir eindeutig scheitern werden? Die
Variante A hat die größte Chance. Den Zeitfaktor sollten
wir nicht unterschätzen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Herr Goldmann, da kann man zehnmal hin und her
rechnen: Der Kosten-Nutzen-Faktor ist bei VarianteAmit
8,3 der beste. Das heißt, wir haben hier auch die gerings-
ten Kosten.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Eben nicht!)

Die Varianten, die Sie fordern, kosten das Doppelte.
Gleichzeitig stellen Sie sich hier in Berlin munter hin und
sagen: Wir wollen die Staatsquote senken.


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Ja! Verlogen!)


Die CDU/CSU will sie auf 40 Prozent, die FDP sogar auf
ein Drittel senken.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Richtig! – Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Verlogen!)


Im Ergebnis bedeutete das, dass die Verkehrsinvestitionen
von derzeit 11,5 Milliarden Euro auf 7,5 Milliarden Euro
sinken würden.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Das stimmt doch überhaupt nicht! Frau Faße, das haben Sie nicht verstanden! – Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann können wir gar nichts mehr bauen!)


Diesen Betrag hätten wir nicht mehr für die Finanzierung
von Verkehrsprojekten.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Stimmt doch überhaupt nicht! Das ist doch völliger Blödsinn!)


Es wäre überhaupt kein neues Verkehrsprojekt möglich.

(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Genau!)

Sie fordern hier und wollen auf der anderen Seite das Geld
nicht geben –


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Die Hohepriester der Marktwirtschaft!)


nicht einmal für die VarianteA; für die Variante D kriegen
Sie es schon gar nicht gebacken, um es deutlich zu sagen.
Dies ist für mich unglaubwürdig.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Hans-Michael Goldmann [FDP]: Wir wollen nicht in allen Tätigkeitsfeldern dieselben Quoten! Bei den Investitionen wollen wir schon ein bisschen mehr!)


Ich möchte noch einmal auf den Vorwurf eingehen, der
auch im Ausschuss immer wieder vorgebracht wurde, wir
würden hier vertragsbrüchig. Ich sage ganz klar: Man
muss irgendwann einmal anerkennen, dass die Verträge
von 1921 und 1976 im EU-Recht ein Stück weiterent-
wickelt wurden.


(Renate Blank [CDU/CSU]: 1996 war schon die FFH-Richtlinie!)


Auch Bayern muss einmal anerkennen, dass wir ein eu-
ropäisches Planungs- und Umweltrecht haben, das an-
zuwenden ist. In der Anhörung wurde deutlich, dass diese
Verwaltungsabkommen uns als Parlament sehr wohl das
Recht zur Entscheidung lassen.


(Renate Blank [CDU/CSU]: Da gab es aber auch andere Meinungen!)


Wir, die frei gewählten Abgeordneten des Deutschen
Bundestages, treffen die letzte Entscheidung über das Wie
des Donauausbaus


(Renate Blank [CDU/CSU]: Nein! Nur das Budgetrecht!)


und auch über die Mittel, die wir dafür zur Verfügung stel-
len. Das ist rechtlich korrekt. Diese Entscheidung sollten
wir uns auch nicht nehmen lassen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Renate Blank [CDU/CSU]: Nein! Es gab auch andere Meinungen bei den Sachverständigen!)


Darüber entscheidet Gott sei Dank nicht die Bayerische
Landesregierung


(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Staatsregierung!)


und auch nicht der Herr Stoiber, sondern wir hier in Ber-
lin.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, noch ein Wort zur
Saale. Es ist richtig, dass wir die Bereisung dort vorge-
nommen haben. Aber es ist auch richtig und wichtig, dass
wir zu den Vereinbarungen, die wir mit Sachsen-Anhalt
getroffen haben, stehen. Das heißt, im Rahmen des Bun-




Annette Faße
24088


(C)



(D)



(A)



(B)


desverkehrswegeplans findet eine Überprüfung statt. Da-
nach werden wir mit diesem Thema weiter umgehen, wie
es vereinbart ist, und zwar ökologisch und ökonomisch
sinnvoll.


(Renate Blank [CDU/CSU]: Wieder Versprechungen!)


Wir haben hier nach über 20 Jahren Diskussion, nach
vielen Anhörungen vor Ort, nach vielen Gutachten eine
Entscheidung zu treffen. Mein Kompliment an die Kolle-
ginnen und Kollegen, die das über Jahre oder Jahrzehnte
mitverfolgt haben! Für sie ist es heute ein schöner Tag.
Aber ich meine, auch für die Donau ist es heute ein schö-
ner Tag.

Danke.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Hans-Michael Goldmann [FDP]: Frau Faße, völlig zu Recht haben Sie die Binnenschiffer nicht erwähnt! Für die Donau ist es ein schöner Tag, aber für die Binnenschiffer ein schlechter!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1424012100
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Bartholomäus Kalb.


Bartholomäus Kalb (CSU):
Rede ID: ID1424012200
Frau Präsidentin!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber Herr
Kollege Schmidt, wie ernst Sie ein solches Thema neh-
men, haben Sie mit Ihrer Schlusspassage mit dem Gstan-
zel gezeigt, das Sie hier gesungen haben.


(Horst Kubatschka [SPD]: Sie sind ja humorlos! – Iris Gleicke [SPD]: Lachen Sie doch einmal!)


Ich hatte gedacht, hier würde ernsthaft diskutiert und wir
befänden uns hier nicht in einem Komödienstadel.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Zweitens halte ich es für infam, wie Sie gegen den Do-

nauausbau agitieren. Sie erwecken hier den Eindruck, als
würde durch den Donauausbau das für den Gesamtstaat
repräsentative Gebiet an der Isarmündung oder etwa auch
die Sammerner Heide geschädigt oder sogar beseitigt.


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das ist doch die Wahrheit!)


Das ist nicht der Fall. Als langjähriger Vorsitzender der
Mehrheitsfraktion im Kreistag von Deggendorf und als
Mitinitiator dieses Projektes weiß ich, wie sehr uns daran
gelegen ist. Der Landkreis, der Freistaat Bayern und der
Bund engagieren sich seit vielen Jahren mit erheblichen
Beträgen für das Projekt Isarmündung.


(Renate Blank [CDU/CSU]: Eben!)

Sie schlagen sich an der Donau in die Büsche und er-
zählen hier Märchen. Das ist der wahre Sachverhalt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Meine sehr verehrten Damen und Herren von der SPD,

der Antrag, den Sie heute durchbringen wollen, ist voll
von Widersprüchen. In den Vorbemerkungen weisen Sie
nach, wie wichtig die Wasserstraßen für die Bewältigung

der Verkehrsprobleme in Deutschland sind und wie wich-
tig es ist, dass die Engpässe beseitigt werden.


(Renate Blank [CDU/CSU]: Und dann tun sie nichts!)


Wörtlich heißt es hier:
Hierbei spielen Abladetiefe und Fahrrinnenbreite der
Wasserstraßen, aber auch die Höhe der Brücken über
die Wasserstraßen eine wichtige Rolle.

Weiterhin weisen Sie dann für den Bereich zwischen
Straubing und Vilshofen darauf hin:

... dieser Abschnitt wird im Bericht des Bundesminis-
teriums für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen

(BMVBW) an den Ausschuss für Verkehr, Bau- und

Wohnungswesen des Deutschen Bundestages vom
Dezember 2001 als einer der wesentlichsten Eng-
pässe im bundesdeutschen Wasserstraßennetz quali-
fiziert. Dessen zügige Beseitigung ist Voraussetzung
dafür, Verlagerungspotenziale von der Straße auf die
Wasserstraße zu realisieren.

(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Wollen wir ja!)

Auch die Europäische Kommission hat in ihrem
Weißbuch über die „europäische Verkehrspolitik bis
2010“ vom 12. September 2001

(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das habe ich schon gesagt!)

eine Verbesserung der Befahrbarkeit der Donau zwi-
schen Straubing und Vilshofen als eines der vorran-
gigen Verkehrsprojekte beschrieben.

(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Mit der Maßgabe der Beachtung der Umweltvorschriften!)


So weit das Zitat aus Ihrem eigenen Antrag.

(Zurufe von der SPD)


Bei der Beschlussempfehlung steht dann das Gegen-
teil. Hintergrund dafür ist doch, dass Sie sich selber, wie
der Herr Kollege Schmidt ja schon früher zum Ausdruck
gebracht hat, im Krieg befinden.


(Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


– Ja, er selber hat den Begriff „im Krieg befinden“ ge-
braucht.


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Ihnen kann man es auch nicht recht machen: Singt man ein Lied, sind Sie miesepetrig! Spricht man von einem Konflikt, ist es auch wieder nicht richtig!)


Die Grünen hatten der SPD den Krieg erklärt und dann ka-
pituliert. Das ist umso leichter gefallen, als man auch vor
Ort mit Blick auf die Landratswahlen eingeknickt ist, die
man noch mithilfe eines Frühstücksgesprächs zwischen
Struck und Schlauch günstig beeinflussen wollte.


(Horst Kubatschka [SPD]: Das war ja auch ein gutes Ergebnis!)





Annette Faße

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(C)



(D)



(A)



(B)


– Wenn man sich anschaut, dass Sie vorher mit 70 Prozent
bei der Landratswahl rechneten und dann 37 Prozent be-
kamen, kann man das nicht als ein besonders gutes Er-
gebnis qualifizieren.


(Brunhilde Irber [SPD]: Die 70 Prozent habt ihr befürchtet!)


Aber die örtlichen Dinge können wir hier beiseite lassen.
Ich bedauere sehr, dass man in einem so hohen Maße

verantwortungslos mit wichtigen Fragen umgeht.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Brunhilde Irber [SPD]: Das ist unkollegial!)

Erst führt man vertiefende Untersuchungen, die zweistel-
lige Millionenbeträge an Kosten verursachen, und Exper-
tenanhörungen durch und beteuert dabei immer, auch von
Ihrer Seite, Frau Irber und Herr Schmidt, dass man die Er-
gebnisse ganz sorgfältig auswerten wolle.


(Horst Kubatschka [SPD]: Haben wir auch!)

Man hat sogar angekündigt, dass es vor der Sommerpause
gar nicht mehr möglich sein werde, sachlich und fachlich
fundierte Entscheidungen zu treffen. Aber all diese Er-
kenntnisse wischt man dann einfach so vom Tisch.


(Reinhard Weis [Stendal] [SPD]: Bleiben Sie auf dem Teppich!)


Wenn ein Funken von Verantwortungsbereitschaft vor-
handen wäre und man diese Erkenntnisse in die weiteren
Prozesse hätte einfließen lassen wollen, dann hätte man
zumindest dem Vorschlag, ein vergleichendes Raum-
ordnungsverfahren für die Varianten A, C und D einzu-
leiten, zugestimmt. Darüber bestand ja schon weitestge-
hend zwischen den Fachministerien in Bayern und Berlin
Konsens. Auf der Grundlage der daraus gewonnenen Er-
gebnisse und Erkenntnisse hätte man dann wirklich eine
fachlich und sachlich saubere Entscheidung treffen können.

Sie wissen ganz genau, dass der Beschluss, den Sie
jetzt fassen wollen – deshalb haben Sie die Beratung des
Antrages um weitere vier Monate verzögert, damit er erst
jetzt, in den letzten Wochen dieser Legislaturperiode, be-
handelt wird –, so nicht vollzogen werden kann, weil er
gegen geltende Verträge verstößt.


(Horst Kubatschka [SPD]: Sie reden daher und kennen die Verträge nicht! – Weiterer Zuruf von der SPD: Sie sagen doch bewusst die Unwahrheit! – Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Mit einer solchen Vorgehensweise können die von Ihnen
selbst geforderten Ausbauziele nicht erreicht werden.

Danke.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Sie waren ja gar nicht in der Anhörung! – Gegenruf des Abg. Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Dazu möchte ich dann noch etwas sagen!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1424012300
Ich wundere
mich, dass so spät am Freitagnachmittag noch so viel Auf-

regung ist. Herr Kalb, ich kann Ihnen leider nicht mehr
das Wort geben, weil Ihre Redezeit vorbei ist.

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Brunhilde Irber.


Brunhilde Irber (SPD):
Rede ID: ID1424012400
Sehr geehrte Frau Präsiden-
tin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute ist ein schö-
ner Tag für die Donau.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Das hat die Kollegin Faße gesagt und ich kann ihr nur zu-
stimmen. Ich bin die Heimatabgeordnete aus der Donau-
region in Niederbayern, aus Osterhofen, wo die Ausbau-
maßnahme am meisten greift. Seit 24 Jahren kämpfe ich
im Kreistag von Deggendorf für einen sanften Ausbau der
Donau, der Natur und Schifffahrt in Einklang bringt und
die Belange der Bevölkerung berücksichtigt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


Heute ist mein schönster Tag im Deutschen Bundestag,
dem ich nun seit zwei Wahlperioden angehöre, weil mein
großes Anliegen, das mich in den Deutschen Bundestag
getrieben hat, heute zu einem glücklichen Abschluss
kommt.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS – Hans-Michael Goldmann [FDP]: Sie bleiben aber auch!)


– Ich bleibe auch, Herr Goldmann; das bleibt Ihnen nicht
erspart. – Auch die Widersprüche, die heute noch einmal
bei der CDU/CSU und der FDP zutage getreten sind, kön-
nen mir die gute Laune nicht verderben.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Aber interessieren würde mich schon, Herr Goldmann,
wieso Ihre Kollegen von der bayerischen FDP inklusive
des Herrn Kollegen Stadler, der Mitglied dieses Hauses
ist, sich bei allen Donaukongressen für einen sanften Aus-
bau der Donau ausgesprochen haben


(Beifall des Abg. Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – HansMichael Goldmann [FDP]: Nein, für einen ökologischen! Das ist etwas ganz anderes!)


– öffentlich, das ist dokumentiert –, aber Sie hier im Bun-
destag anderer Auffassung sind. Der Herr Kollege
Friedrich, Ihr verkehrspolitischer Sprecher, ist nicht ein-
mal hier. Das lässt tief blicken.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Hans-Michael Goldmann [FDP]: Das stimmt überhaupt nicht, was Sie sagen! Für diesen Bereich ist Herr Friedrich gar nicht zuständig!)


Jetzt zum Herrn Kollegen Kalb. Herr Kollege Kalb, Sie
fordern einen zügigen Ausbau der Donau, um die Schiff-
fahrt zu befördern. Das machen wir, denn mit der heuti-
gen Entscheidung kann in das Raumordnungsverfahren
eingetreten und dann zügig das Planfeststellungsverfah-




Bartholomäus Kalb
24090


(C)



(D)



(A)



(B)


ren durchgeführt werden. Die Variante A erfüllt 92 Pro-
zent der Zielvorgabe.


(Renate Blank [CDU/CSU]: Nein, eben nicht! Lesen Sie es doch richtig nach! Bei der Wahrheit sollten Sie schon bleiben!)


und ist am schnellsten zu realisieren. Damit hat sich die
Vernunft durchgesetzt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich möchte heute zum Abschluss wirklich allen herzlich
danken, die sich dafür eingesetzt haben, dass die Donau ein
Fluss bleiben kann. In diesen Dank möchte ich die Kolle-
gin Annette Faße einschließen – sie hat sich sehr bemüht –,


(Renate Blank [CDU/CSU]: Mir kommen gleich die Tränen!)


den Kollegen Müller und vor allem den Kollegen Horst
Kubatschka,


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


denn er hat dieses Anliegen hier schon in der 12. Legisla-
turperiode vertreten. Wir haben leider so wenig Redezeit,
dass wir sie nicht mehr teilen konnten, sonst hätte er heute
auch noch etwas gesagt.

Ich möchte mich ebenso bei den Mitarbeiterinnen und
Mitarbeitern, bei der Bundesregierung, bei dem Koaliti-
onspartner, den Grünen, und vor allem bei den vielen Bür-
gerinitiativen und bei den beiden Kirchen bedanken, die
dieses Anliegen über eine breite Bevölkerungsschicht
vertreten haben.

Ich glaube, dass die CSU gut beraten wäre, wenn sie
ihre Haltung hier ändern würde. Einerseits betreibt sie die
Renaturierung der Isar in Niederbayern und im Münche-
ner Raum, andererseits will sie die Donau in ein neues Be-
tonkorsett zwängen. Das passt nicht zusammen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Hans-Michael Goldmann [FDP]: Sie haben an der Anhörung nicht teilgenommen und Sie haben die Varianten nicht gelesen!)


– Natürlich war ich da, Herr Goldmann.

(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Wenn Sie da gewesen wären, hätte ich Sie nicht übersehen!)


Die Frau Präsidentin klingelt schon, ich muss jetzt auf-
hören. Ich möchte mich aber bei allen herzlich bedanken,
auch bei Iris Gleicke, unserer stellvertretenden Fraktions-
vorsitzenden, die nicht unmaßgeblich am Zustandekom-
men beteiligt war, sowie bei Reinhard Weis. Herzlichen
Dank allen, die dazu beigetragen haben, dass die Donau
weiter fließt. Auch ich könnte jetzt singen: „Oh Donau, so
blau, so blau, so blau ...“


(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP und der PDS)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1424012500
Ich schließe da-
mit die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Woh-
nungswesen auf Drucksache 14/9251. Unter Nr. 1 seiner
Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss die An-
nahme des Antrags der Fraktionen der SPD und des
Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 14/8589 mit
dem Titel „Für einen sanften Ausbau der Donau zwischen
Straubing und Vilshofen“. Wer stimmt für diese Be-
schlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltun-
gen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen
von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und PDS gegen die
Stimmen von CDU/CSU und FDP angenommen worden.

Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der
Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion der
CDU/CSU auf Drucksache 14/8484 mit dem Titel „Ver-
besserung der Schifffahrtsverhältnisse im Donauabschnitt
zwischen Straubing und Vilshofen“. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltun-
gen? – Die Empfehlung ist mit den Stimmen der Koaliti-
onsfraktionen und der PDS gegen die Stimmen von
CDU/CSU und FDP angenommen worden.

Unter Nr. 3 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der
Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion der
FDP mit dem Titel „Ausbau der Donau zwischen Strau-
bing und Vilshofen“. Wer stimmt für diese Beschluss-
empfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die
Beschlussempfehlung ist mit demselben eben festgestell-
ten Stimmenverhältnis angenommen worden.

Schließlich empfiehlt der Ausschuss in seiner Be-
schlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Frak-
tion der PDS auf Drucksache 14/7196 mit dem Titel „Aus-
bau der Donau zwischen Straubing und Vilshofen
ökologisch gestalten“. Wer stimmt für diese Beschlussemp-
fehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die Be-
schlussempfehlung ist mit den Stimmen des ganzen Hau-
ses gegen die Stimmen der PDS angenommen worden.

Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Aus-
schusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen, Druck-
sache 14/9247, zu dem Antrag der Fraktion der CDU/CSU
mit dem Titel „Notwendigkeit des Saaleausbaus“. Der
Ausschuss empfiehlt, den Antrag abzulehnen. Wer stimmt
für diese Beschlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Ent-
haltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stim-
men der Koalitionsfraktionen und der PDS gegen die
Stimmen von CDU/CSU und FDP angenommen worden.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 23 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Änderung des Rechts der Vertretung durch
Rechtsanwälte vor den Oberlandesgerichten
– Drucksache 14/8763 –

(Erste Beratung 230. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsaus-
schusses (6. Ausschuss)

– Drucksache 14/9266 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Alfred Hartenbach
Dr. Norbert Röttgen




Brunhilde Irber

24091


(C)



(D)



(A)



(B)


Volker Beck (Köln)

Rainer Funke
Dr. Evelyn Kenzler

Es liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der PDS vor.
Nach interfraktioneller Vereinbarung ist für die Aus-

sprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und gebe zunächst das Wort
dem Herrn Parlamentarischen Staatssekretär Eckhart
Pick.


(Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Der muss jetzt auch singen!)


D
Prof. Dr. Eckhart Pick (SPD):
Rede ID: ID1424012600
Frau Präsidentin! Meine Damen und
Herren! Mir ist auf die Schnelle nicht eingefallen, welches
Lied sich auf den jetzt vorliegenden Gesetzentwurf bezie-
hen könnte, weil es sich doch um sehr unterschiedliche
Materien handelt, wie wir alle wissen.


(Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Sie treffen einen wunden Punkt!)


Meine Damen und Herren, mit dem vorliegenden
Gesetzentwurf wird der Lokalisationszwang vor den
Oberlandesgerichten aufgehoben. Dies ist ein weiterer
Schritt zur Modernisierung und auch zur Deregulierung
der Justiz. Längst gibt es keinen einleuchtenden Grund
mehr für die Beschränkung, dass ein Rechtsanwalt in
Zivilprozessen nur vor dem Oberlandesgericht auftreten
darf, bei dem er auch zugelassen ist.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Auf der Ebene der Landgerichte haben wir diesen
Grundsatz bekanntlich schon zum 1. Januar 2000 abge-
schafft. Nach Ablauf der vom Bundesverfassungsgericht
zugestandenen Übergangsfrist bis zum 30. Juni 2002 kön-
nen wir diesen Schritt nun auch auf der Ebene der Ober-
landesgerichte vollziehen. Die Rechtsuchenden sind
dadurch nicht länger gezwungen, für das Berufungs-
verfahren den Anwalt zu wechseln. Der erstinstanzlich
tätige Anwalt ihres Vertrauens kann nunmehr auch vor dem
Oberlandesgericht auftreten, wenn er nur überhaupt bei ei-
nem Oberlandesgericht zugelassen ist. Diese Vereinfa-
chung führt zu Einsparungen für den Rechtsuchenden und
auch für die Haushalte der Länder, die von zusätzlichen
Prozesskostenhilfeausgaben entlastet werden.

Möglich wurde diese Deregulierung erst durch den
Wegfall der verfassungswidrigen Singularzulassung zum
1. Juli dieses Jahres. Die vom Bundesverfassungsgericht
insoweit formulierte Übergangsregelung ist eindeutig. Ich
habe deswegen kein Verständnis für das Ansinnen, die
verfassungswidrige Singularzulassung für einen längeren
Übergangszeitraum aufrechtzuerhalten.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ein Gesetz mit einer solchen Regelung könnte im Übri-
gen vom Bundesverfassungsgericht sofort per einstweili-
ger Anordnung wieder gestoppt werden.


(Alfred Hartenbach [SPD]: So ist das!)


Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf wollen wir Re-
gelungen auch zu anderen Bereichen treffen. Wichtig ist
mir insbesondere, dass wir durch Vorschriften im Zivil-
und Verfahrensrecht die Rechte behinderter Menschen
weiter stärken. So werden in Zukunft blinde, sehbehin-
derte sowie hör- und sprachbehinderte Menschen vor Ge-
richt Dokumente in einer für sie wahrnehmbaren Form,
zum Beispiel in Brailleschrift oder auf Tonträgern, erhal-
ten. Weiterhin wird eine Vorschrift in das BGB aufge-
nommen, die erwachsene Geschäftsunfähige in die Lage
versetzt, Geschäfte des täglichen Lebens mit den ihnen
zur Verfügung stehenden Mitteln zu bewirken. Behinderte
sollen im Rahmen ihrer individuellen Möglichkeiten, zum
Beispiel beim Kaufmann um die Ecke, Gegenstände des
täglichen Bedarfs rechtlich wirksam kaufen können. Auch
dies entspricht übrigens einer langjährigen Forderung der
Behindertenverbände.

Ein weiterer wesentlicher Regelungskomplex des vor-
liegenden Gesetzentwurfes betrifft die Verbraucher-
rechte bei Darlehensverträgen zur Finanzierung von
Immobilien. Der Europäische Gerichtshof hat am 13. De-
zember des vergangenen Jahres in der Sache Heinin-
ger. /.Hypo-Vereinsbank entschieden, dass dem Verbraucher
jedenfalls dann ein gesetzliches Widerrufsrecht eingeräumt
werden muss, wenn der Immobiliardarlehensvertrag ein
Haustürgeschäft ist. Er hat weiterhin entschieden, dass die
Ausübung dieses Widerrufsrechts nicht befristet werden
darf, wenn der Verbraucher nicht ordnungsgemäß über
sein Widerrufsrecht belehrt worden ist. Mit dem vorlie-
genden Gesetzentwurf passen wir das deutsche Recht
nicht nur an diese Vorgaben an, sondern verbessern da-
rüber hinausgehend den Verbraucherschutz auf diesem
Gebiet.

Das betrifft die folgenden Änderungen des Widerrufs-
und Beurkundungsrechts:

Zum einen soll es künftig auch für Immobiliardarle-
hensverträge ein generelles Widerrufsrecht des Verbrau-
chers innerhalb von zwei Wochen geben, das unabhängig
davon besteht, ob der Vertrag in einer Haustürsituation ge-
schlossen worden ist oder nicht. Verbraucherdarlehensver-
träge sind bereits heute grundsätzlich innerhalb von zwei
Wochen widerruflich. Dieses Widerrufsrecht hat der Ge-
setzgeber vorgesehen, weil es bei Verbraucherdarlehens-
verträgen aller Art auf die Einzelheiten der Bedingungen
und der Konditionen ankommt und der Verbraucher die
Möglichkeit haben soll, diese sorgfältig zu prüfen. Ausge-
rechnet für den wichtigsten Darlehensvertrag eines Ver-
brauchers, den Immobiliardarlehensvertrag für das eigene
Haus bzw. die eigene Wohnung, gilt diese Regelung bis-
lang nicht. Dies wollen wir ändern.

Zum anderen soll wie bei allen anderen Darlehensver-
trägen der Widerruf des Darlehensvertrages auch die
Rückabwicklung des finanzierten Geschäfts zur Folge
haben, wenn Darlehensvertrag und finanziertes Geschäft
eine wirtschaftliche Einheit darstellen. Denn es ist nie-
mandem zu vermitteln, weshalb bei einem Immobi-
liardarlehensvertrag das ausgeschlossen sein soll, was bei
jedem anderen Darlehensvertrag gilt. Wenn der Verkäufer
und der Darlehensgeber wirtschaftlich eng zusammenar-
beiten, dann müssen beide die Konsequenzen eines Wi-
derrufs tragen.




Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
24092


(C)



(D)



(A)



(B)


Die zweiwöchige Widerrufsfrist beginnt nach diesem
Vorschlag erst mit einer ordnungsgemäßen Belehrung
über das Widerrufsrecht. Wenn der Unternehmer den Ver-
braucher nicht ordnungsgemäß über sein Widerrufsrecht
belehrt, dann soll diese Widerrufsfrist nicht laufen und vor
allem das Widerrufsrecht nicht mehr wie bisher nach Ab-
lauf von sechs Monaten erlöschen.

Ich glaube, dass wir mit diesen Maßnahmen einen
großen Schritt zur Verbesserung des Verbraucherschutzes
tun. Ich bitte um Ihre Unterstützung.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1424012700
Jetzt hat der
Kollege Norbert Röttgen das Wort.


Dr. Norbert Röttgen (CDU):
Rede ID: ID1424012800
Frau Präsidentin!
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Unter dem
harmlosen Titel „Gesetz zur Änderung des Rechts der
Vertretung durch Rechtsanwälte vor den Oberlandesge-
richten“ verbergen sich völlig unterschiedliche Gesetzge-
bungsmaterien, die im Verfahren draufgesattelt worden
sind, die ohne inneren Zusammenhang und in der Sache
völlig unterschiedlich zu bewerten sind. Wir stimmen
etwa den Regelungen zur Verbesserung der Rechtsstel-
lung von behinderten Menschen ausdrücklich zu. Bei an-
deren Regelungen gilt aber das Gegenteil.

Bevor ich zum Inhalt komme, will ich eine an alle
Fraktionen gerichtete Bitte äußern – wir reden in diesen
Tagen und auch bei diesem Gesetz viel über den Verbrau-
cherschutz –: Vielleicht wäre es eine sinnvolle Maßnahme
des Verbraucherschutzes, Titel und Inhalt von Gesetzen
wieder mehr in Übereinstimmung zu bringen. Der Titel
dieses Gesetzes sagt über seinen Inhalt gar nichts aus.


(Beifall bei der CDU/CSU – Christine Ostrowski [PDS]: Da haben Sie Recht!)


Was uns allerdings viel mehr beschwert, ist die Tat-
sache, dass wir es erneut mit einem parlamentarischen
Schnellverfahren zu tun haben. Am Montag gab es die
Sachverständigenanhörung zu ganz unterschiedlichen
– das will ich noch einmal betonen –, jeweils sehr kom-
plexen und komplizierten Materien, am Dienstag wurden
die Gesetzentwürfe substanziell geändert, sodass am Mitt-
woch über 100 Seiten an Änderungsanträgen in den
Rechtsausschuss kamen. Es gab kaum Gelegenheit zur
Kenntnisnahme. Und heute, Freitagnachmittag, finden die
zweite und dritte Lesung statt.

Meine Damen und Herren, ich bedauere es sehr, fest-
stellen zu müssen, dass es nach meiner festen Überzeu-
gung noch nie eine Mehrheit im Bundestag gegeben hat,
die an der Entparlamentarisierung der Gesetzgebung so
mitgewirkt hat wie die jetzige rot-grüne Mehrheit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Das hat über dieses Gesetz hinaus Bedeutung; denn es ist
leider kein Einzelfall. Es ist im Grunde die Dauermethode
Ihrer Rechtspolitik in wichtigen Bereichen.


(Joachim Stünker [SPD]: Was?)


– Sie werden doch auch nicht konsultiert. Es ist exekutive
Gesetzgebung. Ihre Fraktion und die Fraktion der Grünen
sind genauso wenig an der Gesetzgebung beteiligt, wie es
die Oppositionsfraktionen sind. Wir jedenfalls beanstan-
den das, während Sie diesen Prozess noch unterstützen.


(Alfred Hartenbach [SPD]: Da müsst ihr mitarbeiten, da müsst ihr euch beteiligen und nicht dauernd irgendwo Geld verdienen! Wir arbeiten! – Joachim Stünker [SPD]: Und nicht zwischendurch promovieren!)


Das geht das gesamte Parlament etwas an. Es sind auch
Ihre Rechte betroffen. Wir haben ein Ausmaß an exekuti-
ver Gesetzgebung erreicht, das nicht gut ist.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Dieser Trend ergreift nun auch das Verhältnis von Bun-

destag zu Bundesrat. Die Bundesregierung hat beim
Bundesrat beantragt, der Fristverkürzung zuzustimmen.
Sie können diesen Gesetzentwurf dem Bundesrat nicht
mehr unter Einhaltung der vorgeschriebenen Fristen zu-
leiten. Der Bundesrat hat dem Antrag auf Fristverkürzung
nicht zugestimmt.

Ich fordere Sie heute auf, sich zu erklären, ob Sie be-
reit und entschlossen sind, unter Verletzung der Frist, die
für das Zuleitungsverfahren an den Bundesrat vorgesehen
ist, dieses Gesetzesvorhaben dem Bundesrat kampfweise
zuzuleiten. Ich bitte Sie, sich dazu heute im Bundestag zu
erklären. Das wäre erneut eine Verletzung der Verfah-
rensrechte des Bundesrates. Sie sollten heute darüber
Auskunft geben, ob Sie dazu bereit sind oder nicht.

Es gibt einen sachlichen Grund, um einen ganz be-
stimmten Teil dieses Gesetzes eilig zu beschließen. Es
drohen nämlich Staatshaftungsansprüche gegen die
Bundesrepublik Deutschland, auf Deutsch gesprochen:
Schadensersatzansprüche gegen den Staat wegen legisla-
tiven Fehlverhaltens.

Dieses legislative Fehlverhalten fand in jüngster Zeit
statt. Es entstammt einem anderen parlamentarischen
Schnellverfahren, nämlich der Schuldrechtsreform. In
dem Schuldrechtsreformgesetz hat die rot-grüne Mehr-
heit, die in ihren Überschriften sehr viel vom Verbrau-
cherschutz redet, den Verbrauchen die Rechte, die ihnen
nach einer europäischen Richtlinie, der Haustürgeschäfte-
richtlinie, zustehen, beschnitten. Es wurde auch nicht
übersehen, dass hier noch etwas umzusetzen war. Viel-
mehr ist das, was Herr Professor Pick, der Parlamentari-
sche Staatssekretär, als den jetzigen Regelungsgehalt dar-
gestellt hat, Inhalt der europäischen Richtlinie, die das
Ziel hat, die Verbraucher zu schützen.


(Alfred Hartenbach [SPD]: Das war ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs!)


Das war bekannt; darüber wurde diskutiert.
Ihre politische Auffassung war, den Verbrauchern diese

Rechte zu beschneiden, obwohl diese Rechte dem Wort-
laut wie dem Zweck nach eindeutig in der entsprechenden
Richtlinie ausgeführt worden sind. Die Folge war: Der
Europäische Gerichtshof hat Ihnen mitgeteilt, dass dieses
Gesetz europarechtswidrig ist und Sie es ändern müssen.
Das hat der Europäische Gerichtshof allerdings schon im
Dezember 2001 getan.




Parl. Staatssekretär Dr. Eckhart Pick

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(B)


Ich möchte fragen, was das für eine enorme Reakti-
onsgeschwindigkeit des Bundesjustizministeriums ist.
Sie haben ein halbes Jahr für die Korrektur zweier relativ
marginaler Regelungsbereiche benötigt. Ich kann das
nicht verstehen. Das ist eine Schneckenhaftigkeit, die ich
für erklärungsbedürftig halte.


(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Schneckenrennen!)


Vielleicht kann man heute darüber Auskunft erlangen.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Wir jedenfalls haben immer deutlich gesagt, dass wir
uns dieser notwendigen Korrektur Ihres eigenen Gesetzes
nicht verschließen werden. Wir sind für diese europäische
Richtlinie und auch für Verbraucherschutz auf diesem Ge-
biet und auch in anderen Bereichen. Unfair ist aber, dass
Sie diesen Regelungsbereich, die Notwendigkeit dieser
Korrektur, als Vehikel benutzen, um andere – hochpro-
blematische, hochsensible und komplexe – Regelungs-
materien, die in der Beratung und nun auch in der Vorlage
unausgereift sind, durch das Parlament zu bringen.

Ich spreche insbesondere von dem hochproblemati-
schen und ebenso komplexen wie sensiblen Thema der so
genannten verbundenen Geschäfte. Wir haben es hier
mit einer Fallkonstellation zu tun, in der sich Hunderttau-
sende von Menschen bzw. Verbrauchern geschädigt und
um ihre Rechte betrogen fühlen. Ich sage das bewusst so
subjektiv, um deutlich zu machen, wie die subjektive
Wahrnehmung bei unbestritten Hunderttausenden von
Menschen ist.

Rechtlich-technisch gesprochen geht es um die Frage:
Wann bilden ein Verbraucherkreditvertrag und ein Grund-
stückskaufvertrag – der Kreditvertrag ist abgeschlossen
worden, um den Grundstückskauf zu finanzieren – ein so
genanntes verbundenes Geschäft? Wann bilden sie eine
wirtschaftliche Einheit, sodass beide Verträge nicht als
rechtlich selbstständig anzusehen sind, sondern der Man-
gel des einen auch auf den anderen Vertrag durchschlägt?

Die Antwort auf diese Frage, also wie dies gesetzlich
bewertet wird, ist entscheidend für die Effektivität der
Verbraucherrechte. Sie ist genauso entscheidend für die
Kalkulierbarkeit des wirtschaftlichen Risikos auf der An-
bieterseite, nämlich bei den Banken und der Bauwirt-
schaft.

Wir haben nicht über das Ob einer Regelung gestritten;
eine Regelung ist nötig. Wir haben über die Methode ge-
sprochen. Sollen wir das der Rechtsprechung vorbehal-
ten? Sollte man sich von Fall zu Fall hangeln? Ist das bes-
ser so oder soll das der Gesetzgeber machen? Ich meine,
der Gesetzgeber sollte es machen. Die Schwierigkeiten
liegen jedoch nicht im Ob, sondern im Wie.

Das, was Sie nun in der Schnelligkeit und der Hektik
dieses Gesetzgebungsverfahrens vorgelegt haben, ist un-
tauglich. Ich bedauere, das hier sagen zu müssen. Es wird
ganz sicher Rechtsunsicherheit für beide Seiten nach sich
ziehen. Sie haben ins Subjektive gehende Formulierungen
gewählt, die ungenau sind. Sie haben nur die bisherige
Rechtsprechung rezipiert und dann eine allgemeine Öff-
nungsklausel formuliert. Für beide Seiten bedeutet dies

Rechtsunsicherheit. Die Banken werden möglicherweise
rechtsunsicher. Vielleicht werden die Geschäfte teurer
und vielleicht wird es solche Geschäfte in Zukunft nicht
mehr geben.

Aber mindestens so schwer und in den Auswirkungen
vielleicht noch schwerer wiegt, dass diese Rechtsunsi-
cherheit natürlich die Bürger bzw. die Verbraucher be-
trifft. Durch Rechtsunsicherheit bei solchen Prozessen,
bei denen es um Immobilienkäufe geht und die natürlich
einen sehr hohen Streitwert haben, belasten Sie die Ver-
braucher, die sich geschädigt fühlen und möglicherweise
in ihrer Existenz getroffen sind, weil sie sich voll mit dem,
was sie haben, und sogar mit mehr wirtschaftlich enga-
giert haben. Sie bürden ihnen durch die gesetzliche For-
mulierung, für die Sie sich entschieden haben, im Grunde
ein untragbares Prozessrisiko in Form eines Kostenrisikos
auf.

Es ist nicht so einfach, alles hinzukriegen. Die Hektik
des Gesetzgebungsverfahrens hat die schlechte Qualität
der Gesetze bewirkt. Das muss hier so deutlich angespro-
chen werden.

Ich möchte ein zweites Thema ansprechen. Das hat
Herr Pick in seinem Beitrag auch thematisiert, nämlich
die Frage einer Übergangsregelung für das Auslaufen der
Singularzulassungen, die verfassungsgerichtlich ange-
ordnet worden ist. Wir haben nun die besondere Konstel-
lation, dass sich der Europäische Gerichtshof für Men-
schenrechte auf eine Beschwerde von betroffenen
Bürgern und Anwälten hin mit dieser Sache befasst. Er ist
in die Sachprüfung eingetreten und die Fragen, die er an
die Bundesrepublik Deutschland gestellt hat, lassen es
– um es zurückhaltend zu formulieren – nicht ausge-
schlossen erscheinen, dass der Europäische Gerichtshof
für Menschenrechte zu dem Ergebnis kommen kann,
dass das praktische Fehlen einer Übergangsfrist oder je-
denfalls einer maximal halbjährlichen Übergangsfrist
konventionswidrig ist, nämlich eine rechtswidrige ent-
schädigungslose Enteignung darstellt.

Das kann passieren. Wir wissen es nicht; denn der Eu-
ropäische Gerichtshof für Menschenrechte hat noch nicht
entschieden. Darum haben wir vorgeschlagen, den
Rechtszustand, der seit 50 Jahren gilt, noch um ein paar
Monate zu verlängern und die Entscheidung des Europä-
ischen Gerichtshofes für Menschenrechte abzuwarten,
um im Lichte dieser Entscheidung über eine gesetzliche
Regelung befinden zu können.

Was wäre denn die Folge, wenn der Europäische Ge-
richtshof für Menschenrechte entscheiden sollte, diese
Maßnahme sei konventionswidrig gewesen? Dann hätten
wir die sehr unerfreuliche Kollision einer Entscheidung
des höchsten deutschen Gerichtes, des Bundesverfas-
sungsgerichts, mit einer Entscheidung des Europäischen
Gerichtshofes für Menschenrechte. Wir sind nicht mehr
allein für uns, auch nicht in der Rechtsordnung und in der
Rechtsprechung. Die Rechtsprechung ist in die europä-
ische und die internationale Gerichtsbarkeit eingebettet.
Wir sollten versuchen, Kollisionen unvermittelt neben-
einander stehender Entscheidungen, die die Autorität und
Glaubwürdigkeit der Rechtsprechung beeinträchtigen,
aufzulösen. Eine weitere Folge einer solchen Entschei-




Dr. Norbert Röttgen
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dung des Europäischen Gerichtshofes wäre nicht die Kas-
sation der staatlichen Maßnahme, sondern wahrscheinlich
die Auslösung erheblicher Schadensersatzansprüche ge-
gen die Bundesrepublik Deutschland. Auch das sollten
wir verhindern.

Darum lautet unser praktischer Vorschlag: Lasst es uns
noch ein paar Monate lang so machen, wie wir es 50 Jahre
lang gemacht haben. Dann könnten wir auf Basis der
Kenntnis der neuen Sach- und Rechtslage entscheiden. Da
es wahrscheinlich ein Vermittlungsverfahren geben wird,
appelliere ich an Sie, dass wir darüber wie auch über an-
dere Punkte noch einmal reden. Wir bedauern ausdrück-
lich – um es noch einmal zu sagen – dass hier in einem
Schnellverfahren entscheidende Probleme, die für die be-
troffenen Bürger von hoher Relevanz sind, nur unzurei-
chend geklärt worden sind. Darum können wir diesem
Gesetzentwurf nicht zustimmen, obwohl wir in Teilpunk-
ten mit ihm einverstanden sind.

Ich danke sehr für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Alfred Hartenbach [SPD]: Wir hätten uns das auch verbeten, Herr Röttgen!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1424012900
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Volker Beck.


Volker Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1424013000

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das heutige
Gesetz ist eine durch und durch gelungene Mischung:


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


ein leistungsstarker, topmoderner Omnibus. Mit den
neuen Regelungen über das Widerrufsrecht bei Im-
mobiliardarlehensverträgen stärken wir den Verbraucher-
schutz. Mit dem Wegfall der Singularzulassung für die
Anwälte bei den Oberlandesgerichten stärken wir die Be-
rufsfreiheit und beenden einen verfassungswidrigen Zu-
stand. Mit den Vorschriften im GVG und den diversen
Prozessordnungen stärken wir die Rechte behinderter
Menschen. Wir komplettieren damit das Bundesgleich-
stellungsgesetz, das wir vor kurzem bereits verabschiedet
haben.

Meine Damen und Herren von der Opposition, es gibt
überhaupt keinen Grund, sich über dieses Omnibus-Ge-
setz so aufzuregen, wie Sie es tun. Im Gegenteil, Grund
zur Aufregung haben allenfalls wir, und zwar über Sie;
denn Sie scheren sich offensichtlich einen Dreck um das,
was das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber bei
der OLG-Zulassung aufgetragen hat. Sie wollen allen
Ernstes zugunsten einer kleinen Gruppe von OLG-An-
wälten, deren Anliegen ich im Übrigen in Straßburg keine
großen Chancen einräume, den Karlsruher Richterspruch
ignorieren. Sie wollen eine Fristverlängerung, obwohl
Karlsruhe uns klare Vorgaben gemacht hat. Das ist ein
echter Skandal, wenn auch bei Ihnen nicht wirklich neu.
In den vergangenen Wahlperioden haben Sie die Umset-
zungsfristen von EU-Richtlinien regelmäßig nicht so eng
gesehen. Jetzt nehmen Sie offensichtlich nicht einmal
mehr das Bundesverfassungsgericht ernst.

Wir stärken heute mit der Beendigung des Verbotes der
Simultanzulassung von Anwälten bei Oberlandesgerich-
ten die Berufsfreiheit und machen zugunsten des gesam-
ten Berufstandes der Anwälte Schluss mit den Privilegien
einiger weniger. Eine Verlängerung der Übergangsfrist ist
auch von der Sache her nicht gerechtfertigt. Das Urteil ist
den OLG-Anwälten seit dem 13. Dezember 2000 be-
kannt; es gab also hinreichend Zeit, sich darauf einzustel-
len. Seitdem können sich die OLG-Anwälte auch an den
Landgerichten zulassen, um unnötigen Konkurrenzdruck
zu vermeiden.

Meine Damen und Herren, die Entscheidung des Euro-
päischen Gerichtshofes vom 13. Dezember 2001 in der Sa-
che Heininger ./. Hypo- und Vereinsbank war ein großer
Sieg für die Verbraucherinnen und Verbraucher. Hundert-
tausende geprellter Kunden, denen unter zweifelhaften
Bedingungen Schrottimmobilien angedreht wurden, kön-
nen jetzt hoffen. Die Möglichkeit, solche kreditfinan-
zierten Immobiliengeschäfte per Widerruf rückgängig
zu machen, wird jetzt geschaffen. Das ist gut so. Deshalb
sage ich Ihnen auch hier, sehr verehrte Kolleginnen und
Kollegen von Union und FDP: Es gibt überhaupt keinen
Grund, diese europäischen Vorgaben nicht so schnell wie
möglich in unser Recht umzusetzen. Ihnen ist aber am
Verbraucherschutz offensichtlich nicht viel gelegen; das
haben wir auch in der Landwirtschaftsdebatte immer wie-
der hören müssen. Sie wollen, dass die Praxis unseriöser
Geschäftemacher zulasten der kleinen Leute fortgesetzt
wird. Wir erteilen dem eine klare Absage.

Unsere Lösung ist bis ins letzte Detail ausgewogen und
tragfähig. Gemeinsam mit der Bundesnotarkammer ha-
ben wir eine Lösung erarbeitet, die künftig die Pflichten
der Notare bei der Beurkundung von Verbraucherverträ-
gen klar umreißt. Verbraucher werden künftig frühzeitig
und umfassend über diese Art von Geschäften informiert.

Zusammen mit diesem Omnibus-Gesetz geben wir
auch einige Verbesserungen für sehbehinderte und blinde
ebenso wie für hör- und sprachbehinderte Menschen in
das Gesetzgebungsverfahren: im Prozessrecht, im Recht
der Geschäftsfähigkeit und beim Errichten von Testamen-
ten. Diese Vorschriften folgen der Linie des am 1. Mai in
Kraft getretenen Gleichstellungsgesetzes. Sie fördern
Selbstbestimmung und stärken die Rechte von behinder-
ten Menschen. Diese Regelungen runden die großen Re-
formprojekte für behinderte Menschen für diese Wahlpe-
riode ab. Wir gehen einen weiteren Schritt in eine im
umfassenden Sinne barrierefreie Gesellschaft.

Gleichwohl ersetzen diese Bestimmungen nicht ein zi-
vilrechtliches Antidiskriminierungsgesetz für Behinderte.
Ein wirksames und rechtsstaatliches, zielgenaues Gesetz
zur Verhinderung von Diskriminierungen im Zivilrecht
bleibt eine wichtige Aufgabe für die nächste Wahlperiode.
Wir werden dafür sorgen, dass es dann auch kommt.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1424013100
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Rainer Funke.




Dr. Norbert Röttgen

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(C)



(D)



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Rainer Funke (FDP):
Rede ID: ID1424013200
Frau Präsidentin! Meine Da-
men und Herren! Unter dem harmlos klingenden Titel
„Gesetz zur Änderung des Rechts der Vertretung durch
Rechtsanwälte vor den Oberlandesgerichten“ soll heute
ein Gesetz verabschiedet werden, das immerhin 34 Arti-
kel umfasst und zum Teil gravierende Veränderungen un-
serer Rechtsordnung vorsieht.

Ich räume ein, dass es leider in diesem Parlament ins-
besondere am Ende einer Legislaturperiode nicht unüblich
ist – sogar unabhängig von der jeweiligen Koalition –, dass
solche Artikelgesetze häufig auch als Reparaturgesetze
der vergangenen Beschlüsse vorgelegt werden. Bei dem
schlecht formulierten Schuldrechtsmodernisierungsge-
setz


(Joachim Stünker [SPD]: Das war gut formuliert! Alle loben es, nur Sie nicht!)


ist es kein Wunder, dass mit dem heute vorliegenden Re-
paraturgesetz auch einige schuldrechtliche Bestimmun-
gen geändert werden müssen.


(Joachim Stünker [SPD]: Ach, Herr Funke!)

Ungewöhnlich ist jedoch, dass nach Einbringung ei-

nes Gesetzes durch so genannte Formulierungshilfen we-
sentliche Änderungen und Ergänzungen des Bürgerli-
chen Gesetzbuches insbesondere hinsichtlich der so
genannten Verbundverträge hineingemogelt werden,
ohne dass sie in erster Lesung beraten werden. Dies ist
auch nicht mit der Rechtsprechung des Bundesgerichts-
hofs oder des Europäischen Gerichtshofs zu rechtferti-
gen. Der Anlass für die Rechtsprechung dieser Gerichte
war die Verkaufspolitik einiger Banken und Sparkassen
insbesondere zu Beginn der 90er-Jahre. Es ist in der Tat
einzuräumen, dass damals Anleger geschädigt worden
sind. Diese Mängel der Gesetzgebung sind inzwischen
schon längst behoben, nicht zuletzt durch die Rechtspre-
chung und durch die Arbeit dieses Parlamentes; denn wir
haben die Steuervergünstigungen, die bei diesen Steuer-
modellen üblich waren, beseitigt. Die jetzt gefundene
Formulierung in § 358 Abs. 3 BGB wird der Rechtspre-
chung leider mehr Steine als Brot geben. Die Formulie-
rungen sind schwammig und auslegungsbedürftig. Da-
durch besteht die Gefahr, dass sowohl bei den Banken
und bei den Bauträgern als auch bei den Kreditnehmern,
also den Käufern von Eigentumswohnungen, ganz er-
hebliche Unsicherheiten entstehen.

Dies birgt natürlich große Risiken, im Übrigen auch für
die Verbraucher. Dies wird immer wieder verkannt. – Herr
Beck ist leider schon wieder nicht mehr da. Gerade die
Verbraucher, die er schützen möchte, werden hier unter
Umständen geschädigt, weil sie höhere Zinsen für den
höheren Aufwand der Banken in Kauf nehmen müssen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Man hätte schon die unterschiedlichen Interessen genau
abwägen müssen. Dies war aber angesichts der Kürze die-
ser Beratung und der Hetze, die wiederum von dem Bun-
desjustizministerium ausgelöst worden ist, gar nicht mög-
lich.


(Jürgen Koppelin [FDP]: Das liegt an der Ministerin, die ist so hektisch!)


– Ja, auch das ist richtig, Herr Koppelin. Wir müssen dies
aber eigentlich nicht immer hinnehmen. Aber leider haben
die Koalitionsfraktionen dies mit ihrer Mehrheit hinge-
nommen. Dies wird zu erheblichen Schäden für die Ge-
samtwirtschaft führen,


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

sowohl bei der Bauindustrie als auch bei den Banken und
natürlich auch den Kunden.

Dasselbe gilt für den eigentlichen Anlass dieses Geset-
zes, nämlich die Vertretung von Rechtsanwälten vor
Oberlandesgerichten. Hier kann ich nur Herrn Röttgen
folgen: Es hätte überhaupt nichts geschadet, wenn wir
noch ein halbes Jahr abgewartet hätten, bis der Europä-
ische Gerichtshof für Menschenrechte entschieden hätte.
Auch das Bundesverfassungsgericht hätte die neue Sach-
und Rechtslage sicherlich akzeptiert


(Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Die wären wahrscheinlich froh gewesen!)


und die Drohung, die Sie, Herr Pick, ausgesprochen ha-
ben, wäre sicherlich nicht Wirklichkeit geworden.


(Beifall bei der FDP)

Lassen Sie mich abschließend sagen, dass auch in die-

sem Artikelgesetz eine Reihe von guten Regelungen ent-
halten ist, zum Beispiel zu den Rechten der Behinderten.
Die von mir aufgezeigten Mängel sind jedoch so gravie-
rend und das Verfahren ist wieder einmal so angreifbar,
dass wir dieses Gesetz insgesamt ablehnen müssen.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1424013300
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Christine Ostrowski.


Christine Ostrowski (PDS):
Rede ID: ID1424013400
Sehr geehrte Frau Präsi-
dentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es klingelt an
Ihrer Haustür, ein seriös aussehender Herr bietet Ihnen
eine Immobilie als Altersvorsorge zum Kauf an: bankge-
prüft, in bester Lage, steuersparend, mit Mietgarantie.
Und wie schön: Der Herr hat auch die Finanzierung gleich
in der Tasche, denn da die Immobilie bankgeprüft ist, gibt
die Bank selbstverständlich sofort den Kredit. Alles rech-
net sich von selbst. Es gibt Fälle, bei denen eine monatli-
che Belastung von 104 DM ausgerechnet worden ist. So
viel Autorität überzeugt Sie. Ehe Sie sich versehen, haben
Sie den Kaufvertrag und den Darlehensvertrag unter-
schrieben.

Nach drei oder vier Jahren kommt das böse Erwachen.
Erst dann merken Sie, dass das eingespielte Team zwi-
schen Bank, Vermittler, womöglich noch Treuhänder und
Notar Sie über den Tisch gezogen hat, weil die Mietga-
rantie futsch ist, weil die Immobilie Schrott ist, weil sie
überbewertet war, eine Provision in Höhe von 30, 40 oder
50 Prozent im Kaufpreis enthalten war, weil Sie keine
Einnahmen mehr haben, sondern nur noch Kosten über
Kosten. Zusätzlich zu diesen Kosten müssen Sie die Zin-
sen für das Darlehen an die Bank zahlen. Nichts rechnet
sich mehr von selbst. Sie sind finanziell am Ende.






(C)



(D)



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(B)


Es gibt mindestens 300 000 solcher Fälle. Damit Sie
wissen, worüber ich rede: Ich rede hier nicht über Boris
Becker oder solche Leute, sondern über Menschen, die
keineswegs ein hohes Einkommen, sondern ein normales
bis niedriges Einkommen haben und denen es ganz
dreckig geht.

Diese mindestens 300 000 Menschen kommen nach
jetzigem Recht aus dieser Situation nahezu überhaupt
nicht heraus. Sie haben im Moment kein Widerrufsrecht.
Das ist bereits gesagt worden. Wenn sie sich dann den Mut
nehmen, einen Rechtsanwalt finden und vor Gericht zie-
hen, sind sie nach heutigem Recht Beweislastschuldner
gegenüber der Bank.

Nun haben Sie unter dem Druck dieser 300 000 Im-
mobiliengeschädigten, ihrer Rechtsanwälte und der Ent-
scheidung des Europäischen Gerichtshofes und nicht aus
eigenem Antrieb nach langer Zeit und natürlich in letzter
Minute im Eiltempo einen Verbraucherschutzartikel in ein
Gesetz aufgenommen, das eigentlich gar nicht so viel da-
mit zu tun hat. Es beruhte also nicht auf Ihrem eigenen
Antrieb.


(Alfred Hartenbach [SPD]: Gut!)

Sie haben gesagt, Sie hätten das Problem zugunsten der

Verbraucher gelöst; natürlich für die Zukunft, denn rück-
wirkend hilft dies nicht. Ich versichere Ihnen: Sie haben
es eben nicht gelöst. Sie haben die Definition eines ver-
bundenen Geschäfts – das eingespielte Team zwischen
Bank, Vermittler usw., das die Leute über den Tisch zieht –
verschnörkelt, aber nicht wirklich etwas zugunsten der
Verbraucher geregelt. Denn – das ist das Entscheidende –
die Beweislast liegt auch in Zukunft immer nur bei dem
kleinen Mann, der gegenüber einer Bank hilflos dasteht,
weil die Bank nicht verpflichtet ist, ihre Dokumente offen
zu legen und Aufklärung zu leisten.

Sie haben auch hinsichtlich des Widerrufsrechts einen
Trick angewandt. Sie führen das Widerrufsrecht zwar
wieder ein, aber einige Paragraphen später – nämlich im
§ 506 – haben Sie eine Hintertür eingebaut; damit kann es
wieder ausgehebelt werden.

Wir haben einen Änderungsantrag vorgelegt, der die
Knackpunkte beseitigen würde. Ein Widerrufsrecht
muss unbefristet gelten, das heißt, grundsätzlich und dau-
erhaft, und zwar ohne Hintertür. Wenn es zu Streitigkeiten
kommt, muss die Beweislast bei den Banken liegen. Des-
halb ist nach unserer Definition bei einem bankfinanzier-
ten Immobilienerwerb im Normalfall immer davon aus-
zugehen, dass es sich um ein verbundenes Geschäft
handelt und die Bank notfalls beweisen muss, dass dies
nicht der Fall ist. Nur so ist ein Ausweg aus dieser ge-
samten Dramatik möglich.


(Beifall bei der PDS)

Im Übrigen ist Ihr Artikelgesetz zum Verbraucher-

schutz reine Kosmetik. Ich bin entsetzt darüber, dass Sie
zwar – wenn auch zu Recht – im Rahmen einer Regie-
rungserklärung gestern stundenlang den Nitrofen-Skan-
dal diskutiert haben, dass Sie aber in dieser Debatte, in der
es um die finanziell und sozial brenzlige Situation von
Hunderttausenden geht, den Verbraucherschutz derart
stiefmütterlich behandeln.

Damit auch das klar ist, Herr Dr. Röttgen: Es hat mich
schon ein bisschen gewundert, dass in der Expertenan-
hörung am Montag dreimal so viele Experten wie Abge-
ordnete anwesend waren. Sie haben sich vorhin in Richtung
Verbraucherschutz aufgespielt, aber am Montag haben Sie
dazu kein Wort gesagt; Ihre Fragen gingen in eine andere
Richtung. Ich war im Rechtsausschuss und auch im Bau-
ausschuss und habe dort miterlebt, wie CDU/CSU und FDP
den in Rede stehenden Artikel zum Verbraucherschutz in
dem Gesetzentwurf heruntergemacht haben. Das bezieht
sich auf den Gesetzentwurf der Bundesregierung, für unse-
ren gilt das sowieso; wir sind ja daran gewöhnt, dass unsere
Gesetzentwürfe abgelehnt werden.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1424013500
Frau Kollegin!


Christine Ostrowski (PDS):
Rede ID: ID1424013600
Ich komme zum
Schluss. – Selbst die kosmetischen Änderungen, die die
SPD und die Grünen vorhaben, haben Sie in den Aus-
schüssen mit großer Entschiedenheit vom Tisch gewischt,
sodass Sie hier nicht so tun können, als hätten Sie sich wie
verrückt für die Verbraucher eingesetzt.


(Beifall bei der PDS)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1424013700
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Alfred Hartenbach.


Alfred Hartenbach (SPD):
Rede ID: ID1424013800
Frau Präsidentin! Ich
freue mich, dass ich die Gelegenheit habe, am Ende unse-
rer gemeinsamen Parlamentarierzeit gemeinsam mit mei-
nem alten Weggefährten Joachim Tappe am Rednerpult
stehen zu dürfen. Das ist das erste Mal, Achim. Darüber
freue ich mich sehr.

Die Kollegen Röttgen und Funke haben sich heute in
Scheinheiligkeit überschlagen.


(Rainer Funke [FDP]: Oh!)

Wissen Sie, Herr Kollege Röttgen und auch Herr Kollege
Funke, die Richtlinie, von der Sie gesprochen haben und
die den Widerruf von Haustürgeschäften regelt, stammt
aus dem Jahr 1985 und ist damals von Ihrer Regierung
nicht ordnungsgemäß umgesetzt worden.


(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Welche Umsetzungsfrist gilt denn?)


Erst das Urteil des Europäischen Gerichtshofs hat uns
dazu gezwungen zu reagieren. Wir müssen in der Tat rea-
gieren, um keine Staatshaftung auf uns zukommen zu las-
sen. Daraus ergibt sich auch die Eilbedürftigkeit des Ge-
setzes.

Aber das ist Ihre Art, nämlich etwas zu behaupten und
darzustellen, von dem sich später herausstellt: Alles heiße
Luft. Sie haben Glück, dass Sie hier geblieben sind; sonst
wäre ich jetzt noch etwas lauter geworden, Herr Röttgen.


(Rainer Funke [FDP]: Das hätte ich gern mal erlebt!)


Ihr Vorhaben, die Singularzulassung bei den Oberlan-
desgerichten zu verlängern, zeigt, meiner lieber Herr




Christine Ostrowski

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(C)



(D)



(A)



(B)


Röttgen und auch mein lieber Herr Funke – Sie wollen das
schließlich auch –, dass ein Urteil des Bundesverfas-
sungsgerichts nicht beachtet wird. Ich gehe so weit, zu sa-
gen: Das zeigt Ihr Verfassungsverständnis.


(Lachen bei der CDU/CSU)

– Sie mögen darüber lachen. Aber die Bevölkerung wird es
schon richtig zu werten wissen, dass Herr Röttgen von der
CDU/CSU-Fraktion höhnisch grinst, wenn man ihm vor-
wirft, er begehe sehenden Auges einen Verfassungsbruch
und missachte ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts.


(Lachen bei der CDU/CSU)

– Sehen Sie, so machen Sie Politik.


(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Herr Hartenbach, blasen Sie sich nicht so auf!)


Eben hat Herr Stünker gesagt, der Wähler möge uns vor
Ihnen als Regierungspartei bewahren. Ich kann das nur
wiederholen.


(Beifall bei der SPD – Dr. Norbert Röttgen [CDU/ CSU]: Überlassen Sie das den Wählern!)


Wir möchten mit diesem Gesetz so viel Gutes erreichen.
Wir werden es endlich schaffen, dass – wie bei den Ge-
schäften der Hypo-Vereinsbank, bei denen wir nicht wis-
sen, in welcher Weise Herr Stoiber dabei seine Finger im
Spiel hat – nicht wieder 300 000 Immobiliengeschädigte
auf der Matte stehen. Das sind Menschen, die durch diese
Machenschaften, die meine Vorredner angeprangert haben,
teilweise ihrer Existenz beraubt worden sind. Wir schaffen
ein klares Verbraucherrecht, mit dem der Verbraucher
endlich die Sicherheit hat, dass diejenigen, die solche Ge-
schäfte abwickeln, dafür geradestehen müssen.

Das Wichtigste an diesem Gesetzentwurf ist für mich
die Tatsache, dass wir nun auch beim Beurkundungs-
recht klare Richtlinien geschaffen haben und die vielen
tausend rechtschaffenden Notare, die dieses Recht beach-
ten, unterstützen, damit es nicht mehr zu Überrumpe-
lungsbeurkundungen kommen kann, wie dies bei Immo-
biliengeschäften dieser Art oft der Fall gewesen ist. Wir
wissen: Die Notarkammern in Deutschland sind uns für
diese gesetzliche Richtigstellung dankbar.

Letztlich werden wir mit diesem Gesetzentwurf auch
die Rechte von Menschen mit Behinderung stärken. Es
war lange überfällig, dass nach dem öffentlich-recht-
lichen Gleichstellungsgesetz nun die Menschen mit Be-
hinderung, die ihre Geschäfte nicht so abwickeln konnten,
wie das von ihnen erwartet wurde, zum Beispiel auch Ver-
träge in Behindertenwerkstätten abschließen können.

Wenn Sie das wollen, dann stimmen Sie dem Gesetz
zu, Herr Funke.


(Rainer Funke [FDP]: Das wollen wir doch auch! Bringen Sie doch nicht immer andere Sachen mit hinein!)


– Herr Funke, Sie sollten vielleicht Justizminister der
Sahelzone werden.


(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Jetzt wird er auch noch rassistisch!)


Das, was Sie an Inhalten vortragen, entspricht der Dürre
in der dortigen Region. Ihre Ankündigungen sind genauso
schillernd wie die dortigen Fata Morganen.

Wir stärken die Rechte der Menschen mit Behinde-
rungen.Dies ist einer der wichtigsten Teile in diesem Ge-
setzentwurf. Deswegen bitte ich Sie: Stimmen Sie diesem
Gesetzentwurf zu. An dieser Stelle bitte ich insbesondere
den Bundesrat, diesen Gesetzentwurf nicht abzulehnen;
denn Sie würden damit den Verbrauchern einen Bären-
dienst erweisen.


(Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Sie sollen nur das tun, was Sie sagen!)


Sie würden darüber hinaus den Menschen mit Behinderun-
gen einen Bärendienst erweisen. Auch würden Sie der ganz
großen Masse der Anwälte, die auf ihre Zulassungen zum
Oberlandesgericht warten, einen Bärendienst erweisen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1424013900
Ich schließe da-
mit die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung
des Rechts der Vertretung durch Rechtsanwälte vor den
Oberlandesgerichten. Der Rechtsausschuss empfiehlt in
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 14/9266,
den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen.

Es liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der PDS vor,
über den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt dafür? – Wer
stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Änderungsantrag
ist mit den Stimmen des ganzen Hauses gegen die Stim-
men der PDS abgelehnt worden.

Ich bitte jetzt diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der
Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Hand-
zeichen. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Ge-
setzentwurf ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen
und einer Stimme aus der PDS gegen die Stimmen
von CDU/CSU und FDP bei Enthaltung der Kollegin
Ostrowski in zweiter Beratung angenommen worden.

Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer
stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf
ist so, wie ich es eben in der zweiten Beratung festgestellt
habe, angenommen worden.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 24 a und 24 b auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeord-

neten Rainer Brüderle, Dr. Hermann Otto Solms,
Hildebrecht Braun (Augsburg), weiteren Abgeord-
neten und der Fraktion der FDPeingebrachten Ent-
wurfs eines Gesetzes zur Änderung des Umsatz-
steuergesetzes
– Drucksache 14/5331 –

(Erste Beratung 183. Sitzung)





Alfred Hartenbach
24098


(C)



(D)



(A)



(B)


Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzaus-
schusses (7. Ausschuss)

– Drucksache 14/8314 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Dieter Grasedieck
Hansgeorg Hauser (Rednitzhembach)

Carl-Ludwig Thiele
Heidemarie Ehlert

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Hermann Otto Solms, Carl-Ludwig Thiele, Ina
Albowitz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der FDP
Steuerrecht vereinfachen – illegale Betätigung
im Baugewerbe sinnvoll bekämpfen
– Drucksache 14/7541 –
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen

Sind Sie damit einverstanden, dass die Reden der Ab-
geordneten Grasedieck, Fromme, Scheel, Schüßler und
Ehlert zu Protokoll gegeben werden?1) – Das ist der Fall.
Dann verfahren wir so.

Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzentwurf
der Fraktion der FDP zur Änderung des Umsatzsteuer-
gesetzes. Der Finanzausschuss empfiehlt auf Druck-
sache 14/8314, den Gesetzentwurf abzulehnen. Ich bitte
diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um
das Handzeichen. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der
Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen der
Koalitionsfraktionen und der PDS gegen die Stimmen von
CDU/CSU und FDP abgelehnt worden. Nach unserer Ge-
schäftsordnung entfällt damit die weitere Beratung.

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 14/7541 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 26 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
über die Feststellung des Wirtschaftsplans des

(ERPWirtschaftsplangesetz 2003)

– Drucksache 14/8985 –

(Erste Beratung 236. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Wirtschaft und Technologie (9. Ausschuss)

– Drucksache 14/9250 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk

Es liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion der PDS
vor.

Sind Sie damit einverstanden, dass die Reden der Kol-
legen Skarpelis-Sperk, Bernhardt, Fell, Kopp, Kutzmutz
und der Parlamentarischen Staatssekretärin Wolf zu Pro-
tokoll gegeben werden?2) – Das ist der Fall. Dann verfah-
ren wir so.

Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Gesetzentwurf über die Fest-
stellung des Wirtschaftsplans des ERP-Sondervermögens.
Der Ausschuss für Wirtschaft und Technologie empfiehlt in
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 14/9250, den
Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich
bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschuss-
fassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Gegen-
stimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist in zwei-
ter Beratung mit den Stimmen von SPD, CDU/CSU,
Bündnis 90/Die Grünen und FDP bei Enthaltung der PDS
angenommen worden.

Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf
ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis wie zuvor ange-
nommen worden.

Abstimmung über den Entschließungsantrag der Frak-
tion der PDS auf Drucksache 14/9290. Wer stimmt für die-
sen Entschließungsantrag? – Gegenstimmen? – Enthaltun-
gen? – Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen von
SPD, CDU/CSU, Bündnis 90/Die Grünen und FDP gegen
die Stimmen der PDS abgelehnt worden.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 27 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten
Gesetzes zur Änderung der Gewerbeordnung
und sonstiger gewerberechtlicher Vorschriften
– Drucksache 14/8796 –

(Erste Beratung 233. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Wirtschaft und Technologie (9. Ausschuss)

– Drucksache 14/9254 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Werner Schulz (Leipzig)


Sind Sie damit einverstanden, dass die Reden der Kol-
legen Lange, Schauerte, Kopp, Kutzmutz und der Parla-
mentarischen Staatssekretärin Wolf zu Protokoll gegeben
werden?3) – Das ist der Fall. Dann verfahren wir so.

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für Wirt-
schaft und Technologie empfiehlt in seiner Beschlussemp-
fehlung auf Drucksache 14/9254, den Gesetzentwurf in
der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen,
die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Hand-
zeichen. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetz-
entwurf ist damit in zweiter Beratung einstimmig ange-
nommen worden.




Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer

24099


(C)



(D)



(A)



(B)


1) Anlage 4
2) Anlage 5
3) Anlage 6

Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Ge-
genstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist
damit einstimmig angenommen.

Tagesordnungspunkt 28:
Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zurÄnde-
rung tierarzneimittelrechtlicher Vorschriften
– Drucksache 14/8613 –

(Erste Beratung 230. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Verbraucherschutz, Ernährung und Land-
wirtschaft (10. Ausschuss)

– Drucksache 14/9252 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Peter Bleser

Sind Sie damit einverstanden, dass die Reden der Kol-
legen Teuchner, Lamp, Höfken, Sehn und Laumann zu
Protokoll gegeben werden?1) – Das ist der Fall. Dann ver-
fahren wir so.

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für Ver-
braucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft empfiehlt
auf Drucksache 14/9252, den Gesetzentwurf in der Aus-
schussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzei-
chen. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetz-
entwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen der Ko-
alitionsfraktionen und der PDS gegen die Stimmen von
CDU/CSU und FDP angenommen worden.

Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Ge-
genstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist in
dritter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktio-
nen und der PDS gegen die Stimmen der CDU/CSU und
der FDP angenommen worden.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 29 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten
Gesetzes zur Änderung des Mineralölsteuer-
gesetzes
– Drucksache 14/8711 –

(Erste Beratung 230. Sitzung)


Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzaus-
schusses (7. Ausschuss)

– Drucksache 14/9265 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Reinhard Schultz (Everswinkel)

Heinz Seiffert
Dr. Reinhard Loske
Carl-Luwig Thiele
Dr. Barbara Höll

Sind Sie damit einverstanden, dass die Kollegen
Schultz, Schindler, Loske und Schüßler sowie die Kolle-
gin Höll ihre Reden zu Protokoll geben?2) – Das ist der
Fall. Dann verfahren wir so.

Wir kommen zur Abstimmung. Der Finanzausschuss
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache
14/9265, den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung an-
zunehmen.

Es liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der
CDU/CSU, Drucksache 14/9302, vor, über den wir
zuerst abstimmen. Wer stimmt dafür? – Wer stimmt
dagegen? – Enthaltungen? – Der Änderungsantrag ist
mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der
PDS gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP abge-
lehnt.

Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der
Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzei-
chen. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Ge-
setzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen von
SPD, Bündnis 90/Die Grünen, CDU/CSU und PDS gegen
die Stimmen der FDP angenommen.

Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte Sie, sich zu erheben,
wenn Sie dem Gesetzentwurf in der Ausschussfas-
sung zustimmen wollen. – Gegenstimmen? – Enthaltun-
gen? – Der Gesetzentwurf ist in dritter Lesung mit dem
gleichen Stimmenverhältnis wie zuvor angenommen.

Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesord-
nung.

Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes-
tages auf Mittwoch, den 12. Juni 2002, 13 Uhr, ein.

Ich wünsche allen Kolleginnen und Kollegen,
die hier so lange gearbeitet haben, und natürlich auch
allen anderen sowie den Besuchern ein schönes Wo-
chenende.