Protokoll:
14237

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 14

  • date_rangeSitzungsnummer: 237

  • date_rangeDatum: 17. Mai 2002

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:00 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 16:28 Uhr

  • account_circleMdBs dieser Rede
  • tocInhaltsverzeichnis
    Wahl des Abgeordneten Wolfgang Grotthaus als Schriftführer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23655 A Erweiterung der Tagesordnung . . . . . . . . . . . . 23655 A Zusatztagesordnungspunkt 24: Beschlussempfehlung des Ausschusses nach Art. 77 des Grundgesetzes zu dem Fünften Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Landwirtschaftliche Renten- bank (Drucksachen 14/7753, 14/8169, 14/8706, 14/9095) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23655 C Gesetzes zurÄnderung des Grund- gesetzes (Staatsziel Tierschutz) (Drucksachen 14/8360, 14/9090) 23656 B – Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Rainer Funke, Dr. Guido Westerwelle, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines ... Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Verankerung des Tierschutzes in der Verfassung) (Drucksachen 14/207, 14/9090) . . . 23656 B – Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Eva Bulling- Schröter, Dr. Ruth Fuchs, Kersten Naumann und der Fraktion der PDS Plenarprotokoll 14/237 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 237. Sitzung Berlin, Freitag, den 17. Mai 2002 I n h a l t : Zusatztagesordnungspunkt 25: Beschlussempfehlung des Ausschusses nach Art. 77 des Grundgesetzes zu dem Ge- setz zur weiteren Fortentwicklung des Fi- nanzplatzes Deutschland (Viertes Finanz- marktförderungsgesetz) (Drucksachen 14/8017, 14/8600, 14/8601, 14/8958, 14/9096) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23655 D Tagesordnungspunkt 21: a) – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der SPD, der CDU/ CSU, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP eingebrach- ten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Staatsziel Tierschutz) (Drucksachen 14/8860, 14/9090) 23656 A – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines eingebrachten Entwurfs eines ... Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Verankerung des Tierschutzes als Staatsziel) (Drucksachen 14/279, 14/9090) . . . 23656 B – Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Staatsziel „Tier- schutz“) (Drucksachen 14/758, 14/9090) . . . 23656 B b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft . . . . . . 23656 C – zu der Unterrichtung durch die Bun- desregierung: Tierschutzbericht 2001 der Bundesregierung – zu dem Antrag der Abgeordneten Marianne Klappert, Brigitte Adler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abge- ordneten Ulrike Höfken, Steffi Lemke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN: Verbesserungen im Tierschutz national und euro- paweit vorantreiben – zu dem Antrag der Fraktion der CDU/CSU: Tierschutz auf natio- naler und EU-Ebene fortent- wickeln (Drucksachen 14/5712, 14/7180, 14/6047, 14/8168) . . . . . . . . . . . . . . . . 23656 D Hermann Bachmaier SPD . . . . . . . . . . . . . . . 23656 D Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten CDU/CSU 23658 A Renate Künast, Bundesministerin BMVEL 23660 C Rainer Funke FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23662 A Eva Bulling-Schröter PDS . . . . . . . . . . . . . . . 23663 A Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast, Parl. Staatsse- kretärin BMI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23663 D Norbert Geis CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . 23665 A Marianne Klappert SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . 23666 A Ulrike Höfken BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 23667 B Heinz Schmitt (Berg) SPD . . . . . . . . . . . . . . . 23668 B Namentliche Abstimmung . . . . . . . . . . . . . . . . 23669 A Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23672 A Zusatztagesordnungspunkt 26: Beschlussempfehlung des Petitionsaus- schusses: Sammelübersicht 387 zu Peti- tionen (Drucksache 14/9070) . . . . . . . . . . . . . . . . 23669 C in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 27: Beschlussempfehlung des Petitionsaus- schusses: Sammelübersicht 388 zu Peti- tionen (Drucksache 14/9071) . . . . . . . . . . . . . . . . 23669 C in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 28: Beschlussempfehlung des Petitionsaus- schusses: Sammelübersicht 389 zu Peti- tionen (Drucksache 14/9072) . . . . . . . . . . . . . . . . 23669 D in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 29: Beschlussempfehlung des Petitionsaus- schusses: Sammelübersicht 390 zu Peti- tionen (Drucksache 14/9073) . . . . . . . . . . . . . . . . 23669 D in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 30: Beschlussempfehlung des Petitionsaus- schusses: Sammelübersicht 392 zu Peti- tionen (Drucksache 14/9075) . . . . . . . . . . . . . . . . 23669 D in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 31: Beschlussempfehlung des Petitionsaus- schusses: Sammelübersicht 395 zu Peti- tionen (Drucksache 14/9076) . . . . . . . . . . . . . . . . 23670 A Tagesordnungspunkt 22: Antrag der Abgeordneten Horst Seehofer, Wolfgang Lohmann (Lüdenscheid), weite- rer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Gesundheitswesen patienten- orientiert, freiheitlich und zukunftssi- cher gestalten (Drucksache 14/8595) . . . . . . . . . . . . . . . . 23670 A in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 20: Antrag der Abgeordneten Dr. Dieter Thomae, Detlef Parr, weiterer Abgeordne- ter und der Fraktion der FDP: Für eine leis- tungsfähige und bezahlbare Gesund- heitsversorgung (Drucksache 14/9054) . . . . . . . . . . . . . . . . 23670 A Wolfgang Lohmann (Lüdenscheid) CDU/CSU 23670 B Dr. Martin Pfaff SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23674 B Detlef Parr FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23677 B Horst Schmidbauer (Nürnberg) SPD . . . . 23678 C Katrin Göring-Eckardt BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23679 A Dr. Ruth Fuchs PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23680 B Dr. Margrit Spielmann SPD . . . . . . . . . . . . . . 23681 C Wolfgang Zöller CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 23683 C Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 237. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Mai 2002II Tagesordnungspunkt 23: a) – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Neure- gelung des Energiewirtschafts- rechts (Drucksachen 14/5969, 14/9081) 23685 A – Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Rolf Kutzmutz, Eva Bulling-Schröter, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der PDS eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände- rung des Energiewirtschafts- gesetzes (EnWG) (Drucksachen 14/6796, 14/9081) 23685 B Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Technolo- gie d) zu dem Antrag der Abgeordneten Hartmut Schauerte, Dagmar Wöhrl, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion der CDU/CSU: Fairer Wettbe- werb im Strom- und Gasmarkt effek- tiv und effizient sichern c) zu dem Antrag der Abgeordneten Rolf Kutzmutz, Eva Bulling-Schröter, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion der PDS: Zugangsverordnung für Strom- netze erlassen (Drucksachen 14/7614, 14/6795, 14/9081) 23685 C b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes über Energiesta- tistiken (Energiestatistikgesetz) (Drucksachen 14/8388, 14/9080) . . . . 23685 C e) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Tech- nologie zu dem Antrag der Abgeordne- ten Walter Hirche, Rainer Brüderle, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Energiebericht für eine energiepolitische Grundsatzdebatte nutzen (Drucksachen 14/7814, 14/8183) . . . . 23685 C f) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Tech- nologie zu dem Antrag der Abgeordne- ten Walter Hirche, Birgit Homburger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Marktwirtschaftliche För- derung des Einsatzes erneuerbarer Energieträger (Drucksachen 14/5328, 14/7139) . . . . 23685 D g) Antrag der Abgeordneten Walter Hirche, Rainer Brüderle, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Marktwirtschaftliche Orientie- rung statt staatlicher Preislenkung im Stromsektor (Drucksache 14/8279) . . . . . . . . . . . . . 23685 D h) Antrag der Abgeordneten Rainer Brüderle, Paul K. Friedhoff, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Stromrechnungen transparent gestalten (Drucksache 14/5465) . . . . . . . . . . . . . 23685 D i) Erste Beratung des von den Abgeord- neten Walter Hirche, Rainer Funke, weiteren Abgeordneten und der Frak- tion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Ge- setzes gegen Wettbewerbsbeschrän- kungen (Drucksache 14/6968) . . . . . . . . . . . . . 23686 A Dr. Werner Müller, Bundesminister BMWi 23686 A Hartmut Schauerte CDU/CSU . . . . . . . . . . . . 23687 D Michaele Hustedt BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23689 B Walter Hirche FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23690 C Rolf Kutzmutz PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23691 D Volker Jung (Düsseldorf) SPD . . . . . . . . . . . . 23692 D Walter Hirche FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23693 A Kurt-Dieter Grill CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . 23694 D Tagesordnungspunkt 24: a) Antrag der Abgeordneten Dr. Maria Böhmer, Wolfgang Bosbach, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Vermeidung von Spätab- treibungen – Hilfen für Eltern und Kinder (Drucksache 14/6635) . . . . . . . . . . . . . 23697 B b) Antrag der Abgeordneten Christel Riemann-Hanewinckel, Dr. Hans-Peter Bartels, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordne- ten Irmingard Schewe-Gerigk, Kerstin Müller (Köln), Rezzo Schlauch und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Rechtsanspruch auf Be- ratung im Mutterpass zusätzlich festschreiben (Drucksache 14/9030) . . . . . . . . . . . . . 23697 B Christel Riemann-Hanewinckel SPD . . . . . . 23697 C Maria Eichhorn CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 23698 C Irmingard Schewe-Gerigk BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23700 A Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 237. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Mai 2002 III Ina Lenke FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23701 A Petra Bläss PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23701 D Inge Wettig-Danielmeier SPD . . . . . . . . . . . . 23702 B Tagesordnungspunkt 25: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Verbraucherinformati- onsgesetzes (VerbIG) (Drucksachen 14/8738, 14/8992, 14/9065) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23703 C b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft – zu dem Antrag der Fraktion der CDU/CSU: Verbraucherinforma- tionsgesetz effektiv gestalten – zu dem Entschließungsantrag der Abgeordneten Gudrun Kopp, Rainer Funke, weiterer Abgeordne- ter und der Fraktion der FDP: Zu der Abgabe einer Erklärung durch die Bundesregierung – Auf dem Weg in eine verbraucherori- entierte Marktwirtschaft (Drucksachen 14/8784, 14/8520, 14/9065) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23703 C c) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuorga- nisation des gesundheitlichen Ver- braucherschutzes und der Lebens- mittelsicherheit (Drucksachen 14/8747, 14/9008, 14/9064, 14/9078) . . . . . . . . . . . . . . . . 23703 D d) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN ein- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Absatzfondsgeset- zes (Drucksachen 14/8585, 14/9062) . . . . . 23704 A Tagesordnungspunkt 26: Antrag der Abgeordneten Peter Götz, Gerda Hasselfeldt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Er- schwernis von Erschließungsmaßnah- men durch Doppelbesteuerung verhin- dern (Drucksache 14/8593) . . . . . . . . . . . . . . . . 23705 A Peter Götz CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23705 A Tagesordnungspunkt 27: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrach- ten Entwurfs eines Gesetzes zur Errich- tung einer Verkehrsinfrastrukturfinan- zierungsgesellschaft zur Finanzierung von Bundesverkehrswegen (Verkehrs- infrastrukturfinanzierungsgesell- schaftsgesetz) (Drucksachen 14/8449, 14/9084) . . . . . 23707 A b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Änderung des Fernstraßenbauprivatfinanzie- rungsgesetzes und straßenverkehrs- rechtlicher Vorschriften (FstrPriv- FinÄndG) (Drucksachen 14/8447, 14/9066) . . . . . 23707 B c) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Fünften Gesetzes zur Än- derung des Bundesfernstraßen- gesetzes (5. FStrÄndG) (Drucksachen 14/8448, 14/8911) . . . . . 23707 B d) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes und an- derer straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften (StVRÄndG) (Drucksachen 14/8766, 14/9059) . . . . . 23707 C e) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 18. Oktober 2001 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweizerischen Eidgenossenschaft über die Durchführung der Flugver- kehrskontrolle durch die Schweizeri- sche Eidgenossenschaft über deut- schem Hoheitsgebiet und über Auswirkungen des Betriebes des Flug- hafens Zürich auf das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland (Gesetz zu dem deutsch-schweizerischen Ver- trag vom 18. Oktober 2001) (Drucksachen 14/8731, 14/9057) . . . . . 23707 C f) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Erleichte- rung des Marktzugangs im Luftver- kehr (Drucksachen 14/8730, 14/9058) . . . . . 23707 D g) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜND- NISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrach- ten Entwurfs eines Ersten Gesetzes Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 237. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Mai 2002IV zurÄnderung des Regionalisierungs- gesetzes (Drucksachen 14/8781, 14/9053, 14/9087) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23708 A h) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen zu dem Antrag der Abgeordneten Wolfgang Dehnel, Günter Nooke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Finan- zierungssicherheit für den Bundesfern- straßenbau über das Jahr 2002 hinaus (Drucksachen 14/7146, 14/8820) . . . . 23708 A in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 21: Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Woh- nungswesen zu dem Antrag der Abgeord- neten Horst Friedrich (Bayreuth), Hans- Michael Goldmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Fairen Wettbe- werb im Luftverkehr bewahren – Si- cherheit erhöhen (Drucksachen 14/7157, 14/9082) . . . . . . . 23708 B in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 22: Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Woh- nungswesen zu dem Antrag der Abgeord- neten Horst Friedrich, Hans-Michael Goldmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Anti-Stau-Programm für Europas Luftverkehr (Drucksachen 14/3188, 14/9083) . . . . . . . 23708 B Kurt Bodewig, Bundesminister BMVBW . . . 23708 C Georg Brunnhuber CDU/CSU . . . . . . . . . . . . 23710 C Albert Schmidt (Hitzhofen) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23712 B Horst Friedrich (Bayreuth) FDP . . . . . . . . . . 23714 C Dr. Margrit Wetzel SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . 23716 A Hans-Peter Repnik CDU/CSU . . . . . . . . . . . . 23717 B Dr. Peter Danckert SPD . . . . . . . . . . . . . . 23718 D Albert Schmidt (Hitzhofen) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23719 C Hans-Peter Repnik CDU/CSU . . . . . . . . . . . . 23719 C Karin Rehbock-Zureich SPD . . . . . . . . . . . . . 23720 A Birgit Homburger FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . 23721 B Renate Blank CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . 23722 C Tagesordnungspunkt 28: a) Antrag der Abgeordneten Jörg van Essen, Rainer Funke, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion der FDP:Op- ferrechte stärken und verbessern (Drucksache 14/7832) . . . . . . . . . . . . . 23725 D b) Erste Beratung des von den Abgeord- neten Norbert Geis, Volker Kauder, weiteren Abgeordneten und der Frak- tion der CDU/CSU eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Änderung des Jugendgerichtsgesetzes (Drucksache 14/8788) . . . . . . . . . . . . . 23726 A Jörg van Essen FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23726 A Margot von Renesse SPD . . . . . . . . . . . . . . . 23727 B Volker Kauder CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . 23728 C Volker Beck (Köln) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23731 A Zusatztagesordnungspunkt 23: – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Zweiten Gesetzes zur Än- derung des Gentechnikgesetzes (Drucksachen 14/8230, 14/8767, 14/9089) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23733 A – Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs ei- nes ... Gesetzes zur Änderung des Gentechnikgesetzes (Drucksachen 14/5929, 14/9089) . . . . 23733 B Tagesordnungspunkt 31: a) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Alfred Hartenbach, Margot von Renesse, Hermann Bach- maier, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der SPD sowie den Abgeord- neten Volker Beck (Köln), Hans- Christian Ströbele, weiteren Abgeord- neten und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN ein- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Auf- hebung nationalsozialistischer Un- rechtsurteile in der Strafrechtspflege (NS-AufhGÄndG) (Drucksachen 14/8276, 14/9092) . . . . 23733 D b) Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Evelyn Kenzler, Ulla Jelpke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der PDS: Aufhebung der na- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 237. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Mai 2002 V tionalsozialistischen Unrechtsurteile gegen Deserteure (Drucksachen 14/5612, 14/8114, 14/9092) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23733 D Margot von Renesse SPD . . . . . . . . . . . . . . . . 23734 A Dr. Jürgen Gehb CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 23734 D Volker Beck (Köln) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23737 A Jörg van Essen FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23738 D Dr. Evelyn Kenzler PDS . . . . . . . . . . . . . . . . 23739 C Dr. Eckhart Pick, Parl. Staatssekretär BMJ . . . 23740 B Norbert Geis CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . 23741 B Tagesordnungspunkt 32: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur weiteren Reform des Aktien- und Bilanzrechts, zu Transparenz und Publizität (Transparenz- und Publi- zitätsgesetz) (Drucksachen 14/8769, 14/9079) . . . . . . . 23742 A Tagesordnungspunkt 33: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Pflicht- versicherungsgesetzes und anderer ver- sicherungsrechtlicher Vorschriften (Drucksachen 14/8770, 14/9067) . . . . . . . 23742 C Tagesordnungspunkt 35: – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Änderung der Strafprozessordnung (Drucksachen 14/7562, 14/9088) . . . . . 23742 D – Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs ei- nes Gesetzes zur Regelung der Zu- ständigkeit für die Anordnung einer DNA-Untersuchung bei Spuren (Drucksachen 14/5264, 14/9088) . . . . . 23742 D Tagesordnungspunkt 36: Antrag der Abgeordneten Rolf Kutzmutz, Wolfgang Bierstedt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der PDS: Ökologisch- sozialen Ausbau der regionalen Infra- struktur mit einer Verstetigung von Be- schäftigung verbinden (Drucksache 14/8640) . . . . . . . . . . . . . . . . 23743 C Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23743 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . . 23745 A Anlage 2 Erklärungen nach § 31 GO zur namentlichen Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Staatsziel Tierschutz) (Tagesordnungspunkt 21 a) . . . . . 23746 A Hubert Deittert CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . 23746 A Renate Diemers CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 23746 B Dr. Reinhard Göhner CDU/CSU . . . . . . . . . . 23746 C Werner Lensing CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 23747 A Bärbel Sothmann CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . 23747 C Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Günter Graf (Friesoythe) (SPD) zur Abstim- mung über den Entwurf eines Gesetzes zur Än- derung des Absatzfondsgesetzes (Tagesordnungspunkt 25 d) . . . . . . . . . . . . . . . 23748 A Anlage 4 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Thomas Dörflinger (CDU/CSU) zur Abstim- mung über den Entwurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 18. Oktober 2001 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schwei- zerischen Eidgenossenschaft über die Durch- führung der Flugverkehrskontrolle durch die Schweizerische Eidgenossenschaft über deut- schem Hoheitsgebiet und über Auswirkungen des Betriebes des Flughafens Zürich auf das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutsch- land (Gesetz zu dem deutsch-schweizerischen Vertrag vom 18. Oktober 2001) (Tagesordnungspunkt 27 e) . . . . . . . . . . . . . . . 23748 B Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – Entwurf eines Verbraucherinformationsge- setzes (VerBIG) – Beschlussempfehlung und Bericht: – Antrag: Verbraucherinformationsgesetz ef- fektiv gestalten – Entschließungsantrag: zu der Abgabe einer Erklärung durch die Bundesregierung – Auf dem Weg in eine verbraucherorien- tierte Marktwirtschaft – Entwurf eines Gesetzes zur Neuorganisa- tion des gesundheitlichen Verbraucher- schutzes und der Lebensmittelsicherheit Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 237. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Mai 2002VI – Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Absatzfondsgesetzes (Tagesordnungspunkt 25 a–d) . . . . . . . . . . . . . 23749 A Ute Kumpf SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23749 A Jella Teuchner SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23750 A Albert Deß CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23750 D Annette Widmann-Mauz CDU/CSU . . . . . . . 23751 D Gudrun Kopp FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23753 B Heidemarie Lüth PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23753 C Renate Künast, Bundesministerin BMVEL . . . 23754 A Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Erschwernis von Erschließungs- maßnahmen durch Doppelbesteuerung verhin- dern (Tagesordnungspunkt 26) . . . . . . . . . . . . 23755 B Horst Schild SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23755 B Franziska Eichstädt-Bohlig BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23756 A Gerhard Schüßler FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . 23756 C Dr. Barbara Höll PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23757 A Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung: – Entwurf eines Gesetzes zur Errichtung einer Verkehrsinfrastrukturfinanzierungs- gesellschaft zur Finanzierung von Bundes- verkehrswegen (Verkehrsinfrastrukturfi- nanzierungsgesellschaftsgesetz – VIFGG) – Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Fernstraßenbauprivatfinanzierungsge- setzes und straßenverkehrsrechtlicher Vor- schriften (FstrPrivFinÄndG) – Entwurf eines Fünften Gesetzes zur Ände- rung des Bundesfernstraßengesetzes (5. FstrÄndG) – Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes und anderer straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften (StVRÄndG) – Entwurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 18. Oktober 2001 zwischen der Bun- desrepublik Deutschland und der Schwei- zerischen Eidgenossenschaft über die Durchführung der Flugverkehrskontrolle durch die Schweizerische Eidgenossen- schaft über deutschem Hoheitsgebiet und über Auswirkungen des Betriebes des Flughafens Zürich auf das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland (Gesetz zu dem deutsch-schweizerischen Vertrag vom 18. Oktober 2001) – Entwurf eines Gesetzes zur Erleichterung des Marktzugangs im Luftverkehr – Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Ände- rung des Regionalisierungsgesetzes – Antrag: Finanzierungssicherheit für den Bundesfernstraßenbau über das Jahr 2002 hinaus – Antrag: Fairen Wettbewerb im Luftverkehr bewahren – Sicherheit erhöhen – Antrag: Anti-Stau-Programm für Europas Luftverkehr (Tagesordnungspunkt 27 und Zusatztagesord- nungspunkte 21 und 22) . . . . . . . . . . . . . . . . . 23757 C Dr. Winfried Wolf PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23758 A Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – Antrag: Opferrechte stärken und verbes- sern – Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Jugendgerichtsgesetzes (Tagesordnungspunkt 28 a und b) . . . . . . . . . . 23759 B Erika Simm SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23759 B Sabine Jünger PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23760 C Anlage 9 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Entwürfe: – Zweites Gesetz zur Änderung des Gen- technikgesetzes – ... Gesetz zur Änderung des Gentechnikge- setzes (Zusatztagesordnungspunkt 23) . . . . . . . . . . . 23761 A Detlef Parr FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23761 A Helmut Heiderich CDU/CSU . . . . . . . . . . . . 23761 D Ulrike Höfken BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 23763 A Kersten Naumann PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . 23763 C Gudrun Schaich-Walch, Parl. Staatssekretärin BMG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23764 A Anlage 10 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur weiteren Re- form des Aktien- und Bilanzrechts, zu Trans- parenz und Publizität (Transparenz- und Publi- zitätsgesetz) (Tagesordnungspunkt 32) . . . . . . . . . . . . . . . . 23765 A Gabriele Lösekrug-Möller SPD . . . . . . . . . . . 23765 A Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 237. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Mai 2002 VII Dr. Susanne Tiemann CDU/CSU . . . . . . . . . . 23766 B Andrea Fischer (Berlin) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23769 A Rainer Funke FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23769 C Rolf Kutzmutz PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23770 A Dr. Herta Däubler-Gmelin, BMJ . . . . . . . . . . . 23770 C Anlage 11 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Pflichtversicherungsgesetzes und anderer ver- sicherungsrechtlicher Vorschriften (Tagesordnungspunkt 33) . . . . . . . . . . . . . . . . 23771 C Christine Lambrecht SPD . . . . . . . . . . . . . . . 23771 C Dr. Susanne Tiemann CDU/CSU . . . . . . . . . . 23772 B Albert Schmidt (Hitzhofen) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23774 C Rainer Funke FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23775 B Dr. Evelyn Kenzler PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . 23775 D Dr. Eckhart Pick, Parl. Staatssekretär BMJ 23776 A Anlage 12 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Strafprozessordnung – Entwurf eines Gesetzes zur Regelung der Zuständigkeit für die Anordnung einer DNA-Untersuchung bei Spuren (Tagesordnungspunkt 35) . . . . . . . . . . . . . . . . 23777 A Dr. Jürgen Meyer (Ulm) SPD . . . . . . . . . . . . . 23777 B Ronald Pofalla CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . 23778 A Volker Beck (Köln) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23779 B Jörg van Essen FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23779 C Ulla Jelpke PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23780 A Dr. Eckhart Pick, Parl. Staatssekretär BMJ 23780 C Anlage 13 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Ökologisch-sozialen Ausbau der re- gionalen Infrastruktur mit einer Verstetigung von Beschäftigung verbinden (Tagesordnungspunkt 36) . . . . . . . . . . . . . . . . 23781 C Wolfgang Weiermann SPD . . . . . . . . . . . . . . . 23781 D Wolfgang Börnsen (Bönstrup) CDU/CSU . . . 23783 A Werner Schulz (Leipzig) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23784 D Dr. Hermann Otto Solms FDP . . . . . . . . . . . . 23785 C Rolf Kutzmutz PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23786 A Anlage 14 Amtliche Mitteilungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23786 D Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 237. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Mai 2002VIII Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 237. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Mai 2002
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    Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 237. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Mai 2002 Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms 23743 (C) (D) (A) (B) 2) Anlage 131) Anlage 12 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 237. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Mai 2002 23745 (C) (D) (A) (B) Altmann (Aurich), BÜNDNIS 90/ 17.05.2002 Gila DIE GRÜNEN Bindig, Rudolf SPD 17.05.2002* Bohl, Friedrich CDU/CSU 17.05.2002 Dr. Eckardt, Peter SPD 17.05.2002 Dr. Eid, Uschi BÜNDNIS 90/ 17.05.2002 DIE GRÜNEN Fischer (Karlsruhe- CDU/CSU 17.05.2002 Land), Axel E. Flach, Ulrike FDP 17.05.2002 Frankenhauser, CDU/CSU 17.05.2002 Herbert Friedrich (Altenburg), SPD 17.05.2002 Peter Dr. Gerhardt, FDP 17.05.2002 Wolfgang Gilges, Konrad SPD 17.05.2002 Gleicke, Iris SPD 17.05.2002 Glos, Michael CDU/CSU 17.05.2002 Helling, Detlef CDU/CSU 17.05.2002 Hiksch, Uwe PDS 17.05.2002 Irmer, Ulrich FDP 17.05.2002 Jüttemann, Gerhard PDS 17.05.2002 Kalb, Bartholomäus CDU/CSU 17.05.2002 Klinkert, Ulrich CDU/CSU 17.05.2002 Dr. Kohl, Helmut CDU/CSU 17.05.2002 Dr. Kolb, Heinrich L. FDP 17.05.2002 Kolbow, Walter SPD 17.05.2002 Koschyk, Hartmut CDU/CSU 17.05.2002 Kossendey, Thomas CDU/CSU 17.05.2002 Kuhn, Werner CDU/CSU 17.05.2002 Leidinger, Robert SPD 17.05.2002 Lintner, Eduard CDU/CSU 17.05.2002* Lippmann, Heidi PDS 17.05.2002 Dr. Lippold CDU/CSU 17.05.2002 (Offenbach), Klaus W. Dr. Luther, Michael CDU/CSU 17.05.2002 Metzger, Oswald BÜNDNIS 90/ 17.05.2002 DIE GRÜNEN Michels, Meinolf CDU/CSU 17.05.2002 Neumann (Gotha), SPD 17.05.2002 Gerhard Nolte, Claudia CDU/CSU 17.05.2002 Ostrowski, Christine PDS 17.05.2002 Dr. Pflüger, Friedbert CDU/CSU 17.05.2002 Pieper, Cornelia FDP 17.05.2002 Dr. Protzner, Bernd CDU/CSU 17.05.2002 Rauber, Helmut CDU/CSU 17.05.2002 Dr. Röttgen, Norbert CDU/CSU 17.05.2002 Ronsöhr, CDU/CSU 17.05.2002 Heinrich-Wilhelm Roos, Gudrun SPD 17.05.2002 Roth (Gießen), Adolf CDU/CSU 17.05.2002 Rühe, Volker CDU/CSU 17.05.2002 Sauer, Thomas SPD 17.05.2002 Scharping, Rudolf SPD 17.05.2002 Scherhag, Karl-Heinz CDU/CSU 17.05.2002 Schily, Otto SPD 17.05.2002 Schmidt-Zadel, Regina SPD 17.05.2002 Schmitz (Baesweiler), CDU/CSU 17.05.2002 Hans Peter Schröder, Gerhard SPD 17.05.2002 Schröter, Gisela SPD 17.05.2002 Schütze (Berlin), CDU/CSU 17.05.2002 Diethard Schultz (Everswinkel), SPD 17.05.2002 Reinhard Seehofer, Horst CDU/CSU 17.05.2002 Siemann, Werner CDU/CSU 17.05.2002 entschuldigt bis Abgeordnete(r) einschließlich entschuldigt bis Abgeordnete(r) einschließlich Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Anlagen zum Stenographischen Bericht Tappe, Joachim SPD 17.05.2002 Thiele, Carl-Ludwig FDP 17.05.2002 Voßhoff, Andrea CDU/CSU 17.05.2002 Dr. Waigel, Theodor CDU/CSU 17.05.2002 Wilz, Bernd CDU/CSU 17.05.2002 Zierer, Benno CDU/CSU 17.05.2002* * für die Teilnahme an den Sitzungen der Parlamentarischen Ver- sammlung des Europarates Anlage 2 Erklärungen nach § 31 GO zur namentlichen Abstimmung über den Ent- wurf eines Gesetzes zur Änderung des Grund- gesetzes (Staatsziel Tierschutz) (Tagesordnungs- punkt 21 a) Hubert Deittert (CDU/CSU): Der Schutz der Tiere ist im Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen in unserer Verfassung bereits verankert (Art. 20 a GG). Die Ein- führung einer gesonderten Staatszielbestimmung Tier- schutz in das Grundgesetz verbessert den Tierschutz nicht. Tierschutz ist seit langem ein fester Bestandteil unse- rer Rechtsordnung. Dem Tier als lebendem und fühlen- dem Wesen kommt damit schon jetzt richtigerweise eine hervorgehobene Stellung zu. Die Bundesrepublik Deutschland gehört in der Europäischen Union zu den Ländern mit den strengsten tierschutzrechtlichen Bestim- mungen. Was wir erreicht haben, muss auch in Europa verwirklicht werden. Dazu sind weitere, praktische Initia- tiven zur einheitlichen Verbesserung des Tierschutzes in Europa erforderlich. Probleme und Missstände im Tier- schutz ergeben sich nicht in erster Linie aus unzureichen- den rechtlichen Regelungen, sondern aus einer Miss- achtung des Gesetzes. Verbesserungen für den Tierschutz werden darum nicht nur durch weitere Rechtsnormen ge- fördert, sondern durch die praktische Durchsetzung der bestehenden. Eine programmatische Bestimmung als Staatsziel kann verantwortliches Handeln der Exekutive bei der Durchsetzung der rechtlichen Regelungen nicht ersetzen. Aus diesen Gründen lehne ich die Einführung einer ge- sonderten Staatszielbestimmung Tierschutz in das Grund- gesetz ab. Renate Diemers (CDU/CSU): Dem Tierschutz haben sich viele Menschen in unserem Land verschrieben und tatsächlich gibt es noch viele Bereiche, insbesondere bei der Nutztierhaltung, in denen Handlungsbedarf angezeigt ist. Ich stimme der Grundgesetzänderung heute zu, da wir als Menschen selbstverständlich auch den Tieren als Mit- geschöpfen gegenüber eine Verpflichtung und Verantwor- tung haben. Dennoch möchte ich darauf hinweisen, dass wir bei dieser Diskussion um Tierschutz die Verhältnismäßigkeit gegenüber anderen Schutzbedürftigen, insbesondere der Kinder, wahren sollten. Wir muten unseren Kindern sehr viel zu; sie sind vielen Gefahren und Verlockungen aus- gesetzt. Es wäre begrüßenswert, wenn sich all diejenigen, die sich für den lobenswerten Tierschutz engagieren, mit der gleichen Intensität auch dem Lebensschutz der Kin- der, dem Jugendschutz und einer kinder- und familien- freundlichen Gesellschaft widmen würden. Dr. Reinhard Göhner (CDU/CSU): Ich stimme der Aufnahme des Tierschutzes als Staatsziel im Grundgesetz nicht zu, weil diese Grundgesetzänderung dem Tierschutz nicht nutzen wird und rechtspolitisch höchst bedenklich ist. Der Schutz unserer Tiere gehört auch zu den Aufgaben und Zielen des Staates. Der Tierschutz ist mir persönlich besonders wichtig. Als aktiver und engagierter Tierschüt- zer weiß ich, dass es viele Defizite auf diesem Gebiet in unserem Lande gibt. Keines dieser Defizite wird jedoch durch die Änderung des Grundgesetzes beseitigt. Weder wird der gesetzliche Schutz der Tiere verbessert noch der bestehende gesetzliche Schutz der Tiere dadurch besser durchgesetzt. Im Gegenteil: Ich fürchte, dass ein Staats- ziel Tierschutz von vielen Befürwortern als Alibi und Vorwand genutzt wird, um die Durchsetzung eines besse- ren Tierschutzes in der Praxis zu unterlassen. Die Grund- gesetzänderung selbst wird jedoch überhaupt nichts be- wirken. Keines der Vollzugsdefizite wird dadurch beseitigt. Ich fürchte, dass ein Staatsziel Tierschutz eine ähnliche Wirkung haben wird wie das Staatsziel Naturschutz im Art. 20 a des Grundgesetzes. Seitdem der Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen Staatsziel im Grundgesetz ist, hat der Natur- und Umweltschutz in Deutschland nicht etwa einen höheren Stellenwert erhalten, sondern syste- matisch an Bedeutung verloren. Ich wende mich gegen die rechts- und verfassungs- politisch bedenkliche Vermehrung von Staatszielen im Grundgesetz. Der Gesetzgeber muss selbst im Rahmen seiner Gesetzgebungskompetenz staatliche Prioritäten ordnen. Die Exekutive muss den Vollzug der bestehenden gesetzlichen Regelungen gewährleisten. Dies kann nicht durch programmatische Staatsziele im Grundgesetz er- setzt werden. Es ist rechts- und verfassungspolitisch be- denklich, das Grundgesetz um immer weitere program- matische Ziele auszuweiten. Wenn der Gesetzgeber zu der Einsicht kommen würde, dass der gesetzliche Schutz unserer Tiere unzureichend ist, so müsste er konkret bestimmen, was der Staat zum besseren Schutz der Tiere tun soll. Der Schutz unserer Tiere ist im Übrigen nicht allein durch den Staat zu ge- währleisten. Es geht letztlich um einen verantwortlichen Umgang der Menschen mit den Tieren. Mit dem Staats- ziel Tierschutz wird die Illusion genährt, als ob der Tier- schutz primär eine Sache des Staates sei. Er ist natürlich auch eine staatliche Aufgabe, die allerdings nicht durch eine Grundgesetzänderung erfüllt werden kann. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 237. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Mai 200223746 (C) (D) (A) (B) entschuldigt bis Abgeordnete(r) einschließlich Werner Lensing (CDU/CSU): Als Berichterstatter für Tierschutz im Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung erkläre ich hiermit, dass ich dem Antrag für eine Verankerung eines Staatsziels Tier- schutz nicht zustimmen kann. Begründung Erstens. Die bis in die 12. Legislaturperiode hineinrei- chende, tiefgründige Diskussion über eine Staatszielver- ankerung „Tierschutz“ hat zu einem eindeutigen Ergebnis geführt: Ein Staatsziel „Tierschutz“ ist für die wirklichen Probleme wirkungslos, für die Verfassung schädlich und für die deutsche tierexperimentelle Forschung bedrohlich. Die eigentlichen unerträglichen Vergehen gegen Tiere werden mit einer verfassungsmäßigen Verankerung des Tierschutzes nicht einmal im Ansatz erreicht. Zweitens. Die leidigen Tiertransporte etwa sind kein Regelungsgegenstand des nationalen, sondern des euro- päischen Rechts und werden juristisch durch ein Staats- ziel Tierschutz keineswegs erreicht. Die vorhersehbare Enttäuschung vieler Menschen, die durch die Verfas- sungsänderung auf eine Verbesserung der Realität hoffen, wird im Endergebnis der Rechtsverbindlichkeit der Ver- fassung insgesamt schaden. Will der Gesetzgeber gegen die Missstände bei der Massentierhaltung verschärfte Maßnahmen ergreifen, muss er dies auf dem einfach ge- setzlichen Weg tun. Drittens. Ist also ein verbesserter konkreter Tierschutz durch eine Staatszielverankerung nicht zu erkennen, so kommt die Verfassungsänderung doch einem folgen- reichen Paradigmenwechsel gleich. Dieser verändert die Gesamtbalance innerhalb der Werteordnung des bisher ausschließlich auf den Menschen bezogenen Grundgeset- zes in gefährlicher Weise. Viertens. Die folgenreichste Wirkung einer Staatsziel- verankerung Tierschutz liegt jedoch in dem unverhältnis- mäßigen „Sonderopfer Forschung“. Genau auf diesen Punkt zielen die eigentlichen Interessen der Staatszielbe- fürworter – wollen diese doch bewirken, dass Richter über die Notwendigkeit von Tierversuchen letztverbindlich zu entscheiden haben. Dabei haben wir in Deutschland im Be- reich tierexperimenteller Forschung ein exzellentes, sehr strenges, ja weltweit einmaliges Tierschutzgesetz. In kei- nem Land der Welt unterliegen Tierversuche einer so engen und lückenlosen Kontrolle wie in Deutschland. Gerade hier ist eine Staatszielverankerung überflüssig und in seiner Folgewirkung kontraproduktiv. Da nunmehr die Rangfolge zwischen dem Grundrecht der Forschungsfreiheit und dem Staatsziel Tierschutz stets im Einzelfall festgestellt werden muss, kommt eine beispiellose und massive juristische Auseinandersetzung auf deutsche Wissenschaftler zu. Fünftens. Die Konsequenzen liegen auf der Hand: Niveau-Absenkung tierexperimenteller Forschung, Be- hinderung internationaler Zusammenarbeit, Fehlen von Planungssicherheit bei Forschungsprojekten, Qualifikati- onsdefizite des wissenschaftlichen Nachwuchses, Verlust von Arbeitsplätzen durch abgewanderte Forschungs- und Industriestandorte. Fazit: Man kann nicht auf der einen Seite innerhalb der Biotechnologie den Anschluss Deutschlands an die Welt- spitze fordern, auf der anderen Seite aber groß Hemm- nisse für die Forschung aufbauen. Bärbel Sothmann (CDU/CSU): Als ehemalige Be- richterstatterin für Tierschutz im Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung in der 12. Le- gislaturperiode erkläre ich hiermit, dass ich dem Antrag für eine Verankerung eines Staatsziels Tierschutz nicht zustimmen kann. Begründung Erstens. Die bis in die 12. Legislaturperiode hineinrei- chende, tiefgründige Diskussion über eine Staatszielver- ankerung „Tierschutz“ hat zu einem eindeutigen Ergebnis geführt: Ein Staatsziel „Tierschutz“ ist für die wirklichen Probleme wirkungslos, für die Verfassung schädlich und für die deutsche tierexperimentelle Forschung bedrohlich. Die eigentlichen unerträglichen Vergehen gegen Tiere werden mit einer verfassungsmäßigen Verankerung des Tierschutzes nicht einmal im Ansatz erreicht. Zweitens. Die leidigen Tiertransporte etwa sind kein Regelungsgegenstand des nationalen, sondern des euro- päischen Rechts und werden juristisch durch ein Staats- ziel Tierschutz keineswegs erreicht. Die vorhersehbare Enttäuschung vieler Menschen, die durch die Verfas- sungsänderung auf eine Verbesserung der Realität hoffen, wird im Endergebnis der Rechtsverbindlichkeit der Ver- fassung insgesamt schaden. Will der Gesetzgeber gegen die Missstände bei der Massentierhaltung verschärfte Maßnahmen ergreifen, muss er dies auf dem einfach ge- setzlichen Weg tun. Drittens. Ist also ein verbesserter konkreter Tierschutz durch eine Staatszielverankerung nicht zu erkennen, so kommt die Verfassungsänderung doch einem folgen- reichen Paradigmenwechsel gleich. Dieser verändert die Gesamtbalance innerhalb der Werteordnung des bisher ausschließlich auf den Menschen bezogenen Grundgeset- zes in gefährlicher Weise. Viertens. Die folgenreichste Wirkung einer Staatsziel- verankerung Tierschutz liegt jedoch in dem unverhältnis- mäßigen „Sonderopfer Forschung“. Genau auf diesen Punkt zielen die eigentlichen Interessen der Staatszielbe- fürworter – wollen diese doch bewirken, dass Richter über die Notwendigkeit von Tierversuchen letztverbindlich zu entscheiden haben. Dabei haben wir in Deutschland im Be- reich tierexperimenteller Forschung ein exzellentes, sehr strenges, ja weltweit einmaliges Tierschutzgesetz. In kei- nem Land der Welt unterliegen Tierversuche einer so engen und lückenlosen Kontrolle wie in Deutschland. Gerade hier ist eine Staatszielverankerung überflüssig und in seiner Folgewirkung kontraproduktiv. Da nunmehr die Rangfolge zwischen dem Grundrecht der Forschungsfreiheit und dem Staatsziel Tierschutz stets im Einzelfall festgestellt werden muss, kommt eine beispiellose und massive juristische Auseinandersetzung auf deutsche Wissenschaftler zu. Fünftens. Die Konsequenzen liegen auf der Hand: Niveau-Absenkung tierexperimenteller Forschung, Be- hinderung internationaler Zusammenarbeit, Fehlen von Planungssicherheit bei Forschungsprojekten, Qualifika- tionsdefizite des wissenschaftlichen Nachwuchses, Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 237. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Mai 2002 23747 (C) (D) (A) (B) Verlust von Arbeitsplätzen durch abgewanderte For- schungs- und Industriestandorte. Fazit: Man kann nicht auf der einen Seite innerhalb der Biotechnologie den Anschluss Deutschlands an die Welt- spitze fordern, auf der anderen Seite aber große Hemm- nisse für die Forschung aufbauen. Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Günter Graf (Friesoythe) (SPD) zur Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Absatzfondsgesetzes (Tagesordnungspunkt 25 d) Dem heute zur Beratung anstehenden Gesetz zur Än- derung des Absatzfondsgesetzes kann ich nicht zustim- men. Ich unterstütze zwar mit Nachdruck die Neuorien- tierung der Agrar- und Ernährungspolitik im Sinne einer zukunftsfähigen und nachhaltigen Lebensmittelerzeu- gung und die damit verbundene Modifizierung der Auf- gabenstellung des Absatzfonds. Meine Ablehnung zu diesem Gesetz wird allein da- durch begründet, dass ich es für bedenklich halte, nicht an der Finanzierung des Fonds beteiligte Verbände aus den Bereichen ökologischer Landbau des Tier- und Umwelt- schutzes ein Mitspracherecht im Verwaltungsrat ein- zuräumen, da dies der notwendigen gruppennützigen Ver- wendung des Beitragsaufkommens widerspricht. Anlage 4 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Thomas Dörflinger (CDU/ CSU) zur Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 18. Oktober 2001 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweizerischen Eidgenossenschaft über die Durchführung der Flugverkehrskontrolle durch die Schweizerische Eidgenossenschaft über deut- schem Hoheitsgebiet und überAuswirkungen des Betriebes des Flughafens Zürich auf das Hoheits- gebiet der Bundesrepublik Deutschland (Gesetz zu dem deutsch-schweizerischen Vertrag vom 18. Oktober 2001) (Tagesordnungspunkt 27 e) Ich lehne diesen Entwurf eines Staatsvertrags zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweizerischen Eidgenossenschaft ab, weil er weder die Interessen der be- troffenen Bevölkerung im deutschen Südwesten ausrei- chend berücksichtigt noch mit dem Grundgesetz der Bun- desrepublik Deutschland vereinbar ist. Für meine Ablehnung mache ich folgende Gründe gel- tend: Erstens. Nachdem nach dem ablehnenden Entscheid in der Verkehrskommission des schweizerischen National- rats eine Zustimmung des Vertragspartners mehr als zwei- felhaft ist, bindet sich die Bundesregierung durch die ein- seitige Ratifizierung vorab in einer unnötigen Weise. Sollte die Schweiz den Vertragsentwurf ablehnen, wird Deutschland gefordert sein, eine einseitige Rechtsverord- nung zur Klärung der offenen Fragen zu erlassen. Durch die mit der Verabschiedung des Staatsvertrags auf deut- scher Seite erfolgende Festlegung auf die dort genannten Parameter wird eine jetzt noch mögliche restriktivere Fas- sung der zu erlassenden Rechtsverordnung politisch un- möglich. Dies verletzt die Interessen der hauptsächlich betroffenen Bevölkerung in den Landkreisen Waldshut, Konstanz und Schwarzwald-Baar in schwerwiegendem Maße. Zweitens. Es widerspricht der Tragweite des Vertrags- inhalts, wenn die Dritte Beratung auf ausdrücklichen Wunsch der Bundesregierung und der Koalitionsfraktio- nen in verbundener Debatte mit weiteren, mit der Materie nur mittelbar in Zusammenhang stehenden Tagesord- nungspunkten vorgenommen wird. Offenbar sind sich Bundesregierung und Koalitionsfraktionen des mangel- haften Inhalts des Staatsvertragsentwurfs selbst bewusst, denn ansonsten hätten sie eine Beratung innerhalb eines eigenständigen Tagesordnungspunkts ermöglicht. Drittens. Art. 24 Abs. 1 und Art. 87 d des Grundgeset- zes der Bundesrepublik Deutschland regeln die Übertra- gung von Hoheitsrechten und bestimmen eindeutig, dass eine Übertragung von Hoheitsrechten – und um eine sol- che handelt es sich bei der Übertragung der Luftverkehrs- kontrolle – nur an zwischenstaatliche Organisationen zulässig ist. Die im Staatsvertragsentwurf vorgesehene Übertragung an die Schweizer Firma „Skyguide“ ist von den einschlägigen Bestimmungen des Grundgesetzes nicht gedeckt und folglich ist der Vertragsentwurf verfas- sungswidrig. Viertens. Die im Vertragsentwurf vorgesehenen Rege- lungen betreffen ausschließlich das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland. Wenn nun in Art. 17 des Vertrags geregelt ist, dass die bilateralen Vereinbarungen zwischen der EU und der Schweizerischen Eidgenossen- schaft von dem Vertrag unberührt bleiben, impliziert dies die Möglichkeit, die für das Hoheitsgebiet der Bundesre- publik Deutschland vorgenommenen Beschränkungen mit Verweis auf EU-Recht auszuhebeln, während das Ter- ritorium der Schweizerischen Eidgenossenschaft hiervon unberührt bleibt. Die Vehemenz, mit der die Schweiz in den Vertragsverhandlungen auf dem erwähnten Art. 17 bestand, bestätigt dies. Fünftens. Die vorgesehenen Beschränkungen hinsicht- lich der An- und Abflüge auf Zürich-Kloten über deut- sches Hoheitsgebiet sind insbesondere mit Blick auf die zahlreichen und recht weit auslegbaren Ausnahmebestim- mungen nicht dazu geeignet, die Tourismusregionen Südschwarzwald und Bodenseeregion in ihrer wirt- schaftspolitisch bedeutsamen Entwicklung vor der Beein- trächtigung durch den Fluglärm zu schützen. Sechstens. Der Vertragsentwurf lässt die Tatsache, dass sich die Warteräume ausschließlich auf deutschem Staats- gebiet befinden, unwidersprochen. Sonderbar ist in die- sem Zusammenhang auch, dass das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit bislang keine Veranlassung sah, gegen den Warteraum EKRIT, Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 237. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Mai 200223748 (C) (D) (A) (B) der sich über einer ganzen Reihe kerntechnischer Anlagen – Kernkraftwerke Leibstadt und Beznau, Zwischenlager Würenlingen – befindet, vorzugehen, was im Rahmen der Vertragsverhandlungen durchaus möglich gewesen wäre. Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – Entwurf eines Verbraucherinformationsge- setzes (VerbIG) – Beschlussempfehlung und Bericht: – Antrag: Verbraucherinformationsgesetz effek- tiv gestalten – Entschließungsantrag: zu der Abgabe einer Erklärung durch die Bundesregierung – Auf dem Weg in eine verbraucherorientierte Marktwirtschaft – Entwurf eines Gesetzes zur Neuorganisation des gesundheitlichen Verbraucherschutzes und der Lebensmittelsicherheit – Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Ab- satzfondsgesetzes (Tagesordnungspunkt 25 a bis d) Ute Kumpf (SPD): Mit dem Verbraucherinformations- gesetz gehen wir den Weg „Wissen ist Macht“. Verbrau- cherschutz stellt sich nicht alleine durch materielle Vorga- ben und ausreichende Kontrolle dieser Vorgaben her. Die dritte Säule einer wirkungsvollen Verbraucherschutzpoli- tik sind Information und der umfassende Anspruch auf Auskunft für die Verbraucherinnen und Verbraucher. Um sich am Markt selbstbestimmt als Konsument be- haupten zu können, benötigen Verbraucherinnen und Ver- braucher mehr Informationen, mehr Transparenz und Klarheit über die Art der Produktion, der Inhaltsstoffe und der möglichen Gefährdungen. Alle hier im Hause beschwören den mündigen Bürger, den mündigen Verbraucher, den aufgeklärten Verbrau- cher. Richtig: Der Staat soll den Bürger nicht gängeln, der Bürger will den Staat nicht vor der Nase haben, er wünscht sich ihn an seiner Seite. Im Gegensatz zur Opposition erfüllen wir den Ver- braucherinnen und Verbrauchern diesen Wunsch, tun was für sie. Sie sind die Schlüsselfiguren für unsere Verbrau- cherpolitik. Denn Veränderungen am Markt können sich auf Dauer nur dann durchsetzen, wenn der Verbraucher informiert und befähigt wird, seine Macht tatsächlich mit dem Ein- kaufskorb einzusetzen, und wenn er dies auch rational tut. Verbraucherpolitik muss auf Aufklärung setzen. Wird beispielsweise eine Salami von der Lebensmittel- aufsicht vom Markt genommen, so können Behörden nach derzeitiger Rechtslage über die Tatsache an sich informie- ren, aber nicht über den Namen von Produkt oder Herstel- ler. Auch die Information, welche Firmen regelmäßig ge- gen das Lebensmittelrecht verstoßen, werden gegenwärtig unter Verschluss gehalten – „Dienstgeheimnis“. Ein aufgeklärter Verbraucher ist zunächst mal auf um- fassende Informationen angewiesen. Ein Verbraucherin- formationsgesetz muss daher den öffentlichen Zugang zu staatlichen Prüfergebnissen und Bewertungen sicherstel- len. Das tun wir. Mit Geheimer Verschlusssache ist dann Schluss. Mit dem Gesetz gilt: freier Zugang zu Informationen über Produkte, die den Behörden vorliegen. Das gilt für Bund, Länder wie Gemeinden, beispielsweise für die Le- bensmittelüberwachungs- oder die Veterinäruntersu- chungsämter. Freier Zugang heißt, von den Behörden zu erfragen, welche Informationen vorliegen, zu deren Beschaffenheit oder zu den Herstellungsbedingungen, ob sie Allergene enthalten oder welche sonstigen Untersuchungsergeb- nisse vorliegen. Freier Zugang zu Informationen heißt auch, die Behör- den erhalten darüber hinaus das Recht, von sich aus über bestimmte Sachverhalte, Grenzwerte, Risikostoffe usw. aktiv zu informieren. Auch beim Verstoß gegen verbraucherschützende Vor- schriften werden die Behörden die Namen der Firmen be- kannt geben können. Damit können schwarze Schafe be- nannt werden. Das ist nicht nur im Sinne der Verbraucher; daran müssten auch die Unternehmen ein Interesse haben, die sich vorschriftsmäßig verhalten, eine weiße Weste haben und sich von Machenschaften anderer abgrenzen wollen. „Wissen ist Macht“, das ist unser Weg, der der SPD. Die Opposition, allen voran die CDU/CSU, verfährt dagegen eher nach dem Spontispruch: Wissen ist Macht – aber nichts wissen macht auch nichts. Denn ihr Ent- schließungsantrag gaukelt Fortschrittlichkeit vor, ist letzt- endlich scheinheilig, und bayuwarische Lüftlmalerei. Die Forderung einen Auskunftsanspruch gegenüber Unter- nehmen auf EU-einheitlicher Basis zu schaffen, ver- schiebt die Lösung des Problems auf den Sankt-Nimmer- leins-Tag. Auf diesen wollen wir nicht warten. Ein Verbraucherinformationsgesetz, das sich auf Le- bensmittel und Bedarfsgegenstände beschränkt und die Unternehmen in der Informationspflicht außen vor lässt, ist zwar ein kleiner Schritt, ich hätte mir auch einen größe- ren Sprung gewünscht. Es ist aber der erste Schritt, er geht in die richtige Rich- tung und er geht vor allem vorwärts. Sie trippeln mit ihrem EU- Konzept auf der Stelle, kreiseln um sich selbst, täu- schen ein Ja vor, das letztendlich ein Nein darstellt, weil ihre Forderungen nicht realisierbar sind und der Verbrau- cher mit vielen Versprechungen alleine gelassen wird. Wir behalten die Unternehmen im Auge, wir entlassen sie nicht aus ihrer Verantwortung. Sie sind beim ersten Schritt mit dabei, wenn sie sich durch Selbstverpflichtung als verbraucherfreundlich beweisen. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 237. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Mai 2002 23749 (C) (D) (A) (B) Joseph Stiglitz, Nobelpreisträger und ehemaliger Chef- ökonom der Weltbank, hat schon früh darauf hingewie- sen, dass informierte Verbraucher wichtige Partner der Marktwirtschaft sind. Bei einem Markt für Güter mit Qualitätsmängeln hilft ihr Wissen, bessere Kaufentscheidungen zu treffen. Sie sind Vorbilder für andere Verbraucher, tragen durch ihre Kaufentscheidung zur Qualitätssicherung bei. Eine vorsorgende Verbraucherpolitik ist ein positiver Standortfaktor. Wenn die Nachfrageseite gestärkt wird, der Verbraucher zum Verbündeten wird, dann können nachteilige Folgen des Wettbewerbs für die nationale Wirtschaft, für die sozialen, ökologischen und kulturellen Lebensbedingungen abgewehrt werden. Auf dieses Ziel hin arbeiten wir. Schritt für Schritt. Jella Teuchner (SPD): Wir verabschieden heute das Verbraucherinformationsgesetz. In Zukunft haben die Kunden nicht mehr die Wahl zwischen Schinken oder kei- nem Schinken – sie wissen, wer zu viel Wasser in den Schinken spritzt, und können von Anbietern kaufen, die fair mit dem Kunden umgehen. Wir geben den Kunden die Wahlfreiheit und schützen die Anbieter, die weder täu- schen noch tricksen. Hier ändert sich die Rechtslage, hier machen wir einen wichtigen Schritt nach vorne. Als Anfang diesen Jahres Schinkenprodukte auftauch- ten, die zu viel Wasser enthielten, konnten die Verbrau- cherinnen und Verbraucher nicht feststellen, ob in ihrem Einkaufswagen Schinken oder Wasser liegt. Eine Ge- sundheitsgefährdung lag nicht vor, Ross und Reiter durf- ten von den Behörden nicht genannt werden. Die bishe- rige Rechtslage nimmt hier den Kunden die Wahlfreiheit und schützt die Anbieter, die täuschen und tricksen. Dies soll in Zukunft anders werden. Die Frage, auf die wir heute eine Antwort geben, lau- tet: Wollen wir den Verbraucherinnen und Verbrauchern die Informationen geben, die sie für bewusste Kaufent- scheidungen brauchen? Wir sollten sie alle mit Ja beant- worten. Wir sollten aber auch Ja zu dem Vertrauen sagen, dass wir dadurch in Bezug auf die Sicherheit von Lebensmit- teln und Bedarfsgegeständen schaffen. Bisher lauten Be- hörden-Auskünfte doch so: „Wir überwachen diese Pro- dukte, es gibt keine Gefährdung.“ Mich wundert es nicht, dass die Medien bei solchen Aussagen über ein Vertu- schen spekulieren. Oder sind Ihre Zweifel bei einer sol- chen Antwort ausgeräumt? In Zukunft werden die Behörden sagen: „Wir haben diese Produkte überprüft. In Produkt A haben wir diesen Stoff gefunden. Die betroffenen Waren wurden aus dem Handel genommen. Andere Produkte des Herstellers sind nicht betroffen.“ Diese Aussage wird nicht als Geheim- niskrämerei ausgelegt werden. Sie signalisiert zum einen Offenheit der Behörde, zum anderen aber auch verant- wortliches Handeln des Unternehmens. Das Ziel, das wir alle verfolgen, ist: bewusstes Kauf- verhalten der Verbraucherinnen und Verbraucher und ver- antwortliches Handeln der Unternehmen. Wir begrüßen, dass die Unternehmen in den Diskussionen betont haben, dass eine offene Informationspolitik auch für sie von großer Bedeutung ist. Wir nehmen das auch auf: Es ist jetzt vorgesehen, dass die Unternehmen zunächst selbst informieren können. Unternehmen, die verantwortlich handeln, sollen dies auch nach außen darstellen können. Was wir aber nicht mehr wollen, ist, dass unverant- wortlich Handelnde geschützt werden. Wie war es denn beim Schinken? Bis heute wissen die Käufer nicht, wel- che Firma sich nicht an die Regeln gehalten hat. Ihre ein- zige Reaktionsmöglichkeit: Sie gehen davon aus, dass je- der Schinken schlechte Qualität hat. Sollen wir wirklich zulassen, dass ein klassischer Lemon-Markt entsteht? Sollen wir wirklich zulassen, dass dadurch Qualität vom Markt verschwindet? Sicher nicht. Deswegen müssen die Behörden für Transparenz sorgen – und wir geben ihnen mit dem Verbraucherinformationsgesetz die Möglichkeit dazu. Wir geben den Behörden eine neue Aufgabe, wir ma- chen ihr Handeln öffentlich. In Zukunft dürfen sie Ross und Reiter nennen, die Verbraucher können feststellen, was für Ergebnisse die Behörden vorliegen haben. Dies gibt auch den Verbraucherverbänden und den Medien neue Möglichkeiten an die Hand. Das ist kein Placebo- Gesetz, das ist ein großer Schritt nach vorn. Versuchen Sie bitte nicht, dieses Gesetz auf den Sankt- Nimmerleins-Tag der europäischen Harmonisierung zu verschieben. Und: Passen sie auf, dass die Reden zur Be- deutung der Verbraucherinformation nicht reine Lippen- bekenntnisse bleiben. Wenn ich mir den Antrag der CDU/CSU anschaue, dann wird eigentlich ein weiter- gehendes Gesetz gefordert. Gleichzeitig sehe ich aber, dass in den Beratungen keine Mühen gescheut wurden, dieses Gesetz zu verhindern. Wenn dann noch in einer Pressemitteilung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion aus- gerechnet der bayerische Verbraucherminister zum Kron- zeugen gemacht wird, dann fragt man sich, ob das an der katastrophalen Informationspolitik der bayerischen Staats- regierung im BSE-Test-Skandal oder an nicht erfüllten Kontrollvorgaben in Bayern liegt. Mit dem Verbraucherinformationsgesetz können und müssen Behörden ihr Wissen offen legen. Machen Sie mit uns diesen Schritt. Sie helfen den Verbrauchern. Und Sie helfen den verantwortlich handelnden Unternehmen. Albert Deß (CDU/CSU): Aus Sicht der Verbraucher und der Bauern beschert uns die Bundesregierung und die rot-grüne Koalition mit den vorliegenden Gesetzentwür- fen einen schwarzen Freitag. Auf brutalste Weise wird hier gegen jeden Sachverstand Ideologie gesetzlich um- gesetzt. Die Folgen sind mehr Bürokratie, ein Weniger an Verbraucherschutz und ein Mehr an Wettbewerbsnachtei- len für die deutsche Land- und Ernährungswirtschaft. Bevor ich auf die vorliegenden Gesetzentwürfe ein- gehe, möchte ich jedoch meine Entrüstung zu der Sensa- tionsgier mancher grüner Politiker zum Ausdruck brin- gen. Es ist ein unglaublicher Vorgang, dass sowohl der grüne Europapolitiker Graefe zu Baringdorf als auch der Kreistagsabgeordnete Coldewey ein abgekartetes Spiel Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 237. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Mai 200223750 (C) (D) (A) (B) mit dem WDR getrieben haben, indem sie mit Tiermehl vermischtes Tierfutter aus ihren Betrieben an die land- wirtschaftlichen Untersuchungsanstalten in Oldenburg und Hameln geschickt haben. Angeblich haben sie diese rechtlich und moralisch fragwürdige Handlung durchge- führt, um die Analysequalität der Untersuchungsanstalten zu testen. In Wirklichkeit hatte man wohl gehofft, einen Riesenskandal loszutreten, um für die grüne Agrarpolitik Punkte sammeln zu können. Pech für die sensationshung- rigen Politiker war, dass beide Untersuchungsanstalten das beigemischte Tiermehl einwandfrei analysieren konn- ten. Die aufgrund des vorhandenen Tiermehls gesetzlich vorgeschriebene Beschlagnahmung und Tötung der Tiere der beiden Betriebe konnte glücklicherweise in letzter Minute verhindert werden, weil die abgekartete Aktion aufgedeckt wurde. Diese den Verbraucher verunsichernde und den Tier- schutz missachtende Aktion ist ein erneuter Beweis dafür, wie kaltschnäuzig grüne Politiker bereit sind, Lebensmit- telskandale für ihre politischen Zwecke zu produzieren. Es ist gut, dass ihnen die exzellente Arbeit der Landwirt- schaftlichen Untersuchungs- und Forschungsanstalten ei- nen Strich durch die Rechnung gemacht hat. Bäuerliche Existenzen sind ihnen dabei genauso gleichgültig wie das Leben von Tieren oder eine weitere Verunsicherung der Verbraucher. Die Grünen fordere ich auf, sich vom Ver- halten ihres Europaabgeordneten Graefe zu Baringdorf zu distanzieren. Die von Ministerin Künast vorgeschlagene Schaffung von zwei neuen Behörden im Bereich des Verbraucher- schutzes wurde im Rahmen der hierzu durchgeführten Anhörung von den meisten Experten, unter anderem auch vom Bundesverband der Verbraucherschutzzentralen und den Gewerkschaften, zu Recht in dieser Form als ineffi- zient, bürokratisch und organisatorisch in die falsche Richtung gehend kritisiert. Die institutionelle Trennung von Risikomanagement und -bewertung bewirke nach einstimmiger Meinung der Sachverständigen gerade nicht die Vereinfachung von Kommunikationswegen und Ent- scheidungsprozessen, sondern schaffe lediglich ein neues, schwerfälliges System, mit dem im Krisenfall nicht effi- zient reagiert werden könne. Man appellierte hingegen dafür, wie bereits von CDU/CSU seit langem gefordert, nur eine Behörde zu errichten und unter einem Dach Risikobewertung und -management, gegebenenfalls getrennt nach Abteilun- gen, anzusiedeln. Bestätigt wurde auch die Kritik von CDU/CSU, dass mit dieser Neuorganisation nicht die gesamte Breite des Verbraucherschutzes im nachgeordneten Bereich abge- deckt wird. Aus unserer Sicht muss das neue Amt eine Sensor- und Aufklärungsfunktion für alle Belange des Verbraucherschutzes haben. Als Ohrfeige muss Ministerin Künast die Kritik insbe- sondere der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie werten, dass mit dieser Neuorganisation Arbeits- plätze verloren gehen. Besonders negativ werde sich dies auf die Zulassung von Pflanzenschutz- und Tierarznei- mittel auswirken. Das ganze Verfahren werde bürokra- tisch gestreckt und für die Firmen unzumutbar, sodass es zu Produktionsverlagerungen ins Ausland kommen werde. Ebenso wie der Bundesrat wiesen auch die Sach- verständigen eindeutig auf die Zustimmungsbedürftigkeit und auf weitere Rechtsmängel dieses Gesetzes hin. Nach dieser Expertenrunde müsste somit auch den Re- gierungsfraktionen klar geworden sein, dass Ministerin Künast ihnen mit diesem Gesetzentwurf ein Kuckucksei ins Netz gelegt hat. Konsequenterweise müsste daher das unselige Werk sofort von der Bundesregierung zurück- gezogen werden. Die CDU/CSU wird jedenfall weiterhin mithilfe unserer Bundesländer mit Nachdruck das In- Kraft-Treten dieses unzulänglichen Gesetzes zu verhin- dern versuchen. Künasts Agrar- und Verbraucherschutzpolitik nimmt immer mehr die Züge einer Ökodiktatur an. Jetzt sollen per rot-grünem Gesetz Vertreter des Tier- und Umwelt- schutzes und der Verbraucherzentralen in den Verwal- tungsrat des Absatzfonds gesetzt werden. Der Absatz- fonds, dessen Aufgabe die Werbung für deutsche Nahrungsmittel im In- und Ausland ist, finanziert sich vollständig aus den Pflichtabgaben der Erzeuger und Ver- arbeiter landwirtschaftlicher Produkte. Tierschutz- und Umweltschutzverbände oder Verbraucherzentralen zah- len keinen Cent in den Absatzfonds ein. Es gleicht einer Enteignung, wenn von den Bauern Gelder abkassiert werden, über die dann andere mit ent- scheiden. Wenn Tier-, Umwelt- und Verbraucherschützer im Verwaltungsrat sitzen sollen, dann müssen sie auch entsprechende Pflichtbeiträge zum Absatzfonds leisten. Wer in der Hauptversammlung einer Aktiengesellschaft mitstimmen will, muss schließlich auch vorher Aktien ge- kauft haben. Frau Künast, letztendlich kann ich Ihnen nur raten: Nehmen Sie die Gesetze zurück und überlassen Sie solch schwierige Aufgaben der neuen unionsgeführten Regie- rung! Im Gegensatz zu Ihnen werden wir als Regierungs- verantwortliche den Verbraucherschutz ernst nehmen und nicht populistisch instrumentalisieren. Annette Widmann-Mauz (CDU/CSU): Frau Künast, Ihr Verbraucherinformationsgesetz geht an der Realität vorbei, an der deutschen wie an der europäischen. Es ent- spricht nicht dem Informationsbedürfnis der Menschen, es passt nicht zu den Gegebenheiten in der Wirtschaft und in den Ländern, und es kann nicht halten, was Sie ver- sprechen. Ich will das an einem Beispiel deutlich machen: Aller- gene. Sie werben damit, dass die Verbraucher sich durch dieses Gesetz besser über das Vorhandensein von Aller- genen in Lebensmitteln und Bedarfsgegenständen infor- mieren können sollen. Das ist ein lobenswertes Vorhaben, denn wir alle wissen, dass die Zahl der Allergiker in Deutschland stetig zunimmt. Die Kenntnis über einen Stoff, der eine Allergie auslöst, kann unter Umständen lebenswichig sein. Man denke an die vielen Fertigprodukte mit unübersehbar vielen Zutaten oder an Hülsenfrüchte wie Erdnüsse oder Getreidesorten, wie Weizen, bei denen ge- ringste Mengen in einem Joghurt oder in einer Suppe aus- reichen können, um die allergische Reaktion auszulösen. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 237. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Mai 2002 23751 (C) (D) (A) (B) (Extrem-Folge: Tod aufgrund Lebensmittel – Anaphyla- xie) Sie wollen hier den Menschen helfen. Aber was pas- siert? Schauen Sie sich die Situation in Deutschland doch einmal an: Nach Ihrem Gesetz müssen die Menschen sich schrift- lich an eine Behörde wenden, die Auskunft geben soll über bei ihr vorliegende Daten. Als Antwort wird der Ver- braucher erhalten, dass die Behörde leider keine Auskunft erteilen kann. Warum nicht? Die Frage eines Allergens ist eine Frage der inhaltlichen Zusammensetzung eines Pro- dukts, sozusagen des Rezepts, und darüber liegen bei den Behörden keine Daten vor. Sie selbst haben ja zugegeben, dass niemand um sein „Coca-Cola-Geheimnis“ fürchten müsse. Und da die Behörde auch nicht verpflichtet ist, sich Informationen zu beschaffen, ist der Verbraucher ge- nauso schlau wie vorher. Ihr Gesetz nutzt ihm nichts! Überdies ist Ihr Gesetz in weiten Teilen nicht nötig: Denn EU-weite Kennzeichnungsregelungen stehen be- vor, die das Informationsbedürfnis der Verbraucher über Fragen wie Allergene abdecken werden. Diese betreffen zum einen das Lebensmittelrecht und zum anderen Kos- metika. Dann werden Anfragen gegenüber Behörden gar nicht mehr nötig sein. Umfassend EU-Recht umgesetzt haben Sie dagegen, obwohl erforderlich, nicht (zum Bei- spiel Produktsicherheitsrichtlinie 2001/95/EG). Nehmen wir ein anderes Beispiel: Wie sieht es mit der Hygiene zum Beispiel in einem Restaurant aus? Das er- fahren zu wollen, ist ein ebenfalls berechtigtes Interesse. Auch hier muss der Verbraucher einen Antrag stellen, schriftlich, der erst einmal bearbeitet werden muss. Es verstreicht Zeit, bis der Verbraucher die Auskunft erhält – den ersten Hunger dürfte der Verbraucher jedenfalls mit der mitgebrachten Stulle gestillt haben, bis die behördli- che Auskunft erteilt wird. Wäre ein Restaurant dagegen beispielsweise verpflichtet, Ergebnisse von Kontrollen auszuhängen, ließe sich diese missliche Situation leicht bereinigen und Verbraucher und Wirt wären zufrieden! Wenn der Verbraucher dann aber die behördliche Aus- kunft erhält, wird er womöglich Pech haben und die Aus- kunft ist veraltet. Denn wie oft werden Lebensmittelkon- trollen durchgeführt? Auf einen Lebensmittelkontrolleur kommen bis zu 1 300 Betriebe, die er in seinem Bereich kontrollieren muss, und das bei zwei bis vier Kontrollen pro Tag. Das bedeutet: ein Betrieb kann dann nur alle drei Jahre kontrolliert werden! Und das wollen Sie den Men- schen als Information verkaufen, aufgrund derer die Men- schen ihre Entscheidung fällen sollen! Frau Ministerin, Ihr Gesetz ist für das, wofür Sie es an- preisen, schlicht untauglich. Es gaukelt den Menschen et- was vor, was es nicht halten kann. Das Ergebnis wird sein, dass die Verbraucher sich mit ihren Fragen doch direkt an die Unternehmen wenden werden, denn die sind die wirk- lichen Informationsquellen. Das können die Menschen aber auch schon heute. Dazu braucht es dieses Gesetz je- denfalls nicht. Erstens. Die Union begrüßt alle Vorhaben, die die Transparenz auf den Märkten stärken und damit die Stel- lung der Verbraucher. Die Bündelung der Informations- rechte in einem Verbinformationsgesetz ist dazu auch der richtige Weg. Die Union fordert aber Regelungen, die we- der die Wirtschaft noch die Verbraucher überfordern, son- dern den Menschen auf sachgerechte und verständliche Weise zu mehr Information verhelfen. Zweitens. Unverzeihlich ist die Art, wie Sie dieses Ge- setz auf den Weg gebracht haben: die Eile, mit der Sie die- ses Gesetz (wie auch das Gesetz zur Neuorganisation der nachgeordneten Behörden und das Absatzfondsgesetz) vorantreiben, und die der umfassenden Bedeutung der Verbraucherinformation und dem „rechtlichen Neuland“, wie Sie es selbst nennen, vollkommen unangemessen ist dieses Gestolpere von einem unausgegorenen Referente- nentwurf zum mangelhaften Gesetzesentwurf bis zu hek- tisch nachgeschobenen Änderungen vor drei Tagen, durch die wesentliche Mängel immer noch nicht beseitigt sind; und dass Sie auch noch die Kommunalen Spitzenver- bände bei einem Gesetz, das vor allem in den Kommunen umgesetzt wird, bei der Vorarbeit einfach vergessen ha- ben. Das zeigt einmal mehr die Laienhaftigkeit, mit der Sie Ihr Amt ausüben. Da können Sie von Glück reden, dass da, wo das eigene Haus wahrscheinlich wieder damit be- schäftigt war, Akten zwischen den Schreibtischen hin- und herzutragen, andere für Sie mitdenken! Drittens. Das Gesetz ist ja im Lauf des Verfahrens zu- sammengeschrumpelt wie eine austrocknende Pflaume. Da sind zum Beispiel die Dienstleistungen ganz aus den Überlegungen herausgenommen worden, nicht nur aus diesem Gesetz, sondern grundsätzlich! Und dann sind auch ganze Produktgruppen herausgefallen, über die sich viele Verbraucher informieren wollen, wie zum Beispiel die Handys. Viertens. Die Haftungsfragen: Wenn die Behörden keine Pflicht haben, Sachverhalte zu ermitteln, sondern sich auf Vorhandenes beschränken müssen, dann reicht es für die möglichen Fälle einer behördlichen Fehlinforma- tion nicht aus, sich auf die Allgemeinen Amtshaftungsre- gelungen zurückzuziehen. Das passt nicht zusammen! Fünftens. Es reicht erst recht nicht aus, dass als Vo- raussetzungen für die behördliche Information schon vage Vermutungen unterhalb der Gefahrenschwelle die- nen können. Da passiert es dann wie in Schweden, wo voreilig wegen angeblich krebserregender Stoffe in Kar- toffelchips Panik erzeugt wird – und dem vorsorgenden Gesundheitsschutz hat man damit einen Bärendienst er- wiesen. Sechstens. Statt den Kennzeichnungsdschungel zu durchforsten und die Unternehmen darin zu unterstützen, ihre eigene Informationsaktivität auszubauen und ver- brauchergerecht darzustellen, frönen Sie einmal mehr dem Bürokratismus und der Politik des schönen Scheins. Aber: Nicht alles, was glänzt, ist auch Gold. Das Gesetz ist für die Praxis untauglich und geht an den wirklichen Interessen der Menschen vorbei. Was aber das Schlimmste ist: Sie werden damit in dem Thema der Verbraucherinformation in seiner übergreifen- den Bedeutung nicht gerecht. Es gibt schon jetzt eine Viel- zahl an Informationsrechten und -pflichten (Zivilrecht, öffentliches Recht). Es gibt schon jetzt eine ganze Palette Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 237. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Mai 200223752 (C) (D) (A) (B) von Informationsmöglichkeiten: von Zeitschriften über Fernsehsendungen, Internet bis zur Arbeit der unabhängi- gen Verbraucherorganisationen. Schon jetzt betreiben Un- ternehmen eine aktive Informationspolitik, man denke an Faltblätter an Käsetheken und Hotlines. Und nicht zu ver- gessen sind die unterschiedlichen Informationsbedürf- nisse der Menschen und Fähigkeiten, neue Informationen aufzunehmen. Das alles ignorieren Sie mit der einseitigen Ausrichtung auf die behördliche Information! Sie hätten umfassend Verbesserungen in Angriff neh- men sollen, wie man die verschiedenen Elemente der Ver- braucherinformation in ihrem Angebot verbessern kann, zusammen mit Handel und Industrie, und unter Berück- sichtigung der Leistungsfähigkeit der Länder. Und wie man die Menschen dazu bewegen und befähigen kann, die vorhandenen Angebote besser auszunutzen. Diese Chance haben Sie nicht genutzt! Frau Künast, Sie sind in der politischen Realitiät noch nicht angekommen. Sie ignorieren die Wirklichkeit und Sie blenden die Menschen! Wie man Politik für die Men- schen macht, für die Verbraucher, wie man die Verbrau- cher weiterbringt und dies für Wirtschaft verträglich ge- staltet, das haben Sie immer noch nicht begriffen! Ich habe Ihr Informationsgesetz einen schlappen Lap- pen genannt. Ich sage nun: Es ist ein Lappen, mit dem Sie ein letztes Mal am Image der Grünen in der Regierung zu polieren versuchen. Aber nicht einmal dazu wird es tau- gen. Denn die Menschen haben einen klaren Blick, sie las- sen sich nicht blenden. Sie wissen zwischen Schein und Sein zu unterscheiden. Gudrun Kopp (FDP): Das Verbraucherinformations- gesetz der rot-grünen Bundesregierung ist nicht akzep- tabel. Es ist unausgewogen und praxisfern. Über die Län- der und deren Kommunen hinweg werden nicht bezifferte Mehrkosten verursacht und Gebühren für die Verbraucher die Folge sein, und zwar für wenig Informationsgewinn. Ein bürokratisches Antragsverfahren für Auskünfte krönt dieses überflüssige „Placebo-Gesetz“. Die FDP setzt dagegen auf eine freiwillige Informati- onspolitik der Anbieter. Dazu bedarf es einer transparen- ten „Dreieckskooperation“ zwischen Wirtschaft, Behör- den und Verbrauchern. Innovative Unternehmen haben nämlich längst erkannt, dass eine offensive Informations- politik einen Marktvorteil bedeutet. Das will die FDP: erstens mehr Verbraucherinforma- tionen durch den Aufbau einer Datenbank mit Basisinfor- mationen über Produkte und Dienstleistungen durch Un- ternehmen auf freiwilliger Basis, zum Beispiel über eine Kooperation von Firmen auf Verbandsebene oder inner- halb einer Stiftung, zweitens Präzisierung von Produkt- kennzeichnungen in einfacher und verständlicher Form, drittens ausreichende Lebensmittelkontrollen in den Län- dern sicherstellen, viertens Verständlichkeit und Verbrau- chertauglichkeit von Gesetzestexten mittels „Gesetzes- TÜV“ gewährleisten, fünftens das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb, UWG, wirtschafts- und ver- braucherbezogen modernisieren und sechstens Verbrau- cherthemen – wie Rechts- oder Ernährungsfragen – im Schulunterricht verankern, in der Lehrerausbildung, im Lehrplan als Basis-Unterrichtsinhalte. Das Produktsicherheitsgesetz regelt schon heute Ver- fahren bei sicherheitsrelevanten Produktmängeln. Würden alle vorhandenen Regelungen und Gesetze zur Produkt- sicherheit und die vorgenannten freiwilligen Maßnahmen zunächst zügig und konsequent umgesetzt, wäre die Not- wendigkeit für ein Verbraucherinformationsgesetz zur Umsetzung der EU-Richtlinie zumindest fraglich. Zeit zum Erörtern und Prüfen, welche Maßnahmen da- rüber hinaus zu treffen sind, besteht noch bis zum Jahr 2004. Sorgfalt muss Vorrang vor Schnelligkeit haben. Deshalb verlangt die FDPdie Rücknahme des ideologisch geprägten „Placebo-Gesetzes“. Die FDP lehnt den Gesetzentwurf zur Neuorganisation des gesundheitlichen Verbraucherschutzes ab. Bürokra- tisch aufgebauscht sieht die rot-grüne Bundesregierung nämlich die Zulassung von Pflanzenschutzmitteln mit 4 – statt bisher 2 – Behörden vor. Die FDP erwartet ein Kompetenzwirrwarr mit unklaren Verantwortlichkeiten und Kostensteigerungen. Der Entwurf der Ministerin Künast widerspricht dem von-Wedel-Gutachten, das ver- nünftigerweise eine Bündelung von Aufgaben vorsieht. Heidemarie Lüth (PDS): Die Gesetzesvorlagen der Bundesregierung zum Verbraucherschutz wie auch an- dere aktuelle Projekte erinnern mich an einen Schüler kurz vor der Versetzung. Andauernde Untätigkeit über ei- nen langen Zeitraum soll hastig durch kurzfristige Emsig- keit kompensiert werden. Das führt nie zu guten, sondern allenfalls zu knapp ausreichenden Ergebnissen. Manch- mal geht es aber auch ganz daneben. Der vorgelegte Entwurf eines Verbraucherinforma- tionsgesetzes fällt deutlich etwa hinter den Entwurf des Landes Niedersachsen zurück. Informationsrechte muss es auch gegenüber den Unternehmen geben, die Produkte und Dienstleistungen anbieten. Das gilt umso mehr, als wichtige Anbieter von Leistungen der Daseinsvorsorge privatisiert wurden. Nicht zu rechtfertigen ist auch die in den Ausschuss- beratungen aufrechterhaltene Beschränkung auf Lebens- mittel und Verbrauchsgegenstände. Das greift angesichts der unüberschaubaren Menge anderer Produkte und Dienstleistungen zu kurz. Ich nenne nur die Finanzdienst- leistungen von der Riesterrente bis zum Immobilien- erwerbermodell und die Pflegeleistungen. Uns gefallen auch nicht die im Gesetz aufgelisteten vielfältigen Ein- schränkungen des Informationsanspruchs. Das lädt gera- dezu zur missbräuchlichen Verweigerung von Informa- tionen ein. Allerdings sind wir gespannt, wie das Informations- recht in der Praxis tatsächlich ausgestaltet wird, wie etwa ganz konkret Akteneinsicht gewährt wird. Darauf werden wir ein Auge haben, nicht nur um Mängel zu kritisieren, sondern auch um positive Erfahrungen verallgemeinern zu können. Das könnte auch für ein zukünftiges Petitions- gesetz ganz interessant sein. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 237. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Mai 2002 23753 (C) (D) (A) (B) Die Neuorganisation des gesundheitlichen Verbrau- cherschutzes ist eine richtige Maßnahme, soweit es um die grundlegende Aufgliederung geht. Wir erwarten je- doch dringend, dass damit verbundene bestimmte Stand- ortentscheidungen und Zuständigkeitsaufteilungen noch einmal überprüft werden. Auf Druck der Verbraucherorganisationen ist die Zu- sammensetzung des Verwaltungsrates der Absatzfonds verändert worden. Der Schritt zum Verhältnis 1:23 ist nicht gerade mutig. Die vorgesehene Veränderung kann aber bessere Voraussetzungen für die notwendige Kom- munikation zwischen den unterschiedlichen Interessen und Sichtweisen schaffen. Trotz aller Mängel und Unvollständigkeiten gehen die Gesetzentwürfe doch grundsätzlich in die richtige Rich- tung. Wir werden ihnen deshalb zustimmen. Ob der hastige gesetzgeberische Endspurt der Regie- rungskoalition ausreicht, um das Klassenziel zu errei- chen, haben die Wählerinnen und Wähler zu entscheiden. Eines sage ich aber jetzt schon: Im nächsten Schuljahr – ich meine: in der nächsten Wahlperiode – muss ganz erheblich nachgebessert werden. Renate Künast, Bundesministerin für Verbraucher- schutz, Ernährung und Landwirtschaft: Rot-Grün ist die erste Bundesregierung, die den Verbraucherschutz auf die Agenda gesetzt hat, und zwar ganz nach oben. Sonst hätte das niemand getan! Die Selbstverständlichkeit unseres Engagements für die Durchsetzung der Verbraucherrechte ist wesentliches Kennzeichen unserer Politik. Kein oberflächliches Kri- sen- und Betroffenheitshopping, sondern grundsätzliche Aufarbeitung der Konfliktherde und Sicherung der Rechte. Dabei haben wir große Fortschritte in der Verbraucher- politik gemacht. Mit dem Verbraucherinformationsgesetz, dem Gesetz zur Neuorganisation des gesundheitlichen Ver- braucherschutzes und dem novellierten Absatzfondsgesetz stehen heute drei weitere Meilensteine auf der Tagesord- nung. Die Verbraucher haben ein gutes Recht zu wissen, was sie für ihr gutes Geld bekommen. Geben wir den Ver- braucherinnen und Verbrauchern, was ihnen zusteht. Ver- schaffen wir den Verbraucherrechten endlich mehr Gel- tung. Die Opposition wirft uns bei jeder passenden und un- passenden Gelegenheit vor, Deutschland sei das wirt- schaftliche Schlusslicht in der Europäischen Union. Ge- ben Sie jetzt Ihre Blockadepolitik auf und machen Sie ernst mit dem Verbraucherschutz. Unsere Wirtschaft hat doch nichts zu verbergen! Sie stellt hochwertige Waren her und das sollen auch alle wissen dürfen. Denn mündige Verbraucher sind auch kluge Konsumenten. Genau die sind das Fundament einer zukunftsfesten Wirtschaftsent- wicklung in unserem Land. Dabei nehmen wir bewusst eine Vorreiterrolle in Europa an. Denn wir wollen und werden eben nicht die Letzten sein. Wir wissen, dass Verbraucherschutz wesentlicher Bestandteil einer modernen Wirtschaftspolitik ist. Davon sollen unsere Unternehmen profitieren. Das sehen übrigens auch die Unternehmer, gerade auch in der Landwirtschaft. Die setzt sich gegen alle Unkenrufe ihrer angeblichen Interessenvertreter durch und investiert: bei Wirtschaftsgebäuden mehr als das Doppelte und auch verstärkt bei den Programmen Landwirtschaft und Jung- landwirte. Die Junglandwirte wollen und nehmen sich ihre Zukunft und ich kann ihnen versichern: Wir sind auf ihrer Seite. Ihr Vertrauen in diese Bundesregierung ist richtig. Denn unser Weg ist der richtige. Das haben nicht nur vor Monaten schon die Wirtschaftsweisen gesagt, das wird jetzt Realität – die Daten der Rentenbank sprechen hier eine eindeutige Sprache. Für einen zukunftsfesten Wirtschaftsstandort Deutsch- land steht auch das Verbraucherinformationsgesetz, das sich in einem ersten Schritt auf all das bezieht, was mit unserem Körper in Berührung kommt, der elementarste Bereich für den Verbraucherschutz also. Damit lösen wir das Versprechen dieser Regierung ein, dass es beim ge- sundheitlichen Verbraucherschutz keine Kompromisse geben kann. Für einen zukunftsfesten Wirtschaftsstandort Deutsch- land steht auch das Gesetz zur Neuorganisation des ge- sundheitlichen Verbraucherschutzes. Hier könnte man, wenn man Ihre Kritik an unserem Gesetzentwurf hört, den Eindruck gewinnen, Lebens- und Futtermittelskandale seien in Deutschland kein Thema und wären auch nie ei- nes gewesen. Ihr politisches Kurzzeitgedächtnis ist außer- ordentlich bemerkenswert. Erst lassen Sie das Kind in den Brunnen fallen, schreien dann, wenn Sie nicht mehr in der politischen Verantwortung sind, nach raschen Konse- quenzen und wollen, wenn die Entscheidung ansteht, da- von nichts mehr wissen. Es waren ja nicht wir, sondern eine unabhängige und von uns allen geschätzte Gutachterin – im Übrigen aus Ihren früheren Reihen – nämlich Frau von Wedel –, die schonungslos die enormen Defizite im gesundheitlichen Verbraucherschutz aufgedeckt hat, Defizite, die vor allem die Vorgängerregierung zu verantworten hatte. Statt den Konsens zu loben, auf dem unsere Gesell- schaft ihre Lebensgrundlage neu und für alle zufrieden stellend organisieren und sichern könnte, verirren Sie sich in Wahlkampfgetöse und politischer Handlungsunfähig- keit. Kern der von wedelschen Empfehlungen ist es, Risi- kobewertung und Risikomanagement institutionell zu trennen. Gerade die Risikobewertung muss politischem Einfluss entzogen werden. Das haben doch auch Sie im letzten Jahr noch unterstützt und uns mit entsprechenden Anfragen überschüttet. Aus gutem Grund, denn Wissen- schaftler dürfen nicht gezwungen werden, schon bei der Forschung mit den Problemen der Umsetzung belastet zu werden. Lassen Sie mich nur ein Beispiel benennen: Denken Sie nur an die Probleme der Zusatzstoffe in Babynahrung oder die Rückstandsmengen von Pflanzenschutzmitteln in Lebensmitteln, über deren Folgen wir bei unseren Kleins- ten kaum etwas sagen können. Jetzt endlich haben wir Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 237. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Mai 200223754 (C) (D) (A) (B) eine Studie über die wirklichen Verzehrgewohnheiten von Ein- bis Sechsjährigen auf den Weg gebracht, übrigens die erste europaweit. Wir brauchen dringend mehr Forschung, und zwar eine unabhängige. Ob bei Korruption, Umwelt oder wo auch immer: Genehmigung und Kontrolle müssen voneinander getrennt werden. Verlieren Sie jetzt nicht den Mut vor der eigenen Cou- rage. Ziehen Sie mit! Machen Sie heute und auch im Bun- desrat klar, dass Sie es ernst meinen mit dem Verbrau- cherschutz. Nehmen Sie Ihr eigenes Wahlversprechen ernst. Stärken Sie den Standort Deutschland. Es kann doch nicht sein, dass das Recht der Bürgerinnen und Bür- ger auf Information jetzt verhindert wird und Sie damit andere Interessen höher schätzen als die der Verbraucher. Das wäre glatter Wahlbetrug, noch bevor die Wahlen überhaupt stattgefunden haben. Das müssen Sie den Wäh- lerinnen und Wählern erklären! Sie müssten Ihnen auch erklären, warum wir nicht un- sere Chancen nutzen und Vorreiter in Europa sein sollen. Schauen Sie sich einmal die Agenda des Verbraucherrates nächste Woche in Brüssel an. Da kann ich nur sagen: Die nehmen alles das auf, was wir hier bereits verankern. Nur die Opposition schnarcht. Und wenn eines in Zeiten der Globalisierung verboten ist, dann das: auf Kosten der Bürgerinnen und Bürger zu schnarchen und ihnen ihre Chancen der Zukunftsgestaltung in einem zukunftsfesten und damit sicheren Rahmen zu nehmen! Nicht abwarten, sondern jetzt brauchen die Verbrau- cherinnen und Verbraucher, braucht die Wirtschaft Klar- heit über ihre Rechte und Pflichten. Machen Sie mit! Wir haben Verbraucherschutz versprochen und auf die Agenda gesetzt. Die drei vorliegenden Gesetzentwürfe zeigen: Versprochen – gehalten! Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Erschwernis von Erschließungsmaßnahmen durch Doppelbe- steuerung verhindern (Tagesordnungspunkt 26) Horst Schild (SPD): Der vorliegende Antrag nimmt ein berechtigtes Anliegen der Kommunen und der bau- willigen Grundstückseigentümer auf. Der Bundesregie- rung ist der beschriebene Sachverhalt bekannt. Seit ge- raumer Zeit wird in Abstimmung mit den Ländern eine Lösung des Problems erörtert. Tatsächlich kann es zu zusätzlichen Kostenbelastun- gen von bauwilligen Grundstückseigentümern bei folgen- der Konstellation kommen: Die Gemeinde überträgt durch einen öffentlich-recht- lichen Vertrag nach § 124 BauGB die Erschließung von Grundstücken auf einen privaten Erschließungsträger. Der Erschließungsträger ist nicht Eigentümer der zu er- schließenden Grundstücke. Die Erschließung wird vom Erschließungsträger im eigenen Namen und für eigene Rechnung durchgeführt. Gegenüber den bauwilligen Grundstückseigentümern verpflichtet sich der Er- schließungsträger durch privatrechtliche Verträge und rechnet aufgrund dieser Verträge mit den Grundstücks- eigentümern ab. Umsatzsteuerrechtlich liegt hier eine sonstige Leistung gegen Entgelt vor. Es entsteht Umsatz- steuerpflicht. Die Umsatzsteuer hat der bauwillige Grund- stückseigentümer zu tragen. Gegenüber der Gemeinde verpflichtet sich der Er- schließungsträger zur unentgeltlichen Übertragung der Erschließungsanlagen im Sinne von § 127 BauGB. Die unentgeltliche Übertragung auf die Gemeinde ist umsatz- steuerlich eine Werklieferung, die ebenfalls steuerpflich- tig ist. Regelmäßig belastet der Erschließungsträger den bauwilligen Grundstückseigentümer zusätzlich mit der Umsatzsteuer aus dieser unentgeltlichen Wertabgabe, weil der Erschließungsträger diese Umsatzsteuer nicht als Vorsteuer abziehen kann. Er wälzt sie deshalb als Kosten- faktor auf den bauwilligen Grundstückseigentümer ab. In der Gesamtschau kommt es folglich zur umsatz- steuerlichen „Doppelbesteuerung“. Umsatzsteuerrechtlich liegt jedoch streng genommen keine Doppelbesteuerung vor. Es handelt sich nämlich um zwei verschiedene Besteuerungstatbestände anlässlich der Erschließungsmaßnahme. Beide Verpflichtungen des Erschließungsträgers werden nach dem BMF-Schreiben vom 4. Dezember 2000 und in Übereinstimmung mit der 6. EG-Mehrwertsteuerrichtlinie zu Recht der Umsatz- steuer unterworfen. Im Ergebnis kommt es jedoch zu ei- ner zusätzlichen Kostenbelastung des bauwilligen Grund- stückeigentümers, da dieser die gesamte Umsatzsteuer aus dem Leistungskreis wirtschaftlich zu tragen hat. Vor diesem Hintergrund sind in der Praxis zivilrecht- liche Konstruktionen entwickelt worden, die nicht mehr zur zusätzlichen Kostenbelastung des Bauwilligen führen sollen. Ein Beispiel dafür ist die als Doppelverpflich- tungsmodell bezeichneten Vertragskonstruktion. Dabei werden die bauwilligen Grundstückseigentümer in den Erschließungsvertrag mit der Gemeinde als Vertragspart- ner einbezogen. Der Erschließungsträger verpflichtet sich gegenüber der Gemeinde zur Erstellung und Übertragung der Erschließungsanlagen – Verpflichtung I. Daneben verpflichten sich die Grundstückseigentümer gegenüber der Gemeinde zur Übernahme der durch die Erschließung entstehenden Kosten – Verpflichtung II. Die Gemeinde tritt diesen Zahlungsanspruch an den Erschließungsträger ab. Bei der Wahl dieser Vertragskonstruktion ist die Zah- lung des Grundstückseigentümers umsatzsteuerlich „Ent- gelt von dritter Seite“ für den zwischen Erschließungsträ- ger und Gemeinde durchgeführten Leistungsaustausch und damit nicht umsatzsteuerpflichtig. Die Grundstückseigentümer erhalten vom Erschlie- ßungsträger keine Rechnung mit Umsatzsteuerausweis und sind infolgedessen, sofern sie unternehmerisch tätig sind, auch nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt. Mit Umsatzsteuer wird nur der Leistungsaustausch zwischen Erschließungsträger und Gemeinde belegt. Die Umsatz- steuer wird auf den Bauwilligen abgewälzt, der diese wirtschaftlich zu tragen hat. Jedoch hat er beim Doppelverpflichtungsmodell nur noch die einmalige Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 237. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Mai 2002 23755 (C) (D) (A) (B) Umsatzsteuerbelastung zu tragen. Voraussetzung dafür ist die Überarbeitung des erwähnten BMF-Schreibens vom Dezember 2000. Derzeit befindet sich ein neues BMF-Schreiben in Ab- stimmung mit den Länderfinanzministerien. Es akzeptiert die von der Praxis erarbeiteten Modelle zur Vermeidung einer zusätzlichen Kostenbelastung. Mit der Veröffent- lichung des neuen BMF-Schreibens wird in Kürze ge- rechnet. Damit wird sich die Problematik der umsatz- steuerlichen Doppelbelastung erledigen. Franziska Eichstädt-Bohlig (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):Wir beraten heute über den Antrag der Frak- tion der CDU/CSU, Erschließungsmaßnahmen von einer vermeintlich doppelten Umsatzsteuerbelastung zu be- freien. Wir sind uns alle einig: Die Novelle des Baugesetzbu- ches von 1997 und die Einfügung des § 124 Baugesetzbuch hatten das Ziel, die Kommunen von den Kosten der Er- schließung von Bauland zu entlasten. Dieses Ziel wurde auch erreicht. Gemeinden können sich jetzt zur Erfüllung ihrer Aufgabe nicht mehr nur einer privaten Erschließungs- gesellschaft als Erfüllungsgehilfen bedienen, sondern auch die Erschließungsaufgabe durch öffentlich-rechtlichen Ver- trag auf einen Erschließungsträger übertragen. Der Er- schließungsträger führt die Erschließungsmaßnahmen dann im eigenen Namen und auf eigene Rechnung durch, sodass der Gemeinde keine Erschließungskosten entstehen. Die Baulanderschließung kann also seit der Gesetzesände- rung viel flexibler erfolgen als vorher. Nun erhebt die Fraktion der CDU/CSU in ihrem Antrag den Vorwurf, die Baulanderschließung werde trotzdem dadurch erschwert, dass Erschließungsträger, die auf- grund der Ausgestaltung des Vertrages mit der Gemeinde nicht Eigentümer des zu erschließenden Grundstückes werden, einer Doppelbesteuerung unterliegen. Zunächst einmal trifft der Vorwurf der Doppelbesteue- rung rechtlich nicht zu. Von einer Doppelbesteuerung könnten Sie nur reden, wenn derselbe Sachverhalt Grund- lage für eine zweifache Steuerpflicht wäre. Dies ist hier aber nicht der Fall. Ein Erschließungsträger, der nicht Ei- gentümer des zu erschließenden Grundstückes ist, er- bringt einmal durch die Durchführung der Erschließungs- maßnahmen eine werkvertragliche Leistung, die er mit den Bauwilligen abrechnet und die der Umsatzsteuer- pflicht unterfällt. Daneben überträgt er die öffentlichen Erschließungsanlagen in der Regel unentgeltlich auf die Gemeinde. Auch dieser Vorgang ist umsatzsteuerpflich- tig. Es handelt sich dabei aber um eine zweite Leistungs- beziehung zwischen Erschließungsträger und Gemeinde, sodass keine Doppelbesteuerung besteht, sondern eine je- weils einfache Besteuerung von unterschiedlichen Rechts- verhältnissen. Die unentgeltliche Übertragung der Erschließungsan- lage kann auch nicht, wie es die Antragsteller offensicht- lich fordern, von der Umsatzsteuerpflicht ausgenommen werden. Die Pflicht zur Besteuerung auch unentgeltlicher Wertabgaben folgt aus der 6. EG-Richtlinie. Der § 3 Abs. 1 b Satz 1 Nr. 3 Umsatzsteuergesetz, aus dem sich die Steuerpflicht nach nationalem Recht ergibt, ist ledig- lich wortgetreu umgesetztes Europarecht. Ich nehme nicht an, dass die CDU/CSU-Fraktion zur Änderung der Steuergesetze aus der EU austreten will. Die Bundesregierung hat einen gangbareren Weg ge- wählt, um mögliche Zusatzbelastungen von Erschlie- ßungsträgern durch das Umsatzsteuerrecht auszuschlie- ßen: Durch eine andere Vertragsgestaltung soll eine zweifache Leistungsbeziehung im Rahmen der Erschlie- ßungsmaßnahme vermieden werden. Die Verträge sollen so ausgestaltet werden, dass nur noch eine Leistungsbe- ziehung und damit auch nur noch ein steuerpflichtiger Sachverhalt besteht. Über eine solche Neuregelung führt das Bundesministerium der Finanzen derzeit Verhandlun- gen mit den Ländern, die kurz vor dem Abschluss stehen. Durch ein neues Schreiben des Bundesministeriums für Finanzen an die Obersten Finanzbehörden der Länder, das das Schreiben vom 4. Dezember 2000 ersetzen soll, wird diese Neugestaltung dann zum Regelfall werden. Die Notwendigkeit, einen Beschluss des Deutschen Bundestages zur Steuerbelastung bei Erschließungsmaß- nahmen herbeizuführen, sehe ich daher nicht. Gerhard Schüßler (FDP):Der Antrag der Union ent- hält ein weiteres Beispiel dafür, dass das Steuerrecht häu- fig wirtschaftliches Handeln behindert. Im Baurecht und Kommunalrecht wurden Vereinfachungs- und Einspar- maßnahmen bei der Erschließung von Bauland getroffen. Durch eine doppelte Mehrwertsteuerzahlung werden diese Maßnahmen konterkariert. Ein Steuerrechtler mag das für gut befinden, ebenso der Finanzbeamte. Der Bau- herr oder der Kämmerer der Gemeinde können nur mit dem Kopf schütteln. Grundlage für die doppelte Mehrwertsteuerbelastung bei der Erschließung von Bauland ist zwar das Umsatz- steuergesetz. Die Belastung wird allerdings konkret aus- gelöst erst durch ein so genanntes BMF-Schreiben. Diese Schreiben des Bundesfinanzministeriums – abgestimmt mit den Landesfinanzministerien – waren in letzter Zeit häufig Anlass für Streitigkeiten. Der Rechtscharakter die- ser Schreiben ist mehr als fragwürdig. Finanzbeamte aus Bund und Ländern einigen sich darüber, wie das Gesetz ausgelegt werden soll. Das mag in vielen Fällen nützlich sein; in manchen Fällen geht diese Auslegung am Willen des Gesetzgebers vorbei und führt gelegentlich sogar zu massiven Steuererhöhungen wie bei der Neufassung der AfA-Tabellen. Hier kann etwas nicht stimmen. Es darf nicht sein, dass die Exekutive am Parlament vorbei Entscheidungen trifft, die für die Bürger mit massiven finanziellen Belastungen verbunden sind. Diese Entscheidungen müssen der Poli- tik vorbehalten bleiben. Ich meine, hier liegt ein Fehler im System, mit dem wir uns gründlicher befassen müssen. Die Flut von BMF-Schreiben ist übrigens auch Aus- fluss und Bestandteil unseres viel zu komplizierten Steu- errechts. Die FDP hat hier Flagge gezeigt: Bereits unsere Steuergesetze müssen vereinfacht werden. Gibt es hier klare Regelungen, dann werden viele komplizierte Ver- waltungsanweisungen überflüssig. Bei dieser Verein- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 237. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Mai 200223756 (C) (D) (A) (B) fachung, die wir in der nächsten Legislaturperiode ange- hen, ist auch die Exekutive gefragt. Gesetzgeber und Ver- waltung müssen dafür sorgen, dass so ärgerliche Fälle wie im Antrag der Union beschrieben, nicht mehr vorkommen. Dr. Barbara Höll (PDS): Die CDU fordert in ihrem Antrag, die „Erschwernis von Erschließungsmaßnahmen durch Doppelbesteuerung zu verhindern“. Dies soll dazu dienen, dass das Ziel der Novellierung des Baugesetzbu- ches von 1997 – beschleunigte Mobilisierung von Bau- land und Kostensenkung bei der Baulanderschließung – auch tatsächlich umgesetzt wird. Nach dem Stand der ak- tuellen Sachlage zeugt ihr Antrag von einem wahrlich lai- enhaften Verständnis der Umsatzbesteuerung und ist überflüssig. Warum? Ein Grundstück wird erschlossen, Besitzer ist ein pri- vater Grundstückseigner. Ein Teil der oder die gesamten erschlossenen Anlagen sollen nach Fertigstellung unent- geltlich zur öffentlichen Nutzung an die Gemeinde über- tragen werden. Ein Erschließungsunternehmen wird mit den Maßnahmen zur Erschließung des Grundstücks be- auftragt. Das Erschließungsunternehmen führt einerseits für die Erbringung der Erschließungsleistungen gegen- über dem Grundstückseigner Umsatzsteuer ab. Im Ge- genzug ist es zum Vorsteuerabzug berechtigt. Dies ist ein völlig alltäglicher Vorgang. Werden Erschließungsanla- gen unentgeltlich an die Gemeinde übertragen, so muss der Erschließungsträger auch für diese Lieferung Um- satzsteuer bezahlen und ist auch in diesem Falle zum vollen Vorsteuerabzug berechtigt. Wo liegt hier nun die Doppelbesteuerung? Aus Sicht der CDU/CSU scheinbar darin, dass für die Lieferung von Erschließungsanlagen an den Grundstückseigner und an die Gemeinde jeweils Umsatzsteuer abgeführt werden muss. Sie haben dabei aber völlig aus den Augen verloren, dass es sich um zwei verschiedene, voneinander unabhän- gige Leistungsbeziehungen handelt. Einmal die zwischen dem Grundstückseigner und dem Erschließungsträger und zum Zweiten die Beziehung zwischen Gemeinde und Grundstückseigner. Genauso gut könnten Sie bei der Her- stellung eines beliebigen Produkts von einer Doppel-, wenn nicht gleich Mehrfachbesteuerung sprechen. Auch hier wird im Verlauf der Produktionskette ein und das- selbe mehrfach mit Umsatzsteuer belastet. Trotzdem würde niemand auf die Idee kommen, eine etwaige Dop- pelbesteuerung anzuprangern. Die Forderung ihres Antra- ges, die Doppelbesteuerung von Erschließungsmaßnah- men auszuschließen, ist also völlig überflüssig, denn es gibt sie nicht. Damit entspricht der Antrag nicht einmal dem Niveau eines Grundkurses Steuerlehre. Wenn man sich aber mit der Materie eingehender beschäftigt, ahnt man, wo Ihr Problem in Bezug auf Er- schließungsmaßnahmen liegen könnte: Durch die ge- nannte Novelle des Baugesetzbuches wurde den Gemein- den die Möglichkeit eingeräumt, Erschließungsaufgaben durch Dritte – eben die Erschließungsunternehmen – durchführen zu lassen. Dies sollte den Gemeinden vor al- lem Kostenersparnis bringen. Dadurch existierte bis zum Jahr 2000 das Modell der unentgeltlichen Wertüberlas- sung von Erschließungsanlagen und damit das der Umsatzbesteuerung überhaupt nicht. Aktuell müssen Er- schließungsunternehmen für die Wertüberlassung Um- satzsteuer abführen. Allerdings können sie diese – im Un- terschied zu anderen Unternehmen – nicht auf die Gemeinden überwälzen, sie entsteht als Kostenfaktor. Nun mag dies die Kosten der Erschließungsmaßnah- men erhöhen. Das ist zweifelsohne ein Problem und ein- gehend zu prüfen. Allerdings übersehen Sie von der CDU dabei, dass die Steuerbarkeit von unentgeltlichen Wert- überlassungen lediglich die nationale Umsetzung der 6. EU-Umsatzsteuerrichtlinie ist. Dementsprechend müsste die Bundesregierung vielmehr aufgefordert werden, sich auf europäischer Ebene dafür einzusetzen, dass für unent- geltliche Wertüberlassungen keine Umsatzsteuer abzu- führen ist. Allerdings reagieren die Betroffenen schneller: Derzeit werden in den Gemeinden neue Konstruktionen geschaf- fen, die die Umsatzbesteuerung verhindern sollen. Diese werden nach Aussagen des Finanzministeriums derzeit überprüft. Ich denke, wir sollten hier die Ergebnisse ab- warten, bevor vorschnell falsche Forderungen gestellt werden. Insofern ist der Antrag derzeit überflüssig. Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung: – Entwurf eines Gesetzes zur Errichtung einer Verkehrsinfrastrukturfinanzierungsge- sellschaft zur Finanzierung von Bundesver- kehrswegen (Verkehrsinfrastrukturfinanzie- rungsgesellschaftsgesetz – VIFGG) – Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Fernstraßenbauprivatfinanzierungsgesetzes und straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften (FstrPrivFinÄndG) – Entwurf eines Fünften Gesetzes zurÄnderung des Bundesfernstraßengesetzes (5. StrÄndG) – Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes und anderer straßen- verkehrsrechtlicher Vorschriften (StVRÄndG) – Entwurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 18. Oktober 2001 zwischen der Bundesrepu- blik Deutschland und der Schweizerischen Eidgenossenschaft über die Durchführung der Flugverkehrskontrolle durch die Schwei- zerische Eidgenossenschaft über deutschem Hoheitsgebiet und überAuswirkungen des Be- triebes des Flughafens Zürich auf das Ho- heitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland (Gesetz zu dem deutsch-schweizerischen Ver- trag vom 18. Oktober 2001) – Entwurf eines Gesetzes zur Erleichterung des Marktzugangs im Luftverkehr – Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Regionalisierungsgesetzes Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 237. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Mai 2002 23757 (C) (D) (A) (B) – Antrag: Finanzierungssicherheit für den Bun- desfernstraßenbau über das Jahr 2002 hinaus – Antrag: Fairen Wettbewerb im Luftverkehr bewahren – Sicherheit erhöhen – Antrag: Anti-Stau-Programm für Europas Luftverkehr (Tagesordnungspunkt 27 und Zusatztagesord- nungspunkte 21 und 22) Dr. Winfried Wolf (PDS): Der erste und wichtigere Themenblock bei diesem Tagesordnungspunkt betrifft die Gesetzentwürfe der Bundesregierung für ein Verkehrs- infrastrukturfinanzierungsgesellschaftsgesetz und für ein Fernstraßenbauprivatfinanzierungsgesetz. Die FDP hat dazu einen Entschließungsantrag vorgelegt. Wir lehnen beide Gesetzesentwürfe und den FDP-Ent- schließungsantrag ab. Die Ablehnung resultiert aus unse- rer grundsätzlich kritischen Haltung gegenüber der kon- kreten Ausformung der LKW-Maut und gegenüber der Privatisierung im Verkehrswegebau, insbesondere im Be- reich des Baus von Straßen. Richtigerweise muss festge- stellt werden, dass die beiden genannten Gesetzesentwürfe „nur“ gesetzgeberische Folgemaßnahmen der zuvor be- reits gefassten und von uns abgelehnten Bundestagsbe- schlüsse sind. Im Fall des erstgenannten Gesetzesentwurfs verweise ich daher vorab nur kursorisch darauf, dass die gewisser- maßen im Hintergrund des Gesetzentwurfes stehende LKW-Maut die ursprüngliche Intention einer solchen Be- mautung zum Nullsummenspiel werden ließ, teilweise so- gar zu einer umgekehrten Wirkung als der erwünschten führt. Da die Maut nur für Autobahnen gelten wird und da sie auf LKWüber 12 Tonnen beschränkt ist, wird es zu der zweifachen Verlagerung vom Straßengüterverkehr kom- men: zum einen auf andere Fernstraßen (nicht BABs), zum anderen auf kleinere LKW. Beides ist umweltpoli- tisch und hinsichtlich der Belastungen für die Menschen vor Ort abzulehnen. Darüber hinaus hat die LKW-Maut, wie sie bisher geplant ist, keinerlei verlagernde Wirkung auf die Schiene und auf die Wasserwege. Das war immer- hin ihre ursprüngliche offizielle Intention. Für das bun- desdeutsche Gewerbe ist sogar im Gespräch, dass es zu ei- ner „Kostenneutralität“ kommen soll. Die mit dem Gesetzesentwurf einzurichtende Gesell- schaft ist darüber hinaus aus immanenten Gründen abzu- lehnen. Die entsprechenden Gründe dafür wurden auf der Anhörung des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Woh- nungswesen offenkundig. Unter anderem schließen wir uns hier der Kritik des Bundesrechnungshofs und der Sachverständigen von BUND und VCD an. Die Mittel aus der LKW-Maut sollen auch nach den Vorstellungen der Bundesregierung wieder zu einem erheblichen Teil dem Straßenausbau, zum Beispiel dem Anti-Stau-Programm zufließen. Dies ist absolut kontraproduktiv; die Schweiz geht hier einen entschieden anderen, mehr umweltfreund- lichen Weg. Die FDP sattelt hier mit ihrem Entschlie- ßungsantrag noch eins drauf, weswegen wir diesen mit besonderer Leidenschaft ablehnen müssen. Der zweitgenannte Gesetzesentwurf zur Fernstraßen- baufinanzierung stellt ebenfalls „nur“ die Anpassung an Praxiserfordernisse dar, die aus den vorangegangenen ge- setzgeberischen Maßnahmen resultieren. Nichtsdestotrotz müssen wir ihn ablehnen. Mit dem Gesetzesentwurf wird erneut eine den Straßenbau begünstigende und diesen for- cierende gesetzgeberische Grundlage geschaffen. Wir verweisen in diesem Zusammenhang darauf, dass mit der Privatfinanzierung im Straßenbau erstens die Kosten für den Straßenbau steigen, zweitens spätere Haushalte be- lastet werden und drittens Fakten geschaffen werden, die eine umweltverträgliche Verkehrssteuerung enorm er- schweren werden. Weil diese kommenden Straßenbau- projekte finanziert werden, wird es erforderlich sein, die Rendite für die privaten Straßenbetreiber zu sichern. Das heißt, das Verkehrsaufkommen muß hoch bleiben. Verla- gerungen, die wir aus den bekannten Gründen wünschen, werden damit strukturell zunehmend unmöglich gemacht. Im Übrigen wird hier wieder ein „ball paradox“ gege- ben. Es war erfreulicherweise die geschätzte Kollegin Blank, die in dieser Woche im Verkehrsausschuss darauf verwies, dass mit diesem Gesetzesentwurf „die Beteili- gung des Parlaments durch Rechtsverordnung ausge- schlossen“ werde. Interessanterweise handelt es sich bei dem Gesetzentwurf um die Änderung eines Gesetzes aus dem Jahr 1994, das bereits erste Schritte in Richtung der privaten Straßenbaufinanzierung machte. Damals waren es SPD und Grüne, die diese Förderung der Privatfinan- zierung ablehnten, und zwar mit ziemlich ähnlichen und auch im Nachhinein richtigen Argumenten, mit denen wir dies heute tun. Dieser scheinbar paradoxe Vorgang lässt sich aufklären, wenn man den enormen Einfluss der Straßenbau- und Autolobby in Rechnung stellt, der auf je- der Regierung und jeder Exekutive lastet, gleich welche Parteien diese stellen. Dem „Ersten Gesetz zur Änderung des Regionalisie- rungsgesetzes“ werden wir zustimmen. Es bringt teil- weise Verbesserungen mit sich; zumindest werden die rü- den Androhungen des Finanzministers, wonach die Regionalisierungsgelder gekürzt werden sollen, nicht rea- lisiert. Der FDP-Antrag bringt erfreulicherweise das auf den Punkt, was dazu ergänzend gesagt werden muss, ins- besondere auch hinsichtlich § 7 dieses Gesetzes, also die Forderung, dass diese Regionalisierungsmittel eindeutig und zwingend zweckgebunden für den Schienenperso- nennahverkehr eingesetzt werden müssen. Wenn wir auch dem Punkt 2 des FDP-Antrags zustimmen, wonach es eine Wettbewerbsklausel geben soll, dann aufgrund der konkreten Praxis von der Bahn AG. Die konkret mit den Bundesländern hier teilweise vereinbarten Langzeitver- träge sind aus Sicht der Länderinteressen, der Interessen der Fahrgäste und des Interesses an einer Verkehrswende nicht zufrieden stellend. Der Entwurf eines Gesetzes zur Erleichterung des Marktzuganges im Luftverkehr, den die Bundesregierung hier zur Abstimmung stellt, lehnen wir ab. Dieser Antrag reflektiert erneut die völlig kontraproduktive Orientie- rung der Bundesregierung und der sie tragenden Parteien SPD und Bündnis 90/Die Grünen. Mit diesem Gesetzes- entwurf wird die Liberalisierung im Luftverkehr weiter befördert. Preisdumping und Billigflugangebote werden Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 237. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Mai 200223758 (C) (D) (A) (B) zunehmen. Die Steigerungen des Flugverkehrs werden damit aufrechterhalten. Wir verweisen hier auf drei Dinge: Erstens. Der Flugverkehr als die die Umwelt am stärks- ten belastende Verkehrsart weist seit vielen Jahren die mit Abstand höchsten Wachstumsraten auf. Damit findet eine kontinuierliche Verkehrsverlagerung in die Luft statt. Zweitens. Es kommt zu einer kontinuierlichen Ver- schlechterung im Preisniveau zuungunsten des Schienen- verkehrs oder zu einer deutlichen Verbilligung der Ticket- Kosten im Flugverkehr. Damit wird die umgekehrte Verkehrswende immens gefördert. Drittens. Die Steigerungsraten im Flugverkehr betref- fen durchaus auch den Binnenflugverkehr. Dieser stieg im Zeitraum 1991 bis 2001 um rund 50 Prozent. Die durch- schnittliche Entfernung je Binnenflug betrug Ende der 1990er-Jahre 470 Kilometer. Damit liegen diese Kurz- streckenflüge in ihrer großen Mehrzahl in einem Bereich, der ideal wäre für eine Verlagerung auf die Schiene. Doch eine solche Verlagerung gab es nicht und wird es mit sol- chen kontraproduktiven gesetzgeberischen Maßnahmen nicht geben. Tatsächlich ist der Schienenpersonenfernver- kehr seit 1994 sogar leicht rückläufig, sogar die durch- schnittliche je Fahrt in diesem Segment zurückgelegte Reiseweite ging zurück. All das sind Parameter, die die- sen verkehrten Verkehr, die diese umgekehrte Verkehrs- wende, für die SPD und Bündnis 90/Die Grünen verant- wortlich zeichnen, belegen. Wenn wir im Übrigen dem Gesetzentwurf für den deutsch-schweizerischen Vertrag zustimmen, dann aus dem schlichten Grund, dass wir uns solche umwelt- freundlichen Bestimmungen im Flugverkehr überall wün- schen. Man übertrage doch bitte das, was hier für den Be- reich Hochrhein/Schwarzwald vereinbart werden soll, auf Frankfurt/Main oder auf den FJS-Airport in München: Halbierung der Flugbewegungen, Nachtflugverbot, am Wochenende kaum Flüge usw. Dass der vorgeschlagene Vertrag mit der Schweiz in diesem Sinne heuchlerisch und einseitig ist, habe ich bereits bei der ersten Lesung des- selben erklärt. Im Übrigen sei darauf verwiesen, dass der Verkehrsausschuss des schweizerischen Parlaments den Vertrag ablehnte und eine endgültige Entscheidung in der Schweiz erst für Herbst oder Ende 2002 zu erwarten ist. Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – Antrag: Opferrechte stärken und verbessern – Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Jugendgerichtsgesetzes (Tagesordnungspunkt 28 a und b) Erika Simm (SPD): Lassen Sie mich mit einer po- sitiven Feststellung beginnen: Ich finde es erfreulich, dass sich die Fraktionen des Deutschen Bundestages im Grundsatz darin einig sind und es in den letzten Jahren auch waren, dass die Rechte des Opfers im Strafverfahren gestärkt werden und die Hilfen für Opfer von Straftaten verbessert werden müssen. Diesbezügliche Rechtsän- derungen sind in der Vergangenheit vielfach gemeinsam verabschiedet worden, wie zum Beispiel in jüngster Zeit das Gesetz zur Verankerung des Täter-Opfer-Ausgleichs in der Strafprozessordnung vom 20. Dezember 1999. Vor diesem Hintergrund befremdet es, dass die FDP in der Begründung zu ihrem Antrag der Bundesregierung unterstellt, sie wolle den Kurs zur Verbesserung des Op- ferschutzes nicht entschieden genug weiterverfolgen. Nur zur Erinnerung: Das eben genannte Gesetz zum TOA ba- sierte auf einer Gesetzesinitiative eben dieser Bundes- regierung. Der heute gleichfalls zur Beratung anstehende Gesetz- entwurf der CDU/CSU hat als Prämisse zur Vorausset- zung, dass im Jugendstrafverfahren der Opferschutz- gedanke nur unzureichend verwirklicht sei und will dem durch die Zulassung der Nebenklage – insoweit überein- stimmend mit dem FDP-Antrag – und des Adhäsionsver- fahrens abhelfen. Ich lasse mal dahingestellt, ob die Be- hauptung, dem Opferschutz sei im jugendgerichtlichen Verfahren zu wenig Rechnung getragen, so stimmt. Ge- gen die schlichte Übernahme der Nebenklage und des Adhäsionsverfahrens in das Verfahren gegen Jugendliche wende ich mich aber mit Nachdruck. Die formalisierte Beteiligung des Verletzten als Nebenkläger im Verfahren gegen Jugendliche in jedem Stadium des Verfahrens, zum Beispiel auch noch nach ergangenem Urteil zur Einlegung von Rechtsmitteln, widerspricht in meinen Augen der er- zieherischen Zielsetzung und Ausgestaltung des Jugend- strafverfahrens. Ich bin gerne bereit, mich an Überlegungen zu beteili- gen, wie der Opferschutz auch im Jugendstrafverfahren gestärkt werden kann und denke, dass das durchaus wün- schenswert und möglich ist, ohne dass die Nebenklage zu- gelassen werden muss. Allerdings meine ich, wir täten gut daran, ehe wir Schnellschüsse abgeben, die Vorschläge der „Deutschen Vereinigung für Jugendgerichte und Ju- gendgerichtshilfen“ abzuwarten, die mit finanzieller Un- terstützung des BMJ eine JGG-Reformkommission ein- gesetzt hat. Diese Kommission soll einen etwaigen Reformbedarf auch unter dem Aspekt des Opferschutzes prüfen. Die Deutsche Vereinigung wird ihre Vorschläge rechtzeitig zum Deutschen Juristentag im September vor- legen, wo ja die Reform des Jugendstrafrechts ebenfalls Thema sein wird. Ich verstehe nicht, warum Sie, liebe Kollegen von der FDP und der CDU/CSU, jetzt so ungeduldig sind und die Ergebnisse der Beratungen der DVJJ-Kommission und des Deutschen Juristentages nicht abwarten können. Was die Zulassung des Adhäsionsverfahrens im Ver- fahren gegen Jugendliche betrifft, so bleibt mir auch nach gründlicher Lektüre der Begründung des Gesetzentwurfs unerfindlich, warum Sie meinen, dass dieses Verfahren, das aus vielerlei Gründen im Erwachsenenstrafverfahren nie eine nennenswerte Rolle gespielt hat, von Kommen- tatoren als Fremdkörper im Strafprozess, ja als „Totge- burt“ bezeichnet wird, nun plötzlich im Jugendstraf- verfahren effektiv sein soll, um dem Verletzten zum Schadenersatz zu verhelfen. Gerade das JGG bietet da Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 237. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Mai 2002 23759 (C) (D) (A) (B) wirksame Möglichkeiten über Weisungen und Auflagen an. Was die übrigen im Antrag der FDP enthaltenen For- derungen angeht, so halte ich deren zum Teil völlige Un- substantiiertheit schon für bemerkenswert. Da werden zum Beispiel zum Adhäsionsverfahren pauschal Ände- rungen verlangt, „sodass dieses weit häufiger angewandt wird“, ohne dass die Antragssteller auch nur andeuten, worin diese Änderungen denn bestehen könnten. Anlass, sich dazu Gedanken zu machen, hätte ja wohl angesichts der bekannten systematischen Verfehltheit dieses kontra- diktorisch angelegten Verfahrens im Strafprozess bestan- den. Andere dieser Forderungen wiederum gehen offen- sichtlich von falschen tatsächlichen Gegebenheiten aus, wie zum Beispiel die nach „einer klarstellenden Ände- rung beim Täter-Opfer-Ausgleich“, damit dieser in der Praxis häufiger genutzt wird. Dabei wird ignoriert, dass seit der schon erwähnten Verankerung des TOA in der Strafprozessordnung die Zahl der Fälle, wo der TOA an- gewandt wurde, ständig steigt und gegenwärtig ein Bedarf für zusätzliche gesetzliche Regelungen nicht ersichtlich ist. Ähnlich verhält es sich mit der Forderung, die Vor- schriften über Verfall und Einziehung neu zu fassen, „da- mit künftig effektiv von ihnen Gebrauch gemacht werden kann“. Auch hier nehmen die Antragsteller nicht zur Kenntnis, dass in den letzten Jahren zunehmend erfolg- reich illegal erlangte Vermögensvorteile abgeschöpft wur- den und sich der Wert der sichergestellten Vermögens- werte im Jahr 2000 auf die Rekordhöhe 1 Milliarde DM belief! Angesichts dieser Erfolge ist auch hier gegenwär- tig ein gesetzgeberischer Bedarf nicht erkennbar. Auch bezüglich der Rechte aus dem Opferentschädi- gungsgesetz wird bereits durch Merkblätter und Bro- schüren breit aufgeklärt. Nach meiner Information sind in den Ländern die Polizeibeamten durch entsprechende Dienstanweisungen auch gehalten, Opfer von Straftaten diesbezüglich aufzuklären. Für die geforderte Veranke- rung einer gesetzlichen Aufklärungspflicht sehe ich des- wegen keine Notwendigkeit. Erstaunlich allerdings finde ich die Forderung nach einer Verbesserung der Leistungen aus dem Opferent- schädigungsgesetz, dergestalt, dass künftig sowohl das Opfer als auch dessen nahe Angehörige einen Anspruch auf Beratung und psychologische Betreuung zur Bewälti- gung der psychischen Folgen und zur Wiedereingliede- rung in das Berufsleben haben sollen. Solche Leistungen werden schon jetzt nach dem Bundesversorgungsgesetz, auf das das Opferentschädigungsgesetz verweist, gefähr- det. Der geforderten Änderung des Opferentschädigungs- gesetzes bedarf es deswegen ebenfalls nicht. Auch wenn ich der Meinung bin, dass der Antrag der FDP und der Gesetzentwurf der CDU/CSU ihrem Inhalt nach wenig geeignet sind, zu einer Verbesserung des Op- ferschutzes beizutragen, so liegt mir doch daran, festzu- stellen, dass es auf diesem Gebiet noch einiges zu tun gibt und dass wir selbstverständlich bereit sind, mit Ihnen zur weiteren Stärkung der Situation von Verbrechensopfern zusammenzuarbeiten. Sabine Jünger (PDS): Für die PDS ist die stärkere Berücksichtigung der Belange von Opfern Kernstück ei- ner modernen Strafrechtspolitik. Wenn man ein Strafver- fahren verfolgt, erscheint es gelegentlich durchaus so, als würden sich die Strafgerichte intensiv um die Täter küm- mern und weniger um die Anliegen der Opfer. Durch das OEG hat sich hier zwar in den letzten Jahren einiges ver- bessert, dennoch spielen Opfer im Strafrecht noch immer eine untergeordnete Rolle. Der Verletzte darf durch den Prozess nicht noch einmal zum Opfer gemacht werden. Auch seine Rechte müssen im Verfahren nicht nur ge- wahrt, sondern angemessen berücksichtigt werden. Durch die vorgeschlagenen Änderungen kann es zu einer deut- lichen Verbesserung der Stellung von Opfern kommen. Das Opfer eines Verbrechens könnte stärker als Verfah- renssubjekt agieren und würde auch als solches wahrge- nommen werden. Doch lassen Sie mich zu den Vorschlägen im Einzelnen kommen: Erstens. Es ist eine langjährige Forderung – nicht nur des Weißen Ringes – das Opfer ihre Opferrolle nicht ein zweites Mal vor Gericht durchmachen müssen. Ihnen verschiedene Prozesse zu ersparen und die Mög- lichkeit der Wiedergutmachung innerhalb des Strafver- fahrens zu stärken, sind erstrebenswerte Ziele. Bisher liegt es im Ermessen des Strafrichters, die Durchführung des Adhäsionsverfahrens jederzeit abzulehnen. Rechts- mittel hiergegen gibt es nicht. Dies führt bislang dazu, dass Wiedergutmachung im Rahmen des Strafverfahrens nur sehr selten stattfindet. Es ist aus Sicht der Opfer sicherlich schwer verständlich, warum so selten Wieder- gutmachung im Rahmen des Adhäsionsverfahrens ge- währt wird. Deshalb ist eine Stärkung des Adhäsionsver- fahrens geboten. Wir sollten in diesem Zusammenhang aus meiner Sicht darüber nachdenken, ob nicht der Vor- rang der Schadenswiedergutmachung vor anderen Aufla- gen wie auch vor der Vollstreckung einer Geldstrafe deut- licher und zwingender ausgestaltet werden kann. Es gibt hier zwar gesetzliche Möglichkeiten, zum Beispiel den Täter-Opfer-Ausgleich, aber auch diese finden so gut wie nie statt. Wenn hier die Möglichkeit besteht, Opfern früh- zeitig und ohne weitere Belastung des Justizapparates, Genugtuung zu verschaffen, müssen unseres Erachtens fiskalische Aspekte zurückstehen. Zweitens. Im Verfahren gegen Jugendliche ist auf- grund der aktuellen Gesetzeslage im § 80,3 JGG keine Nebenklage möglich. Das Opfer kann sich lediglich der Hilfe eines Zeugenbeistandes mit erheblich einge- schränkten Rechten bedienen. Die Nebenklage im Ju- gendverfahren ist bisher nicht zulässig, weil der Erzie- hungsgedanke im Vordergrund des Jugendverfahrens stehen soll. Das findet unsere Unterstützung. Und den- noch: Dies darf nicht zu einem Versagen des Opfer- schutzes führen. Aus unserer Sicht ist die Beteiligung ei- nes Opferanwaltes, also der Zulassung der Nebenklage, ein wichtiges Opferschutzinstrument. Durch die Ein- führung des Opferanwaltes hat der Gesetzgeber zu Recht die besondere Schutzwürdigkeit von Opfern anerkannt. Es kann nicht dem Gedanken des Jugendverfahrens ent- sprechen, dass dieser Opferschutz dann versagt, wenn ein Täter bei der Tatbegehung Jugendlicher war. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 237. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Mai 200223760 (C) (D) (A) (B) Drittens. In das OEG soll eine Vorschrift aufgenom- men werden, die Strafgerichte, Staatsanwaltschaften und Polizei verpflichtet, Opfer auf das Opferentschädigungs- gesetz aufmerksam zu machen. Außerdem soll ermöglicht werden, dass auch nahe Angehörige einen Anspruch auf Beratung und Betreuung eingeräumt wird, um die psychi- schen Folgen einer Straftat zu bewältigen. Diese vorge- schlagenen Ergänzungen des Opferentschädigungsgeset- zes finden ebenfalls die Zustimmung meiner Fraktion. Lassen Sie uns zügig und gemeinsam in den Ausschüs- sen beraten. Es wäre schade, wenn diese vernünftigen For- derungen der Diskontinuität anheim fallen würden. Anlage 9 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Entwürfe: – Zweites Gesetz zur Änderung des Gentech- nikgesetzes – ... Gesetz zurÄnderung des Gentechnikgesetzes (Zusatztagesordnungspunkt 23) Detlef Parr (FDP): Das Gentechnikgesetz hat zehn Jahre lang zur wachsenden Akzeptanz der neuen Techno- logie in unserer Bevölkerung beigetragen. Wir sind uns mittlerweile einig: Die Bio-Medizin wird nach der IT- Branche riesige Zukunftschancen eröffnen und erhebli- ches Wachstum erfahren. Diese Entwicklung kann aber nur dann eintreten, wenn auch in Deutschland die Rah- menbedingungen so gesetzt werden, dass sie Kräfte ent- fesseln, statt sie zu strangulieren. Die vorliegende Novellierung des Gentechnikgesetzes erfüllt diese Voraussetzungen leider nicht. Wir nutzen die Gelegenheit nicht, um wesentliche für den internationalen und europäischen Wettbewerb entscheidende Verfah- renserleichterungen einzuführen. Als Umsetzung der EU- Richtlinie hatte die Bundesregierung zunächst wenigstens die Anzeige – anstatt der Anmeldung – bei weiteren Ar- beiten der Sicherheitsstufe – geringes Risiko – vorgese- hen. Doch nun wird per Änderungsantrag von SPD und Grünen auch hier ein Anmeldeverfahren vorgesehen. Die Gleichstellung von Forschung und Produktion – wie sie die Richtlinie vorsieht – wird auf diese Weise nicht um- gesetzt. Die Bringschuld der Unternehmen gegenüber Behör- den wird an allen erdenklichen Stellen erweitert. Dort al- lerdings, wo die Behörden eine Bringschuld haben, soll diese eingeschränkt werden. Die Genehmigungspflicht für S-2-Überwachungslaboratorien wird abgeschafft. Der Zeitverlust, der durch lange Anmeldungs- und Zulas- sungsverfahren verursacht wird, soll nun dadurch umgan- gen werden, dass es eine Genehmigungspflicht für S-2- Überwachungslaboratorien nicht mehr geben soll. Die Gentechnik-Sicherheitsverordnung wird in zehn Fällen verschärft. In der Begründung heißt es, dass bereits heute geltende und verpflichtende Sicherheitsmaßnah- men aus dem Technischen Regelwerk – TRBA; Tech- nische Regeln für Biologische Arbeitsstoffe – in die GenTSV überführt werden sollen. Eine Verordnung ist je- doch wesentlich unflexibler, wenn es darum geht, Sicher- heitsmaßnahmen an den aktuellen Stand von Wissen- schaft und Technik anzupassen. Das Arbeitsschutzgesetz wird verschärft. „Den Be- schäftigten gemäß § 2 Abs.2 ArbSchG stehen Schüler, Studenten und sonstige Personen, die gentechnische Ar- beiten durchführen; gleich.“ Es steht zu befürchten, dass Schüler und Studenten Beschäftigten – mit den entspre- chenden Auflagen – gleichgestellt werden, selbst wenn sie sich nur für einen Tag zu Demonstrationszwecken in Ver- suchslaboren aufhalten. Dies erschwert sowohl die Ver- mittlung von Grundkenntnissen der Gentechnik als auch die Gewinnung von praktischen Erfahrungen. Der Katalog der Ordnungswidrigkeiten wird ausge- dehnt, wodurch das Misstrauen, das SPD und Grüne ge- genüber der Gentechnik hegen, klar zum Ausdruck kommt. Das betrifft insbesondere eine Nichtanmeldung von „wesentlichen Änderungen der Beschaffenheit der Anlage“. Gleichzeitig unterlässt man es, den Begriff der „wesentlichen Änderung“ klar zu definierten, sodass hier eine erhebliche Rechtsunsicherheit besteht. Die Folge da- von ist, dass aus Gründen der „Prävention“ – im Sinne von Verhinderung von Bußgeldern) bei jeder Änderung mit den Behörden kommuniziert werden muss. In der Konsequenz wird die Arbeit in Unternehmen und Lan- desbehörden unter den sich anschließenden Diskussio- nen, was „wesentliche Änderungen“ – ob dies zum Bei- spiel Sicherheitswerkbänke oder Ähnliches sind! – umfassen, gelähmt. Die FDP-Fraktion huldigt keineswegs bedingungslo- sem Fortschrittsglauben. Bei Berücksichtigung aller Be- denken für die Zukunft unseres Landes ist eines von be- sonderer Bedeutung: Wir müssen den Erkenntnissen der Naturwissenschaft und der Technik mehr Vertrauen ent- gegenbringen. Chancen und Risiken der Bio-Technolo- gien müssen angemessen abgewogen werden – sachlich und ohne einseitige Vorverurteilungen. Nur so können wir die Zukunft verantwortungsvoll gestalten. Unter diesen Gesichtspunkten, die der Antrag der Union auch zum Ausdruck bringt, stimmen wir diesem zu und müssen den Gesetzentwurf leider ablehnen. Helmut Heiderich (CDU/CSU): CDU/CSU haben schon 1990 ein umfassendes Regelwerk zur Gentechnik geschaffen, dessen Grundsätze sich bis zum heutigen Tag bewährt haben. Ja, mehr noch – die wesentlichen Elemente wurden von der Europäischen Union als gesamteuropäi- sches Recht übernommen und mit der Richtlinie 1998/81 verbindlich für alle Mitgliedstaaten verabschiedet. Mehr als bedauerlich ist, dass die rot-grüne Bundes- regierung dreieinhalb Jahre gebraucht hat, um diesen europäischen Fortschritt mit den nationalen Regeln abzu- gleichen. Wie in einem Tollhaus kommt es einem aber vor, wenn nach so langer „Funkstille“ genau am Abend vor der abschließenden Ausschussberatung sage und schreibe 101 Seiten Änderungsanträge durch die Regie- rungskoalition vorgelegt werden. Solches Vorgehen ist eine Brüskierung parlamentarischer Arbeit. Und es macht Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 237. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Mai 2002 23761 (C) (D) (A) (B) erneut deutlich, was Rot-Grün von einer ernsthaften fach- lichen Auseinandersetzung im parlamentarischen Verfah- ren hält. Doch zurück zu den Grundstrukturen des Gentechnik- rechts. Grundprinzip eins: CDU/CSU haben alle gentech- nischen Verfahren in vier Sicherheitsstufen eingeteilt: von Stufe 1 – harmlose Arbeiten – bis Stufe 4 – gefährdend für Mensch und Umwelt. Die rot-grüne Bundesregierung selbst hat jetzt in ihrem Zweiten Bericht über Erfahrungen mit dem Gentechnikgesetz festgestellt, dass in allen Jah- ren seit 1990 in allen Sicherheitsstufen kein einziger Pro- blemfall bei gentechnischen Forschungen und Produk- tionsverfahren aufgetreten ist. Es lohnt sich im Übrigen, den zweiten Gentechnikbericht intensiver zu lesen. Er be- zeugt von Anfang bis Ende positive Erkenntnisse zu die- ser Zukunftstechnologie. Grundprinzip zwei: Schritt für Schritt und konkret fall- bezogen haben Forscher, Anwender und Behörden die Entwicklung, die Fortschritte dieser Technologie zu beur- teilen. Dies schafft Angemessenheit, dies schafft Passge- nauigkeit, dies schafft Zuverlässigkeit und Grundlage für Vertrauen. So wurden auch alle Bedenken, die von ver- schiedenen Kritikern immer wieder bis hin zur Panik- mache vorgebracht wurden und werden, voll und ganz entkräftet. Gentechnik nach diesen Grundsätzen ist sicher, ist verantwortbar und enthält als Zukunftstechnologie viele Hoffnungen für die Menschheit. Grundprinzip drei: strikte Wissenschaftsorientierung für Genehmigung und Kontrolle gentechnischer Verfah- ren und Anwendungen. Wie in internationalen Vertrags- werken zugesichert, dürfen Entscheidungen auf dieser Ebene weder vom Druck gesellschaftlicher Gruppen noch von einer ideologischen Orientierung zuständiger Minis- terien abhängig sein. Dieses Prinzip ist von Rot-Grün in den vergangenen Jahren leider mehrfach durchbrochen worden. Grundprinzip vier: Offenheit und Transparenz aller Verfahrensschritte von der Entwicklung im Labor bis zum Kauf entsprechender Produkte aus dem Regal. Allerdings verpflichtet solche Offenheit auch zum Schutz der Anbie- ter vor zerstörungswütigen Gegnern und zur ernsthaften Verfolgung solcher Straftaten, wie gerade erst im März diesen Jahres die Vernichtung eines Versuchsfeldes in Brandenburg mit gentechnisch verbessertem Raps zeigt, welches im Rahmen des Forschungsprogrammes der Bundesregierung „Sicherheit und Monitoring“ ange- pflanzt wurde. CDU/CSU haben unter diesen Gesichtspunkten von Anfang an sehr vorsichtig, sehr umfassend und weit vor- ausschauend gehandelt. Inzwischen zeigt die positive Er- fahrung eines guten Jahrzehnts mehr als deutlich, dass an vielen Stellen die strengen Verfahren gelockert, die hohen Barrieren reduziert und das umfangreiche Verfahren be- schleunigt werden kann. Dies ist in der Richtlinie 98/81 der Europäischen Union erkannt und umgesetzt worden. Die Verfahren der präventiven Kontrolle wie auch der behördlichen Überwachung wurden von der EU tenden- ziell vereinfacht und die Abwicklung für die antragstel- lenden Forschungseinrichtungen bzw. Unternehmen be- schleunigt. Immer wieder stellt auch die Bundesregierung in offi- ziellen Erklärungen die Biotechnologie als Leittechnik des neuen Jahrhunderts heraus. In ihrem heute ebenfalls zu diskutierenden Erfahrungsbericht bezeichnet sie Gen- technik als Innovationsmotor. Auch EU-weit sind die Er- fahrungen langjährig positiv. Völlig im Gegensatz zu die- sen richtigen Erkenntnissen gehen die Bundesregierung und die rot-grüne Koalition mit dem vorliegenden Ge- setzentwurf wieder deutlich einen Schritt rückwärts. Sie erhöhen die bürokratischen Anforderungen, sie verlän- gern die Wartefristen, sie komplizieren das Gentechnikre- gelwerk im Verhältnis zur Vorlage der EU. Welch fröhliche Urständ Sankt Bürokratius feiert, las- sen Sie mich an der neuen Vorschrift zu Art. 3, Nr. 18, Buchstabe b darstellen. Zitat: „Für die Beschäftigten sind Bereiche einzurichten, in denen sie ohne Beeinträchti- gung ihrer Gesundheit durch gentechnisch veränderte Or- ganismen essen, trinken, rauchen, schnupfen oder sich schminken können.“ Dabei bleibt auch noch offen, ob die Beeinträchtigung der Gesundheit durch das Trinken, Rau- chen und Schnupfen entsteht oder durch sozusagen kör- perliche Verfolgung wild gewordener Gene, wie Green- peace das so gern zur plakativen Verunsicherung darstellt. Besonders unerträglich sind solche Verschärfungen ge- genüber der EU für die Sicherheitsstufe 1. Arbeiten, For- schungen in dieser Stufe sind per Definition ausdrücklich als harmlos eingestuft. Deshalb ist es vollständig ausrei- chend für die Kontrollbehörden, wenn bei neuen, fortge- setzten oder erweiterten Arbeiten eine Anzeige der ge- planten Aktivitäten bei der Behörde abgegeben wird. Gerade im Hinblick auf Forschungseinrichtungen der Universitäten, auf die dringende Notwendigkeit, solche Standardverfahren der Gentechnik auch in die schulische Ausbildung verstärkt einzubeziehen, müssen längst obso- let gewordene, unnötige und überflüssige bürokratische Hürden beseitigt werden. Wir können als verantwortliche Politiker nicht über zu wenig Interesse an den Naturwis- senschaften in unseren Schulen klagen, gleichzeitig die Beschäftigung mit modernen Methoden der Naturwissen- schaft aber wie den Eintritt in einen Hochsicherheitstrakt behandeln. Solche Vorgaben lösen negative Rückwirkun- gen aus und dürfen deshalb nicht gesetzlich festgeschrie- ben werden. Positiv ist in diesem Zusammenhang der Vorschlag des Bundesrates zu beurteilen, bei der Einstufung nach S 1 nicht nur die eingesetzten Organismen zu beurteilen, son- dern auch die entsprechenden rekombinanten Proteine in die Überprüfung einzubeziehen. Damit wird die Beurtei- lung als „harmlos“ noch weiter abgesichert und lässt da- mit bürokratische Regulierungen für S 1 noch entbehr- licher werden. Die in unserem Entschließungsantrag geforderte amt- liche Methodensammlung soll geschaffen werden, um eine bundeseinheitlich gleiche Bewertung eingereichter Anträge zu ermöglichen. Diese Neuerung darf allerdings nicht zu zusätzlichen Kosten für die Betriebe und For- schungseinrichtungen führen. Insgesamt wird die Vorlage der Bundesregierung we- der ihren eigenen Erkenntnissen noch dem Fortschritts- verhalten der Europäischen Union gerecht. Sie erhöht Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 237. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Mai 200223762 (C) (D) (A) (B) bürokratische Hürden, statt zu deregulieren. Sie erschwert die breite Anwendung der Gentechnik auch dort, wo es eindeutig um harmlose Arbeiten geht. Sie verschlechtert die deutschen Chancen, in der Strategieplanung für Bio- wissenschaften der Europäischen Union an der Spitze mitzumarschieren. Die Änderungen sind nicht getragen von der Verant- wortung um Sicherheit, sondern von ideologisch motivier- ter Ablehnung. So fördert man nicht neue Arbeitsplätze und neue Technologien, sondern Vorbehalte in der Bevöl- kerung und überflüssige Beschäftigung in der Bürokratie. Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Novellierung des Gentechnikgesetzes GenTG zeigt erneut, dass einzig und allein die rot-grüne Koalition eine verant- wortliche und abwägende Gentechnikpolitik betreibt. Die CDU/CSU-Fraktion hat einen Antrag vorgelegt, der deutlich macht, dass sie am liebsten alle Sicherheits- standards schleifen würde, wenn es denn ginge. Auf Auf- zeichnungspflichten und Haftungsregelungen soll ver- zichtet werden. Gentechnisch veränderte Pflanzen und Tiere, die bisher ungefährlich erschienen, sollen aus dem Geltungsbereich des Gentechnikgesetzes entlassen wer- den. Zur Aufzeichnung der Arbeiten mit gentechnisch veränderten Organismen sollen die einfachen Labor- bücher genügen. Jeder, der mal im Labor gearbeitet hat, weiß, was das bedeutet. Wenn es nach der FDP ginge, würde sowieso das ge- samte Gentechnikrecht hemmungslos liberalisiert. Wir haben es dagegen geschafft, eine Gesetzesnovelle vorzulegen, die erhebliche Verfahrensvereinfachungen und Verfahrensbeschleunigungen vornimmt, allerdings nur dort, wo das möglich und verantwortbar ist. Das ent- lastet Anwender und Behörden gleichermaßen und kommt Forschung und Wirtschaft zugute. Gleichzeitig haben wir die hohen Sicherheitsstandards des deutschen Gentechnik- rechts für Arbeiten im Labor erhalten. Es ist unser Ziel, al- les zu tun, um die optimale Sicherheit unter Vorsorgege- sichtspunkten sicherzustellen. Das schützt Mensch und Natur und es hilft gleichzeitig Wissenschaft, Forschung und Industrie, die auf verlässliche Rahmenbedingungen und gesellschaftliche Akzeptanz angewiesen sind. Wir konnten im Gesetzgebungsverfahren wichtige Verbesserungen durchsetzen, die Vorsorge und Sicherheit stärken und die Aufsichts- und Kontrollmöglichkeiten der zuständigen Länderbehörden verbessern: Erstens. Im Rahmen der Verordnungsermächtigung, die es aufgrund der EU-Verordnung ermöglicht, „ungefähr- liche“ gentechnisch veränderte Mikroorganismen von den Genehmigungsverfahren auszunehmen, haben wir eine Mitteilungspflicht und ein Kataster für alle gentechnischen Arbeiten verankert. Damit ist es möglich, dass die Behör- den einen Überblick behalten, an welchen Stellen mit gen- technisch veränderten Organismen geforscht wird. So ist eine Rückverfolgbarkeit gewährleistet und auch eventuell Haftungsansprüche können verfolgt werden. Zweitens. Bei den weiteren Arbeiten in der Sicher- heitsstufe 2 gilt weiterhin das bewährte Anmeldeverfah- ren, ein Anzeigeverfahren wird nicht eingeführt. Drittens. Der Vorsorgepassus in der Gentechniksicher- heitsverordnung bleibt entgegen dem ursprünglichen Ent- wurf des BMG erhalten. Viertens. Die Definition der Sicherheitsstufe 1, nach der „kein Risiko“ vorliegen darf, bleibt wie gehabt und wird nicht geändert. Fazit: Eine gelungene Gesetzesnovelle, die hohe Si- cherheitsstandards und Entbürokratisierung miteinander verbindet. Kersten Naumann (PDS): Zum Gentechnikgesetz gibt es wenig neue Erkenntnisse. Die PDS bleibt dabei, dass sie den neuen Regelungen mit einer vorgesehenen weitgehenden Deregulierung nicht zustimmen kann. Kritikpunkte sind nach wie vor Fragen der Deckungs- vorsorge, der Umgang mit der Selbstklonierung und der Herabsetzung von Anforderungen bezüglich Anzeige, Anmeldung und Genehmigung vor allem in den unteren Sicherheitsstufen S 1 und S 2. Mit der Kürzung der Ent- scheidungsfristen bzw. Prüfungsfrist von 30 Tagen für gentechnische Arbeiten in Sicherheitsstufe 1 setzen sich Behörden zudem selbst unter Zeitdruck. Intervenierung wird unmöglich. Bei der Umsetzung der Systemrichtlinie stellt sich die Frage, warum die Bundesregierung unbedingt einen eige- nen Gesetzentwurf einbringen muss, der in Teilen weit über die Anforderungen aus der Systemrichtlinie hinaus- geht. Trotz der bereits verstrichenen Frist und wegen des anhängigen Klageverfahrens sollte nicht schnell ein Ini- tiativrecht darüber hinweg täuschen, dass hier in einigen Punkten versucht wird, den Unternehmen weit entgegen- zukommen, dass damit aber ein Sicherheitsverständnis an den Tag gelegt wird, das einem Vorsorgeprinzip nicht ge- recht wird. Die Begründung, weil es bisher keine ernst zu neh- menden Probleme mit Freisetzungen von Mikroorganis- men aus Labors und Produktionsanlagen gab, die eine Ge- fährdung für die Bevölkerung oder Umwelt dargestellt hätten, kann nicht akzeptiert werden. Es gibt in vielen Wirtschaftsbereichen – und das nicht nur im Agrar- und Lebensmittelsektor – genügend Beispiele dafür, dass erst das Kind in den Brunnen fallen muss, bevor politisch ge- handelt wird. Vorschriften zu Genehmigungen und zum Umgang mit gentechnisch veränderten Mikroorganismen zu vereinfachen, nur um sie zu beschleunigen, kann nicht der richtige Weg sein. Obwohl es bisher keine Probleme mit der Verfahrensweise auch bezüglich gewerblicher An- lagen gab, sollen hier gerade bei der Industrie bürokrati- sche Wege abgebaut werden. Für einen Außenstehenden stellt sich ohnehin die Frage, ob Salmonellen oder Eiter- erreger als harmlos eingestuft werden können. Beim Initiativrecht, wie es in Ihrer Begründung steht, stehen vor allem arbeitsökonomische aber auch sachliche Gründe im Vordergrund. Hinsichtlich der Problematik der Abfallbeseitigung werden die rechtlichen Bedenken aber erst im Zusammenhang mit einer späteren umfassenden Änderung der Gentechnik-Sicherheitsverordnung gelöst werden. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 237. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Mai 2002 23763 (C) (D) (A) (B) Ausdrücklich möchte ich noch einmal darauf verwei- sen, dass alle gentechnisch veränderten Mikroorganismen oder in Zusammenhang mit der Technologie Gentechnik genutzten Mikroorganismen in das Gentechnikgesetz ver- ankert werden müssen. Bezüglich der Einbeziehung von TSE-auslösenden Agens als Mikroorganismus scheint sich die Bundesregierung bezüglich Rechtssicherheit nicht ganz sicher zu sein, ob die Biostoff-Verordnung und das Infektionsschutzgesetz ausreichen. Eine erneute Überprüfung ist zumindest angekündigt. Zu begrüßen ist, dass die von der Bundesregierung erst vorgesehene gleichzeitige Umsetzung der neuen EU-Frei- setzungs-Richtlinie zurückgezogen worden ist. Hier ist nicht nur der Diskurs grüne Gentechnik beendet, auch auf europäischer Ebene bleibt abzuwarten, ob sich das De- facto-Moratorium der sechs EU-Länder nicht noch erwei- tert. Die deutsche Bundesregierung hätte hier auch als Si- gnal an die Verbraucherinnen und Verbraucher sowie Bürgerinnen und Bürger diesen Schritt gehen können und bereits vor zwei Jahren – so wie die Grünen es forderten – sich am Moratorium beteiligen können. Gudrun Schaich-Walch, Parl. Staatssekretärin bei der Bundesministerin für Gesundheit: „Die positiven Möglichkeiten der Gentechnik verantwortungsvoll wei- terentwickeln“, das ist das Ziel der Bundesregierung. Das bedeutet auf der einen Seite, den Schutzgedanken des Ge- setzes durch das Vorsorgeprinzip zu stärken und damit Mensch und Umwelt vor möglichen Risiken und Gefah- ren der Gentechnik wirkungsvoll zu schützen. Es bedeu- tet aber auch, dort zu deregulieren, wo es notwendig und verantwortbar ist. Dieser Zielsetzung trägt die Novellierung des Gen- technikrechts Rechnung. Deshalb gibt es Vereinfachun- gen für die Betreiber gentechnischer Anlagen in den nied- rigen Sicherheitsstufen ohne oder mit nur geringem Risiko. Gleichzeitig wird die präventive Kontrolle dort gestärkt, wo mit gefährlichen Organismen umgegangen wird, also in den höheren Sicherheitsstufen. Das deutsche Gentechnikrecht beruht im Wesentlichen auf europäischem Gemeinschaftsrecht. Mit dem Zweiten Gesetz zur Änderung des Gentechnikgesetzes setzen wir eine Änderungsrichtlinie der EU – Richtlinie 98/81/EG – um. Sie regelt den Umgang mit gentechnisch veränderten Mikroorganismen in geschlossenen Systemen, zum Bei- spiel in Laboratorien oder Produktionsanlagen. Dabei ist die im deutschen Gentechnikrecht verankerte Unterteilung von vier Sicherheitsstufen bei gentechni- schen Arbeiten von der Änderungsrichtlinie der EU weit- gehend übernommen worden. Neben den Regelungen zum Sicherheitsniveau enthält die Änderungsrichtlinie auch Vorschriften zur Deregulierung. Der Entwurf der Bundesregierung wurde intensiv mit den Beteiligten erörtert. Dazu gehörten die Bundesländer, deren Behörden für Genehmigung und Überwachung zu- ständig sind, Wissenschaft, Industrie, Umweltorganisatio- nen, Arbeitsschützer und viele andere mehr. Am Ende der Diskussion steht nun ein ausgewogener und solider Vor- schlag zur Änderung des deutschen Gentechnikrechts. Ich möchte kurz die wichtigsten Eckpunkte nennen: Eine Verordnungsermächtigung eröffnet die Möglichkeit, zukünftig gentechnisch veränderte Mikroorganismen, die sich als besonders sicher erwiesen haben, aus dem Gel- tungsbereich des Gesetzes ganz oder teilweise zu entlas- sen. Die nicht sachgerechte Differenzierung zwischen Arbeiten zu Forschungszwecken und gewerblichen Zwe- cken wird abgeschafft. Die Verwaltungsverfahren für gentechnische Arbeiten mit keinem oder geringem Risiko werden vereinfacht. Die präventive Kontrolle für gentechnische Arbeiten mit höherem Risiko wird gestärkt. Gesetz und Verord- nungen, insbesondere die Gentechnik-Sicherheitsverord- nung, werden an neue Entwicklungen im Bereich des Ar- beitsschutzes angepasst. Die Zentrale Kommission für die Biologische Sicher- heit, ZKBS, wird um den Bereich des Verbraucher- schutzes erweitert. Mit diesem Konzept steht der Entwurf der Bundesre- gierung in Übereinstimmung mit den Feststellungen des Erfahrungsberichts. Der Erfahrungsbericht kommt zu dem Gesamtergebnis, dass die Gentechnik in Deutschland sicher gehandhabt wird. Das bewirken die bei uns beste- henden Regelungen, ihr kompetenter Vollzug und die langjährige Erfahrung im Umgang mit dieser Technolo- gie. Damit auch der nächste Erfahrungsbericht zu einem möglichst positiven Ergebnis gelangen kann, musste sorg- fältig geprüft werden, welche der vom EU-Recht eröffne- ten Möglichkeiten der Verfahrenserleichterungen unter Vorsorgegesichtspunkten in nationales Recht übernom- men werden können. Diese Grundeinschätzung teilen wir auch mit den Bundesländern unter der Federführung des Landes Bayern. Die Bundesregierung ist den Ländern in zahlreichen und zum Teil durchaus wesentlichen Punkten entgegen- gekommen. Andererseits hat der Bundesrat wichtige Punkte unseres Vorschlags aufgenommen. In der Summe wird also die weitere verantwortungsvolle, sichere Nut- zung und Entwicklung einer wichtigen Technologie er- möglicht. Dadurch wird Deutschland weiterhin ein siche- rer Standort für Forschung und Nutzung in der modernen Biotechnologie sein, in dem das vorhandene Potenzial dieser Technologie ausgeschöpft werden kann. Ich bin davon überzeugt, dieser Ansatz ist richtiger, als ungeprüft den vom EU-Recht eröffneten Deregulierungs- spielraum bis zum Letzten auszureizen, wie das der Ent- schließungsantrag der CDU/CSU beinhaltet. Denn die Chancen, die diese Technologie bietet, können nur ge- nutzt werden, wenn auch in der Bevölkerung die notwen- dige Akzeptanz besteht. Diese Akzeptanz ist eng ver- knüpft mit Sicherheit. Ich möchte Sie daher bitten, dem von der Bundesre- gierung vorgelegten Entwurf mit den vorliegenden Ände- rungsanträgen zuzustimmen. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 237. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Mai 200223764 (C) (D) (A) (B) Anlage 10 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur weiteren Reform des Aktien- und Bilanzrechts, zu Transparenz und Publizität (Transparenz- und Publizitätsgesetz) (Tagesordnungspunkt 32) Gabriele Lösekrug-Möller (SPD): Mit dem vorlie- genden Entwurf des Transparenz- und PublizitätsG wer- den einige der Empfehlungen der Regierungskommission „Corporate Governance“ umgesetzt. Im Wesentlichen sind dies aktien- und bilanzrechtliche Veränderungen. Die Kommission hat im Sommer vergangenen Jahres einen Bericht und am 26. Februar 2002 einen „Corporate Governance-Codex“ vorgelegt. Er enthält insbesondere Vorschläge zu Verhaltensstandards und Offenlegungspflich- ten für börsennotierte Unternehmen, beispielsweise ein in- tensiveres Zusammenwirken von Vorstand und Aufsichts- rat, eine verbesserte Information des Aufsichtsrates und eine Verbesserung der Diskussionskultur im Aufsichtsrat. Ein Novum für Deutschland ist die Einführung einer so genannten „Entsprechendserklärung“. Mit ihr, weil im TransPuG verankert, gelingt der Brückenschlag zu jenen Teilen des Kodex, die empfehlenden Charakter haben. Jährlich haben sich zukünftig börsennotierte Gesellschaf- ten zu erklären, dass sie den Verhaltensempfehlungen der Kodex-Kommission zur Unternehmensleitung und -über- wachung entsprochen haben oder aber die Abweichung davon darlegen. Diese Erklärung soll nicht irgendwo still hinterlegt werden, sondern, so will es das Gesetz, ist den Aktionären dauerhaft zugänglich zu machen. Auch der Kodex ist öffentlich. – Es ist im elektronischen Bundes- anzeiger bekannt zu machen. Das TransPuG greift zahlreiche Anregungen der Kom- mission auf und gibt dort, wo es zwingend erforderlich ist, den rechtlichen Rahmen und die Sicherheit für eine ange- messene Weiterentwicklung des deutschen Aktien- und Bi- lanzrechtes. Kodex und Gesetz sind ein gut ausbalanciertes Instrument von freiwilliger aber verbindlicher Selbstver- pflichtung der Unternehmen einerseits und mehr Informa- tion für Anleger und solche, die es werden möchten, zum anderen. Wir setzen darauf, dass diese Feinabstimmung zu einer vorteilhaften Entwicklung beiträgt. Und nur dort, wo die Kraft des Gesetzes zwingend wirksam werden muss, haben wir Regelungen im TransPuG getroffen. Lassen sie mich nun auf einige wesentliche Verbesse- rungen eingehen. Erstens. Die Nutzung elektronischer Medien ist ange- messen etabliert. Durch die Einführung eines elektroni- schen Bundesanzeigers, durch den Wegfall von ver- schriftlichtem Informationsfluss dort, wo er durch Internet-Nutzung ersetzt werden kann, geben wir einer angemessenen Modernisierung Raum. Wir, und das heißt in diesem Fall das ganze Haus, legen aber auch Wert da- rauf, dass dem „Virtuellen“ Grenzen gesetzt werden müs- sen. So haben wir übereinstimmend festgestellt, dass Auf- sichtsratssitzungen, insbesondere Bilanzsitzungen, nicht als „Video-Konferenz“ abgehalten werden sollten. Die Formulierung im vorliegenden Entwurf hebt des- halb zu Recht darauf ab, dass „die Satzung in bestimmten Fällen vorsehen kann, dass die Teilnahme von Mitglie- dern des Aufsichtsrates im Wege der Ton- und Bildüber- tragung erfolgen darf.“ Um hier mehr Klarheit zu schaf- fen, weist der Rechtsausschuss darauf hin, „dass die Einführung neuer Kommunikationsmedien auch bei Auf- sichtsratssitzungen zwar grundsätzlich zu begrüßen ist, dass das gesetzliche Modell der Aufsichtsratsssitzung aber nach wie vor die Präsenzsitzung ist. Dies gilt in ganz besonderem Maße für die Sitzung, die der Bilanzfeststel- lung dient. Das persönliche Gespräch untereinander, aber etwa auch mit dem Abschlussprüfer ist wichtig und sollte der Regelfall bleiben. Eine Überdehnung der Nutzung vir- tueller Sitzungen wäre schädlich. Der Ausschuss bittet die Bundesregierung, die weitere Entwicklung zu beobachten und gegebenenfalls Vorschläge zur Erhaltung mindestens einer Präsenzsitzung zu machen.“ Zweitens. Die Rechte und Pflichten des einzelnen Auf- sichtsratsmitgliedes werden gestärkt. Wir haben dazu die Frage des Umgangs mit „querulatorischen“ Aufsichtsrats- mitgliedern ausführlich erörtert. In der Praxis taucht die- ses Problem immer wieder auf. Insofern haben wir über- legt, ob es sinnvoll und möglich ist, hier in der Frage des Berichtsverlangens eine qualitative Schwelle zu formu- lieren. Da jedoch eine „Berichtsanforderung nur aus wichtigem Grund“ weniger wäre als die geltende Rechts- lage, hat sich der Rechtsausschuss auch an dieser Stelle entschieden, zur Verdeutlichung des Gewollten die Aus- führungen der amtlichen Begründung zu bekräftigen, „wonach das Recht auf Berichtsanforderung eine imma- nente Missbrauchsschranke enthält. Es bedarf also keiner besonderen Erwähnung im Gesetz, dass missbräuchliche, insbesondere schikanöse oder querulatorische Verlangen von Vorstand zurückgewiesen werden können. Es obliegt dann der Rechtsprechung, die Missbrauchskriterien im Einzelfall zu bestimmen.“ Festzustellen bleibt, dass die Intention dieser den Auf- sichtsrat betreffenden Regelungen darin besteht, die Ver- antwortung eines jeden einzelnen Aufsichtsratsmitgliedes herauszuarbeiten. Entsprechend wird er mit mehr Rechten ausgestattet. Aber auch seine Pflichten werden ausdrück- lich formuliert, so in § 116 die nährere Definition und Er- weiterung des Vertraulichkeitsgebotes. So weit zum aktienrechtlichen Teil. Drittens. Das TransPuG enthält in Artikel II eine Reihe von bilanzrechtlichen Veränderungen. Die in diesem Ent- wurf gefassten bilanzrechtlichen Veränderungen basieren auf Vorschlägen des Deutschen Rechnungslegungsstan- dard-Komitees. Es hat, aus gutem Grund, eine Vielzahl von Vorschlägen zur Umsetzung empfohlen. Sie orientie- ren sich alle an dem Ziel, mehr Vergleichbarkeit und Ähn- lichkeit und damit mehr Anpassung an internationale Standards der Rechnungslegung zu erreichen. Nun stellt sich die Frage: Wie sinnhaft sind Detail- regelungen angesichts eines umfassenden Reformbedarfs des HGB einerseits und wie sinnvoll ist eine bundesdeut- sche Neuregelung angesichts einer zu erwartenden euro- päischen Richtlinie andererseits? In Kenntnis des Gesamt- reformbedarfs und in der realistischen Einschätzung, dass Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 237. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Mai 2002 23765 (C) (D) (A) (B) eine europäische Richtlinie in den nächsten fünf Jahren nicht zu erwarten ist, sind die hier vorgesehenen Verände- rungen sinnvoll. Nicht immer bekommen Gesetzesentwürfe „gute No- ten“. In diesem Fall liegt jedoch eine sehr positive Ge- samtbewertung vor, von den Wirtschaftsverbänden wie auch dem DGB. Die Zeitschrift „Creditreform“ skizziert in ihrer jüngsten Ausgabe in einer Tabelle „Finanzplatz Deutschland: Bausteine zur Verbesserung der Attrakti- vität“ das TransPuG mit zwei Stichworten: Kontrolle un- ternehmerischer Risiken und Anerkennung Verhaltens- kodex in Anlehnung an „Codes of Best Practice“. In der Tat: Ein Baustein zur Verbesserung der Attrakti- vität des Finanzplatzes Deutschlands ist dieses Vorhaben. Mit ihm sind jedoch nicht alle von der Kommission for- mulierten Empfehlungen an den Gesetzgeber umgesetzt. Es muss und wird weitere „Bausteine geben“. Hierin stim- men alle Seiten dieses Hauses überein. Danken möchte ich an dieser Stelle zunächst den Ver- tretern des Justizministeriums, die dieses Vorhaben in sei- ner parlamentarischen Phase kompetent und freundlich begleitet haben. Wir haben es ihnen allerdings auch leicht gemacht. Damit meine ich insbesondere die Bericht- erstatter Frau Dr. Tiemann und Herrn Funke, die außer- ordentlich kollegial und lösungsorientiert zum Gelingen beigetragen haben. In Kürze können sich deutsche kapitalmarktorientierte Unternehmen darauf einstellen, dass sie erstmals für 2002 eine Erklärung abgeben können, dass sie den Empfehlun- gen des Kodex entsprechen oder aber welche Empfehlun- gen in ihrem Unternehmen nicht angewendet werden. Es liegt nunmehr in der Verantwortung der Unternehmen, aus dem Kodex ein Gütesiegel werden zu lassen. Ein erster Schritt zu mehr Transparenz und Publizität und ein erster Schritt zu verbindlicher Selbstregulation ist damit gemacht. Dies ist ein mutiger Schritt des Gesetz- gebers, hoffentlich ein erfolgreicher. Dr. Susanne Tiemann (CDU/CSU): Die CDU/CSU- Fraktion hat sich lange darüber beraten, ob sie dem vor- liegenden Gesetzentwurf zustimmen kann. Wir werden dies nun letztendlich tun, weil das Gesetz die von uns in der letzten Legislaturperiode, insbesondere mit dem so genannten KonTraG, eingeleitete Linie fortsetzt und da- mit einen Schritt in die richtige Richtung darstellt, wenn auch nur einen sehr kleinen und nicht sehr mutigen. Der vorliegende Gesetzesentwurf zeigt wieder einmal exemplarisch die Arbeitsweise der derzeitigen Bundesre- gierung auf, die ich mit den Bezeichnungen „Stückwerk“ und „mangelnde Planung in zeitlicher Hinsicht“ beschrei- ben möchte. Um Unentschlossenheit und zeitliche Verzö- gerung nicht allzu augenfällig werden zu lassen, werden dann die Vorhaben dafür umso schneller durch das Ge- setzgebungsverfahren gepeitscht. Und so auch hier: Als ein Beispiel sei hier nur die im vorliegenden Gesetzentwurf geplante Änderung von § 317 Abs. 4 HGB erwähnt, der Gegenstand und Umfang der Abschlussprüfung regelt. Diese Vorschrift war erst vor kurzem durch das 4. Finanzmarktförderungsgesetz geän- dert worden, die nun geplante Änderung soll den Kreis der betroffenen Aktiengesellschaften abermals neu definie- ren. Einzig die juristischen Verlage dürften sich über die Arbeitsweise der Bundesregierung freuen; der Gesetzes- anwender bedankt sich beim Einsortieren der Gesetzes- nachlieferungen und der Zurkenntnisnahme der Ände- rung zu der Änderung bei der Bundesregierung und ihrer unorthodoxen Arbeitsweise jedenfalls nicht. Diese unorthodoxe Arbeitsweise hat uns im Gesetzge- bungsverfahren auch ganz überraschend die Einfügung eines neuen Artikels beschert. In diesem neuen Artikel IV soll unter anderem ein § 125 a in das Patentgesetz einge- führt werden, der sich mit der Möglichkeit der Verwen- dung eines elektronischen Dokuments im Verfahren vor dem Patentamt, dem Patentgericht und dem Bundes- gerichtshof befasst. Die Änderungen im Gebrauchs- mustergesetz, des Halbleiterschutzgesetzes und des Geschmacksmustergesetzes sollen auf die geplante Ände- rung des PatentG verweisen. Im Markengesetz wird ein neuer § 95 a eingeführt, der sich ebenfalls mit dem elek- tronischen Dokument befasst. Alles Änderungen, die in- haltlich nicht zu beanstanden sind. Doch die Art und Weise, wie der neue Artikel IV im TransPub kurz vor der Verabschiedung auftauchte, zeigt klar, dass bei der der- zeitigen Bundesregierung von Konzepten nicht gespro- chen werden kann, denn ansonsten hätte das TransPub von Anfang an fünf Artikel gehabt. Genug aber über die Arbeitsweise. Inhaltlich hatten wir ursprünglich große Bedenken, der vorgesehenen Ände- rung bilanzrechtlicher Vorschriften zuzustimmen. Die Ansätze hierzu im TransPubG sind dabei im Ein- zelnen keineswegs negativ zu bewerten. Die Abschaffung von Wahlrechten ist unter dem Blickwinkel einer Verein- heitlichung des Bilanzrechts in Europa an sich durchaus folgerichtig. Der Druck auf die internationale Anglei- chung der Rechnungslegungsstandards hat sich zwi- schenzeitlich erheblich erhöht. Für die europäischen Fi- nanzmärkte, die international wettbewerbsfähig sein wollen und müssen, ist es von elementarer Bedeutung, dass die Vergleichbarkeit der Jahresabschlüsse von Un- ternehmen im Interesse der Anleger und Emittenten ge- währleistet ist. Die eingeräumten Wahlrechte beeinträch- tigen diese Vergleichbarkeit, weil bei unterschiedlicher Vorgehensweise jeweils die Prüfung des konkreten Aus- sagegehalts des aufgestellten Unternehmensjahresab- schlusses erforderlich ist. In der Gesetzesbegründung wird aber ganz grundsätz- lich ausgeführt, dass durch die Änderungen den Unter- nehmen der in den nächsten Jahren bevorstehende Über- gang zu einem stärker an internationalen Grundsätzen orientierten Konzernbilanzrecht erleichtert werden solle, wobei es allerdings nicht zu vermeiden sei, dass einige der nunmehr vorgeschlagenen Regelungen im Verlauf der nächsten Jahre nochmals modifiziert werden müssten. Das TransPub will eine Umorientierung bei einer Vielzahl von Wahlrechten einleiten, wie sie in der 7. EU-Richtlinie gewährt werden und vom deutschen Gesetzgeber einge- führt worden sind, mit der Pflicht zum Einzelabschluss und für nicht börsennotierte Unternehmen auch zur Rech- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 237. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Mai 200223766 (C) (D) (A) (B) nungslegung nach internationalen Standards. Auf der eu- ropäischen Ebene ist derzeit aber vieles noch in Bewe- gung. Hier sollen sämtliche Bilanz-Richtlinien in eine ge- meinsame Verordnung zusammengefasst – und inhaltlich an die IAS, die Internationalen Rechnungslegungsstan- dards, angepasst werden, denen sie bisher nur teilweise entsprechen. Darunter könnten sich auch solche Bestim- mungen befinden, die bisher nationale Wahlrechte betref- fen. Unter Umständen werden auch bisher bestehende Wahlrechte vereinheitlicht, um auf diese Weise eine An- gleichung zu erreichen. Dabei muss eine Angleichung der Wahlrechte nicht auch gleichzeitig die Abschaffung der Wahlrechte bedeuten. Im Zuge der Vereinheitlichung kann durchaus auch die Beibehaltung von bestimmten Wahlrechten in Erwägung gezogen werden, die dann aber zwingend in allen nationalen europäischen Rechtsord- nungen gelten würden. Als Beispiel sei hier § 299 Abs. 1 HGB erwähnt, der die Wahl des Stichtages für die Auf- stellung eines Konzernabschlusses regelt. Bisher besteht die Möglichkeit, den Konzernabschluss auf den Stichtag des Jahresabschlusses des Mutterunternehmens, auf den hiervon abweichenden Stichtag der Jahresabschlüsse der bedeutenden oder der Mehrzahl der in den Konzern- abschluss einbezogenen Unternehmen aufzustellen. Im vorliegenden Gesetzentwurf soll dieses auf Art. 27 der RL83/349/EWG beruhende Wahlrecht eingeschränkt und der Konzernabschluss zwingend auf den Stichtag des Jah- resabschlusses des Mutterunternehmens aufgestellt wer- den. Unabhängig davon, dass die Einschränkung des Wahlrechts gerade bei kleineren oder mittleren Holding- gesellschaften zu einem erheblich größeren Arbeits- und Kostenaufwand führen kann, zeigt der Vergleich einiger europäischer Rechtsordnungen zu diesem Punkt kein ein- heitliches Bild. So existieren zum Beispiel in Italien, Frankreich und Österreich gesetzliche Regelungen, die der derzeitigen deutschen Rechtslage entsprechen; wo- hingegen die Rechtslage im Vereinigten Königreich und Spanien der geplanten Rechtslage entspricht. In welcher Form eine Angleichung erfolgt, dürfte also zum heutigen Zeitpunkt relativ offen sein. Es wäre gerade für die Wirtschaft eine sehr negative Entwicklung, wenn die Regelungen des TransPubGeset- zes teilweise wieder rückgängig gemacht werden müss- ten. Rechtssicherheit und Kontinuität, die gerade auf dem Gebiet der Rechnungslegung von großer Bedeutung sind, wären so jedenfalls nicht erreichbar. Im Rahmen der ers- ten Lesung habe ich daher ausgeführt, dass mir eine Ab- schaffung der Wahlrechte zum derzeitigen Zeitpunkt zu riskant erscheine. Die Experten versichern uns nun glaub- haft und übereinstimmend, dass die Regelungen des TransPubGesetzes genau in die Richtung gingen, wie sie von der europäischen Entwicklung zu erwarten seien und wir uns daher auf dem richtigen Weg befänden. Lassen Sie uns dies gemeinsam hoffen, damit für die bilanzie- rende Wirtschaft nicht noch größere Unsicherheit erzeugt wird. Klar ist aber auch – und darüber sind wir uns alle einig –, dass wir mit dem vorliegenden Gesetz, gerade was das Handelsrecht angeht, nur Stückwerk vollbringen. Unser Handelsrecht ist seit längerer Zeit kein in sich ge- schlossenes Konzept mehr. Ist in Deutschland der Einzel- abschluss traditionell sowohl in das Gesellschaftsrecht als auch das Steuerrecht eingebunden, so bedarf seine Inter- nationalisierung einer ganz besonders sorgfältigen Prü- fung. Denn gerade für kleine und mittlere Unternehmen würden zusätzliche administrative Belastungen drohen, wenn diese weit gehende Übereinstimmung von Han- dels-, und Steuerbilanz aufgegeben werden müsste. Au- ßerdem erfordert das Vordringen der Grundsätze interna- tionaler Rechnungslegung eine Auseinandersetzung mit dem steuerrechtlichen Maßgeblichkeitsgrundsatz, der heute schon durchlöchert ist wie ein Schweizer Käse und dessen Fortbestand tatsächlich gefährdet ist. Schließlich: In Deutschland hat die Sicherungsfunktion der Kapital- erhaltung mit Vorsichtsprinzip und Einzelbewertungs- grundsatz die Bilanzierung entscheidend geprägt. Im internationalen Bereich unabdingbare Informationsbe- dürfnisse stellen diese Konzeption zunehmend infrage. Wir müssen uns also ganz grundsätzlich fragen, ob der institutionelle Gläubigerschutz durch Kapitalerhaltung und Ausschüttungsbegrenzung tatsächlich noch die zu- künftig prägenden Grundsätze unseres Bilanzierungs- rechts bilden sollen. Hier ist eine umfassende Diskussion der Kapitalerhaltung nötig. Außerdem muss überlegt wer- den, ob an der traditionellen Trennung von externem und internem Rechnungswesen festgehalten werden soll. Wir brauchen also eine umfassende und in sich stim- mige Bilanzrechtsreform, die wir in der nächsten Legisla- turperiode in Angriff nehmen werden und uns dabei hof- fentlich auf europäische Grundlagen stützen können, die verlässlicher sind als die heutigen. Im April dieses Jahres haben die Finanzminister der 15 EU-Mitgliedstaaten im spanischen Oviedo über einem Fünf-Punkte-Plan beraten, um kriminellen Handlungen von Unternehmensmanagern, Wirtschaftsprüfern und Fi- nanzanalysten vorzubeugen. Im Rahmen der Gespräche kamen die Finanzminister überein, dass alle größeren Aktiengesellschaften in den Mitgliedstaaten den interna- tionalen Rechnungslegungsstandard IAS bereits ab 2005, und nicht erst wie geplant ab 2007, verbindlich anwenden sollen. Eine Verkürzung der Übergangsfristen bedeutet, dass sich die betroffenen Unternehmen frühzeitiger über ihre Verpflichtungen im Klaren sein müssen, damit die Umstellung effektiv betrieben werden kann. Dies bedeu- tet, dass der Gesetzgeber möglichst früh die entsprechen- den Regelungen auf den Weg bringen muss. Im Übrigen setzt es sich das Gesetz zum Ziel, wie der Name sagt, Transparenz und Publizität im Unterneh- mensbereich zu fördern. Es geht dabei auch hier in die richtige Richtung. Einzelne Vorschriften könnten jedoch exakter durchdacht und gefasst werden. So hätte bei der Einführung der Sachdividende – Art. 1 Nr. 3, § 58 AktG-E – auf jeden Fall auch die steuerliche Bewertung der Sachdividende geklärt werden müssen. Selbstverständlich ist dies im Aktienrecht nicht möglich und muss dem Steuerrecht überlassen bleiben. Das war wegen der Kürze der Zeit nicht möglich. Hier rächt sich wieder einmal das Durchpeitschen von Gesetzen. Lang kann der Gesetzgeber hiermit aber nicht warten. Unklar ist nämlich die Frage des Bewertungsmaßstabs – gege- benenfalls § 8 oder § 19 a EstG. Gleichzeitig sind der Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 237. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Mai 2002 23767 (C) (D) (A) (B) Bewertungszeitpunkt – Beschluss über die Ausschüttung oder Zufluss bei dem Anteilseigner – und die Frage, ob Kapitalertragsteuer einzubehalten ist, bisher nicht geklärt. Für die Zukunft wird zu bedenken sein, dass die Be- steuerung der Sachdividende sowohl bei der ausschütten- den Kapitalgesellschaft als auch bei deren Anteilseignern zu einer Doppelbesteuerung von bereits aus versteuertem Einkommen geschaffenen Werten führt. Ein solches Er- gebnis wäre rechtlich und wirtschaftlich problematisch. Hinsichtlich des Art. 1 Nr. 5, § 90 Abs. 1 Nr. 1 AktG-E, Umfang der so genannten „Follow-up“- Berichterstattung des Vorstands an den Aufsichtsrat, schließt die Konkreti- sierung nach dem Vorschlag des Bundesrates eine bisher im Entwurf existierende Lücke. Allerdings besteht auch hier noch zukünftiger Handlungsbedarf, um querulatori- sche Berichterstattungsverlangen auszuschließen, etwa durch Beschränkung solcher erneuten Berichterstattungs- verlangen auf Fälle mit wichtigem Grund. Der Bericht des Rechtsausschusses weist auf dieses Problem hin. Die Möglichkeit der Teilnahme an Aufsichtsratssitzun- gen in Form von Telefon- oder Videokonferenzen ist eine interessante Ergänzung und trägt neuen Möglichkeiten der Flexibilität Rechnung. Allerdings sollte sie die Aus- nahme bleiben, um nicht letztlich zum „virtuellen Auf- sichtsrat“ zu führen. Um dies sicherzustellen, wäre an sich eine Konkretisierung zu Art. 1 Nr. 8, § 110 Abs. 3 AktG-E, erforderlich gewesen, der sich mit der Einberufung des Aufsichtsrats und der Anzahl der Sitzungen beschäftigt. Immerhin ist die Teilnahme aus der Ferne – wie die Ge- setzesbegründung ausweist – auch für ganze Sitzungen vorgesehen. Mindestens also für die Aufsichtsratssitzung, in der die Bilanz festgestellt wird und auf der die Wirt- schaftsprüfer berichten und Rede und Antwort stehen, sollte eine physische Teilnahmepflicht vorgesehen wer- den. Wenn die Bundesregierung hier erst die zukünftige Entwicklung abwarten will, bleibt das für uns unbefriedi- gend. Wir haben uns deshalb nur vorläufig mit einer Er- wähnung der Problematik und der Feststellung, dass die physische Teilnahme nach wie vor die Regel bleiben muss, begnügt. Zu begrüßen ist die Aufnahme des Vertraulichkeitsge- bots für Aufsichtsratsmitglieder in § 116, wie sie bisher ausdrücklich schon für den Vorstand besteht. Hierdurch wird die besondere Verantwortung eines jeden Aufsichts- ratsmitglieds betont, die Rolle des Aufsichtsrats insge- samt gestärkt. Der gleiche Vertraulichkeitsmaßstab für Vorstand und Aufsichtsrat ist dabei nur folgerichtig – die Kehrseite der intensivierten Berichtspflicht des Vorstan- des an den Aufsichtsrat. Ein Kernstück des Gesetzes bildet der so genannte Cor- porate-Governance-Codex, § 161 AktG-E. Er soll gerade das Instrument darstellen, um ein Verhalten nach dem best-practice-Grundsatz in den Unternehmen zu gewähr- leisten. Sicher: Auch die Zukunft eines rein nationalen Corporate-Governance-Codexes ist bereits heute fraglich. Es bleibt bisher aber ungeklärt, ob es einen europäischen Corporate-Governance-Codex überhaupt geben wird. Eine Studie, im Auftrag der Kommission durchgeführt, riet von der Einführung ab. Allerdings haben Kommission und Rat weiteren Beratungsbedarf angemeldet. Bei dieser Sachlage lässt es sich rechtfertigen, auf nationaler Ebene Initiativen zu unternehmen. Wir sind übereinstimmend der Meinung, dass der Handlungsbedarf, der hier besteht, nicht von der bisher schwer überschaubaren europäischen Entwicklung abhängig gemacht werden darf. Es ist auch richtig und entspricht dem so wichtigen Grundsatz der Subsidiarität, die Abfassung und Weiter- entwicklung des Codexes der Wirtschaft selbst zu über- lassen und damit den Sachverstand der Wirtschaft zu nut- zen sowie ihre Selbstregulierungskräfte der Wirtschaft zu wecken und einzusetzen. Dabei verbleibt dem Bundesmi- nisterium der Justiz immer noch die nötige Kontrollmög- lichkeit, wenn der Codex jeweils von der Sinngebung des Gesetzes abzuweichen droht. In einem solchen Fall würde er eben nicht, wie im Gesetz vorgesehen, im Bundesan- zeiger veröffentlicht und erhielte damit keine Geltungs- kraft. Eine solche Vorgehensweise ist unter den Aspekten demokratischer Legitimation verfassungsrechtlich auch zu vertreten, zumal es sich beim Codex, wie man so schön sagt, um so genanntes „soft law“ handelt. Bei der Neufassung des § 321 HGB, der den Inhalt des Prüfungsberichtes regelt, ist folgendes zu erwähnen: Für mich und die Fraktion der CDU/CSU ist nicht ersichtlich, was die Bundesregierung veranlasst haben mag, die durch das KonTraG eingeführte Negativerklärung in Absatz 3 durch eine Positiverklärung zu ersetzen. Die Regierungs- kommission Corporate Governance hat in ihrem Ab- schlussbericht diese Änderung abgelehnt und ausgeführt, dass sich bisher keine wesentlich neuen Gesichtspunkte ergeben hätten, welche eine neuerliche Änderung ange- zeigt erscheinen ließen. Die Gesetzesbegründung schweigt zu diesem Punkt. Woher die Erleuchtung der Bundesregierung, entgegen der Ansicht der Experten, ge- kommen ist, bleibt uns daher verschlossen. Ich kann nur sagen: „Schade!!!“. Gerne hätte ich von diesen verborge- nes Quellen des Wissens partizipiert. Die Neufassung des § 321 Abs. 2 HGB muss gleich- falls kritisch hinterfragt werden. Nach Ansicht vieler Sachverständiger wird im Einzelfall schwer zu entschei- den sein, „welchen Einfluss Änderungen in den Bewer- tungsgrundlagen einschließlich der Ausübung von Bilan- zierungs- und Bewertungswahlrechten und der Ausnutzung von Ermessensspielräumen sowie sachver- haltsgestaltenden Maßnahmen insgesamt auf die Darstel- lung der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage haben“. Unklar sei insbesondere, welche sachverhaltsgestalten- den Maßnahmen eines Unternehmens hier im konkreten Fall gemeint sind und wo Grenzen gezogen werden müssen. An diesen Einzelregelungen wird nochmals deutlich, dass mit dem vorliegenden Gesetz zwar ein Schritt in die richtige Richtung getan worden ist, dass es sich aber kei- neswegs um den großen Wurf handelt und auch in den Einzelheiten noch sehr verbesserungsbedürftig ist. Je- mand hat sogar gesagt, es handle sich nur um eine kleine „Prise“, mit der wir es hier zu tun haben. Alles andere müsse in der nächsten Legislaturperiode geleistet werden. Wir sind auch dieser Meinung, denn da wird es bei uns ja auch gut aufgehoben sein. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 237. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Mai 200223768 (C) (D) (A) (B) Unter diesen Aspekten stimmen wir dem Gesetz schließlich zu, denn die Wirtschaft wartet – wie ich meine, schon viel zu lang – zumindest auf diesen kleinen Schritt, der dringend erforderlich ist, um die Wettbewerbsfähig- keit deutscher Unternehmen im internationalen Raum zu stärken. Andrea Fischer (Berlin) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Das Transparenz- und Publizitätsgesetz steht in ei- ner Reihe von Gesetzen, mit denen der Kapitalmarkt ge- stärkt und Unregelmäßigkeiten am Neuen Markt verhindert werden sollen. Das Gesetz sorgt für mehr Transparenz auf den Kapitalmärkten und stellt klare An- forderungen an die Unternehmenspublizität nach innen und außen. Vor allem durch die Präzisierung der Berichtspflichten des Vorstandes an den Aufsichtsrat stärken wir die Posi- tion des Aufsichtsrates. Denn der Aufsichtsrat ist nicht Stillhalte- und Akklamationsorgan des Vorstandes, son- dern muss die Arbeit des Vorstandes effektiv kontrollie- ren. Und hierzu braucht er vor allem zeitnahe und umfas- sende Informationen. Damit greift das Gesetz die Empfehlungen der Regierungskommission Corporate Governance auf. Die Regierungskommission und insbe- sondere ihr Vorsitzender Professor Baums haben uns we- sentliche Hinweise für die Stärkung der Aktienkultur und die Reform des Finanzplatzes gegeben. Der geleisteten Vorarbeit werden wir am besten dadurch gerecht, dass wir zügig die Empfehlungen der Regierungskommission um- setzen. Das ist schon mit dem Vierten Finanzmarktförde- rungsgesetz geschehen, wir führen das mit dem heute zu verabschiedenden Gesetz fort. Mit dem Transparenz- und Publizitätsgesetz kommen wir auch ein gutes Stück voran mit der Anpassung an in- ternationale Kapitalmarktstandards, ohne dabei die Be- sonderheiten der deutschen dualen Unternehmensverfas- sung aufzugeben. Viele große deutsche Unternehmen weigern sich allerdings bislang hartnäckig, die Vorstands- bezüge offen zu legen. Einzig Schering geht hier mit gutem Beispiel voran. Auch der Aufsichtsratsvorsitzende von Thyssen, Gerhard Cromme, der ja Vorsitzender der Kommission zur Erarbeitung des Corporate Governance- Kodex war, will künftig dafür sorgen, dass die Vorstands- gehälter einzeln aufgeschlüsselt werden. Das ist mit Transparenz und guter Corporate Governance gemeint. Diese Entwicklung wird sich nach und nach durchsetzen, denn die Unternehmen profitieren von guter Corporate Governance. So kommt eine aktuelle Umfrage von KPMG und FAZ-Institut zu dem Schluss, dass für weit mehr als die Hälfte der befragten börsennotierten Gesell- schaften der Nutzen guter Corporate Governance die da- mit verbundenen Kosten übersteigt. Mit dem Gesetz geben wir einen Rahmen vor, der für die Unternehmen verbindlich gilt, ohne sie in zu enge Grenzen zu verweisen. Vielmehr bleibt ihnen ein indivi- duell ausgestaltbarer Spielraum. Wir folgen dem Grundsatz, dass der Gesetzgeber nicht alles zu regeln hat. Politik ist gefordert, die Wirtschaft das selbstständig regeln zu lassen, wozu sie auch in der Lage ist. Der Kern unseres Gesetzes entspricht diesem Gedan- ken: Mit der Erklärung darüber, ob der Corporate Gover- nance-Kodex eingehalten wird oder nicht, geben die bör- sennotierten Gesellschaften jährlich den Kapitalmärkten und damit den Anlegern das entscheidende Signal. Beispiele anderer Länder zeigen, dass diese Erwartun- gen an die Selbststeuerungsfähigkeit des Marktes in die- sem Gebiet realistisch sind: Der Kapitalmarkt wird Wohl- verhalten und gute Corporate Governance honorieren und die, die dagegen verstoßen, abstrafen. Entsprechend schätzen auch einige Finanzexperten bereits jetzt die Wir- kung der Regelung „Comply or Explain“ positiv als die grundlegendste Neuregelung der jüngsten gesetzlichen Änderungen auf den Finanzmärkten ein. Deswegen bin ich froh, dass dieses Gesetz heute in ei- nem absehbar breiten Konsens verabschiedet wird. Rainer Funke (FDP): Die FDP-Bundestagsfraktion stimmt dem Gesetzentwurf zum Transparenz- und Publi- zitätsgesetz zu. Dieser Gesetzentwurf ist eine Fortentwicklung des KonTraG und der Bilanzierungsvorschriften des HGB, die beide in der letzten Legislaturperiode auf den Weg ge- bracht worden sind. Das Transparenz- und Publizitätsge- setz ist seinerseits auch nur ein Zwischenstadium, denn erklärtermaßen sind nur Teile der Empfehlungen der Re- gierungskommission „Corporate Governanvce“ in die- sem Gesetz aufgenommen worden. Ein weiterer Teil wird in der nächsten Legislaturperiode umzusetzen sein. Ich will ausdrücklich betonen, dass diese scheibchen- weise Realisierung der Vorschläge der Regierungskom- mission „Corporate Governance“ nicht kritisiert, sondern ausdrücklich begrüßt wird. Das Finanzmarktrecht und die Bilanzierungsvorschriften befinden sich weltweit im Um- bruch oder zumindest im Fluss. Um auf dem Stand der Entwicklung zu bleiben, gilt es, das umzusetzen, was sinnvoll erscheint. Wir müssen, um die Konkurrenzfähig- keit des Finanzplatzes Deutschland zu erhalten und, wenn möglich, zu erhöhen, die rechtlichen Rahmenbedingun- gen für den Finanzmarkt Deutschland und seine Unter- nehmen up to date bringen. Die nunmehr gefundenen Regelungen zum Aufsichts- rat und der Information des Aufsichtsrates werden sicher- lich dazu beitragen, dass der Aufsichtsrat noch mehr als bisher Aufsicht ausüben, aber auch Rat erteilen kann. Der Aufsichtsrat soll kein zweiter Vorstand sein, aber um Auf- sicht zu üben, bedarf er, wie auch manch kritischer Fall in der Vergangenheit gezeigt hat, besserer Informationen durch den Vorstand. Wir begrüßen ausdrücklich die Rege- lung des § 161 Aktiengesetz, der die Verpflichtung der börsennotierten Unternehmen zur Abgabe einer Erklärung vorsieht, ob sie den von der Kodex-Kommission erarbei- teten Verhaltenskodex beachten oder auch nicht. Dies trägt auch zur größeren Transparenz und Publizität aller börsennotierten Unternehmen bei. Auch die Verschärfung hinsichtlich der Erklärung der Abschlussprüfer in § 312 wird gerade im Lichte der Vorkommnisse an den ameri- kanischen, aber auch an den deutschen Börsen begrüßt. Ich will ausdrücklich betonen, dass die Beratungen der Berichterstatter unter Einbeziehung von Sachverständigen Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 237. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Mai 2002 23769 (C) (D) (A) (B) und die Beratungen im Rechtsausschuss in fairer Art und Weise und sachorientiert geführt wurden. Dafür danke ich den Kollegen, Mitarbeitern des Bundesjustizministeriums und den Sachverständigen sehr. Rolf Kutzmutz (PDS): Die Vorgänge am Neuen Markt, mehr noch um große Konzerne – von Holzmann über Kirch bis Berliner Bankgesellschaft – gebieten zwin- gend eine Reform des Aktien- und Bilanzrechts. Die bis- her übermächtige Position des Vorstands gegenüber dem Aufsichtsrat muss beschnitten werden. Letzterer muss seiner Kontrollfunktion nachkommen können, um bei de- ren Unterlassung auch mit haftbar gemacht werden zu können. Gleiches gilt für die Wirtschaftsprüfer. Nur so können wahrheitsgetreue und vergleichbare Rechen- schaftsberichte, Bilanzen, Testate zustande kommen, die tatsächlich große wie kleine Kapitalanleger zu Investitio- nen in Unternehmen anregen, die Beschäftigte nicht so einfach wie bisher zu Opfern von Kriminellen in Chef- etagen machen. Das setzt eine umfassende Reform hin zu einem überschaubaren Bilanzrecht – anstelle des gegen- wärtigen Dutzend der Bilanzierungsmöglichkeiten –, ge- setzliche Schritte zur tatsächlichen Unabhängigkeit des Abschlussprüfers sowie zur transparenten und effizienten Funktionsweise der Leitungs- und Kontrollgremien von Unternehmen voraus. Diese Aufgabe ist ob ihrer Kom- plexität nicht innerhalb weniger Monate zu schaffen. Die PDS begrüßt daher ausdrücklich den vorgelegten Entwurf als schnelle Umsetzung einiger unstrittiger und vergleichsweise unkomplizierter Maßnahmen. Sie kön- nen aber nur den Beginn eines längeren Weges markieren – sonst wird man der offenkundigen Probleme niemals Herr. So bleibt beispielsweise abzuwarten, ob die mit der HGB-Novelle – Art. 2 Nr. 14 des Gesetzentwurfs – er- weiterten gesetzlichen Vorgaben für den Inhalt des Prüf- berichtes tatsächlich ausreichen, um künftig Testate von unfähigen, gefälligen oder kriminellen Abschlussprüfern zu verhindern und so die bei Holzmann, Berliner Bank- gesellschaft etc. in diesem Bereich zutage getretenen De- fizite zu vermindern. Ein echter Fortschritt ist für uns das Recht jedes Auf- sichtsratsmitglieds, Berichte des Vorstands verlangen zu können. So wird dessen individuelle Verantwortlichkeit für seine Kontrollaufgabe betont, keiner kann länger ei- gene Untätigkeit hinter einem „Kollektiv“ verstecken. Über mögliche Missbräuche dieses Rechts sollen tatsäch- lich die Gerichte entscheiden – und nicht etwa die Unter- nehmensvorstände. Gestärkt wird die Rolle der Aufsichtsräte auch durch die Festlegung, dass Vorstands-Berichte in der Regel rechtzeitig und in Textform an die Kontrolleure zu über- mitteln sind. Damit wird auch die Position der Aktionäre gegenüber den Aufsichtsräten gestärkt – niemand kann sich mehr so leicht damit herausreden, etwas überhört zu haben. Mit den neuen Rechten wächst naturgemäß auch die Bedeutung von Verschwiegenheitspflichten – die PDS legt an dieser Stelle aber Wert darauf, dass die in § 116 Ak- tiengesetz nun formulierten Pflichten der Kontrolleure keineswegs größer sind als die mit § 93 schon traditionell für Vorstände geltenden. Es kann schließlich nicht sein, dass Aufsichtsräte einen Maulkorb haben, während zur gleichen Zeit Vorstände ihre Version einer Information in die Öffentlichkeit hinausposaunen. Die jetzt erstmals erwähnte elektronische Kommuni- kation für und über Aufsichtsratssitzungen sowie Ak- tionärsversammlungen sehen wir ausdrücklich als zusätz- liches, damit erweitertes Angebot zur Teilhabe, nicht etwa als Ersatz für persönliche Beteiligung. Demokratisch nicht unumstritten ist gewiss der neue § 161 Aktiengesetz, zweifellos ein Kernstück für mehr Transparenz. Es muss jeder Anschein vermieden werden, die „Regierungskom- mission Deutscher Corporate Governance Kodex“ sei ein Quasi-Gesetzgeber, über deren Beschlüsse mit Veröffent- lichung im Bundesanzeiger automatisch der Bundesadler geklebt wird. Diese Kommission ist gewiss fachlich kom- petent – aber ebenso sicher nicht demokratisch legiti- miert. Wir legen daher größten Wert darauf, dass der aus- drückliche Bezug im Gesetz auf das veröffentlichende Bundesjustizministerium dessen Prüfauftrag beinhaltet, nur solche Kommissionsempfehlungen zu publizieren, die sich im vom Parlament geschaffenen Rechtsrahmen bewegen und nicht etwa selber Recht setzen – so, wie es auch in den Ausschussberatungen zugesagt wurde. Dr. Herta Däubler-Gmelin, Bundesministerin der Justiz: Corporate Governance heißt: Leitung und Kon- trolle der großen Unternehmen. Corporate Governance bleibt ein beherrschendes Thema des Wirtschaftsrechts. Das liegt gewiss an den sich sehr rasch verändernden äußeren Bedingungen, an der Internationalisierung der Fi- nanzmärkte, an der Veränderung des Anlageverhaltens und der sprunghaften Entwicklung neuer Medien. Man- che sagen: Auch die Menschen haben sich verändert; man spricht von Werteverfall, von Gier, von der Bereicherung zulasten der kleinen Anleger. Man hat viel Unschönes ge- sehen in der letzten Zeit, aber erst mit sehr langem Ab- stand wird man besser beurteilen können, ob wir hier wirklich einen Verlust an Ethos im Wirtschaftsleben zu beklagen haben – oder ob es nicht um die immer gleichen menschlichen Verhaltensweisen geht. Jedenfalls ist es die Aufgabe von Bundesregierung und Gesetzgebung, ge- genzusteuern, für ein optimales Regelwerk von verant- wortlicher Unternehmensleitung und effektiver unabhän- giger Überwachung und Kontrolle, für Transparenz und Wettbewerb zu sorgen. Dem dient das Transparenz- und Publizitätsgesetz, das heute in zweiter und dritter Lesung vom Deutschen Bun- destag mit breitem Konsens verabschiedet wurde und das noch im Sommer in Kraft treten wird. Die Regierungskommission Corporate Governance, die ich im vergangenen Jahr eingesetzt habe, hatte im letz- ten Sommer ein ganzes Paket von Vorschlägen zur Ver- besserung und Modernisierung der rechtlichen Rahmen- bedingungen für unsere börsennotierten Gesellschaften vorgelegt. Diese Vorschläge haben allgemein große Be- achtung und Anerkennung gefunden. Die Wirtschaft war- tet auf die Umsetzung dieser Vorschläge durch den Ge- setzgeber, weil sie vernünftig sind, unseren Standort Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 237. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Mai 200223770 (C) (D) (A) (B) verbessern und neben notwendigen neuen Regeln auch Modernisierungen und Deregulierungen enthalten. Die Bundesregierung hat sich deshalb beeilt, umgehend einen Gesetzentwurf vorzulegen, der die von der Regierung mitverhandelten und mitgetragenen Empfehlungen der Kommission in das deutsche Aktienrecht einfügen soll. Die erste Umsetzungsstufe war die Einsetzung der Re- gierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex unter Leitung von Herrn Dr. Cromme. Diese hoch- rangige und ausgewogen besetzte Kommission hat in kur- zer Zeit einen Code of Best Practice für die Organe deut- scher börsennotierter Aktiengesellschaften vorgelegt und mir am 26. Februar 2002 im Bundesministerium der Jus- tiz übergeben. Er soll nach dem In-Kraft-Treten des vor- liegenden Gesetzes im elektronischen Bundesanzeiger bekannt gemacht werden. Dieser Kodex soll zum einen nach innen wirken, um Leitung und Kontrolle unserer Ge- sellschaften deutlich zu verbessern. Er bietet zugleich die Chance, nach außen zu wirken und unser Corporate Go- vernance System im Ausland besser darzustellen. Unser System ist nämlich gut, auch wenn das viele nicht wahr- haben wollen. Freilich ist kein System so gut, dass es nicht noch wei- ter verbesserungsfähig wäre. Mit dem Transparenz- und Publizitätsgesetz wird eine ganz Reihe wichtiger gesetz- licher Verbesserungen unseres Corporate Governance Systems umgesetzt. Auch die großen Wirtschaftsver- bände haben von einem „Meilenstein“ gesprochen. Dazu gehört zum einen die Flankierung des Corporate Governance Kodex der Cromme-Kommission durch eine so genannte Entsprechenserklärung. Danach müssen alle börsennotierten Gesellschaften einmal jährlich erklären, ob sie den Corporate Governance Kodex einhalten oder nicht, bzw. in welchen Punkten nicht. Mit dieser gesetz- lichen Erklärungspflicht bekommt der Kodex erst das Gewicht, das er benötigt, um als der deutsche Kodex all- gemein Anerkennung zu finden. Es ist wichtig, dass diese gesetzliche Verankerung des Corporate Governance Kodex noch in dieser Wahlperiode in Kraft tritt. Mit dem Entwurf des Transparenz- und Publizitätsge- setzes setzt die Bundesregierung auch im Bilanzrecht Ak- zente für eine höhere Kontrolldichte im Verhältnis des Aufsichtsrats zum Management sowie für einen verbes- serten Anlegerschutz. Das Recht der Rechnungslegung und der Abschlussprüfung ist nach spektakulären Fällen von Bilanzmanipulation besonders in den Blickpunkt der Öffentlichkeit gerückt. Der Gesetzentwurf sieht insbesondere eine stärker pro- blem- und risikoorientierte Schwerpunktsetzung bei der Abschlussprüfung vor. Indem wir dem Abschlussprüfer zum Beispiel aufgeben, künftig auch die Auswirkungen sachverhaltsgestaltender Maßnahmen der Unternehmens- leitung zu kommentieren, sorgen wir für mehr Transpa- renz und stärken den Aufsichtsrat in seiner Kontrollfunk- tion. Darüber hinaus greifen wir Empfehlungen der Baums-Kommission sowie des deutschen Standardsetters DRSC vor allem zur Konzernrechnungslegung und zur Anpassung des deutschen Bilanzrechts an internationale Entwicklungen auf. Die jüngste Unternehmenskrise in den Vereinigten Staaten gemahnt uns, unsere Bemühungen zur Verbesse- rung unserer Corporate Governance zu verstärken. Mit dem heutigen Gesetz ist ein weiterer Meilenstein gesetzt, aber das Ende des Weges noch nicht erreicht. In der nächs- ten Wahlperiode werden wir im Aktienrecht sowie im Bi- lanzrecht weitere Reformschritte angehen, hoffentlich ge- nauso im Konsens wie heute. Anlage 11 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Pflichtversicherungsgesetzes und anderer versicherungsrechtlicher Vorschriften (Tagesordnungspunkt 33) Christine Lambrecht (SPD): Heute verabschieden wir in zweiter und dritter Lesung das Gesetz zur Ände- rung des Pflichtversicherungsgesetzes und anderer versi- cherungsrechtlicher Vorschriften. Mit diesem Gesetz set- zen wir in erster Linie die Richtlinie 2000/26/EG des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 16. Mai 2000 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mit- gliedstaaten über die Kfz-Haftpflichtversicherung und zur Änderung der Richtlinien 73/239/EWG und 88/357/EWG des Rates (4. Kraftfahrzeug-Haftpflicht-Richtlinie) um. Das Gesetz trägt somit dazu bei, die Rechtsverhältnisse in der EU weiter anzugleichen. Es ist ein weiterer Mosaik- stein zur Bildung einheitlicher Lebensverhältnisse in Eu- ropa. Das hört sich sehr abstrakt an, bringt aber für viele Bürgerinnen und Bürger eine konkrete Verbesserung in einer schwierigen Situation. Worum geht es in diesem Gesetz? Das Gesetz dient dem Verbraucherschutz. Im Kern geht es darum, Autofah- rern, die im Ausland – aber auch im Inland – in einen Ver- kehrsunfall verwickelt sind, die Möglichkeit der Scha- densregulierung zu verbessern und zu vereinfachen. Jeder kennt die Situation: Man freut sich auf den Urlaub, die schönste Zeit im Jahr. Man setzt sich ins Auto und ab geht es. Doch schnell kann eine solche Reise durch einen Autounfall zum Albtraum werden. Das soll nun ab dem 1. Januar 2003 der Vergangenheit angehören. Wir haben uns nicht darauf beschränkt, die EU-Richt- linie 1:1 umzusetzen. Wir haben geprüft, ob es sinnvolle Regelungen gibt, die auch auf im Inland erfolgte Ver- kehrsunfälle angewendet werden können. Im Interesse des Verbrauchers und unter dem Gesichtspunkt der Gleichbehandlung haben wir deshalb zum Teil allgemein gültige Regelungen getroffen. Worum geht es im Einzelnen? Vielleicht waren Sie schon im Ausland in einen Verkehrsunfall verwickelt. Si- cherlich kennen Sie Freunde oder Bekannte, die das Pech hatten, im Ausland Unfallopfer zu werden. Bisher war es doch so, dass es im Gegensatz zu manchen Werbespots für die Betroffenen eben sehr schwer war, zu ihrem Recht zu kommen. Oft war es bereits mit großen Schwierigkeiten verbunden, den Fahrzeughalter oder die Haftpflicht- versicherung ausfindig zu machen. Deshalb ist jeder Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 237. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Mai 2002 23771 (C) (D) (A) (B) EU-Mitgliedstaat ab 2003 verpflichtet, Auskunftsstellen einzurichten oder anzuerkennen, wo der Geschädigte sämtliche relevanten Daten in Erfahrung bringen kann. Da wir der Ansicht sind, dass eine solche Einrichtung auch bei Inlandsunfällen sinnvoll ist, ist die Regelung all- gemein gehalten. Somit kann jeder Bürger, der ein be- rechtigtes Interesse nachweisen kann, die Daten – auch bei Unfällen in Deutschland – anfordern. Die Aufgaben der Auskunftsstelle sollen dem von der Versicherungswirtschaft eingerichteten „Zentralruf der Autoversicherer“ übertragen werden. Wir sind der An- sicht, dass auch eine nicht staatliche Stelle die Aufgaben wahrnehmen kann. Warum soll eine neue Behörde einge- richtet werden, wenn man auf eine Stelle zurückgreifen kann, deren qualitativ gute Arbeit seit Jahren bekannt ist? Oftmals ist es auch schwierig, Kontakt zu den jeweili- gen Versicherungen aufzunehmen. Hier spielen Sprach- schwierigkeiten im Ausland eine Rolle. Deshalb werden die Versicherungen verpflichtet, in jedem Mitgliedstaat – außer dem des eigenen Sitzes – einen Schadensregulie- rungsbeauftragten zu benennen, der selbstverständlich auch die jeweilige Landessprache beherrscht. An den Be- auftragten kann sich der Geschädigte wenden, der den Schaden bearbeitet und gegebenenfalls reguliert. Hierbei hat der Geschädigte die Wahlmöglichkeit, ob er den Be- auftragten oder die Versicherung direkt zur Regulierung des Schadens heranzieht. Damit der Geschädigte pro- blemlos den Beauftragten in Anspruch nehmen kann, müssen die Versicherer der Auskunftsstelle Namen und An- schrift des Schadensregulierungsbeauftragten mitteilen. Oftmals muss der Bürger auch darunter leiden, dass die Versicherer eine Schadensregulierung sehr zögerlich be- arbeiten. Das Interesse des Geschädigten ist es aber, dass die Regulierung zügig erfolgt. Deshalb muss der Schaden zuküftig grundsätzlich in maximal drei Monaten reguliert werden. Zumindest muss dem Anspruchsteller substanzi- iert und schriftlich dargelegt werden, warum keine Regu- lierung erfolgt. Da die Bestimmung einer Frist sinnvoll ist, gilt diese Frist zukünftig auch für Inlandsunfälle. Sollte gleichwohl eine Regulierung oder Stellung- nahme nicht erfolgen, kann sich der Geschädigte zukünf- tig an eine Entschädigungsstelle im Wohnsitzstaat wen- den, die dann den Schaden reguliert. Diese Stelle holt sich dann das verauslagte Geld bei der Entschädigungsstelle zurück, die sich im Sitzstaat des Versicherers befindet. Die Stelle wiederum kann den Versicherer in Regress neh- men. Darüber hinaus entscheidet die Entschädigungs- stelle darüber, ob eine Stellungnahme des Versicherers, den Schaden nicht zu regulieren, begründet genug ist. In Deutschland sollen diese Aufgaben von dem Verein „Ver- kehrsopferhilfe“ wahrgenommen werden. Mit dem heute zu verabschiedenden Gesetzentwurf leistet Deutschland seinen Beitrag dazu, dass Geschädigte zukünftig EU-weit auf eine unkomplizierte und schnelle Regulierung des Schadens vertrauen dürfen. Dr. Susanne Tiemann (CDU/CSU): Wer von uns hatte nicht schon einmal selbst einen Autounfall im Aus- land oder kennt nicht jemanden, dem dies passiert ist? Wenn der Autounfall in einem EU-Mitgliedstaat pas- sierte, dachten wir doch: Wenigstens Glück im Unglück gehabt. Oder etwa nicht? Viele befinden sich mit ihrem Auto hauptsächlich zu Urlaubszwecken im Ausland. Zu der getrübten Erholung kommt dann oftmals auch der Ärger bei der Schadens- regulierung hinzu. Der Ärger ist umso größer, wenn der Unfall in einem EU-Mitgliedstaat passierte und im Nach- hinein festgestellt werden muss, dass – EU hin oder her – die Schadensregulierung um keinen Deut einfacher oder zügiger vonstatten geht, als wenn der Unfall in einem Nicht-EU-Mitgliedstaat passiert wäre. Viele Bürgerinnen und Bürger kommen auf diese Weise mit Europa in hautnahen Kontakt und sammeln in diesem Zusammenhang europäische Negativerlebnisse, die das Bild von Europa und der Europäischen Union viel stärker prägen als die vielen positiven Europaerlebnisse, die wir tagtäglich sammeln dürfen. Aus diesem Grund steht die CDU/CSU dem Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Pflichtversicherungsge- setzes und anderer versicherungsrechtlicher Vorschriften positiv gegenüber. Das Ziel des Gesetzes ist die Umset- zung der Richtlinie 2000/46/EG zur Änderung der Richt- linie 73/239/EWG und 88/357/EWG vom 20. Juli 2000 in nationales Recht. Lassen sie mich dazu kurz Folgendes ausführen. Das vorliegende Gesetz hat wieder einmal gezeigt, dass heute ein erheblicher Teil unserer Arbeit durch euro- parechtliche Normen vorgegeben ist. Oft sind die Vorga- ben sehr detailliert und genau, sodass für den deutschen Gesetzgeber nur noch wenig Spielraum bleibt. Die Infor- mation über europäische Gesetzgebungsvorgänge wird daher für unsere Arbeit zunehmend bedeutender. Für uns als deutsches Parlament hängt unser Informationsfluss zu einem erheblichen Teil von der Kooperation mit der je- weiligen Bundesregierung ab. Gerade hier ist in letzter Zeit von zahlreichen Verbänden aber Kritik aufgekom- men, die eine zu geringe personelle Präsenz der Bundes- regierung bei Verhandlungen in Brüssel beklagten. Wir nehmen diese Vorwürfe sehr ernst, da dadurch letztend- lich auch die Arbeit dieses Hauses berührt wird. Da unsere gesetzgeberische Tätigkeit immer mehr von europarechtlichen Normen bestimmt wird, gleichzeitig auch das Europäische Parlament immer mehr an Bedeu- tung gewinnt, halten wir es für sinnvoll, darüber nachzu- denken, inwieweit wir uns vermehrt und regelmäßig in ei- nem institutionellen Rahmen mit den Kollegen aus Straßburg/Brüssel zu einem gemeinsamen Gedankenaus- tausch treffen sollten. lm Unterschied zu den bestehenden drei Kraftfahr- zeughaftpflicht-Richtlinien befasst sich die vierte Kraft- fahrzeughaftpflicht-Richtlinie mit der Regulierung von Auslandsunfallschäden. Die Kommission hat zu Recht er- kannt, dass das System der Grünen-Karte-Büros zwar die problemlose Regulierung eines Unfallschadens gewähr- leistet, wenn sich der Unfall im eigenen Land ereignete und der Unfallbeteiligte aus einem anderen europäischen Land kommt. Das System der Grünen-Karte-Büros löst allerdings nicht alle Probleme, wenn sich der Unfall in Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 237. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Mai 200223772 (C) (D) (A) (B) einem fremden Land ereignete, der Unfallgegner seinen Wohnsitz und das den Schaden regulierende Versiche- rungsunternehmen ebenfalls seinen Sitz im Ausland ha- ben. Fremdes Recht, fremde Sprache und oft auch eine ungewohnt lange Regulierungspraxis tragen zu den oben beschriebenen Negativerlebnissen bei. Mit der Verabschiedung der Richtlinie 2000/46/EG durch das Europäische Parlament und den Europäischen Rat sollen die Regelungen zur Abwicklung von Unfall- schäden im Gebiet der Europäischen Union vereinfacht und verbraucherfreundlicher ausgestaltet werden. Obwohl die Richtlinie bereits am 20. Juli 2000 im Amtsblatt der EG veröffentlicht wurde, hat die Bundes- regierung die Umsetzungsfrist, die bis zum 20. Juli 2002 geht, fast bis zum letzten Tag verstreichen lassen, bezüg- lich der Einrichtung von Entschädigungsstellen ist die Umsetzungsfrist sogar bereits abgelaufen. Die Entschädi- gungsstellen sollten nämlich bis zum 20. Januar 2002 ge- schaffen und anerkannt werden. Ich frage mich wirklich, weshalb sich die Umsetzung dieser Richtlinie verzögern musste und kann keinerlei Grund hierfür erkennen. Obwohl wir der Intention der Richtlinie positiv ge- genüberstehen, so sind wir doch der Meinung, dass die vierte Kraftfahrzeughaftpflicht-Richtlinie für die Regu- lierung von Auslandsunfallschäden ein teilweise recht komplexes und kompliziertes System entwickelt. Teil- weise werden auch Regelungen geschaffen, die mitunter hätten verständlicher gefasst werden können. Ich denke dabei insbesondere an § 12 b PfIVG, der den gesetzlichen Forderungsübergang des Schadensersatzanspruchs auf die nationale bzw. die ausländische Entschädigungsstelle regelt, soweit dem Geschädigten der Schaden von der Entschädigungsstelle ersetzt wurde. Eine wesentliche Neuerung der vierten Kraftfahrzeug- haftpflicht-Richtlinie ist, die Verpflichtung der Mitglied- staaten von den bei ihnen zugelassenen Versicherungs- unternehmen zu verlangen, dass sie in den anderen Mitgliedstaaten der EU und des Europäischen Wirt- schaftsraumes Schadensregulierungsbeauftragte bestel- len und dies nachweisen. Der Geschädigte soll seinen Schadensersatzanspruch sodann in seinem Wohnsitz-Mit- gliedstaat gegenüber dem Schadensregulierungsbeauf- tragten der haftpflichtigen Partei geltend machen, der in der jeweiligen Landessprache die Versicherung gegen- über dem Geschädigten vor Ort vertreten kann. Das ma- terielle Recht oder die gerichtliche Zuständigkeit sollen davon unberührt bleiben. Der Arbeitsaufwand der Versicherungsaufsichtsbehör- den wird sich dadurch in geringem Umfang erhöhen. Für bestimmte Unternehmen der Versicherungswirtschaft ent- stehen allerdings Mehrausgaben. Für Versicherungsunter- nehmen, die bisher schon in allen oder vielen Staaten der EU oder des Europäischen Wirtschaftsraumes mit Mitar- beitern und Niederlassungen vertreten waren, dürfte die Bestellung eines Schadensregulierungsbeauftragten keine oder kaum zusätzliche Kosten verursachen. Innerhalb die- ser Unternehmen vollzieht sich lediglich eine Arbeitsver- lagerung. Bearbeiteten bisher die Mitarbeiter des Versi- cherungsunternehmens am Wohnsitz der haftpflichtigen Partei die Schadensregulierung, so werden dies in Zu- kunft die Mitarbeiter des Versicherungsunternehmens am Wohnsitz des Geschädigten übernehmen. Für die einzel- nen Niederlassungen dürften der Umfang der zu bearbei- tenden Schadensfälle und somit die Kosten gleich blei- ben. Zusätzliche Kosten entstehen allerdings für die Versicherungsunternehmen, die bisher nicht in allen be- treffenden Staaten tätig waren. Kleinere oder mittlere Ver- sicherungsunternehmen können den Kostendruck min- dern, indem sie im Rahmen der Finanzierung von Schadensregulierungsbeauftragten Kooperationen einge- hen. Es ist zu erwarten, dass Mehrkosten zumindest teil- weise auf die Versicherungsnehmer umgelegt werden. Teilweise wird die vereinfachte Schadensregulierung von Unfällen im europäischen Ausland somit wahrscheinlich erhöhte Versicherungsprämien zur Folge haben. Wir kön- nen nur an die Unternehmen appellieren. Erhöhungen wenn überhaupt dann maßvoll zu gestalten, zumal der Wettbewerb im europäischen Versicherungsmarkt ja auch stärker wird. Die Bearbeitung des geltend gemachten Anspruchs soll zügig erfolgen. Obwohl in der vierten Kraftfahrzeughaft- pflicht-Richtlinie die dreimonatige Bearbeitungsfrist nur für Auslandsunfälle vorgesehen war, soll die Schadens- regulierungsfrist von drei Monaten auch für reine In- landsfälle gelten. Diese Ausdehnung des Anwendungs- bereiches ist zu begrüßen, schafft sie doch für alle Versicherungsnehmer Erleichterungen. Gleiches gilt für die Verzinsungspflicht des Anspruchs bei einer zöger- lichen Bearbeitung. Nach der vierten Kraftfahrzeughaftpflicht-Richtlinie sollen die Mitgliedstaaten Auskunftsstellen einrichten oder anerkennen, welche den Geschädigten alle zur Re- gulierung notwendigen Auskünfte erteilen, insbesondere über den Regulierungsbeauftragten des Versicherungsun- ternehmens oder über Namen von Halter und Fahrer. Zu begrüßen ist, dass bei der Einrichtung der Auskunftsstel- len auf bestehende Strukturen zurückgegriffen wird. Dies gilt im Übrigen auch für die Einrichtung der Entschädi- gungsstellen. Der Zentralruf der Autoversicherer, welcher die Aufgabe der Auskunftsstelle in Deutschland überneh- men soll, hat bisher schon Anfragen von Geschädigten ge- sammelt und versucht, den Geschädigten die benötigten Informationen zu beschaffen. Im Rahmen der Beratungen im Rechtsausschuss haben wir unter anderem eine Ergän- zung um eine datenschutzrechtliche Zweckbestimmung für die Übermittlung von Daten an die im Ausland errich- teten Auskunftsstellen als notwendig erachtet – genauso wie die ursprüngliche Regelung die Auskunftsstellen zur Übermittlung von Daten an die im Ausland errichteten Auskunftsstellen lediglich berechtigte, aber nicht ver- pflichtete, wie dies der Wortlaut der Richtlinie vorsieht. Ein weiterer Baustein bei der Schadensregulierung in- folge von Auslandsunfällen ist die Schaffung einer natio- nalen Entschädigungsstelle, welche Schäden regulieren sollen, die von den Versicherungsunternehmen oder Pri- vaten nicht ersetzt werden. Ansprüche werden jeweils ge- gen die Entschädigungsstelle des Mitgliedstaates gerich- tet, in dem der Geschädigte seinen Wohnsitz hat. Im Gegenzug findet ein gesetzlicher Forderungsübergang auf die nationale Entschädigungsstelle statt. Das heißt, diese wird Inhaber – Gläubiger – des Schadensersatzanspruchs. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 237. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Mai 2002 23773 (C) (D) (A) (B) Die nationale Entschädigungsstelle, die dem Geschädig- ten den entstandenen Schaden ersetzt hat, hat einen Aus- gleichsanspruch gegen die Entschädigungsstelle des Mit- gliedstaates, in dem die Versicherung des haftpflichtigen Halters, der haftpflichtige Halter oder der Fahrer seinen Sitz/Wohnsitz hat. Bei Gewährung des Ausgleichs findet ein erneuter gesetzlicher Forderungsübergang statt, dies- mal auf die ausländische Ausgleichsentschädigungsstelle. Die ausländische Ausgleichsentschädigungsstelle muss dann sehen, wer ihr den gezahlten Ausgleich ersetzt. Der Bundesrat hat im Rahmen der Beratungen darauf hingewiesen, dass durch den Einleitungssatz des § 3 a PfIVG – „Macht der Dritte Ansprüche nach § 3 Nr. 1 gel- tend, gelten darüber hinaus die folgenden Vorschriften:“ – der Geltungsbereich des ursprünglich in § 3 a Nr. 3 PfIVG vorgesehenen gesetzlichen Forderungsübergang einge- schränkt würde. Durch den Einleitungssatz des § 3 a PfIVG hätte der gesetzliche Forderungsübergang nur für Ansprüche gegolten, auf die deutsches Recht Anwendung findet. Nach der Intention der Richtlinie sollte der gesetz- liche Forderungsübergang jedoch gerade für Ansprüche gelten, die ausländischem Recht unterliegen. Der Rechts- ausschuss hat daher beschlossen, die Vorschrift des § 3 a Nr. 3 zu streichen und durch g 12 b PfIVG zu ersetzen. Der gesetzliche Forderungsübergang gilt nun sowohl für An- sprüche, die deutschem Recht als auch für Ansprüche, die ausländischem Recht unterliegen. Nach Hinweis durch den Bundesrat wurde in den Be- ratungen im Rechtsausschuss die Regelung in § 12 b PfIVG durch den Einschub eines Satzes 2 ergänzt. Dieser Satz 2 bringt nun klar zum Ausdruck, dass durch den For- derungsübergang eine Schlechterstellung des Gläubigers nicht erfolgt. Die Gefahr einer Schlechterstellung hätte bei einer Teilbefriedigung des Gläubigers bestanden. Gläu- biger und Dritter wären bei einer Teilleistung, die einen teilweisen Forderungsübergang zur Folge gehabt hätte, mit ihren Forderungen gegenüber dem Schuldner in Kon- kurrenz zueinander getreten. Im Falle der Insolvenz über das Vermögen des Schuldners kann in diesen Fällen die Gefahr bestehen, dass der Gläubiger mit seiner Teilforde- rung nicht mehr befriedigt wird, das heißt, er geht leer aus. Durch Satz 2 ist nun aber klargestellt, dass in solchen Fäl- len der Dritte, in unserem Fall die Entschädigungsstelle, hinter der Teilforderung des Gläubigers, hier des Geschä- digten, zurücktreten muss. Der Bundesrat hat in seiner Stellungnahme angeregt, die Verjährungsvorschriften des Pflichtversicherungs- gesetzes an die Verjährungsvorschriften des BGB anzu- passen, nachdem diese durch das Schuldrechtsmoderni- sierungsgesetz neu gefasst wurden und die Notwendigkeit einer differenzierten Ausgestaltung nach Ansicht des Bundesrates nicht mehr bestünde. Diesem Vorschlag ist der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirt- schaft in seiner Stellungnahme entschieden entgegenge- treten. Die Bundesregierung hat in ihrer Gegenäußerung ausgeführt, dass zurzeit eine vom Bundesministerium der Justiz eingesetzte Kommission über die Reform des Ver- sicherungsvertragsrechts und dabei unter anderem auch über die Angleichung der Verjährungsvorschriften des Versicherungsvertragsgesetzes an die Verjährungsvor- schriften des BGB berät. Den Ergebnissen dieser Diskus- sion sollte nicht vorgegriffen werden. Im Rahmen der Be- ratungen im Rechtsausschuss wurden von der Bundesre- gierung sowohl die Kommission zur Reform des Versi- cherungsvertragsgesetzes als auch die betroffenen Verbände zur Angleichung der Verjährungsvorschriften des Pflichtversicherungsgesetzes angehört. Nach Ansicht der Experten und der Verbände sollte eine Änderung der Verjährungsvorschriften besser im Rahmen der anstehen- den umfassenden Reform des Versicherungsvertrags- rechts in Angriff genommen werden. Diesem Ergebnis stimmen auch wir zu. Die Anglei- chung der Verjährungsvorschriften sollte für den gesam- ten Bereich des Versicherungsrechts einheitlich erfolgen. Die CDU/CSU hat sich stets gegen eine übereilte und konzeptionslose gesetzgeberische Tätigkeit ausgespro- chen und dies auch in diesem Hause mehrmals zum Aus- druck gebracht. Den Versicherungsnehmern und Versi- cherungsunternehmen wäre nicht damit gedient, wenn voreilig eine Angleichung der Verjährungsvorschriften des Pflichtversicherungsgesetzes an die des BGB vollzo- gen würde und nach kurzer Zeit womöglich abermals par- tielle Änderungen erfolgen müssten. Lassen Sie uns die- ses Thema in einem anderen Zusammenhang wohl überlegt diskutieren, damit das Ergebnis stimmt, denn da- rauf kommt es an. Alles in allem ist die europäische Richtlinie ein Schritt in die richtige Richtung. Das Gesetz setzt sie korrekt um und deshalb stimmen wir ihm zu. Albert Schmidt (Hitzhofen) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Jährlich ereignen sich über 500 000 Unfälle, an denen Kraftfahrzeuge aus verschiedenen Mitgliedstaa- ten der Europäischen Union beteiligt sind. Das derzeitige Schadensersatzsystem zur Regulierung dieser Unfälle ist völlig unzureichend. Oftmals sind sprachliche Hürden zu überwinden und das fremde Rechtssystem ist ungewohnt und unverständlich. Daraus folgt, dass berechtigte Scha- densersatzansprüche oft, wenn überhaupt, erst nach Mo- naten oder Jahren ausgeglichen werden. Die EU-Kommission hat dem Rechnung getragen und hat im Mai 2000 die Vierte Kraftfahrzeughaftpflicht- richtlinie erlassen. Interessant ist übrigens die Geschichte ihrer Entstehung. Mit dieser Richtlinie hat des Europä- ische Parlament 1995 zum ersten Mal seine neuen Befug- nisse ausgenutzt und die Kommission zur Vorlage eines Vorschlags aufgerufen. Hier hat also nicht, wie so oft, die europäische Bürokratie reagiert, sondern die Bürgerinnen und Bürger der Europäischen Union haben über das de- mokratisch gewählte Parlament auf einen Missstand auf- merksam gemacht. Ein wichtiger Schritt in einem geleb- ten Europa. Die Umsetzung dieser Richtlinie in nationales Recht wird nun durch den vorliegenden Gesetzentwurf geregelt. Kernstück der Richtlinie ist, dass jeder Kraftfahrzeug- haftpflichtversicherer, der in einem Mitgliedstaat der EU zugelassen ist, in jedem anderen Mitgliedstaat einen Be- auftragten benennt, an den sich der Unfallbeteiligte im Ausland wenden kann. Dieser hat die aus Unfällen in ei- nem anderen Land herrührenden Ansprüche zu bearbeiten und gegebenenfalls zu regulieren. Zusammen mit der Ver- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 237. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Mai 200223774 (C) (D) (A) (B) pflichtung der Mitgliedstaaten, alle zur Regulierung not- wendigen Daten mitzuteilen, sollte es in Zukunft keine grundsätzlichen Probleme mit der Ermittlung des Schädi- gers und seiner Versicherung mehr geben. Damit ist dieses Gesetz ein wichtiger Schritt zu einem besseren Verbraucherschutz. Kein Versicherer kann – aus welchen Gründen auch immer – die Ansprüche des Ge- schädigten monatelang verschleppen oder die Entschädi- gungszahlung mit immer neuen Hindernissen verzögern. Der Schaden ist innerhalb von drei Monaten zu regeln oder dem Geschädigten sind in schriftlicher Form die Gründe mitzuteilen, warum die Versicherung nicht regu- lieren kann. Zudem ist die Neuregelung auch aktiver Opferschutz. Für den Fall, dass der ausländische Versicherer nicht in- nerhalb der vorgesehenen Frist auf den Anspruch einge- gangen ist oder kein Schadenregulierungsbeauftragter existiert, wird dem Geschädigten von einer Entschädi- gungsstelle in seinem Land Entschädigung gewährt. In Deutschland wird diese Aufgabe von der „Verkehrsopfer- hilfe“ in Hamburg übernommen, die seit mehr als 35 Jah- ren Schadenregulierungen bei nicht versicherten bzw. er- mittelten Fahrzeugen übernimmt. Ich meine, dieses Gesetz und insbesondere die Drei- monatsfrist zur Schadenregulierung kann auch ein Vor- bild für eine umfassende Regelung bei Unfällen im Inland sein. Das Europäische Parlament hat hierzu schon im Juli 2001 eine Entschließung gefasst. Bleibt zu hoffen, dass die bürokratischen Mühlen nicht wieder mehr als sieben Jahre brauchen, um eine verbraucherfreundliche Initiative in die Tat umzusetzen. Rainer Funke (FDP): Mit der Verabschiedung des Gesetzes zur Änderung des Pflichtversicherungsgesetzes wird nun auch im Bereich der Verkehrsunfallschäden in- nerhalb der Europäischen Union einheitliches Recht ge- schaffen. Dies ist ausdrücklich zu begrüßen. Es kann ja in einem zusammenwachsenden Europa nicht sein, dass der Unfallschaden eines Reisenden, der mit seinem Fahrzeug unterwegs ist, in der Bundesrepublik Deutschland unpro- blematisch reguliert wird, die Regulierung von Schäden aber, die im europäischen Ausland entstanden sind, für den Geschädigten auf oftmals erhebliche Schwierigkeiten stößt. So kann sich der Bürger in Zukunft zur Regulierung seines Unfallschadens wahlweise entweder direkt an den Versicherer oder aber an dessen Schadensregulierungs- beauftragten, den der Versicherer im jeweiligen Mitglied- staat zu bestellen hat, wenden. Der in Deutschland schon lange geltende Direktanspruch des Geschädigten gegen die Versicherung des Schädigers wird damit nun auch auf europäischer Ebene eingeführt. Das führt für den Geschä- digten zu einer wesentlichen Vereinfachung des Verfah- rens. Dies und die Regelung, dass die Versicherungs- unternehmen sowohl in Deutschland als auch den Mit- gliedstaaten der Europäischen Union verpflichtet werden, spätestens innerhalb von drei Monaten ein an sie heran- getragenes Schadensersatzbegehren zu beantworten, ver- bessert die Situation des Geschädigten erheblich. Damit diese Frist von den Versicherungen in unproblematischen Fällen nicht als Schonfrist missbraucht wird, werden die Versicherer zu einer unverzüglichen Bearbeitung ver- pflichtet. Da bei Zuwiderhandlung den Versicherungs- unternehmen die Verzinsung des Ersatzanspruches oder der Regress der Entschädigungsstelle, die ersatzweise den Ersatzanspruch des Geschädigten befriedigt, droht, ist da- von auszugehen, dass eine zügige Abwicklung der Schä- den erfolgen wird. Eine weitere Verbesserung stellen in diesem Zusam- menhang auch die von den Mitgliedstaaten einzurich- tenden Auskunftsstellen dar, die, ähnlich dem Zentralruf in der Bundesrepublik Deutschland, dem Geschädigten alle zur Regulierung seiner Ansprüche notwendigen Da- ten mitteilen müssen. Allerdings dürfen auch die Nach- teile dieser Regelung nicht übersehen werden. Es können nun auch Privatleute den Halter über das Kennzeichen seines Fahrzeuges ermitteln. Der gläserne Bürger rückt dadurch wieder ein Stück näher. Trotz dieses Schönheitsfehlers wird die FDP dem Gesetzentwurf zustimmen, da die Vorteile deutlich über- wiegen. Durch die Verbesserung der Regulierung von Verkehrsunfallschäden, die ein Reisender in einem Mit- gliedstaat der Europäischen Union erleidet, wird es nun endlich möglich sein, dass der Geschädigte schnell zu seinem Recht kommt und nicht mehr auf den Kosten sit- zen bleibt, weil die Versicherung des ausländischen Un- fallgegners das Verfahren verschleppt. Es konnten nun- mehr wirksame Mechanismen in Form von Sanktionen sowie Regressforderungen entwickelt werden, die dafür Sorge tragen, dass die entstandenen Schäden zügig aus- geglichen werden. Dr. Evelyn Kenzler (PDS): Jeder, der einmal einen Autounfall hatte, weiß um den Ärger der Schadensregu- lierung. So ärgerlich und manchmal tragisch ein Ver- kehrsunfall auch ist, besonders ärgerlich ist ein Verkehrs- unfall im Ausland. Viele, die einmal im Ausland zu Schaden gekommen sind, wünschten sich in dieser miss- lichen Situation, dass ihnen der Unfall – wenn schon nicht vermeidbar – doch besser zu Hause geschehen wäre. Bei- nahe regelmäßig veröffentlichen Autozeitschriften gerade in der Urlaubszeit Horrorgeschichten über Autounfälle im Ausland und die Odysseen ihrer Schadensregulierung. Der Euro macht das Reisen leichter. Europa wächst zu- sammen. Doch eben nicht nur harmonisch. Gelegentlich gibt es auch Zusammenstöße, nicht zuletzt auf europä- ischen Straßen, die nicht immer einheimische Straßen sind. Erklärtes Ziel des vorliegenden Gesetzentwurfes der Bundesregierung ist es, in Umsetzung europäischer Richtlinien, Schwierigkeiten nach einem Verkehrsunfall innerhalb der Europäischen Union zu minimieren, die Schadensregulierung zu beschleunigen. Dieses Vorhaben kann im Interesse der Autofahrerinnen und Autofahrer nur begrüßt werden. Das haben ja bekanntlich bereits sowohl die Automobilclubs als auch der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft getan. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 237. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Mai 2002 23775 (C) (D) (A) (B) Die im Gesetzentwurf dazu vorgeschlagenen Maßnah- menkomplexe, Bestellung von Schadensregulierungsbe- auftragten, Einrichtung von Auskunftsstellen sowie die Einrichtung von Entschädigungsstellen, scheinen geeig- net, um den Gesetzeszweck zu erreichen. Dass die Versi- cherungen künftig Schäden aus Verkehrsunfällen inner- halb einer Frist von drei Monaten zu regeln haben oder dem Geschädigten schriftlich begründen müssen, warum dies nicht geschehe, empfinde ich als eine angemessene Regelung. Ob die vorgesehenen Sanktionen bei Nichtein- haltung greifen werden, muss sich ebenso zeigen, wie ich insgesamt auf die tatsächliche Wirksamkeit dieses Geset- zes gespannt bin. Auf eigene Erfahrungen möchte sicher jeder von uns verzichten. Umso wichtiger erscheint mir vielleicht ein Jahr nach In-Kraft-Treten des Gesetzes ein Bericht darü- ber, wie verbraucherfreundlich sich diese europäische Ge- setzgebung in der Praxis wirklich erwiesen hat. Dr. Eckhart Pick, Parl. Staatssekretär bei der Bundes- ministerin der Justiz: Der Entwurf eines Gesetzes zur Än- derung des Pflichtversicherungsgesetzes und anderer versi- cherungsrechtlicher Vorschriften setzt die so genannte vierte Kraftfahrzeughaftpflichtrichtlinie vom16. Mai 2000 in nationales Recht um. Diese Richtlinie widmet sich den Schwierigkeiten, mit denen man nach einem Verkehrsunfall im Ausland kon- frontiert ist. Die Regulierung eines solchen Verkehrsun- falls kann sich als sehr unerfreulich herausstellen. Da kann sich der Geschädigte nach seiner Rückkehr nach Deutschland mit einer Versicherung auseinandersetzen, die etwa in Neapel oder auch in Paris sitzt. Er muss seine Anschreiben in italienischer oder französischer Sprache verfassen und Telefonate kommen oft nicht in Betracht, denn wer spricht schon fließend italienisch oder franzö- sisch, von portugiesisch oder griechisch ganz zu schwei- gen. Immer wieder wird von Auslandsurlaubern auch die lange Dauer der Schadenregulierung bei ausländischen Versicherungen beklagt, die sich im Einzelfall über Jahre hinweg ziehen kann. Nachdem im Zuge des Zusammenwachsens der Euro- päischen Union auch der gewerbliche und der private Straßenverkehr immer weiter zugenommen hat, war es an der Zeit, sich dieser Probleme in Form einer gemein- schaftlichen Regelung anzunehmen. Die vierte Kraftfahrzeughaftpflichtrichtlinie hat zwar einen umständlichen Namen, dafür aber – weit wichtiger – einen verständlichen Regelungsgehalt, der sich auf vier Maßnahmen beschränkt: Erstens: Die Mitgliedstaaten müssen Auskunftsstellen einrichten oder anerkennen, bei denen der Geschädigte Informationen erhalten kann, die zur Regulierung seiner Ansprüche erforderlich sind: Kennt etwa der deutsche Geschädigte lediglich das Kfz-Kennzeichen des Schädi- gerfahrzeugs, dann wird er zukünftig nach einem Telefo- nat mit der in Deutschland ansässigen Auskunftsstelle den Halter und den Versicherer des ausländischen Schädiger- fahrzeugs erfahren. Und nicht nur das: auch den Namen und die Anschrift des Schadenregulierungsbeauftragten, den diese ausländische Versicherung in Deutschland be- nannt hat. Bei diesem Schadenregulierungsbeauftragten handelt es sich um die zweite Maßnahme der Richtlinie, wonach alle in der Gemeinschaft zugelassenen Versicherungen verpflichtet werden, in jedem Mitgliedstaat, außer dem ihres Sitzes, einen Schadenregulierungsbeauftragten zu benennen. Dieser vertritt die Versicherung gegenüber dem Geschädigten in der jeweiligen Landessprache vor Ort. Das ist der entscheidende Vorteil für den deutschen Geschädigten eines Auslandsunfalls: Er kann jetzt in Deutschland und in deutscher Sprache den Schaden regu- lieren. Zum Dritten sorgt die Richtlinie dafür, dass eine zö- gerliche Schadenregulierung der Vergangenheit an- gehören wird: Die Versicherungen haben zukünftig Schä- den aus Verkehrsunfällen innerhalb einer Frist von drei Monaten zu regulieren. Halten sie eine Schadensersatz- forderung des Versicherten für nicht oder für nicht in vollem Umfang berechtigt; so haben sie innerhalb dieser Frist dem Geschädigten schriftlich begründet darzulegen, warum sie nicht oder nicht vollumfänglich regulieren. Wird diese Frist nicht eingehalten, so greift Maßnahme Nummer vier: Entschädigungsstellen, die durch die Mit- gliedstaaten einzurichten oder anzuerkennen sind, regu- lieren für die zögerliche Versicherung den Schaden; darü- ber hinaus sollen durch die Leistungen dieser Entschädigungsstellen in weiteren Fällen Härten für Ge- schädigte vermieden werden. So zahlt die Entschädi- gungsstelle auch dann, wenn beispielsweise das Schädi- gerfahrzeug nicht versichert war. Diese Vorgaben der Richtlinie setzt der Gesetzentwurf in nationales Recht um. Die Aufgaben der Auskunftsstelle wird der Zentralruf der Autoversicherer übernehmen, eine Einrichtung, die sich in vergleichbaren, rein nationalen Angelegenheiten bereits seit Jahrzehnten bewährt hat. An dieser Stelle danke ich den Verantwortlichen des Zentralrufs, die sich ohne jedes Zögern bereit erklärt haben, diese Aufgabe zu übernehmen. Dies bedeutet, dass zur Erledigung öffentli- cher Aufgaben auf zuverlässige Strukturen der Privatwirt- schaft zurückgegriffen werden kann. Gleiches gilt auch für die Anerkennung der Entschädi- gungsstelle, deren Aufgaben in Deutschland die Ver- kehrsopferhilfe e.V. erledigen wird. Auch diese Institution ist dem deutschen Autofahrer seit Jahrzehnten gut be- kannt. An dieser Stelle ist ebenfalls den Verantwortlichen für Ihre uneingeschränkte Bereitschaft zur Übernahme öf- fentlicher Aufgaben zu danken. In Umsetzung der Richtlinie werden weiterhin die deutschen Versicherungen verpflichtet, in jedem Mit- gliedstaat der Europäischen Union einen Schadenregulie- rungsbeauftragten zu benennen. Die deutschen Versiche- rer haben bereits bekundet, dass sie dieser Verpflichtung ohne große Schwierigkeiten werden nachkommen kön- nen. Schließlich wurde bei dem Gesetzentwurf auch an die Umsetzung der Schadenregulierungsfrist gedacht. Diese Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 237. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Mai 200223776 (C) (D) (A) (B) soll zukünftig auch für reine Inlandsfälle gelten. Dabei wurde darauf geachtet, dass nicht etwa der unerwünschte Effekt eintritt, dass Versicherungsunternehmen diese Frist von drei Monaten auch in jedem Falle ausschöpfen: Dies würde in unproblematischen Fällen, die bisher in Deutschland in kürzerer Zeit reguliert wurden, zu einer Verlängerung der Regulierungsdauer führen. Deshalb werden die Versicherungen zur unverzüglichen Bearbei- tung verpflichtet, wobei die absolute Grenze der Bearbei- tungsdauer bei drei Monaten liegt. Das Gesetz zur Änderung des Pflichtversicherungsge- setzes und anderer versicherungsrechtlicher Vorschriften wird die Schadenregulierung nach einem Unfall im Aus- land also deutlich erleichtern. Vielen Dank. Anlage 12 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Strafprozessordnung – Entwurf eines Gesetzes zur Regelung der Zuständigkeit für die Anordnung einer DNA- Untersuchung bei Spuren (Tagesordnungs- punkt 35) Dr. Jürgen Meyer (Ulm) (SPD): Die genetische Untersuchung von aufgefundenem Spurenmaterial nach § 81 e Abs. 2 StPO hat sich als wertvolles und hilfreiches Instrument bei der Überführung von Straftätern erwiesen. Die Unentbehrlichkeit dieser Maßnahme für eine effek- tive Verbrechensbekämpfung ist unbestritten. Gleichwohl verlangt die Einzigartigkeit der Analysemethode einen verantwortlichen Umgang mit den auf diese Weise ge- wonnenen Erkenntnissen. Der Gesetzgeber hat daher – zu Recht – die Zulässigkeit einer molekulargenetischen Un- tersuchung an enge Voraussetzungen geknüpft und die Anordnung der Untersuchung einem uneingeschränkten Richtervorbehalt unterworfen. Die Notwendigkeit eines solchen wurde im Anschluss an eine in der Literatur ver- tretene Auffassung verschiedentlich bezweifelt und hat mittlerweile zu einer uneinheitlichen landgerichtlichen Rechtsprechung geführt. Bereits in der ersten Lesung des heute zu beratenden Gesetzentwurfes des Bundesrates am 5. Juli 2001 habe ich auf die Unverzichtbarkeit der richterlichen Anordnungs- befugnis für Spurenmaterial, gleich welchen Ursprungs, hingewiesen. Lassen Sie mich auf die Überlegungen noch einmal im Einzelnen eingehen. Jeder Umgang mit personenbezogenen Daten berührt das Grundrecht auf „informationelle Selbstbestimmung“, wonach jeder berechtigt ist, grundsätzlich selbst zu ent- scheiden, wann und innerhalb welcher Grenzen persönli- che Lebenssachverhalte offenbart werden. Eine geneti- sche Untersuchung erfolgt durch Feststellung des für jede Person spezifischen DNA-Identifizierungsmusters, wel- ches für jeden Menschen so individualcharakteristisch ist wie sein Fingerabdruck. Sie eröffnet den Zugang zu einer Fülle bisher unbekannter, nicht nachweisbarer, perso- nenspezifischer Informationen. Der Einsatz solcher Untersuchungen im Strafverfahren kann deshalb zu empfindlichen, den Kern der Persönlich- keit berührenden Eingriffen führen. Dies hat den Gesetz- geber bereits bei Einführung der DNA-Analyse durch das StVÄG 1997 dazu veranlasst, die gentechnische Untersu- chung von Probenmaterial in jedem Fall von einer vorhe- rigen richterlichen Anordnung abhängig zu machen (Bun- destagsdrucksache 13/667). Er trug dabei auch den in der Bevölkerung verbreiteten Ängsten und Vorbehalten ge- genüber der Gentechnik im Allgemeinen Rechnung. Hinzu kommt, dass durch die nicht absehbare wissen- schaftliche Entwicklung in der Gentechnik zunehmend neue Gefährdungslagen entstehen, die zum Beispiel die Konferenz der Datenschutzbeauftragten wie folgt konkre- tisiert hat – ich zitiere –: Die Gefahr, dass eines nicht allzu fernen Tages die DNA-Analyse nicht mehr allein zur Identitätsfest- stellung, sondern darüber hinaus zur Entschlüsse- lung aller möglichen Erbveranlagungen und Dispo- sitionen dienen könnte ... ist angesichts des bio- und gentechnischen Fortschritts nicht völlig von der Hand zu weisen. Die Gründe, die den Gesetzgeber dazu bewogen haben, die Regelung der DNA-Analyse einem umfassenden Richtervorbehalt zu unterstellen, haben deshalb nichts an Aktualität verloren. Daher kann auch dem Bundesratsvorschlag, anonyme Spuren im Sinne von § 81 e Abs. 2 StPO vom Richtervor- behalt auszunehmen, nicht zugestimmt werden. Auch hier muss es bei der alleinigen Anordnungsbefugnis des Rich- ters verbleiben. Die Ansicht, die in diesen Fällen davon ausgeht, dass ohne konkrete Tatverdächtige auch kein Eingriff in subjektive Rechte vorliegen könne, verkennt, dass das Ziel einer Untersuchung ebendieser Spuren ge- rade darin besteht, anhand des Ergebnisses einen Ab- gleich mit schon vorhandenen oder noch zu gewinnenden DNA-Identifizierungsmustern bekannter Personen vorzu- nehmen und so die Anonymität des Spurenverursachers aufzuheben. In vielen Verfahren ist ein konkreter Be- schuldigter zunächst gar nicht vorhanden und kann erst auf diese Weise ermittelt werden. Die oben genannte Auf- fassung würde hierbei den Richtervorbehalt weitgehend gegenstandslos machen. Darüber hinaus können von einer Maßnahme nach § 81 e Abs. 2 StPO grundsätzlich auch völlig Unschuldige, deren Proben – aus welchen Gründen auch immer – im Umfeld einer Straftat aufgefunden werden, betroffen sein. Dass diese Spuren zunächst keiner bestimmten Person zu- gewiesen werden können, vermindert selbstverständlich nicht ihre Schutzbedürftigkeit – im Gegenteil! Gerade der Umstand, dass der Spurenleger von der Untersuchung sei- nes Spurenmaterials und der Speicherung seines DNA-Identifizierungsmusters jedenfalls zunächst keine Kenntnis hat, spricht für eine Prüfung der Anordnungs- voraussetzungen durch den Richter. Ohne richterliche Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 237. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Mai 2002 23777 (C) (D) (A) (B) Anordnung ist im Übrigen auch die notwendige Speiche- rung der Daten gesetzlich ausgeschlossen. Die vom Bundesrat vorgeschlagene Absenkung des Schutzniveaus durch Verzicht auf den Richtervorbehalt hätte die falsche Signalwirkung. Kann etwa bei potenziell Unschuldigen und Unbeteiligten auf die für potenziell Tatbeteiligte geltenden rechtsstaatlichen Kontrollen ver- zichtet werden? Das kann nicht richtig sein und würde der Grundrechtsrelevanz des Eingriffs nicht gerecht. Diese gebietet es, bereits die Voraussetzung eines späteren Da- tenabgleichs, das heißt die Untersuchung genetischen Materials, einheitlich an strenge, kontrollierbare Voraus- setzungen zu binden. Der vorliegende Gesetzentwurf der Bundesregierung wird dies durch eine Präzisierung von § 81 f Abs. 1 StPO klarstellen. Wir beraten heute auch den Vorschlag zur Einführung eines § 100 i StPO, der die Ausdehnung der Überwachung der Telekommunikation auf Mobiltelefone zum Gegen- stand hat. Wir begrüßen das Vorhaben der Bundesregie- rung, die Lücke zu schließen, die sich bei der Strafverfol- gung durch den zunehmenden Einsatz von Mobiltelefonen durch Straftäter aufgetan hat. Das geschieht durch den Einsatz des so genannten „IMSI-Catchers“, mit dessen Hilfe die erforderlichen Kennungen eines Mobilfunkan- schlusses sowie der Standort eines Mobiltelefons ermittelt werden können. Ronald Pofalla (CDU/CSU): Wieder einmal klaffen Anspruch und Wirklichkeit bei dieser Bundesregierung auseinander. Vor allem bei den Themen „innere Sicher- heit“ und „Kriminalitätsbekämpfung“ wird deutlich, dass zwar viel davon gesprochen wird, doch dass tatsächlich noch immer nach den alten Rezepten der 70er-Jahre geköchelt wird. Das Süppchen, das dabei entsteht, hat den faden Beigeschmack eines utopistischen Weltbildes. Noch immer wird der Opferschutz vernachlässigt und die öffentliche Sicherheit durch übertriebene Großzügig- keit gegenüber hartgesottenen Wiederholungstätern ge- fährdet. Der Bundeskanzler ritt zwar auf der medienwirk- samen Welle der Entrüstung, als er angesichts entsetzlicher Wiederholungstaten von Sexualverbrechern ein „Wegschließen, aber für immer!“ forderte, doch pas- siert ist seitdem gar nichts. Nur halbherzige Maßnahmen werden ergriffen, um die Möglichkeiten der Ermittlungs- behörden zur Bekämpfung der Schwer- und Schwerstkri- minalität zu verbessern. Ein Beispiel für solch einen halbherzigen Versuch ist der hier vorliegende Gesetzentwurf der Bundesregierung. Wieder einmal werden hier derartig hohe Hürden bei zwei sehr wichtigen Maßnahmen der Täterermittlung errichtet, dass ihre sinnvolle Nutzung gefährdet erscheint. Zum einen geht es um die Sammlung und Untersu- chung von anonymen DNA-Spuren am Tatort, zum ande- ren um die Erfassung des Standortes von tatverdächtigen Mobiltelefonnutzern mittels des so genannten „IMSI-Cat- chers“. Für beide Maßnahmen wird im Gesetzentwurf der Regierung eine komplizierte – und bürokratische – Hin- dernisbahn errichtet. Begründet werden diese unnötigen Verkomplizierungen mit dem Schutz der Verdächtigen aufgrund der Beeinträchtigung der Grundrechte. Hier wird den Ermittlungsbehörden schlichtweg nicht getraut. Einige Sozialdemokraten und viele Bündnisgrüne riechen hier schon den Missbrauch staatlicher Macht. Doch diese Einstellung geht fehl. Zum einen taugen die hier zur Debatte stehenden Regelungen so gar nicht, um mit dem Grundrechtsschutz derer zu argumentieren, die durch die in dem Gesetzentwurf vorgesehenen Maßnah- men möglicherweise beeinträchtigt werden. Zum anderen ist das Missbrauchspotenzial gering. Sehen wir sie uns doch einmal an: Da ist die DNA-Spur am Tatort, sagen wir einmal Haare bei einem Opfer einer schweren Körperverletzung. Die Spuren sind noch keiner konkreten Person zugeordnet. Nun soll also das Recht des möglicherweise durch diese Spur in Verdacht geratenen davor stehen, diese Spur ohne richterlichen Beschluss zu untersuchen? Das ist doch eher weltfremd. Es wird ein ganz und gar unnötiger Vollzugsaufwand betrieben, der unter Umständen aufgrund des damit verbundenen Zeit- ablaufs dem Täter, in dem von mir gebildeten Fall einem Gewaltverbrecher, zugute kommt. Das Recht auf infor- mationelle Selbstbestimmung, welches hier durch die vorherige Prüfung der Anordnung durch den Richter ge- wahrt werden soll, erfährt letztlich keine Verbesserung. Ebenso verhält es sich mit der Regelung zu dem „IMSI-Catcher“. Wer ist denn das Ziel telefonischer Ab- hör- und Ortungsmaßnahmen? In der Regel sind es Schwerkriminelle, zu deren „harmlosesten“ Verbrechen Menschenhandel, Drogen- schmuggel und Geldwäsche gehören. Hierfür kompli- zierte Regelungen zu finden, um dem Datenschutz Genüge zu leisten, halte ich für falsch. Zudem ist die Or- tung eines Tatverdächtigen mittels seines Mobiltelefons ein für die Betroffenen weit geringerer Eingriff in die Grundrechte als beispielsweise das inhaltliche Abhören von Telefongesprächen. Auch deshalb schon erscheinen die Restriktionen des Regierungsgesetzentwurfes, der an die strikten Regelungen des § 100 a StPO bei Telefonab- hörmaßnahmen anknüpft, übertrieben. Beide Instrumente können vielmehr ohne Bedenken den Ermittlungsbehörden und ohne die Einschränkung des hierfür nach dem Gesetzentwurf der Bundesregierung notwendigen richterlichen Beschlusses an die Hand gege- ben werden. Insoweit unterstützt die CDU/CSU-Bundes- tagsfraktion den Gesetzentwurf des Bundestages, der hin- sichtlich der DNA-Spuren eine einfache, praktikable und grundgesetzkonforme Lösung darstellt. Hier ist eine ge- setzliche Klarstellung dahin gehend vorgesehen, dass eine richterliche Anordnung nicht bei der Untersuchung ver- dächtiger, am Tatort vorgefundener anonymer DNA-Spu- ren notwendig ist, sondern erst dann, wenn der Untersu- chungsgegenstand einem Grundrechtsträger zugeordnet werden kann. Was den Einsatz von „IMSI-Catchern“ angeht, ver- weise ich auf den durch unsere Fraktion vorgelegten An- trag, in dem ebenfalls eine gestraffte Regelung den Ein- satz dieser Messtechnik ohne bürokratische Hürden vorsieht. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 237. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Mai 200223778 (C) (D) (A) (B) Die von der Regierung vorgesehene Anlehnung an den Straftatenkatalog des § 100 a StPO ist unnötig und wird daher in dem Antrag der CDU/CSU-Bundestagsfraktion abgelehnt. Noch einmal: Die mögliche Nutzung von Verbin- dungs- und Standortdaten ist mit einem deutlich geringe- ren Eingriff in das Fernmeldegeheimnis verbunden als die Überwachung und Aufzeichnung des Inhalts der Tele- kommunikation nach § 100 a StPO. Eine weitere Verbesserungsnotwendigkeit bei dem Ge- setzentwurf der Regierung besteht darin, die Standortken- nung auch dann vornehmen zu können, wenn kein Fern- gespräch geführt wird. Es besteht kein ersichtlicher Anlass, insoweit auch die strengen Voraussetzungen des § 100 a StPO vorzusehen. Parallelregelungen zugunsten der Nachrichtendienste in den einschlägigen Gesetzen kennen diese Einschränkung ebenfalls nicht. Es ist nicht einzusehen, warum hier zwischen den Befugnisnormen der Dienste und den Regelungen in der Strafprozessord- nung ein Unterschied bestehen sollte. Ich möchte die Kollegen von der Regierungskoalition auffordern, sich diesen Argumenten nicht zu ver- schließen. Es ist im Bereich der Kriminalitätsbekämpfung nun endgültig Zeit, die ideologischen Scheuklappen ab- zulegen. Unsere Bürgerinnen und Bürger haben den bestmögli- chen Schutz vor Verbrechen verdient, was auch eine kon- sequente Verbrechensverfolgung beinhaltet. Ich fordere Sie daher auf, den Bundesratsentwurf und den Antrag der CDU/CSU-Bundestagsfraktion zu beschließen, um eine sinnvolle und effektive Verbrechensbekämpfung und Strafverfolgung zu ermöglichen. Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Mit dem rot-grünen Gesetzentwurf präzisieren wir in rechtsstaatlich gebotener Weise die gesetzlichen Bestim- mungen im Bereich der DNA-Analyse. Wir stellen das klar, was vom Gesetzgeber ursprünglich auch im DNA- Identitätsfeststellungsgesetz gewollt war, nämlich dass in jedem Fall die gentechnische Untersuchung von Proben- material von einer vorherigen richterlichen Anordnung abhängig ist. Damit werden vom Gesetzgeber die Gren- zen gewährleistet, in denen der Einsatz moderner Technik und naturwissenschaftlicher Neuerungen rechtsstaatlich unbedenklich sind. Klare Verfahrensregelungen sind hier vor allem deshalb erforderlich, weil der Einsatz solcher Untersuchungen im Strafverfahren zu empfindlichen, den Kern der Persönlichkeit berührenden Eingriffen führt. Dieser Gesetzentwurf zielt nicht nur auf mehr Rechts- staatlichkeit ab, sondern auch auf eine effektivere Straf- verfolgung. Denn mit dem Entwurf wollen wir vermei- den, dass in den Beständen der beim Bundeskriminalamt geführten DNA-Analysedatei Lücken entstehen. Diese Lücken waren ja entstanden, weil sich diverse Land- gerichte geweigert hatten, die zur Speicherung beim BKA notwendige richterliche Anordnung zu treffen. Dem Bundesrat ging es darum, diese gesetzwidrige Praxis einiger Landgerichte zu legitimieren. Die Koali- tion hat diesem Ansinnen eine klare Absage erteilt. Auch DNA-Identifizierungsmuster, die nach § 81 e Abs. 2 StPO erstellt werden, dienen dazu, die Personalien des Spuren- verursachers anschließend zu ermitteln. Es handelt sich damit um hochsensible Daten. Ihre Erstellung bewirkt auch dann einen Eingriff in das Persönlichkeitsrecht, wenn der Betroffene noch nicht namentlich bekannt ist. Die Beibehaltung des Richtervorbehaltes in diesem Be- reich ist deshalb auch verfassungsrechtlich geboten. Beim so genannten Imsi-Catchers haben wir nunmehr mit § 100 i StPO eine rechtliche Grundlage geschaffen, die klar umrissen ist und ebenfalls eindeutige rechtsstaat- liche Grenzen setzt. Es bleibt jetzt zu hoffen, dass wir sehr bald auch beim § 100 a StPO, also dem im Vergleich zum Imsi-Catcher wesentlich schwereren Eingriff, zu einer Reform kom- men, die das Abhören in Deutschland auf das notwendige Mindestmaß begrenzt. Jörg van Essen (FDP): Die FDP unterstützt den Ge- setzentwurf der Bundesregierung. Auch wir sind der Mei- nung, dass es unbedingt einer richterlichen Anordnung bedarf. So hat sich auch die große Mehrzahl der Sachver- ständigen in der Anhörung geäußert. Eine gesetzliche Klarstellung zur Anordnung von DNA-Analysen von Spuren ist notwendig. Dies zeigt die unterschiedliche Rechtsprechung der Gerichte. Wir befinden uns hier in ei- ner rechtlichen Grauzone. Es ist ein Skandal, dass auf- grund dessen in einigen Bezirken keine Speicherung in der DNA-Analyse-Datei möglich ist. Dies ist in einem so grundrechtssensiblen Bereich nicht länger hinnehmbar. Eine Anordnung durch die Staatsanwaltschaft oder ihre Hilfsbeamte, so wie es der Gesetzentwurf des Bundesra- tes vorsieht, lehnen wir ab. Die Möglichkeiten, aus Gen- material vielfältige höchstpersönliche und intime Er- kenntnisse über die Persönlichkeit des Täters zu gewinnen, erweckt beim Bürger Bedenken über drohende Eingriffe in die eigenen Persönlichkeitsrechte. Für den Gesetzgeber war in der 13. Wahlperiode daher völlig klar, dass die Verwendung des genetischen Fingerabdrucks nur unter engen rechtsstaatlichen Voraussetzungen möglich ist. Dies hat das Bundesverfassungsgericht im Jahre 2001 nochmals bestätigt. Der Richtervorbehalt ist eine solche Sicherungsmaßnahme, die wesentlich dazu beiträgt, dass dem Bürger die Ängste vor derartigen Genanalysen ge- nommen werden. Die Forderung, dass Hilfsbeamte der Staatsanwalt- schaft eine DNA-Analyse von Spuren anordnen können, ist völlig inakzeptabel und würde zu Ängsten in der Be- völkerung führen. Die Behauptung, bei Spurenauswer- tungen liege ein Grundrechtseingriff nicht vor, da sich die Spuren vom Spurenverursacher „gelöst“ haben, verkennt, dass es sich schon bei dem DNA-Identifizierungsmuster selbst um ein personenbezogenes Datum handelt, das in aller Regel nur einer Person zuzuordnen ist. Wir begrüßen auch, dass die Bundesregierung endlich einen Gesetzentwurf zur Überwachung von Handys vor- gelegt hat. Es wurde höchste Zeit, dass wir hier klare rechtstaatliche Verhältnisse bekommen. Der jetzige Zu- stand, dass gewohnheitsmäßig mit dem rechtfertigenden Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 237. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Mai 2002 23779 (C) (D) (A) (B) Notstand gearbeitet wird, ist unhaltbar. Sowohl die Da- tenschützer als auch die Strafverfolger und die Netzbe- treiber haben wiederholt darauf hingewiesen, dass die Si- tuation unbefriedigend ist. Der Bereich des Mobilfunks hat sich in den letzten Jahren rasant weiterentwickelt. Deshalb müssen die gesetzlichen Vorschriften dringend angepasst werden. Gerade wegen der Schwere des Grund- rechtseingriffs ist eine klare gesetzliche Grundlage drin- gend geboten. Ulla Jelpke (PDS): Die Feststellung, Speicherung und Verwendung des DNA-Identifizierungsmusters greift in das durch Art. 2 des Grundgesetzes verbürgte Recht auf infor- mationelle Selbstbestimmung ein. Dieses Recht gewährleistet die aus dem Gedanken der Selbst- bestimmung folgende Befugnis des Einzelnen, grundsätzlich selbst zu entscheiden, wann und inner- halb welcher Grenzen persönliche Lebenssachver- halte offenbart werden. Diese Verbürgung darf nur in überwiegendem Interesse der Allgemeinheit und un- ter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßig- keit durch Gesetz eingeschränkt werden. Die Ein- schränkung darf nicht weitergehen, als es zum Schutz des öffentlichen Interesses unerlässlich ist. Das ist ein Zitat aus einem Urteil des Bundesverfas- sungsgerichts vom 15. März letzten Jahres zum Thema DNA-Speicherung. Es ist offensichtlich erforderlich, auf diese verfassungsrechtlichen Schranken hinzuweisen, wenn ich die Debatte über DNA-Analysen hier wieder höre. Die CDU/CSU will mit ihrem Antrag ermöglichen, dass künftig auch ohne gerichtliche Anordnung DNA- Spuren erfasst und gespeichert werden können. In der An- hörung, die der Rechtsausschuss zu diesem Thema veran- staltet hat, ist zu Recht auf die Folgen einer solchen Änderung hingewiesen worden. Ich zitiere: Eine ohne richterliche Anordnung erfolgte moleku- largenetische Untersuchung .... würde in der Praxis dazu führen, dass unter Umständen in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung einer Vielzahl von Personen eingegriffen werden würde, ohne dass dieser Grundrechtseingriff aufgrund einer richter- lichen Anordnung erfolgt wäre. Dem ist nichts hinzuzufügen. Ein solcher Umgang mit Grundrechten ist nicht akzeptabel. Ich sehen auch keinen Bedarf zu der von der Regierung vorgeschlagenen Ände- rung. Die Fälle, in denen Gerichte keinen Grund für eine richterliche Anordnung der Speicherung von DNA-Daten unbekannter Täter gesehen haben, sind so selten, dass eine Änderung des Gesetzes nicht erforderlich ist. Auch die vorgesehene Änderung von § 100 der Strafprozessord- nung zur Erleichterung des Einsatzes von so genannten IMSI-Catchern lehnen wir ab. Der Datenschutzbeauf- tragte des Bundes hat in der schon erwähnten Anhörung klar gemacht, dass durch die geplanten Einsatzmöglich- keiten für den IMSI-Catcher zum Beobachten von Ver- dächtigen, die ein Handy haben, immer auch Unbeteiligte betroffen sind. Außerdem kann der Einsatz dieses Geräts zu Störungen in den Netzen der Telekommunikationsun- ternehmen führen. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie hat deshalb eine Untersuchung in Auf- trag gegeben, um das Ausmaß solcher Störungen festzu- stellen. Diese Studie soll Ende Juni vorliegen. Die Regie- rungsparteien und die CDU/CSU wollen noch nicht einmal die Ergebnisse dieser Studie abwarten. Die Union will den Catcher sogar noch weiter einsetzbar machen. Dafür gibt es keinen vernünftigen Grund. Selbst der Bundesgrenzschutz, der den Catcher schon benutzt, hat berichtet, dass dieses Gerät seit 1998, also in über drei Jahren, nur 34 Mal zum Einsatz gekommen ist. So unerhört wichtig für die Kriminalitätsbekämpfung, wie manchmal getan wird, ist der Catcher also offensicht- lich nicht. Umso wichtiger ist es, die Grundrechte Unbeteiligter zu schützen und Studien zu technischen Problemen erst einmal abzuwarten. Dr. Eckhart Pick (Parl. Staatssekretär bei der Bun- desministerin der Justiz):Der Gesetzentwurf der Bundes- regierung verfolgt das Ziel, Lücken in den Beständen der beim Bundeskriminalamt geführten DNA-Analyse-Datei zu vermeiden. Diese Lücken drohen, weil einige wenige Gerichte die vom Gesetzgeber ausdrücklich und eindeu- tig gewollte richterliche Anordnung der Untersuchung auch von Spurenmaterial nicht treffen. Die Gerichte begründen dies mit dem Fehlen eines aktuellen Eingriffs. Nach dem Gesetz kann aber nur das Ergebnis einer rich- terlich angeordneten Analyse in die DNA-Datei einge- stellt werden. Die DNA-Analyse hat sich – wie Fälle in jüngster Ver- gangenheit belegen – als außerordentlich wirkungsvolles Instrument zur Aufklärung von Straftaten erwiesen. Bund und Länder sind sich deshalb einig, dass Lücken im Datenbestand der DNA-Datei und hieraus resultierende Ermittlungsdefizite in jedem Fall vermieden werden müs- sen. Der Bundesrat hat beschlossen, diesem Dilemma da- durch Rechnung zu tragen, dass die Fälle der Untersu- chung von Spurenmaterial aus dem Richtervorbehalt herausgenommen und Anordnungen der Untersuchung durch Staatsanwaltschaften oder ihre Hilfsbeamten zuge- lassen werden. Dies halte ich aus mehreren Gründen für den falschen Weg: Zunächst beanspruchen die Gründe, die den Gesetzge- ber im Jahre 1997 dazu bewogen haben, die Anordnung der Untersuchung auch von Spurenmaterial ausschließ- lich dem Richter vorzubehalten, nach meiner Überzeu- gung nach wie vor Geltung. Es ging und geht darum, auch durch klare Verfahrensregelungen die Grenzen zu ge- währleisten, in denen der Einsatz moderner Technik und naturwissenschaftlicher Neuerungen rechtsstaatlich un- bedenklich ist. Immerhin führt der Einsatz solcher Unter- suchungen im Strafverfahren zu empfindlichen, den Kern der Persönlichkeit berührenden Eingriffen. Mich überzeugt die Begründung des Bundesratsbe- schlusses keinesfalls, in der von „unnötigem Vollzugsauf- wand“ durch den Richtervorbehalt die Rede ist. Das DNA-Identifizierungsmuster berührt nämlich auch dann Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 237. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Mai 200223780 (C) (D) (A) (B) das informationelle Selbstbestimmungsrecht in einem höchst sensiblen Bereich, wenn es noch nicht mit den Per- sonalien des Spurenverursachers verbunden ist. Die An- ordnung der molekulargenetischen Untersuchung der Spur hat doch gerade das Ziel, durch Vergleich mit ande- ren Identifizierungsmustern die Identität des Spurenver- ursachers zu ermitteln. Eine rein formale Betrachtungs- weise, die allein darauf abstellt, dass eine Zuordnung noch nicht möglich ist, wird der Grundrechtssensibilität von molekulargenetischen Untersuchungen nicht gerecht. Auch gebietet es die heute noch nicht absehbare Ent- wicklung der Gentechnik, Auswirkungen auf das Recht auf informationelle Selbstbestimmung durch den Richter- vorbehalt Rechnung zu tragen. Aus all diesen Gründen halte ich nach wie vor den von der Bundesregierung vorgelegten Gesetzentwurf, der die Anordnung der DNA-Untersuchung von Spurenmaterial dem Richter vorbehält, für die richtige Lösung und sehe mich darin auch durch die Ergebnisse der Sachverständi- genanhörung vom 24. April 2002 bestätigt. Die über den Gesetzentwurf der Bundesregierung hin- ausgehenden Vorschläge des Rechtsausschusses begrüße ich außerordentlich. Insbesondere der Einsatz des so ge- nannten IMSI-Catchers, der bislang auf die §§ 100 a ff., 161 StPO gestützt werden musste, hat sich als notwendig zur Bekämpfung gerade schwerster Straftaten erwiesen. Mit Hilfe dieses Geräts kann es den Strafverfolgungs- behörden gelingen, Lücken bei der Überwachung der Te- lekommunikation von Straftätern zu schließen, weil von ihnen genutzte, bislang Staatsanwaltschaft und Polizei je- doch unbekannte Mobilfunkanschlüsse ermittelt werden können. Daneben kann der IMSI-Catcher die erfolgreiche Festnahme von Tätern unterstützten, in dem er den Stand- ort eines vom Beschuldigten mitgeführten Mobiltelefons bestimmt. Damit trägt er übrigens auch dazu bei, das Ri- siko des Zugriffs für die eingesetzten Polizeibeamten zu vermindern. Allerdings greift der IMSI-Catcher bei jeder Nutzung, wenn auch nur geringfügig, in Rechte Dritter ein. So kön- nen im Einsatzbereich des Geräts Mobiltelefone für meh- rere Sekunden nicht benutzt werden. Gleichzeitig werden bei der Suche nach den dem Handy des Straftäters zuzu- ordnenden Geräte- und Kartennummern auch die entspre- chenden Daten völlig unverdächtiger Bürger erhoben und verarbeitet. Vor diesem Hintergrund erscheint aus Gründen der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit eine ausdrückliche Rechtsgrundlage sachgerecht. Ich bin der Auffassung, dass der ihnen vorliegende neue § 100 i StPO einen ge- lungen Ausgleich zwischen den Belangen wirksamer Strafverfolgung einerseits sowie den Rechten der Bürger andererseits schafft. In diesem Zusammenhang möchte ich kurz einige Punkte hervorheben: Der IMSI-Catcher soll alleine zum Zwecke der Fest- nahme beziehungsweise Ergreifung eines Straftäters oder zur Vorbereitung einer Telefonüberwachung eingesetzt werden dürfen. Diese Zweckbindung ist sachgerecht. Eine Analyse der bisherigen Einsätzen des IMSI-Catchers ergibt, dass das Gerät aufgrund seiner technischen Wir- kungsweise gerade in den bezeichneten Fällen die ge- wünschten Erfolge erzielen konnte. Wird der IMSI-Catcher zur Festnahme eines Beschul- digten eingesetzt, soll die Nutzung des Geräts auf Straf- taten von erheblicher Bedeutung beschränkt bleiben. So- weit eine Telefonüberwachung vorbereitet werden soll, muss Gegenstand der Ermittlungen eine Katalogtat nach § 100 a Satz 1 StPO sein. Ich begrüße es ausdrücklich, dass die Verwendung und Löschung von im Rahmen der Maßnahme aus techni- schen Gründen unvermeidbar anfallenden personenbezo- genen Daten unbeteiligter Dritter eine datenschutz- freundliche Regelung gefunden hat. Es ist sachgerecht, den Einsatz des IMSI-Catchers auf- grund der mit ihm verbundenen Eingriffe in Rechte Drit- ter grundsätzlich unter Richtervorbehalt zu stellen. Eilfäl- len wird dadurch Rechnung getragen, dass bei Gefahr im Verzug auch die Staatsanwaltschaft die Maßnahme an- ordnen darf. Im Zusammenhang mit der Abschöpfung der Gewinne aus Straftaten meine ich schließlich, dass die Vollziehung des Arrestes in bewegliche Sachen ausdrücklich auch der Staatsanwaltschaft und ihren Hilfsbeamten ermöglicht werden sollte. Anlage 13 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Ökologisch-sozialen Ausbau der regionalen Infrastruktur mit einer Verstetigung von Beschäftigung verbinden (Ta- gesordnungspunkt 36) Wolfgang Weiermann (SPD): Der vorliegende An- trag geht davon aus, dass es in den strukturschwachen Re- gionen Deutschlands, insbesondere aber in den ostdeut- schen, erhebliche Defizite in der Entwicklung der Infrastruktur gibt. Diese habe bisher weder in der Folge des Einsatzes steuerlicher Förderungsmodelle noch der bekannten Bund-Länder-Gemeinschaftsaufgaben dazu geführt, den westdeutschen Standard zu erreichen. Der Rückgang der Massenarbeitslosigkeit sei dadurch auch nicht erreicht worden. Insbesondere wird die Gemeinschaftsaufgabe zur Ver- besserung der regionalen Wirtschaftsstruktur als unspezi- fische Förderung von Unternehmen kritisiert. Die ge- wünschten Effekte seien nicht nachweisbar. Darüber hinaus sei das finanzpolitische Gleichgewicht zwischen Bund und Ländern sowie den Ländern und Kommunen gestört. Insgesamt sei trotz eines erheblichen Mitteleinsatzes keine nennenswerte Angleichung der wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse zwischen den Regionen eingetreten, und nur ansatzweise habe die Bun- desregierung in den GA-Rahmenplänen mit der Ein- führung von Elementen zur Stärkung der Regionalent- wicklung begonnen, deren Mittel jedoch zugunsten einer neoliberalen Standortorientierung heruntergefahren. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 237. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Mai 2002 23781 (C) (D) (A) (B) Eine derartige fundamentale und unsinnige Kritik an dem wirksamsten Instrumentarium zur Entwicklung strukturschwacher Regionen, insbesondere der ostdeut- schen, die darüber hinaus sogar den Koordinierungs- mechanismus zwischen dem Bund und den Ländern für die Gemeinschaftsaufgabe zur Verbesserung der regiona- len Wirtschaftsstrukturen bewusst verkennt, sollte eigent- lich selbst in der PDS-Fraktion längst besseren Einsichten gewichen sein, zumal Ihre Parteikollegen in zwei ost- deutschen Bundesländern wirtschaftspolitische Verant- wortung für die Regionalentwicklung tragen. Wir sollten hier demgegenüber festhalten, dass die Ge- meinschaftsaufgabe zur Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstrukturen gegenüber den anderen Gemein- schaftsaufgaben als ein effizientes, regelgebundenes För- dersystem klare Strukturen des Zusammenwirkens von Bund und Ländern entwickelt hat. Im Bund -Länder- Pla- nungsausschuss werden nicht nur die Rahmenpläne erar- beitet und verabschiedet, sondern auch alle Probleme im Zusammenwirken von Ländern mit Fördergebieten ver- nünftig geregelt. Die Rahmenpläne eröffnen auf diese Weise Möglich- keiten zur geförderten Entwicklung der wirtschaftsnahen Infrastruktur, von Qualifizierungsmaßnahmen und den Einsatz von Beauftragten für die Regionalentwicklung im Sinne eines Regionalmanagements. Ein unverzichtbares Ziel der GA ist und bleibt allerdings der so genannte Primäreffekt, also die Sicherung wettbewerbsfähiger Arbeitsplätze in der Folge von Investitionen in stabile Un- ternehmen. Die PDS folgert aus ihrer unzutreffenden Beurteilung der Gemeinschaftsaufgabe zur Verbesserung der regiona- len Wirtschaftsstrukturen, man müsse nun alle Gemein- schaftsaufgaben zu einer Gemeinschaftsaufgabe „Verbes- serung der regionalen Infrastruktur“ zusammenfassen, um damit ein zehnjähriges Investitionsprogramm zur so- zial – ökologischen Förderung der regionalen Infrastruk- tur in strukturschwachen Regionen zu begründen. Hier wird ein abenteuerlicher, planwirtschaftlicher An- satz verfolgt, der von ebensolchen finanz- und europa- politischen Vorstellungen begleitet wird. Dies kann nur abgelehnt werden. Uns allen, vor allem auch der PDS, sollte demgegen- über klar sein, dass diese gut organisierte Gemeinschafts- aufgabe zur Verbesserung der regionalen Wirtschafts- strukturen ein unverzichtbarer Ordnungsrahmen für die Regionalentwicklung ist, der in einem bundeseinheit- lichen Verfahren die Gleichbehandlung von Regionen si- chert und einen ungebremsten Subventionswettlauf der Länder um Ansiedlungen verhindert. Dies ist ein System- ansatz, der angesichts des eher zunehmenden regionalpo- litischen Handlungsbedarfs fortentwickelt werden muss. Auch die kommenden Jahre werden von einem ständi- gen Strukturwandel begleitet sein. Insbesondere die be- vorstehende Erweiterung der Europäischen Union wird in dieser Hinsicht eine besondere Herausforderung darstel- len. Mit dem Instrumentarium der GA ist es möglich, die raumwirksamen Politikbereiche des Bundes, wie Mittel- stands-, Forschungs-, Städtebau- und Arbeitsmarktpolitik projektbezogen zu koordinieren. Die daraus erwachsen- den Synergieeffekte führen zu Effizienzgewinnen und ei- ner dauerhaften Entwicklung in den Regionen. Es kommt angesichts heutigen und künftigen regional- politischen Handlungsbedarfs darauf an, angesichts der europäischen Entwicklung Spielräume für eine eigenstän- dige Regionalpolitik zu erhalten und zu erweitern. Dies heißt auch, dass sich die Europäische Kommission auf eine Missbrauchskontrolle im Beihilferecht zurückziehen sollte. Erfolgreich gelingen kann dies allerdings nur, wenn die Ministerpräsidenten der Länder ihre Position hinsichtlich der Gemeinschaftsaufgabe zur Verbesserung der regiona- len Wirtschaftsstrukturen zu deren mittelfristiger Ab- schaffung noch einmal überprüfen, wozu ich nur dringend raten kann. Im Kontrast dazu haben erst vor wenigen Tagen, näm- lich am 6. Mai, die Wirtschaftsminister des Bundes und der Länder im Planungsausschuss der GAbekräftigt, dass aus den auch hier genannten Gründen die Gemeinschafts- aufgabe zur Verbesserung der regionalen Wirtschafts- strukturen beibehalten werden sollte. Lassen Sie mich noch einen letzten Gesichtspunkt auf- greifen, der auch etwas mit den finanzpolitischen Vorstel- lungen der PDS zur strukturellen Entwicklung Ost- deutschlands im vorliegenden Antrag zu tun hat. Insbesondere die Antragsteller, die Damen und Herren von der Opposition insgesamt, haben wohl möglicher- weise wieder einmal ganz bewusst übersehen, dass es seit dem vergangenen Jahr einen Solidarpakt II gibt, der ein wesentliches Ergebnis unserer Regierungspolitik ist. Der Aufbau Ost bleibt vorrangige Aufgabe. Das zeigt ein Blick in den Haushalt 2002 eindeutig. Eine Arbeits- marktpolitik mit hohem Niveau wird fortgeführt. Die neuen Länder erhalten ab 2002 den Betrag von 3,4 Milli- arden Euro – nicht mehr wie bisher zweckgebunden für Investitionen, sondern gemäß ihrer Forderung frei ver- fügbar. Bei der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der re- gionalen Wirtschaftsstruktur“ ist eine Verpflichtungser- mächtigung auf dem Niveau des Vorjahres in Höhe von 781 Millionen Euro eingeplant. Insgesamt mit Länder- und EU-Mitteln ist der Bewil- ligungsrahmen rund 2,2 Milliarden Euro höher als 2001. Aufgestockt werden auch folgende Maßnahmen: Auf- stockung Goldener Plan Ost von 7,6 Millionen Euro auf 14,8 Millionen Euro, Programm Netzwerkmanagement für kleinere und mittlere Unternehmen mit 2,8 Millionen Euro, für Forschung und Entwicklung in den neuen Län- dern Aufstockung um 10 Millionen Euro. Damit darf ich dann abschließend daran erinnern, dass in einem Mittelrahmen von insgesamt 156,5 Milliarden Euro mit einer Perspektive bis zum Jahr 2020 der Anglei- chungsprozess der ostdeutschen Bundesländer fortgeführt werden wird. Damit sind die finanziellen Voraussetzungen gegeben, um die bekannten Defizite in der Infrastruktur als Entwicklungshemmnis zu beseitigen. Allerdings ist damit Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 237. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Mai 200223782 (C) (D) (A) (B) auch die Aufforderung an die ostdeutschen Landesregie- rungen verbunden, die zugewiesenen Mittel für die Öf- fentlichkeit nachvollziehbar zur Infrastrukturentwicklung einzusetzen. Den vorgelegten Antrag lehnen wir aus den erläuterten Gründen ab. Wolfgang Börnsen (Bönstrup) (CDU/CSU): „Irrtü- mer haben ihren Wert. Aber nur hie und da, denn nicht je- der, der nach Amerika fährt, entdeckt Amerika“ – so Erich Kästner. Der Kästner’sche Irrtum der PDS und der Bun- desregierung ist es zu glauben, durch ein regionalpoliti- sches 10-Jahres-Programm und eine Politik gegen den ökonomischen Sachverstand die großen Herausforderun- gen der strukturschwachen Regionen Deutschlands lösen zu können. Selbstverständlich spielen auch die nationalen Mittel der Gemeinschaftsaufgabe und die europäischen Gelder der Strukturfonds eine wichtige Rolle bei der Entwick- lung und Unterstützung der Regionen. Selbstverständlich muss beim Ausbau der regionalen Infrastruktur sowohl ökologischen als auch sozialen Belangen angemessen Rechnung getragen werden. Und selbstverständlich muss nicht nur die Regionalpolitik darauf abzielen, mehr Be- schäftigung zu schaffen. Vor allem aber mit Blick auf die EU-Osterweiterung und die wirtschaftspolitischen Re- formvorschläge nahezu aller anerkannten Ökonomen kann in den regionalen Förderprogrammen allein nicht der entscheidende Schlüssel zum Erfolg liegen. Vielmehr gilt auch hier: Wirtschaftspolitik muss man richtig ma- chen. Nur durch eine gute, umfassende, erfolgreiche und zielstrebige Wirtschafts-, Finanz- und Arbeitsmarktpoli- tik kann es gelingen, die gesamtwirtschaftlichen Rah- menbedingungen für Deutschland insgesamt wieder auf mehr Wachstum und Beschäftigung zu justieren. Davon profitieren dann auch die Regionen. Vor der Therapie aber steht die Diagnose. Deshalb ist zunächst eine ehrliche Bestandsaufnahme über den Zu- stand der „Deutschland AG“ erforderlich: Und die lautet: Der Patient ist krank. Deutschland ist beim Wirtschaftswachstum, bei der Überwindung der Arbeitslosigkeit und beim Abbau der Staatsverschuldung in 2001 und 2002 absolutes Schluss- licht unter allen 15 Mitgliedstaaten der EU. Das Wachstum war in 2001 mit 0,6 Prozent so gering wie seit fast zehn Jahren nicht. Für dieses Jahr geht der op- timistische Jahreswirtschaftsbericht des Bundesfinanzmi- nisters von 0,75 Prozent aus. Bei einer Beschäftigungs- schwelle von rund zwei Prozent bedeutet dies: Auch in diesem Jahr wird die Arbeitsmarktkrise nicht gelöst. Die saisonbereinigte Arbeitslosigkeit ist von Dezem- ber 2000 bis heute Monat für Monat gestiegen und wird auch im Jahresdurchschnitt kaum unter der Vier-Milli- onen-Grenze liegen. Den leichten Rückgang im März die- ses Jahres bezeichnet selbst der neue BA-Chef Gerster nicht als Trendwende. Aufgrund der Netto-Neuverschuldung von 2,7 Prozent im deutschen Gesamthaushalt 2001, hat die Europäische Kommission erstmalig das Frühwarnsystem gegen Deutschland in Gang gesetzt. Rund 32 300 Firmenpleiten hat das Statistische Bun- desamt im vergangenen Jahr gezählt. Mehr als je zuvor. Die Experten von Creditreform gehen von 40 000 Unter- nehmensinsolvenzen in diesem Jahr aus. Dies trifft die strukturschwachen Regionen besonders hart. Trotz Steuerreform: Die Steuerbelastung der Arbeit- nehmer und mittelständischen Unternehmen ist nicht ge- sunken. Für einen Durchschnittsverdiener gleicht die Steuersenkungsstufe 2001 nicht einmal die Mehrbelas- tungen durch Ökosteuer und Energiepreisanstieg aus. Für mittelständische Unternehmen wird die geringfügige Sen- kung des Spitzensteuersatzes durch Verschlechterungen an anderer Stelle, insbesondere durch die massive Ver- schlechterung der Abschreibungsbedingungen, erkauft. Die von der Bundesregierung fest angekündigte Sen- kung der Sozialversicherungsbeiträge unter 40 Prozent wurde nicht erreicht. Im Gegenteil: in allen Zweigen des sozialen Sicherungssystems laufen die Kosten aus dem Ruder. Die Summe der Sozialversicherungsbeiträge ist in 2002 trotz Ökosteuer fast genauso hoch wie in 1998. Wei- tere Beitragserhöhungen sind bei einer Fortsetzung der bisherigen Politik unausweichlich. Der Rentenversicherungsbeitrag wurde nicht wie an- gekündigt nachhaltig gesenkt. Dennoch haben Arbeitneh- mer und Betriebe infolge der Ökosteuer inzwischen Mehrbelastungen von insgesamt rund 17 Milliarden Euro jährlich zu tragen. Im laufenden Jahr konnte trotz der zum 1. Januar 2002 vorgenommenen weiteren Erhöhung der Ökosteuer eine Erhöhung des Rentenversicherungsbeitra- ges nur durch eine Verminderung der Schwankungsre- serve um 20 Prozent vermieden werden. In der gesetzlichen Krankenversicherung fehlen der Bundesregierung sowohl ein tragfähiges Konzept als auch die Bereitschaft, notwendige Reformen in Angriff zu nehmen. In der Folge steigen die Beiträge trotz Leis- tungsverschlechterungen auf breiter Front. Das Versprechen, die Lebensbedingungen in den neuen Ländern an die der alten Länder anzunähern, wurde nicht eingehalten. Seit dem Jahre 2000 fallen die neuen Länder sogar wieder zurück. Im Jahr 2000 machte die Wachs- tumsrate in Ostdeutschland nicht einmal ein Drittel der Wachstumsrate in Westdeutschland aus; in 2001 kam es dort sogar zu einer Schrumpfung des Bruttoinlandspro- dukts von minus 0,1 Prozent. Die Arbeitslosenquote ist in den neuen Bundesländern fast zweieinhalb mal so hoch wie in den alten Bundesländern. Ein wesentlicher Grund dafür ist die weiterhin bestehende Infrastrukturlücke in den neuen Bundesländern von rund 150 Milliarden Euro. Die Chancen personalintensiver Dienstleistungsbran- chen wie zum Beispiel der Tourismuswirtschaft, deren Arbeitsplätze an den Standort Deutschland gebunden sind und insbesondere den strukturschwachen Räumen zugute kommen können, sind nicht genutzt worden. Dies belegt: Die Bundesregierung hat wesentliche Ver- sprechungen ihres Regierungsprogramms von 1998, wie sie in der Koalitionsvereinbarung zwischen der SPD und Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 237. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Mai 2002 23783 (C) (D) (A) (B) Bündnis 90/Die Grünen vom 20. Oktober 1998 sowie in der ersten Regierungserklärung von Bundeskanzler Gerhard Schröder vom 10. November 1998 festgeschrie- ben worden sind, nicht eingelöst. Dabei hatte Bundes- kanzler Gerhard Schröder selbst angekündigt, sich an Er- folgen am Arbeitsmarkt messen zu lassen. Diese „Bestandsaufnahme Deutschland“ ist schlimm genug. Sie wäre aber erträglicher, wenn durch klare wirt- schafts- und arbeitsmarktpolitische Entscheidungen der Bundesregierung eine Hoffnung, eine Perspektive, zur Überwindung der Krise eröffnet werden würde. Das Ge- genteil ist leider der Fall: Trotz hoher Regulierungsdichte und gegen ökonomische Ratschläge hat Rot-Grün den Ar- beitsmarkt weiter bürokratisiert. Die Stichworte Schein- selbstständigkeit, 325-Euro-Gesetz, Betriebsverfassungs- novelle zeigen wie falsch der Weg ist, den die Bundesregierung seit 1998 gegangen ist. Das „wichtigste Reformprojekt“ – wie der Bundes- kanzler das Bündnis für Arbeit genannt hat – ist geschei- tert. Im Januar gab es ein medienwirksames Gipfeltreffen, ohne Abschlusskommunique, ohne Ergebnis, ohne Per- spektive. Das Bündnis für Arbeit ist Symbol für die ge- scheiterte Wirtschaftspolitik von Rot-Grün. Der Streik in der Metallindustrie hat in diesen Tagen gezeigt, wie ge- ring die Integrationskraft des Bundeskanzler noch ist. Und: Förderung der Regionen heißt, Innovation stär- ken. Diese gehen aber stetig zurück. Nach vier Jahren Rot-Grün ist die staatliche Investitionsquote von über zwölf Prozent in 1998 auf einen jetzt fast einstelligen Be- trag abgebaut worden. Die Mittel zur Förderung des Mit- telstands werden nach der mittelfristigen Finanzplanung des Bundesfinanzministers im kommenden Jahr im Ver- gleich zu 2002 sogar um fast 70 Millionen Euro zusam- mengestrichen. Ein Anstieg wäre das richtige Signal ge- wesen, um regionale Beschäftigung zu schaffen – und das wäre auch sozial. Was muss sich also ändern? Der 16. Präsident der Vereinigten Staaten, Abraham Lincoln, hat in seinem politischen Vermächtnis hierzu klare Richtlinien formuliert: „Ihr werdet die Schwachen nicht stärken, indem ihr die Starken schwächt. Ihr werdet Schwierigkeiten bekommen, wenn ihr mehr ausgebt, als ihr verdient. Ihr werdet den Menschen nie auf Dauer helfen, wenn ihr für sie tut, was sie selbst für sich tun könnten.“ Zunächst muss also die Grundausrichtung wieder stim- men: Eigenverantwortung, Leistungsbereitschaft müssen die Leitbilder sein, soziale Absicherung darf nicht als „Rund-Um-Sorglos-Paket“ missbraucht werden, sondern sollte nur in Notfällen als gezielte Hilfe zur Selbsthilfe wirken. Mit einem Wort: Rückbesinnung auf die Soziale Marktwirtschaft. Konkret bedeutet dies: Erstens ein Steuersystem, das einfach und gerecht ist und damit dauerhaft Leistungsan- reize setzt. Die Eckpunkte hierfür lauten: Eingangsteuer- satz unter 15 Prozent und ein Spitzensteuersatz unter 40 Prozent. Zweitens die Befreiung der Zeitarbeit von bürokrati- schen Hemmnissen. Zeitarbeitsverhältnisse haben sich in Europa an vielen Stellen als stabile Brücke in den Ar- beitsmarkt und dauerhafte Vollzeitbeschäftigung erwie- sen. Deshalb muss diese Brücke jetzt ausgebaut werden. Drittens flexible und beschäftigungsfreundliche Rege- lung von befristeten Arbeitsverhältnissen. Damit wird die Akzeptanz auch in konjunkturell unsicheren Zeiten schnell und kurzfristig neue Arbeitsplätze zu schaffen, nachhaltig gefördert. Viertens die Reform des Tarifvertragrechts, hier vor al- lem die Modernisierung des Günstigkeitsprinzips. Es ist widersinnig, dass Unternehmen in Krisenzeiten gegen geltendes Recht verstoßen, wenn sie gemeinsam mit der Belegschaft längere Arbeitszeiten gegen sichere Arbeits- plätze tauschen. Fünftens Umsetzung des Drei-Säulen-Modells für den Niedriglohnsektor. Durch eine unbürokratische Neurege- lung und Ausweitung auf 400 Euro werden Zusatzjobs wieder lukrativ – 1. Säule. Das „Bürokratiemonster 630-DM-Gesetz“ verschwindet. Durch Förderung der Ar- beitnehmerbeiträge zwischen 400 und 800 Euro soll die beschäftigungsfeindliche Brutto-Netto-Lücke auch bei kleinen Einkommen überwunden werden – 2. Säule. Mit einer eindeutigen Klarstellung der Pflichten von Hilfebe- ziehern und die konsequente Kürzung von Sozialleistun- gen, wenn zumutbare Arbeiten abgelehnt werden, wird aus der „Hängematte Sozialpolitik“ wieder ein belastba- res Trampolin – 3. Säule. Sechstens eine Politik für die neuen Länder und struk- turschwachen Regionen, die eine Doppelfunktion erfüllt: Verbesserung der allgemeinen Rahmenbedingungen und Ausbau der regionalen Infrastruktur – vor allem auch mit Blick auf das zusammenwachsende Europa. Der Ostsee- raum, die alten Verbindungen der Hanse aber auch die his- torisch gewachsenen Handelswege zwischen den Bei- trittsländern und den Mitgliedern der EU müssen durch zukunftsfähige Infrastruktur wiederbelebt und neu ge- stärkt werden. Deutschland braucht wieder eine ehrliche Wirtschafts- politik, die die strukturellen Verkrustungen auflöst und nachhaltige Reformen anstößt. Die Rückbesinnung auf Grundlagen der Sozialen Marktwirtschaft ist überfällig. Subventionen – auch wenn sie noch so gut gemeint sein sollten – sind der falsche Weg. Statt dessen muss sich Leistung lohnen. Barrieren, die Innovationskraft und Eigeninitiative einschränken oder gar ersticken, müssen abgebaut werden. Beschäftigung muss lukrativer sein als Arbeitslosigkeit. Dies sind auch die Grundsätze für eine erfolgreiche, ökologisch und sozial ausgewogene Regio- nalpolitik für mehr Beschäftigung. Mit Blick auf die Wahl im September könnte man in Anlehnung an einen sehr erfolgreichen Wahlslogan einer anderen Partei aus dem Jahre 1998 daher sagen: „Wir sind bereit.“ Werner Schulz (Leipzig) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Der Ausbau der regionalen Infrastruktur, der länd- lichen Räume und der ostdeutschen Bundesländer ist uns ein besonderes Anliegen. Wir wollen daher die ländlichen Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 237. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Mai 200223784 (C) (D) (A) (B) Regionen gezielt fördern und die entsprechenden Förder- instrumente ausbauen. Das soll in erster Linie geschehen durch den noch besseren Einsatz bestehender Fördermit- tel. Am Beispiel der Gemeinschaftsaufgabe Agrarstruktur und Küstenschutz – GAK – möchte ich das verdeutlichen: Im Zuge der Agenda 2000 und durch die Anwendung der Modulation soll eine Umorientierung der Agrarfördermit- tel eingeleitet werden, hin zur Förderung von umwelt- freundlicher Produktion und von Arbeitsplätzen. Leider hat auch die PDS in den Ost-Bundesländern die konse- quente Anwendung dieses Prinzips bisher verhindert. Mittelfristig wollen wir, dass EU-Mittel aus der Produkti- ons-Subventionierung massiv in die so genannte 2. Säule der Agenda 2000 zur Förderung ländlicher Räume umori- entiert werden. Diese Haltung vertritt auch EU-Agrar- kommissar Fischler. Damit diese Mittel in den Regionen wirksam werden können, muss der überholte Agrarstrukturbegriff neu definiert werden. Es muss künftig beispielsweise auch möglich sein, aus diesen Fördermitteln zum Beispiel kleine Handwerksbetriebe in Ostdeutschland zu unter- stützen oder den Aufbau neuer Erwerbszweige in länd- lichen Räumen wie ländlicher Tourismus, erneuerbare Energien oder nachwachsende Rohstoffe. Die bisherigen Förderinstrumente waren nicht so zahn- los, wie die PDS das darstellt: Jeder einzelne landwirt- schaftliche Betrieb in Ostdeutschland ist in den letzten zwölf Jahren massiv über die GA gefördert worden. An fehlenden Fördermitteln des Bundes ist sicherlich keine einzige Investition gescheitert – im Gegenteil. Im vorläu- figen Bericht der Bundesregierung über die Gemein- schaftsaufgabe Verbesserung der regionalen Wirtschafts- struktur – GRW – ist nachzulesen, dass die eingesetzten Mittel zur Neuschaffung von circa 34 000 und zur Absi- cherung von weiteren 80 000 Arbeitsplätzen beigetragen haben, die meisten davon in Ostdeutschland. Am Prinzip der GA sollte daher grundsätzlich festge- halten werden. Dies ist schon deshalb notwendig, um die Förderpolitik des Bundes mit der EU-Förderpolitik in Einklang zu bringen. Der Bund muss dabei seinen Ein- fluss behalten und seine koordinierende Funktion wahr- nehmen. Es kann nicht Sinn einer gerechten Regionalför- derung nach bundesweit einheitlichen Kriterien sein, wenn jedes Bundesland macht, was es will, wie das einige Ministerpräsidenten gerne hätten, am liebsten noch mit Bundesmitteln, aber ohne Mitspracherechte des Bundes. Wir müssen dafür sorgen, dass die schwachen Länder und Regionen stärker werden und nicht umgekehrt. Eine Auf- lösung der GAs würde aber zu weiteren Wettbewerbsver- zerrungen für die Wirtschaft vor Ort führen, weil sie dann nur noch von der Förderung der Bundesländer abhängig wären. Das kann nicht im allgemeinen volkswirtschaft- lichen Interesse sein. Vordringlichste Ziele einer Reform der GRW/Regio- nalförderung sind: Mehr Transparenz. Mittelherkunft, Mittelverwendung und der Erfolg der Förderung müssen besser nachvollziehbar und überprüfbar werden. Größere Effizienz. Das Ziel eines dauerhaften Ausgleichs der Standortnachteile der Förderregionen muss bei sparsamer Mittelverwendung durch Maßnahmen im Rahmen einer Erfolg versprechenden Gesamtstrategie erfolgen. Stärkere Regionalverantwortung. Der Einfluss regionaler Ent- scheidungsträger und die Verbindlichkeit regionaler Ent- wicklungskonzepte müssen zunehmen. Bessere europä- ische Abstimmung. Die Kompatibilität zur europäischen Regionalförderung ist zu verbessern; vor dem Hin- tergrund der EU-Osterweiterung muss die Möglichkeit grenzüberschreitender Förderung erweitert werden. Schließlich müssen die Kriterien für die Förderbedürf- tigkeit einer Region am europäischen Maßstab fort- entwickelt werden. Die Regionalförderung sollte konsequenter als bisher lang- und mittelfristig orientiert Standortnachteile und Engpassfaktoren von Förderregionen beseitigen bzw. aus- gleichen. Regionen, die durch die GRW gefördert werden können, sollen generell ein Integriertes Regionales Ent- wicklungskonzept erstellen, in dem die Entwicklungs- ziele und Handlungsprioritäten der Region festgelegt werden. Dr. Hermann Otto Solms (FDP): Der von der PDS im Bundestag eingebrachte Antrag atmet den alten Geist des Staatssozialismus. Mit neuen Sondervermögen, neuen aufgeblasenen so genannten Investitionsprogrammen und immer neuen Zweckbindungen von Steuern will die PDS im Ergebnis eine staatliche Parallelwirtschaft aufbauen. Sie versucht das Ganze durch modische Begriffe zu ka- schieren. So spricht sie jetzt von „wirtschaftlichen Ver- flechtungsräumen“ oder einem „tatsächlichen Umfang der Unterbeschäftigung bei Berücksichtigung der Ge- schlechterspezifik“ als neuen Kriterien für staatliche För- derung. Zugleich will sie eine gewaltige neue Bürokratie in Form von so genannten Projektverbünden, Netz- werken, Bürgerinitiativen oder Begleitausschüssen auf- bauen. Das strikte EU-Beihilferecht soll im Interesse ei- ner neuen Staatswirtschaft beiseite geschoben werden. Dem setzt die FDPein ganz anderes Konzept entgegen. Unbestreitbar gibt es im deutschen Föderalismus Fehlent- wicklungen. Die Gewaltenteilung ist einem System der gegenseitigen Verflechtung zwischen Bund und Ländern in Politik und Verwaltung gewichen. Deshalb fordert die FDP wettbewerblichen Föderalismus mit transparenter Entscheidungsfindung und einer klaren Verteilung von Kompetenzen und Verantwortlichkeiten. Die nachträglich in das Grundgesetz eingefügten Ge- meinschaftsaufgaben haben die Staatsaufgaben über falsche Ausgabenanreize aufgebläht. Daher sind die Arti- kel 91 a und 91 b aus dem Grundgesetz zu streichen und diese Aufgaben vollständig an die Länder zurückzugeben. Ebenso müssen die Bundesfinanzhilfen an die Länder ent- fallen, die bisher dem Bund die Möglichkeit eröffnen, von den Ländern Zuständigkeiten zu erkaufen. Dieser Ansatz muss mit einer verbesserten Finanzausstattung und mehr Finanzautonomie für Länder und Gemeinden einherge- hen. Für den Bürger muss dabei klar erkennbar bleiben, welche Gebietskörperschaft wie viele Steuern von ihm er- hebt. Nur so kann das finanzpolitische Gleichgewicht zwischen Bund und Ländern sowie Ländern und Kom- munen wieder hergestellt werden. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 237. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Mai 2002 23785 (C) (D) (A) (B) Rolf Kutzmutz (PDS): Vor zwei Wochen haben die Wirtschaftsminister der Länder und des Bundes einstimmig festgestellt, dass beim Verzicht auf die Gemeinschaftsauf- gabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ er- hebliche Effizienzverluste und Entscheidungsrisiken bei der Koordinierung der Regionalpolitik entstünden oder diese letztlich allein den EU-Kommissionsdienststellen überlassen bliebe. Ihre Forderung lautete deshalb: Die Wirtschaftsminis- terien müssten angemessen in den Verhandlungsgremien über die Neuordnung der Bund-Länder-Finanzbeziehun- gen vertreten sein. Die PDS begrüßt, dass die Wirtschaftspolitik sich vom Schock der einsamen Entscheidung der Ministerpräsiden- ten in einer lauen Juninacht des vorigen Jahres endlich er- holt hat. Und ich weiß mich mit den Wirtschaftspolitike- rinnen und -politikern der anderen Fraktionen einig: Die Gemeinschaftsaufgaben einfach abzuschaffen, das wäre ein Unding. Natürlich: Es gibt vielfältige Kritik an den Gemein- schaftsaufgaben – und die ist häufig auch mehr als be- rechtigt. Aber die strukturschwachen Regionen können niemals aus eigener Kraft Anschluss finden. Gleichzeitig werden die Fördermittel jährlich weniger, obwohl die För- dertatbestände anwachsen. Unterm Strich haben sich in den vergangenen Jahren die tatsächlichen Entwicklungs- abstände schwacher Regionen – und die gibt es in Ost und West – gegenüber den Ballungszentren nicht verringert. Sie sind sogar gewachsen, wie alle volkswirtschaftlichen Kennziffern belegen. Der Ansatz der Regionalförderung und ihre Instrumen- tarien sind deshalb neu zu überdenken. Ob mit oder ohne EU-Osterweiterung – strukturschwache Regionen bedür- fen langfristiger, zweckgebunderer Förderung für ihre ganzheitliche Entwicklung. Das heißt sektorale und re- gionale Strukturentwicklung durch Entwicklungskon- zepte für zukunftsfähige Verkehrsstrukturen und Energie- versorgung – also Schwerpunkte Schiene und öffentlicher Personennahverkehr bzw. dezentraler Einsatz regenerati- ver Energien. Das heißt aber ebenso Erneuerung und Aus- bau der so genannten weichen Standort-Faktoren – also der Infrastruktur von Bildung, Ausbildung, Betreuung und Pflege. Das bedeutet auch die konkrete Planung der Sanierung von Umweltlasten und die naturräumliche Ent- wicklung. Letztlich muss die regionale Infrastruktur im weitesten Sinne erneuert und ausgebaut werden, um regionale Wirt- schaftskreisläufe überhaupt in Gang zu setzen, Beschäfti- gung zu schaffen und zu verstetigen, also schließlich um überhaupt eine Grundlage für eine selbsttragende Ent- wicklung in wirtschaftlichen Verflechtungsräumen zu schaffen. Kenner regionaler Entwicklungsprozesse wis- sen, dass langer Atem, Kontinutität der Mittelzuweisun- gen, leichte Erreichbarkeit alternativ notwendiger Förder- mittel und eine permanente Kontaktpflege und Miteinbeziehung regionaler Akteure unerlässlich sind, wenn sich einmal gewährte Subventionen zur Infrastruk- turentwicklung auf Dauer nicht buchstäblich als verlorene Zuschüsse erweisen sollen. Ein überbordender bürokrati- scher Apparat für den von uns vorgeschlagenen umfas- senden Entwicklungsansatz ist nicht nötig. Denn regio- nale Entwicklungskonzeptionen müssen von allen betrof- fenen Akteuren in den Regionen. selbst vor Ort erarbeitet werden. Das ist im Übrigen auch schon ein zunehmend besser funktionierender Ansatz in der bestehenden Gemein- schaftsaufgabe und wird in anderen, eingeschränkteren Förderungen mittlerweile ebenfalls praktiziert. Ich nenne nur NEMO und InnoRegio. Er darf aber nicht länger weit- gehend auf Ostdeutschland beschränkt bleiben. Neben öffentlichen, genossenschaftlichen sowie priva- ten Unternehmen und Einrichtungen, den Kommunalpar- lamenten und Kammern, den Arbeitsämtern und Verbän- den gehören auch Gewerkschaften, Projektträger gemeinnütziger, öffentlich geförderter Beschäftigung, Frauen-, Erwerbslosen- und weitere Bürgerinitiativen mit an den Tisch. Keine Idee und Kompetenz soll für die Zu- sammenarbeit mit Planungsbüros und Regionalmanagern verloren gehen. Für die Landes- und Bundesministerien blieben lediglich Anleitungs- und Prüffunktionen, die sie im Rahmen der Gemeinschaftsaufgaben jetzt sowieso durchführen. Nehmen Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen der an- deren Fraktionen, unseren Vorschlag als Angebot zur Debatte. Denn auf Dauer werden wir alle nicht darum he- rumkommen. Fest steht nämlich: Erstens: Die EU-Ost- erweiterung mit gravierenden Auswirkungen auf die Strukturfonds kommt gewiss. Zweitens: Der Solidarpakt II ist weder finanziell noch strukturell der Weisheit letzter Schluss, wenn der Osten tatsächlich aufholen soll. Und drittens gibt es auch in Westdeutschland viele Regionen, denen mit der gegenwärtigen GA-Kulisse nicht geholfen ist, obwohl auch sie kräftige Entwicklungsimpulse benötigen würden. Beim Handeln ist also durchaus Eile geboten, denn die Fördermittel der Gemeinschaftsaufga- ben fließen immer spärlicher und es bedarf schneller, in- telligenter Lösungen für die kommenden Jahre. Anlage 14 Amtliche Mitteilungen Der Bundesrat hat in seiner 775. Sitzung am 26. April 2002 beschlossen, den nachstehenden Gesetzen zuzu- stimmen, bzw. einen Antrag gemäß Artikel 77 Absatz 2 Grundgesetz nicht zu stellen: – Erstes Gesetz zur Änderung des Wasserverbands- gesetzes – Gesetz zurVerlängerung von Übergangsregelungen im Bundessozialhilfegesetz – Gesetz zurÄnderung des Gesetzes zur Förderung ei- nes freiwilligen sozialen Jahres und anderer Gesetze (FSJ-Förderungsänderungsgesetz – FSJGÄndG) – Gesetz zur Neuordnung der Statistik über die Beher- bergung im Reiseverkehr (Beherbergungsstatistikge- setz – BeherbStatG) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 237. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Mai 200223786 (C) (D) (A) (B) – Gesetz zur Reform der Juristenausbildung – Gesetz zur Übertragung von Rechtspflegeraufga- ben auf den Urkundsbeamten der Geschäftsstelle – Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 98/8/EG des Eu- ropäischen Parlaments und des Rates vom 16. Februar 1998 über das Inverkehrbringen von Biozid-Produkten (Biozidgesetz) – Siebtes Gesetz zur Änderung des Wasserhaushalts- gesetzes – Gesetz zur Änderung des Gesetzes vom 24. Mai 1997 zur Revision des Übereinkommens vom 20. März 1958 über die Annahme einheitlicher Be- dingungen für die Genehmigung der Ausrüstungs- gegenstände und Teile von Kraftfahrzeugen und über die gegenseitige Anerkennung der Genehmi- gung – Gesetz zur Vorbereitung einer bundeseinheitlichen Wirtschaftsnummer – Gesetz zu dem Stabilisierungs- und Assoziierungs- abkommen zwischen den Europäischen Gemein- schaften und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der ehemaligen jugoslawischen Republik Mazedo- nien andererseits – Gesetz zu dem Übereinkommen vom 25. Februar 1991 über die Umweltverträglichkeitsprüfung im grenzüberschreitenden Rahmen sowie zu der auf der zweiten Konferenz der Parteien in Sofia am 27. Februar 2001 beschlossenen Änderung des Übereinkommens (Espoo-Vertragsgesetz) – Gesetz zu dem Protokoll vom Kyoto vom 11. De- zember 1997 zum Rahmenübereinkommen derVer- einten Nationen über Klimaänderungen (Kyoto- Protokoll) – Gesetz zu dem Protokoll vom 27. Februar 2001 zur Ergänzung des Abkommens vom 5. April 1993 zwi- schen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Lettland über den Luftverkehr – Gesetz zu deren Abkommen vom 2. Oktober 2000 zur Änderung und Ergänzung des Abkommens vom 18. Juni 1991 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Staat Bahrain über den Luft- verkehr – Gesetz zu dem Abkommen vom 19. Juni 2001 zwi- schen der Regierung der Bundesrepublik Deutsch- land und der Regierung der Republik Kap Verde über den Luftverkehr – Gesetz zu den Verträgen vom 15. September 1999 des Weltpostvereins Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mit- geteilt, dass der Ausschuss gemäß § 80 Abs. 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu den nachstehenden Vorlagen absieht: Finanzausschuss – Unterrichtung durch die Bundesregierung Jahresgutachten 2001/02 des Sachverständi- genrates zur Begutachtung der gesamtwirt- schaftlichen Entwicklung – Drucksache 14/7569 – – Unterrichtung durch die Bundesregierung Jahreswirtschaftsbericht 2002 der Bundes- regierung Vor einem neuen Aufschwung – Verlässliche Wirtschafts- und Finanzpolitik fortsetzen – Drucksache 14/8175 – Ausschuss fürWirtschaft und Technologie – Unterrichtung durch die Bundesregierung Stellungnahme der Bundesregierung zum Tätigkeitsbericht 1998/1999 der Regulie- rungsbehörde für Telekommunikation und Post und zu dem Sondergutachten derMono- polkommission – Drucksachen (zu 14/2321) 14/4064, 14/4093 Nr. 1.13 – – Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht derBundesregierung – Politik für den Mittelstand – Drucksache 14/8548 – Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend – Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesrepublik Deutschland an die Vereinten Nationen gemäß Artikel 44 Abs. 1 Buchstabe b des Übereinkommens über die Rechte des Kindes – Drucksachen 14/6241, 14/6502 Nr. 1 – Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mit- geteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden EU-Vorla- gen bzw. Unterrichtungen durch das Europäische Parla- ment zur Kenntnis genommen oder von einer Beratung abgesehen hat. Auswärtiger Ausschuss Drucksache 14/8691 Nr. 2.10 Finanzausschuss Drucksache 14/8339 Nr. 1.6 Drucksache 14/8339 Nr. 2.47 Drucksache 14/8428 Nr. 2.55 Drucksache 14/8428 Nr. 2.58 Haushaltsausschuss Drucksache 14/8428 Nr. 2.1 Drucksache 14/8428 Nr. 2.2 Drucksache 14/8562 Nr. 2.10 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 237. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Mai 2002 23787 (C) (D) (A) (B) Ausschuss fürWirtschaft und Technologie Drucksache 14/8339 Nr. 2.27 Drucksache 14/8428 Nr. 2.6 Drucksache 14/8428 Nr. 2.10 Drucksache 14/8428 Nr. 2.14 Drucksache 14/8428 Nr. 2.23 Drucksache 14/8428 Nr. 2.24 Drucksache 14/8428 Nr. 2.25 Drucksache 14/8428 Nr. 2.31 Drucksache 14/8428 Nr. 2.33 Drucksache 14/8428 Nr. 2.34 Drucksache 14/8428 Nr. 2.35 Drucksache 14/8428 Nr. 2.36 Drucksache 14/8428 Nr. 2.37 Drucksache 14/8428 Nr. 2.38 Drucksache 14/8428 Nr. 2.39 Drucksache 14/8428 Nr. 2.40 Drucksache 14/8428 Nr. 2.43 Drucksache 14/8428 Nr. 2.44 Drucksache 14/8428 Nr. 2.48 Drucksache 14/8428 Nr. 2.49 Drucksache 14/8428 Nr. 2.53 Drucksache 14/8428 Nr. 2.56 Drucksache 14/8428 Nr. 2.57 Drucksache 14/8562 Nr. 2.34 Drucksache 14/8562 Nr. 2.45 Drucksache 14/8562 Nr. 2.46 Drucksache 14/8562 Nr. 2.48 Drucksache 14/8562 Nr. 2.53 Drucksache 14/8562 Nr. 2.54 Drucksache 14/8691 Nr. 2.6 Drucksache 14/8691 Nr. 2.7 Drucksache 14/8691 Nr. 2.8 Drucksache 14/8691 Nr. 2.9 Drucksache 14/8691 Nr. 2.12 Drucksache 14/8691 Nr. 2.13 Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft Drucksache 14/6508 Nr. 2.30 Drucksache 14/8562 Nr. 2.35 Drucksache 14/8562 Nr. 2.42 Drucksache 14/8562 Nr. 2.49 Drucksache 14/8562 Nr. 2.52 Drucksache 14/8562 Nr. 2.55 Drucksache 14/8562 Nr. 2.56 Drucksache 14/8691 Nr. 2.5 Drucksache 14/8691 Nr. 2.11 Ausschuss für Gesundheit Drucksache 14/8179 Nr. 3.1 Drucksache 14/8562 Nr. 2.28 Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Drucksache 14/8339 Nr. 2.5 Drucksache 14/8339 Nr. 2.11 Drucksache 14/8339 Nr. 2.24 Drucksache 14/8339 Nr. 2.25 Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Drucksache 14/8428 Nr. 2.29 Drucksache 14/8562 Nr. 1.4 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 237. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Mai 200223788 (C)(A) Druck: MuK. Medien- und Kommunikations GmbH, Berlin
Gesamtes Protokol
Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1423700000
Guten Morgen, liebe
Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.

Die Fraktion der SPD hat mitgeteilt, dass die Kollegin
Gudrun Roos ihr Amt als Schriftführerin niederlegt.
Als Nachfolger schlägt sie den Kollegen Wolfgang
Grotthaus vor. Sind Sie damit einverstanden? – Ich höre
keinen Widerspruch. Damit ist der Kollege Grotthaus als
Schriftführer gewählt.

Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene
Tagesordnung zu erweitern. Die Punkte sind in der Ihnen
vorliegenden Zusatzpunktliste aufgeführt:

24. Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses nach
Art. 77 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuss) zu dem
Fünften Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Land-
wirtschaftliche Rentenbank
– Drucksachen 14/7753, 14/8169, 14/8706, 14/9095 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Ludwig Stiegler

25. Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses nach
Art. 77 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuss) zu dem Ge-
setz zur weiteren Fortentwicklung des Finanzplatzes Deutsch-
land (Viertes Finanzmarktförderungsgesetz)

– Drucksachen 14/8017, 14/8600, 14/8601, 14/8958, 14/9096 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Gerda Hasselfeldt

26. Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses

(2. Ausschuss)

Sammelübersicht 387 zu Petitionen
– Drucksache 14/9070 –

27. Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses

(2. Ausschuss)

Sammelübersicht 388 zu Petitionen
– Drucksache 14/9071 –

28. Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses

(2. Ausschuss)

Sammelübersicht 389 zu Petitionen
– Drucksache 14/9072 –

29. Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses

(2. Ausschuss)

Sammelübersicht 390 zu Petitionen
– Drucksache 14/9073 –

30. Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses

(2. Ausschuss)

Sammelübersicht 392 zu Petitionen
– Drucksache 14/9075 –

31. Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses

(2. Ausschuss)

Sammelübersicht 395 zu Petitionen
– Drucksache 14/9076 –

Sind Sie auch damit einverstanden? – Das ist der Fall.
Dann ist so beschlossen.

Ich rufe Zusatzpunkt 24 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschus-

(Vermittlungsausschuss)

des Gesetzes über die Landwirtschaftliche Ren-
tenbank
– Drucksachen 14/7753, 14/8169, 14/8706,
14/9095 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Ludwig Stiegler

Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? – Das
ist nicht der Fall. Wird das Wort zu Erklärungen ge-
wünscht? – Auch das ist nicht der Fall.

Dann kommen wir zur Abstimmung. Der Vermittlungs-
ausschuss hat gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 seiner Geschäfts-
ordnung beschlossen, dass im Deutschen Bundestag über
die Änderungen gemeinsam abzustimmen ist. Wer stimmt
also für die Beschlussempfehlung des Vermittlungsaus-
schusses auf Drucksache 14/9095? – Gegenprobe! – Ent-
haltungen? – Die Beschlussempfehlung ist einstimmig
angenommen.

Ich rufe Zusatzpunkt 25 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschus-

(Vermittlungsausschuss)

wicklung des Finanzplatzes Deutschland (Viertes
Finanzmarktförderungsgesetz)
– Drucksachen 14/8017, 14/8600, 14/8601,
14/8958, 14/9096 –

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(C)



(D)



(A)



(B)


237. Sitzung

Berlin, Freitag, den 17. Mai 2002

Beginn: 9.00 Uhr

Berichterstattung:
Abgeordnete Gerda Hasselfeldt

Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? – Das
ist nicht der Fall. Wird das Wort zu Erklärungen ge-
wünscht? – Auch das ist nicht der Fall.

Dann kommen wir zur Abstimmung. Der Vermitt-
lungsausschuss hat ebenso gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 sei-
ner Geschäftsordnung beschlossen, dass im Deutschen
Bundestag über die Änderungen gemeinsam abzustim-
men ist. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung des
Vermittlungsausschusses auf Drucksache 14/9096? – Wer
stimmt dagegen? – Stimmenthaltungen? – Die Beschluss-
empfehlung ist mit den Stimmen von SPD, CDU/CSU
und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der FDP
bei Enthaltung der PDS angenommen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 21 a und 21 b auf:
a) – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen

der SPD, der CDU/CSU, des BÜNDNISSES 90/
DIE GRÜNEN und der FDP eingebrachten Ent-
wurfs eines Gesetzes zur Änderung des Grund-
gesetzes (Staatsziel Tierschutz)

– Drucksache 14/8860 –

(Erste Beratung 233. Sitzung)


– Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen
der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ-
NEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur

(Staatsziel Tierschutz)

– Drucksache 14/8360 –

(Erste Beratung 221. Sitzung)


– Zweite und dritte Beratung des von den Abge-
ordneten Rainer Funke, Dr. Guido Westerwelle,
Ulrich Heinrich, weiteren Abgeordneten und der
Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines
... Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes

(Verankerung des Tierschutzes in der Verfassung)

– Drucksache 14/207 –

(Erste Beratung 16. Sitzung)


– Zweite und dritte Beratung des von den Abgeord-
neten Eva Bulling-Schröter, Dr. Ruth Fuchs,
Kersten Naumann und der Fraktion der PDS ein-
gebrachten Entwurfs eines ... Gesetzes zur Ände-

(Verankerung des Tierschutzes als Staatsziel)

– Drucksache 14/279 –

(Erste Beratung 16. Sitzung)


– Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zurÄnde-

(Staatsziel „Tierschutz“)

– Drucksache 14/758 –


(Erste Beratung 39. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsaus-
schusses (6. Ausschuss)

– Drucksache 14/9090 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Hermann Bachmaier
Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten
Hans-Christian Ströbele
Rainer Funke
Sabine Jünger

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Verbraucherschutz,
Ernährung und Landwirtschaft (10. Ausschuss)

– zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Tierschutzbericht 2001 der Bundesregierung

– zu dem Antrag der Abgeordneten Marianne
Klappert, Brigitte Adler, Hermann Bachmaier,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
sowie der Abgeordneten Ulrike Höfken, Steffi
Lemke, Kerstin Müller (Köln), Rezzo Schlauch
und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN
Verbesserungen im Tierschutz national und
europaweit vorantreiben

– zu dem Antrag der Fraktion der CDU/CSU
Tierschutz auf nationaler und EU-Ebene fort-
entwickeln
– Drucksachen 14/5712, 14/7180, 14/6047,

14/8168 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Marianne Klappert

Über den Gesetzentwurf der Fraktionen der SPD, der
CDU/CSU, des Bündnisses 90/Die Grünen und der FDP
zur Änderung des Grundgesetzes – Staatsziel Tierschutz –
werden wir später namentlich abstimmen.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. Ich höre keinen Wi-
derspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen
Hermann Bachmaier, SPD-Fraktion, das Wort.


Hermann Bachmaier (SPD):
Rede ID: ID1423700100
Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Es ist selten, dass der Gesetzgeber so
wenige Worte macht. Über die heute zu beschließenden
drei neuen Worte im Grundgesetz haben wir viele Jahre
gestritten und debattiert. Wir Sozialdemokraten haben im-
mer prophezeit, dass der Tag kommen wird, an dem der
Tierschutz als Staatsziel im Grundgesetz verankert sein
wird.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Heute ist es endlich so weit: Auch die CDU/CSU wird
dem vorliegenden Gesetzentwurf zustimmen, den sie
noch vor zwei Jahren – bis auf wenige Ausnahmen – lei-
der abgelehnt hat.




Präsident Wolfgang Thierse
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(C)



(D)



(A)



(B)


In Zukunft wird der Staat durch das Grundgesetz ver-
pflichtet sein, neben den natürlichen Lebensgrundlagen
auch die Tiere zu schützen. Im Rahmen der verfassungs-
mäßigen Ordnung, wie es der zukünftige Art. 20 a des
Grundgesetzes zum Ausdruck bringt, soll der Schutz der
Tiere durch Gesetzgebung und nach Maßgabe von Gesetz
und Recht durch die vollziehende Gewalt und die Recht-
sprechung gewährleistet werden. Das ist ein großer Fort-
schritt. Denn bislang wird der Tierschutz im Grundgesetz
nur am Rande erwähnt: bei den Gegenständen der kon-
kurrierenden Gesetzgebung in Art. 74 am Ende der Zif-
fer 20. Beiläufiger ging es kaum! Das ist alles, was das
Grundgesetz bislang zum Tierschutz zu sagen hatte.

Obwohl wir immer stolz darauf waren, eines der mo-
dernsten und besten Tierschutzgesetze zu haben, konnte
sich das Parlament bis zum heutigen Tage nicht dazu
durchringen, dem Tierschutz mit der nötigen Zweidrittel-
mehrheit einen Platz in unserer verfassungsmäßigen Ord-
nung einzuräumen.

Die Gründe für die Ablehnung waren recht unter-
schiedlich. Eines der Gegenargumente möchte ich kurz
aufgreifen. Es folgt aus einer rein anthropozentrischen
Sicht auf das Grundgesetz. Maß und Mittelpunkt unserer
Verfassungsordnung ist danach der Mensch; Ausgangs-
punkt dieser Ordnung ist die Würde des Menschen. Es
entspricht aber durchaus der Würde des Menschen, wenn
er Tiere in ihrem Eigenwert respektiert und deshalb zu
dem Schluss kommt, dass Tiere unabhängig von mensch-
lichen Interessen und Bedürfnissen einen eigenständigen
Schutz genießen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP und der PDS)


Meine Damen und Herren, viele empfänden es als un-
ter ihrer Würde, wenn sie in einer Gesellschaft leben
müssten, in der die Bedürfnisse und Empfindungen von
Tieren grundlos missachtet werden. Viele sind empört,
wenn sie sehen müssen, dass Tiere unter unzumutbaren
Bedingungen gehalten werden. Viele bekommen gera-
dezu ein schlechtes Gewissen, wenn sie sehen, wie man-
cher Leckerbissen auf Kosten von Tieren „produziert“
wird, wie man so schön sagt.

Es entspricht nach meiner Überzeugung durchaus auch
der Würde des Menschen, dass er sich nicht als Maß aller
Dinge empfindet. Bisher blieb jedenfalls das Bekenntnis
in § 1 des Tierschutzgesetzes, die Tiere als Mitgeschöpfe
zu schützen und keinem Tier ohne vernünftigen Grund
Schmerzen, Leiden oder Schäden zuzufügen, in seiner
Wirksamkeit begrenzt, weil eben in der Verfassung der
entsprechende ausdrückliche Bezug fehlte und somit an-
dere verfassungsrechtlich geschützte Werte wie zum Bei-
spiel die Forschungsfreiheit oder das Eigentumsrecht ihre
Dominanz entfalten konnten.

Der Konflikt in der Sache zwischen diesen Grundrech-
ten und dem neuen Staatsziel wird selbstverständlich auch
in Zukunft erhalten bleiben. Hier sollten wir uns keine
Illusionen machen. Bisher drohte der Tierschutz aber in
solchen Konfliktfällen allzu leicht unter die Räder zu kom-
men. Künftig haben auch die Belange des Tierschutzes
ihre – dies ist wichtig – verfassungsrechtliche Legitima-

tion. Das hatten sie bisher in diesem Maße nicht. Ab jetzt
gehört auch der Schutz der Tiere zu der von der Verfas-
sung gewollten Ordnung.

Mit der Aufnahme des Tierschutzes in das Grundgesetz
erfährt nicht nur das Tierschutzgesetz die zu seiner Wirk-
samkeit zwingend gebotene Aufwertung. Wir handeln uns
heute darüber hinaus auch einen ständigen Schutzauftrag
ein, der sich in erster Linie an den Gesetzgeber, aber auch
an alle anderen Träger der staatlichen Gewalt richtet.

In diesem Zusammenhang ist der Schutzauftrag an die
Regierung eine besondere Erwähnung wert. Denn vor al-
lem die Regierung besitzt Möglichkeiten, im internatio-
nalen Bereich tätig zu werden. Sie kann nicht nur, sie
muss in Zukunft entsprechende Initiativen im Rahmen der
Europäischen Union ergreifen und unterstützen. Dieser
Auftrag wird zunehmend an Bedeutung gewinnen; denn
wir alle wissen, dass Tierschutz, der nur national betrie-
ben wird, im wahrsten Sinne des Wortes sehr bald an
Grenzen stößt.

Dem Staatsziel Tierschutz gerecht werden müssen in
Zukunft alle staatlichen Organe, unabhängig davon, ob sie
sich politisch diesem Ziel verpflichtet fühlen oder nicht.
Manche subtilen Gegner dieses Staatszieles, die ja nicht
alle plötzlich zu heißen Befürwortern des Anliegens mu-
tiert sind, könnten sich einer trügerischen Hoffnung hin-
geben. Sie könnten meinen, dass das Staatsziel Tierschutz
schon deshalb zur weit gehenden Wirkungslosigkeit ver-
urteilt sei, weil es sich ja nur im Rahmen der bisherigen
verfassungsmäßigen Ordnung entfalten könne. Diese
Hoffnung geht mit Sicherheit fehl. Sie geht schon deshalb
fehl, weil in Zukunft der Tierschutz im Gegensatz zum
heute noch gültigen Text unserer Verfassung Teil eben-
dieser verfassungsmäßigen Ordnung sein wird. Dies ist
wichtig und dies wollten wir erreichen.

Meine Damen und Herren, wir alle, die wir uns der
Aufnahme des Tierschutzes als Staatsziel in das Grund-
gesetz verschrieben haben, werden immer wieder gefragt,
welche konkreten Folgen sich daraus denn ergeben. Zum
einen werden mit der Aufnahme des Staatszieles in das
Grundgesetz Hoffnungen und Erwartungen im Interesse
des Tierschutzes verbunden, denen dieses Staatsziel nicht
gerecht werden kann, zumindest nicht in diesem Maße.
Zum anderen aber werden Ängste und Schreckensszena-
rien artikuliert, die bisweilen in dem Satz gipfeln, dass der
Tierschutz alle anderen, konkurrierenden Grundwerte un-
serer Verfassung buchstäblich erschlagen könnte. Auch
diese Befürchtungen sind nicht berechtigt.

Richtig ist, dass wir dem Tierschutz mit dem Staatsziel
einen höheren, verfassungsrechtlich geschützten Stellen-
wert geben wollen, als dies heute der Fall ist. Es wird nun-
mehr Aufgabe des Gesetzgebers und der anderen staat-
lichen Organe sein, diesem neuen Rang des Tierschutzes
gerecht zu werden und ihn mit den anderen Wertent-
scheidungen unserer Verfassung in Einklang zu bringen,
oder, wie die Verfassungsjuristen zu sagen pflegen, in
Konkordanz zu bringen.

Wir Sozialdemokraten freuen uns jedenfalls, dass un-
ser seit über einem Jahrzehnt hartnäckig betriebenes An-
liegen endlich zum Erfolg geführt wird. Wir haben den




Hermann Bachmaier

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(C)



(D)



(A)



(B)


vielen Bürgerinnen und Bürgern zu danken, die uns Ab-
geordnete immer wieder bedrängt und sich in vielen
Schreiben persönlich für die Aufnahme des Tierschutzes
in das Grundgesetz eingesetzt haben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP und der PDS)


Ich danke den Verbänden des Tierschutzes, der Bun-
desregierung und dem Justizministerium für die hilfreiche
Unterstützung bei der Abfassung des parteiübergreifenden
Gesetzentwurfs und vor allem auch – dies möchte ich hier
einmal nach langen Jahren sagen – Hans-Jochen Vogel,
unserem früheren Partei- und Fraktionsvorsitzenden, der
dieses Anliegen mit der ihm eigenen Hartnäckigkeit im-
mer wieder auf die politische Tagesordnung gesetzt hat.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP und der PDS)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1423700200
Ich erteile dem Kolle-
gen Wolfgang von Stetten, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.


Dr. Freiherr Wolfgang von Stetten (CDU):
Rede ID: ID1423700300

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Wenn wir heute über einen gemeinsamen Gesetzentwurf
zur Änderung des Grundgesetzes abstimmen, um den
Tierschutz als Staatsziel in das Grundgesetz aufzuneh-
men, ist es das Ende einer langen Diskussion darüber, wie
man Tiere deutlicher in das Bewusstsein der Menschen
bringen kann.

Für die einen ist es die Erfüllung ihrer langjährigen Be-
strebungen, für die anderen nur die verstärkte grund-
gesetzliche Verankerung bisheriger Bestimmungen. Für
die Dritten ist es das Ende einer vernünftigen Landwirt-
schaft, für die Vierten der Stopp medizinischer For-
schung und für einige geht die Änderung nicht weit ge-
nug. Wenn wir alle Auffassungen zusammennehmen,
dann sind wir genau in der Mitte, nämlich bei einem ver-
nünftigen Umgang mit Tieren, wie er im Übrigen in der
heutigen Praxis überwiegend durchgeführt wird. Wie so
häufig in der Politik ist es schlichtweg ein Kompromiss,
bei dem sich fast alle als Sieger fühlen können.

Es gab gute Gründe dafür, dass wir bisher eher abge-
neigt waren und nicht zustimmen wollten. Wir waren der
Meinung, dass der Text im Grundgesetz: „Der Staat
schützt ... die natürlichen Lebensgrundlagen“ in Verbin-
dung mit den weltweit besten Tierschutzgesetzen ausrei-
che; übrigens, Herr Bachmaier, dies meinten wir nicht im
Sinne von „obwohl“, sondern von „weil“.

Als Mitglied der Verfassungskommission sind mir die
Diskussionen und das Auf und Ab darüber, den Tierschutz
als Staatsziel in das Grundgesetz aufzunehmen, nur zu gut
in Erinnerung. Aber auch jetzt gibt es neben den vielen
Befürwortern sehr seriöse Warnungen vor der Aufnahme
des Tierschutzes als Staatsziel. So haben 48 Dekane von
namhaften Universitäten mit sehr ernst zu nehmenden Ar-
gumenten vor der Aufnahme gewarnt, weil sie in tiefer

Sorge sind, dass die medizinische Forschung durch dras-
tische Einschränkungen oder Überbürokratie in Deutsch-
land vor dem Aus steht.

Zehntausende von Landwirten befürchten, „Freiwild“
für militante Tierschützer zu werden. Andere fordern, wir
sollten uns mehr um den Schutz ungeborenen Lebens
kümmern, weil es nicht sein könne, dass das Tier besser
geschützt werde als Menschen.


(Ingrid Holzhüter [SPD]: Als das geborene Leben!)


In der Tat, die Aufnahme des Tierschutzes in das Grund-
gesetz ist nicht Prosa; vielmehr bekommt es eine andere
Qualität. Aber die obigen Bedenken sind meines Erach-
tens weit gehend nicht zutreffend.

Es ist auch kein Geheimnis, dass die Kollegen von der
CSU schon früher dazu neigten, den Tierschutz in das
Grundgesetz aufzunehmen. Es ist oder war auch keine
plötzliche Erleuchtung, die Aloisius vom Himmel gen
München oder Stuttgart brachte. Seit 50 Jahren regiert die
CSU erfolgreich in Bayern. In der bayerischen Verfas-
sung steht: „Tiere werden als Lebewesen und Mitge-
schöpfe geachtet und geschützt.“ Ebenso sieht es die nicht
minder erfolgreiche CDU-Regierung in Baden-Württem-
berg. Dort heißt es in der Verfassung: „Tiere werden als
Lebewesen und Mitgeschöpfe im Rahmen der verfas-
sungsmäßigen Ordnung geachtet und geschützt.“ Dies ist
also kein Monopol von Rot-Grün.

Es gab bei uns in der Fraktion eine offene Diskussion.
Letztlich war es eine folgerichtige Entscheidung der über-
wiegenden Mehrheit, unter anderem auch – das soll nicht
verschwiegen werden – den Wünschen des bayerischen
Ministerpräsidenten und zukünftigen Bundeskanzlers
Edmund Stoiber zu folgen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Lachen bei der SPD)


Die umfangreichen Berichterstattergespräche, die
auf unserer Seite insbesondere von den Kollegen
Dr. Röttgen und Professor Scholz geführt wurden, haben
zu der Einigung geführt, dass nur drei Worte eingefügt
werden. Der Satz heißt in Zukunft:

Der Staat schützt auch in Verantwortung für die künf-
tigen Generationen die natürlichen Lebensgrund-
lagen und die Tiere

– das wurde eingefügt –
im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung durch
die Gesetzgebung und nach Maßgabe von Gesetz
und Recht durch die vollziehende Gewalt und die
Rechtsprechung.

Mich, meine Damen und Herren von der Regierungs-
koalition, braucht man über Tierschutz nicht aufzuklären.
Ich bin auf dem Lande aufgewachsen. Für uns waren nicht
nur Hunde und Katzen Spielkameraden; auch Kühe,
Pferde, Schweine und Geflügel gehörten zum Alltag, ganz
natürlich, ohne Aufhebens. Dazu gehörte die Zeugung,
das Gebären und das Schlachten.

Das mit der Zeugung haben wir als Kinder nicht immer
begriffen. Ich erinnere mich gut, wie ich als Fünf- oder




Hermann Bachmaier
23658


(C)



(D)



(A)



(B)


Sechsjähriger mit meiner Zwillingsschwester aufgeregt
zu einer Bäuerin lief und rief: „Schnell, schnell, Sie müs-
sen helfen, der Hahn hackt die Henne kaputt.“


(Heiterkeit bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)


Erst nachdem man uns etwas umständlich erklärte, dass
der Hahn die Henne nicht töte, sondern dass das nötig sei,
weil das Huhn sonst keine Eier lege, gaben wir uns, wenn
auch etwas ungläubig, zufrieden. Wir haben als Kinder
keine Tiere gequält; denn bei uns galt der strenge Satz:
„Quäle nie ein Tier zum Scherz, denn es fühlt wie du den
Schmerz.“ Danach haben wir gehandelt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich bin auch seit über 40 Jahren Jäger und habe kein
Verständnis dafür, dass so genannte Tierschützer die Jäger
angreifen, weil sie Tiere schießen. Diese Leute verstehen
nicht, dass entweder entsprechende Raubtiere oder Jäger
das Gleichgewicht in der Tier- und Umwelt erhalten müs-
sen, um Pflanzen und Bäume, unsere natürlichen Lebens-
grundlagen, vor Verbiss und Zerstörung zu schützen. Ich
kann mir nicht vorstellen, dass irgendjemand will, dass
wir wieder Wölfe und Raubkatzen einführen oder dass wir
dem noch dümmeren Vorschlag, Rehe und Wildschweine
mit „Antibabypillen“ zu versorgen, folgen. Ich kann nur
jedem Tierschützer empfehlen, die strenge Jägerprüfung
abzulegen; dann wird er sehen, welch eine hervorragende
Ausbildung für Tiere und Pflanzen und natürlich auch
zum sicheren Schuss absolviert werden muss, nach der
obersten Devise – da sollten Sie zuhören – „den Schöpfer
im Geschöpfe ehren“. Jäger quälen keine Tiere und halten
verantwortlich das Gleichgewicht in der Natur.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Es soll Tierschützer geben, die das Reiten verbieten
wollen, da das Reiten nur dem Vergnügen diene. In der Tat:
Reiten ist ein Vergnügen. Es ist aber auch ein Sport, der
äußerste Disziplin verlangt. Einfühlungsvermögen des
Reiters beim Umgang mit seinem Pferd ist Voraussetzung.
Zwischen Reitern und Pferden besteht oft eine Kamerad-
schaft, die für Reiter und Pferd beglückend ist, ähnlich wie
es Beziehungen zwischen Hunden und Menschen, Katzen
und Menschen in einer großen Vielzahl gibt.


(Beifall des Abg. Hans-Michael Goldmann [FDP])


Auf meinen Altersruhesitz in Künzelsau – Schloss
Stetten – dürfen Damen und Herren schon seit 20 Jahren
Tiere bis hin zum Pferd mitbringen. Das war damals re-
volutionär; heute wird es oft nachgeahmt. Das gilt selbst
für die Pflegestation; naturgemäß nicht für Pferde, aber
zum Beispiel für Katzen. Man kann eine solch be-
glückende Gemeinsamkeit für ältere Menschen aber
natürlich nur dann zulassen, wenn man – wie wir – her-
vorragende Mitarbeiter hat, die die zusätzliche Arbeit
übernehmen. Aber ältere Menschen und Tiere gehören zu-
sammen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Bei meiner Ausbildung als Landwirt vor über 40 Jah-
ren war es selbstverständlich, dass man nachts im Stall
wachte, wenn eine Sau ferkelte, wenn ein Schwein warf
oder, für diejenigen, die auch das nicht verstehen, wenn
eine Muttersau kleine Schweinchen zur Welt brachte oder
wenn eine Kuh kalbte. Wenn man auch keine größeren
Hilfeleistungen erbringen musste, dann wurden die Ferkel
aber zumindest mit Stroh trockengerieben. Glauben Sie
mir: Dadurch bekommt man Beziehungen zum Tier.

Ich war als Pionier auch maßgeblich daran beteiligt,
Truthahnfleisch in Deutschland populär zu machen, und
habe immer sehr darauf geachtet, dass nicht zu eng auf-
gestallt wurde und dass die Tiere nicht auf Gittern, son-
dern auf natürlicher Streu, ausreichend belüftet aufwach-
sen konnten. Lassen Sie mich noch etwas sagen: Meine
Devise von damals „Die Pute, das Kalb der Zukunft“ ist
Wirklichkeit geworden.

Ich möchte noch ein Thema, das mir am Herzen liegt,
ansprechen. Wir reden viel über Tierschutz und wir tun
auch viel. So werden während der Laichzeit von Krö-
ten zum Teil ganze Straßen gesperrt oder es werden
Schutzzäune gebaut. Dennoch wurden inzwischen, oft
von denselben Naturschützern, 11 000 Windkrafträder
– ohne Schutzvorrichtungen für die Vögel – mit viel
Enthusiasmus aufgestellt. Über den Sinn und Unsinn von
Windkrafträdern will ich heute nicht streiten; das ist nicht
das Thema. Sowohl der BUND als auch der NABU sagen
aber, dass es ein Widerspruch in sich ist, dass die natür-
lichen Lebensgrundlagen, die durch das Grundgesetz ge-
schützt werden, zum Beispiel unsere schönsten Erholungs-
gegenden, durch diese riesigen Windkrafträder zerstört
werden und dass dabei nicht einmal auf Tiere, deren
Schutz wir heute ins Grundgesetz schreiben, Rücksicht
genommen wird.

Ich zitiere die „Welt am Sonntag“ vom 10. Februar
2002:

Für Vögel bedeuten die Windräder sogar Lebensge-
fahr.

(Horst Kubatschka [SPD]: Oh Jesses! Das ist das Märchen vom Klapperstorch!)

„Vogelhäcksler“ werden sie von Naturschützern ge-
nannt: „Viele Zugvögel werden von Windrädern zer-
fetzt“, beklagt Ingo Ludwichowski, Geschäftsführer
des NABU Schleswig-Holstein.

– Ich war also nicht derjenige, der sich beklagt hat.
Erst letzte Woche wurde ein Seeadler bei Usedom
von Rotorblättern erschlagen. Jährlich trifft es in
Deutschland eine halbe Million Vögel.

Ganz aktuell gibt es eine Meldung vom 30. April 2002.
Im „Nordkurier“ stand – ich zitiere –:

„Operation rettet verletzten Adler“
Dieser Adler wurde von einer Windkraftanlage bei
Anklam verletzt, bei Wolgast war vier Wochen zuvor
ein Seeadler sofort getötet worden.

Dieser verletzte Adler ist in der Zwischenzeit übrigens
gestorben.


(Zuruf von der SPD: Oh!)





Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten

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– Sie sagen: „Oh!“ Ich weiß nicht, ob die Zahl von
500 000 Vögeln pro Jahr stimmt. Wenn aber 50 000 bis
60 000 neue Windkraftanlagen hinzukommen, wie Sie
von der Regierungskoalition es wollen, wird es eine gi-
gantisch hohe Zahl getöteter Vögel geben.


(Zuruf von der SPD: Weg mit allen Glasscheiben!)


Deswegen fordere ich Sie auf, dass wir das gemeinsam
angehen. Zumindest nach der Aufnahme des Tierschutzes
in das Grundgesetz müssen Windkraftradbetreiber für die
Zukunft verpflichtet werden, Schutzgitter anzubringen.
Dies ist technisch möglich, kostet aber natürlich Geld.
Das sollten uns unsere Sing- und Zugvögel aber wert sein.
Ich erwarte insbesondere von den Grünen, aber auch von
Ihnen und den Tierschützern des NABU und des BUND,
dafür Unterstützung.

Ich möchte nochmals darauf hinweisen, dass die durch
Frau Ministerin Künast schon arg gebeutelte und gekne-
belte Landwirtschaft nicht noch weiter beschwert werden
darf. Unsere Land- und Forstwirte halten die natürli-
chen Lebensgrundlagen für die gesamte Bevölkerung auf-
recht. Sie sind die wahren Naturschützer. Wir sollten ih-
nen dankbar sein und sie nicht weiter in der Ausübung
ihres Berufes einschränken.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Unsere Forschung darf nicht derart eingeschränkt werden,
dass die Firmen schlichtweg ins liberale Ausland auswan-
dern.


(Zuruf von der SPD: Liberales Ausland?)

Ich möchte das heikle Thema Schächten nicht aus-

klammern. Das Schächten wurde nicht erfunden, um
Tiere zu quälen, sondern es war die Lösung eines
ernährungshygienischen Problems in heißen Ländern, die
zur Durchsetzung religiös untermauert wurde. Lassen Sie
es mich vereinfacht ausdrücken: Bei der Betäubung, egal
durch welche Methode, verkrampfen sich Muskeln und
Blutbahnen. Das Tier blutet nach der Tötung nicht voll-
ständig aus. Bei einer durch einen guten Fachmann aus-
geführten Schächtung ist eine vollständige Ausblutung
möglich. Daher hält sich das Fleisch länger frisch. Das
Entscheidende ist der schmerzlose perfekte Schnitt.

1986 wurde das Tierschutzgesetz ergänzt und das
Schächten für die damals 50 000 Juden – heute sind es
90000 – unter besonderen Auflagen erlaubt. Die Anträge
von Moslems wurden in der Regel abgelehnt. Das Bundes-
verfassungsgericht hat mit seiner Entscheidung vom 15. Ja-
nuar 2002 beide Religionen hinsichtlich der Schlachtme-
thode gleichgestellt. Damit gilt Gleiches für die 3Millionen
Bürger moslemischen Glaubens. Wer das Schächten in
Deutschland in Zukunft also verbieten will, muss sehr
gute Gründe haben und wird harte Fragen, vielleicht auf
Michel Friedmans „Foltercouch“, beantworten müssen.

Professor Scholz hat einen beachtenswerten Aufsatz
geschrieben. Ich darf die letzten beiden Sätze zitieren:

Auch die neue Fassung des Art. 20 a GG vermag dem
Tierschutz folglich keine rechtlich eigenständige
Qualität in dem Sinne zu vermitteln, wie dies von je-

nen postuliert wird, die aus der „Mitgeschöpflich-
keit“ der Tiere bzw. aus ihrem Verständnis für Ethik
und Moral solche „Eigenrechte“ von Tier und Natur
zu begründen suchen.
Eine entsprechend ökozentrisch ausgerichtete oder
verstandene Staatszielbestimmung „Tierschutz“
würde den Gesamtrahmen des grundgesetzlichen
Menschenbildes und der damit für das gesamte
Rechtssystem maßgebenden Verpflichtung auf die
Ausschließlichkeit der Anthropozentrik sprengen,
wäre also mit Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz unvereinbar.

Ich will es etwas vereinfacht übersetzen. Bei aller
Liebe zum Tier: Das Wohl und die Gesundheit der Men-
schen sind auch in Zukunft Maßstab aller Entscheidun-
gen, aber – dies ist vielleicht neuer und besser – mit
besonderen Rücksichtnahmen auf die natürlichen Le-
bensgrundlagen der Tiere. In diesem Sinne wird eine
große Mehrheit der CDU/CSU-Fraktion diesem Gesetz-
entwurf zustimmen.

Danke schön.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie des Abg. Reinhold Hemker [SPD])



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1423700400
Ich erteile Bundesmi-
nisterin Renate Künast das Wort.

Renate Künast, Bundesministerin für Verbraucher-
schutz, Ernährung und Landwirtschaft: Sehr geehrter
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren
Abgeordnete! Lassen Sie mich vorab ein Wort an Herrn
von Stetten richten, um zumindest einen Irrtum aus seiner
Jugend aufzuklären. Das Huhn legt trotzdem Eier.


(Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Das weiß ich! Glauben Sie es mir!)


– Gut. Das wurde gerade nicht deutlich, als Sie erzählt ha-
ben, was Ihnen in Ihrer Jugend mitgeteilt wurde. Das
Huhn legt trotzdem Eier; aber es wird kein Küken daraus.


(Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Damals kannte ich den Unterschied nicht!)


In Ihrer Rede haben Sie noch ein paar andere Irrtümer
genannt, Herr von Stetten. Um sie alle aufzuklären,
reicht meine Redezeit nicht aus. Ich will sie nicht gänz-
lich verbrauchen, um mit Ihnen zum Beispiel über die
Jagd zu reden. Bei der Jagd wissen wir: Wir haben von
manchen Tierarten in den Wäldern sehr viele Tiere, so-
dass man die Jagd unter diesem Gesichtspunkt diskutie-
ren muss.

Kommen wir wieder zum Ernst der Dinge. Man kann
heute wohl sagen: Endlich sind wir so weit. Mehr als ein
Jahrzehnt hat es lange Debatten gegeben. Pro und Kontra
ist diskutiert worden. Jetzt stehen wir kurz vor dem Ziel.
Ich meine, dass die Verankerung des Tierschutzes als
Staatsziel im Grundgesetz vor allem eines bedeutet: Wenn
es in Zukunft um die Abwägung von Rechtsgütern geht,
dann bedarf es keiner Hilfskonstruktionen mehr, sondern
bei der Abwägung bekommt der festgeschriebene Tier-
schutz ein ganz neues Gewicht. Das heißt, das Tier-




Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten
23660


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schutzgesetz wird nach oben hin im Grundgesetz ab-
gesichert. Kein Verfassungsgericht muss in seiner Be-
gründung irgendwelche Verrenkungen mehr machen.

Manche behaupten, es gehe nur um eine symbolische
Sache. Darum genau geht es aber nicht. Es geht allerdings
auch nicht darum, das Wertgefüge im Grundgesetz so zu
verändern, dass der Mensch hinter dem Tier steht. Es ist
weiterhin so, dass der Mensch im Wertgefüge des Grund-
gesetzes im Mittelpunkt steht. Die Rechte auf Freiheit von
Forschung und Lehre, Kunst und Religion bleiben wei-
terhin bestehen.

Daneben ist auch die Schöpfung zu beachten, wie wir
sie in unserem Kulturraum verstehen. Das bedeutet kon-
kret, in Verantwortung für künftige Generationen sind die
natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere im Rahmen
der verfassungsgemäßen Ordnung zu achten. Der Schutz
der Schöpfung wäre nicht komplett, wenn wir uns nicht
auch für die Tiere einsetzten.

Es geht darum, Tiere nicht nur heute und morgen zu
schützen, sondern eine Politik zu machen, mit der sicher-
gestellt wird, dass es bestimmte Gattungen von Tieren
auch in Zukunft geben wird.


(Reinhold Hemker [SPD]: Sehr richtig!)

Es wird größerer Anstrengungen als derjenigen bedürfen,
die Sie genannt haben. Nicht nur die Frage des Schäch-
tens und der Nutztierhaltung muss beantwortet werden,
sondern die Frage ist: Welche Politik machen wir allge-
mein, damit es überhaupt einen Lebensraum für Tiere
gibt?

Ich weiß, unser Tierschutzgesetz hat bereits jetzt ein
sehr hohes Schutzniveau. Es findet große Akzeptanz.
Trotzdem gibt es in dieser Republik immer noch unzu-
mutbare Haltungsbedingungen. Die Transporte von Tie-
ren dauern viel zu lange und sind zu anstrengend. Viele
Tierversuche sind vermeidbar. Der Stellenwert hierfür
muss zusammen mit Forschung und Lehre neu definiert
werden und Alternativen müssen entwickelt werden. Ma-
chen wir uns nichts vor: In manchen Bereichen hätte man
längst Alternativen entwickeln können, statt weiterhin
Tierversuche durchzuführen. Wir müssen abgrenzen, wel-
che Versuche überhaupt noch akzeptabel sind und wo wir
Druck machen wollen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Es sollen unnötige Qualen vermieden werden – im Leben
wie auch beim Töten.

Ich freue mich, dass sich heute auch andere freuen, ob
es sich dabei um Abgeordnete hier im Hause handelt – aus
unserer Fraktion insbesondere Uli Höfken und Christian
Ströbele –, um Menschen draußen oder um den Deutschen
Tierschutzbund, „Vier Pfoten“ und viele andere Vereine,
die über viele Jahre hinweg aktiv waren. Sie alle
erhalten jetzt das Ergebnis ihrer jahre- oder jahrzehnte-
langen Bemühungen.

Was mich auch gefreut hat, ist, dass wir selbst es vor
dieser Grundgesetzänderung geschafft haben, in der Pra-
xis etwas zu ändern. Wir haben gezeigt – dazu passt die
Grundgesetzänderung –, dass es eine Grenze des Profit-

strebens gibt. Ich nenne zum Beispiel die Legehennen-
verordnung.


(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Jawohl!)


Es gibt eine Grenze, an der festgestellt wird: So dürfen wir
mit unseren Mitgeschöpfen nicht umgehen; dabei kann
man auch nicht mit dem Gewerbebetrieb argumentieren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS sowie bei Abgeordneten der FDP)


Weil sich einer meiner Vorredner und gestern auch
Frau Merkel dazu geäußert haben, muss ich auch noch et-
was zur Abwanderung von Legehennenhaltern anmer-
ken. Ich sage Ihnen ehrlich: Mir tut es nicht in der Seele
weh, wenn diejenigen abwandern, bei denen es üblich
war, Tiere mit Nikotin zu begasen. Diesen Unternehmern
weine ich keine Träne nach.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS)


Ein weiterer Punkt, an die CDU/CSU gerichtet, ist: Ih-
nen ist bekannt, dass die Hühner schon vor vielen Jahren
die Bauernhöfe verlassen haben. Legehennen werden in
riesigen gewerblichen Betrieben mit mehr als
100 000 Tieren auf engstem Raum gehalten. Das ist die
Wahrheit und diese Situation gilt es zu beenden. Auch
dafür ist eine entsprechende Regelung im Grundgesetz er-
forderlich.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Mir ist bekannt, dass manche meinen, mit der Veran-
kerung des Tierschutzes im Grundgesetz sei sozusagen
das Ende erreicht. Ich freue mich ausdrücklich darüber,
dass sich die CDU/CSU – auf welchen Druck hin auch
immer – in dieser Frage bewegt hat. Ein Wermutstropfen
ist aber, dass die Arbeit damit nicht aufhört, sondern erst
beginnt. Die Entwicklung beginnt immer im eigenen
Land. Ich bin immer für eine Harmonisierung auf
EU-Ebene zu haben, aber einer muss schließlich voran-
gehen.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Wir sind schon weit vorne!)


Ich meine, es steht Deutschland gut an, an dieser Stelle zu
verkünden: Wir sind die Ersten, die es in die Verfassung
schreiben.

Wir werden die Grundgesetzänderung dazu nutzen,
zum Ausdruck zu bringen, dass Qualität Made in Ger-
many auch bedeutet, dass wir auf den Tierschutz achten.
Mit den auf diese Weise erzeugten Produkten werden wir,
wie mit den Autos, Erfolg auf dem Markt haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1423700500
Ich erteile dem Kolle-
gen Rainer Funke von der FDP-Fraktion das Wort.




Bundesministerin Renate Künast

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Rainer Funke (FDP):
Rede ID: ID1423700600
Herr Präsident! Meine Damen
und Herren! Was lange währt, wird endlich gut – unter
dieses Motto könnte man auch die heutige abschließende
Debatte über die Verankerung des Tierschutzes im Grund-
gesetz stellen. Der Tierschutz im Grundgesetz war schon
in der Verfassungskommission, die nach der deutschen
Wiedervereinigung getagt hat, Gegenstand der Debatte.


(Zuruf von der SPD: Stimmt!)

Wir müssen ehrlicherweise sagen, dass kaum ein ver-

fassungsrechtliches Thema die Bevölkerung stärker
berührt als der Tierschutz. Das ist zum Beispiel aus den
zahlreichen Petitionen, die den Tierschutz betreffen, er-
sichtlich.

Wenn man darüber nachdenkt, dem Tierschutz auch
eine verfassungsrechtliche Position einzuräumen, wird
man an dem Lebensgefühl und den Wertvorstellungen
der Bürger nicht vorbeikommen.


(Beifall bei der FDP)

Wir sind als Juristen und als Verfassungsrechtler aufgeru-
fen, diesen Wertvorstellungen unserer Bürger zu entspre-
chen. Deswegen ist es richtig, den Schutz der Tiere als
Staatsziel zu postulieren, sodass der Gesetzgeber, die Ge-
richte und die Verwaltung den Tierschutz bei der Abwä-
gung mit anderen verfassungsrechtlichen Zielen mit einzu-
beziehen haben. Aus diesem Grund hat die FDP-Fraktion
als erste Fraktion – im Übrigen noch vor den Grünen, Frau
Ministerin Künast –


(Beifall bei der FDP)

am 14. Dezember 1998 im Deutschen Bundestag den Ent-
wurf eines Gesetzes zur Verankerung des Tierschutzes im
Grundgesetz eingebracht.

Nun wird endlich – trotz der zwischenzeitlichen Ab-
lehnung eines Kompromissvorschlags – das Staatsziel
Tierschutz im Grundgesetz verankert. Damals, im
Jahr 2000, ist der Kompromissvorschlag noch an der
CDU gescheitert. Es ist uns aber gelungen, den alten An-
trag der FDP im Rechtsausschuss aufrechtzuerhalten und
so das Thema Tierschutz im Grundgesetz bis heute im Ge-
spräch zu halten.

Wir freuen uns, dass die Bundesvorsitzende der CDU,
die leider wohl heute nicht hier ist, und der Kanzlerkan-
didat der CDU/CSU nunmehr darauf hingewirkt haben,
dass auch die CDU auf eine Kompromisslösung einge-
schwenkt ist, die den alten Kompromissvorschlag aus
dem Jahre 2000 wieder aufnimmt. Manchmal helfen eben
auch bevorstehende Wahlen, auf das Lebensgefühl und
die Wertvorstellungen der Bevölkerung einzugehen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und der PDS – Zuruf von der SPD: Das ist nett gesagt!)


Ein solcher Schritt war auch im Hinblick auf die aktu-
elle Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts unbe-
dingt notwendig, um bei der Abwägung verschiedener
Rechtsgütermit Verfassungsrang,wie zum Beispiel Be-
rufs-, Religions-, Forschungs- oder auch Kunstfreiheit,
dem Tierschutz eine faire Abwägungschance zuzuteilen.
Nur durch die Integration des Tierschutzes ins Grundge-

setz ist eine Abwägung unterschiedlicher, kollidierender
Rechtsgüter mit dem Tierschutz überhaupt möglich.

Es ist auch nicht ersichtlich, warum der Schutz der
Tiere hinter dem bereits in Art. 20 a Grundgesetz enthal-
tenen Staatsziel des Schutzes der natürlichen Lebens-
grundlagen zurückbleiben soll. Nach der herrschenden
Meinung erfasst der bisherige Art. 20 a Grundgesetz zwar
den Tierschutz in Teilbereichen, nämlich bei der Arterhal-
tung und der Erhaltung der natürlichen Lebensgrundla-
gen. Ebenso gewichtige Bereiche wie die Stellung der
Tiere selbst und die Tierhaltung sind jedoch nicht erfasst.

Der nunmehr infrage stehende interfraktionelle Ge-
setzentwurf trägt zum grundsätzlichen Ziel der Stärkung
des Tierschutzes bei.


(Beifall bei der FDP)

Ich bin der Überzeugung, dass die Integration des Tier-
schutzes in das Grundgesetz als Staatszielbestimmung ein
erster Schritt in die von uns schon seit langem vorgedachte
Richtung der Verringerung von Schmerzen, Leiden oder
Schäden durch Intensivtierhaltung, Tiertransporte, Tiertö-
tung und Nutzung von Tieren zu Versuchszwecken ist.

Die Staatszielbestimmung Tierschutz stellt eine ver-
hältnismäßige Abwägung zwischen dem Schutz der Tiere
und den Interessen und Bedürfnissen der Menschen si-
cher.


(Beifall bei der FDP)

Dabei ist hinzuzufügen, dass die wissenschaftlich essen-
zielle Arbeit im Bereich der Grundlagenforschung, vor al-
lem im medizinischen Bereich, im Sinne der Forschungs-
freiheit gewährleistet ist. Es geht bei der Aufnahme des
Tierschutzes ins Grundgesetz in erster Linie um eine Ver-
ringerung von Tierleiden und nicht um grundsätzliche
Schlacht- oder Forschungsverbote.

Mit dem Schutz der Tiere wird eine verbindliche Ver-
fassungsnorm geschaffen, die sowohl eine Richtlinie für
staatliches Handeln als auch eine Verpflichtung des Staa-
tes zur Erfüllung bestimmter Aufgaben darstellt.

Es ist nunmehr in erster Linie die Aufgabe des Gesetz-
gebers, die in Art. 20 a Grundgesetz allgemein gehaltene
Bestimmung des Tierschutzes auch umzusetzen. Dabei
werden wir in der nächsten Legislaturperiode sicherlich
weiterhin gefordert sein. Insoweit teile ich die Auffas-
sung, Frau Ministerin, die Sie eben dargelegt haben.

Heute ist ein guter Tag nicht nur für den Tierschutz,
sondern auch für die Menschlichkeit. Denn die Art und
Weise, wie wir Menschen mit Tieren umgehen, sagt auch
etwas über die Einstellung der Menschen zum Leben aus.
In diesem Sinne bitte ich um Zustimmung zu dieser Än-
derung.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1423700700
Ich erteile der Kolle-
gin Eva Bulling-Schröter, PDS-Fraktion, das Wort.






(C)



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(B)



Eva-Maria Bulling-Schröter (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1423700800
Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Die Tierschutzvereine und die
Tierrechtsbewegung können sich heute freuen. Das, wor-
auf viele Menschen in dieser Republik hingearbeitet ha-
ben und was sie sich seit langer Zeit wünschen, soll heute
beschlossen werden: die Verankerung des Tierschutzes im
Grundgesetz. Endlich, nach vielen Jahren, gibt es eine
Mehrheit im Bundestag, um den Tierschutz in der Verfas-
sung zu verankern.

Ich möchte an dieser Stelle allen Aktivistinnen und Ak-
tivisten der Tierrechtsbewegung,


(Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Kampfgruppen!)


der Tierschutzverbände und der Tierschutzinitiativen mei-
nen Dank für ihr gezeigtes Engagement aussprechen,


(Beifall bei der PDS)

das letztendlich doch dazu geführt hat, dass über dieses
wichtige Anliegen heute abgestimmt werden kann.

Mit der Verankerung des Tierschutzes im Grundgesetz
kann endlich eine Abwägung mit den Grundrechtsartikeln
des Schutzes von Freiheit und Forschung, aber auch mit
der Berufsfreiheit und der Freiheit der Kunst erfolgen. Ich
erwarte, dass die Richter dann neu abwägen werden und
dass auf diesem Weg das Leid vieler Tiere zu Ende gehen
wird.

Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie wir in ei-
ner Anhörung des Rechtsausschusses über die Auswir-
kungen des Bundesverfassungsgerichtsurteils zu den Le-
gehennenbatterien diskutiert haben und wie gerade hier
die Berufsfreiheit eine große Rolle spielte, die angeblich
dann eingeschränkt wird, wenn viele Menschen zum Bei-
spiel fordern, dass Hennen nicht in einem Käfig dahinvege-
tieren müssen, der gerade die Größe eines DIN-A-4-Blattes
besitzt. Ich kann mich auch noch gut daran erinnern, wie bei
den ersten Anhörungen zur Verankerung des Tierschutzes
im Grundgesetz argumentiert wurde, wie der Standort
Deutschland beschworen wurde, wie der Teufel an die
Wand gemalt wurde,


(Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Der Teufel ist Ministerpräsident von Baden-Württemberg!)


dass der Forschungsstandort Deutschland damit zugrunde
gerichtet werde. Ansatzweise haben Sie so wieder argu-
mentiert. All das wird nicht der Fall sein. Im Gegenteil:
Der heutige Beschluss wird auch Zeichen für andere eu-
ropäische Länder setzen, ihrerseits die Rechte und den
Schutz der Tiere in ihre Verfassungen aufzunehmen. Das
finde ich toll.


(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der SPD)


Die PDS-Fraktion im Bundestag hat sowohl in der letz-
ten Legislaturperiode als auch in dieser einen eigenen,
wesentlich weiter gehenden Antrag eingebracht. Wie wir
wissen, wurden die Anträge in der letzten Legislaturperi-
ode nicht behandelt. Auch der erste Anlauf in dieser Le-
gislaturperiode scheiterte an der Weigerung der CDU/
CSU, diesem Anliegen zuzustimmen.

Jetzt hat die Große Koalition von CDU/CSU bis Bünd-
nis 90/Die Grünen einen Gesetzentwurf eingebracht, der
leider die PDS ausschließt.


(Zuruf von der PDS: Unerhört!)

Ich kann hierzu nur sagen: Wie kleinkariert denken Sie ei-
gentlich? Glauben Sie wirklich, wenn Sie uns in dieser
Frage ausgrenzen, dass die Wählerinnen und Wähler Ih-
nen das danken? – Ich glaube das nicht.


(Beifall bei der PDS)

Die PDS-Fraktion im Bundestag wird trotzdem mit großer
Freude diesem Gesetzentwurf zustimmen, weil es uns hier
nicht um Wahlkampf geht, sondern um das Leiden der
Tiere, das in Zukunft – ich erwarte das jedenfalls – zumin-
dest zu einem großen Teil gemindert werden kann.

Zum Tierschutzbericht der Bundesregierung vom
letzten Jahr: Hier gibt es noch viel zu tun. Der Tier-
schutzbericht für das Jahr 2001 weist eine Steigerung der
Tierversuchszahlen von 1998 auf 1999 – neuere Zahlen
liegen uns nicht vor – um 3,8 Prozent aus. Das sind
1,6 Millionen Tiere. In den vergangenen Jahren ist die
Zahl der Tierversuche gesunken. Jetzt steigt sie wieder,
und zwar vor allem bei Primaten. Ich fordere Sie auf, end-
lich etwas zu tun, dass die Zahl der Tierversuche wieder
gesenkt wird, dass mehr in Alternativversuche investiert
wird und dass diese gesetzlich vorgeschrieben werden.


(Beifall bei der PDS)

Das heißt auch, mehr Geld in die ZEBET zu investieren.
Darüber können wir bei den Haushaltsberatungen noch
diskutieren.

Auch das Leiden der Rinder bei den Tiertransporten
muss endlich ein Ende haben. Hier bedarf es noch größe-
rer Bemühungen vonseiten der Bundesregierung, die Sub-
ventionen bei der EU endlich zu stoppen; denn wenn diese
Subventionen weiterfließen, wird es noch mehr Tiertrans-
porte geben. Es gibt auch noch für die zukünftige Bun-
desregierung viel zu tun, egal, ob es um die Regelung der
Haltung von 8,3 Millionen Truthühnern, 1,9 Millionen
Enten und 400 000 Gänsen oder ob es um eine Schweine-
haltungsverordnung geht, die nach wie vor aussteht. Auch
mahnen Tierschutzverbände ein Heimtierschutzgesetz an.
Wir wollen darüber hinaus ein Verbandsklagerecht für
Tierschutzverbände.


(Beifall bei der PDS – Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Das wollen wir nicht!)


– Mir ist klar, dass Sie das nicht wollen.
Im Hinblick auf den Tierschutz im Grundgesetz kann

ich nur sagen: Toll! Wir machen weiter! Zugabe!

(Beifall bei der PDS)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1423700900
Ich erteile der Parla-
mentarischen Staatssekretärin Cornelie Sonntag-Wolgast
das Wort.

Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast, Parl. Staatssekretä-

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1423701000
Herr Präsident!






(C)



(D)



(A)



(B)


Liebe Kollegen und Kolleginnen! Wie lange es doch dau-
ern kann, drei Worte im Grundgesetz zu verankern! An-
fang der 90er-Jahre gab es im Zusammenhang mit den Be-
ratungen der Gemeinsamen Verfassungskommission die
erste größere Auseinandersetzung über dieses Thema. Al-
lerdings scheiterte dann eine Empfehlung für die Auf-
nahme des Tierschutzes in das Grundgesetz am Erforder-
nis der Zweidrittelmehrheit. In den darauf folgenden
Legislaturperioden gab es verschiedene Gesetzesinitia-
tiven; keine wurde abgeschlossen.

Diese Koalition hat gehandelt und in der Koalitions-
vereinbarung festgeschrieben, dass eine Initiative zur
Aufnahme des Tierschutzes in das Grundgesetz ergriffen
werden sollte. Einen entsprechenden Entwurf haben die
Koalitionsfraktionen eingebracht. Wenn ich Ihre warmen
Worte, Herr von Stetten, zur Nähe zu Henne, Pferd, Sau
und Vögeln höre, dann frage ich mich, warum sich die
Union nicht längst bewegt hat.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Weil es einfachgesetzlich auch geht!)


Wir könnten das Thema zum Wohle der Tiere schon längst
abgeschlossen haben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Wir haben immer schon so gehandelt!)


Liebe Kollegen und Kolleginnen, warum brauchen wir
ein Staatsziel Tierschutz? Mit der Vorlage soll der ethi-
sche Tierschutz im Grundgesetz verankert werden. Da-
runter ist der Schutz der Tiere als Individuen zu verste-
hen.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Das ist falsch!)

Sie werden als Wesen mit Empfindungen und Leidens-
fähigkeit anerkannt, denen durch unsere Rechtsordnung
ein Schutz zuteil werden soll. Diese Vorstellung, Herr
Kollege Geis, ist schon im Tierschutzgesetz enthalten, hat
aber keinen verfassungsrechtlichen Ausdruck gefunden.

Der Individualtierschutz geht über Art. 20 a unseres
Grundgesetzes, der den Schutz der natürlichen Lebens-
grundlagen als Staatsziel festschreibt, wesentlich hinaus.
Zwar sind auch in der derzeitigen Fassung des Art. 20 a
einzelne Aspekte des Tierschutzes bereits erfasst, nämlich
Tiere in ihrer Eigenschaft als Bestandteil der natürlichen
Lebensgrundlagen. Das bedeutet: Geschützt sind Füchse
im Wald als Art in ihrem natürlichen Lebensraum, nicht
aber der einzelne Fuchs als Individuum. Nach den Er-
kenntnissen der modernen Verhaltensforschung sind Tiere
Lebewesen mit physischen und psychischen Empfindun-
gen. Diese Tatsache wird von überhaupt niemandem be-
stritten. Das Wissen um die Leidensfähigkeit der Tiere
spiegelt sich aber in unserem Grundgesetz, das auch die
Grundwerte unseres Zusammenlebens enthält, nicht aus-
drücklich wider.

Nun kann ein Bewusstseinswandel sicherlich nicht al-
lein Grund für die Einführung eines entsprechenden
Staatsziels sein. Daneben steht eine verfassungsrechtliche
Notwendigkeit. Der Verfassungsrang des Tierschutzes ist
in den Fällen von Bedeutung, in denen es gilt, den Tier-

schutz gegenüber dem Wortlaut nach vorbehaltlos ge-
währten Grundrechten durchzusetzen. Solche Grund-
rechte, zum Beispiel die Forschungsfreiheit, finden ihre
Grenzen lediglich an anderen Bestimmungen des Grund-
gesetzes. Auch eine Staatszielbestimmung kann ohne
nähere Konkretisierung Grundrechte nicht beschränken.
Der Einfachgesetzgeber erhielte aber die Möglichkeit, für
eine solche Konkretisierung zu sorgen. Die Möglichkei-
ten des Gesetzgebers sind um so vielfältiger, je offener die
Staatszielbestimmung formuliert ist. Deswegen danke ich
den Beamten unseres Ministeriums, aber ebenso denen
des Bundesjustizministeriums ganz herzlich für die tat-
kräftige und sachkundige Hilfe bei der jetzigen Lösung.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Liebe Kollegen und Kolleginnen, ich halte es jetzt für
die ureigene Aufgabe des Parlaments, den Inhalt der Ver-
fassung zu bestimmen und damit die Güter zu benennen,
denen Verfassungsrang zukommen soll. Den Ängstlichen,
die nun befürchten, die Menschen kämen zu kurz, kann
man sagen: Der Schutz der Tiere erfolgt im Rahmen der
verfassungsmäßigen Ordnung. In jede Abwägung muss
einbezogen werden, dass die Verfassung den Menschen
und seine Würde an die höchste Stelle stellt. Daran will
und kann auch ein Staatsziel Tierschutz nichts ändern.


(Zurufe von der CDU/CSU: Richtig! – Gut!)

Der Tierschutz wird auch nicht höher gestellt als der

Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen.

(Zurufe von der CDU/CSU: Das ist richtig!)


Auch dem Vorwurf, der Gesetzgeber werde durch die
Vorgabe von Staatszielen bevormundet, sieht sich die
Dreiwortlösung nicht ausgesetzt. Sie verzichtet bewusst
auf jede Konkretisierung und lässt die Möglichkeit offen,
im einfachen Recht die Funktion von Tieren für den Men-
schen zu berücksichtigen und andererseits den Nutzen der
Tiere für den Menschen nicht zum alleinigen Maßstab zu
machen.

Wer in der Forschung und in der Landwirtschaft, um
hier zwei wichtige Bereiche zu nennen, die Achtung vor
den Tieren und die ethischen Prinzipien wahrt, der hat von
dieser Verfassungsänderung nichts zu befürchten, im Ge-
genteil. Der Gesetzgeber ist nun aufgerufen, selbst das
Rangverhältnis der verschiedenen Verfassungsgüter zu
bestimmen. So wird ein Ausgleich zwischen den berech-
tigten Interessen von Menschen und von Tieren erreicht.

Vor allem aber beleben wir den gesellschaftlichen Dia-
log über eine Frage, die sehr viele Menschen beschäftigt
und interessiert. Das tut auch unserem demokratischen
Rechtsstaat gut. Es tut uns auch gut, dass wir im Augen-
blick im Hinblick auf diese Frage in Europa Vorreiter sind.

Ich bedanke mich.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie des Abg. Rainer Funke [FDP])



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1423701100
Ich erteile dem Kolle-
gen Norbert Geis, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.




Parl. Staatssekretärin Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast
23664


(C)



(D)



(A)



(B)



Norbert Geis (CSU):
Rede ID: ID1423701200
Herr Präsident! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Die CDU/CSU-Frak-
tion wird diesem Gesetzentwurf zustimmen. Ich will ver-
suchen, dies zu begründen. Es ist ja kein Geheimnis, dass
wir uns lange Zeit gegen die Verankerung des Tier-
schutzes in unserer Verfassung gewehrt haben. Dies liegt
aber nicht etwa darin begründet, dass wir die Tiere nicht
genauso schützen wollten wie Sie alle. In dieser Hinsicht
haben wir keinen Nachholbedarf.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Rainer Funke [FDP])


Während unserer Regierungszeit ist das weltweit beste
Tierschutzgesetz formuliert worden. Das ist anerkannt
und völlig unbestritten.

Vielmehr hatten wir immer deshalb Bedenken, weil
wir erstens der Auffassung sind, dass der Tierschutz jetzt
schon in unseren Verfassungsgrundsätzen verankert ist,
und weil wir zweitens der Meinung sind, dass diese Rege-
lung auch einfachgesetzlich gut getroffen werden kann;
das Tierschutzgesetz ist der Beweis dafür. Drittens haben
wir uns vor allem deshalb dagegen gewehrt – das ist heute
schon von Herrn von Stetten im Hinblick auf die Diskus-
sion in der Verfassungskommission erwähnt worden –,
weil es immer Bestrebungen gab, unserer Verfassung von
ihrer Grundausrichtung her eine andere, eine ökozentri-
sche Richtung zu geben. Dagegen haben wir uns immer
gewehrt. Das war der Grund, weshalb wir bei allen Über-
legungen, Tierschutz in der Verfassung zu verankern, sehr
vorsichtig waren.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich will kurz

anreißen, worum es uns dabei geht. Nach unserer Auffas-
sung – das ist hier übereinstimmende Meinung, jedenfalls
auch Ihre Meinung, Frau Sonntag-Wolgast – ist der
Mensch das alleinige Rechtssubjekt unserer Rechtsord-
nung. Ich habe aber schon darauf hingewiesen: Es gab
immer schon den Versuch, daneben auch den Pflanzen,
den Tieren und anderen Schöpfungselementen und der
Natur insgesamt Rechte einzuräumen. Das aber ist nach
unserer Auffassung gemäß der Grundanlage unserer Ver-
fassung nicht möglich. Wir sind der Meinung – das hat
Rupert Scholz wiederholt betont –, dass eine solche Än-
derung unserer verfassungsmäßigen Ordnung ein Verfas-
sungsbruch wäre; entsprechende Gesetze wären verfas-
sungswidriges Verfassungsrecht.

Das heißt aber nicht, dass die Tiere nach diesem Ver-
fassungsverständnis weniger Schutz hätten. Die Tiere
sind keine Sachen, so wie Steine oder Pflanzen Sachen
sind. Es gibt den Empfindungsaustausch zwischen
Mensch und Tier. Die Menschen haben dies auch immer
gewusst. Der Reiter hat zu seinem Pferd ein anderes Ver-
hältnis als der Rennfahrer zu seinem Rennauto. Vom hei-
ligen Franz von Assisi sagt man, dass er mit den Tieren ge-
sprochen habe.

Wir haben 1990 ausdrücklich in das Bürgerliche Gesetz-
buch hineingeschrieben, dass die Tiere keine Sachen sind;
die Tiere sind nach unserem Verständnis Mitgeschöpfe.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das kommt auch in unserem Tierschutzgesetz zum Aus-
druck. Das Schutzgut dieses Gesetzes ist nämlich nicht
das Eigentum des Besitzers, sondern Schutzgut ist das
Tier selbst. Insofern, Frau Sonntag-Wolgast, hat das Tier
eine gewisse Art von Subjektivität. Es ist aber kein
Rechtssubjekt. In diesem Sinne ist es kein Individuum.
Wir wehren uns gegen eine solche Formulierung, weil sie
zu Missdeutungen Anlass geben würde. Es gibt keine ge-
genseitigen Rechtsbeziehungen zwischen Mensch und
Tier.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was?)


Das Tier hat keine Pflichten gegenüber dem Menschen.
Deswegen hat es gegenüber dem Menschen auch keinen
Anspruch auf artgemäße Haltung. Das heißt aber doch
nicht, dass der Tierschutz deshalb geringer wäre; vielmehr
hat der Mensch die Verpflichtung, das Tier zu schützen.
Das haben Sie, Herr Bachmaier, ebenfalls ausdrücklich
betont. Sie haben gesagt – ich tue das auch –, dass der
Mensch deshalb die Verpflichtung hat, das Tier zu schüt-
zen, weil er selbst sonst seine Würde verletzen würde. Es
ist in der Würde des Menschen begründet, dass er die
Kreatur achtet. Von Augustinus bis Kant war man sich da-
rüber einig, dass Tierquälerei die Würde des Menschen
selbst verletzt. Die Selbstachtung des Menschen gebietet
es also, Tiere zu schützen. Nicht deshalb, weil das Tier
etwa Recht gegenüber dem Menschen hätte, sondern des-
halb, weil der Mensch gegenüber seiner eigenen Würde
eine Verpflichtung hat, hat er die Verpflichtung, Tiere zu
schützen. Das ist der Grund dafür, dass man den Tier-
schutz unserer Meinung nach auch in die Verfassung auf-
nehmen kann.


(Beifall bei der CDU/CSU – Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es hat lange gedauert, bis Sie das verstanden haben!)


Auch dann, wenn der Tierschutz nicht in der Verfas-
sung verankert ist, ist unter diesem Blickwinkel auch bei
Tierversuchen im Dienste der menschlichen Gesundheit
darauf zu achten, ob solche Versuche auch wirklich not-
wendig sind. Bei der Entwicklung von Kosmetika jeden-
falls ist dies in hohem Maße zweifelhaft. Auch ohne ver-
fassungsrechtliche Verankerung des Tierschutzes reichen
reine Erwägungen der Nützlichkeit und Wirtschaftlichkeit
nicht als Rechtfertigung dafür aus, bei Tierversuchen
Tiere massenhaft elend zugrunde gehen zu lassen.

Alle diese Grundsätze können insgesamt im einfachen
Gesetz geregelt werden; dazu brauchen wir eigentlich keine
Verfassungsänderung. Aber es besteht überhaupt kein
Zweifel daran, dass durch die Aufnahme in die Verfassung
der Tierschutz ein stärkeres Gewicht erhält. Es ist ein
Staatsziel. Dann ist der Tierschutz nicht mehr auf den guten
Willen des Gesetzgebers angewiesen, sondern der Gesetz-
geber ist aufgrund dieses Staatsziels verpflichtet, dafür zu
sorgen, dass die Tiere entsprechend Schutz erhalten.

Das gilt gleichermaßen für die Wirtschaft. Das gilt
auch für die Forschung. Die Forschungwird künftig stär-
ker darauf zu achten haben, ob nun einzelne Versuche not-
wendig sind oder nicht. Sie muss stärker rechtfertigen,






(C)



(D)



(A)



(B)


weshalb Tierversuche notwendig sind. Das ist richtig so.
Das sehen wir auch so. Das ist aber – ich wiederhole es –
nicht der Grund unserer Skepsis gewesen. Die möglichen
Erschwernisse für Wirtschaft und Forschung waren nicht
Grund unserer Zurückhaltung. Vielmehr war und ist es
unser Anliegen, dass der Mensch Mittelpunkt der Verfas-
sung bleibt.

Wir wollen unsere Verfassung in ihrer Grundanlage so
erhalten, wie sie jetzt ist. Wir sehen in der Formulierung,
die jetzt über die Parteien hinweg, auch mit unseren Be-
richterstattern Dr. Röttgen und Rupert Scholz, ausgehan-
delt worden ist, den Verfassungsbruch, den ich vorhin er-
wähnt habe, nicht. Deswegen können wir bei allen
Vorbehalten zustimmen.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1423701300
Ich erteile Kollegin
Marianne Klappert, SPD-Fraktion, das Wort.


Marianne Klappert (SPD):
Rede ID: ID1423701400
Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Ich wollte genauso anfangen
wie Herr Funke, nämlich mit den Worten: Was lange
währt, wird endlich gut. – Wir können aber auch gemein-
sam sagen: Gut Ding will Weile haben. – Heute erreichen
wir das, wofür wir, viele in diesem Hause, jahrelang ge-
stritten haben.

Ich freue mich ganz besonders darüber, dass wir heute
diesen Beschluss fassen, dass ein Ziel erreicht wird, für
das ich in meiner Funktion als Tierschutzbeauftragte zehn
Jahre lang gekämpft habe.


(Ulrich Heinrich [FDP]: Das stimmt! Du hast sehr viel dafür getan!)


– Richtig, ich habe viel dafür getan.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der FDP und der PDS sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich habe dieses Themenfeld sehr ruhig und sachlich bear-
beitet. Das hat deutlich gemacht, glaube ich, dass man
ohne viel Populismus sehr viel erreichen kann.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Ulrich Heinrich [FDP])


Ich bedanke mich ganz ausdrücklich bei all denjenigen,
die immer mit gestritten haben.

Ich habe mich gerade über die Rede vom Kollegen
Geis wirklich gefreut.


(Werner Lensing [CDU/CSU]: Das ist aber verdächtig!)


Ich denke noch einmal an die letzte Diskussion, Herr Kol-
lege. Damals gab es die gleiche Formulierung zur Auf-
nahme eines Staatsziels, nämlich die Ergänzung um die
drei Worte. Ich erinnere mich nur ungern daran, wie Sie
und andere Kollegen uns hier im Grunde genommen
wirklich beschimpft haben


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


und getan haben, als stünde das Wohl dieser Republik auf
dem Spiel.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Das stimmt nicht! Beschimpft haben wir Sie nicht!)


– Ein bisschen doch. Lesen Sie es im Protokoll noch ein-
mal nach!


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Das weise ich zurück!)


Es hat wirklich ein Bewusstseinswandel stattgefunden
und darüber freue ich mich.

Ich mache keinen Hehl aus meiner Freude, dass die
Koalition von Anfang an dieses Ziel gewollt hat. Auch die
PDS hat es gewollt. Aber besonders freue ich mich darü-
ber, dass wir dieses Ziel mit einer Zweidrittelmehrheit er-
reichen. Damit schaffen wir ein ausgesprochen gutes Fun-
dament. Frau Kollegin Wöhrl hat dabei in sachlicher
Weise geholfen. Sie hat viele Gespräche geführt. Man
muss also ehrlicherweise sagen, dass wir alle gemeinsam
heute etwas erreichen. Das ist wirklich gut für unser Land.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP und der PDS)


Ich will jetzt nicht noch einmal auf die Rechtsfragen
eingehen, die mit dem Staatsziel Tierschutz verbunden
sind. Darüber haben der Kollege Bachmaier und die an-
deren Kollegen sehr ausführlich gesprochen. Ich will nur
noch einmal betonen: Wir haben viel erreicht.

Ich will auf die Tatsache eingehen, dass sehr viele ge-
glaubt haben – das wurde in vielen Zuschriften deutlich –,
dass mit der Aufnahme des Staatsziels Tierschutz bei uns
in der Republik Nachteile für die Forschung, für die Kunst
und für die Landwirtschaft entstehen würden. Wir müssen
deutlich machen, dass wir in der nächsten Legislaturperi-
ode sehr intensiv daran arbeiten werden, damit es nicht zu
diesen Nachteilen kommt.

Wenn ich in den letzten Wochen gefragt worden bin,
was dieses Staatsziel Tierschutz bewirken würde, dann
habe ich immer ehrlich geantwortet: Es wird auch ab mor-
gen in dieser Republik weiterhin Tierversuche geben. Wir
müssen aber gemeinsam verstärkt an Alternativmethoden
arbeiten. Darüber hat Frau Ministerin Künast eben schon
gesprochen. Es gibt die ZEBET. Wir müssen Geld ausge-
ben, damit wir in diesem Bereich Fortschritte erzielen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)


Es wurden heute Morgen schon die Tiertransporte an-
gesprochen. Viele Bürgerinnen und Bürger haben uns
jahrelang Briefe geschrieben und uns aufgefordert, end-
lich diesen Schritt zu gehen. Die Menschen wollen die
schrecklichen Bilder von den Tiertransporten und der In-
tensivtierhaltung nicht mehr sehen. Darauf müssen wir den
Schwerpunkt legen. Meine Fraktion hat sehr intensiv daran
gearbeitet. Manchmal haben mir einige Kollegen gesagt:
Sei doch nicht so penetrant. – Aber ich denke, es war rich-
tig, dass wir es so gemacht haben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)





Norbert Geis
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(C)



(D)



(A)



(B)


Ich will noch auf die Frage eingehen, warum der Tier-
schutz Verfassungsrang haben soll. Wir können in unse-
rer Gesellschaft teilweise eine schrankenlose Ausbeutung
feststellen. Wir müssen uns immer wieder die Frage stel-
len, ob wir so weiterleben wollen. Das ist die Kernfrage.
Wir müssen deutlich machen, dass wir eine andere Ge-
sellschaft wollen. Das ist für uns ein ganz wichtiger
Punkt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


Da ich aus dem Bundestag ausscheide, will ich die Ge-
legenheit nutzen, den vielen Tierschützerinnen und Tier-
schützern und auch den Tierschutzverbänden Dank zu sa-
gen. Die Tierschutzverbände haben eine Leistung
erbracht, die wir nicht hoch genug einschätzen können.
Sie haben sehr beständig mit allen zusammengearbeitet.
Ich habe mich sehr gefreut, dass sich in den letzten Jahren
die Tierschutzverbände zusammengefunden haben. Sie
haben ein Bündnis für den Tierschutz geschlossen und ha-
ben verbandsinterne Interessen zurückgestellt, weil sie er-
kannt hatten, dass man nur gemeinsam etwas erreichen
kann. Genau das machen wir heute auch. Deswegen ein
ganz besonderer Dank an alle Tierschützer dieser Repu-
blik.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP und der PDS)


Lieber Uli Heinrich, es ist schön, dass man am Ende
seiner Tätigkeit einen Erfolg erringen kann, für den man
jahrelang gekämpft hat.


(Ulrich Heinrich [FDP]: Den hast du auch verdient!)


Danke schön für die Zusammenarbeit.

(Beifall im ganzen Hause)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1423701500
Herzlichen Dank für
Ihre vermutlich letzte Rede.

Nun hat die Kollegin Ulrike Höfken, Bündnis 90/Die
Grünen, das Wort.


Ulrike Höfken-Deipenbrock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1423701600
Sehr
geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kolle-
gen! Egal, wie die Vorgeschichte dieser Grundgesetzän-
derung ist: Die Grundgesetzänderung, die wir heute be-
schließen werden, ist ein Meilenstein für den Tierschutz.
Für diesen Erfolg haben wir Grünen jahrelang gekämpft.
Es ist auch ein Erfolg des Parlaments; es ist insbesondere
ein Erfolg meiner Kollegin Marianne Klappert.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)

Das Anliegen, den Tierschutz im Grundgesetz zu

verankern, haben wir seit 1994 immer wieder in den Bun-
destag eingebracht. Die rot-grüne Bundesregierung hat es
sich zum Ziel gemacht, dem Tierschutz durch eine Grund-
gesetzänderung endlich die notwendige Rechtsgrundlage

zu geben. Bisher sind wir an dem Widerstand der Union
gescheitert. Ich bin froh darüber, dass wir jetzt einen ge-
meinsamen Gesetzentwurf einbringen und dass die Union
einen Wertewandel vollzogen hat. Ich appelliere an alle
Unionsabgeordneten, dieser Grundgesetzänderung nun
auch geschlossen zuzustimmen.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Der politische Druck spielt natürlich eine Rolle. Sie
wissen genau, dass wir nicht aufgeben und diese Debatte
fortführen würden. Die Öffentlichkeit unterstützt diese
Grundgesetzänderung: 80 Prozent der Bevölkerung; die
Tierschutzverbände, denen auch ich meinen herzlichsten
Dank für ihre Aktivitäten aussprechen möchte; die Pro-
minenten, die sich dafür einsetzen; die Bundesministerin-
nen Renate Künast und Herta Däubler-Gmelin; der
Bauernverband; die Tierärztekammer und der Fleischer-
Verband. Ich appelliere an Sie persönlich und möchte Sie
davon überzeugen, dass Ihre Zustimmung wichtig ist. Es
geht um die drei Worte „und die Tiere“. Mit diesen drei
Worten werden wir erreichen, dass der Tierschutz so um-
gesetzt wird, wie es das Tierschutzgesetz seit 1998 vor-
sieht.

Ich möchte etwas Verbindendes erwähnen: Dieses
Tierschutzgesetz wurde von der alten Bundesregierung
unter Mitarbeit der Opposition beschlossen. Auch Sie
wollten den Schutz der Tiere schon 1994 in die Verfas-
sung aufnehmen. Sie meinten, mit dem Zusatz „der Le-
bensgrundlagen“ sei dies erreicht worden. Es hat sich aber
herausgestellt, dass genau das nicht der Fall war; denn die
Grundrechte der Freiheit der Forschung, der Lehre, der
Kunst, der Religion und die Gewerbefreiheit sprachen da-
gegen. Es war nicht möglich, dem Tierschutz in der
Rechtsprechung eine faire Chance zu geben. Es kann
nicht sein, dass Gerichte aufgrund eines Grundrechts oder
der Forschungsfreiheit selbst gröbste Tierquälerei nicht
verhindern können. Sie alle kennen die Beispiele der Af-
fenversuche in Berlin. Dieses Parlament löst diesen recht-
lichen Widerspruch heute auf.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


Natürlich schaffen wir durch diese Änderung nicht alle
tierquälerischen Tiertransporte in Europa ab. Wir retten
nicht alle Igel, die von Autos überfahren werden, die Vö-
gel, die mit Flugzeugen kollidieren


(Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/ CSU]: Die 500 000 Vögel, die mit Windanlagen kollidieren!)


oder, Herr von Stetten, manchmal auch mit den Windan-
lagen. Übrigens stellen sich die Vögel auf diese Gefahr
ein. Man hat in diesem Bereich schon viel verbessert.

Es gibt noch viel zu tun. Darauf haben viele Vorredne-
rinnen und Vorredner, vor allem unsere Bundesministerin
Renate Künast, hingewiesen. Es gibt einen Arbeitsauftrag
für die weitere politische Arbeit in der nächsten Legislatur-
periode. Vielleicht entwickelt sich, wenn all diese Argu-
mente nicht helfen, aber auch ein gewisses Eigeninteresse;
denn die Grenzen zwischen Mensch und Tier verschwim-
men gerade aufgrund der Gentechnik immer mehr.




Marianne Klappert

23667


(C)



(D)



(A)



(B)


Abschließend möchte ich auf „Die Entwicklung der
Menschheit“ von Erich Kästner hinweisen. Er zeigte auf,
dass die Grenzen zwischen Mensch und Tier vielleicht
doch nicht so groß sind. Er schreibt:

Einst haben die Kerls auf den Bäumen gehockt,
behaart und mit böser Visage.
Dann hat man sie aus dem Urwald gelockt
und die Welt asphaltiert und aufgestockt
bis zur dreißigsten Etage.
...
Sie hören weit. Sie sehen fern.
Sie sind mit dem Weltall in Fühlung.
Sie putzen die Zähne. Sie atmen modern.
Die Erde ist ein gebildeter Stern
mit sehr viel Wasserspülung.
...
So haben sie mit dem Kopf und dem Mund
den Fortschritt der Menschheit geschaffen.
Davon mal abgesehen und
bei Lichte betrachtet sind sie im Grund
noch immer die alten Affen.

Auch deshalb wollen wir, in aller Bescheidenheit, den
Schutz der Tiere ins Grundgesetz aufnehmen.

Danke schön.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP und der PDS)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1423701700
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Heinz Schmitt, SPD-Fraktion.


Heinz Schmitt (SPD):
Rede ID: ID1423701800
Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Auch ich freue mich, wie
viele meiner Vorrednerinnen und Vorredner, dass wir
heute nach vielen Anläufen ein Gesetz beschließen, das
die Unterstützung des ganzen Hauses finden wird. Tier-
schutz wird als Staatsziel im Grundgesetz verankert. Da-
mit wird der Verantwortung des Menschen für das Mitge-
schöpf Tier ein höherer Stellenwert eingeräumt, als das
bisher der Fall ist.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Dies ist gut für den Tierschutz, aber es ist auch ein

wichtiger Schritt für unsere Gesellschaft überhaupt. Wir
alle kennen die Bilder von Tieren, denen auf unterschied-
liche Weise Qualen zugefügt werden. Wir wissen um die
Problematik von Nutztieren, die gegen ihre natürliche Le-
bensart gehalten und gezüchtet werden. Es gibt Tiertrans-
porte, bei denen ein Großteil der Tiere bereits beim Trans-
port qualvoll verendet. Wenn man sich die Bilder von
gewissen Tierversuchen vor Augen führt, läuft einem ein
Schauer über den Rücken. Aus all diesen Gründen ist es
dringend geboten, dem Tierschutz einen höheren Stellen-
wert einzuräumen, damit im Einzelfall ein besserer Um-
gang mit dem Mitgeschöpf Tier möglich wird.

In der Diskussion um die heutige Grundgesetzände-
rung wurden insbesondere vonseiten der Wissenschaft

Bedenken geäußert. Es gibt Befürchtungen, das Staatsziel
Tierschutz könne wichtige Forschungen massiv behin-
dern und erschweren. Diese Einwände wurden im Bil-
dungs- und Forschungsausschuss eingehend diskutiert.
Ich meine, wir können die Wissenschaftler beruhigen. Es
ist nicht davon auszugehen, dass mit der jetzt gefundenen
Regelung unverantwortbare Einschränkungen von not-
wendigen Forschungstätigkeiten verbunden sind.

Wir wollen aber dem Tierschutz dort einen höheren
Stellenwert einräumen, wo im Einzelfall zwischen For-
schungsfreiheit und Tierschutz abzuwägen ist. Wir wol-
len darauf hinwirken, Tierversuche durch andere Metho-
den zu ersetzen, wo immer dies möglich ist.

Was das Verfahren bei der Überprüfung von For-
schungsvorhaben angeht, gehen wir nicht von einer
grundlegenden Änderung der bisherigen Regelungen aus.
Diese Überprüfungen sind schon jetzt im Tierschutzge-
setz hinreichend geregelt und werden mit der heutigen
Grundgesetzänderung nicht verändert. Die Neuregelung
unterstreicht aber nachdrücklich den Grundkonsens in un-
serer Gesellschaft, Forschungen mit Tierversuchen auf
das unverzichtbare Maß zu reduzieren und zu begrenzen.
So gesehen, ist die jetzt anstehende Einführung eines
Staatszieles Tierschutz nicht als zusätzliche Hürde für die
Forschung gedacht, wohl aber als Auftrag an die Forscher,
einen größtmöglichen Beitrag zur Vermeidung von Tier-
versuchen zu erbringen.

Ich möchte auch erwähnen, dass wir die Wissenschaft-
ler mit dieser Aufgabe nicht allein lassen. Die Bundesre-
gierung unterstützt mit einem weltweit einzigartigen För-
derprogramm schon seit vielen Jahren die Entwicklung
von Ersatzmethoden zu Tierversuchen. Dabei wurden be-
reits große Fortschritte erzielt. Ich denke, dass wir gerade
in der Abwägung zwischen Tierschutz auf der einen und
Forschungsfreiheit auf der anderen Seite eine gut vertret-
bare Lösung gefunden haben.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit der Aufnahme
der drei Worte „und der Tiere“ in das Grundgesetz setzen
wir ein deutliches Zeichen für einen humaneren Umgang
mit Tieren. Das ist auch ein Ausweis für eine aufgeklär-
tere Gesellschaft. Ich danke allen, die mit langem Atem
für dieses gute Ergebnis gesorgt und dafür gearbeitet ha-
ben.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1423701900
Ich schließe die Aus-
sprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den von den Frak-
tionen der SPD, der CDU/CSU, des Bündnisses 90/Die
Grünen und der FDP eingebrachten Gesetzentwurf auf
Drucksache 14/8860 zur Änderung des Grundgesetzes,
Staatsziel Tierschutz. Der Rechtsausschuss empfiehlt un-
ter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Druck-
sache 14/9090, den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte
diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen,
um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Be-




Ulrike Höfken
23668


(C)



(D)



(A)



(B)


ratung bei einigen Gegenstimmen und einigen Enthal-
tungen angenommen.

Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich weise darauf hin, dass nach
Art. 79 des Grundgesetzes ein Gesetz zur Änderung des
Grundgesetzes die Zustimmung von zwei Dritteln der
Mitglieder des Bundestages, das heißt mindestens
444 Stimmen, erfordert. Es ist namentliche Abstimmung
verlangt worden. Zu dieser Abstimmung liegen persön-
liche Erklärungen der Kolleginnen und Kollegen Deittert,
Diemers, Göhner, Lensing und Sothmann vor.1)

Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die
vorgesehenen Plätze einzunehmen. – Sind die Plätze ein-
genommen? – Das ist der Fall. Ich eröffne die Abstim-
mung.

Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme nicht abgegeben hat? – Das ist nicht der Fall. Ich
schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen
und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Er-
gebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekannt gege-
ben.2)

Wir setzen jetzt die Abstimmungen fort. Ich bitte Sie,
dazu Platz zu nehmen.

Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses auf
Drucksache 14/9090 zu den von den Fraktionen der SPD
und des Bündnisses 90/Die Grünen, von der Fraktion der
FDP und von der Fraktion der PDS eingebrachten
Gesetzentwürfen zur Änderung des Grundgesetzes. Der
Ausschuss empfiehlt unter den Buchstaben b bis d sei-
ner Beschlussempfehlung, die Gesetzentwürfe auf den
Drucksachen 14/8360,14/207 und 14/279 für erledigt zu
erklären. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung?
– Gegenprobe! – Enthaltungen? – Die Beschlussemp-
fehlung ist einstimmig angenommen.

Abstimmung über den vom Bundesrat eingebrachten
Gesetzentwurf auf Drucksache 14/758 zur Änderung des
Grundgesetzes. Der Rechtsausschuss empfiehlt unter
Buchstabe e seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache
14/9090, den Gesetzentwurf abzulehnen. Ich bitte dieje-
nigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das
Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? –
Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stim-
men des Hauses bei Enthaltung der PDS-Fraktion abge-
lehnt. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die
weitere Beratung.

Beschlussempfehlung des Ausschusses für Verbrau-
cherschutz, Ernährung und Landwirtschaft auf Druck-
sache 14/8168. Unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung
empfiehlt der Ausschuss, in Kenntnis des Tier-
schutzberichtes 2001 der Bundesregierung den Antrag der
Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen
auf Drucksache 14/7180 mit dem Titel „Verbesserungen
im Tierschutz national und europaweit vorantreiben“
anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-

lung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Be-
schlussempfehlung ist mit den Stimmen von SPD, Bünd-
nis 90/Die Grünen und PDS gegen die Stimmen von
CDU/CSU und FDP angenommen.

Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der
Ausschuss, in Kenntnis des Tierschutzberichtes 2001
den Antrag der Fraktion der CDU/CSU auf Druck-
sache 14/6047 mit dem Titel „Tierschutz auf nationaler
und EU-Ebene fortentwickeln“ abzulehnen. Wer stimmt
für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? –
Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und PDS ge-
gen die Stimmen von CDU/CSU und FDP angenommen.

Ich rufe die Zusatzpunkte 26 bis 31 auf, also die
Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses. Eine
Aussprache ist nicht vorgesehen.

Zusatzpunkt 26:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 387 zu Petitionen
– Drucksache 14/9070 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltun-
gen? – Die Sammelübersicht 387 ist mit den Stimmen des
Hauses bei Enthaltung der PDS-Fraktion angenommen.

Zusatzpunkt 27:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 388 zu Petitionen
– Drucksache 14/9071 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Die Sammelübersicht 388 ist mit den Stimmen
des Hauses bei Enthaltung der PDS angenommen.

Zusatzpunkt 28:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 389 zu Petitionen
– Drucksache 14/9072 –

Wer stimmt dafür? – Dagegen? – Enthaltungen? – Die
Sammelübersicht 389 ist mit den Stimmen des Hauses bei
Enthaltung der PDS angenommen.

Zusatzpunkt 29:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 390 zu Petitionen
– Drucksache 14/9073 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Die Sammelübersicht 390 ist einstimmig ange-
nommen.

Zusatzpunkt 30:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 392 zu Petitionen
– Drucksache 14/9075 –




Präsident Wolfgang Thierse

23669


(C)



(D)



(A)



(B)


1) Anlage 2
2) Seite 23669

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Die Sammelübersicht 392 ist mit den Stimmen
von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und PDS gegen die
Stimmen von CDU/CSU und FDP angenommen.

Zusatzpunkt 31:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 395 zu Petitionen
– Drucksache 14/9076 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Die Sammelübersicht 395 ist mit den Stimmen
des Hauses bei Gegenstimmen der PDS angenommen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich rufe Tagesord-
nungspunkt 22 sowie Zusatzpunkt 20 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Horst
Seehofer, Wolfgang Lohmann (Lüdenscheid),
Dr. Wolf Bauer, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der CDU/CSU
Gesundheitswesen patientenorientiert, freiheit-
lich und zukunftssicher gestalten
– Drucksache 14/8595 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Dieter
Thomae, Detlef Parr, Dr. Irmgard Schwaetzer,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Für eine leistungsfähige und bezahlbare Gesund-
heitsversorgung
– Drucksache 14/9054 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen
Wolfgang Lohmann, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.


Wolfgang Lohmann (CDU):
Rede ID: ID1423702000

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Sie dankenswerter-
weise noch hier geblieben sind! „Gesundheitswesen
patientenorientiert, freiheitlich und zukunftssicher gestal-
ten“ – das ist die Überschrift unseres Antrages, der uns
veranlasst, heute noch einmal über Gesundheitspolitik zu
diskutieren. Rot-Grün ist 1998 angetreten, um eine – ich
zitiere – „entschlossene Reformpolitik“ zu betreiben.
Heute wissen wir, dass dies nichts als eine vollmundige
Erklärung gewesen ist.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Reformbedarf allerorten: in der Steuerpolitik, in der

Renten- und Arbeitsmarktpolitik und vor allem in der Ge-
sundheitspolitik. Obwohl die rot-grüne Regierung inzwi-
schen zwei Ministerinnen verschlissen hat, konnte sie
dennoch nicht einmal ansatzweise die Probleme in der

GKV lösen, im Gegenteil: Aus einem Überschuss der
gesetzlichen Krankenversicherung in Höhe von 1 Milli-
arde Euro wurde ein Defizit von 2,8 Milliarden Euro.
Kein Wunder also, dass der Bundeskanzler Frau Schmidt
nicht erwähnt hat, als er jene Minister aufzählte, mit de-
ren Arbeit er besonders zufrieden war und die er – wenn
die Wähler ihm die Möglichkeit geben – ins nächste Ka-
binett berufen möchte. Deutlicher kann ein amtierender
Bundeskanzler den Stab nicht über eine Ministerin bre-
chen. Aber das ist ein internes Problem.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Nicht nur der Bundeskanzler hält die Politik von Frau

Schmidt für misslungen, auch die Menschen in diesem
Land. Nach der jüngsten Umfrage des Allensbach-Insti-
tutes sind drei Viertel der Bevölkerung mit der Gesund-
heitspolitik nicht zufrieden. 32 Prozent berichten inzwi-
schen allgemein von Leistungseinschränkungen, die sie
persönlich erfahren haben; vor allem chronisch Kranke
sind davon betroffen. 43 Prozent von diesen kranken
Menschen wiederum haben aufgrund Ihrer Gesundheits-
politik, Frau Ministerin, am eigenen Leib erfahren, was
Rationierung bedeutet.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Es gibt keine größere soziale Ungerechtigkeit als die
Vorenthaltung medizinisch notwendiger Leistungen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Rot-Grün hat mit der Wiedereinführung der Budgetie-
rung im Jahre 1998 den Weg in die Zweiklassenmedizin
beschritten. Unter der Regierung Schröder ist Spitzen-
medizin immer mehr zum Privileg von Besserverdienen-
den geworden.


(Annette Widmann-Mauz [CDU/CSU]: Wohl wahr!)


Da wagen Sie es nun auch noch, sich das Mäntelchen der
sozialen Gerechtigkeit umzuhängen.

Sie haben vier Jahre lang die Interessen der Patienten
und Versicherten aus den Augen verloren. Sie haben vier
Jahre lang – Sie tun es noch immer – die Versorgungs-
situation schöngeredet und die Probleme der Patienten
ignoriert. Sie haben in Ihrer Koalitionsvereinbarung eine
Stärkung der Patientenrechte und des Patientenschutzes
vorgesehen. Das wichtigste Recht, nämlich das Recht auf
medizinisch notwendige Versorgung, haben Sie in Wirk-
lichkeit geschädigt.


(Beifall bei der CDU/CSU – Aribert Wolf [CDU/ CSU]: Da hilft nur eines: abwählen!)


Versuchen Sie jetzt bitte nicht, sich als Bewahrer von
Solidarität und sozialer Gerechtigkeit aufzuspielen. Noch
unsozialer, noch ungerechter und noch unsolidarischer als
jetzt kann Gesundheitspolitik kaum werden.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Die Versicherten zahlen die höchsten Beiträge, die es je
gab – wenigstens das kann nicht bestritten werden –, und
erhalten dennoch eine nicht ausreichende Versorgung.


(Abg. Horst Schmidbauer [Nürnberg] [SPD] meldet sich zu einer Zwischenfrage)





Präsident Wolfgang Thierse
23670


(C)



(D)



(A)



(B)


Auch Herr Schmidbauer wird mich nicht daran hindern,
diesen Gedanken zu Ende zu führen, Herr Präsident.


(Heiterkeit bei der CDU/CSU)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1423702100
Ist das schon eine Ab-
lehnung?


Wolfgang Lohmann (CDU):
Rede ID: ID1423702200
Ja.
Das Ritual kennt man. – Menschen, die alt und pflege-
bedürftig sind, müssen erst wund gelegen sein – das muss
er sich jetzt nämlich anhören –, bevor die Krankenkassen
Leistungen der häuslichen Krankenpflege bezahlen. Pro-
phylaxen, die auf das Verhindern eines Druckgeschwüres
zielen, werden von den Kassen kategorisch abgelehnt. We-
sentliche Leistungen der häuslichen Krankenpflege sind
durch die Richtlinien zur häuslichen Krankenpflege nicht
mehr im notwendigen Umfang verordnungsfähig. Andere
medizinisch-pflegerisch erforderliche Krankenpflegemaß-
nahmen fehlen in den Richtlinien völlig.

Statt sich nun dieser Probleme anzunehmen, schiebt
Rot-Grün die Verantwortung auf die Länder. Dieses miese
Schwarzer-Peter-Spiel in der Antwort der Bundesregie-
rung auf eine Kleine Anfrage von uns ist beredtes Zeug-
nis für ihre Unfähigkeit. Statt höchst alarmiert zu fragen –
dazu wäre das die passende Gelegenheit gewesen –, ob die
novellierten Richtlinien zur häuslichen Krankenpflege zu
Defiziten in der Krankenpflege führen, ob in ihnen wich-
tige Leistungen der Krankenpflege fehlen, ob der Bun-
desausschuss Ärzte und Krankenkassen daher möglicher-
weise aufgefordert werden muss, die Richtlinien neu zu
fassen, sagt die Regierung lapidar: Wir haben keine Er-
kenntnisse. – Das steht schwarz auf weiß in ihrer Antwort.

Dabei könnte die Regierung aus der hohen Zahl an Wi-
dersprüchen und aus den zahlreichen Berichten in den
Medien durchaus Informationen beziehen. Die Bundesre-
gierung bemüht sich aber noch nicht einmal darum, Er-
kenntnisse zu erlangen und Nachforschungen anzustellen
oder diese zumindest anzukündigen. Stattdessen wird da-
rauf verwiesen, dass die Länder die Aufsicht über die Ein-
haltung der Richtlinien durch Ärzte und Pflegedienste
hätten. Der Knackpunkt liegt aber nicht in der Einhaltung,
sondern in der Ausgestaltung der Richtlinien. Dafür ist die
Bundesregierung zuständig.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Diese Regierung, die das Wort „Qualität“ ständig im

Munde führt, ist noch nicht einmal in der Lage, eine den
Grundbedürfnissen entsprechende medizinische Versor-
gung sicherzustellen. Was nützen da auf Evidenz basie-
rende Leitlinien und Behandlungsstandards? Diese helfen
gar nichts.

Um sich selbst und das Ansehen der rot-grünen Regie-
rung zu retten, kündigt Ministerin Schmidt in dieser Wo-
che an, die Wählerschaft mit Wahlgeschenken zu ködern.
Aber Vorsicht! Ein Rattenfänger ist unterwegs. Chronisch
Kranke sollen zukünftig – so heißt die Botschaft – von
Zuzahlungen freigestellt werden. Chronisch Kranke sind
aber bereits heute von Zuzahlungen befreit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


In Deutschland erbringt mittlerweile mehr als die Hälfte
der Versicherten keine Zuzahlungen mehr. Das ist Tatsa-
che. Frau Schmidt will die chronisch Kranken mit diesem
Lockangebot offenbar für die so genannten Disease-Ma-
nagement-Programme gewinnen, die nach bisheriger Er-
kenntnis qualitativ minderwertig ausfallen werden – das
ist zumindest der Stand – und offenbar unter dem Versor-
gungsniveau bereits bewährter Programme für chronisch
Kranke liegen.

Meine Damen und Herren, ich erspare es mir, weitere
dieser hübschen Packungen ohne Inhalt auszupacken. Ich
denke, Sie haben auch so einen Eindruck von der Moge-
lei erhalten. Diese Regierung mit dieser Gesundheitspoli-
tik muss abgewählt werden – so war das Credo von Pati-
enten, Ärzten, Psychotherapeuten, Arzthelferinnen und
Krankenschwestern am Rande des gestrigen und vorge-
strigen Hauptstadtkongresses. Recht haben sie.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Diese Regierung hat abgewirtschaftet.

Die Bevölkerung wünscht den Wechsel. In der Ge-
sundheitspolitik dürfen die Menschen darauf vertrauen,
dass sie bei der Union wieder in den Mittelpunkt eines neu
gestalteten Gesundheitswesens gestellt werden. Dabei
dürfen sich die Menschen darauf verlassen, dass ihnen
auch künftig alle medizinisch notwendigen Leistungen
gewährt werden. Wir wollen dem Bedürfnis von Patien-
ten und Versicherten entgegenkommen, dass sie auch in
der GKVwie mündige Bürger behandelt werden und über
den Umfang ihres Versicherungsschutzes bestimmen
können. Die Versicherten sollen nämlich selbst entschei-
den, ob sie den bisherigen Versicherungsschutz beibehal-
ten, zusätzliche Leistungen erhalten oder bei gleichzeiti-
ger Beitragsermäßigung Leistungen abwählen oder einen
Selbstbehalt übernehmen wollen.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1423702300
Herr Kollege
Lohmann, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Schmidbauer?


Wolfgang Lohmann (CDU):
Rede ID: ID1423702400

Nein, ich lasse keine Zwischenfrage zu. Das gilt für meine
gesamte lange Rede, die ich hier zu halten habe.


(Horst Schmidbauer [Nürnberg] [SPD]: So ein Feigling!)


Ich weiß, meine Damen und Herren, dass Sie Ihre Pro-
bleme mit diesen Vorschlägen haben. Sie haben nämlich
Angst vor mündigen Bürgern, die von ihren Freiheits-
rechten Gebrauch machen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Ihnen sind Staats- und Listenmedizin, Bürokratismus und
Dirigismus noch immer lieber. Man kann aber feststellen:
Sie haben mit diesen Methoden das Gesundheitssystem
an die Wand gefahren. Damit muss jetzt Schluss sein. Wir
brauchen nicht mehr Vorschriften und Institute, die immer
mehr Personal bei Ärzten, Pflegekräften, Krankenhäusern
und Kassen binden. Wir brauchen endlich eine dem Patien-
ten und Versicherten zugewandte Medizin. Ärzte und Pfle-
gekräfte müssen wieder mehr Zeit für ihre eigentlichen
Aufgaben bekommen und von Dokumentationspflichten




Wolfgang Lohmann (Lüdenscheid)


23671


(C)



(D)



(A)



(B)


und Ähnlichem entlastet werden. Die Patienten müssen
über die Qualität der medizinischen Versorgung wie über
die Leistungen und deren Abrechnung informiert werden.

Unser Ziel ist es, das Vertrauen der Patienten und Versi-
cherten in das System unserer vom Prinzip her bewährten
gesetzlichen Krankenversicherung wieder herzustellen. Wir
dürfen dank des Zuspruchs durch die Bevölkerung hoffen,
dass wir nach dem 22. September damit beginnen können.

Schönen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1423702500
Liebe Kolleginnen
und Kollegen, ich komme zu Tagesordnungspunkt 21 a
zurück und gebe das von den Schriftführerinnen und
Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen
Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktionen
der SPD, der CDU/CSU, des Bündnisses 90/Die Grünen
und der FDP zur Änderung des Grundgesetzes – Staats-
ziel Tierschutz – bekannt: Abgegebene Stimmen 577.
Mit Ja haben gestimmt 543, mit Nein haben gestimmt
19, Enthaltungen 15. Der Gesetzentwurf ist damit ange-
nommen.




Wolfgang Lohmann (Lüdenscheid)

23672


(C)



(D)



(A)



(B)


Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 576;
davon

ja: 542
nein: 19
enthalten: 15

Ja
SPD
Brigitte Adler
Gerd Andres
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Hermann Bachmaier
Ernst Bahr
Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Eckhardt Barthel (Berlin)

Klaus Barthel (Starnberg)

Ingrid Becker-Inglau
Wolfgang Behrendt
Dr. Axel Berg
Hans-Werner Bertl
Friedhelm Julius Beucher
Petra Bierwirth
Lothar Binding (Heidelberg)

Kurt Bodewig
Klaus Brandner
Anni Brandt-Elsweier
Willi Brase
Rainer Brinkmann (Detmold)

Bernhard Brinkmann

(Hildesheim)


Hans-Günter Bruckmann
Edelgard Bulmahn
Ulla Burchardt
Dr. Michael Bürsch
Hans Martin Bury
Hans Büttner (Ingolstadt)

Marion Caspers-Merk
Wolf-Michael Catenhusen
Dr. Peter Danckert
Dr. Herta Däubler-Gmelin
Christel Deichmann
Karl Diller
Peter Dreßen
Detlef Dzembritzki
Dieter Dzewas
Sebastian Edathy
Ludwig Eich

Marga Elser
Peter Enders
Gernot Erler
Petra Ernstberger
Annette Faße
Lothar Fischer (Homburg)

Gabriele Fograscher
Iris Follak
Norbert Formanski
Rainer Fornahl
Hans Forster
Lilo Friedrich (Mettmann)

Harald Friese
Anke Fuchs (Köln)

Arne Fuhrmann
Monika Ganseforth
Günter Gloser
Uwe Göllner
Renate Gradistanac
Günter Graf (Friesoythe)

Angelika Graf (Rosenheim)

Dieter Grasedieck
Monika Griefahn
Kerstin Griese
Achim Großmann
Wolfgang Grotthaus
Karl-Hermann Haack

(Extertal)


Hans-Joachim Hacker
Klaus Hagemann
Manfred Hampel
Alfred Hartenbach
Anke Hartnagel
Klaus Hasenfratz
Nina Hauer
Hubertus Heil
Reinhold Hemker
Frank Hempel
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Monika Heubaum
Reinhold Hiller (Lübeck)

Stephan Hilsberg
Gerd Höfer
Jelena Hoffmann (Chemnitz)

Walter Hoffmann

(Darmstadt)


Iris Hoffmann (Wismar)

Frank Hofmann (Volkach)

Ingrid Holzhüter
Eike Hovermann
Christel Humme

Lothar Ibrügger
Barbara Imhof
Brunhilde Irber
Gabriele Iwersen
Renate Jäger
Jann-Peter Janssen
Ilse Janz
Dr. Uwe Jens
Volker Jung (Düsseldorf)

Johannes Kahrs
Ulrich Kasparick
Sabine Kaspereit
Susanne Kastner
Ulrich Kelber
Hans-Peter Kemper
Klaus Kirschner
Marianne Klappert
Siegrun Klemmer
Hans-Ulrich Klose
Fritz Rudolf Körper
Karin Kortmann
Anette Kramme
Nicolette Kressl
Volker Kröning
Angelika Krüger-Leißner
Horst Kubatschka
Ernst Küchler
Helga Kühn-Mengel
Ute Kumpf
Dr. Uwe Küster
Werner Labsch
Christine Lambrecht
Brigitte Lange
Christian Lange (Backnang)

Detlev von Larcher
Christine Lehder
Waltraud Lehn
Klaus Lennartz
Dr. Elke Leonhard
Eckhart Lewering
Götz-Peter Lohmann

(Neubrandenburg)


Gabriele Lösekrug-Möller
Erika Lotz
Dr. Christine Lucyga
Dieter Maaß (Herne)

Winfried Mante
Dirk Manzewski
Tobias Marhold
Lothar Mark
Ulrike Mascher
Christoph Matschie
Heide Mattischeck

Markus Meckel
Ulrike Mehl
Ulrike Merten
Angelika Mertens
Dr. Jürgen Meyer (Ulm)

Ursula Mogg
Christoph Moosbauer
Siegmar Mosdorf
Michael Müller (Düsseldorf)

Jutta Müller (Völklingen)

Christian Müller (Zittau)

Franz Müntefering
Andrea Nahles
Volker Neumann (Bramsche)

Dr. Edith Niehuis
Dr. Rolf Niese
Dietmar Nietan
Günter Oesinghaus
Leyla Onur
Manfred Opel
Holger Ortel
Adolf Ostertag
Kurt Palis
Albrecht Papenroth
Dr. Martin Pfaff
Georg Pfannenstein
Johannes Pflug
Dr. Eckhart Pick
Joachim Poß
Karin Rehbock-Zureich
Dr. Carola Reimann
Margot von Renesse
Renate Rennebach
Bernd Reuter
Dr. Edelbert Richter
Christel Riemann-
Hanewinckel

Reinhold Robbe
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth (Heringen)

Gerhard Rübenkönig
Marlene Rupprecht
Dr. Hansjörg Schäfer
Gudrun Schaich-Walch
Bernd Scheelen
Dr. Hermann Scheer
Siegfried Scheffler
Horst Schild
Dieter Schloten
Horst Schmidbauer

(Nürnberg)


Ulla Schmidt (Aachen)





Präsident Wolfgang Thierse

23673

Silvia Schmidt (Eisleben)

Dagmar Schmidt (Meschede)

Wilhelm Schmidt (Salzgitter)

Dr. Frank Schmidt

(Weilburg)


Heinz Schmitt (Berg)

Carsten Schneider
Dr. Emil Schnell
Walter Schöler
Karsten Schönfeld
Fritz Schösser
Ottmar Schreiner
Dr. Mathias Schubert
Richard Schuhmann

(Delitzsch)


Brigitte Schulte (Hameln)

Volkmar Schultz (Köln)

Ewald Schurer
Dr. Angelica Schwall-Düren
Rolf Schwanitz
Bodo Seidenthal
Erika Simm
Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk
Dr. Cornelie Sonntag-
Wolgast

Wieland Sorge
Wolfgang Spanier
Dr. Margrit Spielmann
Jörg-Otto Spiller
Dr. Ditmar Staffelt
Antje-Marie Steen
Ludwig Stiegler
Rolf Stöckel
Rita Streb-Hesse
Reinhold Strobl (Amberg)

Dr. Peter Struck
Joachim Stünker
Jörg Tauss
Jella Teuchner
Dr. Gerald Thalheim
Wolfgang Thierse
Franz Thönnes
Uta Titze-Stecher
Adelheid Tröscher
Hans-Eberhard Urbaniak
Rüdiger Veit
Simone Violka
Ute Vogt (Pforzheim)

Hans Georg Wagner
Dr. Konstanze Wegner
Wolfgang Weiermann
Reinhard Weis (Stendal)

Matthias Weisheit
Gunter Weißgerber
Gert Weisskirchen

(Wiesloch)


Dr. Ernst Ulrich von
Weizsäcker

Jochen Welt
Dr. Rainer Wend
Hildegard Wester
Lydia Westrich
Dr. Margrit Wetzel
Dr. Norbert Wieczorek
Jürgen Wieczorek (Böhlen)

Heidemarie Wieczorek-Zeul
Dieter Wiefelspütz
Heino Wiese (Hannover)

Klaus Wiesehügel

Brigitte Wimmer (Karlsruhe)

Engelbert Wistuba
Barbara Wittig
Dr. Wolfgang Wodarg
Verena Wohlleben
Hanna Wolf (München)

Waltraud Wolff

(Wolmirstedt)


Heidemarie Wright
Uta Zapf
Dr. Christoph Zöpel
Peter Zumkley
CDU/CSU
Ulrich Adam
Ilse Aigner
Peter Altmaier
Norbert Barthle
Günter Baumann
Brigitte Baumeister
Meinrad Belle
Otto Bernhardt
Hans-Dirk Bierling
Peter Bleser
Antje Blumenthal
Dr. Maria Böhmer
Sylvia Bonitz
Jochen Borchert
Wolfgang Börnsen

(Bönstrup)


Wolfgang Bosbach
Dr. Wolfgang Bötsch
Klaus Brähmig
Dr. Ralf Brauksiepe
Paul Breuer
Monika Brudlewsky
Georg Brunnhuber
Klaus Bühler (Bruchsal)

Hartmut Büttner

(Schönebeck)


Cajus Caesar
Manfred Carstens (Emstek)

Peter H. Carstensen

(Nordstrand)


Leo Dautzenberg
Wolfgang Dehnel
Renate Diemers
Thomas Dörflinger
Dr. Hansjürgen Doss
Marie-Luise Dött
Maria Eichhorn
Rainer Eppelmann
Anke Eymer (Lübeck)

Ilse Falk
Dr. Hans Georg Faust
Albrecht Feibel
Ulf Fink
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer (Hamburg)

Dr. Gerhard Friedrich

(Erlangen)


Dr. Hans-Peter Friedrich

(Hof)


Erich G. Fritz
Jochen-Konrad Fromme
Hans-Joachim Fuchtel
Dr. Jürgen Gehb
Norbert Geis

Dr. Heiner Geißler
Georg Girisch
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Hermann Gröhe
Manfred Grund
Horst Günther (Duisburg)

Gottfried Haschke

(Großhennersdorf )


Gerda Hasselfeldt
Hansgeorg Hauser

(Rednitzhembach)


Helmut Heiderich
Ursula Heinen
Manfred Heise
Siegfried Helias
Hans Jochen Henke
Ernst Hinsken
Peter Hintze
Klaus Hofbauer
Martin Hohmann
Josef Hollerith
Dr. Karl-Heinz Hornhues
Joachim Hörster
Hubert Hüppe
Georg Janovsky
Dr. Harald Kahl
Steffen Kampeter
Dr.-Ing. Dietmar Kansy
Irmgard Karwatzki
Volker Kauder
Eckart von Klaeden
Norbert Königshofen
Eva-Maria Kors
Rudolf Kraus
Dr. Martina Krogmann
Dr. Hermann Kues
Karl Lamers
Dr. Karl A. Lamers

(Heidelberg)


Dr. Norbert Lammert
Helmut Lamp
Dr. Paul Laufs
Peter Letzgus
Walter Link (Diepholz)

Wolfgang Lohmann

(Lüdenscheid)


Erich Maaß (Wilhelmshaven)

Erwin Marschewski

(Recklinghausen)


Dr. Martin Mayer

(Siegertsbrunn)


Wolfgang Meckelburg
Dr. Michael Meister
Dr. Angela Merkel
Friedrich Merz
Hans Michelbach
Dr. Gerd Müller
Bernward Müller (Jena)

Elmar Müller (Kirchheim)

Günter Nooke
Franz Obermeier
Friedhelm Ost
Eduard Oswald
Norbert Otto (Erfurt)

Dr. Peter Paziorek
Anton Pfeifer
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla

Ruprecht Polenz
Thomas Rachel
Hans Raidel
Dr. Peter Ramsauer
Peter Rauen
Katherina Reiche
Hans-Peter Repnik
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Franz Romer
Dr. Klaus Rose
Kurt J. Rossmanith
Dr. Christian Ruck
Anita Schäfer
Dr. Wolfgang Schäuble
Hartmut Schauerte
Dr. Gerhard Scheu
Norbert Schindler
Bernd Schmidbauer
Christian Schmidt (Fürth)

Andreas Schmidt (Mülheim)

Dr. Erika Schuchardt
Clemens Schwalbe
Dr. Christian Schwarz-
Schilling

Wilhelm Josef Sebastian
Marion Seib
Heinz Seiffert
Dr. h. c. Rudolf Seiters
Bernd Siebert
Johannes Singhammer
Wolfgang Steiger
Dr. Wolfgang Freiherr von
Stetten

Andreas Storm
Dorothea Störr-Ritter
Matthäus Strebl
Michael Stübgen
Dr. Rita Süssmuth
Edeltraut Töpfer
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Angelika Volquartz
Peter Weiß (Emmendingen)

Gerald Weiß (Groß-Gerau)

Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese (Ehingen)

Hans-Otto Wilhelm (Mainz)

Klaus-Peter Willsch
Willy Wimmer (Neuss)

Matthias Wissmann
Werner Wittlich
Dagmar Wöhrl
Aribert Wolf
Wolfgang Zöller
BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN
Marieluise Beck (Bremen)

Volker Beck (Köln)

Angelika Beer
Matthias Berninger
Grietje Bettin
Annelie Buntenbach
Ekin Deligöz
Amke Dietert-Scheuer
Dr. Thea Dückert
Franziska Eichstädt-Bohlig


(C)



(D)



(A)



(B)





Präsident Wolfgang Thierse
23674

Hans-Josef Fell
Andrea Fischer (Berlin)

Joseph Fischer (Frankfurt)

Katrin Göring-Eckardt
Rita Grießhaber
Gerald Häfner
Winfried Hermann
Antje Hermenau
Ulrike Höfken
Michaele Hustedt
Monika Knoche
Dr. Angelika Köster-Loßack
Steffi Lemke
Dr. Helmut Lippelt
Dr. Reinhard Loske
Kerstin Müller (Köln)

Winfried Nachtwei
Cem Özdemir
Simone Probst
Christine Scheel
Irmingard Schewe-Gerigk
Rezzo Schlauch
Albert Schmidt (Hitzhofen)

Werner Schulz (Leipzig)

Christian Simmert
Christian Sterzing
Hans-Christian Ströbele
Jürgen Trittin
Dr. Antje Vollmer
Dr. Ludger Volmer
Sylvia Voß
Helmut Wilhelm (Amberg)

Margareta Wolf (Frankfurt)

FDP
Ina Albowitz
Hildebrecht Braun

(Augsburg)


Ernst Burgbacher
Jörg van Essen

Gisela Frick
Paul K. Friedhoff
Horst Friedrich (Bayreuth)

Rainer Funke
Hans-Michael Goldmann
Joachim Günther (Plauen)

Dr. Karlheinz Guttmacher
Klaus Haupt
Dr. Helmut Haussmann
Ulrich Heinrich
Walter Hirche
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Dr. Klaus Kinkel
Gudrun Kopp
Jürgen Koppelin
Ina Lenke
Sabine Leutheusser-
Schnarrenberger

Dirk Niebel
Günther Friedrich Nolting
Detlef Parr
Dr. Günter Rexrodt
Gerhard Schüßler
Dr. Irmgard Schwaetzer
Marita Sehn
Dr. Hermann Otto Solms
Dr. Max Stadler
Dr. Dieter Thomae
Jürgen Türk
Dr. Guido Westerwelle
PDS
Monika Balt
Dr. Dietmar Bartsch
Wolfgang Bierstedt
Petra Bläss
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus

Heidemarie Ehlert
Dr. Heinrich Fink
Dr. Ruth Fuchs
Wolfgang Gehrcke
Dr. Klaus Grehn
Dr. Bärbel Grygier
Dr. Barbara Höll
Carsten Hübner
Ulla Jelpke
Sabine Jünger
Dr. Evelyn Kenzler
Rolf Kutzmutz
Ursula Lötzer
Dr. Christa Luft
Heidemarie Lüth
Pia Maier
Angela Marquardt
Manfred Müller (Berlin)

Kersten Naumann
Petra Pau
Dr. Uwe-Jens Rössel
Christina Schenk
Gustav-Adolf Schur
Dr. Ilja Seifert
Fraktionslos
Christa Lörcher

Nein
CDU/CSU
Dr. Joseph-Theodor Blank
Dr. Heribert Blens
Hubert Deittert
Dr. Reinhard Göhner
Carl-Detlev Freiherr von
Hammerstein

Susanne Jaffke
Karl-Josef Laumann

Julius Louven
Hannelore Rönsch

(Wiesbaden)


Heinz Schemken
Michael von Schmude
Reinhard Freiherr von
Schorlemer

Wolfgang Schulhoff
Gerhard Schulz
Bärbel Sothmann
Elke Wülfing
Peter Kurt Würzbach
Wolfgang Zeitlmann
FDP
Dr. Edzard Schmidt-Jortzig

Enthaltungen
SPD
Inge Wettig-Danielmeier
CDU/CSU
Dietrich Austermann
Dr. Sabine Bergmann-Pohl
Dankward Buwitt
Kurt-Dieter Grill
Dr.-Ing. Rainer Jork
Vera Lengsfeld
Werner Lensing
Ursula Lietz
Dr. Manfred Lischewski
Marlies Pretzlaff
Christa Reichard (Dresden)

Erika Reinhardt
Dr.-Ing. Joachim Schmidt

(Halsbrücke)


Dr. Rupert Scholz


(C)



(D)



(A)



(B)


Entschuldigt wegen Übernahme einer Verpflichtung im Rahmen ihrer Mitgliedschaft in den Parlamentarischen Versammlungen des
Europarates und der WEU, der Parlamentarischen Versammlung der NATO, der OSZE oder der IPU
Abgeordnete(r)
Bindig, Rudolf Lintner, Eduard Zierer, Benno
SPD CDU/CSU CDU/CSU


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der PDS)


Nun erteile ich dem Kollegen Martin Pfaff, SPD-Frak-
tion, das Wort.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Sie waren doch erst später vorgesehen!)



Prof. Dr. Martin Pfaff (SPD):
Rede ID: ID1423702600
– Das wäre Ihnen recht.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der
Antrag der CDU/CSU und auch die Ausführungen des ge-
schätzten Kollegen Lohmann


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Vielen Dank!)


sind sicher stark an Behauptungen, aber schwach an Be-
legen und noch viel schwächer an Überzeugungskraft;


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS – Aribert Wolf [CDU/ CSU]: Am 22. September sehen wir weiter!)


denn die finanzielle Lage ist weder desolat noch verliert
die Versorgung der Patienten und Pflegebedürftigen ge-
nerell an Qualität.

Der Sachverständigenrat hat festgestellt, dass es be-
reits langfristig, also schon seit Jahrzehnten, eine Unter-,
Über- und Fehlversorgung vor allem der chronisch Kran-
ken gibt; das ist es. Die Ärztinnen und Ärzte sowie das
Pflegepersonal sind vielfach überlastet. Auch dieses Pro-
blem kennen wir schon seit längerer Zeit. Wir wollen
diese Probleme angehen und sie nicht, wie Sie es über
lange Jahre hinweg getan haben, einfach so hinnehmen.
Bezogen auf die Beschäftigten im Gesundheitswesen
steht in unserem Regierungsprogramm wörtlich – ich zi-
tiere –:

Unzumutbare Belastungen müssen abgebaut, die gel-
tenden Normen des Arbeitszeitrechts umgesetzt wer-
den.

Das ist eine klare Aussage. Diese schwierige Aufgabe
werden wir angehen.


(Annette Widmann-Mauz [CDU/CSU]: Warum haben Sie es dann nicht gemacht?)


Richtig ist allerdings, dass die Krankenversiche-
rungsbeiträge steigen. Auch das ist leider kein neues
Phänomen. In zwölf der 16 Jahre Kohl-Regierung lagen
die durchschnittlichen Beiträge eines Jahres höher als im
jeweiligen Vorjahr. Innerhalb dieses Zeitraumes mussten
Sie eine Beitragssatzanhebung um 2 Prozentpunkte hin-
nehmen. Ich sage: Wer im Glashaus sitzt, darf auf andere
wahrlich nicht mit Steinen werfen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Bei den von Ihnen auch angesprochenen Verschiebebahn-
höfen haben Sie selber genügend – wir leider auch einige
– Beispiele gegeben. Auch hier sind Sie wiederum in ei-
ner sehr schwachen Position.

Richtig ist allerdings auch, dass der technische Fort-
schritt und vor allem auch die Alterung der Gesellschaft
Auswirkungen auf die Beitragssätze haben werden. Nach
seriösen Schätzungen, beispielsweise im Prognos-Gut-
achten oder auch der Enquete-Kommission, werden sich
diese um zusätzliche 3,6 bis 4,1 Prozentpunkte erhöhen
und eben nicht um zusätzliche 10 bis 20 Prozentpunkte.


(Annette Widmann-Mauz [CDU/CSU]: Es kommt auf den Zeitraum an! – Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Das sind ja schon Milliarden!)


Auch die Beiträge zur gesetzlichen Pflegeversicherung
– das wissen wir angesichts der absehbaren Zahl an Pfle-
gebedürftigen – werden langfristig angehoben werden
müssen. Aufgrund seriöser Schätzungen wissen wir aber
auch, dass diese bis zum Jahre 2015 nicht über 2 Prozent
– momentan liegen sie bei 1,7 Prozent – hinausgehen wer-
den.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Das sind schon wieder 36 Milliarden!)


Ich meine, das ist wirklich wichtig. Deshalb sage ich:
Es ist einfach unverantwortlich, die gesetzliche Pflege-

versicherung schlecht zu machen oder gar totzureden;
denn sie hat einen wichtigen und konstruktiven Beitrag
geleistet und muss dies auch weiterhin für viele Menschen
tun.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Man muss eine Chance haben! – Aribert Wolf [CDU/CSU]: 400 Millionen gehen der Pflegeversicherung verloren!)


Sie brüsten sich immer damit, dass Sie in den Jahren
1997 und 1998 Überschüsse erwirtschaftet haben. Sie ge-
stehen niemals offen und ehrlich ein, dass Sie Zuzahlun-
gen erhöht und Leistungen ausgegrenzt haben, aber trotz-
dem noch Beitragssatzsteigerungen hinzunehmen hatten.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Welche Leistungen?)


Überschüsse auf diese Art zu erzielen ist wahrlich die
Kunst der Primitiven.

Sie haben die Bundesregierung kritisiert. Wir haben
unsoziale Maßnahmen aus Ihrer Regierungszeit gleich am
Anfang zurückgenommen. Der Zahnersatz für nach 1978
Geborene ist wieder eine Regelleistung. Die Zuzahlungen
haben wir gesenkt. Es ist richtig, dass chronisch Kranke
bereits befreit sind. Richtig ist, dass heute jeder Zweite
keine Zuzahlungen zu den Arzneimitteln mehr leistet. Die
Zahlen von gestern haben das auch wieder belegt. Es ist
ebenso richtig, dass das Krankenhausnotopfer nicht von
Ihnen, sondern von uns abgeschafft wurde. Die Privati-
sierung der Beitragsrückerstattung, die Kostenerstattung
und den Selbstbehalt haben wir rückgängig gemacht.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Das sind alles Optionen!)


Die zeitliche Befristung des gesamtdeutschen Risiko-
strukturausgleichs haben wir gleich zu Beginn der Legis-
laturperiode ebenfalls rückgängig gemacht.

Sie fordern immer wieder eine Gesundheitsreform. Sie
verschweigen dabei völlig, dass wir am Anfang dieser Le-
gislaturperiode mit der GKV-Gesundheitsreform 2000
eine Vielzahl von Maßnahmen angegangen sind, die an
Lahnstein anknüpfen und die Fehler der Umsetzung von
Lahnstein korrigieren sollen.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Was ist mit den Beiträgen? – Aribert Wolf [CDU/CSU]: Rekordbeitragssätze! Schleppende Versorgung!)


Ich nenne die integrierte Versorgung und das leistungsbe-
zogene Preissystem im Krankenhaus. Einige von Ihnen,
Herr Lohmann, werden sich daran erinnern.

Wir haben in Lahnstein im September 1992 ein leis-
tungsbezogenes Entgelt gemeinsam beschlossen.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Aber nicht so eines!)


Wie hoch war der Prozentsatz der Leistungen im Kran-
kenhaus, die dann über dieses System im Jahre 1998 ab-
gerechnet wurden? – 25 Prozent und nicht mehr. Bei den




Dr. Martin Pfaff

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(D)



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(B)


Sonderentgelten waren es 5 Prozent. Das heißt, die Um-
setzung ließ viel zu wünschen übrig. Ähnliches gilt für die
Vergütung der Fallpauschalen, die Aufwertung der
zahnerhaltenden und prophylaktischen Leistungen, die
sprechende Medizin und die Stärkung der Qualitätssiche-
rung.


(Aribert Wolf [CDU/CSU]: Sind die Leute danach zufriedener?)


Herr Lohmann, wir werden das Wort „Qualitätssiche-
rung“ immer wieder in den Mund nehmen. Wir werden sie
fordern und umsetzen, ob es Ihnen gefällt oder nicht. Das
ist ein wesentlicher Beitrag unserer Politik in diesem Be-
reich.

Wir haben die Patientenrechte und die Position des
Hausarztes gestärkt. Darüber hinaus haben wir den Risi-
kostrukturausgleich – das war eine schwierige Operation –
reformiert.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Aber nicht den RSA!)


Ich nenne hier die Stichworte „morbiditätsorientierter
RSA“ und „strukturierte Behandlungsprogramme“. Das
war ein großer Schritt. Ich gestehe ein, dass für viele die-
ser politischen Ziele und Ansatzpunkte die Instrumente
neu sind und dass wir beobachten müssen, ob die Instru-
mente ausreichen. Wir wissen beispielsweise heute, dass
die Anreize für die integrierten Versorgungsformen nicht
ausreichen.


(Zuruf von der [CDU/CSU]: Großversuch an der Bevölkerung!)


– Das konnten wir nicht wissen. Wir konnten es aus kei-
nem Buch zur Gesundheitspolitik oder Ökonomie ab-
schreiben. Aber keiner von Ihnen kann an der politischen
Zielsetzung, dem politischen Willen oder an der Richtung
zweifeln.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Worüber es eine Debatte geben darf – das muss man of-
fen sagen –,


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Über den Weg!)


ist über die Wirkung der Instrumente. Man muss auch
den Mut haben, sie zu verändern. Das könnten wir zur Ab-
wechslung einmal gemeinsam machen, wie wir es in
Lahnstein begonnen hatten.

Wir haben die Sozialmauer in Deutschland niederge-
rissen. Endlich ist Deutschland im Gesundheitswesen ei-
nig Vaterland. Darauf können wir – das sage ich in aller
Deutlichkeit – ein wenig stolz sein.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Wo sind die Ärzte?)


Sie werfen uns vor, wir hätten kein Gesamtkonzept.

(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Das ist wahr!)


Die ganze Zeit, als Sie die Regierungsverantwortung hat-
ten, haben Sie keine einzige Maßnahme durchgeführt, die
nur annäherungsweise dem Umfang und der Komplexität
der GKV-Gesundheitsreform 2000 entspricht.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Aribert Wolf [CDU/CSU]: Sie selbst müssen über diese Aussage schmunzeln! – Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Wenn Sie nur die Seiten zählen, dann stimmt das!)


Das vergessen Sie gerne. Auch vergessen Sie, dass viele
dieser Maßnahmen Zeit brauchen. Wenn das gesamte leis-
tungsbezogene Entgeltsystem im Krankenhaus endlich
umgesetzt wird, dann werden seit Lahnstein 15 Jahre ver-
gangen sein. Auch das muss man einmal sagen: Diese Re-
formmaßnahmen greifen nicht von heute auf morgen.
Aber ein langer Weg beginnt bekanntlich mit den ersten
Schritten.

Eines ist sicher: Eine Gesundheitsreform, die alle an-
deren Reformen überflüssig macht, gibt es in keiner ein-
zigen modernen Industrienation. Die Gesundheitspolitik
in Deutschland war und ist eine lebhafte Baustelle und
wird es auch bleiben. Das ist die Wahrheit. Jetzt vor der
Wahl eine Reform aus einem Guss zu fordern ist unseriös.


(Beifall der Abg. Dr. Ruth Fuchs [PDS])

Ich bitte Sie herzlich, bessere und stichhaltigere Argu-
mente zu bringen, damit wir auch in der Gesundheitspoli-
tik ein wenig auf unsere Opposition stolz sein können.
Das wäre doch auch etwas.


(Beifall bei der SPD – Lachen bei der CDU/CSU und der FDP)


In Ihrem Regierungsprogramm fordern Sie eine
grundsätzliche Kehrtwende und einen Paradigmenwech-
sel in der Gesundheitspolitik. Ich frage die CDU, die
große Volkspartei, die in ihrer Tradition der Nachkriegs-
zeit wesentliche sozialpolitische Gesetze allein oder mit
uns zusammen auf den Weg gebracht hat: Wollen Sie die-
sen Weg einer neoliberalen Politik wirklich gehen?


(Detlef Parr [FDP]: Na, na, na!)

Sie bekennen sich zwar zu einer einkommensunabhängi-
gen Inanspruchnahme von Leistungen und zum Leis-
tungskatalog. Aber die Instrumente, die Sie einsetzen
wollen, vermitteln einen anderen Eindruck. Die von Ihnen
vorgeschlagene Beitragsrückgewähr hilft nur jungen und
gesunden Menschen. Die geforderten Zuzahlungen tref-
fen die Kranken. In dieser Weise könnte ich noch andere
Beispiele nennen. Das heißt also, mit den Instrumenten
Ihres Wahlprogramms konterkarieren Sie systematisch
den Anspruch, den Sie hier erheben. Ich kann einfach nicht
glauben, dass dies ein Rezept sein soll;


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Sie werden es erleben!)


denn auch in der CDU gibt es nicht nur Junge, Gesunde,
Besserverdienende und junge, unverheiratete Männer mit
hohem Einkommen, sondern es gibt auch Kranke und
Alte, Familien mit Kindern und Frauen. Ich appelliere an
alle diese Gruppen: Lassen Sie nicht zu, dass diese Partei
mit einer so langen Tradition einen solchen Weg be-
schreitet.




Dr. Martin Pfaff
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(B)


Ich frage Sie: Für wie naiv halten Sie eigentlich die
deutschen Bürgerinnen und Bürger?


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Das fragen wir Sie wirklich! – Detlef Parr [FDP]: Wir trauen denen mehr zu!)


Meinen Sie denn nicht, dass sie dies durchschauen? Zu-
dem stellen Sie einen Smörg�sbord von Forderungen auf,
ohne darzulegen, wie die Umsetzung finanziert werden
soll. Sie fordern Regel- und Wahlleistungen.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Wo steht das?)


– Ja, verklausuliert. Sie haben einen Passus aufgenom-
men. – Herr Seehofer weiß das übrigens besser. – Die Uhr
läuft; ich habe noch 27 Sekunden.


(Annette Widmann-Mauz [CDU/CSU]: So viel Zeit muss sein! – Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Aber bei der Wahrheit bleiben!)


Sie fordern mehr Wahlentscheidungen, sagen aber
nicht, was passiert, wenn jemand eine wichtige Leistung
abwählt, die er später doch braucht.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie der Abg. Dr. Ruth Fuchs [PDS])


Ihre Vorschläge sind vielleicht etwas für die Jungen und
Gesunden, vielleicht auch etwas für die Alleinstehenden,
für die Männer eher als für die Frauen, aber schon für die
Alleinerziehenden nicht mehr. Es handelt sich auch nur
um Vorschläge auf Zeit. Deshalb meine ich, dass wir Re-
formen innerhalb des Systems brauchen; wir brauchen
aber keinen Bruch mit dem bestehenden System.

Wir müssen die solidarische Krankenversicherung
nicht nur aufrechterhalten, sondern müssen sie ausbauen.
Wir dürfen nicht Strategien zur Privatisierung oder Teil-
privatisierung als Alternative für eine kreativere Lösung
ausweisen; denn es hat sich im internationalen Vergleich
über viele Jahre hinweg immer wieder gezeigt, dass soli-
darische Systeme sowohl kosteneffektiver als auch ver-
teilungsgerechter sind. Es ist höchste Zeit, dass auch Sie
das zur Kenntnis nehmen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1423702700
Ich erteile dem Kolle-
gen Detlef Parr von der FDP-Fraktion das Wort.


(Horst Schmidbauer [Nürnberg] [SPD]: Auch das noch!)



Detlef Parr (FDP):
Rede ID: ID1423702800
Sie müssen das ertragen, Herr
Schmidbauer.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber Herr
Kollege Pfaff, das System steht auf dem Kopf. Es muss
wieder auf die Füße gestellt werden. So sehen wir und
auch viele Menschen draußen im Lande die Situation.


(Beifall bei der FDP – Widerspruch bei der SPD)


Sie haben offensichtlich den Herbst 1998 vergessen.
Die Krankenkassen schrieben schwarze Zahlen; zarte
Pflänzchen von Eigenverantwortung, Wettbewerb, Wahl-
möglichkeiten der Versicherten und Transparenz began-
nen sich zu entwickeln und dann kam der Nicht-alles-an-
ders-aber-vieles-besser-Macher. Aus Schwarz wurde Rot,
in politischer Hinsicht und auch was die Zahlen betrifft.
Sicherheitshalber wechselte der Bessermacher auch den
Sachverständigenrat aus, offensichtlich mit dem Ziel der
Gleichschaltung mit den Entscheidungen der Bundes-
regierung. Die erhoffte Willfährigkeit dieses Gremiums
bröckelt aber zusehends ab. Ein Blick in die „Berliner Zei-
tung“ vom 11./12. Mai bringt Beachtliches zutage.


(Dr. Dieter Thomae [FDP]: Hört! Hört!)

Professor Schwartz, der darin zitiert wird, fordert eine
Gesundheitsreform, die weit über die Pläne der Bundes-
regierung hinausgeht.


(Beifall der Abg. Dr. Irmgard Schwaetzer [FDP])


Er fordert erstens eine Verschlankung der Rechtsvor-
schriften hin zu weniger Staat – ein eherner Grundsatz der
FDP, Herr Professor Pfaff. Die Gesundheitsgesetze litten
„auch für Fachleute in ihren Details und Wechselwirkun-
gen an Nichttransparenz und Überregulation“.


(Zurufe von der SPD)

Das schert die Bundesregierung wenig. Sie weitet den
Risikostrukturausgleich aus – Sie loben das, Herr Kol-
lege Pfaff –, verkompliziert ihn noch, gründet neue In-
stitute und führt die Budgetierung im ambulanten und
stationären Bereich fort. Planwirtschaft kann die Pro-
bleme nicht lösen, meine Damen und Herren. Mit die-
sen bürokratischen Spielereien muss endlich Schluss
sein.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Widerspruch bei der SPD)


Zweitens fordert Professor Schwartz ein unteilbares
Maßnahmenbündel mit beitragssenkenden Wirkungen.
Hierzu zählt die FDPArgumente einer sozialverträglichen
Ausdünnung des Leistungskatalogs der Krankenkassen
und eine stärkere finanzielle Eigenbeteiligung der Ver-
sicherten – ich füge eine entscheidende Voraussetzung
hinzu – nach einer durchgreifenden Steuerreform mit ei-
nem höheren Nettoeinkommen für den Einzelnen.


(Dr. Dieter Thomae [FDP]: Keine SPD-Steuerreform!)


Der Kanzler dagegen hat vorgestern vor dem VdK aus-
geführt: Mit uns wird es keine Grund- und Wahlleistungen
geben. – Diese Basta-Mentalität muss ein Ende haben.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich zitiere Herrn Schwartz mit einer dritten Forderung:
Den Versicherungen muss die Möglichkeit eingeräumt
werden, Bonusregelungen analog der Zuzahlungsmin-
derung beim Zahnersatz oder nach dem Beispiel be-
stimmter Privatversicherer begünstigte Präventi-
onstarife anzubieten.




Dr. Martin Pfaff

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Auch diesen Ausführungen kann zugestimmt werden.
Vor allem die Orientierung an Angeboten und Vertrags-
gestaltungen der privaten Krankenversicherungen ist
zukünftig von besonderer Bedeutung.

Was aber tun Sie – Frau Ministerin hat mittlerweile den
Saal verlassen –, Frau Staatssekretärin? Sie wenden sich
ab und wollen sogar die Versicherungspflichtgrenze noch
erhöhen.


(Dr. Dieter Thomae [FDP]: Hört! Hört!)

Wir werden es nicht zulassen, dass auf diese Weise vielen
Menschen in unserem Land zukünftig der Weg in eine
private Krankenversicherung vom Staat durch willkürli-
che Grenzziehungen versperrt wird.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Weniger Staat, mehr privat – das ist die ordnungspoli-
tische Devise, die uns in die Zukunft führt und für die wir
streiten. Unser Antrag macht das noch einmal deutlich,
deutlicher jedenfalls, als das in manchen Abschnitten des
CDU/CSU-Antrages zum Ausdruck kommt. Der ist zwar
sehr konkret in der Beschreibung der Versäumnisse der
rot-grünen Bundesregierung, aber in dem Teil, der die ei-
genen gesundheitspolitischen Vorstellungen beschreibt,
bleibt er in manchen Bereichen etwas vage. Ich möchte
das an drei Punkten hinterfragen.

Erstens. Heißt bessere Information über die Kosten der
Leistungen, dass die CDU/CSU sich ebenfalls für die
Kostenerstattung ausspricht? Wir treten konsequent für
die Ablösung des Sachleistungsprinzips ein und vor dem
Hintergrund Europa – feste Preise für ärztliche Leistun-
gen – ist die Kostenerstattung unverzichtbar.

Zweitens. Wie will die CDU/CSU der von ihr selbst als
dramatisch dargestellten Beitragsentwicklung aufgrund
von Demographie und medizinischem Fortschritt begeg-
nen? Teilt sie die Auffassung der FDP, dass hierfür eine
zweite Säule, die einer privaten kapitalgedeckten Ab-
sicherung, hochgezogen werden muss?


(Klaus Kirschner [SPD]: Wie soll das denn funktionieren?)


Ich hoffe, dass Sie dabei auf unserer Seite stehen.
Drittens. Wie sollen die Arbeitskosten entlastet wer-

den? Unterstützt die CDU/CSU die Absicht der FDP, dass
eine Auszahlung, zumindest aber eine Festschreibung des
Arbeitgeberbeitrages unumgänglich ist? Darauf bleiben
Sie die Antwort noch schuldig. Aber ich hoffe, dass wir
hier zukünftig auf einer Linie argumentieren können.

Meine Damen und Herren, die gesetzlich Versicherten
spüren immer stärker die schleichende Einschränkung
zum Beispiel bei der Verordnung von Medikamenten, bei
Leistungsausgrenzungen oder nicht akzeptablen Warte-
zeiten. Diese gehören längst zum Alltag. Sie finden man-
che Praxis geschlossen, „Budgeturlaub“ nennt man das.
Aus dieser Zwangsjacke wollen wir die Versicherten
befreien. Sie sollen über die Absicherung der großen Le-
bensrisiken hinaus über den Umfang ihres Versicherungs-
schutzes, über Selbstbehalte, über Beitragsrückerstattungs-
möglichkeiten und Ähnliches selbst entscheiden dürfen.

Wir müssen den Menschen mehr zutrauen und können das
auch.


(Klaus Kirschner [SPD]: Chronisch Kranke dürfen über Selbstbehalt selber entscheiden!)


– Herr Kirschner, wir können den Menschen sehr viel
mehr zutrauen.

Wir müssen die Heilberufe wieder in die Freiberuf-
lichkeit entlassen. Wenn mittlerweile über ein Drittel der
Absolventen des Medizinstudiums nicht mehr den Arzt-
beruf ergreift


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Hört! Hört!)


und damit ein Ärztenotstand droht, ist das ein deutliches
Alarmzeichen.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1423702900
Kollege Parr, gestat-
ten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schmidbauer?


Detlef Parr (FDP):
Rede ID: ID1423703000
Wenn ich damit die Kollegen nicht
verärgere, die einen Flieger gebucht haben, dann tun Sie
das, was Sie nicht lassen können, Herr Schmidbauer.


Horst Schmidbauer (SPD):
Rede ID: ID1423703100
Herr Kollege
Parr, ich meine, man muss Klarheit in diese Fragen brin-
gen. Sie sprechen davon, dass die Patientenfreiheit da-
durch entstehen soll, dass die Versicherten Leistungen frei
wählen oder abwählen können und dafür einen Bonus be-
kommen. Jetzt sagen Sie doch einmal: Welche Leistungen
sind es denn, über die dann die Patientinnen und Patien-
ten frei verfügen können? Oder wollen Sie die Geschichte
in der Dunkelkammer bewahren und meinen Sie, Sie
kommen damit über den 22. September? Der Korrektheit
halber müssen Sie der Bevölkerung jetzt schon sagen,
welche Wahlmöglichkeiten für was eigentlich geschaffen
werden sollten.


Detlef Parr (FDP):
Rede ID: ID1423703200
Sie kennen die Vorstellungen zum
Beispiel des NAV Virchowbundes, Sie kennen die Vor-
stellungen von Professor Beske. Auf dieser Grundlage
kann man darüber nachdenken, wie man den Leistungs-
katalog zukünftig gestalten muss. Heute sind sehr viele
Leistungen in diesem Katalog enthalten, die Geld kosten,
das noch schlimmer erkrankte Menschen eher an anderer
Stelle brauchen. Deswegen müssen wir darüber nachden-
ken, wie wir den Leistungskatalog ausdünnen können,
und zwar mit dem Ziel der Beitragssenkung und mit dem
Ziel des Schaffens von Spielräumen für den Einzelnen, ei-
nen Krankenversicherungsschutz zu wählen, der indivi-
duell passt. Wir wollen keine Zwangsjacke: 14 Prozent
abführen und dann Leistungen in Anspruch nehmen, die
längst nicht mehr in dem Umfang geboten werden kön-
nen, wie Sie das der Bevölkerung vorgaukeln.


(Horst Schmidbauer [Nürnberg] [SPD]: Ich weiß jetzt so viel wie vorher!)


– Ja, wir sind noch in der Arbeit.
Wir müssen die Attraktivität des Arztberufs verbes-

sern, auch über eine verträgliche Arbeitszeitregelung im




Detlef Parr
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Krankenhaus, und wir müssen Wettbewerbsstrukturen
schaffen, die die gesetzlichen Krankenkassen nicht in ein
gemeinsames und einheitliches Korsett zwängen.

Letzte Bemerkung, meine Kolleginnen und Kollegen:
Der runde Tisch ist ein Beispiel für vertane Zeit auf dem
Weg zu einer durchgreifenden Gesundheitsreform. Er ist
weitgehend ergebnislos geblieben. Hier ist die Schönfär-
berei des Kanzlers unstrittig, die heute in einer anderen
Sache vor Gericht zur Entscheidung ansteht. Statt solcher
Tranquilizer brauchen wir kraftvolle Anstöße in einer
Diskussion, die wir endlich zu dem Ziel führen müssen,
wie es in den heute vorliegenden Anträgen der Opposition
beschrieben wird.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1423703300
Ich erteile das Wort
Kollegin Katrin Göring-Eckardt, Bündnis 90/Die Grünen.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

gen! Herr Parr, man sollte einmal darüber nachdenken
– dafür muss man nicht Gesundheitspolitiker sein; man
braucht dafür nur den gesunden Menschenverstand –, wer
aus der Zwangsjacke befreit werden soll und wem die
Wahlfreiheit nutzt, die Sie beschworen haben.


(Detlef Parr [FDP]: Mündigen Bürgern, Frau Kollegin!)


Meiner Meinung nach sind das die mündigen Bürger, die
so viel verdienen, dass sie sich alles leisten können.


(Detlef Parr [FDP]: Jetzt bringen Sie wieder die alte Leier! – Gegenruf der Abg. Dr. Ruth Fuchs [PDS]: In diesem Fall stimmt sie auch!)


Diejenigen, die das nicht können, weil sie nur über ein ge-
ringes Einkommen verfügen, werden sich für die Abwahl
von Leistungen und damit für niedrigere Beiträge entschei-
den müssen. Das werden am Ende diejenigen sein, die
Krankheiten verschleppen und chronisch krank sind, weil
sie die Leistungen des Gesundheitssystems nicht in An-
spruch nehmen können. Ich sage Ihnen: Eine solche Entso-
lidarisierung wollen wir nicht und machen wir nicht mit.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Herr Parr, Sie wollen – das haben Sie gesagt – den
Leistungskatalog ausdünnen.


(Detlef Parr [FDP]: Das sagt Professor Schwartz!)


Sie haben aber nicht gesagt, um wie viel. Vielleicht wol-
len Sie ihn um 18 Prozent ausdünnen. Sie haben auch
nicht gesagt, wo Sie ihn ausdünnen wollen. Wenn Sie es
wirklich ernst meinen, dann müssen Sie den Wählerinnen
und Wählern genau sagen, was nicht mehr in den Leis-
tungskatalog hineingehören soll. Ich habe den Verdacht,
dass es sich bei dem, was nach Ihrer Meinung nicht mehr
in den Leistungskatalog hineingehört, um notwendige
Leistungen handelt.


(V o r s i t z: Vizepräsidentin Anke Fuchs)


Auch ich bin der Meinung – darin sind wir uns völlig ei-
nig –, dass man den Leistungskatalog daraufhin untersu-
chen muss, ob er Leistungen enthält, die durch neue Leis-
tungen längst überholt sind und die man deswegen nicht
mehr benötigt. Aber das ist nicht das, was Sie wollen. Sie
wollen vielmehr über eine Ausdünnung des Leistungs-
katalogs die Beiträge senken und Geld sparen, um die
Besserverdienenden zu entlasten.


(Detlef Parr [FDP]: Das ist ja unglaublich! Diese Plattitüden können Sie sich sparen!)


Herr Lohmann, Sie haben gesagt, es gehe Ihnen um die
Interessen der Versicherten und Patienten. Sie haben be-
hauptet, dass alles viel besser wäre, wenn Sie an der Re-
gierung geblieben wären. Ich möchte in diesem Zusam-
menhang Horst Seehofer zitieren, der 1998 wie folgt
zitiert wurde:

„Die Gesellschaft muss bereit sein, einen grö-
ßeren Anteil des Einkommens für Gesundheit aus-
zugeben“, sagt Bundesgesundheitsminister Horst
Seehofer (CSU). Weitere Einschnitte in das Gesund-
heitswesen hält er ebenso wenig für möglich wie
höhere Krankenkassenbeiträge. Nach seiner Auffas-
sung lässt sich das Gesundheitssystem „auf Dauer
nicht mehr allein aus Beschäftigungsverhältnissen
finanzieren“. Seehofer und der FDP-Gesundheits-
experte Dieter Thomae fordern, den Arbeitgeberanteil
am Kassenbeitrag einzufrieren.

(Zuruf von der CDU/CSU: Alte Kamellen!)


In einem weiteren Reformschritt könne der Ar-
beitgeberbeitrag ausgezahlt und die Krankheitsvor-
sorge ganz in die Verantwortung der Versicherten
übertragen werden.

Das wäre geschehen, wenn Sie an der Regierung ge-
blieben wären. Das hätte nicht etwa mehr Qualität ge-
bracht und das Gesundheitssystem reformiert. Das hätte
vielmehr zu höheren Belastungen für die Versicherten,
also zu höheren Beiträgen und höheren Zuzahlungen, ge-
führt. Das ist die Wahrheit, die Sie heute nicht mehr wahr-
haben wollen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Detlef Parr [FDP]: Das ist ein Trugschluss!)


Schauen wir uns einmal Ihre heutigen Vorschläge an.
Frau Stewens, die bayerische Sozial- und Gesundheitsmi-
nisterin, hat in der letzten Woche unter anderem vorge-
schlagen, dass Raucherinnen und Raucher höhere Kas-
senbeiträge bezahlen sollten.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Warum zitieren Sie jetzt nicht Horst Seehofer?)


– Wenn Sie mich nicht unterbrochen hätten, hätte ich das
schon getan. – Horst Seehofer musste ihr gleich eines auf
den Deckel geben. Das zeigt: Die heutige gesundheits-
politische Debatte ist in der CSU offensichtlich noch
nicht angekommen. Es scheint bei Ihnen nur wenige zu
geben – auf diese werde ich gleich zu sprechen kommen
–, die an der heutigen gesundheitspolitischen Debatte
wirklich teilhaben und die richtigen Schlussfolgerungen
ziehen. Die Vorschläge, die die bayerische Sozial- und




Detlef Parr

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(B)


Gesundheitsministerin gemacht hat, zwingen offensicht-
lich Sie dazu, sofort zu sagen: So war es nicht gemeint!

Jetzt komme ich zu einem Vorschlag, den Sie ernst
meinen und der auch in Ihrem Wahlprogramm steht: den
Selbstbehalt. Ich versuche mir einfach einmal vorzustel-
len, worum es geht.


(Zurufe von der CDU/CSU und der FDP)

– Doch, das kann ich mir sehr gut vorstellen.

Man kann einen niedrigeren Beitrag wählen. Davon
machen diejenigen Gebrauch, die sagen können,
500 Euro Selbstbehalt im Jahr machten ihnen nichts aus,
sie würden sie locker aufbringen. Außerdem werden Per-
sonen mit niedrigem Einkommen, auch Familien mit Kin-
dern, davon Gebrauch machen. Was tun diese aber, wenn
sie krank werden? – Sie überlegen sich, ob sie das Geld
für den Arztbesuch haben oder nicht haben.


(Aribert Wolf [CDU/CSU]: Lassen Sie die Leute doch selber entscheiden, was sie wollen! Warum haben Sie denn Angst vor den Leuten?)


Genau das haben Sie in der letzten Legislaturperiode
schon einmal gemacht, als Sie Leistungen wie den Zahn-
ersatz gestrichen haben. Auch damals haben sich die
Leute überlegt, ob sie es sich leisten können oder nicht.
Eine solche Politik werden wir nicht mitmachen. Die Idee
mit dem Selbstbehalt stimmt beim Auto, nicht aber bei
Menschen, die krank werden können.

Meine Damen und Herren, wenn man sich Ihre Vor-
schläge alles in allem anschaut, dann sieht man, dass es
Ihnen nur darum geht, Lobbypolitik im Sinne von Ärzte-
verbänden sowie insbesondere der Pharmaindustrie und
der Apothekerschaft zu betreiben.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Sie lassen sich für 400 Millionen von der Pharmaindustrie Gesetze abkaufen!)


Nehmen wir nur das Thema Arzneimittelversand. Sie
machen Lobbypolitik in die eine Richtung.


(Lachen bei der CDU/CSU – Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Mir kommen jetzt die Tränen!)


Wir machen auch Lobbypolitik, allerdings im Sinne der
Beitragszahler und der Patientinnen und Patienten. Das ist
der Unterschied zwischen uns. Das werden die Wählerin-
nen und Wähler am 22. September auch honorieren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Detlef Parr [FDP]: So ist es! Sie werden am 22. September entscheiden!)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1423703400
Ich erteile der Kolle-
gin Dr. Ruth Fuchs für die PDS-Fraktion das Wort.


Dr. Ruth Fuchs (PDS):
Rede ID: ID1423703500
Frau Präsidentin! Meine Da-
men und Herren! Bei den vorliegenden Anträgen fällt es
kaum jemandem von uns schwer, das tatsächliche Ziel zu
erkennen, das in dieser Zeit verfolgt wird.


(Detlef Parr [FDP]: Die Menschen müssen wissen, was sie wählen!)


Es ist Wahlkampf, lieber Kollege Parr, und die Auffas-
sung, die Wahlkampfchancen seien umso größer, je pole-
mischer die Inhalte formuliert würden, scheint bei Ihnen
weit verbreitet. Diesbezüglich sind die Anträge von
CDU/CSU und FDPMeisterstücke.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Aber Sie sind mit der SPD einverstanden?!)


Das Raffinierte beider Anträge ist die Tatsache, dass
der Hauptinhalt eine Bilanz der zurückliegenden Legis-
laturperiode darstellt. Am Ende werden – sozusagen als
Alibi und populistisch formuliert – Forderungen an die
Bundesregierung gerichtet. Nun ist es ja wahr, dass die Bi-
lanz rot-grüner Gesundheitspolitik wahrlich nicht allzu
rosig aussieht.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

– Das ist so. Rot-Grün ist 1998 mit einer Vielzahl von Ver-
sprechungen angetreten, die sie leider nicht gehalten ha-
ben. Aber Rot-Grün hat, wenn auch für uns nicht um-
fangreich genug, einige unsoziale Regelungen von
Schwarz-Gelb zurückgenommen. Das halten Sie nun für
den Hauptfehler, wir nicht!

Die Ursachen dafür, dass sich die Konflikte und Pro-
bleme im Gesundheitswesen auch unter Rot-Grün verhär-
tet haben, sind wesentlich vielfältiger und komplizierter,
als Sie es darstellen. Spätestens nach dem Ministerwech-
sel hat auch Rot-Grün erkannt, dass ihre Gesundheitsre-
form 2000 in der und durch die Praxis gescheitert ist. Sie
war als große Strukturreform gestartet, endete aber trotz
guter Überschriften


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Als Bettvorleger!)


und guter, neuer inhaltlicher Ansätze leider – das be-
dauern wir – nur als Kostendämpfungsgesetz.


(Beifall bei der PDS)

Was mich aber schon sehr in Erstaunen versetzt, meine

Damen und Herren von der CDU/CSU, ist die Tatsache,
dass Sie in Ihrem Antrag ebenso wie in Ihrem Wahlpro-
gramm tatsächlich den Eindruck vermitteln wollen, Sie
hätten 1998 Rot-Grün ein „geordnetes Gesundheits-
wesen“ hinterlassen. Als Beispiel heben Sie die finan-
zielle Lage der gesetzlichen Krankenversicherung hervor:
Bei Ihnen gab es Überschüsse, bei Rot-Grün Defizite.
Natürlich ist dieser Fakt, für sich allein genommen, rich-
tig. Aber zur Wahrheit gehört auch Folgendes: Ihre so
genannten Gesundheitsreformen waren nie mehr als
Kostendämpfungsgesetze. Wirtschaftlichkeitsreserven
zu erschließen und Fehlentwicklungen durch Struktur-
reformen abzubauen haben auch Sie nie erreicht. Ihr Weg
war, die Finanzprobleme der GKV durch Zuzahlungen,
Leistungskürzungen und die Einführung von Elementen
der privaten Krankenversicherung zu lösen. Dasselbe bie-
ten Sie den Menschen jetzt als Ihr neues Konzept an. Die
Versicherten, vor allem die chronisch Kranken und die
Menschen mit Behinderungen,


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Denen ging es noch nie so schlecht wie zurzeit!)





Katrin Göring-Eckardt
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haben aber nicht vergessen, was das für sie bedeutete.
Lieber Kollege Lohmann, Sie scheinen vergessen zu

haben, dass gerade die Gesundheitsreform unter dem Na-
men Seehofer sehr wesentlichen Anteil daran hatte, dass
Sie abgewählt wurden.


(Beifall bei der PDS – Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Das behaupten Sie einfach so!)


– Das behaupte ich nicht nur. Genau so, wie die Ärzte und
Patienten heute draußen streiken, ist vor der Wahl gegen
die Seehofer-Reform gestreikt worden. Erinnern Sie sich
bitte daran!


(Detlef Parr [FDP]: Es ist doch nichts besser geworden!)


Ich wünsche mir, dass Sie sich einmal das Grundgesetz
anschauen. Ich habe Ihnen schon in der letzten Debatte zu
diesem Thema gesagt: Lesen Sie doch einmal das Buch
Ihres Kollegen Geißler mit dem Titel „Zeit, das Visier auf-
zuklappen“. Dessen Lektüre wäre für Sie sehr hilfreich
und würde Ihnen vielleicht mehr Wahlchancen verschaf-
fen als ein solcher Antrag.


(Beifall bei der PDS)

Darüber hinaus verschweigen Sie mit Absicht und aus

gutem Grund eine Tatsache: Sie hatten die Idee, der Ver-
sichertengemeinschaft Gelder zugunsten des Bundes-
haushaltes zu entziehen, das heißt, Sie haben die sozial-
politischen Verschiebebahnhöfe eingeführt und in der
Praxis perfektioniert.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Aber es sollte doch alles anders und besser werden! – Gegenruf der Abg. Susanne Kastner [SPD]: Es ist alles anders und vieles besser!)


Wir bedauern es, dass Rot-Grün diese Praxis fortgesetzt
und noch verstärkt hat. Ich empfinde es aber wirklich als
heuchlerisch, dies jetzt Rot-Grün vorzuhalten, während
Sie diesen „Milliardenbeitragsklau“ – es sind Milliar-
den, die der Versichertengemeinschaft entzogen wurden –
perfekt beherrschten.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Da waren Sie noch gar nicht dabei! Zu der Zeit haben Sie noch den Speer geschwungen!)


Sie versuchen jetzt, unter anderen Überschriften wie
Wettbewerb und Transparenz diese dritte Stufe der Ge-
sundheitsreform der Bevölkerung als zukunftsweisende
Reform anzubieten.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Das ist besser als Staatsmedizin! – Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Dass ein Sozialist gegen Wettbewerb ist, das wussten wir schon!)


Zum FDP-Antrag sage ich Ihnen nur eines: Es war mir
eine Genugtuung, gestern Zeit gehabt zu haben, um „Mo-
nitor“ zu sehen.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1423703600
Frau Kollegin, Ihre
Redezeit ist weit überschritten.


Dr. Ruth Fuchs (PDS):
Rede ID: ID1423703700
Ich sage auch nur noch diesen
Satz: Sie sollten besser die Überschrift „Lieber reich und
gesund als arm und krank“ wählen, denn jeder muss sich
heute sozusagen die Krankheit aussuchen, die er bezahlen
kann.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Das sind aber mehrere Sätze!)


Es ist ernsthaft notwendig, an anderer Stelle über den
demographischen Wandel zu reden. Bezogen auf Ihre
Anträge sage ich Ihnen: Ich würde an Ihrer Stelle nicht
hoffen, dass die Menschen vergesslicher werden, weil sie
älter werden.


(Detlef Parr [FDP]: Sie vergessen die Leistungen dieser Legislaturperiode!)


Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der SPD)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1423703800
Ich erteile der Kolle-
gin Margrit Spielmann für die SPD-Fraktion das Wort.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Ich leide mit Ihnen, Frau Spielmann!)



Dr. Margrit Spielmann (SPD):
Rede ID: ID1423703900
Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn man der CDU/
CSU oder auch Herrn Parr Glauben schenken darf,


(Detlef Parr [FDP]: Das können Sie!)

wurden die Patienten bei Ihnen 16 Jahre lang hervorra-
gend versorgt,


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Ja!)


die Angehörigen der Gesundheitsberufe hatten eine leis-
tungsgerechte Vergütung, Arbeitgeber und Arbeitnehmer
frohlockten über niedrige Beitragssätze und die Kassen
machten sogar Überschüsse.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Nein, das war nicht so!)


Über-, Unter- und Fehlversorgung waren Fremdwörter,
Kollege Parr.

Wenn dieses Verklärungssyndrom weiter um sich
greift, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union,
werden Sie sich noch weismachen müssen, Sie hätten
Rot-Grün geordnete Staatsfinanzen hinterlassen. Das ha-
ben Sie nicht getan. Dazu wurden schon viele Argumente
ausgetauscht. Ich wende mich der zentralen Behauptung
zu, dass sich unter Rot-Grün die Qualität der Versorgung
dramatisch verschlechtert habe.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Das können Sie nicht bestreiten!)


Richtig ist, dass der Sachverständigenrat für die Kon-
zertierte Aktion im Gesundheitswesen in seinem aktuel-
len Gutachten mit vielen Nachweisen belegt hat, dass das
Preis-Leistungs-Verhältnis in unserem Gesundheitswe-
sen nicht stimmt. Für das, was es leistet, kostet es zu viel,




Dr. Ruth Fuchs

23681


(C)



(D)



(A)



(B)


wie wir alle wissen. Dieses Defizit ist, wie wir alle eben-
falls nur zu gut wissen, nicht erst seit September 1998 ent-
standen; vielmehr haben sich die Qualitätsmängel unter
Ihrer Regierung entwickelt und aufgebaut.


(Beifall bei der SPD – Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Schwacher Beifall!)


Rot-Grün hatte und hat, wie in der Haushalts- und Fi-
nanzpolitik so auch in der Gesundheitspolitik, die Auf-
gabe, die Defizite oder die Trümmer zu beseitigen, die Sie
uns hinterlassen haben. Zur umfassenden Neuordnung
des Gesundheitswesens ist eine Legislaturperiode einfach
zu kurz. Auch hier passt der Vergleich mit der Haushalts-
und Finanzpolitik, bei der wir Ihre Fehler und Versäum-
nisse wahrscheinlich erst in der nächsten Legislaturperi-
ode beseitigen können.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Bis der nächste blaue Brief kommt!)


Die Problemlösung ist insbesondere deshalb so
schwierig, Herr Lohmann, weil Sie zwischen 1982 und
1998 die wahren Probleme unseres Gesundheitswesens
beharrlich ausgeblendet haben. Wir hatten in Ihrer Wahr-
nehmung das beste Gesundheitswesen der Welt. Das
hatte, wie wir alle wissen, nur einen Nachteil: Seine Aus-
gaben stiegen wieder schneller als seine Einnahmen. Auf
diese Entwicklung haben Sie – das hat der Kollege Parr
schon ausgeführt – zunächst immer wieder mit Kosten-
senkungsgesetzen reagiert, bis Sie zu der heutigen Er-
kenntnis kamen: Es muss mehr Geld ins System.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Sie tun so, als wenn alles ohne Geld ginge!)


– Wir reden ständig darüber.
Aber die wahren Probleme verdrängen Sie noch im-

mer, zum Beispiel das wahre Problem einer massiven
strukturellen Überkapazität. Auch haben wir – das kennen
Sie ebenfalls – das Problem der Über-, Unter- und Fehl-
versorgung. Gerade die Versorgung bei besonders be-
handlungs- und kostenintensiven chronischen Volkser-
krankungen ist da in besonderer Weise betroffen.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Die Betroffenen haben heute mehr Schwierigkeiten als früher!)


Unter diesen Versorgungsmängeln, Herr Lohmann, leidet
insbesondere die Lebensqualität vieler betroffener Men-
schen. Über-, Unter- und Fehlversorgung führen aber
auch zwangsläufig – das wissen wir alle – zur Ressour-
cenverschleuderung.

Die Frage, auf die es wirklich ankommt, nämlich die
Frage nach der Leistungsfähigkeit unseres Gesundheits-
wesens, haben Sie nie gestellt.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Sie haben nie ernsthaft den Mut gefunden, das Gesund-
heitssystem vom Patienten her zu bedenken. Sie haben
sich vielmehr stets primär bemüht, die finanziellen Inte-
ressen von Leistungserbringern zu bedienen. Der Patient
stand und steht bei Ihnen nur insoweit im Mittelpunkt der

Betrachtung, als es darum geht, ihm in die Tasche zu grei-
fen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Im ungenierten Griff ins Portemonnaie des Patienten

(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: 27 Millionen zahlen überhaupt nicht zu!)

liegt denn auch des Pudels Kern Ihres berühmten Para-
digmenwechsels von 1997, Herr Lohmann. Ihr Ansatz,
die finanziellen Aufwendungen der gesetzlichen Kran-
kenversicherung sollten sich am medizinischen Bedarf
orientieren,


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: So muss das sein!)


klingt in diesem Kontext geradezu unbedacht; denn nach
Ihrer Definition des medizinischen Bedarfs galt als ob-
jektiv notwendig, was Ärzte verordneten und selbst ab-
rechneten. Von Über-, Unter- und Fehlversorgung war nie
die Rede. Die Existenz von Wirtschaftlichkeitsreserven
im Gesundheitswesen haben Sie fast unisono schlichtweg
geleugnet.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Stattdessen haben Sie die Kranken mit Leistungsaus-

grenzung und Zuzahlungserhöhung „beschenkt“.

(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Man fragt sich wirklich, wer jetzt regiert! Ich bin ganz verwirrt!)


Den Begriff „Qualität in der medizinischen Versor-
gung“ haben Sie erst durch uns kennen gelernt. Es blieb
Rot-Grün vorbehalten, Qualität zum Leitmotiv in der ge-
setzlichen Krankenversicherung zu erheben.


(Beifall bei der SPD – Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Alles Überschrift! Alles Gerede!)


Mit Ihren Wahltarifmodellen verfolgen Sie ein altes
Ziel, nämlich beträchtliche Teile des Krankheitsrisikos zu
individualisieren.


(Zuruf von der CDU/CSU: Freiheit! Es wird keiner gezwungen! Es kann jeder selbst entscheiden!)


Das Abwählen von Leistungspaketen, die Sie im Übrigen
zunächst noch definieren müssen, können sich nämlich
nur Gesunde leisten.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Das ist Unsinn!)


Kranke, zumal chronisch Kranke, haben, wie wir alle wis-
sen, gar keine andere Wahl, als das gesamte Paket medi-
zinisch notwendiger Leistungen einzukaufen.


(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Man ist doch nicht überall krank! – Walter Hirche [FDP]: Nehmen Sie zur Kenntnis, dass die chronisch Kranken der Solidarität bedürfen!)


Mit der Abwahl bestimmter Leistungen fließt, wie wir alle
wissen, weniger Geld ins System, die Leistungsausgaben




Dr. Margrit Spielmann
23682


(C)



(D)



(A)



(B)


bleiben jedoch gleich oder steigen sogar. Fazit, liebe Kol-
leginnen und Kollegen der Opposition:


(Dr. Dieter Thomae [FDP]: Chaos!)

Die neuen Freiheiten, die Sie den Gesunden verheißen,
gehen zulasten der Kranken und dann, Herr Dr. Thomae,
haben wir in der Tat ein Chaos.


(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Größenwahnsinnig, die Frau!)


Sie wollen letztlich die Abkehr vom Solidarprinzip.
Ihre Lippenbekenntnisse zur solidarischen Versicherung
sollten Sie sich ehrlicherweise sparen. Ihr Solidarprinzip
ist eine Mogelpackung.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Haben Sie den Mut, den Wählern zu sagen, was Sie

wirklich wollen!

(Detlef Parr [FDP]: Haben wir doch!)


Ihr Fraktionsvorsitzender, Herr Merz, hat im „Handels-
blatt“ angedeutet, dass das Wahltarifmodell nur die Spitze
des Eisbergs beim Rückbau der solidarischen Kranken-
versicherung sei.


(Detlef Parr [FDP]: Zukunftssicher ist das!)

Rücken Sie mit der gesamten Wahrheit heraus und sagen
Sie unseren Kranken, was Sie ihnen zukünftig finanziell
zumuten wollen!


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Alles medizinisch Notwendige werden sie bekommen!)


Ich greife einmal auf die Historie zurück.

(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Auf Verleumdungen!)


Herr Lohmann, ich bin sicher, dass der erzkonservative
Otto von Bismarck heute auf der Seite der Sozialdemo-
kratie für die Erhaltung des Solidarprinzips streiten würde.


(Lachen bei der CDU/CSU – Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Der stirbt nachträglich noch einmal!)


An die FDP gerichtet: Dasselbe könnte ich von Friedrich
Naumann sagen.


(Beifall der Abg. Dr. Ruth Fuchs [PDS])

Die SPD wird aus tiefster Überzeugung – ich sage es

noch einmal –

(Detlef Parr [FDP]: Die Fehler weitermachen!)


um die Erhaltung des Solidargedankens in der gesetzli-
chen Krankenversicherung kämpfen.


(Beifall des Abg. Klaus Kirschner [SPD])

Wir wollen, dass auch in Zukunft die Jungen für die Al-

ten, die Gesunden für die Kranken, die Besserverdienen-
den für die Schlechterverdienenden und die Singles für
die Familien einstehen.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Dann müssen Sie es die anderen machen lassen! Sonst geht es nicht!)


Vergessen wir dabei eines nicht: Solidarität ist der
Kitt, der eine Gesellschaft zusammenhält.

Danke.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1423704000
Jetzt erteile ich dem
Kollegen Wolfgang Zöller das Wort für die CDU/CSU-
Fraktion.


Wolfgang Zöller (CSU):
Rede ID: ID1423704100
Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bundeskanzler
Schröder hat vor zwei Tagen auf dem Kongress des VdK
zur Gesundheitspolitik gesagt: Wir halten fest am Be-
währten. – Nur muss man sich dann die Frage stellen, wie
zurzeit dieses so genannte Bewährte nach dreieinhalb
Jahren Rot-Grün aussieht. Sehr viele Leistungen für
chronisch Kranke werden nicht mehr erbracht und be-
zahlt.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Die Beiträge für die Versicherten befinden sich auf einem
historischen Höchststand. Trotzdem gibt es ein Kassende-
fizit. Die Unzufriedenheit bei den Patienten und bei den
Leistungserbringern ist kaum zu überbieten.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Das deutsche Gesundheitswesen befindet sich in einer
sehr schweren Krise und der Kanzler merkt es nicht ein-
mal.


(Dr. Dieter Thomae [FDP]: Nicht nur der Kanzler!)


Wir haben hierzu eine klare Alternative aufzuzeigen.
Herr Kollege Pfaff, ich kann mir eine Bemerkung nicht

verkneifen: Wenn es so wäre, wie Sie gesagt haben, dann
müssten die Bürger alle zufrieden sein. Wenn man sich
mit den Bürgern draußen im Lande unterhält, dann merkt
man aber, dass das nicht der Fall ist – im Gegenteil.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: So ist es!)


Ich möchte aus dem „Blickpunkt Bundestag“ zitieren
– ich kann nur empfehlen, diese Stelle nachzulesen –:

Eine umfassende Gesundheitsreform fordert die
CDU/CSU-Fraktion ... Sie solle dazu dienen, die ge-
setzliche Krankenversicherung finanziell zu stabili-
sieren und die Prävention, Transparenz, Selbstbe-
stimmung und den Wettbewerb in der gesetzlichen
Krankenversicherung verbessern. Zentrales Ziel
müsse es sein, eine „exzellente“ medizinische Ver-
sorgung aller Bürger sicherzustellen. Der Patient sei
dabei in den Mittelpunkt zu stellen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Jeder sagt, der Patient müsse im Mittelpunkt stehen.


(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Dann steht er im Weg!)





Dr. Margrit Spielmann

23683


(C)



(D)



(A)



(B)


– Kollege Lohmann bemerkt gerade richtigerweise, dass
er jedem im Weg steht.


(Detlef Parr [FDP]: Im Regen steht er!)

Wenn wir es mit dem Wohl des Patienten wirklich ernst
meinen, dann müssen wir entsprechend handeln.

Frau Kollegin Spielmann, was Sie sagen, klingt sehr
gut. Ich kann das nur unterstreichen. Aber was Sie tun, ist
das Gegenteil. Ich werde es nachher an ein paar Beispie-
len beweisen.

Die Stärkung der Prävention ist für uns eine ent-
scheidende Voraussetzung, um die altersbedingte Zu-
nahme schwerer Volkskrankheiten zu verringern. Lang-
fristig würde sich dadurch auch die Lebensqualität vieler
Menschen verbessern, während die Gesundheitsausgaben
dadurch mittelfristig gesenkt werden könnten.

Die Patienten müssen auch künftig besser über die
Kosten und die Qualität der medizinischen Leistungen in-
formiert werden. Wir halten einen stärkeren Wettbewerb,
in dem verschiedene Versorgungsangebote untereinander
konkurrieren, für den richtigeren Weg, um eine optimale
Versorgung der Patienten zu erreichen, die Strukturdefi-
zite im Gesundheitswesen zu bekämpfen, die Qualität der
Versorgung zu verbessern und auch die Wirtschaftlichkeit
zu steigern. All dies ist in diesem Antrag nachzulesen.
Dort ist auch das Ziel formuliert, die Entscheidungsfrei-
heit der Versicherten zu erweitern und ihnen mehr Wahl-
möglichkeiten zu geben, sodass ihnen nicht alles vom
Staat vorgeschrieben wird. Nicht jeder Mensch ist gleich.
Lasst die Menschen etwas mehr selbst entscheiden!


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Wie sieht die rot-grüne Alternative aus? Verbieten,

kontrollieren, reglementieren – das ist die Philosophie
von Rot-Grün. Durch ein Übermaß an Bürokratie wird
jeglicher Leistungswille der im Gesundheitswesen Täti-
gen erstickt; sie werden dadurch von ihrer eigentlichen
Aufgabe, nämlich mehr Zuwendung für die Patienten auf-
zubringen, abgehalten.


(Beifall des Abg. Aribert Wolf [CDU/CSU])

Das Ergebnis der Budgetierungen, die Sie zu verant-

worten haben, wird sein, dass ähnlich wie in Großbritan-
nien in Deutschland demnächst verstärkt Wartelisten ge-
führt werden.


(Susanne Kastner [SPD]: Ach was, Herr Zöller!)


Ich möchte ein weiteres konkretes Beispiel anspre-
chen. Mit Ihrer total missratenen Aut-idem-Regelung ge-
fährden Sie die Qualität der Arzneimitteltherapie. Nach
Ihrer Auffassung sollen die Patienten nicht mehr das bes-
te, sondern einfach das billigste Arzneimittel bekommen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Widerspruch bei der SPD – Susanne Kastner [SPD]: Das ist schon ein bisschen dreist, ein bisschen abenteuerlich, was Sie hier sagen!)


Mit Ihrer Ankündigung, den Internet- und Versandhan-
del für Arzneimittel einzuführen, setzen Sie dem Ganzen
die Krone auf.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Sie behaupten, durch diese Form des Handels die Kosten
um ein paar Prozent zu verringern. Die Ursache für hohe
Kosten liegt aber nicht im Arzneimittelpreis, sondern
darin, dass man in Deutschland beim Kauf von Arznei-
mitteln 16 Prozent Mehrwertsteuer zahlt, während es in
Nachbarländern 7 Prozent oder weniger sind. Wir müssen
die Ursachen bekämpfen und nicht den Versandhandel
einführen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wir haben den Versandhandel nicht eingeführt. Sie wa-

ren sogar so unverschämt – fast hätte ich das Wort „be-
scheuert“ benutzt –, Reimporte zur Pflicht zu machen.
Was hat das zur Folge? – Im Ausland subventionierte Pro-
dukte werden in Deutschland ein weiteres Mal subventio-
niert, sodass sich im Preis eine doppelte Subventionierung
niederschlägt. Sie erreichen dadurch nur eines: Arbeits-
plätze werden von Deutschland ins Ausland verlagert und
die gesetzliche Krankenversicherung spart keine Mark
ein.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Ich möchte auf die von Ihnen geplanten Programme

zur Behandlung von chronisch Kranken zu sprechen kom-
men.


(Dr. Margrit Spielmann [SPD]: Die sind gut!)

Ich sehe in Ihrer Regulierungswut eine ganz große Ge-
fahr; denn Sie vollziehen eine Abkehr von einer an der in-
dividuellen Situation der Patienten ausgerichteten Thera-
pie. Die Ärzte sollen sich nur noch an Standards und
Checklisten orientieren.


(Marga Elser [SPD]: Jawohl!)

– „Jawohl“ sagen Sie. Vielen Dank! – Am Ende steht nicht
mehr der Patient im Mittelpunkt, sondern es geht nur noch
um das Erstellen von Strichlisten und nicht mehr um
menschliche Zuwendung und individuelle Betreuung.

Wenn man Ihr so genanntes Disease-Management-
Programm genau anschaut, dann stellt man fest: Es wird
zum Nachteil der chronisch Kranken gereichen. Warum?
Dadurch, dass die Behandlung von vier chronischen Er-
krankungen über dieses Programm finanziert wird, wird
mehr Geld benötigt. Das heißt im Umkehrschluss, dass
für die Behandlung derjenigen chronisch Kranken, die
keine dieser vier Erkrankungen haben, wesentlich weni-
ger Geld übrig bleibt.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Man wird für die Therapie chronisch Kranker in Zukunft
weniger Geld haben und das ist nicht im Sinne der be-
darfsorientierten Versorgung von chronisch Kranken.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Trotz all der von Ihnen praktizierten Regulierungs-

wut – ich erinnere auch an die zahlreichen Datenfried-
höfe, die Sie mit zu verantworten haben – sind die Kosten
gestiegen. Sowohl das Defizit als auch der Beitragssatz
haben eine Rekordhöhe erreicht. Das Ergebnis ist ganz
klar: Der Verlierer dieser verkorksten Gesundheitspolitik
ist eindeutig der Patient.




Wolfgang Zöller
23684


(C)



(D)



(A)



(B)


Nicht die im Gesundheitswesen Beschäftigten, son-
dern die politischen Rahmenbedingungen müssen refor-
miert werden.


(Aribert Wolf [CDU/CSU]: So ist es!)

Da Rot-Grün dazu eben nicht in der Lage ist, weil man in
den letzten dreieinhalb Jahren konzeptionslos und ohne
sinnvolle Ideen agiert hat,


(Susanne Kastner [SPD]: Herr Zöller, was erzählen Sie denn da alles?)


gibt es nur eine Lösung: Wir sind bereit, Sie von Ihren
Leiden zu befreien.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Lachen bei der SPD – Susanne Kastner [SPD]: Mit mehr Zuzahlung befreien Sie uns!)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1423704200
Ich schließe die Aus-
sprache.

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 14/8595 und 14/9054 an die in der
Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. –
Damit sind Sie einverstanden. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.

Nun rufe ich die Tagesordnungspunkte 23 a bis 23 i
auf:
23. a) – Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-

regierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten
Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Neu-
regelung des Energiewirtschaftsrechts
– Drucksache 14/5969 –

(Erste Beratung 173. Sitzung)


– Zweite und dritte Beratung des von den Abge-
ordneten Rolf Kutzmutz, Eva Bulling-Schröter,
Uwe Hiksch, Gerhard Jüttemann und der Frak-
tion der PDS eingebrachten Entwurfs eines Ge-
setzes zur Änderung des Energiewirtschafts-
gesetzes (EnWG)

– Drucksache 14/6796 –

(Erste Beratung 192. Sitzung)


Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Wirtschaft und Technologie (9. Ausschuss)

– Drucksache 14/9081 –
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Wirtschaft und Techno-
logie (9. Ausschuss)

Berichterstattung:
Abgeordneter Volker Jung (Düsseldorf)


d) zu dem Antrag der Abgeordneten Hartmut
Schauerte, Dagmar Wöhrl, Kurt-Dieter Grill, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/
CSU
Fairer Wettbewerb im Strom- und Gasmarkt
effektiv und effizient sichern

c) zu dem Antrag der Abgeordneten Rolf Kutzmutz,
Eva Bulling-Schröter, Uwe Hiksch, Gerhard
Jüttemann und der Fraktion der PDS
Zugangsverordnung für Stromnetze erlassen
– Drucksachen 14/7614, 14/6795, 14/9081 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Volker Jung (Düsseldorf)


b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes

(Energiestatistikgesetz – EnStatG)

– Drucksache 14/8388 –

(Erste Beratung 227. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Wirtschaft und Technologie (9. Ausschuss)

– Drucksache 14/9080 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Gudrun Kopp

e) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Wirtschaft und Technolo-
gie (9. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten
Walter Hirche, Rainer Brüderle, Paul K. Friedhoff,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Energiebericht für eine energiepolitische
Grundsatzdebatte nutzen
– Drucksachen 14/7814, 14/8183 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Kurt-Dieter Grill

f) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Wirtschaft und Techno-
logie (9. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordne-
ten Walter Hirche, Birgit Homburger, Ulrike Flach,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Marktwirtschaftliche Förderung des Einsatzes
erneuerbarer Energieträger
– Drucksachen 14/5328, 14/7139 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Volker Jung (Düsseldorf)


g) Beratung des Antrags der Abgeordneten Walter
Hirche, Rainer Brüderle, Paul K. Friedhoff, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Marktwirtschaftliche Orientierung statt staat-
licher Preislenkung im Stromsektor
– Drucksache 14/8279 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)

Finanzausschuss
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Haushaltsausschuss

h) Beratung des Antrags der Abgeordneten Rainer
Brüderle, Paul K. Friedhoff, Gudrun Kopp, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Stromrechnungen transparent gestalten




Wolfgang Zöller

23685


(C)



(D)



(A)



(B)


– Drucksache 14/5465 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)

Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Haushaltsausschuss

i) Erste Beratung des von den Abgeordneten Walter
Hirche, Rainer Funke, Rainer Brüderle, weiteren
Abgeordneten und der Fraktion der FDP einge-
brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung
des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkun-
gen
– Drucksache 14/6968 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie

Zu dem von der Bundesregierung eingebrachten Ge-
setzentwurf zur Änderung des Gesetzes zur Neuregelung
des Energiewirtschaftsrechts – Tagesordnungspunkt 23a –
liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der FDP vor.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Damit
sind Sie einverstanden. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Bundeswirt-
schaftsminister Werner Müller.

Dr. Werner Müller, Bundesminister für Wirtschaft
und Technologie: Frau Präsidentin! Meine Damen und
Herren! Ich habe gestern schon im Rahmen der Wirt-
schaftsdebatte gesagt, dass Deutschland 2002 gesamt-
wirtschaftlich deutlich besser dasteht als Ende 1998. Das
gilt auch für den Energiebereich. Wir haben den Anteil der
regenerativen Energien in den letzten drei Jahren gewal-
tig gesteigert. Wir sind die erste Bundesregierung, die die
Verträge mit der deutschen Steinkohle einhält.


(Kurt-Dieter Grill [CDU/CSU]: Ach, du liebe Zeit, Herr Müller! – Walter Hirche [FDP]: Subventionskuhhandel zulasten des Verkehrsgewerbes! Tausende von Arbeitsplätzen gehen da verloren!)


Wir haben den Streit beim Thema Kernenergie beigelegt
und wir haben beispielsweise die ostdeutsche Stromer-
zeugung und die ostdeutsche Braunkohlegewinnung auf
solide Fundamente gestellt, die langfristig tragen. Wir ge-
ben den ostdeutschen Stromverbrauchern nunmehr die-
selben Rechte, die die westdeutschen Stromverbraucher
schon seit Jahren haben.

Wenn ich demgegenüber das werte, was ich aus den
Reihen von CDU und CSU zum Thema Energiepolitik in
den letzten Monaten gelesen habe, ist auf der Basis Ihrer
Aussagen Folgendes zu befürchten: Die Förderung
regenerativer Energien soll beispielsweise wieder deut-
lich zurückgefahren werden, die deutsche Bergbauproduk-
tion soll stillgelegt werden, und – das ist besonders interes-
sant – in Deutschland sollen wieder neue Kernkraftwerke
gebaut werden.


(Monika Ganseforth [SPD]: Hört! Hört! 52 Stück! – Walter Hirche [FDP]: Alles im Interesse des CO2-Zieles!)


Der Präsident des Deutschen Atomforums hat vor we-
nigen Tagen angekündigt, dass der Vertrag zwischen den
Kernenergiebetreibern und der Bundesregierung im Falle
des Wahlsieges von Herrn Stoiber revidiert werden soll.


(Kurt-Dieter Grill [CDU/CSU]: Was hat das mit diesem Gesetz zu tun, Herr Müller? Ein Jahr getrödelt, nichts zurecht gekriegt und jetzt sich hier dicke Backen machen!)


Dazu sage ich bewusst an die Kernenergiebetreiber: Wenn
Sie solche Parolen verbreiten lassen, dann geht die Bun-
desregierung davon aus, dass die Kernenergiebetreiber
heute ansonsten keine aktuellen Probleme haben.

Ich darf Ihnen versichern: Wir werden nach der Bun-
destagswahl unsere Energiepolitik konsequent fortsetzen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Das heißt konkret: Im nächsten Jahr bekommt der deut-
sche Bergbau einen neuen Vertrag, der seine Zukunft nach
2005 vernünftig regelt, sodass er seine langfristige Le-
bensfähigkeit gesichert weiß. Oder einfach gesagt: Die
Bergleute brauchen keine Existenzsorgen zu haben.


(Beifall bei der SPD – Kurt-Dieter Grill [CDU/ CSU]: Wie sieht denn die Regelung aus? – Walter Hirche [FDP]: Alles zulasten der nachfolgenden Generation! – Kurt-Dieter Grill [CDU/CSU]: Er hat bis jetzt doch noch nicht einmal eine Regelung zustande gebracht!)


Wir werden den Ausbau der regenerativen Energien
garantieren. Wir werden dazu im Deutschen Bundestag
im Juni einen Bericht vorlegen, der den Erfolg des Geset-
zes zu den regenerativen Energien deutlich belegen wird.
Ich will in diesem Zusammenhang gern sagen, dass wir
bereit sind, den begrenzten 350-Megawatt-Sockel photo-
voltaischer Energie aufzuheben. Ich kann hier auch gern
versprechen, dass ich jederzeit zur Verfügung stehe, um
mit den entsprechenden Verbänden der Solarwirtschaft
ein verbindliches Abkommen darüber zu treffen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir werden uns, auch im Rahmen der Europäischen
Union, für eine Kennzeichnung des Stroms einsetzen.


(Susanne Kastner [SPD]: Sehr gut!)

Ganz salopp gesagt: Das „Mix it, baby!“ der Eon-Wer-
bung werden wir für jedermann so nutzbar machen, dass
jeder Stromkunde weiß, welchen Strommix er persönlich
kauft.


(Erich G. Fritz [CDU/CSU]: So kann nur einer reden, der genau weiß, dass er keine Verantwortung mehr hat!)


Wir werden die Wettbewerbsregeln weiter verbes-
sern, also die Verbändevereinbarungen für Strom und Gas
im Lichte der Erfahrungen, die wir in der nächsten Zeit
gewinnen, fortschreiben.


(Walter Hirche [FDP]: Mit dem Gesetz verschlechtern Sie jetzt die Wettbewerbsregeln!)





Vizepräsidentin Anke Fuchs
23686


(C)



(D)



(A)



(B)


Aber zunächst einmal geht es um die aktuelle Verbesse-
rung des Energierechtes, die heute zur Abstimmung steht.
Die vorliegende Novelle zum Energierecht stellt einen
weiteren Meilenstein bei der Liberalisierung des Energie-
marktes dar. Nach der Öffnung des Energiemarktes im
Jahre 1998 geht es in dem heutigen Gesetzentwurf darum,
einen Ordnungsrahmen für einen effektiven Wettbewerb
auf dem Gasmarkt zu schaffen.

Herzstück der Novelle ist das Recht auf einen diskri-
minierungsfreien Zugang zum Netz für Dritte. Ergänzt
wird dieses Netzzugangsrecht durch eine klare Netzdefi-
nition, durch umfassende Veröffentlichungspflichten des
Netzbetreibers sowie durch Regeln zur Trennung der
Rechnungslegung. Mit diesem Gesetzentwurf kommen
wir unserer Verpflichtung gegenüber Brüssel zur voll-
ständigen Umsetzung der EU-Gasrichtlinie nach. Damit
wird sich das von der Kommission eingeleitete Vertrags-
verletzungsverfahren erledigen.

Meine Damen und Herren, mit dieser Novelle setzen
wir den Weg des verhandelten Netzzugangs fort. Der Weg
der Selbstregulierung ist auf der einen Seite sicherlich
kein einfacher Weg. Aber auf der anderen Seite darf ich
sagen: Es wäre für mich kaum vorstellbar gewesen, ange-
sichts der Vielzahl deutscher Unternehmen im Strom- und
Gasmarkt eine Regulierungsbehörde für beide Märkte zu
etablieren. Ich bin absolut sicher, dass wir mit staatlicher
Regulierung – sie wäre zu langsam gewesen – die Erfolge
der letzten drei Jahre beispielsweise für den Stromver-
braucher nicht erreicht hätten, und zwar Preissenkungen
für die Industriekundschaft um bis zu 50 Prozent und ei-
nen Preisrückgang für die privaten Verbraucher um bis zu
20 Prozent.

Ich darf insgesamt hinzufügen, dass wir nun im Gas-
bereich vor einer vergleichbaren Entwicklung stehen,
wenngleich ich nicht so dramatische Rückgänge wie auf
dem Strommarkt erwarte. Aber der Wettbewerb wird auch
im Gasmarkt zu einer Reduzierung der Preise führen.


(Erich G. Fritz [CDU/CSU]: Wenn es ihn dann noch gibt!)


Das System des verhandelten Netzzuganges bewegt
sich keineswegs in einem rechtsfreien Raum, sondern in
einem staatlichen Ordnungsrahmen. Dieser wird maß-
geblich durch unser ausgefeiltes, modernes Kartellrecht
geprägt, das die missbräuchliche Nutzung des Leitungs-
eigentums verbietet. Diesen bewährten Rechtsrahmen
wollen wir mit dieser Novelle weiter verbessern. Wir
schlagen daher vor, das Kartellrecht dort zu verschärfen,
wo es notwendig ist.

Die Entscheidungen der Kartellbehörden zur Durch-
leitung und zur Höhe der Netzentgelte werden mit sofor-
tiger Wirkung ausgestattet. Neue Wettbewerber sollen
nicht mehr monatelang auf die Wirksamkeit von Ent-
scheidungen der Kartellbehörden warten müssen. Der Be-
darf für eine wirksame Missbrauchsaufsicht wird sich al-
lerdings nicht in einigen Jahren erledigen. Eine Befristung
des Sofortvollzuges, wie Sie seitens der CDU/CSU-Frak-
tion es vorschlagen, bringt uns nicht die dauerhafte Lö-
sung, die wir für die Kontrolle der Netzbetreiber brau-
chen.

Es war der Wunsch der Verbände, das Instrumentarium
der Verbändevereinbarung im Energiewirtschaftsgesetz
zu verankern, um ein Stück mehr Verbindlichkeit zu er-
reichen. Im Klartext: Diejenigen, die sich an die mühsam
ausgehandelte Verbändevereinbarung halten, sollen auch
etwas davon haben. Ich habe Verständnis für dieses An-
liegen, klarstellen muss ich allerdings, dass mit der vor-
geschlagenen Formulierung keine grundlegenden Ein-
griffe in kartellbehördliche Zuständigkeiten verbunden
sein sollten.

Das Instrument der Missbrauchsaufsicht hat sich be-
währt und soll weiterhin die schwarzen von den weißen
Schafen trennen. Die begrenzte Laufzeit der Verrechtli-
chung bis Ende 2003 ermöglicht es uns darüber hinaus,
praktische Erfahrungen mit diesem Instrument zu sam-
meln und gegebenenfalls rasch nachzusteuern.

Die Liberalisierung ist ein dynamischer Prozess, der
von allen Beteiligten die Bereitschaft zu ständiger Weiter-
arbeit und Veränderung abverlangt. Das Ziel, eine funkti-
onstüchtige wettbewerbliche Ordnung für den Energie-
markt zu schaffen, rechtfertigt diese Anstrengungen, die
alle Beteiligten zu erbringen haben. Die Errichtung eines
europaweiten Energiemarktes ist weiterhin ein loh-
nenswertes und, wie ich meine, alternativloses Endziel, an
dem wir in der nächsten Legislaturperiode konsequent
weiterarbeiten werden.

Zum Ende meiner Ausführungen möchte ich den Frak-
tionen ausdrücklich danken. Bei der Erarbeitung dieses
Entwurfes hatten wir viele Diskussionen. Sie sind insge-
samt mit dem Ziel, zu einer sachlich guten Lösung zu
kommen, geführt worden. Sie waren nicht immer einfach,
aber unter dem Strich konstruktiv. Daher, wie gesagt, ein
herzliches Danke meines Hauses und meiner selbst an die
Fraktionen.

Nun bitte ich darum, diesen Gesetzentwurf zu unter-
stützen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Walter Hirche [FDP]: Das war ja eine sehr intensive Abschiedsrede, Herr Müller!)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1423704300
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Hartmut Schauerte für die CDU/CSU-
Fraktion.


Hartmut Schauerte (CDU):
Rede ID: ID1423704400
Frau Präsidentin!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Minister,
Sie haben gestern gesagt, gesamtwirtschaftlich stünden
wir heute besser da als 1998. Das war gestern falsch und
ist auch heute falsch. Ich nenne nur eine Zahl – dass die
Konkurse steigen, dass die Arbeitslosigkeit zunimmt, all
das lasse ich weg –: Die Nettoneuverschuldung betrug
1998 noch 1,7 Prozent; heute beträgt sie 2,7 bis 2,8 Pro-
zent. Wir haben heute eine Diskussion über blaue Briefe
und nicht 1998. Wir hatten 1998 eine sehr schön anzie-
hende Konjunktur, die 1999 noch richtig gut getan hat.
Der damalige Bundeskanzlerkandidat Schröder konnte




Bundesminister Dr. Werner Müller

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(C)



(D)



(A)



(B)


erklären: Das ist mein Aufschwung. Da war er noch gar
nicht im Amt. Davon redet heute keiner.


(Monika Ganseforth [SPD]: Jetzt kommt sein nächster!)


Denn heute wissen wir, dass wir ganz schwierige Zeiten
vor uns haben. Sie werden keinen Aufschwung herbeire-
den können.


(Walter Hirche [FDP]: Lafontaine hat ihn schnell nass gemacht!)


Aber nun zur Sache. Sie haben gesagt: Genauso gut
sind wir jetzt bei der Energiewirtschaft. Herr Minister, bei
allem Respekt – so viele Debatten werden wir ja wohl
nicht mehr gemeinsam in diesem Haus führen;


(Dr. Reinhard Loske [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wollen Sie aufhören?)


deswegen will ich auch keine unnötige Schärfe hinein-
bringen –: Das können Sie doch nicht wirklich ernsthaft
sagen. Sie haben die Liberalisierungsfortschritte zum Teil
verspielt. Die Preise sind gestiegen. Die Chancen sind
verbaut worden.

Heute zahlt ein Stromkunde etwa 41 Prozent der Kos-
ten staatlich bedingt. 1998 waren es 25 Prozent. Wir ha-
ben eine konsequente, brutale Preistreiberei zulasten der
Verbraucher, auch zulasten der Industrie, allerdings un-
terschiedlich. Das ist ja immer interessant bei der SPD.


(Michaele Hustedt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer hat denn das Energiewirtschaftsgesetz gemacht? Waren wir das?)


– Doch, steuerlich bedingt. Wenn der Steueranteil an den
Strompreisen von 25 Prozent auf 41 Prozent steigt, dann
war das die Politik. Wer denn sonst?

Sie haben eine Politik gemacht, die die Chancen, die
mit der Liberalisierung verbunden waren, verspielt hat.
Sie haben die Chancen durch staatliche und sonstwie ge-
staltete Ordnungsvorschläge wieder aufgefressen. Es sind
nicht einmal mehr 10 bis 20 Prozent des Vorteils für die
Verbraucher übrig geblieben, den wir mit der Liberalisie-
rung erarbeitet hatten. Sie haben dieses tolle Thema für
den Standort Deutschland verrissen. Sie haben es ver-
wackelt. Sie haben andere Ziele draufgepfropft, aber die
Chancen, die drin waren, leider kaputtgemacht.

Ich will noch eine Zahl nennen, die das verdeutlicht.
Wir hatten insgesamt 10Milliarden DM Preissenkungen.
Davon sind heute etwa 8 Milliarden DM wieder gewen-
det worden. 8 Milliarden DM haben wir den Verbrau-
chern, den Stromeinsetzern wieder oben drauf gerechnet.
Herr Minister, wie Sie ernsthaft sagen können, Sie hätten
die Chancen genutzt und wir stünden heute in der Ener-
giewirtschaft besser da als 1998, das kann ich nicht nach-
vollziehen. Das ist nicht seriös. Das wird Ihnen von nie-
mandem bestätigt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – KurtDieter Grill [CDU/CSU]: Das ist sein großes Geheimnis!)


Sie haben mit diesem Gesetzentwurf einige Aspekte
aufgenommen und angepackt. Es gab ja auch Vorgaben

aus Brüssel. Es musste ja sein. Das ist keine Erfindung
von Ihnen. Aber Sie haben auch wieder schwere Fehler
eingebaut, sodass wir diesem Gesetzentwurf leider nicht
zustimmen können.

Wir haben in der Frühphase viele gemeinsame Anre-
gungen gehabt, wo wir gesagt haben: Das und das würde
doch passen und wäre ganz gut. – Sie haben einige Ele-
mente von uns aufgenommen. Ich will die Beweislastum-
kehr und die sofortige Vollziehung nennen. Das waren
Ideen von uns, die wir sehr früh in den Prozess einge-
bracht haben. Wir wollten sie befristen, weil wir glauben,
dass man so scharfe Mittel nur während der Markteinfüh-
rung einsetzen sollte.


(Monika Ganseforth [SPD]: Was haben Sie für eine Wahrnehmung von der Wirklichkeit?)


Wenn sich die Märkte dann geöffnet haben, dann sollte
wieder das normale Zivilrecht gelten. Darüber kann man
streiten.

Was jetzt aber dabei herausgekommen ist, ist schon er-
staunlich. Wir wollten zum Beispiel die Beweislastum-
kehr haben, sodass das Unternehmen, das die Durchlei-
tung verhindern oder erschweren wollte, seine Gründe
präsentieren muss, dass man ihm also nicht das Gegenteil
nachweisen muss, sondern dass es aus sich selbst heraus
argumentieren muss. Herausgekommen ist jetzt, dass die
Unternehmen das nach der Verbändevereinbarung nicht
mehr müssen; vielmehr muss jetzt das Kartellamt bewei-
sen, dass sein Ansatz, die Dinge zu sehen, richtig ist. Wir
haben also eine Beweislastumkehr nicht zulasten der
Marktteilnehmer, die wir zwingen wollten, sich der Libera-
lisierung zu stellen, sondern wir haben jetzt eine Beweis-
lastumkehr zulasten des Kartellamts, wenn es eingreifen
will. Das ist ordnungspolitisch ein unglaublicher Vorgang.

Deswegen kann ich Ihnen hier schon sagen: Dieses Ge-
setz wird nicht alt. Es wird diese Regierung etwas über-
dauern, das ist klar. Es wird aber im Jahr 2003 in die
Werkstatt kommen. Wir werden solche Entwicklungen
wieder korrigieren. Wir begrüßen in diesem Zusammen-
hang den Antrag der FDP. Hier so etwas wie rechtsfreie
Räume zu schaffen, indem man die Verbändevereinba-
rung so wichtig macht, dass das Kartellamt Verstöße ge-
gen Wettbewerbsregeln nicht mehr ahnden kann und
praktisch aus diesem Prozess herausoperiert wird,


(Rolf Hempelmann [SPD]: Unsinn!)

das kann man nicht zulassen. Das ist eine korporatistische
Verfassungslage; die können wir nicht verstehen, nicht
nachvollziehen. Das ist eine Verschlechterung der Lage.
Deswegen muss so etwas wieder geändert werden.

Auch wir waren für die Verbändevereinbarung. Das
ist ohne Frage der richtige Weg. Wir sind gegen eine Re-
gulierungsbehörde. Wir werden alles tun, was nötig ist,
um eine Regulierungsbehörde zu verhindern, weil wir
glauben, es geht auch ohne. Das ist nicht unser Ansatz.
Wir sagen aber auch: Wenn sich Brüssel wider Erwarten
mit einer Regulierungsbehörde durchsetzen will, dann
kann das unserer Vorstellung nach nur das Bundeskartell-
amt sein und nicht eine neue, zusätzliche Regulierungs-
behörde.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)





Hartmut Schauerte
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(C)



(D)



(A)



(B)


Da sind wir absolut festgelegt. Das würde dann auch die
Antwort sein. Wir glauben, dass das der richtige Ansatz ist.

Wir haben am Montag noch einmal eine Anhörung ge-
habt. DIHK, VIK, Verbraucherverbände – alle haben noch
einmal vor dieser Verrechtlichung gewarnt, die Sie jetzt
einführen. Sie ist ein Übermaß. Ich sage es noch einmal:
Das ist eine Vereinbarung zulasten Dritter. Das kann nicht
gut sein. Das Kartellamt muss auch in solchen Verbände-
vereinbarungen wirksam bleiben. Zumindest müsste es
vorher die Verbändevereinbarung auf Wettbewerbs-
freundlichkeit überprüfen können. Es müsste also ein not-
wendiger Beteiligter bei der Vereinbarung einer Verbän-
devereinbarung sein. Hier setzen sich aber Verbände
zusammen und beschließen etwas. Das Kartellamt kann
es von außen begucken, das war es dann. Wenn unterwegs
Missbrauch passiert, dann darf es nicht eingreifen.

Wir glauben, dass mit diesem Gesetz der freie und faire
Wettbewerb nicht genügend gefördert wird. Es gibt ganz
erhebliche Bedenken, auch von wirklichen Fachleuten in
diesem Bereich, die sagen: Hier werden die Chancen zur
Senkung der Preise nicht wirklich wahrgenommen.

Ich will in diesem Zusammenhang noch einmal eine
Frage an Sie stellen. Der Gesetzeswortlaut des § 1 ist ja
ganz eindeutig. Da heißt es ausdrücklich:

Zweck des Gesetzes ist eine möglichst sichere, preis-
günstige und umweltverträgliche leitungsgebundene
Versorgung mit Elektrizität und Gas ...

Die ersten beiden Ansätze, sicher und preisgünstig – ins-
besondere preisgünstig –, erreichen Sie mit diesem Gesetz
an keiner Stelle mehr. Im Grunde verstoßen Sie mit dem,
was Sie nach § 1 schreiben, gegen die Zielvorgabe in
§ 1. Schon deswegen kann dieses Gesetz keinen Bestand
haben. Ich denke, Sie selber wissen, dass die Verbände-
vereinbarung nur bis zum Ende des Jahres 2002 reicht.
Danach muss eine neue auf den Tisch. Das wird auch der
Anlass sein, das Energiewirtschaftsgesetz insgesamt zu
überprüfen und neu zu fassen. Ihr Gesetz ist kein guter
Weg für die Liberalisierung der Gas- und Elektrizitäts-
märkte. Es ist ein stümperhafter Ansatz, der dabei heraus-
gekommen ist. Wir können ihn nur deswegen ertragen,
weil er von so kurzer Lebensdauer sein wird. Ansonsten
müsste man sich große Sorgen machen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1423704500
Herr Kollege
Schauerte, mein Bemühen war es, Ihnen die Aufmerk-
samkeit des Ministers zu ermöglichen. Das ist allerdings
etwas schwierig, wenn auf der Regierungsbank geklönt
wird. Wenn es Rede und Gegenrede gibt, wäre es gut,
wenn alle Beteiligten zuhörten.

Nun erteile ich der Kollegin Michaele Hustedt für
Bündnis 90/Die Grünen das Wort.


Michaele Hustedt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1423704600

Verehrte Präsidentin! Meine Damen! Meine Herren! Mit
der vorliegenden Novelle setzen wir die EU-Richtlinie

Gas um. Wir schaffen damit die Möglichkeiten dafür, dass
es neben dem Wettbewerb auf dem Strommarkt nun auch
einen auf dem Gasmarkt geben kann. Es ist noch einiges
zu tun, damit dieser Wettbewerb in Gang kommt.

Dazu gehört, dass der Zugang zu den Erdgasspei-
chern geregelt wird. Das ist ein bedeutsamer Punkt, weil
kein Anbieter Versorgungssicherheit garantieren kann,
wenn er keinen Zugang zu den Erdgasspeichern hat. Es
war die einhellige Meinung der beiden Regierungsfrak-
tionen, dass die Definition des Speicherzuganges den
kommerziellen Zugang zu allen freien Speicherkapazitä-
ten einschließen muss. Das wurde auch in dem ersten
Nachtrag zur Verbändevereinigung Erdgas am 15. März
2001 vorgesehen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Positiv zu vermerken ist, dass die Braunkohleschutz-

klausel endlich aufgehoben wird. Dadurch haben wir nun
keinen zweigeteilten Markt mehr, der bedeutete, dass es
im Westen Wettbewerb gab, während es im Osten keinen
Wettbewerb gab. Das hat die ostdeutsche Industrie mit
deutlich höheren Preisen bezahlen müssen. Das war einer
der grundlegenden Fehler Ihres Gesetzes.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Im Strombereich gibt es ebenso wie im Gasbereich viel
zu tun. Herr Schauerte, Sie haben völlig Recht: Die Preise
steigen wieder. Die Industriepreise liegen im Augenblick
höher als vor der Liberalisierung. Die Preise für die Haus-
haltskunden sind im Jahr 2002 um 5 Prozent gestiegen.
Sie behaupten, das sei auf die von uns eingeführte Öko-
steuer, die KWK und das EEG zurückzuführen. Das ist
mitnichten so. Wenn man die Ertragsentwicklung und die
Gewinnentwicklung der Konzerne parallel betrachtet,
stellt man fest, dass sich die Preiserhöhung in den höhe-
ren Gewinnen widerspiegelt.


(Zuruf von der CDU/CSU: Das ändert doch nichts an den Auswirkungen für die Verbraucher! – Kurt-Dieter Grill [CDU/CSU]: Das hat mit diese Frage gar nichts zu tun! Sie reden über die Lieferanten und wir über die Verbraucher!)


Ich nenne Ihnen zwei Beispiele: Bei RWE stieg das Er-
gebnis im Strombereich im ersten Quartal um 50 Prozent,
bei Eon stieg das Ergebnis um 4,6 Prozent auf 1,3 Milli-
arden Euro. Die steigenden Preise haben also ihren
Grund. Das kann man gut oder schlecht finden. Man kann
sagen: Die haben auf dem Höhepunkt des Wettbewerbs zu
wenig Gewinne gemacht. Man kann aber deutlich sagen:
Die Preise steigen, weil die Stromkonzerne im Energie-
bereich steigende Gewinne einfahren.

Das ist darauf zurückzuführen, dass Ihr Gesetz unzu-
reichend war. Es hat nicht dafür gesorgt, für die Dauer des
Verfahrens eine ausreichende Wettbewerbsintensität zu
garantieren. Es gab nur einen kurzen Push; jetzt rutschen
wir langsam in eine ähnliche Struktur zurück.

Den neuen Anbietern auf dem Markt geht es sehr
schlecht. Viele sind inzwischen in Konkurs gegangen:
Abos Energie AG, Posnet, Zeus, Tick-Energie. Im Gegen-
satz zu RWE, Eon, EnBW und Thüga schreiben Firmen




Hartmut Schauerte

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(C)



(D)



(A)



(B)


wie die Naturstrom AG und Naturstromenergie tiefrote
Zahlen.

Deswegen war es notwendig, das Gesetz zu ändern.
Wir haben einen kleinen Schritt getan. In der nächsten Le-
gislaturperiode werden wir in der Tat weitere Schritte ma-
chen müssen. Ein wichtiger Punkt ist, dass wir dem Kar-
tellamt ein Recht auf Sofortvollzug an die Hand gegeben
haben. Dadurch können schwarze Schafe unter den Un-
ternehmen sehr schnell vom Markt genommen werden.
Die Unternehmen werden verpflichtet, die Verbändever-
einigung ab sofort einzuhalten.

Es gibt Bedenken, ob die Verrechtlichung den Innova-
tionsdruck verringert, weil das Kartellamt über die Ver-
bändevereinbarung hinaus nicht agieren kann. Ich aber
glaube, dass man berücksichtigen muss, dass es sich um
eine Zwischenetappe handelt. Es ist ein dynamischer Pro-
zess. Die Position der CDU ist ein wenig widersprüchlich,
wenn sie einerseits den verhandelten Netzzugang auf der
Basis einer Verbändevereinbarung für heilig erklärt und
auf der anderen Seite genau weiß, dass diese Verbände-
vereinbarung nur aus zwei Gründen zustande gekommen
ist: weil Minister Müller mit der Einrichtung einer Regu-
lierungsbehörde scharf gedroht hat und weil die Verrecht-
lichung die Bedingung dafür war, dass manche Verbände
überhaupt unterschrieben haben. Sonst hätte es gar keine
Verbändevereinbarung gegeben und wir wären bei einer
Regulierungsbehörde gelandet. Diese wollen Sie wie der
Teufel das Weihwasser meiden.


(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Wir werden sehen, dass sich das ändern lässt!)


Deswegen haben wir einen Zwischenweg gefunden.
Ich gehe davon aus, dass mit der Richtlinie der Europä-
ischen Union noch Anstöße gegeben werden. Insbeson-
dere für die großen Unternehmen gilt, dass es zu einer
Diskussion über ein stärkeres Unbundling kommen wird.
Ich denke, dass man bei den kleinen Unternehmen darü-
ber diskutieren kann. Holland und Italien sind schon da-
bei, ihre Gaskonzerne entsprechend aufzuteilen.

Eine Warnung zum Abschluss: Wenn wir bei der Ent-
wicklung des Wettbewerbs kleine Schritte vorangehen,
müssen wir aufpassen, dass es durch andere Prozesse
nicht dazu kommt, dass wir mangels Wettbewerber kei-
nen Wettbewerb mehr haben. Man kann sich natürlich fra-
gen, was der Fortschritt nützt, wenn es keine Akteure
mehr gibt, die tatsächlich miteinander in Wettbewerb tre-
ten.

Die Fusion von Eon und Ruhrgas steht an. Das Kar-
tellamt hat diesbezüglich eindeutig gesagt, dass sowohl
bei der Strom- als auch bei der Gasversorgung eine markt-
beherrschende Stellung entstehen würde. Von daher gehe
ich davon aus, dass das Wirtschaftsministerium – ich
nenne Herrn Tacke – dies sehr ernsthaft prüfen und die Ar-
gumente der Monopolkommission, die jetzt zu erwarten
sind, sehr genau abwägen wird. Ich persönlich hoffe, dass
die Ministererlaubnis in diesem Fall nicht erteilt wird.

Ich fasse zusammen: Wir gehen hier einen kleinen
Schritt in der Entwicklung des Wettbewerbs auf dem
deutschen Markt voran. Es wird noch ein langer Weg sein.
Es ist eine große Aufgabe der Politik, hier eine aktive

Rolle zu spielen und sich nicht, wie es die FDP immer
wieder verlangt, zurückzuziehen.


(Walter Hirche [FDP]: Jetzt musste sie noch einen Schlenker machen, ob sachlich berechtigt oder nicht!)


In der Tat haben wir es in dieser Legislaturperiode ge-
schafft, den Umweltschutz auf dem liberalisierten Markt
durch Rahmenbedingungen, eine aktive Rolle des Staates,
das KWK-Gesetz, das EEG-Gesetz, die Einsparverord-
nung und die Altbausanierung voranzubringen. Wir sind
auf dem Weg zu einer nachhaltigen Energiewirtschaft
tatsächlich weitergekommen.


(Walter Hirche [FDP]: Sie sind weit gekommen, nämlich in der Kostenbelastung der Verbraucher! – Erich G. Fritz [CDU/CSU]: Ganz Deutschland ist weit gekommen!)


Gleichzeitig haben wir den Wettbewerb weiterentwickelt.
Die Devise lautet: Umweltschutz und Wettbewerb. Dabei
sind wir tatsächlich ein ordentliches Stück vorangekommen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1423704700
Das Wort hat jetzt der
Kollege Walter Hirche für die FDP-Fraktion.


Walter Hirche (FDP):
Rede ID: ID1423704800
Frau Präsidentin! Meine Da-
men und Herren! Mit der Umsetzung der Gasrichtlinie,
die mit der heute vorgestellten Novelle des Energiewirt-
schaftsgesetzes erfolgt, schafft die Bundesregierung quasi
in letzter Minute Strafzahlungen in Höhe von 500 000
Euro pro Tag aus der Welt. Nur bis Juni hätten wir noch
Zeit gehabt. Dann hätte das Vertragsverletzungsverfah-
ren der EU-Kommission eine neue Stufe erreicht. Sie ha-
ben immerhin fast zwei Jahre über den Termin hinaus ge-
braucht, um die Dinge zurande zu bringen. Dennoch ist es
gut, dass die Gesetzesnovelle jetzt endlich fertig ist. Die-
sem Teil der Gesetzesänderung, durch den sich die Bun-
desrepublik unnötige Kosten spart, stimmen wir zu; denn
er war dringend erforderlich.


(Beifall bei der FDP)

Allerdings koppelt die Bundesregierung diese Neure-

gelung mit einer völlig überflüssigen und sachwidrigen
Einschränkung des Wettbewerbs. Mit der Form, mit der
Sie die Verbändevereinbarung im Gesetz verankern,
schränken Sie zugleich die Rechte des Bundeskartell-
amtes ein. Das hat die Anhörung am Montag dieser Wo-
che eindeutig ergeben.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Durch diese Gesetzesnovelle kommt es zu Wettbewerbs-
beschränkungen. Damit erweisen Sie den neuen Anbie-
tern eine Bärendienst, Sie schaden den Verbrauchern und
setzen die Marktliberalisierung wieder einmal aufs Spiel.

Ich habe für die FDP einen Kompromissvorschlag ge-
macht, den Sie auch heute noch akzeptieren können. Statt
der Vermutungsregelung – so haben es die Juristen ab-
gekürzt dargestellt – soll eine Berücksichtigungsrege-




Michaele Hustedt
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(C)



(D)



(A)



(B)


lung eingeführt werden. Das Kartellamt hat in seiner In-
terpretation gesagt, dass genau das der Weg ist, um die
Rechte des Kartellamtes erhalten und trotzdem die Ver-
bändevereinbarung im Gesetz ein Stück verrechtlichen zu
können.


(Beifall bei der FDP)

Ich hätte mir das gewünscht, weil wir mit der Ver-

rechtlichung einerseits und der Erhaltung der Kompeten-
zen des Bundeskartellamtes andererseits die Diskussion
um eine Regulierungsbehörde – diese kann uns von Brüs-
sel aufgedrückt werden – hätten vermeiden können.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Das ist leider nicht der Fall. Ich begrüße es, dass der

Sofortvollzug im Gesetzentwurf geregelt ist. Das ist im-
merhin etwas, aber leider hebt es den Nachteil im Zusam-
menhang mit Wettbewerbsbeschränkungen nicht auf. Wir
haben dazu schon vor einem Jahr einen Antrag vorgelegt,
bevor die Novelle überhaupt auf den Tisch kam.

Das Verhalten der Koalition, dass man Wettbewerbs-
beschränkungen macht, die letzten Endes zulasten der
Verbraucher gehen, weil keine ausreichende Kontrolle
stattfindet, reiht sich nahtlos in die Kette von Subventi-
onsbeschlüssen ein, die Sie an anderer Stelle getroffen
haben, bei denen das Thema CO2-Senkung nur als Vor-wand im Raum stand, in Wirklichkeit aber etwas ganz an-
deres erreicht wurde. Sie haben kein Interesse, auf die
Verbraucher wirklich zuzugehen. Das hat mit dem so ge-
nannten KWK-Rettungsgesetz begonnen. Es war der
Wirtschaftsminister und nicht die Opposition, der damals
von „Pennerprämien“ gesprochen hat. Dafür sind Hun-
derte von Millionen ausgeschüttet worden. Letztlich hat
dieses Gesetz wegen seiner falschen Konstruktion mehr
CO2-Ausstoß bewirkt, als wir vorher hatten.

Sie haben dann den Grundfehler dieses Gesetzes auch
in das Nachfolgegesetz hineingenommen. Sie haben näm-
lich nur die kommunalen – ich kürze das ein wenig ab –
und nicht die industriellen Anlagen berücksichtigt.


(Michaele Hustedt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Auch die Industrie, wenn sie einspeist!)


Die interessante Begründung dafür wurde auch hier im
Plenum – das möchte ich der Öffentlichkeit noch einmal
vortragen – genannt: In der Industrie wird KWK so güns-
tig erzeugt, dass wir es nicht zu fördern brauchen. Wir
fördern dort, wo es ungünstig erzeugt wird.

Was ist denn das für ein Umgang mit Steuergeldern
bzw. mit dem Geld des Verbrauchers? Das erinnert mich
an die Schulpolitik: Die guten Schüler braucht man nicht
zu fördern. Um etwas für die schlechten Schüler zu tun,
gibt man ihnen gute Noten.


(Heiterkeit bei der FDP und der CDU/CSU – Kurt-Dieter Grill [CDU/CSU]: Volltreffer! – Monika Ganseforth [SPD]: Als wenn das keine Steuergelder wären, wenn man die Guten fördert! Was ist das für eine Logik!)


Das ist die Übertragung des PISA-Konzepts auf die Ener-
giepolitik. Das haben Sie leider beim EEG fortgesetzt. Sie
fördern die Windenergie stärker an den Standorten, an

denen die Voraussetzungen schlechter sind. Das bringt der
Leistungsfähigkeit der deutschen Volkswirtschaft gar
nichts. Man muss bei Innovationen dort ansetzen, wo man
sie am wirkungsvollsten, am effizientesten und unter
Berücksichtigung des Sozialen am besten für die Men-
schen in diesem Lande machen kann. Nein, Sie sagen:
Diejenigen, die gut sind, brauchen keine Förderung. An-
statt die Guten zu unterstützen, sollen die Schlechteren
mehr bekommen.


(Monika Ganseforth [SPD]: Sollen die auch noch gefördert werden? Fordern Sie eine Förderung für die Guten? Wo ist da die Logik?)


Ich sage Ihnen: Auf diese Weise haben Sie die durch
die Liberalisierung und die Marktöffnung – eine Markt-
öffnung, um den Verbrauchern zu helfen, ist ein Ziel der
FDP-Politik – gewonnene Entlastung von mehr als
10 Milliarden DM zunichte gemacht. Durch die Liberali-
sierung der Telekommunikation ist eine erneute Entlas-
tung von 15 Milliarden DM für die Bürger erreicht wor-
den. Sie versuchen, das wieder zu verfrühstücken.

Es war in diesem Fall wieder Wirtschaftsminister
Müller, der sich heute so großartig für die Zusammenar-
beit bedankt hat. Er hat gesagt: Ein Arbeitsplatz in der
Windenergie kostet 175 000 Euro. Ich frage mich, was
man mit so viel Geld alles machen könnte, um Arbeits-
plätze im Zusammenhang mit Infrastruktur zu schaffen. Ich
mache mir diese Zahl nicht zu Eigen, damit Sie mich nicht
missverstehen. Aber es war der Wirtschaftsminister, der bei
Ihrer Politik von „Pennerprämien“ gesprochen hat. Der
Wirtschaftsminister war es, der die Zahl von 175 000 Euro
pro Arbeitsplatz in diesem Bereich genannt hat.

Ich sage Ihnen: Wir brauchen eine Energiepolitik, die
die erneuerbaren Energien dort fördert, wo sie am effizi-
entesten eingesetzt werden können, nicht dort, wo wir die
meisten Subventionen benötigen. Energiepolitik muss
volkswirtschaftlich orientiert sein. Der Kollege Schauerte
hat darauf hingewiesen, man müsse dort ansetzen, wo es
besonders preisgünstig ist. Eine Energiepolitik, die den
Sozialaspekt der Preisgünstigkeit im Sinne der Verbrau-
cher vernachlässigt, ist unsozial bis dort hinaus.


(Monika Ganseforth [SPD]: Mitnahmeeffekte wollen Sie erzeugen!)


Das ist nur eine neue Begründung für Subventionen an
der falschen Stelle. Wir wissen aus dem Kuhhandel um
die Steinkohle, dass das Tausende von Arbeitsplätzen in
der deutschen Verkehrswirtschaft kostet.

Das ist keine gute Energiepolitik. Das ist eine unsoziale
Subventionspolitik, die Sie hier unterstützen. Deswegen
lehnen wir dieses Energiewirtschaftsgesetz ab.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1423704900
Jetzt hat das Wort der
Kollege Rolf Kutzmutz für die PDS-Fraktion.


Rolf Kutzmutz (PDS):
Rede ID: ID1423705000
Verehrte Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vielleicht entspricht es
einer Regel im Leben, sich von Grundsätzen zu verab-
schieden oder sie wenigstens aufzuweichen. Ich meine,




Walter Hirche

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(C)



(D)



(A)



(B)


dass die rot-grüne Bundesregierung und die Koalitions-
fraktionen mit der heute auf der Tagesordnung stehenden
Gesetzesnovelle zum Energiewirtschaftsrecht einen
Schlusspunkt unter die systematische Aufweichung ihrer
eigenen Grundsätze in der Energiepolitik setzen.

Am Anfang stand das Zauberwort „Ökologischer Um-
bau“. Der Start mit dem Erneuerbare-Energien-Gesetz
war verheißungsvoll. Aber dann kam – zunächst schlei-
chend und dann immer offener – eine Wende. Zuerst kam
das jahrelange Gewürge um den vernünftigen Umgang
mit der Kraft-Wärme-Kopplung, zu dem es letztlich nicht
kam, dann das Atomverstromungsgarantiegesetz. Sie nen-
nen es bekanntlich „Ausstieg“. Zunehmend haben sich
SPD und Bündnis 90/Die Grünen als Schutzschild weni-
ger etablierter Monopole entpuppt, die sie zu Recht einst
vehement bekämpft haben.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, ich
will Ihnen gar nicht Ihre starken Worte aus Oppositions-
zeiten vorhalten. Damals wollten Sie gegen dieses Ener-
giewirtschaftsgesetz sogar nach Karlsruhe ziehen. Aber
das, was Sie heute vorhaben, hätte ich bis gestern weder
der CDU/CSU noch der FDP zugetraut. Noch gestern ha-
ben Sie die Kartellämter als allein möglichen Regulator
monopolisierter Märkte gefeiert. Heute knebeln Sie die
Kartellämter mit der so genannten Verrechtlichung priva-
ter Verbändevereinbarungen.

Aber das ist noch nicht das Entscheidende. Vielmehr
setzen Sie sogar noch eins drauf. Sie erklären im Gassek-
tor eine Regelung zur guten fachlichen Praxis, die dies bis
heute gar nicht sein kann und nach Ansicht aller Experten
– außer denen von Ruhrgas und anderen alteingesessenen
Gasversorgern – auch nie zu einer guten wettbewerbli-
chen Praxis werden kann.

Ich erinnere den Kollegen Jung nur an seine letzte sug-
gestive Frage in der Anhörung am Montag


(Erich G. Fritz [CDU/CSU]: Das war die Höhe!)


und an die Antwort des Präsidenten des Kartellamts, des
Anwalts und des Vertreters der Industrie. Es ist nicht nur
so, dass Sie die Erde zur Scheibe erklären, sondern Sie
wollen auch noch dafür haften. Ein Kartell weniger unter
Ausschluss der Masse der Energieverbraucher und
potenziellen Erzeuger darf Gesetze machen, für die Sie
von der Koalition Ihren Namen hergeben. Diese Gesetze
gehen nicht nur zulasten des Wettbewerbs, also neuer
Händler, sondern – das ist der PDS besonders wichtig –
auch auf Kosten der kleinen Haushalte.

Die Gesetze gehen auch auf Kosten einer wirklichen
Energiewende. Neue Anbieter, vom Biogas bis zum Er-
zeuger solaren Stroms, werden nun endgültig schutzlos
der Willkür der Netzbetreiber ausgeliefert


(Michaele Hustedt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mein Gott!)


und so allzu leicht vom Markt ferngehalten. Denn die
Netzbesitzer bestimmen qua Gesetz die Spielregeln, nach
denen die Wettbewerbswächter und Gerichte künftig das
Treiben beurteilen müssen.


(Michaele Hustedt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Unterschätzen Sie das Kartellamt nicht!)


Eine solche Gesetzgebung ist nicht nur fachlich, sondern
auch in verfassungsrechtlicher Hinsicht zu kritisieren.


(Beifall bei der PDS)

Letztlich entscheidet nicht die vom Volk ausgehende
Staatsgewalt, sondern so genannte Konsensrunden, das
heißt, eine Diktatur der Verbände.


(Walter Hirche [FDP]: Das ist die Fortentwicklung der Diktatur des Proletariats!)


Die PDS hat zu diesem Irrweg mit ihren Anträgen eine
klare Alternative vorgelegt: die Errichtung eines bundes-
weiten Regulators, in dem das mittlerweile in den Kar-
tellbehörden entstandene Know-how personell zusam-
mengefasst wird. Dieser Regulator soll aufgrund echter,
von Parlament und Länderkammer bestätigter Verordnun-
gen agieren. Dass diese Verordnungen auf vernünftige
Lösungen aus Verbändevereinbarungen zurückgreifen
können, versteht sich von selbst. Sie müssen aber Resul-
tat gesellschaftlicher Diskussion und nicht einfach ein
Verweis auf Verbandskompromisse sein.

Am Vorschlag der CDU/CSU, die Kartellämter direkt
zum faktischen Regulator zu machen, ohne sie als solchen
zu bezeichnen, stört uns vor allem eines: Damit wird die
bisherige Arbeitsweise und die dabei erreichte Reputation
der Wettbewerbswächter aufgeweicht. Das kann aber im
Hinblick auf deren sonstige Aufgaben eigentlich nicht er-
wünscht sein. Da aber dieser Vorschlag der momentanen
Lage im Energiesektor noch angemessener ist als der Weg
der Koalition, werden wir in der Abstimmung zwischen
beidem differenzieren.

An Rot-Grün gewandt kann ich jedoch nur sagen:
Wäre dieses Gesetz der Maßstab Ihrer Energiepolitik, hät-
ten Sie es nicht verdient, diese Politik nach dem 22. Sep-
tember fortsetzen zu können.

Danke schön.

(Beifall bei der PDS)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1423705100
Jetzt hat der Kollege
Volker Jung für die SPD-Fraktion das Wort.


(Erich G. Fritz [CDU/CSU]: Der Jung sieht in der Frage ganz schön alt aus, finde ich!)



Volker Jung (SPD):
Rede ID: ID1423705200
Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren! Verehrter Kollege Hirche, was
Sie zu unserer Fördersystematik – auch im Erneuerbare-
Energien-Gesetz – ausgeführt haben, verdeutlicht, dass
Sie das überhaupt nicht verstanden haben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Zuruf von der CDU: Dann können Sie ihn ja mal aufklären! Jetzt gibt es Nachhilfe à la Jung! – Abg. Walter Hirche [FDP] meldet sich zu einer Zwischenfrage – Dr. Reinhard Loske [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herr Lehrer, ich weiß was!)


Eine alternative Interpretation wäre: Sie haben es ver-
standen, aber Sie aktzeptieren es grundsätzlich nicht, dass
wir natürlich die Technologieversionen am stärksten för-




Rolf Kutzmutz
23692


(C)



(D)



(A)



(B)


dern, die es am ehesten benötigen, das liegt doch auf der
Hand – immer unter dem Gesichtspunkt, dass sie markt-
fähig werden können. So haben wir auch die Degression
gestaltet.


(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Die Kohle machen wir marktfähig!)


Das als völlig abwegig hinzustellen, finde ich unmöglich.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1423705300
Herr Kollege Jung,
der Kollege Hirche möchte eine Frage stellen. Wollen Sie
die zulassen?


Volker Jung (SPD):
Rede ID: ID1423705400
Ja, gern.


Walter Hirche (FDP):
Rede ID: ID1423705500
Herr Kollege Jung, ich habe
mich in meiner Argumentation wesentlich auf Zitate des
Bundeswirtschaftsministers gestützt. Halten Sie das, was
der Bundeswirtschaftsminister sagt, auch für ganz abwe-
gig?


(Monika Ganseforth [SPD]: Und was denken Sie?)



Volker Jung (SPD):
Rede ID: ID1423705600
Ich empfehle Ihnen,
Herr Hirche: Besinnen Sie sich doch auf Ihre eigenen Ar-
gumente, dann wird das Ganze vielleicht etwas plausibler
werden.


(Erich G. Fritz [CDU/CSU]: Aber eine Antwort ist das nicht, Herr Kollege!)


Da wir gerade bei Ihnen sind, würde ich gerne noch
einmal auf den Kohleantrag eingehen, den Sie vorgelegt
haben und den ich unerhört finde. Der geht auf keine Kuh-
haut.


(Walter Hirche [FDP]: Das war kein JungBrunnen!)


Oder vielleicht sollte man jetzt mit einem aktuellen Bezug
sagen: Der passt auf keine Schuhsohle. Sie fordern die
Halbierung der Förderung in den Jahren 2002 bis 2005.
Dabei schließen Sie jetzt auch nicht mehr betriebsbe-
dingte Kündigungen im Bergbau aus. Ich kann Ihnen dazu
nur sagen: Die Vereinbarung, die 1997 geschlossen wor-
den ist, haben Sie mit einem liberalen Wirtschaftsminister
geschlossen. Wenn Sie das heute infrage stellen, brechen
Sie diese Vereinbarung. Ich finde, das ist unerhört. Im
Grunde kann man aber dankbar sein, dass Sie das der Öf-
fentlichkeit so deutlich vor Augen führen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Das ist eine Politik, die nur entschieden zurückgewie-
sen werden kann. Ich glaube, dass wir auch in Zukunft ei-
nen Kohlesockel brauchen. Wenn man sich vor Augen
hält, dass in der Zukunft der erhöhte Strombedarf, den wir
weltweit zu erwarten haben, in erster Linie durch fossile
Energieträger gedeckt wird und die Steinkohle dabei eine
erhebliche Rolle spielen wird,


(Walter Hirche [FDP]: Unbestritten!)


müssen wir heute alle Anstrengungen unternehmen, sie
effizienter einzusetzen, eine Strategie der Clean Cold
Technology zu verfolgen,


(Kurt-Dieter Grill [CDU/CSU]: Sie haben die Kohleforschung gegen die Wand gefahren! – Walter Hirche [FDP]: Das kann man effizient machen!)


wie es heute schon in den Vereinigten Staaten und Japan
gemacht wird, wo es einen erheblichen technologischen
Vorsprung gibt. Hier müssen wir in Zukunft sehr aktiv
werden.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Walter Hirche [FDP]: Da gibt es überhaupt keinen Dissens, Herr Jung!)


Ich komme zum Kern der heutigen Debatte zurück, zur
ersten Novelle zum Energiewirtschaftsgesetz, zu dieser
schon nach vier Jahren notwendigen Novelle. Wir verfol-
gen damit zwei wesentliche Ziele. Das erste Ziel ist die
Umsetzung der europäischen Gasrichtlinie, die erst eu-
ropäisches Recht geworden ist, nachdem unser Energie-
wirtschaftsgesetz hier verabschiedet worden ist, und die
vollständig umgesetzt werden muss. Ich bin der Auffas-
sung, dass das relativ unproblematisch hätte geschehen
können; denn die Kontroversen haben sich in Grenzen ge-
halten. Wir hatten ein Problem mit der Nutzung der Spei-
cherkapazitäten. Aber ich meine, dass wir in diesem Be-
reich jetzt eine Lösung gefunden haben: Immer dann,
wenn technisch die Notwendigkeit besteht, den Netzzu-
gang zu erreichen, sollte dies auch gesetzlich festgelegt
werden. Das ist sozusagen der weniger problematische
Bereich gewesen.

Problematischer hat sich die Diskussion über die wett-
bewerbsrechtlichen Aspekte dargestellt. Es ist schon deut-
lich geworden, dass hier sehr vieles an unserem Gesetz-
entwurf, wie ich finde, falsch interpretiert wird. Es ging
darum – ich möchte unterstreichen, was der Bundeswirt-
schaftsminister ausgeführt hat; ich glaube auch, dass das
Konsens im Wirtschaftsausschuss gewesen ist –, den ver-
handelten Netzzugang zu verteidigen. Diese Konsenslinie
haben wir eigentlich immer festgestellt. Ich möchte das an
dieser Stelle noch einmal unterstreichen. Aber wenn Sie
sich zu diesem verhandelten Netzzugang bekennen, brau-
chen Sie auch ein Regime der Verbändevereinbarun-
gen. Wenn Sie an diesem Pult jetzt sagen, dass die Ver-
rechtlichung der Verbändevereinbarung überflüssig sei


(Walter Hirche [FDP]: Nein, das kann man nicht sagen!)


oder in der Sache falsch angelegt sei,

(Walter Hirche [FDP]: Falsch konstruiert, weil Sie dadurch das Kartellamt entmündigen!)


dann schütten Sie das Kind mit dem Bade aus.
Der Punkt an der ganzen Sache ist doch: Ein Sofort-

vollzug von Kartellamtsentscheidungen ist eigentlich nur
dann akzeptabel, wenn man auch klare rechtliche Rah-
menbedingungen vorgibt.


(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Nein!)





Volker Jung (Düsseldorf)


23693


(C)



(D)



(A)



(B)


Das kann man entweder durch die Netzzugangsverord-
nung machen – das hat lange Zeit in der Diskussion eine
ganz wichtige Rolle gespielt – oder aber man kann das
machen, indem man Verbändevereinbarungen verrecht-
licht oder ihnen eine höhere rechtliche Verbindlichkeit
verleiht, damit nicht das Bundeskartellamt oder die Kar-
tellsenate der Gerichte sozusagen aus der Tiefe ihres
Gemüts die Kriterien schöpfen. Sie müssen vielmehr
rechtlich klar vorgegeben sein. Das ist der eigentliche
Zweck der Verrechtlichung der Verbändevereinbarungen.


(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Das steht nirgendwo im Gesetz!)


Das hat auch etwas mit der differenzierten Struktur der
Netze in Deutschland zu tun; denn es ging immer darum,
den Netzbetreibern zu ermöglichen, ihre Kosten bei den
Durchleitungsentgelten zu berücksichtigen. Wenn das
durch das Vergleichsmarktprinzip, das die Kartellbehör-
den bei ihren Entscheidungen berücksichtigen, verhindert
würde, dann wären in Zukunft Investitionen in den Erhalt
und den Ausbau der Netze gefährdet. Das ist nicht Sinn
der Sache. Das heißt also, das Kostenprinzip muss an ir-
gendeiner Stelle zum Tragen kommen. Deshalb sind wir
mit der Verrechtlichung der Verbändevereinbarungen auf
dem richtigen Weg; denn nur so ist ein Sofortvollzug von
Kartellamtsentscheidungen möglich.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich bin übrigens der Auffassung – damit bin ich von
der Position des Kollegen Schauerte gar nicht so weit ent-
fernt –, dass dies eine Momentaufnahme ist, dass entspre-
chend der Marktentwicklung auch das rechtliche Instru-
mentarium weiterentwickelt werden muss. Die
Verbändevereinbarungen sind ja bis zum Ende des Jahres
2003 befristet. Wir vermuten aufgrund der Diskussionen,
die sowohl auf der nationalen Ebene als auch in der Eu-
ropäischen Union geführt werden, dass die endgültige
Entscheidung über unser Wettbewerbsmodell in der Zu-
kunft fallen wird.

Ich bin der Auffassung, dass sich die Qualität des Wett-
bewerbs in Zukunft ohnehin an der faktischen Marktent-
wicklung orientieren wird. Wir müssen heute feststellen,
dass der Strom- und auch der Gasmarkt durch eine erheb-
liche Konzentrationswelle gekennzeichnet ist, was wir
übrigens bei der Beratung des Energiewirtschaftsgesetzes
vorausgesagt haben. Die Entwicklung geht nach der
Marktöffnung von Monopolen im geschützten Markt hin
zu Oligopolen. Das Bundeskartellamt spricht sogar von
einem Duopol im Strommarkt und von einer marktbe-
herrschenden Stellung im Gasmarkt.


(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Das beschleunigen wir mit diesem Gesetzentwurf noch!)


Ich möchte an dieser Stelle gerne zum Ausdruck bringen,
dass wir uns immer – davon werden wir uns auch in Zukunft
leiten lassen – für den Erhalt einer differenzierten, pluralen
und dezentralen Energieversorgungsstruktur ausgesprochen
haben. Diese sollten wir auch zukünftig stärken;


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


denn eine solche Struktur bietet die größten Chancen, in
der Unternehmenspolitik auch Umweltschutzgesichts-
punkte zu berücksichtigen. So können wir Wertschöpfung
und Beschäftigung in unserem Land auf einem hohen Ni-
veau halten.

Insofern ordnet sich die Novelle zum Energiewirt-
schaftsgesetz in unsere Politik ein, die darauf abzielt, eine
Energiewende einzuleiten. Damit haben wir noch in die-
ser Legislaturperiode einen gewissen Abschluss erreicht.
Uns ging es in erster Linie darum, den durch eine unkon-
trollierte Liberalisierung in Unordnung geratenen Markt
durch Korsettstangen wieder in Ordnung zu bringen. Das
gilt für das Erneuerbare-Energien-Gesetz und das Kraft-
Wärme-Kopplungsgesetz, aber auch für die jetzt vorlie-
gende Novelle zum Energiewirtschaftsgesetz. All das
gehört zu unserem Energieschutzprogramm. Wir sind mit
dieser Politik auf einem guten Weg.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Da dies voraussichtlich meine letzte Rede im Deut-
schen Bundestag ist, möchte ich gerne die letzte Minute
meiner Redezeit nutzen, um mich bei meinen Kollegen,
insbesondere bei den energiepolitischen Sprechern der
Fraktionen, zu bedanken. Herr Hirche, trotz aller Kontro-
versen danke ich für die gute Zusammenarbeit,


(Walter Hirche [FDP]: Das bestätige ich gerne! Ich danke auch!)


die gerade durch die Kontroversen fruchtbare Ergebnisse
gezeitigt hat. Ich bedanke mich bei Herrn Grill, auch
wenn er nicht immer den Titel eines energiepolitischen
Sprechers getragen hat, bei Herrn Kutzmutz und beson-
ders herzlich bei meiner Kollegin und Mitstreiterin
Michaele Hustedt, die ich sehr schätzen gelernt habe. Ich
wünsche Ihnen alles Gute für die Zukunft.


(Beifall im ganzen Hause)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1423705700
Herr Kollege Jung,
ich drücke Ihnen im Namen des ganzen Hauses für Ihr
nachhaltiges Engagement auf dem Energiesektor und bei
sonstigen politischen Themen meinen Respekt und meine
Anerkennung aus. Wir wünschen Ihnen für den nächsten
Lebensabschnitt alles Gute.


(Beifall im ganzen Hause)

Zum Abschluss der Debatte hat jetzt der Kollege Kurt-

Dieter Grill für die CDU/CSU-Fraktion das Wort.


Kurt-Dieter Grill (CDU):
Rede ID: ID1423705800
Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren! Wenn man die Rede des Bun-
deswirtschaftsministers, aber auch der Kollegen aus der
Koalition gehört hat, dann muss man sich daran erinnern,
dass dieses Gesetz einige Zeit liegen geblieben ist. Inso-
fern ist das, was hier heute vorgetragen wurde, gar nicht
so selbstverständlich. Interessant ist auch, worüber im
Laufe der Zeit alles diskutiert worden ist und was in ei-
nem Artikelgesetz ebenfalls hätte geregelt werden sollen,
heute aber nicht vorliegt, etwa die Fragen des EEG und
der Absenkung der Vergütungen für Strom aus Windener-




Volker Jung (Düsseldorf)

23694


(C)



(D)



(A)



(B)


gie. Ich werde auf die Themen, die hier gar nicht mehr
auftauchen, zurückkommen.

Herr Minister, wenn Sie hier schon die Politik dieser
Bundesregierung zum Besten erklären, was es in Deutsch-
land jemals gegeben habe,


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


dann erinnere ich Sie nur daran, dass Sie zusammen mit
Herrn Breuer ein Jahr lang einen Energiedialog geleitet
haben, der aber bis heute nicht in ein Energiekonzept der
Bundesregierung umgesetzt worden ist.


(Monika Ganseforth [SPD]: Schon wieder! Können Sie nicht mal mit etwas Neuem kommen?)


Würde man Sie nach den Perspektiven bis 2020 fragen,
könnten Sie keine Antwort geben.

Einer der entscheidenden Sätze, über die Sie heute und
auch gestern schon hinweggegangen sind, ist für mich der
folgende: Die klimapolitischen Fragen, die durch den
Ausstieg aus der Kernenergie aufgeworfen werden, sind
nicht beantwortet.


(Walter Hirche [FDP]: Richtig!)

Ich widerspreche Ihnen ausdrücklich, wenn Sie hier sa-

gen, wir seien diejenigen, die die Steinkohle in Deutsch-
land stilllegen wollten. Genauso wie in anderen Parteien
gibt es auch bei uns Kollegen, die bei der Steinkohlesub-
vention anders denken, als Sie es hier vorgetragen haben.
Aber die Mehrheit der CDU/CSU-Bundestagsfraktion
– ich erinnere an das, was Helmut Kohl 1997 gemacht hat –
ist für die Steinkohle und für die Kumpel in einer Art und
Weise verantwortlich tätig geworden, die Sie nicht be-
rechtigt, heute davon zu sprechen, die CDU/CSU sei nicht
an der Seite der Steinkohle.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Herr Minister, Sie hätten heute Morgen einmal vortra-

gen können, wie die Steinkohlesubventionsfolgeregelung
nach Auslaufen des EGKS-Vertrages aussehen wird.
Nach dem, was wir bis jetzt hören, sind Sie damit noch
nicht fertig, obwohl Sie seit zwei Jahren verhandeln. Sie
haben für den Herbst 2000 eine Lösung angekündigt. Dies
ist also auch kein Glanzstück Ihrer Regierungspolitik.

Sie zahlen nicht nur im Verkehrssektor – diese Frage
hat Walter Hirche hier schon aufgegriffen –, sondern Sie
haben auch die Öffnung der Märkte in Frankreich und
Spanien nicht einfordern können, weil Sie deren Zustim-
mung für die Steinkohlesubventionen brauchten. Das ist
die Realität.


(Walter Hirche [FDP]: So ist es!)

Ich komme zu dem, was Sie zur ostdeutschen Braun-

kohle gesagt haben, und erinnere die Sozialdemokraten
daran, dass sie die Braunkohleschutzklausel, die wir 1998
in das Gesetz eingefügt haben, für zu schwach gehalten
haben.


(Michaele Hustedt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Beziehen Sie sich doch auf meine Rede! Wir nicht!)


Angesichts dessen dürfen Sie heute nicht davon sprechen,
Sie hätten hier im Interesse der Kunden etwas regulieren
müssen. Damals haben wir es im Interesse der ostdeut-
schen Kumpel und der ostdeutschen Kraftwerkswirtschaft
getan. Sie wollten seinerzeit mehr, weil Sie es für unzu-
reichend gehalten haben.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Herr Kollege Jung, hinsichtlich der Kohletechnologie

sind wir uns völlig einig. Das müssen Sie mit den Mit-
gliedern Ihrer Fraktion in der Enquete-Kommission
klären, die den Vorschlag der IG BCE zur Kohle schlicht
und einfach abgelehnt haben.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Walter Hirche [FDP]: So ist es! – Monika Ganseforth [SPD]: Das ist nicht wahr! – Gegenruf von der CDU/CSU: Das können Sie nachlesen!)


Den Wahlkampf 1998 haben Sie mit der Verfassungs-
klage zur Wiedereinführung des kommunalen Monopols
geführt. Sie hätten jetzt eine Chance gehabt, das hier zu
regeln. Die Verfassungsklage schmort in Karlsruhe. Das,
womit Sie 1998 Wahlkampf gemacht haben – –


(Zuruf der Abg. Michaele Hustedt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


– Du hast es zwar nicht gefordert, bist aber mit in Haft.
Sie haben gesagt, die Preise seien gesenkt worden.

Hartmut Schauerte hat verdeutlicht, dass dagegen Steuer-
erhöhungen wie die Stromsteuer wirksam wurden.


(Dr. Werner Müller, Bundesminister: Nein!)

– Lieber Herr Müller, die Vertreter der Aluminiumindus-
trie waren bei mir und haben gefragt, ob Sie den Weg mit-
gehen würden, den Herr Jung im Hinblick auf KWK stolz
verkündet hat. Wir kappen die Belastungen bei der strom-
intensiven Industrie und verteilen sie auf den Mittelstand
und die Tarifkunden. Diese Politik haben Sie im Zusam-
menhang mit dem KWK-Nachfolgegesetz vorgetragen.

Dann kommt noch eine wunderschöne Geschichte. Sie
hätten jetzt die Gelegenheit gehabt, die Verwerfungen in
Bezug auf Steuern oder Abgaben aus EEG und KWK mit
einer Gesetzesnovelle zu beseitigen. Die Rechtsprechung
der Gerichte ist unterschiedlich. Also hätte es an dieser
Stelle einer juristischen Klarstellung seitens der Politik
bedurft. Stattdessen ist es möglich, dass sich der nord-
rhein-westfälische Landesminister weigert, die Rechnung
aus EEG und KWK zu bezahlen. Das verlangen Sie aber
von der Industrie, vom Mittelstand und vom Tarifkunden.
Da, wo Sie selber Verantwortung haben, zahlt ein grüner
Landesminister die Rechnung nicht. Sie sollten sich schä-
men, wenn Sie mit dem Finger auf uns zeigen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Sie zahlen nicht, obwohl Sie im Grunde genommen die
Rechnung bestellt haben.


(Monika Ganseforth [SPD]: Die Leute haben Ihre Argumentation satt! Immer die alten Geschichten!)





Kurt-Dieter Grill

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(C)



(D)



(A)



(B)


Trotz all dieser rechtlichen Novellierungen bleibt die
Wirtschaft in der Pflicht, nachzuweisen, dass sie mit dem
verhandelten Netzzugang die im Vergleich zur Regulie-
rung bessere Politik macht.

Sie haben die Klimaziele gestrichen. Herr Bundeswirt-
schaftsminister, ich erinnere Sie an Ihren Energiebericht
und an die Kosten in Höhe von 250 Milliarden Euro, um
die die Politik, die Sie verkündet haben, die Klimapolitik
teurer macht.


(Monika Ganseforth [SPD]: Können Sie mal mit etwas Neuem kommen?)


Dann will ich noch einen Satz sagen, Herr Kollege
Jung. Ich finde es immer unheimlich gut, dass diejenigen,
die früher die Monopole kritisiert haben, heute den Wett-
bewerb kritisieren. Aber wenn Sie schon über Eon, Ruhr-
gas und diese Dinge sprechen, dann sollten Sie – –


(Widerspruch des Abg. Volker Jung [Düsseldorf] [SPD])


– Na ja, das haben Sie schon gemeint.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1423705900
Herr Kollege, das
wird aber ein langer Satz. Ihre Redezeit ist weit über-
schritten.


Kurt-Dieter Grill (CDU):
Rede ID: ID1423706000
Dazu will ich Ihnen
einen letzten Satz sagen.


(Susanne Kastner [SPD]: Das ist ja furchtbar!)

Der Bundeskanzler hat zu einer Zeit, zu der das Kartell-
amt noch gar nicht entschieden hatte, Eon und Ruhrgas
signalisiert: Ihr habt meine politische Unterstützung.


(Dr. Werner Müller, Bundesminister: Freie Erfindung!)


Er hat es auf einer Betriebsversammlung gesagt.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1423706100
Herr Kollege, würden
Sie bitte zum Schluss kommen.


Kurt-Dieter Grill (CDU):
Rede ID: ID1423706200
Dies war ein frühzeiti-
ges Signal der Politik für das, was Sie heute kritisieren.


(Monika Ganseforth [SPD]: Sie sagen etwas, was keiner nachvollziehen kann!)


Sie kritisieren nicht uns und auch nicht die Wirtschaft,
sondern Ihren eigenen Bundeskanzler, wenn Sie dies
heute vortragen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord neten der FDP)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1423706300
Ich schließe die Aus-
sprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Neurege-
lung des Energiewirtschaftsrechts, Drucksache 14/5969.

Dazu liegen mir persönliche Erklärungen von den Kolle-
gen Fell und Scheer vor.

Der Ausschuss für Wirtschaft und Technologie emp-
fiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung auf Druck-
sache 14/9081, den Gesetzentwurf in der Ausschussfas-
sung anzunehmen. Hierzu liegt ein Änderungsantrag der
Fraktion der FDP auf Drucksache 14/9115 vor, über den
wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für diesen Änderungs-
antrag? – Gegenprobe! – Enthaltungen? – Damit ist der
Änderungsantrag gegen die Stimmen von CDU/CSU und
FDP abgelehnt.


(Dr. Irmgard Schwaetzer [FDP]: Richtig uneinsichtig!)


Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Aus-
schussfassung zustimmen, um das Handzeichen. – Ge-
genprobe! – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist in
zweiter Beratung gegen die Stimmen von CDU/CSU,
FDP und PDS angenommen.

Wir kommen zur
dritten Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen, sich zu erheben. – Wer stimmt
dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist ange-
nommen.

Wir stimmen nun über den von der Fraktion der PDS
eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Energie-
wirtschaftsgesetzes ab, Drucksache 14/6796. Der Aus-
schuss für Wirtschaft und Technologie empfiehlt unter Nr. 2
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 14/9081, den
Gesetzentwurf abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen, um das Handzeichen. – Ge-
genprobe! – Enthaltungen? – Keine. Der Gesetzentwurf
ist in zweiter Beratung abgelehnt. Damit entfällt nach un-
serer Geschäftsordnung die weitere Beratung.

Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Aus-
schusses für Wirtschaft und Technologie, Drucksache
14/9081, zu dem Antrag der Fraktion der CDU/CSU mit
dem Titel „Fairen Wettbewerb im Strom- und Gasmarkt
effektiv und effizient sichern“. Der Ausschuss empfiehlt
unter Nr. 3 seiner Beschlussempfehlung, den Antrag auf
Drucksache 14/7614 abzulehnen. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? –
Gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP bei Enthal-
tung der PDS ist die Beschlussempfehlung angenommen.

Unter Nr. 4 seiner Beschlussempfehlung auf Druck-
sache 14/9081 empfiehlt der Ausschuss für Wirtschaft
und Technologie die Ablehnung des Antrags der Fraktion
der PDS auf Drucksache 14/6795 mit dem Titel „Zu-
gangsverordnung für Stromnetze erlassen“. Wer stimmt
für diese Beschlussempfehlung? – Gegenprobe! – Enthal-
tungen? – Gegen die Stimmen der PDS ist die Beschluss-
empfehlung angenommen.

Abstimmung über den von der Bundesregierung ein-
gebrachten Gesetzentwurf über Energiestatistiken,
Drucksache 14/8388. Der Ausschuss für Wirtschaft und
Technologie empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung
auf Drucksache 14/9080, den Gesetzentwurf in der Aus-
schussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem




Kurt-Dieter Grill
23696


(C)



(D)



(A)



(B)


Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wol-
len, um das Handzeichen. – Offensichtlich sind das alle.
Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Keine. Der Ge-
setzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen.

Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Of-
fensichtlich sind das alle. Dann ist der Gesetzentwurf ein-
stimmig angenommen.

Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Aus-
schusses für Wirtschaft und Technologie auf Drucksache
14/8183 zu dem Antrag der Fraktion der FDPmit dem Ti-
tel „Energiebericht für eine energiepolitische Grundsatz-
debatte nutzen“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf
Drucksache 14/7814 abzulehnen. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? –
Gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP ist die Be-
schlussempfehlung angenommen.

Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Aus-
schusses für Wirtschaft und Technologie auf Drucksache
14/7139 zu dem Antrag der Fraktion der FDPmit dem Ti-
tel „Marktwirtschaftliche Förderung des Einsatzes erneu-
erbarer Energieträger“. Der Ausschuss empfiehlt, den An-
trag auf Drucksache 14/5328 abzulehnen. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? –
Wer enthält sich? – Gegen die Stimmen der FDP bei Ent-
haltung der CDU/CSU ist die Beschlussempfehlung an-
genommen.

Tagesordnungspunkte 23 g bis 23 i. Interfraktionell
wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen
14/8279, 14/5465 und 14/6968 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Damit
sind Sie einverstanden. Dann ist die Überweisung so be-
schlossen.

Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 24 a und 24 b
auf:

a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Maria
Böhmer, Wolfgang Bosbach, Maria Eichhorn, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/
CSU
Vermeidung von Spätabtreibungen – Hilfen für
Eltern und Kinder
– Drucksache 14/6635 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f)

Rechtsausschuss
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuss für Gesundheit

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Christel
Riemann-Hanewinckel, Dr. Hans-Peter Bartels,
Anni Brandt-Elsweier, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten
Irmingard Schewe-Gerigk, Kerstin Müller (Köln),
Rezzo Schlauch und der Fraktion des BÜNDNIS-
SES 90/DIE GRÜNEN
Rechtsanspruch auf Beratung im Mutterpass
zusätzlich festschreiben

– Drucksache 14/9030 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f)

Ausschuss für Gesundheit

Ich wünsche denjenigen, die uns jetzt leider verlassen
wollen, ein fröhliches Pfingstfest.


(Heiterkeit im ganzen Hause)

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die

Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Das ist dann so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin
Christel Riemann-Hanewinckel für die SPD-Fraktion.


Christel Hanewinckel (SPD):
Rede ID: ID1423706400
Frau Präsi-
dentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben jetzt
zwei Anträge zu behandeln, die dann noch in den Aus-
schüssen weiter beraten werden, Anträge, die eigentlich
– zu der Erkenntnis kommen wir, wenn wir uns die Ge-
schichte ansehen – überflüssig sind; denn das, was in den
Anträgen gefordert wird – zum Teil stimmt das überein,
zum Teil differiert das sehr –, ist seit sieben Jahren als gel-
tendes Recht festgeschrieben.

1992 und 1995 wurde im Schwangeren- und Familien-
hilfegesetz bzw. im Schwangerschaftskonfliktgesetz der
Rechtsanspruch auf Beratung im Zusammenhang mit al-
len eine Schwangerschaft mittelbar und unmittelbar be-
treffenden Fragen festgeschrieben. Die Erfahrung der Be-
ratungspraxis der vergangenen sieben Jahre zeigt aber,
dass ein Großteil der schwangeren Frauen zwar medizi-
nisch beraten wird, aber über die Möglichkeiten und
Grenzen der pränatal-diagnostischen Untersuchungen
nicht ausreichend informiert wird. Die betroffenen Frauen
werden in der Regel nicht darauf hingewiesen, dass sie ei-
nen Anspruch – jenseits humangenetischer bzw. medizi-
nischer Angebote – auf psychosoziale Beratung haben.

Medizinisch steht immer wieder das Angebot bzw. die
Erwartung vonseiten der Medizin im Vordergrund, dass
sich die schwangeren Frauen dem gesamten Paket der
pränatalen Diagnostik unterziehen sollen. Vonseiten der
Medizin wird im Gespräch meistens nicht deutlich ge-
macht, dass qualifizierte Schwangerenberatung und -vor-
sorge noch etwas anderes ist als eine Vielzahl von präna-
tal-diagnostischen Untersuchungen. Es wird auch nicht
deutlich gemacht, dass die Frau im Vorfeld ein Recht hat,
zu entscheiden, ob sie solche Untersuchungen will oder
nicht. Sie hat außerdem ein Recht auf Nichtwissen in Be-
zug auf das, was im Zuge der pränatalen Diagnostik he-
rauskommt.

Das Problem ist, dass Schwangerschaft oft genug als
Risiko bzw. als Krankheit behandelt wird und dass Frauen
und Paare oft allein gelassen werden, wenn sie bei einer
fortgeschrittenen Schwangerschaft erfahren, dass ihr mit
Freuden erwartetes Kind eventuell Behinderungen haben
könnte. Ich sage das deshalb so vorsichtig, weil auch die
pränatale Diagnostik – bis auf ganz wenige Ausnahmen –
in der Regel nicht abschließend sagen kann, ob dieses
Kind eine Schädigung haben wird oder nicht.

Deshalb wollen die Fraktionen der SPD und des Bünd-
nisses 90/Die Grünen eine Änderung im Mutterpass




Vizepräsidentin Anke Fuchs

23697


(C)



(D)



(A)



(B)


erreichen. Der Mutterpass ist das Dokument, das den
Frauen zu Beginn der Schwangerschaft übergeben wird.
Wenn man sich diesen Pass anschaut, dann erkennt man,
dass alle Informationen, die aus medizinischer Sicht für
eine Vorsorge nötig sind, dort enthalten sind. Es ist sogar
noch die eine oder andere darüber hinaus gehende Infor-
mation enthalten. Was aber nicht im Mutterpass verzeich-
net ist, ist, dass jede Frau einen Rechtsanspruch auf psy-
chosoziale Beratung hat. Diesen Anspruch wollen wir im
Mutterpass festschreiben. Deshalb fordern wir die Bun-
desregierung auf, mit den entsprechenden Stellen zu ver-
handeln, dass der Mutterpass entsprechend erweitert
wird. Es sollen auch geschulte Beraterinnen in Anspruch
genommen werden können.

Darüber hinaus ist eine Vernetzung der unterschied-
lichsten Beratungszweige notwendig, die wir in Deutsch-
land haben und die zum Teil schon gut miteinander arbei-
ten. Damit ist sichergestellt, dass betroffene Eltern
darüber informiert werden, welche Hilfen und welche Un-
terstützung es vonseiten der Gesellschaft und der Institu-
tionen gibt, wenn sie sich für ein behindertes Kind ent-
scheiden.

Die Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation
hat ein umfangreiches Angebot aufgeführt. Aber auch da-
rüber wird so gut wie nicht von den entsprechenden Stel-
len informiert. Eltern haben berichtet, dass sie sehr
schnell einen Termin für eine Abtreibung nach der
12. Schwangerschaftswoche bekommen. In der Regel er-
halten sie aber nicht die Information, wo sie sich kundig
machen können, wo sie ähnlich Betroffene beispielsweise
in Selbsthilfegruppen finden können und von welchen
Stellen in ihrer Kommune Hilfe zu erwarten ist, wenn sie
Mühe haben, mit einem behinderten Kind zu leben.

Darüber hinaus geht es vor allen Dingen darum, Frauen
und Eltern so zu unterstützen, dass sie das Leben in all sei-
nen Formen als lebenswert akzeptieren können. Es geht
aber auch darum, zu akzeptieren, dass sich Frauen im Ein-
zelfall ganz anders entscheiden. Alle Optionen müssen aus
unserer Sicht offen gehalten werden, nicht nur die Option
auf Wissen und Nichtwissen, ob ein Kind eine mögliche
Schädigung hat, sondern auch die Option für die Frau, ent-
scheiden zu können, ob sie einen Schwangerschaftsab-
bruch nach der 12. Woche vornehmen lassen will.

Wir gehen davon aus, dass eine Frau und ihr Partner
nach einer mindestens zwölfwöchigen Schwangerschaft
möchten, dass ihr Kind geboren wird, und dass die künf-
tigen Eltern deshalb mit der Schwangerschaft, also mit
ihrem Kind, verantwortlich umgehen wollen. Wir nehmen
an, dass sich eine Frau und ihr Partner für die Geburt ih-
res Kindes entscheiden, wenn entsprechende Beratungs-
angebote da sind. Wir in der SPD können uns nicht vor-
stellen, dass es eine Beratungspflicht gibt; schließlich gilt
es zu respektieren und zu akzeptieren, dass es die Eltern
sind, die nicht nur mit dem Kind, sondern auch für das
Kind leben müssen.

Die im Antrag der CDU/CSU aufgestellte Forderung
nach Erstellung einer Statistik unterstützen wir nicht. Mit
einer solchen Statistik wäre der Datenschutz nicht mehr
gewährleistet. Durch eine solche Statistik würde überall
kundgetan, welche Familie, welche Frau, welche Eltern

betroffen sind. Deshalb haben wir uns in unserem Antrag
eindeutig darauf beschränkt, es bei der Forderung zu be-
lassen, einen Rechtsanspruch auf Beratung im Mutterpass
zusätzlich festzuschreiben.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP sowie bei Abgeordneten der PDS)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1423706500
Für die CDU/CSU-
Fraktion spricht jetzt die Kollegin Maria Eichhorn.


Maria Eichhorn (CSU):
Rede ID: ID1423706600
Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Jede Schwangerschaft
und jede Geburt ist mit vielen Hoffnungen und Erwartun-
gen verknüpft. Sie birgt gleichzeitig aber auch Risiken,
Gefährdungen und Ungewissheiten. Die Diskussion über
den uneingeschränkten Schutz des menschlichen Lebens
in all seinen Phasen hat uns in den letzten Jahren – auch
hier, im Parlament – immer wieder herausgefordert. Der
Schutz des ungeborenen Lebens ist mir persönlich ein
sehr wichtiges Anliegen. Schon lange bevor ich Abgeord-
nete des Bundestages geworden bin, habe ich dafür
gekämpft.

Das Bundesverfassungsgericht hat uns in seinem Urteil
vom 28. Mai 1993 unter anderem beauftragt, menschli-
ches Leben, auch das ungeborene, zu schützen sowie aus-
reichende Maßnahmen zu ergreifen, damit ein angemes-
sener und als solcher wirksamer Schutz erreicht wird.

Als Verhandlungsführerin der CDU/CSU habe ich er-
lebt, wie schwierig es war, nach jahrelangem Streit über
die Abtreibungsregelung einen parteiübergreifenden
Kompromiss zu schließen. Je intensiver ich mich mit dem
Thema beschäftigt habe, umso klarer wurde mir, dass es
nicht einfach sein würde, eine Antwort zu finden. Der
Schutz der ungeborenen Kinder hat für mich oberste Pri-
orität. Gleichzeitig sehe ich es aber auch als Verpflichtung
und Auftrag, Frauen in Konfliktsituationen nicht allein zu
lassen und Hilfen anzubieten.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Mit der Verabschiedung des Schwangeren- und Fami-

lienhilfeänderungsgesetzes wurde im Juni 1995 die so ge-
nannte embryopathische Indikation als eigener Tatbe-
stand abgeschafft und in die medizinische Indikation
aufgenommen. Wir, die Mitglieder der Unionsfraktion,
hatten lange mit der Frage gerungen, ob wir dies verant-
worten können. Insbesondere die Behindertenverbände,
aber auch die Kirchen haben uns in zahlreichen Ge-
sprächen und Anhörungen immer wieder aufgefordert,
auf eine embryopathische Indikation zu verzichten. Sie
sahen in dieser Indikation eine Diskriminierung behin-
derter Menschen. Je tiefer wir in dieses Thema eingestie-
gen sind, umso mehr kamen wir zu der Überzeugung: Wir
können dem berechtigten Anliegen der Behindertenver-
bände nur dann Rechnung tragen, wenn wir keine Son-
derregelungen schaffen.

In der Begründung zur medizinischen Indikation haben
wir dann 1995 klargestellt, dass eine Behinderung in kei-




Christel Riemann-Hanewinckel
23698


(C)



(D)



(A)



(B)


nem Fall zu einer Minderung des Lebensschutzes führen
kann. Damit haben wir nochmals unmissverständlich
deutlich gemacht, dass die Behinderung als solche nie-
mals ein Grund zum Schwangerschaftsabbruch sein kann.

Dies setzt natürlich auch voraus, dass wir Rahmenbedin-
gungen schaffen, die ein Leben mit behinderten Menschen
ermöglichen. Hier ist die Familienpolitik, aber auch jeder
Einzelne gefordert. Es kommt darauf an, wie wir mit Be-
hinderten umgehen und wie wir uns gegenüber Müttern ver-
halten, die ein behindertes Kind zur Welt bringen. Darüber
hinaus übernehmen auch die Ärzte eine ganz besondere Ver-
antwortung. Sie sind es in der Regel, die den Schwangeren
mitteilen, dass sie ein behindertes Kind erwarten.

Um diesen Schwangeren jeden möglichen Rat und jede
mögliche Hilfe anbieten zu können, haben wir das
Schwangerenkonfliktgesetz in wichtigen Punkten er-
gänzt. Die bisherigen Erfahrungen zeigen leider – das hat
Frau Hanewinckel auch schon angesprochen –, dass der
Schutz behinderten ungeborenen Lebens den verfas-
sungsrechtlichen Anforderungen nicht genügt. Nach An-
gaben des Statistischen Bundesamtes wurden in der Bun-
desrepublik Deutschland im letzten Jahr insgesamt
134 964 Schwangerschaftsabbrüche gemeldet. In 177 der
gemeldeten Fälle kam es zu einem Schwangerschaftsab-
bruch nach der 23. Woche. Im Vergleich zum Jahr 2000
mit 154 Fällen war dies eine Zunahme um 15 Prozent. Die
Dunkelziffer liegt nach Angaben von Fachleuten weitaus
höher, da in der Bundesrepublik Deutschland nicht alle
Schwangerschaftsabbrüche gemeldet und statistisch er-
fasst werden. Frank Ulrich Montgomery, Vorsitzender des
Marburger Bundes, schätzt die Zahl der Spätabtreibungen
auf über 800.

Entgegen der gesetzgeberischen Erwartung aus dem
Jahre 1995 zeigt sich jetzt, dass Schwangerschaftsab-
brüche allein wegen der Behinderung eines Kindes erfol-
gen. Da es sich um eine medizinische Indikation handelt,
findet weder eine psychosoziale Beratung statt, noch gilt
eine Frist für die Vornahme des Schwangerschaftsab-
bruchs. Wir müssen daher davon ausgehen – es gibt sol-
che nachweisbaren Fälle –, dass es auch in einer sehr spä-
ten Phase der Schwangerschaft, in der das ungeborene
Kind außerhalb des Mutterleibs bereits lebensfähig wäre,
noch zum Abbruch der Schwangerschaft kommt. Da es
darüber keine Statistiken gibt, verfügen wir nicht über ge-
naue und differenzierte Erkenntnisse.

Seit Anfang 1999 hat die CDU/CSU-Fraktion in zahl-
reichen Gesprächen mit Vertreterinnen und Vertretern der
Wissenschaft, der Kirchen und der Wohlfahrtsverbände
nach Lösungen gesucht, um Spätabtreibungen nach Mög-
lichkeit zu vermeiden. Der Antrag, den wir heute hier ein-
bringen und in erster Lesung beraten, ist das Ergebnis
zahlreicher Gespräche und Anhörungen.

Die Zunahme der pränatalen Diagnostik hat inzwi-
schen dazu geführt, dass mittlerweile – man höre – 70 bis
80 Prozent der Schwangerschaften als Risikoschwanger-
schaften diskutiert werden. Diese Entwicklung ist sowohl
unter frauenpolitischen als auch unter gesundheitsökono-
mischen Aspekten fatal.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Eine umfassende Beratung vor und nach pränataler
Diagnose ist ein Kernpunkt unseres Antrages. Die präna-
tale Diagnose muss mit einer vorausgehenden umfassen-
den Beratung durch einen fachkundigen Arzt verbunden
sein. Wir wollen, dass Eltern frühzeitig besser über die
möglichen medizinischen Erkenntnisse und die damit oft
verbundenen Konfliktsituationen dieser pränatalen Dia-
gnostik aufgeklärt werden. Deshalb soll die medizinische
Beratung um eine psychosoziale Beratung erweitert wer-
den. Zusätzlich wollen wir einen Hinweis in den Mutter-
pass aufnehmen, um dieses Beratungsrecht zu verankern.

Doch dieses allein genügt nach unserer Überzeugung
nicht. Durch all diese Maßnahmen können wir bereits im
Vorfeld die Konfliktsituationen für Eltern vermindern und
Spätabtreibungen entgegenwirken. Nach einer pränatalen
Diagnose mit pathologischem Befund muss nach unserer
Meinung sowohl eine Beratung durch einen fachkundigen
Arzt als auch eine psychosoziale Beratung erfolgen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wir werden oftmals gefragt, warum wir eine Bera-

tungspflicht einführen wollen. Wir sind nach zahlreichen
Gesprächen mit Fachleuten zu diesem Ergebnis gekom-
men. In den Anhörungen wurde deutlich, dass Frauen in
bestimmten Bereichen der Medizin nicht ausreichend auf-
geklärt werden. Die Praxis zeigt, dass Frauen, denen in ei-
nem Pränatalzentrum eine pathologische Diagnose ge-
stellt wurde, der Abbruch gleich mit angeboten wird.
Diese Frauen stehen unter großem Druck und nehmen
sich oft nicht mehr genug Zeit zur Überlegung, weil die
Lösung so nahe liegt. Eine sofortige Abtreibung bietet
sich nicht nur räumlich an, sondern ist auch praktikabel,
weil sich zunächst in der Schocksituation gar kein ande-
rer Lösungsweg anbietet.

Mit der Beratungspflicht nach einer pränatalen Dia-
gnose mit positivem Befund wollen wir Frauen in ihrer
Entscheidung unterstützen. Unser Ansatz ist, neben einer
medizinischen Beratung alle Möglichkeiten und Hilfen
aufzuzeigen, die es Eltern ermöglichen, auch Kinder mit
einer Behinderung anzunehmen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Auf der Grundlage möglichst umfassender Informatio-
nen, die alle Aspekte einbeziehen, kann sich eine Frau
überlegen, ob sie es schafft, auf Dauer mit einem behin-
derten Kind zu leben, und kann sich dann für oder gegen
die Fortsetzung der Schwangerschaft entscheiden.

Wenn eine medizinische Indikation vorliegt, halten wir
es für notwendig, dass Ärzte verschiedener Disziplinen
das Ergebnis bestätigen. Dadurch kann die Prognoseent-
scheidung auf eine breitere Basis gestellt werden und es
trägt nicht ein Arzt allein die Verantwortung. Die Bundes-
ärztekammer selbst hat auf diese Notwendigkeit hinge-
wiesen.

Da aus unserer Sicht die statistische Erfassung von Ab-
treibungen bislang unzureichend ist, fordern wir eine ver-
besserte Erfassung aller Spätabtreibungen, zum Beispiel
die Erfassung der Art der jeweiligen Behinderung oder
eine genaue Beschreibung des Befunds. Bundesjustizmi-
nisterin Herta Däubler-Gmelin äußerte sich dazu in einem
„Spiegel“-Interview im Jahr 1999 wie folgt:




Maria Eichhorn

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(C)



(D)



(A)



(B)


Wir kennen die schrecklichen Einzelfälle nur aus den
Medien. Wir wissen zu wenig, was sich wirklich tut
und warum. Das müssen wir zuerst ändern.

Das ist richtig. Deshalb setzen wir uns für eine diffe-
renzierte und genauere Erfassung der Spätabtreibungen
ein.

Leider haben wir in den interfraktionellen Gesprächs-
runden keine Einigung erzielen können. Dies ist umso be-
dauerlicher, als in dem gerade vorgelegten Abschlussbe-
richt der Enquete-Kommission „Recht und Ethik der
modernen Medizin“ einstimmig eine gesetzliche Rege-
lung bezüglich der Spätabtreibungen empfohlen wird. Vor
diesem Hintergrund appellieren wir an alle Abgeordneten,
unserem Antrag zuzustimmen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wir, die wir damals die Verhandlungen geführt haben,

sind uns einig, dass alles getan werden muss, um Spätab-
treibungen zu vermeiden. Als Gesetzgeber müssen wir
handeln, weil uns nicht nur das Bundesverfassungsge-
richt, sondern auch unser Gewissen dazu verpflichtet.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1423706700
Ich erteile der Kolle-
gin Irmingard Schewe-Gerigk für die Fraktion des
Bündnisses 90/Die Grünen das Wort.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Kollegen! Seit Rot-Grün die Regierungsverantwortung
übernommen hat, ist es guter Brauch, dass bei besonderen
– meist bei frauenpolitischen – Themen fraktionsüber-
greifende Initiativen gebildet werden. Meist waren sie
von Erfolg gekrönt, wie zuletzt das Beispiel der „anony-
men Geburten“ zeigt. Beim Thema Spätabtreibung, über
das wir heute sprechen, ist es leider trotz einer zweiein-
halbjährigen Beratung nicht gelungen, eine einvernehm-
liche Position zu finden. Ich bedauere das sehr, weil ich
davon überzeugt bin, dass dies kein Thema für den Wahl-
kampf sein darf.

1995 wurde mit der Neuregelung des § 218 StGB die
embryopathische Indikation für Schwangerschaftsab-
brüche bis zur 22.Woche gestrichen. Das war eine richtige
Entscheidung. Aufgenommen wurde in den novellierten
Strafrechtsparagraphen eine medizinische Indikation, die
sachgerecht, ohne Befristung und ohne Pflicht zur Bera-
tung zu erfolgen hat.

Genau an dieser Stelle beginnt der politische Konflikt.
Die CDU/CSU geht davon aus, dass Abtreibungen auf-
grund einer medizinischen Indikation allein wegen even-
tueller Behinderung des Embryos erfolgen würden, und
fordert darum eine Klarstellung des Gesetzes. Aber, liebe
Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU, es gibt
nichts klarzustellen. Der § 218 a Abs. 2 sieht vor, dass eine
absehbare Behinderung des Ungeborenen allein kein
Grund für einen Abbruch ist. Vielmehr muss damit die
Abwendung einer Gefahr für Gesundheit oder Leben der
Schwangeren verbunden sein. Dass im Einzelfall eine an-

dere ärztliche Entscheidung getroffen wird, ist nicht vom
Wortlaut des Gesetzes gedeckt. Diese Regelung des
§ 218 a ist eindeutig. Daran ist mit den Grünen nicht zu
rütteln.


(Beifall bei der SPD)

– Mit der SPD auch nicht.

Auch Ihre Idee, die schwangere Frau, die sich ja in ei-
ner extrem schwierigen Situation befindet, solle sich ei-
nem „interdisziplinär besetztem Kollegium“ stellen, hal-
ten wir für unangemessen. Wir wollen demgegenüber, dass
sich die behandelnde Ärztin oder der behandelnde Arzt
von Kolleginnen und Kollegen eine zweite Meinung ein-
holt. So kann das notwendige Fachwissen erworben und
gute Betreuung der Schwangeren gewährleistet werden.

Sie fordern außerdem eine Haftungsfreistellung der be-
handelnden Ärzte und Ärztinnen. Dies ist bei einer medi-
zinischen Indikation eine äußerst merkwürdige Forde-
rung. Sie würde zudem zu Rechtsunsicherheit zulasten
der Frauen führen. Auch das lehnen wir ab.

Zu Ihrem Wunsch nach einer statistischen Erfassung
der Spätabtreibungen nach Art der Behinderung, Befund-
beschreibung, Art des Eingriffs und Komplikationen ver-
weisen wir auf die Äußerung des Bundesbeauftragten für
den Datenschutz. Er warnte angesichts der geringen Zah-
len – wir gehen von 150 Abbrüchen nach der 23. Woche
aus – ausdrücklich vor einer weiteren statistischen Auf-
schlüsselung, da dadurch Rückschlüsse auf den Einzelfall
möglich wären.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, für werdende Eltern,
die sich verantwortungsvoll auch für ein behindertes Kind
entscheiden wollen, spielen Aufklärung und Beratung
eine wichtige Rolle. Darum brauchen wir eine verbesserte
psychosoziale Beratung. Sie muss aber freiwillig sein.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Damit die Schwangeren wissen, dass ihnen neben der me-
dizinischen und humangenetischen Beratung auch das
Recht auf eine kostenfreie psychosoziale Beratung zu-
steht, wollen SPD und Grüne dies im Mutterpass fest-
schreiben.

Unser Ziel muss eine verbesserte Beratung sein, die in
allen Bundesländern nach einheitlichen Kriterien erfolgt.
Auch darum begrüße ich insbesondere das bundesweite
Modellprojekt der Bundesregierung „Entwicklung von
Beratungskriterien für die Beratung Schwangerer bei zu
erwartender Behinderung des Kindes“.

Liebe Kolleginnen und auch Kollegen – es sind ja nur
noch wenige da –, lassen Sie mich zum Schluss noch eines
sagen: Nach dem Fall des so genannten Oldenburger Ba-
bys, das beim Abbruch der Schwangerschaft bereits le-
bensfähig war, wurde von Ärzten – auch wegen drohender
Schadensersatzklagen – die Forderung erhoben, Schwan-
gerschaftsabbrüche nach vorgeburtlicher Diagnostik zu
befristen. Sie sollen nur möglich sein, solange die Kinder
außerhalb des Mutterleibes noch nicht lebensfähig sind.

Die Befristung einer medizinischen Indikation – ich
habe vorhin gesagt, was das bedeutet – lehnen wir ab. Hier
wissen wir uns auch aufgrund einer Anhörung im Bundes-
justizministerium mit namhaften Medizinern und Juristen




Maria Eichhorn
23700


(C)



(D)



(A)



(B)


und Juristinnen einig. Neben der von diesen gesehenen
Gefahr von Panikabbrüchen vor Ablauf der Frist und der
Wiedereinführung der embryopathischen Indikation
durch die Hintertür würde auch der Konsens aufgekün-
digt, dass Spätabtreibungen sich nicht verbieten lassen,
wenn das Leben der Schwangeren in Gefahr ist. Das sollte
uns wichtig sein.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Meine Damen und Herren, schwangere Frauen brauchen

Hilfe, Unterstützung und Beratung, gerade wenn sie ein
Kind mit einer Behinderung erwarten. Was sie aber nicht
brauchen, sind Misstrauen und Unterstellungen, sie würden
leichtfertig das Leben ihres Kindes aufs Spiel setzen.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS sowie der Abg. Ina Lenke [FDP])



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1423706800
Jetzt hat die Kollegin
Ina Lenke für die FDP-Fraktion das Wort.


Ina Lenke (FDP):
Rede ID: ID1423706900
Frau Präsidentin! Liebe Kollegen
und Kolleginnen! Mit ihrem Antrag „Vermeidung von
Spätabtreibungen – Hilfen für Eltern und Kinder“ macht
die Fraktion der CDU/CSU zu Recht auf ein Thema auf-
merksam, dem sich die Politik jetzt widmen sollte: auf
den seit Verabschiedung des Schwangeren- und Familien-
hilfeänderungsgesetzes im Jahr 1995 neu gestalteten Tat-
bestand der so genannten medizinischen Indikation für ei-
nen Schwangerschaftsabbruch nach § 218 a Abs. 2.

Diese medizinische Indikation soll „eine Gefahr für
das Leben oder die Gefahr einer schwerwiegenden Be-
einträchtigung des körperlichen oder seelischen Gesund-
heitszustandes der Schwangeren“ abwenden. In diesem
neuen Tatbestand ist aber auch die frühere so genannte
embryopathische Indikation – das heißt die Abwendung
der dringenden Gefahr einer schwerwiegenden, nicht be-
hebbaren Schädigung des Gesundheitszustandes des Kin-
des – aufgegangen und als eigener Tatbestand abgeschafft
worden.

Ein Schwangerschaftsabbruch ist nach medizinischer
Indikation zeitlich unbegrenzt möglich und setzt auch
keine Schwangerenberatung voraus. Es gibt nicht nur bei
der CDU/CSU-Fraktion Bedenken gegen diese Regelung.
Genaue empirische Daten zur Praxis der Anwendung wer-
den allerdings nach geltendem Recht nicht erhoben. Inso-
fern ist es schwierig, festzustellen, ob der Schutz des
menschlichen Lebens bei Schwangerschaftsabbrüchen
nach medizinischer Indikation mit dieser Regelung adä-
quat verwirklicht wird oder nicht und welche Maßnahmen
Verbesserungen bringen.

Der CDU/CSU-Forderung, dass die empirische Daten-
basis verbessert werden sollte und dass die Schwangeren
auch im Fall der medizinischen Indikation eine qualifi-
zierte nicht nur medizinische, sondern auch psychosoziale
Beratung erhalten sollen, kann ich zustimmen.


(Beifall bei der FDP sowie der Abg. Maria Eichhorn [CDU/CSU])


Wichtig ist bei dieser Beratung nach meiner Auffassung,
dass sie nicht durch die Person erfolgt, die gegebenenfalls
den späteren Schwangerschaftsabbruch vornimmt.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ein entsprechendes Beratungskonzept, so meint die
FDP, sollte bereits an die Pränataldiagnostik geknüpft
werden. Auch sollte hier der behandelnde Arzt bzw. die
behandelnde Ärztin nicht der bzw. die Beratende sein und
zusätzlich eine psychosoziale Beratung erfolgen. Inso-
fern, liebe Kollegen und Kolleginnen, ist die Zielsetzung
des zusätzlichen Antrages der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen zu begrüßen, die den schon bestehenden Rechts-
anspruch auf Beratung im Mutterpass verankern und da-
mit auch bekannter machen will. Ob allerdings, liebe Kol-
leginnen und Kollegen von der CDU/CSU, Forderungen
wie die nach einem Leistungsgesetz für Behinderte und
nach einem vielköpfigen interdisziplinären Gremium,
dem die Schwangere sich stellen soll, der richtige Lö-
sungsweg sind, bezweifele ich sehr.

Wir werden deshalb diese Anträge in den Ausschüssen
sorgfältig prüfen. Ich denke auch, wir sollten gemeinsam
eine öffentliche Anhörung fordern und Experten einladen,
um uns weitere Kenntnisse anzueignen. Ich würde mich
freuen, wenn wir im Ergebnis vielleicht gemeinsam ange-
messene und wirklich zielführende Forderungen formulie-
ren könnten. Wir haben ja – das hat Frau Schewe-Gerigk
vorhin gesagt – sehr lange über die anonyme Geburt bera-
ten, die hoffentlich noch in dieser Legislaturperiode zur
Abstimmung steht. Ich habe festgestellt, dass wir bei frau-
enspezifischen Anträgen und bei Änderungen, die für
Frauen und für Kinder wichtig sind, oftmals eine gemein-
same Basis finden, um etwas für Frauen und Mütter in
dieser Republik zu tun. Ich finde, das ist eine sehr ver-
trauensvolle Zusammenarbeit. Wenn es unterschiedliche
Meinungen in einer Sache gibt, dann ist das eben so. Der
gute Wille ist aber da. Deshalb freue ich mich auch, dass
wir diese beiden Anträge im Ausschuss und dann in der
Anhörung gemeinsam beraten werden.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1423707000
Für die PDS-Fraktion
spricht jetzt die Kollegin Petra Bläss.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1423707100
Frau Präsidentin! Liebe Kollegin-
nen und Kollegen! Auch ich bedauere das Aufbrechen des
interfraktionellen Konsenses in der Frage der Regelung
von Spätabtreibungen sehr. Ich finde es sehr schade, dass
das Ergebnis jahrelanger fraktionsübergreifender Ge-
spräche nun zwei grundsätzlich verschiedene Anträge
sind. Kernpunkt des Vorschlages der Koalition ist, wie
Frauen in Schwangerschaftskonfliktsituationen geholfen
werden kann. Das findet unsere uneingeschränkte Unter-
stützung. Kernpunkt des Vorschlages der CDU/CSU
dagegen ist, wie das ohnehin viel zu restriktive Selbstbe-
stimmungsrecht von Schwangeren noch mehr einge-
schränkt werden kann. Das kann nur unsere entschiedene
Ablehnung finden.


(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der SPD)





Irmingard Schewe-Gerigk

23701


(C)



(D)



(A)



(B)


Anstatt schwangeren Frauen ein uneingeschränktes
Selbstbestimmungsrecht zuzusichern und – das sollte
man auch in einer solchen Debatte noch einmal betonen –
den § 218 ersatzlos zu streichen, soll nach Ihren Wün-
schen der unsägliche § 218 auch noch verschärft werden.
Anstatt schwangeren Frauen ein uneingeschränktes
Selbstbestimmungsrecht zuzusichern und ihnen eine qua-
lifizierte psychosoziale Beratung einfach nur anzubieten,
wollen Sie eine Beratungspflicht einführen und den
unsäglichen § 218 StGB verschärfen; er sollte vielmehr
ersatzlos gestrichen werden. Anstatt die pränatale Dia-
gnose kostenfrei zu halten, fordern Sie, dass die Kosten
nur übernommen werden, wenn eine vorherige Beratung
erfolgt ist.

Wir haben also zwischen zwei Alternativen zu ent-
scheiden: Einerseits wird ein konstruktives Hilfsangebot
und andererseits eine destruktive staatliche Bevormun-
dung vorgeschlagen.

Es ist richtig, in diesem Zusammenhang noch einmal
daran zu erinnern, dass es für behinderte Kinder und ihre
Eltern hierzulande nach wie vor nur unzureichende Hilfen
gibt. Deutschland ist noch immer kein behinderten-
freundliches Land. Wer will, dass sich Eltern für behin-
derte Kinder entscheiden, muss auch dafür sorgen, dass
behinderte Kinder im Alltag nicht benachteiligt werden.

Der Koalitionsantrag greift zu Recht die Frage auf, wie
Eltern während der Schwangerschaft bei schwerwie-
genden Entscheidungen geholfen werden kann, ohne dass
sie vom Staat gegängelt werden. Ein ausgeweitetes Recht
auf kostenlose Beratung im Mutterpass festzuschreiben,
ist richtig. Das wird von uns unterstützt. Die Entschei-
dung für oder gegen Beratung muss Sache der Schwange-
ren selbst bleiben. Das qualifizierte Angebot muss vorhan-
den sein; aber es darf nie – genauso wenig wie die
Entscheidung gegen einen Abbruch der Schwangerschaft –
zur Pflicht gemacht werden. Dieses fundamentale Ent-
scheidungsrecht der Frauen darf nicht angetastet werden.
Außerdem soll und muss gewährleistet bleiben, dass das
Beratungsangebot freiwillig genutzt werden kann und
sämtliche Kosten von der Krankenkasse zu übernehmen
sind.

Danke.

(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



(V o r s i t z: Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1423707200
Als nächste Red-
nerin erhält die Abgeordnete Inge Wettig-Danielmeier das
Wort.


Inge Wettig-Danielmeier (SPD):
Rede ID: ID1423707300
Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren! Es gab einige tragische Fälle
von Spätabtreibungen, die in der Öffentlichkeit zu Ausein-
andersetzungen geführt haben. Gleichwohl ist die Zahl von
Schwangerschaftsabbrüchen, die nach der 22. Schwan-
gerschaftswoche unter der Voraussetzung einer medizini-
schen Indikation durchgeführt wurden, gering geblieben.

Im Jahr 2001 sind 177 Fälle erfasst worden; im Jahr davor
waren es weniger.

Alle Beteiligten wollen die Zahl der Spätabtreibungen
auf ein unvermeidbares Minimum beschränken. Frau
Schewe-Gerigk und Frau Eichhorn haben darauf hinge-
wiesen, dass wir in einer interfraktionellen Arbeitsgruppe
seit Jahren darüber diskutiert haben. Dabei waren wir uns
der besonderen Problematik von Spätabbrüchen nach prä-
nataler Diagnostik bewusst. Ich möchte daran erinnern,
dass wir uns bei der Neufassung des § 218 StGB im Jahr
1995 darüber einig waren, dass es bei der Indikationsstel-
lung auf die Belastbarkeit und die Lebensperspektive der
Frau und nicht auf die mögliche Behinderung des Kindes
ankommt.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Die Möglichkeit einer embryopathischen Indikation

haben wir damals gemeinsam gestrichen, um klarzustellen:
Die gesundheitliche Schädigung des Embryos begründet
nicht automatisch einen Schwangerschaftsabbruch. Im
Übrigen war ein Abbruch zwischen der 22. Woche und
dem Ende der Schwangerschaft schon vor der Neufassung
des § 218 im Jahre 1995 zulässig, wenn die Voraussetzun-
gen der medizinischen Indikation vorgelegen haben.

Im Rahmen der Arbeitsgruppe der Fraktionen haben
wir viele Gespräche mit Expertinnen und Experten, Ärz-
tinnen und Ärzten, erfahrenen Beraterinnen aus Schwan-
gerschaftsberatungsstellen und mit Juristen geführt. Wir
haben auch den Wissenschaftlichen Dienst des Deutschen
Bundestags um Stellungnahme gebeten. Das Fazit von ju-
ristischer Seite war klar: Der Gesetzestext des § 218 StGB
ist eindeutig; eine gesetzliche Änderung ist nicht notwen-
dig.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Die mögliche Behinderung eines ungeborenen Kindes ist
nach der gegebenen Rechtslage keine eigenständige Indi-
kation für einen Schwangerschaftsabbruch nach § 218 a
Abs. 2 des Strafgesetzbuches. Das heißt, dass der Abbruch
der Schwangerschaft nur dann zulässig ist, wenn nach
ärztlicher Erkenntnis unter Berücksichtigung der gegen-
wärtigen und zukünftigen Lebensverhältnisse der Schwan-
geren eine Gefahr für ihr Leben oder die Gefahr einer
schweren Beeinträchtigung des körperlichen oder seeli-
schen Gesundheitszustandes der Schwangeren, die damit
abgewendet werden soll, besteht. Allein diese gesetzlich
vorgeschriebenen Voraussetzungen begründen eine medi-
zinische Indikation und müssen vom Arzt im konkreten
Fall abgewogen werden.

Wir sind uns alle darüber im Klaren, dass eine solche
Beurteilung, insbesondere in einem späten Stadium der
Schwangerschaft, schwierig ist. Der Arzt muss die Fol-
gen eines pathologischen Befundes sorgfältig abwägen
– selbstverständlich auch unter Einbeziehung des Rates von
Fachkollegen –, gemeinsam mit der Schwangeren erörtern
und dann entscheiden. Einen Oktroi für die Frauen darf es
aber nicht geben.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)





Petra Bläss
23702


(C)



(D)



(A)



(B)


Die Forderung der CDU/CSU-Fraktion nach einer Klar-
stellung des gesetzgeberischen Willens durch Änderung
des Gesetzes ist deshalb überflüssig und würde zudem zu
keiner Änderung führen. Allenfalls wäre es weiße Salbe
für das innerparteiliche Leben oder – das kann man auch
sagen – die dort auftretenden Konflikte.

Die Berichte aus der Praxis zeigten, dass umfassende
Beratungsangebote für werdende Eltern wichtig sind. Vor
allem gilt dies – auch darin sind wir uns alle einig – für
eine psychosoziale Beratung und Aufklärung im Zu-
sammenhang mit der pränatalen Diagnostik. Wir sind uns
ebenfalls darin einig, dass der Anspruch auf Beratung
nach § 2 des Schwangerschaftskonfliktgesetzes durch ei-
nen Eintrag im Mutterpass bekannter wird und damit häu-
figer angenommen wird.

Die Geister scheiden sich bei der Frage der Freiwillig-
keit und des Zwangs. Deshalb sind wir leider nicht zu einer
Einigung gekommen. Als Sozialdemokratin glaube ich da-
ran, dass das Notwendige auch freiwillig getan wird. Wel-
cher Druck wird aufgebaut, wenn Frauen, die sich in der
Regel bewusst für die Schwangerschaft entschieden haben,
gezwungen werden, sich einer Beratung zu unterziehen!
Der Vorschlag, die Kostenübernahme der Krankenkassen
für pränatale Diagnostik an die Beratung zu knüpfen, ist
eine Gängelung der Betroffenen. Wir lehnen ihn ab.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Die Methoden der pränatalen Diagnostik sollen der
Gesundheit von Mutter und Kind sowie der Verbesserung
der gesundheitlichen Perspektiven für das Kind dienen.
Sie dürfen keine Selektionsmittel für Föten mit patholo-
gischem Befund sein. Den werdenden Eltern sollte der be-
wusste und verantwortungsvolle Umgang mit pränatal-
diagnostischen Methoden und ihren Folgen erleichtert
werden, und zwar nicht nur durch Beratung, sondern auch
– ich glaube, das ist vor allem wichtig – durch ein gesell-
schaftliches Klima, das keinen Druck auf Frauen und Fa-
milien ausübt.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Der Datenschutzbeauftragte hat uns darüber infor-
miert, dass eine detaillierte Datenerfassung von Spätab-
brüchen bei der gegenwärtigen Rechtslage möglich ist.
Allerdings darf die Identität der Betroffenen bei der be-
grenzten Anzahl von Fällen nicht entschlüsselt werden
können. Auch sollte der gesellschaftliche Nutzen erkenn-
bar sein.

Ich bedauere, dass wir uns nicht einigen konnten, so-
dass der notwendige Konsens zum Schwangerschaftsab-
bruch infrage gestellt wird, wenn auch glücklicherweise
nicht grundsätzlich. Ich hoffe, wir finden zum Konsens
zurück.

Danke schön.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP und der PDS)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1423707400
Danke schön. –
Ich schließe damit die Aussprache.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
Drucksachen 14/6635 und 14/9030 an die in der Tages-
ordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind
Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann sind die
Überweisungen so beschlossen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 25 a bis 25 d auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-

regierung eingebrachten Entwurfs eines Verbrau-
cherinformationsgesetzes (VerbIG)

– Drucksachen 14/8738, 14/8992 –
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Verbraucherschutz, Ernährung und Land-
wirtschaft (10. Ausschuss)

– Drucksache 14/9065 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Gudrun Kopp

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Verbraucherschutz,
Ernährung und Landwirtschaft (10. Ausschuss)

– zu dem Antrag der Fraktion der CDU/CSU
Verbraucherinformationsgesetz effektiv ge-
stalten

– zu dem Entschließungsantrag der Abgeord-
neten Gudrun Kopp, Rainer Funke, Hildebrecht
Braun (Augsburg), weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der FDP
zu der Abgabe einer Erklärung durch die
Bundesregierung
Auf dem Weg in eine verbraucherorientierte
Marktwirtschaft

– Drucksachen 14/8784, 14/8520, 14/9065 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Gudrun Kopp

c) Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Neuorganisation des gesundheitlichen Ver-
braucherschutzes und der Lebensmittelsicher-
heit
– Drucksachen 14/8747, 14/9008 –

(Erste Beratung 230. Sitzung)

aa) Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-

schusses für Verbraucherschutz, Ernährung
und Landwirtschaft (10. Ausschuss)

– Drucksache 14/9064 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Franz Obermeier


(8. Ausschuss)

– Drucksache 14/9078 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Uwe-Jens Rössel




Inge Wettig-Danielmeier

23703


(C)



(D)



(A)



(B)


Iris Hoffmann (Wismar)

Josef Hollerith
Franziska Eichstädt-Bohlig
Jürgen Koppelin

d) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen
der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ-
NEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Änderung des Absatzfondsgesetzes
– Drucksache 14/8585 –

(Erste Beratung 227. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Verbraucherschutz, Ernährung und Land-
wirtschaft (10. Ausschuss)

– Drucksache 14/9062 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Siegfried Hornung

Bundesministerin Künast und die Kolleginnen und
Kollegen Widmann-Mauz, Teuchner, Kopp, Lüth, Kumpf
und Deß haben darum gebeten, die Reden zu Protokoll ge-
ben zu dürfen.1) Sind Sie damit einverstanden? – Das ist
der Fall. Dann können wir so verfahren.

Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Gesetzentwurf eines Ver-
braucherinformationsgesetzes. Der Ausschuss für Ver-
braucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft empfiehlt
unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-
che 14/9065, den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung
anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf
in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das
Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? –
Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen und der PDS gegen die
Stimmen von CDU/CSU und FDP angenommen worden.

Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte Sie, sich zu erheben,
wenn Sie dem Gesetzentwurf zustimmen wollen. – Wer
stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf
ist auch in der dritten Lesung mit dem eben festgestellten
Stimmenverhältnis angenommen worden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


Abstimmung über den Entschließungsantrag der Frak-
tion der FDP auf Drucksache 14/9111. Wer stimmt dafür?
– Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Ent-
schließungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitions-
fraktionen und der PDS gegen die Stimmen der FDP und
der CDU/CSU abgelehnt worden.

Zurück zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für
Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft auf
Drucksache 14/9065: Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 2
dieser Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags
der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 14/8784 mit
dem Titel: „Verbraucherinformationsgesetz effektiv ge-
stalten“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung des

Ausschusses? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die
Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koaliti-
onsfraktionen gegen die Stimmen der CDU/CSU und
zwei Stimmen aus der FDP bei Enthaltung von drei Stim-
men aus der FDP angenommen worden.

Unter Nr. 3 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der
Ausschuss die Ablehnung des Entschließungsantrags der
Fraktion der FDP auf Drucksache 14/8520 zu der Abgabe
einer Erklärung durch die Bundesregierung mit dem Titel:
„Auf dem Weg in eine verbraucherorientierte Markt-
wirtschaft“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung?
– Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die Beschluss-
empfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen
und der PDS gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP
angenommen worden.

Abstimmung über den von der Bundesregierung ein-
gebrachten Gesetzentwurf zur Neuorganisation des ge-
sundheitlichen Verbraucherschutzes und der Lebensmit-
telsicherheit. Der Ausschuss für Verbraucherschutz,
Ernährung und Landwirtschaft empfiehlt in seiner Be-
schlussempfehlung auf Drucksache 14/9064, den Gesetz-
entwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte
Sie um das Handzeichen, wenn Sie dem Gesetzentwurf in
der Ausschussfassung zustimmen wollen. – Gegenstim-
men? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter
Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und
der PDS gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP an-
genommen worden.

Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Bitte erheben Sie sich, wenn Sie
zustimmen wollen. – Wer stimmt dagegen? – Gibt es Ent-
haltungen? – Das ist nicht der Fall. Der Gesetzentwurf ist
in dritter Lesung mit dem eben festgestellten Stimmenver-
hältnis angenommen worden.

Abstimmung über den von den Fraktionen der SPD
und des Bündnisses 90/Die Grünen eingebrachten Ge-
setzentwurf zur Änderung des Absatzfondsgesetzes,
Drucksache 14/8585. Der Ausschuss für Verbraucher-
schutz, Ernährung und Landwirtschaft empfiehlt in seiner
Beschlussempfehlung, den Gesetzentwurf anzunehmen.
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen
wollen, um das Handzeichen. – Gegenstimmen? – Ent-
haltungen? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Be-
ratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der
PDS gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP ange-
nommen worden.

Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte Sie, sich zu erheben,
wenn Sie zustimmen wollen. – Wer stimmt dagegen? – Gibt
es Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist damit auch in
dritter Lesung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen
und der PDS gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP
angenommen worden.

Es liegt eine Erklärung des Abgeordneten Günter Graf

(Friesoythe) zu seinem Abstimmungsverhalten zum Ge-

setzentwurf zur Änderung des Absatzfondsgesetzes vor.
Sie wird zu Protokoll genommen.2)




Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
23704


(C)



(D)



(A)



(B)


1) Anlage 5 2) Anlage 3

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 26 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Peter
Götz, Gerda Hasselfeldt, Heinz Seiffert, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU
Erschwernis von Erschließungsmaßnahmen
durch Doppelbesteuerung verhindern
– Drucksache 14/8593 –
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss(f)
Innenausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen

Die Reden der Abgeordneten Eichstädt-Bohlig,
Schüßler und Höll sollen zu Protokoll gegeben werden.1)
Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Schild von der SPD auch!)


– Die Rede des Abgeordneten Schild wird auch zu Proto-
koll gegeben. Dann würde nur noch der Kollege Peter
Götz reden. Ist das richtig? – Wenn Sie reden möchten, ha-
ben Sie das Wort.


Peter Götz (CDU):
Rede ID: ID1423707500
Frau Präsidentin! Liebe Kol-
leginnen und Kollegen! Ich habe ja Verständnis dafür,
dass Sie nicht zu diesem Thema reden wollen, weil Sie
vermutlich auch nichts dazu zu sagen haben.

(Widerspruch bei der SPD – Dr. Uwe Küster [SPD]: Wir haben doch die Lösung schon in der Tasche!)

Wir beschäftigen uns heute mit einem scheinbar klei-

nen Problem, nämlich der doppelten Besteuerung bei der
Baulanderschließung. Das Problem ist aber, wie gesagt,
nur scheinbar klein; denn der Schaden, der bei diesem
Thema durch Ihre Regierung angerichtet wurde, ist groß.
Er ist für die Gemeinden groß, die ohnehin zu den Haupt-
geschädigten durch diese Bundesregierung gehören, und
auch für die Bauwirtschaft. Auch sie gehört zu den Leid-
tragenden rot-grüner Politik. Er ist aber auch für die Häus-
lebauer groß, bei denen es sich bekanntlich sehr häufig um
Familien mit Kindern handelt.

Mit der Doppelbesteuerungsregelung wurden die Bau-
landerschließung und damit das Bauen in Deutschland in
unangemessener Weise verteuert. Lassen Sie mich das
kurz begründen.


(Zuruf von der SPD: Sie brauchen gar nichts zu begründen!)


Die Regierung Schröder hat in ihrer Sehnsucht nach
neuen Steuerquellen den abstrusen Einfall gehabt, die Er-
schließung von Bauland durch gewerbliche Erschließungs-
träger zweimal mit Umsatzsteuer zu belegen. Umgesetzt
wurde dies mit einem einfachen Steuererlass im Dezem-
ber 2000.


(Dr. Uwe Küster [SPD]: Absoluter Unsinn!)

– Wenn Sie reden wollen, gehen Sie doch ans Mikrofon.
Sie haben die Gelegenheit dazu.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Seitdem kämpfen Bürgermeister und Bauwirtschaft, die
kommunalen Spitzenverbände und die Wohnungswirt-
schaft erfolglos gegen diese Doppelbesteuerung. Seit Mo-
naten hören wir, dass das Problem nun bald gelöst sein
wird. Geändert hat sich aber bis heute nichts.


(Dr. Uwe Küster [SPD]: Bayern muss noch zustimmen!)


Nun soll es angeblich bei der nächsten Zusammenkunft
der Steuerreferatsleiter aus den Finanzministerien von
Bund und Ländern zu einer Lösung kommen. Hoffen wir
es! Wir haben nichts dagegen, dass es zu einer vernünfti-
gen Lösung kommt. Wenn unser Antrag einen Beitrag
dazu leistet, dann hat sich die Initiative gelohnt.

Ich frage mich allerdings, warum die Bundesregierung
für die Rücknahme einer Fehlentscheidung die Steuerre-
feratsleiter braucht. Es ist eine Posse, eine Baumaßnahme
zweimal mit derselben Steuer zu belegen. Sie ist aber
symptomatisch für die Politik der rot-grünen Bundesre-
gierung. Es ist überall das gleiche Bild: Mit großen Wor-
ten wird von Steuerentlastungen für Bürger und Wirt-
schaft geredet, aber die Wirklichkeit beweist genau das
Gegenteil.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Ständig werden neue Steuern erfunden. Eine als Jahrhun-
dertwerk verkaufte minimale Entlastung auf der einen
Seite wird auf der anderen Seite sofort wieder kassiert, ob
über die Ökosteuer, die Versicherungssteuer oder die Ta-
baksteuer; wir kennen das alle. Der einzelne Bürger hat
nicht mehr Geld in der Tasche, sondern weniger. Die
größte Kreativität hat die Bundesregierung stets beim Er-
finden neuer Griffe in die Taschen der Bürger entwickelt.

Unser Antrag beschäftigt sich mit einem besonders
spitzfindigen Einfall. Bekanntlich haben die Gemeinden
die Aufgabe, Bauland bereitzustellen und zu erschließen.
So ist es in § 123 des Baugesetzbuches geregelt. Darin
heißt es auch:

Die Erschließungsanlagen sollen ... kostengünstig
hergestellt werden.

Mit dem Investitionserleichterungs- und Wohnbaulandge-
setz hat die CDU/CSU-geführte Bundesregierung bereits
1993 dafür gesorgt, dass die Städte und Gemeinden Er-
schließungsmaßnahmen an private Unternehmen übertra-
gen können, wenn sie dies wollen. Diese Regelung hat
sich bewährt; denn dadurch werden kommunale Haus-
halte entlastet und Bauland kann beschleunigt erschlossen
werden. Bauwillige Familien kommen so schneller und
kostengünstiger zum Eigenheim. Allen Beteiligten war da-
mit geholfen. 1997 haben wir diese von allen gelobte Er-
leichterung unverändert in das novellierte Baugesetzbuch
übernommen. Ich meine, das war ein großer Erfolg der
CDU/CSU-Baupolitik in der letzten Legislaturperiode.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Seitdem haben immer mehr Gemeinden von der Mög-
lichkeit Gebrauch gemacht, private Erschließungsträger
mit der Baulandmobilisierung zu beauftragen.

Mit dem Erlass von Dezember 2000 hat Rot-Grün die
seinerzeit erzielten Vorteile zerstört. Denn seither wird die




Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer

23705


(C)



(D)



(A)



(B)


1) Anlage 6

Mehrwertsteuer von 16 Prozent gleich zweimal abkas-
siert. Das erste Mal fällt sie an, wenn die Gemeinden
einen Erschließungsvertrag abschließen. Bei Erschlie-
ßungskosten von einer Million Euro muss auf die Rech-
nung die Mehrwertsteuer von 16 Prozent, also 0,16 Milli-
onen Euro, aufgeschlagen werden. Diese Kosten werden
auf die Grundstückseigentümer umgelegt. Nach Fertigstel-
lung der Erschließungsanlage werden die Flächen in der
Regel den Gemeinden unentgeltlich übertragen. Sobald der
Vertrag dafür abgeschlossen ist, fallen für den gleichen
Vorgang noch einmal Umsatzsteuern an, wieder 16 Pro-
zent, und die müssen jetzt die Kommunen bezahlen.

Die Folgen dieser Neuregelung aus dem Jahr 2000 sind
katastrophal. Der Abschluss von Erschließungsverträgen
ging seither drastisch zurück, weil die Gemeinden aus
verständlichen Gründen diese doppelte Mehrwehrsteuer
nicht bezahlen wollen. Die Vorteile für Bauherren und
Gemeinden, schneller Bauland zu mobilisieren, die Idee
des seinerzeitigen Gesetzes, sind damit zunichte gemacht.

Ein Zweites kommt hinzu: Die Gemeinden haben nicht
mehr das Geld, die Erschließung über ihren Haushalt zu
finanzieren. Das wäre die normale Alternative, denn da
fällt die Mehrwertsteuer nicht doppelt an.

Aber diese Bundesregierung hat die kommunalen
Haushalte in den letzten Jahren systematisch geplündert.
„Die Gemeinden in Not“, titelt heute die „Süddeutsche
Zeitung“. Sie sollten einmal nachlesen, was dort alles
über Ihre Politik geschrieben steht.


(Zuruf von der CDU/CSU: Richtig!)

Den Gemeinden fehlt schlicht das Geld, selber wieder

Bauland zu erschließen. Also geht überhaupt nichts mehr
voran. Das Bauland liegt brach und die Folge ist: Die ge-
wünschten zusätzlichen Steuereinnahmen, die der Fi-
nanzminister offensichtlich im Kopf hat, bleiben aus.
Dafür steigt die Arbeitslosigkeit in der Bauwirtschaft und
erreicht inzwischen einen historischen Höchststand. Denn
es fehlen nicht nur die Tiefbaumaßnahmen in der Ge-
meinde, sondern logischerweise findet der Hochbau ohne
Erschließung ebenfalls nicht statt.

Die Konsequenzen kennen wir. Die Insolvenzrate in
der Bauwirtschaft ist die höchste aller großen Branchen.
Bauinteressenten werden vertröstet und müssen ihre
Pläne verschieben. Das ist aus unserer Sicht ein unerträg-
licher Zustand, der riesige Auswirkungen hat, und das al-
les auf der Grundlage eines ganz einfachen Erlasses die-
ser rot-grünen Regierung.


(Beifall bei der CDU/CSU – Albert Deß [CDU/CSU]: Damit werden Arbeitsplätze vernichtet!)


Bürgermeister und Bauunternehmer laufen dagegen
gleichermaßen Sturm. Bisher bleibt die Regierung stur.
Eineinhalb Jahre lang geht das nun schon. Mein Kollege
Michael Meister hat im Jahre 2001 sowohl an Finanzmi-
nister Eichel als auch an den Bauminister geschrieben und
beide zum Handeln aufgefordert. „Eine Rücknahme kann
nicht in Aussicht gestellt werden“, war die Antwort aus
dem Finanzministerium. Aus dem Bauministerium klang
es im August 2001 etwas diffuser: „Das unzuträgliche Er-
gebnis“, heißt es dort, „sollte durch steuerunschädliche

Gestaltung von Erschließungsverträgen vermieden wer-
den.“ Hierzu würden intensive Gespräche zwischen allen
Beteiligten geführt. Ich frage mich: Was soll das eigent-
lich? Inzwischen ist ein Jahr vergangen. Es wird immer
noch intensiv geredet, und das mit der bekannt „ruhigen
Hand“. Getan hat sich nichts.

Ich fordere Sie deshalb auf: Handeln Sie endlich, sor-
gen Sie dafür, dass diese unglaubliche Situation endlich
wieder in Ordnung gebracht wird! Der Schaden, den Sie
angerichtet haben, ist groß genug.


(Zuruf von der SPD: Sie schwätzen nur!)

– Warum reden Sie nicht hier am Rednerpult und sagen all
das, was Sie sagen wollen?

Ein Erschließungsträger sagte mir, allein bei ihm sei
ein Bauvolumen von 5 Millionen Euro auf die lange Bank
geschoben worden. Vergleichbare Fälle gibt es genug. Da-
durch wird aus unserer Sicht ein großer volkswirtschaftli-
cher Schaden angerichtet. Und deshalb: Die Bauland-
erschließung muss wieder in Gang kommen. Oder wollen
Sie noch mehr in diesem Lande lahm legen? Sie haben in
den wenigen Jahren Regierungsverantwortung genug Po-
litik zulasten der Kommunen, der Wirtschaft und der
Menschen in unserem Land gemacht.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Völliger Unsinn!)


Hören Sie endlich auf, an jeder Stellschraube, die Sie fin-
den, zulasten der Bürgerinnen und Bürger herumzudre-
hen! Sie haben durch Ihre kommunalfeindliche Politik die
Kommunen an den Rand des Ruins getrieben. Wenn der
Deutsche Städtetag in dieser Woche berichtet, dass die
Hälfte seiner Mitgliedsgemeinden keinen ausgeglichenen
Haushalt mehr aufstellen kann, dann hat das zwei Namen,
die lauten: Schröder und Eichel.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Sie haben den Wohnungsbau durch Ihre verfehlte Poli-

tik herunterregiert. Warum nehmen Sie den Gemeinden
die Möglichkeit, beschleunigt Bauland zu erschließen?
– Sie wollen entweder die Kommunen oder die Grundbe-
sitzer abkassieren. Darum geht es Ihnen. Ihrer Politik liegt
eine falsche Ideologie zugrunde. Die nächsten Folter-
instrumente schlummern schon in Ihren Schubladen und
warten darauf, aufgeweckt zu werden: von der Boden-
wertbesteuerung über die Erhöhung der Erbschaftsteuer
bis hin zum noch immer nicht ausgeträumten Traum der
Vermögensteuer.

Die scheinbar kleine Problematik der Doppelbesteue-
rung von Baulanderschließungsmaßnahmen fügt sich in
einen ganzen Horizont kommunalfeindlicher Entschei-
dungen dieser rot-grünen Bundesregierung ein. Sie haben
durch Ihre Politik in den wenigen Jahren Ihrer Regie-
rungsverantwortung die Kommunen in ihrer Substanz
systematisch geschwächt und an den Rand des finan-
ziellen Ruins getrieben. Ständig höhlen Sie die kommu-
nale Selbstverwaltung aus.


(Franziska Eichstädt-Bohlig [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Sie wollen doch die Staatsquote auf unter 40 Prozent senken!)





Peter Götz
23706


(C)



(D)



(A)



(B)


– Die Höhe der Staatsquote hängt auch von den Kommunen
und Ländern ab. Es macht wenig Sinn, die staatlichen Gel-
der zwischen den unterschiedlichen Ebenen hin- und herzu-
schieben und sie den Kommunen wegzunehmen. Eine Aus-
höhlung der kommunalen Selbstverwaltung findet statt.


(Beifall bei der CDU/CSU)

CDU und CSU wollen starke und handlungsfähige

Städte und Gemeinden. Wir wollen eine starke kommu-
nale Selbstverwaltung. Wir wollen auch eine Bundesre-
gierung, die handelt. Dafür werden wir nach dem 22. Sep-
tember sorgen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord neten der FDP)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1423707600
Ich schließe da-
mit die Aussprache.

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 14/8593 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 27 a bis 27 h sowie
die Zusatzpunkte 21 und 22 auf:
27. a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-

regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Errichtung einer Verkehrsinfrastruktur-
finanzierungsgesellschaft zur Finanzierung von

(Verkehrsinfrastrukturfinanzierungsgesellschaftsgesetz – VIFGG)

– Drucksache 14/8449 –

(Erste Beratung 224. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen

(15. Ausschuss)

– Drucksache 14/9084 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Georg Brunnhuber

b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Änderung des Fernstraßenbauprivatfinan-
zierungsgesetzes und straßenverkehrsrechtli-
cher Vorschriften (FstrPrivFinÄndG)

– Drucksache 14/8447 –

(Erste Beratung 224. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen

(15. Ausschuss)

– Drucksache 14/9066 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Horst Friedrich (Bayreuth)


c) Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Fünften

Gesetzes zur Änderung des Bundesfern-
straßengesetzes (5. FStrÄndG)

– Drucksache 14/8448 –

(Erste Beratung 224. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen

(15. Ausschuss)

– Drucksache 14/8911 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Georg Brunnhuber

d) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes
und anderer straßenverkehrsrechtlicher Vor-
schriften (StVRÄndG)

– Drucksache 14/8766 –

(Erste Beratung 230. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen

(15. Ausschuss)

– Drucksache 14/9059 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Wolfgang Börnsen (Bönstrup)


e) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu
dem Vertrag vom 18. Oktober 2001 zwischen der
Bundesrepublik Deutschland und der Schweizeri-
schen Eidgenossenschaft über die Durchführung
der Flugverkehrskontrolle durch die Schweizeri-
sche Eidgenossenschaft über deutschem Hoheits-
gebiet und über Auswirkungen des Betriebes des
Flughafens Zürich auf das Hoheitsgebiet der Bun-

(Gesetz zu dem deutschschweizerischen Vertrag vom 18. Oktober 2001)

– Drucksache 14/8731 –

(Erste Beratung 230. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen

(15. Ausschuss)

– Drucksache 14/9057 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Horst Friedrich (Bayreuth)


f) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eigebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Erleichterung des Marktzugangs im Luftver-
kehr
– Drucksache 14/8730 –

(Erste Beratung 230. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen

(15. Ausschuss)

– Drucksache 14/9058 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Horst Friedrich (Bayreuth)





Peter Götz

23707


(C)



(D)



(A)



(B)


g) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen
der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ-
NEN eingebrachten Entwurfs eines Ersten Geset-
zes zur Änderung des Regionalisierungsge-
setzes
– Drucksache 14/8781 –

(Erste Beratung 230. Sitzung)

aa) Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-

schusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswe-
sen (15. Ausschuss)

– Drucksache 14/9053 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Peter Letzgus


(8. Ausschuss)

– Drucksache 14/9087 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Bartholomäus Kalb
Gerhard Rübenkönig
Oswald Metzger
Jürgen Koppelin
Dr. Uwe-Jens Rössel

h) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Woh-
nungswesen (15. Ausschuss) zu dem Antrag der
Abgeordneten Wolfgang Dehnel, Günter Nooke,
Klaus Brähmig, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der CDU/CSU
Finanzierungssicherheit für den Bundesfern-
straßenbau über das Jahr 2002 hinaus
– Drucksachen 14/7146, 14/8820 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Reinhard Weis (Stendal)


ZP 21 Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Woh-
nungswesen (15. Ausschuss) zu dem Antrag der
Abgeordneten Horst Friedrich (Bayreuth), Hans-
Michael Goldmann, Dr. Karlheinz Guttmacher,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Fairen Wettbewerb im Luftverkehr bewahren –
Sicherheit erhöhen
– Drucksachen 14/7157, 14/9082 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Hans-Günter Bruckmann

ZP 22 Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Woh-
nungswesen (15. Ausschuss) zu dem Antrag der
Abgeordneten Horst Friedrich, Hans-Michael
Goldmann, Dr. Karlheinz Guttmacher, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Anti-Stau-Programm für Europas Luftverkehr
– Drucksachen 14/3188, 14/9083 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Hans-Günter Bruckmann

Zum Entwurf eines Verkehrsinfrastrukturfinanzie-
rungsgesellschaftsgesetzes sowie zum Entwurf eines Ers-
ten Gesetzes zur Änderung des Regionalisierungsgesetzes
liegt je ein Entschließungsantrag der Fraktion der FDPvor.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. Die FDP soll 8,5Mi-
nuten erhalten. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist
das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Als Erster hat Herr
Bundesverkehrsminister Kurt Bodewig das Wort.

Kurt Bodewig, Bundesminister für Verkehr, Bau- und
Wohnungswesen: Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen
und Herren! Ich freue mich, dass Sie an einem Freitag so
zahlreich erschienen sind, um über verkehrspolitische
Themen zu diskutieren. Ich glaube, dass wir heute eine
ganze Reihe guter und wichtiger Entscheidungen treffen
werden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Lassen Sie mich diese Gelegenheit nutzen, um vier
wichtige verkehrspolitische Punkte aufzuzählen, die die
Bundesregierung und die sie tragenden Koalitionsfraktio-
nen durchgesetzt haben: Erstens. Aus dem Gegeneinander
der Verkehrsträger wurde ein Miteinander. Ich glaube, die
Gleichberechtigung aller Verkehrsträger – das hat die Ver-
kehrswirtschaft auch gewürdigt – ist gelungen. Wir haben
die Verkehrsträger nicht gegeneinander ausgespielt. Die
Mobilitätsoffensive des Bundeskanzlers hat dies noch
einmal ausdrücklich unterstrichen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Zweitens. Während die alte Bundesregierung die
Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur, vor allem im
Schienenbereich, systematisch heruntergefahren hat, ha-
ben wir die Ausgaben für Straße und Schiene auf Rekord-
niveau gebracht. Das war angesichts der Prognosen eine
wichtige Entscheidung.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Drittens. Die Politik der alten Regierung hat wegen ih-
rer Furcht vor Reformen zum verkehrspolitischen Still-
stand geführt. Wir haben die notwendigen Reformen of-
fensiv angepackt. Das beweisen das Gesetz über die
LKW-Maut und das Gesetz zur Änderung des Regionali-
sierungsgesetzes, über das wir heute diskutieren. Unsere
Ergebnisse können sich unter dem Aspekt einer zukunfts-
gewandten Mobilität sehen lassen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Viertens. Wir haben die Probleme gelöst, die die alte
Bundesregierung nicht angepackt hat. Ein Beispiel dafür
ist der Staatsvertrag mit der Schweiz, den wir heute rati-
fizieren werden. Er wird dazu führen, die beim Anflug auf
den Flughafen Zürich-Kloten entstehende Lärmbelastung
zwischen der deutschen und der schweizerischen Bevöl-
kerung gerecht zu verteilen. Ich kann der Schweiz nur




Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
23708


(C)



(D)



(A)



(B)


empfehlen, diesen Vertrag ebenfalls zu ratifizieren. Ande-
renfalls würden wir mit einer Rechtsverordnung auf ei-
nem ganz anderen Niveau reagieren. Es ist jedenfalls
sinnvoll, dass wir heute diesen Vertrag ratifizieren.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Dieses Thema ist von der alten Regierung 16 Jahre lang
nicht angepackt worden. Es gibt in meinem Haus kein ein-
ziges Schreiben des Ministerpräsidenten Teufel aus der
Zeit der christlich-liberalen Koalition, in dem dieses
Thema aufgegriffen worden wäre, obwohl die Belastung
der Bevölkerung immer sehr hoch war. Wir haben den
Vertrag mit der Schweiz gekündigt und einen neuen aus-
gehandelt, der sich sehen lässt.


(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, heute werden wir ein wei-

teres wichtiges Element unserer Reformpolitik verab-
schieden. Nachdem bereits das LKW-Maut-Gesetz den
Wechsel von einer ausschließlichen Steuerfinanzierung
zu einer Nutzerfinanzierung im Schwerlastverkehr
herbeigeführt hat, werden wir nun mit der Finanzierungs-
gesellschaft die Zweckbindung der Ausgaben festlegen.
Das ist ebenso richtig wie die Tatsache, dass wir die Mit-
tel so verwenden wollen, wie es einem integrierten Ver-
kehrssystem entspricht. Daher sollten wir den vorliegen-
den Gesetzentwurf gemeinsam beschließen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


In der Regierung Kohl sind alle Bemühungen geschei-
tert, eine Nutzerfinanzierung für den Schwerlastverkehr
einzuführen. Die Herren Warnke, Krause und Wissmann
sind nicht deswegen gescheitert, weil sie den Konflikt ge-
scheut hätten, sondern deswegen, weil es in der damali-
gen Koalition keine Einigung gab.


(Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Das ist doch Unsinn!)


Wir dagegen haben ein schlüssiges Konzept, das wir Zug
um Zug durchsetzen werden. Das heute zu verabschie-
dende Gesetz wird dazu beitragen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


An dieser Stelle möchte ich auf das Thema Unabhän-
gigkeit von Netz und Betrieb eingehen. Ich erinnere
mich noch an die Worte von Herrn Fischer, Herrn Lippold
und Herrn Merz, die heute alle nicht anwesend sind. Sie
haben das Ergebnis der Task Force kritisiert und etwas
völlig anderes verlangt.


(Renate Blank [CDU/CSU]: Herr Fischer sitzt da, Herr Minister!)


– Herr Fischer ist gerade gekommen. Ich freue mich, Sie
zu sehen, Herr Fischer.

Ihr Kandidat hat genau das Gegenteil dessen erklärt,
was Sie hier immer laut tönend verbreitet haben;


(Beifall bei der SPD)

er hält die Ergebnisse der Task Force für richtig und ver-
langt auch nicht mehr. Dies ist ein weiterer Beleg dafür,

dass die Union uneinig ist. Das ist vielleicht gar nicht so
schlecht.

Lassen Sie mich bilanzieren: Das, was Sie in der Ver-
gangenheit nicht geschafft haben, haben wir geschafft:
Wir haben Reformen auf den Weg gebracht. Ich bin fest
davon überzeugt, dass unser Weg vor dem Hintergrund
der prognostizierten großen Zuwachsraten im Verkehr
richtig war, die Investitionen auf einen angemessenen
Stand zu bringen, ohne einzelne Verkehrsträger zu bevor-
zugen oder zu benachteiligen. Wir haben in einem Viertel
der Zeit, die Sie bei Ihrer Regierungsverantwortung zur
Verfügung hatten, das Erforderliche getan. Die Verkehrs-
wirtschaft, aber auch die Menschen, die Mobilität am
Wirtschaftsstandort Deutschland brauchen, wissen dies
zu würdigen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ihre Politik in der Vergangenheit beinhaltete, dass Sie
die Verkehrsprojekte „Deutsche Einheit“ auf Pump und
zulasten des Erhaltungsaufwandes in den alten Bundes-
ländern, vor allem den Ländern im Westen, gebaut haben.


(Dirk Fischer [Hamburg] [CDU/CSU]: So ein Quatsch! Sie finanzieren sie doch auch aus Krediten! Nehmen Sie keine Kredite?)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1423707700
Gestatten Sie
eine Zwischenfrage des Kollegen Fischer?

Kurt Bodewig, Bundesminister für Verkehr, Bau- und
Wohnungswesen: Nein. Ich bin immer für Zwischenfra-
gen zu haben, aber nicht an einem Freitagnachmittag. Ich
glaube, dies ist im Interesse des Hohen Hauses.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dirk Fischer [Hamburg] [CDU/CSU]: Wollen Sie behaupten, dass Sie sie nicht aus Krediten finanzieren? Das kann doch nicht wahr sein! Sie haben Haushaltsüberschüsse oder was?)


– Sie haben damals den Westen systematisch vernachläs-
sigt. Wir machen das ganz anders: Wir betreiben den Auf-
bau Ost auf hohem Niveau und bauen die Verkehrsinfra-
struktur zur richtigen Zeit, im richtigen Maß und mit der
richtigen Entschlossenheit auf, erhöhen aber zugleich die
Investitionen für den Erhalt und den Ausbau im Westen.
Beides ist gleichberechtigt zu sehen, beides ist für gleiche
Lebensbedingungen in Deutschland wichtig.

Ich komme auf Ihre politischen Vorstellungen zurück.
Als Herr Stoiber etwas konkreter geworden ist, hat er
– das war sehr interessant – zum Ausdruck gebracht, er
wolle die Staatsquote auf 40 Prozent senken.


(Franziska Eichstädt-Bohlig [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Woher kommt die Knete? – Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Geld regnet vom Himmel!)


Was heißt das für die Mobilität in Deutschland? – Die
klare Antwort: Investitionen in Höhe von 170 Milliar-
den Euro werden in den Haushalten von Bund, Ländern




Bundesminister Kurt Bodewig

23709


(C)



(D)



(A)



(B)


und Kommunen gestrichen werden müssen. Bei dieser
Staatsquote müsste der Bundeshaushalt um ein Drittel re-
duziert werden. Das würde für den Investitionsetat mei-
nes Hauses bedeuten, dass statt 13 Milliarden Euro nur
noch 8,5 Milliarden Euro zur Verfügung stünden. Für den
Verkehrsbereich stünden statt 11,5 Milliarden Euro nur
noch 7,5Milliarden Euro, also 4Milliarden Euro weniger,
zur Verfügung.


(Zuruf von der SPD: Hört, hört!)

Diese Zahlen gelten aber nur dann, wenn man gleichzei-
tig die Sach- und Personalkosten ebenfalls um ein Drittel
reduzierte. Anderenfalls müssten 8 Milliarden Euro ein-
gespart werden.

Ihr Kandidat kommt bekanntlich aus Bayern. Daher
sollte man auch einmal den Bayern sagen, was eine
Staatsquote von 40 Prozent für ihr Land bedeutet.


(Zuruf von der SPD: Dann gibt es da noch den Späth!)


Bayern erhält zurzeit 15 Prozent der Verkehrsinvestitio-
nen des Bundes. Kürzungen um 4 Milliarden Euro wür-
den Bayern jährlich mit 600 Millionen Euro belasten.


(Franziska Eichstädt-Bohlig [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das ist doch wunderbar!)


Das bedeutete konkret, dass in den nächsten zehn Jahren
kein einziger Neubeginn von Investitionen im Straßenbau
mehr stattfände und wir einen Baustopp für laufende Pro-
jekte verhängen müssten. Das hieße, das Schienenprojekt
Nürnberg–Berlin, das 7 Milliarden Euro kostet, und der
Ausbau der A 8 zwischen Günzburg und Augsburg, der
300 Millionen Euro kostet, fänden nicht mehr statt.


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das wäre supertot!)


Das bedeutete, der Lückenschluss A 7 von Nesselwang
nach Füssen, der 125 Millionen Euro kostet, fände nicht
mehr statt.


(Reinhard Weis [Stendal] [SPD]: Den Stoiber sollten wir doch nicht ranlassen!)


Sie können diese Beispiele durchdeklinieren. Ich ver-
stehe, dass Ihnen das nahe geht. Das wäre ein Todesstoß
für Mobilität in Süddeutschland. Das sollten wir nicht ma-
chen. Deswegen ist es gut, dass wir die Staatsquote the-
matisieren.

Ein anderer Punkt ist ebenso wichtig und genauso
ernsthaft zu erörtern. Wir wissen, dass wir mit der Kür-
zung von Investitionen die Beschäftigungswirksamkeit
der Wirtschaft ganz massiv beeinträchtigten. Diese um
4 Milliarden Euro verminderten Investitionen bedeuten
jedes Jahr 110 000 Arbeitsplätze weniger. Das wäre – al-
lein auf mein Haus bezogen – die Konsequenz eines sol-
chen Haushalts. Ein insgesamt von der Bundesregierung
einzusparendes Investitionsvolumen von 80 Milliarden
Euro bedeutete ein Vielfaches dieser Auswirkungen.

Deswegen tun wir gut daran, mit hohen öffentlichen In-
vestitionen und mit privaten Betreibermodellen Kurs zu
halten. Dies trifft auf Bayern genauso zu. Wir wissen, dass
wir mit Betreibermodellen mehr erreichen können. Aber

das heißt nicht, dass wir auf Steuerfinanzierung verzich-
ten können. Deswegen werden die Menschen am 22. Sep-
tember sehr bewusst entscheiden können.

Eine solche Politik wird nicht gewählt.

(Zurufe von der CDU/CSU: Das wartet erst einmal ab! – Sachsen-Anhalt!)

Wer das Blaue vom Himmel verspricht, der steht nicht mit
den Füßen auf der Erde. Ich glaube, wir schaffen ein gutes
Fundament. Darauf werden wir dann auch aufbauen. Die
heute zu beschließenden Gesetze werden dazu beitragen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Manfred Grund [CDU/CSU]: Halten Sie schon mal Ihre Abschiedsrede!)


– Eine kleine Empfehlung am Freitag Nachmittag: Über-
mut tut selten gut.


(Hans Georg Wagner [SPD], an die CDU/CSU gewandt: Hochmut kommt vor dem Fall! Ihr fallt tief! – Manfred Grund [CDU/CSU]: Fröhliche Ferien!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1423707800
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Georg Brunnhuber.

Georg Brunnhuber (CDU/CSU) (von Abgeordneten
der CDU/CSU mit Beifall begrüßt): Frau Präsidentin!
Meine sehr verehrten Damen und Herren!


(Zuruf von der SPD: Das war gut!)

Herr Minister! Wir haben in dieser Legislaturperiode
sicherlich schon viele Gesetze verabschiedet. Einige davon
waren wichtig, andere weniger wichtig. Das Verkehrsinfra-
strukturfinanzierungsgesellschaftsgesetz, das wir heute ver-
abschieden werden, ist nicht nur unnütz, sondern überhaupt
nicht brauchbar. Diese Aussage stammt nicht von der
CDU/CSU oder der Opposition,


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Schade eigentlich!)


sondern vom Bundesrechnungshof. Wenn ich Minister
wäre,


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Wovor man uns bewahren möge! – Hans Georg Wagner [SPD]: Um Gottes willen!)


was ja noch kommen kann, Herr Schmidt,

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das glauben ja nicht mal Ihre Kollegen!)


dann würde ich diejenigen in meinem Hause, die mir ein
solches Gesetz vorlegen, vielleicht ins Archiv verdon-
nern. Ich würde sie auf jeden Fall aus wichtigen Positio-
nen entfernen, denn sie haben Ihnen persönlich und der
gesamten deutschen Verkehrspolitik weiteren Schaden
zugefügt.


(Reinhard Weis [Stendal] [SPD]: Das sehen die Bundesländer ganz anders als Sie!)





Bundesminister Kurt Bodewig
23710


(C)



(D)



(A)



(B)


Gesetze, die nichts taugen, die für den Zweck, zu dem
man sie eigentlich benötigt, nicht anwendbar sind, sind
nicht nur für die deutsche Gesamtgesellschaft ohne Nut-
zen, sondern dienen nur dazu, irgendetwas zu kaschieren.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Jetzt fragen wir uns, was Sie kaschieren wollen, Herr
Minister.

Zu Ihrer Aufzählung von Vorhaben der Verkehrspolitik
halten wir zunächst einmal fest: Sie sind in dreieinhalb
Jahren immerhin schon der dritte Verkehrsminister. Auch
das ist schon eine starke Leistung einer Regierung.


(Reinhard Weis [Stendal] [SPD]: Wenn du nichts anderes an der Verkehrspolitik zu bemängeln hast als das!)


Ihre Aufzählung dessen, was man gemacht hat oder
was man noch hätte machen können, zeigt nur eines: Die
Vermutung, dass Sie heute Ihre Abschiedsrede gehalten
haben, ist begründet, denn Sie sind ja auch schon von
Ihrem Kanzler nicht mehr besonders erwähnt worden.


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Ein junges Talent!)


Sie sagen selbst, dass sich am 22. September der Bürger
entscheiden wird. Wir gehen davon aus, dass er sich auch
anguckt, was Sie entschieden haben.

Sie haben die LKW-Maut beschlossen und wollen die
Mittel über die Verkehrsinfrastrukurfinanzierungsge-
sellschaft verteilen.


(Reinhard Weis [Stendal] [SPD]: „Zusätzliche Finanzmittel“ heißt das! Zusätzliche Investitionen sind das!)


– Da merkt man, dass auch der Herr Weis – er ist immer-
hin der verkehrspolitische Sprecher –


(Zuruf von der SPD: Guter Mann!)

nicht verstanden hat, um was es geht. Sie bekommen da-
durch keine zusätzlichen Mittel und das ist die Krux die-
ses Gesetzes.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Sie machen ja Folgendes: Eine Gesellschaft wird vor
das Ministerium geschaltet. Die Mittel, die hereinkom-
men, stammen – so erklären Sie – nicht direkt aus der
LKW-Maut; der Finanzminister kassiert alles und er ent-
scheidet auch, was diese Gesellschaft bekommt. Der Ver-
kehrsminister darf vielleicht noch mit entscheiden, was
damit gemacht wird – das jährlich und nach Gusto.


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das entscheidet das Parlament! – Reinhard Weis [Stendal] [SPD]: Wir im Parlament entscheiden das!)


Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen aus
den Koalitionsfraktionen, Sie sollten sich nochmals die
Protokolle der Anhörung durchlesen.


(Reinhard Weis [Stendal] [SPD]: Dann haben Sie auch gelesen, dass die Experten unbedingt diese Verkehrsinfrastrukturfinanzierungsgesellschaft wollten!)


Ich bin der FDP ausdrücklich dankbar dafür, dass sie da-
mals diese Anhörung gefordert hat. In der Anhörung kam
zum Beispiel von Professor Aberle und anderen Kapa-
zitäten der Hinweis, dass die GmbH, die Sie vorgesehen
haben, eventuell gar nicht eingetragen werden kann. Sie
hat zwar einen Geschäftsführer, der sehr viel Geld be-
kommt – noch weiß man nicht, ob er aus dem Haus
kommt, ob er sogar im Ministerium bleibt und nur Ge-
schäftsführer wird –, aber keinerlei Kompetenz hat. Er hat
keine gesicherten Einnahmen, sondern ist auf Dritte an-
gewiesen. Eine GmbH, die keinen eigenen direkten Ein-
fluss auf die Einnahmen hat, ist gar nicht geschäftsfähig.
Deshalb sollten Sie, Herr Minister Bodewig und Ihr Haus,
sich ganz genau überlegen, ob man diesen kapitalen Feh-
ler wirklich machen will.

Es kommt ein Zweites hinzu. Sie gründen eine Ver-
kehrsinfrastrukturfinanzierungsgesellschaft und haben
mit der Verteilung der Mittel aus der LKW-Maut nach-
weislich ein erhebliches Problem, weil weniger Mittel, als
an Gebühren anfallen, in die Straße – dort werden sie ja
eingenommen – zurückfließen.


(Renate Blank [CDU/CSU]: So ist das!)

Dass das verfassungsrechtlich einwandfrei ist, ist bei der
Anhörung ebenfalls sehr in Zweifel gezogen worden.


(Lachen des Abg. Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


– Darüber würde ich nicht lachen;

(Beifall bei der CDU/CSU)


denn wenn es eine Klage gibt, funktioniert es nicht.

(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann klagen Sie doch mal!)

Wir sehen, dass diese Regierung wirklich nicht im-

stande ist, auch nur die normalsten Verwaltungsaufgaben
zu erfüllen. Da vergibt man vor einem halben Jahr den
Auftrag für die Technik zur LKW-Maut, jetzt ist es Mai
und man hat immer noch keine Entscheidung getroffen,
weil ein Oberlandesgericht die offensichtlich schlampig
verwaltete Vergabe rückgängig gemacht hat. Jetzt ist Mai
und man sagt: Am 1. Januar können wir das natürlich noch
nicht einführen; wir brauchen wahrscheinlich bis zum
Sommer. – Die ersten Stimmen sagen auch schon: Wahr-
scheinlich wird es das ganze nächste Jahr nichts. – Da
fragt man sich doch allen Ernstes – das müssen Sie sich
doch auch fragen –: Wie wollen Sie denn das Anti-Stau-
Programm und viele andere Dinge finanzieren, wenn Sie
für das ganze Jahr keine Einnahmen haben?


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Entweder haben Sie innerlich schon aufgegeben und sa-
gen sich: „Es wird nach dem 22. September eh nicht mehr
von uns umzusetzen sein“


(Reinhard Weis [Stendal] [SPD]: Das hätten Sie gerne!)


oder Sie verstehen die Zusammenhänge nicht.




Georg Brunnhuber

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(B)


Noch ein Allerletztes; da stört mich etwas wirklich.
Wir als Opposition haben Sie, Herr Minister, in den ers-
ten eineinhalb Jahren gut begleitet, weil wir sahen: Bei der
Schiene wollen Sie die klare Trennung von Netz und Be-
trieb. Sie haben dies auch auf dem Parteitag der Grünen
deutlich gemacht. Dafür hatten Sie unsere Unterstützung.


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Was sagt Stoiber zu diesem Thema?)


Sie sind zurückgepfiffen worden. Sie sind eingebrochen.
Sie haben im Grunde genommen nichts mehr zu sagen.
Nur Ihr Bundeskanzler hat die Sache im Griff.


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Was sagt Stoiber dazu?)


Sie haben auf den verschiedenen Tagungen der Ver-
bände des Güterkraftverkehrs gesagt: Entweder fällt die
Dieselsubvention in den anderen Ländern der EU weg
oder wir steigen in die Subvention ein. Wir wollen größt-
mögliche Harmonisierung für das Gewerbe. – Nichts von
alledem ist geschehen. Ganz im Gegenteil: Sie mussten
klein beigeben. Weil der Finanzminister eine Kungelei in
Bezug auf die Bergleute und die Subvention für den
Kohleabbau gemacht hat, mussten Sie auch noch akzep-
tieren, dass die anderen Länder in Europa weiterhin den
Diesel subventionieren. Damit nehmen Sie in Kauf, dass
circa 100 000 Arbeitsplätze für LKW-Fahrer in Deutsch-
land wegfallen. Sie sind damit nicht nur mit der Ver-
kehrspolitik gescheitert, sondern auch mit Ihrer Wirt-
schaftspolitik gescheitert.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Sie sind vor allem dabei gescheitert, den Menschen in
Deutschland die Hoffnung zu geben, dass es mit der Ver-
kehrspolitik wieder besser wird. Sie sind gegen Mobilität.
Ein Verkehrsministerium müsste für mehr Mobilität sein,
damit die Menschen mehr Möglichkeiten haben, zueinan-
der zu kommen. Was Sie heute gesagt haben, war eine Of-
fenbarung.

Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, wir gehen da-
von aus, dass nach dem 22. September die Dinge wieder
in Ordnung gebracht werden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Hans Georg Wagner [SPD]: Hochmut kommt vor dem Fall!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1423707900
Jetzt hat der Ab-
geordnete Ali Schmidt das Wort.

Albert Schmidt (Hitzhofen) (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Die Kritik des Bundesrechnungshofes im Hin-
blick auf die Verkehrsinfrastrukturfinanzierungs-
gesellschaft hat im Wesentlichen zum Gegenstand – anders,
als es der von mir sehr geschätzte Kollege Brunnhuber eben
dargestellt hat –,


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das kann nicht sein mit dem „geschätzt“!)


dass hier eine Parallelstruktur entstehen könnte, die sich
im Verwaltungsprozess als ineffizient erweisen könnte.

Dieser Kritik sollte man sich sehr ernsthaft stellen. Wir
haben das getan. Deshalb gibt es von beiden Koalitions-
fraktionen Änderungsanträge zu dem vorliegenden Ge-
setzentwurf der Bundesregierung, über die wir heute
ebenfalls abstimmen werden.

Worum es bei der Verkehrsinfrastrukturfinanzierungs-
gesellschaft geht, ist kein Verwaltungsproblem. Es ist et-
was ganz anderes. Es kann niemand bestreiten, dass mit
der Einführung der LKW-Maut für die transportierende
und für die verladende Wirtschaft erhebliche zusätzliche
Kosten verbunden sind. Die Akzeptanz der LKW-Maut
hängt sehr davon ab, dass garantiert werden kann, dass die
Nettoeinnahmen aus dieser Maut wieder in das Verkehrs-
netz reinvestiert werden. Um das sicherzustellen und um
diesen Prozess transparent und umsetzbar zu machen,
brauchen wir die Verkehrsinfrastrukturfinanzierungsge-
sellschaft.

Die Reinvestition in das integrierte Verkehrssys-
tem, Herr Kollege Brunnhuber, ist keine deutsche Ma-
rotte und auch keine rot-grüne Ideologie. Damit wird 1 : 1
umgesetzt, was als verkehrspolitische Vorgabe der Euro-
päischen Union aus Brüssel kommt. Ich erinnere in die-
sem Zusammenhang an das Weißbuch zur Verkehrspolitik
vom September des letzten Jahres, in dem ausdrücklich
festgehalten wird, dass die Reinvestition der LKW-Maut
in das gesamte Verkehrssystem und in alle Verkehrsträger
gemäß ihren Stärken sowie in die Vernetzung der ziel-
führende und richtige Weg für ein zukunftsfähiges Ver-
kehrssystem ist. Infolgedessen sind wir mit der Verwen-
dung der LKW-Maut gemäß dem vorliegenden
Gesetzentwurf genau auf dem richtigen Weg.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Die Einrichtung der Verkehrsinfrastrukturfinanzie-
rungsgesellschaft liefert außerdem den stichhaltigen Be-
weis dafür, dass es eine Zweckbindung dieser Einnahmen
gibt, die nicht jedes Jahr – ich sage das deutlich – je nach
Haushaltslage vom Bundesfinanzminister beliebig zur
Disposition gestellt werden kann und neu verhandelt wer-
den muss. Mit den dieser Gesellschaft zugewiesenen Mit-
teln kann zuverlässig in die Verkehrswege investiert wer-
den.

Darüber hinaus wird diese Gesellschaft auch ein Kom-
petenzzentrum werden. Es ist nämlich eine weitere Auf-
gabe dieser Gesellschaft, die privat finanzierten Projekte
nach dem Betreibermodell zu entwickeln, zu verhandeln
und durchzuführen.

Ich möchte aber nicht verhehlen, dass sich die Koali-
tionsfraktionen viele Gedanken über Änderungen des
vorliegenden Gesetzentwurfes gemacht haben. Ich will
Ihnen dies im Folgenden kurz skizzieren.

Um die Gefahr des Entstehens eines Schattenhaushal-
tes abzuwenden, haben wir vorgeschlagen – auch darüber
werden wir heute abstimmen –, dass diese Gesellschaft
nicht eigenmächtig Anleihen oder Kredite aufnehmen
kann.

Wir haben weiterhin festgelegt, dass als Anlage zum
künftigen Bundeshaushaltsplan im Rahmen einer beson-
deren Titelgruppe sämtliche mautfinanzierten Projekte




Georg Brunnhuber
23712


(C)



(D)



(A)



(B)


aufgelistet und damit vom Bundestag beraten und be-
schlossen werden können. Das sichert uns als Gesetzge-
ber die Hoheit, gegebenenfalls zu entscheiden, was ge-
baut wird und was nicht.

Wir wollen erreichen – dazu gibt es einen Änderungs-
antrag bezüglich § 2 Abs. 2 Verkehrsinfrastrukturfinan-
zierungsgesellschaftsgesetz –, dass das starre Prinzip der
kameralistischen Haushaltsführung, wonach Mittel,
die bis zum Jahresende für einen bestimmten Zweck noch
nicht ausgegeben worden sind, automatisch an den Fi-
nanzminister zurückgehen, an dieser Stelle künftig fle-
xibler gehandhabt wird. Diese Mittel können also im Fol-
gejahr für denselben Zweck erneut, also zusätzlich, zur
Verfügung gestellt werden. Das ist nicht nur eine Moder-
nisierung hinsichtlich der Verwaltung, sondern auch hin-
sichtlich des politischen Vorgehens im Hinblick auf die
Investitionen. Ich halte das für einen großen Fortschritt.

Die von uns heute ebenfalls beantragte Berichtspflicht,
nämlich dass diese Gesellschaft dem Parlament gegenüber
jedes Jahr Rechenschaft über Investitionen und Ausgaben
ablegen muss, bedeutet das Gegenteil von Kaschieren, wie
Sie, Herr Kollege Brunnhuber, hier behauptet haben, viel-
mehr ist es Transparenz pur.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Ich möchte hier kurz zu einem zweiten Komplex Stel-
lung nehmen. Heute kommt eine nahezu unendliche Ge-
schichte zum Abschluss – das gilt jedenfalls für dieses
Haus; ich bin überzeugt, dass das in wenigen Tagen oder
Wochen auch generell der Fall sein wird –: Es ist die lange
Auseinandersetzung um das Regionalisierungsgesetz,
also um die Höhe der Beträge, die der Bund an die Bun-
desländer insbesondere zur Bestellung von Materialien
für den Schienenpersonennahverkehr überweist. Ich bin
sehr stolz darauf – das sage ich hier auch als grüner Ver-
kehrspolitiker –, dass es uns heute gemeinsam gelingt,
Nahverkehrsmittel in Rekordhöhe zur Verfügung zu stel-
len. Was wir heute bewilligen werden, sind Rekordsum-
men, die es in diesem Land für den Nahverkehr noch nie-
mals gegeben hat.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Der Bund verzichtet mit dem vorliegenden Gesetzent-
wurf auf Rückforderungen an die Länder in Höhe von
über 750 Millionen Euro, die ihm zustehen. Die Länder
bekommen allein für das letzte Jahr 13,4 Milliarden DM
statt 12,8 Milliarden DM, die ihnen nach geltendem Recht
eigentlich zustehen. Doch nicht nur das: Wir heben nicht
nur den Sockelbetrag auf ein Rekordniveau, sondern wir
garantieren gleichzeitig eine jährliche Dynamisierung in
Höhe von 1,5 Prozent, festgeschrieben bis zum Jahr 2007.
Ich kann nur noch an den Bundesrat appellieren: Um Him-
mels willen, stimmt Ende Mai zu, grüner wird es nimmer!


(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD – Walter Hirche [FDP]: Das ist eine klare Drohung! Der Bundesrat dankt für diese Information!)


Man muss jetzt zugreifen.
Lassen Sie uns diesem Gesetz heute mit großer Mehr-

heit zustimmen! Auch die Kollegen der CDU in Thü-

ringen haben vorgestern im Verkehrsausschuss des Bun-
desrates zugestimmt bzw. auf die Anrufung des Ver-
mittlungsausschusses verzichtet. Sie wissen, was sie mit
diesem Gesetz angeboten bekommen.


(Beifall der Abg. Franziska Eichstädt-Bohlig [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Für mich persönlich ist sehr wichtig, dass durch die
Verabschiedung dieses Gesetzes auch das Thema Inter-
regio entschärft würde; denn durch dieses Gesetz bekom-
men die Länder genügend finanziellen Spielraum, um ge-
gebenenfalls über die Bezuschussung von interregionalen
Verkehren, über den Ersatz von interregionalen Verkehren
und über Bestellungen bei anderen Verkehrsunternehmen
zu verhandeln. Das alles liegt nun im Ermessen der Län-
der; aber wir geben ihnen das nötige Geld, und zwar so
großzügig wie noch niemals vorher.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Drittens. Im Hinblick auf die anstehende Abstimmung
über den Staatsvertrag mit der Schweiz möchte ich den
Flughafen Zürich-Kloten ansprechen. Ich möchte von
hier aus die Kolleginnen und Kollegen aus der Schweiz,
die mir schon aus rein geographischen Gründen sehr am
Herzen liegen, inständig bitten, sich keinen falschen und
illusionären Erwartungen hinzugeben. Manche in der
Schweiz, zum Beispiel die Mitglieder des Verkehrsaus-
schusses des Nationalrates, meinen, ein Nichtratifizieren
des Vertrages durch die Schweiz habe zur Folge, dass hier,
in Deutschland, nachgiebiger agiert werde. Dazu kann ich
nur sagen: Diese Erwartung ist illusionär. Neuverhand-
lungen würden die Angelegenheit im Sinne der Schweiz
nicht besser machen, sondern die Situation würde eher
schwieriger werden.

Auch die Menschen in der Region, in der Karin
Rehbock-Zureich zu Hause ist, haben an diesem Kom-
promiss zu schlucken. Es handelt sich um einen fairen In-
teressenausgleich, der auch der deutschen Seite eine
ganze Menge abverlangt. Sie muss nämlich akzeptieren,
dass eben nicht alle Wünsche nach Schutz vor Fluglärm
erfüllt werden. Dennoch wissen wir, dass die mittlerweile
ausgehandelte Regelung erhebliche Verbesserungen bringt.
Nicht nur die stufenweise Reduzierung auf 100 000 Flug-
bewegungen, sondern auch die Vereinbarungen über die
Nachtruhe und die Sonntagsruhe sind wichtige Elemente
dieser Regelung.

Ich möchte auch an die Kolleginnen und Kollegen der
CDU/CSU appellieren, keine falschen Erwartungen zu
wecken. Herr Kollege Repnik, Sie haben in einer Presse-
mitteilung die Auffassung vertreten, dass der Deutsche
Bundestag um Himmels willen nicht ratifizieren solle.
Dazu möchte ich erst einmal sagen: Ich habe Verständnis
für diese Position; denn dahinter steht die Absicht, durch
weitere Verhandlungen bessere Ergebnisse zu erzielen.
Wer wollte das nicht gern? Jeder von uns würde gern noch
bessere Konditionen für die deutsche Seite aushandeln.

Sie wissen, dass der Effekt wahrscheinlich gegenteilig
wäre. Wenn wir heute nicht ratifizieren, dann wecken wir
in der Schweiz falsche Hoffnungen. Umgekehrt wird also
ein Schuh daraus! Wir müssen heute ratifizieren. Damit




Albert Schmidt (Hitzhofen)


23713


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(D)



(A)



(B)


machen wir klar: Wenn sich die Schweiz nicht auf diese
Regelung einlässt, dann wird die vom Bundesverkehrs-
minister angesprochene Rechtsverordnung kommen und
dann wird das Programm ganz andere Zahlen enthalten.
Aus der Sicht der Schweiz wird es dann eher belastender
als entlastender. Deshalb lassen Sie uns heute gemeinsam
ein klares Signal für das Zustandekommen dieses Staats-
vertrages setzen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich ab-
schließend – wir wollen alle ins verdiente Pfingst-
wochenende fahren – sagen: Mit der heutigen Verkehrs-
debatte kommen einige wichtige verkehrspolitische
Projekte zum Abschluss; sie erreichen damit das Bundes-
gesetzblatt: Es ist zunächst einmal das Verkehrsinfra-
strukturfinanzierungsgesellschaftsgesetz, das den Kom-
plex der LKW-Maut abschließt und die rechtlichen
Voraussetzungen dafür schafft, dass es nächstes Jahr los-
gehen kann. Weiter sind es die Bestimmungen über die
Regionalisierungsmittel und Nahverkehrsmittel. Über In-
vestitionen ist bereits in der Aktuellen Stunde diskutiert
worden.

Lassen Sie mich abschließend außerdem sagen: Wir
haben nicht nur bei den konsumtiven Mitteln, also bei den
Nahverkehrsmitteln, Rekordsummen zur Verfügung ge-
stellt, sondern auch bei den Investitionen. Ich bitte Sie als
Partei, die das Wort „christlich“ in ihrem Namen führt, in
diesem Punkt bei der Wahrheit zu bleiben. Diese Bundes-
regierung und dieses Parlament mit seiner Mehrheit stel-
len in diesem Jahr 11,5 Milliarden Euro für Verkehrs-
investitionen zur Verfügung.


(Renate Blank [CDU/CSU]: Aber nur in diesem Jahr!)


Das sind 2 Milliarden Euro oder 4 Milliarden DM mehr
als 1998, als wir die Verantwortung übernommen haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Hans Georg Wagner [SPD]: Das ist die Wahrheit!)


Wenn Sie jemals auch nur einen Bruchteil dieser Steige-
rungen hinbekommen hätten, verehrte Frau Kollegin
Blank, hätten Sie sich die Finger geleckt.


(Renate Blank [CDU/CSU]: Das war im letzten Jahr!)


Wir haben das trotz Haushaltskonsolidierung, trotz Steuer-
reform, trotz Schuldentilgung und trotz Rückführung der
Neuverschuldung erreicht. Die eigentliche Leistung die-
ser Regierung ist, dass sie bei den Investitionen und bei
den Nahverkehrsmitteln Rekordsummen zur Verfügung
stellt, obwohl sie gleichzeitig Enormes für die Konsoli-
dierung des Haushalts erreicht hat. Ich bitte Sie, das fai-
rerweise anzuerkennen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1423708000
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Horst Friedrich.


Horst Friedrich (FDP):
Rede ID: ID1423708100
Frau Präsidentin!
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Herr Verkehrsmi-
nister, ich muss zugeben: Ich bin nach wie vor tief beein-
druckt von Ihrer fulminanten, flammenden Abschiedsrede,
die Sie heute im Deutschen Bundestag gehalten haben.


(Beifall bei der FDP – Zurufe von der SPD: Oh! – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Typisch FDP! Spaßgesellschaft! – Hans Georg Wagner [SPD]: Kalter Kaffee!)


Wenn das die Verkehrspolitik ist, mit der Sie sich am
22. September dem Verkehrsgewerbe als Alternative prä-
sentieren wollen, kann ich nur sagen: Davor haben wir
tatsächlich keine Angst.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Das, was Sie heute hier geboten haben, ist ein klassisches
Spiegelbild Ihrer Verkehrspolitik der abgelaufenen Legis-
laturperiode. Zu Beginn der Amtszeit der ganzen neuen
Regierung hat eine große deutsche Zeitung mit vier Buch-
staben die Kunst Ihrer Regierungsfähigkeit beschrieben
mit dem Ausdruck „Avanti dilettanti“.


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Ha, ha, ha! Den Scherz hat Joschka Fischer vor drei Jahren schon erfunden!)


Sie bieten heute hier ein Paket wichtiger Gesetze, die wir
im Schweinsgalopp durch die parlamentarischen Bera-
tungen geprügelt haben. Sie haben sich zunächst einmal
gegen Anhörungen gewehrt. Die Anhörungen, die wir mit
unserem Oppositionsrecht durchgesetzt haben, weil wir
der Meinung waren, sie seien notwendig, haben gezeigt,
dass Ihre Gesetzentwürfe nach wie vor vor Fehlern strot-
zen. Sie sind aber nach wie vor beratungsresistent. Die
Ausschussberatungen in der letzten Woche haben gezeigt,
dass Sie Beratungen entweder nicht ernst nehmen, wie
beim Donau-Ausbau, oder dass Sie nicht willens sind,
Kritik tatsächlich umzusetzen.


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das haben wir doch getan! Lesen Sie doch unseren Änderungsantrag!)


Die entscheidenden Fehler sind nämlich nach wie vor
nicht beseitigt.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP)

Beginnen wir mit dem Verkehrsinfrastrukturfinanzie-

rungsgesellschaftsgesetz. Sie schaffen eine neue Gesell-
schaft, deren Aufgaben auch eine Abteilung in Ihrem
Hause übernehmen könnte; denn das Geld für die Gesell-
schaft kommt aus dem Bundeshaushalt. Sie hat kein ori-
ginäres Einnahmerecht. Sie macht genau das, was eine
Abteilung Ihres Hauses auch macht: Sie gibt nach An-
weisungen des Finanzministers Geld an die entsprechen-
den Projekte weiter.


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das Parlament entscheidet!)


Sie hängen das Ganze am so genannten A-Modell auf
und lassen dabei offensichtlich die Probleme des Mittel-
stands in der Bauwirtschaft vollkommen außer Acht. Ein
Podiumsgespräch im bedeutendsten Wahlkreis Deutsch-




Albert Schmidt (Hitzhofen)

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(A)



(B)


lands, dem des Vorsitzenden des Verkehrsausschusses des
Deutschen Bundestages, hat ergeben: Die mittelständi-
sche Bauindustrie hat einfach Angst. Ich sage: zu Recht.


(Eduard Oswald [CDU/CSU]: Sehr guter Beitrag!)


In Ihren Vorschlägen hinsichtlich Übertragung werden die
Probleme des Mittelstandes im Hinblick auf Basel II, auf
Eigenkapitalausstattung, auf Finanzierungspakete unter
den Tisch gekehrt und nur die großen Bauunternehmen sind
überhaupt in der Lage, Angebote abzugeben. Das ist das
Gegenteil der von Ihnen behaupteten Mittelstandspolitik.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Herr Minister Bodewig, Sie haben gesagt, wir hätten

keinen Mut gehabt, Privatfinanzierung anzupacken.
Wenn ich alles richtig begriffen habe, wollen Sie jetzt ein
Fernstraßenbauprivatfinanzierungsgesetz ändern, das aus
dem Jahr 1994 stammt.


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Weil eures so schlecht war! Es gab nur zwei Projekte, die daraus resultieren, weil es so schlecht war!)


Anhand der Handbücher des Deutschen Bundestages
stelle ich fest, dass im Jahr 1994 offensichtlich eine an-
dere Mehrheit als die jetzige dieses Gesetz beschlossen
hat. Insofern fällt Ihr Vorwurf auf Sie zurück.

Das Problem ist: Sie sind noch nicht einmal in der Lage,
ein Änderungsgesetz so zu gestalten, dass die beiden Pro-
jekte, die bereits aufgrund des bestehenden Gesetzes an-
gegangen worden sind, fortgeführt werden können.


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Warum denn nur zwei? – Reinhard Weis [Stendal] [SPD]: Mehr hat es nach dem alten Gesetz nicht gegeben! Da muss doch irgendetwas nicht funktioniert haben!)


Im Übrigen, dieses bestehende Gesetz haben Sie, Herr
Kollege Weis, abgelehnt. – Als an Ihrer Stelle noch die
Kollegin Ferner saß, hat die Sozialdemokratie die Privat-
finanzierung als Werk des Teufels bezeichnet. –


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Denn für Sie war die Infrastrukturfinanzierung aus-
schließlich eine staatliche Daseinsvorsorge. Jetzt hier zu
erklären, Sie seien die Erfinder der Privatfinanzierung, ist
eine Lachnummer auf hohem Niveau, Herr Kollege Weis.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Sie sind ja noch nicht einmal in der Lage, die berech-

tigten Bedenken der beiden Konsortien, die die zwei
Privatfinanzierungen in Rostock und in Lübeck voran-
treiben, in einer entsprechende Übergangsregelung aufzu-
nehmen, weil es eine Umstellung bei der Konzessions-
verteilung gibt. Die bestehenden Rechte müssen aus
meiner Sicht gewahrt bleiben. Das ist eine gute Gesetzes-
technik. Aber diesen Pfad – ich habe es Ihnen schon ein-
mal gesagt – haben Sie verlassen.

Herr Kollege Schmidt, das gilt im Übrigen auch für das
Regionalisierungsgesetz. Es ist ja wunderschön, dass Ihr
Finanzminister an die Wurzeln dieses Gesetzes, das im
Übrigen im Jahre 1996 von uns beschlossen worden ist,

die Axt gelegt hat, indem er öffentlich erklärt hat, er wolle
die Ausgaben nicht steigern.


(Reinhard Weis [Stendal] [SPD]: Wir haben es geändert! – Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber wir haben es geändert!)


In Ihrer Regierungszeit ist es jetzt auf Druck der Länder

(Reinhard Weis [Stendal] [SPD]: Nein, nein! – Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Nein!)


– selbstverständlich! – auf einem Pfad, den wir vorgege-
ben hatten, umgesetzt worden und die damit verbundenen
Ausgaben sind erhöht worden.

Folgendes packen Sie allerdings nicht an – diesen Vor-
wurf sollten Sie sich schon gefallen lassen –: Warum
fangen Sie, Herr Schmidt, wenn Sie schon so sehr für
Wettbewerb sind, nicht an, die Gewährung der Regionali-
sierungsmittel an den Wettbewerb zu binden?


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das würden die Länder im Bundesrat nicht mitmachen!)


– Selbstverständlich machen sie das.

(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das machen sie nicht! Die Länder lassen sich nicht knebeln!)


Es kann doch nicht sein, dass sich Länder im Rahmen
von Zehnjahresverträgen an die Deutsche Bahn binden,
gleichzeitig den Wettbewerb in Bezug auf diese Mittel
ausschließen und sie deswegen die zielgerichtete Verwen-
dung der staatlichen Gelder bzw. eine bessere Einkaufssi-
tuation verhindern.

Wir werden Ihre Gesetzentwürfe ablehnen, und zwar
nicht, weil wir der Meinung sind, das sei die falsche Rich-
tung, sondern deswegen, weil wir die Qualität der Ge-
setzentwürfe verändern wollen.

Herr Kollege Schmidt, Sie haben richtigerweise ge-
sagt, Änderungen würden noch im Gesetzblatt aufgenom-
men. Gott sei Dank – so muss ich sagen – hat der Wähler
mittlerweile im Bundesrat die Situation geschaffen, über
dieses Verfassungsorgan sinnvolle Änderungen durchset-
zen zu können.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Da im Bundestag derzeit andere Mehrheiten herrschen,
werden wir das, was Sie offensichtlich verweigern, dort
einbringen.

Danke schön.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1423708200
Kollege Wolf
hat gebeten, seine Rede zu Protokoll geben zu dürfen.1


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)





Horst Friedrich (Bayreuth)


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1 Anlage 7

Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall.
Dann hat jetzt die Abgeordnete Margrit Wetzel das

Wort.


Dr. Margrit Wetzel (SPD):
Rede ID: ID1423708300
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Brunnhuber, Ihre
Rede reizt zum Widerspruch. Sie haben soeben behauptet,
unsere Wirtschaftspolitik und unsere Verkehrspolitik
seien gescheitert. Vielleicht darf ich Sie einmal darauf
aufmerksam machen, dass während Ihrer Regierungszeit
überhaupt keine Wirtschaftspolitik stattgefunden hat.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wir haben nur Scherben vorgefunden. Sie hätten einmal
vorgestern im Plenum bei der Aktuellen Stunde anwesend
sein sollen. Dann hätten Sie sich überzeugen können, wie
die Daten sind. Wir haben sie vorgetragen. In allen Ein-
zelkriterien haben wir deutlich bessere Daten aufzuwei-
sen gehabt als zu Ihrer Regierungszeit.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Das Gleiche gilt für die Verkehrsinfrastruktur. Die
Tour der 1 000 Spatenstiche von Herrn Wissmann ist vor-
bei. Der drastisch unterfinanzierte Bundesverkehrswege-
plan, den Sie uns hinterlassen haben, ist während der kur-
zen Zeit, die wir zur Verfügung hatten, auf solide,
überschaubare Einzelprogramme umgestellt worden,


(Georg Brunnhuber [CDU/CSU]: Wo?)

die es ermöglichen, dass vernünftig weitergebaut wird.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir haben Projekte initiiert und sie werden fortgeführt.
Die Zeit der Spatenstiche für Projekte, die dann doch nicht
weitergeführt werden, ist vorbei.

Genau die gleiche Situation besteht beim Einstieg in
die Nutzerfinanzierung. Sie haben eine diesbezügliche
Anhörung durchgesetzt. Wir hielten sie zunächst für nicht
nötig, weil wir der Meinung waren, wir hätten einen guten
Gesetzentwurf eingebracht. Das ist letztlich in der An-
hörung bestätigt worden. Dass im Detail durchaus unter-
schiedliche Meinungen bestehen können, mag etwas an-
deres sein. Nichtsdestotrotz haben nahezu alle Experten
übereinstimmend gesagt: Die Verkehrsinfrastrukturfinan-
zierungsgesellschaft ist ein richtiger Schritt in die richtige
Richtung. Er ist jetzt notwendig.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Dann haben Sie behauptet, das Ganze werde nichts wer-

den können, weil der Finanzminister über die Ausgaben zu
entscheiden habe. Das ist schlicht und einfach falsch. Sie
scheinen sich selbst nicht ernst zu nehmen. Die Entschei-
dungen sowohl über die Haushaltsmittel wie auch über die
zu bauenden Projekte fallen hier im Parlament.


(Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Das treibt mir doch die Tränen in die Augen! Was ihr damit macht, das sieht man doch! Die A 44 ist das Paradebeispiel!)


Offensichtlich ist Ihnen das überhaupt nicht bewusst: Das
Parlament trifft diese Entscheidungen. Das sind wir und
das sind auch Sie.

Wir wollen keinen Schattenhaushalt aufbauen, sondern
eine vernünftige, solide Finanzierung. Deshalb ist die Ver-
kehrsinfrastrukturfinanzierung so, wie sie im Gesetz auf-
gebaut ist, richtig. Das ist wirklich eine Organisationspri-
vatisierung; das wissen Sie ganz genau. Sie gibt uns die
Möglichkeit, auf eine deutlich flexiblere und konkretere
Weise die Projekte umzusetzen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Herr Bodewig hat schon darauf hingewiesen, welche
Folgen „dreimal 40“ hätte. Ich darf hier zitieren aus einer
neuen Presseerklärung des designierten Wirtschaftsminis-
ters unter Ihrer Regierung – die Sie erhoffen; ich denke,
das wird nichts –, Lothar Späth.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Er hat den Zeitplan für massive Steuersenkungen im
Wahlprogramm der Union infrage gestellt. Er sagt:

Wir schauen uns die Konjunktur an und sehen dann
schnell, was überhaupt umgesetzt werden kann und
was nicht.

Damit hat der Mann Recht. Wo er Recht hat, hat er Recht.
Das muss man ihm zugestehen. Er hat weiter gesagt:

Wir sind doch keine Weihnachtsmänner, die mit al-
len möglichen Geschenken daherkommen.

Ich glaube, das sollten Sie sich einmal überlegen. Das war
nämlich die Politik von gestern: Da sind Sie beim Bun-
desverkehrswegeplan als Weihnachtsmänner herumge-
laufen und haben Versprechungen gemacht, die an keiner
Stelle umgesetzt werden konnten.

Herr Friedrich hat eben für sich in Anspruch genom-
men, dass unter Ihrer Regierung der Einstieg in die Pri-
vatfinanzierung vorgenommen wurde. Auch das ist im
Grunde eine Scheindebatte. Sie haben damit völlig Recht:
Wir haben 1994 das Fernstraßenprivatfinanzierungsge-
setz abgelehnt – und das mit guten Gründen. Es gab näm-
lich überhaupt keine Informationen. Es gab keine Rechts-
sicherheit über die Projekte, keine Rechtssicherheit für
die Betreiber und die Nutzer. Wir haben damals gesagt:
Da wird kein einziger Betreiber kommen. – Da haben wir
uns geirrt; das ist gut so. Der Leidensdruck in Lübeck und
Rostock war so groß, dass sich dort Betreiber gefunden
haben, die die Projekte angefangen haben.

Nichtsdestotrotz müssen jetzt die Schwächen Ihres Ge-
setzes behoben werden. Deshalb nahmen wir eine Novel-
lierung vor, gegen die Sie sich schon wieder wehren, was
überhaupt nicht zu verstehen ist.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Das Gesetz ändert strukturell überhaupt nichts an dem,
was Sie seinerzeit beschlossen haben. Vielmehr beseitigt
es operationelle Defizite. Das ist dringend notwendig. Die
Modalitäten für die Mautgebühren – für die Erhebung und
für die berücksichtigungsfähigen Kosten – legen wir




Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
23716


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(D)



(A)



(B)


grundsätzlich im Gesetz fest und regeln sie dann im Einzel-
nen bedarfsgerecht und zeitnah über Rechtsverordnungen.

Bei Ihrer Kritik haben Sie verlangt, dass die Privatfi-
nanzierung auf weitere Autobahnstrecken übertragen
wird. Sie wissen ganz genau, dass das zurzeit europa-
rechtlich nicht möglich ist, weil Doppelbemautung nicht
zulässig ist. Zumindest wir haben nicht geplant, in abseh-
barer Zeit eine PKW-Maut einzuführen. Wenn Sie das
wollen, dann sollten Sie das den Bürgern rechtzeitig sa-
gen, am besten vor der Wahl.

Insofern zeigen Sie selbst ganz deutlich, dass Ihre
Argumentation eine reine Verzögerungstaktik ist.


(Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Sie entlassen ja derzeit auch den Verteidigungsminister nicht!)


Sie geht zulasten der Betreiber der Warnowquerung in
Rostock und des Herrentunnels in Lübeck.


(Beifall bei der SPD)

Das akzeptieren wir nicht. Weil wir das nicht akzeptieren,
werden wir die Gesetze auch so beschließen, wie sie jetzt
vorliegen.

Sie haben noch einen dritten Streitpunkt angesprochen.
Sie haben gesagt, wir hätten nicht einmal auf die Beden-
ken der Betreiber Rücksicht genommen. Das ist über-
haupt nicht wahr. Die Bedenken sind ausgeräumt. Sie wis-
sen ganz genau, dass der Streit darum ging, ob privates
Entgelt mit Tarifgenehmigung oder eine Rechtsverord-
nung gewählt wird. Dieser Streit ist gegenstandslos, weil
nämlich alle beiden Regelungen auf dem Gebührenrecht
basieren würden. Das eine wie das andere öffnet keine
weiteren Spielräume. Es macht auch keinen Unterschied,
ob die dynamische oder die statische Mautkalkulation ge-
wählt wird.

Wir haben unsere Bereitschaft erklärt, nach den ersten
Erfahrungen mit den Rechtsverordnungen das Thema
noch einmal aufzugreifen und langfristig zu prüfen, so
wie wir auch weiter prüfen, ob wir mit der Privatfinan-
zierung voranschreiten können. Jetzt geht es erst einmal
darum, Rechtssicherheit für die in Betrieb gehenden Pro-
jekte zu schaffen. Deshalb sollten Sie im Sinne der ent-
sprechenden Betreiber diesen Gesetzen zustimmen.

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1423708400
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Hans-Peter Repnik.


Hans-Peter Repnik (CDU):
Rede ID: ID1423708500
Frau Präsidentin!
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Den
Kennern der Szene wird bei der jetzigen Rednerreihen-
folge vermutlich dämmern, dass es nicht um ein Thema
geht, das Deutschland insgesamt bewegt. Es geht aber um
ein Thema, das für eine der schönsten Regionen in
Deutschland von elementarer Bedeutung ist.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Für Deutschland spreche immer noch ich!)


– Verehrter Kollege Schmidt, wir alle haben schöne Wahl-
kreise.


(Hans Georg Wagner [SPD]: Das stimmt!)

Ich nehme für mich in Anspruch: Konstanz und der Bo-
densee gehören zu den schönsten.


(Beifall der Abg. Birgit Homburger [FDP])

Politik, meine Damen und Herren, muss man für die

Menschen machen; Politik sollte man nicht gegen die
Menschen machen. Die von der rot-grünen Mehrheit für
heute geplante Ratifizierung des Staatsvertrags über ein
bilaterales Luftverkehrsabkommen zwischen Deutsch-
land und der Schweiz verletzt nach unserer Überzeugung
grob die schutzwürdigen Interessen der Bürger im
Schwarzwald und am Bodensee.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Birgit Homburger [FDP])


Für die von Fluglärm betroffenen Landkreise Waldshut,
Konstanz und Schwarzwald-Baar, deren Landräte
Bernhard Wütz, Frank Hämmerle und Karl Heim sich mit
einer Petition im Namen fast aller Menschen dieser Re-
gion, im Namen der dortigen Bürgerinitiativen an alle
Mitglieder des Deutschen Bundestages gewandt haben,
ist diese heutige Ratifizierung eine schallende Ohrfeige.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dr. Peter Danckert [SPD]: Und was ist mit Schönefeld?)


Ich halte es, Herr Bundesminister Bodewig, für einen
großen Fehler, den deutsch-schweizerischen Staatsver-
trag heute im Deutschen Bundestag ratifizieren zu wollen.
Ich habe auch, wie Sie wissen, im Vorfeld alles versucht,
um die Entscheidung zu vertagen. Ich will dies begrün-
den.

Erstens. Das von der Bundesregierung mit der Schweiz
– wie ich behaupte: dilettantisch – ausgehandelte Luft-
verkehrsabkommen belastet einseitig die Bodenseeregion
und den Südschwarzwald


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Warum hat denn Herr Wissmann gar kein Abkommen ausgehandelt? Seit 1984!)


– Herr Kollege Schmidt, ich komme gleich noch auf Sie
zu sprechen – und muss nachgebessert werden. Die Be-
völkerung in den betroffenen drei Landkreisen leidet un-
ter dem Lärm und unter den Umweltbelastungen durch
den An- und Abflugverkehr des Flughafens Zürich. Die
notwendige Reduzierung der Flugbewegungen über das
deutsche Gebiet wird mit dem vorliegenden Staatsvertrag
nicht erreicht.


(Beifall bei der CDU/CSU – Karin RehbockZureich [SPD]: 16 Jahre hätten Sie Zeit gehabt!)


– Verehrte Frau Kollegin Rehbock-Zureich, Sie wissen
ganz genau, dass wir zwischenzeitlich einen neuen Sach-
verhalt haben: Wir haben neue Warteräume. Dieser neue
Sachverhalt führt natürlich auch zu einem veränderten




Dr. Margrit Wetzel

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(C)



(D)



(A)



(B)


Verhalten. Deshalb hätten wir erwartet, dass dieser Ver-
trag besser ausgehandelt wird.


(Zuruf des Abg. Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Ich füge ein Weiteres hinzu – Herr Kollege Schmidt,
auch da darf ich auf Sie eingehen –: Es waren Schweizer
Journalisten, es waren Schweizer Publikationen, die
selbst die Frage aufgeworfen haben, warum die so ge-
nannte Goldküste am Züricher See geschont wird und
warum die Warteräume ausschließlich auf deutschem Ge-
biet eingerichtet werden.


(Beifall bei der CDU/CSU – Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das haben doch Sie eingerichtet! Das haben doch nicht wir eingerichtet! Wir beheben das jetzt teilweise!)


Selbst aus der Schweiz gibt es entsprechende Einsichten.
Ein zweiter Grund spricht dafür, dass wir heute nicht

ratifizieren sollten: Die für den Luftverkehr zuständige
Kommission des schweizerischen Nationalrats hat im
vergangenen Monat die Ablehnung des Staatsvertrages
empfohlen.


(Karin Rehbock-Zureich [SPD]: Warum? Weil sie nicht zufrieden sind!)


– Sie haben gleich das Wort; Sie können gern darauf ein-
gehen. – Ich will noch auf Folgendes hinweisen: Voran-
gegangen waren Forderungen des Flughafens Zürich, des
Kantons Zürich und der neuen Swiss Airline mit dem Ziel,
noch mehr Lärm und Umweltbelastungen, als nach dem
Staatsvertrag ohnehin schon zulässig ist, in den Süd-
schwarzwald und den Bodenseeraum zu exportieren. Eine
abschließende Entscheidung des Nationalrats gibt es
möglicherweise im nächsten Monat. Die Entscheidung
des Ständerats ist frühestens im Herbst zu erwarten.

Ich frage uns: Warum haben wir die Notwendigkeit,
uns vor der Schweiz – die als Demonteur in dieser Frage
auftritt und die von uns ein Entgegenkommen erwartet –
heute durch die Ratifizierung zu binden?


(Beifall bei der CDU/CSU – Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Um zu zeigen, dass wir nicht weiter entgegenkommen!)


Warum warten wir nicht die schweizerische Ratifizierung
ab? Dann können wir immer noch handeln.


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Ihre Argumentation ist unlogisch!)


Drittens. Ratifizieren die Schweizer Parlamente den
Staatsvertrag nicht – danach sieht es fast aus –, muss die-
ser zwischen den Regierungen neu verhandelt werden.


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Da gibt es eine Rechtsverordnung!)


– Herr Kollege Schmidt, Sie wissen ganz genau, dass
diese Rechtsverordnung auf Dauer, gerade auch im bila-

teralen Bereich, keinen Bestand hat. Es muss doch neu
verhandelt werden.

Wenn wir aber heute den Staatsvertrag ratifizieren,
dann verschlechtern wir die deutsche Verhandlungsposi-
tion bei den Nachverhandlungen; denn die Bundesregie-
rung wird an einen Vertrag gebunden sein, der bereits vom
deutschen Parlament ratifiziert worden ist. Das Parlament
würde damit der deutschen Bundesregierung, wenn es da-
rum geht, mehr für uns herauszuhandeln, in den Rücken
fallen. Deshalb muss der Vertrag abgelehnt werden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Scheinheilig!)


– Nein.
Ich erinnere in diesem Zusammenhang an einen ande-

ren Punkt: Die Übertragung der hoheitlichen Rechte an
die Schweiz ist nach unserer Überzeugung ein großer
Fehler; denn Deutschland überlässt in Art. 1 des Vertrags
der Schweiz die Durchführung der Flugverkehrskontrolle
in einem Großteil Süddeutschlands. Bis vor die Grenzen
von Stuttgart wird in der Zukunft der Luftraum – die
Schweiz hat dieses Recht an eine private Firma übertra-
gen – von der Schweiz aus kontrolliert. Wir übertragen
Hoheitsrechte nicht an einen anderen zwischenstaatlichen
Bereich, sondern an eine private Firma. Dies widerspricht
nach unserer Überzeugung den Art. 24 und 87 des Grund-
gesetzes. Diese Regelung ist fragwürdig, und es gibt nam-
hafte Verfassungsrechtler, die diese Übertragung als ver-
fassungswidrig bezeichnen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

War dies nötig? Wir sind da anderer Meinung.

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich auf eines
hinweisen.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1423708600
Gestatten Sie
eine Zwischenfrage?


Hans-Peter Repnik (CDU):
Rede ID: ID1423708700
Sie wird ja nicht
auf meine Redezeit angerechnet, gern.


Dr. Peter Danckert (SPD):
Rede ID: ID1423708800
Herr Kollege Repnik, Sie
tragen hier sehr temperamentvoll Ihre Bedenken vor. Sind
Sie bereit, sich mit demselben Engagement gegen den
Standort Schönefeld und für die dort Betroffenen einzu-
setzen?


Hans-Peter Repnik (CDU):
Rede ID: ID1423708900
Sehr verehrter Herr
Kollege Danckert, ich vertrete die Argumente deshalb mit
einem so großen Engagement, weil viele Menschen bei
uns im Süden Deutschlands davon negativ betroffen sind.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich nehme die Argumente der Menschen in unserer Re-
gion ernst. Mich beeindruckt schon die Sorge der Men-
schen davor, dass sie in der Nacht keine Ruhe mehr finden.
Es beeindruckt mich schon, wenn ein Fremdenverkehrs-
gebiet wie der Hochschwarzwald oder die Bodenseeregion




Hans-Peter Repnik
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(C)



(D)



(A)



(B)


mit vielen Übernachtungsgästen dadurch nachhaltig be-
einträchtigt wird.

Lieber Herr Kollege Danckert, mich beeindruckt,
wenn – so in meinem Wahlkreis – davon wichtige Reha-
bilitationskliniken negativ betroffen sind. Ich muss mich
doch mit einem entsprechenden Engagement und ent-
sprechender Verve einbringen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ich kann mir nur wünschen und kann nur hoffen, dass

sich andere Kollegen, die in ihrem Wahlkreis möglicher-
weise ähnliche Probleme haben, genauso um die Sorgen
der Menschen kümmern, wie Birgit Homburger, ich und
andere dies tun.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1423709000
Gestatten Sie
auch eine Zwischenfrage des Kollegen Schmidt?


Hans-Peter Repnik (CDU):
Rede ID: ID1423709100
Vorhin wurde auf
das bevorstehende Pfingstfest aufmerksam gemacht. Ich
möchte die Kolleginnen und Kollegen nicht daran hin-
dern, noch rechtzeitig in ihre Wahlkreise und zum Pfingst-
fest zu kommen.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich möchte

zum Abschluss auf Folgendes hinweisen: Ich weiß sehr
wohl – auch ich bin ein Begünstigter –, was der Flugha-
fen Zürich-Kloten für die südliche Region Deutschlands
bedeutet. Er ist für uns ein ganz eindeutiger Standortvor-
teil. Deswegen wissen wir auch, dass wir bestimmte Las-
ten auf uns nehmen müssen.

Was wir erwarten, nicht mehr und nicht weniger – die-
ser Erwartung wurden Sie, Herr Bundesminister, nicht ge-
recht –, ist, dass es eine gerechte Lastenverteilung auf die
Bürger in Deutschland und in der Schweiz gibt. Diese Ge-
rechtigkeit in der Lastenverteilung wurde in den Ver-
handlungen nicht erreicht.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Was hat der Wissmann zu seiner Zeit gemacht?)


Nicht zuletzt aus diesen Gründen lehnen wir diesen Ver-
trag ab.


(Dr. Peter Danckert [SPD]: Was ist mit Schönefeld?)


Ich muss Ihnen, Herr Bundesminister, noch einmal sa-
gen: Sie haben die große Chance – ich habe gehört, dass
Sie darauf bestanden haben, den Vertrag jetzt zu ratifizie-
ren – vergeben, noch einmal im Sinne der Rechte der deut-
schen Bevölkerung im Süden Baden-Württembergs tätig
zu werden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1423709200
Ich erteile dem
Kollegen Schmidt das Wort zu einer Kurzintervention,
weil er direkt angesprochen wurde.

Albert Schmidt (Hitzhofen) (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN): Herr Kollege Repnik, Sie haben mich per-
sönlich angesprochen. Gestatten Sie mir folgenden Hin-
weis, denn es ist schwer erträglich, hier zu hören, wie Sie
sich als der Retter der vor Lärm zu schützenden Bevölke-
rung aufspielen: Die Verwaltungsvereinbarung mit der
Schweiz, die jetzt durch den neuen Staatsvertrag abgelöst
werden soll, datiert aus dem Jahre 1984. Ich frage Sie:
Warum haben frühere Minister dieses Landes – Minister
Wissmann und seine Vorgänger – all die Jahre, als das
Problem schon existierte und die Klagen laut wurden,
nicht versucht, einen neuen Staatsvertrag auszuhandeln?
Warum haben Sie keine Rechtsverordnung angekündigt
oder sogar erlassen? Sie haben es immer nur bei folgen-
losen Protestbriefen belassen.

Die jetzige Regierung hat im Mai 2000 die Verwal-
tungsvereinbarung gekündigt und sie hat den Staatsver-
trag ausgehandelt. Es wird auch diese Regierung und
diese Parlamentsmehrheit sein, die den Staatsvertrag
heute ratifizieren. Sie treten hier als der Retter der lärm-
geplagten Bevölkerung auf. Dazu muss ich Ihnen sagen:
Sie sind unglaubwürdig, um nicht zu sagen, scheinheilig.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Dr. Peter Danckert [SPD]: Kurz vor Pfingsten noch ein solches Duell, das ist richtig schön!)



Hans-Peter Repnik (CDU):
Rede ID: ID1423709300
Kollege Schmidt,
ich glaube, ich habe die Argumente in ausreichender
Weise vorgetragen. Ich will nur noch ein Argument nach-
schieben.


(Reinhard Weis [Stendal] [SPD]: Hoffentlich ist es kein Scheinargument!)


Ich habe es zwar bereits angesprochen, aber aufgrund
der Intervention des Kollegen Schmidt sei mir gestattet,
nochmals darauf hinzuweisen, dass es wegen der neuen
und veränderten Warteräume bzw. -schleifen auch ein
verändertes Anflugverhalten gibt.

Diese Situation hat sich erst in den letzten Jahren in
dieser Dramatik gezeigt. Ich bin der Bundesregierung
dankbar dafür – auf dem Weg haben wir sie ja auch posi-
tiv begleitet –,


(Karin Rehbock-Zureich [SPD]: Das ist doch Quatsch!)


dass ein neuer Vertrag geschlossen wird. Ich bin aber nicht
dankbar dafür, dass man – dies ist nicht nur mein, sondern
auch das Gefühl der gesamten Bevölkerung in dieser Re-
gion – die süddeutsche Bevölkerung zugunsten der
Schweizer Bevölkerung belastet hat. Das müssen wir an-
greifen. Deswegen sind wir dagegen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie instrumentalisieren das Gefühl und können nicht beantworten, warum Sie nicht gehandelt haben!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1423709400
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Karin Rehbock-Zureich.




Hans-Peter Repnik

23719


(C)



(D)



(A)



(B)



Karin Rehbock-Zureich (SPD):
Rede ID: ID1423709500
Sehr verehrte Frau
Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr
Repnik, es ist schon mehr als erstaunlich und eigentlich
unverschämt, dass Sie sich hierhin stellen und sich zum
Retter der Region Südbaden aufspielen. Sie sagen, dass
Sie Politik für die Menschen machen. Ich muss einfach
fragen: Wo waren Sie in den letzten elf Jahren?


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Sie haben keine Politik für die Menschen gemacht. Die
jetzige Situation ist für den Wahlkreis Waldshut und den
Hochschwarzwald absolut nicht neu.

Die bestehenden Verträge wurden 1984 mit der An-
flugstrecke, die über den Kreis Hochschwarzwald und
über Waldshut führte, von der alten Bundesregierung ge-
schlossen. Bereits vor 1990 war klar, dass diese nie ein-
gehalten werden würden. Ich finde es eine Unverfroren-
heit, dass Sie sich hierhin stellen und sagen, dass Sie
Politik für die Menschen machen, während Sie gleichzei-
tig eine Vertagung beantragen, weil Sie warten wollen,
bis die Schweiz ratifiziert oder nicht.


(Georg Brunnhuber [CDU/CSU]: Das wäre doch vernünftig! Das ist ein Gebot der Klugheit)


Was wollen Sie mit einer Vertagung eigentlich errei-
chen? Sie wissen ganz genau, dass wir die Vorgaben set-
zen. Das heißt, wenn die Schweiz nicht ratifiziert, greift
die Verordnung. Wir werden es nicht zulassen, dass hier
ein rechtsfreier Raum entsteht, sodass die Verantwortli-
chen des Flughafens Kloten an den Flugplänen nichts än-
dern müssen. Dieser rechtsfreie Raum wird durch eine
Verordnung ausgefüllt.

Mit einer Vertagung würden Sie der Schweiz das Si-
gnal geben, dass wir gesprächsbereit sind. Die Schweiz
würde in neuen Verhandlungen versuchen, die Verträge zu
ändern, sodass sich ihre Lage verbessern würde. Was
glauben Sie eigentlich, zu wessen Lasten sie dies gern tun
würde? Das ginge natürlich zulasten von Südbaden und
der Menschen in dieser deutschen Region.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Birgit Homburger [FDP]: Sie hätten sie nicht abschließen dürfen!)


Wenn hier davon gesprochen wird, dass man etwas
übers Knie bricht, belügt man die Menschen vor Ort. In
dreijährigen Verhandlungen haben wir Folgendes er-
reicht:

Erstens. Die Flugbewegungen in der Region werden in
Zukunft auf 100 000 Anflüge gedeckelt.

Zweitens. Es wurde eine Nachtruhe von 22 bis 6 Uhr
vereinbart. An den Kollegen gerichtet, der sich zu Wort
gemeldet hat, sage ich: Die Menschen in der dortigen Re-
gion würden sich die Finger danach lecken, eine solche
Nachtruhe zu haben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Drittens. Wir haben weiterhin zustande gebracht, dass
eine besonders ausgedehnte Sonn- und Feiertagsruhe von

20 Uhr bis morgens 9 Uhr herrscht. Auch dies zeigt, dass
wir dafür sorgen, mit diesem Staatsvertrag zu einer Ent-
lastung von Südbaden beizutragen. Wir werden nicht auf
Ihr Spiel eingehen, das die alte Regierungskoalition in
den letzten Jahren getrieben hat. Sie haben immer alles
auf den Sankt-Nimmerleins-Tag geschoben. Diesen Ein-
druck habe ich wieder gewonnen. Warum wollen Sie im-
mer alles verschieben? Sie werden keine verbesserten
Bedingungen mit dem Gesprächspartner zustande brin-
gen,


(Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Warten wir es ab!)


der die Lasten zu unseren Ungunsten verschieben will.
Hören Sie sich doch die Diskussion in der Schweiz an.
Wir sind der Meinung, dass wir seit der Vereinbarung von
1984 das erste Mal zu einer Entlastung in der Region
kommen werden.

Sie bauen einen Popanz hinsichtlich der Verfassungs-
mäßigkeit dieses Vertrages auf. Dazu kann man nur sa-
gen: Dieser Vertrag ist vom Justizministerium und vom
Innenministerium geprüft. Keine Frage ist offen geblie-
ben, weil keinerlei Hoheitsrechte abgegeben werden. Das
ist übrigens in Gesamteuropa Usus. Die Deutsche Flugsi-
cherung hat die Flugaufsicht über den gesamten Raum
von München bis Mailand. Auch hier werden keine Ho-
heitsrechte verletzt. Die Schweizer und wir richten uns bei
der Flugaufsicht nach deutschem Recht.


(V o r s i t z : Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms)


Am schlimmsten finde ich, dass Sie den Eindruck ver-
mitteln, Sie nähmen die Interessen dieser Region wahr.
Diese Region ist von Ihnen bisher ignoriert und überhaupt
nicht zur Kenntnis genommen worden. Wir werden heute
über diesen Vertrag abstimmen und damit ein Signal in
Richtung Schweiz senden, dass nach dreijährigen Ver-
handlungen zumindest einer der Vertragspartner ratifizie-
ren wird.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Georg Brunnhuber [CDU/CSU]: Großer Fehler!)


Wir werden über diesen Vertrag im Parlament abstim-
men, damit diese Region eine Entlastung erfährt, von der
sie in den letzten Jahren nur träumen konnte. Ich hätte mir
gewünscht, zu der Zeit, als Sie die Regierung hatten, wäre
der Punkt einer Entlastung der südbadischen Region
durch einen deutsch-schweizerischen Staatsvertrag auf
die Tagesordnung gesetzt worden.


(Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Das können wir noch nachholen!)


Fehlanzeige! Heute sind wir endlich so weit, über diesen
Vertrag abzustimmen und diese Entlastung herbeizu-
führen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Georg Brunnhuber [CDU/CSU]: Eine Verschlimmbesserung!)







(C)



(D)



(A)



(B)


Ich möchte noch kurz auf den Entwurf der Koalition
zum Regionalisierungsgesetz eingehen. Auch in diesem
Bereich sorgen wir uns um die Regionen. Wir haben mit
unserem Koalitionsentwurf ein Zukunftsprogramm für
die Weiterentwicklung des regionalen Verkehrs auf den
Weg gebracht.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir haben seit dem Regionalisierungsgesetz mit der Wei-
terentwicklung des Verkehrs im Bereich des Personenver-
kehrs eine Steigerung von 20 Prozent zu erwarten. Des-
wegen war es uns als Koalitionsfraktionen ein Anliegen,
die Regionen ausreichend auszustatten, um den Verkehr
in den Regionen optimal zu organisieren. Die Länder ha-
ben jetzt die Chance, mit einem Aufkommen von über
6,7 Milliarden Euro und einer Entlastung von 750 Milli-
onen Euro, weil der Bund auf die ihm zustehende Rück-
zahlung verzichtet, sowie einer Erhöhung dieser Mittel
um pro Jahr 1,5 Prozent im Jahr 2007 auf eine Größen-
ordnung von 7,2 Milliarden Euro zu gelangen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Aus diesem Grund können wir solch einem mit heißer
Nadel gestrickten Antrag nicht zustimmen, Herr
Friedrich.


(Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Da haben Sie Recht! Sie haben doch keinen Vertrag unterschrieben! In Sachsen-Anhalt gab es aber einen Minister, der wusste nicht mehr, dass er einen Vertrag unterschrieben hat! Der hieß Heyer! Der kam von Ihnen! Der hat noch nicht mal gewusst, dass er einen Vertrag unterschrieben hat!)


Wir haben den Ländern die Chance gegeben, den Wettbe-
werb und die Qualität im Regionalverkehr zu verbessern.
Sie können nur davon träumen, so etwas zustande zu brin-
gen.

Die Union hat ohnehin keinen Vorschlag eingebracht.
Ich kann verstehen, dass Bayern und Baden-Württem-
berg diesem Vorschlag im Bundesrat nicht folgen kön-
nen; denn in ihrem Antrag ist nicht einmal geregelt, wie
es mit den Nachzahlungen an den Bund weitergehen
soll.

Insofern fordere ich Sie auf, diesem herausragenden
Gesetz und dem Staatsvertrag für die Regionen in
Deutschland zuzustimmen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Wir träumen nicht davon! Wir machen es!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1423709600
Das Wort
hat jetzt die Kollegin Birgit Homburger von der FDP-
Fraktion.


Birgit Homburger (FDP):
Rede ID: ID1423709700
Herr Präsident! Liebe Kol-
leginnen und Kollegen! Die Entscheidung, die heute hier
über den Staatsvertrag mit der Schweiz zur Regelung des
Luftverkehrs getroffen wird, ist aus unserer Sicht falsch.
Sie haben das Thema eben noch einmal erörtert, Frau
Rehbock-Zureich.

Dass wir diese Entscheidung am heutigen Tag treffen,
ist deshalb ein großer strategischer Fehler, weil zwi-
schenzeitlich die zuständige Kommission des schweizeri-
schen Nationalrats den Staatsvertrag abgelehnt hat.


(Karin Rehbock-Zureich [SPD]: Sind wir denn von der Schweiz abhängig? Wir haben unsere Hausaufgaben gemacht! Aber die Schweiz hat das nicht getan!)


– Regen Sie sich doch nicht so auf. – Sie machen insofern
einen großen Fehler, als Sie ankündigen: Wenn die
Schweiz den Staatsvertrag ablehnt,


(Karin Rehbock-Zureich [SPD]: Sie haben elf Jahre auf die Schweiz gewartet!)


dann werden wir mit einer Verordnung eine eigene Rege-
lung treffen.


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das hat der Minister gesagt!)


– Ja, das hat der Minister auch gesagt. Das ist ja prima.

(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Und zwar auf einem anderen Niveau!)


– Auf einem anderen Niveau? Das möchte ich einmal se-
hen, dass irgendetwas von Ihnen Niveau hat, Herr
Schmidt.


(Heiterkeit und Beifall bei der FDP – Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nicht das Niveau, das Sie meinen, Frau Homburger! Das erreiche ich nie!)


Mit der von Ihnen angekündigten Verordnung verhält
es sich so, dass es im Falle einer Ablehnung durch die
Schweiz für die deutsche Seite nur schwer möglich sein
wird, weiter gehende, und zwar an den Interessen der Re-
gion orientierte, deutsche Interessen durchzusetzen.


(Karin Rehbock-Zureich [SPD]: Da sind Sie falsch informiert!)


– Ich bin nicht falsch informiert, sondern es ist der Zwang
des Faktischen, der dann greift. Wenn Sie erst einmal das,
was Sie hier beschließen, akzeptiert haben, wie wollen Sie
dann glaubhaft vermitteln, dass Sie anschließend mehr
bewirken können? Das wird doch nicht gehen, Frau
Rehbock-Zureich.


(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Weil man dann unilateral handeln kann, wo es bilateral nicht geklappt hat!)


Sie haben angeführt, dass Nachverhandlungen zulas-
ten der Menschen gegangen wären und man nicht mehr
habe herausholen können. Wenn aber etwas nicht erreicht
werden kann, wäre es vielleicht besser, keinen Staatsver-
trag abzuschließen. Sie haben gesagt, Sie seien die Ersten




Karin Rehbock-Zureich

23721


(C)



(D)



(A)



(B)


und Einzigen, die das Thema angegangen seien. Aber es
ist doch keine Leistung, das Thema anzugehen, wenn für
die Bevölkerung in der betroffenen Region schließlich et-
was Schlechteres dabei herauskommt!


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist eine Unverschämtheit! Sie wissen gar nicht, was in dem Staatsvertrag steht! Sonst könnten Sie nicht so einen Schwachsinn reden!)


Deswegen ist das nicht akzeptabel. Die Gründe sind hier
bereits genannt worden. Dazu gehört zum einen die Las-
tenverteilung in der Region nach diesem Staatsvertrag,
die nicht stimmig ist und sich zulasten der deutschen Seite
auswirkt, insbesondere was die Warteschleifen angeht.
Das wurde bereits im Detail erläutert.

Zum anderen ist im Staatsvertrag geregelt, dass die
Warteverfahren über deutschem Hoheitsgebiet in der
Regel nur für Anflüge auf die Pisten 14 und 16 genutzt
werden. Das hätte eigentlich präzisiert werden müssen.
Außerdem bedarf es einer strengen Kontrolle. Wenn Sie
allerdings die Luftverkehrskontrolle über weite Teile Süd-
deutschlands der schweizerischen Seite übergeben, dann
frage ich mich, wie Sie das eigentlich kontrollieren wol-
len.


(Reinhard Weis [Stendal] [SPD]: Deutsches Recht ist die Basis der Kontrolle! Sind Sie eigentlich für einen einheitlichen europäischen Luftraum?)


Sie werden es nicht kontrollieren können. Deswegen ist
auch dies ein Punkt, der so nicht akzeptabel ist.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Der dritte Punkt: Frau Rehbock-Zureich, Sie haben ge-
sagt, mit diesem Staatsvertrag würden die Anflüge auf
100 000 beschränkt. Darauf kann ich Ihnen nur sagen: In
Art. 17 dieses Vertrages steht ausdrücklich, dass dem sek-
toriellen Abkommen zwischen der Schweizer Eidgenos-
senschaft und der Europäischen Gemeinschaft Vorrang
eingeräumt wird. Grund dafür ist natürlich, dass nach
Schweizer Erwartungen die Kontingentierung der An-
flüge dadurch hinfällig werden könnte. Damit hat sich die
Schweizer Seite wieder einmal durchgesetzt. Deswegen
fragt man sich, Herr Bodewig, für wen Sie da eigentlich
verhandelt haben.


(Beifall bei der FDP)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1423709800
Frau Kol-
legin Homburger, erlauben Sie eine Zwischenfrage der
Kollegin Rehbock-Zureich?


Birgit Homburger (FDP):
Rede ID: ID1423709900
Herr Präsident, ich bin
beim letzten Satz und will die Kollegen nicht unnötig
durch eine weitere Zwischenfrage aufhalten.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1423710000
Gut, dann
kommen Sie bitte zum Ende.


Birgit Homburger (FDP):
Rede ID: ID1423710100
Ich bin am Ende meiner
Redezeit. Ich habe in Kürze die Argumente vorgetragen;
ausführlicher sind sie hier schon genannt worden. Zu-
sammenfassend stelle ich für die FDP-Bundestagsfrak-
tion fest, dass mit dem Staatsvertrag das Ziel verfolgt wer-
den sollte, die betroffene deutsche Bevölkerung besser zu
stellen. Diesem Ziel wird dieser Staatsvertrag nicht ge-
recht und deswegen werden wir ihn ablehnen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1423710200
Das Wort
hat die Kollegin Renate Blank von der CDU/CSU-Frak-
tion.


Renate Blank (CSU):
Rede ID: ID1423710300
Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Zum Flugverkehr in Baden-Würt-
temberg ist, glaube ich, alles gesagt worden. Der Kollege
Repnik hat das ausführlich dargelegt.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)


Deshalb komme ich zurück zur Novellierung des
Fernstraßenbauprivatfinanzierungsgesetzes. Die No-
vellierung wäre aus unserer Sicht zwar notwendig, jedoch
hat die Anhörung gezeigt, dass der Gesetzentwurf unzu-
reichend und mangelhaft ist – wie halt alles, was von die-
ser Bundesregierung kommt.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Aus Ihrem Mund klingt das fast wie Hohn! – Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Kollegin heißt Zureich, nicht „unzureichend“!)


Sachverständige hätten mehr gehört werden sollen; aber
nein, man paukt das Gesetz ganz schnell durch. Eigentlich
sollte die Änderung des Gesetzes eine Verbesserung der
Rahmenbedingungen für private Investitionen in die Ver-
kehrsinfrastruktur bringen. Das wird leider nicht der Fall
sein.

Völlig unzureichend sind nach Meinung aller Sachver-
ständigen unter anderem die Festlegungen über die Aus-
richtung der Mautgebühr an den Kosten für Bau, Erhal-
tung und Betrieb und für den weiteren Ausbau der
Strecken, die Berücksichtigung der Eigenkapitalverzin-
sung und die Laufzeit der Konzessionen, um die Ge-
bühren solide kalkulieren zu können. Natürlich ist es auch
ein Unterschied, ob eine Kommune oder das Land Kon-
zessionsgeber ist.

Ein weiterer, aber für Parlamentarier wichtiger Kri-
tikpunkt: Durch die Festlegung privat zu finanzierender
Projekte durch eine separat von der Bundesregierung zu
erlassende Rechtsverordnung nur im Einvernehmen mit
der betroffenen Landesregierung ist die Beteiligung des
Parlaments abgeschafft. Sie, meine Damen und Herren
von Rot-Grün, können sich die Ausschaltung des Parla-
ments ja gefallen lassen. Unser Politikstil und unser Ver-
ständnis von Demokratie ist dies auf keinen Fall.

Wenn Sie mir nicht glauben, verweise ich auf die Aus-
sagen des Bundes Naturschutz und des Verkehrsclubs
Deutschland in der Anhörung – bestimmt keine Verbände,
die uns besonders nahe stehen. Beide sagten übereinstim-




Birgit Homburger
23722


(C)



(D)



(A)



(B)


mend – Sie können das im Wortprotokoll nachlesen –,
dass dem Deutschen Bundestag die Entscheidungshoheit
und Kontrolle darüber entzogen wird, wie die Verkehrs-
infrastruktur weiterentwickelt werden soll.

Meine Damen und Herren, nun zu unserem Antrag zur
Finanzierungssicherheit für den Bundesfernstraßenbau
über das Jahr 2002 hinaus. Es nützt überhaupt nichts,
wenn Verkehrsminister Bodewig – vom Bundeskanzler
nicht mehr erwähnt, was Bände über Ihre Qualität spricht,
Herr Minister – sagt, dass die Bundesregierung in den
nächsten zehn Jahren rund 90 Milliarden Euro in die Ver-
kehrswege investieren wird.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das spricht nur Bände mit Blick auf Ihre Qualität!)


Das klingt zunächst ganz schön, doch pro Jahr ist dies we-
niger als in den Jahren bis 1998. Sie wollten doch alles
besser machen, aber es ist alles schlechter geworden,
meine Damen und Herren von Rot-Grün.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: So ein Quatsch!)


Zum Beispiel der Bundesverkehrswegeplan ist ein
wahres Trauerspiel.


(Dr. Margrit Wetzel [SPD]: Das ist alles noch von Ihnen gemacht!)


Vollmundig versprachen Sie, Sie wollten ihn im Jahr
1999, spätestens im Jahr 2000 vorlegen. Es hat zwar et-
was gedauert, bis Sie gemerkt haben, dass die Projekte der
Länder, auch der rot-grün regierten Länder, eine Riesen-
summe erfordern und Sie sich nicht dem Vorwurf der von
Ihnen ständig gepredigten Unterfinanzierung – heute wie-
der von der Kollegin Wetzel – des Bundesverkehrswege-
plans aussetzen wollten.


(Sabine Kaspereit [SPD]: Recht hat sie!)

Flugs verschiebt man die Vorlage auf das Jahr 2003.

Es ist wirklich eine Lachnummer, wenn Minister
Bodewig am vergangenen Mittwoch – die Kollegin Wetzel
hat das heute auch getan – von einer Unterfinanzierung
spricht. Wann begreifen Sie endlich, dass es sich um einen
Bedarfsplan und nicht um einen Finanzplan handelt?


(Dr. Margrit Wetzel [SPD]: Aber Erwartungen werden geweckt!)


Minister Bodewig, Sie müssen sich auch nicht mehr an-
strengen, dies zu lernen; denn nach dem 22. September
werden Sie nicht mehr im Amt sein.


(Widerspruch bei der SPD)

Der Minister sprach auch von neuen Raumordnungs-

kriterien, die neu zur Bewertung von Projekten herange-
zogen würden. Es wurde schon immer unter raumord-
nerischen Gesichtspunkten geplant. Auch zu unserer Zeit
wurde nicht im luftleeren Raum geplant.

Der Minister sprach auch davon, dass 15 Prozent der
Mittel aus dem Anti-Stau-Programm nach Bayern gin-
gen. Herr Minister Bodewig, mit der Aufteilung der Mit-
tel aus Ihrem Anti-Stau-Programm auf die Bundesländer
– das gilt auch für andere Programme – sind Sie vom ur-

sprünglichen Schlüssel abgewichen; denn Bayern – daran
muss ich Sie offenbar erinnern – stehen eigentlich
19,2 Prozent und Nordrhein-Westfalen – aus diesem Bun-
desland stammen Sie – 26,5 Prozent der Mittel zu. Sie ha-
ben den Schlüssel willkürlich verändert und die Mittel aus
Ihrem Anti-Stau-Programm so aufgeteilt, dass Bayern nur
noch 15 Prozent und Nordrhein-Westfalen 32,2 Prozent
erhält. Sie sind also vom ursprünglichen Aufteilungs-
schlüssel radikal abgewichen.

Da man uns keinen neuen Bundesverkehrswegeplan
und im Jahr 2000 auch kein Fünfjahresprogramm vorle-
gen konnte, begannen die Verkehrsminister Müntefering,
Klimmt und Bodewig mit ihren großen Verwirrspielen,
bei denen so ganz nebenbei die Mittel für den Straßen-
bauhaushalt gekürzt wurden. Zuerst wurde ein Investi-
tionsprogramm vorgelegt, das Klarheit bringen sollte. Es
war aber nur ein Programm zur Fortführung der von uns
bereits begonnenen Maßnahmen. Es gab keine müde
Mark mehr. Im Gegenteil: Es erfolgte eine Kürzung um
5 Milliarden DM.

Dann kam das Zukunftsinvestitionsprogramm, das
aus den UMTS-Lizenzerlösen gespeist wurde. Dass Sie
damit die Straßenbaumittel um 2,7 Milliarden DM er-
höhen konnten, war nicht Ihr Verdienst, sondern ist auf
unsere Vorarbeiten zurückzuführen.


(Zuruf von der SPD: Aber wir haben es gemacht! Wir hätten sie ja auch anders einsetzen können! Aber wir haben sie in die Verkehrsinfrastruktur investiert!)


Es fehlen bis Ende 2002 – rechnen Sie ruhig nach – aber
noch immer 2,2 Milliarden DM.

Der dritte Akt im Verwirrspiel war das Anti-Stau-Pro-
gramm. Es war ein reines Täuschungsmanöver; denn das
Anti-Stau-Programm kann ja erst mit der Einführung der
LKW-Maut in Kraft treten. Das wird frühestens Mitte
2003 sein, wenn überhaupt.

Im vierten Akt des Verwirrspiels dürfen wir ein Maß-
nahmenpaket mit dem neuen Namen „Bauen jetzt – In-
vestitionen beschleunigen“ bestaunen.


(Dr. Margrit Wetzel [SPD]: Das ist besser als die Luftnummer, die Sie vorgelegt haben!)


Jetzt werden plötzlich weitere private Konzessionsmo-
delle aus dem Hut gezaubert, die man nun Betreibermo-
delle nennt. Konzessionsmodelle dürfen sie natürlich
nicht heißen; denn diese wurden ja noch bis kurz vor Er-
scheinen des Maßnahmenpakets abgelehnt. Es ist also nur
ein neuer Name. Mehr Geld für den Straßenbau gibt es
nicht.


(Dr. Margrit Wetzel [SPD]: Das ist doch nicht wahr!)


Am vergangenen Mittwoch hat der Verkehrsminister
mit großem Getöse einen Sachstandsbericht zu den Ver-
kehrsprojekten „Deutsche Einheit“ vorgestellt. Er müsste
der Regierung Kohl eigentlich sehr dankbar sein, dass sie
so vorausschauend war, die 17 Verkehrsprojekte „Deut-
sche Einheit“ mit einem Volumen von rund 60 Milliarden
in die Wege zu leiten.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)





Renate Blank

23723


(C)



(D)



(A)



(B)


Das war hervorragende Politik für die Menschen, für das
Zusammenwachsen der alten und neuen Bundesländer so-
wie für das Wirtschaftswachstum und die Arbeitsplätze.
Herr Minister, Sie haben also etwas verkündet, was im
Grunde genommen die alte Bundesregierung auf den Weg
gebracht hat.

Auf das Trauerspiel beim Verkehrsprojekt „Deutsche
Einheit“ Nr. 8 möchte ich gar nicht eingehen. Das haben
wir ja bereits am vergangenen Mittwoch abgehandelt.

Meine Damen und Herren von Rot-Grün, Täuschen,
Tricksen und leere Versprechungen sind die Markenzeichen
Ihrer Politik. Nach dem 22. September bringen wir wieder
Wahrheit und Klarheit und damit auch Finanzierungs-
sicherheit in die Verkehrspolitik zurück.


(Beifall bei der CDU/CSU – Lachen bei der SPD – Sabine Kaspereit [SPD]: Das habe ich irgendwo schon mal gehört!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1423710400
Ich
schließe die Aussprache.

Bevor wir zu den Abstimmungen kommen, möchte ich
bekannt geben, dass eine Erklärung des Kollegen Thomas
Dörflinger zur Abstimmung nach § 31 der Geschäftsord-
nung vorliegt1, die wir zu Protokoll nehmen, Ihr Einver-
ständnis vorausgesetzt.

Wir kommen zunächst zu Tagesordnungspunkt 27 a:
Abstimmung über den von der Bundesregierung ein-
gebrachten Gesetzentwurf zur Errichtung einer Verkehrs-
infrastrukturfinanzierungsgesellschaft zur Finanzierung
von Bundesverkehrswegen, Drucksache 14/8449. Der Aus-
schuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen empfiehlt in
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 14/9084, den
Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich
bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschus-
sfassung zustimmen wollen, um ihr Handzeichen. – Ge-
genstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist in
zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktio-
nen gegen die Stimmen der anderen Fraktionen ange-
nommen.

Dritte Beratung
und Schlussabstimmung: Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Ge-
genstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist
bei gleichen Mehrheitsverhältnissen angenommen.

Abstimmung über den Entschließungsantrag der Frak-
tion der FDP auf Drucksache 14/9112. Wer stimmt dafür? –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Ent-
schließungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitions-
fraktionen und der PDS bei Zustimmung von FDP und
CDU/CSU abgelehnt.

Tagesordnungspunkt 27 b: Abstimmung über den von
der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur
Änderung des Fernstraßenbauprivatfinanzierungsgeset-
zes und straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften, Druck-

sache 14/8447. Der Ausschuss für Verkehr, Bau- und
Wohnungswesen empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 14/9066, den Gesetzentwurf in der
Ausschussfassung anzunehmen. Diejenigen, die dem Ge-
setzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen,
bitte ich um das Handzeichen. – Gegenstimmen? – Ent-
haltungen? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung
mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die
Stimmen der anderen Fraktionen angenommen.

Dritte Beratung
und Schlussabstimmung: Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Ge-
genstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist
bei gleichen Mehrheitsverhältnissen angenommen.

Tagesordnungspunkt 27 c: Abstimmung über den von
der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur
Änderung des Bundesfernstraßengesetzes, Drucksa-
che 14/8448. Der Ausschuss für Verkehr, Bau- und Woh-
nungswesen empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 14/8911, den Gesetzentwurf anzunehmen.
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen
wollen, um das Handzeichen. – Gegenstimmen? – Ent-
haltungen? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung
mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der FDP und
der PDS bei Gegenstimmen der CDU/CSU-Fraktion an-
genommen.

Dritte Beratung
und Schlussabstimmung: Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Ge-
genstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist
bei gleichen Mehrheitsverhältnissen angenommen.

Tagesordnungspunkt 27 d: Abstimmung über den von
der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Än-
derung des Straßenverkehrsgesetzes und anderer straßen-
verkehrsrechtlicher Vorschriften, Drucksache 14/8766.

Der Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Druck-
sache 14/9059, den Gesetzentwurf in der Ausschussfas-
sung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetz-
entwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um
das Handzeichen. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? –
Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung einstimmig an-
genommen.

Dritte Beratung
und Schlussabstimmung: Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Ge-
genstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist
einstimmig angenommen.

Tagesordnungspunkt 27 e: Abstimmung über den von
der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zu
dem Vertrag vom 18. Oktober 2001 mit der Schweiz über
die Durchführung der Flugverkehrskontrolle über deut-
schem Hoheitsgebiet und über Auswirkungen des Betrie-
bes des Flughafens Zürich auf das Hoheitsgebiet der Bun-
desrepublik Deutschland, Drucksache 14/8731.

Der Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Druck-




Renate Blank
23724


(C)



(D)



(A)



(B)


1 Anlage 4

sache 14/9057, den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte
diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um
das Handzeichen. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? –
Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stim-
men der Koalitionsfraktionen und der PDS angenommen.

Dritte Beratung
und Schlussabstimmung: Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Ge-
genstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist
bei gleichen Mehrheitsverhältnissen angenommen.

Tagesordnungspunkt 27 f: Abstimmung über den von
der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur
Erleichterung des Marktzugangs im Luftverkehr, Druck-
sache 14/8730. Der Ausschuss für Verkehr, Bau- und
Wohnungswesen empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 14/9058, den Gesetzentwurf in der
Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen
wollen, um das Handzeichen. – Gegenstimmen? – Enthal-
tungen? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit
den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der CDU/CSU und
der FDP gegen die Stimmen der PDS angenommen.

Dritte Beratung
und Schlussabstimmung: Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Ge-
genstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist
bei gleichen Mehrheitsverhältnissen angenommen.

Tagesordnungspunkt 27 g: Abstimmung über den von
den Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grü-
nen eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Re-
gionalisierungsgesetzes, Drucksache 14/8781. Der Aus-
schuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen empfiehlt
in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 14/9053,
den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzei-
chen. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetz-
entwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koa-
litionsfraktionen und der PDS gegen die Stimmen von
CDU/CSU und FDP angenommen.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das Geld behalten wir ein!)


Dritte Beratung
und Schlussabstimmung: Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Ge-
genstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist
bei gleichen Mehrheitsverhältnissen angenommen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir kommen nun zum Entschließungsantrag der Frak-
tion der FDP auf Drucksache 14/9113. Die Fraktion der
FDP hat beantragt, den Entschließungsantrag zur feder-
führenden Beratung an den Ausschuss für Verkehr, Bau-
und Wohnungswesen und zur Mitberatung an den Aus-
schuss für Wirtschaft und Technologie sowie an den
Haushaltsausschuss zu überweisen. Die Fraktionen der
SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen verlangen hin-
gegen sofortige Abstimmung.

Nach ständiger Übung geht die Abstimmung über ei-
nen Überweisungsvorschlag vor. Ich bitte diejenigen, die
dem Überweisungsvorschlag der Fraktion der FDP zu-
stimmen wollen, um das Handzeichen. – Gegenstimmen? –
Enthaltungen? – Der Überweisungsvorschlag ist mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Zustimmung von
CDU/CSU, FDP und PDS abgelehnt.

Damit stimmen wir jetzt über den Entschließungs-
antrag in der Sache ab. Wer stimmt dafür? – Gegenstim-
men? – Enthaltungen? – Der Entschließungsantrag ist mit
den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Zustimmung
der anderen Fraktionen abgelehnt.

Tagesordnungspunkt 27 h: Abstimmung über die Be-
schlussempfehlung des Ausschusses für Verkehr, Bau-
und Wohnungswesen auf Drucksache 14/8820 zu dem
Antrag der Fraktion der CDU/CSU mit dem Titel „Finan-
zierungssicherheit für den Bundesfernstraßenbau über das
Jahr 2002 hinaus“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag
auf Drucksache 14/7146 abzulehnen. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? –
Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist bei Ge-
genstimmen der CDU/CSU-Fraktion mit den Stimmen
aller anderen Fraktionen angenommen.

Zusatzpunkt 21: Abstimmung über die Beschlussemp-
fehlung des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Woh-
nungswesen auf Drucksache 14/9082 zu dem Antrag der
Fraktion der FDP mit dem Titel „Fairen Wettbewerb im
Luftverkehr bewahren – Sicherheit erhöhen“. Der Aus-
schuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/7157 ab-
zulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? –
Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die Beschlussemp-
fehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und
der PDS-Fraktion bei Gegenstimmen der Fraktionen der
CDU/CSU und der FDP angenommen.

Zusatzpunkt 22: Abstimmung über die Beschlussemp-
fehlung des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Woh-
nungswesen auf Drucksache 14/9083 zu dem Antrag der
Fraktion der FDPmit dem Titel „Anti-Stau-Programm für
Europas Luftverkehr“.


(Karin Rehbock-Zureich [SPD]: Der Staatsvertrag lässt grüßen! – Gegenrufe von der CDU/ CSU und der FDP)


Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksa-
che 14/3188 abzulehnen.


(Unruhe)

– Wir sind in der Abstimmung, meine Damen und Herren.

Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussemp-
fehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und
der PDS-Fraktion bei Gegenstimmen von CDU/CSU und
FDP angenommen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 28 a und 28 b auf:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Jörg van

Essen, Rainer Funke, Dr. Edzard Schmidt-Jortzig,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Opferrechte stärken und verbessern




Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms

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(C)



(D)



(A)



(B)


– Drucksache 14/7832 –
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss (f)

Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe

b) Erste Beratung des von den Abgeordneten Norbert
Geis, Volker Kauder, Dr. Jürgen Gehb, weiteren
Abgeordneten und der Fraktion der CDU/CSU
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zurÄnde-
rung des Jugendgerichtsgesetzes
– Drucksache 14/8788 –
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen, wobei die
Fraktion der FDP sieben Minuten erhalten soll. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat für
den Antragsteller der Kollege Jörg van Essen das Wort.


Jörg van Essen (FDP):
Rede ID: ID1423710500
Herr Präsident! Liebe Kolle-
ginnen und Kollegen! Es ist wirklich an der Zeit, dass wir
im Plenum des Deutschen Bundestages wieder eine De-
batte über die Stärkung der Opferrechte führen. Wir be-
schäftigen uns sehr oft mit Tätern. Wir machen uns Ge-
danken darüber, wie es in den Strafvollzugseinrichtungen
des Landes aussieht. Das und viele andere Dinge sind mit
Tätern verbunden. Viel zu wenig beschäftigen wir uns mit
den Opfern.

Das hat sich zuletzt beispielsweise bei der Debatte über
die Konsequenzen aus dem Anschlag in Djerba gezeigt. In
dem Zusammenhang wurde ein berechtigter Antrag mit
dem Ziel, die Möglichkeiten der Verfolgung von Tätern
zu verbessern, eingebracht. Meine Fraktion hatte als ein-
zige einen Antrag eingebracht, der sich auch mit den Op-
fern beschäftigt hat. Die Opfer versuchen im Augenblick
durch eine Klage gegen den tunesischen Staat, Schaden-
ersatz zu bekommen. Experten haben in den Medien mit-
geteilt, dass die Aussichten dafür eher gering sind. Das
macht deutlich, dass wir in einer Verpflichtung sind, insbe-
sondere die Rechte von Opfern zu stärken, beispielsweise
durch eine Erweiterung des Opferentschädigungsgeset-
zes, wie wir es in diesem Zusammenhang vorgeschlagen
haben.


(Beifall bei der FDP)

Damit bin ich bei meinem ersten Thema. Das Opfer-

entschädigungsgesetz ist viel zu wenig bekannt. Die Mög-
lichkeiten, die das Opferentschädigungsgesetz bietet,
könnten viel intensiver genutzt werden. Deshalb ist die For-
derung, die Menschen über die rechtlichen Möglichkeiten
besser zu unterrichten, ein Bestandteil unseres Antrags.

Baden-Württemberg hat nach meiner Auffassung et-
was ganz Hervorragendes getan, was ich in diesem Zu-
sammenhang ansprechen möchte, weil es nicht nur um ge-

setzgeberische Maßnahmen geht, sondern beispielsweise
auch um das, was mein Parteifreund, der baden-württem-
bergische Justizminister Goll, getan hat. Er hat dafür ge-
sorgt, dass Referendare, die eine Ausbildung zum Juristen
machen, eine Zeit lang im Gericht Opfern beistehen, sie
über die Möglichkeiten unterrichten, die sie haben, und
sie auf die Hauptverhandlung vorbereiten. Damit wird das
Bild, das viele Opfer haben, nämlich dass sie im gericht-
lichen Verfahren nicht ernst genommen werden, ein biss-
chen zu korrigieren versucht. Ich glaube, dass das ein
ganz hervorragender Ansatz ist.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Was das Ziel angeht, dass die Opfer im Verfahren ernst

genommen werden, sehen wir weiteren gesetzgeberi-
schen Handlungsbedarf bei der Möglichkeit des Opfer-
anwalts im Jugendgerichtsverfahren. Das ist etwas,
was auch die CDU/CSU in ihrem Antrag fordert. Ich
glaube, dass die Begründungen dafür, dass wir das bisher
ausschließen, nicht wirklich überzeugen; denn das Ju-
gendgerichtsverfahren ist bewusst pädagogisch angelegt.
Ich finde es richtig, dass es so ist. Was die richterlichen
Maßnahmen anbelangt, so gibt es dort eine Klaviatur, auf
der gespielt werden kann. Sie ist sehr viel breiter, als das
bei Verfahren für Erwachsene der Fall ist, und kann damit
auch punktgenauer sein.

Es tut Jugendlichen doch gerade gut, wenn sie viel in-
tensiver merken, welche Auswirkungen ihre Tat hat.
Wenn dem Opfer ein Opferanwalt zur Seite steht, der dafür
sorgt, dass die Interessen des Opfers, beispielsweise aber
auch die Folgen, die beim Opfer eingetreten sind, im Ver-
fahren besser deutlich werden, dann ist das ein Gewinn. Ein
Jugendlicher bekommt so mit, was er angerichtet hat. Das
ist ein Teil der pädagogischen Bemühungen im Jugend-
gerichtsverfahren. Von daher würde ich mich sehr freuen,
wenn wir dabei zu Verbesserungen kommen könnten.

Ein weiterer, auch für mich wichtiger Punkt ist, dass
eine Tat häufig Auswirkungen hat, die nicht nur das ei-
gentliche Opfer betreffen, sondern weit darüber hinaus-
gehen. Wer einmal, wie ich es in meiner dienstlichen
Tätigkeit als Oberstaatsanwalt erlebt habe, eine Todes-
nachricht überbringen musste, weil ein Familienmitglied,
beispielsweise ein Mädchen, ermordet worden ist, der
weiß, dass das Leben der Familie, deren Mitglied ermor-
det worden ist, nie wieder so sein wird wie vorher.

Viele Familienangehörige brauchen noch jahrelang
fachkundige Betreuung durch Psychologen und Psychia-
ter. Wir wollen, dass diese Betreuung in Zukunft finan-
ziert werden kann, wenn eine Notwendigkeit dazu be-
steht. Denn diese Familienangehörigen sind mittelbare
Opfer dieser Tat. Sie haben deshalb Anspruch auf unsere
Unterstützung.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich bitte, dass wir auch in diesem Punkt in eine offene Dis-
kussion eintreten. Wir haben nämlich auch hier eine Ver-
pflichtung.

Wir haben mit unserem Antrag viele der Anregungen,
die die Opferschutzorganisation „Weißer Ring“ aufge-




Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
23726


(C)



(D)



(A)



(B)


stellt hat, aufgegriffen. Wir müssen zu einer neuen und
stärkeren Berücksichtigung der Anliegen der Opfer kom-
men, wie es in der vergangenen Legislaturperiode unter
dem liberalen Justizminister Edzard Schmidt-Jortzig
möglich war. Wir haben in dieser Zeit erhebliche Verbes-
serungen der Opferrechte geschaffen.

Ich denke beispielsweise an die Möglichkeit einer
Videoaufnahme der Vernehmung von Kindern, sodass
Kinder nur einmal aussagen müssen und nicht immer wie-
der die Erinnerung an die schwere Tat hochkommt. Ich
denke ferner an die Möglichkeit, Vernehmungen aus dem
Nachbarzimmer zu übertragen, was insbesondere den
Frauen hilft, die Opfer einer Sexualstraftat geworden sind
und die deshalb häufig die unmittelbare Nähe des Täters
bei der Zeugenvernehmung nicht ertragen können, wofür
ich viel Verständnis habe.

Leider werden diese Möglichkeiten viel zu wenig an-
gewandt. Deshalb will ich die heutige Debatte nutzen, an
meine Kollegen in der Justiz zu appellieren, von diesen
gesetzlichen Möglichkeiten mehr Gebrauch zu machen,
als das bisher der Fall ist, um die Opfer in einem höheren
Maße zu schonen. Die gesetzlichen Möglichkeiten dazu
haben wir geschaffen.


(Beifall bei der FDP)

Die Debatte zeigt, dass ein Teil der Maßnahmen außer-

halb des Gesetzgebungsverfahrens liegt. Als eine denk-
bare organisatorische Maßnahme nenne ich beispiels-
weise die Einschaltung von Referendaren bei der
Opferbetreuung. Es besteht aber auch die Notwendig-
keit, gesetzliche Schritte einzuleiten. Unser Antrag soll
dazu ein Anstoß sein. Wir freuen uns auf die Diskussion
zu diesem Thema mit den anderen Fraktionen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1423710600
Das Wort
hat jetzt die Kollegin Margot von Renesse von der SPD-
Fraktion.


Margot von Renesse (SPD):
Rede ID: ID1423710700
Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Die außergerichtlichen Vorschläge,
die Sie gemacht haben, sind durchaus diskutabel. Sie ha-
ben aber selber gesagt, dass in manchen Fällen nicht un-
bedingt eine Gesetzes-, sondern eine Praxisänderung er-
forderlich ist. Dazu gehört selbstverständlich auch mehr
Sensibilität im Umgang mit Opfern und ihren Angehöri-
gen. Ein Richter oder eine Richterin, die wissen, was an-
gebracht ist, werden auf bestehende Ansprüche hinwei-
sen, auch wenn das nicht zu ihrem Verfahren gehört. Sie
haben aber völlig Recht, dass man effektiver dafür eintre-
ten kann, von dieser Möglichkeit Gebrauch zu machen.

Ich will mich jetzt mit dem befassen, was an Gesetzes-
änderungen von Ihnen, Herr Kollege van Essen, und von
der CDU/CSU hinsichtlich der Nebenklage im Jugend-
gerichtsverfahren vorgeschlagen worden ist. Ich denke,
dass wir alle der Auffassung sind – das haben Sie betont,
Herr van Essen –, dass das Jugendgerichtsverfahren – wir
reden von den 14- bis einschließlich 17-Jährigen – in der
Tat ein pädagogisches Verfahren sein muss und sein soll.

Wenn wir uns anschauen, welchen Sinn die Neben-
klage für sich genommen hat – ihr Sinn im Jugend-
gerichtsverfahren wird gesondert zu prüfen sein –, und
wenn man sich fragt, welchem Interesse sie dient, dann
muss man sagen, dass sie nicht dem Schutz vor kriminel-
len Handlungen – so sieht es die CDU/CSU; das wird in
ihrem Gesetzentwurf deutlich –, sondern der Durchset-
zung eines Genugtuungsinteresses dient.

Der Nebenkläger kann mit seinen Beiträgen sicher zur
Aufklärung verhelfen. Er hat aber in erster Linie Antrags-
rechte und Verfahrensrechte, die ihm die Möglichkeit ge-
ben, eigene Strafanträge zu stellen. Das aber ist ein Problem
im Jugendgerichtsverfahren. Ich kenne keinen erfahrenen
Jugendrichter und keine erfahrene Jugendrichterin, die das
Instrument der Nebenklage im Jugendgerichtsverfahren für
sinnvoll halten, und zwar gerade deswegen, weil der Ne-
benkläger eben nicht ein pädagogisches Interesse hat. Ab-
gesehen von dem von der CDU/CSU vorgeschlagenen Ad-
häsionsverfahren geht es ihm im Wesentlichen darum,
dass sein verletztes Rechtsgefühl durch die Bestrafung
wieder hergestellt wird. Herr van Essen, das können Sie
in jedem Strafrechtsbuch nachlesen.

Das ist aber nicht der Sinn des Jugendgerichtsverfah-
rens. Der Jugendrichter ist sozusagen der Erzieher in
Robe. Nachdem sich das unmittelbare soziale Umfeld ei-
nes Jugendlichen – mitunter aufgrund von Gleichgültig-
keit oder Überforderung – nicht hat durchsetzen können,
ist es der Richter, der dem Heranwachsenden deutlich zu
machen hat, wo die Grenzen sind und dass diese Grenzen
ernst zu nehmen sind. Das heißt, der Richter muss in der
Hauptverhandlung – sie muss ein Teil des Prozesses sein,
in dem der richtige Weg gefunden und der falsche Weg
verlassen werden soll – an den jungen Menschen heran-
kommen. Das geschieht bei jungen Menschen – darin sind
wir uns sicher einig – einerseits durch Konsequenz.

Viele kriminelle Karrieren junger Menschen verdan-
ken wir der Tatsache, dass manche Jugendrichter und
-richterinnen glauben, jungen Menschen durch allzu
große Nachsicht helfen zu können.


(Jörg van Essen [FDP]: Richtig!)

Es kommt zu einer Immunisierung: erste Verwarnung,
erster Wochenendarrest, Dauerarrest; das endet dann bei
ernsthaften Strafen. Das ist fast so, als würde man die Ju-
gendlichen durch Impfungen immunisieren.


(Jörg van Essen [FDP]: Richtig!)

Rechtzeitig klar zu machen, dass, wer einen anderen

schädigt, eigenen Schaden riskiert, ist ungeheuer wichtig.
Aber: Konsequenz kommt bei jungen Menschen – Frau
Falk, Sie wissen das bestimmt – nur an, wenn sie mit Zu-
wendung kombiniert ist. Ich rede nicht von der weichen
Welle, sondern davon, dass der junge Mensch während
der Zeit der Hauptverhandlung das Gefühl haben muss,
der wichtigste Mensch auf der Welt zu sein; denn alles,
was als Drohgebärde ankommt, wird als Vernichtungs-
wille und Rachsucht verstanden. In diesem Alter weckt
das insbesondere bei Jungen Trotz, Ablehnung und mit-
unter sogar Rachsucht.

Wir klagen mit Recht darüber, dass wir bei jungen
Menschen Gewaltbereitschaft, emotionslose Kälte und




Jörg van Essen

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(C)



(D)



(A)



(B)


fehlende Empathie feststellen. Sie sagen mit Recht: Die
Tatsache, dass der Verletzte bei der Hauptverhandlung da-
bei ist, kann pädagogisch sinnvoll sein. Nach geltendem
Recht ist das bereits jetzt möglich. Er kann lediglich nicht
seinerseits als Nebenkläger ein Verfolgungsinteresse mar-
kieren, jedenfalls nicht durch Verfahrensanträge. Der
Richter kann etwas ausbremsen, wenn es überhand
nimmt.

Der Empathielosigkeit, die in vielen Fällen das große
Problem ist – nicht Brutalität, sondern Herzlosigkeit sowie
das Fehlen von Mitgefühl und sozialer Fantasie –, können
wir nur durch eine Änderung unseres eigenen Verhaltens
entgegentreten. Jugendliche werden nur in der Lage sein,
Empathie zu empfinden, wenn sie sie erlebt haben.

Ich halte viel davon, den Waffenbesitz junger Leute
einzuschränken. Ich halte viel davon, dass wir auch etwas
gegen die „Computerballerspiele“ unternehmen. Wir wis-
sen aber, dass diese Spiele auf den einen so und auf den
anderen so wirken. Entscheidend ist, ob die Persönlich-
keit defizitär oder geglückt ist. Defizitär ist die Persön-
lichkeit dann, wenn junge Menschen keine Empathie er-
fahren haben, wenn sie nicht erlebt haben, dass sie – so
wie sie sind – die wichtigsten Menschen der Welt sind,
zunächst für ihre Eltern und später für ihr weiteres sozia-
les Umfeld. Wie viel Brutalität erleben die Jugendlichen
eigentlich von den Erwachsenen?

An dieser Stelle will ich ein Wort zu dem herzlosen
Thüringer Schulrecht sagen. Ich habe bereits vor eini-
gen Jahren davon gehört. Schon damals war ich erschüt-
tert. Ich dachte: Um Gottes willen, was geht in einem
Schulversager angesichts eines solchen Rechts vor? Wir
wissen, dass das Thüringer Schulrecht nicht die einzige
Ursache der Schreckensereignisse von Erfurt war. Es gibt
eine Kette von Ursachen; aber in diese Kette gehört sicher
auch das hinein. Die Brutalität, die die Jugendlichen er-
fahren, geschieht vonseiten der Erwachsenen häufig aus
Gedankenlosigkeit und Gleichgültigkeit. Sie ist aber
äußerst gefährlich.

Erlauben Sie, dass ich daran erinnere, dass im Zusam-
menhang mit der Diskussion um eine mögliche Abschaf-
fung der Wehrpflicht beklagt wurde, dass uns dann die
Zivis fehlen würden. Sofort sprachen Politiker, auch Bun-
destags- und Landtagsabgeordnete, von einer Dienst-
pflicht für junge Leute, und zwar nach dem Motto: Wir
haben es ja. Wir gehen davon aus, dass uns junge Leute
wie eine Verfügungsmasse zur Verfügung stehen, und wir
gehen über ihre Interessen gedankenlos hinweg. Wir den-
ken nicht daran, dass gerade die Zeit der Jugend das Kost-
barste ist, was junge Menschen haben, weil sie sich auf
den internationalen Konkurrenzkampf vorbereiten müs-
sen, in den sie, da sie aus Deutschland kommen, sowieso
verspätet eintreten.

Ich kündige an, dass ich gemeinsam mit Rita Süssmuth
eine Initiative ergreifen werde, die deutlich machen wird,
dass wir die Menschen während ihrer Jugendzeit schonen
wollen.

Zurück zum Jugendgericht: Nein, die Nebenklage hat
dort nichts verloren. Der Verletzte ja, aber das bedarf kei-
ner Rechtsänderung. Jugendrichter müssen konsequent

und zugewandt sein. Nur dann vermitteln sie, was rech-
tens ist. Nur dann kann ein junger Mensch das Recht ler-
nen nach dem alten Grundsatz, den Goethe schon aufge-
stellt hat: „Man lernt nur kennen, was man liebt.“ Man
lernt nicht kennen, was mit Abweisung und kalter Zurück-
weisung daher kommt.

Jugendrichter haben eine schwierige Aufgabe. Weit
über das Juristische hinaus brauchen sie menschliches
Geschick, Einfühlungsvermögen und soziale Fantasie.
Das ist ein außerordentlich schwieriger Job, wenn man an
die Verantwortung denkt, die damit verbunden ist. Sie
sind im Leben eines jungen Menschen in der Regel selten
vorkommende Ereignisse und von daher weichenstellend.
Dass ihnen das gelingt, ist unser, wie ich hoffe, gemein-
sames Anliegen. Es kann nicht sein, dass wir nur mit ei-
ner Verwandlung des Jugendgerichtsverfahrens und einer
ständig weiter gezogenen Annäherung an das Erwachse-
nenverfahren darauf reagieren. Das Jugendgerichtsver-
fahren ist pädagogisch und soll es bleiben.

Danke sehr.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1423710800
Das Wort
hat der Kollege Volker Kauder von der CDU/CSU-Frak-
tion.


Volker Kauder (CDU):
Rede ID: ID1423710900
Herr Präsident! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege van
Essen hat zu Recht darauf hingewiesen, dass es gut ist,
dass wir uns hier im Deutschen Bundestag wieder einmal
über den Opferschutz unterhalten, wenngleich auch an ei-
nem späten Termin, an einem Freitagnachmittag vor
Pfingsten. Trotzdem wird von dieser Debatte das Signal in
die Öffentlichkeit gehen, dass wir uns mit den Interessen
der Opfer beschäftigen.

Die Opfer haben im Strafprozess eine leidvolle Ge-
schichte erfahren. Zunächst einmal war das Opfer ledig-
lich Beweismittel im staatlichen Strafprozess. Insbeson-
dere in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts
beschäftigten sich Forschung und Lehre intensiv mit dem
Täter. Ihn schuldangemessen zu bestrafen und zu resozia-
lisieren, waren die zentralen Diskussionsfelder in der
Strafrechtsdiskussion. Ich will nicht behaupten, dass da-
durch das Opfer total aus dem Blick verschwunden ist;
aber es ist nicht zu leugnen, dass sich die Berücksich-
tigung der Opferinteressen nur zaghaft und, Frau von
Renesse, nur gegen massiven Widerstand in Praxis und
Lehre hat durchsetzen können. Den Strafrechtlern war die
angemessene Behandlung und Bestrafung des Täters im-
mer wichtiger als das Interesse des Opfers. So war der
Strafprozess angelegt.


(Margot von Renesse [SPD]: Wir haben damit angefangen, das zu ändern!)


Die Rechtsstellung des Tatopfers im Strafrecht ist in den
letzten Jahren endlich Stück für Stück verbessert worden.
Ich möchte hier insbesondere an das Opferschutzgesetz
von 1986 erinnern, welches wesentlich dazu beigetragen
hat, dass dieser wichtige und lange vernachlässigte Aspekt
des Strafverfahrens deutlicher ans Licht getreten ist.




Margot von Renesse
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(C)



(D)



(A)



(B)


Bis 1998 hat es weitere Gesetzesänderungen gegeben,
mit denen die rechtliche Position der Opfer verbessert
wurde. Heute scheint es nun gesellschaftlicher Konsens
zu sein, dass das Recht des Opfers stärker betont und das
Opfer zum aktiven Teilnehmer im Strafverfahren aufge-
wertet werden muss. Das ist eine ausgesprochen erfreu-
liche Entwicklung und ich danke allen – dieser Dank geht
auch an Justizminister aus der FDP, Herr Kollege van
Essen –, die daran mitgewirkt haben.

Ich freue mich, dass diese Tendenz dem Vorwort der
Opferfibel des Bundesministeriums der Justiz vom
Herbst 2001 ebenfalls zu entnehmen ist. Frau Profes-
sor Dr. Däubler-Gmelin hat sich an dieser Stelle explizit
dafür ausgesprochen, die Interessen der Opfer stärker in
das Zentrum des Strafverfahrens zu rücken. Leider ist
diese Aussage, ist diese Broschüre das einzig greifbare Er-
gebnis der Bemühungen der Bundesjustizministerin zum
Opferschutz gewesen.


(Jörg van Essen [FDP]: Leider ja!)

Außer über den Opferschutz zu reden, ist nichts passiert.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Außer Spesen nichts gewesen!)


– Es ist ein Element der ganzen Rechtspolitik, die wir er-
lebt haben: Es ist viel geredet


(Jörg van Essen [FDP]: Viel angekündigt worden!)


und viel angekündigt worden und wenig, vor allem wenig
Gutes und Erfreuliches, ist dann herausgekommen.


(Jörg van Essen [FDP]: Leider!)

Ich warne aber davor, den Schwung im Opferschutz zu

verlieren. Die Aufgabe ist nämlich noch nicht abge-
schlossen. Noch viele Details im Strafverfahren sind zu
überarbeiten und auf einen effektiven Opferschutz hin
auszurichten. Ich möchte hier nun auf einige offenkun-
dige Lücken im Opferschutz hinweisen, die wir nicht aus
den Augen verlieren dürfen. Da sind zum einen die Mit-
teilungs- und Informationsrechte von Tatopfern. Sie
sind völlig unzulänglich ausgestattet.

Ich gehe davon aus, dass es unstrittig ist, dass ein
Tatopfer berechtigte Interessen haben kann, spezielle In-
formationen zu erhalten, beispielsweise wenn ein Opfer
einer Sexualstraftat erfahren möchte, ob der Täter inhaf-
tiert ist, ob der Haftbefehl außer Vollzug gesetzt wurde
oder wann der Täter Hafturlaub erhält. Für solche Fälle
muss es einen Auskunftsanspruch geben, der eindeutig
Vorrang vor dem Datenschutz des Täters hat.

Auf europäischer Ebene sind Probleme bei der Be-
treuung von Menschen zu klären, die im Ausland Opfer
einer Straftat geworden sind. Darauf wurde heute schon
hingewiesen. Es ist notwendig, dass Deutschland gemein-
sam mit seinen Partnern in der EU rasch wirksame Rege-
lungen erlässt, in denen alle offenen Fragen der Opferent-
schädigung, der Prozessvertretung im Ausland, der
Erstattung von Reisekosten und der Verpflichtung zum
Erscheinen vor ausländischen Gerichten geklärt werden.
Wir haben also wahrlich keinen Anlass, die Hände in den
Schoß zu legen. Es gilt, das Recht weiterzuentwickeln.

Im Strafprozess müssen die bewährten Normen zur
Überführung und angemessenen Bestrafung von Straf-
tätern beibehalten werden. Gleichzeitig aber müssen die
noch immer bestehenden Defizite beim Opferschutz ab-
gebaut werden. Wir haben einen Gesetzentwurf vorgelegt,
mit dem wir einen weiteren Schritt in diese Richtung un-
ternehmen wollen.

Ein erhebliches Defizit beim Opferschutz besteht nach
unserer Auffassung im Jugendstrafverfahren. Hier ist
die Opferposition bislang nicht ausreichend berücksich-
tigt worden. Beim Jugendgerichtsgesetz, Frau von
Renesse, besteht Handlungsbedarf. Es handelt sich zwar,
wie Sie mit Recht sagen, um einen sensiblen Bereich der
Strafrechtspflege; geht es doch um die Bestrafung straf-
fällig gewordener Jugendlicher und Heranwachsender.
Wir müssen also die schwierige Verbindung von Bestra-
fung und Erziehung unter dem Gesichtspunkt des Opfer-
schutzes neu überdenken.

Gerade weil der Gedanke der Erziehung bei der
Bestrafung jugendlicher Straftäter in den Mittelpunkt
gerückt ist, ist dieses Gebiet hinsichtlich des Opfer-
schutzes noch massiv unterentwickelt. Dass der Täter im
Vordergrund steht, erscheint mir nicht falsch zu sein. An-
dererseits darf der Schutz des Täters nicht so weit gehen,
dass das Opfer im Abseits steht. Gerade in einer Zeit, in
der die Straftäter immer jünger werden und die Gefahr,
Opfer von Straftätern zu werden, die noch Jugendliche
oder Heranwachsende sind, ständig steigt, müssen wir uns
dieses Problems annehmen.

Bisher ist nicht hinreichend deutlich geregelt, dass es
im Prozess gegen jugendliche Straftäter, die durch ihr kri-
minelles Verhalten einen anderen Menschen zum Opfer
einer Straftat gemacht haben, neben der eigentlichen Be-
strafung um die Belange des Opfers gehen muss. Auch
wenn wir es hier mit jugendlichen Straftätern zu tun ha-
ben, so muss doch ebenso nach den Anliegen des Opfers
gefragt werden.

Modifikationen im Jugendgerichtsgesetz sind nötig. Wir
haben einen Entwurf für zwei Änderungen vorgelegt, wo-
bei wir uns ausdrücklich – Frau von Renesse, das muss man
betonen – an Vorschlägen des Weißen Ringes orientieren,
der dankenswerterweise unermüdlich auf Fälle eklatanter
Ungleichbehandlung von Tatopfern und Tätern hinweist.

Der erste Punkt betrifft die aktive Rolle des Opfers im
Prozess. Nach dem Jugendgerichtsgesetz steht einem Ver-
letzten bisher zwar ein Anwesenheitsrecht in der nicht öf-
fentlichen Verhandlung gegen den jugendlichen Straftäter
zu. Das Tatopfer ist aber nicht mit eigenen Rechten aus-
gestattet. Seine Interessen und Ansprüche kann es nicht
geltend machen. Das ist nicht angemessen.

Im Verfahren gegen Erwachsene und Heranwachsende
kann das Tatopfer bei Straftaten von Gewicht als Ne-
benkläger zugelassen werden. Das Opfer kann dann aktiv
in den Geschehensablauf der Hauptverhandlung ein-
greifen. Dem Tatopfer stehen unter bestimmten Vorausset-
zungen eine Prozesskostenhilfe und ein Opferanwalt auf
Staatskosten zu.

Dies ist in Strafverfahren gegen Jugendliche bisher
nicht möglich. Auch eine sinnvolle anwaltliche Vertretung




Volker Kauder

23729


(C)



(D)



(A)



(B)


des Tatopfers in der Hauptverhandlung des Jugend-
gerichtsverfahrens ist bisher nicht möglich, da der Opfer-
anwalt nach § 406 g StPO nicht zugelassen ist. Möglich ist
lediglich die Begleitung des Opferzeugen als Zeugenbei-
stand nach §406 f StPO, der beraten und Fragen beanstan-
den darf, weitere Aktivrechte aber nicht beanspruchen kann.
Eine solche Benachteiligung des Tatopfers ist mit einem
modernen Verständnis des Strafprozesses nicht vereinbar.

Es wäre unangemessen, dem vom Erziehungsgedanken
abgeleiteten Schutz des jugendlichen Straftäters eine sol-
che Benachteiligung zu entnehmen. Im Gegenteil: Gerade
einem jugendlichen Straftäter muss durch eine Verbesse-
rung der Rechtsposition des Opfers die Auswirkung sei-
ner Tat mit deutlicher Schärfe vor Augen geführt werden.
Jugendlichen Tätern muss unmissverständlich klar ge-
macht werden, dass das Opfer den besonderen Schutz des
Staates genießt. Gerade jugendliche Täter müssen erken-
nen, dass der Staat den Opfern effektiv beisteht. Dort, wo
es dem Staat trotz gebotener Anstrengung nicht gelingt,
die Menschen vor Straftaten zu schützen, ist der Staat dem
Opfer gegenüber in besonderer Pflicht. Es darf nicht sein,
dass Opferaspekte in Deutschland hinter einem veralteten
Verständnis von Täterschutz zurückstehen.

Eine Nebenklage hat für das Opfer unbestritten eine
Genugtuungsfunktion. Gerade deswegen scheint sie mir
das geeignete Mittel zu sein, um jugendlichen Straftätern
angemessen deutlich zu machen: Das Opfer wird nicht im
Stich gelassen.

Die zurzeit vorhandenen prozessualen Mittel des Ju-
gendstrafverfahrens – die Verhängung von Auflagen und
Weisungen – haben ursprünglich auch die Würdigung der
Opferinteressen zum Ziel gehabt. Sie haben sich aber als
zu schwach und untauglich erwiesen, um die berechtigten
Interessen der Opfer zu vertreten.

Die Einführung der Nebenklage mit der Möglichkeit
des Opfers, auf das Verfahren Einfluss zu nehmen, ist aber
nur der eine Teil unseres Änderungsvorschlages. Der an-
dere betrifft das insgesamt noch immer viel zu selten
genutzte Instrument des so genannten Adhäsionsverfah-
rens.

In Strafverfahren gegen Erwachsene und bestimmte
Heranwachsende besteht für die Opfer die Möglichkeit,
ihre Ansprüche auf Schadenersatz oder Schmerzensgeld
im Strafverfahren geltend zu machen. Auch wenn dieses
Verfahren selten in Anspruch genommen wird, gibt es
Fälle, wo es geradezu hilfreich und dienlich ist. Ich
komme gleich darauf. Damit können die zivilrechtlichen
Ansprüche im Rahmen des Strafverfahrens schnell mit-
entschieden werden. Außerdem sollen die Opfer vor der
erniedrigenden Führung eines gesonderten Zivilprozesses
geschützt werden, in dem das an ihnen begangene Un-
recht erneut aufgerollt werden müsste, um die zivilrecht-
lichen Ansprüche zu begründen.

Bei Jugendlichen und Heranwachsenden, bei denen Ju-
gendstrafrecht zur Anwendung kommt, ist das Adhäsi-
onsverfahren bisher ausgeschlossen. Doch was macht es
für das Opfer für einen Unterschied, ob der Täter Erwach-
sener war oder nicht? Gar keinen.

Ich nenne Ihnen ein bedauerlicherweise realistisches
Beispiel, einen tatsächlichen Fall: Eine 40-jährige, in ei-

ner Stadt bekannte Unternehmerin wird an einem Abend
von drei Jugendlichen im Alter von 17 Jahren vergewal-
tigt. Sie zeigt die Tat an. Die Täter werden ermittelt und
festgenommen. Der Vorgang ist ihr verständlicherweise
peinlich; sie sagt: Es sind alles noch Kinder; ich will nicht,
dass das in der Stadt bekannt wird.

Weil es ein Jugendstrafverfahren ist, hat sie das Glück,
dass – nicht zum Schutz des Opfers, sondern zum Schutz
des Täters – das Verfahren nicht öffentlich ist. Einen be-
rechtigten Schmerzensgeldanspruch kann sie jetzt aber im
Jugendstrafverfahren nicht durchsetzen. Vielmehr wird
sie in die Situation gebracht, ein zivilrechtliches Verfah-
ren durchführen zu müssen, in dem noch einmal die ganze
Geschichte der Vergewaltigung vorgeführt werden muss.
Der Frau kann diese peinliche Situation nicht erspart wer-
den.

In diesem Fall zeigt sich deutlich, dass es – wenn auch
wenige – ganz konkrete Einzelfälle gibt, in denen die Be-
teiligten ein massives Interesse daran haben, dass das Ad-
häsionsverfahren durchgeführt wird, dass der Schaden-
ersatzanspruch im gleichen Verfahren geltend gemacht
werden kann. Es ist nicht einzusehen, dass ein Opfer in ei-
ner solchen Situation schlechter gestellt bleibt, nur weil
der Täter noch nicht volljährig ist.

Darüber hinaus wäre es auch sehr wünschenswert, dass
jugendliche Straftäter durch ein Adhäsionsverfahren in
unmittelbarem Zusammenhang mit der strafrechtlichen
Würdigung ihres Fehlverhaltens auch die materiellen
Folgen der Tat zu spüren bekämen.

Dass die Gerichte dem Adhäsionsverfahren gerne aus-
weichen, ist allen, die damit befasst sind, hinlänglich be-
kannt. Ich möchte auch nicht bestreiten, dass wohl weitere
Gesetzesänderungen notwendig sein werden, um das Ad-
häsionsverfahren im Strafverfahren mehr zur Regel ma-
chen zu können. Dies muss aber unser Ziel sein. Denn die
Vorteile, nicht nur für den Opferschutz, liegen auf der
Hand. Die Zusammenführung aller straf- und zivilrecht-
lichen Aspekte einer Straftat in einem Verfahren begrenzt
die traumatische Belastung des Opfers. Die Abhandlung
der Materie in nur einem Verfahren erfordert keine er-
neute Beweisaufnahme. Überdies entsteht ein Spareffekt
bei der Prozesskostenhilfe. Ein schnellerer Zugriff auf das
Tätervermögen ist ebenfalls möglich.


(Jörg van Essen [FDP]: Sehr richtig!)

Eine stärkere Akzeptanz dieses sinnvollen Verfahrens kön-
nen wir erreichen, wenn wir die Schlupflöcher schließen.
Hier liegt noch Arbeit vor uns.

Einen umfassenden Opferschutz gibt es bis heute nicht.
Wir wollen mit unserem Antrag einen Beitrag dazu leis-
ten, die Situation von Opfern in Deutschland zu ver-
bessern.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1423711000
Als
nächster Redner hat der Kollege Volker Beck vom Bünd-
nis 90/Die Grünen das Wort.




Volker Kauder
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Volker Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1423711100

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren!
Kurz vor Ende der Wahlperiode entdecken hier manche
die Diskussion um den Opferschutz.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Das wäre Pflicht der Regierung gewesen!)


Wir als Koalition mussten nicht auf dieses Thema ge-
stoßen werden. Wir haben in dieser Wahlperiode ein um-
fangreiches Maßnahmenbündel auf den Weg und ins Ge-
setzblatt gebracht, das die Situation von Opfern von
Straftaten maßgeblich verbessert hat.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Wo leben Sie? Leben Sie auf einem anderen Stern? Davon wissen wir alle nichts! Es steht nichts im Protokoll! – Volker Kauder [CDU/CSU]: Beispiele!)


– Die Beispiele werde ich Ihnen jetzt nennen, Herr
Kauder. Ganz zu Beginn der Wahlperiode haben wir dem
Täter-Opfer-Ausgleich im Strafverfahren einen brei-
teren Anwendungsbereich verschafft.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Der stammt doch schon aus 1994!)


– Herr Geis, überwiegend habe ich jetzt das Wort. Zwi-
schenrufe sind okay, aber nicht fortwährend. –


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Wenn Sie es falsch machen, müssen wir es korrigieren! – Margot von Renesse [SPD]: Die Videoaufnahme war von uns!)


Wir haben für geschlagene Frauen und auch für Kinder,
die Opfer von Gewalt oder sexuellem Missbrauch in der
Familie geworden sind, den Opferschutz massiv ver-
bessert. Ich nenne hier das Gewaltschutzgesetz, das
wirklich einen Paradigmenwechsel in diesem Bereich be-
deutet. Das ist echter Schutz von Betroffenen.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Eine Chimäre bringt nichts!)


– Ich glaube, Sie haben sogar zugestimmt. Wenn Sie sa-
gen, es bringe gar nichts, sollten Sie einmal mit Ihrem Be-
richterstatter Pofalla reden. Der hat dazu vernünftige An-
sichten und ist etwas kundiger als Sie mit Ihren auf Nichts
fußenden Zwischenrufen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Norbert Geis [CDU/CSU]: Ihre Äußerungen hier sind konfus! Sie sagen hier die Unwahrheit!)


Wir haben das Kinderrechteverbesserungsgesetz ge-
schaffen. Wir haben die Ächtung der Gewalt in der Er-
ziehung durchgesetzt. Natürlich haben wir auch im Hin-
blick auf eine komplette Reform des Strafverfahrens in
opferrechtlicher Hinsicht wichtige Vorarbeiten geleistet.
Wir werden die Reform in der nächsten Wahlperiode als rot-
grüne Koalition auch auf den Weg bringen und durchsetzen.


(Jörg van Essen [FDP]: In der nächsten! Das zeigt doch, dass Sie in dieser nichts gemacht haben!)


– Herr van Essen, selbst Ihrer Koalition ist nicht alles in
vier Jahren geglückt und gelungen. Man braucht eine Re-
form nach der anderen. Man muss das ja auch vernünftig
machen.

Sie wissen genau, dass wir in dieser Wahlperiode die
Zivilprozessordnung reformiert haben. In der nächsten
Wahlperiode nehmen wir uns die Strafprozessordnung
vor. Sie können das Eckpunktepapier der Koalition ja ein-
sehen. Darin finden Sie Stichpunkte wie den verstärkten
Einsatz der Videotechnik im Strafverfahren,


(Margot von Renesse [SPD]: Das war unser Vorschlag!)


um den Opferschutz bei Mehrfachvernehmungen noch zu
verbessern. Wir wollen auch den Interessen der Ne-
benkläger durch mehr Informationspflichten besser Rech-
nung tragen. Zur Nebenklage berechtigte Zeuginnen und
Zeugen finden das Verfahren weniger belastend, wenn sie
wissen, was auf sie zukommt und welche Rechte sie ha-
ben.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen von der FDP, Ihr
heutiger Antrag ist für die Opfer von Verbrechen nicht
wirklich hilfreich. Würden wir ihn beschließen, würde
sich auch nichts ändern.


(Jörg van Essen [FDP]: Warum stellt dann der Weiße Ring genau diese Forderung? – Volker Kauder [CDU/CSU]: Das sieht der Weiße Ring aber anders!)


Ihr Antrag ist noch nicht einmal ein Gesetzentwurf. Er ist
eine Spiegelstrichsammlung, in der Sie eine Anzahl von
Problemen auf den Tisch des Hauses gelegt haben. Wir
wüssten schon gern genau, wie Sie die Probleme angehen
wollen. Sie wollen zum Beispiel das Adhäsionsverfah-
ren ändern.


(Margot von Renesse [SPD]: Eine prozessuale Leiche!)


Das gibt es ja schon; künftig soll es aber häufiger im Straf-
verfahren angewandt werden. Wir sind wahrscheinlich
alle einer Meinung, dass das sinnvoll ist. Aber wie Sie das
machen wollen, haben Sie nicht beschrieben. Wo ist Ihr
Umsetzungsvorschlag in dem Antrag?


(Jörg van Essen [FDP]: Das ist doch konkret beschrieben! Das steht alles in dem Antrag, lesen Sie es doch nach!)


Das Gute zu wollen reicht nicht aus, man muss sich auch
präzise entscheiden.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Herr Beck hat den Antrag nicht gelesen!)


– Ich habe den Antrag gelesen.

(Jörg van Essen [FDP]: Offensichtlich nicht!)


Es tut mir Leid, er ist leider nicht sehr konkret.
Sollen Strafgerichte künftig auch langwierige Zivil-

prozesse führen, oder sollen sie nur entscheiden, was der
Grundtatbestand ist, um daraus dann den Opfern bessere
Zugriffsmöglichkeiten zu verschaffen? Was ist hier Ihr
Vorschlag? Dazu finde ich nichts.






(C)



(D)



(A)



(B)


Was mich erstaunt – das ist allerdings ein schwieriges
Thema –, ist, dass ich in Ihrem Antrag auch nichts zu dem
zentralen Problem beim Opferentschädigungsgesetz ge-
funden habe: Berechtigtenkreis und Schadensdefinition.
Wenn man schon alle Probleme aufschreibt, dann muss
man auch das Opferentschädigungsgesetz ansprechen. Da
haben wir ein Problem mit den Ländern bezüglich der
Finanzierung, sowohl was den Berechtigtenkreis angeht
als auch, was den Schadensbegriff angeht. Die ganzen
psychischen Schäden, die Traumaschäden, sind alle nicht
Gegenstand im Opferentschädigungsgesetz. Und beispiels-
weise manche Gruppen von Ausländern erhalten als Op-
fer von Straftaten in Deutschland keine Leistungen.


(Jörg van Essen [FDP]: Genau das steht in unserem Antrag drin! – Norbert Geis [CDU/CSU]: Herr Beck hat den Antrag nicht gelesen!)


– Ich habe ihn gelesen, Herr Geis.

(Norbert Geis [CDU/CSU]: Da steht doch alles drin!)

Sie haben ihn gewiss nicht gelesen. Sie lesen noch nicht
einmal unsere Gesetze, die wir hier verabschieden; das
haben Sie ja gerade bewiesen.


(Margot von Renesse [SPD]: Sie haben die Mehrheit im Bundesrat!)


Zweites Themengebiet – dazu liegt uns auch ein Antrag
der Unionsfraktionen vor – ist das Jugendgerichtsver-
fahren. Ich muss sagen, da haben wir sehr grundsätzliche
Differenzen zu dem Lösungsweg, den Sie vorschlagen.
Das Jugendgerichtsgesetz hat gerade im Kern den Er-
ziehungsgedanken, die Jugendlichen wieder auf den Pfad
der Tugend zurückzuführen, indem man mit erziehe-
rischen Maßnahmen, mit Weisungen und Auflagen ver-
sucht, den Jugendlichen das Unrecht der Tat vor Augen zu
führen und durch bestimmte Maßnahmen auch wieder
Empathie zu entwickeln – gerade auch im Bereich des Tä-
ter-Opfer-Ausgleichs – und dann ihr Verhalten für die Zu-
kunft zu korrigieren.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Man kann doch trotzdem die Nebenklage einführen! Das ist doch kein Hindernis!)


– Der Sinn der Nebenklage ist ja gerade, den Strafgedan-
ken, den Sühnegedanken, den Genugtuungsgedanken in
das Strafverfahren einzuführen. Das ist im Erwachsenen-
recht – im Heranwachsendenrecht haben wir das auch –
durchaus angemessen. Das läuft aber dem Grundgedan-
ken des Jugendgerichtsgesetzes mit dem Er-
ziehungsgedanken als zentraler Linie zuwider.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Das ist doch gar nicht wahr, Herr Beck!)


Es wundert mich nicht, dass es von Ihnen kommt, weil
Sie seit Jahr und Tag über Altersgrenzen schwadronieren.
An sich ist Ihnen der Erziehungsgedanke im Jugendge-
richtsgesetz ein Gräuel.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Da kann man nicht mehr zuhören! Ihnen fällt nichts mehr ein!)


Nun kommen Sie mit diesem repressiven Gedanken und
verkaufen ihn uns und der Öffentlichkeit als Opferschutz.

Das ist eine Mogelpackung. Ihnen geht es um Repression
statt um Erziehung. Das wird uns aber im Strafverfahren
nicht weiterbringen.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Sie haben uns nicht verstanden und wollen uns nicht verstehen!)


Das wird den Jugendlichen nicht helfen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1423711200
Herr Kol-
lege Beck, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Kauder?


Volker Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1423711300

Ich glaube, ich erspare uns das heute angesichts der Zeit
und der Tatsache, dass wir noch eine Runde vor uns ha-
ben. Sonst bin ich da ja nicht so.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


Ihr Entwurf läuft auch einem wichtigen Gedanken zu-
wider, den wir immer wieder im Zusammenhang mit Ju-
gendkriminalität äußern – darin sind wir uns einig –: Die
Strafe muss auf dem Fuße folgen, damit der Jugendliche
sein Unrecht einsieht. Mit der Einführung der Nebenklage
und neuer Diskussionen im Verfahren – so kann im Zu-
sammenhang mit der Nebenklage noch einmal in die Be-
rufung und Revision gegangen werden – ermöglichen Sie
es, dass sich das Verfahren lange hinzieht und dem Ju-
gendlichen nicht mehr verständlich ist, dass die Sanktio-
nen noch irgendetwas mit seiner Tat, die ein, zwei oder
drei Jahre zurückliegt, zu tun hat.


(Jörg van Essen [FDP]: Das ist beim Verfahren gegen Erwachsene auch nicht der Fall!)


– Wir wissen doch, dass dies, wenn es zur Anwendung
kommt, zu Verzögerungen führt und Zeit kostet.

Opferschutz ja. Wir müssen im Ausschuss auch wei-
terhin darüber reden, wie wir ihn verbessern können. Hier
ist jede Mühe gerechtfertigt. Wir haben eine Menge getan,
aber es kann nie genug getan werden. Wenn es uns
gelänge, eine überparteiliche Einigung auch mit dem
Bundesrat hinzubekommen,


(Margot von Renesse [SPD]: Das ist es!)

was wir uns im Opferentschädigungsgesetz zusammen
mit den Ländern leisten wollen, fände ich das gut. Wir als
Koalition sind sofort dabei, wenn Sie uns sagen, die
Mehrheit des Bundesrates macht mit. Wir machen das
dann meinetwegen auch noch in den letzten vier Sit-
zungswochen, die vor uns liegen.

Wir wollen als Koalition in der nächsten Wahlperiode
– vielleicht gelingt es uns noch in den nächsten Wochen –
im Rahmen einer Reform des Sanktionenrechtes den Op-
fergedanken in den Mittelpunkt der Überlegungen stel-
len. Dabei würde es mich sehr freuen, wenn Sie sagen
könnten, da machen auch die B-Länder, die CDU- und
FDP-regierten Länder mit. Wir wollen, dass 10 Prozent
der Geldstrafen in Zukunft nicht in den Landeshaushalten




Volker Beck (Köln)

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(C)



(D)



(A)



(B)


verschwinden, sondern für Einrichtungen der Opferhilfe,
die traumatisierte Opfer von Straftaten betreuen, zur Ver-
fügung gestellt werden, damit in diesem Bereich in
Deutschland endlich eine vernünftige Infrastruktur ent-
stehen kann. Das wäre zukunftsweisend. Wenn Sie dabei
mitmachen und uns unterstützen wollen, können wir das
noch in dieser Wahlperiode hinbekommen.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Margot von Renesse [SPD]: Das wäre wichtig!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1423711400
Die Kol-
leginnen Sabine Jünger von der PDS und Erika Simm von
der SPD haben ihre Reden zu Protokoll gegeben.1) Ich
denke, Sie sind damit einverstanden, dass wir sie zu Pro-
tokoll nehmen.

Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf

den Drucksachen 14/7832 und 14/8788 an die in der Ta-
gesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist
so beschlossen.

Ich rufe Zusatzpunkt 23 auf:
– Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-

gierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten
Gesetzes zur Änderung des Gentechnikgesetzes
– Drucksachen 14/8230, 14/8767 –

(Erste Beratung 218. Sitzung)


– Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat
eingebrachten Entwurfs eines ... Gesetzes zur Än-
derung des Gentechnikgesetzes
– Drucksache 14/5929 –

(Erste Beratung 218. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Gesundheit (14. Ausschuss)

– Drucksache 14/9089 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Carola Reimann

Zum Gesetzentwurf der Bundesregierung liegt ein Ent-
schließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU vor.

Alle Reden zu diesem Tagesordnungspunkt sind zu
Protokoll gegeben worden. Sind Sie damit einverstan-
den?2) – Das ist der Fall.

Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung
des Gentechnikgesetzes auf den Drucksachen 14/8230
und 14/8767. Der Ausschuss für Gesundheit empfiehlt un-
ter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache

14/9089, den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung an-
zunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in
der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Hand-
zeichen. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Ge-
setzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen der
Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der übrigen
Fraktionen angenommen.

Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Ge-
genstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist
mit dem gleichen Mehrheitsverhältnis angenommen.

Abstimmung über den Entschließungsantrag der CDU/
CSU auf Drucksache 14/9114. Wer stimmt dafür? – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Entschlie-
ßungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen
und der PDS bei Gegenstimmen der CDU/CSU und der
FDP abgelehnt.

Abstimmung über den vom Bundesrat eingebrachten
Gesetzentwurf auf Drucksache 14/5929 zur Änderung des
Gentechnikgesetzes. Unter Nr. 2 seiner Beschlussemp-
fehlung auf Drucksache 14/9089 empfiehlt der Ausschuss
für Gesundheit, den Gesetzentwurf abzulehnen. Ich bitte
diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um
das Handzeichen. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? –
Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stim-
men aller Fraktionen mit Ausnahme der Unionsfraktion,
die sich enthalten hat, abgelehnt. Damit entfällt nach un-
serer Geschäftsordnung die weitere Beratung.

Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 31 a und b auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeord-

neten Alfred Hartenbach, Margot von Renesse,
Hermann Bachmaier, weiteren Abgeordneten und
der Fraktion der SPD sowie den Abgeordneten
Volker Beck (Köln), Hans-Christian Ströbele,
Kerstin Müller (Köln), Rezzo Schlauch und der
Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zurÄnde-
rung des Gesetzes zur Aufhebung nationalsozi-
alistischer Unrechtsurteile in der Strafrechts-
pflege (NS-AufhGÄndG)

– Drucksache 14/8276 –

(Erste Beratung 221. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsaus-
schusses (6. Ausschuss)

– Drucksache 14/9092 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Margot von Renesse
Dr. Jürgen Gehb
Volker Beck (Köln)

Jörg van Essen
Dr. Evelyn Kenzler

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Rechtsausschusses (6. Ausschuss) zu
dem Antrag der Abgeordneten Dr. Evelyn Kenzler,
Ulla Jelpke, Sabine Jünger, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der PDS




Volker Beck (Köln)


23733


(C)



(D)



(A)



(B)


1) Anlage 8
2) Anlage 9

Aufhebung der nationalsozialistischen Un-
rechtsurteile gegen Deserteure
– Drucksachen 14/5612, 14/8114, 14/9092 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Margot von Renesse
Dr. Jürgen Gehb
Volker Beck (Köln)

Jörg van Essen
Dr. Evelyn Kenzler

Zu dem Gesetzentwurf der Fraktionen der SPD und des
Bündnisses 90/Die Grünen liegt ein Änderungsantrag der
PDS vor.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Als erste Rednerin hat die
Kollegen Margot von Renesse von der SPD-Fraktion das
Wort.


Margot von Renesse (SPD):
Rede ID: ID1423711500
Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Mit Ihrem Einverständnis – auch
wenn Sie gegen den Gesetzentwurf stimmen werden –


(Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Das liegt an dem Entwurf!)


wollen wir die Urteile gegen die Homosexuellen, gegen
die Wehrdienstverweigerer, gegen die Befehlsverweige-
rer – so hieß das damals – und gegen die aufgrund einer
Reihe von Wehrstraftaten nach dem damaligen Wehr-
strafgesetzbuch Verurteilten pauschal aufheben.

Warum wollen wir das tun? Im Rechtsausschuss haben
wir das Wort „kontaminiert“ verwendet. Dies haben wir
nicht etwa getan, weil alle Wehrdienstverweigerer Helden
waren; denn das waren sie nur zum Teil, vielleicht auch
nur zu einem kleineren. Wie Sie wissen, gab es bei den
Preußen die gute Tradition der Befehlsverweigerung.
Diese führte dazu, dass sich die preußischen Offiziere,
Unteroffiziere und sogar auch die Soldaten aufgerufen
fühlten – wie Bürger in Uniform nach den Scharnhorst-
Gneisenauschen Reformen –, mit ihren eigenen Gedan-
ken loyal und kritisch über das nachzudenken, was ihre
Befehlshaber von sich gaben, und sich ein eigenes Urteil
zu bilden. Insofern stand der berühmte General Paulus
– er war eher berüchtigt als berühmt – vor Stalingrad nicht
in der preußischen Tradition.

Nein, die Helden suchen wir nicht. Wir verwenden
auch nicht das häufig genutzte Argument, dass der Zweite
Weltkrieg insgesamt ein Verbrechen war, was natürlich
richtig ist. Darauf können sich nämlich nur diejenigen be-
rufen, die den entsprechenden Durchblick hatten und aus
diesem Grund gehandelt haben. Das waren bei weitem
nicht 100 Prozent der Verurteilten von damals. Wir wol-
len das Desertieren, Befehlsverweigern und alle anderen
Handlungen, die nach dem damaligen Strafgesetzbuch
strafbar waren, nicht auch pauschal für etwas Gutes hal-
ten. Es gab damals nämlich eine Reihe von Taten, die auch
heute, und zwar in jeder Armee der Welt, strafbar sind.
Schließlich wollen wir auch nicht, dass aus denen, die
diese Taten nicht begangen haben, ebenso pauschal Ver-

brecher werden. Unsere Väter und Großväter, die eventu-
ell nicht verweigert haben, sollen deswegen nicht pau-
schal – in welcher Weise auch immer – verdammt werden.

Es geht uns um ein Urteil über die damalige Strafrechts-
pflege. Mein Beispiel ist immer Waldheim. Jedes Verfah-
ren, jede Prozessgestaltung, jedes einzelne Urteil und jede
einzelne Urteilsbegründung dort war kontaminiert.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Das können Sie vom Volksgerichtshof sagen!)


Dies war so rechtswidrig und verstieß so sehr gegen die
minimalen Vorstellungen eines richtigen Verfahrens, dass
wir die Urteile pauschal zu Nichturteilen erklärt haben,
wohl wissend, dass unter ihnen auch manche bösen Bu-
ben waren. Aber die Urteile waren Nichturteile. Das ha-
ben wir damals gemeinsam ausgesprochen.

Allein die Anzahl der damaligen Urteile im Verhältnis
zu der Anzahl der Alliierten ist schon erschreckend. Sie
erinnern sich, dass der von Ihnen benannte Sachverstän-
dige bei der Anhörung die von ihm heruntergespielte, aber
immer noch exorbitant hohe Zahl von Verurteilungen, un-
ter denen eine Unzahl von Todesurteilen waren, etwas wi-
derwillig zugegeben hatte. Allein diese Tatsache spricht
dafür, dass die damalige Wehrstrafgerichtsbarkeit eben
keine richterliche Instanz war. Die Sachverhalte wurden
nicht ermittelt. Den Betreffenden wurde so gut wie kein
rechtliches Gehör gegeben.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Das ist überhaupt nicht wahr!)


Sie wurden während des Verfahrens gequält. Auch dazu
haben wir in der Sachverständigenanhörung ein lebendi-
ges Beispiel gehört.

Ich denke, dass wir gut daran tun, diese Menschen
nicht darauf zu verweisen, im Einzelfall nachweisen zu
müssen, dass sie zu Unrecht verurteilt worden sind. Viel-
mehr kann unser Urteil über diese Gerichte, diese Urteile
und diese Verfahren nur lauten: Dazu stehen wir nicht.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1423711600
Das Wort
hat jetzt der Kollege Dr. Jürgen Gehb von der CDU/CSU-
Fraktion.


Dr. Jürgen Gehb (CDU):
Rede ID: ID1423711700
Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Bereits in der ersten Lesung des vor-
liegenden Gesetzentwurfes habe ich von diesem Platz aus
deutlich gemacht, was unsere Fraktion mittragen kann
und an welcher Stelle wir uns von der Auffassung der Re-
gierungskoalition klar unterscheiden. Diese Unterschei-
dung bleibt auch heute glasklar bestehen.

Der Streit entzündet sich an der pauschalen Aufhebung
von Urteilen, die sich auf Straftatbestände des Militär-
strafgesetzbuches beziehen. Es geht also – ich will an die-
ser Stelle nur den griffigsten Punkt nennen – um die pau-
schale Rehabilitierung aller Deserteure. Um dies gleich
deutlich zu sagen: Wir halten die Pauschalaufhebung die-
ser Urteile für nicht gerechtfertigt.




Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
23734


(C)



(D)



(A)



(B)


Damit gar nicht erst irgendwelche Mythen entstehen
und auch keine bösartigen Fehlinterpretationen vorge-
nommen werden, will ich an ein paar wichtige Aus-
gangspunkte unserer Debatte erinnern. In der letzten
Legislaturperiode ist unter der christlich-liberalen Koali-
tion das Gesetz zur Aufhebung nationalsozialistischer
Unrechtsurteile und im Übrigen auch das Gesetz zur Auf-
hebung der Entscheidungen der Erbgesundheitsgerichte
als NS-Unrecht teils pauschal, teils nach Einzelfallprü-
fung für null und nichtig erklärt worden.

Alle Urteile, die unter Verstoß gegen elementare Ge-
danken der Gerechtigkeit nach dem 30. Januar 1933 zur
Durchsetzung und Aufrechterhaltung des nationalsozia-
listischen Unrechtsregimes aus politischen, militärischen,
rassischen, religiösen oder weltanschaulichen Gründen
ergangen sind, sind aufgehoben worden. Wir haben eine
Generalklausel, die in Verbindung mit einem Kanon eine
Generalaufhebung vorsieht. Daneben haben wir Fälle, wo
die Einzelfallgerechtigkeit Platz greift.

Wir haben damals dieses Gesetz verabschiedet, damit
nicht einmal der Hauch eines Anscheins einer Fortgeltung
von NS-Unrecht besteht. Dabei war uns allen klar – mein
Kollege Norbert Geis hat damals darauf hingewiesen,
dass es unterschiedliche Kategorien gibt –: Es gab typisch
nationalsozialistisches Gesetzesunrecht. Die hierauf ba-
sierenden Urteile waren von vornherein und für jeden er-
sichtlich Unrechtsurteile. Dann gab es Gesetze, die nicht
von den damaligen Machthabern geschaffen worden sind,
aber durch die Rechtsanwendung – Frau von Renesse, Sie
haben es eben gesagt: infizierte Nichturteile – während
der NS-Zeit zu Unrechtsurteilen führten. Und es gab in
diesen Jahren – auch das muss man einmal sagen – eben-
falls rechtmäßige Urteile; sonst hätten sie doch die Alli-
ierten bereits 1945 aufgehoben.


(Margot von Renesse [SPD]: Na, na! – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann hätten Sie das Unrechtsaufhebungsgesetz ja gar nicht verabschieden müssen!)


Das bestehende Gesetz zur Aufhebung von NS-Unrechts-
urteilen hätte dann doch nicht die jetzige Form. Dieses
Gesetz hält, wie ich meine, eine wohlausgewogene Ba-
lance zwischen Pauschalaufhebung und Einzelfallprü-
fung.

Ich habe diesen Exkurs unternommen, weil ich die Be-
fürchtung habe, dass der eine oder andere, egal ob inner-
halb oder außerhalb dieses Hauses, verleitet sein könnte,
die Fraktionen, die dem vorliegenden Gesetzentwurf
nicht zustimmen, moralisch abzuqualifizieren oder ihnen
gar zu unterstellen, sie würden NS-Unrecht verteidigen.

Dass diese Befürchtung nicht aus der Luft gegriffen ist
– auch wenn Sie sich nicht beherrschen können, pausen-
los dazwischenzureden –, kann inzwischen schwarz auf
weiß nachgelesen werden. So heißt es in der Stellung-
nahme des Sachverständigen Bruns, der von den Grünen
für die Anhörung zu diesem Gesetzentwurf benannt
wurde, wörtlich:

Ich habe der Presse entnommen, dass der rechtspoli-
tische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion
Norbert Geis die generelle Aufhebung der Urteile für

verfehlt hält. Da Herr Geis Jurist ist, muss ich daraus
schließen, dass er meint, Deutschland habe keinen
verbrecherischen Krieg geführt. Nur dann ist eine
Einzelfallprüfung der Urteile sinnvoll.

Meine Damen und Herren, angesichts der Chuzpe und
Unverfrorenheit, mit der der Sachverständige meinte, un-
seren Kollegen Norbert Geis in Misskredit bringen zu
müssen, darf man schon tief durchatmen.

Ich will mich nicht damit beschäftigen, ob Herr Bruns
– ein ehemaliger Bundesanwalt – selbst das juristische
Einmaleins sicher beherrscht. Immerhin ist ihm auch
während der Anhörung der Unterschied zwischen dem so
genannten ius ad bellum und dem ius in bello und den
hieraus resultierenden Konsequenzen offenbar verschlos-
sen geblieben.

Diese Unverfrorenheit hat aber auch ihr Gutes; denn
sie führt zum Kern der Debatte und kann damit auch zur
Verdeutlichung der Positionen beitragen. Wenn der Sach-
verständige meint, in seiner Stellungnahme sozusagen ei-
nen Dreisatz postulieren zu müssen, der lautete, erstens
hat Hitler einen verbrecherischen Krieg geführt, zweitens
darf an einem verbrecherischem Krieg niemand teilneh-
men und daraus folgt drittens, dass Deserteure objektiv
rechtmäßig gehandelt haben, ist hieraus der Schluss zu
ziehen: Wenn erstens allein Deserteure im Zweiten Welt-
krieg rechtmäßig und damit moralisch korrekt gehandelt
haben, dann haben zweitens Soldaten, die nicht desertier-
ten, objektiv unrechtmäßig und damit auch objektiv un-
moralisch gehandelt.


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat aber niemand gesagt! Oder wollen Sie das behaupten?)


Drittens treten damit alle, die nicht das Hohelied auf die
moralisch höher stehende Desertion anstimmen, automa-
tisch für Hitlers verbrecherischen Krieg ein.


(Widerspruch bei der SPD – Norbert Geis [CDU/CSU]: Das ist die Konsequenz!)


Dieser Duktus soll damit erzeugt werden.
Genau diese Einlassungen, die nicht mehr den einzel-

nen Deserteur im Blick haben, sich im Grunde auch nicht
mehr für das Schicksal des Einzelnen interessieren und
nicht danach gehen, ob jemand aus – wie Sie ausgeführt
haben – nachvollziehbaren Gründen, manchmal sogar eh-
renwerten, hehren Motiven oder aus Gewissensgründen
desertierte


(Siegfried Scheffler [SPD]: Quatsch! Das ist doch Blödsinn!)


oder ob er die Truppe aus Motiven verließ, die vielleicht
ganz und gar nicht ehrenwert waren, empfinden wir als
skandalös. Wir widersprechen diesen Einlassungen darin
eindeutig.


(Zustimmung des Abg. Norbert Geis [CDU/CSU])


Mit diesem Widerspruch stehen wir auch nicht alleine
da. Der Vorsitzende des Deutschen Bundeswehr-Ver-
bands, Oberst Gertz, hat alle Fraktionen dieses Hauses
aufgefordert, bei der Rehabilitierung von Deserteuren des




Dr. Jürgen Gehb

23735


(C)



(D)



(A)



(B)


Zweiten Weltkriegs weiter an dem Erfordernis einer Ein-
zelfallprüfung festzuhalten. Ich darf ihn zitieren:

Es spricht manches dafür, dass ein nicht geringer Teil
der Urteile der Militärjustiz rechtsstaatlichen Maß-
stäben nicht standhält. Ihre pauschale Beseitigung
durch Annullierung als „Unrechtsurteile“ ohne Ein-
zelfallprüfung ist jedoch das falsche Mittel.

Wer Fahnenflucht im Zweiten Weltkrieg jedoch durch
Annullierung nachträglich zu einer „Kardinaltugend“ er-
hebe, verkenne allerdings, dass zu den Verurteilten auch
nicht wenige echte Kriminelle gezählt hätten, bei denen
politische Motive nicht vorlagen.

Genau dieser Verklärung der Fahnenflucht widersetzen
wir uns. Das Perfide an einer solchen Position ist, dass die
Fahnenflucht nicht nur fix zur Tugend erhoben wird, son-
dern als ein moralisch einzuforderndes Verhalten den Mil-
lionen von Soldaten, die gehorcht haben, entgegengehal-
ten wird.


(Zuruf von der SPD: Das ist doch völliger Quatsch!)


Damit wird natürlich jeder Soldat, der nicht desertierte,
moralisch abqualifiziert,


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Genau!)

selbst wenn das vom Gesetzgeber nicht intendiert wird. Es
kommt aber auf den Empfängerhorizont an. Jeder Jurist
lernt in den ersten Semestern, dass es bei Willenser-
klärungen auf den Empfängerhorizont ankommt. Ge-
nauso fühlen sich diejenigen, die heute Veteranen sind, an
den Pranger gestellt, und zwar pauschal, meine Damen
und Herren.


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dafür sollen wir jetzt die Deserteure nicht rehabiliteren! Das ist ja hanebüchen!)


Gerade weil wir das nicht wollen und weil man – wenn
man redlich ist – das ehrenwerte und nachvollziehbare
Verhalten einzelner Deserteure nicht auf die Gesamtheit
übertragen kann, haben wir die Rehabilitation der Deser-
teure bereits 1998 auf der Basis der Einzelfallprüfungen
vollzogen. Das gilt auch für die Einzelbewertung der
Richter der Militärjustiz. Selbstverständlich gab es Blut-
richter. Aber es gab auch Richter, die nach bestem Wissen
und Gewissen handelten, Richter, die sich nichts vorzu-
werfen haben und für die wir uns auch heute nicht zu schä-
men brauchen. Eine pauschale Verdammung ist nicht an-
gebracht. Schuld wie Unschuld können immer nur
individuell festgestellt werden. Deswegen wollen wir bei
den Urteilen aus dem Bereich der NS-Militärjustiz auch
nicht die bewährte Form der Rehabilitierung verlassen.

Bei diesem Befund ist es sachlich falsch und geradezu
geschichtsklitternd, wenn Herr Hartenbach – auch noch
mein Kollege aus der Kasseler Gegend – für die SPD-
Fraktion in seiner gestrigen Presseerklärung den Eindruck
erweckt hat, erst mit diesem Änderungsgesetz werde Ge-
rechtigkeit für NS-Verfolgte geschaffen, diese würden
jetzt erst rehabilitiert, und das auch noch gegen den Wi-
derstand unserer Fraktion. Hier muss ich, allein um unsere
Fraktionsehre zu retten, doch einmal die sozialdemokrati-
sche Kollegin von Renesse zitieren. Ich weiß, dass Sie das

nicht gern hören; so war es schon bei der ersten Lesung.
Im letzten Jahr haben Sie gesagt:

Nach einem in der Tat quälend langen Beratungspro-
zess hat der Bundestag in der letzten Legislaturperi-
ode alles nachgeliefert, was den Wehrdienstverwei-
gerern, Fahnenflüchtigen und „Wehrkraftzersetzern“
des Zweiten Weltkrieges schon lange zugestanden
hätte: volle Rehabilitierung und Anspruch auf Ent-
schädigungsleistung.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Hört! Hört!)

Der Antrag der PDS ist daher, wie man bei Gericht
sagt, in der Hauptsache erledigt.

Dem ist eigentlich nichts mehr hinzuzufügen.

(Norbert Geis [CDU/CSU]: Sie haben Ihre Meinung! – Margot von Renesse [SPD]: Ich habe meine Meinung geändert!)


Ich kann mir aber auch eine weitere Kommentierung
nicht ersparen, und zwar zur gestrigen Presseerklärung
des Kollegen Beck. Auch dort wird in der Überschrift mal
eben die – freilich falsche – Behauptung erhoben,
CDU/CSU und FDP seien gegen die Rehabilitierung von
Homosexuellen und Deserteuren. Dies ist sachlich falsch.


(Jörg van Essen [FDP]: Sachlich falsch! Eine bewusste Lüge!)


Die gewählte Überschrift, Herr Beck, zeigt die Schwäche
einer jeden Pauschalierung, auch bei Überschriften in
Presseerklärungen.

Doch nicht nur diese Geschichtsklitterung ärgert mich.
Richtig ärgert mich, wenn uns vorgehalten wird, wir hät-
ten bereits unser gegebenes Wort vom 7. Dezember 2000
gebrochen. Herr Beck, davon kann überhaupt nicht die
Rede sein. Ich frage: Wer hat denn die verabredete pau-
schale Aufhebung der Urteile gegen Homosexuelle ei-
genmächtig verknüpft mit den über 40 Straftatbeständen
aus dem Militärstrafgesetzbuch, ohne dass es auch nur ei-
nen Hauch von Konsultation im Vorfeld mit uns gegeben
hätte?


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ein Beschluss des Bundestages!)


Ich erinnere mich auch nicht daran, dass wir als Bundes-
tag einstimmig die SPD und die Grünen beauftragt hätten,
einen Gesetzentwurf vorzulegen. Adressat, Herr Pick, war
die Bundesregierung. Ich kann mir nur vorstellen, dass
Sie sich mit ganz spitzen Fingern daran gemacht und es
dann lieber gelassen haben.

Wenn der Kollege Beck den alten Konsens beschwört,
muss er sich auch entsprechend verhalten. Hiervon war
aber in diesem Verfahren überhaupt nichts zu spüren.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Das ist leider wahr! – Jörg van Essen [FDP]: Nicht nur in diesem Verfahren!)


Sie erwarten doch nicht allen Ernstes, dass ohne Mitwir-
kungsmöglichkeit die Opposition Ihre Gesetzentwürfe ab-
nickt. Ich kann Ihnen nur sagen: Der Ball liegt bei Ihnen.

Wir hätten auch gern erfahren, welche weiteren Ent-
schädigungsleistungen eventuell geplant sind für diejeni-




Dr. Jürgen Gehb
23736


(C)



(D)



(A)



(B)


gen Personen – etwa 250000 –, deren Urteile Rot-Grün jetzt
pauschal aufheben will. Plant der Finanzminister eine Ver-
änderung des Erlasses vom 17. Dezember 1997, der Zah-
lungen für Opfer der NS-Justiz konstituierte? Zur Klärung
der aufgeworfenen Fragen hatten wir beantragt, den Haus-
haltsausschuss zu befassen. Dies ist abgelehnt worden.

Aus all dem folgt, dass wir diesem Gesetzesvorhaben
unsere Zustimmung verweigern müssen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1423711800
Das Wort
hat der Kollege Volker Beck vom Bündnis 90/Die Grü-
nen.


Volker Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1423711900

Herr Kollege Gehb, zunächst zu den Entschädigungsleis-
tungen: Nach dem NS-Unrechtsaufhebungsgesetz, so wie
es Ihre Koalition – damals nach schweren Geburtswehen
und übrigens erst nachdem Rot und Grün zwei Gesetz-
entwürfe mit ähnlichem Inhalt eingebracht haben – in der
letzten Wahlperiode beschlossen hat,


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Mit Ihren Stimmen!)


gibt es grundsätzlich keine zusätzlichen Entschädigungs-
leistungen aufgrund dieses Gesetzes.


(Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Das habe ich nicht gesagt!)


Ob man für weitere Gruppen oder insgesamt für andere
vergessene Gruppen des nationalsozialistischen Unrechts
hier versucht, noch etwas zu verbessern, darüber ist un-
abhängig von diesem Gesetz zu diskutieren.


(Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Das habe ich auch nicht gesagt, Herr Beck! Aber den Druck, der dadurch erzeugt wird, werden Sie nicht übersehen!)


Wir diskutieren auch unabhängig davon darüber.
Es gibt lediglich eine Fallgruppe, bei der sich etwas

verändert. Wenn bei konkreten Entschädigungsanträgen
der Ablehnungsgrund für die Entschädigungsleistung allein
war, dass man das Unrechtsurteil für rechtsmäßig gehalten
hat, kann dieser Entschädigungsfall neu aufgenommen
werden. Es gibt einige Fälle gerade bei Homosexuellen,
wo man gesagt hat: Du bist ja nicht ins KZ gekommen,
deshalb war es Recht. In diesen Fällen kann es sein, dass
die Leute ab jetzt Leistungen bekommen. Ich finde das
auch gut so.


(Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Es gibt bisher kein Urteil, das nicht aufgehoben worden ist!)


Herr Gehb, das ursprüngliche Anliegen des Gesetzes
zur Aufhebung nationalsozialistischer Unrechtsurteile
war die pauschale Aufhebung dieser Urteile. Ich möchte
an die Genese der Debatte erinnern: 1996 hatte sich auf
Antrag der Evangelischen Hochschule Hannover eine Ini-
tiative um die Aufhebung des Urteils gegen Pastor

Dietrich Bonhoeffer bemüht. Danach hatte die Staatsan-
waltschaft Berlin das gleiche Begehren.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Das Urteil ist schon 1946 aufgehoben worden!)


Nachdem man zwei Jahre rechtswissenschaflichen und
juristischen Sachverstand bemüht hat, hat das Landge-
richt Berlin festgestellt, dass das Urteil gegen Bonhoeffer
schon längst aufgehoben worden ist. Niemand wusste das,
weil die Regelungen so unübersichtlich sind.

Wir als Gesetzgeber wollen mit dem vorliegenden Ge-
setzentwurf die NS-Unrechtsurteile pauschal aufheben
und so die Betroffenen von diesem ihnen quasi auf die
Stirn geschriebenen Makel befreien. Wir machen das aber
auch für uns; denn mit diesem Gesetz distanzieren wir uns
ein für alle Mal von den unrechtsstaatlichen Verfahren
und den rechtswidrigen Rechtsnormen des NS-Staates.
Das ist einfach eine Frage der gesetzlichen Hygiene. Das
muss sie uns wert sein.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Dann müssen Sie alle Urteile aufheben, auch die zivilen!)


Da Sie uns immer Pauschalierung vorwerfen, möchte
ich Ihnen – wir sollten uns nämlich nicht nur über die Ur-
teile gegen Deserteure streiten; das tun wir schon zum
zehnten Mal; wir müssen auch einmal an die Urteile ge-
gen Homosexuelle denken – ein Beispiel geben. Ich zi-
tiere mit Erlaubnis des Präsidenten aus dem Buch „Ein er-
fülltes Leben“ von Lutz van Dyke:

Trotzdem ein Fall: Stefan K. ist Pole. Er lebt in Torun
und verliebt sich dort 1941 als 17-Jähriger in Willi, ei-
nen 20-jährigen Besatzungssoldaten aus dem Deut-
schen Reich. Die Liebe wird erwidert. Einige Monate
können sie ihre Beziehung geheim halten. Dann wird
der deutsche Freund an die Ostfront versetzt. Stefan
K. wartet jeden Tag auf Post. In seiner Verzweiflung
schreibt er schließlich selbst an die Front. Er erhält
keine Antwort, dafür eine Vorladung der Gestapo. Er
wird verhört, zwölf Tage lang schrecklich gefoltert,
bis er ein Geständnis unterschreibt. Im Dezember
1942 wird Stefan K. vom deutschen Gericht in Torun
zu fünf Jahren Zuchthaus wegen § 175 verurteilt. Erst
zum Kriegsende kommt er wieder frei.

Soll ein deutscher Staatsanwalt heute noch einmal unter-
suchen, ob Stefan K. damals wegen der ersten Liebe sei-
nes Lebens – möglicherweise – rechtmäßig verurteilt
wurde?


(Jörg van Essen [FDP]: Das braucht er doch gar nicht! – Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Das ist doch Quatsch!)


Meine Damen und Herren von Union und FDP, das kann
doch nicht Ihr Ernst sein.


(Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Das ist auch nicht unser Ernst!)


Allein die Frage, ob solche Urteile rechtmäßig waren
oder nicht, finde ich pervers; denn bei den Verurteilungen
nach § 175 wurde kein Recht, sondern nur Unrecht gespro-
chen. Deshalb gehören diese Urteile pauschal aufgehoben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Norbert Geis [CDU/CSU]: Dr. Jürgen Gehb 23737 Herr Beck, Sie sagen hier bewusst die Unwahrheit!)





(C)


(D)


(A)


(B)


– Stellen Sie mir eine Zwischenfrage, dann kann ich Ih-
nen das erklären.

Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf heben wir ein für
alle Mal alle Urteile gegen Homosexuelle auf, sodass
diese nicht noch einmal vor Gericht müssen, um die Un-
rechtmäßigkeit der gegen sie verhängten Urteile feststel-
len zu lassen. Das haben die Verurteilten zu Recht nicht
gemacht – sie hätten die Möglichkeit durchaus gehabt –,
weil es unwürdig gewesen wäre. Wir als Gesetzgeber ha-
ben mit Hinweis auf die Causa Bonhoeffer gesagt: Wir
wollen nicht, dass sich die Betroffenen selber um die Auf-
hebung der Urteile bemühen müssen. Wir wollen die NS-
Unrechtsurteile ein für alle Mal aufheben. Ich finde es
schade, dass wir uns darüber heute noch streiten müssen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dr. Jürgen Gehb [CDU/ CSU]: Weil Sie völlig neue Tatbestände in das Gesetz reingedrückt haben!)


Herr Kollege Gehb, Sie haben vorhin einen Sachver-
ständigen zitiert. Auch ich möchte einen Sachverständi-
gen zitieren und damit einen Wunsch an die Bundesregie-
rung verbinden. Der Sachverständige der Union, Herr
Professor Seidler, hat in der Ausschussanhörung gesagt,
dass das Verhängen der Todesstrafe bei Desertion zur
Durchsetzung der Manneszucht in der Truppe notwendig
gewesen sei.


(Detlef Dzembritzki [SPD]: Was?)

Dieser Sachverständige ist Professor an der Bundeswehr-
hochschule in München.


(Margot von Renesse [SPD]: Den sollte man rausschmeißen!)


Ich finde, die Bundesregierung sollte überlegen, ob das,
was dieser Mann für die Bundeswehrhochschule erklärt,
noch mit der Wissenschafts- und Forschungsfreiheit ver-
einbar ist.


(Margot von Renesse [SPD]: Mit der Manneszucht!)


Eines möchte ich noch klarstellen: Mit der Rehabilitie-
rung der Deserteure im Dritten Reich sagen wir nichts
über die Soldaten aus, die ihren Dienst getan haben.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Doch! Natürlich sagen Sie es!)


Wir sagen schon gar nichts darüber aus, dass Desertion in
der demokratischen Armee Deutschlands, der Bundes-
wehr, bestraft wird. Wir distanzieren uns von all denjeni-
gen, die die Bundeswehr auch nur in einem Atemzug mit
Hitlers Krieg führender Armee nennen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Dr. Jürgen Gehb [CDU/ CSU]: Das hat doch keiner getan! – Norbert Geis [CDU/CSU]: Wer tut das denn?)


Das ist eine Beleidigung unserer Soldatinnen und Solda-
ten, die einem demokratischen Parlament verpflichtet

sind. Sie sind nach unserem Recht dazu verpflichtet, nur
rechtmäßige Befehle zu befolgen und sich anderen Be-
fehlen zu widersetzen. Das ist unsere verfassungsrechtli-
che Lage. Wer das mit diesem Unrechtsregime zusam-
menrührt, ist einfach unanständig.


(Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Tut keiner! Sie sind der Erste, der das in dieser Debatte tut! – Norbert Geis [CDU/CSU]: Sie haben nichts kapiert, Herr Beck! – Weitere Zurufe von der CDU/CSU – Gegenruf der Abg. Margot von Renesse [SPD]: Das ist ja gar nicht wahr! In der Anhörung hat er das laut und deutlich gesagt!)


Wir geben heute nach einer kontroversen Debatte den
Opfern der Militärjustiz und den Homosexuellen ihre
Ehre zurück. Ich hätte mir gewünscht, dass wir dies in die-
sem Haus gemeinsam tun könnten, und finde es sehr be-
dauerlich, dass das nicht möglich ist. Hätten Sie an dieser
Debatte ein ernsthaftes Interesse gehabt,


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Natürlich hatten wir das! Ich habe es Ihnen persönlich gesagt! Das wissen Sie auch!)


hätten Sie sich hier mit einem Antrag eingemischt und
deutlich gemacht, was Ihre Ansichten im Positiven sind.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1423712000
Das Wort
hat jetzt der Kollege Jörg van Essen von der FDP-Frak-
tion.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Wenn so viel die Unwahrheit gesagt wird! Man wird sich doch noch wehren dürfen! Ich bin frei gewählter Abgeordneter! – Gegenruf von der SPD: Schreien Sie doch nicht so! – Norbert Geis [CDU/CSU]: Das hat nichts mit Schreien zu tun! – Lachen bei der SPD und beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Jörg van Essen (FDP):
Rede ID: ID1423712100
Herr Präsident! Meine Da-
men und Herren! Ich bitte darum, dass ich jetzt der Red-
ner sein darf, weil die Sache es erfordert, der sich in Ruhe
mit den Argumenten auseinander setzt.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Das ist eine Beleidigung gewesen! Das hat ein Nachspiel!)


Zunächst zum Kollegen Beck, der uns hier einen Fall
vorgetragen hat, der nach dem NS-Aufhebungsgesetz
von 1998 ganz selbstverständlich unter die Generalklau-
sel fällt. Wer hier den Eindruck erweckt, dass ein solches
Urteil, mit dem ein junger Mann zu fünf Jahren Haft ver-
urteilt worden ist, weil er sich mit einem Freund getroffen
hat, noch immer nicht aufgehoben ist, der interpretiert das
NS-Aufhebungsgesetz in einer Weise, die mich wirklich
erschüttert.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir haben zu Recht immer wieder die Auffassung ver-

treten, dass alle Urteile, die im Nationalsozialismus gegen




Volker Beck (Köln)

23738


(C)



(D)



(A)



(B)


homosexuelle Mitbürger ergangen waren, „kontaminiert“
waren. Das ist ein Begriff, den Sie geprägt haben. Es wird
kein Urteil geben, das nicht von dem Vernichtungswillen
der Nationalsozialisten durchdrungen war. Unsere Posi-
tion ist deshalb klar und eindeutig: Bereits das Gesetz von
1998 hat diese Aufhebung bewirkt.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: So ist es!)

Ich bin Ihnen sehr dankbar, Frau von Renesse, dass auch
Sie in der ersten Debatte genau diese Auffassung vertre-
ten haben.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1423712200
Herr van
Essen, gestatten Sie eine Zwischenfrage?


Jörg van Essen (FDP):
Rede ID: ID1423712300
Nein, von Herrn Beck natür-
lich nicht.


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie wollen nicht zur Kenntnis nehmen, dass die Bundesregierung zu Ihrer Zeit eine gegenteilige Auffassung vertreten hat!)


Für uns als Liberale ist es selbstverständlich, dass all
diese Urteile bereits 1998 aufgehoben worden sind. Im
Übrigen tun Sie all den Menschen, die sich dadurch reha-
bilitiert gefühlt haben, einen Tort an, weil Sie den Ein-
druck erwecken, dass das erst jetzt geschehe und dass
diese Menschen weitere Jahre lang nicht rehabilitiert ge-
wesen seien. Das ist etwas, was wir nicht ertragen können.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Was die Deserteure anbelangt, berichtet uns die Bun-

desregierung selbst, dass alle Anträge, die gestellt worden
sind, einen positiven Erfolg hatten. Es gibt deshalb keinen
Regelungsbedarf. Alle, die Wert darauf gelegt haben, ha-
ben es amtlich bestätigt bekommen, dass ihnen Unrecht
geschehen ist. Ich war selbst dienstlich damit befasst, Ur-
teile zu prüfen, die in der DDR ergangen sind. Die Be-
troffenen haben mir immer wieder gesagt, wie wichtig es
für sie sei, dass es eine Prüfung gegeben hat und dass sie
mit Brief und Siegel bestätigt bekommen haben, dass ih-
nen Unrecht geschehen ist.


(Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Eine viel höhere Authentizität!)


Genau das ist in all diesen Fällen geschehen. Eine Prüfung
durch die heutige Justiz hat ergeben, dass hier Unrecht ge-
sprochen worden ist. Eine bessere Rehabilitation kann ich
mir gar nicht vorstellen.

Von daher sehe ich keinen Regelungsbedarf. Wer sich
ohne Zorn und Eifer mit der Fragestellung befasst – wir
haben das 1998 getan –, muss feststellen, dass wir den vie-
len verschiedenen Situationen gerecht geworden sind. Wir
haben alles sorgfältig miteinander abgewogen. Das war
auch der Grund, warum beispielsweise die SPD damals zu-
gestimmt hat. Die Beratungen waren ganz außerordentlich
sachkundig und von Verantwortung geprägt. Daher sehe
ich heute keinerlei Bedarf für eine Neuregelung.

Von daher ist das nicht ein Nichternstnehmen der Op-
fer, sondern ganz im Gegenteil ein Ernstnehmen der Op-

fer, wenn wir im Bereich der Homosexuellen sagen, sie
sind rehabilitiert, und wenn wir im Bereich der Unrechts-
urteile im militärischen Bereich zur Desertion feststellen,
dass sich die Regelung bewährt hat und wir zu einer Lö-
sung gekommen sind, die gerade den Opfern genützt hat.
Das ist unsere Position. Von daher lehnen wir den Ge-
setzentwurf nicht deshalb ab, weil wir infrage stellen, dass
es Unrecht gegeben hat, sondern im Gegenteil: weil wir
die Richtigkeit der Regelung von 1998 unterstrichen se-
hen.

Lassen Sie mich zum Schluss eine weitere Bemerkung
machen. Mir macht große Sorge, dass das, was wir uns
am 7. Dezember 2000 vorgenommen haben, etwa die
Magnus-Stiftung, immer noch nicht vorangebracht wor-
den ist. Das soll jetzt durch solche meiner Ansicht nach
symbolischen Handlungen ersetzt werden. Das werden
wir nicht zulassen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1423712400
Das Wort
hat jetzt die Kollegin Dr. Evelyn Kenzler von der PDS-
Fraktion.


Dr. Evelyn Kenzler (PDS):
Rede ID: ID1423712500
Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Meine Fraktion stimmt dem
Gesetzentwurf zu. Er bringt endlich Gerechtigkeit und
Rechtsklarheit für zwei Opfergruppen der Nazi-Justiz: die
Deserteure und die Homosexuellen. Beide waren den an-
deren Opfern bisher nicht vollständig gleichgestellt; für
beide hat sich die PDS seit langem eingesetzt. Es ist kein
Ruhmesblatt für Deutschland, dass dies erst jetzt ge-
schieht.

Die grausamen Urteile gegen homosexuelle Männer
nach §§ 175 und 175 a Reichsstrafgesetzbuch aus der Zeit
des Faschismus werden zu Recht aufgehoben. Sie waren
Teil der faschistischen Barbarei. Es besteht jedoch noch
Handlungsbedarf im Hinblick auf Urteile nach 1945 und
auch hinsichtlich der Entschädigung der Opfer. Hier müs-
sen wir noch tätig werden.

Die Unrechtsurteile gegen Deserteure und andere Op-
fer werden nun per Gesetz aufgehoben. Die unzumutbare
und diskriminierende Einzelfallprüfung entfällt damit.
Das ist nur recht und billig. Es ist vor allem das Ergebnis
des beharrlichen Wirkens eines unmittelbar Betroffenen,
des zum Tode verurteilten Deserteurs Ludwig Baumann.
Er hat als Vorsitzender der Bundesvereinigung Opfer der
NS-Militärjustiz nicht locker gelassen. Ihm und seinen
Mitstreitern gebühren hierfür Dank und Anerkennung.


(Beifall bei der PDS)

Leider haben sich die Koalitionsfraktionen nicht dazu

durchgerungen, auch die Urteile wegen Kriegsverrats
aufzuheben. Hier waren ausschließlich Todesurteile vor-
gesehen. Die Regierung ist uns eine plausible Erklärung
hierfür bislang schuldig geblieben. Damit werden alle die-
jenigen weiter diskriminiert, die nach ihrer gelungenen
„Fahnenflucht“ auf der Seite der Anti-Hitler-Koalition,
bei den Partisanen oder in der Résistance aktiv gegen den




Jörg van Essen

23739


(C)



(D)



(A)



(B)


Faschismus gekämpft haben. In meinen Augen war „der
Verrat“ von Hitlers Krieg eine juristisch gerechtfertigte
und moralisch ehrenwerte Tat, denn er bedeutete einen
Seitenwechsel vom Aggressor zu den Verteidigern und
Befreiern. Ich bitte deshalb um Zustimmung zu unserem
Änderungsantrag.

Die Deserteure haben einem völkerrechtswidrigen Ag-
gressionskrieg den Rücken gekehrt. Sie haben sich an die-
sem Verbrechen nicht mehr beteiligt. Ihr Handeln hat dazu
beigetragen, das Verbrechen gegen den Frieden, gegen die
Menschlichkeit; Völkermord und Kriegsverbrechen zu
beenden. Das ist der objektive Tatbestand und genügt, um
diese Urteile aufzuheben. Für mich steht darüber hinaus
außer Frage, dass die Deserteure auch subjektiv lautere
und ehrenwerte Gründe dafür hatten. Unter Todesgefahr
zu einem verbrecherischen Krieg Nein zu sagen erfordert
viel Mut und hat nichts mit Feigheit und Verrat zu tun.

Die Militärjustiz des Dritten Reiches war in meinen
Augen das juristische Instrument zur Absicherung der
hitlerschen Aggressionsmaschine. Etwa 30 000 Todes-
urteile wurden gefällt und zum großen Teil vollzogen.
Das war Terror und verdient nicht die Bezeichnung Ge-
richtsbarkeit. Übrigens wurde keiner der Militärrichter
dafür jemals zur Verantwortung gezogen.

Eine letzte Bemerkung: Der Gesetzentwurf wird weit-
gehend dem gerecht, was meine Fraktion mit ihrem An-
trag vom März 2001 erreichen wollte. Ein Punkt dieses
Antrags bleibt jedoch offen. Es ist zwar gut, dass die über-
lebenden Opfer eine einmalige Leistung erhalten; unver-
ständlich ist aber, dass die Ehegatten und Kinder der Hin-
gerichteten leer ausgehen. Für kleinliche Sparmaßnahmen
ist an dieser Stelle wirklich kein Platz.


(Beifall bei der PDS)


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1423712600
Das Wort

hat jetzt für die Bundesregierung der Parlamentarische
Staatssekretär Dr. Eckhart Pick.

D
Prof. Dr. Eckhart Pick (SPD):
Rede ID: ID1423712700
Herr Präsident! Meine Damen und
Herren! Gestatten Sie mir zunächst eine persönliche Be-
merkung. Ich finde es angesichts des Themas schade, dass
wir zum Teil in dieser Weise diskutiert haben. Ich unter-
stelle allen hier im Raum, dass sie davon ausgehen, dass
der Krieg, den Hitler angezettelt hat, völkerrechtswidrig
war. Darin sind wir uns alle einig.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der PDS)


Ich unterstelle also niemandem, dass er da anderer Mei-
nung ist. Man kann allerdings unterschiedliche Konse-
quenzen ziehen. Einige von uns, denke ich, haben in die-
ser Frage durchaus auch einen Prozess durchgemacht und
sind vielleicht zu einer anderen Auffassung gekommen,
als sie sie früher hatten.

Ich darf Sie zum Zweiten an den – einstimmig gefass-
ten – Beschluss des Bundestags vom 7. Dezember 2000
erinnern,


(Jörg van Essen [FDP]: Was ein sehr gutes Zeichen war!)


der die Bundesregierung aufgefordert hat – ich zitiere –
einen Entwurf zur Ergänzung des Gesetzes zur Auf-
hebung nationalsozialistischer Unrechtsurteile in der
Strafrechtspflege (NS-AufhG) vorzulegen, um so ein
der Unrechtserfahrung Homosexueller angemesse-
nes Verfahren zur gesetzlichen Rehabilitierung der
Opfer der §§ 175, 175 a Nr. 4 RStGB aus den Jahren
1935 bis 1945 sicherzustellen.

(Norbert Geis [CDU/CSU]: Das ist unstreitig!)


Wir haben damals in Aussicht gestellt, dass auch noch
die weiterhin offenen Fragen der Rehabilitierung der
Opfer der Militärjustiz angegangen werden sollten.

Der heute zur abschließenden Beratung vorliegende
Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen tut genau das. Er
wurde vom Bundesministerium der Justiz vorbereitet
– das will ich hier offen und deutlich sagen – und ist das
Ergebnis der Prüfungen, die sich dem Auftrag des Deut-
schen Bundestages angeschlossen haben.

Der Gesetzentwurf sieht vor, dass die Verurteilungen
homosexueller Männer nach den §§ 175 und 175 a Nr. 4
Reichsstrafgesetzbuch aus der Zeit der NS-Diktatur ins-
gesamt und ohne Einzelfallprüfung aufgehoben werden.
Wer aus ideologischen oder rassistischen Gründen verur-
teilt wurde, soll nicht länger mit dem Makel, Verurteilter
zu sein, leben müssen. Das ist längst überfällig. Ich bitte
Sie alle, diesen Ergänzungen zuzustimmen.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Ich möchte deutlich hervorheben, dass im zweiten Teil
des Gesetzentwurfs – dabei geht es um die Menschen, die
in der Nazizeit durch Gerichte der NS-Militärjustiz verur-
teilt wurden – durchaus differenziert wird. Für die Opfer,
die wegen Desertion bzw. Fahnenflucht oder Wehrkraft-
zersetzung verurteilt wurden, setzen wir die vollständige
Rehabilitierung durch.

In der Tat konnten sich diese Menschen durch die Ent-
schließung des Deutschen Bundestags vom 15. Mai 1997
und durch das Gesetz zur Aufhebung nationalsozialisti-
scher Unrechtsurteile in der Strafrechtspflege bisher nicht
uneingeschränkt rehabilitiert fühlen. Sie waren immerhin
mit einer Einzelfallprüfung und der damit verbundenen
Beweisführung belastet, nämlich mit der Beweisführung
darüber, dass eine entsprechende Verurteilung erfolgt ist.
Wie wir auch in der Anhörung gehört haben, haben das
viele als unzumutbar empfunden. Das ist verständlich,
finde ich. Denn mehr als 50 Jahre nach Kriegsende kann
nur in Ausnahmefällen eine Urteilsabschrift vorgelegt
werden. Wir alle wissen, dass Urkunden oder Entschei-
dungsabschriften in den letzten Kriegsmonaten ohnehin
nur selten ausgehändigt wurden. Zwar ist Glaubhaftma-
chung möglich, aber auch diese stößt so lange Zeit nach
dem Ende des Unrechtsregimes an Grenzen. Denn sie er-
fordert eine präzise Erinnerung an die so genannte Tat so-
wie an die Namen der damals Beteiligten, etwa der
Richter, der Vorgesetzten und anderer Personen.

Wir tragen diesen Umständen Rechnung und berück-
sichtigen zugleich, dass dies für die Opfer gerade wegen
der langen Zeit immer schwieriger wird und auch als ent-




Dr. Evelyn Kenzler
23740


(C)



(D)



(A)



(B)


würdigend empfunden wird. Deswegen wollen wir auf
den Nachweis im Einzelfall verzichten.

Gleiches muss gelten, wenn eine Verurteilung nach an-
deren Vorschriften des Militärstrafgesetzbuches er-
folgte; denn auch hier ist viel Unrecht geschehen. Das
wissen wir alle. Wir kennen die Fälle: Da wurde jemand
wegen eines Verstoßes gegen § 63, – Übergabe an den
Feind –, wegen einer Dienstpflichtverletzung aus Furcht,
§ 84, wegen Feigheit, § 85, oder gar wegen einer Heirat
ohne Erlaubnis, § 150, verurteilt und trägt, obwohl es ei-
gentlich nicht sein dürfte, noch heute den Makel des Vor-
bestraften mit sich herum. Das ist falsch; denn wir wissen,
dass diese damaligen Entscheidungen eben nicht von ei-
ner rechtsstaatlichen Justiz getroffen worden sind.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich finde es gerecht, dass diese Gruppe von Opfern ge-
genüber anderen Betroffenen, deren Urteile durch das
NS-Aufhebungsgesetz ausdrücklich aufgehoben wurden,
jetzt entsprechend behandelt wird. Vor allem stellen wir
mit dem heutigen Gesetz klar, dass diese Menschen da-
mals weder kriminell noch unehrenhaft gehandelt haben.

Es ist vorhin gesagt worden, dass der Zweite Weltkrieg
ein vom nationalsozialistischen Deutschland verschulde-
ter Angriffs- und Vernichtungskrieg war. Die Soldaten
waren deshalb an den auf den so genannten „Führer“ ge-
leisteten Eid nicht in der Weise gebunden, wie dies heute
in einem demokratischen Rechtsstaat im Verteidigungs-
fall der Fall wäre. Auch dieser Tatsache trägt die heute
vorgeschlagene Regelung Rechnung.

Ich möchte noch ein Wort zur der Differenzierung sa-
gen, die wir vorsehen. Es hat auch damals eine ganze
Reihe von Straftatbeständen gegeben, bei denen heute die
Aufhebung des Urteils ohne Einzelfallprüfung nicht ver-
antwortbar wäre. Dies gilt zum Beispiel für Fälle der
Plünderung, der Fledderei oder etwa der Misshandlung
von Untergebenen. Hier gibt auch die Tatsache, dass sie
während eines völkerrechtswidrigen Angriffskrieges be-
gangen wurden, keinen Anlass zur Rehabilitierung. Des-
halb tun wir das auch nicht.

Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, wir alle wis-
sen: Unsere heutigen Beschlüsse kommen eigentlich
mehr als 50 Jahre zu spät. Nötig sind sie dennoch. Lassen
Sie uns deshalb heute gemeinsam dafür sorgen, dass we-
nigstens der kleine Teil gut und vernünftig und vor allem
angemessen für die Betroffenen geregelt wird, mit dem
wir helfen können. Ich denke, das sind wir den Opfern der
NS-Unrechtsjustiz schuldig.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1423712800
Zu einer
Kurzintervention erteile ich dem Kollegen Norbert Geis
das Wort.


Norbert Geis (CSU):
Rede ID: ID1423712900
Herr Präsident! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Es war uns vonseiten

der CDU/CSU-Fraktion immer klar – wir haben mit Ihnen
darin übereingestimmt –, dass wir die Urteile von Mi-
litärgerichten gegen Homosexuelle aufheben wollen. Das
entsprach dem Beschluss dieses Parlamentes vom De-
zember 2000, der mit den Stimmen der CDU/CSU-Frak-
tion gefasst worden ist. Dass dies heute nicht geschehen
kann, hängt damit zusammen, dass Sie beide Tatbestände
zusammenfassen. Wir können deshalb diesem Gesetzent-
wurf nicht zustimmen. Es ist notwendig, dieses klarzu-
stellen, weil es eben – um es gelinde zu sagen – nur un-
deutlich dargetan worden ist.

Zum Zweiten möchte ich Herrn Pick sagen: Durch die
in Ihr Gesetz aufgenommenen Straftatbestände setzen Sie
die Richter, die die entsprechenden Urteile gesprochen
haben, pauschal ins Unrecht. Das ist eine neue Ungerech-
tigkeit. Bedenken Sie bitte, dass der oberste Militärrichter
der damaligen Zeit, Herr Dr. Sack, zusammen mit
Bonhoeffer in den letzten Tagen des Krieges auf Hitlers
Befehl in Flossenbürg hingerichtet worden ist. Ich glaube,
wir sollten Respekt auch vor diesen Leuten haben, die in
einer ganz schwierigen Zeit den Versuch unternommen
haben, gerecht zu handeln und gerecht zu urteilen.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1423713000
Ich
schließe die Aussprache.

Tagesordnungspunkt 31 a: Wir kommen zur Abstim-
mung über den von den Fraktionen der SPD und des
Bündnisses 90/Die Grünen eingebrachten Gesetzentwurf
zur Änderung des Gesetzes zur Aufhebung nationalsozia-
listischer Unrechtsurteile in der Strafrechtspflege, Druck-
sache 14/8276. Der Rechtsausschuss empfiehlt in seiner
Beschlussempfehlung auf Drucksache 14/9092, den Ge-
setzentwurf anzunehmen. Hierzu liegt ein Änderungsan-
trag der Fraktion der PDS auf Drucksache 14/9116 vor,
über den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für den Än-
derungsantrag der PDS-Fraktion? – Wer stimmt dage-
gen? – Wer enthält sich? – Der Änderungsantrag ist mit
den Stimmen aller Fraktionen bei Zustimmung der PDS-
Fraktion abgelehnt.

Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf zu-
stimmen wollen, um das Handzeichen. – Gegenstim-
men? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter
Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und
der PDS-Fraktion bei Gegenstimmen von CDU/CSU und
FDP angenommen.

Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Ge-
genstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist
mit dem gleichen Mehrheitsverhältnis wie zuvor ange-
nommen.

Tagesordnungspunkt 31 b: Abstimmung über die Be-
schlussempfehlung des Rechtsausschusses auf Drucksa-
che 14/9092 zu dem Antrag der Fraktion der PDS mit dem
Titel „Aufhebung der nationalsozialistischen Unrechtsur-
teile gegen Deserteure“. Der Ausschuss empfiehlt unter
Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung, den Antrag auf
Drucksache 14/5612 abzulehnen. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer




Parl. Staatssekretär Dr. Eckhart Pick

23741


(C)



(D)



(A)



(B)


enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist damit mit
den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der CDU/CSU
und der FDP bei Gegenstimmen der PDS angenommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 32 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur weiteren Reform des Aktien- und Bilanzrechts,

(Transparenzund Publizitätsgesetz)

– Drucksache 14/8769 –

(Erste Beratung 231. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsaus-
schusses (6. Ausschuss)

– Drucksache 14/9079 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Gabriele Lösekrug-Möller
Dr. Susanne Tiemann
Volker Beck (Köln)

Rainer Funke
Sabine Jünger

Es liegt ein Änderungsantrag der Fraktionen der SPD
und des Bündnisses 90/Die Grünen vor.

Die Reden zu diesem Tagesordnungspunkt sind zu Pro-
tokoll gegeben worden1). Ich gehe davon aus, dass Sie da-
mit einverstanden sind.

Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur weiteren
Reform des Aktien- und Bilanzrechts, zu Transparenz und
Publizität, Drucksache 14/8769. Der Rechtsausschuss
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-
che 14/9079, den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung
anzunehmen.

Es liegt ein Änderungsantrag der Fraktionen der SPD
und des Bündnisses 90/Die Grünen vor, über den wir zu-
erst abstimmen. Wer stimmt für den Änderungsantrag auf
Drucksache 14/9134? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Der Änderungsantrag ist einstimmig ange-
nommen.

Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Aus-
schussfassung mit den soeben beschlossenen Änderungen
zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Gegenstim-
men? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter
Beratung angenommen.

Interfraktionell ist vereinbart, trotz der Annahme des
Änderungsantrags in der zweiten Beratung jetzt unmittel-
bar in die dritte Beratung einzutreten. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall.

Wir kommen zur
dritten Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Ge-
genstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist
einstimmig angenommen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 33 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Änderung des Pflichtversicherungsgesetzes
und anderer versicherungsrechtlicher Vorschriften
– Drucksache 14/8770 –

(Erste Beratung 230. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsaus-
schusses (6. Ausschuss)

– Drucksache 14/9067 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Christine Lambrecht
Dr. Susanne Tiemann
Volker Beck (Köln)

Rainer Funke
Sabine Jünger

Auch die Reden zu diesem Tagesordnungspunkt sollen
zu Protokoll genommen werden2). – Sie sind damit ein-
verstanden.

Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung
des Pflichtversicherungsgesetzes und anderer versiche-
rungsrechtlicher Vorschriften, Drucksache 14/8770. Der
Rechtsausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 14/9067, den Gesetzentwurf in der
Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen
wollen, um ihr Handzeichen. – Gegenstimmen? – Enthal-
tungen? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung ein-
stimmig angenommen.

Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Ge-
genstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist
einstimmig angenommen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 35 auf:
– Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-

gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Änderung der Strafprozessordnung
– Drucksache 14/7562 –

(Erste Beratung 212. Sitzung)


– Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Rege-
lung derZuständigkeit für die Anordnung einer
DNA-Untersuchung bei Spuren
– Drucksache 14/5264 –

(Erste Beratung 182. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsaus-
schusses (6. Ausschuss)

– Drucksache 14/9088 –




Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
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(C)



(D)



(A)



(B)


1) Anlage 10 2) Anlage 11

Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Jürgen Meyer (Ulm)

Ronald Pofalla
Volker Beck (Köln)

Jörg van Essen
Dr. Evelyn Kenzler

Zum Gesetzentwurf der Bundesregierung liegt ein Än-
derungsantrag der Fraktion der CDU/CSU vor.

Auch die Reden zu diesem Tagesordnungspunkt sollen
zu Protokoll genommen werden1). – Ich sehe, Sie sind
einverstanden.

Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung
der Strafprozessordnung auf Drucksache 14/7562. Der
Rechtsausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Be-
schlussempfehlung auf Drucksache 14/9088, den Gesetz-
entwurf in der Ausschussfassung anzunehmen.

Dazu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der
CDU/CSU auf Drucksache 14/9117 vor, über den wir zu-
erst abstimmen. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag?
– Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Änderungsan-
trag ist bei Zustimmung der CDU/CSU mit den Stimmen
aller anderen Fraktionen abgelehnt.

Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der
Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzei-
chen. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetz-
entwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen der Ko-
alitionsfraktionen und der FDP bei Gegenstimmen von
CDU/CSU und PDS angenommen.

Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Ge-
genstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist
mit dem gleichen Stimmenverhältnis angenommen.

Abstimmung über den Gesetzentwurf des Bundesrates
zur Regelung der Zuständigkeit für die Anordnung einer
DNA-Untersuchung bei Spuren, Drucksache 14/5264.
Der Rechtsausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner
Beschlussempfehlung auf Drucksache 14/9088, den Ge-
setzentwurf abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Ge-

setzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. –
Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist
in zweiter Beratung einstimmig abgelehnt. Damit entfällt
nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 36 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Rolf
Kutzmutz, Wolfgang Bierstedt, Uwe Hiksch, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion der PDS
Ökologisch-sozialen Ausbau der regionalen
Infrastruktur mit einer Verstetigung von Be-
schäftigung verbinden
– Drucksache 14/8640 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)

Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung

Auch hier sollen die Reden zu Protokoll genommen
werden2). – Ich sehe, Sie sind einverstanden.

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 14/8640 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie auch damit
einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überwei-
sung so beschlossen.

Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesord-
nung.

Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes-
tages auf Mittwoch, den 5. Juni 2002, 13 Uhr, ein.

Ich wünsche Ihnen schöne Pfingstferien und gute Er-
holung!


(Ute Kumpf [SPD]: Wir Ihnen auch, Herr Präsident!)


Die Sitzung ist geschlossen.