Protokoll:
14236

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 14

  • date_rangeSitzungsnummer: 236

  • date_rangeDatum: 16. Mai 2002

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:00 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 22:21 Uhr

  • account_circleMdBs dieser Rede
  • tocInhaltsverzeichnis
    Nachträgliche Glückwünsche zum Geburtstag des Abgeordneten Jörg-Otto Spiller . . . . . . . 23465 A Eintritt der Abgeordneten Marion Seib in den Deutschen Bundestag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23465 A Benennung des Abgeordneten Norbert Röttgen als ordentliches Mitglied in das Kuratorium der Stiftung „Haus der Geschichte der Bundes- republik Deutschland“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23465 B Benennung des Abgeordneten WernerLensing in den Stiftungsrat der „Stiftung CAESAR“ 23465 B Erweiterung der Tagesordnung . . . . . . . . . . . . 23465 B Absetzung der Tagesordnungspunkte 6 a–c, 9 b, 12 a–c, 29, 30, 34 und 38 f . . . . . . . . . . . . 23467 D Überweisungen der Tagesordnungspunkte 19 und 20 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23468 A Nachträgliche Ausschussüberweisungen . . . . 23468 A Begrüßung der Präsidentin des Chilenischen Abgeordnetenhauses, Frau Muñoz, und ihrer Delegation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23489 C Tagesordnungspunkt 4: a) Abgabe einer Regierungserklärung: Politik für Wachstum, Wohlstand und Beschäftigung – Zukunftssiche- rung durch Nachhaltigkeit . . . . . . . . 23468 B b) Große Anfrage der Abgeordneten Ursula Burchardt, Klaus Barthel (Starn- berg), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeord- neten Hans-Josef Fell, Winfried Hermann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN: Bildungs- und Forschungspolitik für eine nachhal- tige Entwicklung (Drucksachen 14/6022, 14/6959) . . . . . 23468 C c) Antrag der Abgeordneten Ulla Burchardt, Jörg Tauss, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion der SPD so- wie der Abgeordneten Hans-Josef Fell, Winfried Hermann, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN: Bildungs- und Forschungspolitik für eine nachhal- tige Entwicklung (Drucksache 14/8651) . . . . . . . . . . . . . 23468 C d) Unterrichtung durch die Bundesregie- rung: Bericht der Bundesregierung zur Bildung für eine nachhaltige Ent- wicklung (Drucksache 14/7971) . . . . . . . . . . . . . 23468 C e) Unterrichtung durch die Bundesregie- rung: Bericht der Bundesregierung über die Perspektiven für Deutsch- land – Nationale Strategie für eine nachhaltige Entwicklung (Drucksache 14/8953) . . . . . . . . . . . . . 23468 D in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 2: Antrag der Abgeordneten Dr. Ernst Ulrich von Weizsäcker, Ulrike Mehl, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Dr. Reinhard Loske, Winfried Hermann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN: Weltgipfel für Nachhal- tige Entwicklung in Johannesburg 2000 – Plenarprotokoll 14/236 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 236. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 16. Mai 2002 I n h a l t : Der nachhaltigen Entwicklung zum Durchbruch verhelfen (Drucksache 14/9052) . . . . . . . . . . . . . . . . 23469 A in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 3: Antrag der Abgeordneten Ulla Burchardt, Michael Müller (Düsseldorf), weiterer Ab- geordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Winfried Hermann, Dr. Reinhard Loske, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN: Nachhaltige Entwick- lung – neuer Gestaltungsansatz für die Globalisierung (Drucksache 14/9056) . . . . . . . . . . . . . . . . 23469 A in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 4: Antrag der Abgeordneten Dr. Peter Paziorek, Dr. Klaus W. Lippold (Offen- bach), weiterer Abgeordneter und der Frak- tion der CDU/CSU: Initiative für eine nationale Nachhaltigkeitsstrategie (Drucksache 14/9024) . . . . . . . . . . . . . . . . 23469 B in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 5: Antrag der Abgeordneten Dr. Christian Ruck, Klaus-Jürgen Hedrich, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion der CDU/ CSU: Die Schöpfung bewahren, entwick- lungsorientiert handeln: Weltgipfel in Johannesburg muss neue Impulse für globale nachhaltige Entwicklung setzen (Drucksache 14/9025) . . . . . . . . . . . . . . . . 23469 B in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 6: Antrag der Abgeordneten Birgit Homburger, Ulrike Flach, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Liberale Akzente einer nationalen Nachhaltigkeitsstrategie (Drucksache 14/9091) . . . . . . . . . . . . . . . . 23469 C Gerhard Schröder, Bundeskanzler . . . . . . . . . . 23469 D Dr. Angela Merkel CDU/CSU . . . . . . . . . . . . 23475 B Hans Eichel, Bundesminister BMF . . . . . . . . . 23480 A Michael Glos CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . 23481 D Birgit Homburger FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23482 C Joseph Fischer, Bundesminister AA . . . . . . . . 23484 B Roland Claus PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23487 D Dr. Werner Müller, Bundesminister BMWi . . . 23489 D Dr. Klaus W. Lippold (Offenbach) CDU/CSU 23492 A Jürgen Trittin, Bundesminister BMU . . . . . . . 23493 D Ulrike Flach FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23495 A Ulla Burchardt SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23496 C Dr. Christian Ruck CDU/CSU . . . . . . . . . . . . 23498 D Michael Müller (Düsseldorf) SPD . . . . . . . . . 23500 B Dr. Peter Paziorek CDU/CSU . . . . . . . . . . . . 23502 A Franz Thönnes SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23504 B Tagesordnungspunkt 5: a) Antrag der Abgeordneten Karl-Josef Laumann, Brigitte Baumeister, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Rentenreform ehrlich, ge- nerationengerecht und zukunfts- sicher gestalten (Drucksache 14/8269) . . . . . . . . . . . . . 23506 C b) Antrag der Abgeordneten Johannes Singhammer, Karl-Josef Laumann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: In der Renteninfor- mation Klarheit über tatsächliche Versorgungslücke schaffen – Renten- nahe Versichertenjahrgänge zuerst informieren (Drucksache 14/8787) . . . . . . . . . . . . . 23506 C in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 7: Antrag der Abgeordneten Dr. Irmgard Schwaetzer, Dr. Hermann Otto Solms, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Für eine substanzielle und dauer- hafte Rentenreform (Drucksache 14/9050) . . . . . . . . . . . . . . . . 23506 D in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 8: Antrag der Fraktion der PDS: ZurRegelung von in der DDR erworbenen Versor- gungsansprüchen und Anwartschaften in einem spezifischen Versorgungssystem so- wie zur Regelung anderer rechtmäßig er- worbenerAnsprüche auf Alterssicherung (Drucksache 14/9045) . . . . . . . . . . . . . . . . 23506 D Heinz Schemken CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . 23507 A Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 236. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Mai 2002II Peter Dreßen SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23508 A Klaus Brandner SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23510 D Dr. Irmgard Schwaetzer FDP . . . . . . . . . . . . . 23512 D Katrin Göring-Eckardt BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23514 D Monika Balt PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23517 A Erika Lotz SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23518 C Julius Louven CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . 23520 B Walter Riester, Bundesminister BMA . . . . . . 23522 B Dr. Thea Dückert BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23524 B Doris Barnett SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23525 B Tagesordnungspunkt 37: Überweisungen im vereinfachten Ver- fahren a) Erste Beratung des von der Bundes- regierung eingebrachten Entwurfs ei- nes Gesetzes zur Änderung des Soli- darpaktfortführungsgesetzes (Drucksache 14/8979) . . . . . . . . . . . . . 23527 A b) Erste Beratung des von der Bundes- regierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung ver- waltungsverfahrensrechtlicher Vor- schriften (Drucksache 14/9000) . . . . . . . . . . . . . 23527 B c) Erste Beratung des von der Bundes- regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung wohnungs- rechtlicher Vorschriften (Drucksache 14/8993) . . . . . . . . . . . . . 23527 B d) Erste Beratung des von der Bundes- regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anpassung von Rechts- vorschriften an veränderte Zuständig- keiten oder Behördenbezeichnun- gen innerhalb der Bundesregierung (Zuständigkeitsanpassungsgesetz) (Drucksache 14/8977) . . . . . . . . . . . . . 23527 B e) Erste Beratung des von der Bundes- regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Zweiten Protokoll vom 19. Juni 1997 zum Überein- kommen über den Schutz der finan- ziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften (Drucksache 14/9002) . . . . . . . . . . . . . 23527 C f) Erste Beratung des von der Bundes- regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 26. Mai 1997 über die Bekämp- fung der Bestechung, an der Beamte der Europäischen Gemeinschaften oder der Mitgliedstaaten der Euro- päischen Union beteiligt sind (Drucksache 14/8999) . . . . . . . . . . . . . 23527 C g) Erste Beratung des von der Bundesre- gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ausführung des Zwei- ten Protokolls vom 19. Juni 1997 zum Übereinkommen über den Schutz der finanziellen Interessen der Euro- päischen Gemeinschaften, der gemein- samen Maßnahme betreffend die Bestechung im privaten Sektor vom 22. Dezember 1998 und des Rahmen- beschlusses vom 29. Mai 2000 über die Verstärkung des mit strafrecht- lichen und anderen Sanktionen be- währten Schutzes gegen Geldfäl- schung im Hinblick auf die Einführung des Euro (Drucksache 14/8998) . . . . . . . . . . . . . 23527 D h) Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über eine finanzielle Hilfe für Dopingopfer der DDR (Dopingopfer-Hilfegesetz) (Drucksache 14/9028) . . . . . . . . . . . . . 23527 D i) Erste Beratung des von der Bundes- regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Grund- gesetzes (Art. 96) (Drucksache 14/8994) . . . . . . . . . . . . . 23528 A j) Erste Beratung des von der Bundes- regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gerichts- verfassungsgesetzes (Drucksache 14/8978) . . . . . . . . . . . . . 23528 A k) Erste Beratung des von der Bundes- regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen vom 29.Ok- tober 2001 zwischen den Europä- ischen Gemeinschaften und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Republik Kroatien andererseits (Drucksache 14/8981) . . . . . . . . . . . . . 23528 A l) Erste Beratung des von der Bundes- regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 13. Dezember 2000 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Australien über soziale Sicherheit (Drucksache 14/8984) . . . . . . . . . . . . . 23528 B m) Erste Beratung des von der Bundes- regierung eingebrachten Entwurfs eines Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 236. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Mai 2002 III Gesetzes zur Einführung einer kapital- gedeckten Hüttenknappschaftlichen Zusatzversicherung und zur Änderung anderer Gesetze (Hüttenknappschaft- liches Zusatzversicherungs-Neurege- lungs-Gesetz) (Drucksache 14/9007) . . . . . . . . . . . . . 23528 B n) Erste Beratung des von der Bundes- regierung eingebrachten Entwurfs eines Neunten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über das Branntwein- monopol (Drucksachen 14/9005, 14/9042) . . . . . 23528 B o) Erste Beratung des von der Bundes- regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu den Änderungen vom 17. November 2000 des Übereinkom- mens vom 20. August 1971 über die Internationale Fernmeldesatelliten- organisation „INTELSAT“ (Drucksache 14/8983) . . . . . . . . . . . . . 23528 C p) Erste Beratung des von der Bundesre- gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Wirt- schaftsplans des ERP-Sondervermö- gens für das Jahr 2003 (ERP-Wirt- schaftsplangesetz 2003) (Drucksache 14/8985) . . . . . . . . . . . . . 23528 C q) Antrag der Bundesregierung: Fortset- zung der deutschen Beteiligung an der internationalen Sicherheitsprä- senz im Kosovo zur Gewährleistung eines sicheren Umfeldes für die Flüchtlingsrückkehr und zur militä- rischen Absicherung der Friedens- regelung für das Kosovo auf der Grundlage der Resolution 1244 (1999) des Sicherheitsrats derVerein- ten Nationen vom 10. Juni 1999 und des Militärisch-Technischen Abkom- mens zwischen der Internationalen Sicherheitspräsenz (KFOR) und den Regierungen der Bundesrepublik Jugoslawien und der Republik Ser- bien vom 9. Juni 1999 (Drucksache 14/8991) . . . . . . . . . . . . . 23528 C r) Antrag der Abgeordneten Peter Weiß (Emmendingen), Thomas Dörflinger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Ausbau der Bundes- autobahn A 5 (Drucksache 14/8107) . . . . . . . . . . . . . 23528 D s) Unterrichtung durch die Bundesregie- rung: Bericht zum Ausbau der Schie- nenwege 2001 (Drucksache 14/7945) . . . . . . . . . . . . . 23529 A in Verbindung mit Tagesordnungspunkt 19: a) Erste Beratung des von der Bundes- regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Zusatzprotokoll vom 18. Dezember 1997 zum Übereinkommen über die Überstel- lung verurteilter Personen (Drucksache 14/8995) . . . . . . . . . . . . . 23529 A b) Erste Beratung des von der Bundesre- gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zurAusführung des Zusatz- protokolls vom 18. Dezember 1997 zum Übereinkommen über die Über- stellung verurteilter Personen (Drucksache 14/8996) . . . . . . . . . . . . . 23529 A in Verbindung mit Tagesordnungspunkt 20: Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Änderung des Ordnungswidrig- keitenverfahrensrechts (Drucksache 14/9001) . . . . . . . . . . . . . . . . 23529 B in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 9: Weitere Überweisungen im vereinfach- ten Verfahren (Ergänzung zu TOP 37) a) Erste Beratung des von den Abgeordne- ten Klaus Riegert, Friedrich Bohl, wei- teren Abgeordneten und der Fraktion der CDU/CSU sowie dem Abgeordne- ten Dr. Klaus Kinkel und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über eine finanzielle Hilfe für Dopingopfer der DDR (Dopingopfer- Hilfegesetz) (Drucksache 14/9022) . . . . . . . . . . . . . 23529 B b) Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Steuerfreistellung von Arbeitnehmertrinkgeldern (Drucksache 14/9029) . . . . . . . . . . . . . 23529 B c) Erste Beratung des von den Abgeordne- ten Ernst Burgbacher, Gerhard Schüßler, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände- rung des Einkommensteuergesetzes (Abschaffung der Trinkgeldbesteue- rung) (Drucksache 14/9061) . . . . . . . . . . . . . 23529 C Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 236. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Mai 2002IV d) Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Sicherung der Be- treuung und Pflege schwerstkranker Kinder (Drucksache 14/9031) . . . . . . . . . . . . . 23529 C e) Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD, der CDU/CSU, des BÜND- NISSES 90/DIE GRÜNEN, der FDP und der PDS eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zurÄnderung des Gesetzes zur Errichtung einer Stiftung „Erinnerung, Verantwor- tung und Zukunft“ (Drucksache 14/9032) . . . . . . . . . . . . . 23529 D f) Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung futter- mittelrechtlicher Vorschriften sowie zur Änderung sonstiger Gesetze (Drucksache 14/9034) . . . . . . . . . . . . . 23529 D g) Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der Vorsorge und Rehabilitation für Mütter (Drucksache 14/9035) . . . . . . . . . . . . . 23529 D h) Antrag der Abgeordneten Detlef Parr, Dr. Dieter Thomae, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion der FDP: Sucht wirksam bekämpfen – Prävention, Therapie und Lebenshilfe stärken (Drucksache 14/9049) . . . . . . . . . . . . . 23530 A Tagesordnungspunkt 38: Abschließende Beratungen ohne Aus- sprache a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zum NATO-Truppenstatut und anderer Gesetze (Verteidigungs- lastenzuständigkeitsänderungsgesetz) (Drucksachen 14/8764, 14/9086) . . . . 23530 B b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Neunten Gesetzes zur Än- derung des Gesetzes über die Errich- tung einer Stiftung „Hilfswerk für behinderte Kinder“ (Drucksachen 14/8733, 14/9063) . . . . 23530 C c) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Zweiten Gesetzes zur Än- derung des Sprengstoffgesetzes und andererVorschriften (2. SprengÄndG) (Drucksachen 14/8771, 14/9048) . . . . 23530 D d) Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs ei- nes Gesetzes zur Änderung des Kraftfahrzeugsteuergesetzes (Drucksachen 14/7466, 14/8851) . . . . 23531 A e) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zu dem Protokoll vom 30. November 2000 zur Ände- rung des Europol-Übereinkommens (Drucksachen 14/8709, 14/9077) . . . . 23531 B g) Beschlussempfehlung des Petitionsaus- schusses: Sammelübersicht 371 zu Petitionen (Ablehnung eines Rechts- hilfeersuchens) (Drucksache 14/8870) . . . . . . . . . . . . . 23531 C Zusatztagesordnungspunkt 10: Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Jugendschutzgesetzes (JuSchG) (Drucksache 14/9013) . . . . . . . . . . . . . . . . 23531 D in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 11: Erste Beratung des von den Abgeordneten Uta Titze-Stecher, Werner Lensing und weiteren Abgeordneten eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zum Schutze der Jugend in der Öffentlichkeit (Jugendschutzgesetz) (Drucksache 14/8956) . . . . . . . . . . . . . . . . 23531 D in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 12: Antrag der Abgeordneten Dr. Maria Böhmer, Maria Eichhorn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Jugendschutz stärken (Drucksache 14/9027) . . . . . . . . . . . . . . . . 23532 A Dr. Christine Bergmann, Bundesministerin BMFSFJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23532 A Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 236. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Mai 2002 V Dr. Maria Böhmer CDU/CSU . . . . . . . . . . . . 23534 B Grietje Bettin BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . 23536 C Klaus Haupt FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23538 B Angela Marquardt PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . 23539 D Kerstin Griese SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23541 A Maria Eichhorn CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 23543 A Uta Titze-Stecher SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23544 A Klaus Haupt FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23545 B Werner Lensing CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 23545 C Tagesordnungspunkt 7: Zweite und dritte Beratung des von dem Abgeordneten Wolfgang Bosbach und der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Änderung des Versammlungsgesetzes (Drucksachen 14/4754, 14/6625) . . . . . . . 23546 C Dr. Hans-Peter Uhl CDU/CSU . . . . . . . . . . . . 23546 D Dieter Wiefelspütz SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . 23548 C Cem Özdemir BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 23550 A Dr. Edzard Schmidt-Jortzig FDP . . . . . . . . . . 23551 B Ulla Jelpke PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23551 D Tagesordnungspunkt 8: Unterrichtung durch die Bundesregierung: Bilanzierender Gesamtbericht zum Ein- satz bewaffneter deutscher Streitkräfte bei der Unterstützung der gemeinsamen Reaktion auf terroristische Angriffe ge- gen die USA auf der Grundlage des Art. 51 der Satzung der Vereinten Natio- nen und des Art. 5 des Nordatlantikver- trags sowie der Resolutionen 1368 (2001) und 1373 (2001) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen (Drucksache 14/8990) . . . . . . . . . . . . . . . . 23552 D Rudolf Scharping, Bundesminister BMVg . . . 23553 A Dr. Karl-Heinz Hornhues CDU/CSU . . . . . . . 23554 B Angelika Beer BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 23556 C Günther Friedrich Nolting FDP . . . . . . . . . . . 23557 C Wolfgang Gehrcke PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . 23558 C Joseph Fischer, Bundesminister AA . . . . . . . . 23559 C Hans Raidel CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . 23561 A Gert Weisskirchen (Wiesloch) SPD . . . . . . . . 23562 B Kurt J. Rossmanith CDU/CSU . . . . . . . . . 23563 A Zusatztagesordnungspunkt 13: Antrag der Abgeordneten Dr. Günter Rexrodt, Jürgen Koppelin, Dr. Werner Hoyer und der Fraktion der FDP: Entlas- sung des Bundesministers der Verteidi- gung Rudolf Scharping (Drucksache 14/8954) . . . . . . . . . . . . . . . . 23563 C Jürgen Koppelin FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23563 D Hans Georg Wagner SPD . . . . . . . . . . . . . . . . 23565 B Dietrich Austermann CDU/CSU . . . . . . . . . . 23567 C Gerhard Schröder, Bundeskanzler . . . . . . . . . . 23568 D Franziska Eichstädt-Bohlig BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23569 A Dr. Uwe-Jens Rössel PDS . . . . . . . . . . . . . . . 23570 A Paul Breuer CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . 23570 D Namentliche Abstimmung . . . . . . . . . . . . . . . . 23572 A Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23574 A Tagesordnungspunkt 10: a) Antrag der Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Re- form durch Verfassung – Für eine de- mokratische, solidarische und hand- lungsfähige Europäische Union (Drucksache 14/9047) . . . . . . . . . . . . . 23572 A b) Antrag der Abgeordneten Peter Hintze, Christian Schmidt (Fürth), weiterer Ab- geordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Notwendige Reformen für die zukünftige EU – Forderungen an den Konvent (Drucksache 14/8489) . . . . . . . . . . . . . 23572 B in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 14: Antrag der Abgeordneten Sabine Leutheusser- Schnarrenberger, Ina Albowitz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Die Zukunft Europas liegt in den Hän- den des Konvents (Drucksache 14/9044) . . . . . . . . . . . . . . . . 23572 C in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 15: Antrag der Abgeordneten Uwe Hiksch, Dr. Klaus Grehn, Roland Claus und der Fraktion der PDS: Ein anderes Europa ist möglich – Im Konvent die Weichen für Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 236. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Mai 2002VI eine demokratische, solidarische und zivile Europäische Union stellen (Drucksache 14/9046) . . . . . . . . . . . . . . . . 23572 C Dr. Jürgen Meyer (Ulm) SPD . . . . . . . . . . . . 23572 D Peter Altmaier CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . 23577 A Christian Sterzing BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23579 A Sabine Leutheusser-Schnarrenberger FDP . . . 23580 A Uwe Hiksch PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23581 B Hans Eichel, Bundesminister BMF . . . . . . . . 23582 A Dr. Gerd Müller CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 23585 A Joseph Fischer, Bundesminister AA . . . . . . . . 23586 D Tagesordnungspunkt 11: a) Antrag der Abgeordneten Dr. Norbert Lammert, Bernd Neumann (Bremen), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Zentrum gegen Ver- treibungen (Drucksache 14/8594 (neu)) . . . . . . . . 23588 D b) Antrag der Abgeordneten Markus Meckel, Eckardt Barthel, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Dr. Antje Vollmer, Dr. Helmut Lippelt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Für ein europäisch ausgerichtetes Zentrum gegen Vertreibungen (Drucksache 14/9033) . . . . . . . . . . . . . 23588 D in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 16: Antrag der Abgeordneten Hans-Joachim Otto (Frankfurt), Dr. Edzard Schmidt- Jortzig, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Für ein europäisches Zentrum gegen Vertreibungen (Drucksache 14/9068) . . . . . . . . . . . . . . . . 23589 A Erika Reinhardt CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 23589 B Markus Meckel SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23590 A Hans-Joachim Otto (Frankfurt) FDP . . . . . . . 23591 B Erika Steinbach CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 23592 B Dr. Antje Vollmer BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23592 D Dr. Heinrich Fink PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23593 C Dr. Norbert Lammert CDU/CSU . . . . . . . . . . 23594 B Markus Meckel SPD . . . . . . . . . . . . . . . . 23595 A Tagesordnungspunkt 9: a) Erste Beratung des von den Abgeord- neten Rainer Funke, Jörg van Essen, weiteren Abgeordneten und der Frak- tion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Vergütung der Rechtsanwälte (Rechtsanwaltsvergü- tungsgesetz) (Drucksache 14/8818) . . . . . . . . . . . . . 23596 A in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 17: Erste Beratung des von den Abgeordneten Alfred Hartenbach, Hermann Bachmaier, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der SPD sowie den Abgeordneten Volker Beck (Köln), Hans-Christian Ströbele, weiteren Abgeordneten und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN ein- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuordnung des Rechtsanwaltsvergü- tungsrechts (Rechtsanwaltsvergütungs- Neuordnungsgesetz) (Drucksache 14/9037) . . . . . . . . . . . . . . . . 23596 B Rainer Funke FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23596 B Dr. Herta Däubler-Gmelin, Bundesministerin BMJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23597 C Dr. Norbert Röttgen CDU/CSU . . . . . . . . . . . 23598 D Volker Beck (Köln) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23601 B Dr. Evelyn Kenzler PDS . . . . . . . . . . . . . . . . 23602 C Margot von Renesse SPD . . . . . . . . . . . . . 23603 B Alfred Hartenbach SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . 23603 C Tagesordnungspunkt 13: a) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Gerda Hasselfeldt, Bartholomäus Kalb, weiteren Abgeord- neten und der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Bürokratieabbau für kleine und mittelständische Betriebe (Drucksachen 14/6633, 14/8682) . . . . 23605 B b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Tech- nologie zu dem Antrag der Abgeordne- ten Dr. Heinz Riesenhuber, Wolfgang Börnsen (Bönstrup), weiterer Abgeord- neter und der Fraktion der CDU/CSU: Förderung der Innovation im Mittel- stand (Drucksachen 14/7615, 14/9026) . . . . 23605 C Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 236. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Mai 2002 VII Dr. Heinz Riesenhuber CDU/CSU . . . . . . . . . 23605 C Birgit Roth (Speyer) SPD . . . . . . . . . . . . . . . . 23607 C Gudrun Kopp FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23610 A Norbert Schindler CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . 23611 C Hubertus Heil SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23613 A Tagesordnungspunkt 14: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Wirtschaft und Technologie zu dem Entschließungsantrag der Abgeord- neten Wolfgang Börnsen (Bönstrup), Gunnar Uldall, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU zu der Großen Anfrage der Abgeordneten Wolfgang Börnsen (Bönstrup), Gunnar Uldall, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Zukunft der deutschen Mes- sewirtschaft in der Globalisierung (Drucksachen 14/4816, 14/5581, 14/6340, 14/7160) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23615 B Tagesordnungspunkt 15: Antrag der Abgeordneten Markus Meckel, Monika Heubaum, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD, der Abgeordne- ten Hans-Dirk Bierling, Dr. Karl-Heinz Hornhues, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU, der Abgeordneten Rita Grießhaber, Dr. Helmut Lippelt, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie der Abgeordneten Dr. Helmut Haussmann, Walter Hirche, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Neue Impulse für die Zusammenarbeit von EU und Russ- land bei der Entwicklung der Region Kaliningrad (Drucksache 14/9060) . . . . . . . . . . . . . . . . 23615 C Tagesordnungspunkt 16: Antrag der Abgeordneten Lothar Mark, Wolfgang Behrendt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abge- ordneten Kerstin Müller (Köln), Rezzo Schlauch und der Fraktion des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN: Intensivierung der Beziehungen zwischen der Europä- ischen Union, Lateinamerika und der Karibik (Drucksache 14/9051) . . . . . . . . . . . . . . . . 23615 D Zusatztagesordnungspunkt 18: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- wärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Lothar Mark, Hans Büttner (Ingolstadt), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD, der Abgeordneten Christa Nickels, Kerstin Müller (Köln), Rezzo Schlauch und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie der Abgeordneten Dr. Helmut Haussmann, Walter Hirche, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Hilfe für die Opfer der Colonia Dignidad (Drucksachen 14/7444, 14/8511) . . . . . . . 23615 D Tagesordnungspunkt 17: Antrag der Abgeordneten Brigitte Adler, Adelheid Tröscher, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abge- ordneten Dr. Angelika Köster-Loßack, Hans-Christian Ströbele, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN: Welternährungs- gipfel – fünf Jahre später (Drucksache 14/8031) . . . . . . . . . . . . . . . . 23616 B in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 19: Antrag der Abgeordneten Dr. Helmut Haussmann, Ina Albowitz, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion der FDP: Um- setzung der von Deutschland beim Millenniumgipfel übernommenen Ver- pflichtungen (Drucksache 14/9055) . . . . . . . . . . . . . . . . 23616 B Brigitte Adler SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23616 C Marlies Pretzlaff CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 23618 B Dr. Angelika Köster-Loßack BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23620 A Tagesordnungspunkt 18: Große Anfrage der Abgeordneten Ulla Lötzer, Eva Bulling-Schröter, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion der PDS: Sicherung sozialer und tariflicher Stan- dards sowie Stellung der kommunalen Selbstverwaltung und der öffentlichen Daseinsvorsorge im nationalen und europäischen Wettbewerbs- und Verga- berecht (Drucksachen 14/6527, 14/7730) . . . . . . . 23621 C Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23621 C Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 236. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Mai 2002VIII Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 23623 A Anlage 2 Verzicht auf die Auslieferung eines wegen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilten und aus dem rheinland-pfälzischen Strafvollzug geflohenen, in Portugal festgenommenen Mannes MdlAnfr 1, 2 Norbert Geis CDU/CSU Antw PStSekr Dr. Eckhart Pick BMJ . . . . . . . 23623 D Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Heidemarie Ehlert (PDS) zur Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zu dem Pro- tokoll vom 30. November 2000 zur Änderung des Europol-Übereinkommens (Tagesordnungspunkt 38 e) . . . . . . . . . . . . . . . 23624 C Anlage 4 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Sylvia Voß (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur namentlichen Abstimmung über die Ent- lassung des Bundesministers der Verteidigung Rudolf Scharping (Zusatztagesordnungspunkt 13) . . . . . . . . . . . 23624 D Anlage 5 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Christian Simmert, Annelie Buntenbach und Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur namentlichen Abstimmung über die Entlassung des Bundesministers der Verteidigung Rudolf Scharping (Zusatztagesordnungspunkt 13) . . . . . . . . . . . 23625 B Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Anträge: – Zentrum gegen Vertreibungen – Für ein europäisches Zentrum gegen Ver- treibungen (Tagesordnungspunkt 11 a und b, Zusatztages- ordnungspunkt 16) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23625 C Dr. Julian Nida-Rümelin, Staatsminister BK 23625 C Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – Entwurf eines Gesetzes zum Bürokratieab- bau für kleine und mittelständische Betriebe – Bericht: Förderung der Innovation im Mit- telstand (Tagesordnungspunkt 13 a und b) . . . . . . . . . . 23626 D Rolf Kutzmutz PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23626 D Margareta Wolf, Parl. Staatssekretärin BMWi 23627 C Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entschließungsantrages: Zukunft der deut- schen Messewirtschaft in der Globalisierung (Tagesordnungspunkt 14) . . . . . . . . . . . . . . . . 23628 C Rolf Hempelmann SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . 23628 C Wolfgang Börnsen (Bönstrup) CDU/CSU . . . 23629 D Ernst Burgbacher FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . 23632 C Rolf Kutzmutz PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23633 C Margareta Wolf, Parl. Staatssekretärin BMWi 23633 D Anlage 9 Zu Protokoll gegebene Reden zum Antrag: Neue Impulse für die Zusammenarbeit von EU und Russland bei der Entwicklung der Region Kaliningrad (Tagesordnungspunkt 15) . . . . . . . . . . . . . . . . 23634 D Markus Meckel SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23634 D Dr. Andreas Schockenhoff CDU/CSU . . . . . . 23637 B Dr. Helmut Lippelt BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23638 A Dr. Werner Hoyer FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . 23638 C Dr. Klaus Grehn PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23639 D Anlage 10 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Anträge: – Intensivierung der Beziehungen zwischen der Europäischen Union, Lateinamerika und der Karibik – Hilfe für die Opfer der Colonia Dignidad (Tagesordnungspunkt 16, Zusatztagesord- nungspunkt 18) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23640 B Lothar Mark SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23640 B Clemens Schwalbe CDU/CSU . . . . . . . . . . . . 23642 D Dr. Werner Hoyer FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . 23645 A Wolfgang Gehrcke PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . 23646 B Dr. Ludger Volmer, Staatsminister AA . . . . . . 23646 D Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 236. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Mai 2002 IX Anlage 11 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Anträge: – Welternährungsgipfel – fünf Jahre später – Umsetzung der von Deutschland beim Milleniumgipfel übernommenen Ver- pflichtungen (Tagesordnungspunkt 17, Zusatztagesord- nungspunkt 19) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23648 C Joachim Günther (Plauen) FDP . . . . . . . . . . 23648 C Carsten Hübner PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23649 B Anlage 12 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Großen Anfrage: Sicherung sozialer und tariflicher Standards sowie Stellung der kom- munalen Selbstverwaltung und der öffent- lichen Daseinsvorsorge im nationalen und europäischen Wettbewerbs- und Vergaberecht (Tagesordnungspunkt 18) . . . . . . . . . . . . . . . . 23649 C Klaus Wiesehügel SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23649 D Jochen-Konrad Fromme CDU/CSU . . . . . . . 23650 D Gerhard Schüßler FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . 23652 A Ursula Lötzer PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23652 D Margareta Wolf, Parl. Staatssekretärin BMWi 23653 D Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 236. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Mai 2002X Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 236. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Mai 2002
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    Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 236. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Mai 2002 Dr. Angelika Köster-Loßack 23621 (C)(A) 1) Anlage 12 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 236. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Mai 2002 23623 (C) (D) (A) (B) Dr. Eid, Uschi BÜNDNIS 90/ 16.05.2002 DIE GRÜNEN Fischer (Berlin), BÜNDNIS 90/ 16.05.2002 Andrea DIE GRÜNEN Frankenhauser, Herbert CDU/CSU 16.05.2002 Friedrich (Altenburg), SPD 16.05.2002 Peter Gleicke, Iris SPD 16.05.2002 Dr. Grehn, Klaus PDS 16.05.2002 Dr. Haussmann, Helmut FDP 16.05.2002 Hilsberg, Stephan SPD 16.05.2002 Höfken, Ulrike BÜNDNIS 90/ 16.05.2002 DIE GRÜNEN Irmer, Ulrich FDP 16.05.2002 Jüttemann, Gerhard PDS 16.05.2002 Klinkert, Ulrich CDU/CSU 16.05.2002 Dr. Kohl, Helmut CDU/CSU 16.05.2002 Kolbow, Walter SPD 16.05.2002 Lamp, Helmut CDU/CSU 16.05.2002 Leidinger, Robert SPD 16.05.2002 Lengsfeld, Vera CDU/CSU 16.05.2002 Michels, Meinolf CDU/CSU 16.05.2002 Neumann (Gotha), SPD 16.05.2002 Gerhard Ostrowski, Christine PDS 16.05.2002 Pieper, Cornelia FDP 16.05.2002 Dr. Protzner, Bernd CDU/CSU 16.05.2002 Ronsöhr, CDU/CSU 16.05.2002 Heinrich-Wilhelm Roos, Gudrun SPD 16.05.2002 Sauer, Thomas SPD 16.05.2002 Schauerte, Hartmut CDU/CSU 16.05.2002 Scherhag, Karl-Heinz CDU/CSU 16.05.2002 Schmitz (Baesweiler), CDU/CSU 16.05.2002 Hans Peter Schütze (Berlin), CDU/CSU 16.05.2002 Diethard Schultz (Everswinkel), SPD 16.05.2002 Reinhard Seehofer, Horst CDU/CSU 16.05.2002 Siemann, Werner CDU/CSU 16.05.2002 Dr. Waigel, Theodor CDU/CSU 16.05.2002 Wieczorek-Zeul, SPD 16.05.2002 Heidemarie Zierer, Benno CDU/CSU 16.05.2002* * für die Teilnahme an den Sitzungen der Parlamentarischen Ver- sammlung des Europarates Anlage 2 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Eckhart Pick auf die Fragen des Abgeordneten Norbert Geis (CDU/CSU) (Druck- sache 14/9003, Fragen 1 und 2): Weshalb hat das Bundesministerium der Justiz davon abgese- hen, die Auslieferung des 1985 wegen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilten Mannes zu beantragen, der nach seiner Flucht aus dem rheinland-pfälzischen Strafvollzug im Februar 2002 in Portugal festgenommen werden konnte und der nach Ablauf der Antragsfrist nun wieder auf freiem Fuße ist? Mit welchen Erwägungen – im Einzelnen – ist bei dieser Ent- scheidung die offenbar gegenteilige Auffassung der Staatsanwalt- schaft Frankenthal (Pfalz) sowie des Justizministeriums des Lan- des Rheinland-Pfalz verworfen worden? Zu Frage 1: Das Bundesministerium der Justiz hat nicht das Stellen eines Ersuchens um Auslieferung abgelehnt. Da Portugal Mitgliedstaat des Schengener Übereinkommens ist, liegt die Zuständigkeit für die Stellung von Auslieferungsersu- chen nach der einschlägigen Zuständigkeitsvereinbarung zwischen Bund und Ländern grundsätzlich bei der Lan- desjustizverwaltung. In dem angesprochenen Fall verhielt es sich wie folgt: Der Betroffene verbüßte eine lebenslange Freiheitsstrafe, welche am 30. Januar 1985 durch Urteil des Landgerichts Frankenthal wegen Mordes in Tateinheit mit Raub ver- hängt worden war. Mit Beschluss vom 26. Mai 1997 hatte die Strafvollstreckungskammer Diez des Landgerichts entschuldigt bis Abgeordnete(r) einschließlich entschuldigt bis Abgeordnete(r) einschließlich Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Anlagen zum Stenographischen Bericht Koblenz nach § 57a StGB festgestellt, dass die besondere Schwere der Schuld eine Vollstreckung bis zum 20. Fe- bruar 2001 gebiete. Aus Gründen, die der Bundesregie- rung nicht bekannt sind, wurde die Vollstreckung über den 20. Februar 2001 hinaus (seit dem 22. Februar 2000 im of- fenen Vollzug) fortgesetzt. Der Betroffene befand sich im 18. Jahr in Haft, als er am 13. Februar 2002 von einem ihm gewährten Ausgang nicht zurückkehrte und sich nach Portugal absetzte. Das portugiesische Strafrecht kennt die lebenslange Freiheitsstrafe nicht. Die Höchstdauer der Freiheits- strafe beträgt in Portugal 15 Jahre. Die portugiesische Regierung bewilligt eine Auslieferung grundsätzlich nicht, wenn die dem Auslieferungsersuchen zugrunde liegende strafbare Handlung mit einer lebenslangen Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung bedroht ist. Ausnahmsweise kann sie jedoch eine Aus- lieferung bewilligen, wenn die ersuchende Vertragspar- tei zusichert, nach Maßgabe des nationalen Rechts und der Strafvollstreckungspraxis alle Vollstreckungserleich- terungen zu fördern, die zugunsten der auszuliefernden Person getroffen werden können. Zuständig für eine der- artige Zusicherung ist die Bundesregierung, die das Vor- liegen der tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzun- gen zu prüfen hat. Der dieser Prüfung zugrunde liegende und auf Bitten des Bundesministeriums der Justiz ergänzte Bericht der Staatsanwaltschaft Frankenthal als zuständiger Voll- streckungsbehörde kommt zu dem Ergebnis, es könne nur zugesichert werden, dass von Amts wegen geprüft werde, ob eine bedingte Entlassung zum 27. Juli 2004 in Betracht komme. Die Staatsanwaltschaft Frankenthal vertrat die Ansicht, dass ein Antrag des Betroffenen auf bedingte Entlassung vor seiner Flucht abgelehnt worden wäre, weil adäquate soziale Kontakte noch hätten aufgebaut werden müssen. Sie konnte jedoch nicht darlegen, dass in der Vergangen- heit alles getan worden war, um Vollstreckungserleichte- rungen zu fördern, bzw. dass dies künftig geschehen wird. Vor diesem Hintergrund war die von der portugiesischen Seite geforderte Zusicherung nicht möglich. Zu Frage 2: Auf die Antwort zu Frage Nr. 1 wird verwiesen. Mit dem Ministerium der Justiz des Landes Rheinland-Pfalz wurde die Angelegenheit mehrfach erörtert. Das Landes- justizministerium forderte in Würdigung der berechtigten Bedenken des Bundesministeriums der Justiz einen er- gänzenden Bericht der Staatsanwaltschaft Frankenthal an. Auch das Landesjustizministerium war der Ansicht, dass eher nicht mit einer längeren weiteren Haftdauer zu rech- nen sei, wenn der Betroffene sich freiwillig der weiteren Strafvollstreckung stelle. Einvernehmen zwischen dem Bundesministerium der Justiz und dem Justizministerium des Landes Rheinland-Pfalz bestand auch hinsichtlich der Tatsache, dass das Bundesministerium der Justiz die er- forderliche Zusicherung nicht abgeben kann, wenn von den zuständigen Stellen der Landesjustizverwaltung das Vorliegen der Voraussetzungen dieser Zusicherung im konkreten Einzelfall nicht dargetan wird. Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Heidemarie Ehlert (PDS) zur Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zu dem Protokoll vom 30. November 2000 zur Än- derung des Europol-Übereinkommens (Tages- ordnungspunkt 38 e) Ich stimme für den Änderungsantrag der PDS-Frak- tion, weil ich für die Einheit von Reden und Handeln bin. Bei meiner Abstimmung gehe ich von Positionen aus, die die große Mehrheit des Hauses teilt: Wir alle sind stets für eine bessere Zusammenarbeit zwischen den Ländern der Europäischen Union eingetreten. Das gilt auch für die Verfahren zur Verfolgung von Straftaten. Wir haben ge- meinsam der Einrichtung eines internationalen Strafge- richts zugestimmt und in diesem Zusammenhang sogar das Grundgesetz geändert. Von dieser gemeinsamen Haltung ausgehend halte ich es für nicht erträglich, dass die Bundesrepublik Deutschland das strafrechtliche Ermittlungsverfahren des EU-Staats Österreich dadurch leer laufen lässt, dass hinsichtlich eigener Staatsbedientester das Privileg der Staatenimmu- nität geltend gemacht wird. Hier ist eine erneute Selbstprüfung erforderlich. Diese würde die Annahme des Änderungsantrags ermöglichen. Anlage 4 Erklärung nach § 31 GO derAbgeordneten Sylvia Voß (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur namentlichen Abstimmung über die Entlassung des Bundesministers der Vertei- digung Rudolf Scharping (Zusatztagesord- nungspunkt 13) Einer Entlassung von Verteidigungsminister Rudolf Scharping werde ich diesmal noch nicht zustimmen, son- dern mit Enthaltung votieren. So vordergründig die Absicht der FDP sein mag, die zu diesem Antrag führte, so klar ist auch ein anderes: SPD und Grüne würden – säßen sie in der Opposition – ebenso agieren. Das ist nicht nur legitim, es ist eigentlich – angesichts der Fakten – auch zwingend, wenn Ehrlichkeit und Ver- lässlichkeit Kategorien der Politik sein sollen. Es ist nicht das erste Mal, dass Herr Scharping mit Halbwahrheiten oder Falschinformationen agiert und Ver- sprechen nicht hält. Ich erinnere nur an die Informations- politik zum Angriffskrieg gegen Jugoslawien. Für mein heutiges Abstimmungsverhalten ausschlag- gebend ist allerdings das unüberbrückbar weite Ausein- anderklaffen von Wort und Tat hinsichtlich einer zivilen Nutzung des früheren Truppenübungsplatzes in der Kyritz-Ruppiner Heide. Rudolf Scharping hat in dieser Frage im Wahlkampf 1994, also als damaliger Kanzler- kandidat der SPD, den Bürgerinnen und Bürgern eine zivile Nutzung des durch brutale Enteignung entstande- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 236. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Mai 200223624 (C) (D) (A) (B) nen russischen Übungsplatzes versprochen. Als Verteidi- gungsminister aber hat er das Parlament wissentlich getäuscht und im neuen Truppenübungsplatzkonzept die Weiterführung der Garnison Wittstock beschließen las- sen, einer Garnison, die es gar nicht gibt und die erst mit weit über 100 Millionen Euro, mit Geld, das wir nicht ha- ben, aus Ruinen entstehen müsste. Ich gebe zu, dass ich der Meinung bin, dass Politiker, die wie Rudolf Scharping ihr Wort, ohne mit der Wimper zu zucken, brechen und uns Abgeordnete falsch informie- ren, vom Parlament zum Rücktritt aufgefordert werden sollten. Wenn ich mich dennoch heute der Stimme enthalte, dann nur, um Herrn Scharping die Möglichkeit einzuräu- men, schnellstens eine Kehrtwende in dieser Frage zu vollziehen. Das ist inhaltlich und erst recht moralisch ge- boten. Herr Scharping! Zerstören Sie nicht grundlos Arbeits- plätze in Bayern, wo Sie eine Garnison – wie sie in Witt- stock entstehen soll – schließen wollen, obwohl die Be- völkerung dort sie behalten will! Zerstören Sie mit einem Bombodrom in der Kyritz-Ruppiner Heide nicht eine der schönsten Ferienregionen Deutschlands, die bis zur Mecklenburgischen Seenplatte und dem Nationalpark Müritz reicht! Nutzen Sie die Chance, Ihr Wahlverspre- chen einzulösen, und die Bürgerinnen und Bürger werden sich dankbar erinnern. Sollten Sie im Wortbruch bleiben, werde auch ich öf- fentlich ihren Rücktritt fordern. Anlage 5 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Christian Simmert, Annelie Buntenbach und Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur namentlichen Abstimmung über die Entlassung des Bundesmi- nisters der Verteidigung Rudolf Scharping (Zu- satztagesordnungspunkt 13) Die Absetzung des Bundesverteidigungsministers Rudolf Scharping, SPD, lehnen wir ab, obwohl auch wir erhebliche Zweifel haben an der haushaltsrechtlichen Korrektheit des Vorgehen des Verteidigungsministeriums sowie an seinen Positionen in anderen, uns zentralen po- litischen Fragen. Die Wahlkampfstrategie der FDP, den Versuch zu unternehmen, den Verteidigungsminister vier Monate vor der Bundestagswahl absetzen zu wollen und damit die rot-grüne Regierung insgesamt auszuhebeln, ist durchsichtig. Dies werden wir nicht unterstützen. Die Ablehnung des Antrags der FDP rechtfertigt aller- dings keineswegs den Umkehrschluss, dass wir uns hinter den Bundesverteidigungsminister und seine Politik stel- len können und wollen. Wir teilen die begründeten haus- haltsrechtlichen Zweifel am Rüstungsauftrag des Militär- Airbus. Darüber hinaus können wir aufgrund des NATO- Bombardements und unserer Kritik an der deutschen Beteiligung am Kosovo-Krieg sowie der Haltung des Ver- teidigungsministers in diesem Zusammenhang ihm das Vertrauen nicht aussprechen. Gleiches gilt für die Entsen- dung deutscher Soldaten nach Afghanistan und die Betei- ligung der Bundesrepublik Deutschland an „Enduring Freedom“. Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung der Anträge: – Zentrum gegen Vertreibungen – Für ein europäisches Zentrum gegen Vertreibungen (Tagesordnungspunkt 11 a und b, Zusatztages- ordnungspunkt 16) Dr. Julian Nida-Rümelin, Staatsminister im Bundes- kanzleramt: Die Vertreibung der Deutschen im und nach dem Zweiten Weltkrieg hat die deutsche Nachkriegsge- schichte insgesamt wesentlich mitgeprägt. Angesichts des Ausmaßes des je individuell erfahrenen Leids und ange- sichts der Zahl der Opfer – Schätzungen gehen von über 14 Millionen Vertriebenen aus, von denen Hunderttau- sende starben – ist dies nur zu verständlich. Gleichwohl unterliegt die Art und Weise der Thematisierung von Ver- treibungen sich wandelnden, zeitgeschichtlich bedingten Rahmenbedingungen. Ein moralisch und politisch ange- messener Umgang mit dem Thema verlangt meines Er- achtens, dass wir diese veränderten Bedingungen in den Blick nehmen. Bezogen auf die Bundesrepublik, das heißt unter Aus- klammerung des Umgangs bzw. Nicht-Umgangs mit der Vertreibungsproblematik in der DDR, denke ich hier ins- besondere an die neue Rolle, die dem Thema Vertreibung im Kontext der Entspannungspolitik ab den 60er-Jahren zugewiesen wurde. Während in den 50er-Jahren – nicht nur, aber doch vor allem – Fragen der sozialen und kul- turellen Integration der Flüchtlinge und Vertriebenen im Mittelpunkt standen, unterlag die Thematisierung der Problematik vor dem Hintergrund der neuen Ostpolitik zugleich einer Verengung und Polarisierung. Die Vertrie- benen und ihre Verbände brandmarkten die Entspan- nungspolitik in erster Linie als Verrat. Das komplexe Thema Vertreibung wurde so – nicht frei von revanchis- tischen Tönen – auf die Frage der staatlichen Grenzen Deutschlands reduziert. Dieser verengten Sichtweise korrespondierte auf der Seite der Befürworter der Ent- spannungspolitik eine weitgehende Tabuisierung. Allein das Ansprechen der im Zuge der Vertreibungen verübten Verbrechen galt nicht selten als Ausweis einer aggressi- ven, gegen den Geist der Entspannung gerichteten Hal- tung. Seit 1989 hat sich die politische Konstellation grund- legend gewandelt. Die Prämissen des Kalten Krieges sind außer Kraft gesetzt und mit ihnen entfielen die Gründe für eine Tabuisierung des Themas Vertreibung. Ein zweites, dunkles Moment trat nach 1989 hinzu: das Bewusstsein für die Gegenwärtigkeit von Vertreibung, auch hier in Europa. Ich erinnere nur an die schrecklichen Entwick- lungen im ehemaligen Jugoslawien. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 236. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Mai 2002 23625 (C) (D) (A) (B) Noch eine weitere Randbedingung der gegenwärtigen Diskussion scheint mir bedeutsam zu sein: Angesichts der voranschreitenden Integration innerhalb der Europä- ischen Union und ihrer Erweiterung insbesondere nach Osten wächst das Interesse an einer europäischen – und das heißt nicht nationalstaatlich verengten – Sicht auf historische Prozesse. Vor diesem Hintergrund gibt es auch gerade bei der jüngeren Generation eine neue Aufmerk- samkeit für deutsche Geschichte, verstanden als Teil der europäischen Geschichte. Wir sollten die nach dem Ende des Kalten Krieges ver- änderte Grundkonstellation als Chance begreifen, für ei- nen breiten, genuin europäischen Dialog über Flucht und Vertreibung. Eines dürfen wir allerdings nicht zulassen: dass die Erinnerung an die Rolle Nazi-Deutschlands als Aggressor, als Initiator eines verbrecherischen Vernich- tungskrieges verblasst. Und wir dürfen auch nicht zulas- sen, dass mit Blick auf die Vertreibungen eine neue Auf- rechnungsdiskussion beginnt. Der Respekt vor den Opfern, der je individuellen Würde der Opfer verbietet jede Form von Instrumentalisierung. Der Antrag der Fraktion der CDU/CSU nimmt Bezug auf eine Initiative des Bundes der Vertriebenen. In einem ersten Gespräch habe ich Ende März vergangenen Jahres mit Frau Steinbach die Pläne zur Einrichtung eines Zen- trums gegen Vertreibung erörtert und dabei meine prinzipi- elle Zustimmung signalisiert. Ich habe allerdings bereits seinerzeit darauf hingewiesen, dass es aus meiner Sicht keine thematische Engführung eines solchen Zentrums ge- ben darf in dem Sinne, dass nur die Vertreibung von Deut- schen Gegenstand wäre. Wenn ein solches Zentrum seinem Thema gerecht werden soll, muss es europäisch ausgerich- tet sein und eine enge Kooperation mit unseren europä- ischen Partnern anstreben. Der Antrag der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen unterstreicht – auch vor dem eben skizzierten historischen Hintergrund – zu Recht, dass dieses Projekt keine rein nationale Aufgabe sein kann. Ein Zentrum gegen Vertreibung sollte meines Erach- tens vor allem zwei Aufgaben gerecht werden. Es sollte erstens umfassend über Vertreibungen und ihre Hinter- gründe informieren, auch mit Blick auf die immer noch und wieder gegebene Aktualität des Themas. Zum Zwei- ten sollte es einen Beitrag dazu leisten, Erinnerung zu be- wahren, Erinnerung nicht zuletzt an die schwerwiegenden menschlichen, sozialen und kulturellen Verluste, die mit Vertreibung verbunden waren und verbunden bleiben werden. Dass dabei, wie dies auch der Antrag der Regie- rungsfraktionen hervorhebt, die persönlich Betroffenen an prominenter Stelle einzubeziehen sind, ist aus meiner Sicht ein inhaltlicher Kernpunkt. Wir sollten uns in der gesamten Diskussion zunächst auf die inhaltlichen Fragestellungen konzentrieren. Wich- tig scheint mir dabei in erster Linie zu sein, dass ein eu- ropäisch ausgerichtetes Zentrum gegen Vertreibung ein Forum für alle Betroffenen und für alle interessierten Bür- gerinnen und Bürger bietet. Das Zentrum würde weder der moralischen noch der politischen Dimension seines Gegenstandes gerecht, wenn es zu einer Fokussierung auf einzelne Gruppen käme. Mit Blick auf die Entwicklung der Konzeption für ein Zentrum gegen Vertreibung ist es von eminenter Bedeu- tung, dass wir auf breiter Ebene Sachverstand einholen. Ich weise in diesem Zusammenhang auf die vom Haus der Geschichte in Bonn bereits begonnenen Vorarbeiten für ein Ausstellungsprojekt zur Vertreibung der Deutschen hin. Ich erinnere auch an die neuen Akzente, die meine Behörde im Bereich der Förderung nach § 96 des Bun- desvertriebenengesetzes seit 1998 gesetzt hat; Stichwort etwa Kulturgeschichte im östlichen Europa. Auch die hier gemeinsam mit den Partnern in unseren östlichen Nach- barländern gewonnenen Erfahrungen und Erkenntnisse könnten in die Konzeption eines europäisch orientierten Zentrums gegen Vertreibung einfließen. Gegenüber den inhaltlichen Fragestellungen sind aus meiner Sicht die Fragen nach der Trägerschaft und nach dem künftigen Ort des Zentrums gegenwärtig nicht prio- ritär. Ich habe mit Freude registriert, dass sich auf der Seite unserer polnischen Nachbarn prominente Personen für ein europäisch ausgerichtetes Zentrum gegen Vertrei- bung ausgesprochen haben. Ich plädiere allerdings dafür, die Frage des Zentrumssitzes jetzt nicht in einer Weise in den Vordergrund zu stellen, die die entscheidenden in- haltlichen Aspekte überdecken würde. Und ich erlaube mir auch den Hinweis, dass alle Seiten gleichermaßen in die Debatte einbezogen werden sollten, beispielsweise auch unsere tschechischen Partner. Eine aufgeklärte nationale Identität Deutschlands ver- langt einen offenen Umgang mit dem Thema Vertreibung, auch der Vertreibung der Deutschen im Osten. Wir sollten den Dialog über die Einrichtung eines Zentrums gegen Vertreibung auf europäischer Ebene führen – eingedenk der Tatsache, dass die früheren Siedlungsgebiete der Deut- schen im Osten von einem reichen kulturellen Geflecht ge- prägt sind, zu dessen Entstehung vielfältige Einflüsse beigetragen haben: jüdische, polnische, tschechische, deutsche, um nur einige zu nennen. Dieses gemeinsame Erbe Europas muss bewahrt und fortentwickelt werden. Ein europäisch ausgerichtetes Zentrum gegen Vertreibun- gen wäre dazu ein wegweisender Beitrag. Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – Entwurf eines Gesetzes zum Bürokratieabbau für kleine und mittelständische Betriebe – Bericht: Förderung der Innovation im Mittel- stand (Tagesordnungspunkt 13 a und b) Rolf Kutzmutz (PDS):Wie ich schon Ende Januar den verehrten Kollegen Börnsen und Riesenhuber bei der ers- ten Lesung angekündigt habe, wird die PDS ihren Antrag „Förderung der Innovation im Mittelstand“ unterstützen, wie wir dieselben Forderungen der CDU/CSU bereits im November in den Haushaltberatungen zugestimmt haben, weil sie ja auch teilweise den zeitlich vorher eingebrach- ten PDS-Anträgen entsprachen. Mehr Finanzsicherheit für indirekte Forschungszu- sammenarbeit, industrielle Gemeinschaftsforschung, die Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 236. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Mai 200223626 (C) (D) (A) (B) Programme für Forschung und Entwicklung in den neuen Ländern, NEMO, die Beteiligungsförderung in technolo- gieorientierten Unternehmen sowie zum Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnologien in klei- neren Betrieben sind unbedingt erforderlich. So berechtigt jedoch die Kritik an der so genannten Fortschreibung des Innovationskonzepts von 1997 durch Rot-Grün ist – das Eigenlob für das Konzept der Kohl-Ära im Feststellungsteil des Antrages stinkt dennoch mächtig. Denn weder früher noch heute scheinen die Christdemo- kraten bereit, Fördervoraussetzungen für mittelständische Technologieprogramme auf ökologische und soziale Kri- terien zuzuschneiden. Kriterien wie Energie- und Res- sourceneffizienz und Schadstoffminderung müssen und können Eingang in die Technologieförderung in kleineren und mittleren Unternehmen finden. Auch reichen die Wurzeln der heutigen Finanzmisere der Förderkulisse zweifellos bis weit in die schwarz-gelbe Regierungszeit zurück. Wir stimmen dem Antrag dennoch zu – um die CDU/ CSU beim Wort zu nehmen, falls sie einmal wieder in Ver- antwortung geraten sollte. Wir werden sie dann auf alle Fälle an ihre hehren Bekundungen von heute erinnern und sie daran messen! Zum zweiten Gegenstand dieser Debatte. Beim Ge- setzentwurf zum Bürokratieabbau für KMU hatte ich zur ersten Lesung im November vorigen Jahres unsererseits eine ernsthafte Prüfung zugesagt, denn der Verzicht auf unnötige Bürokratie ist natürlich äußerst sinnvoll. Mit der Pflicht zur Buchführung müssen Unternehmen strengere und umfassendere Rechnungslegungsvorschriften als mit der einfacheren Überschussrechnung erfüllen. Höhere Anforderungen bestehen insbesondere hinsichtlich der Vermögensverhältnisse des Unternehmens. Diese wenigs- tens an einer Stelle seriös erkennen zu können, daran müs- sen aber neben dem Finanzamt vor allem auch Gläubiger und Handelspartner ein Interesse haben. Womit wir beim Pferdefuß einer großzügigen Libera- lisierung sind. Zu Recht beklagen wir alle den rasanten Rückzug der Banken aus der Unternehmensfinanzierung unter der Flagge von Basel II, brandmarken wir die mi- serable Zahlungsmoral, unter der vor allem kleinere Un- ternehmen zusammenbrechen. Andererseits kann auch niemand die Augen davor verschließen, dass Finanzie- rungen oder Beteiligungen allzu oft tatsächlich man- gelnde Transparenz der Kapital bzw. Geschäfte Suchen- den gegenübersteht. Insoweit stünde bei Umsetzung dieses Gesetzentwurfes nicht nur „Bürokratieabbau“ ge- gen „Aufgabe von Sicherheit“, sondern möglicherweise sogar Verzicht auf bessere Finanzierungs- und damit Zu- kunftschancen. Ich weiß nicht, ob das im Überschwang der neuen Frei- heit wirklich alle Begünstigten hinreichend überschauen würden. Auch ist unklar, ob dieser Antrag wirklich prak- tisch relevant ist. Schließlich würde das bedeuten, dass eine größere Zahl bisher nicht buchführungspflichtiger Unternehmen einen Jahresumsatz jenseits der heute schon gültigen Schwelle von 260 000 Euro erwirtschaftet. Das ist aber zu bezweifeln. Aus diesen Gründen wird sich die PDS bei der Ab- stimmung zu diesem Punkt enthalten. Margareta Wolf, Parl. Staatssekretärin beim Bundes- minsiter für Wirtschaft und Technologie: Die Bundesre- gierung setzt auf Forschung und Innovation. Wir haben in dieser Legislaturperiode mit unserer Technologie- und In- novationspolitik wichtige Impulse für Wachstum und zu- kunftsfähige Arbeitsplätze gegeben. Deutschland ist in den letzten Jahren wieder zu einem international hochat- traktiven Innovationsstandort geworden. Die Entwicklung des Bundeshaushalts macht eindrucks- voll deutlich: Wir haben für Innovation, Forschung und Technologie deutlich mehr Mittel zur Verfügung gestellt als die Vorgängerregierung – und dennoch die öffentlichen Haushalte konsolidiert. Die Innovationsbudgets von BMWi und BMBF wurden von insgesamt 6,1 Milliarden Euro im Jahr 1998 auf 7,2 Milliarden Euro im Jahr 2002 gesteigert. Das ist ein Aufwuchs von 18 Prozent . Gerade kleine und mittlere Unternehmen – das Rück- grat unserer Wirtschaft – spielen eine Vorreiterrolle bei der Umsetzung von FuE-Ergebnissen und neuen Techno- logien. Ihnen gilt auch 2002 ein Hauptaugenmerk im BMWi-Haushalt: Rund 540 Millionen Euro stellen wir für „Forschung, Entwicklung und Innovation für den Mittel- stand“ in diesem Jahr bereit. Davon wurden Mittel in Höhe von fast 90 Millionen Euro im parlamentarischen Verfahren zusätzlich in den Haushalt eingestellt. Gegenüber dem Ansatz von 2001 ist das eine Steige- rung von rund 14 Prozent zum Teil zur Bedienung von Altverpflichtungen aus dem BTU-Programm – ein deutli- ches Signal im Innovationsbereich. Daneben wurden im Rahmen des Zukunftsinvestitionsprogramms wichtige Akzente auch bei der Energieforschung gesetzt. Der Antrag der Fraktion der CDU/CSU „Förderung der Innovation im Mittelstand“, der im Rahmen der noch lau- fenden parlamentarischen Beratungen und vor der Verab- schiedung des Bundeshaushalts 2002 eingebracht wurde, ist schon lange überholt. Auch im kommenden Regierungsentwurf für den Haushalt 2003 werden wir bei Forschung und Entwick- lung wieder einen Schwerpunkt setzen, um der Wirt- schaft in diesem Bereich Planungssicherheit und eine verlässliche Perspektive zu bieten. Dies gilt in besonde- rem Maße für die kleinen und mittleren Unternehmen in den neuen Ländern, die wir weiterhin zielgerichtet unter- stützen werden. Außerdem wird mit dem Haushalt 2003 der Einstieg in das neue Luftfahrtforschungsprogramm beginnen, um so auch für diese hochinnovative Schlüs- selbranche einen stetigen und verlässlichen Förderrah- men zu gewährleisten. Vor allem kommt es darauf an, was wir mit den Mitteln konkret bewirken: Bundesministerin Bulmahn und Bun- desminister Müller haben kürzlich mit dem gemeinsamen Konzept „Innovationspolitik“ auf einer gemeinsamen Pressekonferenz am 29. April 2002 zur Vorstellung der Broschüre „Innovationspolitik – Mehr Dynamik für zukunftsfähige Arbeitsplätze“ eine positive Bilanz der Aktivitäten für Technologie und Innovation gezogen: Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 236. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Mai 2002 23627 (C) (D) (A) (B) Gründung und Entwicklung von technologieorientierten Unternehmen, Forschungskooperationen und innovative Netzwerke, aber auch technologische Beratung erhalten wichtige Anreize. Durch die Erhöhung der Haushalts- ansätze konnten wir zielgenau neue Initiativen wie PRO INNO und die „Förderung von innovativen Netzwerken“, InnoNet, starten. Die Industrieforschung in den neuen Ländern hat be- sondere Priorität. Auf sie entfällt rund die Hälfte der BMWi-Mittel für innovative kleine und mittlere Unter- nehmen, nämlich rund 270 Millionen Euro im Ansatz 2002. Zur Unterstützung des Aufbaus von innovativen Un- ternehmensnetzwerken in Ostdeutschland haben wir Ende Februar den „Förderwettbewerb Netzwerkmanagement- Ost“, NEMO, gestartet. Effizienter und transparenter Einsatz der Haushalts- mittel und – darauf legen wir besonderen Wert – eine Technologieförderung, die auf die künftigen Anforderun- gen des Mittelstandes umfassend ausgerichtet ist –, das ist ein Anspruch, dem wir uns dauerhaft stellen. Das BMWi hat sein auf Forschungskooperation und Netzwerkbildung gerichtetes Fördersystem evaluieren lassen. Die unabhängige Kommission hat sich nach- drücklich für die Fortsetzung dieser Unterstützung ausge- sprochen. Ihre Empfehlungen zur Neuausrichtung der wirtschaftsintegrierenden Forschungsförderung wollen wir in differenzierten Zeitschritten umsetzen. Doch Förderung ist nur ein Aspekt der Unterstützung des innovativen Mittelstandes. Von prioritärer Bedeutung sind strukturelle Reformen, die wir mit Erfolg in Angriff genommen haben: Wir haben die Steuerreform auf den Weg gebracht, die den Unternehmen neuen Spielraum für Innovationen verschafft. Und wir haben die Öffnung der Märkte vorangebracht. Zu nennen sind Fortschritte im Telekommunikationsbereich sowie bei der Öffnung der Strom- und Postmärkte. Ein Wort zum Entwurf eines „Gesetzes zum Büro- kratieabbau für kleine und mittlere Betriebe“ der Frak- tion der CDU/CSU. Als Mittelstandsbeauftragte liegen mir bürokratische Erleichterungen gerade auch für kleine Unternehmen sehr am Herzen. Schon weit vor dem Antrag der Opposition hat daher das BMWi die An- hebung der Buchführungsgrenzen als eine sinnvolle Maßnahme identifiziert, um den kleinen Unternehmen zu helfen, nachzulesen im Bericht „Abbau bürokrati- scher Hemmnisse“ aus März 2001, vier Monate vor dem Oppositionsantrag. Auch das Bundesfinanzministerium teilt unsere Sicht der Dinge. Es führt in dieser Sache ei- nen engen Dialog mit den Ländern. Hier sind zum Bei- spiel noch Fragen zu klären, in welchem Umfang eine Standardisierung der Einnahme-/Überschussrechnung notwendig sein könnte. Um Entscheidungen auf mög- lichst umfassender Faktengrundlage zu treffen, sollte das Ergebnis dieser Erörterungen zunächst abgewartet werden. Wir werden hier am Ball bleiben, damit zügig in der nächsten Legislaturperiode unsere Ideen umgesetzt werden. Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden Zur Beratung des Entschließungsantrages: Zu- kunft der deutschen Messewirtschaft in der Glo- balisierung (Tagesordnungspunkt 14) Rolf Hempelmann (SPD): Die deutsche Exportwirt- schaft ist einer der wichtigsten Antriebsmotoren für un- sere Wirtschaft. Deutsche Produkte sind international wettbewerbsfähig, weil nicht nur ihr Preis, sondern vor allem ihre Qualität herausragend ist. Um ihre Produkte in aller Welt und vor allem auf bisher noch wenig erschlos- senen Märkten bekannt zu machen, nutzen deutsche Un- ternehmen vor allem zahlreiche Fachmessen im In- und Ausland. Denn die persönliche Kommunikation ist noch immer zentraler Bestandteil aller Werbe- und Marke- tingstrategien. Dafür bilden Messen seit Jahrhunderten – daran haben auch die neuen Medien nichts geändert – eine ideale Plattform. Erfreulich ist vor diesem Hintergrund, dass der Messe- standort Deutschland im internationalen Vergleich zu den wichtigsten gehört und sich wachsender Beliebtheit bei Kunden und Ausstellern aus dem Ausland erfreut. Sowohl die Zahl der Aussteller als auch die der Besucher und der vermieteten Ausstellungsflächen stieg in den letzten Jah- ren an. Zwei Drittel der weltweit führenden Messen fin- den in unserem Land statt. Diese Entwicklung begrüßen wir ausdrücklich. Der Messestandort Deutschland ist kon- kurrenzfähig, die deutsche Messewirtschaft funktioniert. Deshalb halte ich Ihre Forderung nach einem eu- ropäisch abgestimmten Messekonzept, das bestimmte Messestandorte besonders fördern soll, für kontrapro- duktiv: Wir haben im Bereich der Messewirtschaft seit dem Mittelalter einen funktionierenden Wettbewerb. Dass gerade Sie von der CDU/CSU, die Sie stets mehr Wett- bewerb predigen, ihn in diesem funktionierenden und his- torisch gewachsenen Markt außer Kraft setzen wollen, verwundert mich sehr. Mit uns wird es das nicht geben. Wir wollen den Wettbewerb hier aufrechterhalten und den Messestandort Deutschland auch weiterhin im Rahmen des Möglichen stärken. Aber sehen wir an dieser Stelle ganz klar: Die direkte finanzielle Inlandsmesseförderung ist Sache der Länder und liegt nicht im Kompetenzbereich der Bundesregierung. Dennoch lässt die Bundesregierung die Inlandsmesseför- derung natürlich nicht außer Acht. Sie engagiert sich hier vor allem durch den Ausbau der notwendigen Infrastruktur. Das passiert, weil die Bundesregierung die Bedeutung des Messestandortes Deutschland für verschiedene Wirt- schaftsbereiche, zum Beispiel für die Exportwirtschaft, aber auch für die Tourismusbranche, anerkennt. Die direkte Förderung von Messebeteiligungen kon- zentriert die Bundesregierung auf die Auslandsmessen. Dort nutzt die exportierende Wirtschaft die Möglichkeit, ihre Produkte international bekannt zu machen. Durch die zunehmende Öffnung der internationalen Märkte ist die Präsentation deutscher Produkte auf Auslandsmessen zu- nehmend bedeutsam. Jedoch ist gerade für kleine und Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 236. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Mai 200223628 (C) (D) (A) (B) mittlere Unternehmen die Finanzierung solcher Mes- seauftritte mit hohen finanziellen Risiken verbunden. Be- sonders für diese Unternehmen gibt es das Instrument der Förderung von Messeauftritten deutscher Unternehmen im Ausland. Es hat in den letzten Jahren wesentlich dazu beigetragen, dass die exportierende Wirtschaft auch im Ausland erfolgreich auf ihre Produkte aufmerksam ma- chen kann. Bereits jetzt ist die Messeförderung nach dem Ausfuhrgewährleistungssystem zum zweitwichtigsten Mit- tel der Exportförderung avanciert. Über die herausragende Bedeutung der Auslandsmes- seförderung herrscht in diesem Haus, soweit ich sehe, Ei- nigkeit. Einig sind wir uns auch darüber, dass zur Unter- stützung deutscher Messeauftritte im Ausland alles getan werden muss, was möglich ist. Genau das ist der zentrale Punkt: Das Mögliche muss getan werden, aber es muss auch verantwortbar bleiben. Auch wir würden das Aus- landsmessewesen gerne stärker finanziell unterstützen. Deshalb haben wir im Zuge der Beratungen zum Haus- halt 2002 Umschichtungen im Haushalt des Ministeriums für Wirtschaft und Technologie vorgenommen und den Etat für die Förderung von Auslandsmessebeteiligungen gegenüber dem ursprünglichen Ansatz angehoben. Aber wie der kürzlich verstorbene Unternehmer Philipp Rosenthal einmal gesagt hat: „Wer zu spät an die Kosten denkt, ruiniert sein Unternehmen. Wer immer zu früh an die Kosten denkt, tötet die Kreativität“. Genau das ist der schmale Grat, auf dem wir uns hier bewegen. Mehr Geld als 33,5 Millionen Euro im Jahr 2002 bereitzustellen war nicht möglich. Ich kann Ihnen auch sagen, warum: Weil Sie, die heutige Opposition von CDU/CSU und FDP, während Ihrer Regierungszeit einen Schuldenberg von 1,5 Billionen DM aufgebaut und uns hinterlassen haben. Die fatalen Auswirkungen dieser Po- litik von 16 Jahren Kohl-Regierung haben uns nicht nur während der letzten vier Jahre begleitet, wir werden sie auch in den nächsten Jahren weiterhin spüren. Sie haben einfach zu spät an die Kosten gedacht und genau diesen Fehler machen wir nicht. An unserer Politik der Haushaltskonsolidierung geht kein Weg vorbei. Folgte man Ihren zahlreichen Forderun- gen und Vorschlägen, wie sie unter anderem von Ihrem Spitzenkandidaten Stoiber zu hören, aber auch in Ihrem Wahlprogramm nachzulesen sind, würde das den Bun- deshaushalt mit sage und schreibe zusätzlich 50 Milli- arden Euro belasten. Sie propagieren die flotte Formel dreimal 40 und wollen damit sowohl der Wirtschaft als auch den Bürgerinnen und Bürgern vorgaukeln, unter ei- nem Kanzler Stoiber mehr Geld im Portemonnaie zu ha- ben. In der Realität würde es jedoch ganz anders ausse- hen: Die Verschuldung würde weiter ansteigen, denn Ihre Vorstellungen sind schlicht und ergreifend nicht finan- zierbar. Diese von Ihnen geplante unsolide Haushaltspo- litik würde weitere langfristige Schäden in der deutschen Wirtschaftslandschaft verursachen, denn die unvermeid- baren Konsequenzen wären weitaus tiefere und schmerz- haftere Einschnitte im Bundeshaushalt, als die aktuelle Bundesregierung sie in dieser Legislaturperiode vorge- nommen hat. Mit einer SPD-geführten Bundesregierung wird es diese unverantwortliche Politik nicht geben. Die vorgenommenen Einsparungen waren notwendig. Des- halb hat es auch im Bereich der Auslandsmessen eine Ab- senkung des Etats von 35,8 Millionen Euro im Jahr 2001 auf 33,5 Millionen Euro im Jahr 2002 gegeben. Im Übrigen hat die Erfahrung gezeigt, dass die finan- zielle Förderung vor allem für kleine und mittlere Unter- nehmen zwar wichtig, aber nicht allein Heil bringend ist. Zentral für diese Firmen sind neben der finanziellen vor allem die praktische und infrastrukturelle Unterstützung bei Messeauftritten im Ausland. In diesem Bereich enga- giert sich die aktuelle Bundesregierung – allein oder teil- weise auch in Zusammenarbeit mit Partnern aus der Wirt- schaft. Als Beispiel will ich an dieser Stelle das im letzten Jahr geschaffene Außenwirtschaftsportal im Internet, „iXPOS“, nennen. Es informiert über Länder und Bran- chen, Finanzierungs- und Rechtsfragen sowie aktuelle Termine und vermittelt Geschäftsund Ansprechpartner. Auch die Bundesagentur für Außenwirtschaft, bfai, liefert Know-how über Messebeteiligungen in zahlreichen Län- dern. Vor allem kleine und mittlere Unternehmen, haben die Möglichkeit, sich auf diesen Wegen einfach sowie Zeit und Kosten sparend über die wichtigsten Rahmen- bedingungen für ihren Messeauftritt zu informieren. Als wichtige Dienstleister erweisen sich auch die deutschen Botschaften im Ausland, die ihre Aufgaben zunehmend als Türöffner für deutsche Unternehmen verstehen. Da- rüber hinaus seien die Außenhandelskammern erwähnt, die das Bundesministerium für Wirtschaft und Techno- logie in zahlreichen Ländern fördert. Sie sind ebenfalls beratend tätig und bei der Organisation von Messeauftrit- ten im Ausland behilflich. Diese praktische Hilfe ist ge- rade für Neulinge oft wichtiger als die Erstattung von Kosten eines Messeauftritts im Ausland, der nämlich ohne die notwendigen Hintergrundinformationen oft erst gar nicht hätte zustande kommen können. Darüber hinaus hat die Wirtschaft selbst Wege gefun- den, Informationen und Hilfestellungen für Unternehmen anzubieten, die ihre Produkte auf Messen im Ausland prä- sentieren wollen. Insofern kann ich Sie beruhigen, was Ihre Forderung nach einem Förderkonzept für kleinere und mittlere Unternehmen betrifft. Bereits jetzt profitieren ge- rade diese Unternehmen sowohl von der finanziellen Aus- landsmesseförderung – hier beträgt der Anteil von KMU über 85 Prozent – als auch von den anderen Aktivitäten der Bundesregierung im infrastrukturellen Bereich. Sie sehen also selbst, Ihr Entschließungsantrag ist in vielerlei Hinsicht obsolet geworden. Deshalb lehnen wir ihn auch ab. Wolfgang Börnsen (Bönstrup) (CDU/CSU): Gute Ware lobt sich selbst – das ist eine alte Weisheit. Doch oft könnte sie konsequenter umgesetzt werden. Waren und Dienstleistungen müssen vorgestellt, ange- fasst und ausprobiert werden, damit ihre Qualität erkannt wird. Messen bieten dafür hervorragende Chancen, Mes- sen gehören zu den wichtigsten Kommunikationsinstru- menten der Wirtschaft. Sie dienen dazu, Innovationen zu präsentieren, den Bekanntheitsgrad des eigenen Unterneh- mens zu erhöhen, die Wettbewerbssituation zu analysieren sowie Kontakte zu alten und neuen Kunden herzustellen. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 236. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Mai 2002 23629 (C) (D) (A) (B) Jährlich werden in Deutschland 130 bis 150 überregio- nale und internationale Messen und Ausstellungen durch- geführt. Trotz des konjunkturellen Abschwungs und des Rückgangs des Außenhandelswachstums gab es im letz- ten Jahr mehr Aussteller als je zuvor: 171 000. Das ent- spricht einem Plus von 3 Prozent. Bei den Besuchern wurde die 10-Millionen-Grenze mit 10,7 Millionen deut- lich überschritten. Die verbesserte Messeförderung aus den 90er-Jahren trägt weiter Früchte. Rund 50 Prozent der Aussteller kommen aus dem Ausland, davon ein Drittel aus Ländern außerhalb Europas, und Devisen kommen in unser Land. Von den Besuchern reist knapp ein Fünftel aus dem Ausland an, davon wiederum rund 20 Prozent aus Übersee. Kein anderes Messeland erreicht vergleichbare Größenordnungen. Deutschland ist Messeland Nummer eins in der Welt. Die Grundlagenschaffung vor 10 Jahren hat ebenso dazu beigetragen wie die aktive Arbeit des AUMAund die Aufgeschlossenheit unserer Unternehmen der Messegesellschaften. Für die deutsche Wirtschaft haben Messebeteiligungen einen besonders hohen Stellenwert im Kommunikations- mix. So fließen in der Investitionsgüterindustrie rund ein Drittel sämtlicher Ausgaben für Marktkommunikation in Messebeteiligungen – mit steigender Tendenz. Doch ge- rade in diesem Segment sind kleine und mittelständische sowie neu gegründete Unternehmen benachteiligt. Sie können oft die hohen Kosten einer Messebeteiligung nicht aufbringen, der Mittelstand geht leer aus. Hier ist die Politik gefragt. Stattdessen hat die Bundesregierung der gezielten Förderung für kleine und mittelständische Un- ternehmen eine klare Absage erteilt, so nachzulesen in der Antwort auf Frage 10 unserer Großen Anfrage. Sie schiebt die Verantwortung den regionalen Industrie- und Han- delskammern sowie den Handwerkskammern zu. Besonders gravierend ist die vernachlässigte Aus- landsmesseförderung. Für 2002 stehen fast 10 Prozent weniger Mittel gegenüber dem Vorjahr zur Verfügung. Der Ausstellungs- und Messeausschuss der Deutschen Wirtschaft hat deshalb die Absage von 10 bis 15 Messe- beteiligungen in den Monaten November und Dezember angekündigt. Das bedeutet umgerechnet einen Verlust von bis zu 3 Milliarden Euro für die Wirtschaft. Für 2003 plant die rot-grüne Bundesregierung, den Etat noch ein- mal von derzeit 33,5 Millionen Euro auf dann 27 Milli- onen Euro zu kürzen. Daraus sollen nach der Vorstellung von Bundesfinanzminister Eichel auch noch die zusätzli- chen außerplanmäßigen Vorlaufkosten für eine so ge- nannte kleine Weltausstellung in Paris im Jahre 2004 be- stritten werden. Breit verteilt, weniger effektiv! Für eine Exportnation wie Deutschland hat dies gra- vierende Rückwirkungen auf Arbeitsmarkt und Steuer- einnahmen. Das Finanzwissenschaftliche Forschungs- institut der Uni Köln hat festgestellt: Die vom Bund 2001 eingebrachten 35,7 Millionen Euro für Messebeteiligun- gen im Ausland haben ein Exportvolumen von mindes- tens 3,5 Milliarden Euro induziert; damit sind verknüpft 20 000 Arbeitsplätze. Die Folgen solcher Förderung: Ein Mehr an Steuereinnahmen von 167 Millionen Euro, da- von 75 Millionen Euro allein für den Bund. Der Einsatz von 35 Millionen Euro hat sich mehr als verdoppelt. Die mittelbaren Folgeeffekte sind dabei noch gar nicht mitge- zählt. Auch ordnungspolitisch wird der Auslandsmesse- förderung Unbedenklichkeit bescheinigt. Sie stützt und stärkt den Markt, sie gleicht Wettbewerbsnachteile für kleinere und mittlere Unternehmen aus. Die mittelständische Wirtschaft bildet das Rückgrat der gesamten deutschen Wirtschaft. Über 85 Prozent der 4 500 bis 5 000 Firmen, die jährlich am Auslandsmesse- programm teilnehmen, sind kleine und mittlere Unterneh- men. Für diese Unternehmen ist der Export zunehmend existenzentscheidend, nicht zuletzt aufgrund der Konsum- und Konjunkturflaute zu Hause nach vier Jahren rot-grü- ner Wirtschaftspolitik. Für 2003 ist die Anzahl der einge- gangenen Beteiligungsanträge der Wirtschaft gegenüber den Vorjahren um 30 Prozent gestiegen. Für kleine und mittlere Unternehmen eignen sich Auslandsmessebeteili- gungen als erste Schritte in neue Wachstumsmärkte. Rund 20 Prozent der Exporte sind direkte Folge der Beteiligun- gen deutscher Unternehmen an Auslandsmessen. Die Auslandsmesseförderung ist deshalb für die Exportwirt- schaft eine unverzichtbare Unterstützung bei der erfolg- reichen Erschließung ausländischer Märkte. Eine Anhe- bung der Auslandsmesseförderung auf 40 Millionen Euro pro Jahr ist deshalb dringend notwendig. Eine offensive Messepolitik bedeutet Sicherung und Schaffung von Ar- beitsplätzen. Angesichts von 4 Millionen Arbeitslosen und 1,7 Millionen in befristeten Arbeitsbeschaffungsmaß- nahmen, das heißt 5,7 Millionen Menschen ohne dauer- hafte Arbeit, 5,7 Millionen Familien in Existenznot, ist dies eine Schicksalsfrage für unser Land. Die Kabinettsentscheidung 2001 hat bereits negative Auswirkungen. Der Messeausschuss der deutschen Wirt- schaft hat die von Rot-Grün nur mündlich unterstützte KONSUGERMA 2002 in Japan absagen müssen. Dabei handelt es sich um die größte Sonderschau der deutschen Konsumgüterindustrie in Asien, ein Schaufenster Deutsch- lands im Erdteil mit den meisten Menschen. Die Messe fin- det alle vier Jahre abwechselnd zur TECHNOGERMA, der Sonderschau der deutschen Investitionsgüterindustrie statt, beide jeweils in der größten Wachstumsregion der Welt. Die Entscheidung der Wirtschaft war notwendig, um nach der angekündigten Kürzung nicht die 239 re- gulären Auslandsmessen zu gefährden. Für eine Großver- anstaltung müssten 30 bis 40 kleine Messebeteiligungen abgesagt werden. Aufgrund der fehlenden Unterstützung durch die Bundesregierung ist aktuell keine der beiden großen deutschen Leistungsschauen im Ausland mehr ge- plant – ein Bitter für die Betroffenen, ein Armutszeugnis für vorausschauende Politiker. Gerade kleine und mittel- ständische Unternehmen verlieren durch die Berliner Ent- scheidung die Chance, auf dem schwierigen japanischen und damit asiatischen Markt Fuß zu fassen. Besonders sie sollten bei der großen Sonderschau in Japan von dem positiven Imagetransfer großer bekannter deutscher Mar- ken profitieren. Hier ist eine langfristige Garantie für KONSUGERMA und TECHNOGERMA unabhängig von der regulären Auslandsmesseförderung notwendig. Die Auslandsmesseförderung, die eine Hilfe zur Selbsthilfe darstellt, muss in den nächsten Jahren so aus- gebaut werden, dass sie den wachsenden Anforderungen an die globale Präsenz deutscher Unternehmen im Aus- land Rechnung trägt. Eine Reduzierung zerstört Export- chancen. Sichere Fördermittel auch für die Zukunft sind Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 236. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Mai 200223630 (C) (D) (A) (B) damit ein entscheidender Faktor eines Exporterfolges. Hierbei muss in Zukunft auch die Förderung von Messe- beteiligungen im Bereich Wehrtechnik möglich sein. Frankreich und Großbritannien sichern so den Absatz ih- rer wehrtechnischen Produkte, deutsche Unternehmen in diesem Bereich erhalten keinerlei Unterstützung. Noch ist Deutschland Weltmarktführer in vielen Bereichen der ma- ritimen Wehrtechnik, wie U-Booten, Fregatten und Kor- vetten. Bei schrumpfendem Etat der Bundeswehr kann der Bestand hoch spezialisierter Werftarbeitsplätze nur durch die Ausweitung des Exports gesichert werden. Die deutsche Wirtschaft erfüllt durch ihre Messeprä- senz auf Auslandsmessen neben den genannten wirt- schaftlichen Funktionen auch eine wichtige öffentliche Funktion für die politischen und wirtschaftlichen Bezie- hungen der Bundesrepublik mit dem Ausland. Sie sind kompetente Botschafter unseres Landes. Deutsche Veran- stalter organisieren neben Beteiligungen außerdem pro Jahr rund 180 eigene Messen in wichtigen ausländischen Wachstumsregionen, insbesondere in Asien, Nord- und Südamerika sowie Osteuropa. Diese Veranstalter brau- chen ergänzend zu ihrem umfangreichen Engagement auf deutschen Messen zunehmend auch in schwierigen Aus- landsmärkten kompetente Partner. Dieser Einsatz wird und muss in den nächsten Jahren im Rahmen der Globa- lisierung weiter wachsen. Man will an den zunehmenden Handelsströmen zwischen außereuropäischen Regionen teilhaben, um einen positiven Imagetransfer und damit eine Stärkung der heimischen Leitmessen zu erreichen. Die Messewirtschaft gehört zu den führenden Dienst- leistungsbranchen der deutschen Wirtschaft. Sie zeichnet sich durch besonders hohe internationale Ausstrahlung und Innovationskraft aus. Rund zwei Drittel der weltweit führenden Messen finden in Deutschland statt. Wir von der CDU/CSU haben diese Entwicklung gewollt und be- fördert und alle Fraktionen des Deutschen Bundestages haben sich dieser Ausrichtung nie verschlossen. Bei die- ser Gemeinsamkeit sollte es bleiben. Die Messen bei uns sind zentrale Handels- und Kommunikationsplätze für die Wirtschaft. Sie leisten dadurch einen wesentlichen Bei- trag zu Wachstum und Beschäftigung in Deutschland und zur Intensivierung des internationalen Handels. Handel und Wandel sind die Grundlage der deutschen Messewirtschaft, der freie Welthandel ist ihr Motor. Die von der CDU/CSU vorangetriebene Einführung des Euro hat ihm weiteren Schwung geben, die anstehende Erwei- terung der Europäischen Union gibt ihm zusätzliche Im- pulse. Sechs der zehn umsatzstärksten Messegesellschaften der Welt haben ihren Sitz in Deutschland. Die deutschen Messeveranstalter setzen pro Jahr über 2,25 Milliarden Euro um. Die gesamtwirtschaftliche Bedeutung der Messewirtschaft wurde durch verschiedene Studien be- stätigt. Aufwendungen der Aussteller und Besucher von rund 10 Milliarden pro Jahr und gesamtwirtschaftliche Produktionseffekte von 23 Milliarden Euro zeigen, dass die Messewirtschaft zu den wichtigsten Dienstleistungs- branchen der deutschen Wirtschaft zählt. Rund 250 000 Vollzeitarbeitsplätze hängen von der Durchführung von Messen ab. Da die Aussteller- und Be- sucherzahlen auch in Zukunft weiter wachsen werden, wird die Messewirtschaft auf Dauer am Standort Deutschland Arbeitsplätze schaffen und nicht abbauen. Rund 1,2 Milli- arden Euro wollen die deutschen Messeplätze mit überre- gionaler Bedeutung bis 2006 in die Modernisierung und Er- weiterung ihrer Kapazitäten investieren. Mit diesen Mitteln werden 120 000 Quadratmeter zusätzliche Hallenfläche geschaffen, eine Fläche von 16,5 Fußballplätzen. Das ent- spricht einem Wachstum von 4,7 Prozent zu den bestehen- den 2,4 Millionen Quadratmetern Hallenfläche, vergleich- bar mit 330 Fußballfeldern. Ganz anders sieht es bei den kleinen Messestandorten aus. Mit rund 70 Millionen Euro ist eine Kapazitätsaus- weitung von nur 2,5 Prozent geplant. Dabei sollten gerade die Vor-Ort-Initiativen unterstützt werden. Messestand- orte stärken die regionale Wirtschaft. Hotellerie und Gastronomie profitieren davon ebenso wie Verkehrs- unternehmen und Firmen, die Messedienstleistungen für Veranstalter und Aussteller erbringen, wie Messebau, Lo- gistikunternehmen, Dolmetscher- und Hostessendienste. Je mehr Aussteller und Besucher aus anderen Regionen in die Messestadt kommen und dort übernachten, umso größer ist dieser Effekt. Die regionalwirtschaftlichen Effekte umfassen bei stark international ausgerichteten Messeplätzen das 5- bis 6-fache des Veranstalterumsatzes. Betrachtet man neben den reinen Messen auch die 63 Mil- lionen Tagungs- und Kongressteilnehmer, bewirkten diese 1999 für den Tourismus und Messestandort Deutschland einen Umsatz von 42 Milliarden Euro und 65 Millionen Übernachtungen, so das GCB, das German Convention Bureau. Damit sicherte dieser Dienstleistungsbereich bundesweit etwa 850 000 Vollzeitarbeitsplätze. Darüber hinaus entstehen erhebliche zusätzliche Steuereinnahmen für Städte, Länder und Bund. Nicht zu vergessen sind die positive Imagewirkungen für die jeweilige Stadt im In- und Ausland. Doch können diesen Effekt nicht alle Regionen in der Bundesrepublik gleichrangig nutzen. Die Verteilung von Messen mit überregionaler und internationaler Bedeutung ist unausgewogen. Sie konzentrieren sich auf sehr leis- tungsfähige und stark frequentierte Messestandorte mit gut ausgebauter Infrastruktur wie Frankfurt, Düsseldorf oder Berlin. Die Förderung bestehender regionaler Mes- sestandorte in rand- bzw. strukturschwachen Regionen muss daher die Aufgabe von Bund und Ländern sein. Durch eine optimierte Anbindung an die Verkehrsinfra- struktur könnten diese zu Kristallisationspunkten für die Wirtschaftsentwicklung einer ganzen Region werden. Auch in den strukturschwachen Gebieten meiner Heimat Schleswig-Holstein gibt es solche entwicklungs- fähige Messen, die das Potenzial zu überregionaler Bedeutung haben. Hierzu sind die NORLA in Rendsburg, die „windtech Husum“ und die RORO in Lübeck zu zählen. Die „windtech Husum“ macht es vor: Gegenüber der Leistungsschau 1999 verdreifachte sich 2001 die Aus- stellerzahl. 250 Aussteller aus 20 Ländern waren im Sep- tember auf der Windkraft-Leitmesse. Für regionale Stand- orte sind besonders Multifunktionshallen geeignet, wie sie im Dezember letzten Jahres mit der „Campus-Halle“ in Flensburg eröffnet wurde. Hier entstand eine mit moderns- ter Technik ausgestattete Halle mit 8 100 Quadratmetern für Ausstellungen, Kongresse, Sport und Entertainment. In einem Gutachten im Auftrag der Landesregierung in Kiel wurde festgestellt: Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 236. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Mai 2002 23631 (C) (D) (A) (B) Durch die „Campus-Halle“ besteht eine moderne Event-Infrastruktur bei hoher Multifunktionalität mit zentralem Standort im engeren Einzugsgebiet und ohne große Konkurrenzeffekte. Deshalb findet zur Zeit eine Neupositionierung dieses regionalen Messestandortes im Einzugsgebiet zwischen Hamburg und Kopenhagen statt; es muss eine Leitmesse für den Standort etabliert werden! Ideen dafür gibt es: Mit Bezug auf das Profil der bei- den Hochschulen vor Ort könnte dies im Bereich Ge- sundheitswirtschaft und Wellness liegen. Der Kern ist mit den Krankenhausmanagement-Tagen der Fachhoch- schule Flensburg bereits gelegt; eine Ausdehnung schei- terte bisher an den Räumlichkeiten. Mit diesem Thema könnte sich Flensburg als regionaler Messestandort auch national positionieren. Doch auch weitere Themen liegen auf der Hand: In Ko- operation mit der ansässigen Wirtschaft und der Hoch- schule kann der Bereich Schiffstechnik ausgebaut und können die Themen Logistik mit klarem Bezug zu Däne- mark und Skandinavien sowie maritimer Tourismus eta- bliert werden. Einer der größten maritimen Wachstumsmärkte, die Aqua- oder Mari-Kulturen, sind durch Messen bisher von keinem Standort abgedeckt. Das Gutachten empfiehlt außerdem eine AUMA-Mitgliedschaft, um die bei ande- ren Standorten gegebene Transparenz und eine äquiva- lente Dokumentation sicherzustellen. Als Auftrag an die Politik wurde in dem Gutachten festgehalten, die ver- kehrliche Erreichbarkeit an die Ansprüche internationaler Leitmessen anzupassen und im Rahmen der Systematik bestehender Förderprogramme die Entwicklung neuer, profilbildender und wiederkehrender Messen- und Kon- gressthemen zu fördern. Das ist ein klarer Auftrag an die Politik, regionale Wirtschaftsentwicklung und aktive Ar- beitsmarktförderung in einem. Doch nicht nur die Auslandsmesseförderung und die regionalen Messestandorte werden von Rot-Grün ver- nachlässigt. Immer wieder werden neue Stolpersteine in den Weg gelegt. So wurde mit dem Gesetz zur Eindäm- mung illegaler Beschäftigung im Baugewerbe zum 1. Ja- nuar die so genannte Bauabzugssteuer eingeführt und Un- sicherheit bei Ausstellern und Veranstaltern geschaffen. Jetzt muss das Gesetz nachgebessert werden. Doch das angekündigte Schreiben von Finanzminister Eichel, das den Bau von Messeständen von dieser Steuer befreien soll, liegt noch nicht vor. Auch das so genannte Scheinselbstständigengesetz hat die Branche getroffen. Sie ist auf den kurzfristigen Einsatz von Messebetreuern, Handwerkern und Bewachungsper- sonal angewiesen. Jetzt ist vor jedem Einsatz eine büro- kratische Hürde aufgebaut. Durch die Einführung des Reverse-Charge-Systems im Umsatzsteuerrecht zum 1. Januar 2002 kommt es zu einem Wettbewerbsnachteil des Messestandorts Deutschland im internationalen Vergleich. Wenn ein ausländischer Veran- stalter in Deutschland eine Messe durchführt, müssen sämtliche ausländischen Aussteller in Deutschland um- satzsteuerrechtlich registriert werden und für den jeweili- gen Messezeitraum eine Umsatzsteuervoranmeldung ab- geben. Ein bürokratisches Hemmnis, das abschreckt! Fi- nanzminister Eichel hat auch hier eine Vereinfachungsre- gel angekündigt, die bisher aber aussteht. Der Antrag der Union, die Messeteilnahme von Aus- ländern durch ein spezielles Messe-Visum zu vereinfa- chen, hat bereits erste Ergebnisse gebracht. Anträge von Unternehmen, mit denen es positive Erfahrungen bei ihrem Messeaufenthalt in Deutschland gibt, sollen in Zu- kunft bei der Visa-Erteilung für ihre Mitarbeiter von den deutschen Konsulaten und Botschaften ohne die sonst üblichen Nachweise bearbeitet werden. Das Gleiche soll gelten, wenn der lokalen Handelskammer ein Empfeh- lungsschreiben vorgelegt werden kann. Ob damit die Eng- pässe für Besucher außerhalb der EU beseitigt werden, wird die Praxis zeigen. Für jede Messe müssen die Interessen der Aussteller, Besucher und Veranstalter hinsichtlich Bezeichnung, No- menklatur, Standort, Termin, Dauer und Turnus von Mes- sen immer wieder aufs Neue zum Ausgleich gebracht werden. Der Ausstellungs- und Messeausschuss der deut- schen Wirtschaft wirkt daran als neutrale Clearingstelle hilfreich mit. Dadurch fördert er ein rationelles Messe- wesen im Sinne einer effektiven Subsidiarität, der Staat wird entlastet, die Wirtschaft gestärkt, die Bürger haben gut von diesem Modell. Deutschland muss Messeland Nummer eins bleiben! Ernst Burgbacher (FDP):Die Messewirtschaft stellt in Deutschland einen wichtigen Wirtschaftsfaktor dar. „Die Dienstleistungsbranche Messen zählt ... zu den Schlüsselbereichen der deutschen Dienstleistungswirt- schaft. Sie gilt im internationalen Wettbewerb als die leis- tungsfähigste, innovativste und am breitesten aufge- fächerte Messewirtschaft“, so die Bundesregierung in ihrer Antwort auf die Große Anfrage. Die Zahlen sind in der Tat beeindruckend: sechs der zehn weltweit umsatzstärksten Messegesellschaften be- finden sich in Deutschland; vier der fünf weltweit größten Messegelände befinden sich in Deutschland; zwei Drittel der weltweit führenden Messen finden in Deutschland statt. Der Messestandort Deutschland hat eine führende Marktposition inne, wobei das Potenzial noch lange nicht ausgeschöpft ist. Für die regionale Wirtschaft haben Messen eine zen- trale Bedeutung. Verkehrsbetriebe und Taxi-Unterneh- men, Logistik, Transport und Messebau, Einzelhandel, Kultur- und Freizeiteinrichtungen: Es gibt kaum eine Branche, die nicht direkt oder indirekt an einer großen Messe mitverdient. Die Umwegrendite für die regionale Wirtschaft im Umfeld einer großen Messe beträgt durch- schnittlich das Fünf oder Sechsfache. Das heißt im Klar- text: Jeder Euro, der auf der Leipziger Messe umgesetzt wird, bringt der Region etwa 5 bis 6 Euro ein. Hotellerie und Gastgewerbe profitieren von den Ausstellern und Be- suchern. In Leipzig macht der Messe- und Kongresstou- rismus 30 Prozent der gesamten Zimmerbelegung aus. Wer je versucht hat, während der Buchmesse in Frankfurt noch ein Hotelzimmer zu bekommen, wird das Problem einer hundertprozentigen Zimmerbelegung kennen. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 236. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Mai 200223632 (C) (D) (A) (B) Von den jährlich 160 000 Ausstellern auf den deut- schen überregionalen und internationalen Messen kom- men 80 000 aus dem Ausland, von ihnen etwa ein Drittel aus Übersee. Von den 10 Millionen Besuchern kommen etwa 2 Millionen aus dem Ausland. Viele Aussteller und Messebesucher nutzen die Messe auch für ein privates touristisches Besuchsprogramm. Gerade ausländische Gäste geben dabei überdurchschnittlich viel Geld aus. Zur Attraktivität des Messestandorts Deutschland gehört auch, dass sich ausländische Besucher in unserem Land wohlfühlen. Die Liberalisierung der Sperrzeiten und Verlängerung der Öffnungszeiten in der Außengastrono- mie sowie die Flexibilisierung der Ladenschlusszeiten würden hier ein deutliches Zeichen setzen. Qualität und Service können weiter verbessert werden. Die nach lan- gem Kampf der FDP jetzt beabsichtigte Abschaffung der Trinkgeldbesteuerung wird einen deutlichen Beitrag dazu leisten. Messen müssen auch in ihrer Bedeutung für die Tourismuswirtschaft ernst genommen werden! Entscheidend für einen erfolgreichen Messestandort Deutschland sind die richtigen Rahmenbedingungen. 85 Prozent der rund 62 000 ausstellenden Unternehmen in Deutschland sind kleine und mittelständische Unterneh- men. Ihr Wachstum wird durch die mittelstandsfeind- lichen Entscheidungen von Rot-Grün behindert. Ich nenne hier vor allem die Steuer- und Arbeitsmarktpolitik. Wir brauchen ein einfaches und gerechtes Steuersystem mit deutlich niedrigeren Steuersätzen – 15, 25, 35 Prozent heißt die Devise. Wir brauchen einen flexiblen und un- bürokratischen Arbeitsmarkt, der den Begriff Markt wie- der verdient. Große Probleme für den Mittelstand gibt es aber auch bei der Kreditvergabe. Ich denke vor allem an Basel II und die geplante weitere Verschärfung der Richt- linien des Bundesaufsichtsamts für das Kreditwesen. Wenn 2001 3 Prozent weniger deutsche Aussteller auf un- seren Messen waren, hängt das auch damit zusammen, dass wir derzeit im Mittelstand eine Insolvenzwelle haben und viele Firmen sehr zurückhaltend planen. Die FDP wird ab dem 23. September die richtigen Signale für eine neue Mittelstandspolitik setzen. Gerade fair die deutsche Wirtschaft und insbesondere den Mittelstand ist die Auslandsmesseförderung entschei- dend wichtig. Kleine und mittlere Unternehmen bilden mit 85 Prozent aller am Auslandsmesseprogramm betei- ligten Firmen das Rückgrat der deutschen Wirtschaft. Ge- rade für diese Betriebe wird der Export zunehmend exis- tenzentscheidend. Diese Unternehmen, die zahlreiche Arbeitsplätze in Deutschland sichern, dürfen nicht allein gelassen werden. Sie stehen in einer kleiner werdenden Welt in einem harten Wettbewerb. Sie können diese Auf- gabe nicht allein bewältigen. Die Auslandsmesseförderung der Regierung ist rückläufig, in diesem Jahr handelt es sich lediglich um 33,5 Millionen Euro. 2001 waren es noch 35,79 Millionen Euro. Dies ist der falsche Weg. Aus Sicht der FDP muss die Auslandsmesseförderung erhöht werden. Die deut- sche Messewirtschaft braucht ein Signal der Unterstüt- zung und Zuverlässigkeit. Es wird Zeit, dass in Deutschland eine neue Kultur der Selbstständigkeit entsteht, dass mehr investiert wird, dass auch der Messemarkt zusätzlich Impulse bekommt. Die Liberalen haben dafür das richtige Programm. Nach dem 22. September werden wir es umsetzen. Rolf Kutzmutz (PDS): Wie so oft vermischt die CDU/CSU wirtschaftspolitisch sehr vernünftige Forde- rungen mit unsozialen und wenig problemorientierten neoliberalen Attacken. Die bestimmen jedoch die eigent- liche Stoßrichtung der Initiative. Öffentliche Marketinghilfen für Kleinstunternehmen, die dann unter anderem der Teilnahme an Messen dienen können, fordert beispielsweise die PDS schon seit Jahren, auch schon zu Zeiten der Kohl-Regierung. Eine regional- politische Förderung von Messestandorten in struktur- schwachen Regionen klingt gut. Dass sie von der CDU/CSU in politischer Verantwortung jemals irgendwo praktiziert wurde, ist mir aber nicht aufgefallen. Die Wartezeiten bei der Visaerteilung für Messebesu- cher aus Osteuropa zu verkürzen – auch das findet unsere Zustimmung. Nur müssten sich die CDU/CSU-Wirt- schaftspolitiker einmal mit ihren Innenpolitikern und ihrem Kanzlerkandidaten einigen, wie dicht oder durch- lässig nun die deutschen Grenzen sein sollen. Regelrecht demagogisch finde ich jedoch die Forde- rung nach zwölf Stunden Tagesarbeitszeit für Messemitar- beiter, um – ich zitiere – „dem erhöhten Servicebedarf für Messekunden besser gerecht zu werden“. Einmal mehr soll also die so genannte Attraktivität des Standortes – hier die Gewinne der Messebetreiber – allein auf den Knochen der Beschäftigten verbessert werden. Hinter dieser Forde- rung, die ich im Übrigen wie alle eingangs genannten als schmückendes Beiwerk ansehe, steckt die Logik, auf wel- cher auch der eigentliche Kern des Antrags beruht, näm- lich die Auslandsmesseförderung in den kommenden Jah- ren wieder auf das Niveau der Vergangenheit anzuheben. Nur, geht es wirklich um die Frage, wie der Status quo gehalten werden kann oder wie sich die deutsche Wirt- schaft auf den Exportmärkten noch besser behauptet? Wir meinen nein. Das eigentliche Problem ist doch, dass auf diesen Märkten überwiegend ein Verdrängungswettbe- werb herrscht. Jeder versucht beim Nachbarn mehr abzu- setzen, weil zu Hause die private und öffentliche Nach- frage sinkt – auch weil die Beschäftigten zwar länger, aber nicht für entsprechend mehr Geld arbeiten sollen, wie die CDU/CSU hier im Falle der. Messeangestellten verlangt. Käme jedoch hierzulande und anderswo auf der Welt mehr Nachfrage zustande, würde nicht nur der Druck auf Exporte nicht weiter zunehmen. Sie wären sogar leichter als heute möglich. Die Subvention von Messeauftritten im Ausland, deren messbarer Nutzwert ja zunächst den frem- den Messestandorten zugute kommt, hat wirtschaftspoli- tisch nun wirklich keine besondere Priorität. Wenn die Nachfrage angekurbelt wird, dann entwickelt sich auch die Teilnahme an Messen zum Selbstläufer. Margareta Wolf (Frankfurt) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Mit der Großen Anfrage zur „Zukunft der deutschen Messewirtschaft in der Globalisierung“ wurde ein wichtiger Bereich der Dienstleistungswirtschaft ange- sprochen, dem die Bundesregierung auch schon in der Vergangenheit ihre Aufmerksamkeit gewidmet hat. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 236. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Mai 2002 23633 (C) (D) (A) (B) Messen und Ausstellungen im In- und Ausland haben für die exportorientierte deutsche Wirtschaft eine zentrale Bedeutung. Messen und Ausstellungen sind Grundlage des Exportgeschäfts und stützen damit die inländische Produktion, Beschäftigung und die Steuereinnahmen des Staates. Als einem wichtigen Teil des Außenwirtschaftsförder- instrumentariums kommt der Auslandsmesseförderung ein hoher Stellenwert zu. Die staatliche Unterstützung ist Hilfe zur Selbsthilfe zur Erschließung schwieriger aus- ländischer Märkte. Dabei zielt die Unterstützung insbe- sondere auf kleine und mittlere Unternehmen, die sich im Ausland keine eigenen Vertretungen leisten können. Insgesamt steht die Mittelstandsförderung im Zentrum der Auslandsmessepolitik. So hat die Bundesregierung im Jahr 2000 190 Auslandsmessen mitfinanziert. 2001 wurde aufgrund von Absagen aus der Wirtschaft mit 182 Aus- landsmessen eine etwas kleinere Zahl finanziell unter- stützt. Rund 90 Prozent der Messeteilnehmer sind mittelstän- dischen Unternehmen zuzuordnen. Ein spezielles Förder- konzept ist deshalb nicht erforderlich. Die Beteiligungen von wenigen Großunternehmen haben eine Sogwirkung auf Besucher im Ausland und auch auf deutsche Ausstel- ler, die an diesen Auslandsmessen teilnehmen. Nicht zu- letzt deshalb sieht die Bundesregierung in der Auslands- messeförderung eine mittel- und langfristige Aufgabe. Es ist das übergeordnete Ziel der Bundesregierung, den Bundeshaushalt wieder in geordnete Verhältnisse zurück- zuführen. Deshalb sind Einschnitte in vielen Bereichen er- forderlich, von denen auch die Auslandsmesseförderung nicht ausgenommen werden kann. Allerdings ist die Bun- desregierung bemüht, im Interesse der langfristigen Stabi- lität die Absenkung des Messeetats in Grenzen zu halten. Ob es dadurch tatsächlich zu sehr viel weniger Aus- landsmessebeteiligungen kommen wird als in diesem und in den Vorjahren, wird ganz wesentlich davon abhängen, ob die Unternehmen bereit sind, mehr Eigenmittel in die geförderten Auslandsmessebeteiligungen einzubringen. Die Bundesregierung hält ein höheres finanzielles Enga- gement der ausstellenden Unternehmen an den direkten förderfähigen Messekosten für angemessen und zumut- bar. Derzeit tragen die Aussteller durchschnittlich ein Drittel dieser Kosten. Bei höherer Eigenbeteiligung könnte durchaus die Zahl der Auslandsmessebeteiligun- gen gehalten werden. Die Förderquote der direkten Mes- sekosten würde dann im Schnitt immer noch über 50 Pro- zent liegen. Ein „europäisch abgestimmtes Messekonzept“ zur För- derung von strukturschwachen Regionen ist schon im An- satz verfehlt. Es würde Eingriffe in den unternehmerischen Wettbewerb, in die Interessen anderer europäischer Staa- ten und in unternehmerische Gestaltungsspielräume be- deuten. Die Bundesregierung ist der Auffassung, dass sich Messen und Messestandorte fast ausschließlich nach An- gebot und Nachfrage regeln sollten. Insofern hält sie sich bei Verordnungen und speziellen Messegesetzen und Zu- lassungsregelungen für Messen und Ausstellungen zurück. Obwohl in erster Linie Länderangelegenheit, hat sich die Bundesregierung mit zahlreichen Einzelmaßnahmen an einer Verbesserung der Verkehrsanbindung von Mes- sestädten beteiligt, zum Beispiel in Hannover, Köln, Hamburg und Leipzig. Die Visaerteilungen an Messeaussteller und -besucher insbesondere aus der Volksrepublik China, der Ukraine und aus Russland laufen nun reibungslos, nachdem Ver- fahren eingeführt wurden, die sicherstellen, dass Visaan- träge von Geschäftsleuten vorrangig bearbeitet werden. Dadurch leisten die Visastellen zusammen mit den Wirt- schaftsdiensten an den deutschen Auslandsvertretungen einen hervorragenden Beitrag zur Stärkung des Messe- standortes Deutschland. Die Bundesregierung hält Ausnahmeregelungen für Dienstleister im Bereich der Messewirtschaft bei Teilzeit- arbeit und der Befristung von Arbeitsverträgen nicht für angebracht. Diese Messeunternehmen können keine Son- derstellung beanspruchen. Vielmehr sollten sie die vor- handenen Flexibilitäten im Teilzeit- und Fristarbeitsrecht ausschöpfen, um dem erhöhten Servicebedarf von Messe- kunden gerecht zu werden. Die Bundesregierung hält die „Zukunft der deutschen Messewirtschaft in der Globalisierung“ auch trotz der not- wendigen Haushaltskürzungen für weiterhin gesichert und aussichtsreich. Der Messestandort Deutschland hat seine internationale Bedeutung nachhaltig unter Beweis gestellt. Auch im Auslandsmessegeschäft sind und bleiben deut- sche Dienstleister und Aussteller an der Weltspitze. Anlage 9 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrages: Neue Impulse für die Zusammenarbeit von EU und Russland bei der Entwicklung der Region Kaliningrad (Tagesord- nungspunkt 15) Markus Meckel (SPD): Seit den friedlichen Revolu- tionen in Mittelosteuropa und der Auflösung der Sowjet- union bemühen wir uns, die Partner beim Übergang zu Demokratie und Marktwirtschaft zu unterstützen. Damit soll Sicherheit und Stabilität in Europa geschaffen wer- den. In diesem Jahr stehen in diesem Prozess zentrale Ent- scheidungen an. Die EU wird die Erweiterungsverhand- lungen mit einer Reihe von Kandidaten bis Ende 2002 abschließen und festlegen, wer der Union 2004 beitreten kann. Auf dem Gipfel in Prag wird die NATO im Novem- ber 2002 über eine zweite Runde der Öffnung entschei- den. Der NATO-Beitritt Polens, Tschechiens und Ungarns 1999 war ein erster Meilenstein auf dem Weg der Integra- tion der mittelosteuropäischen Staaten. Mit dem bevorstehenden Beitritt von Polen und Li- tauen wird die russische Exklave Kaliningrad vollständig zu einer Enklave der Europäischen Union. Ohne ein- schneidende Maßnahmen könnte Kaliningrad leicht in die Lage einer „doppelten Peripherie“ geraten: ein vergesse- nes Gebiet Russlands an seinem Rande und vor den Toren der Europäischen Union. Eines muss klar sein: Kaliningrad ist integraler Be- standteil der Russischen Föderation. Mit Souveränität Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 236. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Mai 200223634 (C) (D) (A) (B) geht die Verantwortung Russlands für die Entwicklung des Gebiets einher. Gleichwohl ist es auch im Interesse der EU, die Bedingungen für einen positiven Trend in der Region Kaliningrad zu schaffen und Russland bei seinen Bemühungen zu unterstützen. Die russische Regierung hat bereits in ihrer „Mittelfris- tigen Strategie gegenüber der EU“ im Oktober 1999 er- klärt, daß Kaliningrad zu einer „Pilotregion“ für die Be- ziehungen EU – Russland werden könnte und darin ein „besonderes Abkommen“ vorgeschlagen. Auf den ersten Blick verspricht dieser Ansatz Vorteile. Aber ein solches Abkommen müsste von allen Mitgliedern, einschließlich Griechenland und Portugal, ratifiziert werden. Allein das dürfte zwei Jahre dauern. Die EU-Kommission hat auf die russische Strategie im Januar 2001 mit einem Optionenpapier reagiert, das die zentralen Probleme benennt und die Bereitschaft signali- siert, pragmatische Lösungen zu suchen. Nur eines möchte die Kommission derzeit nicht: langwierige Ver- tragsverhandlungen über ein gesondertes Abkommen führen. Das Partnerschafts- und Kooperationsabkommen zwischen der EU und Russland bildet seit 1997 die Grundlage für die beiderseitigen Beziehungen. In diesem Rahmen können spezifische Regelungen für Kaliningrad vereinbart werden. Gespräche darüber sind angelaufen. Es gilt, die Verhandlungen durch einen konkreten Zeit- plan zu beschleunigen. Wichtig ist es, die unmittelbaren Nachbarn Polen und Litauen schon jetzt in die Gespräche mit einzubeziehen. Die schwierige Lage in der Region lässt sich mit weni- gen Zahlen illustrieren. Die Wirtschaft hat seit dem Ende der Sowjetunion einen dramatischen Niedergang erlebt. Bis Ende der 90er-Jahre sank die Produktion in Industrie und Landwirtschaft auf weniger als 30 bzw. 50 Prozent des Standes von 1990. Das monatliche Einkommen lag im Jahr 2000 bei 67 Euro und blieb damit nicht nur weit hin- ter den Nachbarn Polen und Litauen, sondern auch ge- genüber dem russischen Durchschnitt von 86 Euro zurück. Laut offiziellen Statistiken lebt ein Drittel der Be- völkerung unter der Armutsgrenze. Mit der Armut haben sich organisierte Kriminalität, Korruption, Drogenmiss- brauch und Seuchen wie Aids und Tuberkulose in der Re- gion ausgebreitet. Die Lage ist aber alles andere als hoffnungslos. Die Ende 2000 gewählte Administration unter Gouverneur Je- gorow und ein Großteil der Eliten treten bei fester Veran- kerung in der Russischen Föderation entschieden für eine Öffnung des Gebiets zum Ostseeraum und zur EU ein. Bei einem Besuch Mitte Januar äußerten sich alle Gesprächs- partner in Kaliningrad zufrieden darüber, dass die Region unter Präsident Putin größere Aufmerksamkeit genieße. Ein Mitglied der Gebietsduma sagte, erstmals seit zehn Jahren sehe man die Probleme der Region von Moskau angemessen beschrieben und wiesen die Lösungsvor- schläge in die richtige Richtung. Dazu zählt das im De- zember 2001 verabschiedete „Föderale Zielprogramm zur Entwicklung des Verwaltungsgebietes Kaliningrad bis zum Jahre 2010“. Nur für die Halbinsel Sachalin wurde im letzten Jahr ein ähnliches Programm beschlossen. Das Programm ist zwar ein Sammelbecken für allerlei mehr oder weniger sinnvolle Initiativen und die Finanzierung in Höhe von circa 3 Milliarden US-Dollar ist nur zu einem Teil gesichert. Gestatten Sie mir eine Nebenbemerkung: Manchmal könnte man den Eindruck haben, daß Russland Pläne macht, welche die EU bezahlen soll. Aber dennoch könnte des Föderalprogramm zu einem strategischen Konzept für die Entwicklung des Kaliningrader Gebietes und der Sonderwirtschaftszone weiterentwickelt werden. Denn eines ist klar: Die Weichen für die Entwicklung der Region Kaliningrad stellt Russland. Das gilt bei- spielsweise für die Frage nach der militärischen Bedeu- tung der Region. Sie war in den letzten Jahren stark rück- läufig. Die Zahl der Streitkräfte ist von etwa 200 000 auf etwa 18 000 zurückgegangen und soll bis 2003 weiter sin- ken auf 8 000. Noch immer ist aber beispielsweise der äußerste Teil des Hafens militärisches Sperrgebiet. Das bringt Einschränkungen im zivilen Schiffsverkehr und Handel mit sich. Ebenso stellt sich die Frage, welchen Handlungsspiel- raum die russische Regierung regionalen Behörden bei der wirtschaftlichen Entwicklung und im Umgang mit seinen direkten Nachbarn einräumen will. Es bleibt zu klären, ob es sinnvoll ist, jedes Detail in den Beziehungen zwischen Kaliningrad und seinen Nachbarn über Moskau zu verhandeln. An unserer Westgrenze haben wir positive Erfahrungen mit der Schaffung von Euroregionen und der Übertragung von Kompetenzen für die Regelung nach- barschaftlicher Beziehungen gemacht. Auch wenn wir dies an der deutsch-polnischen Grenze noch nicht voll- ständig realisiert haben, könnten die Regelungen des Karlsruher Rahmenabkommens des Europarates bei der Ausgestaltung der Kaliningrad berührenden Euroregio- nen „Ostsee“, „Saule“ und „Neman“ hilfreich sein. Lassen Sie mich nun auf die konkreten Probleme zu sprechen kommen, mit denen sich die EU und Russland im Zuge der Erweiterung konfrontiert sehen: Visa- und Transitregeln, Verkehrsanbindung, Warenaustausch. Als vorrangig sehen alle eine baldige Regelung der Visa- und Transitfrage an. Wir suchen Regelungen, die den Bedürfnissen der EU nach einem sicheren Schutz der Außengrenzen ebenso gerecht werden wie dem Interesse an einem Ausbau der grenzüberschreitenden Kontakte und Kooperation zwischen Bürgern Russlands und der EU. Noch bis zum 1. Juli kommenden Jahres gilt mit Polen und Litauen Visafreiheit. Jährlich werden weit über 8 Mil- lionen Grenzübertritte und 3 Millionen PKWs an den Grenzen zur Polen und Litauen registriert. Weit mehr Menschen reisen nach Wilna, Warschau oder Berlin als ins russische Kernland. Gerade junge Menschen interes- sieren sich stark für die Nachbarländer im Ostseeraum und darüber hinaus für die EU. Wenn Polen und Litauen die Regelungen des Schengener Abkommens an den zukünftigen EU-Außengrenzen anwenden, fürchten viele, isoliert zu werden. Das russische Außenministerium fordert in offiziellen Verhandlungen noch immer eine „Korridorlösung“ für den Personen- und Warenverkehr zwischen Kaliningrad und dem russischen Kerngebiet. Während auch in Kali- ningrad viele die Aufrechterhaltung der Visafreiheit für wünschenswert halten, hatte ich bei den Gesprächen im Januar den Eindruck, dass sich die Einsicht durchsetzt: Diese Forderung ist unrealistisch. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 236. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Mai 2002 23635 (C) (D) (A) (B) Die EU-Kommission hat eine flexible Anwendung des Schengener Abkommens in Aussicht gestellt. Das bedeu- tet: Grundsätzlich herrscht Visapflicht und Russland muss die etwa 950 000 Einwohner der Region Kaliningrad mit Pässen ausstatten. Denkbar wären aber Regelungen zum kleinen Grenzverkehr, Mehrfachvisa, Visaerteilung an der Grenze, kostengünstige bzw. kostenlose Visa etc. Dies setzt voraus, dass wir auch die Bedingungen für die Ver- gabe von Visa vor Ort verbessern. Polen und Litauen ver- fügen über Generalkonsulate in der Region. Entsprechend einer Empfehlung der EU-Kommission hat Schweden als erstes EU-Land im Dezember 2001 die russische Zustim- mung zur Errichtung eines Konsulates erhalten. Wir for- dern die Bundesregierung auf, ebenfalls eine konsula- rische Vertretung in der Region anzustreben, um den Personenverkehr zu erleichtern. Eine gute Verkehrsanbindung ist eine wichtige Voraus- setzung für wirtschaftliche Entwicklung und die Integra- tion in den Weltmarkt. Da die direkten Zug- und Flugver- bindungen zur EU im vergangenen Jahr eingestellt wurden, habe ich auf der Autofahrt zwischen Warschau und Kali- ningrad selbst gesehen, wie schlecht die Straßenverbin- dungen geworden sind und wie schleppend die Abferti- gung an der Grenze vonstatten geht. Hier ist eine Veränderung der Haltung des Personals und der Abferti- gungsverfahren ebenso nötig wie Investitionen in die In- frastruktur, die von Russland und der EU gemeinsam in Angriff genommen werden könnten. Insbesondere setzen wir uns für eine Anbindung an die „Via Baltica“ und den Ausbau der „Via Hanseatica“ ein. Es soll damit ausge- schlossen werden, dass die „Via Balitica“ als Nord-Süd- Verbindung von Tallin über Riga und Kaunas nach War- schau Kaliningrad ausspart. Die Bundesregierung sollte sich dafür einsetzen, dass die „Via Hanseatica“ von Ber- lin über Stettin, Danzig, Kaliningrad und Riga nach Sankt Petersburg ausgebaut wird. So entsteht eine direkte Ver- bindung nach Westeuropa. Beides ist von der EU bisher nicht vorgesehen. Kaliningrad ist bei der Versorgung mit Lebensmitteln und anderen Gütern sowie mit Energie auf den Austausch mit den Nachbarn und dem russischen Kernland ange- wiesen. Die Einfuhren übersteigen die Ausfuhren dabei um das Doppelte. Polen und Litauen sind – neben dem Handel mit dem russischen Kernland – die wichtigsten Absatzmärkte für Kaliningrad. Nach Einführung der Re- geln des EU-Binnenmarktes rechnet man mit erheblichen Einbußen beim Export, weil die Unternehmen der Region Schwierigkeiten haben, technische, sanitäre und ökolo- gische Normen der EU – beispielsweise in der Fischerei und der fischverarbeitenden Industrie – zu erfüllen. Auf diese Probleme müssen die Programme der russischen Regierung stärker zugeschnitten werden. Die EU kann zwar nicht das wirtschaftliche Risiko übernehmen, aber sie kann Unternehmen bei der Umstellung auf die neuen Anforderungen unterstützen – in der Ausbildung des Per- sonals oder bei Ausrüstungsinvestitionen. Wenn es uns gelingt, diese Probleme gemeinsam mit Russland in den Griff zu bekommen, kann Kaliningrad am wirtschaftlichen Aufschwung und den Wohlstandsge- winnen in der Ostseeregion teilhaben, die mit der EU-Er- weiterung einher gehen. Dass die Hoffnung nicht ganz fehl am Platze ist, zeigen folgende Zahlen: Im letzten Jahr lag das Wirtschaftswachstum der Region mit 12,5 Prozent erstmals seit 1991 über dem russischen Durchschnitt von 5,4 Prozent. Als Ostseeanrainer hat Deutschland ein Inte- resse, ein Wohlstandsgefälle im Ostseeraum zu verhin- dern und stattdessen für gedeihliche Zusammenarbeit zu sorgen. Da alle Ostseeanrainer bis auf die Russische Fö- deration in Kürze Mitglieder der EU sein werden, setzen wir uns dafür ein, dass die Kooperation im Ostseerat eine größere Bedeutung im Rahmen der „Nördlichen Dimen- sion“ der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der Union erhält und die EU mit Russland aktiv nach Lösun- gen für die Probleme des Kaliningrader Gebietes sucht. Das bedeutet auch, dass wir über zusätzliche Mittel spre- chen müssen. Derzeit werden für TACIS-Projekte jedes Jahr etwa 3,5 Millionen Euro aufgewandt, während die EU die Beitrittskandidaten Polen und Litauen mit etwa 1 Milliarde bzw. 180 Millionen Euro unterstützt. So wer- den die unterschiedlichen Entwicklungstrends eher noch verschärft. Ich freue mich, dass es in diesem Haus in dieser Frage einen breiten Konsens gibt und wir einen interfraktionel- len Antrag zustande gebracht haben. Und wir stehen in diesem Bestreben nicht allein. Das Europäische Parla- ment hat nach ausführlicher Debatte am Dienstag gestern einen Bericht der deutschen Kollegin Magdalene Hoff zu Kaliningrad verabschiedet, der in vielen Punkten ähnliche Forderungen vertritt. An manchen Stellen geht das EP aber auch über unsere Forderungen hinaus, wenn es zum Beispiel anregt, gemeinsame Grenzpatrouillen von EU- und russischem Personal zu prüfen. Aber was können wir dazu eventuell noch aus deut- scher Sicht beitragen? Durch humanitäre Initiativen – zum Beispiel bei der Alten- und Gesundheitsversorgung – und praktische Unterstützung im Rahmen der acht Städ- tepartnerschaften und der Beziehungen zwischen anderen Kommunalverbänden genießt Deutschland einen guten Ruf als zuverlässiger Partner. Auch im Bereich des Außenhandels steht Deutschland – wenn auch auf relativ niedrigem Niveau – an dritter Stelle nach Polen und Li- tauen. Ich denke, dies ist ein Pfund, mit dem wir wuchern sollten. Es gilt, direkte Begegnungen, einschließlich des Jugendaustausches, ebenso wie Wirtschaftskontakte ge- zielt zu fördern. Bei der Anbahnung und Aufrechterhal- tung von Kontakten auf der gesellschaftlichen Ebene spielt das Deutsch-Russische-Haus eine zentrale Rolle. Es ist wichtig für die Darstellung Deutschlands und trägt zur Entwicklung der Zivilgesellschaft in Kaliningrad bei. Wir halten es daher für unbedingt erforderlich, die Finanzie- rung des Deutsch-Russischen-Hauses auf Dauer zu si- chern. Die Länder Schleswig-Holstein, Brandenburg, Ham- burg, Mecklenburg-Vorpommern, Rheinland-Pfalz und Sachsen arbeiten seit Jahren mit dem Kaliningrader Ge- biet zusammen. Schleswig-Holstein, das traditionell sehr stark in der Ostseekooperation engagiert ist, hat schon sehr früh vielfältige Kontakte geknüpft. Unter anderem unterstützt das Land die Ausbildung und Kooperation der Polizei im Kampf gegen die organisierte Kriminalität. Der schleswig-holsteinische Landtag hat im Jahr 2000 als ers- ter die Kooperation auf parlamentarischer Ebene mit der Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 236. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Mai 200223636 (C) (D) (A) (B) Gebietsduma in Angriff genommen. Brandenburg hat sich dieser Initiative im vergangenen Jahr angeschlossen. Es hat 1994 auch als erstes ein förmliches Kooperationsab- kommen mit dem Kaliningrader Gebiet unterzeichnet. Diese Kooperation konzentrierte sich zunächst auf Fort- bildung von Fachkräften in Wirtschaft und Verwaltung so- wie die Landwirtschaft – ein Bereich, dessen Potenzial zur Selbstversorgung in Kaliningrad noch längst nicht ausgeschöpft ist. Ich glaube, die Zeit ist günstig, um die Kooperation mit Russland auf breiter Front voranzubringen. Die in dieser Woche beschlossene Intensivierung der Beziehungen zwischen NATO – Russland und die Schaffung eines neuen Rates zu 20 stimmen mich ebenso zuversichtlich wie die Vereinbarungen über die Reduzierung der strate- gischen Nuklearwaffen zwischen den USAund Russland. Präsident Putin hat bei seiner Rede im Deutschen Bun- destag bekräftigt, dass er insbesondere an einem Fort- schritt der Beziehungen zur EU interessiert ist. An einer Lösung der Probleme Kaliningrads sind beide Seiten in- teressiert. Russland hat das dadurch unterstrichen, dass das Außenministertreffen aus Anlass des zehnjährigen Grün- dungsjubiläums des Ostseerats am 3. bis 4. März 2002 in Kaliningrad stattfand. Die Entwicklung Kaliningrads nahm bei den Beratungen breiten Raum ein, auch wenn es nicht zu einschneidenden Beschlüssen führte. Beim nächsten EU-Russland-Gipfel am 28. Mai 2002 steht Ka- liningrad ganz oben auf der Tagesordnung. Den großen Durchbruch zur Lösung der Probleme der russischen Re- gion Kaliningrad zu erwarten, wäre wahrscheinlich ver- messen. Aber wir fordern die Bundesregierung auf, die Gespräche der EU mit Russland durch neue Vorschläge voran zu bringen. Russland bieten sich große Chancen zur Entwicklung der Region Kaliningrad, wenn es die richti- gen Maßnahmen ergreift. Die EU kann es dabei durch flankierende Programme und bei der Finanzierung unter- stützen. Aber Russland muss ebenfalls seine Verantwor- tung wahrnehmen. Dr. Andreas Schockenhoff (CDU/CSU): Einer der vielen Artikel, die in letzter Zeit über die komplizierte Si- tuation Kaliningrads geschrieben wurden, bringt mit der Frage, ob Kaliningrad nun ein „Hongkong am baltischen Meer“ oder doch eine vergessene Exklave Russlands sei, die zwiespältige Lage diese Gebietes auf den Punkt. Auch wir sind aufgefordert, uns angesichts EU-Oster- weiterung, NATO-Öffnung und NATO-Kooperation mit Russland endlich Gedanken über den Status Kaliningrads zu machen. Russland andererseits muss seiner Exklave an der Ostsee, die mit der EU-Osterweiterung zur Enklave in der EU werden wird, endlich Perspektiven aufzeigen. Die Region hat ihre größten wirtschaftlichen Absatz- märkte in Polen und Litauen. Zwischen diesen beiden EU- Anwärterstaaten und Kaliningrad besteht seit zehn Jahren Visumsfreiheit. Der kleine Grenzverkehr ist rege und ele- mentar für die wirtschaftliche Entwicklung der Region. Polen und Litauen streben aber im Zuge der NATO-Oster- weiterung nachvollziehbar danach, die Schengener Ver- einbarungen vor allem strikt umzusetzen und die Visums- freiheit aufzuheben. Zwangsläufig wird dadurch eine Lebensader Kaliningrads gekappt werden. Wir müssen in enger Abstimmung mit Russland Lö- sungen für die Region finden. Wir müssen dafür sorgen, dass Investitionen nach Kaliningrad fließen können und es teilhaben kann am wirtschaftlichen Wachstum des Ost- seeraumes. BMW hat den Schritt nach Kaliningrad ja be- reits gewagt. Doch die Region steht noch vor zu vielen großen Pro- blemen, die sie nicht alleine bewältigen kann. Kaliningrad gehört mit zu den größten Umweltverschmutzern im Ost- seeraum und hat noch heute zu kämpfen mit den Altlasten, die die Rote Armee nach Ende des Kalten Krieges auf dem Rückzug aus den ehemaligen Warschauer-Pakt-Staaten hinterlassen hat. Es hat die prozentual höchste Raten an HIV-I- und Tuberkuloseinfektionen in Europa und orga- nisierte Kriminalität, Korruption und Drogenmissbrauch stellen den Kaliningrader Gouverneur Jegorow vor eine sicherheitspolitische und administrative Aufgabe, die schier nicht zu bewältigen ist. Der Lebensstandard der Kaliningrader liegt 20 Prozent unter dem russischen Durchschnitt; ein Drittel der Bevölkerung muss unterhalb der Armutsgrenze leben. Kaliningrad ist abhängig von Subventionen aus Moskau und muss selbst seine Grund- versorgung an Rohstoffen, Energie, Wirtschaftsgütern und Lebensmitteln durch Importe vor allem aus Russland, aber auch aus den Nachbarstaaten, absichern. Der Abstand Kaliningrads zu den künftigen EU-Staa- ten in seiner Nachbarschaft darf nicht noch größer wer- den. Kaliningrad hat eine viel versprechende Lage im sonst prosperierenden Ostseeraum. Im Grunde bleibt ne- ben der denkbar schlechtesten Lösung, nach der man die künftige Enklave sich selbst überlässt, nur die Möglich- keit, für die Region Kaliningrad einen Sonderstatus zu er- reichen. Das ist vorrangig russische Aufgabe. Moskau muss die Kaliningrader Administration von seinem Tropf lassen, ihr Entscheidungskompetenzen überlassen und den Status der Region aufwerten gegenüber dem Mutter- land. Nur so kann auch ein innen- und sicherheitspoliti- sches Klima geschaffen werden, das künftigen Investoren entgegenkommt. Nur so kann sich Kaliningrad öffnen und sich in den europäischen Wirtschaftsraum integrieren. Natürlich werden die EU-Staaten ein solches Vorgehen nach Kräften unterstützen. Russland aber muss nur die Initiative ergreifen. Der NATO-Russlandrat und der Ost- seerat unter russischem Vorsitz sind geeignete Gremien, die regionale Anbindung Kaliningrads institutionell zu verankern. Die Initiative hierfür aber muss von Russland ausgehen. Die EU kann nur unterstützen. Denkbar ist ein regionaler Sonderstatus für, Kaliningrad in Europa und eine Zusammenarbeit nachdem Modell der Euregio. Zum Abschluss möchte ich noch feststellen, dass heute im Zusammenhang mit einer Öffnung Kaliningrads nie- mand mehr von der Gefahr der Germanisierung spricht. Andererseits mangelt es uns Deutschen immer noch an der Unbefangenheit, von Kaliningrad als Königsberg zu reden, so wie es die Franzosen tun, wenn sie mit Aix-la- Chapelle Aachen und mit Ratisbonne Regensburg mei- nen. Es geht hier ja nicht um Revanchismus. Wir sollten unbefangener auch die Bezeichnung Königsberg verwen- den für eine Stadt im heutigen Russland, deren Bewohner, die Presse berichtet immer öfter davon, sich mehr und mehr mit der deutschen Vergangenheit ihrer Heimat aus- einander setzen und sie zur Kenntnis nehmen. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 236. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Mai 2002 23637 (C) (D) (A) (B) Dr. Helmut Lippelt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Während des Petersburger Dialogs Anfang April dieses Jahres in Weimar wurden wir von unseren russischen Ge- sprächspartnern im Arbeitskreis Politik mehrfach gefragt, was denn unsere Position zur Zukunft Kaliningrads sei, welche Konzepte wir vorschlagen würden. Wir konnten nur antworten, eine gemeinsame Position hierzu gebe es nicht. Jeder könne nur seine eigene Meinung vortragen. Im Übrigen bestehe das Problem ja darin, dass Kalinin- grad eine russische Enklave innerhalb der EU werden würde, insofern bedürfe es einer Lösung, die zwischen der EU und Russland gefunden werden müsse. Als Deutsche würden wir es vorziehen, andere EU-Länder für uns spre- chen zu lassen, wir seien als Deutsche da zu leicht Miss- verständnissen ausgesetzt. Erst das Befremden unserer russischen Gesprächspartner machte uns deutlich, dass zu solcher Zurückhaltung kein Anlass besteht, dass man im Gegensatz von uns Lösungen erwarte. Deshalb bin ich sehr froh, dass wir heute einen inter- fraktionellen Antrag beschließen, der eine Reihe von sinn- vollen Impulsen enthält, woraus allmählich ein Konzept erwachsen kann. Das Problem Kaliningrad besteht ja darin, dass es nach der nächsten Erweiterung der EU von EU-Ländern umge- ben sein wird, eine russische Exklave in der EU, umgeben von einer Schengen-Grenze. Dessen Zukunft besteht darin, dass es entweder ein von Russland abgetrenntes Ar- menhaus werden könnte oder eine russisches Provinz, prosperierend, weil die Wirtschaftsimpulse des Ostsee- raums und der EU-Erweiterung zusammen mit der wach- senden Dynamik der russischen Wirtschaft sich gerade auf diese Provinz auswirken werden. Letzteres müssen wir in jeder Weise fördern. Natürlich haben die Älteren unter uns Erinnerungen, vieles verbindet uns mit der Geschichte von Königsberg- Kaliningrad. Ich erinnere; an die Gedichte Bobrowskis oder die jüngeren Filme Volker Koepps über die „Kalte Heimat“. Und doch: Die Zukunft liegt in der Öffnung die- ses Gebiets als eines russischen Raumes, der teilhaben kann an der Dynamik des Ostseeraums, der eine Brücke sein kann zwischen Russland und der EU und damit auch zwischen Russland und Deutschland. Der Antrag nennt die vielfältigen Ebenen der Zusam- menarbeit. Eine neue regionale Identität könnte sich hier herausbilden. Die Kooperation auf der Ebene der Bun- desländer und der Regionen in anderen Staaten kann dazu beitragen, dass europäische Begegnung zur alltäglichen Erfahrung vieler politischer Ebenen wird. Die Entwick- lung der Zusammenarbeit auf der Ebene der NGOs ist da- bei mir selbst ein besonderes Anliegen. Mit Vergnügen er- innere ich mich an Gespräche in Berlin und in Moskau mit Vertretern der Kaliningrader „Ekodefense“, die mit gro- ßem Verantwortungsbewusstsein für den Umweltschutz in Kaliningrad sich einsetzen. Wir sehen gegenwärtig, wie durch das engere Zusam- menrücken von USA, EU und Russland in der NATO eine neue Sicherheitsstruktur unseres Kontinents entsteht. Wir begrüßen das. Wir erkennen darin eine historische Chance, aus den Schatten des 20. Jahrhunderts herauszu- treten. Zugleich haben wir eine große Aufgabe vor uns, deren Lösung noch kaum sichtbar ist. Im vorliegenden Antrag weisen wir zu Recht auf die Auswirkungen der Schengen-Regelungen auf Kaliningrad hin. Regelungen müssen gefunden werden. Wie viel Erleichterungen bei der Visa-Vergabe sind wir bereit zu geben, um die Errich- tung einer neuen Mauer an der zukünftigen Grenze der EU zu verhindern? Ich weiß, dass die Wahlerfolge von Rechtspopulisten in Kernstaaten der EU uns alle darauf verweisen, dass wir die Menschen in unseren eigenen Staaten nicht überfordern dürfen. Und doch wünsche ich mir eine ehrliche und öffentliche Diskussion darüber, wie wir gerade die Schengen-Grenzen um Kaliningrad so durchlässig machen können, dass sie die Bewegung der dort lebenden Menschen zwischen ihrer Heimat Kalinin- grad und Russland nicht behindern und zugleich auch ih- nen den Weg zu uns öffnet. Vielleicht können wir diese ehrliche und öffentliche Diskussion erst nach dem 22. September führen, obwohl sie vielleicht gerade im Wahlkampf nötig wäre. Dr. Werner Hoyer (FDP): Die heutige Debatte hätten wir schon Anfang letzten Jahres führen können und führen sollen. Damals, im Januar 2001, hat nämlich die FDP-Bundestagsfraktion einen Antrag vorgelegt, der bei der Abfassung des heute zu behandelnden interfraktionel- len Antrages ganz offensichtlich Modell gestanden hat. Hätte sich die Regierungskoalition seinerzeit dazu durch- ringen können, unseren Antrag zu unterstützen, dann hätte die Bundesregierung Gelegenheit gehabt, die vielen darin enthaltenen nützlichen Forderungen noch zu einem Zeit- punkt umzusetzen, der hinsichtlich der bevorstehenden Erweiterung von NATO und EU mehr Spielraum für die Entwicklung eines tragfähigen Konzeptes zur Einbindung der Exklave Kaliningrad in die europäischen Strukturen gelassen hätte. Doch besser spät als nie. Deshalb haben wir uns auch gern bereit erklärt, den interfraktionellen Ansatz mitzutragen, wenngleich wir das Copyright schon für uns beanspruchen. Doch auch hier gilt, dass das Ori- ginal meist besser ist als die Kopie. Aus diesem Grunde sind wir auch nicht bereit, unseren eigenen Antrag zurück- zuziehen, der in einigen wichtigen Punkten noch weit über den interfraktionellen Ansatz hinausgeht. Zum Inhalt: Die bevorstehenden Erweiterungen der Europäischen Union und der NATO stellt die Exklave Kaliningrad vor eine Phase voller Herausforderungen und Chancen. Mit der EU-Osterweiterung wird die Region nicht nur zum Bindeglied zwischen Europa und Russland. Sie gewinnt auch im Rahmen der „Nördlichen Dimen- sion“ der EU eine besondere Bedeutung für den gesamten Ostseeraum. Nach anfänglichem Zögern hat die neue russische Regierung Konsequenzen aus der sich abzeich- nenden Entwicklung gezogen und die Exklave zur Pilot- region für die Entwicklung einer regionalen Zusammen- arbeit mit der EU erklärt. Kaliningrad wird von Moskau nicht nur als militärischer Vorposten betrachtet. Deutlich erkennbar ist die Bereitschaft, dort ein liberales Wirt- schaftsmodell in Verbindung mit Sonderbeziehungen zur EU zu etablieren. Bereits 1996 war das gesamte Kaliningrader Gebiet zur Sonderwirtschaftszone erklärt worden, um Standort- nachteile durch Steuer- und Zollvergünstigungen aufzu- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 236. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Mai 200223638 (C) (D) (A) (B) wiegen. Mit Litauen und Polen wurde der visafreie Reise- verkehr für Kaliningrader Bürger eingeführt. Die Einrich- tung der Sonderwirtschaftszone hat angesichts einer un- beweglichen Bürokratie, fehlender Investitionen und öffentlicher Fördermittel, aber auch aufgrund von Kor- ruption und Kriminalität bislang jedoch nicht zu dem er- hofften Aufschwung geführt. Auch in diesen Punkten lei- det die Exklave bis heute an ihrem sowjetischen Erbe. Die wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Probleme der Region sind auch zwölf Jahre nach dem Umbruch in Mit- tel- und Osteuropa enorm. Die Industrieproduktion ten- diert gegen null, die Landwirtschaft liegt brach, Infra- struktur und Logistik sind kaum entwickelt, Schifffahrt- und Hafenbetrieb sind fast zum Erliegen gekommen, Le- bensmittel, Rohstoffe und Energie werden aus Russland oder den Nachbarländern eingeführt, die organisierte Kri- minalität blüht. Im Rahmen der bevorstehenden EU-Erweiterung müs- sen daher dringend regional angepasste Lösungen gefun- den und umgesetzt werden. Insbesondere die Gestaltung des Schengener Abkommens an den Außengrenzen einer erweiterten Union zur Exklave Kaliningrad stellt die eu- ropäisch-russische Zusammenarbeit vor große Herausfor- derungen. Falls keine Sonderregelung vereinbart werden kann, werden die Kaliningrader nach dem EU-Beitritt Po- lens und Litauens ein Visum beantragen müssen, wenn sie das russische Hauptland auf dem Landweg besuchen wol- len. Bereits jetzt behindern extrem lange Wartezeiten an den Grenzen den Warenverkehr, wodurch die Attraktivität des einzigen eisfreien russischen Ostseehafens weiter be- einträchtigt wird. Neben der Visaproblematik würde nach einem EU-Beitritt Polens und Litauens auch der regionale Handel erheblich weiter erschwert werden, da Kalinin- grad kaum in der Lage sein wird, technische und ökologi- sche Normen der EU, etwa im Bereich der für die Kaliningrader Wirtschaft wichtigen Fischverarbeitungs- industrie, zu übernehmen. Ziel der gemeinsamen An- strengungen muss es daher sein, die Exklave zu einer Brücke Russlands nach Europa auszubauen. Kaliningrad wird so zum Testfall für die zukünftige europäisch-russi- sche Zusammenarbeit. Die EU-Kommission hat dem Rat ein Diskussionspa- pier über die künftige Gestaltung der Beziehungen zur Exklave Kaliningrad zur internen Abstimmung vorgelegt. Diskussionspapiere sind schön, machen aber nur dann Sinn, wenn hieraus konkrete Strategien und Umsetzungs- modelle entstehen. Nur so kann eine Isolierung der Re- gion mit den daraus entstehenden Folgen für eine weitere Verarmung, für Kriminalität, Waffenhandel und politische Instabilität vermieden werden. Eine verstärkte Zusam- menarbeit mit der Europäischen Union im Rahmen der „Nördlichen Dimension“ und des Ostseerates bietet die besten Voraussetzungen zur Intensivierung der wirt- schaftlichen, politischen und kulturellen Beziehungen Kaliningrads zu seinen Nachbarn und zum Abbau noch vorhandenen Misstrauens. Die Bundesregierung ist ge- fordert, hier eigene Initiativen zu entfalten. Es ist offensichtlich, dass sich alle genannten Probleme nur mit dem Einverständnis Moskaus lösen lassen. Die russische Regierung muss daher eng in die Planungs- prozesse auf allen Ebenen mit einbezogen werden. Hierzu gehört auch die intensive Auseinandersetzung mit dem von russischer Seite vorgeschlagenen „besonderen Ab- kommen“ mit der Union sowie die Beteiligung Russlands an der weiteren Verfolgung des vom EU-Rat in Feira be- schlossenen „Aktionsplanes“ der „Nördlichen Dimen- sion“ der EU. Eine stärkere Anbindung an europäische Strukturen ist jedoch nicht nur aus wirtschaftspolitischer Sicht dringend geboten. Das Kaliningrader Gebiet wird nach der bevor- stehenden NATO-Osterweiterung von der NATO-Grenze umgeben sein. Entsprechend wird die strategische Bedeu- tung Kaliningrads für Moskau weiter ansteigen. Dies be- trifft auch die schwierige Frage des Transports von russi- schen Militärgütern durch Litauen. Vor dem Hintergrund der besonderen geschichtlichen Verantwortung Deutschlands müssen die europäischen Bemühungen zur Einbindung der Region Kaliningrad in die europäischen Strukturen auch durch bilaterale Initiati- ven ergänzt werden. Dies betrifft unter anderem ein stär- keres Engagement für deutsche Investoren, den Ausbau und Erhalt der Bahnstrecke Königsberg–Berlin, Univer- sitäts- und Schulpartnerschaften wie auch Maßnahmen zur Förderung des Deutsch-Russischen Hauses in Kali- ningrad und zur Unterhaltung der deutschen Soldaten- friedhöfe. 1250 km von Moskau und nur 600 km von Ber- lin entfernt gelegen, könnte sich Kaliningrad zur Drehscheibe für Handel und Transport zwischen Russ- land und der erweiterten Union und zum Bindeglied zwi- schen Russland und NATO im Rahmen eines gemeinsa- men europäischen Sicherheitsraumes entwickeln. Doch es muss schnell gehandelt werden. Dr. Klaus Grehn (PDS): Der vorliegende Antrag zu einem wichtigen Problem der europäischen Politik – der Einbindung der russischen Region Kaliningrad in die EU-Osterweiterung – kann ein positiver Beitrag des Deut- schen Bundestages zur Intensivierung der Beziehungen zu Russland und für das Wohl aller europäischen Völker sein. Leider nicht zum ersten Mal wurde bei diesem ge- meinsamen Antrag von vier Fraktionen dieses Hauses eine Verständigung mit der PDS nicht gesucht. Zweifellos spielt für Russland die Gewährleistung der Sicherheit in den Beziehungen zur EU eine zentrale Rolle und es ist zu begrüßen, dass die deutsche Russland-Poli- tik dies zunehmend in Rechnung stellt. Auch und gerade in den wünschenswerten Gesprächen und Verhandlungen der EU mit Russland um die Perspektiven der Region Ka- liningrad muss das beachtet und verstanden werden. Die russischen sicherheitspolitischen Aspekte kreuzen sich mit wirtschaftspolitischen in durchaus überregionaler Di- mension. In der Region ist ein Truppenkontingent von 70 000 Mann stationiert, der Hafen von Kaliningrad ist eisfrei. Die Region Kaliningrad hat circa 1 Million Ein- wohner und liegt nach dem BIP an 57. Stelle der 89 Re- gionen Russlands. Die gemeinsame Grenze zu Polen und Litauen ist 400 Kilometer lang und hat drei Grenzüber- gänge. Für Russland ist die Sicherung des freien Zugangs zu seiner Enklave von zentraler Bedeutung. Dies betrifft neben dem ungehinderten Land- und Luftverkehr auch den freien Verkehr von Personen von und nach Kalinin- grad. Der vorliegende Antrag stellt richtig heraus, dass mit Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 236. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Mai 2002 23639 (C) (D) (A) (B) dem Eintritt vor allem Polens und Litauens in die EU un- ter den Bedingungen des Schengener Abkommens erheb- licher Regelungsbedarf für dieses Problem entstehen wird. Die hier vorgeschlagenen Regelungen gehen in die richtige Richtung und werden später auch zum Beispiel in den Beziehungen zur Ukraine und Belorussland Beispiel- funktion haben, wenn Polen der EU beigetreten sein wird. Ebenfalls unterstützen wir die Forderung des Antrages, Polen und Litauen auch schon vor ihrem Beitritt zur EU in alle die Regelungen einzubeziehen, die mit der Enklave Kaliningrad zu tun haben. Der europäische Integrations- prozess kann einen ganz besonderen Beitrag dazu leisten, dass historisch bedingte und leider immer noch vorhan- dene Ressentiments zwischen den baltischen Völkern, Polen und Russland abgebaut werden. Wir begrüßen bei dem Antrag ganz besonders, dass er frei ist von ,,besonderen deutschen Interessen“ und damit Tendenzen des in manchen deutschen Kreisen vorhande- nen Revanchismus eine Absage erteilt wird. Nicht ganz ausgewogen ist hingegen die Begründung und Verant- wortungszuteilung für den gegenwärtigen Zustand der Region. Hier allein den Schlüssel bei Russland zu suchen, ist historisch wenig gerecht, den zu lösenden – und im An- trag ja auch benannten – Aufgaben dient diese einseitige Schuldzuweisung wenig. So richtig es ist, von Russland die Bereitschaft zu gemeinsamen Anstrengungen zu ver- langen und dafür die Voraussetzungen zu schaffen, so falsch wäre das Warten oder das Drängen auf russische Vorleistungen. Schließlich ist es vor allem die Erweite- rung der EU und die entsprechenden Visaregelungen, die zunächst einmal Probleme bereiten. Russland hat zudem zu beachten, dass die Schaffung besonderer Bedingungen für Teile seines nach dem Zweiten Weltkrieg hinzuge- kommenen Territoriums einen Präzedenzfall schafft, und es ist zu respektieren, dass manches Notwendige nur zö- gerlich erkannt wird. Zudem wird die russische Bevölke- rung in den baltischen Staaten mit deren Beitritt zu EU- Bürgern und das ist für Russland ein ganz neues auch innenpolitisches Problem. Alles in allem ist es wünschenswert, dass die Bundes- regierung die in dem Antrag genannten Forderungen mit Leben erfüllt und zielstrebig in Angriff nimmt. Anlage 10 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Anträge: – Intensivierung der Beziehungen zwischen der Europäischen Union, Latainamerika und der Karibik – Hilfe für die Opfer der Colonia Dignidad (Tagesordnungspunkt 16, Zusatztagesordnungs- punkt 18) Lothar Mark (SPD): Unsere Beziehungen zu Latein- amerika und der Karibik sind gut, so gut sogar, dass sie – wenig spektakulär und vergleichsweise geringen Kon- fliktstoff bergend – in der Öffentlichkeit kaum wahrge- nommen werden. Lateinamerika steht somit aus nachvoll- ziehbaren Gründen nicht im Mittelpunkt der deutschen Außenpolitik. Und trotzdem müssen wir unsere Aufmerk- samkeit verstärkt und nachhaltig dem lateinamerikani- schen Subkontinent zuwenden. Wenn am kommenden 17. und 18. Mai in Madrid die Staats- und Regierungschefs der europäischen, lateiname- rikanischen und karibischen Länder zu ihrem zweiten Gipfel zusammenkommen, werden nur wenige wirkliche Differenzen in den biregionalen Beziehungen zu verhan- deln sein. Lateinamerika steht uns so nahe wie keine an- dere Weltregion. Madrid knüpft an den ersten Gipfel dieser Art 1999 in Rio de Janeiro an. Hier haben sich Lateinamerika, die Karibik und Europa zu einer strategischen Partnerschaft bekannt. Sie ist sichtbarer Ausdruck der unsere Regionen verbindenden Werte- und Interessengemeinschaft. In Madrid soll nun das Erreichte der Rio-Deklaration bewertet, diese Partnerschaft weiter verstetigt und ausge- baut werden. Man wird zu Recht feststellen, dass seit Rio einiges erreicht ist. Seither wurde der biregionale Dialog zu vielen Themen auf der politischen Agenda, wie zum Beispiel auf den Gebieten Sicherheit, Drogenbekämp- fung, Ausbau der Demokratie, Sicherung der Menschen- rechte oder nachhaltige Entwicklung vertieft. Ich möchte des Weiteren das im Juli 2000 in Kraft getretene Freihan- delsabkommen EU Mexiko und das seit Oktober 2000 geltende Globalabkommen EU Mexiko erwähnen, das übrigens das erste Abkommen der EU dieser Art weltweit ist. Ebenso konnten in Rio die Weichen für den Abschluss ähnlicher Assoziierungsabkommen mit dem Mercosur und Chile gestellt werden. Die an sich parallel angelegten Verhandlungen konnten mit Chile schneller vorange- bracht werden, sodass erfreulicherweise die Unterzeich- nung am Rande der Madrid-Konferenz erfolgen soll. Hier ist also vieles in Bewegung gekommen; ich werde aber später noch darauf eingehen, dass diese auch an ei- nigen Stellen stockt. Auf nationaler Ebene ist Lateinamerika ebenfalls wie- der etwas stärker ins Blickfeld getreten: Diese „neue Auf- merksamkeit“, die seitens der Regierung und auch von uns Parlamentariern dem Subkontinent beigemessen wird, ist außerordentlich zu begrüßen. Die Reisen von Bundeskanzler Schröder und Bundesminister Fischer An- fang dieses Jahres in die Region wurden dort als deutli- ches Signal aufgenommen. Jetzt gilt es, diese positiven Ansätze zu nutzen. Denn bei allem Optimismus müssen wir zugeben, dass unser bishe- riges Engagement in und für Lateinamerika und die Kari- bik noch deutlich ausgebaut werden könnte und müsste. Das Potenzial für eine dichtere, für beide Regionen frucht- bare Zusammenarbeit ist immens; es muss aber auch aus- geschöpft werden. Wenn dies gelingt, so meine ich, zeitigt diese Region mit dem geringsten Einsatz die im Vergleich größten Erfolge. Der Beschluss von Rio, eine strategische Partnerschaft anzustreben, erfolgte unter deutscher EU- Präsidentschaft. Deswegen haben wir eine besondere Ver- antwortung für den Folgeprozess und müssen uns bemü- hen, diesen noch stärker mit Leben zu füllen. Das Europaparlament ist hierbei vorbildlich voran- gegangen: Schon Ende letzten Jahres hat es eine um- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 236. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Mai 200223640 (C) (D) (A) (B) fangreiche Entschließung zum anstehenden Gipfel ver- abschiedet – Titel: „Entschließung des Europäischen Par- laments zu einer globalen Partnerschaft und einer ge- meinsamen Strategie für die Beziehungen zwischen der Europäischen Union und Lateinamerika“. Der vorlie- gende Antrag möchte die darin ausgesprochenen Feststel- lungen und Forderungen aus deutscher Perspektive be- kräftigen. Im Gegensatz zum Antrag der PDS-Fraktion vom 15. März 2002 mit dem Titel: „Partnerschaftliche Be- ziehungen zu Lateinamerika festigen und ausbauen“ soll er der gesamten Bandbreite der Beziehungen zwischen unseren beiden Regionen gerecht werden. Lassen Sie mich daher kurz auf einige Einzelbereiche eingehen: Die Europäische Union ist in wirtschaftlicher Hinsicht der zweitwichtigste Handelspartner und Investor in La- teinamerika und der Karibik. Sie ist insgesamt der bedeu- tendste entwicklungspolitische Partner und zudem wich- tigster Wirtschaftspartner des Mercosur. Diese bestehende enge Kooperation kann allerdings nicht über die Tatsache hinwegtäuschen, dass sich der lateinamerikanische Sub- kontinent wirtschaftlich immer stärker auf seinen großen nördlichen Nachbarn, die USA, ausrichtet. Bis 2005 wol- len die Vereinigten Staaten mit den einzelnen Ländern ein gesamtamerikanisches Freihandelsabkommen vereinbart haben. Die Handelsströme zwischen der EU und Lateiname- rika dagegen nehmen ab. 1990 bezogen Lateinamerika und die Karibik noch 20,9 Prozent ihrer Gesamtimporte aus der EU, 1999 waren es nur mehr 15,8 Prozent. Die entspre- chenden Exportanteile haben sich noch ungünstiger ent- wickelt: Sie sanken im selben Zeitraum von 23,9 Prozent auf 11,7 Prozent. Bei den Investitionen kann zwar eine Zunahme des eu- ropäischen Engagements in Lateinamerika konstatiert werden, bedauerlicherweise erfolgt dies aber derzeit fast auf einer Einbahnstrasse. Von Lateinamerika nach Europa ist nur eine relativ geringe Investitionstätigkeit zu ver- zeichnen. Gleichzeitig scheint es mir an dieser Stelle wichtig darauf hinzuweisen, dass die deutsche Wirtschaft in der Vergangenheit nicht in gleicher Weise an der dyna- mischen Wirtschaftsentwicklung in Lateinamerika parti- zipiert hat wie andere EU-Mitgliedstaaten. Um gerade im wirtschaftlich interessantesten Integrationsraum, dem Mercosur, nicht an Boden zu verlieren, halte ich einen schnellen Abschluss des Assoziierungsabkommens EU Mercosur für unbedingt erforderlich. Mittelfristig sollten wir aber auch den Abschluss entsprechender Abkommen mit der Andengemeinschaft und Zentralamerika nicht aus den Augen verlieren. In diesem Zusammenhang muss nun ein zentraler Kon- fliktpunkt, der zu großen Teilen einen zügigen Abschluss des EU Mercosur-Abkommens bisher verzögert hat, an- gesprochen werden: Wie halten wir es mit der Handels- liberalisierung im Agrarbereich? Wie nicht anders zu er- warten, wird die Agrarfrage insbesondere wegen der Blockade einiger EU-Mitgliedsländer auch auf dem Madrid-Gipfel von den lateinamerikanischen Teilneh- mern als prioritäres Thema angesprochen werden. Und in der Tat müssen wir Europäer uns fragen lassen, warum wir unseren massiv geschützten Agrarmarkt nicht stärker für lateinamerikanische Produkte öffnen. Im Interesse der Fortentwicklung der gemeinsamen Handelsbeziehungen sollten wir, wie ich meine, den lateinamerikanischen Län- dern besonders in den Segmenten eine Chance geben, in denen die meisten von ihnen international wettbewerbs- fähige Produkte anbieten. Denn nachhaltige wirtschaft- liche Prosperität und soziale Stabilität sind auf das Engste miteinander verknüpft. Und ohne eine deutliche Verbes- serung der sozialen Situation in vielen lateinamerikani- schen und karibischen Ländern werden auch Demokratie als politisches und Marktwirtschaft als ökonomisches Ordnungsmodell an Akzeptanz verlieren. Lateinamerika ist noch immer die weltweit am stärks- ten von sozialen Disparitäten gekennzeichnete Region. Trotz erheblicher Fortschritte im wirtschaftlichen Reform- prozess hat sich die Armutsschere in der vergangenen Dekade weiter geöffnet. Im Zuge einer stärker präventiv ausgerichteten Außenpolitik sollten wir solche Entwick- lungen aufmerksamer beobachten und mit größerer Ener- gie dagegensteuern. Dies ist auch – aber eben nicht aus- schließlich – eine Aufgabe, die im Wege verstärkter entwicklungspolitischer Anstrengungen unsererseits ge- löst werden muss. Diese Zusammenhänge werden nicht nur durch die ak- tuellen besorgniserregenden Entwicklungen in Argenti- nien und Venezuela eindrücklich belegt. Auch in der An- denregion, Teilen Zentralamerikas und der Karibik droht eine Destabilisierung. Umfragen zeigen, dass in einigen lateinamerikanischen Ländern das Vertrauen in die demo- kratischen Institutionen in alarmierendem Ausmaß abnimmt. Wir müssen feststellen, dass etliche lateiname- rikanische Demokratien nicht so solide sind, wie wir ge- hofft hatten. Gestatten Sie mir, in diesem Zusammenhang auch kurz auf den akutesten sicherheitspolitischen Brennpunkt La- teinamerikas einzugehen, den Jahrzehnte andauernden be- waffneten Konflikt in Kolumbien. Ich denke, dass sich an diesem Beispiel deutlich zeigt, dass der dominante, mi- litärische Politikansatz der USA in eine Sackgasse führt. Hier müssen wir meiner Ansicht nach – im Rahmen der EU – deutlicher eine eigenständige Strategie vertreten, die auf Deeskalation und zivile Lösung des Konflikts setzt. Nur auf diese Weise scheint mir ein Flächenbrand in der Andenregion zu verhindern zu sein. Europa und Deutschland haben ein vitales Interesse an starken, handlungsfähigen Partnern. Denn die große He- rausforderung unserer Zeit, die Globalisierung politisch zu gestalten, läßt sich nur gemeinsam meistern. Kleine Fortschritte bei der Lösung globaler Fragen werden nur durch einen zäh errungenen Konsens aller Beteiligten er- zielt. Ich habe heute schon einmal betont, dass wir solche verlässlichen Partner gerade in Lateinamerika und der Karibik finden. Beide Regionen fühlen sich dem Konzept des Multilateralismus verpflichtet und leisten dadurch ei- nen wichtigen Beitrag zu einer globalen Kooperations- kultur. Daher, so finde ich, sollten künftig verstärkt ge- meinsame Initiativen auf globaler Ebene von unseren Regionen ausgehen. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 236. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Mai 2002 23641 (C) (D) (A) (B) Angesichts der zahlreichen drängenden Problemkom- plexe auf der weltpolitischen Agenda bieten sich die unter- schiedlichsten Bereiche für eine solche Zusammenarbeit an: Umwelt- und Klimaschutz, Biodiversität, Menschen- und Sozialrechte, Rüstungskontrolle, internationales Straf- recht, Drogenbekämpfung, innere und äußere Sicherheit. Diese Aufzählung deutet nur an, dass die Zusammenarbeit in internationalen bzw. supranationalen Foren als einer der Aktivposten der Beziehungen zwischen Europa und La- teinamerika auszumachen ist. Aus diesem Grund sollte uns auch daran gelegen sein, dass die verschiedenen Integrationsbestrebungen in La- teinamerika und der Karibik erfolgreich weiter betrieben werden und zu starken regionalen Blöcken führen. Auch auf diesem Feld verbinden unsere beiden Regionen ge- meinsame Erfahrungen und Hoffnungen. Ich möchte abschließend zum Bereich der kulturellen und wissenschaftlichen Kooperation im weiteren Sinne kommen. Hier zeigt sich am deutlichsten der Charakter der europäisch-lateinamerikanischen Beziehungen als ein „von unten“ getragenes System. Mit keiner anderen Welt- region unterhält Europa bzw. Deutschland ein solch dich- tes Kooperationsnetzwerk unterhalb der staatlichen Ebene. Die Fülle von Kontakten im Rahmen der Kirchen, politischen Stiftungen, Gewerkschaften oder anderen Nichtregierungsorganisationen spiegelt die enorme Sym- pathie beider Seiten füreinander wider. Nicht nur unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten, son- dern auch in kultureller und wissenschaftlicher Hinsicht sind Lateinamerika und die Karibik für Europa eine Wachstumsregion. Hier ergeben sich interessante, zu- kunftsweisende Kooperationsbereiche: bei der Frage bei- spielsweise, wie unsere Regionen den Übergang zur In- formationsgesellschaft bewerkstelligen oder bei der Diskussion über unsere kulturelle Identität im Kontext der Globalisierung. Auch ein solches Netzwerk muss institutionell veran- kert sein und von staatlicher Seite Unterstützung erfahren: Dies kostet Geld, aber dies ist gut investiertes Geld, wenn wir nicht wollen, dass die zukünftigen lateinamerikani- schen Eliten sich ausschließlich in Richtung USA orien- tieren. Europa läuft in der Tat Gefahr, seine Anziehungs- kraft als intellektuelles Zentrum zu verspielen. Es wächst eine Generation von Absolventen heran, für die ein Ab- schluss in Harvard oder Berkeley die bessere Eintrittskarte ist als der einer europäischen Universität. Um diesem Trend zumindest entgegenzuwirken, scheinen mir ver- schiedene Maßnahmen angezeigt, darunter eine deutliche Erhöhung der Stipendien und die Einrichtung eines euro- päischen Zentrums für Lateinamerika-Studien. Angesichts knapper öffentlicher Kassen muss freilich der Mittelein- satz zielgerichtet nach effizienten Kriterien erfolgen. Die Koalitionsfraktionen weisen mit dem vorliegenden Antrag meiner Ansicht nach in die richtige Richtung, näm- lich einen qualitativen Schritt vorwärts zu einer fruchtba- ren strategischen Partnerschaft mit Lateinamerika und der Karibik. Abschließend noch wenige Worte zum ebenfalls zu be- ratenden Antrag „Hilfe für die Opfer der Colonia Dig- nidad“. Es geht darum, die Menschenrechtsverletzungen in der südchilenischen Kolonie wirksam abzustellen und den Opfern der Sekte zu helfen. Der Antrag ist in erster Lesung im November des ver- gangen Jahres eingebracht worden. Diese Initiative wurde in der chilenischen Öffentlichkeit überwiegend sehr posi- tiv aufgenommen. Die chilenische Regierung hat die darin gemachten Angebote als „deutsches Interesse, das die Zeit überdauert hat“, gewürdigt. Im Rahmen seiner eingangs erwähnten Reise nach Chile Anfang dieses Jahres hat Bundesminister Fischer der chilenischen Regierung deutsche Hilfe bei der Straf- verfolgung im Zusammenhang mit Colonia Dignidad zu- gesagt. Ich glaube, durch diesen Antrag sind bereits jetzt entscheidende Schritte angeregt worden. Daher bin ich sehr hoffnungsvoll. Bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt wurden acht neue Klagen wegen Kindesmissbrauch gegen Mitglieder der Führungsclique eingereicht. Es sind insgesamt über 70 Prozesse gegen diese anhängig. Wir dürfen aber nicht vergessen, dass den Menschen in der Kolonie noch immer nicht wirkungsvoll geholfen werden konnte. Seit der ersten Lesung hat es weitere un- geklärte Todesfälle gegeben. Es spricht auch nichts dafür, dass sich die menschenunwürdigen Zustände in der Colo- nia Dignidad seitdem wesentlich gebessert hätten. Noch immer ist Schäfer nicht gefasst. Die gegen ihn anhängigen Verfahren sind von der chilenischen Justiz vor kurzem vorübergehend eingestellt worden, ohne aller- dings den Haftbefehl gegen ihn aufzuheben. Hieran ist erkennbar, wie groß die Gefahr einer Ver- schleppung der Fälle ist. Das Erpressungspotenzial der Colonia Dignidad in der chilenischen Gesellschaft scheint noch immer bedeutend zu sein. Daher müssen politische Signale ausgesendet werden. Wir werden deshalb im Nachgang zum vorliegenden Antrag verstärkt die Zusam- menarbeit mit der chilenischen Seite auf parlamentari- scher Ebene suchen. Clemens Schwalbe (CDU/CSU): Heute geht es um das Verhältnis zwischen der EU und Lateinamerika. Ich muss leider feststellen, dass wir Europäer Lateinamerika im letzten Jahrzehnt etwas aus den Augen verloren haben, obwohl gerade wir den Kontinent sprachlich wie kulturell maßgeblich geprägt haben. In den 70er- und 80er-Jahren gingen noch Tausende von Menschen in Deutschland für den Freiheitskampf in Lateinamerika, vor allem in Chile, Argentinien, Nicara- gua und anderen Ländern, auf die Straße. Mit dem Ende des Kalten Krieges und der Öffnung gen Osten änderten sich aber die Prioritäten vor allem bei uns in Deutschland. Europa hörte nicht mehr am Eisernen Vorhang auf, sondern ein Riesentor öffnete sich. Die po- litische und wirtschaftliche Integration und Erweiterung der EU nach Osten ist das Thema schlechthin in den letz- ten Jahren und bindet leider viele Kräfte, sodass wir uns mehr mit uns selbst und unserer neuen Rolle in der glo- balisierten Welt beschäftigen müssen. Diese Neuorientie- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 236. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Mai 200223642 (C) (D) (A) (B) rung muss natürlich geschehen, denn wir wissen, nur ein starkes Europa kann in einer globalisierten Welt vorne mitspielen. Aber gerade deshalb ist es nicht minder wich- tig, die Beziehungen zu außereuropäischen Märkten und Regionen neu zu definieren und aufzubauen. Sicher haben wir in Lateinamerika noch nicht überall gefestigte demokratische Strukturen. Korruption und Filz alter Machteliten bestimmen immer noch vielerorts die Politik. Aber die einfachen Menschen sind sich ihrer Macht zusehends bewusst und machen von ihren Grund- rechten Gebrauch. So hat sich die Qualität der Auseinandersetzungen in Lateinamerika verändert. Die Menschen möchten stärker an Wohlstand und Freiheit partizipieren und gehen heute, wie in Argentinien, wegen des drohenden Verlustes ihrer Ersparnisse auf die Straße. Wenn die Regierung Duhalde 25 Prozent der Verwaltung und auch der politischen Man- date auf allen Ebenen streicht, zeigt dies doch den Re- formdruck, aber auch die Fähigkeit, endlich zu handeln, und die Steuerschulden anzugehen. Erst 1999 beim Gipfeltreffen in Rio wurde der Faden zwischen der EU und Lateinamerika wieder geknüpft. Es wurde beschlossen, die Beziehungen zwischen EU und den Staaten Lateinamerikas und der Karibik wieder auf- zufrischen und zu intensivieren. Damals hatte dieser Gip- fel unter der EU-Präsidentschaft der Bundesrepublik Deutschland stattgefunden und Deutschland war damals sehr daran interessiert gewesen, die vereinbarten Emp- fehlungen und Ziele zu erreichen. Es geht uns immer noch darum, eine engere Zusam- menarbeit zwischen Europa und Lateinamerika zu erzie- len, und zwar nicht nur auf politischer und wirtschaftli- cher, sondern auch auf kultureller Ebene. Leider ist seitdem nicht viel umgesetzt worden, wie in Ihrem Antrag richtig bemerkt worden ist. Deutschland konnte sich in der EU nicht durchsetzen. Dieser Tage findet in Madrid das zweite lateinameri- kanisch-europäische Gipfeltreffen statt. Es wird für alle Beteiligten nicht einfach sein; denn die Situation hat sich nach 1999 stark verändert: Da haben wir zum einen eine wirtschaftliche Schieflage in Europa und zum anderen, was viel gravierender ist, befinden sich viele Länder La- teinamerikas ebenfalls in einer schwierigen wirtschaft- liche Krise, siehe Venezuela, Kolumbien oder Argenti- nien. Damit schwinden langsam die Hoffnungen von 1999 und die Agenda bleibt wenig konkret. Der bevorstehende Gipfel in Madrid bietet Koopera- tionen, die alle Beteiligten ernst nehmen sollten, denn in einer Welt nach dem 11. September sind politische und wirtschaftliche Zusammenschlüsse wichtiger denn je. Bisher, vor allem nach dem 11. September, streben wir nach noch engeren Beziehungen zu den USA. Aber auch die Osterweiterung, Osteuropa, die Balkanstaaten, der Frieden im Nahen Osten und die Maghreb-Staaten stehen jetzt im Mittelpunkt der derzeitigen außen- und sicher- heitspolitischen Interessen in Europa. Wir dürfen dabei aber die Staaten in Lateinamerika nicht vergessen; sie müssen ebenfalls in unser Kooperationsgeflecht mit ein- bezogen werden. Es ist an uns, dies jetzt in Madrid anzupacken. Es geht dabei um eine Intensivierung des politischen Dialogs, was die Sicherheit nach außen und nach innen angeht, das heißt um die Unterbindung von illegalen Drogen, eine Verbesserung der Sozialstandards, um Bioethik und um eine nachhaltige Umwelt- und Klimapolitik. Es geht um die technologische Kooperation und Informationsgesell- schaft und um den kulturellen und wissenschaftlichen Austausch zwischen EU und Lateinamerika. Ich beginne mit dem politischen Dialog und der Sicher- heitspolitik: Wir als EU sind zurzeit damit beschäftigt, eine effiziente Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik zu schaffen. Aber auch Lateinamerika setzt große Akzente für eine Außen- und Sicherheitspolitik. Dies wäre zum Bei- spiel ein wichtiger Ansatzpunkt für einen gemeinsamen Erfahrungsaustausch. Die organisierte Kriminalität sowie das Drogenproblem können nur global bekämpft werden. Beim Kampf gegen die Drogenkartelle gibt es eine Reihe von Ansätzen, den einfachen Coca-Bauern Alternativen zum Drogenanbau anzubieten. Jedoch sind die Erträge zu niedrig, als dass sie die meisten Bauern überzeugen wür- den. Auch hier stoßen wir auf weitere Schwierigkeiten in unserer Argumentation, den Drogenhandel durch Alterna- tivprodukte zu unterbinden. Wir müssen dann nämlich auch unsere Märkte für diese Produkte öffnen und dürfen unsere Märkte nicht durch Schutzzölle abschotten, wie dies jahrelang im Bananenstreit geschehen ist. Welchen Anreiz sollen die Bauern denn haben, wenn sie ihre Pro- dukte nicht verkaufen können? Während die USA Polizei und Militäreinheiten in Ko- lumbien gegen Terroristen und Drogenkartelle zum Ein- satz bringen, stellt sich die Frage, was wir Europäer dies- bezüglich unternehmen. 6 000 Entführungen und über 30 000 Morde im Jahr in Kolumbien lassen uns anschei- nend unbeirrt, obwohl dies mehr Opfer sind als der Ju- goslawienkonflikt zu verantworten hatte. Ich frage mich, wo hier unser Konzept zur Befriedung bleibt. Wir sollten nicht verkennen, dass bei solchen instabilen Verhältnissen die Gefahr von Flächenbränden groß ist. Auch unsere Un- ternehmen und deren Mitarbeiter sind davon betroffen. Die Kriminalitätsquote ist in den meisten südamerika- nischen Ländern nach wie vor extrem hoch. Ursachen sind sicher die sozialen Verhältnisse vieler Länder und die hohe Arbeitslosigkeit und Inflation. Hier müssen wir über die Weltbank und vielleicht auch zunehmend über die EZB währungspolitische Hilfe anbieten, damit die Infla- tion nicht die Ersparnisse der kleinen Leute auffrisst mit den Folgen einer sozialen Verelendung und einer zuneh- menden Kriminalität. Das europäische Integrationsmodell der EU kann ebenfalls als Vorbild und somit als attraktives Konzept für die Staaten Lateinamerikas dienen. Die schlechte Ein- kommensverteilung in Lateinamerika könnte stark von ei- nem sozialen Mindeststandard profitieren und so den of- fenen Dialog untereinander fördern. Die Vereinheitlichung der Sozialmaßstäbe nach EU- Vorbild sollte von uns entsprechend gefördert und voran- getrieben werden. Denn nach wie vor herrschen sehr große soziale Unterschiede in den einzelnen Ländern La- teinamerikas. Während beispielsweise der Anteil der Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 236. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Mai 2002 23643 (C) (D) (A) (B) armen Bevölkerung in Chile von 42 Prozent auf 20 Pro- zent gesunken ist, beträgt der Anteil der Armen in vielen Ländern nach wie vor über 50 Prozent. Gerade das Bei- spiel Chile zeigt, dass eine solide, marktwirtschaftlich ori- entierte Wirtschaftspolitik, die auf einer soliden Haus- haltsführung und einer ausgeglichenen Steuerpolitik beruht, das beste Entwicklungsrezept ist. Die Inflation liegt in Chile unter 3 Prozent, die Arbeitslosigkeit bei rund 10 Prozent, das Pro-Kopf-Einkommen ist mit 12 400 US- Dollar das höchste des Kontinents. Was Chile bisher ge- schafft hat, könnte auch für die anderen lateinamerikani- schen Staaten beispielhaft sein. Anders als in den 70er- und 80er-Jahren, als aufgrund der politischen Umstände viele Intellektuelle Zuflucht in Europa gefunden haben, suchen die lateinamerikanischen Eliten heute zunehmend den Weg in die USA und werden dort ausgebildet. Damit ist der kulturelle und wissen- schaftliche Austausch von EU zu Lateinamerika rückläu- fig. Unsere Universitäten bieten wenig Attraktivität, die Bildungskassen sind leer, die Hörsäle sind überfüllt und die Studienzeiten viel zu lang. Dies ist ein Ergebnis einer gescheiterten Bildungspolitik der Sozialdemokraten. Da- ran wird auch das neue Hochschulrahmengesetz der Ko- alition nicht viel ändern. Aber nicht nur die lateinamerikanischen Eliten drängt es in die USA, sondern auch Wirtschaftsflüchtlinge und Arbeitsmigranten zieht es dorthin. Dadurch ist Spanisch gerade in den südlichen US-Bundesstaaten mittlerweile schon die zweite Amtssprache geworden. Andererseits verfügen wir mit unseren EU-Partnern Spanien und Por- tugal über klassische Brückenköpfe mit entsprechendem kulturellen und sprachlichen Know-How, das vielmehr auch zugunsten der anderen EU-Partner genutzt werden sollte. Nicht zuletzt durch die intensive Arbeit, insbesondere auch der deutschen politischen Stiftungen – beispielhaft möchte ich hier natürlich die Konrad-Adenauer-Stiftung nennen –, gelang es in vielen Ländern, die Militärdiktatu- ren durch frei gewählte Parlamente abzulösen. Wenn in dem vorliegenden Antrag die Intensivierung der zivilge- sellschaftlichen Beteiligung der politischen Stiftungen und die Förderung der politischen Eliten durch eine Er- höhung der Stipendien gefordert wird, steht dies diametral dem neuen Haushaltsansatz der Regierung für das Jahr 2003 entgegen, in dem der Zuschuss für Stiftungen von 11,2 Millionen Euro auf 2,8 Millionen Euro gekürzt wer- den soll. Im Bereich Umweltschutz müssen die Staaten in La- teinamerika ihre Umweltprobleme ernst nehmen und ihre Ressourcen schützen. Das Bewusstsein für die Lebens- notwendigkeit der Erhaltung des tropischen Regenwaldes fehlt in vielen Regionen. Hier ist eine Sensibilisierung der Bevölkerung notwendig. EU-Projekte, die die Regenwälder bewahren, sind da ein Vorbild und müssen fortgesetzt werden. Da ist der Schutz des brasilianischen Regenwaldes zu nennen, der mithilfe eines europäischen Pilotprojektes gerettet werden soll. Deutschland ist der größte Beitragszahler dieses Pilotpro- jektes mit der Übernahme von 43 Prozent der Kosten in Höhe von insgesamt 350 Millionen US-Dollar. Lateiname- rika muss für den Klimaschutz sensibilisiert werden und da ist die EU ein guter Partner bei der Einhaltung und Weiter- entwicklung der Klimakonventionen. Aber gerade in die- sem Bereich hätten wir von dem grünen Koalitionspartner mehr Akzente und Engagement erwartet. Wirtschaftlich gesehen ist die lateinamerikanische Si- tuation zurzeit sehr angeschlagen. Ich erinnere nur an die schwierige Lage Argentiniens und Venezuelas. Deutsche Direktinvestitionen und der Außenhandel mit Lateiname- rika und dem Mercosur sind in den letzten Jahren zurück- gegangen, obwohl zum Beispiel gerade das Engagement deutscher Firmen, und ich möchte ausdrücklich betonen: auch mittelständischer Unternehmen – in Brasilien in die- ser hohen Anzahl einzigartig ist. Davon konnten wir uns bei der Südamerikareise des Bundeskanzlers vor wenigen Wochen vor Ort überzeugen. Dies bezieht sich nicht nur auf die wirtschaftlichen Investitionen in Brasilien, son- dern gleichzeitig auf die sozialen Standards, die dort ge- setzt werden, sowie auf das ökologische Engagement, das viele Firmen dort freiwillig setzen. Eine Wirtschaftskooperation mit EU und Mercosur ist kein einseitiges europäisches Ziel. Die Staaten des Mer- cosur brauchen ebenfalls die strategische Kooperation mit der EU. Lateinamerika darf sich nicht in eine Wirtschafts- und Währungsabhängigkeit mit den USA und ihrem Dollar begeben. Die Partnerschaft mit der EU muss hier als nützliche Balance wirken und ihre Chancen müssen aufgezeigt werden. Eine weitere Verzögerung des Freihandelsabkommens zwischen EU und Mercosur würde die Wettbewerbsposi- tion deutscher und europäischer Unternehmen schwächen und dem US-amerikanischen Wirtschaftseinfluss auf La- teinamerika weiteren Auftrieb geben. 2005 soll das ge- samtamerikanische Freihandelsabkommen ALCA in Kraft treten. Wir stehen somit in einem Wettbewerb mit den USA, den wir, wenn wir so weitermachen, sicherlich verlieren werden. Dadurch, dass deutsche Unternehmen ihre Direktin- vestitionen zunehmend in andere Weltregionen leiten, vorrangig in andere EU-Staaten, die USA und nach Ost- europa, verliert Deutschland vor allem in Lateinamerika gegenüber Mitbewerbern an Boden. Hier wird Latein- amerika als Markt und als strategischer Partner unter- schätzt, obwohl dieser mit einer halben Milliarde Ein- wohnern ein Bruttoinlandsprodukt von drei Billionen Dollar erwirtschaftet. Beispielsweise ist die Wirtschafts- kraft Brasiliens größer als die von Russland und Indien zusammen. Hoffen wir, dass die Gespräche am 17. und 18. Mai auf dem Gipfeltreffen in Madrid zu mehr Taten statt Worten führen. Abschließend möchte ich jedoch nicht unerwähnt las- sen, dass der Antrag der PDS zur gleichen Problematik heute nicht beraten wird, obwohl er viel früher einge- bracht wurde als dieser Antrag, den wir heute beraten. Ich habe stark den Eindruck, dass es sich hier um einen Alibi- Antrag handelt, um vom PDS-Antrag abzulenken. Was von der PDS kritisch angemerkt wird, wird letztendlich etwas geschönt dargestellt. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion stimmt der Über- weisung zu, weil damit die Gelegenheit besteht, beide An- träge gemeinsam zu beraten. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 236. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Mai 200223644 (C) (D) (A) (B) Zum Antrag „Hilfe für die Opfer der Colonia Dignidad“ werden wir uns enthalten. Dr. Werner Hoyer (FDP): Wir sind ja daran gewöhnt, dass auch die entlegensten Themen zu Wahlkampf- zwecken missbraucht werden. Aber dass nicht einmal die Beziehungen zwischen Europa und Lateinamerika von parteipolitischen Eifersüchteleien freigehalten werden können, ist schon ein bemerkenswerter Vorgang. Wir Li- berale bedauern es jedenfalls sehr, dass die Regierungs- fraktionen ihr Angebot, den heute zur Beratung stehenden Antrag interfraktionell einzubringen, auf Drängen der GRÜNEN wieder zurückgezogen haben. Gerade am Vor- abend des zweiten EU-Lateinamerika-Gipfels in Madrid wäre es ein schönes Signal gewesen, wenn die dringend notwendige Intensivierung der Beziehungen zwischen EU und Lateinamerika in einem gemeinsamen Antrag aller maßgeblichen politischen Kräfte dieses Hauses zum Ausdruck gekommen wäre. Ein wenig mehr Souveränität wäre der Sache sicherlich dienlicher gewesen. Da wir aber nicht nachtragend sind und weil wir über Kontinuität in der Außenpolitik nicht nur reden, sondern sie auch praktizieren, werden wir dazu beitragen, den Schaden zu begrenzen und dem Antrag zumindest unse- rerseits die Zustimmung nicht verweigern. Dabei geht es uns, wie immer, um die Sache und um die verantwor- tungsvolle Wahrnehmung deutscher außenpolitischer In- teressen. Deutschland hat ein vorrangiges außenpoliti- sches Interesse daran, dass die in Rio beschworene strategische Partnerschaft endlich Gestalt annimmt und dass die Zusammenarbeit zwischen Europa und Latein- amerika zu einer zentralen Säule der transatlantischen Be- ziehungen wird. Dabei geht es uns nicht nur um die Intensivierung des politischen Dialogs. Es mangelt nicht in erster Linie an Dialogforen. Es mangelt vor allen Dingen an der prakti- schen Umsetzung gemeinsamer Projekte in wichtigen Po- litikbereichen wie die Schaffung einer euro-lateinameri- kanischen Sicherheitspartnerschaft mit gemeinsamen Initiativen zur Rüstungskontrolle. Es mangelt an belast- baren Strukturen für eine gemeinsame Bekämpfung der organisierten Kriminalität und des Drogenhandels und es mangelt an der Umsetzung der handelspolitischen Zu- sammenarbeit. Alle diese Themen greift der Antrag auf und fordert zu Recht ein stärkeres Engagement der Bun- desregierung. Wenn die nun immerhin schon vor 15 Jahren gegrün- dete Rio-Gruppe tatsächlich ihrer Aufgabe als ständiges politisches Koordinierungsinstrument gerecht werden will, dann muss sie über die jährlichen Ministertreffen hi- naus die euro-lateinamerikanischen Beziehungen durch konkrete Projekte sichtbarer und ergebnisorientierter ge- stalten. Dabei sollten in Anbetracht der bevorstehenden neuen Welthandelsrunde handelspolitische Themen im Vordergrund stehen. Hier hat die EU gegenüber Latein- amerika, insbesondere gegenüber MERCOSUR, eine Bringschuld. Die 1999 begonnenen Verhandlungen über ein Freihan- delsabkommen mit der Europäischen Union zielen neben der Intensivierung des Handelsaustausches und der Inves- titionstätigkeit auch auf eine Stärkung der Position von MERCOSUR im Rahmen der gesamtamerikanischen Frei- handelsbemühungen ab. Wegen der Weigerung der EU, den europäischen Markt für lateinamerikanische Agrarimporte zu öffnen, stagnieren diese Verhandlungen. Besonders Ar- gentinien, aufgrund seiner Finanzkrise ohnehin stark ge- beutelt, wird durch den europäischen Protektionismus hart getroffen und in seinen Bemühungen, seine Wirtschaft wie- der auf Vordermann zu bringen, behindert. Ich frage mich bisweilen, ob wir eigentlich begreifen, welch dramatische Folgen die Entwicklung in Argentinien bereits hat und – sollte sie weiter instabil werden – noch haben wird. Unser derzeitiger peruanischer Gast, Außen- minister Dr. Garcia-Sayan, hat mir noch gestern berichtet, dass sein Land mit bis zu 50 000 Re-Migranten aus Ar- gentinien im Zuge der Wirtschaftskrise rechnet. Während- dessen ist der Re-Migrationsstrom der Bolivianer bereits voll im Gange und könnte bis zu 500000 Personen erfassen. Der soziale und ökonomische Sprengstoff, der in dieser Ent- wicklung liegt, wird meines Erachtens derzeit sträflich un- terschätzt. Überzeugende Lösungsmodelle internationaler Finanzinstitutionen sind auch nicht in Sicht. Man stelle sich nur einmal die Konsequenzen vor, wenn es nicht ge- lingen sollte, Brasilien gegen die argentinische Krise zu immunisieren. Die Folge wäre eine politische, wirtschaft- liche und soziale Destabilisierung von kontinentaler, ja weltwirtschaftlicher Dimension. Meine Damen und Herren, seit der von George Bush junior in Quebec kürzlich lancierten Initiative zur Ver- schmelzung von NAFTA und der transamerikanischen Freihandelszone (FTAA) haben die Verhandlungen zwi- schen MERCOSUR und EU eine zusätzliche politische Dimension erhalten. Zwar wird von US-amerikanischer Seite immer wieder beteuert, bei FTAA handele es sich nicht um eine Art handelspolitische Neuauflage der Mon- roe-Doktrin. Dennoch muss sich Europa anstrengen, wenn es nicht seine traditionell herausgehobene politi- sche und wirtschaftliche Rolle in Lateinamerika verlieren will. Allen Beteiligten muss klar sein, dass die Errichtung einer transamerikanischen Freihandelszone vor dem Ab- schluss eines Abkommens mit der EU europäische und la- teinamerikanische Interessen gleichermaßen beeinträchti- gen und zum Verlust beträchtlicher Marktanteile führen würde. Europa macht sich unglaubwürdig, wenn es welt- weit für Freihandel eintritt, den eigenen Markt aber ab- schirmt. Dass Europa nicht bereit ist, mit MERCOSUR ähnliche Abkommen abzuschließen wie bereits mit Me- xiko und Südafrika, ist aus unserer Sicht daher vollkom- men unverständlich. Dabei wäre gerade dies aus europä- ischer Sicht eine geeignete Maßnahme, um langfristig den Zugang zu dem zukünftigen gesamtamerikanischen Markt abzusichern. Hier liegt ein wichtiges Betätigungs- feld für die Bundesregierung. Sie hat es jedoch in den letz- ten dreieinhalb Jahren ebenso versäumt, in diesem Be- reich Initiativen zu ergreifen, wie sie auch die bilaterale Gestaltung der Beziehungen zu Lateinamerika hat schlei- fen lassen. Wenn wir es mal ganz nüchtern betrachten, dann kommt man zu dem Schluss, dass deutsche Außenwirt- schaftspolitik in Lateinamerika – wie auch in anderen Re- gionen der Welt – schlichtweg nicht stattfindet. Noch Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 236. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Mai 2002 23645 (C) (D) (A) (B) Mitte der 90er-Jahre war Deutschland hinter den USAder zweitwichtigste Investitionspartner Lateinamerikas. Mit Blick auf Brasilien sind wir – ehemals auf dem zweiten Rang – kürzlich von Portugal auf Platz 6 verdrängt wor- den. Ähnlich düster ist die Lage bei Betrachtung der übri- gen lateinamerikanischen Länder. Liebe Kolleginnen und Kollegen, es drängt sich die Frage auf: Wo ist denn der Wirtschaftsminister angesichts einer ernüchternden Bilanz für den deutschen Außenhan- del mit Lateinamerika? Wo ist denn unser überall Prioritä- ten setzender Außenminister? Für uns als FDP ist der Zustand, dass Herr Müller weder Leidenschaft noch Kon- zepte für eine Unterstützung unserer eigenen Wirtschaft durch eine intensive Außenwirtschaftspolitik zeigt, uner- träglich. Es ist schon ein ziemlich starkes Stück, wenn Wirtschaftsminister Müller kurz nach Amtsantritt unsere lateinamerikanischen Partner zu einer großen Konferenz nach Porto Alegre bittet, selbst dann aber gar nicht zu die- ser Konferenz erscheint. Viel später dann endlich zur ers- ten Lateinamerikareise aufzubrechen, hier aber lediglich Kuba anstatt die zuvor brüskierten Partner und insbeson- dere Brasilien und Argentinien zu besuchen, setzt dem Ganzen dann die Krone auf. Die Bilanz: Außenwirt- schaftspolitik findet bei diesem Wirtschaftsminister, bei dieser Bundesregierung, schlicht nicht statt. Lateiname- rika zeigt deutlich, dass wir hier auch im Vergleich zu an- deren europäischen Staaten immer weiter zurückfallen, anstatt unser Engagement im Zuge der dramatischen Wirt- schaftsliberalisierung in Lateinamerika zu verstärken. Viel Musik ist in diesem Thema drin, aber andere sitzen im Or- chester und Deutschland hört wieder einmal nur zu. Die USA – wer könnte es ihnen verdenken – richten derweil ihre Handelspolitik noch aggressiver auf die Wachstumsmärkte ihrer südlichen Nachbarn aus. Dies führt jedoch auch dazu, dass einige Lateinamerikaner eine zunehmende Abhängigkeit vom großen Bruder im Nor- den befürchten und daher ihre politischen und wirtschaft- lichen Beziehungen zugunsten Europas diversifizieren möchten. So strebt zum Beispiel Brasilien als größtes Land und führende Industrienation Lateinamerikas unter dem Stichwort „Emanzipatorische Integration“ eine stär- kere Orientierung in Richtung Europa auch deswegen an, um sich gegenüber den USA stärker zu behaupten. Im wohlverstandenen europäischen Eigeninteresse sollten wir die ausgestreckte Hand der lateinamerikanischen Staaten ergreifen. Wolfgang Gehrcke (PDS): Es geschehen noch Wun- der – selten, zu späten Zeiten, aber immerhin: Nachdem die Bundesregierung fast vier Jahre nicht in der Lage war, sich strategisch zu Lateinamerika zu äußern, aber weil die PDS-Fraktion am 15. März 2002 ein solches strategisches Konzept vorschlug und einreichte, legte die Koalition von SPD und Grünen gestern für die heutige Debatte einen Antrag auf den Tisch. Schon das zeigt: Eine ernsthafte Diskussion eines wichtigen Themas ist nicht gewünscht. Schade – aber kein Wunder. Der Antrag, der vorliegt, ist langweilig, unaktuell und von einer grenzenlosen Allgemeinheit. Der vorliegende Antrag ist schlichtweg schlecht. Not- wendig hingegen wären wirkliche konzeptionelle, strate- gische Vorstellungen für die Zusammenarbeit Deutsch- land – Europa – Lateinamerika. Die USA zielen mit der gesamtamerikanischen Frei- handelszone darauf, die lateinamerikanischen Länder in Abhängigkeit zu halten, ihre politische und militärische Dominanz zu festigen und europäische Firma aus diesen Märkten zu verdrängen. Monopolstellung und Marktbe- herrschung – das ist die Strategie der USA. Deutsche und europäische Firmen, die in Lateiname- rika tätig sind, brauchen Förderung und Unterstützung; sie müssen aber auch begreifen, das gute soziale, öko- logische und demokratische Standards nicht hinderlich, sondern zum Vorteil längerfristiger Geschäftsbeziehun- gen sind und dass Handel nur dann dauerhaft ist, wenn eu- ropäische Märkte sich gegenüber Lateinamerika öffnen. Notwendig ist es, Friedensprozesse in solchen Ländern wie El Salvador, Guatemala, Nicaragua druckvoll zu un- terstützen, Bewegungen, die sich mit der Aufarbeitung von Vergangenheit befassen wie in Chile, Argentinien, Peru und anderen Ländern zu helfen und nicht zuzusehen, wenn die USA wieder auf Militär, Putsch und Unter- drückung setzen. Der rot-grüne Antrag entwickelt keine Idee zur Lösung der Verschuldensproblematik, keine Ideen, wie die Sta- gnation der Entwicklungszusammenarbeit aufgebrochen, kulturelle Zusammenarbeit neu in Gang gebracht wird und Lateinamerika-Forschung nicht ein Fremdwort bleibt. Vergleichen Sie die Anträge – die PDS scheut keinen Leistungsvergleich. Dr. Ludger Volmer, Staatsminister im Auswärtigen Amt: Morgen beginnt in Madrid der zweitägige Gipfel EU–Lateinamerika/Karibik. Ich bin sicher, dass dieser Gipfel – wie der vorangegangene erste Gipfel in Rio 1999 unter deutscher EU-Präsidentschaft – ein Erfolg wird und Impulse gibt für die Weiterentwicklung der biregionalen Beziehungen. Der Gipfelprozess ist wichtiger Teil der sich intensi- vierenden Lateinamerikapolitik der Bundesregierung. Wir wollen engere Beziehungen zu dieser an politischem und wirtschaftlichem Gewicht wachsenden Region. Wir wollen eine stärkere Einbeziehung und eine stärkere Mit- sprache der sich international mehr zu Wort meldenden lateinamerikanischen Länder. Ich erwähne nur Themen wie Terrorismusbekämpfung, Umweltschutz, Menschen- rechte. Wir wollen den dynamischen Integrationsprozess Lateinamerikas aktiv unterstützend begleiten, im deut- schen und europäischen Eigeninteresse einer demokrati- schen und wirtschaftlichen Stabilisierung des Subkonti- nents. Wir wollen einen stärkeren Ausbau von Handel und Investitionen mit Lateinamerika; schließlich werden be- reits heute über 300 000 Arbeitsplätze in Deutschland durch unsere Exporte nach Lateinamerika gesichert und hierin steckt noch einiges an Potenzial. Wir wollen außer- dem einen Zuwachs an kulturellem Austausch einschließ- lich eines enger geführten Dialogs der Zivilgesellschaf- ten. Beziehungen zwischen Ländern und Völkern sind nicht nur Sache der Regierungen. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 236. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Mai 200223646 (C) (D) (A) (B) Sie alle haben in jüngster Zeit in den Medien Meldun- gen aus Lateinamerika verfolgt, die alles andere als be- ruhigend sind. Versuchter Putsch in Venezuela: Präsident Chávez ist in Parlament und Bevölkerung erheblich ge- schwächt. Wird sich die Lage in diesem wichtigen ölpro- duzierenden Land wieder stabilisieren? Argentinien befindet sich seit Ende letzten Jahres in der Zahlungsunfähigkeit. Die Wirtschaftsentwicklung ist alarmierend. Das Land durchlebt eine tiefe wirtschaftli- che und auch politische Krise. Das betrifft uns unmittel- bar. Das starke Engagement der deutschen Wirtschaft in Argentinien ist bekannt. In Kolumbien läuft seit fast vier Jahrzehnten ein be- waffneter Konflikt, der von Staats- wie von Guerillaseite mit großer Härte ausgetragen wird, mit erheblichen Men- schenrechtsverletzungen von beiden Seiten. Auch dies geht uns Deutsche unmittelbar an! Kürzlich wurden in Bellavista, in Kolumbien, in einer Kirche 100 Personen umgebracht, darunter 40 Kinder. Dies sind drei Beispiele aus jüngster Zeit. Wir dürfen Lateinamerika nicht in der Hoffnung, der Kontinent sei demokratisch und marktwirtschaftlich auf dem richtigen Weg, sich selbst überlassen. Sonst riskieren wir, über- rascht zu werden. Neben den ernormen Chancen, die La- teinamerika gerade der deutschen Wirtschaft bietet, gibt es Risiken, die wir sehen müssen und bei deren Bewälti- gung wir im eigenen Interesse den Lateinamerikanern beistehen müssen. Die Bundesregierung hat kurz nach Amtsantritt festge- stellt, dass die alten, kontinentbezogenen Konzepte der außenpolitischen Zusammenarbeit den heutigen Realitä- ten nicht gerecht werden. Lateinamerika kann man ge- nauso wenig wie Asien einheitlich behandeln und eine nur auf Wirtschaftsbeziehungen fokussierende Kontaktauf- nahme greift zu kurz. Wir haben hingegen Wert auf Dia- log auf gleicher Augenhöhe gelegt: zur Wirtschaft wie zur Politik, zu sozialen Entwicklungen wie zu globalen Fra- gen. Die Bundesregierung wie nach deren Aussage auch unsere lateinamerikanischen Partner haben daraus wert- volle Denkanstöße, Hintergründe und Lösungsansätze und ein verbessertes Verständnis füreinander gefunden. Lateinamerikapolitik folgt nun fünf differenzierten, nach Regionen gegliederten Konzepten: für die Andenstaaten, den Mercosur/Mercosul und Chile, für Brasilien, für Me- xiko und für Zentralamerika und die Karibik. Diese Re- gionalisierungen sind sinnvoll; wir möchten sie in La- teinamerika angesichts unserer eigenen europäischen Erfolgsgeschichte mit der Regionenbildung unterstützen. Im Rahmen der europäischen Zusammenarbeit hat sich Deutschland stets für faire und angemessene Handelsbe- dingungen eingesetzt, zum Beispiel in den Verhandlungen über das Assoziationsabkommen zwischen EU und Mer- cosur. Faire Bedingungen sind der Schlüssel für einen ver- besserten Welthandel. Dabei müssen wir unsere europä- ischen Kontakte und Beziehungen zu Lateinamerika in ein harmonisches Verhältnis zu anderen bringen: Die Bundesregierung befürwortet ein transatlantisches Drei- eck von Beziehungen zwischen USA und Lateinamerika und Europa. Nicht Konkurrenz, sondern Kooperation zu allseitigem Vorteil muss unser Ziel sein. Die Bundesregierung hat vor diesem Hintergrund mit Interesse den Beschlussantrag der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen „Intensivierung der Beziehungen zwischen der Europäischen Union, Latein- amerika und der Karibik“ aufgenommen. Um es kurz zu sagen: Der Antrag weist mit seinen wesentlichen Forde- rungen in Richtungen, die die Bundesregierung bereits in- tensiv verfolgt. Die Botschaft des Antrags, dass nämlich für unsere Beziehungen mit Lateinamerika Engagement erforderlich ist – übrigens nicht nur vonseiten der Bun- desregierung –, kann ich nur begrüßen! Ich will einige zentrale Punkte aus dem Antrag heraus- greifen: Da ist zunächst die Forderung nach einer Intensivie- rung der politischen Beziehungen mit dem Ziel gemein- samer Initiativen in der Weltpolitik. Hier wird genau zu prüfen sein, inwieweit „gemeinsame Initiativen“ mit der in der internen Abstimmung gemeinsamer Positionen noch ungeübten Region Lateinamerika praktisch möglich sind; Ziffer II, 2. Im Vordergrund steht ganz sicher zunächst die Intensivierung biregionaler Konsultationen, wie wir sie mit der lateinamerikanischen Seite bereits führen. Reform der europäischen Agrarpolitik mit dem Ziel ei- ner Ausweitung des biregionalen Handels, Ziffer II, 3: Die lateinamerikanischen Länder fordern einen besseren Zu- gang ihrer Agrarprodukte auf die europäischen Märkte und sie haben Recht mit dieser Forderung. Wir können nicht erweiterten Handel und Zollabbau verlangen und die Landwirtschaft dabei teilweise ausklammern. Die Re- form der gemeinsamen Agrarpolitik gehört zu den vor- rangigen Zielen der EU-Politik der Bundesregierung. Auch mit Blick auf die kommende Erweiterungsrunde der EU müssen wir auf dem eingeschlagenen Weg fortfahren. Schneller Abschluss der Assoziationsabkommen mit Mercosur und mit Chile, Ziffer II, 4: Mit Chile hat die EU die Verhandlungen rechtzeitig zum morgigen Gipfel ab- schließen können. Nach den Verträgen mit Mexiko ist das Abkommen mit Chile ein weiteres sehr konkretes Ele- ment zur Umsetzung der in Rio 1999 vereinbarten strate- gischen Partnerschaft der beiden Regionen. Mit dem Mer- cosur – Brasilien, Argentinien, Paraguay, Uruguay – kommen die Verhandlungen voran, wenn auch sehr lang- sam. Dies hat nun mit der Argentinienkrise einen ganz konkreten Grund. Der Mercosur steht wegen der kata- strophalen Verhältnisse in Argentinien selbst in einer tie- fen Krise. Dass EU und Mercosur in den Verhandlungen trotzdem gewisse Fortschritte machen, zeigt den Grad des beiderseitigen Interesses. Dieses Interesse ist gerade vor dem Hintergrund der laufenden Bemühungen zur Errich- tung einer panamerikanischen Freihandelszone, FTAA, von großer Bedeutung. Ein gewisses Wettbewerbsver- hältnis mit den USA in der Region ist nicht zu leugnen. Mir liegt aber daran, zu unterstreichen, dass sich der von der EU verfolgte Verhandlungsansatz gerade dadurch aus- zeichnet, die Zusammenarbeit mit Lateinamerika über den reinen Handelsbereich hinaus in nahezu allen Berei- chen systematisch fortzuentwickeln. Dies wird von unse- ren Partnern auch immer wieder besonders gewürdigt. Die Bundesregierung unterstützt im Übrigen auch den Wunsch der Staaten Zentralamerikas und der Andenge- meinschaft nach Intensivierung der Beziehungen zur EU. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 236. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Mai 2002 23647 (C) (D) (A) (B) Sie hat sich besonders im Hinblick auf den EU-Latein- amerika-Gipfel in Madrid für ein positives Signal an die Partner eingesetzt. Es gab – und gibt – jedoch unter EU-Mitgliedstaaten und bei der EU-Kommission erhebli- che Widerstände gegen die Verhandlung von Assoziie- rungsabkommen mit diesen Staaten zum gegenwärtigen Zeitpunkt. Um dennoch zu einer für unsere lateinamerikanischen Partner akzeptablen Lösung zu kommen, haben wir einen zweistufigen Ansatz vorgeschlagen, der vom Rat aufge- griffen und gebilligt wurde. Danach wird den betreffen- den Staaten zunächst eine Intensivierung der Kooperation in Form eines Abkommens über politischen Dialog und Zusammenarbeit angeboten, das insbesondere die Förde- rung von Demokratie, Menschenrechten und verantwor- tungsvoller Staatsführung, die Vollendung der regionalen Integrationsprozesse sowie Armutsbekämpfung, Sozial- standards und nachhaltiges Ressourcenmanagement zum Ziel hat. Durch die Umsetzung dieser Ziele sollen die Vo- raussetzungen für die Aufnahme von Verhandlungen über Freihandelsabkommen nach Abschluss der Doha-Runde geschaffen werden. Diese Linie knüpft im Übrigen an das Vorgehen der EU gegenüber Mercosur/Chile an. Die Kommission wird noch in diesem Jahr einen Mandatsentwurf für die künftigen Abkommen vorlegen. Eine zielgerichtete Intensivierung der Zusammenarbeit kann auf der Grundlage bereits vor- liegender Vorschläge der Kommission sofort beginnen. Die Kooperation im Umweltschutz, Ziffer Il, 6, wird die Bundesregierung weiter intensivieren. Zeichen hierfür sind nicht nur das umfangreiche Tropenwaldprogramm PPG 7, bei dessen Finanzierung Deutschland den größten Anteil hält, sondern auch die Fülle von Projekten der Ent- wicklungszusammenarbeit, gerade auch im Bereich des städtischen Umweltschutzes. Der hier liegenden Ge- schäftschancen für die deutsche Industrie ist sich die Bundesregierung wohl bewusst. Die intensivere Einbeziehung der Zivilgesellschaft, Ziffer II, 9, entspricht der laufenden Praxis der Bundesre- gierung. Ein Beispiel ist der vom Bundeskanzler und dem brasilianischen Staatspräsidenten Cardosa während des Bundeskanzlerbesuchs in Brasilia vereinbarte Dialogme- chanismus zwischen beiden Zivilgesellschaften. Die Bundesregierung hat sich in den letzten Jahren La- teinamerika stärker zugewandt. Symptomatisch ist hierfür auch der zunehmende Besucheraustausch. Ich erwähne nur die jüngsten Lateinamerikareisen von Bundeskanzler Schröder und Bundesminister Fischer im Februar und März 2002 sowie mehrerer Bundesminister. Die chileni- sche Parlamentspräsidentin und auch der chilenische Wirtschaftsminister Rodriguez Grossi sind mit einer Wirtschaftsdelegation zurzeit in Deutschland. Die Staats- präsidenten von Brasilien, Mexiko, Argentinien, Peru und Chile waren hier. Wir alle, Bundesregierung und Bundestag, die deut- sche Wirtschaft wie Wissenschaft und Forschung, müssen in den Anstrengungen fortfahren, unsere Partnerschaft mit Lateinamerika weiter zu vertiefen. Der Deutsche Bundes- tag hat die Bundesregierung hier sehr unterstützt und dafür danke ich. Anlage 11 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Anträge – Welternährungsgipfel – fünf Jahre später – Umsetzung der von Deutschland beim Mille- niumgipfel übernommenen Verpflichtungen (Tagesordnungspunkt 17 und Zusatztagesord- nungspunkt 19) Joachim Günther (FDP): Es ist inzwischen fast schon zum parlamentarischen Ritual dieser Legislaturpe- riode geworden, dass die Bundesregierung und die sie tra- genden Parteien durch Ankündigungen und Anträge den Eindruck zu erwecken versuchen, als sei die entwick- lungspolitische Zusammenarbeit ein zentrales Anliegen deutscher Politik. Daraus ergibt sich für uns stets die trau- rige Pflicht, darauf zu verweisen, dass genau das Gegen- teil zutrifft. Entwicklungspolitik ist zum Stiefkind rot- grüner Politik degradiert worden. Darüber kann auch der vorliegende Antrag nicht hinwegtäuschen, zumal er trotz aller Lobhudelei für die „Förderung der Diskussion über Lösungsstrategien unter Einbeziehung aller gesellschaft- licher Gruppen“ durch die Bundesregierung in seinem Forderungsteil letztlich selbst zu dem Ergebnis kommt, dass die finanziellen Mittel für die Entwicklungszusam- menarbeit deutlich gesteigert werden müssen. Wir brauchen nicht die Förderung von Diskussionen. An Redebeiträgen und gut gemeinten Ratschlägen aus Deutschland besteht kein Mangel. Wir brauchen anderer- seits auch keine exorbitanten Steigerungen unserer öf- fentlichen Entwicklungsausgaben. Aber um unsere inter- nationale Glaubwürdigkeit nicht vollends zu verlieren, müssen wir wenigstens zu unseren Worten stehen und un- sere internationalen Verpflichtungen erfüllen. Von daher bedauern auch wir, wie die Regierungsfrak- tionen, dass der „Welternährungsgipfel – fünf Jahre spä- ter“ abgesagt wurde. Wir bedauern es aber auch deswe- gen, weil die Bundesregierung dann hätte Farbe bekennen müssen, dass sie ihre international übernommenen Ver- pflichtungen vernachlässigt. Dies gilt für den Welternährungsgipfel ebenso wie den Millenniumgipfel. 1,2 Milliarden Menschen, Viertel der Bevölkerung in den Entwicklungsländern, müssen mit we- niger als einem Dollar pro Tag auskommen. Absolute Ar- mut und das dadurch geförderte Bevölkerungswachstum auf voraussichtlich 7 Milliarden Menschen bis 2015 bedro- hen Frieden und Sicherheit, verursachen weltweite Flücht- lingsströme, belasten die Umwelt und beeinträchtigen den Aufbau rechtsstaatlicher und marktwirtschaftlicher Struk- turen. Vor diesem Hintergrund haben 146 Staats- und Re- gierungschefs, darunter Bundeskanzler Gerhard Schröder, anlässlich des Millenniumgipfels der Vereinten Nationen im September 2000 in New York die Halbierung der extremen Armut bis 2015 beschlossen. Infolge des Millenniumgipfels hat die Bundesregierung im April 2001 ein „Aktionsprogramm 2015 – der Beitrag der Bun- desregierung zur weltweiten Halbierung extremer Armut“ vorgelegt. In diesem Programm verpflichtet sich die Bun- desregierung unter anderem dazu, mehr Mittel für die Ar- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 236. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Mai 200223648 (C) (D) (A) (B) mutshalbierung bis zum Jahre 2015 zu mobilisieren, die Finanzsysteme in den Entwicklungsländern verstärkt zu unterstützen, die wirtschaftliche Dynamik in den betrof- fenen Ländern zu erhöhen, verstärkt Mittel für die Zu- sammenarbeit mit solchen Ländern einzusetzen, die wie Bolivien, Mosambik, Vietnam oder Jemen besondere An- strengungen zur Armutsminderung unternehmen, sich weiter den 0,7-Prozent-BSP-Ziel der Vereinten Nationen zu nähern, besondere Anstrengungen für Grunddienste in den Partnerländern zu unternehmen und Sektorreform- programme, besonders in Bildungs- und Gesundheitswe- sen der Entwicklungsländer, stärker zu unterstützen. Die zahlreichen im Aktionsprogramm aufgezählten Maßnahmen – 75 Aktionen – sollen anhand eines „Um- setzungsplanes“ durchgeführt werden, der konkrete Schritte für die einzelnen Aktionen enthalten und die je- weiligen Verantwortlichen benennen soll. Bis heute, über ein Jahr nach der Verabschiedung des Aktionsprogramms, liegt jedoch ein derartiger Umsetzungsplan mit konkreten Angaben über die Finanzierung der Aktionen nicht vor. Auch auf der internationalen Konferenz über die Finan- zierung von Entwicklungen im März 2002 in Monter- rey/Mexiko hat die Bundesregierung keinerlei Finanzplan zur Umsetzung der von ihr eingegangenen Verpflichtun- gen vorgelegt. Entgegen der während des Millenniumgip- fels übernommenen Verpflichtungen, die Mittel für die entwicklungspolitische Zusammenarbeit zu erhöhen, ist der Haushalt des BMZ in dieser Legislaturperiode viel- mehr deutlich gesunken. Anstatt also stets nur Aktionen anzukündigen, fordern wir die Bundesregierung auf, baldmöglichst einen kon- kreten Finanzplan für die Umsetzung des von ihr veröf- fentlichten Aktionsprogramms 2015 zur Armutsbekämp- fung vorzulegen und anstatt bei der Umsetzung des Aktionsplanes eine Vielzahl von Aktionen gleichzeitig anzustreben, deutliche sektorale, regionale und instru- mentelle Schwerpunkte zu bilden. Einen entsprechenden Antrag haben wir heute hierzu vorgelegt. Carsten Hübner (PDS): Mit Blick auf über 800 Mil- lionen Menschen auf der Welt, die Hunger leiden, ist die Zielsetzung vom Welternährungsgipfel in Rom, die Zahl der Hungernden bis 2015 auf 400 Millionen zu reduzie- ren, ein ebenso ehrgeiziges wie dringend notwendiges Ziel. Die PDS-Fraktion unterstützt in diesem Zusammen- hang ausdrücklich die Positionen des Koalitionsantrages, wenn auch gesagt werden muss, dass wiederum gerade die Knackpunkte beflissentlich umgangen wurden, also jene Bereiche, in denen es um Kohärenz mit anderen Politikfeldern geht, in denen auch hier Widerstand einflussreicher Lobbygruppen zu erwarten wäre. Bei- spielhaft dafür ist die hier wieder und wieder debattierte Frage des Marktprotektionismus und der EU-Subventi- onspolitik in der Landwirtschaft. Die unter Punkt 10 an- geführten Initiativen greifen jedenfalls zu kurz, der Zeit- rahmen ihrer Umsetzung ist inaktzeptabel lang und die beschriebenen Perspektiven sind zu unkonkret. Denn letztlich, zumindest wenn man es ernst meint, geht kein Weg vorbei an der völligen Öffnung der Märkte der Indus- trieländer für die gesamte Produktpalette des Südens bei gleichzeitigem Schutz der dortigen Märkte vor den un- gleich leistungsstärkeren Ökonomien des Nordens. Und noch ein Punkt, auf den ich verweisen möchte: Seit Jahren fordert die PDS-Fraktion eine Umstrukturie- rung des BMZ-Etats in Richtung grundsichernder Ar- mutsbekämpfung und der vom Weltsozialgipfel geforder- ten 20:20-Initiative. In diesem Rahmen unverzichtbare Maßnahmen wie die Förderung lokaler und regionaler Märkte und insbesondere die Förderung von Frauen im ländlichen Raum sind von der PDS-Fraktion in den Haus- haltsberatungen Jahr für Jahr beantragt, aber wieder und wieder von der Koalitionsmehrheit abgelehnt worden – mit fadenscheinigen Argumenten. Wir begrüßen es des- halb umso mehr, dass diesen Aspekten in Punkt 8 Ihres Antrages nun endlich Rechnung getragen wurde und Sie nicht wieder mittels der Formel „Frauenförderung ist Querschnittsaufgabe“ der besonderen Fördernotwendig- keit von Frauen in Entwicklungsländern ausgewichen sind. Wir erwarten, dass sich diese Einsicht allerdings auch im kommenden Haushalt niederschlägt. Die PDS-Fraktion wird dem Koalitionsvertrag zustim- men. Beim Antrag der FDP werden wir uns enthalten. Anlage 12 Zu Protokoll gegebene Reden zurBeratung derGroßen Anfrage: Sicherung so- zialer und tariflicher Standards sowie Stellung der kommunalen Selbstverwaltung und der öf- fentlichen Daseinsvorsorge im nationalen und europäischen Wettbewerbs- und Vergaberecht (Tagesordnungspunkt 18) Klaus Wiesehügel (SPD): Man könnte meinen, die heutige Beratung der Großen Anfrage der PDS-Fraktion komme zu spät oder sie wäre obsolet, weil wir ja in die- sem Hause am 16. April in zweiter und dritter Lesung ein entsprechendes und den Erfordernissen gerecht werden- des Vergabegesetz verabschiedet haben. Ich nutze aber heute gern nochmals die Gelegenheit, die Notwendigkeit eines – wie ja auch in der Anfrage ge- forderten – Vergabegesetzes sowie dessen wesentlichen Inhalte zu erläutern. Dies scheint mir nicht nur wegen der Beiträge von Herrn Schauerte und Herrn Brüderle in der soeben angesprochenen Debatte notwendig, sondern ins- besondere vor dem Hintergrund der noch ausstehenden Zustimmung des Bundesrates. Wer heute immer noch die Notwendigkeit eines Verga- begesetzes bestreitet, der verkennt und ignoriert die Ursa- chen und Probleme der Bauwirtschaft und verschließt die Augen vor den sich anbahnenden Problemen im Bereich des ÖPNV. Wir wissen, dass spätestens seit dem Ende des Bau- booms in Ostdeutschland, seit 1995, sich die Bauwirt- schaft in einer schweren strukturellen Krise befindet. Der deutsche Baumarkt ist von Überkapazitäten geprägt, die durch eine falsche Weichenstellung der Regierung Kohl bedingt sind. Zugleich ist der deutsche Baumarkt der größte und of- fenste in Westeuropa, auf dem vor allem ausländische Bil- ligunternehmen ein weites Betätigungsfeld gefunden Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 236. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Mai 2002 23649 (C) (D) (A) (B) haben. Die Folge sind ein enormer Konkurrenzdruck und ein ruinöser Wettbewerb, gekennzeichnet durch Lohn- dumping und eine zunehmende Tarifflucht, selbst deut- scher Firmen. Die Zahl der legalen Arbeitsplätze mit tarifgerechter Bezahlung sinkt dramatisch immer weiter und im glei- chen Tempo weiten sich illegale Strukturen aus. Seit 1995 sind ein Drittel der legalen inländischen Arbeitsplätze abgebaut worden. Das sind mehr als eine halbe Million Menschen. Gleichzeitig haben wir aber eine Zunahme der illegalen Beschäftigung auf mindestens 300 000 Beschäftigte zu verzeichnen. Neben der Bauwirtschaft ist das Tariftreuegesetz aber auch insbesondere mit Blick auf die Zukunft für den öf- fentlichen Personennahverkehr wichtig. Denn die Europä- ische Kommission hat zuletzt im Februar einen Vorschlag für eine Europäische Verordnung vorgelegt, wonach künf- tig Verkehrsleistungen grundsätzlich im Ausschreibungs- wettbewerb zu vergeben sind. Das heißt ganz klar: Ohne ein flankierendes Tariftreuegesetz würde dies den deut- schen Nahverkehrsmarkt mit seinen rund 6 400 Betrieben und 250000 Arbeitnehmern in einen ruinösen Wettbewerb treiben, so wie wir es leider aus der Bauwirtschaft kennen. Diese Regierung hat die Probleme erkannt, hat gehan- delt, mit dem Gesetz eine neue Weichenstellung vorgenom- men und damit ihren Weg konsequent fortgesetzt, Recht und Ordnung auf dem Arbeitsmarkt wieder herzustellen. Wir ha- ben dies im Übrigen auch in dieser Woche nochmals in ei- ner Entschließung des Wirtschaftsausschusses im Bereich der Europäischen Vergabepraxis untermauert. Nur klare und faire Vergaberichtlinien, so wie wir sie gesetzlich hier verabschiedet haben, können die katastro- phalen Zustände in der Bauwirtschaft auf Dauer beseiti- gen und im Bereich des öffentlichen Personennahverkehr vorbeugen. Der Kern unseres Gesetzentwurfes ist, dass öffentliche Auftraggeber verpflichtet werden, Aufträge nur an Unter- nehmen zu vergeben, die sich verpflichten, ihren Arbeit- nehmerinnen und Arbeitnehmern bei der Ausführung dieser Leistungen mindestens die am Ort der Leis- tungsausführung einschlägigen Lohn- und Gehaltstarife zu zahlen. Der Gesetzentwurf sieht ein Stufenmodell vor, das die Interessen ostdeutscher Unternehmen bzw. struktur- schwacher Regionen berücksichtigt. Ab Inkrafttreten soll die Zahlung von mindestens 92,5 Prozent des am Ort der Leistungserbringung einschlägigen Lohn- und Gehaltsta- rifs gezahlt werden. Dieser Anteil erhöht sich zum 1. Ja- nuar 2003 auf 95 Prozent und zum 1. Januar 2004 auf 97,5 Prozent. Ab dem 1. Januar 2005 ist der volle Tarif zu zahlen. Darüber hinaus haben wir festgelegt, das bei Vorliegen mehrerer Tarifverträge der öffentliche Auftraggeber den Tarifvertrag zugrunde zu legen hat, der für die meisten Ar- beitnehmer Anwendung findet: repräsentativer Tarifver- trag. Ganz wesentlich ist, dass diese Regelungen auch für Nachunternehmen gelten. Damit wird erreicht, dass die Nachunternehmer unmittelbar durch den öffentlichen Auftraggeber zur Einhaltung der Lohn- und Gehaltstarif- verträge verpflichtet werden. Zusätzlich ist für den Anwendungsbereich eine zeit- liche Staffelung vereinbart. Das neue Gesetz gilt zunächst bei öffentlichen Aufträgen mit einem Auftragsvolumen von 100 000 Euro. Dieser Wert verringert sich zum 1. Ja- nuar 2003 auf 75 000 Euro und zum 1. Januar 2004 auf 50 000 Euro. Die zweite wesentliche Komponente im Rahmen unse- rer Tariftreueregelung ist die Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen. Wir schaffen die gesetzli- chen Grundlagen für die Einrichtung eines Registers unzu- verlässiger Unternehmen, die von der Vergabe öffentlicher Aufträge ausgeschlossen worden sind: Unternehmen, de- nen schwere Verfehlungen – wie beispielsweise Korrup- tion, illegale Beschäftigung, Schwarzarbeit oder Verstöße gegen die Tariftreueregelung nachgewiesen werden kann, werden in dieses Register aufgenommen und können von der Vergabe öffentlicher Aufträge ausgeschlossen werden. Wird ein Unternehmen einmal wegen Korruption oder an- derer Wirtschaftsdelikte ausgeschlossen, werden das alle 35 000 deutschen öffentlichen Auftraggeber erfahren. Von daher wird das Register eine erhebliche Abschreckungs- wirkung auf die Unternehmen haben. Wettbewerb darf nicht über Lohndumping und auf dem Rücken der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ausge- tragen werden, sondern muss über Produktivität, Service und Qualität bestimmt werden. Darum geht es uns. Es geht um den Erhalt vieler Arbeitsplätze in zwei sehr sen- siblen Bereichen. Es geht darum, einen ausreichenden so- zialen Schutz und ein angemessenes Einkommensniveau zu gewährleisten und auf der anderen Seite Belastungen für die sozialen Sicherungssysteme zu vermeiden. Ich appelliere daher nochmals ausdrücklich an die Kol- leginnen und Kollegen der CDU/CSU-Fraktion: Geben sie ihre Blockadehaltung auf. Sorgen sie dafür, dass nicht aus wahltaktischen Gründen im Bundesrat ein Gesetz verhindert wird, auf das die Beschäftigten sowohl im öf- fentlichen Personennahverkehr als auch in der Baubran- che dringend warten. Jochen-Konrad Fromme (CDU/CSU): Es ist schon erstaunlich, dass sich ausgerechnet die PDS als Retter der sozialen Sicherung, tariflicher Standards sowie der kom- munalen Selbstverwaltung und der öffentlichen Daseins- vorsorge präsentiert. Wir haben nicht vergessen, dass es die SED war, in deren Nachfolge Sie stehen, die in vier Jahrzehnten durch eine zentrale Verwaltungswirtschaft den östlichen Teil unseres Vaterlandes in Grund und Bo- den gewirtschaftet haben. Wir leiden noch heute darunter. Große Ressourcen unserer Volkswirtschaft müssen für die Folgenbeseitigung dieser 40 Jahre aufgewendet werden. Die zentrale Verwaltungswirtschaft ist genau das Ge- genteil von dezentraler Kreativität und damit der kommu- nalen Selbstverwaltung. Nach der Landtagswahl in Sach- sen-Anhalt ist deutlich geworden, dass die Mehrheit der Bürger Dunkelrot besser von der Verantwortung fernhal- ten will. Auch die SPD sollte endlich begreifen, dass Rot- Rot alles andere als ein Erfolgsmodell ist. Aber auch die Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage macht deutlich, dass sie immer noch nicht Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 236. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Mai 200223650 (C) (D) (A) (B) begriffen hat, dass die Chance in der Kreativität der Men- schen und im Wettbewerb, nicht aber in bürokratischer Gängelung liegt. Es ist der falsche Weg, mithilfe des Ta- riftreuegesetzes die Wettbewerbsprobleme entlang der ehemaligen Zonengrenze lösen zu wollen. Bürokratie bringt eher zusätzliche Belastung und Lähmung anstelle von Wettbewerbsgleichheit und Chancen. Es wird immer wieder Kräfte geben, die fantasievoller als der regelnde Staat sind und die bürokratischen Regelungen unterlaufen. Das künstliche Hochhalten von tariflichen Regelungen wird nichts bringen. Wer immer noch dafür eintritt über- sieht, dass die Menschen in den neuen Bundesländern längst mit den Füßen über derartige Konzepte abgestimmt haben. Mit Billigung der Gewerkschaften werden tarif- vertragliche Regelungen entgegen der geltenden Rechts- lage unterlaufen. Man nimmt den Abschluss eines Flächentarifes hin, beachtet ihn aber nicht, sondern ersetzt ihn durch betriebsbezogene Vereinbarungen. Dies ge- schieht nicht aus bösem Willen, sondern aus purer Not. Andernfalls würden noch mehr Arbeitsplätze gefährdet sein. Wenn man die Realitäten richtig zur Kenntnis nähme, könnte man darin auch ein Vorbild für richtige Re- gelungen in ganz Deutschland sehen. Wir wollen deshalb das Günstigkeitsprinzip dahingehend erweitern, dass die Sicherung von Arbeitsplätzen auch als günstigere Rege- lung im Sinne des Tarifrechtes gilt und als Anlass zum Ab- weichen von Flächentarifverträgen genommen werden darf. Dies wird dafür sorgen, dass der Arbeitsmarkt wie- derum ein Stück näher zum Markt wird und seine Funk- tion wieder besser erfüllen kann. Hinsichtlich des Tariftreuegesetzes scheint es auch in der SPD Nachdenklichkeit zu geben. Vielleicht setzt diese sich ja doch noch durch. Man sollte auch bedenken, dass durch ein Tariftreuegesetz die Betätigungsmöglichkeiten von Betrieben aus den neuen Bundesländern eingeschränkt werden. Dies kann eigentlich nicht wünschenswert sein. Dennoch verkennen wir nicht, dass es gerade an der Naht- stelle zwischen alten und neuen Bundesländern durch Wett- bewerbsverzerrungen erhebliche Probleme gibt. Betriebe aus den Gebieten mit höheren Tarifen bekommen entlang des ehemaligen Zonenrandgebietes kaum noch Aufträge. Auch dieser Zustand ist nicht richtig und muss in Angriff genommen werden. Hier sehe ich allerdings bisher keine Aktivitäten der Bundesregierung. Das ist sehr zu bedauern. Wir dürfen allerdings nicht Ost gegen West oder Alt gegen Neu ausspielen. Wir müssen die Probleme gemeinsam so lösen, dass unter dem Strich eine möglichst hohe wirt- schaftliche Aktivität das Ergebnis ist. Das gilt natürlich auch für die Bekämpfung der illega- len Beschäftigung. Das Gifhorner-Modell und die Ver- besserung von Angebotsbedingungen sind hier allerdings wesentlich erfolgsversprechender als ein Tariftreue- gesetz. Noch besser wäre es natürlich, wenn durch eine Steigerung der wirtschaftlichen Aktivitäten der Markt wieder so groß würde, dass viel mehr Betriebe und Be- schäftigte Arbeit fänden. Deshalb kommt es auf die rich- tige Gestaltung des wirtschaftspolitischen Rahmens an, um für Wirtschaftswachstum zu sorgen. In diese Richtung bietet die Politik der Bundesregierung allerdings prak- tisch keine Ansätze. Im Gegenteil: Durch Entzug der Kaufkraft bei der Bevölkerung über Ökosteuer, Tabak und Versicherungssteuer sowie steigende Sozialversiche- rungsbeiträge und Aushöhlung der Kommunalfinanzen wird den beiden Gruppen, nämlich der Bevölkerung und den Kommunen, die Investitionskraft genommen. Ihr Ausfall am Nachfragemarkt behindert das Wirtschafts- wachstum ganz massiv. Da liegen die Hauptprobleme. Es ist eben gerade nicht so, dass die Steuerquote gesunken wäre. Sie versuchen, durch verbale Kraftakte die „größte Steuerreform“ vorzutäuschen, dass sie hier richtig han- deln. Die Steuerschätzung ergibt allerdings das Gegenteil. Die Steuerquote ist unverändert geblieben. Sie macht deutlich, dass es gerade nicht zu einer Steuerentlastung gekommen ist. Es gibt gute Beispiele für eine erfolgreiche Politik aus den angeblich so schrecklichen 16 Regierungsjahren von Helmut Kohl. Wenn der Bundeskanzler im Fernsehen be- hauptet, er habe eine Steuerreform zustande gebracht, die Vorgängerregierung dagegen in 16 Jahren nicht; dann zeigt das sein wohl etwas kurzes Gedächtnis. Ich kann ja verstehen, dass er an seine eigene Versprechen nicht gern erinnert wird, ich nenne hier nur das Beispiel: Wenn wir es nicht schaffen die Arbeitslosigkeit nennenswert unter 3,5 Millionen zu drücken, dann haben wir es nicht länger verdient zu regieren. Ich kann verstehen, dass er dies an- gesichts der zurzeit mehr als 4 Millionen Arbeitslosen verdrängt, genauso wie er etwa gegenüber den Rentnern das Versprechen gebrochen hat, die Renten weiter wie die Nettolöhne steigen zu lassen oder etwa „6 Pfennig sind genug bei der Ökosteuer“. Aber leider hat er über das Ver- drängen auch verlernt, dass es in der Vergangenheit rich- tige Rezepte gegeben hat. Ich erinnere an die stoltenbergsche Steuerreform von 1985 bis 1989. Hier waren allein in den alten Bundeslän- dern am Ende 3 Millionen mehr Menschen in sozialver- sicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen und das Steueraufkommen hatte sich sogar erheblich gestei- gert. Anstelle von einem Minus von 43 Milliarden DM, wie es theoretisch vorgesehen war, gab es Mehreinnah- men von 121 Milliarden DM. Hat der Kanzler vergessen, dass die Petersberger Beschlüsse mit einer umfassenden Steuerreform, die wesentlich besser war als all das, was Rot-Grün jemals vorgelegt hat, zweimal im Bundestag mit Kanzlermehrheit von CDU/CSU und FDP verab- schiedet wurden und durch ihn als Ministerpräsidenten mit seinen SPD-Kollegen Eichel und Lafontaine im Bun- desrat verhindert worden ist? Zwei wichtige Meister- stücke von Reformen wurden von der Union konzipiert und beschlossen. Soweit sie in Kraft getreten sind, wie die stoltenbergschen Reform, waren sie ein großer Erfolg. Die SPD trägt die Verantwortung dafür, dass die Pe- tersberger Beschlüsse nicht in Kraft treten konnten und dementsprechend erhebliches Wirtschaftswachstum ver- hindert wurde. Dies hat dazu geführt, dass Arbeitslosig- keit nicht in dem Maße beseitigt worden ist, wie das mög- lich gewesen wäre. Dieses Versagen der Politik hat einen Namen: Gerhard Schröder. Wenn der 1998 eingeleitete Aufschwung angeblich der Aufschwung Gerhard Schröders war, dann ist der jetzige Abschwung ebenfalls sein Abschwung. Da die Union die Regelungen des Tariftreuegesetzes schon inhaltlich für falsch hält, kommt es auf die Verein- barkeit mit dem europäischen Recht nicht mehr an. Die Ergebnisse der entsprechenden Prüfung werden uns Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 236. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Mai 2002 23651 (C) (D) (A) (B) sicherlich bald ins Haus stehen und dann werden Sie Ihr nächstes Waterloo erleben. Es wäre besser, wenn die Bundesregierung unseren Vorschlägen für eine Verbesse- rung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen folgen würde. Schlagt nach bei Stoiber, Merkel und Merz im Re- gierungsprogramm. Das, was in anderen Ländern zum Er- folg geführt hat, wie die Beispiele Frankreich, England und Amerika beweisen und wie die stoltenbergschen Re- formen bei uns selbst bewiesen haben, sollten wir endlich anpacken. Bürokratie führt uns nicht von der Roten La- terne zur Lokomotive in Europa zurück. Die Antworten der Bundesregierung machen deutlich, dass nur ein poli- tischer Wechsel am 22. September 2002 den wirtschaft- lichen Aufschwung bringen wird. Gerhard Schüßler (FDP): Bei den öffentlich er- brachten Dienstleistungen und im öffentlichen Vergabe- recht liegt vieles im Argen. Aufgrund der mangelnden Kos- tenkontrolle arbeiten öffentliche Unternehmen ineffizient. Anstatt sich auf ihre Kernleistungen zu konzentrieren, bre- chen sie mit zusätzlichen Leistungen in den privatwirt- schaftlichen Markt ein und machen den Handwerkern und der mittelständischen Wirtschaft Konkurrenz. Ausrangierte Parteipolitiker werden mit lukrativen Posten versorgt und sichern den Einfluss der Parteien auf die Unternehmen. Die Unternehmen müssen wiederum Annehmlichkeiten der Politik finanzieren. Damit die Rechnung immer wieder aufgeht, zahlen die Bürger überteuerte Tarife, ohne dass sie die Möglichkeit haben, auf Konkurrenz auszuweichen. Von der öffentlichen Verwaltung werden Leistungen häufig mit fadenscheinigen Ausreden gar nicht ausge- schrieben, um sie bestimmten Unternehmern zuschieben zu können. Oder bei unausweichlichen Ausschreibungen werden sie nach großzügiger „Beatmung“ der Privat- oder Parteikassen befreundeten Bewerbern zugeschlagen. Die große Koalition aus SPD und CDU in den Rathäu- sern Westdeutschlands kann damit großartig leben. Das tut auch die PDS im Osten, die das System schnell für sich entdeckt hat. Der Spendenskandal der SPD in NRW hat die Mechanismen gerade wieder schonungslos offen ge- legt. Also wehe dem, der wie die europäische Kommission Hand an das deutsche System legen will. Die vorliegende Große Anfrage zeigt ein einträchtiges Bild. Das Wechsel- spiel von Fragen der PDS und Antworten der Bundes- regierung zeigt, wie ängstlich das rot-rot-grüne Trio in ih- rer deutschen Trutzburg sitzt und misstrauisch auf das böse Brüssel schielt. Da finden sich schnell die Nichtigen zusammen, wenn es darum geht, auch nur den kleinsten Fortschritt auf dem Gebiet des Vergaberechts und der öf- fentlichen Dienstleistungen zu verhindern. Auf nationaler Ebene versucht Rot-Grün mit seinem Tariftreuegesetz der darniederliegenden ostdeutschen Bauwirtschaft den Todesstoß zu geben. Als finanzielle Auswirkung gesteht selbst die Bundesregierung eine Ver- teuerung von öffentlichen Projekten um 5 Prozent ein. Das sind 2 Milliarden Euro. Dazu kommen noch Verwal- tungsmehrkosten in Höhe von mindestens 1 Prozent des Auftragsvolumens, Kontrollkosten, Vollzugskosten, Kos- ten für Registerführung etc. Der PDS geht das natürlich noch nicht weit genug, wobei schwer vorzustellen ist, wie ein noch größerer Schaden aussehen könnte. Da müssen wir fast der europäischen Kommission dankbar sein. Bei allem unguten Gefühl, das auch ich habe, wenn Politik außerhalb des deutschen Parlaments gemacht wird, muss ich anerkennen, dass die europäische Kommission derzeit die einzige Akteurin ist, die in Deutschlands Wirtschaftverfassung für Bewegung sorgt und die das Wohl der deutschen Bürger eher im Auge behält als die rot-grüne Regierung. Während die Bundes- regierung alles unternimmt, ein nicht mehr leistungsfähi- ges Industrie- und Arbeitsmarktmodell weiter zu zemen- tieren, versucht die Kommission Standards für mehr Wettbewerb und effizientere Leistungserbringung bei öf- fentlichen Dienstleistungen durchzusetzen. Es steht aller- dings auch hier zu befürchten, dass Bundeskanzler Schröder bei diesen Ansätzen ähnlich wie bei der Stein- kohlesubventionierung oder der Kfz-Vermarktung in Brüssel und Europa eine Schneise der Verwüstung schla- gen wird, um für seine antiquierte Vorstellung von deut- scher Industriepolitik zu kämpfen. Man muss sich nicht mit allen Vorschlägen der Kom- mission einverstanden erklären. Aber die Zielrichtung verdient Zustimmung. Mit den Verordnungs- und Richtli- nienvorschlägen sollen Mindestanforderungen an die Qualität der Dienstleistung festgelegt werden. Es soll vollständige Transparenz geschaffen werden, die gerade in Deutschland bitter notwendig wäre. Die Bürger sollen Wahlmöglichkeiten bekommen. Damit wäre endlich auch ein effizienzsteigernder Wettbewerb möglich. Zudem sol- len unabhängige Regulierungsinstanzen geschaffen wer- den, ein Instrument, mit dem wir in Deutschland zumin- dest auf dem Gebiet der Telekommunikation recht positive Erfahrungen gesammelt haben. Dies alles ist durchaus im Sinne unserer Bürger. Aber die Vorstellung des freien Wettbewerbs für kommunale Unternehmen scheint SPD, PDS und Grüne auf die Barri- kaden zu treiben. Der Begriff der Daseinsvorsorge dient ihnen als Deckmantel, ein ineffizientes, in parteipoliti- schen Filz verwobenes System öffentlicher Dienstleistun- gen und Vergabepraktiken zu rechtfertigen. Wann erken- nen diese sich selbst „sozial“ nennenden Parteien endlich, dass auch faire Preise für öffentliche Güter und Dienst- leistungen soziale Errungenschaften sind? Reformen sind in Deutschland dringend notwendig. Nur sollten wir damit nicht auf Brüsseler Kompromisse warten müssen, sondern sie selbst zielstrebig für unser Land anpacken. Ursula Lötzer (PDS): In seiner Berliner Rede be- schrieb Bundespräsident Rau am Montag dieser Woche den Widerspruch zwischen Markt und Demokratie als eine der zentralen Herausforderungen an eine politische Gestaltung der Globalisierung: „Wenn jetzt der Markt global wird, dann brauchen wir Ordnungen, die weltweit die Freiheit der Menschen sichern. Dann muss die Politik dafür sorgen, dass die Freiheit des globalen Marktes die Freiheit der Menschen nicht beschädigen kann.“ Diese Worte des Bundespräsidenten gelten auch für die Europäische Union und ihr Wettbewerbsrecht: Wollen wir Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 236. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Mai 200223652 (C) (D) (A) (B) eine Europäische Union, in der allein die uneinge- schränkte Marktteilnahme internationaler Konzerne das Maß dafür ist, ob und wie Leistungen der Daseinsvor- sorge erbracht werden, oder wollen wir, dass darüber de- mokratisch nach sozialen und ökologischen Kriterien in den Kommunen entschieden wird, wie es dem grundge- setzlich geschützten Recht auf kommunale Selbstverwal- tung entspricht? Wollen wir eine Europäische Union mit einer Wettbewerbsordnung, die eine Abwärtsspirale der Konkurrenz um immer niedrigere Einkommen, immer schlechtere soziale Standards in Gang setzt, oder wollen wir eine politische Gestaltung des Wettbewerbs, die die Einkommen der Beschäftigten davor schützt? Ausgehend von diesen beiden Grundfragen haben wir in unserer Großen Anfrage die Forderungen von Gewerk- schaften und die Positionen kommunaler Verkehrsver- bände wie auch des Deutschen Städtetages für zukunfts- fähige, qualitativ hochwertige Nahverkehrsunternehmen aufgenommen; auf sie umfassend im Detail einzugehen in fünf Minuten Redezeit ist nicht möglich. Umso notwendiger ist es bei einer Debatte, die mehr als sechs Monate nach Abfassung der Antwort stattfindet, auch auf die inzwischen eingetretenen Entwicklungen einzugehen. Mit großer Mehrheit hat das Europäische Parlament, auch dank der hervorragenden Arbeit des Berichterstatters Erik Meijer aus der Fraktion der Europäischen Linken (GUE/NGL), zahlreiche Änderungen des Verordnungs- entwurfes der Kommission beschlossen, die wir als Schritte zur Stärkung von sozialer Gerechtigkeit und De- mokratie begrüßen und nachhaltig unterstützen. Von he- rausragender Bedeutung ist dabei die Entscheidung des EP, den Kommunen selbst die Entscheidung zu überlas- sen, ob sie Nahverkehrsdienstleistungen weiterhin mit ihren kommunalen Unternehmen erbringen oder ob sie eine europaweite Ausschreibung durchführen wollen. Die Europäische Kommission weigert sich hingegen hart- näckig, auf den Zwang zur Ausschreibung zu verzichten, mit dem das Subsidiaritätsprinzip verletzt und das Wett- bewerbsrecht der kommunalen Demokratie übergeordnet wird, wie ein gerade von der Gewerkschaft Verdi vorge- legtes Rechtsgutachten eindrucksvoll aufzeigt. Wir erwarten, dass die Bundesregierung im Europä- ischen Rat entsprechend ihrer Aussage in der Antwort auf unsere Frage diese Position wirksam unterstützt und diese Auseinandersetzung auch öffentlich führt. Denn es geht um Grundfragen der demokratischen Verfasstheit der Europäischen Union und, wie unlängst in Köln Stefan Arcticus, Geschäftsführer des Deutschen Städtetages, for- mulierte, um „Überlebensfragen der Kommunalpolitik“. Die kommunale Demokratie darf nicht zu einer Aus- schreibungsagentur mit besonderen Ortskenntnissen von Gnaden der EU-Kommission verkommen. In dieser Auseinandersetzung steht die PDS an der Seite der Kommunen und der Gewerkschaften ebenso wie in der Frage der so genannten Quersubventionierung, der in vielen Kommunen üblichen Finanzierung der Verluste des QPNV mit Gewinnen aus der kommunalen Energie- und Wasserversorgung, die die Kommission als wettbe- werbswidrige Beihilfen verboten sehen will. Wo bleibt die viel beschworene Neutralität der EU gegenüber Eigen- tums- und Betriebsformen, wenn von im Verkehrsbereich tätigen Konzernen wie Vivendi nicht verlangt wird, nach- zuweisen, den Busbereich nicht mit Gewinnen aus ande- ren Geschäftsbereichen zu subventionieren? Ich sage: Die internen Bilanzen von Stadtwerken gehen die Wettbe- werbsbürokraten in Brüssel nichts an. Quersubventionie- rung muss möglich bleiben. Auch hier erwarte ich von der Bundesregierung, dass sie sich öffentlich und im Europäischen Rat dafür ein- setzt. Wenn wir ein soziales Europa wollen, in dem erst die Demokratie und dann der freie Markt kommt – wie es der Bundespräsident gefordert hat –, brauchen wir ei- nen öffentlichen und transparenten Entscheidungspro- zess. Aussagen wie die der Bundesregierung, dass „sie die von ihr gewählte Verhandlungslinie auf europäischer Ebene im Rahmen der Beantwortung einer Großen An- frage im Detail nicht darlegen kann“, sind damit nicht vereinbar. Dies ist aus meiner Sicht eine tief greifende Missach- tung des Parlaments, unserer Informationsrechte als Ab- geordnete und wie die Sache selbst eine Grundfrage der Demokratie in der Europäischen Union. Es spricht der Demokratie Hohn, wenn über Regierungshandeln, das mit europäischen Richtlinien zu Ergebnissen führt, die für die Politik in der Bundesrepublik verbindlich sind, erst nachträglich im Parlament diskutiert werden kann. Und dieses Demokratiedefizit Ihrer Politik ist mitverantwort- lich für Euroskepsis und die Erfolge einer nationalisti- schen und rechtspopulistischen Kritik an einem Europa, das als undurchschaubare Instanz empfunden wird – nicht nur in der Bundesrepublik, sondern auch in unseren Nachbarländern, allen voran in Frankreich. In der letzten Sitzungswoche wurde das Tariftreuege- setz verabschiedet. Im Wirtschaftsausschuss haben wir, mit den Kolleginnen und Kollegen der Regierungsfrak- tionen Änderungen zu den jetzt vorliegenden Richtlinien- entwürfen für die Auftragsvergabe beschlossen. Mit die- sen Änderungen sollen die jeweiligen unterschiedlichen Tarifsysteme der Mitgliedstaaten für den anzuwendenden Tarifvertrag berücksichtigt werden. Wir fordern die Ver- treter der Bundesregierung dringend auf, sich dafür ein- zusetzen. Margareta Wolf (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Im Juni vergangenen Jahres ist die PDS mit ihrer Großen An- frage „Sicherung sozialer und tariflicher Standards sowie der Stellung der kommunalen Selbstverwaltung und der öffentlichen Daseinsvorsorge im nationalen und europä- ischen Wettbewerbs- und Vergaberecht“, über die wir heute debattieren, auf einen Zug aufgesprungen, den die Bundesregierung bereits aufs Gleis gesetzt und zum Fah- ren gebracht hat: Ich meine damit das von der Bundesre- gierung im Dezember letzten Jahres eingebrachte und am 26. April hier im Plenum in zweiter und dritter Lesung ver- abschiedete Tariftreuegesetz bei öffentlichen Aufträgen. Wenn man die Fragen der Damen und Herren der PDS einmal etwas näher betrachtet, stellt man sehr schnell fest, dass hier weitgehend Fragen aufgeworfen und Problem- kreise angesprochen sind, mit denen sich die Bundesre- gierung bereits eingehend bei der Erarbeitung des Ge- setzentwurfes befasste. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 236. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Mai 2002 23653 (C) (D) (A) (B) Meine Damen und Herren, das Tariftreuegesetz, das öffentliche Auftragnehmer bei der Vergabe von Bauauf- trägen und bei Auftragsvergaben im öffentlichen Perso- nennahverkehr dazu zwingt, ihren Beschäftigten den je- weiligen Lohn am Ort der Leistungserbringung zu zahlen, ist ein Beitrag zur Stabilisierung der Arbeitsbedingungen in der Bauwirtschaft und im ÖPNV und dient gleichzeitig dazu, Wettbewerbsverzerrungen durch den Einsatz von Niedriglohnkräften zu verhindern. Es sichert Arbeitsplätze, auskömmliche Löhne und hilft, Belastungen für die sozialen Sicherungssysteme zu vermeiden. Zur Verwirklichung dieser Ziele müssen die Unterneh- men zur Zahlung der ortsüblichen Tariflöhne verpflichtet werden. Nichts anderes sieht das Gesetz vor, das hoffent- lich noch in diesem Monat in der vom Bundestag verab- schiedeten Fassung auch den Bundesrat passiert. Dem Grundsatz könnte entgegen gehalten werden, dass Bauunternehmen aus Regionen mit niedrigerer Lohnstruktur, etwa den neuen Bundesländern, ihren bis- lang bestehenden Lohnvorteil bei öffentlichen Auf- trägen verlieren würden. Doch auch dies haben wir bedacht. Mit der schrittweisen Absenkung der Schwel- lenwerte und der stufenweisen Anhebung der zu zahlen- den Löhne haben wir eine Lösung erarbeitet, die sowohl dem mit dem Tariftreuegesetz angestrebten Ziel Rech- nung trägt, gleichzeitig aber sozialen Schutz wahrt und Rücksicht auf die Interessen der ostdeutschen Bauwirt- schaft nimmt. Meine Damen und Herren, eine Alternative zu diesem Gesetz gibt es nicht. Die Bundesregierung sieht sich viel- mehr in guter Gesellschaft mit den Bundesländern. Bayern, Berlin und Sachsen-Anhalt, um nur ein paar zu nennen, waren Länder, die ihrerseits bereits Tariftreue- regelungen eingeführt hatten, bevor der Bund das Thema aufgriff und die Gesetzesinitiative übernahm. Auch die von Ihnen in der Großen Anfrage vorge- brachten Bedenken der europa- und verfassungsrechtli- chen Zulässigkeit einer solchen gesetzlichen Regelung sind sorgfältigst geprüft. Meine Damen und Herren, zusammen mit dem Tarif- treuegesetz schaffen wir in dem Entwurf die rechtliche Grundlage zur Einrichtung eines Registers über unzuver- lässige Unternehmen, allgemein „Korruptionsregister“ genannt. Unternehmen, deren führende Mitarbeiter durch korrupte Verhaltensweisen oder andere schwere Verfeh- lungen im Rechtsverkehr negativ aufgefallen sind, haben beim Geschäft mit dem Staat nichts zu suchen. Sie sind vom Wettbewerb um öffentliche Aufträge auszu- schließen. Dies ist seit langer Zeit in Deutschland bereits geltendes Recht und daher kein legislatives Problem. Das Problem ist vielmehr: Wie erfährt der öffentliche Auftraggeber in A, dass ein Auftraggeber in B ein Unter- nehmen wegen schwerer Verfehlungen ausgeschlossen hat? Hier setzt das von uns geplante Korruptionsregister an, für dessen Einrichtung wir mit dem Tariftreuegesetz die notwendige Rechtsgrundlage schaffen. Durch Rechtsverordnung sollen in Zukunft alle öffent- lichen Auftraggeber verpflichtet werden, Unternehmen, die wegen einer schweren Verfehlung von der Vergabe öf- fentlicher Aufträge ausgeschlossen worden sind, dem Re- gister zu melden. Damit werden sie bundesweit erfasst und die Unzulässigkeit dieser Unternehmen wird allen öf- fentlichen Auftraggebern bekannt. Durch Rechtsverordnung sollen in Zukunft außerdem alle öffentlichen Auftraggeber verpflichtet werden, beim Register anzufragen, ob das Unternehmen, an das der Auftrag gehen soll, dort gelistet ist. Der Ausschluss we- gen einer schweren Verfehlung ist dann bundesweit jedem öffentlichen Auftraggeber vor Auftragsvergabe bekannt, und jeder öffentliche Auftraggeber hat dann noch einmal im Einzelfall sorgfältig zu prüfen, ob die Ausschluss- gründe weiter fortbestehen oder ob das Unternehmen sich wieder auf den Pfad der Tugend begeben und Maßnahmen der Selbstreinigung ergriffen hat. Ist dies in ausreichen- dem Maße der Fall, muss es wieder zum Wettbewerb um öffentliche Aufträge zugelassen werden. Ich denke, dass mit diesen Maßnahmen auch klare Sig- nale an Unternehmen und Bürger gehen, dass die Bun- desregierung Korruption und Wirtschaftskriminalität ernsthaft bekämpft, dokumentiert, dass in Deutschland mit unlauteren Mitteln keine Geschäfte mit dem Staat zu machen sind und das Vertrauen der Bürger in Politik und Verwaltung stärken will. Meine Damen und Herren, wie Sie sehen, hat die Bun- desregierung mit dem Tariftreuegesetz ein Bündel von Maßnahmen vorgelegt, das von diesem Parlament auch mehrheitlich verabschiedet wurde und das weit über das hinausgeht, was Sie mit Ihrer Großen Anfrage bezwecken wollten. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 236. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. Mai 200223654 (C) (D) (A) (B) Druck: MuK. Medien- und Kommunikations GmbH, Berlin
Gesamtes Protokol
Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1423600000
Guten Morgen, liebe
Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.

Der Kollege Jörg-Otto Spiller feierte am 14. Mai sei-
nen 60. Geburtstag. Herzlichen Glückwunsch nachträg-
lich im Namen des ganzen Hauses!


(Beifall)

Der Abgeordnete Klaus Holetschek hat am 6. Mai auf

seine Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag verzichtet.
Als Nachfolgerin hat die Abgeordnete Marion Seib am
11. Mai die Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag erwor-
ben. Ich begrüße die Kollegin, die schon in der 13. Wahl-
periode Mitglied des Hauses war, sehr herzlich.


(Beifall)

Für das Kuratorium der Stiftung „Haus der Geschichte

der Bundesrepublik Deutschland“ benennt die Fraktion
der CDU/CSU als Nachfolger für den ausgeschiedenen
Kollegen Norbert Hauser den Kollegen Dr. Norbert
Röttgen als ordentliches Mitglied. Sind Sie damit einver-
standen? – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist der
Kollege Röttgen als ordentliches Mitglied in das Kurato-
rium entsandt.

Des Weiteren teilt die Fraktion der CDU/CSU mit,
dass sie in den Stiftungsrat der „Stiftung CAESAR“ den
Kollegen Werner Lensing als Nachfolger für den frühe-
ren Kollegen Norbert Hauser entsenden möchte. Ich gehe
davon aus, dass Sie mit der Benennung einverstanden
sind.

Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene
Tagesordnung zu erweitern. Die Punkte sind in der Zu-
satzpunktliste aufgeführt:

1. Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der CDU/CSU:
Haltung der Bundesregierung zu den anhaltend hohen
Arbeitslosenzahlen in Deutschland, zu den im europäischen
Vergleich niedrigen Wachstumsraten und den geringen In-
vestitionen in Straße und Schiene (siehe 235. Sitzung)


2. Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Ernst Ulrich von
Weizsäcker, Ulrike Mehl, Ulla Burchardt, weiterer Abgeordne-
ter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten
Dr. Reinhard Loske, Winfried Hermann, Hans-Josef Fell, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/
DIE GRÜNEN: Weltgipfel für nachhaltige Entwicklung in

Johannesburg 2002: Der nachhaltigen Entwicklung zum
Durchbruch verhelfen – Drucksache 14/9052 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f)

Auswärtiger Ausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung

3. Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulla Burchardt,
Michael Müller (Düsseldorf), Brigitte Adler, weiterer Abge-
ordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten
Winfried Hermann, Dr. Reinhard Loske, Kerstin Müller (Köln),
Rezzo Schlauch und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN: Nachhaltige Entwicklung – neuer Gestaltungs-
ansatz für die Globalisierung – Drucksache 14/9056 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f)

Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung

4. Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Peter Paziorek,
Dr. Klaus W. Lippold (Offenbach), Klaus-Jürgen Hedrich,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Initia-
tive für eine nationale Nachhaltigkeitsstrategie – Drucksa-
che 14/9024 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung

5. Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Christian Ruck,
Klaus-Jürgen Hedrich, Dr. Peter Paziorek, Kurt Dieter Grill und
der Fraktion der CDU/CSU: Die Schöpfung bewahren, ent-
wicklungsorientiert handeln: Weltgipfel in Johannesburg
muss neue Impulse für globale nachhaltige Entwicklung
setzen – Drucksache 14/9025 –

23465


(C)



(D)



(A)



(B)


236. Sitzung

Berlin, Donnerstag, den 16. Mai 2002

Beginn: 9.00 Uhr

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung (f)

Auswärtiger Ausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss

6. Beratung des Antrags der Abgeordneten Birgit Homburger,
Ulrike Flach, Marita Sehn, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der FDP: Liberale Akzente einer nationalen Nach-
haltigkeitsstrategie – Drucksache 14/9091 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung

7. Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Irmgard Schwaetzer,
Dr. Hermann Otto Solms, Ina Albowitz, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der FDP: Für eine substanzielle und dauer-
hafte Rentenreform – Drucksache 14/9050 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie

8. Beratung des Antrags der Fraktion der PDS: Zur Regelung von
in der DDR erworbenen Versorgungsansprüchen und An-
wartschaften in einem spezifischen Versorgungssystem sowie
zur Regelung anderer rechtmäßig erworbener Ansprüche
auf Alterssicherung – Drucksache 14/9045 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung (f)

Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder

9. Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren

(Ergänzung zu TOP 37)

a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Klaus Riegert,
Friedrich Bohl, Peter Letzgus, weiteren Abgeordneten und
der Fraktion der CDU/CSU sowie dem Abgeordneten
Dr. Klaus Kinkel und der Fraktion der FDP eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes über eine finanzielle Hilfe für
Dopingopfer der DDR (Dopingopfer-Hilfegesetz-DOHG)

– Drucksache 14/9022 –
Überweisungsvorschlag:
Sportausschuss (f)

Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Haushaltsausschuss

b)Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD und des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs
eines Gesetzes zur Steuerfreistellung von Arbeitnehmer-
trinkgeldern – Drucksache 14/9029 –
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuss für Tourismus
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO

c) Erste Beratung des von den Abgeordneten Ernst Burgbacher,
Gerhard Schüßler, Dr. Hermann Otto Solms, weiteren Abge-
ordneten und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs
eines Gesetzes zur Änderung des Einkommensteuerge-
setzes (Abschaffung der Trinkgeldbesteuerung) – Druck-
sache 14/9061 –

Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuss für Tourismus
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO

d)Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD und des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs
eines Gesetzes zur Sicherung der Betreuung und Pflege
schwerstkranker Kinder – Drucksache 14/9031 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit (f)

Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

e) Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD, der CDU/
CSU, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der FDP und
der PDS eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes
zur Änderung des Gesetzes zur Errichtung einer Stiftung
„Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ – Drucksa-
che 14/9032 –
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)

Auswärtiger Ausschuss
Rechtsausschuss

f) Erste Beratung des von der Fraktion der SPD und des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs
eines Gesetzes zur Änderung futtermittelrechtlicher Vor-
schriften sowie zur Änderung sonstiger Gesetze – Druck-
sache 14/9034 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Gesundheit

g)Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD und des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs
eines Gesetzes zur Verbesserung der Vorsorge und Reha-
bilitation für Mütter – Drucksache 14/9035 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit (f)

Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

h)Beratung des Antrags der Abgeordneten Detlef Parr,
Dr. Dieter Thomae, Dr. Irmgard Schwaetzer, weiterer Abge-
ordneter und der Fraktion der FDP: Sucht wirksam bekämp-
fen – Prävention, Therapie und Lebenshilfe stärken – Druck-
sache 14/9049 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit (f)


10. Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD und des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs ei-
nes Jugendschutzgesetzes (JuSchG) – Drucksache 14/9013 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f)

Innenausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für Kultur und Medien
Haushaltsausschuss

11. Erste Beratung des von den Abgeordneten Uta Titze-Stecher,
Werner Lensing, Sylvia Voß, Hildebrecht Braun (Augsburg)

und weiteren Abgeordneten eingebrachten Entwurfs eines Ge-




Präsident Wolfgang Thierse
23466


(C)



(D)



(A)



(B)


setzes zur Änderung des Gesetzes zum Schutze der Jugend in
der Öffentlichkeit (Jugendschutzgesetz – JÖSchG) – Druck-
sache 14/8956 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung

12. Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Maria Böhmer,
Maria Eichhorn, Ilse Aigner, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der CDU/CSU: Jugendschutz stärken – Drucksache
14/9027 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f)

Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung
Ausschuss für Kultur und Medien

13. Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Günter Rexrodt,
Jürgen Koppelin, Dr. Werner Hoyer und der Fraktion der FDP:
Entlassung des Bundesministers der Verteidigung Rudolf
Scharping – Drucksache 14/8954 –

14. Beratung des Antrags der Abgeordneten Sabine Leutheusser-
Schnarrenberger, Ina Albowitz, Hildebrecht Braun (Augsburg),
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Die Zukunft
Europas liegt in den Händen des Konvents – Drucksache
14/9044 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union (f)

Innenausschuss
Rechtsausschuss

15. Beratung des Antrags der Abgeordneten Uwe Hiksch, Dr. Klaus
Grehn, Roland Claus und der Fraktion der PDS: Ein anderes
Europa ist möglich – Im Konvent die Weichen für eine
demokratische, solidarische und zivile Europäische Union
stellen – Drucksache 14/9046 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union (f)

Auswärtiger Ausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung

16. Beratung des Antrags der Abgeordneten Hans-Joachim Otto

(Frankfurt), Dr. Edzard Schmidt-Jortzig, Dr. Klaus Kinkel, wei-

terer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Für ein europä-
isches Zentrum gegen Vertreibungen – Drucksache 14/9068 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Kultur und Medien (f)

Innenausschuss
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss

17. Erste Beratung des von den Abgeordneten Alfred Hartenbach,
Hermann Bachmaier, Annit Brandt-Elsweier, weiteren Abge-
ordneten und der Fraktion der SPD sowie den Abgeordneten
Volker Beck (Köln), Hans-Christian Ströbele, Kerstin Müller

(Köln), Rezzo Schlauch und der Fraktion des BÜNDNIS-

SES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes

(Rechtsanwaltsvergütung-Neuordnungsgesetz – RVNeuOG)

Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft

18. Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Aus-
wärtigen Ausschusses (3. Ausschuss) zu dem Antrag der Abge-
ordneten Lothar Mark, Hans Büttner (Ingolstadt), Anke
Hartnagel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD,
der Abgeordneten Christa Nickels, Kerstin Müller (Köln),
Rezzo Schlauch und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN sowie der Abgeordneten Dr. Helmut Haussmann,
Walter Hirche, Dr. Werner Hoyer, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der FDP: Hilfe für die Opfer der Colonia
Dignidad – Drucksachen 14/7444, 14/8511 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Lothar Mark
Clemens Schwalbe
Dr. Helmut Lippelt
Walter Hirche
Wolfgang Gehrcke

19. Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Helmut
Haussmann, Ina Albowitz, Hildebrecht Braun (Augsburg), wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Umsetzung der
von Deutschland beim Millenniumgipfel übernommenen
Verpflichtungen – Drucksache 14/9055 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung (f)

Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie

20. Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Dieter Thomae,
Detlef Parr, Dr. Irmgard Schwaetzer, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der FDP: Für eine leistungsfähige und be-
zahlbare Gesundheitsversorgung – Drucksache 14/9054 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit

21. Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Aus-

(15. Ausschuss)

reuth), Hans-Michael Goldmann, Dr. Karlheinz Guttmacher,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Fairen Wett-
bewerb im Luftverkehr bewahren – Sicherheit erhöhen
– Drucksachen 14/7157, 14/9082 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Hans-Günter Bruckmann

22. Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Aus-

(15. Ausschuss)

reuth), Hans-Michael Goldmann, Dr. Karlheinz Guttmacher,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Anti-Stau-
Programm für Europas Luftverkehr – Drucksachen
14/3188, 14/9083 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Hans-Günter Bruckmann

23. – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung
des Gentechnikgesetzes – Drucksachen 14/8230, 14/8767 –

(Erste Beratung 218. Sitzung)


– Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrach-
ten Entwurfs eines ... Gesetzes zur Änderung des Gen-
technikgesetzes – Drucksache 14/5929

(Erste Beratung 218. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ge-
sundheit (14. Ausschuss) – Drucksache 14/9089 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Carola Reimann

Von der Frist für den Beginn der Beratung soll – soweit
erforderlich – abgewichen werden.

Darüber hinaus wurde vereinbart, folgende Tagesord-
nungspunkte abzusetzen: Tagesordnungspunkt 6 a bis c




Präsident Wolfgang Thierse

23467


(C)



(D)



(A)



(B)


– Arbeitsmarktpolitik –, 9 b – zweite und dritte Beratung
des Gesetzentwurfs zur Vertretung der Rechtsanwälte vor
den Oberlandesgerichten – und 12 a bis c – Vorlagen zur
historischen Mitte Berlins – sowie die jeweils vorgesehenen
zweiten und dritten Beratungen zur Sicherheitsverwahrung
– Tagesordnungspunkt 29 –, zur Regelung anonymer Ge-
burten – Tagesordnungspunkt 30 –, zum Geldwäsche-
bekämpfungsgesetz – Tagesordnungspunkt 34 – und zur
Zusammenarbeit bei der Bekämpfung der organisierten
Kriminalität mit Litauen und Slowenien, Tagesordnungs-
punkt 38 f.

Des Weiteren sollen die Tagesordnungspunkte 19
– Überstellung verurteilter Personen – und 20 – Ord-
nungswidrigkeitenverfahrensrecht – ohne Debatte über-
wiesen werden.

Außerdem mache ich auf nachträgliche Ausschuss-
überweisungen im Anhang zur Zusatzpunktliste aufmerk-
sam:

Der in der 230. Sitzung des Deutschen Bundestages
überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich
dem Ausschuss für Wirtschaft, dem Ausschuss für Ver-
braucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft und dem
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen zur
Mitberatung überwiesen werden.

Erste Beratung des von der Bundesregierung einge-
brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung
des Rechts der Vertretung durch Rechtsanwälte
vor den Oberlandesgerichten – Drucksache
14/8763 –

(Erste Beratung 230. Sitzung)

überwiesen:
Rechtsausschuss (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen

Der in der 233. Sitzung des Deutschen Bundestages
überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich
dem Innenausschuss, dem Finanzausschuss und dem Aus-
schuss für Arbeit und Sozialordnung zur Mitberatung
überwiesen werden.

Gesetzentwurf der Bundesregierung zurÄnderung
der Gewerbeordnung und sonstiger gewerbe-
rechtlicher Vorschriften – Drucksache 14/8796 –
überwiesen:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)

Innenausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung

Sind Sie mit den Vereinbarungen einverstanden? – Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 4 a bis 4 e sowie die
Zusatzpunkte 2 bis 6 auf:
4. a) Abgabe einer Erklärung durch die Bundesregierung

Politik fürWachstum, Wohlstand und Beschäf-
tigung – Zukunftssicherung durch Nachhaltig-
keit

b) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten
Ulla Burchardt, Klaus Barthel (Starnberg), Hans-
Werner Bertl, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion der SPD sowie der Abgeordneten Hans-Josef
Fell, Winfried Hermann, Dr. Reinhard Loske,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Bildungs- und Forschungspolitik für eine nach-
haltige Entwicklung
– Drucksachen 14/6022, 14/6959 –

c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulla
Burchardt, Jörg Tauss, Ulrike Mehl, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie
der Abgeordneten Hans-Josef Fell, Winfried
Hermann, Dr. Reinhard Loske, weiterer Abgeord-
neter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN
Bildungs- und Forschungspolitik für eine nach-
haltige Entwicklung
– Drucksache 14/8651 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung

d) Beratung der Unterrichtung durch die Bundes-
regierung
Bericht der Bundesregierung zur Bildung für
eine nachhaltige Entwicklung
– Drucksache 14/7971 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung (f)

Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernähung und Landwirt-
schaft
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für Kultur und Medien

e) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre-
gierung
Bericht der Bundesregierung über die Perspek-
tiven für Deutschland – Nationale Strategie für
eine nachhaltige Entwicklung
– Drucksache 14/8953 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für die Angelegenheiten der neuen Länder
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für Kultur und Medien




Präsident Wolfgang Thierse
23468


(C)



(D)



(A)



(B)


ZP 2 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Ernst
Ulrich von Weizsäcker, Ulrike Mehl, Ulla
Burchardt, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion der SPD sowie der Abgeordneten Dr.
Reinhard Loske, Winfried Hermann, Hans-Josef
Fell, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Weltgipfel für nachhaltige Entwicklung in Jo-
hannesburg 2002: Der nachhaltigen Entwick-
lung zum Durchbruch verhelfen
– Drucksache 14/9052 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f)

Auswärtiger Ausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung

ZP 3 Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulla
Burchardt, Michael Müller (Düsseldorf), Brigitte
Adler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
SPD sowie der Abgeordneten Winfried Hermann,
Dr. Reinhard Loske, Kerstin Müller (Köln), Rezzo
Schlauch und der Fraktion des BÜNDNIS-
SES 90/DIE GRÜNEN
Nachhaltige Entwicklung – neuer Gestaltungs-
ansatz für die Globalisierung
– Drucksache 14/9056 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f)

Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung

ZP 4 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Peter
Paziorek, Dr. Klaus W. Lippold (Offenbach),
Klaus-Jürgen Hedrich, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der CDU/CSU
Initiative für eine nationale Nachhaltigkeits-
strategie
– Drucksache 14/9024 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung

ZP 5 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr.
Christian Ruck, Klaus-Jürgen Hedrich, Dr. Peter

Paziorek, Kurt-Dieter Grill und der Fraktion der
CDU/CSU
Die Schöpfung bewahren, entwicklungsorien-
tiert handeln: Weltgipfel in Johannesburg muss
neue Impulse für globale nachhaltige Entwick-
lung setzen
– Drucksache 14/9025 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung (f)

Auswärtiger Ausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss

ZP 6 Beratung des Antrags der Abgeordneten Birgit
Homburger, Ulrike Flach, Marita Sehn, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Liberale Akzente einer nationalen Nachhaltig-
keitsstrategie
– Drucksache 14/9091 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die
Aussprache zwei Stunden vorgesehen. – Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung hat
der Bundeskanzler Gerhard Schröder.


(von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN mit Beifall begrüßt)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Globale Gerechtigkeit ist zu Beginn unseres 21. Jahrhun-
derts zu einer Überlebensfrage geworden. Ohne eine klare
Agenda für globale Gerechtigkeit werden wir keine glo-
bale Sicherheit erreichen, das heißt auf Dauer auch keine
Gerechtigkeit und Sicherheit im eigenen Land. Nur mit ei-
ner Strategie der Nachhaltigkeit werden wir jene Ent-
wicklungen bekommen,


(Michael Glos [CDU/CSU]: Wie in Holland!)

die wir brauchen, damit die Menschen im eigenen Land,
aber auch in Europa und darüber hinaus in Sicherheit und
Gerechtigkeit leben können.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Michael Glos [CDU/CSU]: Sagen Sie mal was zu Holland!)


Im Spätsommer dieses Jahres – zehn Jahre nach dem
Gipfeltreffen von Rio – werden wir in Johannesburg die
erzielten Fortschritte besprechen und weitere Maßnah-
men für eine nachhaltige Entwicklung in der Welt verein-
baren.




Präsident Wolfgang Thierse

23469


(C)



(D)



(A)



(B)


Eine nachhaltige Entwicklung wurde bereits in Rio
versprochen. Mit diesem strategischen Ansatz soll die
Entwicklung weltweit in wirtschaftlich erfolgreiche, öko-
logisch verträgliche und sozial gerechte Bahnen gelenkt
werden. Die Verwirklichung des Leitbildes der nachhalti-
gen Entwicklung – so haben wir es vereinbart – ist die ge-
meinsame Antwort auf die Herausforderung durch die
Globalisierung. Mehr denn je geht es heute darum, der
Globalisierung eine politische Richtung zu geben, eine
Richtung, die die Märkte ihr eben nicht geben können:
eine Richtung der ökonomischen, ökologischen und so-
zialen Nachhaltigkeit. Das ist Inhalt der Politik der Bun-
desregierung.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Es kann kein Zweifel daran bestehen – ich habe vorhin
den Zwischenruf „Holland“ gehört; man könnte auch
„Frankreich“ sagen –, dass mit der Globalisierung Ängste
verbunden sind. Diese Ängste beziehen sich darauf, dass
Bewährtes infrage gestellt wird und dass man sich in politi-
scher und sozialer Hinsicht nicht mehr gut aufgehoben fühlt.


(Michael Glos [CDU/CSU]: Weil Defizite bestehen!)


Diese Ängste können in politische Verhaltensweisen
– diese können wir jetzt sehen – umschlagen, die zu einer
Erstarkung der äußersten Rechten in Europa führen.


(Michael Glos [CDU/CSU]: Es sind nicht nur äußerste Rechte, Herr Bundeskanzler!)


– Wie wollen Sie Le Pen denn anders beschreiben? Herr
Glos, Sie waren doch gar nicht gemeint.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS – Michael Glos [CDU/ CSU]: Dieser Popanz allein hilft nicht mehr!)


Es ist nur merkwürdig, dass Sie sich angesprochen fühlen;
das wird schon Gründe haben.


(Heiterkeit und Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS – Friedrich Merz [CDU/CSU]: Da schreit aber einer laut im Walde! Holen Sie sich mal den „Stern“ von gestern! – Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Gut, dass die Sozialdemokraten in Holland nur noch halb so viele Sitze haben! – Michael Glos [CDU/CSU]: Auch das hilft Ihnen nichts, Herr Bundeskanzler!)


Dies ist eine Entwicklung, die zu einer gefährlichen
Fremdenfeindlichkeit und – auch das ist für Europa be-
drohlich – zu einer Tendenz zur Renationalisierung, die
die Integration und die daraus resultierenden Möglichkei-
ten in und für Europa infrage stellt, führt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Michael Glos [CDU/CSU]: Schröder-Ton! – Manfred Grund [CDU/CSU]: Sie sind doch Stichwortgeber!)


Ich denke, es ist Aufgabe aller Demokraten, sich dieser
Tendenz entgegenzustellen. Der strategische Ansatz dafür
kann und muss sein, den Menschen in Europa, hier und

anderswo zu erklären, dass Globalisierung mithilfe der
Politik beherrschbar ist. Darum geht es; deswegen muss
ihr eine Richtung gegeben werden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Michael Glos [CDU/CSU]: Ja, mit den richtigen Leuten! Demonstrationen gegen Bush!)


Deswegen gilt auch, dass eine unter dem Leitbild der
nachhaltigen Entwicklung gestaltete Globalisierung – wo
immer es geht, müssen wir diesen Ängsten gemeinsam
entgegentreten – eine Chance für dieses Jahrhundert ist.
Dabei ist der freie Verkehr von Waren, Gütern und Dienst-
leistungen, für den wir alle sind, für sich genommen noch
kein Wert. Die Freiheit des Marktes – nicht nur im eigenen
Land, sondern weltweit – ist eine große Errungenschaft,


(Michael Glos [CDU/CSU]: Das ist richtig!)

wenn sie mit der Freiheit der Menschen und einer ge-
meinsamen Verantwortung für die Entwicklung der einen
Welt verbunden wird.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Auf diesem Weg sind wir gewiss erst am Anfang. Hilfe
von außen können wir dabei ganz gut gebrauchen. Des-
halb begrüßt die Bundesregierung den Vorschlag des Na-
tionalen Rates für nachhaltige Entwicklung, weil er
nach dem Vorbild der Brundtland-Kommission vorsieht,
vor dem Hintergrund der Globalisierung eine Weltkom-
mission der Vereinten Nationen zur Nachhaltigkeit einzu-
setzen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich denke, solche internationalen Impulsgeber und Schritt-
macher können wir gut gebrauchen.

Erste Ansätze, einen solchen Weg zu gehen, gibt es
bereits. Sie sind auf der WTO-Ministerkonferenz in Doha
beschlossen worden. Auf dieser Konferenz ist beschlos-
sen worden, dass künftig im Zusammenhang mit den
Regeln eines freien Welthandels eben nicht nur über Welt-
handelsregeln, sondern auch – das ist in diesem interna-
tionalen Zusammenhang neu – über Umweltschutz und
grundlegende Arbeitnehmerrechte geredet wird, damit
Sozialdumping aus dieser Welt verbannt wird.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


Auch das Kioto-Protokoll, das im Interesse des welt-
weiten Klimaschutzes verbindliche Ziele, Regeln und In-
strumente festlegt, ist ein wichtiger Pfeiler einer solchen
globalen Ordnung, die soziale und ökologische Entwick-
lung ermöglicht. Darin liegt der Grund, warum wir uns so
entschieden für dieses Protokoll eingesetzt haben und
warum wir das zusammen mit unseren Partnern in der Eu-
ropäischen Union getan haben. Das muss beibehalten und
verbreitert werden. Dafür werden wir mit allen gutwilli-
gen Partnern in dieser Welt zu kämpfen haben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)





Gerhard Schröder, Bundeskanzler
23470


(C)



(D)



(A)



(B)


Globalisierung – das muss in dieser Debatte auch de-
nen, die sich Globalisierungsgegner nennen, gesagt wer-
den – ist für sich genommen weder gut noch schlecht. Sie
ist das bestimmende Merkmal unserer Weltwirtschaft und
wird es auch bleiben. Sie kann selbstverständlich zu Fehl-
entwicklungen führen. Aber wenn man das Prinzip einer
nachhaltigen Strategie verfolgt, dann liegen in ihr eben
doch mehr Chancen als Risiken.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir wissen, dass in den Ländern, die sich dem Welt-
handel vollständig geöffnet haben und ohne Einschrän-
kung am Welthandel teilnehmen können, der Wohlstand
der Bevölkerung eben nicht sinkt, sondern wächst. Wer
also pauschal gegen die Öffnung der Weltmärkte kämpft,
der hilft den Entwicklungsländern nicht, sondern verbaut
ihnen den Weg aus der Armut heraus.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP)

Allerdings hat dies auch eine Kehrseite. Die Kehrseite

ist, dass die reichen Länder – die entwickelte Welt – eine
besondere Verantwortung im Rahmen einer solchen Stra-
tegie haben. Sie bedeutet, dass sie ihre Märkte für Pro-
dukte aus den Entwicklungsländern wirklich öffnen müs-
sen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


Das ist die Forderung der Vereinten Nationen. Ich teile
diese Auffassung, weil sie die Voraussetzung dafür ist,
dass auch die ärmsten der armen Länder an dieser Strate-
gie und ihren Erfolgen teilnehmen können. Übrigens liegt
das nicht nur im Interesse dieser Länder selbst. Die Kluft
zwischen Arm und Reich in der Welt zu beseitigen, sie je-
denfalls kleiner zu machen liegt beispielsweise auch im
wohlverstandenen Interesse Deutschlands als einer Na-
tion, die nicht unwesentlich von der Möglichkeit, Güter
und Dienstleistungen zu exportieren, lebt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie der Abg. Dr. Christa Luft [PDS])


Vor diesem Hintergrund ist es also nicht nur unmora-
lisch, sondern unvernünftig, wenn es immer noch und in
wachsender Zahl entwickelte Länder gibt, die inzwischen
mehr Geld dafür aufwenden, um ihre Märkte den Ent-
wicklungsländern zu verschließen, als sie für Entwick-
lungshilfe bereitstellen. Auf Dauer nutzt das weder dem
einen noch dem anderen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Klar muss sein: Schutzzölle und Handelskriege gehören
nicht in eine Epoche, wie wir sie wollen.

Wenn wir im nationalen Maßstab über Nachhaltigkeit
reden, dann müssen wir zuallererst über die Nutzung und
den Verbrauch von Energie reden. Hier sind in der Ver-
gangenheit von vielen unvernünftige Entscheidungen ge-
troffen worden; jedenfalls haben sie sich als solche he-
rausgestellt. Dabei handelte es sich um Entscheidungen,

die wider besseres Wissen – gelegentlich unter wirt-
schaftlichem Druck – aufrechterhalten wurden. Beispiele
sind die Nutzung der Kernenergie, aber auch der beden-
kenlose Verbrauch endlicher Energieressourcen wie Öl
und Erdgas.

Meine Damen und Herren, wir haben deshalb mit der
Politik des Von-der-Hand-in-den-Mund-Lebens Schluss
gemacht


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Lachen bei der CDU/CSU – Friedrich Merz [CDU/CSU]: Ach ja?)


und wir haben im nationalen Maßstab die Wende in der
Energiepolitik geschafft.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Für uns ist eine Effizienzrevolution bei der Nutzung von
Energie und natürlichen Ressourcen der Schlüssel für nach-
haltige Entwicklung. Das gilt national wie auch weltweit.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Übrigens: Schon heute liegt Deutschland bei der Ener-
gieeffizienz an der Spitze der Industriestaaten.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Das ist nicht nur umweltpolitisch höchst vernünftig, son-
dern die Steigerung der Energieproduktivität ist auch
wirtschaftlich außerordentlich sinnvoll, weil der spar-
same und verantwortbare Umgang mit Energie Ressour-
cen freisetzt und wirtschaftliche Möglichkeiten im eige-
nen Land und darüber hinaus entwickelt, die wir sehr gut
gebrauchen können.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


In der Nachhaltigkeitsstrategie haben wir die Latte
noch höher gelegt: Bis 2020 wollen wir die Energiepro-
duktivität gegenüber 1990 verdoppeln.

Meine Damen und Herren, mir ist wichtig, dass mit die-
sem ehrgeizigen Ziel nicht nur Umweltprobleme reduziert
werden, sondern auch ein Innovationsschub ausgelöst
wird, der Arbeitsplätze schafft und vor allen Dingen eines
leistet, nämlich unsere wirtschaftlich problematische Ab-
hängigkeit von Ölimporten zu mindern und auf diese
Weise zur Ressourcenschonung beizutragen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich bin in einem sicher: In Zukunft werden Ressourcen-
und Energieeffizienz weltweit die Markenzeichen beson-
ders erfolgreicher Marktwirtschaften sein.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Unsere Strategie ist konsequent: Mit der Ökosteuer,
der massiven Förderung von Kraft-Wärme-Kopplung, der
Brennstoffzelle und vor allen Dingen durch die Vereinba-
rungen mit der deutschen Wirtschaft zum Klimaschutz




Gerhard Schröder, Bundeskanzler

23471


(C)



(D)



(A)



(B)


haben wir die Weichen gestellt, um die Energieeffizienz
langfristig zu steigern.

Den zweiten Pfeiler einer nachhaltigen Energieversor-
gung bildet der umweltverträgliche Ausbau der erneuer-
baren Energien.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Hier setzen wir mit dem Erneuerbare-Energien-Gesetz,
dem 100 000 Dächer-Programm und weiteren Förderpro-
grammen erfolgreich neue Rahmenbedingungen. Dabei
handelt es sich um wegweisende Investitionen in eine zu-
kunftsfähige und deswegen auch ökonomisch vernünftige
Energieversorgung.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


So hat sich zum Beispiel seit 1998 die Kapazität von
Windkraftanlagen verdreifacht. Mit einem Pilotprojekt im
so genannten Offshore-Bereich machen wir den Weg
frei, um weitere Potenziale in diesem Sektor zu nutzen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Friedrich Merz [CDU/CSU]: Es ist gar nichts geändert! Nichts habt ihr geklärt!)


Interessant ist dabei, was die Opposition anzubieten
hat.


(Zurufe von der SPD: Nichts!)

Es macht schon Sinn, sich in diesem Zusammenhang ein-
mal darüber zu unterhalten. Wenn ich die programmati-
schen Äußerungen dazu richtig verstanden habe – das ist
sicherlich der Fall –,


(Zuruf von der CDU/CSU: Wahrscheinlich nicht!)


dann liegt der Kern der Energiepolitik der Opposition

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Peter Dreßen [SPD]: Atomkraft!)


in der Rückkehr zur Nutzung der Kernenergie.

(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Wo haben Sie das denn her?)

– Das ist ja erklärt worden, Herr Merz. Ihr Kandidat hat
erklärt, dass er das will, und die bayerische Staatsregie-
rung klagt – wie Sie vielleicht noch wissen – gegen unser
Ausstiegsgesetz. Das muss ja einen Grund haben, denke
ich mal.


(Heiterkeit bei der SPD)

Im Mittelpunkt Ihrer energiepolitischen Strategie steht

also die Rückkehr in die Vergangenheit.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Eine Realisierung dieser Strategie würde nicht nur das
zerstören, was wir energiepolitisch vorangebracht haben,


(Zurufe von der CDU/CSU: Was denn?)


sondern auch das, was es an veränderten Rahmenbedin-
gungen für die Nutzung erneuerbarer Energieträger gibt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Zudem kann man davon ausgehen, dass das, was Sie vor-
haben, jene alten Konflikte heraufbeschwören würde, die
wir mit einer modernen Energiepolitik gerade gelöst haben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


An diesem Beispiel können Sie sehen: Nachhaltige
Entwicklung beginnt im eigenen Land. Wir werden im
August in Johannesburg umso glaubwürdiger für ein welt-
weites Aktionsprogramm eintreten können, je besser wir
unsere eigenen Hausaufgaben gemacht haben. In Rio ha-
ben sich 1992 alle Teilnehmerstaaten verpflichtet, zum
Gipfel in Johannesburg eine nationale Strategie für eine
nachhaltige Entwicklung vorzulegen. Im April haben wir
unsere nationale Strategie für eine nachhaltige Entwick-
lung beschlossen. Ganz bewusst steht sie unter dem Motto:
Perspektiven für Deutschland. Es geht uns darum, wie wir
den durch die Globalisierung ausgelösten Strukturwandel
wirtschaftlich erfolgreich, das heißt auch immer umwelt-
verträglich, gestalten können. Aber der Begriff der Nach-
haltigkeit darf nicht zu sehr eingeengt werden. Er darf nicht
alleine auf die Fragen der Ökologie bezogen werden. Er
ist kein Begriff, der sich auf diese Fragen reduzieren ließe.

Um Nachhaltigkeit geht es auch bei der Frage der
Haushaltspolitik,


(Dr. Peter Struck [SPD]: Sehr wahr!)

etwa bei der Frage der Konsolidierung der Haushalte.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Mir liegt daran, klar zu machen, dass der Begriff der
Nachhaltigkeit auch eine Rolle gespielt hat, als wir da-
rangegangen sind, die gewaltige Verschuldung, die wir
1998 übernommen haben, abzubauen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Denn Nachhaltigkeit heißt eben auch, unseren Kindern
und Enkelkindern die materiellen Möglichkeiten für Poli-
tik zu lassen und zu bewahren, die sie schlicht brauchen,
wenn sie ein selbstbestimmtes Leben führen wollen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Michael Glos [CDU/CSU]: Die habt ihr mit der Telekom-Aktie abgezockt!)


Nachhaltigkeit heißt übrigens auch, in unserer Gesell-
schaft dem Staat die Handlungsmöglichkeiten zu lassen,
die er braucht, um Erneuerung in sozialer Gerechtigkeit
durchführen zu können. Wer den Staat seiner Möglichkei-
ten entkleidet, der sorgt nicht dafür, dass eine Politik der
Nachhaltigkeit betrieben werden kann, sondern macht das
Gegenteil.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Vor diesem Hintergrund ist es sinnvoll, sich einmal mit
den programmatischen Äußerungen, die die Opposition




Gerhard Schröder, Bundeskanzler
23472


(C)



(D)



(A)



(B)


gegenwärtig zu dieser Frage macht, auseinander zu set-
zen.


(Dr. Peter Struck [SPD]: Nichts! Die wollen nur Schulden machen!)


Es geht darum, sich vor dem Hintergrund des Erhalts der
Handlungsfähigkeit des Staates, auf den viele Menschen
angewiesen sind – nur sehr reiche Menschen können sich
einen armen Staat leisten –,


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


einmal mit dem auseinander zu setzen, was Sie vor-
schlagen. Sie stellen eine Reihe von Forderungen, die,
wenn man sie realisierte, dazu führen würden, dass Sie
76 Milliarden Euro jährlich mehr in der Kasse haben
müssten.


(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Woher haben Sie denn diese Zahl? – Michael Glos [CDU/CSU]: Das glauben Sie doch nicht einmal selber!)


Dieses Geld werden Sie nicht haben und Sie wissen auch
ganz genau, dass Sie es nicht bekommen werden. Also
wäre der Ausweg nur


(Dr. Peter Struck [SPD]: Schulden!)

eine radikale Kürzung sozialer Leistungen oder der Ein-
stieg in eine weitere Verschuldung. Beides ist schlecht für
unser Land; das muss man wissen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Parallel dazu fordern Sie einen Abbau der Staatsquote
auf unter 40 Prozent.


(Dr. Peter Struck [SPD]: Lächerlich!)

Dies hätte zur Folge, dass Sie dem Staat auf den drei Ebe-
nen Bund, Länder und Kommunen jährlich 170 Milliar-
den Euro entzögen.

Meine Damen und Herren, wir werden in den nächsten
Wochen und Monaten klar machen, was dies bedeutet
– das hat mit dem Thema Nachhaltigkeit sehr viel zu tun –:
keine Investitionen mehr in Bildung und Wissenschaft,


(Lachen bei der CDU/CSU)

keine Investitionen, jedenfalls keine zureichenden Inves-
titionen mehr in den Erhalt und die Entwicklung der In-
frastruktur, keine Investitionen für den Aufbau Ost, wie
wir es vorgesehen haben.


(Widerspruch bei der CDU/CSU)

Das wäre das Ergebnis einer Strategie, wie Sie sie verfol-
gen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Mir liegt daran, meine Damen und Herren, dass hier
deutlich wird, dass die Auseinandersetzung in unserem
Land auch um die Frage geführt wird, ob wir es uns leis-
ten wollen und können, den Staat handlungsunfähig zu
machen und ihn seiner Möglichkeiten zu berauben, in den
genannten Bereichen zukunftsweisend zu investieren.

Dies ist eine der großen Fragen, die die Auseinanderset-
zung in den nächsten Monaten bestimmen wird.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Mit der Steuerpolitik, die wir eingeleitet haben und die
im Gesetzblatt steht, haben wir eine sinnvolle Balance
zwischen dem Erhalt der Leistungsfähigkeit des Staates
auf allen Ebenen und den Möglichkeiten der Einzelnen ge-
schaffen. In den nächsten Monaten wird es ganz entschei-
dend darum gehen, diese Balance im Interesse der wirt-
schaftlichen Entwicklung Deutschlands zu erhalten.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Friedrich Merz [CDU/CSU]: Misslungener Auftritt!)


Ich sagte, nachhaltige Entwicklung dürfe nicht allein
auf die Frage der Ökologie beschränkt werden, sondern
müsse politische Strategie in allen Bereichen sein. Des-
wegen beschreibt Nachhaltigkeit auch das Verständnis der
Bundesregierung davon, wie wir unser Land erneuern.
Unsere Maßstäbe für eine nachhaltige Entwicklung sind
über das hinaus, was ich gekennzeichnet habe, eindeutig:

Erstens. Wir haben das Verhältnis zwischen den Gene-
rationen auf ein sicheres Fundament gestellt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Lachen bei der CDU/CSU – Friedrich Merz [CDU/CSU]: Wenn Sie das selber glauben, ist es gefährlich für unser Land!)


Dies ist deshalb wichtig, weil nur durch die Reform der
Alterssicherung, die wir durchgeführt haben, die Renten
für die älteren Menschen auskömmlich und für die jünge-
ren Menschen bezahlbar bleiben. Das ist der Kern unserer
Reform.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Zweitens. Die Sicherung und Verbesserung der Le-
bensqualität ist eine weitere Leitlinie. Dafür sind intakte
Natur und gesunde Umwelt unerlässliche Voraussetzun-
gen. Aber Lebensqualität, wie wir sie verstehen, umfasst
weit mehr: Befriedigende Arbeit, Gesundheit und ange-
messener und bezahlbarer Wohnraum gehören ebenfalls
dazu. Darüber hinaus geht es um die Entfaltung der per-
sönlichen Lebenschancen für alle.

Auch in diesem Falle möchte ich die Auseinanderset-
zung, um die es gehen wird, ganz kurz kennzeichnen:
Wenn ich von Lebensqualität und davon rede, dass sie
eine Chance für alle darstellen müsse, dann meine ich ins-
besondere die Beschäftigten in den Betrieben und Ver-
waltungen, die eigene Rechte brauchen und denen diese
Rechte bewahrt werden müssen.

Vor diesem Hintergrund ist es nun sehr interessant, die
Entwicklung der politischen Debatte in Deutschland zu
beobachten. Wir haben – das ist wahr – trotz mancher har-
ter Auseinandersetzung die Rechte der Beschäftigten
gestärkt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)





Gerhard Schröder, Bundeskanzler

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(C)



(D)



(A)



(B)


Wir haben die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall wieder
hergestellt, wir haben den Kündigungsschutz wieder her-
gestellt und wir sind diejenigen, bei denen die Möglich-
keiten, die die organisierten Arbeitnehmerinnen und Ar-
beitnehmer durch den Flächentarif haben, in wirklich
guten Händen sind.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


In diesem Zusammenhang habe ich viel davon gehört,
dass das Bündnis für Arbeit und das, was es für den Zu-
sammenhalt unserer Gesellschaft bedeutet, gescheitert
sei. Ich will nur so viel sagen, meine Damen und Herren:
Das Ende des Tarifkonfliktes in der Metallindustrie in
Baden-Württemberg – ich gehe davon aus, dass damit der
Konflikt insgesamt erledigt ist – zeigt zumindest eines:
Wer bewährte Konsensregelungen, wer das freie Spiel
zwischen Gewerkschaften und Arbeitgebern dadurch
außer Kraft setzt, dass er der einen Seite die Rechte
nimmt, der spielt mit dem Feuer.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


Genau das ist der Grund, warum es eine politische Aus-
einandersetzung über Forderungen geben wird, die Sie
formuliert haben und die einschneidende Verschlechte-
rungen der Rechte der organisierten Arbeitnehmerschaft
bedeuten würden. Wir sind der festen Überzeugung, dass
eine Gesellschaft, die auf Teilhabe gegründet ist und die
den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern ihre Rechte
lässt, die beste Form ist, um wirtschaftlichen Wohlstand
zu erhalten und auszubauen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Drittens. In diesen Kontext gehört dann auch die Frage,
wie wir eigentlich unter diesem Gesichtspunkt mit der
Gleichheit derGeschlechter in unserer Gesellschaft um-
gehen. Auch hierzu wird es eine interessante Debatte über
die unterschiedlichen programmatischen Ansätze geben.

Ich habe zur Kenntnis genommen, dass die Opposition
erklärt, sie wolle in Zukunft den Familien ein Familien-
geld von monatlich 600 Euro zur Verfügung stellen.


(Jörg Tauss [SPD]: Unseriös!)

Sie sagen nicht, wie Sie das bezahlen wollen, ohne neue
Schulden zu machen; ich will das im Moment einmal
außer Acht lassen.


(Angelika Volquartz [CDU/CSU]: Das ist auch besser!)


Der entscheidende Punkt ist ein anderer. Mit dieser
Hilfe, die Sie gewähren, wollen Sie erreichen, dass gut
ausgebildete junge Frauen zu Hause bleiben


(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Jetzt kommt diese Leier!)


und ihren Beruf nicht ausüben.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Widerspruch und Lachen bei der CDU/CSU)


Sie geben – ich will das gar nicht kleinreden – also einen
Bonus, damit Frauen Familienarbeit machen können.


(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Das sieht die Frau von Oskar Lafontaine aber ganz anders!)


Meine Damen und Herren, unsere Strategie ist eine
andere. Wir haben klar gerechnet und meinen, dass wir
– ohne dass wir zuständig wären – in den nächsten
vier Jahren jährlich 1 Milliarde Euro in Betreuung inves-
tieren wollen, weil nur eine zureichende Betreuung wirk-
liche Wahlfreiheit ermöglicht.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Mit Ihrer Strategie verschaffen Sie den Frauen im Land
keine Wahlfreiheit; Sie verschaffen Ihnen nicht die Mög-
lichkeit, zu entscheiden, ob sie Familienarbeit leisten oder
beruflich tätig sein wollen. Sie schaffen auch nicht die
Möglichkeit, beides miteinander zu vereinbaren. Das geht
nur, wenn man massiv in Betreuung investiert. Das wer-
den wir tun.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Zuruf von der CDU/CSU)


Viertens. Ich komme auf unsere internationale Ver-
antwortung zu sprechen. Über die Frage, was das heißt,
besteht in diesem Hohen Hause im Kern der geringste
Streit. Aber mir kommt es darauf an, dass klar wird,
warum wir internationale Verantwortung in gestiegener
Form wahrnehmen und warum wir es mit diesen Mitteln
und Möglichkeiten tun.

Ich habe gestern in den Agenturmeldungen gelesen,
dass ich einen Brief von Intellektuellen erhalten soll, in
dem sie mir aufschreiben wollen, dass wir unser mi-
litärisches Engagement auf dem Balkan oder auch in
Afghanistan beenden sollen.


(Zuruf von der SPD: Die sollen da mal hingehen!)


Das ist eine Frage, die, wie ich finde, einer Antwort be-
darf.

Gestiegene internationale Verantwortung hat etwas mit
veränderten Bedingungen zu tun, unter denen diese Ver-
antwortung realisiert wird. Wir haben in diesem Hohen
Hause eine große Debatte über den Begriff von Sicher-
heit, der künftig die Basis unserer internationalen Akti-
vitäten sein soll, geführt. Es ist allen im Hohen Hause klar,
denke ich, dass der Sicherheitsbegriff, den wir für rich-
tig halten, nicht auf die Herstellung von Sicherheit über
militärische Möglichkeiten beschränkt werden darf.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Mir liegt daran, dass klar wird, dass ein umfassender Be-
griff von Sicherheit das ganze Arsenal der politischen, der
diplomatischen, aber auch der Möglichkeiten der Ent-
wicklungszusammenarbeit umfassen muss. Auf der ande-
ren Seite – das gilt es im Bewusstsein dieser Gesellschaft
zu verankern – darf es in Zukunft keine Tabuisierung der
militärischen Maßnahmen mehr geben.




Gerhard Schröder, Bundeskanzler
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(C)



(D)



(A)



(B)


Wenn man sich das nicht nur theoretisch klar machen
will, dann bedarf es nur eines Besuchs auf dem Balkan
oder zum Beispiel – dazu hatte ich gerade Gelegenheit –
in Afghanistan.Wer nach Kabul kommt, kommt in eine
Stadt, die fast vollständig zerstört ist, in der Menschen
noch vor kurzer Zeit ohne Hoffnung gelebt haben, in der
eine internationale Schutztruppe nach der Ausübung mi-
litärischer Gewalt jetzt aber auch die Basis für neue Hoff-
nung für dieses Land schafft.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Mit wem immer Sie dort reden – Sie können förmlich
spüren, dass dieses Land wieder in Hoffnungslosigkeit
versinken würde, wenn man denen, die anempfehlen, die
Schutztruppe abzuziehen, wirklich folgte. Diese inter-
nationale Schutztruppe, legitimiert durch die Vereinten
Nationen, ist das Einzige, was auf absehbare Zeit Sicher-
heit für die Bevölkerung gewährleisten kann und was des-
wegen die Basis für neue Hoffnung der Menschen dort
darstellt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Mir liegt daran, dass in Deutschland, insbesondere de-
nen, die gegenüber militärischen Maßnahmen skeptisch
sind, klar wird, dass in all diesen Konfliktregionen mi-
litärische Maßnahmen nie die einzige Möglichkeit sein
dürfen, dass sie aber heute und auf absehbare Zeit ge-
braucht werden, wenn man überhaupt wieder Perspek-
tiven für diese Länder entwickeln will.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich hoffe, meine sehr verehrten Damen und Herren,
dass deutlich geworden ist, mit welcher Vorstellung und
mit welchen nationalen Leistungen wir nach Johannesburg
gehen werden. Wenn es so ist, dass mehr als zwei Drittel
der Klimaschutzanstrengungen in Europa auf Deutschland
entfallen – es ist so –, und wenn es so ist, dass die An-
strengungen in diesem Bereich ganz erheblich über die
Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft entscheiden – es
ist so –, dann ist es auch so, dass diese Regierung auf die-
sem Feld und auf anderen Feldern in den letzten dreiein-
halb Jahren Leistungen vollbracht hat, die sich wirklich
sehen lassen können.


(Anhaltender Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1423600100
Ich erteile das Wort
der Kollegin Angela Merkel, CDU/CSU-Fraktion.

Dr. Angela Merkel (CDU/CSU) (von der CDU/CSU
mit Beifall begrüßt): Herr Präsident! Meine Damen und
Herren! Ende der 80er-Jahre waren die Menschen auf allen
Kontinenten über Naturkatastrophen, Waldbrände, Hitze,
die Dürre in den Vereinigten Staaten von Amerika, Ver-
schmutzungen des Wassers und Artensterben beunruhigt.
Man konnte spüren, dass sich unser Leben veränderte.

Man konnte die Veränderung auch daran spüren, dass
plötzlich die großen Rückversicherer dieser Welt Natur-

katastrophen als ein Element ihrer Versicherungspolitik
materialisiert haben. Die politische Antwort – sie war rich-
tig und vernünftig – war die große Konferenz fürUmwelt
und Entwicklung in Rio de Janeiro. Damals hat
Deutschland unter Leitung des Bundeskanzlers Helmut
Kohl mit Umweltminister Klaus Töpfer und Hans-Peter
Repnik aus dem Entwicklungshilfeministerium eine ganz
wesentliche Rolle zum Gelingen dieses Prozesses beige-
tragen. Dafür noch einmal herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich glaube – wir sind uns darüber einig –, dass der Pro-

zess von Rio bis Johannesburg unumkehrbar ist. Alle, die
sich für die Lösung von Umweltproblemen einsetzen und
die sich für die Entwicklungshilfe engagieren, können sa-
gen, dass sie die notwendigen politischen und gestalte-
rischen Antworten auf die Herausforderungen der Globa-
lisierung mit der Konferenz in Rio zum ersten Mal in dem
gesamten Umfang erkannt haben. Das war ein Meilen-
stein der Weltzusammenarbeit. Unseren Anteil daran las-
sen wir uns nicht wegnehmen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Ulla Burchardt [SPD]: Leider haben Sie danach nichts getan!)


Es ist schade, Herr Bundeskanzler, dass Sie über das
eigentlich Bedeutende nicht gesprochen haben, nämlich
dass in Bezug auf die Nachhaltigkeit Ökologie, Ökono-
mie und Soziales nicht mehr gegeneinander standen.


(Widerspruch bei der SPD – Dr. Peter Struck [SPD]: Darüber hat er doch eine halbe Stunde geredet!)


Es wurde der Wunsch geäußert, weltweit Strategien zu su-
chen, mit denen nicht der eine Bereich gegen den anderen
ausgespielt wurde, sondern mit denen gemeinschaftlich
vorgegangen werden konnte.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nicht richtig zugehört! – Zuruf von der SPD: Zum Ohrenarzt!)


Wir alle haben das Problem, dass der sperrige Begriff
der Nachhaltigkeit nur sehr schwer bei den Menschen an-
kommt. Ich habe erlebt, dass auf der Berliner Klimakon-
ferenz der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl vor Ver-
tretern von 130 Ländern von der Nachhaltigkeit als der
gemeinsamen Verantwortung für unsere Mutter Erde ge-
sprochen hat.


(Zuruf von der SPD: Sprechen reicht nicht!)

Ich habe damals erlebt, dass dies die Menschen und Poli-
tiker aus Afrika, Asien, Lateinamerika und Europa gerührt
hat. Wir brauchen diese Rührung, um uns unserer Ge-
samtverantwortung für die Welt bewusst zu werden.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Weil man bei dieser Debatte über Artenschutz, Klima-
schutz, Nachhaltigkeit und internationale Institutionen ei-
nen langen Atem braucht, weil man dicke Bretter bohren
muss und weil wir diesen Prozess in vielen Fragen ge-
meinschaftlich in diesem Hause gestaltet haben, möchte




Gerhard Schröder, Bundeskanzler

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(B)


ich einmal all den Ehrenamtlichen in Umweltorganisatio-
nen und in Entwicklungshilfeorganisationen, die die Poli-
tiker in diesem internationalen Prozess begleiten, danken
und möchte ihnen sagen: Das sollte auch weiterhin so
sein; das war eine tatkräftige Unterstützung in die richtige
Richtung.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Nun ist es doch überhaupt keine Frage, dasss Globali-
sierung, wenn wir sie richtig gestalten, mehr Chancen als
Risiken für uns bringt. Es ist doch überhaupt keine Frage,
dass die Alternative zur Globalisierung Isolation wäre. Das
will niemand, das können wir nicht, das wollen wir nicht.

Aber, Herr Bundeskanzler, Sie haben zu Recht von den
Ängsten der Menschen gesprochen, weil sie spüren, dass
sich etwas verändert, und weil sie wissen wollen, wie die
Politik diese Veränderungen begleitet. Natürlich kommt
es auf die persönlichen Erfahrungen der Menschen mit
dieser Globalisierung an. Es kommt auf die Frage an: Wie
antworten wir darauf, dass weltweit die Dinge vernetzt
sind, dass sie viel transparenter sind, dass wir nicht mehr
allein national agieren können? Dazu sagen wir: Wir müs-
sen wieder ganz konsequent bei den Grundgedanken der
sozialen Marktwirtschaft anknüpfen, weil sie die gute
deutsche Antwort auf die Bewältigung der Widersprüche
zwischen Kapital und Arbeit war und weil sie auch die
Antwort auf die Widersprüche zwischen den internatio-
nalen Kapitalströmen und den sozialen und ökologischen
Bedürfnissen sein wird. Deshalb ist unser Ziel: soziale
Marktwirtschaft auf allen Ebenen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Dazu wird natürlich die Integrationskraft insbesondere

der großen Parteien benötigt. Aber ich möchte Sie wirklich
warnen, jetzt unentwegt mit den plattesten Erklärungsmus-
tern für Parteientwicklungen in unseren Nachbarstaaten
anzukommen. Schauen Sie sich doch selber an, was mit
Ihrer Sozialdemokratie in den neuen Bundesländern pas-
siert ist. Sie sind bereits in drei Ländern drittstärkste Kraft
geworden, weil Sie es nicht geschafft haben, dort die
große Integrationsleistung zu bringen, die eigentlich er-
wartet wurde.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Wenn wir Nachhaltigkeit in unserem Land richtig ma-
chen wollen, dann müssen wir eben fähig sein zum neuen
Denken.


(Lachen des Abg. Hubertus Heil [SPD])

Dann müssen wir uns von alten ideologischen Vorhaben,
die wir schon seit Jahrzehnten mit uns herumtragen, ver-
abschieden.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Dann müssen wir nach effizienten Wegen suchen und
schauen, wie wir unsere Ressourcen vernünftig einsetzen.


(Ulla Burchardt [SPD]: Dann machen Sie das doch mal! – Hubertus Heil [SPD]: Sie sind in der falschen Partei, wenn Sie das erzählen!)


Wenn ich mir zum Beispiel die gesamte Diskussion über
die Verpackungsverordnung angucke und nun lese, es
werde erwogen, dass Milchkartons auch noch bepfandet
werden sollen, kann ich nur sagen: Wir vergeuden hier
Ressourcen und setzen sie nicht richtig ein für das, was
wirklich wichtig ist auf dieser Welt.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Ulla Burchardt [SPD]: Das ist doch Käse! Sie sind doch wirklich hinter der Zeit, Frau Merkel!)


Ich erinnere mich an die Zeiten, als wir uns in diesem
Hause eigentlich sehr einig darüber waren, dass wir bis
zum Jahr 2005 eine CO2-Minderung von 25 Prozent er-reichen wollten. Herr Bundeskanzler, ich finde es schon
interessant, dass Sie dazu kein einziges Wort gesagt haben.
Wahrscheinlich haben Sie sich von der Vorstellung verab-
schiedet, dass Sie 2005 noch an der Regierung sein wer-
den. Vor diesem Hintergrund ist die Sache verständlich.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Aber ansonsten ist es doch schon erstaunlich, dass Sie bei
15,4 Prozent CO2-Minderung im Jahre 2001 zu der Frage,wie Sie auf 25 Prozent CO2-Minderung im Jahre 2005kommen wollen, in dieser Debatte keine einzige Aussage
gemacht haben.

Was hat denn eigentlich die CO2-Minderung gebracht?Sie ist zum Teil durch die Verhältnisse der deutschen Ein-
heit erbracht worden. Wir sind uns darüber einig: Dafür
kann keiner von uns etwas. Dann stellt sich aber die
Frage: Welches Instrument war eigentlich effizient in Be-
zug auf die CO2-Minderung? Effizient waren die Selbst-verpflichtungen der deutschen Wirtschaft, weil die In-
dustrie den wesentlichen Beitrag zur CO2-Reduktion inDeutschland geleistet hat. Dieses Instrument wurde von
uns eingeführt, von Ihnen erst bekämpft und dann klamm-
heimlich auch akzeptiert, weil Sie gar keine andere Ant-
wort haben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Wir wissen genau: Der zweite effiziente Weg, um die-

ses Ziel zu erreichen, sind massive Investitionen in die
Wärmedämmung.Das ist gleichzeitig noch eine gute Tat
für die Bauwirtschaft.


(Ulla Burchardt [SPD]: Dann beklatschen Sie doch mal unsere Maßnahmen!)


Auch diesen Weg sind Sie nicht in ausreichender Weise
gegangen, sondern Sie haben Geld für ganz andere Vor-
haben gegeben.


(Widerspruch bei der SPD – Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer hat es denn gestrichen?)


– Dass Sie den Weg nicht ausreichend gegangen sind,
sehen wir doch nun an den Fortschritten. 15,4 Prozent
CO2-Minderung sind weit entfernt von 25 Prozent. Des-halb muss man da mehr tun.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Weil Herr Trittin – ich will jetzt gar nicht lange über
Kernenergie sprechen – und Herr Müller über die Aus-




Dr. Angela Merkel
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wirkungen des Ausstiegs aus der Kernenergie zutiefst zer-
stritten sind, haben Sie von Ihrem Ziel, bis 2020 den Um-
fang des CO2-Ausstoßes um 40 Prozent zu reduzieren,klammheimlich Abstand genommen. In den von Herrn
Müller vorgelegten Berichten steht richtigerweise, dass
die durch den Ausstieg aus der Kernenergie erforderliche
Kompensation in Bezug auf die CO2-Minderung Investi-tionen in Höhe von 250 Milliarden DM bedeutet. Da Sie
die Mittel dafür nicht haben, haben Sie dieses Ziel aufge-
geben. Das ist die Wahrheit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Ein angemessener Umgang mit den Ängsten der Men-

schen heißt, ihnen die Erfahrung zu vermitteln, dass Glo-
balisierung sie nicht ruiniert. Wenn Sie mit Nachhaltigkeit
international umgehen wollen, dann müssen Sie lernen, die
Entscheidung auf der richtigen Ebene zu treffen. Be-
stimmte Entscheidungen, zum Beispiel in der Landwirt-
schaftspolitik,müssen heute in Europa getroffen werden.
Wenn man auf europäischer Ebene die Käfighennenhal-
tung bis zum Jahre 2011 unterbinden will – ich unterstütze
das –, dann ist es falsch, dafür in Deutschland schon bis
2006 sorgen zu wollen; denn dadurch – darüber wundern
Sie sich – verlassen viele Betriebe unser Land und die
Menschen, die auf diesem Gebiet tätig waren, haben keine
Arbeit mehr. Das ist die Wahrheit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Herr Bundeskanzler, in Ihrem Heimatland Niedersach-

sen gibt es 68 Betriebe mit Legehennenhaltung. Von die-
sen 68 Betrieben haben sich nach einer Umfrage 62 schon
heute entschlossen, ins Ausland zu gehen. Der weiteste
Weg führt bis nach Russland; ein nicht ganz so weiter Weg
führt bis nach Tschechien. Solche Erfahrungen machen
die Menschen mit Ihrer Art von Politik. Vor dem Hinter-
grund dieser Erfahrung sagen sie: Globalisierung ruiniert
mein Leben! – Das muss nicht so sein; aber Sie sind dafür
verantwortlich, dass es bisher so ist.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Wir sind uns einig, dass die größten Aufgaben in einem

dicht besiedelten Land wie der Bundesrepublik Deutsch-
land im Bereich der Fläche liegen. Sie haben hinsichtlich
der Reduktion des Flächenverbrauchs ein unglaublich
ehrgeiziges Ziel aufgestellt. Das ist unser größtes Pro-
blem. Auch wir haben nicht auf alle damit verbundenen
Fragen Antworten. Heutzutage liegt der Flächenverbrauch
pro Tag bei rund 130 Hektar. Sie sprechen von einem
Flächenverbrauch von 30 Hektar pro Tag. Ich vermisse
jede Forschungsstrategie, jede Anstrengung, durch die an-
gedeutet wird, wie Sie eine Verringerung des Flächenver-
brauchs erreichen wollen. Von einer vernünftigen Zusam-
menarbeit mit den Kommunen kann gar keine Rede sein.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Widerspruch bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Frau Künast hat es in ihrer kurzen Amtszeit geschafft
– das ist bemerkenswert –, den ökologischen Landbau
gegen den konventionellen Landbau auszuspielen.


(Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das machen Sie doch ständig!)


Dafür haben Sie, Herr Bundeskanzler, den Grundstein ge-
legt. Sie reden nur noch vom Ausbau der ökologischen
Landwirtschaft. Die 97 Prozent der Betriebe, die konven-
tionell arbeiten, kommen in den Reden der Frau Land-
wirtschaftsministerin überhaupt nicht vor. Sie fühlen sich
dadurch benachteiligt, obwohl sie einen riesigen Beitrag
zur Nachhaltigkeit geleistet haben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hand in Hand mit dem Bauernverband! Herr Sonnleitner! Das ist die schwarze Front!)


– Herr Schlauch, Herr von dem Bussche ist aus dem
Nachhaltigkeitsrat der Bundesregierung ausgetreten, weil
er es dort nicht mehr ausgehalten hat, nachdem von höhe-
rer Ebene alles doktriniert wurde. Er hat gesagt: Gegen die
Menschen, insbesondere gegen die Bauern, in Deutsch-
land sollte man keine Politik machen.


(Kerstin Müller [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gegen Menschen und Bauern! Sind es zwei verschiedene?)


Der eigentliche Punkt ist: Man wird Nachhaltigkeit in
diesem Lande nicht gegen die Menschen, sondern nur mit
ihnen durchsetzen können. Schon heute werden 5 Milli-
onen Hektar im Rahmen des Vertragsnaturschutzes be-
wirtschaftet. Geben Sie doch dem Vertragsnaturschutz
wieder den Vorrang, damit die Menschen selbst Initiativen
ergreifen können!


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Was bedeutet Nachhaltigkeit? Herr Bundeskanzler, ich

glaube, wir sind uns einig: Nachhaltigkeit bedeutet vor al-
lem Investitionen in die Zukunft. Wenn man sich den
Bundeshaushalt und insbesondere die Investitionsquote
anschaut,


(Jörg Tauss [SPD]: Schauen Sie sich mal Ihren an!)


dann stellt man unschwer fest – darüber kann man aus ma-
thematischen Gründen gar nicht verschiedener Meinung
sein –, dass die Investitionsquote in den letzten vier Jah-
ren, also in Ihrer Amtszeit, von über 12 Prozent auf
10 Prozent gesunken ist. Das ist die Wahrheit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Hubertus Heil [SPD]: Du sollst nicht falsch Zeugnis reden!)


Nun muss man sich ja doch wundern. Wenn man Ihre
Koalitionsvereinbarung aus dem Jahre 1998 zur Hand
nimmt, dann liest man das ehrenwerte Ziel, dass Sie die
Lohnnebenkosten unter 40 Prozent bringen wollten. Das
haben wir unterstützt; das fanden wir richtig. Jetzt fangen
Sie an, uns vorzuwerfen, dass wir dieses Ziel von Ihnen
übernommen hätten. Wir glauben, wir haben die Mittel
und Methoden, um es zu erreichen. Das können Sie mit
uns nun wirklich nicht machen, Herr Bundeskanzler.
Schauen Sie einmal in Ihre eigene Koalitionsvereinba-
rung und sehen Sie, was Sie geschafft haben und was
nicht.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)





Dr. Angela Merkel

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(D)



(A)



(B)


Dann haben Sie die Weisheit besessen, dem Herrn
Bundeswirtschaftsminister die Kompetenz für den Jah-
reswirtschaftsbericht zu nehmen.


(Hubertus Heil [SPD]: Kennen Sie den Unterschied zwischen Staatsquote und Lohnnebenkosten?)


Der Bundeswirtschaftsminister hat sich zu wehren ge-
wusst und gibt nun parallel einen Wirtschaftsbericht heraus.
Dieser ist mindestens so lesenswert wie der Jahreswirt-
schaftsbericht, weil er noch größere Teile von Wahrheit
enthält, da der Bundeswirtschaftsminister ihn nicht ganz
so scharf mit den anderen Ressorts abstimmen muss, weil
er ihn ja aus eigener Initiative erstellt.


(Michael Glos [CDU/CSU]: Sehr gut!)

Das ist in diesem Sinne also eigentlich gar nicht schlecht.

Da wiederum liest man, dass auch der Wirtschaftsmi-
nister der Meinung ist, dass die Staatsquote selbstver-
ständlich bei 40 Prozent liegen sollte.


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Hört! Hört!)

Deshalb kann ich nur sagen: Sie können nicht Ihre eige-
nen Leute kritisieren und uns das in die Schuhe schieben.
Wir finden das Ziel richtig. Wir finden, dass er das gut ge-
sagt hat; aber er kann das leider nicht umsetzen, weil er
keine Macht hat. Deshalb werden wir das mit Lothar
Späth anders machen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Jörg Tauss [SPD]: Da ist die FDP aber erstaunt! Sie ist ganz zusammengezuckt!)


Dass Sie die Ausgaben für Forschung und Entwick-
lung in dieser Legislaturperiode verdoppeln wollten, ha-
ben wir uns doch nicht ausgedacht, sondern Sie haben es
auf Ihren Garantiekarten deutschlandweit verteilt. Jetzt
schalten Sie Anzeigen in den großen deutschen Zeitun-
gen – ob das vier Monate vor der Wahl alles in Ordnung
ist, sei einmal dahingestellt –, dass Sie bei 15,5 Prozent
Steigerung angekommen sind. Das ist ein Fünftel dessen,
was Sie den Deutschen versprochen haben. So entsteht
Verdruss an der Politik und nicht Glaube an die Gestal-
tungskraft.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Ulla Burchardt [SPD]: Ihr habt doch die Ausgaben für Bildung und Forschung laufend gekürzt! Ihr solltet doch ganz ruhig sein! Ihr müsstet schamrot sein!)


Dann, Herr Bundeskanzler, stand in Ihrem Redetext
– ich glaube, Sie haben es gar nicht mehr gesagt –, das
Wichtigste bei Nachhaltigkeit sei: global denken und
lokal handeln.


(Jörg Tauss [SPD]: Beides muss man können!)

Wenn wir einmal zum lokalen Handeln kommen, dann
kann ich Ihnen nur sagen: Dies war die Legislaturperiode
des größten Verdrusses für alle kommunalen Handlungs-
träger. So etwas hat die Republik noch nicht erlebt.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Die Kommunen sind zugunsten des Bundeshaushaltes
gemolken worden.


(Lachen bei der SPD – Dr. Peter Struck [SPD]: Das ist ja unglaublich! – Ulla Burchardt [SPD]: Sie treiben sie in den Ruin!)


Sie sind in die Situation einer Verschuldung, einer be-
klemmenden Finanzsituation gekommen.


(Widerspruch bei der SPD)

– Auch Sie alle haben doch Wahlkreise. Sprechen Sie
doch einmal mit Ihren Oberbürgermeistern und Landrä-
ten, so Sie welche haben! Die werden Ihnen sagen, was
Sache ist.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP– Zuruf von der SPD: Sie wissen, dass Sie Falsches erzählen! Ohne rot zu werden!)


Wo kommt denn die Sache mit dem blauen Brief her?
Sie kommt doch daher, dass das Staatsdefizit auf 2,6, 2,7,
2,8 oder 2,9 Prozent ansteigen wird. Da Sie ja einen so toll
sanierten Bundeshaushalt haben, kann das doch nur von
den Ländern und Kommunen kommen. Genau dort haben
Sie Ihre Schulden hingeschoben.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zuruf von der SPD: Ihre Schulden! – Rainer Brinkmann [Detmold] [SPD]: Unverschämt! Frechheit!)


Schauen Sie sich doch einmal die Steuerreform an:
23,7 Milliarden Mindereinnahmen an gewerblichen Steu-
ern im vergangenen Jahr auf der kommunalen Ebene! Das
ist die bittere Wahrheit für die deutschen Kommunen und
das muss man immer wieder deutlich sagen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP– Zuruf von der SPD: Das ist Ihre Lüge!)


Herr Bundeskanzler, ob es nun wirklich eine soziale
und gerechte Politik ist, wenn nach der Steuerreform von
Herrn Eichel der Verkauf von Reemtsma für 7 Milliar-
den Euro an Imperial Tobacco in Großbritannien, welt-
weit einzigartig, für die Hansestadt Hamburg ohne Ein-
nahmen von Steuern vonstatten geht, frage ich mich ganz
besorgt.


(Jörg Tauss [SPD]: Boehringer! 20 Milliarden zu Ihrer Zeit!)


Deswegen werden wir das genauestens überprüfen. Ich
finde, das hat mit Gerechtigkeit nur bedingt etwas zu tun.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Lokal handeln, das ist in der Tat die Devise. Deshalb
sollten Sie nicht den Weg gehen – wie Sie selber sagen,
unzuständigkeitshalber –, den Kommunen Geld für die
bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie und für
die Betreuung sozusagen mit der Gießkanne zu geben,
sondern Sie sollten den Bürgermeistern das Geld in die
Hand geben. Die bauen dann die Kindergärten und Ganz-
tagsbetreuungseinrichtungen. Genau so ist es!




Dr. Angela Merkel
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(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Peter Struck [SPD]: Wie soll das denn gehen? – Weiterer Zuruf von der SPD: Jetzt kommt die Naive zum Vorschein! Sie sind eine schlechte Schauspielerin! Ganz schlecht!)


Meine Damen und Herren, daran erkennen Sie den ei-
gentlichen Unterschied zwischen Christdemokraten und
Sozialdemokraten: Wir glauben an die Verantwortlichkeit
der Menschen. Wir glauben an den Einzelnen. Sie glau-
ben nur an Dirigismus, an den Staat, an Bürokratie und
Zentralismus. Das unterscheidet uns. Dazu stehen wir.
Dazwischen können sich die Menschen entscheiden.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Jörg Tauss [SPD]: Sie glauben an den Weihnachtsmann!)


Gestatten Sie mir bitte noch ein letztes Wort.

(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Mehrere! – Zurufe von der SPD: Nein!)

Ich habe den Eindruck, Ihr Generalsekretär, Herr
Müntefering, hat die Devise ausgegeben, dass nun per-
manent Falschheiten


(Jörg Tauss [SPD]: Die Wahrheit!)

im Hinblick auf die Frage, wie wir mit Familien, mit
Frauen und Männern, umgehen wollen, verbreitet werden
sollen. Damit hier keine Missverständnisse aufkommen,
will ich es Ihnen einmal ganz ruhig sagen: Unsere Mei-
nung ist, dass wir den Menschen nicht vorschreiben, wie
sie leben sollen, sondern dass die Menschen darüber
selbst entscheiden können. Das hat wieder etwas mit dem
Menschenbild zu tun.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der Herr Merz hat etwas ganz anderes gesagt: Leitbild Familie!)


Da die jungen Frauen, die gut ausgebildet sind, in ihrer
Vielzahl genauso wie die jungen Männer Beruf und Fa-
milie miteinander vereinbaren wollen, heißt das, dass die
freie Entscheidung, wie ich leben will, auch damit ver-
bunden ist, verbesserte Möglichkeiten der Kinderbetreu-
ung einzuführen,


(Hubertus Heil [SPD]: Ja! Wir machen das!)

und zwar vielfältige. Nicht jedes Kind soll in die Ganz-
tagsschule kommen. Die Kinderbetreuung soll so ausse-
hen, wie das die Menschen vor Ort wollen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1423600200
Frau Kollegin, gestat-
ten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Hanna Wolf?


Dr. Angela Merkel (CDU):
Rede ID: ID1423600300
Nein, gestatte ich
nicht.

Unsere Vorstellung bedeutet, dass wir natürlich die
Kinderbetreuung, also die Vereinbarkeit von Familie und

Beruf, voranbringen wollen. Aber wir wollen etwas Wei-
teres erreichen – das hat wieder mit Leistungsgerechtig-
keit zu tun –: Diejenigen, die nicht viel verdienen und
zwei oder drei Kinder haben, sollen am Monatsende nicht
weniger in der Tasche haben als diejenigen, die von der
Sozialhilfe leben.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Dr. Peter Struck [SPD]: Wie soll das bezahlt werden?)


Genau aus diesem Grunde haben wir gesagt: Derjenige,
der arbeitet, soll für sein Kind genauso viel bekommen,
wie er bekommen würde, wenn er in den ersten zwei Jah-
ren von der Sozialhilfe abhängig wäre, also ein Erzie-
hungsgeld plus die Sozialhilfeleistungen. Das sind genau
600 DM bzw. 300 Euro.


(Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: 600 Euro!)


Das dient nicht dem Zu-Hause-Bleiben. Sie sagen doch
auch nicht: Diejenigen Menschen, die Sozialhilfe bekom-
men, sollen zu Hause bleiben. Das ist doch ein absurdes
Zeug, das Sie da vorbringen, um uns zu verleumden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Hubertus Heil [SPD]: Jetzt sind es nur noch 300 Euro! – Jörg Tauss [SPD]: Wie viel Euro sind es denn jetzt?)


Dieses Familiengeld wird im Übrigen den Vorzug ha-
ben, dass nach dessen Einführung nicht mehr 1 Million
Kinder in Deutschland von der Sozialhilfe abhängig sind.
Unser gemeinsames Interesse, also nicht nur unser Inte-
resse, ist ja wohl, dass sich das ändert.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zuruf von der SPD: Sie hatten doch 16 Jahre Zeit! Was haben Sie da gemacht?)


– Gerade wird wieder der Zuruf gemacht: Sie hatten doch
16 Jahre Zeit. – Ich sage Ihnen ganz klar: Wir haben da-
zugelernt.


(Beifall bei der CDU/CSU – Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Oh!)


– Im Gegensatz zu Ihnen haben wir dazugelernt. –Wir ha-
ben uns überlegt, warum wir 1998 die Wahl verloren ha-
ben. Das Thema Familie war ein Grund dafür. Deshalb
werden wir jetzt andere Wege gehen. Die Menschen wer-
den das honorieren.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Nach Ihren Ausführungen muss ich Sie, Herr Bundes-

kanzler, fragen: Was ist eigentlich das Gegenteil von
Nachhaltigkeit?


(Michael Glos [CDU/CSU]: Schröder!)

Das Gegenteil von Nachhaltigkeit ist: versprochen und
anschließend gebrochen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Denn bei dem, was fälschlicherweise versprochen wurde,
wurde eben nicht an die Dauerhaftigkeit und Haltbarkeit




Dr. Angela Merkel

23479


(C)



(D)



(A)



(B)


in der Zukunft gedacht. Genau das wäre Nachhaltigkeit.
Deshalb sage ich Ihnen: Nachhaltigkeit ist, wenn sich
Leistung in einem Land wieder lohnt.


(Zurufe von der SPD)

Wenn die Menschen spüren, dass sich aus der gerechten
Bewertung von Leistung neue Sicherheit entwickelt, dann
brauchen sie keine Angst vor Globalisierung zu haben.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Deshalb, Herr Bundeskanzler, ist es eben wichtig, dass
Taten statt Worte kommen. Deshalb ist jetzt Zeit für Taten
und nicht für ruhige Hände.


(Zuruf von der SPD: Neuverschuldung!)

Deshalb, Herr Bundeskanzler, wird sich am 22. Septem-
ber etwas in diesem Land ändern.

Herzlichen Dank.

(Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU – Bei fall bei Abgeordneten der FDP)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1423600400
Ich erteile das Wort
Bundesminister Hans Eichel.


(von der SPD mit Beifall begrüßt)

ehrten Damen und Herren! Sehr geehrte Frau Merkel, es
ist ja schön, dass Sie in den letzten vier Jahren dazugelernt
haben. Ganz offenkundig haben Sie nicht hinreichend da-
zugelernt.


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Sie haben gar nichts gelernt!)


Zu der ersten Hälfte Ihrer Rede – dazu werden der Kol-
lege Trittin und der Kollege Fischer sicherlich noch eine
ganze Menge sagen – will ich nur sagen, dass Herr Töpfer
damals die Ökosteuer gewollt hat – er will sie bis heute –,
dass Sie sie damals gewollt haben und Herr Repnik sie da-
mals gewollt hat. Wenn Sie auch in diesem Punkt noch da-
zulernen würden – vielleicht ringen Sie sich dazu durch –,
wären wir einen ganzen Schritt weiter.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Sie sind ja auf Hennenhaltung und anderes ausge-
wichen; ich aber will darüber reden, was Nachhaltigkeit
in zentralen Fragen der Innen- und Finanzpolitik bedeu-
tet.

Nachhaltigkeit in der Finanzpolitik, sehr verehrte
Frau Merkel, heißt zuallererst, dass wir unsere heutigen
Probleme heute lösen und sie nicht von künftigen Gene-
rationen bezahlen lassen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Genau das haben Sie nämlich gemacht. Die Wiederver-
einigung und ihre Finanzierung mussten sein – jawohl.


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Die Sie nicht gewollt haben!)


Aber die Freudenfeste 1990 feiern und die Kinder und En-
kel dafür bezahlen lassen war schäbig und stellt uns heute
vor Probleme.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Im Übrigen sind ja gerade Sie die „besten“ Ratgeber
für die Senkung der Lohnnebenkosten. Sie haben die
Lohnnebenkosten ja die ganze Zeit in die Höhe getrieben!
Sie haben doch einen großen Teil der Kosten der Wieder-
vereinigung den Lohnnebenkosten aufgebürdet, weil da
gerade volle Töpfe vorhanden waren. Sie haben doch da-
mit die Möglichkeiten am Arbeitsmarkt kaputtgemacht.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Es kommt ja auch nicht von ungefähr, dass zu Ihrer Re-
gierungszeit der Höchststand der Arbeitslosigkeit erreicht
worden ist, auch wenn Sie im Lande immer etwas ande-
res erzählen wollen. Im Winter 1998 sind wir knapp an der
5-Millionen-Grenze vorbeigeschrammt. Das ist der Sach-
verhalt: Die höchste Arbeitslosigkeit nach der Wiederver-
einigung fällt in Ihre Regierungszeit.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Es kommt auch nicht von ungefähr, dass die Zahl der
Arbeitsplätze, die zu Ihrer Zeit verloren gegangen sind,
nämlich rund 1,2 Millionen, während unserer Regie-
rungszeit neu entstanden sind. Die höchste Beschäfti-
gungszahl nach der Wiedervereinigung war im Jahr 2001,
zu unserer Regierungszeit!


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Selbst der leichte Konjunkturabschwung, den wir gehabt
haben, wird davon vielleicht 80 000, wie die Sachver-
ständigen sagen, wegnehmen. Aber 1,1 Millionen mehr
Beschäftigte als zu Ihrer Regierungszeit – das ist unsere
Bilanz!


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Woher kommt denn das? – Wir wissen, dass es nicht
gut gehen kann, wenn man Jahr für Jahr immer mehr Geld
ausgibt, als man hat. Damit verbaut man nämlich der
nächsten Generation die Zukunft. Zu Ihrer Diskussion be-
züglich der Staatsquotemöchte ich Folgendes sagen: Auf
der nach unten offenen Richterskala, wer die niedrigste
Staatsquote bietet – –


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Herr Müller!)

– Ach, Herr Michelbach. Ich habe in der Humboldt-Uni-
versität eine Rede gehalten und gesagt: 2012 könnte ich
mir so etwas wie 40 Prozent Staatsquote vorstellen. Nur,
Sie können doch nicht immer höhere Schulden machen
und gleichzeitig die Staatsquote senken wollen. Dann ist
der Staat am Ende. Was ist denn die Voraussetzung für die
Senkung der Steuerquote? Sie müssen die Schulden ab-
bauen. Das ist das eigentliche Problem.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)





Dr. Angela Merkel
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(C)



(D)



(A)



(B)


Wer hat uns denn einen Zinsendienst in Höhe von
3 Prozent des Bruttoinlandsproduktes hinterlassen? Das
waren doch Sie, meine Damen und Herren! Damit muss
man Schluss machen. Mit dem Europäischen Stabilitäts-
pakt ist es doch nicht getan, sondern es geht weiter: Es
geht um die Frage, wie dieses Land in der Zukunft mit der
alternden Gesellschaft fiskalisch fertig wird. Das ist eine
riesige Herausforderung. Es kann nicht sein, dass die Ge-
sellschaft immer älter wird und wir gleichzeitig unseren
Kindern und Enkeln einen riesigen Schuldenberg hinter-
lassen. Das geht nicht.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Das hieße, unseren Kindern die Zukunft zu verbauen.
Ich will bei dieser Gelegenheit sagen: Ich freue mich,

dass mein neuer französischer Kollege Francis Mer in die-
sem Punkte – unbeschadet dessen, was man gegenwärtig
in der Zeitung liest – klar die Haltung vertritt, dass wir un-
abhängig von allen anderen Fragen über den Stabilitäts-
pakt hinaus müssen. Es geht nicht nur darum, zu ausge-
glichenen Haushalten zu gelangen. Es geht darum, von
den Staatsschulden, die Sie aufgehäuft haben, wieder her-
unterzukommen. Das ist die entscheidende Zukunftsauf-
gabe.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


In Ihrem Wahlprogramm kommt im Hinblick auf das
Ziel, einen ausgeglichenen Bundeshaushalt vorzulegen,
das Jahr 2006 übrigens nicht mehr vor. Ich frage mich, wie
Sie denn eigentlich mit dem Europäischen Stabilitäts- und
Wachstumspakt umgehen wollen. Ihre Kraft hat nur dazu
gereicht, das den anderen einzureden. Aber eine solche
Politik bei uns zu Hause zu machen haben Sie nicht fertig
gebracht.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Diesen harten Weg gehen wir konsequent. Darin liegt auch
eine Verantwortung für unsere gemeinsame Währung. Wo
sind Sie als ehedem gute Europäer denn mit Ihrer tatsäch-
lichen Politik gelandet?

Zum zweiten Punkt: Nachhaltigkeit in der Steuerpo-
litik. Nachhaltigkeit in der Steuerpolitik heißt, nicht
Steuersenkungen zulasten der Erhöhung der Staatsver-
schuldung zu machen. Das ist Betrug an den Menschen;
denn die Zinsen müssen hinterher über Steuern bezahlt
werden.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Deswegen müssen diese beiden Punkte zusammenge-
bracht werden.

Schauen Sie einmal auf die 80er-Jahre: Gerhard
Stoltenberg hatte Recht, als er sagte, eine Steuersenkung
müsse erst durch Ausgabenbegrenzung erarbeitet werden,
sonst könne man sich das gar nicht leisten. Recht hatte der
Mann.


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Sie erhöhen die Steuern doch!)


Halten Sie sich doch endlich einmal daran! Anders kön-
nen Sie in Europa überhaupt nicht zurechtkommen. Des-
wegen: Steuersenkungen zur Ankurbelung des Wachs-
tums? – Ja, und zwar in großen Schritten, aber eingebettet
in die Strategie: heraus aus der Schuldenfalle und hin zu
ausgeglichenen Haushalten!


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Nachhaltigkeit im Haushalt heißt, nicht für Schulden
aus der Vergangenheit Zinsen zahlen zu müssen, sondern
Geld für die Zukunftsaufgaben zu haben. Ich bin – dies
zum Investitionsbegriff – sehr wohl für hohe Investitio-
nen, aber nicht alles, was Beton und Asphalt ist, ist Zu-
kunft.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die wichtigste Zukunftsinvestition ist die in die Köpfe un-
serer jungen Leute. Was aber haben Sie denn mit den Bil-
dungsausgaben gemacht? BAföG war doch Ihre Spar-
kasse. Aus 650 000 mit BAföG geförderten Studenten
haben Sie 350 000 gemacht.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1423600500
Kollege Eichel, ge-
statten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Glos?


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1423600600
Ja, gerne.


Michael Glos (CSU):
Rede ID: ID1423600700
Herr Bundesminister, hal-
ten Sie es für eine nachhaltige Förderung der Aktienkul-
tur und für eine nachhaltige Konsolidierung, wenn Sie,
wie geschehen, den Kleinaktionären millionenfach die
Telekom-Aktien der dritten Tranche für 66,5 Euro auf-
schwatzen, um kurze Zeit später die ganze Branche anzu-
schießen, indem Sie die UMTS-Lizenzen für 100 Milliar-
den DM versteigern?


(Lachen bei der SPD)

Glauben Sie, dass Sie bei uns im Land dadurch nachhal-
tig Vertrauen erweckt haben?


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1423600800
Sehr ge-
ehrter Herr Glos, ich erinnere mich noch, wie Sie hier er-
zählt haben, welch große Chancen in der Privatisierung
der Telefondienstleistungen liegen. In Ihrem Wahlpro-
gramm lese ich jetzt: Sie wollen zusätzliche Maßnahmen
für den Aufbau Ost aus dem weiteren Verkauf von Tele-
kom-Aktien herleiten.


(Lachen bei der SPD)

Das habe ich in Frankfurt vor den versammelten Größen
der deutschen Wirtschaft erzählt – schallendes Gelächter!


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Sie bringen mich da gar nicht aus dem Konzept.




Bundesminister Hans Eichel

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(C)



(D)



(A)



(B)


Was haben Sie mit den Familien gemacht? Frau
Merkel, das war doch die Bankrotterklärung:


(Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Sie böswilliger Zwerg!)


Geben Sie den Leuten das Geld, dann werden die die Kin-
dergärten selber bauen. – Das ist Ihre Philosophie!


(Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Politpygmäe!)


Wissen Sie denn gar nicht, wer das im Land macht?

(Beifall bei der SPD)


In jeder Versammlung – ich sage Ihnen, hier freue ich
mich besonders – werden Sie mit Ihrem Familiengeld
Schiffbruch erleiden. Worin besteht das Problem für die
Familien, vor allem für die Frauen, obwohl wir das Kin-
dergeld so stark erhöht haben? Die Kinderbetreuungsein-
richtungen sind nicht da. Deswegen können die Familien
nicht auswählen, sehr geehrte Frau Merkel.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Nicht einmal Ihre Freunde aus der Wirtschaft finden
das gut, weil alle wissen, dass diese Politik gescheitert ist.
Sie müssen überdecken, dass Sie Jahrzehnte, insbeson-
dere im Stammland Ihres Kanzlerkandidaten, in diesem
Fall völlig versagt haben, weil Sie einem veralteten kon-
servativen Frauen- und Familienbild hinterhergelaufen
sind.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Die Nachhaltigkeit, über 20 Jahre hinweg den Aufbau
Ost zu sichern, kann sich nur jemand glaubwürdig leisten,
der seine Finanzen in Ordnung hat. Deswegen sage ich Ih-
nen: Sie werden am 22. September keine Chance bekom-
men. Die Menschen haben nämlich noch nicht vergessen,
in welch traurigem Zustand Sie die öffentlichen Finanzen
in diesem Land hinterlassen haben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich denke, der Kollege Müller wird im Verlauf der De-
batte noch etwas zum Thema Wachstum sagen. Er hat es
Ihnen schon mehrfach vorgerechnet: Obwohl während Ih-
rer Regierungszeit ständig Aufschwung in den USA war,
in unserer Regierungszeit jedoch nicht, ist die Wirtschaft
in den letzten vier Jahren stärker gewachsen als bei Ihnen
seit 1992.

Wir sind an einem Wendepunkt. Der Aufschwung, der
jetzt einsetzt, ist der unsere, und zwar deswegen, weil wir
mit einer weitaus besseren Ausgangslage in diesen hi-
neingehen als 1998: 1,1 Millionen Beschäftigte mehr und
400 000 Arbeitslose weniger. Auch bei der Jugendarbeits-
losigkeit sind wir in Europa am unteren Ende der Skala.
Ebenso sind die Langzeitarbeitslosigkeit und die Arbeits-
losigkeit älterer Menschen gesunken. Die Steuersätze wa-
ren für die Menschen und die Unternehmen noch nie so
niedrig wie heute, und die nächste Steuersenkung kommt
zum 1. Januar 2003. Danach folgt die nächste Steuersen-
kung in 2005. Das, was Sie noch in Ihr Programm schrei-

ben müssen, steht schon im Gesetzblatt. Das ist die Wirk-
lichkeit.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Hans-Peter Repnik [CDU/ CSU]: Was ist mit dem Ökosteuersatz?)


Der Sachverständigenrat hat Recht: Eine Politik für
Stetigkeit und gegen Aktionismus ist eine Politik, die wei-
terführt und dieses Land wirklich zukunftsfähig macht.
Ihr völlig konzeptionsloses Hin- und Herrennen zwischen
immer höherer Verschuldung und dem Versprechen einer
niedrigen Staatsquote hat keine Zukunft.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Michael Glos [CDU/CSU]: Abzocker!)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1423600900
Ich erteile das Wort
der Kollegin Birgit Homburger, FDP-Fraktion.


Birgit Homburger (FDP):
Rede ID: ID1423601000
Herr Präsident! Liebe Kol-
leginnen und Kollegen! Schon am Ende der letzten Legis-
laturperiode hat der Deutsche Bundestag die Erarbeitung
einer nationalen Nachhaltigkeitsstrategie gefordert.
Diese Bundesregierung hat nichts getan. Erst als der Deut-
sche Bundestag mit großer Mehrheit im Januar 2000 be-
schlossen hat, dass die Bundesregierung aktiv werden
soll, hat man sich endlich in diese Richtung aufgemacht.


(Beifall bei der FDP)

Ein Jahr später wurde der nationale Nachhaltigkeitsrat

eingerichtet, und jetzt, meine Damen und Herren von Rot-
Grün, kurz vor Toresschluss, liegt endlich Ihre nationale
Nachhaltigkeitsstrategie vor.

In der Rede, die der Bundeskanzler hier gehalten hat,
ging es in keiner Weise um eine Nachhaltigkeitsstrategie.
Er hat ein Sammelsurium an Schlagworten genannt und
eine Vernebelungstaktik angewandt. Sie hatte mit einer
Nachhaltigkeitsstrategie nichts, aber auch gar nichts zu
tun.


(Beifall bei der FDP – Jörg Tauss [SPD]: Stinkende Laster in der Fußgängerzone haben mit Umweltstrategien auch nichts zu tun!)


In der Tat stellt sich die Frage, warum man eigentlich
nicht an die Arbeit der Enquete-Kommission angeknüpft
hat. Demnach bedeutet Nachhaltigkeit nämlich, bei allen
Entscheidungen ökonomische, ökologische und soziale
Aspekte zu berücksichtigen. Ich kann Ihnen sagen,
warum Sie das nicht getan haben, meine Damen und Her-
ren von der Regierung: Sie haben Ihre Politik nicht nach-
haltig gestaltet, sondern Sie haben die Kriterien der Poli-
tik angepasst.

Deswegen führen Sie jetzt vier Zielkoordinaten ein:
Generationengerechtigkeit, Lebensqualität, sozialer Zu-
sammenhalt und internationale Verantwortung. All diese
Koordinaten sind hinreichend unbestimmt und ausle-
gungsfähig. Deswegen hat der Sachverständigenrat für
Umweltfragen Ihnen auch ins Stammbuch geschrieben,
dass die genannten prioritären Handlungsfelder nichts an-
deres sind als ein Spiegel der deutschen Regierungspoli-




Bundesminister Hans Eichel
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(C)



(D)



(A)



(B)


tik. Anders ausgedrückt: Sie haben Ihrer Politik der
Verregelung und Bürokratisierung, des hilflosen Herum-
dokterns und des unverschämten Abkassierens ein neues
Mäntelchen namens Nachhaltigkeit umgehängt.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Nach dem internationalen Vergleich der Nachhaltig-
keitsprofile durch das World Economic Forum rangiert
Deutschland auf Platz 50. Das muss man sich einmal vor-
stellen.


(Ulla Burchardt [SPD]: Frau Homburger, dazu sage ich Ihnen gerne etwas!)


Wir rangieren hinter den USA und Simbabwe und knapp
vor Papua-Neuguinea. Das ist das beschämende Ergebnis
Ihrer Nachhaltigkeitspolitik.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Man kann das auch einen blauen Brief nennen. Ein sol-
cher hat ja bereits Anfang dieses Jahres aus Brüssel ge-
droht. Damals ging es um das hohe deutsche Staatsdefizit.
Herr Eichel, Sie haben das Problem nicht gelöst. Sie ha-
ben heute Vormittag, so wie die ganze Zeit, versucht, das
Problem wegzudiskutieren.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Natürlich hat Herr Schröder Recht. Die nachhaltige
Entwicklung beginnt im eigenen Land. Rot-grüne Politik
besteht aber vor allen Dingen aus nachhaltigen Wider-
sprüchen: eine Ratifizierung des Kioto-Protokolls ohne
die Anwendung seiner Instrumente in Deutschland. Eine
Ökosteuer, die der Umwelt nichts nützt, aber die Bürge-
rinnen und Bürger unsozial abkassiert.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Bezogen auf regenerative Energien gibt es politische
Vorgaben für Technik und Preis


(Jörg Tauss [SPD]: Das ist erfolgreich!)

statt marktwirtschaftliche Förderinstrumente. Die Ener-
giepolitik ist Flickwerk, so wird der Kernenergieausstieg
ohne ein Konzept, wie die CO2-Senkung trotzdem er-reicht werden kann, angestrebt.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Zusätzlich führen Sie ein verwirrendes Spiel mit vier
Zielkoordinaten, sieben Handlungsfeldern und 21 Indika-
toren auf.


(Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das haben Sie nicht verstanden! Es ist Ihnen zu kompliziert!)


Beim Artenschutz führen Sie den Indikator „Bestände
ausgewählter Tierarten“ ein. Ich habe mir Ihr Nachhaltig-
keitskonzept angeschaut; der Bundeskanzler hat es ja be-
wusst nicht genannt. Bei aller Sympathie für den Seehund
und allem Respekt für die Zwergseeschwalbe muss ich

Ihnen sagen: Eine willkürliche Aufzählung von zehn Tier-
arten – neun davon sind Vogelarten – ist keine Abbildung
der Entwicklung der Artenvielfalt in Deutschland.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Ulla Burchardt [SPD]: Es ist ja auch keine wissenschaftliche Abhandlung!)


Um bei Ihrer Begrifflichkeit zu bleiben und die Arten-
vielfalt in der Debatte zu erhalten: Unter Rot-Grün ist der
Begriff „Nachhaltigkeit“ auf den Hund gekommen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Jörg Tauss [SPD]: Oh!)


Nehmen wir das Beispiel Steuerreform. Ich greife Ihr
Verständnis von Nachhaltigkeit auf. Sie haben die großen
Kapitalgesellschaften nachhaltig entlastet und die Perso-
nengesellschaften nachhaltig ins Hintertreffen gebracht.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Jörg Tauss [SPD]: Blanker Unsinn!)


Dabei sind es gerade die kleinen und mittleren Betriebe,
die die größte Zahl der Arbeits- und Ausbildungsplätze in
Deutschland schaffen. Das sind die Betriebe, die in
Deutschland Steuern zahlen,


(Peter Dreßen [SPD]: Sie werden doch kräftig entlastet, auch wenn Sie es nicht wahrhaben wollen!)


das sind die Betriebe, die ihren Gewinn eben nicht durch
steueroptimierte Konzernstrukturen ins Ausland transfe-
rieren können.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich weiß, wovon ich rede; denn ich komme aus einem
solchen Familienbetrieb aus dem Handwerk. Der Begriff
„Familienbetrieb“ hat unter Ihrem Kanzler eine ganz neue
Bedeutung erhalten: Familienbetrieb ist das, was den
Kanzler nicht interessiert.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ihre so genannte Politik der Steuerentlastung mit der
Erhöhung der Versicherungsteuern, der Tabaksteuer und
der Ökosteuer zu Anfang dieses Jahres bringt allein in die-
sem Jahr eine Nettomehrbelastung von rund 14 Milliar-
den Euro. Ich kann Ihnen nur sagen: Hier ist eine wirkli-
che Steuerreform, die Dynamik in den Arbeitsmarkt
bringt, dringend notwendig.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Hier fiel gerade das Stichwort „mehr Beschäftigte“.
Mehr Beschäftigte, Herr Eichel, hat es durch eine Ände-
rung in der Statistik gegeben, indem Sie schlichtweg um-
definiert haben. Sie haben mit Ihrer Politik erreicht, dass
es nicht 3,5 Millionen, sondern 4 Millionen Arbeitslose
gibt.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Jörg Tauss [SPD]: 4,8 bei Ihnen!)





Birgit Homburger

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(B)


Sie betreiben eine Politik der Besitzstandswahrung und
sperren Arbeitslose konsequent vom Arbeitsmarkt aus.


(Franz Thönnes [SPD]: Quatsch! – Peter Dreßen [SPD]: Das ist schlicht Unsinn!)


Der Flächentarifvertrag, den der Kanzler so gelobt hat, ist
längst zu einem Risiko für Beschäftigung geworden. Wir
wollen Mitbestimmung im Betrieb und nicht Mitbestim-
mung über Betriebe.


(Beifall bei der FDP)

Deswegen wollen wir im Tarifvertragsgesetz und im Be-
triebsverfassungsgesetz Änderungen. Wir wollen den Ar-
beitnehmern in den Betrieben mehr Rechte geben,


(Lachen bei der SPD)

weil die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vor Ort
besser als irgendwelche Funktionäre von Ihnen weit weg
am Verhandlungstisch wissen, was gut für sie ist. Wir
trauen den Menschen mehr zu. Sie setzen auf den Staat.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Sie haben in Ihrer Rede vier Zielkoordinaten, die ge-
meinsam gelten sollten, in ihre Bestandteile zerpflückt.
Unter dem Stichwort „Generationengerechtigkeit“ hat der
Bundeskanzler der Rentenversicherung ein sicheres
Fundament bestätigt. Dieses Fundament ist die platt ge-
drückte junge Generation, weil Sie den demographischen
Faktor gestrichen haben.


(Beifall bei der FDP – Ulla Burchardt [SPD]: Sie möchten die Renten am liebsten ganz streichen!)


Wir fordern eine Rentenreform, die die demographi-
sche Entwicklung einbezieht. Ich frage Sie: Was ist daran
nachhaltig, wenn die Bundesregierung, um die Beitrags-
sätze stabil zu halten, die Schwankungsreserve angreift
und damit die Zahlungsfähigkeit der Rentenversicherung
riskiert? Das ist ökonomisch unsinnig und sozial in höchs-
tem Maße verwerflich.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die Regierungserklärung des Bundeskanzlers hinter-
lässt den nachhaltigen Eindruck, dass sich in diesem Land
etwas ändern muss. Dazu haben die Wählerinnen und
Wähler am 22. September Gelegenheit.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1423601100
Ich erteile das Wort
Bundesminister Joseph Fischer.


Joseph Fischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1423601200

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mitte der
70er-Jahre setzte sich langsam die Erkenntnis durch, dass
der grenzenlose Fortschrittsoptimismus, die Fortschritts-
utopien, wie sie von rechts bis links in der damaligen Zeit
geteilt wurden, in der Tat an ihr Ende gekommen sind. Es

setzte sich die Erkenntnis durch, dass die technisch-wis-
senschaftliche Grenzenlosigkeit niemals Realität wird
und dass wir auf unser begrenztes Ökosystem Erde dau-
erhaft angewiesen sind, das nicht grenzenlos expandiert.
Es setzte sich die Erkenntnis durch, dass zwar die Wün-
sche der Menschen grenzenlos sein mögen, nicht aber das
Ökosystem, und dass gleichzeitig die technisch-wissen-
schaftliche Entwicklung und die Fähigkeit der Menschen,
den Energieverbrauch zu erhöhen und große Industrie in
einem Maße zu betreiben, wie das bisher in der Ge-
schichte der Menschheit nicht möglich war, bei einer
wachsenden Weltbevölkerung und wachsenden Bedürf-
nissen zu einer Überforderung des globalen Ökosystems
führen werden.

Genau das war die Geburtsstunde der ökologischen
Bewegung. Genau das war auch die Erkenntnis von der
Notwendigkeit, auf eine internationale und nationale
Nachhaltigkeitsstrategie umzustellen.

Energie- und Ressourcenverbrauch sowie Schadstoff-
ausstoß sind heute wesentliche Faktoren, die das globale
Ökosystem in einem Maße zu übernutzen drohen, dass
sich daraus gravierende ökonomische, soziale, aber auch
politische und sicherheitspolitische Konsequenzen erge-
ben können. Machen wir uns nichts vor: Während wir hier
heftig streiten, ist es zehn Jahre nach der Konferenz von
Rio nach wie vor so, dass nicht 80 Prozent, sondern nur
20 Prozent der Weltbevölkerung an diesen Segnungen
teilhaben. 20 Prozent genießen die Segnungen von Wohl-
stand, Fortschritt, sozialer Sicherheit und Reichtum.
Während 80 Prozent der Weltbevölkerung nach wie vor
davon ausgeschlossen sind, sind diese 20 Prozent aber
auch für die negativen Folgen verantwortlich. Spätestens
am 11. September müsste uns allen klar geworden sein,
dass, wenn diese Formel beibehalten wird und es bei die-
ser ungerechten Verteilung von Reichtum und Lebens-
chancen, aber auch der ungerechten Verteilung der Folgen
der Überlastung unseres Ökosystems bleibt, darin das
größte Sicherheitsrisiko für das internationale Staatensys-
tem im 21. Jahrhundert liegen wird.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie des Abg. Manfred Müller [Berlin] [PDS])


Deswegen wird es bei aller Leidenschaft für den Wahl-
kampf – ich will mich nachher gerne daran beteiligen –
entscheidend darauf ankommen, dass die reichen Indus-
trieländer ihre Verantwortung wahrnehmen und diese
auch ernst nehmen, und zwar nicht nur auf der Exper-
tenebene und in Sonntagsreden, sondern in der harten Po-
litik.

Wir scheuen hierbei nach vier Jahren keinen Vergleich
zu dem, was die Vorgängerkoalition in diesem Zusam-
menhang geleistet hat. Im Gegensatz zu Ihnen wenden wir
nicht primitive Rhetorik an.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Wir sagen Ihnen: Wir schätzen es, dass Angela Merkel als
Umweltministerin in Kioto tapfer gekämpft hat. Wir
schätzen es, dass Sie, Frau Merkel, damals einen Öko-
steuervorschlag national umsetzen wollten, den Sie be-




Birgit Homburger
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reits formuliert hatten. Dass Sie an Helmut Kohl geschei-
tert sind, haben wir aber nicht geschätzt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Auch den Einsatz von Helmut Kohl damals in Rio oder
von Klaus Töpfer hätte ich mir nach all dem Streit, den ich
mit Klaus Töpfer zum Beispiel über Hanau hatte, nicht
träumen lassen. Das gilt übrigens auch für Sie. Die Angela
Merkel von Kioto war eine Ökologin, die den Anspruch
hatte, ökologisch verantwortlich global zu handeln.


(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Bravo! Bis heute!)


Die Dame mit dem Benzinschlauch um den Hals war aber
nicht mehr die Angela Merkel, die ökologisch verantwort-
lich handelte, sondern die Machtpolitikerin mit reaktionären
Parolen, die meinte, sie könne in Schleswig-Holstein und in
Nordrhein-Westfalen entsprechend mobilisieren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS – Widerspruch bei der CDU/CSU)


Nein, meine Damen und Herren: Von Rio ging eine Bot-
schaft aus, die noch nicht erfüllt ist.

Nochmals auf den 11. September bezogen wiederhole
ich – Herr Repnik, Sie sind ein sehr gutes Beispiel dafür –,


(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Vorsicht bei der Formulierung!)


dass es tatsächlich Entwicklungen gibt, allerdings nicht
nur Fortschritte, sondern auch dramatische Rückent-
wicklungen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Ich lese Ihnen einmal etwas vor, aus dem dies ersichtlich
wird. Das spricht wohl generell für die ökologische Posi-
tion Ihrer Partei.

Der Abgeordnete Repnik hat am 31. März 1998 – da-
mals regierte noch Helmut Kohl mit der FDP – im
Deutschland-Radio Berlin gesagt:

Wir haben immer gesagt, dass wir auf lange Sicht
gesehen auf der einen Seite die Besteuerung sowohl
von Energie als auch den Verbrauch von Rohstoffen
teurer machen sollten.

Recht hatte er.
Dies hier in eine vernünftige Relation, in eine Bezie-
hung zueinander zu setzen, Verteuerung und Ver-
brauch von Rohstoffen, auf der anderen Seite da-
durch gewonnene Mittel einzusetzen, um zum
Beispiel Lohnnebenkosten zu senken, macht durch-
aus Sinn, meine Damen und Herren.

(Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Ja, Herr Kollege Repnik, die Wähler haben auf Sie gehört.
Sie haben uns gewählt und wir haben das gemacht. Das ist
der Unterschied zu dem, was Sie vorher vertreten haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Das ist nicht lustig, meine Damen und Herren. Man
könnte viele Beispiele bringen. Lassen Sie mich in dem
Zusammenhang noch eines ansprechen, bevor wir zur In-
nenpolitik kommen. Was ich mit sehr großer Sorge sehe,
ist, dass die Rüstungssignale in der Gegenwart anders ge-
geben werden. Machen wir uns nichts vor: Wenn die Kon-
sequenz aus dem 11. September darin besteht, dass die
Kluft zwischen Arm und Reich zustimmt – sie wird zu-
nehmen, wenn die führenden Nationen dieser Erde, die
reichsten Industrieländer, an erster Stelle die USA, die
Mittel in Richtung einer Ausdehnung der Militärhaushalte
und nicht in die Entwicklung und Nachhaltigkeit len-
ken –, dann werden diejenigen, die im unteren Drittel des
Welteinkommens liegen, dies bitter zu bezahlen haben.
Machen wir uns da nichts vor!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)


Das wird meines Erachtens nicht mehr Sicherheit und
Frieden mit sich bringen.

Deswegen ist es sehr wichtig, dass gerade mit der Ver-
einbarung zwischen Russland und den USAein Signal ge-
geben wurde. Ich wünsche mir, dass die aufgrund des
internationalen Abrüstungsregimes und der Rüstungskon-
trolle frei werdenden Mittel umgewidmet werden, um die
internationale Entwicklungslücke zu schließen.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Von ganz entscheidender Bedeutung ist auch, dass wir
begreifen, dass hinter Kioto mehr steckt als nur die Frage
des Klimaschutzes und des Treibhauseffekts, den nie-
mand mehr infrage stellt. Dahinter steckt auch die Frage
einer Effizienzstrategie der Verantwortung – das sagt
den meisten nichts –, ob wir also unser Kapital, unser
Know-how und unsere Technologien für eine ökologische
Abrüstung, also für eine Senkung des Energieverbrauchs,
einsetzen. Deshalb müssen wir nicht zu Fahrraddynamo
und Kienspan zurückkehren. Wir müssen vielmehr mo-
dernste Technologien entwickeln und einsetzen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Die Tatsache, dass ein Unternehmen wie Volkswagen,
das heute eines der modernsten und effizientesten Auto-
mobilunternehmen ist, den Prototyp eines Einliterautos
entwickelt hat – wenn wir Grüne das gefordert hätten,
wären wir von Ihnen nur ausgelacht worden –, ist ein Si-
gnal, das in die richtige Richtung geht. Das ist eine der
Konsequenzen der Ökosteuer, Frau Merkel. Sie können
doch nicht wegdiskutieren, dass heute das entscheidende
Argument beim Anschaffen eines Neuwagens der nied-
rige Verbrauch ist,


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


dass der Kraftstoffverbrauch 2001 im Vergleich zu 1999
um 4 Prozent gesunken ist, dass der durchschnittliche Flot-
tenverbrauch tendenziell sinkt und dass mehr auf öffentli-
che Verkehrsmittel umgestiegen wird. Das alles sind Ent-
wicklungen, denen schlicht und einfach die Erkenntnis




Bundesminister Joseph Fischer

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(D)



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(B)


zugrunde liegt, dass wir Ökologie und Ökonomie nicht in
Gegensatz zueinander bringen dürfen, dass wir im Ge-
genteil das Schwergewicht des wirtschaftlichen Egoismus
mit der Nachhaltigkeit verbinden müssen. Das heißt, wir
müssen über die Preise Ökologie und Ökonomie in Ein-
klang bringen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Damit komme ich auf die entscheidende Frage zu spre-
chen, inwieweit das politische Handeln und das Pro-
gramm der CDU/CSU dies ermöglichen. Ich rede über das
FDP-Programm gar nicht; denn dieses Programm grün-
det nur auf Illusionen. Deshalb können Sie von der FDP
eigentlich auch kein Wahlversprechen brechen. Sie soll-
ten sich einmal vor Augen führen, was Sie in Ihrem Pro-
gramm alles festgelegt haben.


(Jörg van Essen [FDP]: Lesen Sie einmal die „Frankfurter Rundschau“ von heute!)


– Die „Frankfurter Rundschau“ lese ich täglich. Machen
Sie sich keine Sorgen! Wenn Sie die lesen und entspre-
chend handeln würden, gäbe es weniger Kontroversen.
Das ist nicht das Problem.


(Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Ich habe jedenfalls Ihr Programm gelesen und muss
feststellen, dass es schlicht und einfach illusionär ist. Sie
müssen sich erst gar nicht bemühen, die dort gemachten
Versprechen einzuhalten; denn diese können Sie sowieso
nie realisieren. Das ist Fakt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Sie wissen doch so gut wie ich, dass Deutschland erst aus
der EU austreten muss, wenn Sie Ihre Steuersenkungs-
versprechen realisieren wollen; denn wenn Sie diese Ver-
sprechen realisieren, liegt der Anteil der Staatsverschul-
dung bei 4 oder 5 Prozent. Oder Sie planen so langfristig,
wie früher nur die Linke geplant hat, die ihre utopischen
Versprechen immer nur mit Blick auf den Sankt-Nimmer-
leins-Tag gemacht hat. Es mag ja sein, dass Sie mittler-
weile so weit sind.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Frau Merkel, wenn Sie die Wärmedämmung als Ihre
historische Großtat darstellen, möchte ich Sie an folgende
Zahlen erinnern: Während Ihrer Regierungszeit wurden
20 Millionen pro anno für die Altbausanierung ausgege-
ben. Wir haben diese Ausgaben auf 400 Millionen pro
anno erhöht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Ich frage Sie, Frau Merkel – diese Frage müssen Sie sich
schon gefallen lassen –, warum alle B-Länder im Bun-
desrat gegen die Energiesparverordnung gestimmt haben,
wenn die Wärmedämmung tatsächlich Ihre große histori-
sche Leistung ist?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


In der Ausgabe des „Handelsblatts“ vom 28. März
2002 – das ist noch gar nicht so lange her; ich habe mir
den Artikel extra herausgerissen, weil er mich so erfreut
hat – ist zu lesen: Erneuerbare Energien im Aufwind. Bei
Windenergie und Photovoltaik droht Mangel an Ingeni-
euren und Handwerkern. – Genau das sind die Botschaf-
ten, die wir uns immer gewünscht haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Im Wirtschaftsteil der Ausgabe der „Süddeutschen Zei-
tung“ vom 27. März 2002 – Sie sehen, Frau Homburger,
der März hat es in sich gehabt;


(Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und bei der SPD)


das ist jetzt eine Ansage an die FDP, die Freunde des
Neuen Marktes; sie betreiben ja so auch Politik; der Neue
Markt ist zusammengebrochen; geben Sie Acht, dass die
politische Spekulationsblase nicht genauso platzt wie die
des Neuen Marktes –


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


ist zu lesen: Erstes Debüt am Neuen Markt seit Juli 2001.
Geglückter Börsengang erfreut Finanzbranche. – Wer ist
damals an die Börse gegangen? Es war ein Windenergie-
unternehmen. Das war der erste geglückte Börsengang
seit dem Zusammenbruch des Neuen Marktes. Dadurch
gab es neuen Wind auf dem Neuen Markt. Das sind Nach-
richten, über die ich mich freue.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Ich will damit klarmachen, meine Damen und Herren,
dass wir eine Nachhaltigkeitspolitik verfolgt haben, die
darauf zielte, dass Ökonomie und Ökologie nicht mehr
als Gegensatz angesehen werden. Den Gegensatz von
Ökonomie und Ökologie machen Sie aber zu Ihrem Pro-
gramm. Daher würden Sie, wenn Sie an die Regierung kä-
men und Ihr Programm tatsächlich umsetzten, die Entwick-
lung in der Bundesrepublik zurückdrehen. Ihre Strategie ist
nicht nachhaltig, sondern verantwortungslos: Sie wollen
sich aus der ökologischen und globalen Verantwortung
verabschieden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Das gilt auch für die Gesellschaftspolitik; Hans Eichel
hatte völlig Recht. Ich müsste unter demselben Gedächt-
nisverlust wie Sie leiden – ich tue dies Gott sei Dank
nicht –,


(Lachen bei der FDP)

wenn ich alles vergessen hätte, was sich zu Ihrer Regie-
rungszeit abspielte. Ich zeige Ihnen hier eine Grafik der
Schuldenentwicklung, dargestellt als Haushaltsdefizit in
Prozenten des BIP: 1991 2,9 Prozent, 1992 2,6 Prozent,
1993 3,1 Prozent, 1994 2,4 Prozent, 1995 3,3 Prozent.
Zu jener Zeit begann langsam die Debatte um die Brüsse-
ler Stabilitätskriterien; Sie werden sich daran erinnern,
Herr Poß. 1995 waren es also 3,3 Prozent, 1996 sogar




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3,4 Prozent. Angesichts dieser Zahlen rede ich gar nicht
von einer roten Laterne. Damals hatten wir schon eine
dunkelrote Laterne.


(Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Es geht in der Grafik wie folgt weiter: 1997 2,7 Prozent,
1998 2,2 Prozent, 1999 – zu jener Zeit begann das „rot-
grüne Chaos“ – 1,6 Prozent, 2000 1,3 Prozent und 2001
– da gab es zum ersten Mal eine gegenläufige Entwick-
lung – 2,6 Prozent. Das ist die Realität, meine Damen und
Herren.


(Abg. Helmut Rauber [CDU/CSU] meldet sich zu einer Zwischenfrage)


– Nein, Frau Merkel hat keine Zwischenfrage zugelassen.
Aus Gründen der Waffengleichheit lasse ich jetzt auch
keine zu.

Machen wir uns nichts vor: Wir haben einen weltwirt-
schaftlichen Einbruch zu bewältigen. Den hätten auch Sie
zu bewältigen. Hier besteht ein Widerspruch in Ihrem Pro-
gramm, Frau Merkel. Das gehört alles zur Abteilung
schwarzer oder blau-gelber Utopie. Das Konzept „3 x 40“
wird eine Volkspartei nicht realisieren können, weil es ei-
nen Angriff auf die soziale Marktwirtschaft bedeutete; der
Bundeskanzler hat hier völlig Recht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


170 Milliarden Euro auf allen staatlichen Ebenen wegzu-
streichen wäre – das wissen Sie ganz genau – der politi-
sche Selbstmord der großen Volksparteien CDU und
CSU. Deswegen werden Sie das auch nicht tun.

Sie werden aber etwas anderes versuchen; das haben
Sie schon angekündigt. Ihnen, Frau Merkel, nehme ich ab,
dass Sie ein anderes Frauen- und Familienbild haben.
Aber der von Ihnen ja so geschätzte Herr Merz – Sie
schätzen ihn so sehr, dass Sie ihn in seiner Funktion beer-
ben wollen; man muss hinzufügen, dass er bei Ihrer Rede
schon sehr verhalten klatschte –


(Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und bei der SPD)


hat dagegen als Leitbild dargestellt, die Mutter habe zu
Hause zu bleiben. Ich habe nichts dagegen. Im Gegenteil,
das ist die Entscheidung einer jeden Frau bzw. eines jeden
Paares.


(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Dann müssen Sie sie aber auch finanziell so stellen, dass sie die Wahl hat!)


Aber in unserem Land besteht für Eltern nirgendwo die
Chance – am wenigsten in Bayern und Baden-Württem-
berg – zu einer Vereinbarkeit von Familie und Beruf, weil
es für kleine Kinder zwischen null und drei Jahren faktisch
keine Betreuungsmöglichkeiten gibt. Das ist Ausdruck ei-
ner ideologisch motivierten Politik, die keine Wahlfreiheit
im Auge hat, sondern den Menschen eine bestimmte Ent-
scheidung aufzwingen will. Dagegen sind wir.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Das werden wir ändern, damit wir nicht mehr ein kinder-
politisches Entwicklungsland bleiben. Auch das macht
Zukunftsfähigkeit und Nachhaltigkeit aus.

Das gilt für andere Bereiche ebenso. Ich erinnere da-
ran, dass wir mit der dritten Säule eine neue Rentensi-
cherheit geschaffen haben.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1423601300
Kollege Fischer, Sie
müssen zum Schluss kommen. Sie haben Ihre Redezeit
schon deutlich überschritten.


Joseph Fischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1423601400

Ich komme zum Schluss, Herr Präsident.

Ich erinnere mich noch an Aussagen der Umweltmi-
nisterin Angela Merkel im Zusammenhang mit der Land-
wirtschaftsklausel. Sie würden sich doch mit „von und
zu“ titulieren, wenn Sie damals das durchgesetzt hätten,
was Jürgen Trittin durchgesetzt hat. Auch das ist ein Bei-
trag zur Nachhaltigkeit. Renate Künast wird die Öko-
logisierung der Landwirtschaft im Interesse der Verbrau-
cher und der gesunden Ernährung gerade der jungen
Generation voranbringen. Viele junge Mütter sind sehr
daran interessiert, dass Renate Künast Verbraucher-
schutzministerin bleibt und wir nicht eine reaktionäre
Landwirtschaftspolitik wiederbekommen, in der Lege-
hennenzüchter wichtiger als die Gesundheit junger Men-
schen sind. Das alles ist bei uns anders.

Ich bedanke mich.

(Anhaltender Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1423601500
Ich erteile dem Kolle-

gen Roland Claus, PDS-Fraktion, das Wort.


Roland Claus (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1423601600
Herr Präsident! Meine sehr ver-
ehrten Damen und Herren! Zu Recht wird im Nachhaltig-
keitsbericht der Bundesregierung an die Kommission von
Gro Harlem Brundtland erinnert. Erinnern wir uns: In den
Jahren nach Erscheinen des Kommissionsberichts übte
diese Idee eine große Faszination aus. Sie war sinnstif-
tend, sie führte zu einem geistigen Aufbruch. Heute – ich
sage das mit einer gewissen Besorgnis – ist diese Idee
durch inflationären Gebrauch abgewertet. Leider ist es so,
dass das Attribut „nachhaltig“ heute auch vor alle Begriffe
gesetzt wird, die eigentlich ein „Weiter so!“ beschreiben.

Um nicht missverstanden zu werden: Mir geht es nicht
um eine Verkürzung des Nachhaltigkeitsbegriffs auf tra-
ditionelle Umweltnachsorgepolitik. Aber eines muss klar
sein: Wenn Nachsorge als Etikett gebraucht wird, dann
muss sie auch enthalten sein; sonst handelt es sich um Eti-
kettenschwindel. In dieser Hinsicht muss man eben ver-
gleichen.

Der Bericht, den die Regierung hier vorgelegt hat, ist
in der Tat gut. Aber Ihre Politik, meine Damen und Her-
ren von der Koalition, ist leider eine andere. Deshalb ist
es auch nicht damit getan, hier Sonntagsreden zu halten.
Herr Bundeskanzler, 1001 Nacht Ihrer Regierung sind
nun einmal vorüber.


(Beifall bei Abgeordneten der PDS)





Bundesminister Joseph Fischer

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Wenn man sich die Politik im Einzelnen anschaut, so ist
nicht Nachhaltigkeit drin, wo SPD draufsteht. Ich staune
stets, welche spannenden Wandlungen beim Führungsper-
sonal der Sozialdemokraten immer kurz vor Wahlen ab-
laufen. Erst wird der Herr Bundeskanzler zum Genossen
Gerhard und entdeckt die traditionellen sozialdemokrati-
schen Werte wieder.


(Widerspruch bei der SPD)

Dann gibt der Genosse Gerhard auch noch den Genossen
Oskar. – Das sind Wandlungen, meine Damen und Her-
ren, von denen ich nicht weiß, ob die Öffentlichkeit sie Ih-
nen so abnimmt, wie Sie sie vollführen.


(Beifall bei der PDS – Peter Dreßen [SPD]: Was soll das in der Debatte zu einer Regierungserklärung?)


Im Hinblick auf Ihre Politik – ich sage das ohne Häme –
muss man einen Mangel an Nachhaltigkeit feststellen: Es
gibt keine Verkehrswende, also keine Verlagerung des Ver-
kehrs von der Straße auf die Schiene. Es gibt keine ökolo-
gische Steuerreform, die diesen Namen verdient.


(Peter Dreßen [SPD]: Quatsch!)

Es gibt erst recht keine Sozialpolitik, die auf Gerechtig-
keit setzt, und keinen ernsthaften Versuch, die Massenar-
beitslosigkeit, die größte Ungerechtigkeit der Neuzeit, zu
bekämpfen.


(Beifall bei der PDS)

Es gibt auch keinen glaubwürdigen Atomausstieg und
keine wirkliche Förderung regenerativer Energien in mo-
dernen Unternehmen, sondern nach wie vor eine Begüns-
tigung der Energiegiganten. Natürlich freue ich mich mit
Ihnen und mit meinem Vorredner über die Konjunktur der
Windenergie. Aber Sie werden ebenso wie ich schon er-
lebt haben, dass Unternehmer in diesem Bereich regel-
recht eine gewisse Zurückhaltung üben, ihre Erfolge in
der Öffentlichkeit zu präsentieren, weil sie die Konkur-
renz der Energiegiganten fürchten müssen.

Wenn Sie mir das alles nicht glauben und Ihre Politik
für so bemerkenswert halten, dann müssen Sie sich der
Mühe unterziehen, den Bericht, den Sie heute vorgelegt
haben, mit dem Wahlprogramm der SPD zu verglei-
chen. Das SPD-Wahlprogramm ist ein typisches Beispiel
für die Inflation des Nachhaltigkeitsbegriffs ohne inhalt-
liche Substanz.


(Beifall bei der PDS – Zuruf von der SPD: Die PDS kann doch gar nichts damit anfangen!)


Ich will Ihnen zwei Beispiele dafür vorlesen. Sie be-
zeichnen Ihre Rentenreform als nachhaltige Fortentwick-
lung des bewährten Sozialstaatsmodells. Damit benutzen
Sie den Begriff der Nachhaltigkeit für einen Vorgang, mit
dem Sie sich von der Parität verabschieden und mit dem
Sie den Einstieg in den Ausstieg aus der gesetzlichen Ren-
tenversicherung zu verantworten haben. Das ist doch nun
wirklich nicht hinzunehmen.


(Beifall bei der PDS)

Wer da immer noch an die große solidarische Wirkung der
Rentenreform glaubt, der muss sich doch einmal die Frage

stellen, warum denn die Banken und Versicherungen den
Begriff der Riester-Rente als ihr Werbesymbol erfunden
haben. Doch nicht wegen einer solidarischen Ausgleichs-
funktion!


(Beifall bei der PDS)

Sie haben in Ihrem Wahlprogramm den Begriff der

Kriegsbeteiligung wie folgt beschrieben: mit humanitärem
und friedenssicherndem Einsatz weltweit gute Beispiele
für nachhaltige Politik zu schaffen. Das, finde ich, ist nun
wirklich das Letzte, was man aus der guten Idee der Nach-
haltigkeit machen kann.

In den bisherigen Reden der Minister heute wurde ver-
sucht, heimlich den Maßstab zu wechseln. Sie sind 1998
mit einer Reihe von Versprechungen und mit einem Pro-
gramm, das in der Öffentlichkeit, wie wir wissen, durch-
aus Unterstützung fand, angetreten. Inzwischen legen Sie
diesen Maßstab nicht mehr an, sondern messen sich ein-
zig und allein an der vorherigen Koalition und Regierung.
Einen solchen Wechsel des Maßstabs darf man Ihnen
nicht durchgehen lassen.


(Beifall bei der PDS)

Lassen Sie uns vor diesem Hintergrund einen Blick in

die neuen Länder werfen, weil die Nachhaltigkeitsidee
nach der Wende für viele Ostdeutsche eine Faszination
war, eine Menge Chancen eröffnet hat und die Hoffnung
bestand, dass der Aufbruch Ost nicht nur als Nachbau
West gestaltet wird. Angesichts der ökologischen Lasten,
die zu verantworten waren, hat man sich gesagt: Eine
Reihe von ökologischen Sünden hat die DDR nicht be-
gangen – nicht etwa deshalb, weil sie sie nicht auch hätte
begehen wollen, sondern aus ökonomischer Schwäche.
Diese Chancen könnten wir doch nutzen. – Zu viele ha-
ben diese Hoffnungen aber enttäuscht gesehen. Sie haben
sich immer wieder mit der Logik konfrontiert gesehen,
dass vor den Aufschwung die Götter offenbar den Beton
gesetzt haben.


(Beifall bei der PDS)

An dieser Stelle ist, so glaube ich, auch an Rudolf

Bahro zu erinnern, dem in der DDR schweres Unrecht an-
getan wurde;


(Zuruf von der SPD: Und das aus Ihrem Mund!)


an dieser Last trage ich weiter. Aber gerade deshalb dür-
fen wir seine Alternative und seine Logik der Rettung in
dieser Debatte nicht vergessen.


(Beifall bei der PDS)

Es ist doch keine vernünftige Wirtschafts- und Gesell-

schaftspolitik, wenn versucht wird, aus allen Flüssen
Kanäle zu machen, wenn das neu errichtete Eisenbahngü-
terverkehrszentrum Großbeeren wieder geschlossen wird,
wenn dann, wenn sich ein großer Autohersteller im Osten
ansiedelt – dafür bin ich natürlich –, ein Vorgang der fol-
genden Art einsetzt: Es gibt 107 Bewerbungen, 107-mal
wird viel Geld für Gutachten ausgegeben, es fallen 107
kommunale Finanzentscheidungen bei knappen Kassen,
107-mal wird Beton in den Sand und in die Köpfe ge-
setzt – für eine einzige Ansiedlung. Und dann dankt dieses




Roland Claus
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große Unternehmen den Kommunen und dem Gemein-
wesen das, indem es keine Steuern zahlt. So kann die so-
ziale Marktwirtschaft doch wirklich nicht angelegt gewe-
sen sein!


(Beifall bei der PDS – Zuruf von der SPD: Und jetzt die Alternativen!)


Der Herr Bundeskanzler und auch der Herr Bundesfi-
nanzminister Eichel haben ihre Sparpolitik heute hier erneut
als Krönung der Nachhaltigkeit vorgestellt. Wir sind nicht
gegen Sparen – das ist hier oft genug betont worden –, aber
wer soziale Netze und gesellschaftlichen Zusammenhalt ka-
puttspart, ist weder zukunftsfähig noch nachhaltig.


(Beifall bei der PDS – Peter Dreßen [SPD]: Es geht nicht um Sparen, es geht um Schuldentilgung!)


Wenn ich mir allerdings die Alternativen von Union und
FDP anschaue, dann hält mich das von weiterer und schär-
ferer Kritik ab. In Sachsen-Anhalt, dessen gutes Kinder-
betreuungsgesetz von Frau Pieper hier noch vor einigen
Tagen gerühmt wurde, machen sich heute die Koalitionäre
daran, die Zuschüsse für die Kinderbetreuung erheblich zu
senken. Auch diese Wahrheit gehört hier ausgesprochen;
das darf den Konservativen nicht geschenkt werden.

Wir haben eine Erfahrung gemacht: Die Wahlsieger
von Sachsen-Anhalt, denen zweifelsohne zu gratulieren
ist, haben diesen Wahlsieg mit einer beispiellosen Rote-
Laterne-Kampagne errungen. Ich möchte in unser aller
Interesse dafür appellieren, das verhängnisvolle Schlecht-
reden eines ganzen Landes und die Missachtung von Leis-
tungen unendlich vieler Bürgerinnen und Bürger mittels
dieser Kampagne von der roten Laterne jetzt nicht zum
bestimmenden Element im Bundestagswahlkampf zu ma-
chen. Das hat Deutschland nicht verdient. Das sei an die
Adresse der Union gesagt.


(Beifall bei der PDS)

Ich habe mir auch das FDP-Wahlprogramm ange-

schaut, zu dem hier schon einiges gesagt wurde. Manche
machen es sich zu leicht, indem sie dieses Programm als
Spaßprogramm bezeichnen. Ich finde nicht, dass es ein
Spaßprogramm ist. Es ist vielmehr ein Programm der so-
zialen Kälte.


(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Der sozialen Verantwortung!)


So deutlich gehört es auch kritisiert.

(Beifall bei der PDS)


Herr Bundeskanzler Schröder hat die Verantwortung
für eine globalisierte Welt beschworen. Schauen wir hier
auch in das SPD-Wahlprogramm, so stellen wir fest,
dass der weltweiten Forderung, 0,7 Prozent des Bruttoso-
zialproduktes für Entwicklungspolitik auszugeben, ledig-
lich die Zielmarke 0,33 Prozent bis zum Jahre 2006 ge-
genübersteht. Das ist Nachhaltigkeit im missverstandenen
Sinne. Das ist sozusagen Schneckentempo rückwärts.


(Beifall bei der PDS)

Wir bleiben deshalb bei der Forderung der Besteuerung

von kurzfristigen Spekulationsgewinnen. Ein Gutachten

der Bundesregierung sagt aus – nicht etwa ein Gutachten
der Oppositionsfraktionen –, eine Tobinsteuer oder eine
der Tobinsteuer ähnliche Steuer sei in einer europäischen
Zeitzone durchaus möglich.


(Beifall bei der PDS)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1423601700
Herr Kollege Claus,
Sie müssen zum Ende kommen.


Roland Claus (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1423601800
Das will ich gerne tun, Herr
Präsident.

Ich freue mich auch, wenn der Bundeskanzler sagt, es
genüge nicht, den Sicherheitsbegriff auf das Militärische
zu reduzieren. Deshalb ist es gut und nicht antiamerika-
nisch, dass die Friedensbewegung für Montag zur Demo
aufgerufen hat.


(Beifall bei der PDS)

Es ist auch gut und nicht antiamerikanisch, dass Abge-
ordnete des Deutschen Bundestages daran teilnehmen.


(Beifall bei der PDS)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1423601900
Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Auf der Tribüne hat die Präsidentin des
chilenischen Abgeordnetenhauses, Frau Muñoz, mit
ihrer Delegation Platz genommen. Wir begrüßen Sie alle
sehr herzlich.


(Beifall)

Wir hoffen, dass Sie einen aufschlussreichen Eindruck
von unserer parlamentarischen Arbeit gewinnen können,
und wünschen Ihnen für Ihren Aufenthalt in Deutschland
sowie für Ihr weiteres parlamentarisches und politisches
Wirken alles Gute.


(Beifall)

Ich erteile nun dem Bundesminister Werner Müller das

Wort.

Dr. Werner Müller, Bundesminister für Wirtschaft

(von der SPD sowie von Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN mit Beifall begrüßt)

gentlich erlebt man in Diskussionen auch ehrliche Worte.
Ich finde es gut, Frau Merkel, wenn Sie sagen, dass Sie in-
zwischen dazugelernt hätten. Ich hatte dieser Tage eine
Diskussion mit Herrn Schäuble. Darin sagte er mir, er
wolle gar nicht bestreiten, dass sie Ende 1998 Deutsch-
land in einem schlechten Zustand hinterlassen haben.


(Heinz Seiffert [CDU/CSU]: Was? – Friedrich Merz [CDU/CSU]: Das hat er nicht gesagt! – Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Das hat er so sicherlich nicht gesagt!)


Das ist ein vernünftiger Ansatz, wenn man Gemein-
samkeiten feststellen will. Wir unterscheiden uns aller-
dings in der Beantwortung der Frage, ob wir Ende 2002
besser oder schlechter als 1998 dastehen. Diese Frage, die




Roland Claus

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im Wahlkampf behandelt wird, wird von den Bürgern zu
entscheiden sein.

Ich muss Ihnen deutlich sagen: Sie reden Deutschland
bewusst schlecht.


(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Das ist doch Unsinn!)


Sie stehen damit leider nicht alleine da. Wenn ich hören
muss, dass der Präsident des Deutschen Industrie- und
Handelskammertages in einem langen Interview mit der
„Süddeutschen Zeitung“ kürzlich erklärt hat, Deutsch-
land sei wie Argentinien oder genauer gesagt, in
Deutschland sei es noch schlimmer als in Argentinien,
dann schäme ich mich für einen solchen Vertreter der
deutschen Wirtschaft.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


Ich bitte insbesondere die Unternehmen, zu erkennen,
was ihre Verbandsführung macht. In einem besonderen
Falle sind die Unternehmen vorstellig geworden, um zu
bewirken, dass die Enteignungen oder die enteignungs-
gleichen Vorgänge in Argentinien rückgängig gemacht
werden. Ich wüsste nicht, dass wir von Staats wegen
Bankschalter geschlossen hätten etc.


(V o r s i t z: Vizepräsidentin Anke Fuchs)

Deswegen sage ich: Wenn diese Diskussion insbesondere
seitens der Opposition und der Verbandsführung der Wirt-
schaft weitergeht, mit der Deutschland schlechtgeredet
wird,


(Birgit Homburger [FDP]: Nicht Deutschland, die Regierung!)


werden wir uns in der Welt nicht mehr sehen lassen kön-
nen, und das völlig ohne Grund.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir stehen in allen Eckpunkten zurzeit besser da als
Ende 1998: Der Export ist gegenüber 1998 inzwischen
um ein Drittel höher. Wir haben Anteile am Weltmarkt
zurückgewonnen, nachdem wir in den gesamten 90er-
Jahren Anteile am Weltmarkt verloren haben. Wir stehen
besser da.

Wir stehen, auch was das Handwerk anbelangt, besser
da, denn wir haben einige hundert Millionen in die Aus-
bildungsstätten des Handwerks und in die überbetrieb-
lichen Ausbildungsstätten investiert.


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Nur das Handwerk sieht es anders!)


Die Handwerksordnung ist heute wesentlich sicherer als
1998, weil wir zusammen mit dem Handwerk den Vollzug
der Handwerksordnung neu geregelt haben. Außerdem
haben wir das Meister-BAföG völlig renoviert und das
Handwerk ist uns dafür dankbar. Auch dort stehen wir
besser da.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir stehen besser da, jedenfalls zur Stunde noch, was
die Wertschätzung des Investitionsstandortes Deutsch-
land bei ausländischen Investoren anbelangt. Sie müs-
sen beachten, dass das Ausland in den drei Jahren 1999,
2000 und 2001 in Deutschland mehr investiert hat als ins-
gesamt von 1990 bis 1998.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Friedrich Merz [CDU/CSU]: Das ist doch Unsinn, Herr Müller!)


Wenn Sie auf den Vodafone-Fall abheben, sage ich Ihnen:
Wir haben das Investitionsniveau des Auslands in
Deutschland auch ohne den Vodafone-Fall wieder ver-
doppelt. Wir brauchen ausländische Investoren in diesem
Land, und wir begrüßen sie. Also auch dort stehen wir
besser da.

Auch beim Gang der Bundesrepublik in die digitale
Welt, den Gang aller Bürgerinnen und Bürger in die In-
formations- und Kommunikationstechnologie stehen
wir wesentlich besser da als Ende 1998.


(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Doch nicht wegen Rot-Grün, sondern trotz Rot-Grün, Herr Müller! Was Sie sagen, ist doch Unsinn!)


Auf diesem Gebiet waren wir Ende 1998 innerhalb Euro-
pas ziemlich am Ende. Inzwischen liegen wir, was die Ver-
breitung von Internet anbelangt, völlig auf dem Welt-
maßstab.


(Birgit Homburger [FDP]: Das ist doch nicht Ihre Leistung!)


Wir haben – nebenbei bemerkt – die Kosten für die Nut-
zung der Telekommunikation um bis zu 90 Prozent ge-
senkt.


(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Dazu haben Sie gar nichts beigetragen! Nichts haben Sie damit zu tun! Das ist vor Ihrer Zeit entschieden worden!)


– Natürlich. Ich wüsste nicht, dass Sie für die Regulierung
dieses Marktes zuständig sind. Das ist die Bundesregie-
rung.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Friedrich Merz [CDU/CSU]: Das ist vor Ihrer Zeit entschieden worden! Das ist anmaßend, was Sie da machen! – Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Das war die Regulierungsbehörde, nicht Sie!)


Wir stehen, auch was das Thema Ostdeutschland anbe-
langt, besser da als Ende 1998.


(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Höchste Arbeitslosigkeit seit der Wiedervereinigung!)


Wir haben beispielsweise ein ungeheuer gutes Wachstum
des verarbeitenden Gewerbes in Ostdeutschland.


(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Müllers Märchenstunde! – Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Eine Bunkermentalität!)


Das ostdeutsche Gewerbe ist inzwischen in der Welt-
marktfähigkeit auf westdeutschem Standard. Der Export-




Bundesminister Dr. Werner Müller
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anteil der ostdeutschen Produkte ist in den Jahren, in de-
nen wir regieren, mehr als verdoppelt worden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wenn wir generell fragen, was in unserem Land nach
1998 eigentlich besser geworden ist, müssen wir feststel-
len, dass das Wachstumsniveau ein Stück nach oben ge-
hoben worden ist.


(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Und die Arbeitslosigkeit gestiegen ist!)


Sie hatten nämlich in den 90er-Jahren – das ist vorher schon
gesagt worden – einen permanenten Rückgang der Wachs-
tumsraten. Wir liegen jetzt im Wachstumsniveau schon
etwa 40 Prozent über dem, was Sie hinterlassen haben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Das nächste Jahr wird ein gutes Jahr, und dann ist das
Wachstumsniveau schon annähernd bei 2 Prozent im
Durchschnitt der Jahre. Damit komme ich zu dem, was ich
insgesamt sagen will. Richtig ist: Wir stehen in allen
gesamtwirtschaftlichen Eckpunkten zurzeit besser da als
Ende 1998.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Insofern haben wir vom Grundsatz her das erreicht, was
den Wählerinnen und Wählern versprochen wurde.

Aber ich sage auch deutlich: Wir haben mit der Rezes-
sion, die nach dem 11. September eingetreten ist, nicht
rechnen können.


(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Ha, ha, ha!)

– Ich weiß nicht, was es da zu lachen gibt. Wollen Sie sa-
gen, dass Sie vom 11. September vorher gewusst haben?
Das ist doch Unsinn, was Sie da machen. Wir haben diese
Rezession so nicht erwarten können.


(Birgit Homburger [FDP]: Wieso hat sich das bei den anderen Ländern nicht so ausgewirkt?)


Unabhängig davon sage ich Ihnen: Wir sind nicht am
Ende der Reformarbeit.Wir müssen weiter reformieren.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ein Wachstumsniveau in der Größenordnung von derzeit
1,5 Prozent oder 1,7 Prozent reicht uns nicht. Unser Ziel für
die nächsten vier Jahre ist, das Wachstumsniveau im Mittel
auf über 2 Prozent zu heben. Wir werden das erreichen,


(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Sie nicht mehr!)

indem wir konsequent die Rahmendaten weiter verbes-
sern. Uns müssen Sie nicht die Frage stellen: Sollen oder
sollten wir nicht die Steuern senken? Wir haben die Steu-
ersenkung, die Sie im Programm haben, schon im Gesetz.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Gott sei Dank haben Sie sich in Ihrem Programm end-
lich unserer Einsicht angeschlossen, dass der Dreh- und

Angelpunkt die Besteuerung der kleinen Einkommen
im Privatbereich und der kleinen Einkommen in der ge-
werblichen Wirtschaft – ich denke insbesondere an die
Personenunternehmen – ist. Deshalb wollen Sie nun nicht
mehr, wie früher permanent, den Eingangssteuersatz hoch
setzen; vielmehr enthält Ihr jetziges Programm die For-
derung nach einem Eingangssteuersatz von 15 Prozent.
Nebenbei bemerkt: Das ist überflüssig; denn es ist schon
Gesetz.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir werden die Arbeitslosigkeit systematisch weiter
abbauen, und zwar überwiegend dadurch, dass wir ein
höheres Wachstumsniveau anstreben, aber auch dadurch,
dass wir Flexibilitäten in den Arbeitsmarkt eingebaut ha-
ben.


(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Wo denn?)

Wir werden mit den Unternehmen reden müssen, damit
sie die Flexibilitäten nutzen, beispielsweise die Möglich-
keit, befristet einzustellen.

Wir stehen dafür gerade, die Finanzierung des Mit-
telstandes weiterhin zu Konditionen zu sichern, die der
Mittelstand verkraftet.


(Birgit Homburger [FDP]: Das hat man gemerkt, Herr Müller!)


Es handelt sich dabei um ein schwieriges Thema; denn es
wird uns von außen vorgegeben. Wie gesagt, Deutschland
ist nicht Argentinien und schließt die Bankschalter. Die
Banken müssen selbst wissen, ob sie ihre Schalter für das
Handwerk offen halten oder nicht.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Alles in allem sage ich Ihnen in aller Deutlichkeit: Wir
werden unsere Leistungsbilanz den Bürgern deutlich
machen. Wir werden das vielleicht etwas besser als bisher
tun müssen. Wir haben sehr viele Erfolge erzielt und da-
bei vergessen, einen Vergleich mit dem Jahre 1998 ziehen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


– Das mag Sie amüsieren. – Wir treten mit diesen Erfol-
gen vor den Wähler. Wir werden sagen, was wir in den
nächsten vier Jahren konkret machen werden. Wir werden
nicht wie Herr Späth in der Sendung „Maischberger“ ver-
fahren: Auf die nette Frage nach seinem Programm gab er
die nette Antwort, das sei, wie wenn Kinder fragen, was
es zu Weihnachten gebe;


(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Eine neue Regierung!)


darauf werde nicht geantwortet, höchstens: Im Winter ist
es kalt. – Das charakterisiert Sie ein bisschen.


(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)





Bundesminister Dr. Werner Müller

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Im Gegensatz zu diesem Hinweis auf Weihnachten
werden wir den Bürgern sagen, welche Verbesserungen
es in diesem Land Jahr für Jahr geben wird. Dann werden
wir um Vertrauen bitten. Wenn wir nicht irgendwelchen
Utopien erliegen, weil Sie sie fordern, dann werden wir
das Vertrauen bekommen. Eines kann man den Bürgern
klar machen: Wir stehen besser als Ende 1998 da, wenn
auch noch nicht gut genug. Warum sollen diejenigen Ver-
antwortung übernehmen, die den Zustand von 1998 her-
beigeführt haben?


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Auf dieser Basis ist es mir nicht bange. Wir werden Sie
am 23. September trösten.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1423602000
Für die CDU/CSU-
Fraktion erteile ich jetzt dem Kollegen Dr. Klaus Lippold
das Wort.


(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Der Minister geht schon! – Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Herr Müller, bleiben Sie da!)


Dr. Klaus W. Lippold (Offenbach) (CDU/CSU) (von
Abgeordneten der CDU/CSU mit Beifall begrüßt): Wir
werden es ihm übermitteln. – Frau Präsidentin! Meine
sehr geehrten Damen und Herren! Herr Bundeskanzler, in
dieser Debatte sollte über Rio und über Nachhaltigkeit ge-
sprochen werden. Sie haben die Kernpunkte von Rio nicht
deutlich angesprochen, geschweige denn im Detail be-
handelt.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Die kennt er ja nicht!)


Ich habe zwar Wahlkampf von Ihnen erwartet; aber ich
bin nicht davon ausgegangen, dass Sie das Thema völlig
vernachlässigen. Das hat das Thema nicht verdient. Was
wir in Rio angestoßen haben, ist für die Welt wichtig.
Sie haben diese Debatte missbraucht, um eine Wahl-
kampfrede zu halten.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was halten Sie für eine Rede?)


Herr Bundeskanzler, man muss natürlich auch sehen,
dass Ihre Regierungserklärung unter dem Motto „Politik
für Wachstum, Wohlstand und Beschäftigung“ steht. Zum
Thema Beschäftigung haben Sie nichts gesagt, Herr Bun-
deskanzler. Das haben Sie dem Minister überlassen, von
dem Sie sagen, dass er es nicht wert ist, der nächsten Re-
gierung wieder anzugehören.


(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: So ist es!)

Sie selbst sind auf das Thema Beschäftigung nicht ein-

gegangen. Das verstehe ich. Sie haben versprochen, die
Arbeitslosigkeit auf 3,5 Millionen zu senken. Wir haben

4 Millionen Arbeitslose. Sie haben dazu heute kein einzi-
ges Wort gesagt, weil Sie wissen, dass da Ihr Defizit liegt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Herr Schröder, die Politik der ruhigen Hand haben Sie
heute wieder praktiziert, indem Sie nichts in der Sache ge-
sagt haben.


(Ulla Burchardt [SPD]: Herr Lippold, dann reden Sie doch über Nachhaltigkeit!)


Wir werden Ihnen deutlich machen, dass 4 Millionen Ar-
beitslose ein Skandal sind, auch wenn Sie dies ver-
schweigen wollen.

In die Beschäftigungsstatistiken, die Ihr Minister – den
Sie, wie gesagt, nicht für wert halten, dass er der nächsten
Regierung wieder angehören soll – vorgelegt hat, haben
Sie die Teilzeitarbeit mit hineingerechnet, die früher nicht
drin war. Das ist eine glatte Beschönigung der realen Ver-
hältnisse. An weiteren Verfälschungen der Statistik haben
wir Sie Gott sei Dank hindern können.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Aber das ist nicht das Einzige. Die Regierungs-

erklärung, Herr Bundeskanzler, sollte nicht nur Politik für
Beschäftigung, sondern auch Politik für Wachstum bein-
halten. Beim Thema Wachstum erwischen wir Sie dabei,
dass die Zahlen Tag für Tag herunterkorrigiert werden. Sie
stehen Tag für Tag an, diese Zahlen zu beschönigen. Sie
sagen: Es kommt; am fernen Himmel ist Hoffnung.

Das hat auch Ihr Minister Müller gerade wieder ge-
macht. Aber wir müssen doch festhalten: Nach wie vor
werden die Zahlen herunterkorrigiert. Wir werden in die-
sem Jahr bei 0,5 Prozent Wachstum landen. Das ist das
schlechteste Ergebnis in Europa. Dazu haben Sie kein ein-
ziges Wort gesagt. Wie wollen Sie von der roten Laterne
wegkommen, ohne hier etwas zu tun?


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Herr Bundeskanzler, wir wissen, dass die Beschäf-

tigungsproblematik ohne ein ausreichendes Wachstum
nicht zu lösen ist. Anders ist das nicht zu erreichen. Des-
halb bitte ich, dass Sie noch einmal deutlich machen las-
sen, was Sie denn nun wirklich tun wollen. Davon haben
wir in der ganzen Regierungserklärung nichts gehört.

Jetzt noch eine Frage. Sie haben auch etwas zur Pro-
blematik Wohlstand gesagt. Wenn Sie, Herr Bundeskanz-
ler, sich ansehen, wie sich die Reallöhne in den letzten
Jahren entwickelt haben, dann werden Sie feststellen, dass
die Reallöhne keinen Zuwachs hatten, sondern zurückge-
gangen sind. Ist das der Wohlstand für alle, den Sie ver-
sprechen? So, Herr Bundeskanzler, können Sie es nicht
halten.

Der nächste Punkt. Sie haben ganz kurz die Themen
Nachhaltigkeit und Umweltschutz gestreift. Aber was ist
denn dabei herausgekommen? Bei der Klimaschutzver-
einbarung haben wir das Ziel von 25 Prozent Reduzierung
des CO2-Ausstoßes festgelegt. Sie haben damals gesagt,das sei zu wenig. Was haben wir heute? Wir sind weit da-
von entfernt, diese Zielsetzung, die mit uns erreichbar ge-
wesen wäre, mit Ihnen zu erreichen.




Bundesminister Dr. Werner Müller
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(Monika Ganseforth [SPD]: Das wäre mit Ihnen doch nicht erreichbar gewesen!)


Ich will das ganz deutlich sagen: Seit zwei Jahren, Herr
Bundeskanzler – das sind Daten aus dem Hause des Wirt-
schaftsministeriums –, steigen die CO2-Emissionen wie-der. Sie sinken nicht, sie steigen! Auch das ist ein Punkt,
bei dem Sie Zusagen klar verfehlen und bei dem das, was
wir avisiert haben, von Ihnen nicht eingehalten worden
ist.

Es gibt keine grundsätzlich neue Zielsetzung im Be-
reich des Umweltschutzes. Sie haben allenfalls das fort-
gesetzt, was wir begonnen haben, und das in Teilen mit
ganz geringem Erfolg.

Ich konzediere, dass Sie im Bereich der Altbausanie-
rung einiges Geld mehr zur Verfügung stellen konnten.
Das haben wir allerdings auf den Weg gebracht. Sie sind
den Weg weitergegangen. Aber die Instrumente variieren,
steuerliche Anreize schaffen, damit wir hier wirklich mit
Schwung, mit Impuls, mit Innovation mehr erreichen, das
alles tun Sie nicht, das alles lassen Sie mit ruhiger Hand
an sich vorbeigleiten. Ich meine, das ist in dieser Form
ausgesprochen falsch. So sollten wir das nicht machen.


(Monika Ganseforth [SPD]: Mit Ihnen hätten wir das Ziel grandios verfehlt!)


Lassen Sie mich noch einmal deutlich machen, wie Sie
relativieren, Herr Bundeskanzler. Ich lese im „Tages-
spiegel“, dass Sie sich mit der FDP anlegen. Aber viel in-
teressanter ist:

Mit Blick auf den Vorwurf der Union, Deutschland
sei Europas Schlusslicht beim Wachstum, sagte
Schröder, es sei „verwunderlich“, wenn „doch tat-
sächlich das portugiesische Wachstum mit unserem
verglichen“ werde. Die Heranführung der schwäche-
ren Volkswirtschaften in Europa an die reicheren sei
„doch gerade der Sinn“ der EU. Daher sei ein „sche-
matischer Vergleich“ von Wachstumszahlen „ökono-
misch ziemlich fragwürdig und politisch unsinnig“.

Herr Bundeskanzler, ich will Ihnen ganz offen sagen:
Wenn Sie meinen, dass das Zusammenwachsen der eu-
ropäischen Volkswirtschaften dadurch passiert, dass wir
ein ganz geringes Wachstum haben und die anderen ein
hohes, dann sage ich Ihnen, das ist der falsche Weg. Diese
Art von Interpretation, die Sie hier gebracht haben, mit
der Sie noch Entschuldigungen dafür finden, dass Sie
nichts, aber auch gar nichts zum Wachstum beitragen, ist
falsch.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Wenn Sie dann noch darauf verweisen, das sei welt-
wirtschaftliche Entwicklung, kann ich nur sagen: Die
weltwirtschaftliche Entwicklung ist für die anderen euro-
päischen Länder nicht anders als für die Bundesrepublik
Deutschland. Aber Sie haben daraus nichts gemacht, die
anderen haben etwas daraus gemacht. Deshalb werden die
Zahlen für die Bundesrepublik immer schlechter und die
Menschen haben damit zu Recht weiterhin Angst, dass sie
ihren Arbeitsplatz verlieren. Arbeitsplatzverluste sind an-
gesagt.

Herr Minister Müller hat gerade gesagt, im Handwerk
habe man etwas getan. Wir haben mit dem Handwerks-
präsidenten gesprochen. Das, was Sie getan haben, be-
wirkt – davon wird derzeit ausgegangen –, dass in der
nächsten Zeit 60 000 Handwerksbetriebe schließen,


(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Hört! Hört!)

dass Arbeitsplätze vernichtet werden und dass es durch Ihre
Politik gerade im mittelständischen Bereich der Wirtschaft,
in dem früher Arbeitsplätze geschaffen wurden, kein Im-
pulse, keine Innovationen und kein Anreize zur Schaffung
von Arbeitsplätzen gibt. Mit Ihnen geht es weiter bergab.
Deshalb haben die Menschen Angst. Aus dieser Angst ent-
wickelt sich die Tendenz zum Ansparen. Aus diesem An-
sparen entwickeln sich weniger Investitionen. Das alles ku-
mulativ gesehen, führt in einen Weg abwärts, den allein Sie,
Herr Bundeskanzler, zu verantworten haben.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Ein letzter Aspekt. Es ist nicht erstaunlich, dass Sie im
Hinblick auf Nachhaltigkeit – Kollegin Homburger hat
dies sehr deutlich gesagt – nicht weitergekommen sind.
Vier der wesentlichen Minister, von denen Sie sagen, dass
sie ihr Amt nicht wieder antreten sollen, sind für die Haupt-
bereiche, in denen nachhaltige Politik betrieben werden
soll, verantwortlich. Mit einem solchen Personal, das Sie
selbst ausmustern, kann man keine Bäume ausreißen.


(Wolfgang Gehrcke [PDS]: Bäume ausreißen ist ja auch nicht nachhaltig!)


Sie sehen, der 22. September 2002 ist überfällig. Denn
wenn die Personen, von denen Sie schon jetzt sagen, dass
sie eigentlich nicht in das Kabinett gehören, erst am
22. September ausgewechselt werden, dann ist das, Herr
Bundeskanzler, viel zu spät. Die sind schon jetzt über-
flüssig.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP– Ulla Burchardt [SPD]: Sie sollten gleich gehen!)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1423602100
Das Wort hat jetzt
Bundesminister Jürgen Trittin.

Das gibt mir aber Veranlassung zu folgender Bemer-
kung: Zum Ersten freue ich mich, dass der Bundesaußen-
minister anwesend ist. Es wäre aber schön, wenn er Platz
nehmen würde.

Zum Zweiten sollte die Bundesregierung darüber
nachdenken, ob es fair ist, wenn ein Minister, der gespro-
chen hat, sofort den Saal verlässt. Ich glaube, er sollte hier
bleiben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Aber nun spricht ja ein Minister. Er macht es sicherlich
ganz vorbildlich und bleibt im Anschluss an seine Rede
im Saal sitzen.

Herr Minister, Sie haben das Wort.

Jürgen Trittin, Bundesminister für Umwelt, Natur-
schutz und Reaktorsicherheit: Frau Präsidentin! Meine




Dr. Klaus W. Lippold (Offenbach)


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(A)



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Damen und Herren! Ich habe der Presse entnommen, dass
sich gestern der Kanzlerkandidat der Union, Edmund
Stoiber, gegen die Amerikanisierung der Lebensver-
hältnisse ausgesprochen hat. Das war kein Kommentar
zum anstehenden Bush-Besuch, sondern die Inan-
spruchnahme von dem, was die CDU/CSU für soziale
Verantwortung in diesem Lande hält.

Herr Stoiber sollte allerdings darauf achten, wer an sei-
ner Seite zur Rechten, im Gagamobil sitzend, versuchen
möchte, ihm zu einer Mehrheit zu verhelfen.


(Ulrike Flach [FDP]: So ein Quatsch!)

Ist es etwa keine Amerikanisierung der Lebensverhält-
nisse in diesem Lande, wenn künftig jemand mit einem
Jahreseinkommen von 40 000 Euro den gleichen Steuer-
satz zu zahlen hat wie ein Einkommensmillionär? Das ist
die Politik der FDP. Das ist die Politik, die man zutreffend
mit neoliberal und mit Amerikanisierung, die Herr Stoiber
abgelehnt hat, bezeichnen kann.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir sprechen hier über Nachhaltigkeit. Die FDPhat an-
gekündigt, den Anteil der Sozialversicherungsbeiträge
an den Lohnkosten auf 35 Prozent zu senken. Sie haben in
diesem Lande 29 Jahre Zeit gehabt, dieses Programm um-
zusetzen. Was war, als Sie das 29 Jahre versucht haben?
Am Ende lag er nicht bei 35, nicht bei 36 und auch nicht
bei 40, sondern bei 43 Prozent. Das ist Ihre Politik gewe-
sen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Jetzt sagen Sie: Das, was die jetzige Regierung erreicht
hat, nämlich eine Senkung durch die ökologische Steuer-
reform, wollen wir rückgängig machen. – Ihr Wahlpro-
gramm ist die Ankündigung, die Sozialversicherungs-
beiträge durch die Aufhebung der Ökosteuer gleich
wieder auf 43 Prozent anzuheben, weil Sie bis heute keine
Antwort darauf haben, woher die dann fehlenden 12 Mil-
liarden Euro herkommen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Doch, 18 Prozent Mehrwertsteuer!)


Das ist der Weg, den die rechte Seite der Opposition an
dieser Stelle gehen möchte. Aber das, was sich da zusam-
menfindet, ist gerade unter wirtschaftlichen Aspekten in
keiner Weise zu akzeptieren.

Wenn wir über Nachhaltigkeit sprechen, dann gilt der
alte Satz: Man kann global nur das durchsetzen, was man
selber zu Hause praktiziert.


(Ulrike Flach [FDP]: Dann nehmen Sie sich das mal zu Herzen!)


Der alte Grundsatz „Predige Wasser und saufe Wein!“
funktioniert nicht. Schauen wir uns das einmal auf dem
Gebiet der Energiepolitik an: Wer verkauft zurzeit zur Be-
hebung der Energiekrise in Kalifornien hocheffiziente
Gasturbinen? Deutsche Unternehmen. Wie sind diese
deutschen Unternehmen in diese Situation gekommen?

Weil diese Koalition es geschafft hat, die steuerliche Dis-
kriminierung dieser hocheffizienten Gasturbinen, die zu
Ihrer Regierungszeit an der Tagesordnung war, zu besei-
tigen. Wer hat damals Aktuelle Stunden hier im Hause ge-
gen die Beseitigung der steuerlichen Diskriminierung
veranstaltet? Sie von der Union auf der rechten Seite, weil
Sie nach wie vor der Auffassung sind, Energiepolitik
könne man mit zwei Worten beschreiben, nämlich nuklear
und fossil. Darauf beruht Ihre Politik, nicht auf Erneu-
erung und Modernität.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Ein anderes Beispiel: Da gibt es einen Don Quichotte
aus dem Münsterland namens Jürgen W. Möllemann. Er
schließt sich Initiativen gegen die Errichtung von Wind-
parks an. Da hat er in zwei Bundesländern wenig zu tun,
nämlich in Bayern und Baden-Württemberg. Während in
Mecklenburg-Vorpommern, in Niedersachsen, in Schles-
wig-Holstein und in Brandenburg heute unzählige Land-
wirte mit der Errichtung und dem Betrieb von Windparks
eine zweite Ernte einfahren, wird in Bayern und Baden-
Württemberg exakt die Politik betrieben, die Herr
Möllemann fordert, nämlich eine absolute Blockadepoli-
tik gegenüber dem Ausbau erneuerbarer Energien. Das ist
nicht nur ein Anschlag auf die Landwirtschaft und die In-
teressen der Landwirte, meine Damen und Herren. Nein,
denn die deutsche Windbranche fragt heute auch mehr
Stahl nach als die gesamte deutsche Werftindustrie.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Wenn Sie in diesem Land an die Regierung kommen,
dann gefährden Sie nicht nur die 35 000 Arbeitsplätze in
der Windbranche, sondern auch das Einkommen von
Landwirten und die Arbeitsplätze der Kolleginnen und
Kollegen in der Stahlindustrie in Nordrhein-Westfalen
und anderswo.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Zurufe von der CDU/CSU)


Meine Damen und Herren, wenn Sie das unter Nach-
haltigkeit verstehen, dann wundert mich die Rede der ver-
ehrten Kollegin Merkel überhaupt nicht. Sie sagte darin,
ein Musterbeispiel für die schlechte Politik dieser Regie-
rung sei es, dass einige Legehennenzüchter nun ins Aus-
land abgewandert seien. Welche waren denn das? Das wa-
ren die, die Hunderttausende von Hennen auf engstem
Raum hielten und zur Steigerung des Ertrages ihre Hüh-
ner mit Nikotin besprühten. Wenn Sie, meine Damen und
Herren, Frau Merkel, diese Form von tierquälerischer
Massentierhaltung als Ausdruck von Nachhaltigkeit anse-
hen, dann kann ich Ihnen nur sagen: Über diesen Begriff
von Nachhaltigkeit lachen die Hühner.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Zurufe von der CDU/CSU)


Letzte Bemerkung, Frau Präsidentin, bevor ich zum
Schluss komme: Eines hätten Sie, Frau Merkel, nicht tun
dürfen und stattdessen besser zu Ihrer Politik geschwie-
gen. Joschka Fischer hat darauf hingewiesen, dass wir die
Ausgaben für Gebäudeisolierung gegenüber Ihrer Zeit
auf das Achtfache angehoben haben. Er hat darauf hinge-




Bundesminister Jürgen Trittin
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(A)



(B)


wiesen, wie die von Ihnen regierten Bundesländer ver-
zweifelt versucht haben, die 30-prozentige Anhebung der
Wärmestandards in der Energiesparverordnung zu ver-
hindern; voran ging dabei Bayern mit Stoiber.

Ich sage Ihnen noch ein Weiteres.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1423602200
Lieber nicht.

Jürgen Trittin, Bundesminister für Umwelt, Natur-
schutz und Reaktorsicherheit: Als ich das Amt von Frau
Merkel übernommen habe, lagen die CO2-Emissionender privaten Haushalte 7 Prozent über denen von 1990.
Heute liegen sie 11,5 Prozent darunter. Das ist, meine Da-
men und Herren, praktizierte Nachhaltigkeit.


(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Das ist lächerlich!)


Diese Nachhaltigkeit können Sie nur mit der Ökosteuer
praktizieren, für die auch Sie früher waren, was Sie aber
jetzt nicht mehr wahrhaben wollen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1423602300
Für die FDP-Fraktion
erteile ich jetzt das Wort der Kollegin Ulrike Flach.


Ulrike Flach (FDP):
Rede ID: ID1423602400
Frau Präsidentin! Meine Damen
und Herren! Herr Trittin, auch Ihnen möchte ich das Zitat
der „Frankfurter Rundschau“ von heute nicht ersparen,
gemäß dem es die FDP verdient habe, um ihres Program-
mes wegen bekämpft zu werden. Ich wäre Ihnen ausge-
sprochen dankbar, wenn auch Sie sich an unserem Pro-
gramm entlanghangeln würden und nicht irgendwelche
Luftblasen darüber in die Welt setzen, was wir angeblich
sagen oder nicht sagen.


(Beifall bei der FDP – Zuruf des Abg. Dr. Uwe Küster [SPD])


Ich wäre Ihnen auch dankbar, wenn Sie sich heute, wo wir
uns wahrscheinlich im Endeffekt fünf Regierungs-
erklärungen antun, etwas mehr mit den Themen befassten,
um derentwillen wir heute hier sind. So liegt zu einem
Thema auch ein entsprechender Antrag vor.

Wir haben hier nicht den Wahlkampf zu eröffnen, son-
dern über Nachhaltigkeit in der Politik und über unser
tägliches Wirken zu reden.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich empfehle Ihnen, sich mit der politischen Prosa, die uns
von Rot-Grün auf den Tisch gelegt wurde und über die Frau
Burchardt gleich sprechen wird, auseinander zu setzen.

Sie haben dafür gesorgt, dass der Bürger in Deutsch-
land nach der heutigen Debatte, die inzwischen mehr als
drei Stunden andauert, überhaupt nicht mehr weiß, was
wir uns unter Nachhaltigkeit vorstellen sollen. Wir haben
sozusagen einen Omnibus an politischen Forderungen
über uns ergehen lassen. Sie gehen ganz offensichtlich da-

von aus, dass es besser ist, Ihre Vorstellungen in Richtung
der Fernsehkameras zu erzählen, anstatt sie in Ihren Pro-
grammen und auf den Parteitagen zu verabschieden.
Meine Freunde,


(Dr. Uwe Küster [SPD]: Hui! – Joachim Poß [SPD]: Sie sind nicht auf Ihrem Parteitag! – Dr. Uwe Küster [SPD]: Das ist hier kein Parteitag!)


ich wäre Ihnen sehr verbunden,

(Dr. Uwe Küster [SPD]: Das ist wohl ein altes Manuskript!)

wenn die Minister, die hier Regierungserklärungen abge-
ben, nicht hinterher abzwitschern, sondern auch auf ihren
Plätzen sitzen bleiben und sich dem politischen Gegner
stellen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Forschungspolitik und Innovation war immer das
Lieblingsthema von Frau Burchardt in der zuständigen
Enquete-Kommission, deren Ergebnis wir heute hier be-
sprechen.


(Dr. Uwe Küster [SPD]: Meine liebe Freundin!)


Diese Themen sind weder in Ihren Anträgen noch in Ihren
Reden zu finden. Der Bundeskanzler hat – ich habe mir
die Rede angehört – das Wort Forschung in einem einzi-
gen Nebensatz erwähnt, das Wort Innovation kam über-
haupt nicht vor und das Thema Bildung erwähnte er nur
in einem kleinen Nebensatz über die Ganztagsschulen.

In diesem Zusammenhang sage ich für die FDP: Wer
Bildung und Nachhaltigkeit in der Bildungs- und For-
schungslandschaft so versteht,


(Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Wie Herr Lange in Hamburg! 450 Lehrer weniger!)


dass man ein 5-Milliarden-Programm in die Welt setzt,
das Geld, das haushaltspolitisch noch nicht einmal abge-
sichert ist, sozusagen unter den Leuten verstreut und an-
sonsten in den letzten vier Jahren kein Wort zu dem
Thema vorschulische Betreuung gesagt hat, beschreitet
den falschen Weg. Vielmehr sind die Vorschläge meiner
Kollegen zum Thema Tagesmutter Teil der Nachhaltig-
keitspolitik.

Sie behaupten, dass die Kollegen von der CDU ein
falsches Familienbild haben. Ich frage mich: Was ist Ihr
Familienbild?


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Was sagen Sie zur individuellen Behandlung des Men-
schen, der zu Hause ist, der arbeiten möchte, der Kinder
haben möchte und dies alles miteinander vereinbaren
muss? Sie haben ihm in den vergangenen vier Jahren da-
bei nicht geholfen. Jetzt, wo Sie die UMTS-Erlöse haben,
sagen Sie: Wir werden das alles sicherstellen. Als For-
schungs- und Bildungspolitikerin sage ich Ihnen: Ich ver-
mute, dass das die gleichen UMTS-Gelder sind, die Sie be-
reits seit zwei Jahren in diesem Bereich verstreuen. Ich bin
gespannt, welche Steigerungen Sie im Forschungs- und




Bundesminister Jürgen Trittin

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(D)



(A)



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Bildungsbereich im Rahmen der Haushaltsberatungen im
Herbst dieses Jahres vorschlagen.


(Zuruf von der CDU/CSU: Luftnummer!)

Lassen Sie mich noch einige Worte zum Thema For-

schung sagen. Frau Burchardt, in Ihrem Antrag zum
Thema Nachhaltigkeit haben Sie wenig Konkretes ge-
schrieben; das meiste war Prosa. Sie haben einen Punkt
angeführt, der mir doch etwas merkwürdig erschien, und
zwar, dass Sie die Gewinnung von Methanhydraten ab-
lehnen. Ich frage mich: Gibt es denn überhaupt keine
Kommunikation zwischen Parlament und Regierung
mehr? Im Geophysikalischen Institut in Potsdam wird im
Auftrag der Regierung die Grundlagenforschung auf die-
sem Gebiet betrieben. Das ist für die heutige Debatte ty-
pisch: Sie haben die Gelegenheit genutzt, Ihre Programme
darzulegen; das Thema Nachhaltigkeit haben Sie dabei
völlig vernachlässigt.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Im Forschungsbereich haben wir sehr oft über Nach-
haltigkeit gesprochen. Wir hätten beispielsweise über die
Stammzellenforschung reden können; wir hätten über die
Brennstoffzelle reden können; wir hätten über die Kern-
fusion reden können. All diese Themen kamen in Ihren
Reden absolut nicht vor.


(Rainer Brinkmann [Detmold] [SPD]: Sie haben nicht zugehört!)


– Ich habe sehr gut zugehört. – Der Bundeskanzler sprach
wieder einmal vom Ausstieg aus der Kernkraft. Er hat
der Opposition vor versammelter Mannschaft unterstellt,
morgen ein Kernkraftwerk bauen zu wollen. Woher neh-
men Sie die Sicherheit, um solche Behauptungen vor Mil-
lionen von Menschen in die Welt zu setzen?


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Es gibt keine einzige Partei in diesem Lande, die nicht
weiß, dass der Bau eines Kernkraftwerkes zurzeit nicht
notwendig ist.


(Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Ach ne!)

Diese Frage stellt sich überhaupt nicht. Ich kann zwar ver-
stehen, dass Sie den Wahlkampf mit solch plakativen Be-
hauptungen füllen wollen, der Realität entspricht das aber
überhaupt keineswegs.


(Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Ist das Programm der CDU/CSU falsch? – Winfried Hermann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das steht explizit drin!)


Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Ab-
schluss noch ein Thema ganz kurz anschneiden: die grüne
Gentechnik. Die habe ich übrigens in Ihren Ausführungen
vermisst. Sie haben bezeichnenderweise kein einziges
Wort dazu gesagt. Ich wäre dankbar gewesen, wenn unter
den unzähligen Regierungserklärungen, die wir heute
gehört haben, auch eine von Frau Künast gewesen wäre;


(Joachim Poß [SPD]: Das machen wir nächste Sitzungswoche! Das können wir nicht alles an einem Tag machen!)


denn in diesem Politikbereich wird im Augenblick nur
moderiert und nicht so agiert, wie es notwendig wäre.

Auch hier kann ich Ihnen als FDP-Politikerin nur sa-
gen: Wir belasten die Menschen, indem wir ihnen die
Arbeitsplätze in einem wirklich innovativen Bereich ver-
weigern, und wir haben einen Bundeskanzler, der in einer
auf die Zukunft gerichteten Rede noch nicht einmal einen
halben Nebensatz zu diesem Thema gefunden hat. Ich be-
dauere das. Das hat mit Nachhaltigkeit nichts zu tun.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1423602500
Nun erteile ich das
Wort der Kollegin Ulla Burchardt, SPD-Fraktion.


Ulla Burchardt (SPD):
Rede ID: ID1423602600
Frau Präsidentin! Meine sehr
geehrten Damen und Herren! Es ist schon bemerkenswert,
wie engagiert sich Frau Flach und Herr Lippold darüber
beklagt haben, dass der Bundeskanzler in seiner Regie-
rungserklärung angeblich nichts zum Thema Nachhaltig-
keit gesagt hat, um sich anschließend mit ihren alten ideo-
logischen Ladenhütern und den Rezepten von gestern
auszulassen, die nun wirklich nicht zukunftsfähig sind.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich möchte zu Anfang Herrn Klaus Töpfer zitieren, der
vor wenigen Tagen mit Blick auf den UN-Gipfel in Jo-
hannesburg dankenswerterweise noch einmal die Vision
von Rio in Erinnerung gebracht hat. Er sagte in der „Zeit“:

Wir träumten damals, kurz nach Überwindung der
Ost-West-Teilung der Welt, von der Friedensdivi-
dende. Wir träumten davon, solidarische Zusammen-
arbeit, aber auch Geld einsetzen zu können, um einen
neuen kalten Krieg zwischen Nord und Süd, zwi-
schen Arm und Reich zu vermeiden.

Er stellte ernüchtert fest, dass die Hoffnungen nicht
Wirklichkeit geworden sind, dass die reichen Länder des
Nordens weiterhin auf Kosten der Armen leben. Und
wörtlich:

Dass wir die Lebensbedingungen der Menschen dort
verschlechtern, weil wir negative Umwelteffekte aus
unserer Wohlstandskalkulation einfach ausklam-
mern, ist eine ökologische Aggression – und wird zu-
nehmend auch so verstanden.

(Beifall der Abg. Eva Bulling-Schröter [PDS])


Deswegen ist die Erkenntnis von Rio, dass es ohne den
Erhalt der natürlichen Ressourcen und ohne globale Ge-
rechtigkeit keine dauerhafte wirtschaftliche und soziale Ent-
wicklung gibt, aktueller denn je. Das heißt, ohne faire Chan-
cen auf Arbeit, Einkommen, Bildung und Teilhabe am
Wohlstand gibt es keine Sicherheit. Globaler Umweltschutz
und Armutsbekämpfung sind nicht nur eine Frage der Ver-
antwortung für kommende Generationen, sondern Bedin-
gung für Frieden und Sicherheit in der globalisierten Welt.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)





Ulrike Flach (FDP)

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(D)



(A)



(B)


Es ist gut für Deutschland und die Welt, Herr Lippold,
dass wir mit Bundeskanzler Gerhard Schröder einen
Mann an der Spitze unseres Landes haben, der die Zu-
sammenhänge versteht. Deswegen ist Klaus Töpfer auch
Mitglied des Rats für nachhaltige Entwicklung. Sie haben
ihm nichts Adäquates anzubieten. Sein Rat wird offen-
sichtlich bei Ihnen nicht mehr gebraucht.


(Beifall bei der SPD)

Nachhaltigkeit – darauf haben Frau Merkel und andere

schon richtig hingewiesen – war der Auftrag zum Para-
digmenwechsel in der Politik: raus aus der Kurzatmigkeit,
hin zur langfristigen Perspektive. Auch der damalige Bun-
deskanzler hat sich wie alle anderen Staats- und Regie-
rungschefs dazu verpflichtet. Doch was ist in Deutschland
in den Jahren, als Sie regiert haben, passiert?

Sie, Frau Merkel, haben davon gesprochen, dass der
alte Kanzler viel geredet hat. Er hatte seinen großen Auf-
tritt bei Rio plus 5; aber mehr war zu diesem Thema von
dem Mann nicht mehr zu vernehmen. Schauen wir uns
jetzt an, was Sie aus den Verpflichtungen von Rio ge-
macht haben: Außer zahllosen folgenlosen runden Ti-
schen ist nichts gewesen. Sie sind mit ihren Vorlagen
schon im Kabinett gescheitert. Nichts ist passiert. Das,
liebe Frau Merkel, ist für mich: versprochen und gebro-
chen. Sie sollten mit dieser Formulierung sehr vorsichtig
sein; denn sie schlägt immer wieder auf Sie selber und auf
Ihre eigene Partei und Fraktion zurück.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wenn Sie sich, inklusive Frau Homburger und Herrn
Paziorek, heute darüber beklagen – so steht es auch im
Antrag der CDU/CSU –, dass Deutschland im Hinblick
auf die Nachhaltigkeitsstrategie den Anschluss an die
internationale Entwicklung nicht gefunden hat, dann ist
das wirklich Ihr Verdienst; denn von 1992 bis 1998 ist zu
diesem Thema nichts passiert.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir lösen mit der Nachhaltigkeitsstrategie das Ver-
sprechen von Rio ein und sorgen auch mit diesem Projekt
dafür, dass Deutschland den Anschluss findet. Wir verste-
hen Nachhaltigkeit als die große Chance für die Politik,
im Zeitalter der Globalisierung handlungsfähig zu bleiben
und nicht nur reagieren, sondern auch agieren zu können.


(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Wie agieren Sie denn?)


Es ist offenkundig, dass angesichts einer immer mehr
zusammenwachsenden Welt, eines beschleunigten tech-
nologischen und ökonomischen Wandels und zunehmend
komplexer werdender Problemlagen ein neuer Gestal-
tungsansatz überfällig ist. Mit den von Ihnen vorgeschla-
genen kurzfristigen Aktionismen und den leeren Verspre-
chungen ist wirklich kein Staat und schon gar nicht der
Staat der Zukunft zu machen.

Drei Dinge sind notwendig: eine Verständigung über
Werte und Ziele, mehr Vernetzung und Kooperation und
mehr Beteiligung. Genau das erfüllt unsere Nachhaltig-

keitsstrategie. Sie formuliert die Werte, die notwendig
sind, um unsere Gesellschaft dauerhaft zusammenzuhal-
ten. Sie setzt motivierende Ziele und benennt Reform-
schritte und Verantwortlichkeiten. Niemals zuvor hat eine
Regierung die langen Linien ihrer Politik so transparent
gemacht und so viele Bürgerinnen und Bürger einbezo-
gen. Das ist mutig und zeigt, dass wir Politik für und mit
den Menschen machen. Das alles sind Kennzeichen für
ein modernes Regieren im 21. Jahrhundert.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Natürlich gibt es auch Kritik. Wie könnte es anders
sein? Manchen geht die Zielsetzung nicht weit genug, an-
deren geht sie wiederum zu weit. Diese Widersprüchlich-
keit findet man selbst in der CDU/CSU-Fraktion. Der
Chor der Kritiker ist dissonant. Fest steht aber eines: Die
rot-grüne Bundesregierung hat das gemacht, worauf viele
Menschen, die sich in lokalen Agenda-Initiativen, Kir-
chen, Umweltverbänden, Gewerkschaften und auch Un-
ternehmen für die Nachhaltigkeit engagieren, schon seit
langer Zeit gewartet haben. Sie haben darauf gewartet,
dass vonseiten der Bundesregierung endlich etwas ge-
schieht. Frau Merkel, wir tun etwas und haben nicht nur
warme und lobende Worte für die Menschen übrig.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich kann verstehen, dass die Opposition keinen Beifall
zollt. Aber konstruktive Kritik wäre etwas ganz Schönes,
wenn es sie denn endlich einmal gäbe. Wie gut wäre es für
unser Land, wenn wir hier in diesem Hause endlich ein-
mal einen produktiven Streit über die Zukunftsgestaltung
führen könnten. Wenn man sich die Debatte heute jedoch
anschaut, kann man nur sagen: Fehlanzeige. Die CDU/
CSU und die FDP, die die Chancen auch während ihrer
Regierungszeit schon verpasst haben, tischen uns hier seit
Jahren Rezepte von gestern auf. Sie betreiben Schwarz-
malerei und klagen darüber, dass sie an der Formulierung
der Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung angeb-
lich nicht beteiligt waren.

Meine Damen und Herren, ich frage Sie: Wo waren Sie
denn, als die Bundesregierung durch Staatsminister Bury
die Strategie zur Diskussion gestellt hat? Außer den drei
Umweltaktivisten in Ihrer Fraktion hat sich doch niemand
dafür interessiert. Wo waren Sie bei den Veranstaltungen
des Rates, der eingeladen hatte? Er hätte sich gefreut,
wenn alle Fraktionen vertreten gewesen wären. Wo waren
denn Ihre parlamentarischen Initiativen in den letzten drei
Jahren? Nichts, absolut nichts war vorhanden. Deswegen
sollten Sie bei den Themen Nachhaltigkeit und Zukunfts-
fähigkeit den Mund nicht ganz so voll nehmen, wie Sie es
bis jetzt getan haben.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Frau Homburger, Ihr Klagelied kenne ich ja. Dass wir
nicht sofort am ersten Tag nach der Regierungsübernahme
das Strategiepapier aufgelegt haben, stimmt.


(Birgit Homburger [FDP]: Erst nach dreieinhalb Jahren, Frau Burchardt!)





Ulla Burchardt

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(D)



(A)



(B)


Nehmen Sie aber eines zur Kenntnis: Ab dem ersten Tag
haben wir unsere Politik der Nachhaltigkeit und Verant-
wortlichkeit für das Ganze wahrgenommen. Bei uns steht
jedes Ressort in der Pflicht, zu einer nachhaltigen Ent-
wicklung in nationaler und globaler Perspektive beizutra-
gen. Unsere Entwicklungspolitik hat maßgeblich zum
Schuldenerlass für die ärmsten Länder beigetragen. Mit
dem Aktionsprogramm zur Armutsbekämpfung leisten
wir unseren Beitrag zum Erreichen des Ziels, die Zahl der
in absoluter Armut lebenden Menschen bis 2015 weltweit
zu halbieren.

Herr Repnik und andere, wir haben das ständige Ab-
senken der Mittel für die Entwicklungszusammenarbeit,
das Kennzeichen Ihrer Regierungspolitik war, gestoppt.
Wir haben die Trendwende geschafft und stehen zu der
0,7-Prozent-Verpflichtung. Unser konkretes Zwi-
schenziel lautet 0,33 Prozent bis 2006. Das sind klare und
konkrete Ansagen. Das haben Sie während Ihrer gesam-
ten Regierungszeit nicht einmal im Ansatz hinbekommen.


(Beifall bei der SPD)

Entwicklungszusammenarbeit ist heute globale Struk-

turpolitik und damit ein existenzieller Beitrag zur Frie-
denssicherung. Es ist insbesondere auch das Verdienst der
Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul, dass
Deutschland für dieses Engagement weltweit Anerkennung
findet.

Frau Kollegin Flach, nicht von ungefähr steht heute
auch die Bildungs- und Forschungspolitik auf der Ta-
gesordnung. Wir haben sie darauf gesetzt. Bei uns können
mehr Leute als nur der Bundeskanzler etwas zum Thema
Bildung und Forschung sagen. Wir haben an dieser Stelle
eine Arbeitsteilung, die nach innen und nach außen gut
funktioniert.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Für uns sind Nachhaltigkeit und Innovation ganz
selbstverständlich zwei Seiten einer Medaille; denn Wis-
sen ist die einzige Ressource, die unbegrenzt zur Verfü-
gung steht. Mit den neuen Zielen und Schwerpunkten und
dem Aufbrechen verkrusteter Strukturen, die Sie hinter-
lassen haben, haben wir die Bildungs- und Forschungspo-
litik auf die Höhe der Zeit gebracht: weg von der alten
Ziel- und Orientierungslosigkeit hin zu einer Politik, die
zukunftsfähige Innovationen fördert; Innovationen, die für
mehr Lebensqualität, mehr Gesundheit und eine intakte
Umwelt sorgen, neue Arbeit schaffen und damit unsere
Volkswirtschaft langfristig wettbewerbsfähig machen.

In nur knapp vier Jahren – das sollten Sie einfach mal
zur Kenntnis nehmen – ist Deutschland zu einem der at-
traktivsten Innovationsstandorte der Welt geworden. Wir
haben die höchste Dichte an innovativen Unternehmen in
Europa. In Deutschland werden doppelt so viele Patente
wie im europäischen Durchschnitt angemeldet. Damit lie-
gen wir weltweit auf dem zweiten Platz. Für uns ist Bil-
dung der Schlüssel für Zukunftsfähigkeit. Daran, wie mit
dem Thema umgegangen wird, lässt sich die Zukunfts-
fähigkeit von Politik messen.

Die alte Regierung von CDU/CSU und FDP hat eine
Politik gemacht, mit der Ausgrenzung und soziale Auslese

gefördert wurden. Wohin das geführt hat, zeigt die PISA-
Studie.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1423602700
Frau Kollegin, Sie
müssen zum Schluss kommen.


Ulla Burchardt (SPD):
Rede ID: ID1423602800
Ich komme zum Schluss.
Wir gehen mit dieser Ressource nachhaltig um. Wir wol-

len die bestmögliche Bildung und Ausbildung für jeden
Menschen fördern, nicht nur wegen der sozialen Gerech-
tigkeit, sondern auch wegen der ökonomischen Vernunft.
Sie haben die Ausgaben für Bildung und Forschung
fortlaufend gesenkt. Wir heben sie auf Rekordniveau. Wir
haben von Ihnen die Erblast einer Studienanfängerquote
von 25 Prozent übernommen, die weit unter dem interna-
tionalen Durchschnitt liegt. Wir schließen auf. Unser Ziel
ist, 2010 40 Prozent zu erreichen. Mit unserer BAföG-
Reform können heute schon 80 000 junge Menschen mehr
als 1998 studieren. Wir haben vielen jungen Menschen
durch unsere Ausbildungs- und Arbeitsmarktpolitik neue
Chancen eröffnet.

Wir fördern eine neue Lernkultur und lebenslanges
Lernen. Das bedeutet nicht nur den Einsatz von Compu-
tern, für die wir schon gesorgt haben. Gelegentlich hilft
traditionelles Lesen, das hätte man Ihnen empfehlen kön-
nen. Dann hätten Sie Ihre Anträge nicht geschrieben. All
das, was Sie an vernünftigen Forderungen zur Nachhal-
tigkeitsstrategie und zur Bildungs- und Forschungspolitik
aufstellen, haben wir schon längst in Angriff genommen.
Wir machen die zukunftsfähige Politik für die Menschen
in unserem Land und in globaler Verantwortung.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Heinz Seiffert [CDU/CSU]: Das glaubt Ihnen keiner!)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1423602900
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Dr. Christian Ruck für die CDU/CSU-
Fraktion.


Dr. Christian Ruck (CSU):
Rede ID: ID1423603000
Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren! Zehn Jahre nach der berühm-
ten Konferenz von Rio stehen wir erneut vor einer ganz
wichtigen UN-Konferenz zur nachhaltigen Entwicklung.
Frau Burchardt, um das noch einmal klarzustellen: Es wa-
ren damals Kohl und seine Mannschaft, die im Vorfeld
und auch auf der Konferenz selbst verantwortlich mit
dafür gesorgt haben, dass es überhaupt zu einem Rio-Pro-
zess kam und dass dieser Geist von Rio Geschichte ge-
schrieben hat.

Aus diesem Geist heraus haben vor zehn Jahren Re-
gierungschefs aus über 120 Ländern tatsächlich das Ge-
fühl entwickelt, dass man gemeinsam Verantwortung für-
einander und auch für zukünftige Generationen trägt. Wir
sind heute und in den nächsten Monaten aufgefordert, die-
sem Rio-Prozess neue Impulse zu verleihen. Das ist auch
nötig; denn viele Industrie- und Entwicklungsländer ha-




Ulla Burchardt
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(D)



(A)



(B)


ben ihre Zusagen nicht eingelöst mit der Folge, dass sich
viele Entwicklungs- und Umweltprobleme verschärft ha-
ben. Dass sich diese Probleme globalisieren, hat der
11. September des letzten Jahres deutlich gezeigt.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Die Konferenz in Johannesburg kann und muss ein Er-

folg werden; aber das wird sie nicht automatisch. Es hängt
wie damals in Rio auch davon ab, wie engagiert sich die
deutsche Politik einbringt, damit sich die Staatengemein-
schaft wieder zu konkreten Problemlösungen durchringt.
Bundeskanzler Schröder kann man vieles vorwerfen, aber
eines nicht: dass er in seiner Rede zu konkret wurde. Es
war eher eine Rede des Alles und Nichts. Was wir aber
wirklich brauchen, sind konkrete Taten und Angebote so-
wie attraktive nachhaltige Konzepte im Reisegepäck für
Johannesburg. Genau das ist der Punkt, in dem sich die
Union und die FDP fundamental von der Auffassung von
Rot-Grün unterscheiden.

Was ist denn ein attraktives nachhaltiges Konzept?
Dabei handelt es sich um ein Konzept, das die Probleme
tatsächlich löst, und zwar mit der Bevölkerung und nicht
gegen sie, und mit den geringsten volkswirtschaftlichen
Kosten. Genau das aber ist bei Ihrer Politik nicht der Fall.
Zum Beispiel handelt es sich nicht um Nachhaltigkeit,
wenn Rot-Grün Deutschland vom Vorreiter in der Um-
weltpolitik zum Alleinunterhalter macht. Im Umweltaus-
schuss wurde es gestern wieder deutlich: Wir sind zusam-
men mit England mit Abstand die Einzigen, die in Europa
unsere klimapolitischen Ziele ernsthaft verfolgen. Nun
aber wird uns praktisch suggeriert, dass wir in den nächs-
ten Jahren auch noch die Ausfälle der anderen Länder
kompensieren sollen.


(Doris Barnett [SPD]: Wer sagt das?)

Das wäre ein Skandal, gegen den sich die Bundesregie-
rung wehren muss. Das macht sie aber bisher nicht,
ebenso wenig wie zum Beispiel hinsichtlich des Chemi-
kaliengesetzes oder des Emissionshandels.


(Joachim Poß [SPD]: Sie müssen mal Zeitung lesen!)


Das alles sind europäische Initiativen, die auf die
Dauer darauf hinauslaufen, dass die Umweltprobleme in
Europa auf dem Rücken Deutschlands ausgetragen wer-
den. Das hat fatale Folgen: Die Produktion verlässt unser
Land, wir verlieren Steuereinnahmen und Arbeitsplätze,
aber für die Umwelt hat sich in der Nettobilanz nichts
geändert. Dies gilt umso mehr, als Sie mit Ihrer Politik
Deutschland ohnehin zum wirtschaftlichen Schlusslicht
in Europa gemacht haben.


(Joachim Poß [SPD]: Diese Lüge wird durch Wiederholung nicht besser! Das ist eine glatte Lüge! Sie lügen hier!)


Eine solche Politik löst keine Probleme, verliert die Un-
terstützung im eigenen Land und ist damit nicht nachhal-
tig.

Wir setzen darauf, dass Deutschland mit seinem politi-
schen Gewicht die ausgehandelte Lastenverteilung auch
wirklich durchsetzt, und wir setzen auf eine grenzüber-

schreitende Umweltpolitik, die Wettbewerbsnachteile
vermeidet.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Zum Stichwort nationale Haushaltsaufgaben: Der Bun-

deskanzler hat die nationale Nachhaltigkeitsstrategie ge-
lobt. Papier ist geduldig, meine Damen und Herren. Die
Wahrheit sieht aber anders aus. Das sieht man zum Beispiel
auch im Verkehrsbereich. Sie sind mit der Maxime angetre-
ten, den Verkehr von der Straße auf die Schiene zu bringen.
Das Ergebnis ihrer Politik ist genau das Gegenteil: Die Bahn
verliert Anteile und hinkt weit hinter ihren Ausbauplänen
her. Auch die Ökosteuer trägt nichts dazu bei, in Deutsch-
land eine umweltfreundliche Infrastruktur aufzubauen.


(Zuruf von der CDU/CSU: Wohl wahr!)

Das hat zur Folge, dass jährlich allein 12 Milliarden Liter
Benzin und die entsprechende Menge CO2 sinnlos ver-pulvert werden.


(Ulla Burchardt [SPD]: Da müssen Sie mal durch die ideologischen Gitterstäbe gucken!)


Den dritten Punkt, die Entwicklungspolitik, haben Sie
bereits angesprochen, Frau Burchardt. Es ist schade, dass
die Frau Ministerin für Entwicklungszusammenarbeit
nicht anwesend ist. Wie vor zehn Jahren wird auch bei
dem Weltgipfel in Johannesburg die Auseinandersetzung
zwischen Industrieländern und den Entwicklungs- und
Schwellenländern eine zentrale Rolle spielen. Dabei
kommt es entscheidend darauf an, dass wir bereit und in
der Lage sind, mit den Entwicklungsländern substanziell
zusammenzuarbeiten und ihnen zu helfen, ihre sozialen
und politischen Konflikte abzubauen und ihre natürlichen
Lebensgrundlagen zu bewahren, und dass sie sich vor al-
lem erfolgreich in den Welthandel einklinken und von der
Globalisierung profitieren können, und zwar durch tech-
nische und finanzielle Hilfe, aber auch durch weitere
Marktöffnung.

Trotz großer Ankündigungen und Überschriften befin-
det sich die rot-grüne Entwicklungspolitik im Sinkflug.
Sie haben nicht nur die Mittel gekürzt – im Gegensatz zu
dem, was Sie gesagt haben, Frau Burchardt –, sondern Sie
haben auch bewährte Konzepte verwässert und interna-
tional – auch in der EU – an Einfluss verloren.


(Ulla Burchardt [SPD]: Das ist falsch!)

Die neue Schwerpunktsetzung ist ein Bumerang. Aus-

gerechnet die Sektoren Bildung und Ausbildung sowie
der Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen geraten in
Ihrer Entwicklungspolitik ins Hintertreffen. Rot-Grün
läuft Gefahr, das Bundesministerium für Entwicklungs-
zusammenarbeit zu einem Armutsbekämpfungsministe-
rium zu reduzieren.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Damit fallen Sie hinter die Zeit der 60er- und 70er-Jahre
zurück. Das wird dem Anspruch einer modernen, den heu-
tigen Problemen angemessenen Politik nicht gerecht.

Für uns bedeutet Nachhaltigkeit auch in der Entwick-
lungspolitik den Dreiklang von Umweltschutz, ökonomi-
scher Entwicklung und Ausgleich sozialer Spannungen.




Dr. Christian Ruck

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(D)



(A)



(B)


Ohne ein solches breites Verständnis von Entwicklungs-
politik wird Johannesburg scheitern.

Wir wollen, dass der Gipfel in Johannesburg erfolg-
reich wird. Wir wünschen der Verhandlungsdelegation
diesen Erfolg. Aber dieser Erfolg wird sich nur einstellen,
wenn sich Rot-Grün von alten Zöpfen und unattraktiven
Modellen verabschiedet


(Zuruf von der CDU/CSU: Das schaffen die nicht!)


und wenn Kanzler Schröder und sein Kabinett mehr En-
gagement, mehr politisches Durchsetzungsvermögen und
mehr Kompetenz für eine Politik der nachhaltigen Ent-
wicklung an den Tag legen,


(Zuruf von der CDU/CSU: Das schafft er auch nicht!)


und zwar über das Ablesen von austauschbaren, nichts sa-
genden Reden hinaus. Die Union ist jedenfalls gerne zu
einer konstruktiven Nachhilfe für Sie bereit.


(Lachen des Abg. Dr. Reinhard Loske [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Ab dem 22. September machen wir es selbst.

(Beifall bei der CDU/CSU)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1423603100
Ich bitte die Redner,
künftig ein bisschen mehr an die Redezeit zu denken.

Ich erteile nun das Wort dem Kollegen Michael Müller
für die SPD-Fraktion.


Michael Müller (SPD):
Rede ID: ID1423603200
Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren! Die Diskussion über die Nach-
haltigkeit ist sehr wichtig, weil sie der Versuch ist, in ei-
ner Zeit von Unsicherheit und Umbrüchen Orientierun-
gen und Perspektiven zu geben. Hier liegt der eigentliche,
der entscheidende Kern der Nachhaltigkeitsdiskussion.
Deshalb müssen wir alles tun, damit Nachhaltigkeit nicht
zu einem beliebigen, austauschbaren Begriff wird. Es müs-
sen präzise Prinzipien entwickelt werden, die uns Orien-
tierung geben, wie wir in den schwierigen Umbau- und
Umbruchprozessen Kurs halten können, um den Heraus-
forderungen gerecht zu werden, die sich aus der Globali-
sierung ergeben.


(Beifall bei der SPD)

Ich glaube, der eigentliche Kern der Nachhaltigkeits-

idee ist, unter veränderten politischen Bedingungen ein
modernes Fortschrittskonzept zu entwickeln. Deshalb
geht es weniger um ein Politikmodell für Einzelforderun-
gen als vielmehr um die Entwicklung von Prinzipien, zu
denen aus meiner Sicht vor allem drei zentrale Punkte
gehören müssen, um die es bei der Globalisierung geht:
erstens die Überwindung des historischen Fehlers der In-
dustrialisierung, nämlich der immer weiter wachsenden
Abhängigkeit von Energie und Ressourcen; zweitens die
Entwicklung eines Gleichgewichtsverständnisses im glo-
balen Sinne – es wird keine friedliche Welt geben, wenn
die sozialen Unterschiede zwischen Nord und Süd sowie

zwischen Ökonomie und Ökologie immer dramatischer
werden –


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


und drittens ein neues Verständnis der Ökonomie, das
dazu führen muss, dass die Ökonomie in der Lage ist,
Grenzen zu beachten und den Fortschritt nicht nur in gren-
zenlosem Wachstum zu sehen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Insofern müssen wir aufhören, die Nachhaltigkeitsdebatte
für kurzfristige parteipolitische Wahlkampfzwecke zu in-
strumentalisieren. Dafür sind die Probleme, um die es
geht, viel zu wichtig.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das, was Sie zur Nachhaltigkeit sagen, Frau Merkel, ist
dennoch zu kurz. Ich habe den Eindruck, dass Sie ein biss-
chen aus der Diskussion heraus sind. Sie waren als Um-
weltministerin schon weiter. Darauf hat der Kollege
Fischer völlig zu Recht hingewiesen. Der Kern des ersten
großen Schrittes hin zu mehr Nachhaltigkeit ist die Effi-
zienzrevolution. Genau davon hat der Kanzler geredet.
Entweder haben Sie das nicht begriffen oder Sie haben
nicht zugehört. Eine dritte Möglichkeit gibt es nicht.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die Effizienz ist der erste Punkt jeder Nachhaltigkeits-
strategie. Genau das hat der Kanzler zu Recht betont.

Jede Initiative in dieser Richtung – das kann ich Ihnen
auch nicht ersparen; das war völlig anders, als Sie noch
regierten – ist in den letzten dreieinhalb Jahren von Ihnen
nicht nur nicht unterstützt, sondern sogar bekämpft wor-
den. Das ist die Wahrheit. Als Sie regierten, gab es eine
Opposition, die in all den zur Diskussion stehenden Fra-
gen sehr viel mehr als die Regierung wollte. Jetzt, wo wir
regieren, gibt es eine Opposition, die in all diesen Fragen
nichts will. Das ist ein fundamentaler Unterschied.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das gilt für alle zentralen Punkte: die Energiewende, das
Naturschutzgesetz und die Ökosteuer.

Es ist ja bekannt, dass Mitte der 90er-Jahre beispiels-
weise Herr Rexrodt oder Herr Schäuble fast dasselbe Mo-
dell der Ökosteuer präferiert haben, wie wir Sie jetzt um-
setzen, und sogar gesagt haben, dass es notwendig sei, mit
der Nachhaltigkeitsstrategie im nationalen Alleingang zu
beginnen. Das alles ist dokumentiert. Zur Nachhaltigkeit
gehört auch Ernsthaftigkeit.


(Dr. Reinhard Loske [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ehrlichkeit!)


Es geht nicht, sonntags vom Schutz der natürlichen Le-
bensgrundlagen zu reden und am Montag das genaue Ge-
genteil zu tun.


(Beifall bei der SPD)





Dr. Christian Ruck
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(C)



(D)



(A)



(B)


Meine Damen und Herren, lassen Sie mich ein paar
Punkte ansprechen, an denen deutlich wird, warum das
Konzept der Nachhaltigkeit so wichtig ist. Es ist – der
Bundesaußenminister hat davon gesprochen – in den
70er-Jahren entstanden, als sich folgende Schere öffnete:
Auf der einen Seite wurden die Grenzen der ökologischen
Belastbarkeit bewusst – als zwei Beispiele nenne ich den
Richta-Report in der damaligen Tschechoslowakei und
den Bericht „Grenzen des Wachstums“ an den Club of
Rome –, auf der anderen Seite erlebten wir auf der ersten
großen Umweltkonferenz im Jahre 1972, dass die Welt
umweltpolitisch nicht handlungsfähig war, weil sie zwi-
schen Ost und West in ideologische Lager bzw. zwischen
Nord und Süd in unterschiedlich starke Volkswirtschaften
aufgeteilt war. Die Debatte entwickelte sich dahin, wie
man trotz dieser Unterschiede zu gemeinsamem Handeln
kommen kann. Historisch gesehen waren es vor allem eu-
ropäische Politiker, die die Idee der gleichen Partnerschaft
propagiert haben; Olof Palme, Willy Brandt und Gro
Harlem Brundtland sind die drei wichtigsten Personen,
die an der Entstehung des Nachhaltigkeitskonzepts betei-
ligt waren.


(Beifall bei der SPD)

Daraus ergibt sich übrigens, dass wir als Europäer eine be-
sondere Verantwortung bei der Durchsetzung dieser Ziele
haben.

Das Konzept der Nachhaltigkeit stellte zugleich ein
Modell dafür dar, wie man in einer gespaltenen Welt, in
der der Reichtum höchst unterschiedlich verteilt ist, zu ge-
meinsamen Interessen und zu einem Konsens für die Zu-
kunftsfähigkeit der ganzen Erde kommt.

Dies hat sich nach dem Ende des Ost-West-Konflikts
verschoben. Nachhaltigkeit hat sich heute zu einem etwas
anderen Ansatz verschoben – mit einer noch gewachsenen
Bedeutung. Sie ist ein Ansatz zur Gestaltung der Globa-
lisierungsprozesse.Nachhaltigkeit ist heute die wichtigs-
te politische Antwort für eine Globalisierung von unten,
bei der den Menschen die Chance zur Gestaltung der Glo-
balisierungsprozesse gegeben wird.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Auf der einen Seite besteht die Notwendigkeit, globale
Institutionen zu schaffen und vor allem die globalen Fi-
nanzströme neu zu regeln. Auf der anderen Seite bietet
Nachhaltigkeit einen Ansatz, der aufgrund der gemeinsa-
men Prinzipien trotz unterschiedlicher Wege und unter-
schiedlicher Akteure überall in der Welt praktiziert wer-
den kann. Die einen Länder verfolgen beispielsweise die
lokalen Agenda-21-Prozesse – hier sind Großbritannien
und die skandinavischen Länder sehr wichtig –, andere
diskutieren eher über eine bessere Umweltpolitik, wieder
andere über eine bessere Entwicklungszusammenarbeit.
Trotzdem steht eine gemeinsame Logik dahinter, weil es
unter dem Dach der Nachhaltigkeit eine gemeinsame
Zielsetzung gibt. Nachhaltigkeit bietet also die Chance,
dass wir uns den Globalisierungsprozessen nicht anpas-
sen müssen, sondern sie gestalten können. Hierin liegt die
wichtigste Chance dieser Debatte.


(Beifall bei der SPD)


Meine Damen und Herren, die historische Erfahrung
hat uns gelehrt, dass eine friedliche Welt nur möglich ist,
wenn sie auf Partnerschaft und Solidarität beruht. Hierin
besteht ein fundamentaler Unterschied zu den hier vorhin
von den Oppositionsparteien vorgetragenen Konzepten.
Partnerschaft, Solidarität und eine friedliche Zukunft sind
nur zu erreichen, wenn wir die globalen öffentlichen Güter
schützen. Würden wir alles dem Marktprozess unterwer-
fen, gäbe es keine globalen öffentlichen Güter. Deswegen
besteht eine der großen Gefahren der Globalisierung in der
weltweiten Privatisierung aller Güter. Viele Güter müssen
aber öffentlich und damit auch kollektiv bleiben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Es geht gar nicht anders, wenn wir Frieden und Zusam-
menhalt bewahren wollen.

Natürlich haben wir heute ein anderes Staatsverständ-
nis als in den Hochzeiten des Nationalstaates, das dem
Einzelnen sehr viel mehr Freiraum lässt. Dies ergibt sich
notwendigerweise aus den Individualisierungs- und Bil-
dungsprozessen. Aber es wäre falsch, daraus die Schluss-
folgerung zu ziehen, dies bedeute in der Konsequenz das
Ende des Staates. Im Gegenteil, wir brauchen öffentliche
Handlungsfähigkeit gerade im Interesse von Individuali-
sierungs- und Emanzipationsprozessen, damit sie nicht zu
einer zerstörerischen Kraft werden, sondern sich immer
an den gemeinsamen Werten und damit am Gemeinwohl
orientieren können. Das ist ein zentraler Punkt jeder mo-
dernen sozialen Politik.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Mit der Idee der Nachhaltigkeit müssen wir erstens
verbinden, dass dem Prozess des Identitätsverlustes, der
sich in allen Gesellschaften zeigt und der eine entschei-
dende Ursache für den Rechtspopulismus geworden ist,
eine wertorientierte Politik entgegengestellt wird. Wir
können dem Populismus nicht durch Anpassung
begegnen, sondern nur durch eine sehr viel deutlichere
Herausstellung unserer politischen Werte und Ziele, also
dessen, wohin es geht und warum es dorthin geht.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Der zweite Punkt ist: Wir müssen uns auch gegen den
Unilateralismus, der die Welt heute zunehmend be-
stimmt, wehren. Eine Welt, in der alles von den Interessen
der Wall Street oder von militärischer Stärke dominiert
wird, ist keine friedliche Welt. So kann es keine friedliche
Zukunft geben!


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Es muss in Europa, aber auch in anderen Regionen ein
Gegengewicht gegen dieses Modell geben. Die Vielfalt,
die Pluralität ist die wichtigste Grundlage für jede Stabi-
lität und für jedes Fortschrittskonzept.

Lassen Sie mich als letzten Punkt nennen: Wir müssen
auch begreifen, dass es ökologische Grenzen gibt. Wir
können nicht von der Grenzenlosigkeit der Welt ausge-
hen. Wir müssen im Interesse unserer eigenen Freiheit in




Michael Müller (Düsseldorf)


23501


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(B)


der Zukunft wissen, wo Grenzen liegen, und müssen diese
auch beachten.

Meine Damen und Herren, deshalb sage ich verkürzt
am Ende dieser Debatte: Für mich ist die Zuspitzung klar.
Es stellt sich die Frage, ob wir die Herausforderung unse-
rer Zeit wirklich annehmen oder ob wir in den Reformstau
zurückfallen, und zwar mit illusionären Konzepten, in de-
nen den Menschen nur nach dem Mund geredet wird, in
denen ihnen aber nichts abverlangt wird. Wir müssen ih-
nen jedoch etwas abverlangen, weil die Probleme es er-
fordern.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1423603300
Jetzt erteile ich das
Wort dem Kollegen Dr. Peter Paziorek für die CDU/CSU-
Fraktion.


Dr. Peter Paziorek (CDU):
Rede ID: ID1423603400
Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren! Was die Regierungsmitglieder
heute Morgen in ihren Wahlkampfreden unter dem Stich-
wort Nachhaltigkeit gesagt haben, ist aus unserer Sicht
nicht nur ein eklatanter Missbrauch des wichtigen Begrif-
fes Nachhaltigkeit, sondern das Besorgnis erregende ist
auch, dass das Grundprinzip der Nachhaltigkeit in der
deutschen Politik so auf Dauer nur beschädigt werden
kann. Das ist aber etwas, was nicht eintreten darf.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Schauen Sie sich die Zahlen einmal an.


(Zuruf des Abg. Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


– Herr Fischer, auf Sie komme ich gleich noch zu spre-
chen. Freuen Sie sich schon darauf. – Zu all den Umfra-
geergebnissen, die vorliegen, kann man eines sagen: Eine
große Mehrheit unserer Bevölkerung ist der Ansicht, dass
der Begriff Nachhaltigkeit leider nur ein schwammiger
Begriff ist, der zu einem Modewort in der Politik gewor-
den ist.


(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Tja, leider!)

Heute Morgen hätten wir die Chance gehabt, konkret da-
rüber nachzudenken, welche Beiträge die Umweltpolitik
und die Entwicklungspolitik zur Nachhaltigkeit leisten
müssen. Aber dann werden Wahlkampfreden zu allen
möglichen Themen gehalten, sodass man das Gefühl hat,
dass ihr die Orientierung verloren habt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Wenn der Bundeskanzler in seiner Rede sagt –


(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Herr Trittin ist auch schon wieder weg!)


– Ja, zu Herrn Trittin komme ich gleich auch. Genau, alle
Minister sind nach ihren Beiträgen flugs gegangen. Sie
hatten, mit Ausnahme des Außenministers Fischer, gar
keine Lust, mit dem Parlament über Nachhaltigkeit zu dis-
kutieren. Alle anderen sind gegangen. Ist das vielleicht

eine Art, wie man hier im Parlament über Nachhaltigkeit,
ein Grundprinzip der Politik, diskutieren kann? Wir sagen
dazu Nein.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Der Bundeskanzler hat in seinen Ausführungen gesagt

– ich habe es hoffentlich richtig mitgeschrieben –: Wir
müssen der Politik eine Richtung geben, die die Märkte
nicht geben können. Warum hat der Bundeskanzler nicht
die Frage behandelt, wie Nachhaltigkeit auch in Deutsch-
land und international ein Marktfaktor werden kann, so-
dass Verbraucher und Anbieter im Rahmen der sozialen
Marktwirtschaft auch Nachhaltigkeit nachfragen? Warum
hat er dies nicht getan?

Ich sage es Ihnen: weil Sie all Ihre hehren Grundsätze,
um lokale Agendaaktionen vor Ort zu unterstützen, um
Informationspolitik zu betreiben und um den Diskurspro-
zess zu diesem Punkt in Deutschland tatsächlich weiter-
zubringen, gar nicht eingehalten haben. Zunächst haben
Sie die Initiative der damaligen Umweltministerin Frau
Merkel im Jahre 1998 abrupt gestoppt, haben im Jahre
2000 mit Ihren ersten Überlegungen angefangen, haben
jetzt kaum eine Bilanz vorzuweisen und müssen nun das
Sammelsurium all der Punkte aufzeigen, die Sie hier vor-
gebracht haben.

Nun komme ich zu den einzelnen Stichworten. Herr
Minister Trittin sprach von einer Effizienzstrategie.
Diese sei erst 1998 eingeführt worden. Ich habe mir die
entsprechenden statistischen Zahlen schnell einmal be-
sorgt. Wenn die Energieintensität in Deutschland im
Jahre 1970 den Wert 100 hatte, dann muss ich der sozial-
liberalen Koalition konzedieren: Im Vergleich dazu lag
die Energieintensität im Jahre 1980 bei 88,6 Prozent. Aber
jetzt kommt es: Bis 1990 – ab 1982 haben wir regiert – ist
die Energieintensität in Deutschland auf 71,3 Prozent und
bis 1999 auf 59,5 Prozent gesunken. Zur Regierungszeit
von CDU/CSU und FDP ist der Energieeinsatz damit von
nahezu 89 Prozent auf 59,5 Prozent gesunken. Trotzdem
gab es einen Zuwachs des Bruttoinlandsprodukts.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Das sind Erfolgszahlen, die wir erzielt haben. Wie können
Sie sich jetzt hier hinstellen und so tun, als ob das erst seit
1999 gelaufen ist?


(Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Na, na, na! Bauernfänger!)


Jetzt kommt das schöne Stichwort „erneuerbare Ener-
gien“. Wer genau hingehört hat, wird festgestellt haben,
dass Sie bei den erneuerbaren Energien nur einen Be-
reich angesprochen haben, das war die Windenergie.


(Albert Deß [CDU/CSU]: Wind machen die immer!)


Sie haben zum Beispiel den wirklich wichtigen Punkt der
Biomasse- und Biogasanlagen völlig gestrichen. Wissen
Sie, weshalb? Wenn Sie mit den Bauern sprechen, dann
sagen die Ihnen: So scharf sind wir gar nicht hinter der
Windenergie her, weil das Konflikte mit unseren Nach-
barn gibt. Gebt uns die Möglichkeit, Biomasse- und Bio-
gasanlagen zu bauen; dann gibt es keine Beeinträchtigung
der Landschaft.




Michael Müller (Düsseldorf)

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(Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Tun wir doch!)


– Nein, das tun Sie nicht.

(Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Das steigt doch!)

– Herr Müller, Sie haben die Anreizförderprogramme im
August letzten Jahres gekürzt


(Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Aber das stimmt doch nicht!)


und haben bei dem Kreditprogramm etwas draufgetan

(Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Was erzählen Sie denn? Wir haben die Förderung umgestellt!)


mit dem Ergebnis, dass alles so kompliziert ist, dass nicht
abgerufen wird.


(Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Das ist nicht wahr!)


Sie sprechen nur von dem einem Thema, weil Sie auf den
anderen Gebieten kläglich versagt haben. Das ist die Bi-
lanz bei den erneuerbaren Energien!


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Den Klimaschutz haben Sie, Herr Müller, heute Mor-
gen auch weggelassen. Wissen Sie, weshalb? Sie haben in
den Bericht, den wir heute eigentlich diskutieren sollten,
einen wichtigen Beschluss des Bundestages nicht aufge-
nommen, nämlich den, dass bis zum Jahr 2020 weiterhin
die CO2-Emissionen reduziert werden sollen.


(Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Das steht doch drin!)


– Nein, Sie haben nur allgemein gesagt, dass Sie es wollen.

(Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Das steht drin!)

Wir haben im Bundestag klare Zielvorgaben beschlossen,
aber Sie haben die klaren Zielvorgaben nicht mehr so auf-
rechterhalten, wie sie der Bundestag beschlossen hat.


(Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Das steht drin!)


– Herr Müller, der Bundeskanzler hat am Montag bei sei-
ner Rede vor dem Rat, bei der ich selbst dabei war, gesagt:
Wir haben das Ganze gestoppt, weil wir nicht wollen, dass
Deutschland in seiner Vorreiterrolle in Europa nachher
ausgenutzt wird. – Das war seine Rede am Montagnach-
mittag vor dem Rat für nachhaltige Entwicklung, bei der
ich dabei war; tut mir Leid, Herr Müller.

Jetzt komme ich noch zu anderen Fragen aus dem Be-
reich der Nachhaltigkeitspolitik. Ich merke, dass ich den
Nerv getroffen habe. Ich muss so schnell reden, weil ich
meine sechs Minuten Redezeit gut ausnutzen muss. Das
ist mein Problem.

Was ist in der Koalitionsvereinbarung 1998 nicht alles
zum Schutz der Gesundheit geschrieben worden, Herr
Müller? Wo ist Ihre Initiative zum Gesetz gegen Flug-

lärm? Wo ist Ihre Initiative im gesamten Bereich des
Lärmschutzes?


(Zuruf des Abg. Winfried Hermann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Nein. Das kostet Geld! Herr Eichel, der sich hier hinstellt und immer sagt, dass er alles sparsam macht, hätte in Wahrheit sagen müssen: Für wichtige Umweltschutzmaßnahmen habe ich kein Geld zur Verfügung gestellt. – Das ist die Realität und das haben Sie heute Morgen nicht angesprochen. Jetzt komme ich zum Schutz des Naturhaushalts. Sie sind ja ganz stolz darauf, dass Sie das Naturschutzgesetz novelliert haben. Nur, bei dieser Novellierung haben Sie ebenso wie bei all den Reden heute Morgen zum Begriff der Nachhaltigkeit einfach nicht berücksichtigt, dass Sie die Menschen bei einer solchen Politik mitnehmen müssen. Das Entscheidende dabei ist doch, das Kooperationsprinzip durchzusetzen und mit den Menschen gemeinsam über die Wege nachzudenken. Sie aber haben dem Prinzip des Vertragsnaturschutzes wirklich einen Tort angetan. (Winfried Hermann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Auch der steht drin!)


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


– Auf diesen Zwischenruf habe ich gewartet, Herr
Hermann. Das steht drin mit dem Ergebnis: „Wir auf der
Bundesebene wollen das zwar, aber wir können es nicht“
– wie in allen anderen Bereichen Ihrer Politik –, und „wir
haben die Bitte, dass die Länder in Fragen des Natur-
schutzes endlich etwas tun.“


(Winfried Hermann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Länder können es machen!)


Wenn sich die Bauern dann aufregen, habe ich dafür Ver-
ständnis. In Bayern werden für umweltgerechte land-
wirtschaftliche Maßnahmen ausgegeben – hören Sie
sich das einmal an, Herr Hermann! – 143 DM pro Hektar
– ich sage es noch in D-Mark –, in Baden-Württemberg
130 DM pro Hektar


(Albert Deß [CDU/CSU]: Da sieht man, wer etwas tut!)


und – jetzt kommt der Hammer – in Nordrhein-Westfalen,
bei Rot-Grün, 9 DM pro Hektar,


(Beifall der Abg. Dr. Angela Merkel [CDU/ CSU] – Albert Deß [CDU/CSU]: Rot-grüne Heuchelei ist das!)


in Schleswig-Holstein 2 DM pro Hektar. Angesichts des-
sen verstehe ich natürlich alle diejenigen, die fragen:
Warum schreibt Rot-Grün das nur ins Gesetz hinein, über-
lässt es aber den Ländern, das zu regeln? Da haben die
Bauern Angst, dass bei einer rot-grünen Regierung kein
Geld mehr da ist, und meinen, dass nur die schwarzen Re-
gierungen, auch zusammen mit der FDP, dafür sorgen,
dass das auf Länderebene umgesetzt wird.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1423603500
Herr Kollege, Ihre
Redezeit ist weit überschritten.




Dr. Peter Paziorek

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Dr. Peter Paziorek (CDU):
Rede ID: ID1423603600
Ganz zum Schluss,
weil meine Redezeit in der Tat überschritten ist, nur noch
ein Gedanke: Wir haben überhaupt nicht gehört, mit wel-
cher Strategie die rot-grüne Regierung nach Johannesburg
geht. Wir wissen aus internen Informationen, dass es
schon wieder Schwierigkeiten im Vorfeld der Konferenz
gibt. Ich sage ganz deutlich: Wenn sich die Bundesregie-
rung nicht engagiert, wird Johannesburg leider wieder nur
ein Ankündigungsgipfel werden. Wir brauchen aber kei-
nen Ankündigungsgipfel mehr, wir brauchen einen Ak-
tionsgipfel. Bei der Zurückhaltung, mit der der Bundes-
kanzler und der Bundesumweltminister heute Morgen zu
Johannesburg geredet haben, kann ich nur eines sagen:
Wie die Vorbereitung dieser Bundesregierung auf Johan-
nesburg ausgefallen ist, ist traurig,


(Zuruf von der SPD: Freuen Sie sich mal nicht zu früh, Herr Paziorek!)


weil Johannesburg eine wichtige Weichenstellung für die
internationale Nachhaltigkeitspolitik ist. Leider ist diese
Regierung nicht mehr auf der Höhe der Zeit.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zu mir ist er gar nicht mehr gekommen! Angekündigt und nicht gehalten!)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1423603700
Als Letztem in dieser
Aussprache erteile ich dem Kollegen Franz Thönnes für
die SPD-Fraktion das Wort.


Franz Thönnes (SPD):
Rede ID: ID1423603800
Frau Präsidentin! Meine sehr
verehrten Damen und Herren! „Arbeit ist schwer, ist oft
genug ein freudloses und mühseliges Stochern; aber nicht
arbeiten – das ist die Hölle.“ Das hat der große Schrift-
steller, Lübecker Ehrenbürger und Nobelpreisträger
Thomas Mann gesagt. Nicht arbeiten zu können oder zu
dürfen ist oft für die von Arbeitslosigkeit Betroffenen die
Hölle, eine persönliche Katastrophe.

Arbeitslosigkeit kann auch, wie wir aus der deutschen
Geschichte wissen und gelernt haben, politisch in die
Hölle führen. Auch weil der überall in Europa neu aufkei-
mende Rechtspopulismus und Rechtsradikalismus ganz
viel mit Arbeitslosigkeit, Ängsten und mangelnden Per-
spektiven in Arbeit und Gesellschaft zu tun hat, bleibt die
Bekämpfung der Arbeitslosigkeit das Zentrum so-
zialdemokratischer Politik überhaupt.


(Beifall bei der SPD – Albert Deß [CDU/ CSU]: Da habt ihr versagt!)


Eine Gesellschaft, die Arbeitslosigkeit hinnimmt,
spaltet die Bevölkerung materiell wie sozial. Isola-
tion und Entfremdung sind die Folgen. Eine Gesell-
schaftsordnung, die nicht auf Vollbeschäftigung baut,
lässt die Lebensbedingungen ihrer Bürger verküm-
mern und vergeudet deren Fähigkeiten.

So beschrieb es der ehemalige schwedische Ministerprä-
sident Olof Palme.

Die Globalisierung, der rasante Strukturwandel mit
seinen Folgen für die Arbeitsplätze und die geforderte An-
passung an veränderte Lebensumstände bedeuten für
viele Menschen eine große Herausforderung. Wir müssen
den Menschen angesichts dieser Situation Perspektiven
aufzeigen. Wir müssen sie mitnehmen und sie motivieren,
sich an dem raschen Wandel unserer Gesellschaft zu be-
teiligen. Aber eine derartige Politik kann nur dann erfolg-
reich sein, wenn ihre Grundlagen auch morgen und über-
morgen tragfähig sind.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Der Begriff der Nachhaltigkeit ist – zugegebenermaßen –
sperrig. Aber sein Inhalt ist Kern jeder Zukunftspolitik. Es
handelt sich um eine praktische Vision, die begeistert,
wenn wir den Begriff ins Konkrete holen.

Die Bedürfnisbefriedigung der heutigen Generation
darf die Möglichkeiten künftiger Generationen nicht
gefährden. Das ist das Prinzip, von dem die Brundtland-
Kommission ausgeht. Nachhaltigkeit steht damit für den
Aufbau von Brücken in die Zukunft. Unsere Aufgabe ist
es heute, diese Brücken auf feste Pfeiler zu stellen, damit
sie auch morgen tragen. Ökonomie, Ökologie und So-
ziales sind dabei keine Gegensätze. Das ist durch die
enormen Wachstums- und Arbeitsmarkteffekte der ökolo-
gischen Modernisierung bewiesen.


(Beifall bei der SPD)

Wir haben die Brücke zwischen den Generationen

mit der Rentenreform auf neue Fundamente gestellt.

(Lachen der Abg. Dr. Irmgard Schwaetzer [FDP])

Stabile Beiträge, ein angemessenes Rentenniveau und die
staatliche Förderung der privaten und der betrieblichen
Altersvorsorge bilden die Grundlage für einen gesicherten
Lebensstandard im Alter.


(Beifall bei der SPD)

Unsere Steuer- und Haushaltspolitik entlastet die Men-

schen und den Staat und schafft damit auch neue Gestal-
tungsspielräume für die Zukunft. Die Energiewende bringt
regenerative Energien, neue Arbeit und mehr Umwelt-
schutz.

Den Strukturwandel zu gestalten heißt für uns, nicht
zuzusehen, wie sich unsere Gesellschaft in Gewinner und
Verlierer spaltet. Weil diese Spaltung die Quintessenz der
Reden von CDU, CSU und FDP ist, werden Sie nach dem
22. September weiterhin in der Opposition bleiben; denn
die Menschen wollen Erneuerung und Zusammenhalt.


(Beifall bei der SPD – Albert Deß [CDU/CSU]: Warum habt ihr das Großkapital mehr entlastet als die Arbeitnehmer?)


Der innerste Kern von Nachhaltigkeit ist für uns Sozi-
aldemokraten die Schaffung von Arbeit. Seit Anfang der
90er-Jahre nimmt die Bedeutung des Umweltschutzes
für den Arbeitsmarkt zu. 1,4Millionen Menschen haben
hier bereits Arbeit. Diesen Prozess unterstützen und för-
dern wir mit unserer Politik. So werden die Erlöse aus der
Versteigerung der UMTS-Lizenzen zur Schuldentilgung






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eingesetzt. Die Zinsersparnisse kommen ganz gezielt der
Bildung, der Verkehrsinfrastruktur und der Energieein-
sparung zugute. Über 200 Millionen Euro werden so je-
des Jahr für die Gebäudesanierung zur Verfügung gestellt.
Diese energiepolitisch sinnvolle Investition sichert und
schafft circa 90 000 Arbeitsplätze.
Eine Vielzahl konsequenter Maßnahmen zur Förderung
erneuerbarer Energien, wie zum Beispiel das 100 000-
Dächer-Programm zur Nutzung der Solarkraft, hat der
Energiewende zum Durchbruch verholfen. Auch so wird
neue Arbeit geschaffen. Über 100 000 Menschen sind
heute im Bereich der erneuerbaren Energien beschäftigt,
35 000 allein im Windenergiesektor. So verbinden wir
ganz konkret Innovation und Nachhaltigkeit.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Arbeitskosten senken und Energieverbrauch maßvoll
verteuern ist ein weiterer Schlüssel zu einer konkret nach-
haltigen Politik. Soziale Sicherheit und internationale
Wettbewerbsfähigkeit werden so gleichermaßen gestärkt.

Der Einsatz des Faktors Arbeit muss durch die Sen-
kung der Lohnzusatzkosten relativ verbilligt werden,
der Energie- und Rohstoffverbrauch durch eine
schrittweise Anpassung der Energiepreise relativ ver-
teuert werden. Beides muss zu einer aufkommens-
neutralen Lösung intelligent verbunden werden ...

Wohl wahr, kann ich nur zu diesen Worten des Herrn Kol-
legen Schäuble aus dem Jahre 1997 sagen. Sie haben über
diesen richtigen Gedanken zunächst nur geredet, ihn dann
bekämpft und diffamiert. Wir haben dieses Konzept um-
gesetzt, weil es ein richtiges Konzept ist.


(Beifall bei der SPD)

Die ökologische Steuerreform entlastet den Faktor

Arbeit bis 2005 um 17,7 Milliarden. Damit wird die Ren-
tenversicherung stabil gemacht, die Beiträge werden um
1,7 Prozent gesenkt. Laut Umweltbundesamt sind bislang
60 000 Arbeitsplätze zusätzlich entstanden. Das DIWgeht
davon aus, dass in diesem Bereich bis zum Jahr 2010
250 000 Arbeitsplätze entstehen.


(Albert Deß [CDU/CSU]: Und warum wird die Arbeitslosigkeit nicht weniger?)


Dass die Union trotz des großen Geschreis der vergange-
nen Jahre das Instrument jetzt nicht aus der Hand geben
will, ist natürlich konsequent; denn der Erfolg spricht für
sich. Er spricht für unsere Politik und gegen die Union.


(Beifall bei der SPD)

Die Arbeitsmarktpolitik war bis zum Antritt der jet-

zigen Bundesregierung alles andere als nachhaltig. Ein
Übermaß an Regularien und „stop and go“ bei den Finan-
zen sind nur wenige Negativbeispiele dafür. Das wahl-
kampfmotivierte Hochfahren der ABM-Zahlen 1998 um
175000 war arbeitsmarktpolitisch ein unverantwortliches
Strohfeuer und damit genau das Gegenteil von Nachhal-
tigkeit.


(Beifall bei der SPD – Albert Deß [CDU/CSU]: Und ihr streicht die Vorruheständler aus der Arbeitslosenstatistik!)


Wir haben die Arbeitsförderung reformiert. Wir haben
den Mitteleinsatz verstetigt. Wir haben mit dem Job-
AQTIV-Gesetz in der Arbeitsförderung konsequent auf
die zügige Vermittlung in den Arbeitsmarkt gesetzt. Den
bisherigen Rückgang der Arbeitslosigkeit seit 1998 um
400000 und den Aufbau neuer Erwerbstätigkeit um
1,35 Millionen müssen und werden wir verstärken.

Bei der Nachhaltigkeit liegt uns die Prävention ganz
besonders am Herzen. Wir werden in Zukunft in die
Weiterbildung mehr investieren, damit die Menschen
präventiv vor Arbeitslosigkeit geschützt werden. Das gilt
für die Beschäftigten in Klein- und Mittelbetrieben, für
gering Qualifizierte ohne Ausbildung und ganz besonders
für ältere Arbeitnehmer, die teilweise den Anschluss an
Weiterbildung verloren haben.

Unsere Arbeitsmarktpolitik zielt, nicht zuletzt auch mit
der Aktion „50 – die können es“, darauf ab, eine längere
Erwerbstätigkeit zu ermöglichen. Das Know-how Älterer,
ihre soziale Kompetenz, ihre persönliche Zuverlässigkeit,
ihr Verantwortungsbewusstsein und ihre langjährige Berufs-
erfahrung müssen wieder stärker in den Arbeitsprozess ein-
gebracht werden. Für Wirtschaft und Gesellschaft muss
klar sein: Mit 50 gehört man nicht zum alten Eisen!


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Zum zweiten Mal hintereinander ist die Ausbildungs-
platzbilanz in Deutschland ausgeglichen. Wir werden
dafür sorgen, dass jeder junge Mensch, der aus der Schule
entlassen wird, offene Türen in der Arbeitswelt findet.
Deswegen schreiben wir in unser Regierungsprogramm
ganz klar hinein: Kein Jugendlicher darf von der Schule
in die Arbeitslosigkeit fallen. Jeder und jede erhält ein An-
gebot für Ausbildung und Beschäftigung. Für uns Sozial-
demokraten gilt: Wir lassen keinen im Stich.


(Beifall bei der SPD – Albert Deß [CDU/CSU]: Das ist in Bayern längst selbstverständlich! Und auch in Baden-Württemberg!)


Dort, wo der Einstieg in Ausbildung und Arbeit Pro-
bleme bereitete, hat unser Sofortprogramm JUMP ge-
holfen. Dreimal 1 Milliarde Euro haben wir in die Hand
genommen und damit gezeigt, dass die jungen Menschen
uns etwas wert sind, dass wir in ihre Zukunft investieren.
Jeder Euro, der hier investiert wird, ist gut investiertes
Geld, gut investiert in die Zukunft von Wirtschaft und Ge-
sellschaft. Das ist auf jeden Fall besser als spätere Inves-
titionen in gesellschaftliche Reparaturkosten, schlimms-
tenfalls in Jugendstrafanstalten.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Für uns gehört zu einer nachhaltigen Gesellschaftspo-

litik auch eine konsequente Politik für die Gleichstellung
der Geschlechter, eng verbunden mit der Familienpoli-
tik. Von den Skandinaviern können wir lernen, dass der
hohe Ausbildungsstand der Frauen und ihre Integration in
den Arbeitsmarkt eine der Stärken der Volkswirtschaft ist.
Während in Europa im Durchschnitt 53 Prozent und in
Deutschland 58 Prozent der Frauen im erwerbsfähigen
Alter berufstätig sind, sind es im Norden gut über 70 Pro-
zent. Dabei geht die hohe Beschäftigungsrate der Frauen
noch mit einer hohen Geburtenrate einher; im Norden




Franz Thönnes

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liegt sie bei 1,9, in Deutschland nur bei 1,3. Der Blick
nach Norden zeigt uns ganz deutlich, dass die Familien-
ideologie à la Stoiber und Co. für die Mottenkiste, nicht
aber für die Zukunft taugt.


(Beifall bei der SPD – Albert Deß [CDU/CSU]: Wer hat denn die letzten vier Jahre in Deutschland regiert?)


Der rote Faden unserer Politik ist die Gleichstellung
und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Durch
die Rentenreform haben wir den Einstieg in die eigen-
ständige Altersabsicherung von Frauen geschafft. Die
stärkere Berücksichtigung von Kindererziehungszeiten
macht deutlich: Wir wollen, dass Kindererziehung nicht
zu Lücken in der sozialen Sicherung führt.

Das Gesetz zur Elternzeit trägt dazu bei, die Gestal-
tungsmöglichkeiten von Vätern und Müttern bei der Kin-
derbetreuung zu verbessern. Das Gleichstellungsgesetz
und die Vereinbarung mit der Privatwirtschaft bringen die
Frauenförderung weiter nach vorn. Im Betriebsverfas-
sungsrecht haben wir die Gleichstellung und die Förde-
rung von Frauen mit der Vereinbarkeit von Familie und
Beruf zu einem wichtigen Aufgabenfeld der Betriebsräte
gemacht. Mit dem Job-AQTIV-Gesetz gewährleisten wir,
dass Frauen entsprechend ihrem Anteil an der Anzahl der
Arbeitslosen auch in Zukunft gefördert werden.

Unsere Zusage, gerade für die Verbesserung der Be-
treuungsangebote jährlich 1 Milliarde Euro bereitzustel-
len, unterstreicht, wie ernst es uns mit der Nachhaltigkeit
in diesem wichtigen Politikfeld ist.


(Beifall bei der SPD)

All dies zeigt: Wirksame nachhaltige Politik ist mit

schlechtem Gewissen in Sachen Staat nicht zu machen.
Wir lassen uns hier auch kein schlechtes Gewissen ein-
reden. Bundeskanzler Gerhard Schröder hat auf die ver-
heerenden Folgen einer Senkung der Staatsquote auf un-
ter 40 Prozent – so Ihre Forderung – hingewiesen. Dies
wäre der Tod jeder auf Nachhaltigkeit ausgerichteten Ar-
beitsmarkt- und Gesellschaftspolitik.


(Albert Deß [CDU/CSU]: Sozialistische Denkweise!)


Eine solche Politik wäre im Sinne Thomas Manns ein
Schritt in den Vorhof der Hölle. Das werden wir den Men-
schen deutlich sagen.

Wir lassen diesen billigen Populismus und einen auf
Politklamauk ausgerichteten Kurs der „Liberalala-Partei“
nicht durchgehen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Denn nur die gut Betuchten können sich einen armen Staat
leisten; die breiten Schichten nicht. Wir Sozialdemokraten
stehen dagegen für einen handlungsfähigen und nachhal-
tig aktiven Staat. Das tun wir guten Gewissens.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1423603900
Ich schließe die Aus-
sprache.

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 14/8651, 14/7971, 14/8953, 14/9052,
14/9056, 14/9024, 14/9025 und 14/9091 an die in der
Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann
sind die Überweisungen so beschlossen.

Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 5 a und 5 b so-
wie die Zusatzpunkte 7 und 8 auf:
5. a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Karl-Josef

Laumann, Brigitte Baumeister, Rainer Eppelmann,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/
CSU
Rentenreform ehrlich, generationengerecht und
zukunftssicher gestalten
– Drucksache 14/8269 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung (f)

Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Haushaltsausschuss

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Johannes Singhammer, Karl-Josef Laumann,
Brigitte Baumeister, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der CDU/CSU
In derRenteninformation Klarheit über tatsäch-
liche Versorgungslücke schaffen – Rentennahe
Versichertenjahrgänge zuerst informieren
– Drucksache 14/8787 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

ZP 7 Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Irmgard Schwaetzer, Dr. Hermann Otto Solms,
Ina Albowitz, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der FDP
Für eine substanzielle und dauerhafte Renten-
reform
– Drucksache 14/9050 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie

ZP 8 Beratung des Antrags der Fraktion der PDS
ZurRegelung von in der DDR erworbenen Ver-
sorgungsansprüchen und Anwartschaften in ei-
nem spezifischen Versorgungssystem sowie zur
Regelung anderer rechtmäßig erworbener An-
sprüche auf Alterssicherung
– Drucksache 14/9045 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung (f)

Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder




Franz Thönnes
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(C)



(D)



(A)



(B)


Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die
Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. Sind Sie da-
mit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist das so be-
schlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen
Heinz Schemken für die CDU/CSU-Fraktion das Wort.


Heinz Schemken (CDU):
Rede ID: ID1423604000
Frau Präsidentin!
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Unsere beiden
Anträge zielen im wahrsten Sinne des Wortes auf Nach-
haltigkeit. Mit dem Beschluss des Bundestages von
Juni 2001 – damals ging es um die riestersche Renten-
reform und um das Altersvermögensgesetz – sind im Hin-
blick auf die Vorsorge im Alter – ein wichtiges Thema –
weder Klarheit noch Nachhaltigkeit noch Sicherheit ge-
schaffen worden.

Mit großer Sorge stellen wir nach einem Jahr fest, dass
die Unsicherheit weiter zunimmt. Die Zukunft unserer
Generationenverträge ist unter dem Gesichtspunkt zu
sehen, dass es an Verlässlichkeit, an Glaubwürdigkeit und
insbesondere an Ehrlichkeit – auch sie gehört zur Nach-
haltigkeit – fehlt. Von einem solidarischen Vertrag, der ei-
nen fairen Ausgleich zwischen älterer und jüngerer Gene-
ration schafft, kann überhaupt nicht die Rede sein.

Die Lebenserwartung – das ist erfreulich – steigt. Das
bedeutet, dass mehr Rentnerinnen und Rentner durch-
schnittlich längere Zeit Leistungen von der Rentenversi-
cherung erwarten; diese Leistungen müssen bezahlt wer-
den. Dazu kommt, dass immer weniger Kinder geboren
werden. Dadurch haben immer weniger jüngere Beitrags-
zahler die Last, für immer mehr immer älter Werdende in
der Bevölkerung aufkommen zu müssen.


(Zuruf von der SPD: Das wissen wir doch längst!)


Dazu kommt, dass viele – Herr Thönnes, mit den über
50-Jährigen ist es völlig anders – frühzeitig in den Vor-
ruhestand gehen. Auch dies bedeutet eine weitere Belas-
tung; denn das tatsächliche Alter des Eintritts in den
Ruhestand ist weit niedriger als vorgesehen. Es liegt bei
60 Jahren, obwohl man im Hinblick auf das Ausscheiden
aus dem Erwerbsleben eigentlich von 65 Jahren ausgehen
muss.

Damit ist eine der Grundlagen unserer Altersversor-
gung, nämlich der Dreigenerationenvertrag, infrage ge-
stellt. Gerade dieser demographische Vorgang wurde bei
der Riester-Rente sträflich vernachlässigt. Dies rächt sich
schon jetzt. Sie können das bei Ihrem Kronzeugen Herrn
Rürup nachfragen.

Es bleibt dabei: Verlässlichkeit ist in dem Generatio-
nenvertrag, wie wir ihn sehen, nur auf der Grundlage von
Generationen möglich, die sich gegenseitig tragen. Die
Eltern ziehen ihre Kinder auf und diese wiederum leisten
durch ihre Arbeit im Beruf und in der Generationenfolge
das, was notwendig ist. Ich weiß, dass Sie da mehr auf den
Staat setzen. Wir setzen auf unsere Rente,


(Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Deswegen haben Sie eine private Altersvorsorge eingeführt, oder was? Das hätten Sie mal machen sollen!)


die von der CDU/CSU 1957 als Generationenvertrag
– das muss man einmal sehen – eingeführt wurde.

Die Erziehungsleistungen von Elternmüssen deshalb
nach unserer Auffassung in den sozialen Sicherungssyste-
men berücksichtigt werden. Das Prinzip der Gleichrangig-
keit – das ist schon heute Morgen diskutiert worden – von
Familien- und Erwerbsarbeit ist hier zu beachten und kon-
sequent einzubeziehen. Dem wollen wir Rechnung tragen.

Rentenpolitik darf nicht zulasten der Frauen und der
Familien gehen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Tatsache ist jedoch, dass die Witwenrenten in drei Schrit-
ten gekürzt werden. Ich weiß, dass es Ihnen nicht passt,
wenn ich das sage,


(Erika Lotz [SPD]: Weil es nicht wahr ist!)

aber ich muss es immer wieder aufzeigen, weil das ein
großes Problem ist. Durch die Senkung des allgemeinen
Rentenniveaus von 70 auf 64 Prozent sinkt auch die Wit-
wenrente. Hinzu kommt, dass sie von 60 auf 55 Prozent
reduziert wird. Das sind, auf die 64 Prozent bezogen, wei-
tere 8 Prozent weniger. Ich komme gleich noch dazu. Alle
Nebeneinkünfte sollen darüber hinaus zukünftig ab einem
bestimmten Freibetrag zu 40 Prozent angerechnet wer-
den.


(Doris Barnett [SPD]: Und was ist daran verkehrt?)


– Ich spreche von der Frau, von der Witwe. – Das stellt
noch einmal eine Verschlechterung dar.


(Peter Dreßen [SPD]: Das ist doch nicht wahr! Bleiben Sie bei der Wahrheit!)


Witwenrenten kommen bisher vor allem den Frauen
zugute, die ihre Erwerbstätigkeit wegen Kindererziehung
unterbrechen oder einschränken mussten. Das bedeutet,
dass durch die Kürzungen bei der Witwenrente insbeson-
dere Mütter mit Kindern betroffen sind. Das lassen wir
nicht zu.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Fazit ist, dass den Müttern unterm Strich die ganze Last
auferlegt wird. Allein aufgrund dieser Ungerechtigkeit
werden wir diese Rentenreform ändern.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Peter Dreßen [SPD]: Und wie soll das finanziert werden? – Weiterer Zuruf der SPD: Das ist denen egal!)


– Ich freue mich ja schon, dass Sie das, was ich sage, we-
nigstens nicht infrage stellen. Sie fragen jetzt nur, wie das
finanziert werden soll.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1423604100
Nun möchte Herr
Kollege Dreßen eine Zwischenfrage stellen. Möchten Sie
sie annehmen?


Heinz Schemken (CDU):
Rede ID: ID1423604200
Ja, bitte schön.




Vizepräsidentin Anke Fuchs

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(C)



(D)



(A)



(B)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1423604300
Bitte sehr.

Peter Dreßen (SPD):
Rede ID: ID1423604400
Herr Kollege Schemken, wenn

ich Sie jetzt richtig verstanden habe, wollen Sie, dass bei
der Witwenrente mehr Ausgaben erfolgen. Andererseits
haben Sie im Wahlprogramm die Forderung „3 x 40“, das
heißt, Sie wollen die Lohnnebenkosten und die Steuern
noch absenken.


(Zuruf von der CDU/CSU: Das wollt ihr doch auch!)


Sagen Sie mir einmal, wie Sie das eigentlich finanzieren
wollen, wie das zusammenpasst: einerseits runter mit den
Lohnnebenkosten und den Steuern, andererseits hoch mit
den Ausgaben?


(Klaus Brandner [SPD]: Luftschlösser!)

Wie wollen Sie das unter einen Hut bekommen? Können
Sie mir das einmal erklären?


(Zuruf von der CDU/CSU: Durch mehr Beschäftigung geht das alles! – Hans-Peter Repnik Erst einmal ist es wichtig, dass mehr Menschen in Arbeit kommen. Sie wissen sehr wohl, dass unser Generationenvertrag abhängig von denen ist, die in Arbeit sind: Der eine arbeitet für den anderen; darauf bauen wir das auf. Sie wissen auch, dass die Positivbilanz bei 100000 Beschäftigten rund 4,5 Milliarden DM – oder 2,25 Milliarden Euro – beträgt. (Klaus Brandner [SPD]: Aber nicht in der Rentenversicherung! Das ist doch gar nicht wahr!)


(CDU/CSU): Ja, Wachstum und Beschäftigung!)

Heinz Schemken (CDU):
Rede ID: ID1423604500

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


– Nicht für die Sozialversicherung, sondern insgesamt.

(Klaus Brandner [SPD]: Aber Sie können doch nicht Äpfel mit Birnen vergleichen!)

– Ja, gut, wenn wir die „schröderschen Zahlen“ verwen-
den würden, dann hätten wir sogar 1 Million Menschen
mehr in Arbeit. Dann wäre das überhaupt kein Problem.
Dann wären wir gut dran.

Darum geht es aber nicht. Wir wollen, lieber Kollege
Dreßen, insbesondere den Frauen in der Vorsorge eine
bessere Absicherung ermöglichen Wir wollen, lieber Herr
Kollege Dreßen, die im Bereich der privaten Säule für
Frauen vorgesehenen Beträge erhöhen. Wir halten die
schwache Bemessung der Familienleistungen bei der Do-
tierung der Kinderfreibeträge oder auch der Beträge, die
für Kinder in der zweiten Säule – bzw. der dritten Säule,
wenn Sie die Betriebsrente hinzunehmen – vorgesehen
sind, für falsch.


(Konrad Gilges [SPD]: Rede doch nicht drum herum! – Erika Lotz [SPD]: Die Frage war: Wie wird das finanziert?)


– Bei der schwachen Konjunktur unter Ihrer Regierung ist
das weiß Gott nicht möglich.

Ich kann Ihnen eines deutlich sagen: Wir werden hier
einen Schwerpunkt setzen. Dabei denken wir nicht an die

Höherverdienenden. Es gibt ja das bekannte Beispiel,
dass sich jemand, der im Jahr 50 000 Euro verdient, auf-
grund der Steuerfreibeträge besser stellt als eine Verkäu-
ferin, die von ihrem Verdienst in Höhe von 1 800DM bzw.
900 Euro im Monat ihre Beiträge jetzt für eine Rente
zahlt, wie sie heute noch ausgezahlt wird. Sie selbst be-
kommt am Ende aber nur 55 Prozent der heutigen Rente
als Witwe. Dieses Unrecht lassen wir nicht zu. Das muss
ich Ihnen noch einmal erklären. Deshalb setzen wir an-
dere Schwerpunkte. Der Bedürftige wird unterstützt.


(Erika Lotz [SPD]: Ja, ja!)

Derjenige, der nicht bedürftig ist, hat die Förderung, die
Sie eingeführt haben, nicht nötig.


(Beifall bei der CDU/CSU – Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Heinz Schemken ist unangreifbar! Das müssen Sie verstehen!)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1423604600
Nun ist die Beant-
wortung der Zwischenfrage beendet. Jetzt läuft die ur-
sprüngliche Redezeit weiter. – Bitte sehr.


(Wolfgang Gehrcke [PDS]: Sagen Sie mir bitte, was ich fragen soll, damit Sie besser antworten können! – Weitere Zurufe von der SPD!)



Heinz Schemken (CDU):
Rede ID: ID1423604700
Manche Fragen sind
falsch gestellt.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1423604800
Liebe Kolleginnen
und Kollegen, Kollege Schemken hat das Wort. Sie kön-
nen zustimmen oder nicht zustimmen. Aber Sie sind ge-
halten zuzuhören. – Bitte sehr, Herr Kollege, Sie haben
das Wort.


Heinz Schemken (CDU):
Rede ID: ID1423604900
Nach wie vor ist für
uns neben dieser privaten Säule, wenn sie schon angespro-
chen wurde, die Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand
wichtig. Dies ist ein Uranliegen christlich-sozialer Politik.


(Klaus Brandner [SPD]: Darauf haben wir 16 Jahre gewartet!)


– Herr Brandner, ich sage Ihnen ganz offen – auch Sie sind
ja Mitglied einer Gewerkschaft –: Zum Beispiel die
IGMetall ist auf diesen Dampfer erst jetzt aufgesprungen.
Denn ohne Tarifpartner ist das nicht möglich. Das ist ganz
klar; das wissen Sie genau. Im Übrigen, wir wollen auch
nichts ohne Tarifpartner machen, wenn dies notwendig
ist – wie in diesem Falle.


(Beifall bei der CDU/CSU – Erika Lotz [SPD]: Jetzt gibt es die Metallrente! – Klaus Brandner [SPD]: Das ist Vermögensbildung!)


– Vermögensbildung halte ich für ganz wichtig, weil dies
einen Teil des Investivlohns betrifft. Wir sind, soweit es
die Lohn- und die Lohnnebenkosten angeht, nicht von
Schwankungen abhängig. Das ist im Übrigen ein wirt-
schaftlicher Faktor für mehr Investitionen.


(Klaus Brandner [SPD]: Aber bei der Rentenhöhe, die ihr uns hinterlassen habt, kann man nicht von einer Vermögensbildung sprechen!)







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(A)



(B)


Wir sind der Meinung, dass es neben diesen Komple-
mentärrenten, also der privaten Säule und der betriebli-
chen Rente, darum geht, dass wir die gesetzliche Renten-
versicherung sicher machen. Dazu sage ich Ihnen: Wenn
Sie eine falsche Weichenstellung vornehmen und die
blümsche Formel verlassen – Herr Dreßen, das muss ich
Ihnen sagen –, dann müssen Sie nicht mich fragen, warum
Sie in einem solchen Dilemma sind und ob wir Ihre Rente
mit falscher Weichenstellung finanzieren.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Wir hätten diesen demographischen Faktor beibehalten
sollen. Ich weiß sehr wohl, dass Sie dies teilweise einge-
sehen haben. Nur, Sie hatten das im Wahlkampf 1998 kri-
tisiert. Dann musste blockiert und etwas geändert werden.


(Erika Lotz [SPD]: Wir haben gut geändert!)

Deshalb sind Sie wider besseres Wissen in dieses Desaster
hineingeraten.

Ich kann nur feststellen, dass die nettolohnbezogene
Rente von 1982 bis 1998 bei 70 Prozent und höher lag. Sie
haben damit begonnen, dieses Rentenniveau zu manipu-
lieren,


(Klaus Brandner [SPD]: Blüm wollte es auf 61 Prozent senken!)


indem Sie es vom Nettoverdienst abgekoppelt und an die
Preissteigerung angeglichen haben. Deshalb liegen wir
mittlerweile bereits bei 68 Prozent. Ich habe Ihnen soeben
schon erklärt, dass wir ab 2003 schrittweise Änderungen
vornehmen werden. Denn wenn die 4 Prozent, die der Ar-
beitnehmer in die private Säule zu zahlen hat, in das jet-
zige Rentenniveau eingerechnet werden, dann sind wir
schon bei 64 Prozent.


(Johannes Singhammer [CDU/CSU]: So ist es!)


Ihre Erklärungen, die Sie aufgrund der Problematik,
die Sie seinerzeit mit dem Gewerkschaftsbund auszutra-
gen hatten, wonach Sie ein Rentenniveau von 67 Prozent
garantieren wollen, sind im Grunde genommen nur weiße
Salbe. Dies kann nicht eingehalten werden. Es sei denn,
Sie drehen ständig an dieser Schraube.


(Peter Dreßen [SPD]: Sie wären ohne private Vorsorge bei 60 Prozent gelandet!)


Die Versorgungslücke ist größer, und zwar nicht nur
2 Prozent, sondern 8 Prozent.

Zurzeit findet ein seltsamer Vorgang statt. Die Jünge-
ren sollen über ihre Rentenbiografie informiert werden.
Was das bei einem 28-Jährigen soll, weiß ich nicht. Seine
spätere Rente kann man höchstens hochrechnen. Die
Älteren sollen nicht informiert werden. Dazu muss ich Ih-
nen sagen: Sie werden ertappt.


(Klaus Brandner [SPD]: Das Gesetz kenne ich aber noch nicht!)


– Das macht die Rentenversicherung; aber der Minister
hat sich eingeschaltet. Deshalb bringe ich das.


(Klaus Brandner [SPD]: Wann hat sich der Minister eingeschaltet? Woher nehmen Sie das denn, Herr Schemken?)


Der wollte gerne, dass es nur die Jungen betrifft. Ich sage Ih-
nen auch, warum: damit die über 45- bzw. 50-Jährigen, die
das mit den 64 Prozent, was ich soeben erklärt habe, betrifft,


(Klaus Brandner [SPD]: Gut, dass der Minister redet und das klarstellen kann!)


nicht erkennen, wohin das Schiff bezüglich der netto-
lohnbezogenen Rente fährt. Wenn Sie das nicht glauben
wollen, dann wenden Sie sich an Professor Rürup. Der hat
noch einmal ausdrücklich erklärt, dass die Verlierer dieser
Rentengesetzgebung die über 55-Jährigen sind, also die,
die keine Chance mehr haben, sich privat zu versichern.

Ihre Ankündigung vor der Wahl stellt also zusammen
mit dem Verschweigen der Wahrheit gegenüber den Rent-
nern ein großes Täuschungsmanöver dar.


(Widerspruch bei der SPD)

Wir bleiben dabei, dass wir zunächst einmal den Auf-

bau der ergänzenden Altersvorsorge von staatlicher Stelle
– ich habe das eben schon einmal darzustellen versucht –
besser und zielgerechter fördern.


(Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: So ist das! – Klaus Brandner [SPD]: Noch mehr Schulden!)


Das gilt vor allen Dingen für die Förderung von Fami-
lien mit Kindern; darauf wollen wir es konzentrieren.
Hier wollen wir die Kriterien für die Gewährung der För-
derung – unter Beachtung gewisser Mindestanforderun-
gen, die ja auf den Ausblick der Standards des verdienten
Ruhestandes ausgerichtet sein sollen – offener und freier
gestalten. Mit Ihrem großen Verwaltungsaufwand lässt
sich kein Staat machen.

Die Riester-Rente ist zum Beispiel auch nichts für
Häuslebauer.


(Klaus Brandner [SPD]: Sie wollen entbürokratisieren und erfinden jeden Tag neue bürokratische Ausnahmen!)


– Ja, wir wollen entbürokratisieren. – Rund 80 Prozent
aller Bundesbürger sehen im eigengenutzten Wohnungs-
eigentum eine Vorsorgemöglichkeit. Das ist auch eine
sehr solide Vorsorge. Wenn ich ein Eigenheim baue oder
eine Eigentumswohnung erwerbe und im Alter die Belas-
tungen abgelöst habe, dann ist das eine großartige Vor-
sorge, die dem Einzelnen zugute kommt; hier darf nicht
über einen großen Apparat und entsprechende modifi-
zierte Entnahmemodelle wieder abgeschöpft werden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP– Klaus Brandner [SPD]: Eine Rente kann doch nicht pfändbar sein!)


Wir wollen diese Überregulierungen und die Verbarrika-
dierungen beseitigen und die freie Gestaltung und den
Umgang mit dem Eigentum fördern.


(Klaus Brandner [SPD]: Volksheime!)

Dann geht es uns um die Gewährleistung einer genera-

tionengerechten Belastung; auch uns beschäftigt die demo-
graphische Situation nach wie vor. Ich hoffe, dass auch Sie
das so sehen. Wir wollen hier wieder mit dem demographi-
schen Faktor arbeiten, damit gleichsam alle Generationen




Heinz Schemken

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zur Lösung des Problems beitragen, das uns hier beschäf-
tigt.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Darüber hinaus wollen wir insbesondere die eigenstän-

dige Alterssicherung von Frauen durch Schaffung von ge-
eigneten Rahmenbedingungen verbessern, vor allen Din-
gen dadurch


(Klaus Brandner [SPD]: Was heißt das konkret?)


– das ist eben schon deutlich geworden –, dass wir die Ver-
einbarkeit von Familie und Beruf verbessern. Ich muss hier
noch einmal deutlich sagen: Der Anteil von Frauen, die im
Berufsleben stehen und arbeiten, hat nicht zu Ihrer Zeit zu-
genommen, sondern insbesondere in den 80er-Jahren.


(Zurufe der Abg. Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


– Da waren Sie noch nicht so weit; das sage ich Ihnen.
1983, als Sie noch Blumen gepflückt haben, haben wir
diese Themen schon bearbeitet und die Vereinbarkeit
von Familie und Beruf in einem starken Maße gefördert,
auch durch die Schaffung zusätzlicher Möglichkeiten im
Arbeitsförderungsgesetz. Insofern wollen wir die Rah-
menbedingungen weiter verbessern, damit Frauen Beruf
und Familie besser vereinbaren können.


(Klaus Brandner [SPD]: Was heißt das konkret?)


Ein Weiteres: Da die Situation der Kommunen sehr be-
drückend ist, sind wir der Meinung, dass es ein völlig
falscher Ansatz ist, die Kommunen zu belasten, indem ih-
nen als Verwaltungsanteil – das ist es – nur ein Festbetrag
von 409 Millionen Euro zugestanden wird. Auch dies
wollen wir rückgängig machen. Die Finanzierung dieser
Aufgaben ist kein Thema der Kommunen. Wenn der Ge-
setzgeber das beschließt, muss er sich auch voll an der Fi-
nanzierung beteiligen.


(Klaus Brandner [SPD]: Verschämte Armut wird zum Markenzeichen der CDU!)


Ich spreche noch gar nicht von den Stellen, die für die
Behörden anfallen, die Sie zur Absicherung der Grundsi-
cherung noch einrichten wollen. Auch diese Mehrausga-
ben wollen wir nicht. Wir werden das reduzieren.


(Peter Dreßen [SPD]: Sie wollen, dass jedes Jahr der Sozialschnitt gemacht wird!)


Schließlich geht es auch darum, eine ehrliche Auskunft
über die Lage der Rentenversicherung zu geben. Sie wis-
sen sehr wohl, dass der Beitragssatz, wenn Sie die Min-
destreserve nicht abgesenkt hätten, einschließlich Öko-
steuer weit über dem Satz läge, den Sie zugesagt haben.
Das war wieder ein Wortbruch.

Ich verweise auf Ihren Berater, Herrn Rürup vom
VDR, der eindeutig klar gemacht hat, dass für das Jahr
2003 eine Erhöhung der Rentenbeiträge um bis zu
0,5 Prozent zu erwarten ist, wenn sich die Lage auf dem
Arbeitsmarkt nicht ändert.


(Doris Barnett [SPD]: So machen Sie doch Politik: Sie versprechen, dass es immer besser wird!)


Stellen Sie sich hier hin und sagen Sie das ehrlich!
Sie beziehen im Übrigen die Lohnerhöhungen, die

zur Begründung eines höheren Rentenanspruches – das
begrüße ich im Grunde – führen, in Ihre Berechnungen
nicht ein. Sie verstecken sich vor der Aufgabe, eine ent-
sprechende Gegenrechnung vorzunehmen. Sie sollten
dem Wähler ehrlich sagen, wie sich die Beitragssätze ent-
wickeln werden.


(Zuruf der Abg. Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


– Ja, Sie haben eine Kommission eingerichtet, die ihre Er-
gebnisse erst nach der Wahl bekannt gibt. Sagen Sie den
Menschen, was sie im Alter erwartet, was sie hinsichtlich
der Besteuerung erwartet und was sie im Rahmen der
Übergangsregelung, die das Bundesverfassungsgericht
bis zum 31. Dezember 2004 vorgeschrieben hat, erwartet.

Ich habe es bedauert – das müssen Sie sich zuschrei-
ben –, dass Sie nicht, wie wir es getan haben, mit einer de-
mographischen Formel


(Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir haben sehr bedauert, dass Sie keinen Konsens mit uns gemacht haben!)


eine Rentengesetzgebung geschaffen haben, die dem
Rentner auf Grundlage einer breiteren Basis, einer frakti-
onsübergreifenden Mehrheit im Parlament, auch in
Zukunft trotz wechselnder Mehrheiten die Sicherheit ge-
geben hätte, dass an der Rente nicht ständig herummani-
puliert wird. Diese Unsicherheit hat mit der Debatte um
die Nachhaltigkeit weiß Gott nichts zu tun. Stimmen Sie
deshalb unserem Antrag zu!

Ich wünsche Ihnen für die Zukunft alles Gute! Ich be-
danke mich herzlich für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP– HansPeter Repnik [CDU/CSU]: Eine große Rede! Abschiedsrede! Ein verdienter Mann!)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1423605000
Manch einer hält
mehrere Abschiedsreden. Mir ist aber gesagt worden, dies
sei eine. Deswegen möchte ich Ihnen im Namen des
ganzen Hauses für Ihr sozialpolitisches Engagement und
für die Arbeit während der Jahre, in denen Sie mit dazu
beigetragen haben, hier Sozialpolitik durchzusetzen, dan-
ken. Herzlichen Glückwunsch zu Ihrer Rede!


(Beifall im ganzen Hause)

Nun spricht der Kollege Klaus Brandner für die SPD-

Fraktion.


Klaus Brandner (SPD):
Rede ID: ID1423605100
Sehr geehrte Frau Präsiden-
tin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich
zuerst einen Dank an den Kollegen Herrn Schemken rich-
ten, den ich im Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
als menschlich fairen Kollegen kennen und schätzen ge-
lernt habe.

Ich möchte aber gleichzeitig deutlich machen: Dies än-
dert nichts daran, dass die heutige Debatte ein Trauerspiel
ist, weil die CDU/CSU in der Frage der Rentenreform gar




Heinz Schemken
23510


(C)



(D)



(A)



(B)


nichts zu bieten hat. Wir haben gerade wieder erlebt, dass
sie das nicht zugeben möchte. Sie vertuscht diesen Zu-
stand mit Scheinargumenten. Schlimmer noch: Die Union
will die Rentner und vor allem – das haben wir deutlich
erlebt – die Rentnerinnen verunsichern und sogar verängs-
tigen. Das hat mit der Realität der Rentenreform nichts zu
tun. Für Angst besteht nämlich überhaupt kein Anlass.
Deshalb sagen wir ganz deutlich: Mit uns geht das so
nicht.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Was ist an unserer Rentenreform schlimm? Nichts. Sie
ist nachhaltig, richtig und gerecht. Die ältere Generation
hat jetzt endlich ein sicheres Fundament unter den Füßen.
Die Renten steigen zwar etwas langsamer als geplant,
dafür steigt aber die Sicherheit enorm. Das zählt.

Wir wissen, dass Sicherheit ihren Preis hat. Die Men-
schen sind bereit, Ihren Beitrag dazu zu leisten. Das gilt
auch für die jüngere Generation; denn wer seinen Le-
bensstandard halten will, muss rechtzeitig privat vorsor-
gen. Das sind die Herausforderungen, denen wir uns auf-
grund der demographischen Veränderungen stellen
müssen. Das ist in dieser Gesellschaft bekannt.

Anders als die Regierung Kohl haben wir es uns zuge-
traut, das auch offen zu sagen. Nicht zuletzt deshalb fin-
den so viele unsere Reform richtig. Der Staat bietet auf der
Grundlage sozialer Kriterien massive Hilfe. Familien mit
Kindern werden besser geschützt. Die Zuschüsse können
bis zu 90 Prozent betragen. Das findet in der Gesellschaft
Akzeptanz.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die Rentenversicherung ist und bleibt eine starke
Säule, aber sie braucht ein zweites Standbein. Besonders
positiv ist die Entwicklung bei der betrieblichen Alters-
vorsorge. Es fällt auf, dass Sie, meine Damen und Herren
von der Opposition, zum Thema der betrieblichen
Altersvorsorge gar nichts zu sagen haben. Das ist nun
wieder sehr ehrlich; denn hierzu ist auch in Ihrer Regie-
rungszeit nichts erfolgt, im Gegenteil: Der Verbreitungs-
grad ist während der Regierungszeit von CDU/CSU und
FDP weiter zurückgegangen.

Dabei ist doch gerade diese Form der Alterssicherung
die modernste; denn sie verbindet für die Beschäftigten
die möglichen Chancen einer kapitalgedeckten Vorsorge
mit den Vorteilen der geringen Verwaltungskosten und
enthält Elemente des Solidarausgleichs.

Durch die verbesserten Rahmenbedingungen infolge
unserer Rentenreform erfährt die betriebliche Altersvor-
sorge gerade jetzt eine Renaissance. Hierzu möchte ich
angesichts der Kürze der Zeit nur einige Stichworte nen-
nen: Bereits jetzt sind 15,3Millionen Arbeitnehmer in Be-
trieben beschäftigt, in denen tarifvertragliche Regelungen
über eine Zusatzversorgung im Alter bzw. Entgeltum-
wandlungen existieren.

In Fachkreisen geht man davon aus, dass in Zukunft
90 Prozent aller Arbeitnehmer eine betriebliche Alters-
versorgung erhalten werden. Zum Vergleich: Heute erhält

nur ein gutes Viertel aller ehemaligen Beschäftigten in der
Privatwirtschaft eine Betriebsrente. Selbst die Anbieter
von Finanzdienstleistungen schätzen, dass etwa 70 Pro-
zent der Fördermittel über die betriebliche Altersversor-
gung abgewickelt werden. Das sind eindeutige Erfolge,
die wir uns von niemandem kleinreden und schon gar
nicht schlechtreden lassen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Was hat die Union zu bieten? Ich finde, eine klägliche
Show. Während Blüm Plakate „Die Rente ist sicher“
klebte, haben wir tatsächlich für Sicherheit gesorgt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Wolfgang Meckelburg [CDU/ CSU]: Das glauben Sie selber nicht!)


Geglaubt hat Ihnen am Schluss keiner mehr und das wirkt
leider lange nach. Die Unsicherheit in der Rentenpolitik
ist eine Gefahr für die Politik. Gerade in der Rentenpoli-
tik muss man gemeinsam für die Sicherheit der Bürgerin-
nen und Bürger sorgen. Das haben Sie versäumt.

Deshalb fühlen sich immer noch viele verunsichert. Sie
wollen – so empfinde ich das – diese Situation wahl-
taktisch ausnutzen.


(Dr. Irmgard Schwaetzer [FDP]: Das ist wahr!)


Genau das ist in Ihrem Antrag wiederzufinden. Sie haben
wieder einmal einen großartigen Titel gefunden: „Renten-
reform ehrlich, generationengerecht und zukunftssicher
gestalten“. Haben Sie eigentlich jegliche Scham verloren?
Wenn Sie nicht gerade das Wort „ehrlich“ benutzt hätten,
würde ich Sie fragen, ob Sie überhaupt noch wissen, wie
dieses Wort geschrieben wird.


(Beifall bei der SPD – Julius Louven [CDU/ CSU]: Na, na, Herr Brandner! – Dr. Irmgard Schwaetzer [FDP]: Sie müssen sich unsicher fühlen, wenn solche Breitseiten kommen!)


Abgesehen von der Wiedereinführung des so genann-
ten demographischen Faktors, treffen Sie in Ihrem Antrag
nicht eine einzige konstruktive Aussage zu dem, was Sie
rentenpolitisch umsetzen möchten. Der demographische
Faktor hat allerdings nicht unwesentlich dazu beigetra-
gen, dass Sie 1998 abgewählt wurden.

Was haben Sie am Altersvermögensgesetz und am Al-
tersvermögensergänzungsgesetz zu kritisieren? Bei der
Förderung der zusätzlichen Altersvorsorge ist Ihnen der
Verbraucherschutz zuwider. Lassen Sie mich das klarstel-
len: Alle Kriterien, die für eine Zertifizierung eines Al-
tersversorgungsvertrags erfüllt sein müssen, dienen dazu,
dass Mindestanforderungen an die Altersbindung erfüllt
werden. Offensichtlich haben Sie in dem Zusammenhang
den Sinn der zusätzlichen Altersvorsorge gar nicht ver-
standen.

Ich will Ihnen das gern noch einmal erläutern: Es gilt
sicherzustellen, dass im Alter ausreichende Einkünfte
vorhanden sind. Nur das schafft Sicherheit. Geradezu ab-
surd ist die Behauptung, die Finanzierung der Rentenver-
sicherung sei unsicher. Das ist nicht wahr und das wissen




Klaus Brandner

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(C)



(D)



(A)



(B)


Sie auch. Die langfristige Stabilität der Rente ist garantiert.
Weil wir den Generationenvertrag mit einer zusätzlichen
Säule aufgebaut haben, ist auch das Versorgungsniveau ga-
rantiert. Bis zum Jahr 2020 wird der Beitragssatz nicht
über 20 Prozent und bis 2030 nicht über 22 Prozent stei-
gen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich finde, das ist auch gut so.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Im Übrigen haben wir uns das nicht ausgedacht, son-
dern wir konnten diese Zusagen auf der Grundlage der
Annahmen über die Entwicklung der Wirtschaft, der Ein-
kommen und der Bevölkerung machen, wie sie mit dem
VDR und der BfA abgestimmt sind. Die von Ihnen erho-
bene Forderung, dass über die zukünftige Entwicklung
des Beitragssatzes Auskunft gegeben werden soll, wird
außerdem längst erfüllt. Jedes Jahr gibt die Bundesregie-
rung den Rentenversicherungsbericht heraus. Da können
Sie das gerne nachlesen. Wie Sie wissen, haben wir nichts
zu verstecken und schon gar nichts zu vertuschen.

Sie sprechen sich dafür aus – ich zitierte –,
die eigenständige Alterssicherung von Frauen durch
Schaffung von geeigneten Rahmenbedingungen für
eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf
auszubauen.


(Peter Dreßen [SPD]: Ja!)

Bravo, kann ich da nur sagen; dem kann ich mich voll und
ganz anschließen. Es ist nur schade, dass Sie diese Forde-
rung nicht in ihrem Wahlprogramm unterbringen konnten.
Der Ausbau von Einrichtungen zur Kinderbetreuung bil-
det im Wahlprogramm der SPD dagegen einen Schwer-
punkt. Insofern ist er auch ein deutlicher Schwerpunkt bei
unserer zukünftigen Regierungsarbeit.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Meine Damen und Herren, wir sorgen für geeignete
Rahmenbedingungen. Deshalb ist es so schade, dass Sie
es sich bei Ihrer Rentenreform nicht einmal ansatzweise
zugetraut haben eine Reform der Hinterbliebenenrenten
vorzunehmen – nicht etwa aus Großherzigkeit gegenüber
den Betroffenen, sondern weil Sie die Konflikte zwischen
den Konservativen Ihrer Partei und denjenigen, die
gleichstellungspolitisch auf der Höhe der Zeit sind, ge-
scheut haben. Sie haben die Probleme vor sich herge-
schoben. 16 Jahre lang war Aussitzen Ihr Markenzeichen.
Das hilft aber niemandem weiter.


(Dr. Irmgard Schwaetzer [FDP]: Darin, Probleme abzuschieben, sind Sie aber wirklich Experte!)


Rot-Grün hat Änderungen durchgeführt, die zu einer
stärkeren Berücksichtigung der Kindererziehung führen
und mit einem modernen Familienverständnis im Ein-
klang stehen. Bei Ihrer Kritik an der bedarfsorientierten
Grundsicherung schrecken Sie im Übrigen nicht einmal
vor Falschbehauptungen zurück: Die finanziellen Belas-
tungen werden übertrieben und Sie verschweigen den

Überforderungsschutz, den wir für die Kommunen veran-
kert haben.


(Dr. Irmgard Schwaetzer [FDP]: Wir werden noch vor dem 22. September sehen, ob das so ist!)


Um es ganz deutlich zu sagen: Sie wissen, dass wir an ei-
ner systematischen Gemeindefinanzreform arbeiten und
dass die Gemeinden in diesem Land darauf vertrauen kön-
nen, dass Rot-Grün den örtlichen Einrichtungen in unse-
rer Gesellschaft für die Zukunft einen ausreichenden fi-
nanziellen Spielraum zusichert.


(Beifall bei der SPD)

Warum trauen Sie sich nicht auch an dieser Stelle, of-

fen zu sagen, was Sie ganz verschämt in Ihrem Wahlpro-
gramm versteckt haben, dass Sie nämlich die Grund-
sicherung tatsächlich wieder abschaffen wollen? Was ist
das für ein Weg, verschämte Armut zu bekämpfen?


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Sie spalten dieses Land, indem Sie sowohl die alten als
auch die jungen Menschen verunsichern. Die Akzeptanz
der Rentenversicherung als eine der tragenden Säulen des
Sozialstaates wird von Ihnen ohne Alternative untergra-
ben. Ich bedauere das sehr und darf zum Schluss sagen:
Unsere langfristigen Ziele in der Rentenreform werden
– dabei bleibt es – systematisch umgesetzt.


(Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Habt ihr doch schon im letzen Jahr kritisiert!)


Erstens stabile Beiträge, zweitens ein vertretbares Ren-
tenniveau zur Sicherung eines angemessenen Lebensstan-
dards im Alter, drittens eine stärkere Eigenvorsorge, vier-
tens eine Verbesserung der Alterssicherung von Frauen
und der kindbezogenen Leistungen bei der eigenständi-
gen Rente und der Hinterbliebenenversorgung und fünf-
tens eine systematische Vermeidung verschämter Alters-
armut. – Das ist das Markenzeichen von Rot-Grün; dafür
treten wir ein.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1423605200
Für die FDP-Fraktion
erteile ich der Kollegin Dr. Irmgard Schwaetzer das Wort.


Dr. Irmgard Adam-Schwaetzer (FDP):
Rede ID: ID1423605300
Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die jährliche Mit-
gliederversammlung des Verbandes der Rentenversi-
cherungsträger hat gerade in Leipzig stattgefunden.
Dort wurde bekannt, dass eine Beitragssatzerhöhung von
19,1 auf 19,3 Prozent spätestens im nächsten Jahr unaus-
weichlich sein wird. Im Gegensatz dazu steht in Ihrem
Rentenkonzept, dass der Beitragssatz auf 19 Prozent ge-
senkt werden könnte.

Darüber hinaus wurde bekannt, dass, wenn Sie nicht
tricksen und schönen, dieser erhöhte Beitragssatz beibe-
halten werden muss und noch weiter steigen kann, statt
dass eine Senkung auf unter 19 Prozent möglich wird.




Klaus Brandner
23512


(C)



(D)



(A)



(B)


Trotzdem stellen Sie sich hier hin und behaupten, die Welt
sei schön. Sie verschließen die Augen fest vor der Realität
und wollen nicht wahrnehmen, dass hier der rentenpoliti-
sche Offenbarungseid notwendig gewesen wäre, der von
anderen für Sie ausgesprochen worden ist.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Nichts von dem, was Sie in dieser Legislaturperiode
gemacht haben, hat etwas genutzt. Weder die 15 Milliar-
den Euro Ökosteuer, die Sie in die Rentenversicherung
gegeben haben, noch die unsystematische Absenkung des
Anpassungssatzes zu Beginn der Legislaturperiode haben
die Rentenversicherung in irgendeiner Weise stabilisieren
können. Das heißt, Sie haben die gesamte Legislaturperi-
ode den Reformbedarf systematisch verschleiert und die
Zahlen geschönt. Das rächt sich jetzt.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Dennoch versuchen Sie, Ihr mutloses Reförmchen von
2001 als große Tat zu preisen.

Nein, es muss eine Reform her. Die FDP will diese
überfällige Reform endlich machen, damit die Bürger
wieder Zutrauen zu unseren Alterssicherungssystemen
fassen. Die gesetzliche Rentenversicherung wird entge-
gen allen Behauptungen, die jetzt manchmal über das auf-
gestellt werden, was der eine oder der andere will, auch in
Zukunft das Rückgrat der Alterssicherung der meisten
Menschen in Deutschland sein. Das ist auch richtig so.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Aber sie muss reformiert werden, damit sie diese Aufgabe
in Zukunft leisten kann. Dies gilt im Übrigen auch für die
private Altersversorgung; denn das Vertrauen, das damit
aufgebaut werden sollte, ist nicht vorhanden. Die Men-
schen glauben nicht, dass dies ein vernünftiger Ansatz ist,
der ihre Altersvorsorge sichern könnte.

Immer mehr Deutsche fühlen sich bei der Altersver-
sorgung vom Staat im Stich gelassen. Im Oktober 2001
misstrauten 52 Prozent der Bevölkerung den staatlichen
Maßnahmen. Im März 2002 waren es schon 60 Prozent.
Das hat aber nicht dazu geführt, dass sie gleichzeitig eine
Entscheidung für die Inanspruchnahme der geförderten
Riester-Rente getroffen hätten. Das haben gerade einmal
8 Prozent getan. Immerhin 70 Prozent sagen, dass sie
nicht die Absicht haben, eine solche private Vorsorge ab-
zuschließen. Wenn das keine Misstrauenserklärung ge-
genüber dem komplizierten Konstrukt ist, das Sie verab-
schiedet haben, dann weiß ich wirklich nicht, wie man das
anders belegen sollte.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Sie machen keine zukunftsweisende Rentenpolitik.

Wenn Sie immer darauf verweisen, was früher alles an-
ders und, wie Sie sagen, schlechter gewesen ist, dann kann
ich Ihnen nur eines sagen: Die Bürger werden am 22. Sep-
tember nicht über die Regierung von vor 1998, sondern
über Ihre Regierung abstimmen, über das, was Sie ver-
sprochen und nicht gehalten haben. Sie werden darüber

abstimmen, dass sie geglaubt haben, Sie würden die not-
wendigen Reformen in Angriff nehmen. Die Bürger haben
festgestellt, dass Sie diese Reformen nicht zustande ge-
bracht haben. Im Gegenteil: Sie deklarieren etwas als Re-
form, was sich in keiner Weise als zukunftsweisend oder
auch nur vom Ansatz her als wirklich tragfähig erweist.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Sie haben heute Morgen den Begriff der Nachhaltigkeit
nachhaltig beschädigt, indem Sie ihn für wirklich alle
Facetten Ihrer unzulänglichen Politik zu missbrauchen
versucht haben. Nachhaltigkeit bedeutet Generationen-
gerechtigkeit. Sie haben nicht den Mut gehabt, für die
junge Generation die richtigen Entscheidungen zu treffen,
weil Sie nicht in der Lage waren, den Gewerkschaften be-
greiflich zu machen, dass Reformen wirklich Reformen
bedürfen.


(Beifall bei der FDP)

Man muss es einfach sagen: Es gibt viele Menschen,

die bei dem Wort Reformen immer nur an Reformen für
andere denken, die sie selbst nicht betreffen. Wer Refor-
men will, muss wissen: Sie betreffen alle. Wenn wir bei
der Rente wirklich Generationengerechtigkeit herstellen
wollen, dann müssen wir endlich eine tief greifende Re-
form machen. Wir werden das tun. Ich werde Ihnen kurz
skizzieren, wie das aussehen soll.


(V o r s i t z : Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms)


Lassen Sie mich vorher einige Anmerkungen zu den
vorliegenden Anträgen machen. Ich hätte mir schon ge-
wünscht, meine Kolleginnen und Kollegen von der
Union, dass Sie etwas präziser definieren würden, was
nach Ihrer Auffassung in der nächsten Legislaturperiode
notwendig ist.


(Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Das haben wir schon!)


– Ich hätte mir gewünscht, dass diese grundlegende De-
batte vor und nicht nach der Wahl stattfindet. Ich denke,
die Menschen haben einen Anspruch darauf, sehr klar zu
wissen, was notwendig ist.


(Beifall bei der FDP – Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Sie kennen doch unser Wahlprogramm!)


Daneben hat die PDS einen Antrag mit einem Sack voll
unerfüllbarer Versprechen vorgelegt, die sich nur auf die
Menschen in den ostdeutschen Bundesländern beziehen.
Auch wir sehen in einem von Ihnen angesprochenen Be-
reich, nämlich beim mittleren medizinischen Personal,
sehr wohl die Notwendigkeit, weitere Verbesserungen vor-
zunehmen.


(Beifall bei der FDP)

Wenn aber die PDS in einer Rentendebatte, die den

zukünftigen Reformbedarf aufzeigen soll, ausschließlich
die vermeintlichen Interessen von Menschen aus den
neuen Bundesländern bedient, dann hat sie ihren An-
spruch, eine gesamtdeutsche Partei zu sein, aufgegeben.




Dr. Irmgard Schwaetzer

23513


(C)



(D)



(A)



(B)


Sie sind das nicht und werden es auch den Menschen nicht
klarmachen können.


(Beifall bei der FDP)

Die Voraussetzung für eine seriöse Reform – das ist der

erste Punkt – sind volkswirtschaftliche und bevölke-
rungswissenschaftliche Annahmen, die tatsächlich
langfristig angelegt sind. Als wir mit der Debatte über Ihre
Reform begonnen haben, haben Sie behauptet, sie sei
langfristig angelegt. Aber anschließend sind die kritischen
Anmerkungen vonseiten der Bevölkerungswissenschaft-
ler systematisch ausgeblendet worden. Sie haben Annah-
men zugrunde gelegt, die schon bei der Entwicklung der
Arbeitslosigkeit in diesem und im nächsten Jahr und bei
der Entwicklung der Beitragssätze zur Krankenversiche-
rung nicht zutreffen. Damit sind Ihre gesamten Prognosen
falsch und können nicht aufrechterhalten werden. Das
macht nicht nur der Anstieg des Beitragssatzes im nächs-
ten Jahr deutlich. Vielmehr werden Sie schon sehr viel
früher einen Beitragssatz von 20 Prozent erreicht haben,
als es nach Ihrer Berechnung vorgesehen ist.


(Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: So ist es!)

Sie versuchen, über diese Wahl hinweg zu kommen,

ohne der Bevölkerung reinen Wein einzuschenken. Ich
bin aber sicher, dass die Menschen kritischer sind und Ih-
nen das nicht durchgehen lassen werden.


(Beifall bei der FDP)

Zweitens ist angesichts der weltweit höchsten Lohnzu-

satzkosten, die wir in Deutschland haben, insgesamt ein
niedrigeres Belastungsniveau notwendig, als Sie es für
Ihre Rentenreform bis zum Jahr 2030 anstreben.

Drittens brauchen wir als wesentliches Kriterium für
die geförderte private Vorsorge eine praktikable Zweck-
bestimmung. Das reicht dann auch aus. Warum werden
denn so wenige Verträge für die private Vorsorge abge-
schlossen? – Sie sind unattraktiv, weil erstens die Ver-
wendungsmöglichkeiten der angesparten Summe die
Menschen nicht zufrieden stellen, weil Sie zweitens Ver-
erbbarkeit nicht vorgesehen und drittens eine Fülle von
undurchsichtigen Kriterien aufgenommen haben, die die
Menschen verunsichert. Damit die Akzeptanz verbessert
wird und der an sich richtige Schritt der privaten Vorsorge
auch tatsächlich gegangen werden kann, ist eine Reform
dieses Ansatzes in der nächsten Legislaturperiode drin-
gend notwendig.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Viertens muss das Wohneigentum als klassische Form
der Altersvorsorge in einer praktikablen Form einbezogen
werden.

Fünftens muss die nachgelagerte Besteuerung für
alle Vorsorgebeiträge eingeführt werden. Die jetzige
Rechtslage, nach der ein Teil schon bei der Erbringung
steuerlich geltend gemacht werden kann, ein anderer Teil
aber nicht, ist verwirrend und führt auch zu für den Ein-
zelnen schlecht abschätzbaren Ergebnissen bei der Aus-
zahlung seiner Rente. Deswegen ist eine nachgelagerte
Besteuerung generell richtig. Dabei ist allerdings jegliche
Doppelbesteuerung zu vermeiden.

Sechstens müssen im Rahmen der betrieblichen Al-
tersvorsorge die Durchführungswege gleichgestellt wer-
den. Es gibt keinen Grund dafür, warum Direktzusagen
und Unterstützungskassen diskriminiert werden. Darüber
hinaus muss die Direktversicherung auch ab 2008 weiter-
hin attraktiv bleiben. Dieses Instrument wird derzeit ge-
rade im Mittelstand verstärkt angewendet.

Auch muss dafür gesorgt werden, dass die deutschen
Pensionsfonds aus der Ecke der reinen Versicherungspro-
dukte herauskommen und international vergleichbaren
Kriterien genügen. Sie müssen rentabel, europatauglich
und international wettbewerbsfähig werden, was sie zur-
zeit nicht sind.

Deswegen ist es siebtens auch notwendig, dass die be-
darfsorientierte Grundsicherung, die – darin bin ich mir
sicher – die Kommunen vor massive finanzielle Bela-
stungen stellen wird – –


(Erika Lotz [SPD]: Das ist doch überhaupt nicht wahr! Das wissen Sie doch! – Gegenruf des Abg. Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Aber selbstverständlich!)


– Das ist schon derzeit anhand der Vorlagen, die die Käm-
merer für verschiedene Gebietskörperschaften erarbeitet
haben, abzusehen. Wir haben diesbezüglich eine Anfrage
an die Bundesregierung gerichtet. Ich bin gespannt, wie
die Bundesregierung sie behandeln wird.

Die Wähler merken, dass Sie Ihre Versprechen aus dem
Wahlkampf 1998 nicht eingehalten haben. Viele haben
geglaubt, die Reform der sozialen Sicherungssysteme
könne man mal eben so machen und gehe sie eigentlich
nichts an. Jetzt wird die Sorge um die eigene Zukunft
größer. Sie, meine Damen und Herren von der rot-grünen
Koalition, haben Ihre Chance gehabt. Sie haben sie ver-
spielt.


(Peter Dreßen [SPD]: Warten Sie es ab! Ihr Spaßprogramm ist auch nicht überwältigend!)


Wir werden vernünftige Reformen in der nächsten Legis-
laturperiode machen.

Danke schön.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Erika Lotz [SPD]: Die FDP ist zur Klamaukpartei verkommen!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1423605400
Als
nächste Rednerin hat das Wort die Kollegin Katrin
Göring-Eckardt vom Bündnis 90/Die Grünen.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

gen! Frau Schwaetzer, ich glaube, es steht Ihnen nicht zu,
zu der Frage etwas zu sagen, wer wie lange eine Chance
hatte und sie nicht genutzt hat.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Sie haben eben einige Punkte des FDP-Konzepts vorge-
stellt. Mir kam das wie eine Ansammlung von Punkten,




Dr. Irmgard Schwaetzer
23514


(C)



(D)



(A)



(B)


die nach dem Motto „Was ich schon immer einmal sagen
wollte“ zusammengestellt worden sind, und nicht wie ein
tragfähiges Konzept vor, das generationengerecht und
machbar ist.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Irmgard Schwaetzer [FDP]: Das wäre das erste Mal bei Ihnen!)


– Ich werde es konkret machen. – Sie haben zu Beginn Ih-
rer Rede den Beitragssatz angesprochen und haben ver-
sucht, uns weiszumachen, dass der Beitragssatz bei uns
nicht mehr im Mittelpunkt stehe.


(Dr. Irmgard Schwaetzer [FDP]: Das ist falsch!)


Sie haben auch behauptet, dass die Prognosen, auf die wir
uns stützen, nicht stimmten. Ich weise Sie gerne auf eine
Prognose des VDR vom April 2002 hin, aus der deutlich
hervorgeht, dass das, was wir uns vorgenommen haben,
nämlich die Beitragssätze unter 20 bzw. 22 Prozent zu hal-
ten, langfristig umsetzbar ist.


(Dr. Irmgard Schwaetzer [FDP]: Sie hätten nach Leipzig fahren sollen, Frau Kollegin!)


Deswegen bleiben wir bei dem, was wir gesagt haben. Wir
gehen also nicht von falschen Prognosen aus.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Ihr Plan stimmt doch im ersten Jahr schon nicht!)


Ich möchte Ihnen gerne vorrechnen, was es bedeuten
würde, wenn das, was im FDP-Programm steht, umge-
setzt würde. Sie schlagen unter anderem vor, die Öko-
steuer abzuschaffen, weil Sie diese Steuer für ein falsches
Instrument halten. Wenn die Ökosteuer abgeschafft würde
– Frau Schwaetzer, das können Sie gerne nachrechnen –,
dann würde der Beitragssatz in der Rentenversicherung
sofort um 2 Prozentpunkte steigen. Sie müssen mir einmal
erklären, was das mit Beitragssatzsenkung zu tun hat.


(Dr. Irmgard Schwaetzer [FDP]: Wir haben ja nicht gesagt, dass wir weniger Steuern in die Rentenversicherung fließen lassen!)


– Es stimmt, Sie haben nicht gesagt, wie Sie das alles be-
zahlen wollen. Das ist richtig. Die Umsetzung Ihres Steu-
ermodells würde 33 Milliarden kosten. Die Umsetzung
aller Forderungen aus dem FDP-Programm würde
320 Milliarden kosten. Sie haben an keiner Stelle gesagt,
wie Sie das finanzieren wollen. Wir dagegen sagen den
Menschen die Wahrheit. Wir sagen ihnen vor allen Din-
gen, worauf sie sich verlassen können. Das ist der Unter-
schied zwischen Ihnen und uns.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Dr. Irmgard Schwaetzer [FDP]: Das ist wirklich eine schwache Verteidigung!)


Ich möchte noch auf Ihre Behauptung eingehen – ich
glaube, diese haben Sie schon einmal vor einigen Wochen
in einer Aktuellen Stunde fast wörtlich vorgetragen; Sie
haben sie wahrscheinlich als Textbaustein abgespeichert
–, die zusätzliche private Vorsorge, die Riester-Rente,

werde nicht angenommen. Dazu möchte ich Ihnen Fol-
gendes sagen:


(Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Sie brauchen nichts mehr zu verteidigen!)


Sie wissen sehr genau – das ist auch richtig so –, dass die
Verbraucherschützer und Berater den Menschen raten,
sich genau anzuschauen, welche Produkte der privaten
Vorsorge zu ihren Einkommensverhältnissen passen, und
darauf hinweisen, dass noch bis zum Ende des Jahres Zeit
ist, entsprechende Verträge abzuschließen. Sie wissen
ganz genau, dass es nicht stimmt, dass 70 Prozent keine
zusätzliche private Vorsorge betreiben wollen. Im Gegen-
teil: Es gibt in der Tat eine große Bereitschaft, zusätzliche
private Vorsorge zu betreiben. Es ist ja gewollt, dass die ei-
nen zusätzlich betriebliche Vorsorge und die anderen zu-
sätzlich private Vorsorge betreiben. Genau darum geht es.


(Dr. Irmgard Schwaetzer [FDP]: Die Menschen wollen keine Riester-Rente! Das haben sie gesagt!)


Frau Schwaetzer, wir haben die private Vorsorge nicht
eingeführt. Sehr viele Menschen – das hat insbesondere
Ihre Klientel, die Besserverdienenden, gemacht – haben
schon vor der Riester-Rente private Vorsorge betrieben.
Aber diejenigen, die nur über kleine Einkommen verfü-
gen und auch noch Kinder haben, konnten sich bisher
keine zusätzliche private Vorsorge leisten. Ihnen haben
wir die Möglichkeit gegeben, privat vorsorgen zu können,
damit auch sie eine eigenständige, sichere Rente bekom-
men, bestehend aus gesetzlicher Rente und privater Vor-
sorge. Das unterstützen wir. Diese Menschen nehmen
dieses Angebot an, Frau Schwaetzer, und nicht die Bes-
serverdienenden; das ist richtig.


(Dr. Irmgard Schwaetzer [FDP]: Woher wissen Sie, dass sie das annehmen?)


Die Besserverdienenden brauchen solche Angebote aber
auch nicht; die wollten wir nicht stützen. Wir wollten viel-
mehr die kleinen Leute stützen, insbesondere die Familien
mit Kindern. Das haben wir gemacht. Sie nehmen das
auch an.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Herr Schemken, ich komme nun auf Sie zu sprechen.
Sie hatten davon gesprochen, dass es um Ehrlichkeit bei
der Rentenversicherung ginge. 1983 – ich war damals
17 Jahre alt, vielleicht habe ich noch Blumen gepflückt
– waren Sie kurze Zeit an der Regierung. Damals – kurz
zuvor habe ich begonnen, mich politisch zu interessieren
– bin ich mit dem Satz aufgewachsen, dass die Rente si-
cher sei. Das war der „ehrliche Satz“ von Norbert Blüm.
Je mehr ich, als ich älter und gesetzter wurde, über diesen
Satz nachgedacht habe, habe ich festgestellt, dass die
Wörter „ehrlich“ und „verlässlich“ nicht zutreffen. Neh-
men Sie mir ab, Herr Schemken, dass sich auch jemand,
der nicht kurz vor dem Rentenalter steht, der der jüngeren
Generation angehört, Gedanken darüber macht, was das
alles zu bedeuten hat.


(Dr. Irmgard Schwaetzer [FDP]: Frau Göring hat immer Westfernsehen gesehen!)





Katrin Göring-Eckardt

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(C)



(D)



(A)



(B)


– Ja, ich habe immer Westfernsehen gesehen; das kann ich
hier bekennen. Ich war nicht Mitglied der SED. Ich durfte
es zu Hause sehen; das war überhaupt kein Problem.

Worum es mir geht, ist die Frage, für wen man eine
Rentenreform eigentlich macht und für wen man einen
demographischen Faktor überhaupt einführt. Sie wissen,
dass unsere Fraktion damals dem nicht abgeneigt war; sie
war nur der Auffassung, dass man das anders machen
müsse. Sie haben diese Frage aber niemals beantwortet.
Sie haben immer gesagt, Sie würden eine Rentenreform
zugunsten von Rentnerinnen und Rentern machen. Sie ha-
ben immer verschwiegen, was das für die Jüngeren be-
deutet. Das hätte für die Jüngeren, auch mit Ihrem demo-
graphischen Faktor, massiv steigende Beiträge bedeutet.
Das hätte für die Jüngeren und für die Familien bedeutet,
dass sie keine zusätzliche private Vorsorge hätten betrei-
ben können, weil sie das Geld dafür nicht im Portemonnaie
gehabt hätten. Deswegen nehmen Sie jemandem, der 1983
noch Blumen gepflückt hat, bitte ab, dass wir tatsächlich
eine Rentenreform auf den Weg bringen wollten und mit
auf den Weg gebracht haben, bei der die Frage der Gene-
rationengerechtigkeit von großer Bedeutung war.


(Dr. Irmgard Schwaetzer [FDP]: Thema verfehlt!)


Ich bin froh, dass ich bei den Konsensrunden – darauf
komme ich nun näher zu sprechen – mit am Tisch geses-
sen habe. Ich war übrigens die Jüngste; Herr Biedenkopf
hat sich immer darüber gefreut, dass auch jemand, der et-
was jünger ist, mit dabei ist. Sie haben gesagt, Sie hätten
es bedauert – ich glaube, das richtete sich an die Adresse
der Sozialdemokraten –, dass sie den demographischen
Faktor nicht mitgetragen haben. Ich sage Ihnen, was ich
bedauert habe: Wir haben uns Wochen und Monate um ei-
nen Rentenkonsens bemüht, haben uns gestritten, waren
uns aber in vielen Fragen einig. Es war mit Herrn Bie-
denkopf, Frau Stamm und Herrn Laumann eine hoch-
karätig besetzte Gruppe und wir haben, wie ich glaube, ei-
nen wirklichen Konsens gefunden. Aber am Schluss hat
die Union aus rein politischen Gründen, weil sie dies als
Thema für den Wahlkampf nehmen will – dies wird nicht
funktionieren, da das Thema Rentenpolitik zurzeit nicht
in der öffentlichen Debatte ist –, gesagt, dass sie ihn nicht
mittragen könne.

Ich will Ihnen einige Beispiele geben: Bei der privaten
Vorsorge und deren Förderung haben Sie gesagt, man
bräuchte dafür mindestens 10 Milliarden DM. Wir haben
fast 10 Milliarden Euro dort eingestellt. Wir sind Ihnen
also nicht nur entgegengekommen, sondern haben dies
sogar stärker gefördert. Sie haben am Ende hinsichtlich
des Rentenniveaus die Frage gestellt, wie hoch es sein
darf. Wir sind Ihnen auch hier entgegengekommen. Es
ging um die Beitragssätze. Wir haben gemeinsam eine Lö-
sung gefunden.

Ich bedauere das alles sehr. Man hätte auch beim de-
mographischen Faktor weiterkommen können, aber man
hätte daraus sicherlich lernen und sich bemühen können,
es beim Rentenkonsens besser zu machen und einen wirk-
lichen Konsens zu finden. Dann gäbe es zum einen nicht
eine so große Verunsicherung der Leute – das findet jetzt
nur aus Wahlkampfgründen statt; ich sage gleich noch et-

was zu dem Thema Familien mit Kindern – und zum
Zweiten hätten wir heute eine mutigere Reform. Für diese
habe ich mich einesetzt. Ich habe aber eingesehen: Das
geht nur gemeinsam, dann, wenn man noch einen Schritt
weiter gehen will. Dass das nicht geklappt hat, bedauere
ich in der Tat.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

In der verbleibenden Zeit möchte ich noch einige Sätze

zu dem Punkt sagen, den Sie uns vorgeworfen haben. Ich
muss Ihnen ehrlich sagen: Ich glaube, Sie haben sich das,
was wir getan haben, nicht richtig angeschaut.


(Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Wer hat denn die blümsche Reform außer Kraft gesetzt? Das waren doch Sie!)


Zur Frage der Hinterbliebenenrente. Natürlich senken
wir sie ab, und zwar für diejenigen, die unter 40 sind und
keine Kinder haben. Das finde ich richtig. Denn ich
glaube, wenn zwei Menschen zusammenleben, verheira-
tet sind, einer aus freier Entscheidung zu Hause bleibt und
keine Kinder großzieht, dann können die beiden auch mit-
einander vereinbaren, dass hier eine zusätzliche Vorsorge
getroffen werden muss. Wenn aber jemand Kinder erzieht
– das ist schon beim ersten Kind so –, dann wird er in der
Hinterbliebenenvorsorge genau das Gleiche bekommen
wie jetzt. Schon wenn jemand zwei Kinder hat, wird seine
Situation besser sein als bisher. Das ist der eine Punkt.


(Zuruf von der SPD: Richtig, ja!)

Aber es gibt noch einen anderen Punkt, den wir durch-

gesetzt haben und den ich zentral finde. Wir haben ge-
schafft, dass es bei den Rentenbiografien von Frauen
keine Lücken mehr gibt, dass sich die Frauen also wirklich
auf eine eigenständige Rente verlassen können. Für dieje-
nigen, bei denen dies nicht möglich ist, weil sie besonders
niedrige Einkünfte haben, haben wir die Grundsicherung
eingeführt. Dazu haben Sie gesagt, dass Sie sie wieder ab-
schaffen wollen. Das finde ich wirklich hochdramatisch,
weil es bedeutet, dass man wieder ganz unten ansetzt, also
bei denen, die nichts haben und auch nichts zusätzlich auf-
bringen können. Das finde ich besonders dramatisch.


(Dr. Irmgard Schwaetzer [FDP]: Jetzt tun Sie doch nicht so, als sei das mehr als Sozialhilfe!)


– Frau Schwaetzer, Sie wollen das Geld ja den Menschen,
die es wirklich brauchen, nehmen, weil die Kommunen
das nicht bezahlen können. Die Leute haben einen An-
spruch darauf, Frau Schwaetzer.


(Dr. Irmgard Schwaetzer [FDP]: Ich will es ehrlich machen!)


Deswegen reden wir nicht darüber, ob die Kommunen das
bezahlen können, sondern wir reden darüber, wie wir es
finanzieren können, weil die Menschen einen Anspruch
darauf haben. Aber zu sagen: „Das können wir leider nicht
mehr machen, weil wir nicht wissen, wie wir es finanzie-
ren sollen“ ist FDP-Programmatik.


(Susanne Kastner [SPD]: Weil sie die Partei der Besserverdienenden ist!)


Das werden Sie bei uns nicht erleben.




Katrin Göring-Eckardt
23516


(C)



(D)



(A)



(B)



(Dr. Irmgard Schwaetzer [FDP]: Nein, Sie lassen die Besserverdienenden aus der Verantwortung! Wir wollen sie wieder reinholen!)


Das werden die Menschen auch am 22. September dieses
Jahres ganz genau wissen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1423605500
Das Wort
hat jetzt die Kollegin Monika Balt von der PDS-Fraktion.


Monika Balt (PDS):
Rede ID: ID1423605600
Herr Präsident! Liebe Kollegin-
nen und Kollegen! Jetzt haben Wahlkampf und Schlagab-
tausch begonnen. Über die Rente schreiben, sprechen und
senden, spätestens seit der Rieser-Rente, ja bekanntlich
alle. Das hat die SPD 1998 wohl schon geahnt. Deshalb
heißt es in ihrem Wahlprogramm:

Die Kürzung des Rentenniveaus würde viele Rent-
nerinnen und Rentner zu Sozialhilfeempfängern
machen. Bei Frauenrenten von durchschnittlich
900Mark im Monat wird dies besonders deutlich. So
darf man mit Menschen, die ein Leben lang hart ge-
arbeitet haben, nicht umgehen. Die SPD-geführte
Bundesregierung wird die unsoziale Rentenpolitik
unmittelbar nach der Bundestagswahl korrigieren.

So weit das Zitat.
Meine Damen und Herren, was haben Sie denn nun

tatsächlich korrigiert? Sie haben die enormen Einschnitte
in die Rentenleistungen von 1997, wie die Verkürzung der
Anrechnung von Ausbildungszeiten oder die schnelle
Heraufsetzung der Altersgrenzen, unverändert übernom-
men und weitergeführt. Mit der Rentenreform 2001 haben
Sie nicht nur die Weichen für eine weitere schrittweise Ab-
senkung der Renten um circa 10 Prozent gestellt, sondern
es ist auch eine Tatsache, dass Sie einen Systembruch
vollzogen haben, indem Sie mit der Tradition der pa-
ritätisch finanzierten, leistungsfähigen und solidarischen
Alterssicherung der Bundesrepublik gebrochen haben.


(Wolfgang Gehrcke [PDS]: Da ärgert sich auch der Riester!)


Ihre Rentenreform ist vor allem eine Abkehr von einer
lebensstandardsichernden gesetzlichen Rente hin zu einer
bloßen Mindestversorgung. Sie schielen einzig und allein
auf die Höhe des Beitragssatzes. Das Ergebnis aber wird
sein, dass künftig rund ein Drittel aller Rentnerinnen und
Rentner eine Rente erhalten werden, die sich von der So-
zialhilfe nicht mehr unterscheiden wird. Darin sind sich
im Übrigen alle Rentenexperten einig. Unter der Über-
schrift „Größere Eigenverantwortung und Selbstgestal-
tung“ ersetzen Sie Teile der solidarischen Rente durch
eine überteuerte Privatrente, die ausschließlich und al-
leine von den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern zu
bezahlen ist.


(Zuruf von der SPD: Nein, nein!)

So kappt der Staat Schritt für Schritt seine soziale Ver-

antwortung. Aber glauben Sie nicht, dass die Menschen
das nicht bemerken. Fragen Sie einmal junge Menschen,

was sie über ihre spätere Rente denken. Das Vertrauen in
die gesetzliche Rentenversicherung und in die Rentenpo-
litik schwindet nämlich immer mehr. Es muss doch mög-
lich sein, dass in einem wirtschaftlich so leistungsfähigen
und reichen Staat wie der Bundesrepublik endlich über
Umverteilung von oben nach unten nachgedacht wird,
statt ständig Sozialleistungen zu kürzen. Ich erinnere Sie
an dieser Stelle an die beeindruckende und an das Haus
appellierende letzte Rede Ihres Kollegen Rudolf Dreßler
in diesem Haus.

Für die PDS steht die Erneuerung des Solidarprinzips
im Mittelpunkt. Die Probleme der Rentenkassen liegen
vor allem auf der Einnahmeseite, verursacht durch hohe
Arbeitslosigkeit und vor allem durch die Schonung höhe-
rer Einkommen. Heute sind Sozialversicherungen über-
wiegend Versicherungen für Arbeitnehmer und Arbeit-
nehmerinnen. Wir wollen sie zu Versicherungen aller
Erwerbstätigen, auch der Beamten, Selbstständigen und
Abgeordneten, ausbauen.


(Beifall bei der PDS)

Wie? Durch Integration bestehender paralleler Siche-
rungssysteme und durch die Versicherungspflicht für alle
Erwerbseinkommen.


(Dr. Irmgard Schwaetzer [FDP]: Das ist eine Horrorvision! – Zuruf von der CDU/CSU: Wie in der DDR!)


Damit wollen wir vor allem eines erreichen, nämlich dass
die gesetzliche Rentenversicherung die Grundlage für
eine den Lebensstandard sichernde Rente ist.

In den zur Debatte stehenden Anträgen von CDU/CSU
wird viel allgemeine Kritik geübt, aber es werden wenig
konkrete Vorschläge unterbreitet. Deshalb zitiere ich Ihr
Wahlprogramm – Sie wollen daraus ja ein Regierungs-
programm machen –:

Wir werden diese unzureichende Rentenreform er-
neut auf den Prüfstand stellen und notwendige Kor-
rekturen durchführen.

Hoppla, das kommt mir doch ganz schön bekannt vor.
Im Kern Ihrer Korrektur holen Sie als Alternative zu
Riesters Korrekturfaktor den blümschen Demographie-
faktor aus der Mottenkiste.


(Zuruf von der CDU/CSU: Der ist gerecht!)

Sie formulieren darüber hinaus, die Regelaltersgrenze

flexibler gestalten zu wollen. Im Klartext heißt das doch:
Sie wollen das Renteneintrittsalter heraufsetzen; derje-
nige, der wegen Arbeitslosigkeit vorzeitig in Rente gehen
muss, hat mit noch höheren Abschlägen zu rechnen. Wis-
sen Sie eigentlich, dass die Arbeitslosen, die im Jahr 2001
in Rente gehen mussten, eine im Vergleich zu 1996 um
150 Euro niedrigere Rente erhalten? Wie weit wollen Sie
denn die Rentenkürzung noch treiben?

Weder in Ihrem Regierungsprogramm noch in Ihrem
Antrag „Rentenreform ehrlich, generationengerecht und
zukunftssicher gestalten“ finde ich eine Aussage zu den
immer noch bestehenden Lücken und Ungerechtigkeiten
bei der Überführung der DDR-Renten und -Versor-
gungen. Frau Schwaetzer, diese Rentenlücken gibt es nun




Katrin Göring-Eckardt

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(C)



(D)



(A)



(B)


einmal in den neuen Bundesländern. Deshalb setzt sich
die PDS besonders für deren Beseitigung ein. Es ist ein
unhaltbarer Zustand, dass weder eine schwarz-gelbe noch
eine rot-grüne Bundesregierung diese ungerechten Rege-
lungen für ostdeutsche Rentnerinnen und Rentner bei der
Überführung ihrer Renten- und Versorgungsansprüche
von sich aus beseitigt hat.


(Dr. Irmgard Schwaetzer [FDP]: Wir haben doch gerade die Stasirenten erhöht, wie es das Verfassungsgericht verlangt hat!)


Es waren stets die Betroffenen, die mit Hilfe von Ver-
bänden, Organisationen, Gewerkschaften und Kirchen
mit sehr großem Aufwand und langwierigen Gerichtsver-
fahren diese Gesetzesänderungen erzwungen haben.
Keine einzige Änderung des Renten- oder Versorgungs-
rechts erfolgte aus der Erkenntnis heraus, dass die Wert-
neutralität des Rentenrechts ein hohes Verfassungsgut
ist – das zu sagen muss in diesem Hause gestattet sein –,
das nicht verletzt werden darf.

Das Bundesverfassungsgericht bestätigte grundsätzlich
die Eigentumsgarantie für die in der DDR erworbenen An-
sprüche und Anwartschaften. Sowohl im Staatsvertrag als
auch im Einigungsvertrag hieß es, dass Rentenansprüche
und -anwartschaften als vermögenswerte Güter auch die
wesentlichen Merkmale verfassungsrechtlich geschützten
Eigentums tragen. Dem Gesetzgeber wurde aufgegeben –
das wissen wir alle –, die vom Bundesverfassungsgericht
als nichtig und mit dem Grundgesetz nicht vereinbar fest-
gestellten Bedingungen neu zu regeln.

Weil der Handlungsspielraum nicht ausgeschöpft
wurde und die Überführungslücken nach wie vor beste-
hen, hat die PDS-Fraktion jetzt erneut den Antrag gestellt,
diese Fragen nun endlich, fast zwölf Jahre nach der Ein-
heit, zu regeln. Ich spreche hier für die Lebensarbeitsleis-
tung der Wissenschaftler und Hochschullehrer, für Tau-
sende Professoren, die nach 1995 in Rente gingen. Ich
spreche für die Pädagogen, die Angehörigen der techni-
schen Intelligenz, der Deutschen Reichsbahn und der
Deutschen Post sowie für alle anderen Teilnehmer an Zu-
satz- und Sonderversorgungen, die bisher nicht mit der ge-
setzlichen Rentenversicherung abgegolten worden sind.


(Beifall bei Abgeordneten der PDS)

Die PDS tritt für eine weitere Novellierung des

2. AAÜG-Änderungsgesetzes ein. Es ist aus unserer Sicht
höchste Zeit, Überführungslücken zu schließen. Wir ver-
langen die Vorlage eines Stufenplans, der die vollständige
Angleichung an den aktuellen Rentenwert in den neuen
Bundesländern vorsieht. Auch der VdK-Präsident, Herr
Hirrlinger, sagte gestern: Die Angleichung der Ostrenten
an das westdeutsche Rentenniveau bis 2007 ist dringend
erforderlich. Wenn Sie der PDS nicht glauben, dann glau-
ben Sie wenigstens ihm.


(Beifall bei der PDS)

Zwölf Jahre nach der deutschen Einheit sind diese Be-

nachteiligungen und Ungerechtigkeiten nicht mehr hinzu-
nehmen. Glaubwürdigkeit heißt für uns, dass den Worten
dann auch Taten folgen. Wenn die PDS von sozialer Ge-
rechtigkeit spricht, dann wollen wir, dass alle Rentnerin-

nen und Rentner in Ost und West von ihrer Rente men-
schenwürdig leben können.

Vielen Dank.

(Beifall bei der PDS)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1423605700
Als
nächste Rednerin hat die Kollegin Erika Lotz von der
SPD-Fraktion das Wort.


Erika Lotz (SPD):
Rede ID: ID1423605800
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen!
Liebe Kollegen! „Wahlkampf, Wahlkampf“ hat die
„Frankfurter Rundschau“ am 19. April getitelt. Das
müsste auch der Titel für die heutigen CDU/CSU-Anträge
sein, die wir gerade beraten.


(Dr. Irmgard Schwaetzer [FDP]: Nett, dass du uns da nicht mit einbeziehst!)


Wie damals versuchen Sie auch heute, die Absenkung
des Rentenniveaus auf 64 Prozent – das war Ziel Ihres
Rentengesetzes – uns in die Schuhe zu schieben. Das las-
sen wir nicht zu. Es wird Ihnen auch nicht gelingen; denn
unsere Marke liegt höher.


(Andreas Storm [CDU/CSU]: Das müssen Sie aber besser wissen! – Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Glauben Sie immer noch daran?)


Unter dem Thema „Wahlkampf, Wahlkampf“ lässt sich
auch – lassen Sie mich das zu Ihnen sagen, Frau Kollegin
Balt – Ihre Rede heute einordnen. Offensichtlich kennen
Sie das Altersvorsorgegesetz nicht. Ansonsten könnten
Sie hier nicht behaupten, allein die Arbeitnehmer müssten
die kapitalgedeckte Vorsorge bezahlen. Mit über 20 Mil-
liarden DM jährlich wird dieses von der Bundesregierung
bezuschusst und gefördert. Verschweigen Sie das nicht
einfach!


(Beifall bei der SPD – Wolfgang Gehrcke [PDS]: Wo bleiben die Arbeitgeber?)


Zurück zu den Anträgen der CDU/CSU, in denen For-
derungen nach Klarheit, Ehrlichkeit und Generationenge-
rechtigkeit enthalten sind. Liebe Kolleginnen und Kolle-
gen, genau diese Forderungen haben wir mit unserer
Rentenreform, die wir 2001, also vor der Bundestags-
wahl, in Kraft gesetzt haben, erfüllt. Dazu hatte Ihnen bei
Ihrem Rentenreformgesetz 1999 vor vier Jahren noch der
Mut gefehlt. Ihr demographischer Faktor sollte erst im
Jahr nach der Wahl greifen. Das war weder ehrlich noch
klar, von generationengerecht ganz zu schweigen.


(Andreas Storm [CDU/CSU]: Ihre neue Formel tritt doch auch erst nächstes Jahr in Kraft!)


Mit Ihren Anträgen heute wollen Sie die Wählerinnen und
Wähler verunsichern und für dumm verkaufen. Beides
wird Ihnen nicht gelingen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Sie unterstellen eine Versorgungslücke. Aber genau die
wird mit unserem Altersvorsorgegesetz geschlossen. Wir
fördern – ich wiederhole es – mit mehr als 20 Milliar-
den DM jährlich die zusätzliche private Vorsorge. Sie da-




Monika Balt
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(C)



(D)



(A)



(B)


gegen haben einfach nur beschlossen, das Rentenniveau
auf 64 Prozent zu senken. Fertig! – Anders als Sie lassen
wir die Menschen nicht alleine.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1423605900
Frau Kol-

legin Lotz, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Meckelburg?


Erika Lotz (SPD):
Rede ID: ID1423606000
Es findet nachher noch eine Bera-
tung des Ausschusses statt. Das weiß auch Herr Meckel-
burg. Ich möchte daher im Zusammenhang weiterreden.


(Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Aber Sie reden so viele Unwahrheiten!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1423606100
Sie lassen
also keine Zwischenfrage zu.


Erika Lotz (SPD):
Rede ID: ID1423606200
Zum ersten Mal in der Geschichte
der Rentenversicherung werden die Versicherten eine um-
fassende Rentenauskunft erhalten. Sie kennen dann ihre
voraussichtliche Rentenhöhe auch bei Erwerbsunfähig-
keit oder wissen, wie viel ihre Witwen oder Witwer be-
kommen würden. Was machen Sie von der CDU/CSU?
Sie nehmen diese Tatsache gar nicht zur Kenntnis. Sonst
könnten Sie solche Anträge nicht stellen.

SPD und Grüne haben dafür gesorgt, dass ab 2004 alle
Versicherten über 27 Jahre jährlich eine umfassende Ren-
teninformation bekommen. Wenn Sie das jetzt infrage
stellen – am 19.April haben Sie sich darüber beklagt, dass
so wenig Verträge abgeschlossen worden seien –, dann
muss ich fragen: Was wollen Sie denn eigentlich? Es ist
doch wichtig und richtig, dass man sich schon in jungen
Jahren um seine Rente kümmert. Deshalb ist eine solche
Rentenauskunft in jungen Jahren auch richtig.

Ich darf noch einmal daran erinnern – Frau Kollegin
Göring-Eckardt hat es schon getan –, dass Sie von der
Opposition unserer Rentenreform nicht zugestimmt ha-
ben. Ich erinnere mich auch nicht daran, dass Sie Ände-
rungsanträge gestellt hätten.

Die Rentenversicherungsträger werden in einem Pilot-
projekt die Versicherten schon früher informieren, als es
nach dem Gesetz vorgesehen ist. Das wollen Sie nicht.


(Zuruf von der CDU/CSU: Doch!)

Es ist mir völlig unklar, worum es Ihnen eigentlich geht.
Klar ist nur, worum es Ihnen auf gar keinen Fall geht, näm-
lich um die Menschen, die heute Beiträge zur Rentenver-
sicherung zahlen und die wissen wollen und sollen, wie
hoch ihre Rente sein wird. Anstatt dem Rat und der Bitte
des VdR zu folgen, die Rentenpolitik aus dem Wahlkampf
herauszuhalten, verunsichern Sie die Menschen. Ich finde
es geradezu unglaublich, dass Sie schon wieder versuchen,
etwas Sinnvolles und Notwendiges zu verhindern.


(Andreas Storm [CDU/CSU]: So ein Unfug!)

Mit dem Pilotprojekt sollen jüngere Versicherte bis

45 Jahre nicht erst ab 2004, sondern schon in diesem und im

nächsten Jahr über den Stand ihres Rentenkontos und über
die Höhe ihrer zu erwartenden Rente informiert werden.


(Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Warum nicht die Älteren zuerst?)


Es ist notwendig und sinnvoll, dass die Versicherten diese
Information bekommen. Es ist notwendig für die Versi-
cherten, damit sie ihre zusätzliche Vorsorge frühzeitig pla-
nen können. Es ist sinnvoll für die Versicherungsträger,
damit sie abschätzen können, welcher Aufwand ab 2004
auf sie zukommt. Es ist wichtig, mit den jüngeren Versi-
cherten anzufangen; denn je früher man Bescheid weiß,
desto gezielter kann man vorsorgen.


(Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Bei den Älteren ist die Reaktionszeit kürzer!)


Wer 55 Jahre und älter ist, wird schon jetzt über den Stand
seines Rentenkontos informiert.


(Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Alle vier Jahre!)


Auf Antrag werden übrigens auch alle anderen Versicher-
ten informiert, die über ihr Rentenkonto Bescheid wissen
wollen. Wir haben mit der Rentenreform dafür gesorgt,
dass in Zukunft alle Versicherten Bescheid wissen. Ab
2004 erhalten sie eine jährliche Prognose über die Höhe
ihrer zu erwartenden Regelaltersrente. Sie werden darü-
ber informiert, wie hoch eine Erwerbsunfähigkeitsrente
ausfallen würde. Sie werden darüber informiert, wie sich
zukünftige Rentenanpassungen auswirken werden und
auf welcher Grundlage die Rente berechnet wird. Diese
Informationen werden die Bundesversicherungsanstalt
und die Landesversicherungsanstalten jedes Jahr geben.
Wer 55 Jahre und älter ist, bekommt zusätzlich alle drei
Jahre eine Übersicht über sein Versicherungskonto.

Ich musste das hier noch einmal ausführlich darstellen,
weil die Antragsteller diese Regelung der Rentenreform
offensichtlich nicht zur Kenntnis genommen haben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Susanne Kastner [SPD]: So wird es sein!)


Das Ergebnis dieser Regelung wird sein – ich wieder-
hole auch das noch einmal –, dass die Versicherten Be-
scheid wissen. Die Auskunft ist eine Entscheidungshilfe
für die zusätzliche private Vorsorge. Wir tun also genau
das Gegenteil dessen, was die CDU/CSU tut: Sie ver-
schleiern, wir klären auf.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Wolfgang Meckelburg [CDU/ CSU]: Klären Sie doch mal über die Beiträge im nächsten Jahr auf!)


Diese Aufklärung wäre auch schon notwendig gewe-
sen, als Sie selbst noch Jahr für Jahr an der Rente herum-
gedoktert haben. Aber Sie haben sich schon damals vor
dieser Lösung gedrückt.


(Klaus Brandner [SPD]: Kurpfuscher!)

Keine der Forderungen, die Sie heute stellen, haben Sie
selbst erfüllt, als Sie noch die Macht dazu hatten.


(Klaus Brandner [SPD]: Noch nicht mal Heilpraktiker!)





Erika Lotz

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(C)



(D)



(A)



(B)


Nicht genug damit, dass Sie das Rentenniveau drastisch
auf 64 Prozent senken wollten und von einer Förderung
der privaten Vorsorge keine Rede war, es war auch keine
Rede davon, den Menschen rechtzeitig mitzuteilen, wie
hoch ihre Rente ausfallen würde.


(Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Wohin senken Sie denn? Sagen Sie doch mal ein paar Wahrheiten da vorn!)


Uns in Anbetracht dessen vorzuwerfen, wir würden es
mit einer jährlichen Information nicht deutlich genug ma-
chen, ist einfach albern. Sie haben offensichtlich allen
Grund, sich vor aufgeklärten Beitragszahlerinnen und
Beitragszahlern zu fürchten. Das Pilotprojekt wird näm-
lich zeigen, dass die Rentenanwartschaften in der gesetz-
lichen Rentenversicherung durch unsere Rentenreform
stärker wachsen werden, als sie nach Ihrem Renten-
reformgesetz 1999 gewachsen wären. Sie versuchen also
genau das, was Sie uns vorwerfen, nämlich zu verschlei-
ern, wie es tatsächlich um die zukünftigen Renten bestellt
ist. Sie versuchen zu verschleiern, was den Unterschied
zwischen Ihrer und unserer Rentenpolitik ausmacht. Sie
versuchen zu verschleiern, dass es den heutigen und künf-
tigen Rentnerinnen und Rentnern mit unserer Politik bes-
ser geht als mit Ihrer, dass in Euro und Cent einfach mehr
auf dem Konto landet.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Wolfgang Meckelburg [CDU/ CSU]: Das glauben Sie doch selber nicht!)


Warum Sie dieses Pilotprojekt verhindern wollen, ist
also klar: nackte Angst. Aber dass Sie es in Kauf nehmen,
dass den Menschen Informationen vorenthalten werden,


(Andreas Storm [CDU/CSU]: Lotzes Märchenstunde!)


die sie für die Zukunftsplanung dringend brauchen, ist
einfach infam.

„Alterssicherung braucht Verlässlichkeit“ steht im
Wahlprogramm der CDU.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Darin stimmen hier wohl alle überein. Aber das, was Sie
den Menschen in diesem Land bieten, ist alles andere als
Verlässlichkeit. Das hat schon die Rentenpolitik in den
16 Jahren Kohl-Regierung gezeigt. Ihre Anträge zu unse-
rer Rentenpolitik zeigen, dass Sie in den letzten vier Jah-
ren nichts dazugelernt haben. Das Einzige, was von dem,
was die Redner der Opposition gesagt haben, stimmt, ist,
dass am 22. September die Wähler und Wählerinnen ent-
scheiden. Wir, Rot-Grün, haben davor keine Angst.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN –Wolfgang Meckelburg [CDU/ CSU]: Ob Angst oder keine Angst, es passiert!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1423606300
Das Wort
hat jetzt der Kollege Julius Louven von der CDU/CSU-
Fraktion.


Julius Louven (CDU):
Rede ID: ID1423606400
Herr Präsident! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Irmgard Schwaetzer

und Heinz Schemken haben sich schon mit den Irrungen
und Wirrungen Ihrer Rentenreform auseinander gesetzt.


(Susanne Kastner [SPD]: Und wir mit dem Tarnen und Täuschen von euch!)


Dass Sie, Frau Lotz und Herr Brandner, kurz vor der Wahl
Ihre Rentenreform feiern, ist etwas Selbstverständliches.

Ich habe über 20 Jahre Rentenpolitik miterlebt und
durchlitten. Da ich heute meine letzte Rede in diesem Ho-
hen Hause halte, will ich mich etwas grundsätzlicher mit
dem Problem Rente auseinander setzen. Herr Brandner,
Sie haben eben von dem Plakat gesprochen, auf dem
Norbert Blüm mitteilte: „Eines ist sicher – die Rente“.
Diese Aussage war damals sicherlich korrekt, wenngleich
Fachleute wussten, welch große Probleme auf die Ren-
tenversicherung zukommen sollten.

Was war dem vorausgegangen? Wir haben am Tag des
Mauerfalls, also 1989, im Deutschen Bundestag in Bonn
in großem Konsens eine Rentenreform beschlossen. Die
Macher dieser Rentenreform, insbesondere Norbert Blüm
und Ihr Kollege Dreßler, haben die 1992 in Kraft getre-
tene Reform als Jahrhundertreform gefeiert. Schon bald
nach der Wiedervereinigung, also schon bald nachdem
wir unsere Sozialversicherungssysteme übertragen muss-
ten, wurde vielen deutlich, dass es eben doch keine Jahr-
hundertreform war und dass eine weitere Reform not-
wendig werden würde. Rudolf Dreßler hat mir damals im
Bundestag entgegnet, eine weitere Rentenreform sei defi-
nitiv nicht notwendig. Ich sage ganz ehrlich, dass es
Norbert Blüm ähnlich gesehen hat.

Dann wurde eine Reform aber doch notwendig. Sie ha-
ben sich dieser Reform entzogen.


(Klaus Brandner [SPD]: Das ist alles nicht wahr!)


Sie haben bestritten, dass es eine Notwendigkeit dazu gab.
Sie haben mit unverantwortlichen Argumenten – um nicht
zu sagen: mit Hetze – gegen diese unsere Rentenreform
polemisiert. In den Wahlkampf sind Sie mit der Aussage
gezogen, unsere Rentenreform führe zu Rentenkürzun-
gen. Sie wussten genau, dass dies nicht stimmt.

Meine Damen und Herren von der SPD, Sie haben im
Wahlkampf gesagt, Sie würden die Reform im Falle eines
Wahlsieges zurücknehmen.


(Klaus Brandner [SPD]: Nicht die Reform, sondern die Kürzungen!)


– Oder die Kürzungen.

(Dr. Irmgard Schwaetzer [FDP]: Es hat keine Kürzungen gegeben! Der jetzige Bundeskanzler hat mit dem Begriff „unanständig“ operiert!)


Herr Brandner, dieses Wahlversprechen haben Sie gehal-
ten. Das muss ich Ihnen bestätigen. Sie wurden aber schon
bald von der Wirklichkeit eingeholt und es begann etwas,
was ich als „Ihr Rententheater“ bezeichne, da ich den har-
ten Ausdruck „Lüge“ nicht verwenden will.

Bei aller Kritik an Ihrem Handeln will ich jedoch an-
erkennen, dass Sie, wenn auch nur halbherzig, den Weg zu
einer Stärkung der Eigenvorsorge im Kapitaldeckungs-




Erika Lotz
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(C)



(D)



(A)



(B)


verfahren bereitet haben. Auch ich halte die Förderung der
Eigenvorsorge durch staatliche Zulagen für richtig, hätte
diese aber auf die Einkommen unterhalb des Durch-
schnittsverdienstes beschränkt. Der Staatshaushalt würde
weniger belastet, Mitnahmeeffekte könnte es kaum ge-
ben, das Ganze wäre weniger kompliziert und könnte
einfacher gestaltet sein. Ich persönlich – auch das sage
ich – hätte die Eigenvorsorge verpflichtend gemacht.
Aber auch dazu gab es in unserer Partei wie bei Ihnen sehr
unterschiedliche Meinungen. Alles in allem war das je-
doch ein richtiger Ansatz.


(Klaus Brandner [SPD]: Interessante Aussage!)


Nun sind wir einige Jahre weiter, Herr Brandner.
Inzwischen haben sich renommierte Wissenschaftler
mit unseren Sozialversicherungssystemen, insbesondere
mit der Rente, auseinander gesetzt: Professor Miegel,
Professor Siebert, Ihr Professor Rürup, Professor
Raffelhüschen. Das Ergebnis sind dramatische Berech-
nungen, die besagen, dass Ihre Reform das Jahr 2010
nicht überstehen wird. Künftig, so haben diese Herren
Professoren berechnet, wird in den gesamten Sozialversi-
cherungssystemen ein Beitrag von über 50 Prozent fällig,
eine Aussage, die uns alle erschrecken müsste.

In den nächsten 25 Jahren wird die Kombination von
niedrigeren Geburtenraten und längerer Lebenserwar-
tung dazu führen, dass der Anteil der Bevölkerung im
Rentenalter dramatisch ansteigt. Der Altersquotient ver-
doppelt sich. Diese demographische Revolution – so
muss man es wohl nennen – wird uns zwingen, unsere ge-
samten Sozialversicherungssysteme grundlegend zu re-
formieren.

Keine Reform des Systems, sondern Reformen im Sys-
tem, so war lange Zeit unsere gemeinsame Haltung. Ich
glaube aber, dass es künftig nicht mehr ausreichend sein
kann, im System zu reformieren.


(Klaus Brandner [SPD]: Wir haben beides gemacht, wie Sie wissen: im System und eine weitere Säule!)


Für Reformen im System, Herr Brandner, gibt es eigent-
lich nur drei wirksame Optionen: die Anhebung des Bei-
trags, die Nutzung von Steuereinnahmen und die Kürzung
von Leistungen. Ich denke, alle drei Bereiche sind wei-
testgehend ausgelutscht. Hier wird wohl nicht mehr zu
handeln sein.

Mehr Beschäftigung könnte die Situation erheblich lin-
dern, aber da sind Sie überhaupt nicht weitergekommen.


(Klaus Brandner [SPD]: Na, na, na! Das trifft ja nicht zu! Alles andere war ja richtig, aber das trifft nicht zu, Herr Louven! Sie wissen: über 400 000 Arbeitslose weniger!)


– Ach, Herr Brandner, in diesen Zahlenstreit will ich mit
Ihnen gar nicht eintreten. Ich bin der festen Überzeugung,
dass mehr Beschäftigung nur durch eine Entriegelung des
Arbeitsmarktes möglich ist.


(Klaus Brandner [SPD]: Der ist doch nicht eingeschlossen!)


Dies ist wohl nur mit uns, mit CDU/CSU und FDP, zu ma-
chen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Susanne Kastner [SPD]: Das war jetzt die Pflichtübung gegenüber Ihrer Partei!)


– Wir haben doch eine Menge gemacht, aber Sie haben
vieles davon zurückgenommen, was Ihnen heute offen-
sichtlich Leid tut.


(Susanne Kastner [SPD]: Sie haben aber den Arbeitsmarkt auch nie entriegelt!)


Ganz „toll“ finde ich den Vorschlag, wie er eben auch
von der PDS gemacht wurde, weitere Gruppen in die Ren-
tenversicherung einzubeziehen. Herr Minister, das ist
doch nun wirklich nur ein Sich-gesund-Rechnen. Dann
haben Sie über mehrere Jahre höhere Beiträge eingenom-
men und danach müssen für diesen neuen Personenkreis
Leistungen erfolgen. Dies bringt uns nicht weiter.

Auch der Ausländerzuzug wird zur Rettung unserer
Sozialversicherungssysteme propagiert. Ich denke, das ist
ein Irrweg. Wir wissen alle längst, dass sich die Auslän-
der, die zu uns gekommen sind, in ihrem generativen Ver-
halten sehr schnell dem unsrigen angepasst haben.

Was wir brauchen, sind echte Reformen. Dabei müssen
wir das Verhältnis von Umlagefinanzierung und Kapital-
deckung in allen Sozialversicherungssystemen deutlich
zugunsten einer Kapitaldeckung stärken.


(Klaus Brandner [SPD]: Das heißt, Krankenversicherung, Pflegeversicherung?)


Echte Reformen funktionieren nach meiner festen Über-
zeugung nur, Herr Brandner, wenn man den Menschen die
Wahrheit sagt. Hier ist in der Vergangenheit allseits – das
gebe ich zu – gesündigt worden. Vor diesem Hintergrund
ist es sicherlich ein schweres Stück Arbeit, Reformen in
der Bevölkerung konsensfähig zu machen.


(Susanne Kastner [SPD]: Da haben Sie sich ja 16 Jahre hervorgetan!)


– Was reden Sie denn da immer von 16 Jahren? Sie haben
jetzt fast vier Jahre regiert. Ich befasse mich hier
grundsätzlich mit der Rentenpolitik. Von daher hilft es
überhaupt nicht weiter, wenn Sie hier dauernd rufen:
16 Jahre.


(Beifall bei der CDU/CSU – Susanne Kastner [SPD]: Das habe ich zum Kollegen von der CDU/CSU gesagt!)


Wer nach dem Studium des Enquete-Berichts „Demo-
graphischer Wandel“ noch glaubt, es gehe mit Zukleistern
oder Reförmchen, hat seine Aufgabe nicht richtig ver-
standen. Die stellvertretende Vorsitzende dieser Enquete-
Kommission, Ihre Kollegin Iwersen, hat in einem Inter-
view gesagt: Wir haben nicht die Lösungen für die
Probleme mitgeliefert. Von daher ist die Aussage „Das
tatsächliche Zugangsalter von heute 59 Jahre sei zu er-
höhen und dem Regelalter von 65 Jahre anzunähern; dies
reiche aber nicht aus; die private und die betriebliche Vor-
sorge müssten ausgebaut werden“ eine, wie ich finde, mu-
tige Aussage. Denn erinnern Sie sich noch daran – Herr
Brandner, Sie waren noch nicht dabei; aber viele andere




Julius Louven

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(C)



(D)



(A)



(B)


von Ihnen –, welch ein Theater Sie im Deutschen Bun-
destag veranstaltet haben, als zwei Kollegen der CDU/
CSU einmal laut darüber nachdachten, das Renten-
eingangsalter zu erhöhen? Heute ist dies eine fast selbst-
verständliche Diskussion geworden.


(Erika Lotz [SPD]: Einer davon waren Sie!)

Nachdem wir lange über unsere Verhältnisse gelebt

und lange die Sozialstaatsillusion genährt haben, besteht
jetzt die Situation, dass der Sozialstaat kollabiert. Wir
können, wenn wir es richtig machen, allemal den Schwa-
chen helfen, müssen aber verhindern, dass sich unter den
Schwachen allzu viele einreihen.

Um ein vernünftiges Sozialversicherungssystem zu
garantieren, brauchen wir Wachstum. Ohne Wachstum ist
alles nichts. Um Wachstum zu erreichen, brauchen wir
wiederum Reformen in der Sozialgesetzgebung. Dazu
gehört die volle Wahrheit auf den Tisch. Mit einem
Schwarzer-Peter-Spiel lösen wir die Probleme nicht.

Ich stelle daher heute mahnend fest: Egal wer die Wahl
gewinnt, sagen Sie den Menschen offen und ehrlich, wie
die Situation der Sozialversicherungssysteme ist! Nur
dann gibt es die Chance, zusammen mit den Menschen
eine Änderung zustande zu bringen. Wer auch immer in
der Opposition ist, sollte sich im Interesse der Erhaltung
des Sozialstaates nicht verweigern.

Der „Rheinische Merkur“ schrieb vor kurzem, die Ein-
sichten lägen schon vor. Aber es fehle den Parteien der
Mut, sie umzusetzen, weil Wahlen immer wieder harte
Maßnahmen verhinderten. In der Vergangenheit war es in
der Tat so, dass ständig auf Wahlen Rücksicht genommen
werden musste. Aber so geht es nicht weiter. Warten Sie
nicht, bis der Ruf nach einem starken Mann immer lauter
wird und dann Rattenfänger aus dem Sozialstaat Deutsch-
land etwas völlig anderes machen!

Abschließend will ich Ihnen sagen: Ich habe fast
22 Jahre Sozialpolitik gemacht. Dies habe ich gerne ge-
tan. Ich habe das bei aller Gegensätzlichkeit kollegiale
Verhalten im Ausschuss immer sehr geschätzt. Ich wün-
sche Ihnen für die Zukunft alles Gute.


(Beifall im ganzen Hause)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1423606500
Das Wort
hat jetzt Bundesminister Walter Riester.

Walter Riester, Bundesminister für Arbeit und So-
zialordnung: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Da-
men und Herren! Herr Louven, wir kommen politisch und
wohl auch sozial aus ganz unterschiedlichen Richtungen
und trotzdem kann ich feststellen: Zwar nicht alles – auf
einige Punkte werde ich eingehen –, aber vieles von dem,
was Sie hier gesagt haben, kann ich unterstreichen. Ich
hätte mich ungeheuer gefreut, wenn solch ein Beitrag zu
Beginn der Debatte über die Rentenreform erfolgt wäre.
Sie haben heute Ihre Abschiedsrede gehalten. Meiner
Meinung nach wäre Ihr Beitrag ein guter Einstieg in die
Debatte über die Reform, vor der wir standen und die wir
durchgeführt haben, gewesen.

Sie haben den gleichen Ansatz wie auch ich im Okto-
ber 1998 gewählt. Ich habe noch einmal die Debatte um

die gemeinsame Rentenreform nachgelesen; sie fand am
8. November 1989, einen Tag vor dem Fall der Mauer,
statt. Damals hat Blüm erklärt: Diese Reform ist nicht nur
ein Jahrhundertwerk, sondern sie hält über Generationen.
Rudolf Dreßler – Sie haben Recht – hat es nicht ganz so
hoch gehängt und von 20 Jahren gesprochen. Das können
Sie noch einmal nachlesen.


(Julius Louven [CDU/CSU]: Ich habe das alles da, Herr Riester!)


Dann haben wir gesehen: Das stimmt nicht. Dass das so
lange nicht halten würde, konnte man schon damals se-
hen, aber einiges war in der Tat nicht vorherzusehen, so
die Auswirkungen des Einigungsprozesses.

Ich stimme Ihnen auch in einigen anderen Punkten zu,
möchte Ihnen aber auch sagen, wo ich abweiche. Es ist
vielleicht ganz gut, wenn sich die Debatte, wenn auch
spät, um solche Dinge dreht.

Ich bin der Auffassung – deshalb habe ich mich auch
so stark gegen viele Widerstände dafür eingesetzt –, dass
wir ergänzend zum Umlagesystem eine zweite, kapital-
gedeckte Säule brauchen, die privat oder betrieblich aus-
gebaut werden kann. Ich bin nicht Ihrer Auffassung, dass
diese den größeren Teil ausmachen sollte. Ich bin aber der
Auffassung, dass sich dieser Teil dynamischer entwickeln
wird.

Sie haben gesagt: Fördern ja, aber bitte schön nur die-
jenigen, die weniger als der Durchschnitt verdienen. Das
ist nicht meine Auffassung. Wir haben die Zulagenrege-
lung aber so angelegt, dass de facto diejenigen begünstigt
werden, die niedrigere Einkommen und Kinder haben,
während diejenigen, die mehr verdienen, automatisch bei
der Anwendung der nachgelagerten Besteuerung steuer-
rechtliche Vorteile haben. Das System selbst ist im Kern
so angelegt.


(Zuruf von der FDP: Da stimmen wir überein!)

Ich teile auch Ihre Auffassung, dass die Hereinnahme

zusätzlicher Gruppen in das Sozialversicherungssystem
dessen Probleme überhaupt nicht löst. Trotzdem kann es
notwendig sein, bestimmte Gruppen einzubeziehen. Des-
wegen haben wir – man kann sich da über Begriffe strei-
ten – die arbeitnehmerähnlichen Selbstständigen, die bis-
her aus dem System ausgeschlossen waren – zu Ihrer Zeit
betraf das zum Beispiel die Handwerker –, in bestimmter
Weise in das System miteingebunden. Ich halte nichts da-
von und unterscheide mich darin von vielen in der öffent-
lichen Debatte, die annehmen, dass wir, wenn wir eine
Volksversicherung, beispielsweise in Form einer Er-
werbstätigenversicherung machten, die Probleme gelöst
würden. Sie haben nämlich völlig Recht: Das bringt nicht
nur Einnahmen, sondern führt später auch zu Ausgaben.
Die momentanen Einnahmen würden zwar dazu führen,
dass aktuell die Beiträge gesenkt werden könnten, aber
später käme es aufgrund der Leistungen zu einer erneuten
Anhebung. Das wäre eine Katastrophe. Deswegen habe
auch ich mich dem immer entgegengestellt.

Die Frage des gesetzlichen Renteneintrittsalters ist ja
schon damals, was viele nicht mehr wissen, am 8. No-
vember 1989, und zwar parteiübergreifend, mit langen
Übergangszeiten auf 65 Jahre festgelegt worden. Das




Julius Louven
23522


(C)



(D)



(A)



(B)


wird heute häufig vergessen. Ich wende mich aber wie-
derum – da unterscheiden wir uns wahrscheinlich, Herr
Louven – dagegen, dieses gesetzliche Renteneintrittsalter
jetzt hochzusetzen, weil, wie ich sehe, der Arbeitsmarkt
dafür überhaupt keine Voraussetzungen bietet. Ich kämpfe
dafür, das reale anzuheben. Eine Hochsetzung des gesetz-
lichen wäre jetzt nichts anderes als eine zusätzliche Ren-
tenkürzung für diejenigen, die real keine Möglichkeiten
am Arbeitsmarkt haben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Diese Debatten hätte ich eigentlich gerne parteiüber-
greifend vor drei Jahren geführt.


(Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Sie haben sie leider nicht gesucht!)


Die Kollegin Göring-Eckardt hat völlig zu Recht darauf
hingewiesen, dass die Rentenreform wahrscheinlich mit
noch besserer Konsequenz bei einem parteiübergrei-
fenden Konsens, der sich ja eine Zeit lang abgezeichnet
hatte, hätte durchgeführt werden können.

Nun möchte ich gerne auf den zweiten Redner der
Union eingehen, den Kollegen Schemken, den ich sehr
schätze. Auch wir haben eine unterschiedliche politische
Entwicklung hinter uns, aber in der Sozialpolitik stehen
wir uns vielleicht näher als der Kollege Louven und ich.
Die Besorgnisse des Kollegen Schemken möchte ich ein
wenig aufnehmen und auf seine Ziele eingehen. Kollege
Schemken, Sie sagen, Witwen dürften nicht weniger be-
kommen. Richtig, deswegen haben wir sichergestellt,
dass alle derzeitigen Witwen keinerlei Abstriche hinneh-
men müssen. Im Übrigen werden alle, die jetzt verheira-
tet und über 40 Jahre alt sind, dann, wenn sie Witwen oder
Witwer werden, nach altem Recht behandelt. Also keine
Veränderung.

Sie haben als Nächstes gesagt, auch die Witwenrente
müsse stärker kindbezogen sein.


(Franz Thönnes [SPD]: Genau das machen wir!)


Richtig, genau deswegen haben wir gesagt: Bei den Jün-
geren, die ihre Alterssicherung noch umstellen können
und keine Kinder erzogen haben, also die Möglichkeit ha-
ben, eine eigenständige Rente zu erwerben, senken wir
die Leistungen um 5 Prozentpunkte ab, gleichzeitig glei-
chen wir aber bei denjenigen, die ein Kind haben, diese
Einbuße wieder aus, und diejenigen, die zwei oder mehr
haben, bekommen sogar eine höhere Witwenrente. Das
kann eigentlich nur in Ihrem Sinne sein.

Sie sagen: Frauen müssen besser berücksichtigt wer-
den. Richtig, deswegen haben wir die Bewertung für Er-
werbstätigkeit während der Berücksichtigungszeit für ein
Kind – also die ersten zehn Lebensjahre des Kindes – für
die Frauen – in der Regel werden es Frauen sein –, wenn
sie wenig verdienen, angehoben. Wenn sie ein behindertes
Kind aufziehen, sind es nicht nur zehn, sondern 18 Jahre.

Für all das, was Sie jetzt eingebracht haben, haben wir
gerungen und leider keine Zustimmung von der Union be-
kommen. Das bedauere ich sehr. Genau das hat uns um-
getrieben.

Sie haben gesagt, ich hätte auf die Rentenversicherer
eingewirkt, die Rentenauskunft nur bestimmten Personen
zu geben. Da muss ich Ihnen widersprechen. Das stimmt
nicht. Ich habe mich sehr stark dafür eingesetzt – das ist
für mich ein ganz wichtiger Punkt der Rentenreform –,
dass endlich alle Beitragszahler jährlich eine Informa-
tion bekommen. Das muss nach dem Gesetz ab 2004 si-
chergestellt werden. Jetzt haben die Rentenversicherer
gesagt: Wir können das schon früher einführen. Da habe
ich gesagt: Prima, macht das!

Die Rentenversicherer führen diese Information ab
dem 1. Juni ein, und zwar ganz unterschiedlich. Ich habe
mich gerade in Leipzig mit führenden Vertretern der Ren-
tenversicherer unterhalten, Frau Schwaetzer. Die stärker
unionsorientierten Länder haben dafür plädiert, mit den
Älteren anzufangen. Die anderen Länder und die BfA
wollen mit den Jüngeren, die vor der Entscheidung über
eine ergänzende kapitalgedeckte Altersvorsorge stehen,
beginnen. Das halte ich für vernünftig. Denn wenn man
das jetzt auf die Schnelle nur den Rentnern zuschickt, hat
das ein Geschmäckle. Man könnte meinen, das solle zu ei-
ner Verhetzung im Wahlkampf führen. Ich hoffe, dass es
dazu nicht kommt; denn das können wir überhaupt nicht
brauchen.

Ich stelle mich nicht dagegen: Jeder Rentenversicherer
entscheidet, welche Datensätze er nimmt. Ich kann und
werde darauf keinen Einfluss nehmen. Ich bin froh, dass
es schon jetzt möglich ist, die Information einzuführen. Es
ist auf der Grundlage unserer gesetzlichen Regelung mög-
lich, dass die Menschen endlich frühzeitig informiert wer-
den.

Nach all den Ausführungen dazu, was wir gemacht ha-
ben, nun ein paar Dinge, die meiner Meinung nach nicht
gemacht werden dürfen. Es ist schon darauf hingewiesen
worden: Wenn die Ökosteuer, die im Kern eine Mine-
ralölsteuer ist und fast ausschließlich für die Rentenversi-
cherung verwendet wird, gestrichen wird, wie die FDP es
vorhat, dann bedeutet das in der Tat eine sofortige Anhe-
bung des Rentenversicherungsbeitrages um fast 2 Pro-
zentpunkte. Wenn Frau Schwaetzer sagt, dann tue man
das mit einer anderen Steuer,


(Dr. Irmgard Schwaetzer [FDP]: Ja, klar!)

dann muss sie auch sagen, mit welcher. Will sie die
Mehrwertsteuer anheben?


(Dr. Irmgard Schwaetzer [FDP]: Ach was!)

Man darf sich da nicht hinwegdrücken. Man muss da ehr-
lich operieren.


(Dr. Irmgard Schwaetzer [FDP]: Herr Riester, Sie müssen nur unser Programm lesen!)


Ich sage Ihnen auch: Wenn Sie die letzte Stufe im
nächsten Jahr aussetzen, dann bedeutet das konsequenter-
weise sofort eine Anhebung des Rentenversicherungs-
beitrages um 0,3 Prozentpunkte. Daran führt kein Weg vor-
bei. Wir haben das durchgerechnet. Wenn der so genannte
Dreistufenplan des Kanzlerkandidaten der Union umgesetzt
würde, fehlten uns sofort noch einmal 0,2 Prozentpunkte,
weil wir dann weniger Beitragseinnahmen hätten. Dann




Walter Riester, Bundesminister

23523


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(D)



(A)



(B)


hätten wir sofort eine Anhebung des Rentenversiche-
rungsbeitrages um einen halben Prozentpunkt.


(Dr. Irmgard Schwaetzer [FDP]: Herr Riester, tun Sie doch nicht so, als gäbe es keine andere Möglichkeit!)


– Wenn Frau Schwaetzer meint, es gebe andere Möglich-
keiten, dann muss sie sie nennen.


(Dr. Irmgard Schwaetzer [FDP]: Tun wir ja! Sie müssen nur zuhören!)


Dann muss sie sagen, ob sie die Renten kürzen will oder
welche Steuer sie meint. Aber diese Frage nicht zu beant-
worten, das geht nicht mehr, liebe Leute. Da darf man das
Volk nicht mehr belügen. Da muss man sagen – Butter bei
die Fische –, wie das finanziert wird.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Dr. Irmgard Schwaetzer [FDP]: So konkret wie wir sind Sie nicht!)


Ich freue mich, dass ich in dieser Debatte Töne gehört
habe – insbesondere beim Kollegen Schemken und beim
Kollegen Louven –, die ich gerne vor drei Jahren gehört
hätte. Wir hätten große Chancen gehabt. Einiges ist ver-
tan worden.


(Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Sie haben die blümsche Rentenreform gekillt! Das war Ihr Eingangswerk!)


Wir haben die Weichen richtig gestellt. Zwischenzeit-
lich haben wir nicht nur 2 Millionen Menschen, die neue
Verträge abgeschlossen haben – das ist in vier Monaten
nicht wenig –; zusätzlich sind nach Abschluss der Ren-
tenreform 107 Tarifverträge für insgesamt 15,7 Millionen
Menschen abgeschlossen worden, die die Möglichkeit der
Entgeltumwandlung eröffnen. Wahrscheinlich wird der
größte Teil betriebliche Altersvorsorge betreiben. Wir
werden nicht nur eine Renaissance der betrieblichen Al-
tersvorsorge bekommen, sondern auch eine positive
Welle von Abschlüssen in diesem Bereich. Alles, was ich
draußen höre, bestätigt das.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1423606600
Das Wort
hat jetzt die Kollegin Dr. Thea Dückert, Bündnis 90/Die
Grünen.


Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1423606700

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe
Kollegen Schemken und Louven, es hat Spaß gemacht,
mit Ihnen im Ausschuss zusammenzuarbeiten. Ich teile al-
lerdings nicht die freundliche Einschätzung des Ministers,
dass Sie heute die Liste der Falschaussagen, mit der Sie
die Rentenpolitik immer wieder kommentiert haben, un-
terbrochen hätten. Nein, ich denke, Sie haben sie heute
fortgesetzt.


(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Konflikt in der Koalition!)


Sie, Herr Louven, haben heute sehr unverblümt gesagt,
dass die blümsche Aussage, die Rente sei sicher – damit
hat das alles angefangen –, eine Falschaussage war. Sie
haben das hier zugegeben. Das damalige Problem, mit
dem wir uns noch heute auseinander setzen müssen, war
nicht diese Aussage, sondern die Tatsache, dass sie zu
zweierlei geführt hat: Sie hat erstens zu einer Verunsiche-
rung der jungen Generation bezüglich der Sicherheit der
Rente in der Zukunft geführt. Zweitens hat sie dazu ge-
führt, dass man der Realität seinerzeit nicht ins Auge ge-
blickt hat. Damals haben nur 7 Prozent der jungen Leute
gewusst, dass sie für die Zukunft privat vorsorgen müssen.

Heute ist das anders. Eine Umfrage hat gezeigt, dass
90 Prozent der 18- bis 29-Jährigen wissen, dass sie für
ihre Altersversorgung privat vorsorgen müssen. Das zeigt
sehr deutlich, was sich in den letzten dreieinhalb Jahren
rot-grüner Koalition in diesem Land in den Köpfen der
Menschen geändert hat. Eine ganz schwierige Wahrheit
ist ausgesprochen worden und sie ist angekommen: Der
Lebensstandard in der Zukunft kann nur gesichert wer-
den, wenn die gesetzliche Altersversorgung durch die
private und betriebliche ergänzt wird. Diesen Mut zur
Ehrlichkeit und die Durchsetzungsfähigkeit, eine kapital-
gedeckte Altersvorsorge aufzubauen, haben wir aufge-
bracht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich hätte mir statt dieser Falschaussage schon damals
die heutige Diskussion gewünscht. Ich hätte mir auch ge-
wünscht, dass man ein wenig offener darüber geredet
hätte, was Generationengerechtigkeit bedeutet. Bei der
Rentenversicherung geht es nicht nur um die Sicherheit,
sondern es geht auch um eine generationengerechte
Rente. Generationengerecht bedeutet zum Beispiel, dass
sie für die jungen Menschen in Zukunft nicht nur bere-
chenbar, sondern auch bezahlbar sein muss. Es wäre
schön, wenn Sie wenigstens heute zugeben könnten, dass
uns die Senkung der Rentenbeiträge mithilfe der Öko-
steuer – gerade auch im Sinne einer Generationengerech-
tigkeit – sehr viel weiter gebracht hat.


(Dr. Irmgard Schwaetzer [FDP]: Umfinanzieren hilft nicht!)


– Aber Sie, Frau Schwaetzer, machen mit Ihren üblichen
Zwischenrufen wieder einmal deutlich, dass Sie genau
das nicht wollen. Sie wollen die Ökosteuer wegschlagen


(Dr. Irmgard Schwaetzer [FDP]: Wir wollen keine Ökosteuer! Das ist wahr!)


und nehmen damit in Kauf, dass wir die Beiträge dann
wieder um mindestens 2 Prozent anheben müssen.


(Dr. Irmgard Schwaetzer [FDP]: Das ist doch Quatsch!)


Das ist Ihre Vorstellung von Generationengerechtigkeit;
diese teilen wir nicht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Eine andere Falschaussage, die hier wieder gemacht
worden ist: Sie behaupten, dass durch die Renteninfor-




Walter Riester, Bundesminister
23524


(C)



(D)



(A)



(B)


mation – sie dient der Transparenz – die falschen Jahr-
gänge Auskünfte erhalten würden, um damit zur Ver-
schleierung der tatsächlichen Rentenentwicklung beizu-
tragen. Das ist definitiv eine Falschaussage. Morgen wird
der VDR dem Publikum das Konzept zur Renteninforma-
tion vorstellen. Er hat aber schon vorher deutlich gemacht,
dass es einen Mix von Informationen für alle Altersgrup-
pen geben wird. – Das ist das eine.

Viel wichtiger ist aber, dass wir die Informationslücke
geschlossen und der Intransparenz mit unserem Gesetz
ein Ende gesetzt haben. Mit diesem Gesetz haben wir
nämlich die Informationsmöglichkeit und -pflicht ab dem
Jahre 2004 eingeführt.

An dieser Stelle bedanke ich mich herzlich bei den
Rentenversicherern dafür, dass sie in der Lage sind, schon
so frühzeitig, nämlich im Juli dieses Jahres – das sind
zwei Jahre, bevor es Gesetz wird –, in das Boot einzustei-
gen. Das ist ein riesiger Aufwand; denn täglich müssen
25 000 Informationen verschickt werden. Ich sage hier
noch einmal: Herzlichen Dank! Das hilft uns bei dem, was
wir wollen, nämlich bei der Herstellung der Transparenz
auch für die junge Generation.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Ich komme zur nächsten Falschaussage, die hier im
Plenum vorgetragen worden ist. Der Kollege Schemken
hat gesagt, dass das Rentenkonzept der CDU/CSU zum
Inhalt hat, dass die Bedürftigen unterstützt werden. Eines
Ihrer Vorhaben für dieses Jahr kennen wir sehr genau,
weil Sie es hier vorgetragen haben: Sie wollen die be-
darfsgedeckte Altersvorsorge, also die Grundsicherung
für die Rentnerinnen und Rentner, noch in diesem Jahr
kippen. Sie wollen nicht, dass sie in Kraft tritt. Meine Da-
men und Herren, damit treffen Sie genau die Bedürftigen,
also diejenigen, die heute immer noch in die verschämte
Altersarmut gedrängt werden. Sie schämen sich nicht ein-
mal, sich hier hinzustellen, so etwas zu fordern und
gleichzeitig zu behaupten, dass die Bedürftigen bei Ihnen
geschützt werden.


(Klaus Brandner [SPD]: Das ist Programm bei denen!)


Nein, meine Damen und Herren, es gibt eine Reihe die-
ser Falschaussagen in Ihrem Programm. Ich kann sie jetzt
nicht alle aufzählen, da meine Redezeit zu kurz ist. Ich
sage Ihnen nur: Wir machen in diesem Jahr zum Beispiel
mit der Rentenanhebung zum 1. Juli um 2 Prozent deut-
lich, wohin der Hase läuft. In diese Richtung werden wir
die Rentenreform weiter vorantreiben.

Danke schön.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1423606800
Das Wort
hat jetzt die Kollegin Doris Barnett von der SPD-Fraktion.


Doris Barnett (SPD):
Rede ID: ID1423606900
Herr Präsident! Liebe Kolle-
ginnen und Kollegen! Heute nehmen wir Abschied von

zwei gestandenen Kollegen, die uns lange begleitet ha-
ben.


(Dr. Irmgard Schwaetzer [FDP]: Bitte nicht! Wir nehmen keinen Abschied!)


Als Ausschussvorsitzende darf ich an dieser Stelle sagen:
In der Sache haben wir uns oft hart gestritten. Auch heute
sind wir wieder nicht einer Meinung. An ihnen beiden
schätze ich aber, dass wir menschlich immer fair mitei-
nander umgegangen sind. Dafür darf ich mich heute auch
im Namen des Ausschusses bedanken.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP)


Jetzt kommt es aber: Sie verlangen Ehrlichkeit bei der
Rentenreform. Ehrlichkeit, Rentenreform und CDU/CSU
– ich frage mich manchmal, ob das eigentlich zusammen-
passt. Kollege Louven, Sie haben vorhin gesagt, dass Wis-
senschaftler errechnet hätten, dass die Sozialausgaben in
den nächsten Jahren auf über 50 Prozent steigen würden.
Wie kommen Sie denn dann dazu, in Ihr Wahlprogramm
„unter 40 Prozent“ hineinzuschreiben? Dieses Zauber-
stückchen müssen Sie uns einmal vorrechnen.

Sie fordern,
... die eigenständige Alterssicherung von Frauen
durch Schaffung von geeigneten Rahmenbedingun-
gen für eine bessere Vereinbarkeit von Familie und
Beruf auszubauen.

Das ist eine schöne Forderung. Ich frage: Wie soll sie
aussehen und finanziert werden? Welches Frauenbild
– ich spreche nicht nur vom Familienbild – verfolgt die
CDU/CSU?

Kommen wir zurück zur Ehrlichkeit. Frau Kollegin
Böhmer verkündete in einem Schreiben, das sie in ihrem
Wahlkreis verteilt, sie persönlich habe darum gekämpft,
dass die von den Sozialdemokraten vorgesehene Ab-
schaffung der Hinterbliebenenversorgung zurückgenom-
men wurde. – Ehrlich ist diese Aussage nicht, dafür etwas
dreist und falsch. Richtig ist vielmehr, dass für die Kin-
dererziehung eine rentensteigernde Kinderkomponente
eingeführt wurde. Niemand, der jetzt in Rente oder über
40 Jahre alt ist, wird von dieser moderaten Absenkung be-
troffen. Jüngere Ehepaare unter 40 Jahren werden eine
ganz andere Berufsbiografie mit entsprechenden Renten-
ansprüchen haben. Bei Differenzen wird es natürlich
diese Kinderkomponente geben, die diese auffängt. Ins-
besondere bei zwei oder mehr Kindern macht sich das al-
lemal bezahlt. Die Abschaffung der Hinterbliebenenver-
sorgung stand also nie zur Debatte. Deshalb gab es auch
nichts zurückzunehmen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Verbesserungen kamen ohne Einflussnahme der
CDU/CSU-Fraktion zustande. Die SPD hat die Verbesse-
rungen im Vermittlungsausschuss vorgeschlagen. Die
CDU/CSU war dort völlig kompromissunfähig.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1423607000
Frau Kol-
legin Barnett, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kol-
legen Laumann?




Dr. Thea Dückert

23525


(C)



(D)



(A)



(B)



Doris Barnett (SPD):
Rede ID: ID1423607100
Ich bin furchtbar in Zeitdruck.
Daher möchte ich keine Zwischenfrage zulassen.


(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Für die Wahrheit muss Zeit sein!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1423607200
Die Frage
wird nicht auf die Redezeit angerechnet.


Doris Barnett (SPD):
Rede ID: ID1423607300
Sie bekommen es gedruckt.
Kommen wir auf Ihr Frauenbild und damit auf die ei-

genständige Alterssicherung von Frauen zurück. Die
CDU/CSU will die steuer- und sozialversicherungsfreien
Beschäftigungsverhältnisse bis 400 Euro wieder ein-
führen. Bis zu 800 Euro im Monat sollen sie teilweise von
der Sozialversicherung befreit sein. Wahrscheinlich wol-
len Sie das über irgendwelche Subventionen finanzieren,
was aber nicht zu Ihren Versprechungen im Wahlpro-
gramm passt. Es wäre geschickter, Sie würden sich dem
Mainzer Modell annähern, das zumindest zeitlich befris-
tet ist. Davon sind nämlich in allererster Linie Frauen be-
troffen. Wie werden dann deren Rentenbiografien ausse-
hen?

Die Familie soll 600 Euro Familiengeld erhalten.
Selbst Frauenverbände, die der CDU nahe stehen – das tut
die kfd wohl –, lehnen das ab, weil es eine Zuhausebleib-
prämie für Frauen ist und der Gleichberechtigung entge-
gensteht. Die CDU/CSU will den Anspruch auf Teilzeit-
arbeit auf Kindererziehungszeiten reduzieren. Damit
werden aber die von der CDU/CSU geforderten Teilzeit-
angebote insgesamt eher wieder verringert werden. Ihre
Familienförderung wendet sich gegen Frauen.

Die CDU/CSU will die Ökosteuer abschaffen – aber
vielleicht doch nicht ganz. Die Mittel, die die beitragsun-
gedeckten Zeiten der Kindererziehung finanzieren, sollen
wegfallen. Ist das frauen- und familienfreundlich? Kaum
ist diese Forderung gestellt, wissen Sie nicht, woher Sie
das Geld nehmen sollen.

Die CDU/CSU verfolgt eine konservative und rück-
wärts gewandte Politik. Dies gilt auch für die Rentenpoli-
tik. Dieser schwarze Faden zieht sich durch Ihre gesamte
Politik.

Hinzu kommt, dass Sie gerade auch den Frauen Ver-
sprechungen finanzieller Art machen, ohne auch nur im
Geringsten zu sagen, wie das alles finanziert werden
kann. Sie machen das nach dem Motto: Wenn morgen die
Sonne scheint, braucht man keinen Regenschirm. Wenn
die Wirtschaft gut läuft und damit viel Geld in die Kassen
kommt, dann können wir wahrscheinlich alles bezahlen.
So versuchen Sie, die Menschen zu ködern.

Wir haben ein anderes Frauenbild. Wir wollen gut aus-
gebildete Frauen, die am Berufsleben und an Aufstiegs-
chancen fair teilhaben, gleichzeitig Kinder wollen und
dafür gute Betreuungsangebote brauchen und die im Al-
ter keine Angst vor Armut haben müssen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das bestätigte mir letzte Woche auch eine Expertenrunde,
die aus Müttern, Vätern und Erziehern bestand. Das sind
die Menschen, die von unserer Familienpolitik direkt be-
troffen sind. Unsere Vorgehensweise wurde gelobt und
bestätigt.

Gerade weil ich vor Ort diese Erfahrung gemacht habe,
weiß ich: Wir schaffen die richtigen Rahmenbedingungen:
faire Chancen im Berufsleben für Eltern, das Gleichstel-
lungsgesetz im öffentlichen Dienst, freiwillige Verpflich-
tungen bei der Privatwirtschaft und die entsprechende Re-
form des Betriebsverfassungsgesetzes,


(Dr. Irmgard Schwaetzer [FDP]: Das ist wirklich toll! Was hat das Betriebsverfassungsgesetz mit der Rente zu tun! – Gegenruf des Abg. KarlJosef Laumann [CDU/CSU]: Das ist das Geheimnis unserer Vorsitzenden!)


damit die Position der Frauen im Betrieb besser verankert
und gestärkt wird und sie Weiterbildungs- und Aufstiegs-
chancen haben.

Die Vereinbarkeit von Arbeit und Familie wird jetzt
auch im Betrieb ein Thema. Der Anspruch auf Teilzeit be-
steht für Männer und Frauen. Die Elternzeit kann gleich-
zeitig genommen werden. Das letzte Jahr kann bis zum
achten Lebensjahr des Kindes genommen werden. Drei
Jahre Erziehungsleistung wird mit einem Durchschnitts-
einkommen angerechnet. Wenn zusätzlich gearbeitet wird,
wirkt sich das additiv auf die Rente aus.

Bis zum zehnten Lebensjahr des Kindes ist eine 50-
prozentige Aufstockung der Rentenbeiträge bis maximal
100 Prozent des Durchschnittseinkommens möglich.
Nicht vergessen werden sollte auch die zusätzliche Kin-
derkomponente im Hinterbliebenenfall und die großzü-
gige Unterstützung beim Aufbau der kapitalgedeckten
Zusatzvorsorge, besonders wenn Kinder da sind. Das be-
trifft insbesondere die unteren Einkommensschichten,
weil hier bis zu 90 Prozent der Aufwendungen über Steu-
ern finanziert werden. Wer will, kann sogar Rentensplit-
ting machen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir Sozialdemokraten stärken Frauen und damit Fa-
milien bedarfsgerecht. Wir setzten auf eine qualitativ gute
Betreuung. Dafür brauchen wir mehr Krippenplätze, aber
in etlichen Ländern auch mehr Kindertagesplätze, die in
diesem Bereich bisher das Schlusslicht waren. Ich denke
dabei an die südlichen Bundesländer.


(Beifall bei der SPD)

Auch die Betreuung durch Tagesmütter ist voranzubrin-
gen. Ebenso muss das Ganztagsschulangebot ausgebaut
werden.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wir wissen, dass hier die Länder und Kommunen in der

Pflicht stehen. Deshalb wollen wir ihnen helfen. Aus die-
sem Grunde wurde das Kanzlerprojekt ins Leben geru-
fen, das vorsieht, dass der Bund für vier Jahre jeweils
1 Milliarde Euro zur Betreuung bereitstellt, ohne dazu ge-
setzlich verpflichtet zu sein.






(C)



(D)



(A)



(B)


Rentenpolitik steht nicht für sich allein. Sie ist für uns
Teil einer einheitlichen, gerechten, sozialen und nachhal-
tigen Politik.


(Beifall bei der SPD – Dr. Irmgard Schwaetzer [FDP]: Mir kommen die Tränen!)


Wir Sozialdemokraten setzen dabei nicht mit unbe-
zahlbaren Versprechungen auf Effekthascherei. Das über-
lassen wir Ihnen. Denn mehr werden Sie auch nach dem
22. September nicht tun können – im Garten Edi.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD – Dr. Irmgard Schwaetzer [FDP]: Das war aber witzig! Mein Gott, war das witzig!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1423607400
Ich
schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf
Drucksachen 14/8269, 14/8787, 14/9050 und 14/9045 an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorge-
schlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall.
Dann sind die Überweisungen so beschlossen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 37 a bis s, 19 und 20
sowie die Zusatzpunkte 9 a bis h auf:
37. Überweisungen im vereinfachten Verfahren

a) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Änderung des Solidarpaktfortführungsgeset-
zes
– Drucksache 14/8979 –
Überweisungsvorschlag:
Sonderausschuss Maßstäbe-/Finanzausgleichsgesetz (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Haushaltsausschuss

b) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Dritten Geset-
zes zur Änderung verwaltungsverfahrens-
rechtlicher Vorschriften
– Drucksache 14/9000 –
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Ausschuss für Kultur und Medien

c) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Änderung wohnungsrechtlicher Vorschrif-
ten
– Drucksache 14/8993 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen

d) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur

Anpassung von Rechtsvorschriften an verän-
derte Zuständigkeiten oder Behördenbezei-

(Zuständigkeitsanpassungsgesetz – ZustAnpG)

– Drucksache 14/8977 –
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie

e) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu
dem Zweiten Protokoll vom 19. Juni 1997
zum Übereinkommen über den Schutz der
finanziellen Interessen der Europäischen
Gemeinschaften
– Drucksache 14/9002 –
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss (f)

Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen
Union Haushaltsausschuss

f) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu
dem Übereinkommen vom 26. Mai 1997
über die Bekämpfung der Bestechung, an
der Beamte der Europäischen Gemein-
schaft oder der Mitgliedstaaten der Euro-
päischen Union beteiligt sind
– Drucksache 14/8999 –
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss (f)

Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen
Union

g) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Ausführung des Zweiten Protokolls vom
19. Juni 1997 zum Übereinkommen über
den Schutz der finanziellen Interessen der
Europäischen Gemeinschaften, der ge-
meinsamen Maßnahme betreffend die Be-
stechung im privaten Sektor vom 22. De-
zember 1998 und des Rahmenbeschlusses
vom 29. Mai 2000 über die Verstärkung des
mit strafrechtlichen und anderen Sanktio-
nen bewehrten Schutzes gegen Geldfäl-
schung im Hinblick auf die Einführung des
Euro
– Drucksache 14/8998 –
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss (f)

Innenausschuss
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen
Union

h) Erste Beratung des von den Fraktionen der
SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ-
NEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
über eine finanzielle Hilfe für Dopingopfer der
DDR (Dopingopfer-Hilfegesetz – DOHG)

– Drucksache 14/9028 –




Doris Barnett

23527


(C)



(D)



(A)



(B)


Überweisungsvorschlag:
Sportausschuss (f)

Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Haushaltsausschuss

i) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Änderung des Grundgesetzes (Art. 96)

– Drucksache 14/8994 –
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss (f)

Innenausschuss

j) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Änderung des Gerichtsverfassungsgesetzes
– Drucksache 14/8978 –
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss

k) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum
Stabilisierungs- und Assoziierungsabkom-
men vom 29. Oktober 2001 zwischen den
Europäischen Gemeinschaften und ihren
Mitgliedstaaten einerseits und der Repu-
blik Kroatien andererseits
– Drucksache 14/8981 –
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss (f)

Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen
Union

l) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu
dem Abkommen vom 13. Dezember 2000
zwischen der Bundesrepublik Deutschland
und Australien über soziale Sicherheit
– Drucksache 14/8984 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung (f)

Ausschuss für Gesundheit

m) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Einführung einer kapitalgedeckten Hütten-
knappschaftlichen Zusatzversicherung und

(Hüttenknappschaftliches ZusatzversicherungsNeuregelungs-Gesetz – HZvNG)

– Drucksache 14/9007 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung (f)

Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Ausschuss für Gesundheit
Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GO

n) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Neunten Geset-

zes zur Änderung des Gesetzes über das
Branntweinmonopol
– Drucksachen 14/9005, 14/9042 –
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)

Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Land-
wirtschaft
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO

o) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu
den Änderungen vom 17. November 2000
des Übereinkommens vom 20. August 1971
über die Internationale Fernmeldesatellite-
norganisation „Intelsat“
– Drucksache 14/8983 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie

p) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über
die Feststellung des Wirtschaftsplans des
ERP-Sondervermögens für das Jahr 2003

(ERP-Wirtschaftsplangesetz 2003)

– Drucksache 14/8985 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)

Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder
Haushaltsausschuss

q) Beratung des Antrags der Bundesregierung
Fortsetzung der deutschen Beteiligung an
der internationalen Sicherheitspräsenz im
Kosovo zur Gewährleistung eines sicheren
Umfeldes für die Flüchtlingsrückkehr und
zur militärischen Absicherung der Frie-
densregelung für das Kosovo auf der
Grundlage der Resolution 1244 (1999) des
Sicherheitsrats der Vereinten Nationen
vom 10. Juni 1999 und des Militärisch-
Technischen Abkommens zwischen der In-
ternationalen Sicherheitspräsenz (KFOR)

und den Regierungen der Bundesrepublik
Jugoslawien und derRepublik Serbien vom
9. Juni 1999
– Drucksache 14/8991 –
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss (f)

Rechtsausschuss
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO

r) Beratung des Antrags der Abgeordneten Peter
Weiß (Emmendingen), Thomas Dörflinger,
Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land), weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU
Ausbau der Bundesautobahn A 5
– Drucksache 14/8107 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen




Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
23528


(C)



(D)



(A)



(B)


s) Beratung der Unterrichtung durch die Bun-
desregierung
Bericht zum Ausbau der Schienenwege
2001
– Drucksache 14/7945 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und
Reaktorsicherheit
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder
Ausschuss für Tourismus

19. a) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu
dem Zusatzprotokoll vom 18. Dezember
1997 zum Übereinkommen über die Über-
stellung verurteilter Personen
– Drucksache 14/8995 –
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss

b) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Ausführung des Zusatzprotokolls vom
18. Dezember 1997 zum Übereinkommen
über die Überstellung verurteilter Personen
– Drucksache 14/8996 –
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss

20. Erste Beratung des von der Bundesregierung einge-
brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung
des Ordnungswidrigkeitenverfahrensrechts
– Drucksache 14/9001 –
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss

ZP 9 Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren

(Ergänzung zu TOP 37)

a) Erste Beratung des von den Abgeordneten

Klaus Riegert, Friedrich Bohl, Peter Letzgus,
weiteren Abgeordneten und der Fraktion der
CDU/CSU sowie dem abgeordneten Dr. Klaus
Kinkel und der Fraktion der FDP eingebrach-
ten Entwurfs eines Gesetzes über eine finanzi-

(Dopingopfer-Hilfegesetz – DOHG)

–Drucksache 14/9022 –
Überweisungsvorschlag:
Sportausschuss (f)

Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Haushaltsausschuss

b) Erste Beratung des von den Fraktionen der
SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ-
NEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes

zur Steuerfreistellung von Arbeitnehmer-
trinkgeldern
– Drucksache 14/9029 –
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuss für Tourismus
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO

c) Erste Beratung des von den Abgeordneten
Ernst Burgbacher, Gerhard Schüßler,
Dr. Hermann Otto Solms, weiteren Abgeord-
neten und der Fraktion der FDP eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des

(Abschaffung der Trinkgeldbesteuerung)

– Drucksache 14/9061 –
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuss für Tourismus
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO

d) Erste Beratung des von den Fraktionen der
SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ-
NEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Sicherung der Betreuung und Pflege
schwerstkranker Kinder
– Drucksache 14/9061 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit (f)

Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

e) Erste Beratung des von den Fraktionen der
SPD, der CDU/CSU, des BÜNDNISSES 90/
DIE GRÜNEN, der FDP und der PDS einge-
brachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes
zur Änderung des Gesetzes zur Errichtung
einer Stiftung „Erinnerung, Verantwor-
tung und Zukunft“
– Drucksache 14/9032 –
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)

Auswärtiger Ausschuss
Rechtsausschuss

f) Erste Beratung des von den Fraktionen der
SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ-
NEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Änderung futtermittelrechtlicher Vor-
schriften sowie zur Änderung sonstiger Ge-
setze
– Drucksache 14/9034 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Land-
wirtschaft (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Gesundheit

g) Erste Beratung des von den Fraktionen der
SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ-
NEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes




Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms

23529


(C)



(D)



(A)



(B)


zur Verbesserung der Vorsorge und Reha-
bilitation für Mütter
– Drucksache 14/9035 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit (f)

Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

h) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Detlef Parr, Dr. Dieter Thomae, Dr. Irmgard
Schwaetzer, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der FDP
Sucht wirksam bekämpfen – Prävention,
Therapie und Lebenshilfe stärken
– Drucksache 14/9049 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit

Es handelt sich um Überweisungen im vereinfachten
Verfahren ohne Debatte.

Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die
in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überwei-
sen. Abweichend von der Tagesordnung sollen die Vorlage
auf Drucksache 14/8979 zu Tagesordnungspunkt 37 a nicht
an den Ausschuss für Wirtschaft und Technologie, die Vor-
lage auf Drucksache 14/8977 zu Tagesordnungspunkt 37 d
zur federführenden Beratung an den Rechtsausschuss und
zur Mitberatung an den Innenausschuss und den Ausschuss
für Wirtschaft und Technologie und die Vorlage auf Druck-
sache 14/8991 zu Tagesordnungspunkt 37 q gemäß § 96 der
Geschäftsordnung ausschließlich an den Haushaltsaus-
schuss überwiesen werden.

Zu Tagesordnungspunkt 37 n liegt inzwischen auf
Drucksache 14/9042 die Gegenäußerung der Bundesre-
gierung zu der Stellungnahme des Bundesrates vor, die
wie der Gesetzentwurf überwiesen werden soll. – Sind Sie
damit einverstanden? Das ist der Fall. Dann sind die Über-
weisungen so beschlossen.

Wir kommen nun zur Behandlung einer Reihe von
Punkten, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist.

Tagesordnungspunkt 38 a:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Änderung des Gesetzes zum NATO-Truppenstatut

(Verteidigungslastenzuständigkeitsänderungsgesetz – VertLastÄndG)

– Drucksache 14/8764 –

(Erste Beratung 230. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Haushalts-
ausschusses (8. Ausschuss)

– Drucksache 14/9086 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Hans Jochen Henke
Hans Georg Wagner
Oswald Metzger
Jürgen Koppelin
Dr. Christa Luft

Der Haushaltsausschuss empfiehlt in seiner Beschluss-
empfehlung auf Drucksache 14/9086, den Gesetzentwurf
in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejeni-

gen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zu-
stimmen wollen, um ihr Handzeichen. – Wer stimmt da-
gegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit
in zweiter Beratung einstimmig angenommen.

Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Ge-
genstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist
einstimmig angenommen.

Tagesordnungspunkt 38 b:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Neunten
Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die
Errichtung einer Stiftung „Hilfswerk für be-
hinderte Kinder“
– Drucksache 14/8733 –

(Erste Beratung 230. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

(13. Ausschuss)

– Drucksache 14/9063 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Marlene Rupprecht
Maria Eichhorn
Christian Simmert
Klaus Haupt

Der Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Ju-
gend empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 14/9063, den Gesetzentwurf anzunehmen.
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen
wollen, um ihr Handzeichen. – Gegenstimmen? – Enthal-
tungen? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Bera-
tung einstimmig angenommen.

Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf zustim-
men will, möge sich bitte erheben. – Gegenstimmen? –
Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist einstimmig ange-
nommen.

Tagesordnungspunkt 38 c:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten
Gesetzes zur Änderung des Sprengstoffgesetzes
und anderer Vorschriften (2. SprengÄndG)

– Drucksache 14/8771 –

(Erste Beratung 233. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Innenaus-
schusses (4. Ausschuss)

– Drucksache 14/9048 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Ernst Bahr
Wolfgang Zeitlmann
Cem Özdemir
Dr. Max Stadler
Ulla Jelpke




Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
23530


(C)



(D)



(A)



(B)


Der Innenausschuss empfiehlt in seiner Beschlussemp-
fehlung auf Drucksache 14/9048, den Gesetzentwurf in
der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen,
die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Hand-
zeichen. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Ge-
setzentwurf ist in zweiter Beratung mit der Mehrheit der
Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Fraktionen der
CDU/CSU und der FDP gegen die Stimmen der PDS-
Fraktion angenommen.

Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Ge-
genstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist
mit dem gleichen Mehrheitsverhältnis wie zuvor ange-
nommen.

Tagesordnungspunkt 38 d:
Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zurÄnde-
rung des Kraftfahrzeugsteuergesetzes
– Drucksache 14/7466 –

(Erste Beratung 215. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzaus-
schusses (7. Ausschuss)

– Drucksache 14/8851 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Jörg-Otto Spiller
Jochen-Konrad Fromme
Heidemarie Ehlert

Der Finanzausschuss empfiehlt auf Drucksache
14/8851, den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung an-
zunehmen. Wer dem zustimmen will, den bitte ich um das
Handzeichen. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der
Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung einstimmig
angenommen.

Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Ge-
genstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist
einstimmig angenommen.

Tagesordnungspunkt 38 e:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu
dem Protokoll vom 30. November 2000 zur Än-
derung des Europol-Übereinkommens
– Drucksache 14/8709 –

(Erste Beratung 233. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Innenaus-
schusses (4. Ausschuss)

– Drucksache 14/9077 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Günter Graf (Friesoythe)

Martin Hohmann
Cem Özdemir
Dr. Max Stadler
Ulla Jelpke

Der Innenausschuss empfiehlt in seiner Beschlussemp-
fehlung auf Drucksache 14/9077, den Gesetzentwurf an-
zunehmen. Ich bitte um das Handzeichen derjenigen, die
dem Gesetzentwurf zustimmen wollen. – Gegenstimmen? –
Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter
Beratung angenommen.

Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Ge-
genstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist
bei Enthaltung der PDS einstimmig angenommen.

Tagesordnungspunkt 38 g:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 371 zu Petitionen

(Ablehnung eines Rechtshilfeersuchens)

– Drucksache 14/8870 –

Zur Sammelübersicht 371 liegt ein Änderungsantrag
der Fraktion der PDS auf Drucksache 14/8908 vor, über
den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für den Ände-
rungsantrag der PDS-Fraktion? – Wer stimmt dagegen? –
Wer enthält sich? – Der Änderungsantrag ist mit den Stim-
men aller Fraktionen bei Zustimmung der PDS-Fraktion
abgelehnt.

Wer stimmt für die Sammelübersicht 371 auf Drucksa-
che 14/8870? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die
Sammelübersicht 371 ist mit den Stimmen aller Fraktio-
nen bei Gegenstimmen der PDS-Fraktion angenommen.

Ich rufe die Zusatzpunkte 10 bis 12 auf:
Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD
und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN einge-
brachten Entwurfs eines Jugendschutzgesetzes

(JuschG)

– Drucksache 14/9013 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f)

Innenausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für Kultur und Medien
Haushaltsausschuss

ZP 11 Erste Beratung des von den Abgeordneten Uta
Titze-Stecher, Werner Lensing, Sylvia Voß,
Hildebrecht Braun (Augsburg) und weiteren Ab-
geordneten eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes zur Änderung des Gestzes zum Schutze der Ju-

(Jugendschutzgesetz – JÖSchG)

– Drucksache 14/8956 –




Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms

23531


(C)



(D)



(A)



(B)


Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirt-
schaft
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschät-
zung

ZP 12 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Maria
Böhmer, Maria Eichhorn, Ilse Aigner, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion der CDU/CSU
Jugendschutz stärken
– Drucksache 14/9027 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f)

Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschät-
zung
Ausschuss für Kultur und Medien

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. – Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Als erster Rednerin gebe
ich das Wort der Bundesministerin Dr. Christine
Bergmann.

Dr. Christine Bergmann, Bundesministerin für Fa-
milie, Senioren, Frauen und Jugend: Herr Präsident!
Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordnete!
Wenn wir heute den von den Regierungsfraktionen einge-
brachten Entwurf eines neuen Jugendschutzgesetzes be-
handeln, dann denkt sicherlich jeder – ich tue das jeden-
falls – an die schrecklichen Ereignisse von Erfurt. Erfurt
war aber nicht der Anlass für das neue Jugendschutzge-
setz, auch wenn das gelegentlich von der CDU/CSU be-
hauptet wird.

Wir haben bereits vor eineinhalb Jahren ein Jugend-
schutzgesetz des Bundes vorbereitet und mit den Länder-
ministerien abgestimmt. Im Rahmen dieses Abstim-
mungsprozesses ist klar geworden, dass die bisherige
Medienordnung in Deutschland überarbeitet werden
muss. Wir haben die notwendigen Reformen im Bereich
des Jugendschutzes zum Anlass genommen, um eine Neu-
regelung der Medienordnung in Deutschland auf den Weg
zu bringen. Ich freue mich, dass dies in einem längeren
Abstimmungsprozess schließlich gelungen ist; macht es
doch deutlich, dass Bund und Länder beim Schutz unse-
rer jungen Menschen gemeinsam an einem Strang ziehen.
Das ist auch notwendig.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Es ist aber erst im März dieses Jahres gelungen – das
muss ich klar sagen –, gemeinsame Eckpunkte zwischen
Bund und Ländern zu vereinbaren, obwohl wir bereits
Ende letzten Jahres eine solche Vereinbarung auf dem
Tisch hatten und alle Länder mit Ausnahme von Bayern
bereit waren, diese Vereinbarung zu unterschreiben. Hier
hat es also zeitlichen Verzug gegeben.

Die grauenvollen Ereignisse von Erfurt sind also nicht
Anlass für die Erarbeitung des Jugendschutzgesetzes, das
wir heute beraten; sie haben uns aber dazu veranlasst, das
Gesetzgebungsverfahren mit besonderem zeitlichen
Nachdruck zu betreiben. Ich möchte mich bei Ihnen allen,
meine Damen und Herren, dafür bedanken, dass Sie zu
diesen zeitlich ungewöhnlichen Beratungsschritten bereit
sind. Ich hoffe natürlich, dass die einmütige Bereitschaft,
an einem Strang zu ziehen, auch weiterhin anhält.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Neben dem Jugendschutzgesetz beraten die Länder be-
reits die Neufassung eines Medienstaatsvertrages, mit
dem die Zuständigkeiten der Länder im Bereich des Ju-
gendschutzes geregelt werden. Wir unternehmen also alle
Anstrengungen, um bei diesem Thema schnell und mit
Nachdruck voranzukommen.

Das Jugendschutzgesetz, das wir heute in erster Le-
sung beraten, regelt die Zuständigkeit des Bundes und
setzt den Rahmen für die Zusammenarbeit von Bund und
Ländern: Der Bund wird im Bereich des Jugendschutzes
zukünftig für die Indizierung jugendgefährdender Träger-
und Telemedien zuständig sein. Die Länder werden für
die Konsequenzen der Indizierung bei Telemedien und für
so genannte jugendbeeinträchtigende Maßnahmen Zu-
ständigkeit besitzen. Ich glaube, das ist sicher eine bessere
Aufteilung der Zuständigkeiten als die bisherige Vertei-
lung zwischen Telediensten und Mediendiensten, die
nicht mehr unserer Zeit entspricht.

In Verabredung mit den Ländern ist es gelungen, im
Bereich des Jugendschutzes trotz unterschiedlicher Zu-
ständigkeiten und unterschiedlicher Interessen ein Ver-
fahren zu finden, das uns in die Lage versetzt, national wie
international mit einer Stimme zu sprechen. Das ist auch
deshalb so wichtig, weil, wie wir wissen, Jugendschutz
eben nicht nur eine regionale oder nationale Angelegen-
heit ist; er wird vielmehr zunehmend zu einer europä-
ischen und weltweiten Frage, weil durch die wirtschaftli-
chen Verflechtungen der Medienwirtschaft und durch das
Internet nationale Alleingänge in Zukunft nicht ausrei-
chen.

Lassen Sie mich nun einige wichtige Regelungen des
Gesetzentwurfes nennen. Das Indizierungsverfahren
der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien wird
neu geregelt. Die Bundesprüfstelle kann in Zukunft auch
ohne Antrag tätig werden. Ihre Zuständigkeit wird auf den
Bereich aller elektronischen Medien ausgedehnt. Damit
kann die jahrzehntelange Erfahrung der Bundesprüfstelle
im Umgang mit jugendgefährdenden Medieninhalten im
gesamten Onlinebereich genutzt werden.

Der Rundfunkbereich bleibt natürlich in der alleinigen
Zuständigkeit der Länder. Ich füge hier an: Ich bin schon
gespannt; denn heute berät die Bundesprüfstelle über die
Indizierung des Spiels „Counter Strike“ in der amerikani-
schen Fassung. Ich hoffe, es wird indiziert. Darin sind wir
uns wahrscheinlich einig.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)





Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
23532


(C)



(D)



(A)



(B)


Wichtigstes inhaltliches Regelungsmerkmal des Ju-
gendschutzgesetzes ist, die bisher schon für Kinofilme
und Videos bestehende Verpflichtung zur Alterskenn-
zeichnung auch auf Computerspiele und Bildschirmspiel-
geräte auszuweiten.

Die Computerspielewirtschaft hat bereits seit Jahren
eine so genannte freiwillige Selbstkontrolle, die aller-
dings nicht ausreicht. Die Altersfreigabe muss sich auf
Verkauf, Verleih, Weitergabe, Angebot und Werbung von
Computerspielen beziehen. Diejenigen, die sich nicht da-
ran halten, müssen mit Bußgeld rechnen. Deshalb bedarf
es einer konkreten gesetzlichen Regelung auch für Com-
puterspiele.

Neu ist auch, dass Medien, die Krieg und Gewalt ver-
herrlichen, die Menschen in einer die Menschenwürde
verletzenden Weise darstellen und die Kinder und Ju-
gendliche in geschlechtsbetonter Körperhaltung zeigen,
schon ohne Indizierung durch die Bundesprüfstelle mit
weitreichenden Abgabe-, Vertriebs- und Werbeverboten
belegt werden. Sie sind also a priori indiziert. Ich denke,
das ist sehr wichtig.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir müssen dafür sorgen, dass Kinder und Jugendliche
nicht gewaltverherrlichenden Filmen, Videos und Com-
puterspielen ausgesetzt werden. Die beste und effektivs-
te Regelung ist noch immer, dass für Kinder und Jugend-
liche dieser Schund nicht verfügbar ist. Wir müssen aber
auch dafür sorgen – das geht darüber hinaus und gilt nicht
nur für Kinder und Jugendliche –, dass generell gewalt-
und kriegsverherrlichende Materialien, welcher Art auch
immer, mit Abgabe-, Vertriebs- und Werbeverboten ver-
sehen werden. Sie sind kein Verlust für die Gesellschaft.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


§131 des Strafgesetzbuches, der seit langem gilt, muss
auch auf Computerspiele angewendet werden können;
das wird im Moment von der Bundesjustizministerin ge-
prüft. Er muss aber natürlich auch angewendet werden.
Wir haben hier schon sehr weitreichende Möglichkeiten,
von denen bisher aber kaum Gebrauch gemacht wurde.

Wir wollen mit Nachdruck – das darf ich betonen – al-
les daran setzen, um Gewalt, Pornographie, Kriegsver-
herrlichung, Rechtsradikalismus und all den bekannten
Schund, den auch das Internet verbreitet, zurückzudrän-
gen. Darin stimmen wir alle erfreulicherweise überein.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Meine Damen und Herren, staatlicher Jugendschutz al-
lein reicht aber nicht aus. Wir müssen auch mehr Kom-
petenzen im Umgang mit Medien vermitteln, die zur kon-
struktiven Auseinandersetzung befähigen. Das gilt für
Kinder und Jugendliche, aber es gilt in besonderer Weise
auch für Eltern. Denn viele Eltern wissen zu wenig da-
rüber, was ihre Kinder mit dem Computer tun. Sie können
sich deswegen auch nicht erzieherisch damit auseinander-
setzen. Sie brauchen Beratung und Unterstützung, um bei
den Angeboten die Spreu vom Weizen trennen zu können.

Denn auch bei den Computerspielen ist es so – es geht
ja nicht um ein generelles Verbot aller Computerspiele –,
dass drei bis vier Prozent von ihnen solche Spiele sind, die
Gewaltdarstellungen enthalten und in denen es um Men-
schenvernichtung geht. Diese auszusondern und gleich-
zeitig zu informieren, dass auch andere Spiele, in denen
es um sportlichen Wettstreit geht, Spaß machen können,
das ist eine Aufgabe, die in Zukunft sehr viel stärker wahr-
genommen werden muss.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Es ist eine Aufgabe der Einrichtungen, die das Thema
der Medienkompetenz bearbeiten, Hilfen für Erzie-
hende zur Verfügung zu stellen. Aber auch die Selbst-
kontrolle der Computerwirtschaft wird hoffentlich nach
der Sommerpause eine gemeinsam verabredete Internet-
seite zur Verfügung stellen können, über die sich Eltern
über Inhalte, Vorzüge und Gefahren von Computerspielen
informieren können. Ich halte es für sehr wichtig – ich
habe mir auch angesehen, wie weit sie sind –, dass Eltern
auch sehen, was es alles im Angebot gibt. Auch ich selber
bin darauf angewiesen, dass mich jemand berät, wenn ich
etwas für den Gameboy meines knapp 6-jährigen Enkels
kaufe, weil ich vorher nicht erst alle Spiele durchspielen
kann. Deswegen brauchen wir hier natürlich viele Infor-
mationen für die Eltern.

Wir werden die Angebote für die Familien erweitern,
sich auch in Bezug auf die neuen Medien besser und um-
fassender zu informieren. Aber wir müssen auch die Ge-
legenheit nutzen, dass die Vertreterinnen und Vertreter der
Generation, die eben nicht mit Computern und Compu-
terspielen aufgewachsen ist, die Möglichkeit haben, mit
unseren Kindern und Jugendlichen, für die Computer eine
Selbstverständlichkeit geworden sind, zu reden, ein ge-
meinsames Verständnis zu finden und auch gemeinsam
Normen zu entwickeln. Darum muss es uns gehen. Auch
das gehört zur Erziehungsaufgabe.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Deshalb sage ich als Jugendministerin auch ganz deutlich
an unsere jungen Mitbürgerinnen und Mitbürger: Lassen
Sie und lasst uns gemeinsam an den Problemen der Ein-
dämmung von Gewalt in unserer Gesellschaft arbeiten.
Das muss unser gemeinsames Anliegen sein.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Meine Damen und Herren, für einen wirksamen Ju-
gendschutz reichen gesetzliche Regelungen allein nicht
aus. Auch darin werden wir wahrscheinlich schnell über-
einstimmen können. Die Bundesregierung tritt nach-
drücklich für eine breite gesellschaftliche Allianz gegen
Gewalt ein. Sie tut dies nicht erst seit Erfurt und nicht erst
seit gestern. In der gesamten Legislaturperiode haben wir
uns mit dem Thema auseinander gesetzt, wie die Akzep-
tanz von Gewalt in der Gesellschaft zurückzudrängen ist.

Um die Verantwortung aller Beteiligten in dieser Alli-
anz gegen Gewalt einzufordern, hat der Bundeskanzler
das Gespräch mit den Fernsehanstalten zur Eindäm-
mung von Gewalt begonnen. Dem gleichen Zweck dient




Bundesministerin Dr. Christine Bergmann

23533


(C)



(D)



(A)



(B)


ein Gespräch mit den Vertretern und Vertreterinnen der
Videowirtschaft und den Internetanbietern heute
Abend. Es geht um die Frage, wie es uns gelingt, das Maß
an Gewalt und Gewaltdarstellung in der Gesellschaft
zurückzudrängen. Gewalt muss in unserer Gesellschaft in
jeder Form geächtet werden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Es gehört zum Kernbestand unserer Demokratie, Kon-
flikte gewaltfrei auszutragen. Diese Fähigkeit muss er-
lernt werden, und zwar überall: in den Familien, in den
Schulen und in der Gesellschaft insgesamt. Das gelingt
nur, wenn wir miteinander und nicht nebeneinander her
leben. Ich habe schon gesagt: Wir haben mit dem Recht
der Kinder auf gewaltfreie Erziehung begonnen. Sie,
meine Damen und Herren von der Opposition, hätten gut
daran getan, wenn Sie unserem Gesetzentwurf damals zu-
gestimmt hätten.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Damit haben wir in der Erziehung ein neues Leitbild
verankert. Das ist erfolgreich. Wir haben einen Dialog
über Erziehungsfragen initiiert und den Eltern praxis-
orientierte Angebote, zum Beispiel ein Online-Handbuch,
gemacht, um sie in ihrer Erziehungskompetenz zu stär-
ken. Das ist der richtige Weg. Wir werden ihn fortsetzen.
Lassen Sie mich zum Schluss noch darauf hinweisen, dass
es in dem Gesetzentwurf neben dem Medienschutz ja
auch darum geht, Kinder und Jugendliche besser vor
Suchtgefahren zu schützen. Es muss uns alarmieren, dass
erstmals seit 20 Jahren der Raucheranteil bei Jugendli-
chen unter 16 Jahren wieder deutlich angestiegen ist. Des-
halb wird die Abgabe von Tabakwaren an Kinder und Ju-
gendliche unter 16 Jahren verboten. Darüber hinaus wird
mit dem Jugendschutzgesetz auch die Freigabe von Wer-
befilmen für alkoholische Getränke und Tabakwaren ein-
geschränkt. Auch das ist ein wichtiger Beitrag dazu, Kin-
der vor Suchtgefahren zu bewahren.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wie der Elfte Kinder- und Jugendbericht sagt, geht es
uns um die öffentliche Verantwortung für das Aufwachsen
von Kindern. Neben die Familien, die ihre Verpflichtung
haben, treten öffentliche Institutionen, tritt auch die Poli-
tik. Die Bundesregierung – das macht, denke ich, auch der
vorliegende Entwurf eines Jugendschutzgesetzes deut-
lich – hat diese öffentliche Verantwortung die gesamte Le-
gislaturperiode hindurch sehr ernsthaft wahrgenommen.

Danke.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1423607500
Das Wort
hat jetzt die Kollegin Dr. Maria Böhmer von der
CDU/CSU-Fraktion.


Dr. Maria Böhmer (CDU):
Rede ID: ID1423607600
Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich sehe es in der Tat

ein Stück anders als Frau Ministerin Bergmann, was den
Ausgangspunkt der heutigen Debatte anbelangt. Ich bin
mir ziemlich sicher, dass wir ohne die schreckliche Tat
von Erfurt eine solche Debatte im Plenum heute nicht
führen würden und dass eine Novellierung des Jugend-
schutzes nicht mehr so schnell, wie Sie sagen, auf die Ta-
gesordnung gekommen wäre.


(Dr. Michael Bürsch [SPD]: Bayern hat blockiert!)


Was die Schnelligkeit anbelangt, muss man sagen: Es
sind nur noch wenige Wochen bis zum Ende der Legis-
laturperiode. Wenn wir es nicht unterstützt hätten, dass
der Gesetzentwurf heute eingebracht und behandelt wird,


(Christel Riemann-Hanewinckel [SPD]: Sagen Sie doch, dass Sie das verhindert haben, Frau Böhmer! So eine Schönfärberei! – Weiterer Zuruf von der SPD: Sie haben einiges wieder gutzumachen!)


würden Sie am Ende der Legislaturperiode wahrschein-
lich ohne eine Änderung im Bereich des Jugendmedien-
schutzes dastehen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Die Tat von Erfurt verpflichtet uns alle, über das, was

dort geschehen ist, nachzudenken, Ursachenforschung
zu betreiben und nach einer sehr tief gehenden Analyse
gemeinsam Schlussfolgerungen zu treffen. Das ist auch
dadurch deutlich geworden, dass der Bundeskanzler und
die Ministerpräsidenten zusammengekommen sind und
dort in großer Übereinstimmung bestimmte Veränderun-
gen, gerade zur Verbesserung des Jugendmedienschutzes,
vereinbart worden sind.


(Christel Riemann-Hanewinckel [SPD]: Auf einmal ist Übereinstimmung! Auch mit Herrn Stoiber!)


Liebe Frau Bergmann, ich habe den Entwurf sehr ein-
gehend gelesen. Was darin insbesondere zum Jugendme-
dienschutz in den Blick genommen wird, hat noch nicht
die Deutlichkeit, die erforderlich ist. Deshalb ist es mir
wichtig, heute festzustellen: Wir brauchen intensive Aus-
schussberatungen und wir müssen im Bereich des Ju-
gendmedienschutzes deutlichere Schritte gehen, als sie
das Jugendschutzgesetz vorsieht, das Sie heute im Ent-
wurf in den Deutschen Bundestag eingebracht haben.


(Beifall bei der CDU/CSU – Kerstin Griese [SPD]: Welche denn?)


Durch Erfurt und die schreckliche Tat, die von Robert
Steinhäuser vor nicht einmal drei Wochen begangen wor-
den ist, haben wir eines erkannt: Die Schule ist zum Tat-
ort geworden. Unter Lehrkräften, unter Eltern, die ihre
Kinder in größerer Sicherheit wünschen, greift die Angst
um sich. Besonders bedrückend und Sorge verbreitend ist,
dass genau diejenigen, die für die Erziehung von Kindern
Verantwortung tragen, zur Zielscheibe von Robert
Steinhäuser geworden sind, dass er gezielt Lehrer ermor-
det hat. Das ist etwas, was uns mehr als nachdenklich ma-
chen muss. Wir wollen in einer weiteren Debatte im Deut-
schen Bundestag der Frage nachgehen, wie es in unserer




Bundesministerin Dr. Christine Bergmann
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(B)


Gesellschaft um die Fragen von Erziehung in Familie, in
Schule und im Kindergarten bestellt ist und was an Rah-
menbedingungen geschaffen werden muss. Wir dürfen
nicht nur darüber reden, dass es einer Verbesserung der
Gesetzeslage bedarf; wir brauchen auch bessere Rahmen-
bedingungen für die Erziehung in Familie und Schule und
daran – da stimme ich mit Ihnen sehr wohl überein – müs-
sen wir gemeinsam arbeiten.

Was wir brauchen, ist ein besserer Jugendschutz. Wir
brauchen vor allem einen effektiveren und einheitlichen
Jugendmedienschutz. Wir brauchen nicht nur nationale,
sondern auch internationale Regelungen.Wir brauchen
starke Familien. Ich wünsche mir, dass Eltern, Lehr-
kräfte, Erzieherinnen und Erzieher wieder mehr Mut zur
Erziehung haben. Es geht dabei nicht nur um die Quali-
fikation, sondern um die Wertevermittlung an junge
Menschen.


(Kerstin Griese [SPD]: Und dass man sie vorlebt!)


Das ist die beste Grundlage, um solchen schrecklichen
Entwicklungen für die Zukunft zu wehren. Dafür wollen
wir gemeinsam Sorge tragen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Erfurt hat in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit

gerückt, dass der Jugendmedienschutz dringend – ich be-
tone: dringend – der Überarbeitung bedarf. Wir haben in
der letzten Legislaturperiode für den Bereich des Internets
das Informations- und Kommunikationsdienste-Ge-
setz verabschiedet, mit dem neue Jugendschutzregelun-
gen eingeführt wurden. Dabei ist uns sehr wohl folgende
Tatsache bewusst gewesen: Die technische Entwicklung
schreitet durch die Digitalisierung und durch die Konver-
genz zwischen Computerbereich und Fernsehbereich so
rasant voran, dass man bei bestimmten Jugendschutzre-
gelungen nicht stehen bleiben darf, sondern dass es immer
wieder zu einer Weiterentwicklung kommen muss.

Deshalb haben wir mit der Verabschiedung des Infor-
mations- und Kommunikationsdienste-Gesetzes am Ende
der letzten Legislaturperiode geregelt, dass die Bundes-
regierung spätestens nach zwei Jahren einen entsprechen-
den Bericht über die Wirksamkeit dieses Gesetzes vorle-
gen soll. Der Bericht wurde im Juni 1999 erstattet. Dort
wurde der Handlungsbedarf auch aufgezeigt. Was wir
heute debattieren, ist also nicht so neu.


(Kerstin Griese [SPD]: Dann haben wir unseren Entwurf gemacht und Sie haben blockiert!)


Aber da zwischen der Vorlage des Berichts im Juni
1999 und Mai 2002 fast drei Jahre verstrichen sind, in de-
nen nichts zur Verbesserung des Jugendmedienschutzes
vonseiten der Bundesregierung getan wurde,


(Rolf Stöckel [SPD]: Fragen Sie die CDU-geführten Bundesländer!)


muss ich die jetzige Entwicklung bedauern, die wir in un-
serer Gesellschaft leider zur Kenntnis nehmen müssen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Kerstin Griese [SPD]: Bedauern reicht nicht aus! Da muss man etwas tun!)


Sie können nicht sagen, dass Sie von den Ländern bei
der Einführung neuer Regelungen behindert worden
seien.


(Zuruf von der SPD: Doch! – Rolf Stöckel [SPD]: Worüber ist denn verhandelt worden? – Kerstin Griese [SPD]: Was war im Dezember?)


Es gibt nämlich keinen Hinderungsgrund für die Bundes-
regierung, hier tätig zu werden. An dieser Stelle haben wir
eine konkurrierende Gesetzgebung. Man hätte sehr wohl
etwas im Bereich der Zusammenführung des Jugend-
schutzes tun können. Es stimmt also nicht, dass Sie zur
Handlungsunfähigkeit verdammt gewesen wären. Sie ha-
ben in der Zwischenzeit einfach nichts getan.


(Beifall bei der CDU/CSU – Kerstin Griese [SPD]: Die Unfähigkeit von Bayern!)


Die Durchsuchung des Zimmers von Robert Steinhäuser
hat eines gezeigt: Es gibt einen speziellen Bereich, der
aufgrund der technischen Entwicklung und der Inhalte
unserer sehr großen Aufmerksamkeit bedarf. Das ist der
Bereich der gewaltverherrlichenden Computerspiele.

Frau Ministerin Bergmann, Sie haben mit Recht darauf
hingewiesen, dass die Bundesprüfstelle heute eine Ent-
scheidung treffen wird. Ich wünsche mir ebenfalls sehr,
dass das Lieblingsspiel von Robert Steinhäuser, nämlich
das Computerspiel „Counterstrike“, endlich verboten
wird.


(Beifall der Abg. Maria Eichhorn [CDU/CSU])


Dies ist überfällig; denn ein gewaltverherrlichendes Com-
puterspiel unterscheidet sich ganz erheblich von den ge-
wohnten gewaltträchtigen Bildern im Fernsehen.

Bei Computerspielen muss man fiktional als Täter
agieren. Auch wenn einige der Meinung sind, es seien
Strategie-, Geschicklichkeits- und Schnelligkeitsspiele,
muss man doch sagen, dass Gewalt angewendet wird, um
diese Strategie umzusetzen. Es wird auf andere Menschen
oder auch auf menschenähnliche Figuren geschossen; es
werden Menschen in diesem Computerspiel ermordet.
Durch die Gewöhnung wird die Hemmschwelle herabge-
setzt.

Was wir erleben mussten, ist der Ausbund dessen, was
passiert, wenn obendrein Gewalt in einem hohen Maße im
Video- und Fernsehbereich konsumiert wird. Dieser Zu-
sammenhang ist mittlerweile belegt. Vor diesem Hinter-
grund sage ich: Die Regelungen, die jetzt von Ihnen im
Jugendmedienschutz angestrebt werden, gehen zwar in
die richtige Richtung, nämlich dass Kinder und Jugendli-
che keinen Zugang zu gewaltverherrlichenden Videos und
Computerspielen mehr haben sollen. Aber nach wie vor
treibt mich die Sorge um: Was ist, wenn ein Erwachsener
– Robert Steinhäuser war nach dem Gesetz Erwachsener
für den Bereich der Videospiele; er war 19 Jahre alt – sol-
che Videospiele ausleihen kann, sie aber möglicherweise
an einen 17- oder 16-Jährigen weitergibt? Hier reichen die
im Gesetzentwurf niedergelegten Regelungen nicht aus,
sondern wir brauchen ein generelles Verbot für den Ver-
leih und die Weitergabe solcher gewaltverherrlichender
Computer- und Videospiele. Ich hoffe sehr, dass wir uns




Dr. Maria Böhmer

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in den Ausschüssen darüber verständigen und dass es bei
der Verabschiedung des Gesetzes zu einer einvernehmli-
chen Lösung kommt.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir haben in weiteren Bereichen Handlungsbedarf bei

den Beratungen. Wir haben kein Verständnis für eine
Lockerung der Abgabe von Videos an Automaten und
halten sie für nicht gerechtfertigt. Wir bitten Sie noch ein-
mal sehr nachdrücklich darum, diese Regelung zu über-
prüfen und sich dem strikten Verbot anzuschließen, wie
wir es in unserem Antrag vorgeschlagen haben.

Ich halte auch eine Lockerung der Schutzbestimmun-
gen bei Spielautomaten für völlig falsch. Auch für hier
halte ich es für notwendig, die vorgesehene gesetzliche
Regelung zu überprüfen und im Deutschen Bundestag ei-
ner solchen Lockerung nicht zuzustimmen, sondern eine
entsprechende Verbotsregelung zu beschließen.

Der gesetzliche Jugendmedienschutz reicht nicht aus.
Frau Ministerin Bergmann, an dieser Stelle haben wir
große Einigkeit. Es sollte wirksam nach draußen getragen
werden, dass wir die Medienkompetenz deutlich verbes-
sern müssen. Medienkompetenz verbessern heißt, dass
wir sowohl Eltern als auch Lehrkräfte in die Lage verset-
zen, den Vorsprung, den Kinder und Jugendliche im tech-
nischen Bereich haben, nicht nur einholen, sondern in ei-
ner anderen Art und Weise ausgleichen zu können. Hier
geht es um den Umgang mit Inhalten.

Deshalb müssen wir die Familienbildung stärken. Wir
müssen Eltern fit und stark machen, damit sie in der Lage
sind, bei Grenzüberschreitungen Nein zu sagen. Ich wün-
sche mir, dass wir dieses Nein in großer Deutlichkeit nicht
nur hier im Deutschen Bundestag sagen, sondern dass wir
in die Gesellschaft hineinwirken, um die Grenzen gegen-
über Gewalt im Medienbereich, aber auch generell ge-
genüber Gewalt, gemeinsam deutlich zu machen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Rolf Stöckel [SPD]: Eine späte Einsicht!)


Wir müssen die Grenzen aufzeigen; denn die Signale von
Erfurt sind überdeutlich für uns.

Lassen Sie mich einen letzten Satz sagen.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1423607700
Nein,
Frau Kollegin. Sie haben zwei Minuten überzogen. Bitte
kommen Sie jetzt sofort zum Schluss.


(Rolf Stöckel [SPD]: Vielleicht gibt es noch eine Einsicht zum Schluss!)



Dr. Maria Böhmer (CDU):
Rede ID: ID1423607800
Wim Wenders hat
gesagt: „Die Bewusstseinsindustrie hat die gefährlichste
Sprengkraft, schlimmer als jeder Atommeiler.“ Ich glaube,
daran müssen wir uns orientieren.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU – Rolf Stöckel [SPD]: Wer hat denn dem Privatfernsehen das Tor aufgemacht?)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1423607900
Das Wort
hat jetzt die Kollegin Grietje Bettin von Bündnis 90/Die
Grünen.


Grietje Bettin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1423608000
Herr
Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das schreck-
liche Ereignis von Erfurt ist für uns alle ein schwerer, un-
fassbarer Schock gewesen. Auch wenn es schon vielfach
gesagt worden ist, möchte ich an dieser Stelle noch ein-
mal ausdrücklich betonen: Unser tiefes Mitgefühl gilt den
Opfern und ihren Angehörigen. Möge sich eine solch
schreckliche Tat nie mehr wiederholen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die entscheidende
Konsequenz aus dem Amoklauf von Erfurt kann für mich
nur lauten: Wir müssen uns alle noch viel stärker für eine
solidarische Gesellschaft einsetzen. Das bedeutet kon-
kret, Kinder und Jugendliche zu fördern und ihnen vor al-
lem Perspektiven aufzuzeigen, gerade wenn sie sich in ei-
ner Krise befinden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Wir müssen uns intensiv um unsere Kinder und Ju-
gendlichen kümmern. Vor allem an den Schulen ist eine
verbesserte Betreuung, unter anderem durch Sozialarbei-
ter und Psychologinnen, dringend notwendig. Ich selber
habe diese Arbeit vor meinem Einzug in den Deutschen
Bundestag gemacht. Unser Hauptproblem bei der
präventiven Jugendarbeit lag in der ständigen Recht-
fertigung für die Finanzierung unserer Arbeit. Das darf
und muss nicht sein.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie der Abg. Angela Marquardt [PDS])


Wir sollten uns nichts vormachen: Unsere Defizite im
Bildungswesen lassen sich nicht allein auf PISA reduzie-
ren.


(Beifall der Abg. Angela Marquardt [PDS])

Neben anderen Aspekten hat nicht zuletzt die unzurei-
chende Schulgesetzgebung in Thüringen dazu beigetra-
gen, dass ein labiler Mensch in eine noch tiefere Krise
gestürzt worden ist. Die Länder müssen ihre Schulgesetz-
gebung unbedingt dahin gehend reformieren, dass Zwi-
schenabschlüsse jederzeit möglich sind.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Präventive pädagogische und psychologische Maßnah-
men, insbesondere nach Schulverweisen, müssen unbe-
dingt flächendeckend eingerichtet werden.

Zugangsgerechtigkeit in der Bildung und Ausbildung
ist nach wie vor die wichtigste Voraussetzung, um
Aggressionen sowie Frust vorzubeugen und letztendlich
Gewalt zu verhindern.


(Beifall der Abg. Angela Marquardt [PDS])

Doch auch wenn Bildungspolitik bei uns Ländersache ist,
darf sich der Bund nicht aus der Verantwortung stehlen.
Die rot-grüne Bundesregierung hat bereits vielfältige




Dr. Maria Böhmer
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(C)



(D)



(A)



(B)


Maßnahmen und Programme zur Förderung von Kindern
und Jugendlichen ergriffen. Stellvertretend für viele an-
dere sinnvolle Projekte der Bundesregierung möchte ich
an dieser Stelle das Programm „Entwicklung und Chancen
junger Menschen in sozialen Brennpunkten“ erwähnen.

Doch neben der Schaffung von Ausbildungsplätzen
und der Gestaltung von Weiterbildungsmöglichkeiten ist
die Stärkung der Zivilgesellschaft für uns ein weiteres
wichtiges Politikfeld, das wir gemeinsam mit Kindern
und Jugendlichen gestalten wollen. Die Fortführung des Ak-
tionsprogramms „Jugend für Demokratie und Toleranz –
gegen Rechtsextremismus und Gewalt“ möchte ich hier
lobend erwähnen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Doch neben der gezielten Förderung von Kindern und
Jugendlichen ist auch ein effektiver Jugendschutz not-
wendig und absolut sinnvoll. Die Bundesregierung hat
mittlerweile ein neues Jugendschutzgesetz vorgelegt, das
ich ausdrücklich begrüße. Die nun vorgesehene aus-
drückliche Verankerung eines generellen Verbots der
Abgabe von Tabakwaren an Kinder und Jugendliche
unter 16 Jahre und die Installation entsprechender Schutz-
vorrichtungen an Zigarettenautomaten möchte ich in die-
sem Zusammenhang stellvertretend für andere Maßnah-
men lobend hervorheben.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU,
uns ist vollkommen bewusst, dass wir nicht nur auf re-
pressive Maßnahmen zurückgreifen dürfen, um Kinder
und Jugendliche zu schützen. So halte ich es beispiels-
weise für absolut sinnvoll – in England hat sich das bereits
bewährt –, dass Kinder ab sechs Jahren nun auch in Be-
gleitung von ErwachsenenKinofilme ab zwölf Jahre se-
hen dürfen. Der gemeinsame, begleitende Medienkonsum
wird somit nachdrücklich gefördert.

Aber – hiermit komme ich zu einem weiteren wichti-
gen Anliegen –: Die Erziehung in den Schulen kann und
darf nicht das ersetzen, was eigentlich Aufgabe der Fa-
milie wäre. Wir dürfen die Erziehung weder der Schule al-
lein und schon gar nicht dem Computer oder dem Fern-
sehgerät überlassen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Das Profil des Täters von Erfurt weist eindeutig darauf
hin, dass der Täter neben intensiven Schießübungen im
Schützenverein ebenso intensiv gewaltverherrlichende
Computerspiele und Videos konsumiert hat. Selbstver-
ständlich muss nun auch die Rolle der Medien auf den
Prüfstand gestellt werden. Neben den traditionellen Me-
dien gibt es durch das Internet und durch inzwischen vi-
suell hochauthentische Computerspiele einen neuen Zu-
gang zu gewalttätigen Darstellungen.

Ich persönlich glaube, dass solche Spiele Hemm-
schwellen sinken lassen und bei intensivem Konsum
schädlich sein können. Doch ich betone ausdrücklich
auch: Der Amoklauf von Erfurt ist nicht allein durch bru-
tale Computerspiele zu begründen, selbst wenn manche
Medien und auch manche Kollegen von mir aus Bayern
das gerne so konstruieren.

Die psychologische Ausnahmesituation, in der sich der
Täter befand und die zu dieser fürchterlichen Tat führte,
hat mehrere Ursachen, die unter anderem auch mit unse-
rer unzureichenden Waffengesetzgebung zu tun haben.


(Rolf Stöckel [SPD]: Die CDU wollte das noch mehr lockern!)


Die Ursachen für Gewaltbereitschaft sind viel komplexer,
als es allgemein dargestellt wird. Computerspiele können
– dies belegen viele Untersuchungen – nur in Kombina-
tion mit anderen Ursachen die Aggression steigern, etwa
wenn der Jugendliche in zerrütteten Familienverhält-
nissen oder in sozialer Isolation lebt.

Wir sollten uns deshalb viel mehr den Ursachen wid-
men, die zu solch einer unfassbaren Tat wie in Erfurt ge-
führt haben. Dies bedeutet vor allem eines: Wir müssen
unsere Kinder weltoffen sowie kritisch erziehen und uns
endlich wieder mehr Zeit für die Probleme der Kinder und
Jugendlichen nehmen,


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


damit wir ihre Probleme und Verhaltensänderungen früh-
zeitig bemerken. Wir Grüne setzen uns und ich setze mich
in meiner Funktion als medienpolitische Sprecherin der
Bundestagsfraktion vor allem für eines ein – dieses Stich-
wort ist hier schon gefallen –: Medienkompetenz für alle.

Im Zeitalter der neuen Medien ist es aus unserer Sicht
unbedingt notwendig, den Kinder- und Jugendmedien-
schutz der veränderten Lebensrealität der Menschen an-
zupassen. Dabei stellt die Vermittlung von Medienkom-
petenz aus unserer Sicht eine ganz entscheidende Größe
dar,


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN und der SPD)


Kinder und junge Menschen durch die Stärkung der Me-
dienkompetenz im kritischen Umgang mit Medien zu för-
dern.

Ein weiterer wichtiger Faktor im Bereich Jugendschutz
und Medien ist für uns die freiwillige Selbstkontrolle der
Programmveranstalter und Provider. Allerdings ist dafür
eine hohe Transparenz erforderlich. Genauso wichtig sind
aber auch ein starker ordnungsrechtlicher Rahmen und
die Gültigkeit für alle vergleichbaren Inhalte und Wieder-
gabemedien.

Gerade im Bereich der neuen Medien und insbeson-
dere im Internet muss ein wirksamer Kinder- und Jugend-
medienschutz gewährleistet sein. Allerdings funktioniert
das Netz nicht nach traditionellen Rundfunkregeln. In
einem globalen Kommunikationsnetz existiert nun einmal
keine 23-Uhr-Regelung und auch in Bayern gehen die
Uhren nicht anders.

Problematische Inhalte entziehen sich im Netz häufig
der Medienaufsicht. Sie liegen oft nur einen Mausklick
von so genannten unproblematischen Inhalten entfernt.
Automatische Filtersysteme werden in diesem Zusam-
menhang immer wieder diskutiert. Natürlich können tech-
nische Filtersysteme bestimmte Arten von Inhalten aus-
blenden. Das ist jedoch für mich schon ein erster Schritt




Grietje Bettin

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zur Beschneidung der Demokratie und Meinungsfrei-
heit. Stellen Sie sich einmal vor, ein fundamentalistischer
Staat filtert beispielsweise die Seite der christlich-demo-
kratischen Opposition aus dem Netz. Wollen wir wirklich
mit derartigen Regimen verglichen werden?

Statt unseren Kindern und Jugendlichen ihre Kompe-
tenz im Umgang mit Medien abzusprechen – hier denke
ich ausdrücklich an die „Verbotskeule“, die momentan
von unserer konservativen Opposition ständig geschwun-
gen wird –, sollten wir sie vielmehr im gezielten Umgang
mit Medien fördern und begleiten. Das ist natürlich immer
etwas komplizierter, als pädagogische Konzepte zu ent-
wickeln; aber ich denke, es ist langfristig wesentlich sinn-
voller. Dabei können zum Beispiel Kinderportale ein
sinnvoller Weg sein, um Kinder und Eltern zu unterstüt-
zen, verantwortungsvoll mit dem Angebot im Internet
umzugehen. Außerdem fordern wir verstärkt, nutzer-
freundliche Suchmaschinen für Kinder und Jugendliche
zu entwickeln und diese kosten- und werbefrei zur Verfü-
gung zu stellen.

Jugendmedienschutz muss heute in erster Linie eine
aufklärerische Funktion wahrnehmen, die junge Men-
schen zu einem kompetenten und kritischen Umgang mit
den unterschiedlichsten Medien befähigt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Jugendmedienkompetenz muss bereits zu einem mög-
lichst frühen Zeitpunkt vermittelt werden, weil Medien
Kinder in unserer Gesellschaft von Geburt an begleiten.

Das ist die Realität – oder besser gesagt: die Medien-
realität –, mit der ein Kind sich kritisch auseinander zu
setzen lernen muss. Die Vermittlung von Medienkompe-
tenz und eine bessere Betreuung sehe ich als zentrale Auf-
gabe einer zukunftsorientierten Bildungspolitik. Verbote
und Zensur helfen uns nur in den allerwenigsten Fällen
weiter.

Wie teilte mir ein Schüler gestern doch so passend in
einer E-Mail mit: Erst wenn die letzte LAN-Party verbo-
ten ist, der letzte PC abgeschaltet ist und das letzte Ge-
waltspiel auf dem Index steht, werdet ihr feststellen, dass
ihr uns doch erziehen müsst.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1423608100
Das Wort
hat jetzt der Kollege Klaus Haupt von der FDP-Fraktion.


Klaus Haupt (FDP):
Rede ID: ID1423608200
Herr Präsident! Liebe Kollegin-
nen und Kollegen! Die Untat von Erfurt hat alle Men-
schen in Deutschland mit Abscheu erfüllt. Zugleich sind
die Fragen nach den gesellschaftlichen Ursachen für sol-
che Verbrechen natürlich lauter geworden; denn Gewalt-
taten von Jugendlichen scheinen in den vergangenen Jah-
ren häufiger geworden zu sein.

Im Blickfeld der Debatte steht ganz besonders der Ju-
gendmedienschutz. Schon vor ziemlich genau vier Jahren

haben wir Liberalen gemeinsam mit unserem damaligen
Koalitionspartner die Probleme im Jugendmedienschutz
aufgezeigt. Leider ist nach dem Regierungswechsel auf
diesem Gebiet lange nichts mehr geschehen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Heute mutet uns die Bundesregierung zu, einen Ge-

setzentwurf zu beraten, der im Wesentlichen Medien-
schutzregelungen neu trifft. Diese wiederum sollen, da
zum Teil in Länderkompetenzen fallend, mit einem
Staatsvertrag geregelt werden, von dem noch nicht ein-
mal ein abgestimmter Entwurf vorliegt.

Im Bereich des „klassischen“ Jugendschutzes hat die
Frau Ministerin unter Umgehung des Parlaments einen
Arbeitsentwurf für gesetzliche Regelungen in der Öffent-
lichkeit ventiliert, den sie bald darauf als für diese Legis-
laturperiode nicht mehr relevant vertagte. Nun, nach der
Tat von Erfurt, liegt plötzlich doch noch der Entwurf für
ein Jugendschutzgesetz auf dem Tisch.

Über Gesetze, die unseren Kindern und Jugendlichen
die dringend notwendigen Freiräume, aber vor allem auch
Schutzräume in unserer Gesellschaft verschaffen sollen,
muss mit gebotener Gründlichkeit beraten und diskutiert
werden. Die Bundesregierung war lange Zeit untätig und
begann erst im vergangenen Jahr die notwendigen Ver-
handlungen mit den Ländern. Sie hat im Hinblick auf den
Jugendschutz gestern jene und heute diese Ideen an die
Öffentlichkeit, aber nicht in das Parlament gebracht. Nun,
nach Erfurt, soll der Bundestag eine Neuregelung durch-
peitschen, weil Mehrheiten der Koalition in Gefahr sind.


(V o r s i t z : Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer)


Nehmen wir uns doch bitte einfach die Zeit, solche
zentralen Fragen unserer Gesellschaft ohne Hektik zu be-
raten – und vor allem mit der Möglichkeit, den Sachver-
stand der Experten in unsere Überlegungen einzuarbeiten!


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das ist keine Frage der inhaltlich-politischen Meinung
oder des parteipolitischen Lagers, sondern eine grundsätz-
liche des Verhältnisses zwischen Regierung und Parla-
ment. Innerhalb von nur zehn Tagen Anhörungen, Fach-
ausschusssitzungen, zweite und dritte Lesung im Plenum
des Bundestages – das ist ein Zustand, der nicht hinnehm-
bar ist. Denn beim Jugendschutz sind viele schwierige
Sachfragen zu klären und Interessenabwägungen vorzu-
nehmen.

Der vorliegende Gesetzentwurf enthält begrüßens-
werte, richtige Punkte. So halten auch wir es für gut und
richtig, die freiwillige Selbstkontrolle zu stärken und die
Medien generell, also nicht nur Filme, zu kennzeichnen.
Damit wird die Erziehungskompetenz der Eltern gestärkt,
die anderenfalls mit der schweren Entscheidung über das,
was sie ihren Kindern und Jugendlichen erlauben oder zu-
muten möchten, allein gelassen werden. Einheitliche
Altersgrenzen sind ebenso vonnöten, wie bestimmte Ver-
bote erwägenswert sind. Nach der Harry-Potter-Diskus-
sion über die Altersgrenzen verstehe ich nicht – um nur
ein Detail zu nennen –, warum der Entwurf zwischen den




Grietje Bettin
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Altersgrenzen von sechs und zwölf Jahren keine weiteren
Zwischenstufen vorsieht.

Für außerordentlich fragwürdig und wenig praktikabel
halten wir die Idee, Kinowerbung für bestimmte Produkte
einer Altersgrenze zu unterwerfen. Die bisherige Selbst-
verpflichtung, wonach es im Nachmittagsprogramm keine
solche Werbung zu sehen gab, hat sich durchaus bewährt.
Es ist sinnvoller, hier mit einer Zeitgrenze zu arbeiten.
Denn die Neuerung in der Selbstverpflichtung, diese Zeit-
grenze auf 19 Uhr zu verschieben, verbessert die Schutz-
situation und trägt den veränderten Publikumsgewohnhei-
ten Rechnung.


(Beifall bei der FDP)

Letztlich helfen wir Kindern und Jugendlichen nicht,

wenn wir Kinowerbung generell verbieten. Außer der
Schädigung besonders der kleineren Filmtheater wird da-
mit nichts erreicht. In der realen Welt werden die Kinder
der Alkohol- und Tabakwerbung auch außerhalb von
Kinos begegnen.


(Beifall der Abg. Angela Marquardt [PDS])

Grundsätzlich gilt: Was im Handel erhältlich ist, muss
auch beworben werden dürfen. Kinder müssen darauf
vorbereitet werden, dass sie mit den alltäglichen Ver-
führungen durch die Werbung umgehen und sie kritisch
hinterfragen können.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die mit diesem Wer-
beverbot zusammenhängende Problematik des Tabakkon-
sums von Jugendlichen wird im Gesetzentwurf ebenso an-
gesprochen. Dass nach dem Rauchen in der Öffentlichkeit
nun auch der Tabakverkauf an Jugendliche verboten wer-
den soll, ist konsequent und überfällig. Es ist richtig, dass
das Jugendschutzgesetz in puncto Tabak verschärft und
beim Alkohol nicht verwässert wurde. Auch dass nun der
Automatenverkauf in das Blickfeld des Jugendschutzes
gerät, ist grundsätzlich nicht verkehrt. Allerdings werden
wir im Ausschuss noch darüber zu diskutieren haben, ob die
vorgeschlagenen Formulierungen tatsächlich sinnvoll sind.

Warum die Ministerin Bildschirmspielgeräte in der Öf-
fentlichkeit für Kinder ab sechs statt bisher für Jugendli-
che ab 16 Jahren freigeben will, ist mir unter dem Aspekt
des Jugendschutzes noch nicht recht klar geworden.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Entscheidend werden die Regelungen in Bezug auf die
neuen Medien sein. Dass die Ministerin einen Gesetzent-
wurf vorlegt, ohne dass der dazu notwendige, abgestimmte
Staatsvertrag zur Verfügung steht, ist wenig hilfreich.
Denn mit dem neuen Jugendschutzgesetz soll eine enge
Verzahnung der bundes- und landesrechtlichen Bestim-
mungen erreicht werden. Diese beiden Zahnräder können
aber nicht ineinander greifend gestaltet werden, wenn das
eine noch gar nicht vorhanden ist. Immerhin enthält der
Entwurf vernünftige Ansätze, etwa die Zuständigkeit der
Bundesprüfstelle für alle jugendgefährdenden Medien
und die grundsätzliche Gleichbehandlung von Filmen und
Computerspielen.

Besonders schwierig ist die Internetproblematik. Ju-
gendschutz wirft hier schon rein technisch komplizierte

Probleme auf. Nationale Alleingänge werden keine Lö-
sung bieten können. Angesichts der vielfältigen Vermark-
tungs- und Verbreitungsmöglichkeiten von Filmen sowie
des Zusammenwachsens von Telekommunikation, Com-
puter und digitalem Rundfunk ist eine Umorganisation
des Jugendmedienschutzes dringend notwendig. Der Ge-
setzentwurf bietet nur Ansätze zur Schaffung einer wirk-
samen Vernetzung von freiwilligen und öffentlichen
Kontrolleinrichtungen mit klaren Zuständigkeiten sowie
einheitlichen Kriterien. Der Auffassung der Praktiker im
Jugendschutz, dass nicht mehr Repression, sondern mehr
Präzision und Praktikabilität notwendig sind, kommt die-
ser Gesetzentwurf nur bedingt nach.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, gesetzlicher Jugend-
schutz kann isoliert betrachtet nur begrenzt vor schädli-
chen Einflüssen schützen. Entscheidend ist und bleibt, ob
die Erziehung unserer Kinder und Jugendlichen stark und
fit macht, mit den problematischen Aspekten des Lebens
in unserer Gesellschaft umzugehen.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1423608300
Herr Kollege,
denken Sie bitte daran, dass die Redezeit schon abgelau-
fen ist.


Klaus Haupt (FDP):
Rede ID: ID1423608400
Der Vermittlung von Medien-
kompetenz kommt dabei besondere Bedeutung zu. Schu-
len und besonders Eltern sind gefragt, den Kindern Wert-
maßstäbe zu vermitteln, Vertrauen aufzubauen, aber auch
Risiken zu verdeutlichen und Nutzungsgrenzen festzule-
gen.

Ich danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1423608500
Das Wort hat
jetzt die Kollegin Angela Marquardt.


Angela Marquardt (PDS):
Rede ID: ID1423608600
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Die Frau Ministerin Bergmann
hat es angedeutet: Der vorliegende Gesetzentwurf stellt
keine Reaktion auf die schreckliche Tat in Erfurt dar, son-
dern er war schon seit längerem angekündigt worden. So
bestand zumindest bei mir die Hoffnung, dass hier nicht
Populismus, sondern konstruktive Veränderungen im Vor-
dergrund stehen. Die EU-Kommission hat ja im April eine
Untersuchung vorgestellt, die zeigt, dass Deutschland ne-
ben Großbritannien bereits ein sehr scharfes Jugend-
schutzgesetz hat, die schärfsten Jugendschutzbestimmun-
gen in Europa. Insofern denke ich, dass es keinen Grund
dafür gibt, in hektischen Aktionismus zu verfallen.


(Beifall bei der PDS)

Lassen Sie mich deswegen zunächst etwas zu den Neu-

regelungen bezüglich der Alkohol- und Tabakwerbung
sagen. Es ist reiner Populismus, vorzuschreiben, in Kinos
vor 22 Uhr keine Alkoholwerbung zu zeigen. Das ist ja
richtig, aber solange auf jedem zweiten Fußballertrikot
und bei jeder Sportübertragung Alkoholwerbung auf den




Klaus Haupt

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(D)



(A)



(B)


Banden prangt und solange Papi am Herrentag mit Bier-
fass auf dem Bollerwagen durch die Gegend fährt


(Beifall bei der PDS)

und betrunken in die Runde ruft, ist es ziemlich banal, das
zu fordern. Alkohol spielt ja tagtäglich im Leben der El-
tern eine große Rolle. Gerade das Verhalten der Eltern ist
die erste Tabak- und Alkoholwerbung für Kinder. Man
muss schon selber vorleben, was man von den eigenen
Kindern verlangt.


(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der SPD)


Deswegen glaube ich, dass das Verschieben des Problems
ausgerechnet auf Werbung und insbesondere auf Kino-
werbung ein Ablenkungsmanöver darstellt. Es gibt genü-
gend Missstände in dieser Gesellschaft; manche fördern
auch Gewalt und manche fördern auch die so genannte
Verrohung. Es ist einfach zu billig, für alles die Medien
verantwortlich zu machen.

Verstehen Sie mich nicht falsch: Auch ich fordere
natürlich keinen Freibrief für die Medien; darum geht es
überhaupt nicht. Auch sie sind für die Vermittlung von
Werten verantwortlich. Aber ich möchte es an einem Punkt
ganz deutlich machen – unabhängig davon, wie man im
Detail zu Kriegseinsätzen steht –: Wer Filme verbieten
will, die Kriege verherrlichen, wer Gewalt verbieten will,
kann nicht an einer anderen Stelle Gewalt zur Lösung von
Konflikten darstellen, wie es jetzt wieder geschieht, in-
dem Krieg salonfähig geworden ist.


(Beifall bei der PDS sowie der Abg. Annelie Buntenbach [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Widerspruch bei der SPD – Fritz Rudolf Körper, Parl. Staatssekretär: So ein Schwachsinn!)


Auch ich denke, dass Kinder und Jugendliche vor po-
sitiver Darstellung von Gewalt geschützt werden müs-
sen, natürlich auch vor Kriegsverherrlichung und vor
Pornographie. Das ist überhaupt keine Frage. Es geht
hierbei natürlich nicht nur um Kinder. Die Zielgruppe
von Gewaltfilmen sind in erster Linie Erwachsene. Sie
konsumieren diese Filme, sie stellen diese Filme her, sie
produzieren sie und sie verdienen daran. Solange diese
Filme bzw. diese Gewalt zum Alltag von Erwachsenen
gehören, bleibt der Jugendschutz hilflos. Man sollte im-
mer genau hinschauen, wen man vor was schützen
möchte.

Ich nenne das Stichwort Kinderpornographie. In der
Begründung Ihres Gesetzentwurfes erklären Sie über drei
Absätze, warum es schädlich sei, wenn Kinder Kinder-
pornographie zu Gesicht bekämen. Natürlich ist es schäd-
lich, wenn Kinder Kinderpornographie zu Gesicht be-
kommen. Aber es sind auch Erwachsene, die sich das
ansehen.


(Beifall bei der PDS)

Kinder müssen nicht vor dem Internet geschützt wer-

den, vielmehr vor den Erwachsenen, die sie missbrauchen,
um diese Kinderpornographie im Internet darzustellen. Sie
sind Opfer von Vergewaltigungen. Der beste Jugendschutz
in diesem Zusammenhang ist, Kinder vor diesen Erwach-

senen zu schützen und die Verantwortung nicht nur auf das
Internet an sich abzuschieben.


(Wolfgang Gehrcke [PDS]: Sehr richtig!)

Deswegen finde ich es ein bisschen befremdlich – wir

haben schon in den Bundestagsausschüssen darüber dis-
kutiert –, dass Sie in Sachen Internet ausschließlich auf die
Institution „jugendschutz.net“ setzen; denn diese reduziert
das Internet häufig auf Gewalt und Kinderpornographie.
Das Internet besteht aus mehr. Es ist hier angesprochen
worden, dass es um Bildung und um Kompetenz im Um-
gang mit Medien geht.

Ich denke, wir müssen grundsätzlich fragen, was die
Ursache von Gewaltfaszination ist. Medien drücken
diese Gewaltfaszination natürlich aus. Aber als es solche
Filme und Computerspiele noch nicht gab, gab es natür-
lich auch Gewalt und die Gesellschaft war nicht weniger
gewalttätig. Deswegen finde ich es falsch, das Problem
ausschließlich auf Filme und Computerspiele zu reduzie-
ren. Auch das Mittelalter war nicht gewaltfreier oder zivi-
lisatorischer, obwohl es noch kein Fernsehen und keine
Computerspiele gab.

Die Medien sind eben nicht an allem schuld. Dennoch
kann es natürlich nicht falsch sein, zu verhindern, dass
Medien diese Gewaltfaszination der Gesellschaft noch
fördern und legitimieren; das ist überhaupt keine Frage.
Ich finde diese Punkte des Gesetzentwurfes richtig.

Es ist vor allen Dingen zu begrüßen, dass eine Verein-
fachung der Aufsichtsstrukturen stattfindet. Allerdings
habe ich mir die Liste der Verbände, die jugendgefähr-
dende Medien bzw. Inhalte ausfindig machen, angesehen.
Es sind, glaube ich, 36 Verbände, unter denen aber nur
zwei sind, die selber als Vertreter von jungen Menschen
fungieren. Wenn hier immer die Bildung und die Schule
angesprochen werden, dann frage ich mich, warum zum
Beispiel die Bundesschülervertretung nicht dabei ist, um
sich an dieser Diskussion zu beteiligen.


(Beifall bei der PDS)

Denn der beste Jugendschutz sind verantwortungsbewuss-
te Jugendliche. Der beste Jugendschutz findet statt, wenn
Jugendlichen Verantwortung übertragen wird, und nicht,
wenn man sie bevormundet.

Insofern hoffe ich, dass die Politik nicht ausschließlich
auf Repression setzt. Verbote hier, Verbote da, das ist dann
Jugendschutz. Wir müssen über Prävention und über Bil-
dung sprechen. Aber wir müssen eben auch über sinnvolle
Freizeitangebote sprechen.


(Beifall bei der PDS)

Genau diese fallen immer wieder Sparzwängen zum Op-
fer. Dann muss man sich nicht wundern, wenn Jugend-
liche in ihrer Freizeit an Bushaltestellen oder Spielauto-
maten rumhängen.


(Beifall bei Abgeordneten der PDS)

Repression schafft keine eigenverantwortlichen und

gemeinschaftsfähigen Persönlichkeiten, wie es in Ihrem
Entwurf zum Ausdruck gebracht wird. Das sollte aber in
der Tat das Ziel von Erziehung und Jugendschutz sein.
Denn selbstbewusste Persönlichkeiten, die eine gute Bil-




Angela Marquardt
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(D)



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(B)


dung genossen haben, brauchen keine Gewaltfantasien,
um sich wohl zu fühlen.


(Beifall bei der PDS)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1423608700
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Kerstin Griese.


Kerstin Griese (SPD):
Rede ID: ID1423608800
Frau Präsidentin! Meine Da-
men und Herren! Frau Kollegin Böhmer, ich finde es
schon ziemlich dreist, was Sie hier geboten haben. Wenn
man sich einmal die Fakten vor Augen hält – im Dezem-
ber 2001 waren sich der Bund und 15 Bundesländer über
die Eckpunkte und über einen Medienstaatsvertrag zum
Jugendmedienschutz einig und es war allein das Bundes-
land Bayern, das blockiert hat –, dann ist es schon dreist,
dass Sie hier von Verzögerung sprechen.


(Beifall bei der SPD)

Sie haben diese Blockadehaltung erst im März aufgege-
ben.

Ich muss auch sagen: So blumig von weiteren Schrit-
ten zu sprechen, die gemacht werden müssen, und nichts
Konkretes vorzuschlagen, das zeugt nicht davon, dass bei
Ihnen schon Vorbereitungen stattgefunden haben, um den
Jugendschutz zu verbessern. Wir arbeiten schon eine
ganze Weile daran und können deshalb als Regierungs-
fraktionen diesen Gesetzentwurf heute vorlegen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ein weiterer Punkt: Das Internet ist nicht erst 1998 er-
funden worden und wie Phönix aus der Asche gestiegen.
Das Internet gibt es schon sehr viel länger. 1985 ist die
erste Domäne im Internet registriert worden. Sie hatten
viele Jahre Zeit, den Jugendmedienschutz auch im Inter-
net zu regeln. Wir tun das jetzt.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich warne angesichts der aktuellen Debatte davor, die
Zusammenhänge so einfach darzustellen. Wer gewalt-
tätige Computerspiele spielt, wird automatisch gewalt-
tätig – so einfach ist das nicht. Meine Kollegin Bettin hat
uns dazu schon einiges gesagt. Ich glaube, wir müssen uns
noch sehr viel tiefer gehend mit den Ursachen von Gewalt
beschäftigen.

Wir werden jetzt als Erstes den Jugendschutz refor-
mieren. Den Gesetzentwurf dazu bringen wir heute ein.
Das Gesetz muss deshalb dringend reformiert werden,
weil es aus dem Jahr 1985 und in seinen Vorstellungen
völlig veraltet ist.

1985 wurde die erste Domäne im Internet registriert.
Damals konnten Jugendliche das Internet noch gar nicht
zu Recherchezwecken oder für Spiele benutzen. Ich habe
in dem Jahr noch ohne Computer Abitur gemacht; das
kann sich heute kaum noch jemand vorstellen. Ich habe
sogar die ersten Semester ohne Computer überstanden,
der eine oder andere hatte vielleicht einen Atari oder ei-
nen kleinen C64. Seitdem hat sich sehr viel verändert.
Meine Generation hat sehr schnell gelernt, mit Computern
und dem Internet umzugehen.

Unsere Gesellschaft hat sich zur Informationsgesell-
schaft entwickelt. Das Medienangebot steigt ständig. Es
gibt unzählige Computerspiele und weltweit schätzungs-
weise 600 Millionen E-Mail-Accounts. Diese Entwick-
lung wird weitergehen und – das sage ich ganz deutlich –
wir wollen sie auch nicht aufhalten; denn die Chancen der
Informationsgesellschaft sind vielfältig, die technischen
Entwicklungen sind rasant, nur der gesetzliche Jugend-
schutz hinkte hinterher. Und das ändern wir heute.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Die Konvertierbarkeit der Medien, die Übertragbarkeit
von Tönen, Bildern und Texten von einem Medium ins
andere stellt uns vor neue Herausforderungen. Man kann
nicht mehr einfach mit Alters- oder Zeitbeschränkungen
und Verboten agieren, wie das im Jugendschutz früher
üblich war. Die SPD-Fraktion arbeitet schon seit einiger
Zeit an der Reform des Jugendschutzes und handelt ins-
besondere im Bereich des Jugendmedienschutzes.

Die schreckliche Tat von Erfurt hat dazu geführt, dass
das Gesetzgebungsverfahren beschleunigt werden soll –
bislang übrigens auch auf Wunsch und mit Zustimmung
der Länder. Ich hoffe, dass wir uns fraktionsübergreifend
auf viele Punkte einigen werden.

Der Jugendschutz ist ein Beitrag, um Kinder und Ju-
gendliche vor Gewalt und Brutalität zu schützen. Ich
denke aber, dass wir gerade nach dem Ereignis von Erfurt
über die Ursachen von Gewalt in der Gesellschaft disku-
tieren müssen. Wir müssen über Gewalt in den Medien,
über Aggression und Frustration junger Menschen, über
den Schulalltag und den Umgang miteinander in den Fa-
milien sprechen.

Reden allein reicht allerdings nicht. Es muss gehandelt
werden. Ich will ein gutes Beispiel nennen. Die rot-grüne
Bundesregierung hat mit ihrem Programm „Jugend für
Toleranz und Demokratie“ sinnvolle Projekte gefördert:
Streitschlichterprogramme in Schulen, interkulturelles
Zusammenleben und die verstärkte Beteiligung von Ju-
gendlichen. Das sind sinnvolle Schritte; hier müssen wir
weitermachen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Zusammenhalt fördern und Gewalt ächten – das muss
der Konsens sein. Die SPD-Fraktion hat vorgeschlagen,
dass der Bundestag eine Enquete-Kommission zur um-
fassenden Untersuchung der Ursachen und zur Prävention
von Gewalt einsetzt. Das ist sinnvoll.

Brutalität und Gewalt in allen denkbaren Medien dür-
fen nicht auf Kinder einwirken, als sei das eine Möglich-
keit der Konfliktlösung. Darin sind wir uns alle einig. Ge-
rade in der modernen Mediengesellschaft brauchen Kinder
und Jugendliche einen festen Wertekanon und Normen,
die ihnen Orientierung geben. Deshalb regeln wir das im
Jugendschutz neu.

Wir beenden die Zersplitterung der Zuständigkeiten
im Medienbereich. Vieles hörte sich heute so an, als könnte
man einfach schnell ein Bundesgesetz beschließen. Wenn
Sie den Föderalismus kennen, wissen Sie, dass die Länder




Angela Marquardt

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(B)


hier ihre Kompetenzen haben. Deshalb werden wir ge-
meinsam mit einem Staatsvertrag der Länder das Jugend-
schutzgesetz neu regeln müssen. Wir ändern die völlig
veraltete Zersplitterung in Teledienste und Mediendiens-
te, die für Menschen, die mit dem Computer aufgewach-
sen sind, nicht mehr nachvollziehbar ist.

Wir unterscheiden zwischen Offline- und Online-
medien. Das ist ganz einfach: Wenn ich ein Buch, ein
Video oder eine CD-ROM in den Händen halte, bin ich
offline, denn es handelt sich um ein so genanntes Träger-
medium. Bei den neuen Onlinemedien, wenn zum Bei-
spiel ein Text oder ein Spiel ins Internet gestellt wird, han-
delt es sich um ein Telemedium.

Ich will deutlich sagen, dass der Vorwurf in Ihrem
ziemlich inhaltsleeren und polemischen Antrag, wir wür-
den schwer jugendgefährdende Trägermedien nicht
verbieten, falsch ist. Ich bitte Sie, sich § 15 unseres Ent-
wurfs genau anzusehen; denn wir stellen sogar das Zu-
gänglichmachen von schwer jugendgefährdenden Träger-
medien unter Strafe. Sie werfen uns vor, wir würden die
Verbreitung nicht verbieten. Ich bitte Sie daher, das noch
einmal nachzulesen.

Eine ganz wichtige Neuerung in unserem Gesetzent-
wurf ist die Alterskennzeichnung. Wir kennen sie von
Filmen und Videos. Genauso müssen jetzt auch Compu-
terspiele mit einer Alterskennzeichnung versehen werden.
Gerade hier zeigt sich, dass der Jugendschutz Normen set-
zen muss.

Wenn Sie im Internet agieren, wissen Sie, dass es tech-
nisch möglich ist, sich jederzeit alles, auch jugendgefähr-
dende Dinge, aus dem Internet zu laden. Das ist besonders
deshalb ein Problem, weil vieles, was sogar strafrechtlich
relevant oder jugendgefährdend ist, aus dem Ausland ins
Internet eingespeist wird. Deshalb sind hier internationale
Lösungen notwendig. Dafür setzen wir uns ein. Ich plä-
diere dafür, dass wir den UNESCO-Gipfel zur Informa-
tionsgesellschaft dazu nutzen, um auch auf internationaler
Ebene nach Lösungen zu suchen, damit Rassismus und
Gewaltverherrlichungen im Internet verhindert werden.


(Beifall bei der SPD)

Die neue Alterskennzeichnung, die wir einführen wer-

den, gibt Eltern, Lehrern und Erziehern einen Anhalts-
punkt dafür, welche Spiele und Seiten geeignet sind.
Danach können sie sich richten. Das stärkt die Erzie-
hungskompetenz der Eltern, Erzieher und Lehrer.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Außerdem wird den Händlern damit verboten, Spiele an
Jugendliche abzugeben, die jünger als das entsprechend
kenntlich gemachte Alter sind. Das heißt, die Händler
werden bestraft, wenn sie dieses Verbot nicht beachten.
Damit haben wir diese Regelung eindeutig verschärft.

Alterskennzeichnungen, positive Ratings und Indizie-
rungen sind für die Entwicklung nutzerautonomer Filter-
systeme hilfreich. Das bedeutet, dass ein Nutzer, zum Bei-
spiel eine Schule, eine Jugendeinrichtung oder ein
Elternhaus, in sinnvoller Weise Filter einsetzen kann.
Diese sollen die Kinder und Jugendlichen schützen und
tragen dazu bei, dass ihnen das Internet nicht verboten
werden muss. Wir unterstützen auch den Aufbau von In-

ternetportalen für Kinder, die dem Kinderkanal im Fern-
sehen ähnlich sind. Es wäre sinnvoll, ein solches Angebot
auch im Internet zu haben.

Wer mit dem Internet arbeitet oder spielt, muss diffe-
renzieren, also zwischen Realität und Fiktion unterschei-
den können. Ansonsten können Computerspiele Auslöser
sein. Ich glaube nicht unbedingt, dass sie die einzige Ur-
sache sind, aber sie können ein Auslöser für Gewaltbereit-
schaft sein. Deshalb ist Medienkompetenz so wichtig.

Mit dem Programm „Schulen ans Netz“ haben wir es
geschafft, dass Schülerinnen und Schüler ins Internet ge-
hen können. Wir werden das in den nächsten vier Jahren
mit dem Programm „Jugendarbeit ans Netz“ fortsetzen.
Mit diesem sollen die 50 000 Jugendfreizeiteinrichtungen
in Deutschland ans Netz gebracht werden. Das ist beson-
ders aus sozialen Gründen wichtig, damit allen Jugend-
lichen die Chance gegeben wird, den verantwortlichen
Umgang mit den neuen Medien zu erlernen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich will nur kurz eine weitere Neuerung in unserem Ju-
gendschutzgesetz erwähnen – meine Kollegin Uta Titze-
Stecher wird darauf noch ausführlicher eingehen –: Wir
werden die Abgabe von Tabak und Zigaretten an Ju-
gendliche unter 16 Jahren verbieten. Das ist eine folge-
richtige Konsequenz; denn schon jetzt ist das Rauchen in
der Öffentlichkeit für Jugendliche unter 16 Jahren verbo-
ten. Wir nehmen jetzt auch die Händler sowie die Auto-
maten- und Zigarettenindustrie in die Verantwortung. Wir
wissen, dass die technische Umgestaltung möglich ist.

Auch bei der Kinowerbung für Alkohol und Ziga-
retten schlagen wir Verbesserungen vor. Über die Details
werden wir uns im Ausschuss und in der Beratung noch
unterhalten. Unser Ziel ist es, den Gesundheitsschutz von
Kindern und Jugendlichen noch effektiver gestalten zu
können. In welcher Form das geschieht, ob mit Alters-
oder Uhrzeitbeschränkung, darüber werden wir sicherlich
noch diskutieren.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es geht uns um eine
qualitative Verbesserung des Jugendschutzes. Wir wollen
Kinder und Jugendliche vor den Problemen und Gefahren
unserer Gesellschaft nicht verstecken und ihnen nicht al-
les verbieten. Wir wollen sie in die Gesellschaft integrie-
ren. Wir wollen sie vor den Gefahren, mit denen sie nicht
umgehen können, schützen. Wir bieten Jugendlichen
Chancen für ihre Zukunft. Dazu gehören zum Beispiel die
Chance auf einen Ausbildungs- oder Arbeitsplatz und die
Chance auf ein friedliches Zusammenleben in der Gesell-
schaft. Auch die Reform des Kinder- und Jugendschutzes,
mit der wir, wie gesagt, gern schon früher begonnen hät-
ten, gehört dazu. Diese wurde vom Bundesland Bayern
aber blockiert.

Sie sehen, dass wir jetzt etwas tun. Wir stellen uns der
Verantwortung und verbessern den Kinder- und Jugend-
schutz. Ich würde mich freuen, wenn wir hier eine breite
Zustimmung erhalten würden.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)





Kerstin Griese
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Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1423608900
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Maria Eichhorn.


Maria Eichhorn (CSU):
Rede ID: ID1423609000
Frau Präsidentin!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das schreck-
liche Ereignis von Erfurt macht uns alle fassungslos. Wie
kann so etwas passieren und wie kann es in Zukunft ver-
hindert werden? Diese Fragen haben wir uns alle gestellt.
Schuldzuweisungen helfen nicht weiter. Mir ist es ein An-
liegen, allen Eltern und Erziehern zu danken. Die große
Mehrheit von ihnen widmet sich sehr verantwortungsvoll
der Erziehung von Kindern und Jugendlichen.

Es ist sicherlich richtig zu reagieren. Mit vorschnellem
Aktionismus werden die Wurzeln des Problems aber nicht
beseitigt. Schwerpunkt der Reform des Jugendschutzes
muss die Prävention sein. Seit Beginn der Regierungszeit
von Rot-Grün hat die Union die dringende Reformbe-
dürftigkeit des Kinder- und Jugendschutzes angemahnt.
Wenn Sie jetzt wegen Ihres Nichthandelns auf die Länder
verweisen, ist das eines Ihrer typischen Ablenkungs-
manöver. In Ihrem Zuständigkeitsbereich hätten Sie doch
handeln können. Sie sind doch nicht erst seit einem Jahr,
sondern nun schon fast vier Jahre an der Regierung.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Kerstin Griese [SPD]: Sie waren 16 Jahre an der Regierung!)


– In den 16 Jahren haben wir 1997 mit dem Informations-
und Kommunikationsdienste-Gesetz einiges getan. Den
Vorwurf können Sie uns nicht machen.

In unserer Gesellschaft ist eine wachsende Gewalt-
bereitschaft gerade auch bei der jüngeren Generation zu
erkennen. Dieser müssen wir entschieden entgegentreten.
Wir brauchen dazu eine breite Allianz gegen jede Form
von Gewalt und deren hemmungsloser Darstellung. Wir
müssen Jugendliche gegen Gewalt stark machen. Beides
ist wichtig.

Die Erziehung der Kinder durch die Eltern hat höchs-
te Priorität. Daher ist die Stärkung der elterlichen Erzie-
hungskompetenz eine besonders drängende Aufgabe.
Hier hat die CDU/CSU ein überzeugendes Konzept im
Rahmen ihrer Familienoffensive ausgearbeitet. Feste in-
nerfamiliäre Beziehungen, die auch Belastungen stand-
halten, geben Kindern und Jugendlichen das nötige
Selbstwertgefühl und Vertrauen in die Zukunft. So kön-
nen sie sich auch gegenüber Gewalt besser abgrenzen.

Gute Eltern verstehen sich ihrem Kind gegenüber als
Partner, aber auch als Autorität, die Grenzen aufzeigt. Die
Vermittlung von Werten wie Toleranz, Aufrichtigkeit,
Respekt und Füreinander-Einstehen gehören untrennbar
dazu. Dabei müssen die Eltern diese Werte natürlich vor-
leben, wenn sie überzeugen wollen. Durch den raschen
gesellschaftlichen Wandel und auseinander fallende Wert-
vorstellungen steigen die Anforderungen an das partner-
schaftliche Zusammenleben und an die Eltern-Kind-Be-
ziehungen.

Erziehungskompetenz bedeutet auch Medienkompe-
tenz. Eltern muss klar sein, dass sowohl Filme wie auch
Computerspiele, die Gewalt zum Inhalt haben, verhee-

rende Auswirkungen auf ihre Kinder haben können. Es
gibt inzwischen eindeutige wissenschaftliche Hinweise,
dass auch virtuelle Gewalt in erschreckender Weise ab-
stumpfen lässt. Als Folge gehen Mitgefühl und Mitleids-
fähigkeit verloren.

Für einen wirksamen Jugendschutz ist eine enge Zu-
sammenarbeit zwischen Eltern, Kindern, Bildungseinrich-
tungen und Beratungsstellen wichtig. Allen gesellschaft-
lichen Kräften – Politik, Kirchen, Verbänden, Eltern und
Erziehern, aber auch und gerade der Medienwirtschaft –
muss der Kinder- und Jugendschutz eine Herzenssache
sein.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Bayern wird zurzeit von Ihnen besonders beobachtet.


(Kerstin Griese [SPD]: Wir sind doch nicht die Stasi!)


Daher kennen Sie sicherlich die schon lange bestehende
Forderung Bayerns nach einem Vermiet- und Verleihver-
bot für schwer jugendgefährdende Bildträger, einer ver-
bindlichen Alterskennzeichnung von Video- und Compu-
terspielen sowie einem vollständigen Verbot so genannter
Killerspiele.


(Kerstin Griese [SPD]: Haben wir alles in den Entwurf aufgenommen!)


Das hätten Sie schon längst machen können. Noch am
Ende der letzten Legislaturperiode haben wir während un-
serer Regierungszeit einen Antrag für einen erweiterten
und verbesserten Jugendschutz im Deutschen Bundestag
verabschiedet. Dies war ein Auftrag an die neue Bundes-
regierung, aber diesem Auftrag ist die Bundesregierung
bisher nicht nachgekommen. Die Kriterien und Maßstäbe
des Jugendschutzes müssen den Grund- und Wertvorstel-
lungen der Gesellschaft entsprechen.

Erst vor kurzem wurde ein Gesetzentwurf zum Ju-
gendschutz zurückgezogen. Die Jugendministerin musste
ihn zurücknehmen; denn die Fachverbände hatten ihn zu-
recht heftigst kritisiert, weil er Lockerungen im Bereich
der Ausgehzeiten für 14- bis 16-Jährige vorsah, die un-
verantwortlich waren und keinesfalls einem verantwor-
tungsvollen Jugendschutz entsprachen. Statt Grenzen zu
setzen, wurde die geänderte Lebenswirklichkeit einfach
zum Gesetz gemacht. Damit machen Sie es sich zu leicht.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Der nun vorliegende Gesetzentwurf genügt nicht den

Anforderungen an ein übersichtliches, organisiertes und
vernetztes Schutzsystem. Es fehlen eindeutige Zuständig-
keitsregelungen für Jugendämter, für Ordnungs- und Ge-
werbeaufsichtsämter sowie für die Polizei. Eltern müssen
sich darauf verlassen können. Das wird mit Ihrem Gesetz
nicht der Fall sein. Sie entziehen sich damit erneut Ihrer
politischen Verantwortung.

Novellierung des Jugendschutzes muss Stärkung des
Jugendschutzes bedeuten. Kinder und Jugendliche brau-
chen für ihre Persönlichkeitsentwicklung geschützte
Räume. Der Jugendschutz muss ein Garant dafür sein.
Dazu leistet dieser Gesetzentwurf einen zu geringen Bei-
trag.






(C)



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(A)



(B)


Die Union fordert ein klares und übersichtliches Ju-
gendschutzgesetz mit eindeutigen Zuständigkeitsregelun-
gen.


(Zuruf von der SPD: Ihr habt noch nie etwas Konkretes vorgelegt!)


Zudem ist die Förderung des erzieherischen Jugendme-
dienschutzes notwendig. Auch müssen die Voraussetzun-
gen zur Stärkung der Eltern und der Erziehungskompetenz
geschaffen werden. Ich denke hierbei insbesondere an eine
Verstärkung der Familienbildungsangebote zur Gewalt-
prävention und an die bessere Vernetzung von Schule und
Elternhaus. Wenn sich Eltern überfordert fühlen, muss ih-
nen die Möglichkeit der Beratung offen stehen. Dem Ge-
sichtspunkt der Prävention ist in diesem Gesetzentwurf zu
wenig Rechnung getragen worden.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, Seneca meinte mit Blick

auf die Rolle der Erzieher: Alles, was noch nicht erstarkt
ist, richtet sich nach seiner Umgebung. – Nutzen wir un-
sere Möglichkeiten, diese Umgebung zukunftsorientiert
und geschützt zu gestalten.


(Beifall bei der CDU/CSU – Jörg Tauss [SPD]: Zukunft, aber nicht vorgestern!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1423609100
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Uta Titze-Stecher.


Uta Titze-Stecher (SPD):
Rede ID: ID1423609200
Frau Präsidentin! Liebe Kol-
leginnen und Kollegen! Bevor ich mich dem Thema zu-
wende, zu dem ich sprechen werde, nämlich einem Teilas-
pekt der Neuregelung des Jugendschutzes, dem Rauchen in
der Öffentlichkeit nach § 10 des Entwurfs des Jugend-
schutzgesetzes, möchte ich die Gelegenheit ergreifen, zu
Ihren Äußerungen Stellung zu nehmen, Herr Haupt. Es ist
eine Legende, wenn Sie sagen, die derzeitige Regierung
und die sie tragenden Koalitionsfraktionen hätten sich mit
der im Bereich des Jugendschutzes nötigen Novellierung
nicht befasst.


(Jörg Tauss [SPD]: Das ist keine Legende, sondern eine Frechheit! Eine plumpe Frechheit!)


Gerade die Existenz eines Gruppenantrags zu einem Teil-
bereich des Jugendschutzes stellt den exemplarischen Be-
weis dafür dar, dass bereits Überlegungen in diesem Be-
reich angestellt wurden.


(Zuruf von der CDU/CSU: Der Kollege Haupt hat Recht gehabt!)


Uns als Gruppe wurde nämlich gesagt: Wartet ein biss-
chen; wir kommen schon noch mit einem Gesamtkunst-
werk; wir wollen nämlich die zersplitterten Zu-
ständigkeiten regeln, und dann macht es Sinn, auch den
Teilbereich „Rauchen in der Öffentlichkeit“ für Jugendli-
che mit zu regeln.


(Zuruf von der CDU/CSU: Sehr wohl! Ganz richtig!)


Im Vertrauen darauf, dass man sich im Bereich des Ju-
gendschutzes interfraktionell leichter und schneller eini-

gen könnte, haben wir abgewartet und die Regelung eines
gesetzlichen Nichtraucherschutzes für die Arbeitsstätten
vorgezogen. Nun aber erkenne ich angesichts der Debatte,
der ich eben zuhören konnte, dass die Aussicht auf eine
gemeinsame Linie, die die Ministerin zu Recht erhofft hat,
sehr schlecht geworden ist. Deshalb haben wir uns Anfang
des Jahres gedacht, dass wir, wenn wegen des Wider-
stands der Länder bzw. wegen des Kompetenzgerangels
im Medienbereich nichts zu erwarten ist, mit der Unter-
schrift von 175 Kollegen einen Antrag in den Bundestag
einbringen und den unstrittigen Bereich regeln, nämlich
die Abgabe von Zigaretten bzw. Tabakwaren an Ju-
gendliche unter 16 und damit verbunden auch den Zu-
gang über die Automaten. Es macht schließlich keinen
Sinn, das Rauchen in der Öffentlichkeit zu verbieten, wie
es 1985 im Zusammenhang mit der Vorlage zum Jugend-
schutz geregelt wurde, aber zu vergessen – das ist meiner
Meinung nach eine echte Lücke, die die Vorgängerregie-
rung zu verantworten hat –, dieses Verbot um ein Verbot
des Zugangs zu ergänzen. Sie haben etwas vorgelegt, zu
dem in der Tat Regelungsbedarf besteht. Wir als Gruppe
sind dankbar dafür, dass die rot-grünen Koalitionsfraktio-
nen, unterstützt durch die Bundesregierung, immerhin
diesen Bereich als unstrittig ansehen.

Ich möchte ein paar Anmerkungen zu der Notwendig-
keit des Gesetzes machen. Es ist schon erwähnt worden,
dass zum ersten Mal seit 20 Jahren – das hat die Kollegin
Griese betont – ein Anstieg der Zahl von Rauchern im Al-
ter unter 16 Jahren zu verzeichnen ist. Deutschland ist in
diesem Bereich Spitze. Das ist durchaus kein Kompliment,
sondern muss Anlass zur Besorgnis geben. Wir stellen fest,
dass das Einstiegsalter für Jugendliche in eine „Raucher-
karriere“ immer weiter sinkt, und zwar von 13,5 auf
12,5 Jahre. Das ist deswegen so besorgniserregend und mit
ein Grund für den vorliegenden Gesetzentwurf, weil man
heute aufgrund unbestrittener wissenschaftlicher Erkennt-
nisse weiß, dass Rauchen Gesundheitsschädigungen nach
sich zieht. Die Korrelation „Je früher mit dem Rauchen be-
gonnen wird, desto schwerwiegender sind die späteren ge-
sundheitlichen Beeinträchtigungen“ wird wohl niemand
bestreiten wollen. Deswegen sind wir der Meinung, dass es
an der Zeit ist, Jugendlichen und Kindern unter 16, die die
Langzeitfolgen von ständigem Rauchen trotz massiver
Präventionsmaßnahmen überhaupt nicht abschätzen
können – ich kann nicht alle aufzählen, weil meine Rede-
zeit auf 5 Minuten begrenzt ist; verschiedene Ressorts, al-
len voran das Bundesgesundheitsministerium, haben eine
ganze Menge getan, um den Bereich der Prävention zu stär-
ken –, den Zugang zu Zigaretten zu erschweren.

Vor diesem Hintergrund sehen wir auch unsere jetzige
Initiative. Wenn den unter 16-Jährigen nicht nur das Rau-
chen in der Öffentlichkeit verboten, sondern auch der Zu-
gang zu Zigaretten zumindest erschwert wird, dann sind
wir auf der sicheren Seite, wenn es darum geht, das Rau-
chen in der Öffentlichkeit zu minimieren. Herr Haupt,
Sie haben, wenn auch in einem anderen Zusammenhang,
darauf verwiesen, dass Missbrauch immer möglich sei.
Dazu kann ich nur sagen: Selbstverständlich kann ein Ju-
gendlicher unter 16 seinen älteren Freund bitten, ihm eine
Packung Zigaretten aus dem Automaten zu ziehen. Wir
haben aber in jahrelangen Gesprächen mit der Automa-




Maria Eichhorn
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(D)



(A)



(B)


tenindustrie festgestellt – Sie wissen, der jetzige Anlauf ist
bereits der dritte Versuch, den Nichtraucherschutz gesetz-
lich zu verankern; ich hoffe, dass dieser Versuch erfolg-
reich sein wird –, dass die Industrie selbst aus Gründen
der Sicherheit – Sie wissen ja, dass die Aufbruchssicher-
heit der Automaten ein wichtiges Thema für die Industrie
ist – an Systemen arbeitet, die nur noch Zugang über
Chipkarten erlauben. Man könnte in diese Systeme Vor-
kehrungen einarbeiten, die es verhindern, dass Jugendli-
che unter 16 Zugang zum Zigarettenautomaten haben.
Wir räumen der Automatenindustrie im vorliegenden Ge-
setzentwurf mit Rücksicht nicht nur auf die Kosten der
Umstellung der Automaten, sondern auch auf die Prakti-
kabilität – bis jetzt gibt es nur Pilotprojekte in der Bun-
desrepublik – eine relativ großzügige Übergangsfrist ein.

Wir schreiben den Chipzugang auch nicht gesetzlich
vor. Wir legen lediglich fest: Es ist durch Aufsicht oder
durch entsprechende technische Vorrichtungen Jugend-
lichen unter 16 der Zugang zu Zigaretten unmöglich zu
machen oder zumindest zu erschweren. Wie das in der
Praxis umgesetzt wird, ob der Zigarettenautomat in der
Nähe der Toilettentür, wo ihn niemand mehr sieht, oder
vorne im Eingangsbereich angebracht wird, bleibt dem
Gastwirt überlassen. Es muss auf jeden Fall gewährleistet
sein – ich sehe am Blinken der roten Lampe, dass ich zum
Schluss kommen muss –, dass dem Anliegen des Gesetz-
gebers, das heißt der interfraktionellen Gruppe und auch
der rot-grünen Koalitionsfraktionen, Rechnung getragen
wird. Wir denken, dass dies sowohl durch den Gesetzent-
wurf als auch durch den interfraktionellen Gruppenantrag
bestens gewährleistet ist.

Ich freue mich auf die Debatte im Ausschuss und sage
mit Dankbarkeit, dass wir mit dem vorgelegten Gesetz-
entwurf sicherlich bald am Ziel sein werden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1423609300
Zu einer Kurz-
intervention gebe ich das Wort dem Kollegen Haupt.


Klaus Haupt (FDP):
Rede ID: ID1423609400
Verehrte Kollegin Titze-Stecher,
da Sie mich persönlich angesprochen haben, möchte ich
Ihnen auch persönlich antworten.

Ich habe nicht gesagt, die Bundesregierung sei untätig
gewesen. Ich habe an zwei Stellen meiner Rede darauf
hingewiesen, dass die Bundesregierung lange untätig ge-
wesen sei. Vielleicht verstehen Sie und ich nur etwas an-
deres unter schnell und langsam. Das kann ich kurz bele-
gen: 1998 sind Sie an die Regierung gekommen und
wollten handeln. Sie haben im Jahr 2001 – das war sozu-
sagen in Ihrer zweiten Halbzeit – die Verhandlungen mit
den Ländern begonnen. Das Ziel war, im Dezember des
vergangenen Jahres zum Ende zu kommen. Damals
konnte von Verschleppung noch keine Rede sein. Im De-
zember 2001 stellte sich heraus, dass der Termin nicht zu
halten ist. Es musste nachverhandelt werden. Am 8. März
2002 ist schließlich die vertragliche Vereinbarung zu-
stande gekommen. Die Mär von der langzeitigen Ver-
schleppung ist also falsch. Die Behauptung, die Sie mir
jetzt unterstellt haben, stimmt auch nicht.

Ich möchte zum Schluss sagen: Mir gefiel Ihr Engage-
ment, das Sie bei dem interfraktionellen Gruppenantrag
gezeigt haben. Deswegen habe ich ganz bewusst in mei-
ner Rede darauf hingewiesen, dass wir im Ausschuss über
Details, wie zum Beispiel der Zugang zu Zigaretten am
besten erschwert werden kann, fachlich und sachlich
debattieren sollten. Die Richtigstellung war mir aber
wichtig.


(Beifall bei der FDP)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1423609500
Wird eine Ant-
wort gewünscht? – Das ist nicht der Fall. Dann hat jetzt
der Abgeordnete Werner Lensing das Wort.


Werner Lensing (CDU):
Rede ID: ID1423609600
Frau Präsidentin!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das, was wir
seitens der interfraktionellen Nichtraucherschutz-
initiative – für diese spreche ich – in den letzten dreiein-
halb Jahren geleistet haben, war sehr beachtlich;


(Beifall der Abg. Uta Titze-Stecher [SPD])

denn wir befanden uns in der Situation, dass es, bei aller
Einsichtsbereitschaft und -fähigkeit, sehr viel Widerstand
dagegen gab, den Schaden, der durch das Rauchen ent-
steht, für alle, gleich welchen Alters, objektiv einzuschät-
zen.

Ich erinnere an die Novellierung der Arbeitsstättenver-
ordnung, die wir angeregt haben. Es hat dann allerdings
– da muss ich Herrn Haupt Recht geben – sehr lange ge-
dauert, bis die Regierung bereit war, unsere Vorschläge
umzusetzen, wobei die Schwierigkeit hinzukam, mit den
Bundesländern verhandeln zu müssen, aber wir haben
letztlich eine entsprechende Novellierung erreicht.

Seit rund 75 Jahren ist Nichtraucherschutz in Deutsch-
land ein Thema. So wurde vor 75 Jahren beispielsweise
das erste Nichtraucherschutzabteil in Zügen der Reichs-
bahn eingerichtet.

Bei alledem ist mir aber Folgendes wichtig: Wir haben
bei unserer Arbeit in der interfraktionellen Nichtraucher-
schutzinitiative nie, nicht einmal im Traum, daran ge-
dacht, Raucherinnen und Raucher zu diskriminieren. Das
tue ich bis heute nicht und ich bin mir sicher, dass keiner
in unserer Gruppe so etwas tut.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wir haben aber immer erklärt, dass es uns um diejenigen
geht, die unfreiwillig mitrauchen müssen, weil der Tole-
ranzgedanke, den jeder groß preist, in der Praxis bedauer-
licherweise keine Substanz hat.

Wenn wir uns heute hier dem Jugendschutz zugewen-
det haben – das haben wir im Übrigen schon seit zwei Jah-
ren getan in entsprechenden Verhandlungen mit Vertre-
tern der Zigarettenindustrie, der Tabakindustrie sowie der
Automatenindustrie – und an dieser Stelle gesagt haben,
es sei das Wichtigste, dass die Jugendlichen und gegebe-
nenfalls sogar schon die Kinder von Grund auf zu schüt-
zen sind, dann ist das genau das, was man von uns zu
Recht erwartet.


(Beifall des Abg. Eckart von Klaeden [CDU/CSU] sowie der Abg. Uta Titze-Stecher [SPD])





Uta Titze-Stecher

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(D)



(A)



(B)


Von daher bin ich sehr froh, dass auch die Automaten-
industrie, für die es unter anderem ein Rechenexempel
war, ihre Automaten umrüsten zu müssen, große Bereit-
schaft gezeigt hat, einen Großteil ihrer Automaten in dem
Sinne, wie wir uns das erhofft haben, umzurüsten. Das er-
kenne ich hier ausdrücklich an.

Es kann doch nicht wahr sein, dass wir im Jugend-
schutzgesetz eine Vielzahl von Regelungen bezüglich der
Ausgabe von Alkohol an Kinder und Jugendliche unter
16 Jahren haben und keinerlei Regelung im Hinblick auf
die Abgabe von Tabak aller Art. Wenn es nun heißt, sol-
che Regelungen seien nicht realistisch, weil man angeb-
lich nicht alles so genau regulieren könne, dann muss ich
deutlich sagen, dass wir hiermit eine zuverlässige Bremse
eingebaut haben; denn mir kann keiner erzählen, dass alle
Jugendlichen von heute mit den Chip- oder Scheckkarten
der Eltern herumrennen. Das stimmt nicht. Und wenn ge-
sagt wird, wir hätten eine gültige Regelung im Hinblick
auf die Abgabe von Alkohol, dann müssen wir zugeben,
dass es auch hier Möglichkeiten, – zum Beispiel durch die
Nutzung des väterlichen Weinkellers – gibt, dagegen zu
verstoßen.

Was aber viel entscheidender ist, ist die Tatsache, dass
wir Erwachsenen – das ist jedenfalls meine Beobachtung –
uns ganz hilflos verhalten, wenn wir feststellen, dass be-
reits Acht- und Neunjährige rauchen. Wir dürfen uns nicht
der Tatsache verschließen, dass bereits 14-Jährige an
Acht-, Neun- und Zehnjährige die Zigaretten einzeln ver-
kaufen und damit einen schwunghaften Handel betreiben.
Wir dürfen auch nicht verleugnen, dass an bestimmten Ver-
kaufsstellen tatsächlich Zigaretten abgezählt ausgeteilt
werden, weil Jugendliche es nicht wagen, sich zu Hause mit
einer dicken Schachtel Zigaretten sehen zu lassen. Ich sage
die Dinge so, wie sie sind. Aber entscheidend ist für mich –
das muss man doch sehr deutlich sagen –, dass wir – Frau
Kollegin Titze-Stecher hat darauf hingewiesen – eine trau-
rige Erkenntnis nach wie vor beachten müssen. Diese lau-
tet unwidersprochen und auch durch die Medizin bewie-
sen, dass derjenige, der sehr früh anfängt zu rauchen,
anschließend die größten Probleme hat, von diesem sei-
nem Laster wieder loszukommen.


(Wolfgang Gehrcke [PDS]: Das stimmt!)

Insofern besteht dort eine Fürsorgepflicht. Wir müssen
an der Basis anfangen.

Noch ein letzter Gedanke.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1423609700
Aber bitte nur
ein letzter Satz.


Werner Lensing (CDU):
Rede ID: ID1423609800
Ihnen zuliebe, ja, Frau
Präsidentin.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Auch uns zuliebe!)


Alle Kinder tragen ein Schild mit der Aufschrift „Ich will
ernst genommen werden“. Dass dies unsererseits viel zu
wenig passiert, ist für mich eine der Hauptursachen für so
manche Probleme der Jugend unserer Zeit. Deswegen be-

steht hier Handlungsbedarf. Daher werbe ich für diese
Idee.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD, der FDPund des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1423609900
Danke schön.
Damit schließe ich die Aussprache. Interfraktionell wird
Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 14/9013,
14/8956 und 14/9027 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu ander-
weitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann sind die
Überweisungen so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 7 auf.
Zweite und dritte Beratung des von dem Abgeord-
neten Wolfgang Bosbach und der Fraktion der
CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes zur Änderung des Versammlungsgesetzes
– Drucksache 14/4754 –

(Erste Beratung 159. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Innenaus-
schusses (4. Ausschuss)

– Drucksache 14/6625 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Dieter Wiefelspütz
Dr. Hans-Peter Uhl
Cem Özdemir
Dr. Edzard Schmidt-Jortzig
Petra Pau

Nach interfraktioneller Vereinbarung ist für die Aus-
sprache eine halbe Stunde vorgesehen. Kein Wider-
spruch? – Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst der
Abgeordnete Dr. Hans-Peter Uhl.


Dr. Hans-Peter Uhl (CSU):
Rede ID: ID1423610000
Frau Präsidentin!
Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! So wie bei
der aktuellen Debatte um die Verschärfung des Waffen-
rechts anlässlich der schrecklichen Geschehnisse in Erfurt
muss auch bei der hier in Rede stehenden Verschärfung
des Versammlungsrechts gefragt werden: Welche Pro-
bleme können wir mit dem geltenden Recht lösen und wo
muss das Gesetz nachgebessert werden?

Die besten Gesetze nützen nichts, wenn sie nicht kon-
sequent angewendet werden. Gerade unlängst zeigte sich
ein hervorragendes Beispiel dafür, nämlich die gewalt-
tätige „revolutionäre 1.-Mai-Demonstration“ in Ber-
lin.Auf unverantwortliche Weise hat der SPD-Innensena-
tor die betroffenen Berliner Bürger dem Straßenterror
schutzlos ausgesetzt.


(Wolfgang Gehrcke [PDS]: Was? Das glauben Sie doch selbst nicht!)


Die polizeibekannten Rädelsführer der autonomen
Szene hatten bereits Tage vorher zu Gewalt aufgerufen.




Werner Lensing
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(B)


Übrigens, wenn die SPD – die Berliner SPD wohlge-
merkt – bereit gewesen wäre, den Unterbindungsge-
wahrsam, den wir in Bayern auf 14 Tage erstrecken, der
in Berlin aber nur zwei Tage Gültigkeit hat, auf 14 Tage
auszuweiten, dann hätte man die polizeibekannten Kri-
minellen der Berliner autonomen Szene rechtzeitig hin-
ter Schloss und Riegel bringen können.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Wolfgang Gehrcke [PDS]: Vorbeugehaft!)


Stattdessen gab der SPD-Innensenator die Weisung, die
gewalttätige revolutionäre 1.-Mai-Demonstration hinzu-
nehmen und nicht bei jeder Kleinigkeit – so drückte er sich
aus – hektisch zu reagieren. So äußerte sich Körting vor
der Demonstration. Das Ergebnis dieser verantwortungs-
losen Deeskalationspolitik ist bekannt: über 200 verletzte
Polizisten, eine schwerverletzte Frau, die reanimiert wer-
den musste, ein Mann, der mit Messerstichen auf der
Straße vorgefunden wurde, brennende Autos, bürger-
kriegsähnliche Verwüstungen und die Plünderung eines
Supermarktes. All dies konnten wir live im Fernsehen mit-
verfolgen.

Meine Damen und Herren, nach Meinung von Rot-Grün
muss dies alles offensichtlich schicksalhaft hingenommen
werden. Wir dagegen werden es niemals hinnehmen, dass
Straßenterror dieser Art zur jährlich wiederkehrenden
Berliner Folkloreveranstaltung verniedlicht wird. Es muss
Schluss sein mit einer als Liberalität getarnten Gleichgül-
tigkeit gegenüber den Sicherheitsbedürfnissen der Bür-
ger.

Neben diesen unverantwortlichen Vollzugsdefiziten
beim Berliner Senat gibt es aber auch Demonstrationsan-
meldungen, die – jetzt komme ich zu unserem Gesetzent-
wurf – mit dem geltenden Versammlungsrecht nicht zu
bewältigen sind. Die Öffentlichkeit im In- und Ausland
war zu Recht empört, als am 29. Januar 2000 Neonazis
mit schwarz-weiß-roten Fahnen durch das Brandenbur-
ger Tor marschiert sind, so wie es die SA am 30. Ja-
nuar 1933 nach Hitlers Machtergreifung getan hat. Ort
und Zeitpunkt der Aufmärsche werden ganz gezielt als
Provokation gewählt. Zudem bieten sie der linksextremen
autonomen Szene willkommenen Anlass, zu gewalttäti-
gen Gegendemonstrationen aufzurufen. Das gemeinsame
Motto der Extremisten von links und der Extremisten von
rechts lautet: Die Straße gehört uns.


(Wolfgang Gehrcke [PDS]: Ach, Unsinn!)

Sie haben ein und dasselbe Motto für ihre Straßenkämpfe.

Die überwältigende Mehrheit in unserem Land hält
diese Eskalation von links- und rechtsextremen
Demonstrationen für unerträglich. Wie so oft hat Bun-
deskanzler Schröder diese Stimmung in der Bevölkerung
geschickt aufgenommen, als er in seiner Rede im Sep-
tember 2000 vor der Polizeigewerkschaft gesagt hat, er
könne im Ausland niemandem erklären, dass wir derartige
Demonstrationen – gemeint: durch das Brandenburger
Tor – duldeten;


(Wolfgang Gehrcke [PDS]: Das kann ich auch nicht erklären!)


hier müsse unbedingt etwas geschehen.

Aber auch auf diesem Gebiet ist eben nichts geschehen.
Die CDU/CSU-Fraktion hat die Initiative ergriffen und ei-
nen Entwurf zur Verschärfung des Versammlungsrechts,
der Ihnen heute vorliegt, eingebracht. Sie werden diesen
Entwurf mit Ihrer Mehrheit ganz offensichtlich ablehnen,


(Zuruf von der PDS: Hoffentlich!)

ohne eine Alternative vorzulegen; denn Ihrer Meinung
nach darf – ganz im Gegensatz zur Meinung von Bundes-
kanzler Schröder – nichts geschehen.

Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, die ureigene
Aufgabe des Staates ist der Schutz von Leib, Leben und
Eigentum seiner Bürger.


(Dieter Wiefelspütz [SPD]: Und der Verfassung, Herr Uhl! – Margot von Renesse [SPD]: Und der Verfassung!)


– Auch der Verfassung.

(Dieter Wiefelspütz [SPD]: Ihr Entwurf ist verfassungswidrig!)

– Auf diesen Punkt, Herr Kollege Wiefelspütz, komme ich
gleich zu sprechen. – Zur Erfüllung dieser Aufgabe
braucht er die erforderlichen Eingriffsrechte und die dür-
fen ihm von Ihnen von der SPD und von den Grünen nicht
verwehrt werden. Im Gegensatz zur Terrorismusbekämp-
fung ist bei Ihnen bei diesem Thema der Leidensdruck
ganz offensichtlich noch nicht groß genug. Es zieht sich
wie ein roter Faden durch die rot-grüne Sicherheitspolitik,
dass es immer erst massenhaft Missbrauch geben muss,
dass es manchmal sogar erst Verletzte und Tote geben
muss, ehe sich Rot-Grün gezwungen sieht, etwas zu tun.

Um gewalttätige extremistische Demonstrationen
leichter verbieten zu können, muss das Versammlungs-
recht verschärft werden. Wir, Herr Wiefelspütz, wollen
zumindest befriedete Bezirke haben, und zwar an sol-
chen Orten, die von herausragender nationaler histori-
scher Bedeutung sind. Doch nicht einmal diese ver-
gleichsweise harmlose Einschränkung wollen Sie
mittragen. Bei dem einen oder anderen von Ihnen kann
man das nur durch seine politische Herkunft erklären. Als
Alt-68er kämpft er natürlich für die uneingeschränkte Er-
haltung des Versammlungsrechts, für ein schrankenloses
Versammlungsrecht, das er wie eine Monstranz vor sich
hertragen will.


(Dieter Wiefelspütz [SPD]: Wie alt sind Sie eigentlich, Herr Uhl? – Weiterer Zuruf von der SPD: Uralt! Dieter Wiefelspütz [SPD]: Uralt68er!)


– Nein, das bin ich nicht.

(Wolfgang Gehrcke [PDS]: Eher 50er-Jahre!)


Es kann doch nicht richtig sein, Herr Wiefelspütz, meine
lieben Kolleginnen und Kollegen von der SPD und auch
von den Grünen, dass unter dem Deckmantel einer überin-
terpretierten Demonstrationsfreiheit schwerste Strafttaten,
wie am 1. Mai geschehen, billigend in Kauf genommen
werden.


(Beifall bei der CDU/CSU – Margot von Renesse [SPD]: Billigend schon gar nicht!)





Dr. Hans-Peter Uhl

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(B)


Nach Art. 8 Abs. 2 Grundgesetz – Sie kennen das – kann
die Versammlungsfreiheit beschränkt werden; sonst wäre
das auch sonderbar. Es gibt kein schrankenloses Frei-
heitsrecht. Dem Recht, sich friedlich zu versammeln,
steht das mindestens so hohe Recht der Bürger auf Schutz
vor Sachbeschädigung, vor Einbruchdiebstahl, vor Raub
und vor Plünderung – all das ist am 1. Mai in Berlin ge-
schehen – gegenüber. Man darf diese Rechtsgüter der
rechtsfreien Bürger nicht auf dem Altar eines falsch ver-
standenen, völlig überinterpretierten Versammlungsrechts
opfern.

Bei aller berechtigten Ablehnung neonazistischer Um-
triebe warne ich aber davor – das wird immer wieder in
die Diskussion geworfen –, das Versammlungsrecht ein-
seitig nur in Bezug auf Rechtsextreme zu verschärfen. Sie
werden mir sicher darin zustimmen, Herr Wiefelspütz,
dass das aus rechtlichen Gründen nicht geht.


(Dieter Wiefelspütz [SPD]: Vielleicht!)

Das Versammlungsrecht hat parteipolitisch neutral zu

sein. Es muss Antworten zur Bewältigung der typischen
Gefährdungen von Sicherheit und Ordnung geben, egal
aus welcher Ecke die Gefährdungen drohen. Die politi-
schen Extremisten von links und von rechts brauchen sich
wechselseitig. Gewalttätigkeiten und Ausschreitungen
entstehen häufig durch gegenseitige Provokation beim
Aufeinanderprallen der Demonstrationszüge. Diese Ge-
fahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung müssen
zum Schutz der Bürger notfalls durch Demonstrations-
verbote abgewendet werden.

Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, wenn Sie
heute unseren Gesetzentwurf ablehnen, so bin ich mir
dennoch sicher, dass Sie bald Gelegenheit haben werden
– ich hoffe, dass das nicht bereits nach dem 23. Mai, wenn
Präsident Bush in Berlin war, der Fall sein wird –, über
eine Verschärfung des Versammlungsrechts neu nachzu-
denken.


(Dieter Wiefelspütz [SPD]: Warum?)

– Herr Wiefelspütz fragt, warum. – Ich bin mir nämlich
sicher, dass sich Links- wie Rechtsextremisten in ihrem
gewaltbereiten Demonstrationsverhalten gegenseitig zur
Eskalation anstacheln werden. Das heißt, wir werden Tau-
sende von Polizeibeamten aus dem gesamten Bundesge-
biet zusammenziehen müssen. Es wird Straßenschlachten
geben, bei denen die Polizei zwar, „militärisch“ gesehen,
Sieger sein wird. Aber angesichts der brennenden Autos,
der zerstörten Fensterscheiben und des zerstörten Eigen-
tums der Bürgerinnen und Bürger sowie der verletzten Po-
lizisten


(Dieter Wiefelspütz [SPD]: Auch in Bayern?)

wird der Bürger Sie, Herr Wiefelspütz, fragen, ob Sie auf
Dauer diesen Preis für ein überinterpretiertes Versamm-
lungsrecht bezahlen wollen, wie es von unserer Verfas-
sung nie vorgesehen war.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir und auch Sie werden über eine Verschärfung des

Versammlungsrechts nachdenken. Die Frage ist, ob es in
die Richtung gehen soll, die wir heute vorschlagen, oder

ob es vielleicht in eine noch viel weitergehende Richtung
gehen muss. Es reicht nämlich nicht aus, nach der Methode
Schröder nur Empörung über irgendeine Demonstration
durch das Brandenburger Tor zu äußern. Die Menschen er-
warten von uns wirksame Gesetze, die sie vor kriminellen
Randalierern und vor Extremisten schützen.

Die Menschen erwarten von dem Berliner Innensena-
tor auch, dass es solche Vorkommnisse in Berlin nicht
mehr gibt, dass nämlich ein Palästinenser seine kleine
Tochter auf dem Arm trägt, Dynamitstangen um den
Bauch gewickelt, aber der Innensenator samt der Polizei
es nicht für nötig halten, wenigstens die Personalien die-
ser Person festzustellen


(Eckhardt Barthel [Berlin] [SPD]: Ist doch alles geschehen! Sie sind von gestern!)


oder dieses Verhalten sofort zu unterbinden. Dies alles
wurde nicht gemacht. So viel zum Thema Vollzug des De-
monstrationsrechts in der Stadt Berlin.


(Beifall bei der CDU/CSU – Eckhardt Barthel [Berlin] [SPD]: Wenn Sie immer Berlin beleidigen, werde ich langsam sauer!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1423610100
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Dieter Wiefelspütz.


Dr. Dieter Wiefelspütz (SPD):
Rede ID: ID1423610200
Frau Präsidentin! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Verehrter Kollege Uhl,
ich muss mich angesichts Ihrer Rede zwingen, mit Au-
genmaß zu antworten; denn man könnte wirklich Veran-
lassung haben, auf bayerisch zuzuschlagen.


(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Das würde ich wirklich einmal gern hören!)


Unsere Verfassung, das Grundgesetz, muss vor dem Ge-
setzentwurf der CDU/CSU-Fraktion geschützt werden.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Cem Özdemir [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Deswegen werden wir heute mit Mehrheit Ihren verfas-
sungswidrigen Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des
Versammlungsgesetzes ablehnen, Herr Uhl.

Das ist nicht nur meine persönliche Meinung. Das ist
beispielsweise auch die Meinung eines ehemaligen Rich-
ters am Bundesverfassungsgericht, der heute Professor an
der Humboldt-Universität ist. Das Gutachten Grimm ist
Ihnen zugegangen. Es wäre schön, wenn Sie Ihren Ge-
setzentwurf, mit einem großen Stein beladen, versenkt
hätten, damit er nie wieder zum Vorschein kommt.


(Beifall des Abg. Rüdiger Veit [SPD])

Ich dachte eigentlich, Sie hätten ihn endgültig verschwin-
den lassen.


(Wolfgang Zeitlmann [CDU/CSU]: Ihre Erregung ist künstlich!)


Sie haben versucht, ein durchsichtiges Manöver zu
starten. Das ist unter Ihrem Niveau, Herr Uhl.


(Dr. Karl-Heinz Hornhues [CDU/CSU]: Aber Herr Wiefelspütz!)





Dr. Hans-Peter Uhl
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(D)



(A)



(B)


Nach dem 1. Mai graben Sie Ihren – höflich ausgedrückt –
unsinnigen, verunglückten Gesetzentwurf wieder aus und
versuchen, auf billige Weise Wahlkampf zu machen. Ich
bitte Sie darum, dass wir gemeinsam unser Grundgesetz
ernst nehmen. Ich bitte Sie, einmal zuzuhören, was im
Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland vom
23. Mai 1949 steht. Das ist der beste politische Text, den
die Deutschen jemals zustande gebracht haben. In Art. 8
GG steht:

Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmel-
dung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu
versammeln.

Friedlich zu versammeln! Das ist zu betonen, weil es es-
senziell ist.


(Dr. Hans-Peter Uhl [CDU/CSU]: Friedlich, nicht so wie am 1. Mai!)


Niemand in Deutschland hat das Recht, sich unfried-
lich zu versammeln. Das ist geltendes Recht. Dieses
Recht müssen wir doch nicht ändern. Das steht im wich-
tigsten Gesetz, das wir haben, im Grundgesetz für die
Bundesrepublik Deutschland. Wer in Deutschland das
Versammlungsrecht missbraucht, Gewalt übt, Autos an-
zündet, Läden plündert – egal, wo das passiert, egal, wer
Innensenator ist –, kann sich nicht auf Art. 8 des Grundge-
setzes berufen. Weshalb wollen Sie da etwas verschlimm-
bessern? Wo ist da ein gesetzlicher Handlungsbedarf?


(Wolfgang Zeitlmann [CDU/CSU]: Sie sollten Ihre Erregung zügeln!)


– Es erregt mich sehr, Herr Zeitlmann, wenn hier unseriös
Anschläge auf unser Grundgesetz unternommen werden.
So etwas ist doch nicht zu verantworten.


(Beifall bei der SPD und der PDS)

Sie wollen Versammlungen verbieten, weil das An-

sehen der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigt
werden könnte. Ich möchte, Herr Uhl und Herr Zeitlmann,
auch in Zukunft mit Ihnen gemeinsam gegen Men-
schenrechtsverletzungen, wo auch immer auf der Erde
sie passieren, demonstrieren dürfen, obwohl das mögli-
cherweise den Besuch irgendeines Ministers, der nach
Deutschland kommt, beeinträchtigen könnte. Ich möchte,
dass in Deutschland in Zukunft weiterhin beispielsweise
gegen Menschenrechtsverletzungen in Tibet demonstriert
werden kann. Ich möchte, dass auch die Möglichkeit be-
steht, für oder gegen Herrn Bush zu demonstrieren, wenn
es friedlich geschieht.


(Beifall bei der PDS – Dr. Karl-Heinz Hornhues [CDU/CSU]: Sie bauen doch Pappkameraden auf, Herr Wiefelspütz!)


Sie und ich haben nicht das Recht, anderen Menschen eine
Zensur aufzuerlegen, wann sie zu demonstrieren haben
und wann nicht. Wer bestimmt, was das Ansehen der Bun-
desrepublik Deutschland ist?

Eines sage ich Ihnen sehr deutlich, auch auf die Gefahr
hin, dass der eine oder andere das vielleicht anders sehen
könnte:


(Dr. Karl-Heinz Hornhues [CDU/CSU]: Zum Beispiel der Außenminister!)


Die Frage, ob und wie ein Deutscher ein Grundrecht aus-
übt, klären wir hier in Deutschland. Das machen wir nicht
abhängig von der veröffentlichten oder öffentlichen Mei-
nung in London, Moskau, Paris oder auch Tel Aviv. Ich
sage und meine das auch so. Die Ausübung unserer
Grundrechte können wir uns doch nicht von anderen, die
ihre Interessen und ihre Meinung dazu haben, nehmen las-
sen.

Unser bestehendes Recht – das ist meine These seit
langem; Sie wissen das – ist völlig ausreichend, um das,
was Sie, geschätzter Kollege Uhl, und ich gemeinsam ver-
hindern wollen, konsequent zu unterbinden. Wir wollen
friedliche Demonstrationen in Deutschland, so wie das
auch die Veranstalter wollen. Wenn sie unfriedlich sind,
brauchen wir keine neuen Gesetze, um sie zu unterbinden;
dann können sie jederzeit unterbunden werden.


(Dr. Hans-Peter Uhl [CDU/CSU]: Warum tun Sie es nicht?)


– Lieber Herr Uhl, ich betone es noch einmal: Es ist unter
Ihrem Niveau, wenn Sie hier aus billigen Wahlkampf-
zwecken heraus Berlin instrumentalisieren wollen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


In Berlin gibt es Probleme mit der Realität des Art. 8
GG seit 1987.


(Eckhardt Barthel [Berlin] [SPD]: Die gab es schon früher!)


– Vielleicht, Herr Barthel, gibt es sie sogar ein paar Jahre
länger. Daran gibt es überhaupt nichts herumzudeuteln
und das muss auch offen angesprochen werden. Um das
zu unterbinden, brauche ich aber keine neuen Gesetze.
Übrigens haben diese Probleme christdemokratische In-
nensenatoren genauso gehabt wie sozialdemokratische.


(Dr. Hans-Peter Uhl [CDU/CSU]: Aber die haben sie besser gelöst!)


Da bin ich mir nicht so ganz sicher, Herr Uhl, und so ein-
fach würde ich mir das auch nicht machen. Die Neonazis
haben einmal vor dem Brandenburger Tor demonstriert.
Wer war damals Innensenator? Der Mann heißt – inzwi-
schen vergessen – vielleicht zu Recht – Werthebach.


(Eckhardt Barthel [Berlin] [SPD]: Was heißt „vielleicht“?)


Er gehörte der CDU an und war Innensenator. Herr
Barthel, die meisten Innensenatoren seit 1987 waren,
wenn ich das richtig in Erinnerung habe, Christdemo-
kraten, die mit den Problemen auf ihre Weise nicht opti-
mal fertig geworden sind.


(Eckhardt Barthel [Berlin] [SPD]: Das war ja das Problem!)


Ich meine, dass es unter unserem Niveau ist, wenn wir uns
aus billigen Interessen heraus, nämlich aus Wahlkampf-
gründen, gegenseitig Vorhaltungen machen. Das hilft uns
überhaupt nicht weiter.

Jede zu beanstandende gewalttätige Demonstration, egal,
wo sie in Deutschland stattfindet, kann mit dem geltenden




DieterWiefelspütz

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Versammlungsrecht unterbunden werden. Wo das mög-
lich ist, muss sie auch unterbunden werden.

Herr Uhl, Sie haben auf einen bestimmten Zeitungs-
artikel verwiesen. Vielleicht wäre es der intellektuellen
Redlichkeit geschuldet gewesen, zu erwähnen, dass ich
derjenige war, der dies im Innenausschuss thematisiert
hat. Ich habe dort mein Entsetzen über solche Dinge zum
Ausdruck gebracht. Ich finde es einfach billig, dass Sie
das hier instrumentalisieren. Das ist nicht hilfreich und
nicht zielführend.

Ich betone: Vergessen Sie diesen Gesetzentwurf, bitte!
Man sollte ihn vergraben und einen dicken Stein darauf
legen. Das ist das Einzige, was man mit diesem Gesetz-
entwurf tun kann. Er ist nicht hilfreich, sondern verfas-
sungswidrig. Das ist nicht nur meine persönliche Auffas-
sung, sondern es ist eine im rechtswissenschaftlichen
Schrifttum inzwischen verbreitete Auffassung. Man muss
Sie, lieber Herr Uhl, und uns alle vor solchen Gesetzent-
würfen schützen.

Schönen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dr. Hans-Peter Uhl [CDU/ CSU]: Und uns vor solchen Wiederholungen!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1423610300
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Cem Özdemir.


Cem Özdemir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1423610400
Frau
Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kollege
Wiefelspütz hat auf eine sehr beeindruckende Art und
Weise bereits darauf hingewiesen, dass das Versamm-
lungsrecht gemeinsam mit der Meinungsfreiheit Kern-
bestandteil unserer Demokratie ist.

Sie alle wissen, dass gerade diejenigen, die beispiels-
weise in den Medien keine Basis haben, die über keine
Lobby verfügen und nicht etabliert sind, auf das Ver-
sammlungsrecht in ganz besonderer Weise angewiesen
sind. Es ist im besten Sinne des Wortes ein Recht für Min-
derheiten, die sich in der Demokratie gewaltfrei – auch
darauf wurde zu Recht immer wieder hingewiesen – or-
ganisieren, um ihre Position zum Ausdruck bringen zu
können. Sie müssen sich auf diese Art und Weise artiku-
lieren können. Von daher muss man den wiederholten Ver-
such der Union, die Themen Bannmeile und Versamm-
lungsfreiheit wieder auf die Tagesordnung zu bringen,
zurückweisen. Die Demokratie braucht die Art von
Schutz, die Sie vorsehen, nicht. Ich sage es gleich vorweg:
Dieser Gesetzentwurf wird aus diesem Grunde bei uns
nicht auf Zustimmung stoßen.

Herr Kollege Wiefelspütz hat die Aussagen des ehe-
maligen Richters am Bundesverfassungsgericht, Herrn
Grimm, bei der Anhörung im Innenausschuss zitiert.
Man könnte viele andere Zitate anführen. Kollege Uhl, Ihr
Entwurf ist praktisch von allen Sachverständigen „einge-
dampft“ worden. Sie haben – das wissen Sie – an Ihrem
Entwurf kein gutes Haar gelassen. Von daher verstehe ich
nicht, warum Sie daran festhalten.

Ich verweise auf die Äußerungen von Herrn Professor
Rühl, der die vorgeschlagene Änderung des § 15 des Ver-

sammlungsgesetzes für zu unbestimmt und damit für
ungeeignet hält. Mit anderen Worten: § 15 ist in der
von Ihnen vorgeschlagenen Form nicht verhältnismäßig.
Professor Gusy ist zu dem Ergebnis gekommen, dass die
Änderungen der Versammlungsfreiheit mit Art. 8 GG
nicht vereinbar sind. Jemand anders, der aus der Praxis
kommt – das dürfte Sie möglicherweise mehr beein-
drucken –, nämlich der Polizeipräsident von Dortmund,
einer Stadt, in der im Schnitt 100 bis 150 Demonstratio-
nen angemeldet werden, bestätigt: Der Gesetzentwurf ist
nicht praktisch ausgerichtet; er hat für die Polizeipraxis
nur begrenzte Auswirkungen. Wörtlich sagte er:

Der Gesetzentwurf bringt für eine normale Verwal-
tungsbehörde keine erkennbaren Verbesserungen, ist
für die tägliche praktische Arbeit aufgrund sprach-
licher Defizite wenig anwenderorientiert und in man-
cher Hinsicht verfassungsrechtlich bedenklich.

Ich spare mir die anderen Zitate. Die Liste der Kritiker ist
lang. All das spricht eine sehr deutliche Sprache.

Herr Kollege Uhl hat auf die NPD-Demonstrationen
hingewiesen. Sie wissen, dass es in diesem Zusammen-
hang mehrere Entscheidungen des Bundesverfassungs-
gerichts gab. Im vergangenen Jahr gab es eine beachtens-
werte Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts im
Rahmen der Auseinandersetzung über das Urteil des
Oberverwaltungsgerichts Münster, in dem die Grenzen
des Versammlungsrechts definiert worden sind. Das ist
für Juristen sicherlich eine spannende Frage.

Hier ist vielleicht eines zur Erinnerung hervorzuheben:
Die NPD hat in Nordrhein-Westfalen mehrmals Demons-
trationen angemeldet, die von Verwaltungsgerichten ver-
boten worden sind. Das OVG hat sich in der Begründung
darauf gestützt, dass die NPD verfassungswidrig sei. Das
Bundesverfassungsgericht hat – das ist sehr spannend –
die Entscheidung aufgehoben. Die Begründung sollte
man sich tatsächlich näher anschauen. Die Begründung
des Bundesverfassungsgerichtes bei der Aufhebung von
Demonstrationsverfügungen gegen die NPD ist: Das Ver-
sammlungsrecht ist in der Demokratie so elementar, dass
jeder und jede davon Gebrauch machen können muss,
wenn nicht die anmeldende Partei gemäß Art. 21 des
Grundgesetzes oder der anmeldende Verein gemäß Art. 9
des Grundgesetzes verboten worden ist.

Beides ist bislang nicht der Fall. Wir arbeiten ja an an-
derer Stelle am NPD-Verbot, das hoffentlich bald kommt
und dann unseren Praktikern, auch der Polizei, die Arbeit
erleichtern wird, wie ich hoffe, Kollege Schmidt-Jortzig.


(Dr. Edzard Schmidt-Jortzig [FDP]: Na ja!)

Aber hinsichtlich des Versammlungsrechts ist zu sa-

gen, dass die Instrumente, die der Rechtsstaat bietet, kein
stumpfes Schwert sind. Die Behörden haben bereits heute
nach geltendem Recht die Möglichkeit, Demonstrationen
zu verbieten. So ist es selbstverständlich möglich, eine
rechtsextreme Demonstration mit der Auflage zu verse-
hen, dass sie nicht am Holocaust-Gedenktag stattfindet.
Es ist bereits heute möglich, Auflagen dergestalt zu ertei-
len, dass rechtsextreme oder rechte Symbole nicht ver-
wendet werden dürfen. Dazu gehören auch all die ande-
ren Dinge, die wir aus der Praxis kennen.




DieterWiefelspütz
23550


(C)



(D)



(A)



(B)


Dann gibt es noch ein Instrument, das vielleicht am
wirkungsvollsten ist: Gegendemonstrationen sind mög-
lich – nicht nur möglich, sondern auch notwendig. Ich
möchte die Gelegenheit nutzen, all unseren Bürgerinnen
und Bürgern zu danken, die immer dort, wo sich die NPD,
diese schrecklichen Gestalten, zur Demonstration ver-
sammelt, in Form von Gegendemonstrationen das Gesicht
unserer Zivilgesellschaft machtvoll und deutlich zum
Ausdruck bringen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)


Bei dieser Gelegenheit also einen herzlichen Dank an
all unsere Bürgerinnen und Bürger, die sich in ihrer Frei-
zeit in deutlicher Weise für diesen Rechtsstaat einsetzen!
Mein Dank gilt übrigens auch den Polizeibeamten, die
dort einen sehr schweren Job haben, zum Teil lieber bei
der Gegendemonstration gegen die NPD mitdemonstrie-
ren würden, es aber nicht dürfen, weil die Demonstration
unter das Versammlungsrecht fällt.

Ich möchte zum Schluss, da meine Redezeit abgelau-
fen ist, noch einmal zu George Bush und den Demons-
trationen, die angekündigt sind, kommen. Ich finde, ge-
rade Sie als Transatlantiker – die Union hat ja eine lange
transatlantische Tradition – sollten wissen, dass die
Amerikaner an vorderster Stelle, nämlich im First
Amendment der amerikanischen Verfassung, für das Ver-
sammlungsrecht eintreten, und dass viele in den USA
sagen, das Versammlungsrecht sei der wichtigste Grund-
satz der amerikanischen Demokratie. Amerikanische
Verfassungsrichter würden das, was Sie hier vorgelegt
haben, in der Luft zerreißen.

Herzlichen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1423610500
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Professor Schmidt-Jortzig.


Prof. Dr. Edzard Schmidt-Jortzig (FDP):
Rede ID: ID1423610600
Frau Präsiden-
tin! Meine sehr verehrten Damen und Herren Kollegen!
Der Wahlkampf ist ausgebrochen, der Wahltermin rückt
näher. Manche Diskussionsklötze und die zu ihrer Spal-
tung aufgewendeten Werkzeuge scheinen gröber zu wer-
den. Ich will versuchen, die Sache, die uns heute hier be-
schäftigt, ganz nüchtern zu beleuchten.

Das Anliegen der Antragsteller, nämlich politisch
heikle und unerfreuliche Extremistendemos ordnungs-
behördlich besser in den Griff zu bekommen, ist nach
Auffassung der FDP sehr wohl nachvollziehbar. Dennoch
werden wir den Gesetzentwurf ablehnen, was wir schon
in der ersten Lesung deutlich gemacht haben, weil der
vorgelegte Problemlösungsvorschlag uns in großen Teilen
ungeeignet, in manchen nicht erforderlich und in den ent-
scheidenden auch unnötig erscheint.


(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Rüdiger Veit [SPD])


Ich will mit dem Akzeptablen anfangen. Der vorge-
schlagene neue § 14 Abs. 3 mit der Kooperationsoblie-

genheit des Demonstrationsveranstalters ist okay. Da-
mit werden Gedanken aufgenommen, wie sie nach der
Brokdorf-Entscheidung, also vor ungefähr 15 Jahren, dis-
kutiert wurden. Man hätte sich in einem solchen Geset-
zesvorschlag vielleicht auch nähere Regelungen über die
Folgen, wenn man bei solchen Kooperationen nicht mit-
macht, gewünscht. Aber damit kann man leben. Leben
kann man auch mit der gewünschten Verfahrensregelung
bei Eilversammlungen.

Einfach unnötig und im Übrigen auch unklar sind in-
dessen die gewünschten § 14 a und § 15 Abs. 3. Das ist
zum einen die Regelung über die Pflicht, Gewalttätigkei-
ten zu unterbinden. Das gilt schon jetzt, auch wenn es
nicht in der Form, wie im vorliegenden Gesetzentwurf ge-
schehen, formuliert worden ist. Das ist zum anderen der
Hinweis darauf, dass dort, wo Beschränkungen nicht aus-
reichen, Verbote infrage kommen. Auch das ist eigentlich
eine Selbstverständlichkeit. Hier sollen Dinge festge-
schrieben werden, die schon gelten. Das erhöht nur den
Gesetzesaufwand, bringt aber effektiv nichts.

Richtig bedenklich und deshalb auf jeden Fall abzu-
lehnen sind unseres Erachtens die vorgeschlagenen Rege-
lungen in § 15 Abs. 2 und § 16 Abs. 3.

Zum Ersten. Die – so die Formulierung – Beeinträch-
tigung von erheblichen Belangen der Bundesrepublik
Deutschland als Verbotsgrund fürVersammlungen eta-
blieren zu wollen verkennt die grundlegende Bedeutung
der Versammlungsfreiheit und wirft zudem Fragen nach
der begrifflichen Schärfe dieses Verbotsmerkmals bzw.
nach der Definitionshoheit für die betreffenden Belange
auf. Das waren die Bedenken in der Anhörung, die bis
zum Vorwurf der Verfassungswidrigkeit führten. So ver-
fügbar für staatspolitische Interessen kann man die Ver-
sammlungsfreiheit nicht machen. Das ist jedenfalls un-
sere Auffassung.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Zum Zweiten. Dass man sich – so wieder die Formu-
lierung in dem vorliegenden Entwurf – „öffentliche Ein-
richtungen oder Örtlichkeiten, die von herausragender na-
tionaler und historischer Bedeutung sind“, in der Tat
irgendwie versammlungsfrei gehalten vorstellen kann,
das will ich schon einräumen. Aber dass dies etwa auch
die Länder jeweils für ihren Bereich – womöglich je nach
landsmannschaftlicher Befindlichkeit – festlegen dürfen
und dass dies außerhalb bzw. unterhalb eines verbindli-
chen Parlamentsentscheids, also eines förmlichen Geset-
zes, geschehen kann, das ist keinesfalls akzeptabel. Des-
halb lehnen wir diesen Entwurf ganz nüchtern ab.

Danke sehr.

(Beifall bei der FDP)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1423610700
Das Wort hat
jetzt die Kollegin Ulla Jelpke.


Ulla Jelpke (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1423610800
Frau Präsidentin! Meine Damen
und Herren! Herr Uhl, es ist in der Tat bedauerlich, dass




Cem Özdemir

23551


(C)



(D)



(A)



(B)


die Union ihren Gesetzentwurf bislang nicht zurückgezo-
gen hat. Sie hätte es längst tun sollen. Denn spätestens
nach der Anhörung der Sachverständigen vor dem Innen-
ausschuss ist deutlich geworden, dass dieser Gesetzent-
wurf mehr als überflüssig ist. Die Union will den Katalog
der Gründe, aufgrund deren das Demonstrationsrecht ein-
geschränkt werden kann, erweitern, zum Beispiel indem
sie befriedete Bezirke bestimmen möchte, aber auch in-
dem sie so etwas Ähnliches wie eine Gesinnungsprüfung
vorsieht.

Vor den versammelten Experten hat der Unionsentwurf
zur Änderung des Versammlungsgesetzes keine Gnade
gefunden. Die große Mehrheit der Sachverständigen
lehnte ihn als verfassungswidrig und untauglich ab, wie
wir bereits von anderen Kollegen gehört haben. Zwar ver-
suchte der eigentliche Autor des Entwurfs, der frühere In-
nensenator Werthebach, als ein von der Union geladener
Sachverständiger sein Werk zu verteidigen. Dabei kam er
auf recht seltsame Begründungen, unter anderem darauf,
dass das Demonstrationsrecht eingeschränkt werden
müsse, weil Touristen in Berlin nicht bestimmte Sehens-
würdigkeiten besuchen könnten, da hier zu viele Demons-
trationen stattfinden würden. Also Einschränkung des
Demonstrationsrechtes wegen der Interessen der Touris-
muswirtschaft?

Aber sowohl die meisten Verfassungsrechtler als auch
Praktiker machten in klaren Worten deutlich, was sie von
dem Entwurf der Union hielten. Der Berliner Rechtswis-
senschaftler Martin Kutscha sagte – ich zitiere –:

Der Schutz vor Ausschreitungen Einzelner und eine
entschiedene Bekämpfung des Neonazismus sind
zweifellos notwendig – aber nicht in der Weise, dass
ein für die demokratische Willensbildung elementa-
res Grundrecht für alle Bürgerinnen und Bürger mas-
siv eingeschränkt wird. Die demokratische Verfas-
sungsordnung kann nicht durch Amputation ihrer
selbst verteidigt werden.

Gerade das Demonstrationsrecht ist ein Recht der Min-
derheit, um ihre Meinung zum Ausdruck und in den po-
litischen Diskussionsprozess einzubringen. Dies gilt auch
und gerade dann, Herr Uhl, wenn diese Meinung unbe-
quem ist und stört. Das Grundrecht auf Versammlungs-
freiheit ist somit unverzichtbar für die Meinungsbildung
in einer demokratischen und offenen Gesellschaft.

Die Union will ihren Vorschlag als einen Beitrag zum
Kampf gegen Rechtsextremismus verkaufen. Lassen Sie
sich gesagt sein: Sie können nicht die Demokratie vertei-
digen, indem Sie sie abschaffen. Die PDS hat diverse
sinnvolle Vorschläge vorgelegt. Ich möchte hier noch ein-
mal vortragen, dass die Aufnahme einer „antifaschisti-
schen Klausel“ in das Grundgesetz möglich wäre. Diese
hätte die praktische Bedeutung, dass zum Beispiel ohne
weiteres Verbote von Demonstrationen, die NS-Gedan-
kengut verbreiten wollen, ausgesprochen werden könnten.


(Beifall bei Abgeordneten der PDS)

Damit wäre beispielsweise das Dilemma beseitigt, dass
sich Neonazis bei ihren Umtrieben auf die Grundrechte
berufen und die Polizei sie im Übrigen auch noch schüt-
zen muss. Die zuständigen Behörden könnten Demons-

trationen mit neofaschistischer Zielstellung mit größerer
Aussicht auf Erfolg untersagen. Die Wiederbelebung NS-
Gedankenguts wäre dann eindeutig keine von Grundrech-
ten gedeckte Betätigung mehr.

Meine Damen und Herren, ich denke, es gibt gangbare
Wege, so etwas wie Demonstrationen von Nazis am Bran-
denburger Tor zu verhindern. Darüber muss diskutiert
werden. Eine dementsprechende Klausel wäre möglich.
Wir werden mit Sicherheit dieses auch im nächsten Bun-
destag wieder problematisieren. Aber die Abschaffung
der Demonstrationsfreiheit ist absolut indiskutabel.


(Beifall bei der PDS)

Zum Schluss – –

Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1423610900
Nein, Frau Kol-

legin. Jetzt haben Sie weit überzogen. Ich glaube, das war
ein ganz schöner Schlusssatz.


Ulla Jelpke (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1423611000
Okay, danke.

(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1423611100
Danke schön.
Ich schließe damit die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzentwurf
der Fraktion der CDU/CSU zur Änderung des Versamm-
lungsgesetzes auf Drucksache 14/4754. Der Innenaus-
schuss empfiehlt auf Drucksache 14/6625, den Gesetz-
entwurf abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen.
– Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetz-
entwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen
des ganzen Hauses gegen die Stimmen von CDU/CSU ab-
gelehnt worden. Damit entfällt nach unserer Geschäfts-
ordnung die weitere Beratung.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 8 auf:
Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre-
gierung
Bilanzierender Gesamtbericht zum Einsatz be-
waffneter deutscher Streitkräfte bei der Unter-
stützung der gemeinsamen Reaktion auf terro-
ristische Angriffe gegen die USA auf der
Grundlage des Art. 51 der Satzung der Verein-
ten Nationen und des Art. 5 des Nordatlan-
tikvertrags sowie der Resolutionen 1368 (2001)

und 1373 (2001) des Sicherheitsrates der Ver-
einten Nationen
– Drucksache 14/8990 –
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss (f)

Rechtsausschuss
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung

Nach interfraktioneller Vereinbarung ist für die Aus-
sprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.




Ulla Jelpke
23552


(C)



(D)



(A)



(B)


Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst der
Herr Bundesminister Rudolf Scharping.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1423611200

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Seit dem
11. September hat sich die internationale Gemeinschaft
zur Unterstützung der Vereinigten Staaten von Amerika in
Übereinstimmung mit einer präzedenzlosen Resolution
des Weltsicherheitsrates und im eigenen Sicherheitsinte-
resse rasch, konsequent und umfassend dem Kampf gegen
den internationalen Terrorismus gestellt. Die deutsche Be-
teiligung mit militärischen Kräften an der Operation „En-
during Freedom“ ist Teil dieses Kampfes. Wir wissen da-
bei – das macht der Bericht der Bundesregierung deutlich –,
dass wir internationale Sicherheit und Frieden dauerhaft
nur gewinnen können, wenn wir auf vielen Ebenen an vie-
len Orten und langfristig gemeinsam engagiert bleiben.
Deutschland folgt damit dem Gebot der Bündnissolida-
rität, die über Jahrzehnte hinweg Grundlage unserer Si-
cherheit war.

Die Gegner des internationalen Kampfes sind klar: Es
ist nicht Afghanistan, es ist nicht der Islam, wohl aber der
internationale Terrorismus und diejenigen, die ihn unter-
stützen.

Das Übel des internationalen Terrors kann nur dann
bekämpft werden, wenn wir an seinen vielen Wurzeln an-
setzen, uns also auf verschiedenen Ebenen – mit politi-
schen und militärischen Mitteln, mit wirtschaftlichen,
kulturellen und sozialen Mitteln, auf den Finanzmärkten,
im internationalen Verkehr, beim illegalen Handel mit
Waffen, Drogen usw. – entsprechend engagieren. Nur
dann werden wir das Ziel erreichen, jenen Einhalt zu ge-
bieten, die das unheilvolle Wirken des Terrorismus mit-
telbar oder unmittelbar unterstützen.

In diesem politischen Zusammenhang leisten auch
deutsche Soldatinnen und Soldaten einen substanziellen
Beitrag zur Bekämpfung des Terrorismus. Dabei brau-
chen sie einen internationalen Vergleich nicht scheuen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der FDP)


Ihre Leistungsfähigkeit, ihr Verantwortungsbewusstsein
und auch ihr Verständnis davon, dass sie Teil einer um-
fassenden gemeinsamen internationalen Anstrengung
sind, stehen außer Frage. Dass die Bundeswehr hohe
Anerkennung erfährt, wird unter anderem durch die Über-
nahme der Führung auf der, wie man das so schön nennt,
taktisch-operativen Ebene in Afghanistan und in Kabul,
aber auch durch die Bitte unserer amerikanischen
Freunde, das Kommando über die maritimen Operationen
am Horn von Afrika zu übernehmen, deutlich.

Die Bundeswehr ist zurzeit an sechs internationalen
Einsätzen beteiligt. Das stellt sie vor eine beispiellose
Herausforderung. Gleichzeitig muss die Bundeswehr
nämlich die umfassende Reform bewältigen, die von die-
ser Bundesregierung eingeleitet worden ist. Mit dieser
Reform wird die Bundeswehr eine neue Stufe ihrer Leis-
tungsfähigkeit erreichen. Wir werden unsere Streitkräfte
besser in die Lage versetzen, aktuellen wie künftigen He-

rausforderungen zu begegnen und damit die Sicherheit
unseres Landes gemeinsam mit unseren Verbündeten und
Partnern zu gewährleisten.

Im Übrigen möchte ich darauf aufmerksam machen,
dass wir bei diesem Prozess sehr sorgfältig darauf achten
müssen, dass die Belastung der Menschen in der Bundes-
wehr in einem erträglichen Umfang bleibt. Deswegen bie-
tet die Reduzierung der Zahl unserer Streitkräfte in Bos-
nien, im Kosovo und in Mazedonien, die sich aufgrund
der Fortschritte in dieser Region ergibt, nicht etwa Raum
für zusätzliches Engagement, sondern lediglich Raum für
die Entlastung der ohnehin schon stark angespannten
Fähigkeiten der Bundeswehr und der Menschen, die in ihr
und im Interesse unserer Sicherheit ihren Dienst leisten.

Der Bericht zeigt im Übrigen, dass der Kampf gegen
den Terror nicht in Tagen, Wochen oder Monaten zu ge-
winnen ist. Wir brauchen dafür einen langen Atem. Un-
beschadet dessen ist die Bilanz der deutschen Einsätze im
Rahmen von „Enduring Freedom“ positiv. Insbesondere
in Afghanistan haben die militärischen Erfolge und die
entschlossene Strategie der politischen Stabilisierung, die
von der Bundesregierung maßgeblich mitgestaltet worden
ist, eine wirkliche Umkehr der Entwicklungen bewirkt.
Der Bundeskanzler hat heute Morgen bereits darauf hin-
gewiesen: Die Bildung der Übergangsregierung in Kabul,
der zügige Beginn des Wiederaufbaus, die Möglichkeit
insbesondere junger Frauen und Mädchen, wieder an der
Bildung im Lande teilzunehmen, und vieles andere schaf-
fen diesem geschundenen Land wichtige Voraussetzun-
gen auf dem Weg zur Normalisierung.


(Beifall bei der SPD)

Im Übrigen ist es gelungen, dem Terrorismus Afghanis-

tan als sicheres Rückzugsgebiet, als Ausbildungsraum
und als Operationsbasis zu entziehen. Damit ist aber noch
lange nicht die Befriedung dieses Landes erreicht, auch
nicht die Befreiung vom Terrorismus. Denn trotz der um-
fassenden militärischen Niederlage der Taliban und trotz
der vergleichsweise friedlichen Bilder aus Kabul gibt es
immer noch marodierende Banden, gibt es immer noch
Überfälle und gibt es immer noch hartnäckig verteidigte
Widerstandsnester von Taliban und untergetauchten
Kämpfern der al-Qaida.

Deshalb kommt der Loya Jirga, der großen Ratsver-
sammlung, so enorme Bedeutung zu. Deshalb trägt
Deutschland mit dazu bei, die Übergangsregierung Karzai
auch bei der Vorbereitung und Durchführung dieses
großen Rates zu unterstützen. Deshalb trägt unser Land
politisch und wirtschaftlich zum Fortschritt Afghanistans
bei. Deshalb beteiligt sich Deutschland auch an der inter-
nationalen Sicherheitspräsenz in Kabul und seiner Um-
gebung und nicht zuletzt deshalb beteiligen wir uns
dauerhaft und zuverlässig – auch mit militärischen Mög-
lichkeiten – auf der Grundlage der Entscheidung der Ver-
einten Nationen und an der Seite der USA am Kampf ge-
gen den Terror.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Dieses Engagement geht weit über Afghanistan hinaus.
Wir selbst haben schrecklicherweise am 11. April auf




Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer

23553


(C)



(D)



(A)



(B)


Djerba erfahren, dass die weltweite Bedrohung real ist.
Die Bundeswehr wird deshalb mit ihren See- und See-
luftstreitkräften am Horn von Afrika, mit ihren Lufttrans-
port- und Sanitätskräften, mit ihren ABC-Abwehrkräften
und ihren Spezialkräften weiterhin zum Kampf gegen den
internationalen Terrorismus beitragen.

Wir sollten dabei allerdings nie vergessen, dass die
Streitkräfte – unsere und auch die der anderen Länder –
völlig überfordert wären, wenn man diesen Streitkräften
zumuten wollte, allein des Terrorismus Herr zu werden.
Wir sind daher mit dem umfassenden Herangehen – auch
das macht der Bericht deutlich – auf dem richtigen Weg.

Wir haben auf nationaler Ebene ein Paket von Sofort-
maßnahmen geschnürt, das die innere und äußere Si-
cherheit stärkt und die finanziellen Voraussetzungen
schafft. Auf europäischer Ebene wurde ein umfassender
Aktionsplan zur Bekämpfung des Terrorismus verab-
schiedet, der im Wesentlichen auf eine deutsche Initiative
zurückgeht. Wir haben in der NATO seit der Erklärung
des Bündnisfalls am 4. Oktober des vergangenen Jahres
ebenfalls ein umfangreiches Bündel ziviler und militäri-
scher Maßnahmen geschnürt und verwirklichen diese
Maßnahmen jetzt.

Schließlich hat vor allen Dingen der Sicherheitsrat
der Vereinten Nationen mit der schon angesprochenen
grundlegenden Weiterentwicklung des Völkerrechts den
Rahmen für den Kampf gegen den Terrorismus abge-
steckt. Im Übrigen sind die Staaten dabei, ihre Berichte
den Vereinten Nationen zur Verfügung zu stellen.

Ich will abschließend unterstreichen, dass der Kampf
gegen den Terror zu gewinnen ist. Er erfordert aber eine
lang andauernde, zum Teil schwierige und risikoreiche
Auseinandersetzung und den Einsatz aller Kräfte, auch
militärischer Kräfte, auf vielen Ebenen. Unser Ziel, Frie-
den und Freiheit zu verteidigen und eine Weltordnung
zu erreichen, die auf der Herrschaft des Rechts, der De-
mokratie und der Menschenrechte gründet, lässt uns
keine andere Wahl. Das macht der Bericht ebenfalls
deutlich.

Ich bitte sehr darum, dass wir bei allen Entscheidun-
gen, die in den nächsten Wochen, auch über die Verlänge-
rung des einen oder anderen Engagements, anstehen,
diese Perspektiven im Auge behalten; denn Deutschland
ist Teil der internationalen Gemeinschaft, die für Frieden,
Freiheit und globale Stabilität eintritt.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1423611300
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Karl-Heinz Hornhues.


Dr. Karl-Heinz Hornhues (CDU):
Rede ID: ID1423611400
Frau Präsi-
dentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich drei Anmer-
kungen zu dem Bericht machen, um den es heute geht.
Der erste Bericht, der uns über das, was am 11. Septem-
ber begann, und über unsere Reaktion vorliegt, wird von

mir insoweit in einem Punkt nachdrücklich begrüßt, als er
an zwei Stellen die besondere Solidarität mit den Verei-
nigten Staaten von Amerika deutlich macht.

Er macht auch deutlich – insoweit stimme ich dem Be-
richt völlig zu –, dass es sich nicht um irgendeine Art von
Gefolgschaftstreue oder Dankesschuld – natürlich emp-
finden wir auch sie – handelt, sondern dass es hier um das
gemeinsame Handeln mit einem Verbündeten geht, der
uns, bisher jedenfalls, nicht im Stich gelassen hat. Ich un-
terstreiche das: Wir sind mit einem Verbündeten solida-
risch. Wir wissen nicht, ob wir seine Solidarität nicht mor-
gen in besonderer Weise brauchen werden.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)


Wir werden die Diskussion in diesem Land vermutlich
in der nächsten Woche verschärft führen.


(Joseph Fischer, Bundesminister: Da freut er sich schon drauf!)


– Ach, Herr Fischer, ich freue mich nicht darauf, mit tut
nur manches Leid. Es tut mir Leid, wenn ich sehe, dass
man vergisst, dass unter den Toten in New York auch
Deutsche waren und unser Land teilweise Ausgangspunkt
für die Attentate in New York gewesen ist.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich glaube,
wenn man bemerkt – Herr Minister, damit wir uns nicht
missverstehen, ich werfe das nicht Ihnen, sondern man-
chen anderen hier vor –, dass deutsche Touristen längst
Ziele und Opfer des internationalen Terrorismus sind –
man sollte die Bundesanwaltschaft vielleicht einmal be-
fragen, was sie alles weiß und zu sagen hat –, dann wird
deutlich, dass es zum einen um Solidarität geht, aber zum
anderen auch um uns selber, unser Land, unsere Bürger
und unsere Wertvorstellungen, für die es einzutreten gilt.

Sie werden es mir sicherlich nicht verübeln – das hoffe
ich jedenfalls –, dass ich in diesem Zusammenhang das,
was sich in der nächsten Woche in dieser Stadt zusam-
menbrauen wird, kurz anspreche. Was sich im Vorfeld des
Besuchs des US-Präsidenten abgespielt hat und viel-
leicht noch abspielen wird – das befürchte ich jeden-
falls –, ist nicht das, was ich mir als Politiker dieses Lan-
des für dieses Land wünsche.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Eine vom Koalitionär PDS geführte und von Teilen der

Grünen, etlichen Jusos und anderen angereicherte De-
monstration wird erwartet. Am Ende – das ist genauso zu
erwarten – wird es zu einem Rennen gegen die Polizisten
des Koalitionärs SPD, die das zu verantworten hat, kom-
men.


(Wolfgang Gehrcke [PDS]: Genau das wird nicht passieren!)


Sie hat das, was sich dann hier ereignet – dies meine ich
politisch –, zu verantworten. Auf die verfassungsrechtli-
chen Themen, die eben diskutiert wurden, will ich nicht
eingehen. Das ist nur mein Vorwurf an die Sozialdemo-
kraten.

Ich verstehe viele derjenigen, die der SPD in Berlin an-
gehören und die zutiefst bedrückt sind, unter Umständen




Bundesminister Rudolf Scharping
23554


(C)



(D)



(A)



(B)


erleben zu müssen, wie Herr Gysi einerseits bei der Demo
vorneweg marschiert


(Wolfgang Gehrcke [PDS]: Das nicht!)

und andererseits anschließend bei der Eintragung ins
Goldene Buch dabei ist, also beide Events mitmacht, weil
hinreichend viele Kameras vorhanden sind.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Herr Außenminister, ich bedanke mich bei Ihnen dafür,

dass Sie dem Regierenden Bürgermeister dieser Stadt deut-
lich gemacht haben, dass es für einen Berliner Regierenden
Bürgermeister aus vielerlei Gründen – vor allen Dingen
wegen der Stadt Berlin – selbstverständlich sein muss, ei-
nen US-Präsidenten in dieser Stadt angemessen willkom-
men zu heißen. Dafür, dass Sie dies hinreichend deutlich
gemacht haben, danke ich Ihnen. Wenn ab und zu etwas ge-
schieht, was einem gefällt, sollte man sich auch bedanken.


(Wolfgang Gehrcke [PDS]: So ändern sich die Zeiten!)


Im Bericht wurde vieles angesprochen, was sich in Af-
ghanistan positiv entwickelt hat. Wer sich die Szenarien
in Erinnerung ruft, die bei der Entscheidung, die wir vor
einem halben Jahr zu treffen hatten, durchs Land geister-
ten, wird viele Korrekturen an seinen eigenen Vorurteilen
vornehmen müssen. Vieles ist besser gelaufen, als wir es
erwarten durften und erhoffen konnten. Ich will die Zeit
nicht verstreichen lassen, ohne all denen deutlich zu dan-
ken, die dort unter verschiedensten Aspekten militäri-
sches und ziviles Engagement zeigen und somit auch für
Deutschland einen gewichtigen und gewaltigen Beitrag
leisten. Ihnen gilt mein herzlicher Dank für das, was ge-
schieht.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)


Die Wirklichkeit ist aber unverändert. Die Lage ist la-
bil. Zwar wurde vieles erreicht, aber unverändert – so
steht es im Bericht – ist vor allen Dingen das Taliban-
Netzwerk al-Qaida nicht unter Kontrolle. In Kurzfassung:
Der Kampf muss dementsprechend weitergehen. Dass
dies in dem Bericht deutlich gesagt wird, finde ich richtig
und gut. Ich hoffe, dass all diejenigen, die diese Regierung
tragen, hinreichend davon überzeugt sind, dass das, was
begonnen wurde, auch zu Ende gebracht werden muss.

Mein letzter Punkt im Zusammenhang mit dem Bericht
bezieht sich auf den allerletzten Satz dieses Berichtes. Mit
diesem Satz wird den Soldaten und ihren Familien ge-
dankt. Diesem Dank darf ich mich für meine Fraktion
nachdrücklich anschließen. Ich danke ausdrücklich aber
auch allen Soldaten, die in anderen Gegenden im Einsatz
sind, herzlich für das, was sie leisten und getan haben. Wo
immer man Besuche macht, wird man, egal, wo er oder sie
hinkommt, feststellen, mit welcher Anerkennung und
welchem Respekt von den deutschen Soldaten und ihren
Leistungen gesprochen wird. Ich glaube, diese Soldaten
leisten einen enormen Beitrag zur Lösung der jeweiligen
Probleme. Darüber hinaus fahren sie für unser Land sehr
viele Pluspunkte ein.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)


Wir sollten allerdings niemals vergessen, dass bei allen
Einsätzen der Soldaten immer wieder sorgfältig überlegt
werden muss, ob der Einsatz als Ultima Ratio wirklich
verlangt werden muss. Bei all diesen Einsätzen können
die Soldaten letztlich nur die Voraussetzung dafür schaf-
fen, dass die Lösung politischer Probleme auf einer beru-
higten Basis politisch erreicht werden kann.

Deshalb macht es mich nervös und unruhig, dass die
Soldaten in manchen Einsatzfeldern bereits seit Jahren
sind. Wenn ich an meinen letzten Besuch in Sarajevo
denke, überkommt mich tiefe Sorge, dass mir mehr oder
weniger unwidersprochen die These begegnet: In 15 oder
20 Jahren werden wir wohl auch noch hier sein, weil es
bis dahin keine Lösung geben wird. Ich gestehe, dass dies
wahr sein mag. Aber ich kann damit nicht leben.

Wir wissen nicht, wann das nächste Problem auf uns
zueilt. Dass heute in Afghanistan deutsche Soldaten sta-
tioniert sind, hätte sich vor zwölf Monaten niemand in
diesem Hause träumen lassen. Irgendwann wird wieder
die Frage anstehen, dass wir irgendwo eingreifen müssen,
obwohl wir dafür noch Zeit bräuchten. Aber mancherorts
richtet man sich darauf ein, mit uns zu spielen. Das ist ge-
rade in Bezug auf den Balkan meine Sorge. Es kann sein,
dass wir – ich sage pauschal „wir“ und meine damit
einschließlich der internationalen Organisationen alle
dort Anwesenden – zum beliebten Spielball der Interessen
vor Ort werden, dass man uns benützt und ausnutzt.

Von daher ist es meine dringende Bitte, dass das, was
an politischer Initiative möglich ist und verstärkt werden
kann, auch tatsächlich verstärkt wird. Ich habe volles Ver-
ständnis für einen Minister, der von immer neuen Themen
und neuen Krisen überfallen wird, die er sich sicherlich
nicht wünscht. Wenn die Scheinwerfer ein bestimmtes
Krisenszenario nicht mehr beleuchten, dann bleibt am
Ende nur noch das Verwalten übrig. Wenn dann ein Minis-
ter mehr Personal fordert, um besser agieren zu können,
hat er auf jeden Fall meine Unterstützung, auch wenn das
noch so viele Finanzminister anders sehen.

Wir müssen also die Ressourcen schärfer ins Auge
nehmen, um sie dort zur Verfügung zu stellen, wo sie ge-
braucht werden, damit eine politisch dauerhafte friedliche
Lösung schneller als bisher erreicht werden kann. Ich
möchte möglichst bald den Tag erleben, an dem die Bun-
deswehr aus einem der genannten Einsatzfelder wegen
völligen Erfolgs abgezogen werden kann. Denn das be-
drückt mich an dem Bericht am meisten: Ein Ende ist bei-
leibe noch nicht abzusehen, so wie das auch in anderen
Feldern der Fall ist.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich habe ein
Problem. Ich muss jetzt ein paar Worte finden, um Ihnen
Auf Wiedersehen zu sagen. Es ist das letzte Mal, dass ich
hier stehe. Ich gebe zu, dass dies ein komisches Gefühl ist.
Ich habe immer gern vorne gestanden, aber besonders
gern hier in Berlin. Es war mein Wunsch, dabei zu sein,
wenn wir in dieser Stadt sind.

Wenn ich morgens aus meiner Wohnung Unter den
Linden 39 in den Reichstag herübergehe, der der Sitz des
Bundestages ist, dann überkommt mich die Erinnerung
daran, wie es war, als ich 1972 in Bonn Abgeordneter
wurde. Damals setzte ich mich schüchtern und vorsichtig




Dr. Karl-Heinz Hornhues

23555


(C)



(D)



(A)



(B)


auf den Platz der Großen, die nicht anwesend waren. Ich
erkundigte mich, wo Adenauer früher gesessen hatte, um
durch Aufsitzen einmal seinen Geist zu atmen.


(Heiterkeit im ganzen Hause)

Ich erinnere mich an so manches, was ich mir damals

vorgestellt habe. Aber an eines erinnere ich mich nicht.
Ich kann mich beim besten Willen nicht daran erinnern,
mir vorgestellt zu haben, dass ich am Ende meiner
30 Jahre als Abgeordneter nach der deutschen Einheit in
diesem Parlament in Berlin sein würde. Ich habe mir al-
lerdings auch nicht vorstellen können, dass mein letztes
Thema die deutschen Soldaten in Afghanistan und an-
derswo sein würde. Beides sind Dimensionen, die meine
Fantasie damals bei weitem überschritten, die aber auch
deutlich machen, dass wir einen guten Weg zurückgelegt
haben.

Dass ich hier in Berlin vor diesem Parlament der deut-
schen Einheit stehe, ist für mich persönlich eine Glücks-
stunde. Ich glaube aber, dass es auch eine Glücksstunde
für dieses Land ist, weil wir all dies haben schaffen kön-
nen. Alle, die daran mitgewirkt haben, werden wohl so
empfinden. Wie jedermann weiß, haben daran viele mit-
gewirkt.

Dass ich daran mitwirken durfte, dafür danke ich erstens
natürlich meinen Wählern, zweitens meiner Fraktion und
drittens – manchmal hat es mit Ihnen Spaß gemacht – auch
Ihnen. Ich danke dafür, dass wir all die Jahre haben zusam-
men streiten und zusammen verbringen können.


(Heiterkeit im ganzen Hause)

Ich glaube, dass es in letzter Bewertung für unser Land
glanzvolle Jahre waren, weil es die längste Periode von
Frieden, Freiheit und Demokratie war, die Deutschland
meiner Einschätzung nach je erlebt hat. Wir können alle
darauf stolz sein, daran mitgewirkt zu haben. Ich jeden-
falls bin es.

Ich bedanke mich bei den Stenografen, die aus meinen
Reden am Ende lesbare Texte gemacht haben. Ich be-
danke mich bei meinen Mitarbeitern. Ich bedanke mich
bei allen Beamten der Ministerien, die mich ertragen und
erduldet haben und mir auch im Ausland geholfen haben.
Ich bedanke mich aber vor allen Dingen bei Ihnen, liebe
Kolleginnen und Kollegen, für klasse Jahre für Deutsch-
land.

Danke.

(Beifall im ganzen Hause – Joseph Fischer, Bundesminister: Wir danken Ihnen auch!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1423611500
Lieber Herr
Kollege Hornhues, wenn dieses wirklich Ihre letzte Rede
war, kann ich Ihnen sicherlich im Namen aller Kollegin-
nen und Kollegen versichern, dass auch uns ein eigenar-
tig wehmütiges Gefühl überkommt. Wenn jemand wirk-
lich 30 Jahre Parlamentarier war, so muss man sagen: Im
normalen Leben entspricht das einer Generation, bei Par-
lamentariern aber sind 30 Jahre mindestens drei Genera-
tionen.


(Heiterkeit im ganzen Hause)


Wir erinnern uns an die Verantwortung, die Sie – das
möchte ich persönlich unterstreichen – immer im Inte-
resse des Parlaments, insbesondere als Vorsitzender des
Auswärtigen Ausschusses und in vielen internationalen
Gremien wahrgenommen haben. Wir haben großen Res-
pekt vor Ihrer Arbeit. Ich meine, dass es zu Ihrer gesam-
ten Arbeit passt, dass Sie in Ihrer letzten Rede zu einem
so wichtigen und schwierigen Thema gesprochen haben.
Vielen Dank dafür.


(Beifall im ganzen Hause)

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Angelika Beer.


(Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Auch die letzte Rede!)



Angelika Beer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1423611600
Frau
Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich
möchte mich zuerst einmal bei der Bundesregierung aus-
drücklich dafür bedanken, dass sie, wie zugesagt, diese
Debatte ermöglicht. Wir müssen natürlich nicht nur in die
Vergangenheit, sondern auch in die Zukunft blicken.

Ich kann sicherlich stellvertretend für alle feststellen,
dass die Anschläge vom 11. September unsere Wahrneh-
mung von Sicherheit verändert haben. Zwar war der in-
ternationale Terrorismus keine neue Erscheinung, aber die
hässliche Fratze, mit der er seitdem immer wieder unsere
Aufmerksamkeit erregt, hat uns nicht nur betroffen ge-
macht, sondern auch in großer Einigkeit dazu veranlasst,
einhellig bestimmte politische Maßnahmen zu verab-
schieden.

Die Bekämpfung des Terrorismus im Rahmen von
„Enduring Freedom“ zeigt: Die Bedrohung kann nicht nur
militärisch beantwortet werden. Meine Fraktion hat im
Dezember ein integriertes Konzept dazu vorgelegt. Darin
spielen kurz- und langfristige Maßnahmen eine Rolle. Si-
cherheitspolitik muss heutzutage auch entwicklungspo-
litische, demokratiepolitische, ökologische, menschen-
rechtliche und wohlstandsfördernde Aspekte mit
einbeziehen.

Der Bericht weist darauf hin – ich möchte das noch ein-
mal erwähnen –, dass gerade unter unserer Verantwor-
tung, auch wenn wir militärisch agieren mussten, das po-
litische Grundkonzept immer wieder neu überdacht und
entwickelt wurde, um für eine friedliche Zukunft in den
Regionen zu sorgen. Ich möchte insbesondere auf den
Aufbau der Polizei in Afghanistan oder die Beteiligung an
ISAF hinweisen.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, die schwierigen
Herausforderungen sind für unsere Soldaten eine beson-
dere Belastung. Die aktuellen Einsätze auf dem Balkan,
im Rahmen von ISAF und „Enduring Freedom“ erfordern
nach unserer Überzeugung auch die Anpassung unserer
sicherheitspolitischen Instrumente an die aktuellen Be-
dingungen. Das heißt, wir müssen uns der Frage stellen,
welche Folgerungen daraus für die Weiterentwicklung der
Bundeswehr, für die Bundeswehrreform zu ziehen sind.
Das Grundgesetz bestimmt aus gutem Grunde und zu
Recht: Die Bundeswehr darf nicht für Aufgaben im In-
neren eingesetzt werden. – So soll es auch bleiben. Aber




Dr. Karl-Heinz Hornhues
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(C)



(D)



(A)



(B)


wir müssen uns fragen: Welche neuen Anforderungen
kommen auf die Soldaten zu? Welches Material wird
benötigt? Welche Modernisierungsschritte sind notwen-
dig und welche Qualifikation brauchen unsere Soldaten,
damit sie für derartige Einsätze befähigt sind?

Wir sehen, dass die Bundeswehr hervorragende Arbeit
leistet und auch ich möchte hierfür im Namen meiner
Fraktion ausdrücklich danken.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir sehen aber auch, dass die Belastbarkeitsgrenze deut-
lich erreicht ist. Das wird sich nicht dadurch korrigieren
lassen, dass wir die Truppen auf dem Balkan marginal re-
duzieren. Vielmehr müssen wir uns den Aufgaben stellen.
Die nationalen Strukturen aller Partner in der EU und in
der NATO müssen endlich in Einklang gebracht werden.
Es ist höchste Zeit, Überflüssiges einzusparen, Doppe-
lungen zu vermeiden und multinationales Agieren wie
auch eine effiziente Modernisierung in den Vordergrund
zu stellen.

Ich möchte noch zwei Punkte ansprechen, die mir sehr
am Herzen liegen. In den kommenden Monaten, ab An-
fang Juli, wird das Parlament in die Sommerferien ge-
schickt und wir werden Wahlkampf betreiben. Trotzdem
werden – darin bin ich mir sicher – die Einsätze der Bun-
deswehr weitergehen; denn wir werden vorher in großer
Einigkeit alle Mandate der Bundeswehr verlängern. Ich
bitte die Bundesregierung gerade in der Zeit, in der keine
parlamentarischen Sitzungswochen festgesetzt sind, um
ein Höchstmaß an Transparenz, wenn es um weitere
Entscheidungen geht. Wir sind gewillt, unsere politische
Verantwortung bis zum 22. September wahrzunehmen
und uns nicht nur auf den eigenen Wahlkampf zu konzen-
trieren.


(Beifall der Abg. Heidi Lippmann [PDS])

Ich verbinde mit der aktuellen Situation eine zweite

Sorge. Der notwendige Kampf, auch der militärische, ge-
gen al-Qaida und den internationalen Terrorismus darf
keinerlei Automatismus unterliegen. Solidarität mit den
Vereinigten Staaten darf aus meiner Sicht nicht unkritisch
sein. Ich verurteile – das sage ich ausdrücklich, Herr Kol-
lege Hornhues – jede Form von Gewalt. Aber demokrati-
scher Protest oder diplomatische Kritik sind Bestandteil
von Solidarität. Ich sage das, weil ich der Überzeugung bin,
dass die von dem amerikanischen Verbündeten kreierte
„Achse des Bösen“ oder die Hinweise auf Angriffe auf den
Irak nicht Bestandteil unserer Solidarität sein können.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich sage das auch vor dem Hintergrund des Kampfes
gegen die Proliferation von Massenvernichtungswaffen.
Die Gefahr, die durch die Proliferation entsteht – das
möchte ich gar nicht vereinfachen –, nimmt zu. Aber wir
wissen aufgrund der bisherigen Erfahrungen, dass nur
eine Stärkung der Abrüstungsbemühungen und der Rüs-
tungskontrolle unter Verantwortung der Vereinten Natio-
nen, die wir stärken müssen, Abhilfe schaffen kann und
dass Militärschläge gegen den Irak gerade im Hinblick
auf die Situation im Nahen Osten politisch unverantwort-

lich wären. Deswegen möchten wir weiterhin Kofi Annan
und die Inspektoren der Vereinten Nationen in ihren
Bemühungen um uneingeschränkten Zutritt zum Irak un-
terstützen, um so gegen die Proliferation von Massenver-
nichtungswaffen im Irak erfolgreich zu arbeiten.

Ich wünsche mir, dass Europa auch in diesem Bereich
eine gemeinsame Stimme findet; denn diese gemeinsame
Stimme ist ein Garant für die Vertiefung der guten trans-
atlantischen Beziehungen und verringert die Gefahr des
Unilateralismus des amerikanischen Verbündeten, eines
Verbündeten, der uns zumindest mit großer Sorge auf die
aktuelle und zukünftige Entwicklung blicken lässt.

Vielen Dank für Ihre Geduld.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1423611700
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Günther Nolting.


Günther Friedrich Nolting (FDP):
Rede ID: ID1423611800
Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren! Die Angehörigen der Bundes-
wehr erbringen im Einsatz zur Bekämpfung des interna-
tionalen Terrors großartige Leistungen. Unsere Soldatin-
nen und Soldaten tragen dazu bei, dass das zarte
Pflänzlein der Freiheit gesichert wird. Sie haben sich ei-
nen enormen Vertrauensbonus in der Bevölkerung erar-
beitet. Die Leistungen unserer Soldatinnen und Soldaten
sind es, die das Ansehen Deutschlands im Ausland meh-
ren. Durch die dauerhafte und geschätzte Präsenz deut-
scher Truppen in den Einsatzgebieten haben sie
Deutschlands Außenpolitik zu einem deutlichen Gewinn
an Glaubwürdigkeit verholfen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Es sind die Leistungen unserer Soldatinnen und Soldaten,
die der deutschen Politik und Diplomatie neue Gestal-
tungsspielräume und Mitwirkungsmöglichkeiten eröff-
nen und sichern. Auch ich möchte die Gelegenheit nutzen,
den Angehörigen der Bundeswehr für ihren hervorragen-
den Einsatz zu danken. Ich sichere ihnen die Anerkennung
und Wertschätzung der FDP-Bundestagsfraktion zu.


(Wolfgang Gehrcke [PDS]: Da sind die aber sehr beeindruckt!)


Das größte Kapital unserer Streitkräfte sind gut ausge-
bildete und gut motivierte Soldaten. Dieses Kapital gilt es
zu pflegen, wollen wir weiterhin eine so positive Reso-
nanz bei den Partnern, den Verbündeten und der Bevölke-
rung in den Einsatzgebieten erfahren. Offensichtlich hat
die Bundesregierung diesen fundamentalen Zusammen-
hang nicht erkannt. Anders kann ich es mir nicht erklären,
dass sich diese Bundesregierung entgegen allen Exper-
tenaussagen weiterhin weigert, die Stehzeiten unserer
Soldatinnen und Soldaten im Ausland endlich auf vier
Monate zu begrenzen.


(Beifall bei der FDP)

Sechs Monate sind für die Beziehungen und Partner-
schaften der Soldatinnen und Soldaten, aber auch für




Angelika Beer

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(A)



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deren Motivation und Leistungsbereitschaft zu lange. Im
Namen der FDP-Bundestagsfraktion fordere ich die Bun-
desregierung erneut auf: Reduzieren Sie die Stehzeiten
auf vier Monate und schaffen Sie auf diesem Gebiet end-
lich mehr Flexibilität!


(Beifall bei der FDP)

Meine Damen und Herren, trotz gegenteiliger Verspre-

chungen hat es die Bundesregierung nicht vermocht, die
Problematik der Mehrfacheinsätze einzelner Soldaten in
den Griff zu bekommen. Für unzählige Spezialisten zum
Beispiel bei den Pionieren, im Sanitätsdienst, bei der Marine
und in einsatzwichtigen Stäben ist der zugesicherte Min-
destabstand von zwei Jahren zwischen den Einsätzen eine
reine Farce. Damit motiviert man seine besten Leute nicht.

Auslandseinsätze stellen personell und materiell eine
hohe Herausforderung dar. Gerade die Erfahrungen auf
dem Balkan zeigen, dass die Verpflichtungen deutscher
Streitkräfte in der Regel länger als zunächst geplant dau-
ern. Daher ist es aus Sicht der FDP schon ein Stück aus
dem Tollhaus, wenn die Bundesregierung jetzt heimlich,
still und leise die Auslandsverwendungszuschläge kürzt.
Glauben Sie von der Regierung eigentlich allen Ernstes,
so die Bereitschaft der Soldaten zu erhöhen, an einem an-
strengenden und nicht ungefährlichen Auslandseinsatz
teilzunehmen? Im Namen der FDP-Bundestagsfraktion
fordere ich Sie auf: Lassen Sie die Finger von einer Re-
duzierung der Auslandsverwendungszuschläge!


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, es ist unerträglich, dass es

bei der Bundeswehr für die gleiche Leistung in ein und
derselben Einheit immer noch unterschiedliche Besol-
dungen gibt. Wo sind die konkreten Schritte, die den
schönen Worten des Bundeskanzlers von Magdeburg Ta-
ten folgen lassen, als die Anhebung der Ostlöhne auf
Westniveau versprochen wurde?


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Peter Zumkley [SPD]: Was ihr nie fertig gekriegt habt! Ihr habt uns das eingebrockt!)


– Herr Kollege Zumkley, warum hat Rot-Grün entspre-
chende Anträge der FDP-Bundestagsfraktion abgelehnt?

Meine Damen und Herren, im Zusammenhang mit die-
ser Bilanz danken wir den Angehörigen der Bundeswehr
für ihren geleisteten Dienst und bitten sie darum, weiter-
hin so bedeutende Repräsentanten unseres Landes zu sein.
Die FDPwird die Angehörigen der Bundeswehr bei ihren
berechtigten Forderungen nach guten Arbeitsbedingun-
gen, nach gerechter Bezahlung und moderner Ausrüstung
immer unterstützen.


(Beifall bei der FDP – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das ist doch reine Anbiederung, was Sie da gerade machen, mehr nicht! Miese Anbiederung!)


Angesichts dieser Bilanz muss allerdings dieser Bundes-
regierung eine Entlastung verweigert werden. Die Bilanz
für die Bundesregierung ist schlecht. Ich appelliere des-
halb an Sie: Versetzen Sie unsere Streitkräfte endlich in
die Lage, auf Dauer so schwierige Auslandseinsätze be-

werkstelligen zu können! Dies verlangt mehr als Lippen-
bekenntnisse. Kommen Sie endlich Ihrem gestalterischen
Auftrag nach!


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Lieber „Charly“ Hornhues, im Namen der FDP-Bun-
destagsfraktion bedanke ich mich für die gute Zusam-
menarbeit in den letzten Jahrzehnten. Wir finden es
schade, dass du in der nächsten Legislaturperiode nicht
mehr dem Bundestag angehören wirst. Du wirst uns feh-
len.


(Dr. Karl-Heinz Hornhues [CDU/CSU]: Danke schön!)


Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1423611900
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Wolfgang Gehrcke.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1423612000
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Der Bericht der Bundesregie-
rung ist nicht viel wert. Das ist noch eine höfliche Um-
schreibung; man könnte auch sagen, dass er nichts taugt:
viele Worte, wenig Inhalt, keine Information. Das Parla-
ment hat mehr zu erwarten. Vernünftig wäre es, jetzt eine
Bilanz zu ziehen. Mangels einer geeigneten Vorlage der
Bundesregierung müssen wir gemeinsam etwas genauer
hinschauen.

Nach zehn Monaten muss man feststellen, dass die
großen Konfliktherde dieser Welt, der Nahostkonflikt, der
Kaschmirkonflikt und die Krisen im kaspisch-kauka-
sischen Raum, nicht gedämpft und entspannt worden
sind, sondern explosiven Charakter angenommen haben.


(Beifall bei der PDS)

In diesem Zusammenhang sage ich ganz deutlich, liebe

Kolleginnen und Kollegen: Das Parlament muss aufpas-
sen, dass wir nicht in einen Krieg gegen den Irak hinein-
gezogen werden, der den ganzen Nahen Osten in Brand
setzen würde. Die Äußerungen der Bundesregierung
hierzu sind zweideutig. Jeder, der das wollte, konnte se-
hen, dass Hochrüstung kein Mittel gegen Terror sein kann,
aber die Rüstung wurde in gigantische Höhen getrieben.
Die USA geben jetzt jährlich 415 Milliarden US-Dollar
für die Rüstung aus. Neue, schreckliche Waffen werden
erforscht und erprobt; die Schwelle zu einem Einsatz von
Atomwaffen soll gesenkt werden.

Ich sage: Rüstung tötet bereits im Frieden, weil Mittel
vernichtet werden, die nötig wären, um Armut, Krankheit
und Unterentwicklung zu bekämpfen.


(Beifall bei der PDS)

Selbst der Außenminister hat heute Vormittag die Abrüs-
tung wieder entdeckt – ganz neue Züge im Wahlkampf.


(Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das kann ihn nur aufwerten!)


Die Partnerschaft und die Bereitschaft zum sozialen
Ausgleich sind nicht gewachsen. Vielmehr bewegen sich




Günther Friedrich Nolting
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(D)



(A)



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die USA in der Welt, als ob sie alles, alles allein und alles
in ihrem Interesse entscheiden könnten. Das kann im
Sinne des Weltzustandes nicht vernünftig sein.


(Beifall bei der PDS)

Zur Bilanz gehört auch, dass die Zusammenarbeit in

Europa nicht besser, sondern schwieriger geworden ist.
Auch das wird keiner leugnen können.

All das ist kein Zufall, sondern Ergebnis einer Politik,
in der das Militärische eben doch über das Zivile domi-
niert, wie Sie schon aus dem Missverhältnis zwischen den
Ausgaben für Rüstung einerseits und für die Entwicklung
andererseits erkennen können. Das bestätigt die Auffas-
sung meiner Fraktion, dass der Kampf gegen den Terro-
rismus gewonnen werden kann, sofern ein anderer Weg
gegangen wird, dass aber Kriege gegen Terrorismus in
dieser Art und Weise nicht gewonnen werden können.


(Beifall bei der PDS)

Lassen Sie mich an dieser Stelle auch sagen, dass ich

es nicht nur verstehe, sondern aktiv unterstütze, dass
Menschen in unserem Lande dies dem amerikanischen
Präsidenten Bush auch in Form einer Demonstration sa-
gen wollen.


(Beifall bei der PDS)

Ich unterstütze es aktiv, friedlich und gewaltfrei zu de-
monstrieren; das muss eine Selbstverständlichkeit sein.

Lassen Sie mich die Gelegenheit nutzen, mich an die
Kolleginnen und Kollegen und an die Menschen in Berlin
zu wenden, die demonstrieren: Wer gegen Gewalt de-
monstriert, muss selbst gewaltfrei vorgehen, wenn er Er-
folg haben will. Auch das ist für uns wichtig.


(Beifall bei der PDS sowie des Abg. Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Ich möchte nicht, dass Herr Kollege Uhl hier noch
nachträglich triumphieren kann.


(V o r s i t z: Vizepräsidentin Petra Bläss)

Ich fasse zusammen: Ich erwarte von der Bundesregie-

rung, dass sie im NATO-Rat die Aufhebung des Bündnis-
falls nach Art. 5 beantragt. Dies ist aus politischer und ver-
fassungsrechtlicher Sicht geboten. Ich erwarte, dass die
deutschen Truppen rasch zurückgeholt werden. Lassen
Sie mich hinzufügen: Ich fordere, dass im Bundestag
keine neuen Kriegseinsätze beschlossen werden.


(Beifall bei der PDS)

Das, was in Afghanistan abläuft und was nicht im Be-

richt steht, ist in Teilen verfassungs- und völkerrechts-
widrig. Jeder weiß, dass der Auftrag, Gefangene zu ma-
chen und an die USA auszuliefern, verfassungs- und
völkerrechtswidrig ist.


(Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist nicht der Punkt!)


Wer den eigenen Soldaten einen solchen strafbaren Auf-
trag gibt, handelt nicht im Interesse der betreffenden Sol-
datinnen und Soldaten.


(Beifall bei der PDS)


Deutschland muss verbindlich erklären, nicht an einem
neuen Golfkrieg teilzunehmen. Es muss endlich eine an-
dere Richtung in der Politik eingeschlagen werden. Das
sind die Fragen, über die hier debattiert werden müsste.


(Beifall bei der PDS)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1423612100
Das Wort hat der Bun-
desaußenminister Joseph Fischer.


Joseph Fischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1423612200

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Kollege
Gehrcke, das war eine ordentliche DKP-Rede. Allerdings
muss ich Ihnen sagen, dass der Kalte Krieg zu Ende ist.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Wolfgang Gehrcke [PDS]: Ihnen fällt auch nichts Tolles ein!)


– Ich weiß gar nicht, warum ihr euch so aufregt. Es ist so.
Sie kennen doch diese Reden von früher: Alles Böse wird
bei den USA angesiedelt. Ansonsten sind es die kriegeri-
schen Absichten der Bundesregierung. Sie werfen alles
durcheinander. Das hat nur nichts mit dem zu tun, worü-
ber wir hier diskutieren.


(Beifall des Abg. Cem Özdemir [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])


Sie müssten im Hinblick auf die Frage, was es bedeutete,
wenn wir die Bundeswehr heute vom Balkan abzögen,
schon konsequent sein. Das hieße nicht nur, die Bundes-
wehr abzuziehen; vielmehr müssten Sie Entsprechendes
auch von den anderen Partnern verlangen. Glauben Sie,
dass das ein Akt von Friedenspolitik wäre? Würde dies
nicht vielmehr zur Eskalation und zur Gefährdung von
Frieden beitragen?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Wolfgang Gehrcke [PDS]: Umwandeln in Blauhelme!)


Wenn wir heute die ISAF aus Afghanistan abziehen, dann
– das prophezeie ich Ihnen – werden wir wieder dieselbe
Tragödie erleben, die wir in Afghanistan schon mehr als
zwanzig Jahre erlebt haben und für die – auch das wollen
wir nicht vergessen – nicht zuletzt die Invasion der damali-
gen Sowjetunion und der Roten Armee Auslösefaktor war.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Wolfgang Gehrcke [PDS]: Das musste mal gesagt werden! – Peter Zumkley [SPD]: Ihr wart ja damals dafür!)


Da machen es sich manche bei Ihnen doch etwas zu ein-
fach. Solange das sozusagen eine brüderliche Hilfe war,
war das gut; heute aber kritisiert man es.

Ich mache es mir nicht so einfach. Ich sage Ihnen
nochmals: Wenn wir es damit ernst meinen, dass wir eben
nicht zusammengebrochene Strukturen wollen – es ist zu-
erst die dortige Bevölkerung, die massakriert wird, die auf
furchtbare Art und Weise malträtiert wird und die ihrer
Zukunft beraubt wird –, dann müssen wir uns dort enga-
gieren. Ein Engagement unter solchen Bedingungen – das
zeigen übrigens auch die Erfahrungen in Afrika – ist ohne




Wolfgang Gehrcke

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(D)



(A)



(B)


eine Sicherheitskomponente nicht möglich. Das hat
nichts mit hegemonialer, national ausgreifender Weltpoli-
tik zu tun.


(Wolfgang Gehrcke [PDS]: Überhaupt nicht!)

– Nein, überhaupt nicht. Das ist das, was Kofi Annan an
diesem Pult genauso gesagt hat. Es geht darum, Sicherheit
zu schaffen, um dort den Wiederaufbau staatlicher und ei-
nes Tages vielleicht auch demokratischer Strukturen zu
ermöglichen und den Menschen eine Perspektive zu ge-
ben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)


Genau das ist das Ziel, für das unsere Soldaten, die Di-
plomaten, aber auch die NGOs eingesetzt werden. Wir
wissen doch, dass es in Afghanistan wie auch auf dem
Balkan nicht um eine auf das Militärische verengte Poli-
tik geht. Schauen Sie sich doch etwa in Prizren an, wie die
zivile Seite mit der Bundeswehr aufs Engste zusammen-
arbeitet, wie auch die NGOs in die gemeinsame Arbeit in-
tegriert sind! Vor diesem Hintergrund kann ich Ihnen,
Herr Kollege Gehrcke, nur eines empfehlen: Rüsten Sie
endlich ab! Der Kalte Krieg – das ist der entscheidende
Punkt – ist zu Ende.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Meine Damen und Herren, lassen Sie mich hinzufü-
gen: Wir sind sehr besorgt, was die Entwicklung betrifft,
allerdings nicht direkt in Afghanistan; dort sind wir auf ei-
nem guten Weg. Der Kampf gegen den Terrorismus ist
mitnichten gewonnen. Niemand von uns kann weitere
schlimme Ereignisse ausschließen. Das internationale
Umfeld, das von verschiedenen Rednern angesprochen
worden ist, gibt ebenfalls Anlass zur Sorge. Die Nach-
richten, die wir aus Pakistan erhalten, sind alles andere
als beruhigend. Dort sind französische Staatsbürger einem
mörderischen Terroranschlag zum Opfer gefallen. Aber
auch in Kaschmir hat ein furchtbarer Terroranschlag un-
schuldige Menschen getroffen. Die Angst, die in der Re-
gion davor herrscht, dass so genannte grenzüberschrei-
tende Terroraktivitäten zu einer Eskalation mit
dramatischen Konsequenzen führen können, ist nicht von
der Hand zu weisen. Deswegen möchte ich hier an beide
Seiten appellieren, das Äußerste zu tun, um im Kaschmir-
Konflikt die Gewalt zu reduzieren oder gar zum Stillstand
zu bringen und gleichzeitig eine politische Perspektive
zur Lösung dieses tragischen Konflikts zu eröffnen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Dasselbe gilt für den Nahen und Mittleren Osten. Ich
möchte dies an dieser Stelle nicht weiter vertiefen, son-
dern nur sagen: Es war von entscheidender Bedeutung,
dass die USA mit Colin Powell wieder die Initiative er-
griffen haben. Ich habe in der vorangegangenen Debatte
gesagt: Entgegen der veröffentlichten Meinung halte ich
das nicht für eine gescheiterte Reise. – Wir stellen jetzt
fest, dass die Politik wieder eine Chance hat. Wir müssen
alles tun, um dem Terror das Gesetz des Handelns zu ent-

winden und zwischen Israelis und Palästinensern einen
Kompromiss herbeizuführen, der auf der Grundlage
„zwei Staaten – ein Frieden“ gelingen kann und meines
Erachtens mit Unterstützung der Staatengemeinschaft
auch gelingen muss.

Was wir allerdings nicht akzeptieren können und dür-
fen, ist, die Auseinandersetzung mit dem Terrorismus für
beendet zu erklären, obwohl sie noch nicht beendet ist;
denn das wäre ein Risiko, das wir allen Ernstes nicht ein-
gehen können und dürfen. Unsere Bürgerinnen und Bür-
ger sind auf Djerba bereits Opfer eines Terroranschlags
geworden. Wir sind darauf angewiesen, dass die interna-
tionale Staatengemeinschaft zusammensteht. Das wollen
wir und werden wir auch in Zukunft tun; denn dieser
neuen totalitären Herausforderung – sie werden sich nicht
scheuen, alle Möglichkeiten zu nutzen, die ihnen in die
Hände fallen – müssen wir entschlossen entgegentreten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Genauso entschlossen müssen wir sagen, dass die Ter-
rorursachen nicht ausreichend bekämpft werden, wenn
wir nur militärisch handeln.

In der Tat ist es so – diese Debatte haben wir heute
Morgen geführt –: Wir müssen mehr Gerechtigkeit
schaffen. Wir müssen auch dort, wo es aufgrund der un-
terschiedlichen Kulturen unterschiedliche Perspektiven
gibt, auf den Dialog der Kulturen setzen. Wir müssen Le-
bensperspektiven und Lebenschancen für eine größere
Zahl von Menschen in der Welt des 21. Jahrhunderts
schaffen. Dazu gehört auch und gerade das vielfältige En-
gagement Europas und der Bundesrepublik Deutschland.
Die Entschuldungsinitiative, die wir angestoßen haben,
ist hier ein ganz wichtiger Beitrag.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Der Bundeskanzler hat jüngst im Kabinett auf sehr be-
eindruckende Art und Weise von seiner Reise nach
Afghanistan berichtet. Er hat eine Einschätzung der Si-
tuation – das gilt nur für Kabul; im Lande außerhalb der
Hauptstadt und der großen Städte ist die Lage noch viel
dramatischer – gegeben. Das Land hat einen über 20 Jahre
andauernden Bürgerkrieg, eine Invasion und Zerstörun-
gen unbekannten Ausmaßes über sich ergehen lassen
müssen. Dank des Petersberg-Abkommens, dank des Ein-
satzes unserer Soldaten und der Soldaten anderer Verbün-
deter und dank des politischen Prozesses – wir stehen jetzt
unmittelbar vor der Loya Jirga; das heißt vor einer neuen
Stufe der Umsetzung des Petersberg-Abkommens – hat
Afghanistan eine echte Chance.


(Beifall des Abg. Cem Özdemir [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN] und des Abg. Jörg Tauss [SPD])


Unsere Soldaten haben dafür einen, wie ich finde,
enorm wichtigen Beitrag geleistet. Sie haben persönlich
sehr viel riskiert und riskieren weiterhin persönlich sehr
viel. Dafür gebührt ihnen unserer Dank, unsere Unterstüt-
zung und unsere Solidarität.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP)





Bundesminister Joseph Fischer
23560


(C)



(D)



(A)



(B)


Herr Kollege Hornhues, ich möchte nicht schließen,
ohne mich bei Ihnen für die vergangenen vier Jahre zu be-
danken. Sie hätten sich sicherlich nicht träumen lassen,
dass es die deutsche Wiedervereinigung geben und dass
der Bundestag in Berlin im Reichstag seinen Sitz haben
wird. Es gibt einen engen Zusammenhang zwischen Wie-
dervereinigung und Ende des Kalten Krieges und der Tat-
sache, dass wir heute über deutsche Soldaten am Hindu-
kusch diskutieren,


(Wolfgang Gehrcke [PDS]: Das ist wahr!)

die dort eine hervorragende Arbeit leisten.

Aber Sie hätten sich sicherlich auch nicht gedacht, dass
Sie es am Ende Ihrer politischen Laufbahn einmal mit ei-
nem grünen Außenminister zu tun haben werden. Ich hoffe
allerdings, Herr Kollege Hornhues, dass das nicht der
Grund dafür ist, dass Sie sich jetzt nach 30 Jahren aus dem
Parlament verabschieden. Mir hat die Zusammenarbeit
und vor allen Dingen auch der politische Streit mit Ihnen
sehr viel Spaß gemacht. Ich wünsche Ihnen alles Gute.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1423612300
Es spricht der Kollege
Hans Raidel für die Fraktion der CDU/CSU.


Hans Raidel (CSU):
Rede ID: ID1423612400
Frau Präsidentin! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Generalinspekteur
Kujat hat zu Recht auf der letzten Kommandeurtagung
festgestellt: Unsere gut ausgebildeten Soldaten sind Ga-
ranten der erfolgreichen Einsätze der deutschen Kontin-
gente. Unsere Männer und Frauen lösen ihre Aufgaben
professionell. Sie haben sich in ihrem Können und in ih-
rer Motivation glänzend bewährt.

Wer wollte dem noch etwas hinzufügen außer dem
Dank, den auch ich im Namen meiner Fraktion noch ein-
mal zum Ausdruck bringen möchte? In diesen Dank
möchte ich insbesondere die Familien einschließen, die
eine ganz besondere Last mitzutragen haben.

Als wir über diese Themen debattiert haben, gab es
viele Zweifler und Kritiker; ich gehörte auch dazu. Aber
ich glaube, dass mittlerweile auch Zweifler und Kritiker
der Überzeugung sind, dass es richtig war und richtig ist,
an diesen Missionen teilzunehmen. Wir können uns den
globalen Sicherheitsaufgaben einfach nicht entziehen.
Ich bin auch der Meinung, dass die Gefahr anderenfalls
viel zu groß wäre, dass Deutschland in eine hintere Posi-
tion bezüglich unserer Glaubwürdigkeit abrutschen
würde und dass wir europaweit und weltweit Einfluss ver-
lieren würden.

Vorhin ist die Solidarität mit den Vereinigten Staaten
angesprochen worden. Sie ist eingefordert worden. Ich
möchte in diesem Zusammenhang gerne an den Bush-Be-
such erinnern. Ich möchte wirklich darum bitten, dass von
allen die notwendige Solidarität gezeigt wird.


(Wolfgang Gehrcke [PDS]: Darauf können Sie sich verlassen!)


Ich möchte jetzt nicht auf all die Einzelheiten einge-
hen, die die deutschen Einsätze ausmachen. Ich möchte
etwas völlig anderes sagen, weil wir uns durch die Aus-
landseinsätze insgesamt den Blick nicht verstellen lassen
sollten. Die Hauptaufgabe der Bundeswehr ist und bleibt
die Landes- und Bündnisverteidigung. Auch das muss
nach meiner Auffassung bei einer solchen Debatte wieder
ganz deutlich als eine wichtige oder als die zweite Säule
herausgestellt werden. Deswegen müssen alle unsere mi-
litärpolitischen und militärfachlichen Überlegungen und
Aufgaben sich auch mit diesen Themen so auseinander
setzen, dass wir die Bündnis- und Landesverteidigung
entsprechend bewältigen können.

Derzeit habe ich den Eindruck, dass das nicht in aus-
reichendem Maße geschieht, sondern dass wir uns zu sehr
auf die Auslandseinsätze fokussieren. Deshalb würde ich
gerne noch einmal darauf hinweisen, dass die NATO für
uns das wichtigste Bündnis ist. Wir müssen dafür sorgen,
dass diese transatlantische Freundschaft und die Gemein-
samkeiten gestärkt werden, dass wir nach wie vor als ein
Brückenpfeiler in dieser transatlantischen Freundschaft
gesehen werden. Ich glaube, dass es kein höheres Inte-
resse für uns gibt, als dieses transatlantische Bündnis auch
weiterhin in den Mittelpunkt unserer Überlegungen zu
stellen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Jeder weiß, dass nur die NATO es verhindert, eine po-

litische Rangordnung zwischen Atommächten und übri-
gen Staaten in Europa zu schaffen oder zu dulden, und
dass nur die NATO es schafft, den Rückfall in nationale
Sonderwege zu stoppen und damit das Wiederaufkommen
hegemonialer Bestrebungen in Europa endlich ganz weg-
zudrücken. Ich glaube, dass nur die NATO es ermöglicht,
weiter eine gemeinsame Sicherheitspolitik mit den USA
zu betreiben. Ich glaube auch, dass nur über die NATO
eine Berücksichtigung unserer Interessen in der
US-Außenpolitik etabliert werden kann.


(Jörg Tauss [SPD]: Sie glauben, wir wissen!)

– Ich glaube, dass Sie es eben nicht wissen, weil Sie sich
sonst in der Vergangenheit anders verhalten hätten. Ich
komme jetzt eindeutig zu der Feststellung: Sie haben in
Ihrer Regierungszeit die Prioritäten nicht eindeutig ge-
setzt, denn sonst würden im Verteidigungshaushalt nicht
die Kriterien für den Umfang des Verteidungshaushaltes
fehlen. Benötigte Mittel wurden und werden nicht zur
Verfügung gestellt.

Leider stimmt auch die Zustandsbeschreibung von
Herrn Kujat auf der Kommandeurtagung. Der Zustand
der Streitkräfte und die Stimmung der Truppe sind auf ei-
nem bedenklichen Niveau. Leistungsbereitschaft, Moti-
vation und Berufszufriedenheit leiden. Alles, was hier
heute euphorisch und im besten Sinne gesagt worden ist,
hat eine Kehrseite. Diese Seite der Medaille hat nicht so
viel Glanz, und nicht alles, was hier glänzend dargestellt
worden ist, ist Gold. Auch die Ausrüstung hinkt hinterher
und mit zunehmendem Abstand veraltet sie auf ganzer
Breite.


(Peter Zumkley [SPD]: Das ist doch alles nicht wahr!)





Bundesminister Joseph Fischer

23561


(C)



(D)



(A)



(B)


Die nationale wehrtechnische Industrie ist in ihrer Existenz
gefährdet. Die Folge ist der Verlust von Hightech-Arbeits-
plätzen. Sie sagen, das alles habe mit diesem Thema nur be-
dingt zu tun. Diese Punkte haben jedoch existenziell mit der
Bundeswehr zu tun, mit ihrer Einsatzfähigkeit im Ausland
und mit der Bewältigung der inländischen Fragen.


(Peter Zumkley [SPD]: Die Einsatzfähigkeit ist sehr gut!)


Natürlich hat der 11. September die Lage bei uns ver-
ändert. Die früheren klassischen Szenarien – Innenpolitik
ist Sicherheit der Bürger und Außenpolitik ist Sicherheit
des Staates – gelten nicht mehr. Wir haben neue Heraus-
forderungen und wir brauchen neue, übergreifende Si-
cherheitsstrukturen sowohl im Inneren als auch im Äuße-
ren. Wir müssen zusehen, dass wir die Verzahnung im
Sinne eines Getriebes neu begreifen. Das heißt, wir müs-
sen ganzheitlich denken.

An diesem Punkt stellt sich die Frage: Wo sind die
Konzepte? Seit dem 11. September haben wir kein um-
fassendes Konzept zur Beantwortung all dieser Fragen
bekommen. Deswegen sage ich: Die Botschaft höre ich
wohl, allein mir fehlt der Glaube. Den Worten der Regie-
rung müssten endlich Taten folgen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord neten der FDP)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1423612500
Letzter Redner in die-
ser Debatte ist der Kollege Gert Weisskirchen.


Gert Weisskirchen (SPD):
Rede ID: ID1423612600
Frau Präsi-
dentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Offensichtlich
– das schließe ich jedenfalls aus dem, was viele hier be-
tont haben – kennen Sie die Realität nicht.


(Peter Zumkley [SPD]: Richtig!)

Gernot Erler, Uta Zapf und ich haben in der letzten Wo-
che im State Department, auf dem Capitol Hill und im
Außenamt der Vereinigten Staaten gehört, wie die Kolle-
gen dort die Bundeswehr sowohl wegen ihrer persönli-
chen Fähigkeiten als auch wegen ihrer Leistungsfähigkeit
als Instrument loben. Wenn Sie das mit dem, was Sie sa-
gen, vergleichen, dann stellen Sie fest, dass dazwischen
Welten liegen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Im Rahmen der ISAF haben sich gemeinsam mit der

Bundeswehr 18 Länder in diese Mission begeben.

(Paul Breuer [CDU/CSU]: Sie haben gar nicht zugehört!)

Im Rahmen von „Enduring Freedom“ arbeitet die Bun-
deswehr mit Streitkräften aus 70 Nationen zusammen.
Das ist die Realität. Die Bundeswehr ist konstruktiv; sie
bringt ihre Fähigkeiten ein, ganz besonders die Soldatin-
nen und Soldaten.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Hans Raidel [CDU/CSU]: Die Bundeswehr schon, aber Sie doch nicht! – Peter Zumkley [SPD]: Das hat auch etwas mit politischer Führung zu tun! – Wolfgang Gehrcke [PDS]: Das hat etwas mit sozialdemokratischer Politik zu tun!)


– Mein lieber Kollege Gehrcke, ich will einmal ganz deut-
lich sagen: Das hat auch etwas damit zu tun, dass sich die
Bundeswehr auf die politische Führung verlassen kann.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN– Lachen bei der CDU/CSU und der FDP – Wolfgang Gehrcke [PDS]: Sagen Sie das einmal den Soldaten! Die glauben das nämlich nicht!)


Was die weltweite Koalition gegen den Terror an-
geht: Erinnern Sie sich doch an die Debatte, die wir vor
einem halben Jahr geführt haben. Diese Koalition ist ganz
schnell gebildet worden. Welche Sorgen haben wir doch
alle empfunden? Das ist in den Printmedien nachzulesen
und sie wurden auch hier, im Parlament, dargelegt. Sämt-
liche Sorgen haben sich doch nicht bewahrheitet. Ich
denke zum Beispiel an die Sorge, dass wir die Einzigen
sein würden, die das militärische Instrumentarium zur
Verfügung stellten, und dass das Konzept auf das Mi-
litärische verengt würde. Diese Sorgen haben sich nicht
bewahrheitet.

Lesen Sie noch einmal die drei Resolutionen des Welt-
sicherheitsrates! Die drei Resolutionen haben deutlich
gemacht, dass das militärische Instrument eines von meh-
reren Instrumenten ist, das in ein politisches Konzept,
zum Beispiel in die Erneuerung der Entwicklungspolitik
und in die Stärkung der Vereinten Nationen – das ist das
gemeinsame Konzept, das diese Koalition gegen den in-
ternationalen Terrorismus verbindet –, eingebettet ist.
Wenn 70 Nationen zusammenarbeiten, dann werfen sie im
Kampf gegen den internationalen Terrorismus ihr Gewicht
in die Waagschale. Die Bundeswehr und Deutschland
spielen dabei eine konstruktive Rolle. Da, jedenfalls an
diesem Punkt, lassen wir keine Kritik von Ihnen gelten!


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Hans Raidel [CDU/CSU]: Die Bundeswehr kritisiert kein Mensch! Wir kritisieren Sie!)


Wozu hat das, was wir vor einem halben Jahr be-
schlossen haben, geführt? – Es hat dazu geführt, dass es
in Afghanistan wenigstens einige Momente der Hoffnung
gibt. Lieber Kollege Gehrcke, wollen Sie etwa leugnen,
dass jetzt ein Prozess begonnen hat, durch den sicherge-
stellt ist, dass die Loya Jirga, die vom 5. bis zum 16. Juni
tagt, endlich die politische Macht in die Hand nehmen
kann? Das wäre doch gar nicht möglich gewesen. Wenn
wir das militärische Instrument nicht eingesetzt hätten,
dann wäre der Prozess, der zum Frieden und möglicher-
weise auch zur Einrichtung der Demokratie in Afghanis-
tan führt, nicht in Gang gekommen. Wenn wir auf Sie
gehört hätten, dann wäre Afghanistan noch heute das
schwarze Loch auf der politischen Landkarte dieser Erde.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Wolfgang Gehrcke [PDS]: Wer hat es denn zum schwarzen Loch werden lassen?)





Hans Raidel
23562


(C)



(D)



(A)



(B)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1423612700
Herr Weisskirchen,
gestatten Sie eine Frage des Kollege Rossmanith?


Gert Weisskirchen (SPD):
Rede ID: ID1423612800
Aber gerne.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1423612900
Bitte.


Kurt J. Rossmanith (CSU):
Rede ID: ID1423613000
Gehe ich richtig in
der Annahme, Herr Kollege Weisskirchen, dass Sie die
Äußerung, die Sie gerade getroffen haben, richtigerweise
auf einen Teil Ihrer eigenen Fraktion und vor allem der
Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen bezogen haben?


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Gert Weisskirchen (SPD):
Rede ID: ID1423613100
Lieber Kol-
lege Rossmanith, ich möchte Ihnen ja gerne die Reden
vorhalten, die manche Vertreter Ihrer Fraktion gehalten
haben, mit welcher Skepsis zum Beispiel Volker Rühe
hier geredet hat, als es um einzelne Missionen ging, auch
im letzten Jahr, die von der Bundeswehr durchgesetzt
worden sind. Haben Sie das vergessen?


(Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Vertrauensfrage!)


Ich habe das nicht vergessen, Herr Kollege Rossmanith.
Ich füge hinzu: Warum soll es keine Zweifel darüber

geben, ob der Einsatz richtig ist?

(Wolfgang Gehrcke [PDS]: Ach!)


– Aber selbstverständlich, Herr Kollege Gehrcke. – Ha-
ben wir nicht alle auch am 22. Dezember Zweifel gehabt,
als Karsai Ministerpräsident der Übergangsregierung
wurde, ob er das denn schaffen kann? Haben wir nicht alle
auch Sorge gehabt, dass, als die Taliban noch agieren
konnten, als al-Qaida noch nicht besiegt war, am Ende
doch wiederum die Antwort der Terroristen eine neue,
überbordende Welle eines neuen Terrorismus sein könnte?

Ich finde es richtig, dass diese Zweifel geäußert wor-
den sind. Aber genauso klar muss gesagt werden, dass wir
vor einem halben Jahr die richtige Entscheidung getroffen
haben.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Günther Friedrich Nolting [FDP]: Die Vertrauensfrage musste gestellt werden!)


Ich will noch auf Folgendes hinweisen: Die Bundesre-
publik Deutschland wird in diesem Jahr 80Millionen Euro
einsetzen, damit dieser Friede, der noch ein fragiler ist,
endlich eine Basis in der Gesellschaft findet. Das sind
80 Millionen Euro, die dafür eingesetzt werden, dass die
Schulen wieder geöffnet werden, dass Mädchen und Jun-
gen gemeinsam lernen können, dass sie damit eine Zu-
kunft der Gleichberechtigung zwischen Mädchen und
Jungen beginnen können.

Ich bitte Sie herzlich, einmal das Buch von Latifa zur
Hand zu nehmen. Der Titel heißt: „Das verbotene Ge-
sicht“. Das Mädchen Latifa verbirgt unter den Taliban ihre
Identität. Jetzt haben wir, die internationale Staatenge-
meinschaft, gemeinsam einen Prozess in Gang gesetzt,

der Afghanistan in einen inneren Frieden führen kann, in
den Aufbau einer zivilen Gesellschaft. Das ist die Leis-
tung, die wir vor einem halben Jahr begonnen haben. Es
ist gut, dass wir das beschlossen haben. Ich hoffe, wir wer-
den dieses Engagement auch fortsetzen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1423613200
Ich schließe die Aus-
sprache.

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 14/8990 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.

Ich rufe den Zusatzpunkt 13 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr.
Günter Rexrodt, Jürgen Koppelin, Dr. Werner
Hoyer und der Fraktion der FDP
Entlassung des Bundesministers der Verteidi-
gung Rudolf Scharping
– Drucksache 14/8954 –

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Jürgen Koppelin [FDP])

Ich weise darauf hin, dass wir über den Antrag später

namentlich abstimmen werden.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die

Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Erster Redner für die FDP-
Fraktion ist der Kollege Jürgen Koppelin.


Dr. h.c. Jürgen Koppelin (FDP):
Rede ID: ID1423613300
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Die Fraktion der Freien De-
mokratischen Partei hat für heute folgenden Antrag ge-
stellt:

Der Deutsche Bundestag fordert den Bundeskanzler
auf, nach Artikel 64 Abs. 1 GG dem Bundespräsi-
denten die Entlassung des Bundesministers der Ver-
teidigung, Rudolf Scharping, vorzuschlagen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Es hat in der Amtszeit des Bundesministers der Vertei-

digung, Rudolf Scharping, genügend Gründe gegeben,
dass der Bundeskanzler den Bundesminister der Verteidi-
gung hätte entlassen können und auch müssen. Es hat
genügend Gründe gegeben, dass der Bundesminister der
Verteidigung, Rudolf Scharping, selber seinen Rücktritt
hätte erklären müssen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Kein Bundesminister in der Geschichte der Bundesre-
publik Deutschland ist so zur Peinlichkeit geworden wie
Bundesminister Scharping.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)







(C)



(D)



(A)



(B)


Kein Bundesminister hat je eine so peinliche Öffentlich-
keitsarbeit gemacht wie Bundesminister Scharping.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU)


Kein Bundesminister hat so peinliche Pressekonferenzen
veranstaltet wie Bundesminister Scharping.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU)


Schon da, Herr Bundeskanzler, wäre es Zeit gewesen,
Bundesminister Scharping zu entlassen. Selbst der ameri-
kanische Verteidigungsminister erklärte öffentlich, sein
deutscher Kollege rede Nonsens.


(Beifall bei Abgeordneten der PDS)

Verteidigungsminister Rudolf Scharping hat versagt.

Seine als größte Streitkräftereform der Geschichte hoch-
gepriesene neue Bundeswehrstruktur ist bereits ein Jahr
nach ihrer Verkündigung gescheitert. Seine vollmundigen
Versprechungen, die berühmt-berüchtigte GEBB spüle
Milliarden Euro in den Verteidigungshaushalt, hat sich in
das Gegenteil verkehrt: Die GEBB kostet. Sie bringt kein
Geld, sondern kostet den deutschen Steuerzahler Geld.

Die Opposition könnte sich eigentlich bei einem so
häufigen Versagen eines Bundesministers die Hände rei-
ben. Man könnte sich zusammen mit der deutschen
Öffentlichkeit immer wieder erneut darüber amüsieren,
wie sich Bundesminister Scharping von Mal zu Mal
lächerlicher macht. Doch Bundesminister Scharping ist
nicht irgendein Bundesminister. Er ist der Bundesminister
der Verteidigung. Das ist eines der wichtigsten Ämter, das
der Herr Bundeskanzler zu vergeben hat. Wir können uns
in dieser Zeit, in der sich sehr viele deutsche Soldaten im
Auslandseinsatz befinden, keinen Bundesminister der
Verteidigung erlauben, der bei der Bundeswehr, im Deut-
schen Bundestag, in der deutschen Bevölkerung und bei
unseren Verbündeten nahezu jeden Respekt und jegliche
Achtung verloren hat.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der PDS)


Wenn heute die Fraktion der Freien Demokratischen
Partei hier im Deutschen Bundestag den Antrag einbringt,
den Bundeskanzler aufzufordern, Bundesverteidigungs-
minister Scharping zu entlassen, dann tut sie das deshalb,
weil dieser Bundesminister in den letzten Wochen zu ei-
ner Belastung für den Deutschen Bundestag geworden ist.
Bundesminister Scharping hat genauso wie alle anderen
Mitglieder des Kabinetts geschworen, das Grundgesetz
und die Gesetze der Bundesrepublik Deutschland zu be-
achten.

Die Beschaffung eines neuen Transportflugzeuges
für die Bundeswehr ist zu einem einzigen Skandal ge-
worden.


(Beifall bei der FDP – Dr. Peter Struck [SPD]: Quatsch!)


Ohne Rücksicht auf die Beschlüsse des Deutschen Bun-
destages hat Bundesminister Scharping 73 Transportflug-
zeuge bestellt. Da er jedoch finanzielle Mittel von nur

5,1 Milliarden Euro zur Verfügung hat, hätte er niemals
eine Bestellung von 73 Maschinen unterschreiben dürfen.
Er verstößt somit eindeutig gegen Art. 110 des Grundge-
setzes und gegen das Haushaltsgesetz des Jahres 2002.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU –Angelika Beer [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Und Sie gegen den politischen Stil!)


Vor dem höchsten deutschen Gericht, dem Bundesver-
fassungsgericht, hat Bundesminister Scharping am 29. Ja-
nuar 2002 ausdrücklich erklärt, dass er nur für 5,1 Milli-
arden Euro Transportflugzeuge bestellen wird. Statt der
für diesen Betrag erhältlichen etwa 40 Maschinen hat er
jedoch eine Bestellung für 73 Maschinen unterschrieben.
Damit hat Bundesminister Scharping die Beschlüsse des
Deutschen Bundestages gebrochen und hat vor dem
höchsten deutschen Gericht, dem Bundesverfassungsge-
richt, eine unwahre Erklärung abgegeben.

Am 11. März dieses Jahres haben die Haushaltspoli-
tiker der Grünen, Metzger, Hermenau und Eichstädt-
Bohlig, in einem Papier an ihre Fraktion und an die Presse
Folgendes erklärt:

Die Vorgehensweise des Bundesministers der Vertei-
digung verstößt gegen den Beschluss des Deutschen
Bundestages vom 24. Januar 2002 und gegen die
Haushaltsordnung. Das vom Bundesminister der
Verteidigung geplante weitere Vorgehen wird das
von der Verfassung garantierte Budgetrecht des Par-
laments verletzen. Ein erneutes Verfahren vor dem
Bundesverfassungsgericht und ein außenpolitisches
Desaster sind vorprogrammiert.

So die drei Haushälter der Grünen. Daran schlossen sich
im Übrigen weitere Politiker der Grünen an.

Gegen die Beschlüsse des Deutschen Bundestages hat
Bundesminister Scharping Verträge unterschrieben, die
zu Schadensersatzforderungen in Milliardenhöhe führen
können.


(Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, sag mal!)


Neben dem Bruch der Verfassung und dem Verstoß gegen
die Gesetze der Bundesrepublik Deutschland hat dieser
Bundesverteidigungsminister mit seinem Verhalten einen
großen außenpolitischen Schaden angerichtet.

Mit unserem Antrag auf sofortige Entlassung wollen
wir dokumentieren, dass wir es niemals zulassen werden,
dass ein Bundesminister die Rechte des Parlaments mit
Füßen tritt.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Herr Bundeskanzler, ernennen Sie einen neuen Verteidi-
gungsminister,


(Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herr Glos steht schon in den Startlöchern! Auch Herr Koppelin persönlich! – Weitere Zurufe von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)





Jürgen Koppelin
23564


(C)



(D)



(A)



(B)


von dem die Angehörigen der Bundeswehr wieder mit
Respekt und Achtung sprechen können und vor dem sie
Achtung und Respekt haben! Herr Bundeskanzler, auch
Sie sind Abgeordneter des Deutschen Bundestages. Sor-
gen Sie dafür, dass die Rechte des Parlamentes eingehal-
ten werden!


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oje! Oje!)


In den letzten Wochen haben verschiedene Abgeord-
nete der Fraktion der Grünen ebenfalls den Rücktritt des
Verteidigungsministers gefordert. Heute können die Grü-
nen beweisen, was ihnen wichtiger ist: die Rechte des
Parlaments oder Koalitionstreue.

Gestern war in einer Agenturmeldung zu lesen, der
Deutsche Bundestag entscheide heute über die Zukunft
von Rudolf Scharping. Nein, das tun wir nicht. Über die
Zukunft von Rudolf Scharping entscheiden ganz allein
die SPD und der Wähler. Wir entscheiden heute darüber,
ob Recht und Gesetz in unserem Lande auch für Regie-
rungsmitglieder gilt.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Widerspruch bei der SPD)


Wenn Sie, Herr Bundeskanzler, heute nicht die Kraft
haben, den Bundesminister der Verteidigung, Rudolf
Scharping, zu entlassen – da mögen Sie noch so viel in der
Zeitung blättern, Sie werden es trotzdem hören müssen –,


(Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt kommt die Drohung!)


dann werden es im September – da bin ich mir ganz sicher
und vertraue darauf – die Wähler tun.

Aufgrund der großen Bedeutung dieses Vorgangs be-
antragt die Fraktion der Freien Demokraten namentliche
Abstimmung.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1423613400
Das Wort für die SPD-
Fraktion hat der Kollege Hans Georg Wagner.


Hans Georg Wagner (SPD):
Rede ID: ID1423613500
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Ich habe eben, als Sie, Herr Kollege
Koppelin, gesprochen haben, an die rund 10 000 deut-
schen Soldatinnen und Soldaten gedacht, die draußen in
der Welt ihren Dienst tun,


(Jürgen Koppelin [FDP]: Wir auch! Gerade deshalb!)


die den Frieden in Afghanistan unter Bedingungen si-
chern, unter denen Sie nicht zu leben wünschten. Deshalb
empfand ich den Einstieg in die Debatte als eine Unver-
schämtheit.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Er sollte nur davon ablenken, dass die FDP weder pro-
grammatisch noch sonst irgendwie in der Lage ist, poli-

tische Probleme in Deutschland zu lösen. Angesichts des
Schicksals der Soldaten im Einsatz in Afghanistan war
dieser Einstieg in die Debatte eine Unverschämtheit. Das
sage ich ganz klar.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Sie nehmen Punkte zum Anlass, die gar nicht dazu ge-
eignet sind, dass sie heute hier besprochen werden; denn
der Vertrag – das wissen Sie ganz genau und das bezeugt
die Verlogenheit Ihrer Argumentation – ist noch gar nicht
von allen Vertragspartnern unterschrieben worden.


(Jürgen Koppelin [FDP]: Scharping hat ihn unterschrieben!)


Ich kann Ihnen belegen, wer ihn wann unterschrieben hat.
Der portugiesische Verteidigungsminister hat noch nicht
unterschrieben. Damit ist der Vertrag nicht rechtskräftig
geworden. Der Fall, den Sie beschwören, ist also nicht
eingetreten. Wir müssen abwarten, bis alle Vertragspart-
ner unterschrieben haben. Sie wollten dies nur nicht.


(Lachen und Widerspruch bei der CDU/CSU)

– Da Sie auf der rechten Seite des Hauses jetzt anfangen
zu brüllen, muss ich Ihnen sagen, dass das ganze Spiel
nicht erst unter dieser Regierung begonnen hat; denn
schon 1982 ist zum ersten Mal von Ihrer Regierung über
die Beschaffung von 75 Transportflugzeugen gesprochen
worden. Das hat sich dann hingezogen, weil Sie nie zu ei-
ner Entscheidung fähig sind.


(Zuruf des Abg. Dr. Rupert Scholz [CDU/CSU])


– Sie mögen ruhig laut dazwischenrufen, Herr Scholz.
Das ist mir egal. Ich sage nur: Sie waren in den 16 Jahren
nie zu einer klaren Entscheidung fähig. Sie haben die
Bundeswehr heruntergewirtschaftet, sodass wir jetzt ver-
suchen müssen, mit sehr viel Geld die Situation wieder zu
verbessern.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Lachen und Widerspruch bei der CDU/CSU)


Wie war das denn? Dieser Minister hat die entspre-
chenden Voraussetzungen geschaffen, Herr Kollege
Koppelin. Sie sind doch Mitglied im Haushaltsausschuss
und müssten wissen, dass wir in diesem Jahr erstmals
42 000 Soldatinnen und Soldaten befördert haben. Sie ha-
ben doch die Berufssoldaten in Besoldungsgruppen be-
lassen, gemäß denen nicht einmal mehr ein Hausmeister
in Deutschland bezahlt wird, nämlich in A 1 und A 2. Wir
haben sie alle befördert: 42 000 in diesem Jahr. Dass das
umgesetzt worden ist, dafür ist Rudolf Scharping Dank zu
sagen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Herr Kollege Koppelin, wir kennen uns ja schon zwölf
Jahre und ich weiß, dass Sie häufig sehr illustre Gedanken
äußern. Sie haben einmal gesagt, das Amt für die Ausbil-
dung höherer Verwaltungsbeamter müsse aufgelöst wer-
den. Als ich dann – seinerzeit als Oppositionspolitiker –
gesagt habe, dass ich den Antrag des Kollegen Koppelin




Jürgen Koppelin

23565


(C)



(D)



(A)



(B)


übernehme, sagten Sie: Nein, davon will ich nichts mehr
wissen. Jetzt fordern Sie die Entlassung von Herrn Minis-
ter Scharping, obwohl das Verfahren noch gar nicht been-
det ist. Man kann ihm nicht unparlamentarisches Verhal-
ten vorhalten, weil der Fall, der Voraussetzung für ein
solches Verhalten wäre, noch gar nicht eingetreten ist.


(Jürgen Koppelin [FDP]: Was sagt denn der Koalitionspartner?)


Dazu kommt es auch nicht, denn der Minister hat sich bis
heute – das hat die Koalition auch im Ausschuss festge-
stellt – im Rahmen des bundesrepublikanischen Haus-
haltsrechtes bewegt, nicht mehr und nicht weniger. Dabei
bleibt es auch in Zukunft.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wenn wir Ihren dubiosen Vorschlägen gefolgt wären
und den Vertrag so weiter verhandelt hätten, Herr Kollege
Koppelin, wie der Kollege Rühe das vorverhandelt hatte,
bevor Scharping Minister wurde, dann hätten wir im Jahre
2002 schon einmal 500 Millionen Euro oder eine 1 Milli-
arde DM auf den Tisch legen müssen. So haben wir zu-
mindest schon einmal erreicht, dass erst bei Lieferung und
nicht schon vorher bezahlt werden muss und eine Belas-
tung des Haushalts eintritt.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Auch Sie scheinen doch diesen Streit nicht ernst zu

nehmen. Herr Kollege Koppelin, Sie wissen doch – ich
will gar keine Namen nennen –, dass in Ihrer Fraktion da-
rüber diskutiert wird, ob man nur 40Maschinen und keine
73 nimmt. Sie wollen also den Schadenersatzfall eintre-
ten lassen, wenn ich das richtig verstehe.


(Zuruf von der SPD: Offensichtlich ist es so!)

Der Fall tritt nämlich ein, wenn wir die zugesagten 73Ma-
schinen nicht wollen.

Jedoch sagen CDU/CSU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen
und auch die FDP, zumindest nach außen hin: Wir wollen
73 Maschinen haben. Der Finanzminister hat zugesagt,
dass der Kauf der restlichen Maschinen unter Einhaltung
der haushaltsrechtlichen Voraussetzungen im Haus-
halt 2003 vorgesehen ist. Das können Sie am 19. Juni
nachlesen; denn dann wird der Haushalt im Kabinett ver-
abschiedet. Wenn also alle erklären, dass sie 73 Maschinen
möchten, dann frage ich mich, warum Sie ständig über den
Eintritt des Schadensersatzfalls sprechen möchten.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Er wird nicht eintreten, es sei denn, Sie wollen sich durch-
setzen und weniger Maschinen kaufen als ursprünglich
geplant; das ist die Logik der ganzen Geschichte. Ich sage:
mit uns nicht. Wir bleiben bei dem, was wir beschlossen
haben. Wir werden die Mittel für die 73 Maschinen in den
Haushalt des nächsten Jahres haushaltsrechtlich richtig
einstellen und dies dann auch einlösen. Denn wenn das Ge-
samtkonzept stimmen soll – 196 Maschinen von sechs
Vertragspartnern –, dann müssen wir unsere 73Maschinen
kaufen.

Nun sage ich noch etwas betreffend die Schadenser-
satzregelungen, bei denen ich mich manchmal frage, was

eigentlich dahinter steckt. Seit 30 Jahren werden in allen
Verträgen, die die Bundesrepublik Deutschland bzw. das
Bundesverteidigungsministerium abschließt, solche Scha-
densersatzregelungen getroffen. Jetzt nehmen Sie einmal
folgenden Fall: In Ihrer Nachbarschaft tun Sie sich mit
zehn Nachbarn zusammen, um gemeinsam Heizöl zu kau-
fen. Dann bekommen Sie einen sehr günstigen Preis.
Wenn jetzt eine von diesen Personen abspringt, dann er-
höht sich der Preis. – In diesem Fall ist es genauso. Wenn
einer der Partner, die Franzosen, die Türken, wir oder wer
auch immer, die Maschinen in der Größenordnung, die er
zugesagt hat, nicht abnimmt, dann tritt die Schadenser-
satzpflicht ein. Alle Vertragspartner sind in der Schadens-
ersatzpflicht, wenn sie nicht alle Maschinen abnehmen.

Ich weiß nicht, warum dies eine Sonderkonstruktion
für die Bundesrepublik Deutschland sein soll, die sich
Herr Scharping hat zuschulden kommen lassen, da er ge-
nau das unterschrieben hat, was auch alle anderen Kolle-
ginnen und Kollegen – mit Ausnahme von Portugal – un-
terschrieben haben. So schlimm kann das doch nicht sein.

Wir haben im Haushalt eine Summe von 5,113 Milli-
arden Euro an Verpflichtungsermächtigung. In diesem
Rahmen bewegt sich die erste Tranche von 40Maschinen.
Die nächste Tranche wird im Haushalt 2003 zur Verfü-
gung gestellt. Dann ist das erledigt und das Geschäft ist
gemacht.

Dies steht im Gegensatz zu Ihnen, Herr Kollege
Koppelin, und Ihrer Handhabung bezüglich des Euro-
fighter.


(Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Oh ja!)


Ich habe mir das einmal zusammenstellen lassen; das ist
ein mittleres Drama. Sie haben die Bevölkerung systema-
tisch belogen und betrogen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Sie haben noch kurz vor der Bundestagswahl den Euro-
fighter light – ich nenne das einen Segelflieger, in den ir-
gendwann einmal ein Motor eingebaut werden soll – be-
stellt, obwohl Sie wussten, dass das Ding unter den Bedin-
gungen, unter denen es bestellt worden ist, nie fliegen kann.

Was müssen wir machen? Wir müssen zunächst einmal
die Bewaffnung bestellen und auch bezahlen. Wir müssen
Versäumnisse Ihrer Regierung ausbaden. Außerdem ha-
ben Sie schlicht vergessen, die Avionik zu bestellen. Das
Ding muss erst einmal zu einem Flieger entwickelt wer-
den. Das müssen wir bezahlen, obwohl Sie der Verursa-
cher dieses Desasters sind. Das müssen Sie hinnehmen:
Sie haben in all den Jahren, in denen Sie die Verantwor-
tung getragen haben, eine katastrophale Bundeswehrpoli-
tik gemacht.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Sie versuchen jetzt natürlich, die Menschen draußen
aufzuhetzen. Die heutige Veranstaltung dient nur der Ver-
nebelung der Tatsache, dass Sie keine Alternativen haben
und im Grunde genommen damit einverstanden sind, es
aber nicht sagen dürfen oder wollen. Ich finde es fies,




Hans Georg Wagner
23566


(C)



(D)



(A)



(B)


wenn man so mit einem Menschen umgeht, der immerhin
für viele Soldatinnen und Soldaten der Chef ist. Menschen
so herabzuwürdigen, wie Sie das hier versuchen, ist unter
dem Niveau eines Freidemokraten. Ich muss sagen, dass
Sie in der Tat eine Gaga-Partei geworden sind. Das wird
deutlich, wenn man gesehen hat, was auf Ihren Parteita-
gen in Mannheim und anderswo los war. In der Tat: Die
FDP ist eine Gaga-Partei, aber nicht mehr eine seriöse und
ernst zu nehmende Partei.


(Zuruf von der FDP: Du redest jetzt Gaga!)

– Da ist der Obergagerer. Ich kenne Sie, Herr Kollege
Niebel, Sie gagern immer gern und viel, meist aber
unnötig.

Ich sage nur: Sie hätten in der Vergangenheit dafür sor-
gen müssen, dass eine solide Finanzierung der Bundes-
wehr zustande kommt.

Jetzt kommt noch etwas, was Sie in der Öffentlichkeit
erzählen. Sie sagen, wir hätten die Verteidigungsausga-
ben gesenkt.


(Zuruf von der CDU/CSU: Massiv!)

Schauen Sie einmal – das ist eine herzliche Bitte – in den
Bundeshaushalt: Im Jahr 1998 – das war das letzte Jahr,
in dem Sie den Haushalt zu verantworten hatten – war der
Verteidigungshaushalt auf 23,9 Milliarden Euro festge-
legt; dies ist aus der Abrechnung ersichtlich, die der Bun-
desfinanzminister vorgelegt hat. In diesem Jahr stehen
dem Ministerium 24,4Milliarden Euro zur Verfügung. Sie
können rechnen, wie Sie wollen, aber 24,4 Milliarden
Euro sind mehr als 23,9 Milliarden Euro. Es gab also
keine Streichung im Bundeshaushalt.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Dr. Uwe Küster [SPD]: Mengenlehre ist das!)


– Es kann durchaus sein, dass Sie der Mengenlehre unter-
worfen sind und nicht dem normalen Einmaleins. Das
kann passieren, insbesondere wenn die FDP dabei ist.

Meine Damen und Herren, die SPD wird den Antrag
der FDP ablehnen. Wir sehen nämlich absolut keinen
Grund, Minister Scharping zum heutigen Zeitpunkt zu
entlassen.


(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


– Das ist keine Entscheidung, die ich zu treffen habe; das
haben Sie richtig erkannt. Das ist eine Entscheidung des
Bundeskanzlers. Ich gehe aber davon aus, dass Herr
Scharping Verteidigungsminister bleiben wird. Es gibt
keinen Grund, sich jetzt darüber zu amüsieren.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Er ist allemal besser als die Verteidigungsminister zu

Ihrer Regierungszeit. Sie haben die Bundeswehr herun-
tergewirtschaftet. Deshalb war die Bundeswehrreform
notwendig. Wir haben sie angepackt. Sie braucht noch
Zeit; denn das kann man nicht von heute auf morgen erle-
digen. Wenn wir so handeln würden wie Sie, gäbe es mehr
Schulden und unsere Kinder könnten in die Röhre gucken.
Das wollen wir nicht.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1423613600
Für die Fraktion der
CDU/CSU spricht jetzt der Kollege Dietrich Austermann.


Dietrich Austermann (CDU):
Rede ID: ID1423613700
Frau Präsiden-
tin! Meine Damen und Herren! Manchmal wird anhand
derer, die man zu seiner Verteidigung einsetzt, deutlich,
was man selbst erreichen will.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Herr Kollege Wagner, es hat sich offensichtlich kein
Größerer gefunden, der bereit war, dazu zu sprechen. Der
Kollege Metzger ist heute nicht da; das spielt bei diesem
Thema eine gewisse Rolle.

Der eine oder andere von uns hat sich gefragt: Muss
128 Tage vor der Bundestagswahl die Entlassung gefor-
dert werden? In 129 oder 130 Tagen ist der Spuk doch so-
wieso vorbei, und zwar nicht nur für den einen, sondern
auch für alle anderen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Manch einer hat gesagt: Die Leute in Deutschland mei-
nen, es sei besser für die Bundeswehr, wenn Scharping
nicht mehr im Amt ist.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Andere haben gesagt: Guck dir doch die Demoskopie an!
Du musst beim „Politbarometer“ schon in den Keller ge-
hen, um Scharpings Werte entdecken zu können. Lass ihn
doch so weiterwirken!


(Heiterkeit bei der CDU/CSU)

Wieder andere haben gesagt: Wenn der Schröder ihn jetzt
aus dem Verkehr zieht, dann entlässt er schon den achten
Minister. Wenn aber jemand lauter Leute beruft, die nichts
taugen, dann muss die Frage des Auswahlverschuldens
gestellt werden; denn offensichtlich ist dann auch er für
dieses Amt ungeeignet. Also kann Schröder ihn nicht ent-
lassen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Es gibt auch jene, die sagen: Wenn er ihn jetzt entlassen
will, muss er einen ernsthaften Verteidigungspolitiker be-
rufen, der noch vor der Bundestagswahl eine schonungs-
lose Bilanz über den Verteidigungsetat vorlegt. Diese Bi-
lanz kann Herrn Schröder vor der Bundestagswahl nicht
recht sein.

Er kann ihn also nicht entlassen. Deswegen wird die
Koalition wahrscheinlich geschlossen – bis auf diejeni-
gen, die heute zu Hause geblieben sind; ich habe Herrn
Metzger schon erwähnt – gegen den Entlassungsantrag
stimmen.

Ich möchte noch einmal erklären, worum es geht
– Herr Kollege Wagner, Sie haben versucht, das zu ver-
nebeln –: Ein Minister einer deutschen Bundesregierung
hat im Rahmen einer internationalen Vereinbarung Waren
in einem Umfang bestellt, der im Haushalt nicht abgesi-
chert ist. Das ist nach Art. 110 des Grundgesetzes ein
Bruch der Verfassung.


(Dr. Rupert Scholz [CDU/CSU]: Sehr richtig!)





Hans Georg Wagner

23567


(C)



(D)



(A)



(B)


Es wäre genauso ein Bruch der Verfassung, wenn sich der
Minister bemühte, die Wehrverwaltung, die in Art. 87 b
des Grundgesetzes geregelt ist, auszuschalten. Ein Minis-
ter, der die Verfassung nicht beachtet, weil er Beschlüsse
des Haushaltsausschusses des Bundestages, den Haus-
haltsplan, ignoriert, verletzt die Verfassung.

Dieser Minister sagte, er habe das unter dem Parla-
mentsvorbehalt gemacht. Als wir das Bundesverfassungs-
gericht angerufen haben, wurde ziemlich bald klar, dass es
offensichtlich ebenfalls der Meinung war, dass hier je-
mand auf dem falschen Wege ist. Daraufhin gab der
Minister dort die Erklärung ab, sich an die Verfassung zu
halten. Dann kamen wir im Haushaltsausschuss zusam-
men und er versicherte dies noch einmal. Den internatio-
nalen Partnern aber sagte er: Es gilt, was ich vor einem
Jahr unterschrieben habe. – Der Minister bricht die Ver-
fassung und muss wegen Verletzung seines Amtseides aus
dem Amt entfernt werden. So einfach ist das in einer De-
mokratie.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Herr Kollege Wagner, Sie sagen, dass man das in der

Situation, in der sich deutsche Soldaten jetzt befinden
– 10 000 deutsche Soldaten und zivile Mitarbeiter befin-
den sich im Ausland –, nicht tun darf. Ich sage dazu: Ge-
rade in dieser Situation ist ein Minister, der jede Bezie-
hung zur Realität verloren hat und nicht mehr in der Lage
ist, zu erkennen, was in Deutschland tatsächlich notwen-
dig ist, völlig unbrauchbar.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Deswegen ist jeder Tag, den er länger im Amt ist, einer zu
viel.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Ich sage nun etwas dazu, was passiert, wenn man

den Minister kritisiert. In den nächsten Wochen wird
sich wahrscheinlich ein Vokabular entwickeln nach dem
Motto: Wer die Regierung kritisiert, kritisiert Deutschland.
Wer sagt, Deutschland habe die rote Laterne, ist ein
schlechter Deutscher, weil er Deutschland kritisiert. –
Nein, die Situation ist völlig anders. Die Situation
Deutschlands, in die diese Regierung uns geführt hat – das
gilt auch für den Verteidigungsbereich; denn der Minister
hat sich international lächerlich gemacht und ist unglaub-
würdig –, ist änderungsbedürftig. Wenn man das be-
schreibt, will man dafür sorgen, dass sich die Situation in
Deutschland verbessert. Wer die Regierung kritisiert, sagt
etwas Wahres und verschlechtert nicht die Situation in
Deutschland; er beschreibt die Realität. Die Erkenntnis
des Zustandes ist der erste Schritt auf dem Weg zu einer
Besserung.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Meine Damen und Herren, man könnte eine Fülle an-

derer Beispiele erwähnen, bei denen man sagen müsste,
dass der Minister versagt hat, unglaubwürdig ist und ak-
tuell die Verfassung bricht. Ich greife die Privatisierung
von staatlichen Leistungen heraus. Dort wird Geld ver-
brannt. Es wird in Aufträge gesteckt, die völlig überflüs-
sig sind und nicht mehr gebraucht werden.

Mit der Bundeswehrreform wird ein Reformkonzept
vorgestellt, dessen Erfolge selbst am Horizont nicht er-

kennbar sind. Im Bündnis wird versichert, dass das Re-
formkonzept realisiert wird. Jeder weiß, dass das nicht
läuft. Es werden Verträge mit Hunderten von Unterneh-
men geschlossen, die angeblich zur Aufgabenverlagerung
auf Private beitragen sollen. Das Geld, um die Verträge zu
erfüllen, ist aber nicht da. Es findet eine einzige Täu-
schung der Öffentlichkeit, der Unternehmer, der Bürger,
der Soldaten und der zivilen Mitarbeiter der Bundeswehr
statt, und zwar in einem Umfang, wie es dies bisher nicht
gegeben hat.

10 000 Soldaten und zivile Mitarbeiter im Ausland
haben einen obersten Befehlshaber verdient, der die Rea-
lität anerkennt und dafür sorgt, dass sie für die Einsätze
optimal ausgerüstet sind.


(Renate Rennebach [SPD]: Was Sie hier machen, ist unanständig!)


Ich will Ihnen das an einem konkreten Beispiel erläutern
und damit abschließen. Vor wenigen Tagen war in der Zei-
tung zu lesen: Bundeswehr: Marine bedingt abwehrbereit.
Wenn sich Soldaten der deutschen Marine am Horn von
Afrika befinden und nicht in der Lage sind, sich selbst ge-
gen Angriffe – diese haben stattgefunden – zu verteidigen,
kann ich nur sagen: Es ist leichtfertig, diesen Einsatz so
anzulegen. Im Ergebnis führt das nämlich dazu, dass diese
Leute in Gefahr gebracht werden, statt dass ihnen bei ih-
rer Arbeit geholfen wird oder sie sogar noch anderen hel-
fen können.


(Zuruf von der SPD: Unglaublich!)

Der Inspekteur der Marine sagte mir, dass man nicht in der
Lage ist, die eigene Marine zu sichern; er braucht 500 Ma-
rinesicherer mehr. Im Rahmen der Reform wurde jedoch
gerade beschlossen, die Zahl der Marinesicherer zu sen-
ken. Das meine ich damit. Realität, Aufgaben und Auftrag
sind nicht mehr deckungsgleich.

Meine Damen und Herren, angesichts der Kritik und
des Scherbenhaufens, den der Minister hinterlassen hat,
ist es an der Zeit, ihn etwas zu fragen – das will ich zum
Schluss tun –: Herr Scharping, warum haben Sie nicht die
Größe, von sich aus zu sagen, dass Sie zwar Ihre ganze
Kraft aufgewendet haben – so heißt es im Amtseid –, dass
es aber nicht gereicht hat und Sie deshalb zurücktreten?

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1423613800
Das Wort hat Bundes-
kanzler Gerhard Schröder.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1423613900
Frau Präsidentin!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich kann es
kurz machen. Die Art und Weise, mit der diese Debatte ge-
führt wird – Ihre Verkommenheit, mit der Sie sie führen,
macht das ebenfalls deutlich –, beweist – –


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dr. Peter Ramsauer [CDU/ CSU]: So eine Patzigkeit! – Weitere Zurufe von der CDU/CSU: Oh!)





Dietrich Austermann
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(C)



(D)



(A)



(B)


Ich sage es noch einmal: Die Verkommenheit Ihrer De-
battenbeiträge macht eines deutlich, nämlich dass es Ih-
nen doch gar nicht um die Lösung eines politischen Pro-
blems geht, Sie wollen einen Menschen vernichten. Das
ist mit uns nicht zu machen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

CSU]: Schauen Sie sich die Titelseite des
„Stern“ doch einmal an!)

Nehmen Sie zur Kenntnis, dass das mit uns nicht zu ma-
chen ist. Mehr als Verachtung kann man dafür nicht auf-
bringen.


(Anhaltender Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: An der richtigen Stelle getroffen!)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1423614000
Für die Fraktion des
Bündnisses 90/Die Grünen hat jetzt das Wort die Kollegin
Franziska Eichstädt-Bohlig.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Kolleginnen und Kollegen von der FDP! Ihre Partei hat
sich an diesem Wochenende in Mannheim so gründlich
lächerlich gemacht, dass wir erstens Ihre Partei und zwei-
tens einen solchen Antrag, der wirklich nur auf Show
setzt, nicht ernst nehmen können.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Was wir allerdings ernst nehmen, sind Ihre Wahlziele.
Es sind wirklich die Ziele einer Partei der Besserverdie-
nenden, die das Soziale an der sozialen Marktwirtschaft
abschaffen, die gesellschaftliche Solidarität einstampfen
und den Staat, Bund, Länder und Kommunen, ausplün-
dern will. Darüber hinaus versprechen Sie den Leuten, in
Zukunft könnte dieses Land, ohne dass jemand Steuern
zahlt, bewirtschaftet werden. Diese Partei der Besserver-
dienenden nimmt keine Rücksicht mehr auf die Solida-
rität dieser Gesellschaft, die wir dringend brauchen.

Ich bin Ihnen für Ihre Offenheit dankbar, mit der Sie
das den Bürgern sagen, weil die Leute damit wissen, was
sie von dieser FDP zu erwarten haben. Wir haben es letzt-
lich mit Frau Pieper in Magdeburg erlebt. Erst lässt sie
sich groß als zukünftige Ministerpräsidentin ankündigen
und wählen. Nachdem die FDP dann aber bei der Wahl
13 Prozent erhalten hat, zieht sie sich nach Berlin zurück
und lässt nur noch ein Köfferchen in Magdeburg. Das ist
die Glaubwürdigkeit Ihrer Partei. So stellen Sie sich den
Bürgern dar. In dieser Weise stellen Sie auch hier Ihre An-
träge.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Jürgen Koppelin [FDP]: Das stimmt doch gar nicht!)


Ich möchte aber doch etwas zu dem Antrag und zu dem
anmerken, was Herr Austermann gesagt hat. Soweit ich
weiß, waren es Ihre Parteien, die auf diesen 73Maschinen

bestanden haben. Insofern treiben Sie hier wirklich ein
doppeltes Spiel.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Sie wollen die Regierung vorführen, während Sie selbst zu
feige sind, das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe an-
zurufen, um dort zu klären, ob Sie überhaupt Recht haben.


(Jürgen Koppelin [FDP]: Schauen Sie einmal in Ihr eigenes Papier!)


Ihr Antrag ist ein Showantrag. Wenn Sie ernsthaft da-
ran interessiert sind, sich Klarheit darüber zu verschaffen,
inwieweit sich der Verteidigungsminister gegenüber dem
Haushaltsausschuss und dem Haushaltsrecht richtig oder
falsch verhält, dann wählen Sie den korrekten Weg und
gehen Sie nach Karlsruhe. Aber hören Sie mit Ihrer In-
szenierung auf!


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Jürgen Koppelin [FDP]: Was hat denn Herr Metzger gesagt?)


Ganz konkret, Herr Kollege Koppelin: Bei dem Be-
schluss des Haushaltsausschusses am 20. März dieses
Jahres haben wir bis auf die PDS einen einmütigen Be-
schluss zu einem Zeitpunkt gefällt, zu dem klar war, dass
an beiden Vertragswerken, dem MoU und dem Vertrag
mit der Industrie, nichts mehr verhandelt werden konnte.
Darum haben wir am 20. März als Haushälter gemeinsam
einen Rechtsvorbehalt angebracht und im Haushaltsaus-
schuss mit der Entsperrung der Verpflichtungsermäch-
tigung von 5,1 Milliarden Euro den Rechtsvorbehalt für
die erste Stufe der Bestellung ausgesprochen. Es ist zwi-
schen Regierung und Parlament verabredet, dass dieser
Vorbehalt beiden Unterschriften beigefügt wird, der unter
dem MoU und der unter dem Industrievertrag, die, wie Sie
wissen, überhaupt noch nicht geleistet sind.

Wenn das eingehalten wird – erst zu diesem Zeitpunkt
können Sie Ihre großen Inszenierungen machen –, ist die
Sache völlig klar: Die Stückzahl von 73 Maschinen und
die entsprechenden Schadensersatzregelungen sind nicht
in vollem Umfang in Kraft. Das nächste Parlament bleibt
rechtlich frei. Es hat sich bisher zwar politisch gebunden;
das haben wir sehr wohl getan. Wir als Parlament haben
erklärt: Politisch stehen wir zu der Bestellung. Wir wollen
dafür aber ein Zweistufenmodell und in der ersten Stufe
haften wir mit den 5,1 Milliarden. Wir sind rechtlich da-
ran gebunden; in politischer Hinsicht ist es eine Entschei-
dung des künftigen Parlaments. Von diesem Sachverhalt
gehen wir aus. Alles andere sind Verleumdungen von Ih-
rer Seite. Sie sollten vielleicht einmal ernsthaft darüber
nachdenken, ob das angemessen ist oder ob es sich dabei
nicht vielmehr um eine Inszenierung handelt.

Insofern stärken Sie mit Ihrem Antrag mitten im Ver-
fahren die Koalition und den Koalitionszusammenhalt;
denn wir lassen uns nicht von Ihnen auseinander dividie-
ren. Herzlichen Dank dafür, meine Damen und Herren von
der FDP. In diesem Sinne werden wir den Antrag ablehnen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)





Bundeskanzler Gerhard Schröder

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(C)



(D)



(A)



(B)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1423614100
Für die Fraktion der
PDS spricht jetzt der Kollege Dr. Uwe-Jens Rössel.


(Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der will ja überhaupt keinen einzigen!)



Dr. Uwe-Jens Rössel (PDS):
Rede ID: ID1423614200
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Herr Bundeskanzler, der PDS
geht es in der heutigen Debatte nicht um die Vernichtung
einer Person – das sage ich sehr deutlich –,


(Beifall bei der PDS)

aber ein Antrag zur Entlassung eines Bundesministers ist
ein normaler Vorgang in einer parlamentarischen Demo-
kratie.


(Beifall bei der PDS und der FDP)

So einfach dürfen wir es uns damit nicht machen.

Die PDS-Fraktion befürwortet die Entlassung von
Bundesverteidigungsminister Scharping. Der Bundesmi-
nister hat in der Tat – ich lege dazu die Fakten vor – dem
Ansehen des Parlaments und der Bundeswehr großen
Schaden zugefügt.


(Dieter Grasedieck [SPD]: Ja, Sie sind ja ein Freund der Bundeswehr!)


Fast schon mit Regelmäßigkeit setzt sich der Minister
über Beschlüsse des Bundestages und seines Haushalts-
ausschusses hinweg. Jüngstes Beispiel ist die Bestellung
von 73 Großraumtransportflugzeugen, obwohl es dafür
keine angemessene haushaltsrechtliche Grundlage gibt.
Der Skandal um die Beschaffung des Militärtransporters
begann schon viel früher als heute angegeben. Er begann
schon im November 2000 bei der Verabschiedung des
Bundeshaushalts 2001 im Haushaltsausschuss.

In einer Nacht- und Nebelaktion sorgte der Verteidi-
gungsminister damals dafür, dass aus einem Leertitel zu
Beginn der Sitzung zwölf Stunden später zum Ende der
Sitzung ein Budget von 10 Milliarden DM geworden war.
Das ist die Wahrheit.


(Widerspruch bei der SPD)

Ich sage es in aller Deutlichkeit: Die PDS lehnt dieses

Rüstungsprojekt nicht nur aus haushaltsrechtlichen Grün-
den, liebe Kolleginnen und Kollegen, sondern vor allem
aus grundsätzlichen politischen Erwägungen ab. Darin
unterscheidet sie sich von allen anderen Fraktionen in die-
sem Hause.


(Beifall bei der PDS)

Die Beschaffung des Großraumtransporters ist Be-

standteil der Strategie, die Bundeswehr zu einer hochmo-
bilen, weltweit agierenden Interventionsarmee zu ent-
wickeln und umzubauen.


(Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, aber das hat mit dem Antrag nichts zu tun!)


Das lehnen wir ab.

(Beifall bei der PDS)


Mit der Person Rudolf Scharpings ist die Beteiligung
der Bundeswehr am Krieg in Jugoslawien unmittelbar
verknüpft.


(Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt kommt das wieder!)


Sie war ein Tabubruch in der deutschen Nachkriegsge-
schichte. Dieser Grund allein hätte für seine Demission
ausgereicht.


(Widerspruch bei der SPD)

Wehrminister Scharping war sich dabei nicht zu schade
– erinnern wir uns –, Wahrheiten, Unwahrheiten, aber
auch Lügen zu verbreiten. Ich erinnere an das Konzentra-
tionslager Pristina, den Hufeisenplan und anderes.


(Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aufhören!)


Mit Rudolf Scharpings Person ist aber auch die man-
gelnde Fürsorgepflicht gegenüber den Soldaten und Zi-
vilbeschäftigten der Bundeswehr verwoben.


(Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So viel Schwachsinn kann man doch nicht verbreiten!)


Den Strahlenopfern der Bundeswehr und der NVAhatte er
großzügige Unterstützung versprochen, Frau Beer. Pas-
siert ist aber fast nichts. Großzügig ist Herr Scharping un-
ter dem Deckmantel einer verunglückten, nicht transpa-
renten Bundeswehrstrukturreform, wenn es darum geht,
Dienstleistungen zu privatisieren und auszulagern. Diese
Vorgänge führen aber zu einer Vernichtung von Steuer-
mitteln in ungekanntem Ausmaß – und das in einer Zeit,
in der die Haushaltskonsolidierung angesagt ist.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1423614300
Herr Kollege Rössel,
Sie müssen zum Schluss kommen.


Dr. Uwe-Jens Rössel (PDS):
Rede ID: ID1423614400
Ich komme zum
Schluss, Frau Präsidentin. – Es gibt für die PDS-Fraktion
nicht erst seit heute, sondern seit längerem gewichtige
Gründe, den Bundeskanzler aufzufordern, Minister
Scharping zu entlassen.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der PDS und der FDP)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1423614500
Letzter Redner in die-
ser Debatte ist der Kollege Paul Breuer für die Fraktion
der CDU/CSU.


Paul Breuer (CDU):
Rede ID: ID1423614600
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Herr Bundeskanzler, Sie haben der
Opposition vorgeworfen, es ginge darum, den Menschen
Rudolf Scharping zu vernichten. Eben darum geht es
nicht.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Hans Georg Wagner [SPD]: Natürlich! Da hat er Recht!)







(C)



(D)



(A)



(B)


Es geht um eine politische Auseinandersetzung.

(Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die haben Sie nicht geführt! Herr Austermann hat die nicht geführt!)


Herr Bundeskanzler, Sie müssen verstehen, dass sich ein
Verteidigungsminister an besonderen Kriterien messen
lassen muss. Der deutsche Verteidigungsminister ist Inha-
ber der Befehls- und Kommandogewalt über 300 000 Sol-
daten und 130 000 zivile Mitarbeiter. Deswegen wird von
einem Verteidigungsminister mit Recht verlangt, Sicher-
heit zu geben, Vertrauen auszustrahlen, große Führungs-
qualitäten zu besitzen und Glaubwürdigkeit zu vermit-
teln. Herr Bundeskanzler, diesem Anspruch wird der
Verteidigungsminister Scharping nicht gerecht.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Die Führungsstärke eines Ministers korrespondiert al-

lerdings auch mit den Möglichkeiten, die ihm der Bun-
deskanzler gibt.


(Dr. Hans-Peter Uhl [CDU/CSU]: Das ist die Ursache!)


Herr Scharping, ich erinnere mich sicherlich genauso
gut wie Sie an ein Wort des Bundeskanzlers Schröder Ih-
nen gegenüber. Herr Bundeskanzler, Sie haben bei der
Kommentierung des Konzeptes von Herrn Scharping ge-
sagt: Von Rudolf lernen heißt Siegen lernen.


(Hans Raidel [CDU/CSU]: Siechen! – Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist daran jetzt politische Auseinandersetzung?)


Herr Scharping, der gegen seinen eigenen Willen von Ih-
nen und Herrn Lafontaine auf die Hardthöhe gebracht
wurde, hat damals gesagt, man habe ihm Qualitäten ga-
rantiert, die vor ihm noch kein Verteidigungsminister ge-
habt habe.


(Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo sind wir hier eigentlich?)


Dass er daran auch nur eine Zehntelsekunde geglaubt hat,
ist ihm eigentlich übel zu nehmen; denn entsprechende
Erfahrungen mit Schröder hatte er schon vorher in
Mannheim gesammelt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo ist denn hier die politische Auseinandersetzung?)


Wer hier wen vernichtet und politisch aufreibt, wird erst
die Zukunft erweisen.


(Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Kotzkübel schütten Sie aus!)


Herr Bundeskanzler, Sie haben dabei eine ganz erhebliche
Verantwortung.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Im Übrigen ist der Hauptleidtragende dabei eigentlich

nicht Herr Scharping, sondern die Bundeswehr und die
deutsche Glaubwürdigkeit in der internationalen Öffent-
lichkeit.


(Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Lassen Sie Ihre Krokodilstränen! – Hans Büttner [Ingolstadt] [SPD]: Heuchler! So ein Heuchler!)


Die Verantwortung dafür trägt ebenfalls der Bundeskanz-
ler.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Herr Scharping, Sie sind 1998 mit einem großen Ver-

trauensvorschuss der Soldaten in Ihr Amt gestartet, den
Sie sich insbesondere durch die Gespräche, die Sie damals
auf allen Ebenen der Bundeswehr geführt haben, erwor-
ben haben.


(Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hat Rühe nie geschafft!)


Ich muss Sie, Herr Scharping, und auch Sie, Herr Bun-
deskanzler, offenbar mit der Realität konfrontieren: Auf
der Kommandeurtagung der Bundeswehr, die vor weni-
gen Wochen stattgefunden hat und auf der auch Sie, Herr
Bundeskanzler, gesprochen haben,


(Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was soll denn das?)


ist deutlich gemacht worden, dass dieser Vertrauensvor-
schuss absolut aufgebraucht ist. Das politische und nicht
das menschliche Problem in der Führung der Bundeswehr
ist, dass Verteidigungsminister Scharping einen rasanten
Vertrauens- und Autoritätsverlust bis hin zur Unkennt-
lichkeit erfahren hat und dass er seine Glaubwürdigkeit in
der Bundeswehr sowie in der deutschen und internationa-
len Öffentlichkeit verloren hat. Das ist das eigentliche po-
litische Problem.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Im Hinblick auf dieses Problem, das eine Zumutung für
Deutschland ist – das Maß ist voll –,


(Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie sind eine Zumutung für das Parlament! – Hans Büttner [Ingolstadt] [SPD]: Wie man so lange Unsinn reden kann, frage ich mich!)


kann entweder der Bundeskanzler zum jetzigen Zeitpunkt
oder der Wähler am 22. September eine Lösung her-
beiführen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1423614700
Ich schließe die Aus-
sprache. Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag
der Fraktion der FDPauf Drucksache 14/8954 mit dem Ti-
tel „Entlassung des Bundesministers der Verteidigung
Rudolf Scharping“.

Es ist namentliche Abstimmung verlangt. Es gibt zwei
schriftliche Erklärungen gemäß § 31 unserer Geschäfts-
ordnung: zum einen der Kollegin Sylvia Voß,1) zum ande-
ren des Kollegen Christian Simmert und der Kolleginnen
Annelie Buntenbach und Irmingard Schewe-Gerigk.2)




Paul Breuer

23571


(C)



(D)



(A)



(B)


1) Anlage 4
2) Anlage 5

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie, bei der
Stimmabgabe sorgfältig darauf zu achten, dass die von
Ihnen verwendeten Stimmkarten Ihren Namen tragen. –
Ich bitte nun die Schriftführerinnen und Schriftführer, die
vorgesehenen Plätze einzunehmen. – Sind alle Urnen be-
setzt? – Das ist der Fall. Ich eröffne die Abstimmung.

Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme nicht abgegeben hat? – Das ist nicht der Fall. Ich
schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen
und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das
Ergebnis der namentlichen Abstimmung wird Ihnen spä-
ter bekannt gegeben.1)

Wir setzen jetzt die Beratungen fort. Ich bitte darum,
dass alle Kolleginnen und Kollegen, die der Debatte noch
folgen wollen, ihre Plätze einnehmen. Vorher werde ich
den ersten Redner auch nicht aufrufen. – Vielleicht könn-
ten die Parlamentarischen Geschäftsführerinnen und Ge-
schäftsführer dafür sorgen, dass wir die Beratung zügig
fortsetzen können.


(Jörg Tauss [SPD]: Wir sind so weit, Frau Präsidentin! Schauen Sie mal die Disziplin bei der SPD und da drüben an!)


– Ich werde jetzt keine Zensuren verteilen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 10 a und 10 b sowie

die Zusatzpunkte 14 und 15 auf:
10. a) Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD und

des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Reform durch Verfassung: Für eine demokra-
tische, solidarische und handlungsfähige Euro-
päische Union
– Drucksache 14/9047 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union (f)

Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung
Ausschuss für Kultur und Medien

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Peter
Hintze, Christian Schmidt (Fürth), Michael
Stübgen, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der CDU/CSU
Notwendige Reformen für die zukünftige EU:
Forderungen an den Konvent
– Drucksache 14/8489 –

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union (f)

Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung
Ausschuss für Kultur und Medien

ZP 14 Beratung des Antrags der Abgeordneten Sabine
Leutheusser-Schnarrenberger, Ina Albowitz,
Hildebrecht Braun (Augsburg), weiterer Abgeord-
neter und der Fraktion der FDP
Die Zukunft Europas liegt in den Händen des
Konvents
– Drucksache 14/9044 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union (f)

Innenausschuss
Rechtsausschuss

ZP 15 Beratung des Antrags der Abgeordneten Uwe
Hiksch, Dr. Klaus Grehn, Roland Claus und der
Fraktion der PDS
Ein anderes Europa ist möglich – Im Konvent
die Weichen für eine demokratische, solida-
rische und zivile europäische Union stellen
– Drucksache 14/9046 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union (f)

Auswärtiger Ausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich
eröffne die Aussprache. Erster Redner für die Fraktion der
SPD ist der Kollege Dr. Jürgen Meyer.


(Abg. Dr. Jürgen Meyer [Ulm] [SPD] betritt den Saal)


– Nach einer minimalen Verzögerung hat dann der Kol-
lege Dr. Jürgen Meyer das Wort.


(Dr. Norbert Wieczorek [SPD]: Professor! Er ist ein Professor!)


– Das passiert in einer Live-Sitzung.
Es spricht jetzt Dr. Jürgen Meyer, SPD-Fraktion.

Dr. Jürgen Meyer (Ulm) (SPD) (von der SPD mit
Beifall begrüßt): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Ich bitte die kleine Verzögerung zu ent-
schuldigen. Sie entstand, weil ich davon ausging, dass ich
als letzter und nicht als erster Redner sprechen würde.


(Jörg Tauss [SPD]: Ehre, wem Ehre gebührt!)





Vizepräsidentin Petra Bläss
23572


(C)



(D)



(A)



(B)


1) Seite 23574 A

Unser Thema ist die Arbeit des Konvents in Brüssel.
Ich nutze diese Gelegenheit gern, einige Informationen
über diese Arbeit zu vermitteln, denn als Delegierter des
Deutschen Bundestages im Brüsseler Verfassungskon-
vent finde ich es außerordentlich wichtig, dass wir auch
hier im Plenum und nicht nur im Europaausschuss die Ar-
beit dieses Konvents mitgestalten.


(Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: Guter Vorsatz!)

Lassen Sie mich zu der heutigen Debatte eine Ein-

gangsbemerkung machen, die verdeutlicht, dass dies kein
Feld parteipolitischer Polemik ist. Wenn man sich zum
einen die von der Koalition, also von SPD und Bünd-
nis 90/Die Grünen, und zum anderen die von der
CDU/CSU-Fraktion vorgelegten Anträge anschaut, dann
entdeckt man eine Fülle von Gemeinsamkeiten für die
Arbeit an der künftigen europäischen Verfassung. Das
macht es mir auch leichter, die Meinung des Deutschen
Bundestags in Brüssel zu vertreten.

Eine Gemeinsamkeit besteht zum Beispiel darin, dass
wir alle die Verbindlichkeit der Grundrechtechartawol-
len. Wir alle wollen, dass deutlich wird: Europa ist nicht
nur eine Wirtschafts- und Währungsgemeinschaft, son-
dern auch eine Wertegemeinschaft.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Eine weitere Gemeinsamkeit besteht darin, dass wir
eine klarere Gewaltenteilung zwischen den Institutionen
in Brüssel wollen. Allerdings würde mich sehr interessie-
ren, was die Opposition zu dem Vorschlag meint, auch die
künftige Rolle des Europäischen Rates in dieses System
der Gewaltenteilung einzubringen, denn es muss doch
klar sein, ob der Europäische Rat auf seinen Gipfelkonfe-
renzen eher Regierung ist oder vielleicht auch Gesetz-
geber oder auch beides. Meine persönliche Meinung ist,
dass die Regierungen künftig eindeutig regieren sollten,
aber dies sollte auch in unseren Debatten noch geklärt
werden.

Es gibt eine Gemeinsamkeit hinsichtlich des gemein-
samen Budgetrechts des Europäischen Parlaments und
des Rates. Es gibt auch die gemeinsame Forderung, dass
die Gesetzgebungsinitiativrechte künftig nicht nur von
der Kommission, sondern in gleicher Weise auch von Eu-
ropäischem Parlament und Rat ausgeübt werden sollten.
Wir sind gemeinsam grundsätzlich für Mehrheitsent-
scheidungen und – das wird zum Beispiel wegen der kri-
tischen Haltung unserer britischen Freunde schwer durch-
zusetzen sein – für die Wahl des Kommissionspräsidenten
durch das Europäische Parlament.

Lassen Sie mich auch ein kritisches Wort in Richtung
der Opposition sagen, und zwar im Hinblick auf den Vor-
schlag, den Sie von der Opposition für die Klärung von
Kompetenzproblemen machen. Ihr Vorschlag geht da-
hin, dass künftig ein Kompetenzsenat des Europäischen
Gerichtshofs, in dem auch eine Beteiligung nationaler
Verfassungsrichter vorgesehen werden kann, Kompetenz-
streitigkeiten schlichten soll. Lassen Sie mich dazu ein-
fach Folgendes sagen: Europa ist kein Amtsgericht. Sub-
sidiarität ist nicht nur ein Rechts-, sondern auch ein
politisches Prinzip. Deshalb ist meine Überzeugung – für

die ich bei allen Fraktionen werben möchte –, dass die
Rolle der nationalen Parlamente auch bei solch heiklen
Fragen nicht ausgeblendet werden darf. Die Rolle der na-
tionalen Parlamente sollte auch in diesem Zusammen-
hang beachtet werden.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: Dann muss man auch miteinander reden!)


Lassen Sie mich die drei Grundbotschaften nennen, für
die ich mich in Brüssel engagieren möchte und für die ich
hoffentlich Ihre Unterstützung erhalte.

Die erste Grundbotschaft ist, mehr Demokratie zu wa-
gen. Das heißt: Der Konventsgedanke, der eine stärkere
Beteiligung von Parlamentariern an europäischen Wei-
chenstellungen zum Inhalt hat, muss in die Verfassung
transponiert werden. Dies ist eine Grundforderung, für die
ich um Unterstützung bitte.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Es sollte nicht möglich sein, dass Kompetenzen auf die
Ebene der Europäischen Union übertragen werden und
dabei eine bislang vorhandene parlamentarische Kon-
trolle verloren geht. Das darf nicht sein. Auch das bedeu-
tet, mehr Demokratie in Europa zu wagen.


(Beifall bei der SPD und der PDS sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der CDU/CSU)


„Mehr Demokratie wagen“ muss sich auch bei der Neu-
gestaltung dessen, was wir etwas technokratisch als zweite
und dritte Säule bezeichnen, auswirken. Das heißt: Die
künftige europäische Gemeinsame Außen- und Sicher-
heitspolitik und die künftige europäische Innen- und
Rechtspolitik müssen schrittweise in dem Sinne verge-
meinschaftet werden, dass die Regierungen weniger
allein machen und dass die Parlamente, die nationalen Par-
lamente und das Europäische Parlament, mehr Mitsprache
erhalten. Auch das bedeutet, mehr Demokratie zu wagen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der FDP)


Die zweite Grundbotschaft, für die ich um Unterstüt-
zung werbe, ist die, dass unsere Wertegemeinschaft in
Europa vom Grundgedanken der Solidarität geprägt sein
muss. Deshalb sollten wir unter allen Umständen die Ver-
bindlichkeit der Grundrechtecharta mit ihren zwölf sozia-
len Grundrechten erkämpfen. Dies ist ein europäisches
Wertemodell. Dies ist ein Modell, das inzwischen zu ei-
nem Exportschlager geworden ist. In anderen Kontinen-
ten beachtet man sehr, was wir Europäer machen. Ein
Wertemodell zu exportieren ist, finde ich, nicht schlech-
ter, als Autos und andere Wirtschaftsgüter zu exportieren.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Der dritte Grundgedanke, den wir sicherlich gemein-
sam vertreten, ist der, dass auch die vergrößerte Europä-
ische Union handlungsfähig sein muss. Das bedeutet, dass




Dr. Jürgen Meyer (Ulm)


23573


(C)



(D)



(A)



(B)


bei Entscheidungen viel mehr, als in Nizza vereinbart, das
Mehrheitsprinizip zum Zuge kommen muss. Das gilt ge-
rade auch für die vergrößerte Europäische Union. Es wäre
das Ende der Handlungsfähigkeit, wenn in einer Europä-
ischen Union mit demnächst 25 Mitgliedstaaten ein Staat
ein Vetorecht ausüben und dadurch Privilegien erzwingen
könnte. Das geht nicht. Wir sind für die Durchsetzung des
Mehrheitsgedankens.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Die spanische Präsidentschaft hat ihre Arbeit unter das
Motto „Mehr Europa“ gestellt. Ich halte das für einen
großartigen Gedanken. Inwieweit er unter spanischer Prä-
sidentschaft realisiert werden kann, wird man am Ende
dieser Präsidentschaft zu beurteilen haben. Mehr Europa
bedeutet aber auch, dass wir uns vor scheinbaren Ge-
gensätzen hüten sollten. Dazu gehört beispielsweise die
Frage „Mehr oder weniger Nationalstaat?“. Nach meiner
Überzeugung, die Sie hoffentlich teilen, ist der National-
staat nicht ein Gebilde der Vergangenheit, sondern er wird

in einer Föderation der Nationalstaaten eine Zukunft ha-
ben. Das ist der Gedanke, den Johannes Rau und Gerhard
Schröder formuliert haben. Ich denke, dieser Gedanke ist
eine gute Grundlage auch für die Arbeit des Konvents.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1423614800
Bevor ich dem nächs-
ten Redner das Wort erteile, möchte ich Ihnen das von den
Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis
der namentlichen Abstimmung über den Antrag der
Abgeordneten Dr. Günter Rexrodt, Jürgen Koppelin,
Dr. Werner Hoyer und der Fraktion der FDP zur Entlas-
sung des Bundesministers der Verteidigung, Rudolf
Scharping, auf Drucksache 14/8954 bekannt geben. Ab-
gegebene Stimmen 582. Mit Ja haben gestimmt 254 Kol-
leginnen und Kollegen, mit Nein haben gestimmt 319 Ab-
geordnete. Es haben sich neun Kolleginnen und Kollegen
enthalten.




Dr. Jürgen Meyer (Ulm)

23574


(C)



(D)



(A)



(B)


Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 581;
davon

ja: 254
nein: 318
enthalten: 9

Ja
CDU/CSU
Ulrich Adam
Ilse Aigner
Peter Altmaier
Dietrich Austermann
Norbert Barthle
Dr. Wolf Bauer
Günter Baumann
Meinrad Belle
Dr. Sabine Bergmann-Pohl
Otto Bernhardt
Hans-Dirk Bierling
Dr. Joseph-Theodor Blank
Renate Blank
Dr. Heribert Blens
Peter Bleser
Dr. Norbert Blüm
Antje Blumenthal
Dr. Maria Böhmer
Sylvia Bonitz
Jochen Borchert
Wolfgang Börnsen

(Bönstrup)


Wolfgang Bosbach
Dr. Wolfgang Bötsch
Klaus Brähmig
Dr. Ralf Brauksiepe
Paul Breuer
Monika Brudlewsky
Georg Brunnhuber
Klaus Bühler (Bruchsal)


Hartmut Büttner

(Schönebeck)


Dankward Buwitt
Cajus Caesar
Manfred Carstens (Emstek)

Peter H. Carstensen

(Nordstrand)


Leo Dautzenberg
Wolfgang Dehnel
Hubert Deittert
Albert Deß
Renate Diemers
Thomas Dörflinger
Dr. Hansjürgen Doss
Marie-Luise Dött
Maria Eichhorn
Anke Eymer (Lübeck)

Ilse Falk
Albrecht Feibel
Ulf Fink
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer (Hamburg)

Klaus Francke
Dr. Hans-Peter Friedrich

(Hof)


Erich G. Fritz
Jochen-Konrad Fromme
Hans-Joachim Fuchtel
Dr. Jürgen Gehb
Norbert Geis
Georg Girisch
Dr. Reinhard Göhner
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Kurt-Dieter Grill
Hermann Gröhe
Manfred Grund
Horst Günther (Duisburg)

Carl-Detlev Freiherr von
Hammerstein

Gottfried Haschke

(Großhennersdorf )


Gerda Hasselfeldt
Hansgeorg Hauser

(Rednitzhembach)


Klaus-Jürgen Hedrich
Helmut Heiderich
Ursula Heinen
Manfred Heise
Siegfried Helias
Detlef Helling
Ernst Hinsken
Peter Hintze
Klaus Hofbauer
Martin Hohmann
Josef Hollerith
Dr. Karl-Heinz Hornhues
Siegfried Hornung
Joachim Hörster
Hubert Hüppe
Susanne Jaffke
Georg Janovsky
Dr.-Ing. Rainer Jork
Dr. Harald Kahl
Bartholomäus Kalb
Steffen Kampeter
Dr.-Ing. Dietmar Kansy
Irmgard Karwatzki
Volker Kauder
Norbert Königshofen
Eva-Maria Kors
Thomas Kossendey
Rudolf Kraus
Dr. Martina Krogmann
Dr. Hermann Kues
Werner Kuhn
Karl Lamers
Dr. Karl A. Lamers

(Heidelberg)


Dr. Norbert Lammert
Dr. Paul Laufs
Karl-Josef Laumann
Werner Lensing
Peter Letzgus

Ursula Lietz
Walter Link (Diepholz)

Dr. Manfred Lischewski
Wolfgang Lohmann

(Lüdenscheid)


Julius Louven
Erich Maaß (Wilhelmshaven)

Erwin Marschewski

(Recklinghausen)


Dr. Martin Mayer

(Siegertsbrunn)


Wolfgang Meckelburg
Dr. Michael Meister
Friedrich Merz
Hans Michelbach
Dr. Gerd Müller
Bernward Müller (Jena)

Elmar Müller (Kirchheim)

Claudia Nolte
Franz Obermeier
Friedhelm Ost
Eduard Oswald
Norbert Otto (Erfurt)

Dr. Peter Paziorek
Anton Pfeifer
Beatrix Philipp
Ruprecht Polenz
Marlies Pretzlaff
Thomas Rachel
Hans Raidel
Dr. Peter Ramsauer
Helmut Rauber
Erika Reinhardt
Hans-Peter Repnik
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Franz Romer
Hannelore Rönsch

(Wiesbaden)


Dr. Klaus Rose
Kurt J. Rossmanith
Adolf Roth (Gießen)


Dr. Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Volker Rühe
Anita Schäfer
Dr. Wolfgang Schäuble
Heinz Schemken
Dr. Gerhard Scheu
Norbert Schindler
Dietmar Schlee
Bernd Schmidbauer
Christian Schmidt (Fürth)

Dr.-Ing. Joachim Schmidt

(Halsbrücke)


Andreas Schmidt (Mülheim)

Michael von Schmude
Dr. Andreas Schockenhoff
Dr. Rupert Scholz
Reinhard Freiherr von
Schorlemer

Wolfgang Schulhoff
Gerhard Schulz
Clemens Schwalbe
Dr. Christian Schwarz-
Schilling

Wilhelm Josef Sebastian
Marion Seib
Heinz Seiffert
Dr. h. c. Rudolf Seiters
Bernd Siebert
Johannes Singhammer
Bärbel Sothmann
Margarete Späte
Wolfgang Steiger
Erika Steinbach
Andreas Storm
Dorothea Störr-Ritter
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Thomas Strobl (Heilbronn)

Edeltraut Töpfer
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Angelika Volquartz
Andrea Voßhoff
Gerald Weiß (Groß-Gerau)

Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese (Ehingen)

Hans-Otto Wilhelm (Mainz)

Klaus-Peter Willsch
Bernd Wilz
Willy Wimmer (Neuss)

Matthias Wissmann
Werner Wittlich
Dagmar Wöhrl
Aribert Wolf
Elke Wülfing
Peter Kurt Würzbach
Wolfgang Zeitlmann
Wolfgang Zöller
FDP
Ina Albowitz
Hildebrecht Braun

(Augsburg)


Ernst Burgbacher
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Gisela Frick
Paul K. Friedhoff

Horst Friedrich (Bayreuth)

Rainer Funke
Dr. Wolfgang Gerhardt
Joachim Günther (Plauen)

Dr. Karlheinz Guttmacher
Klaus Haupt
Walter Hirche
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Gudrun Kopp
Jürgen Koppelin
Ina Lenke
Sabine Leutheusser-
Schnarrenberger

Dirk Niebel
Günther Friedrich Nolting
Hans-Joachim Otto

(Frankfurt)


Detlef Parr
Dr. Günter Rexrodt
Dr. Edzard Schmidt-Jortzig
Gerhard Schüßler
Dr. Irmgard Schwaetzer
Marita Sehn
Dr. Hermann Otto Solms
Dr. Max Stadler
Carl-Ludwig Thiele
Jürgen Türk
PDS
Petra Bläss
Maritta Böttcher
Eva Bulling-Schröter
Heidemarie Ehlert
Dr. Heinrich Fink
Wolfgang Gehrcke
Dr. Klaus Grehn
Dr. Bärbel Grygier
Uwe Hiksch
Ulla Jelpke
Sabine Jünger
Dr. Evelyn Kenzler
Rolf Kutzmutz
Heidi Lippmann
Ursula Lötzer
Dr. Christa Luft
Rosel Neuhäuser
Petra Pau
Dr. Uwe-Jens Rössel
Christina Schenk
Dr. Ilja Seifert

Nein
SPD
Brigitte Adler
Gerd Andres
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Hermann Bachmaier
Ernst Bahr
Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Eckhardt Barthel (Berlin)

Klaus Barthel (Starnberg)

Ingrid Becker-Inglau
Wolfgang Behrendt

Dr. Axel Berg
Hans-Werner Bertl
Friedhelm Julius Beucher
Petra Bierwirth
Rudolf Bindig
Lothar Binding (Heidelberg)

Kurt Bodewig
Klaus Brandner
Anni Brandt-Elsweier
Willi Brase
Rainer Brinkmann (Detmold)

Bernhard Brinkmann

(Hildesheim)


Hans-Günter Bruckmann
Edelgard Bulmahn
Ulla Burchardt
Dr. Michael Bürsch
Hans Martin Bury
Hans Büttner (Ingolstadt)

Marion Caspers-Merk
Wolf-Michael Catenhusen
Dr. Peter Danckert
Dr. Herta Däubler-Gmelin
Christel Deichmann
Karl Diller
Peter Dreßen
Detlef Dzembritzki
Dieter Dzewas
Sebastian Edathy
Ludwig Eich
Peter Enders
Gernot Erler
Petra Ernstberger
Annette Faße
Lothar Fischer (Homburg)

Gabriele Fograscher
Iris Follak
Norbert Formanski
Rainer Fornahl
Hans Forster
Lilo Friedrich (Mettmann)

Harald Friese
Anke Fuchs (Köln)

Arne Fuhrmann
Monika Ganseforth
Konrad Gilges
Günter Gloser
Uwe Göllner
Renate Gradistanac
Günter Graf (Friesoythe)

Angelika Graf (Rosenheim)

Dieter Grasedieck
Monika Griefahn
Kerstin Griese
Achim Großmann
Wolfgang Grotthaus
Karl-Hermann Haack

(Extertal)


Hans-Joachim Hacker
Klaus Hagemann
Manfred Hampel
Alfred Hartenbach
Anke Hartnagel
Klaus Hasenfratz
Nina Hauer
Hubertus Heil
Reinhold Hemker
Frank Hempel
Rolf Hempelmann

Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Monika Heubaum
Reinhold Hiller (Lübeck)

Jelena Hoffmann (Chemnitz)

Walter Hoffmann

(Darmstadt)


Iris Hoffmann (Wismar)

Frank Hofmann (Volkach)

Ingrid Holzhüter
Christel Humme
Lothar Ibrügger
Barbara Imhof
Brunhilde Irber
Gabriele Iwersen
Renate Jäger
Jann-Peter Janssen
Ilse Janz
Dr. Uwe Jens
Volker Jung (Düsseldorf)

Johannes Kahrs
Ulrich Kasparick
Sabine Kaspereit
Susanne Kastner
Ulrich Kelber
Hans-Peter Kemper
Klaus Kirschner
Marianne Klappert
Siegrun Klemmer
Hans-Ulrich Klose
Fritz Rudolf Körper
Karin Kortmann
Anette Kramme
Nicolette Kressl
Volker Kröning
Angelika Krüger-Leißner
Horst Kubatschka
Ernst Küchler
Helga Kühn-Mengel
Ute Kumpf
Konrad Kunick
Dr. Uwe Küster
Werner Labsch
Christine Lambrecht
Brigitte Lange
Christian Lange (Backnang)

Detlev von Larcher
Christine Lehder
Waltraud Lehn
Klaus Lennartz
Dr. Elke Leonhard
Eckhart Lewering
Götz-Peter Lohmann

(Neubrandenburg)


Gabriele Lösekrug-Möller
Erika Lotz
Dr. Christine Lucyga
Dieter Maaß (Herne)

Winfried Mante
Dirk Manzewski
Tobias Marhold
Lothar Mark
Ulrike Mascher
Christoph Matschie
Heide Mattischeck
Markus Meckel
Ulrike Mehl
Ulrike Merten
Angelika Mertens




Vizepräsidentin Petra Bläss

23575


(C)



(D)



(A)



(B)


Dr. Jürgen Meyer (Ulm)

Ursula Mogg
Siegmar Mosdorf
Michael Müller (Düsseldorf)

Jutta Müller (Völklingen)

Christian Müller (Zittau)

Franz Müntefering
Andrea Nahles
Volker Neumann (Bramsche)

Dr. Edith Niehuis
Dr. Rolf Niese
Dietmar Nietan
Günter Oesinghaus
Leyla Onur
Manfred Opel
Holger Ortel
Adolf Ostertag
Kurt Palis
Albrecht Papenroth
Dr. Martin Pfaff
Georg Pfannenstein
Johannes Pflug
Dr. Eckhart Pick
Joachim Poß
Karin Rehbock-Zureich
Dr. Carola Reimann
Margot von Renesse
Renate Rennebach
Bernd Reuter
Dr. Edelbert Richter
Christel Riemann-
Hanewinckel

Reinhold Robbe
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth (Heringen)

Birgit Roth (Speyer)

Gerhard Rübenkönig
Marlene Rupprecht
Dr. Hansjörg Schäfer
Gudrun Schaich-Walch
Rudolf Scharping
Bernd Scheelen
Dr. Hermann Scheer
Siegfried Scheffler
Horst Schild
Dieter Schloten
Horst Schmidbauer

(Nürnberg)


Ulla Schmidt (Aachen)

Silvia Schmidt (Eisleben)

Dagmar Schmidt (Meschede)

Wilhelm Schmidt (Salzgitter)


Dr. Frank Schmidt

(Weilburg)


Regina Schmidt-Zadel
Heinz Schmitt (Berg)

Carsten Schneider
Dr. Emil Schnell
Walter Schöler
Karsten Schönfeld
Fritz Schösser
Ottmar Schreiner
Gerhard Schröder
Gisela Schröter
Dr. Mathias Schubert
Richard Schuhmann

(Delitzsch)


Brigitte Schulte (Hameln)

Volkmar Schultz (Köln)

Ewald Schurer
Dr. Angelica Schwall-Düren
Rolf Schwanitz
Bodo Seidenthal
Erika Simm
Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk
Dr. Cornelie Sonntag-
Wolgast

Wieland Sorge
Wolfgang Spanier
Dr. Margrit Spielmann
Jörg-Otto Spiller
Dr. Ditmar Staffelt
Antje-Marie Steen
Ludwig Stiegler
Rolf Stöckel
Rita Streb-Hesse
Reinhold Strobl (Amberg)

Dr. Peter Struck
Joachim Stünker
Joachim Tappe
Jörg Tauss
Jella Teuchner
Dr. Gerald Thalheim
Wolfgang Thierse
Franz Thönnes
Uta Titze-Stecher
Adelheid Tröscher
Hans-Eberhard Urbaniak
Rüdiger Veit
Simone Violka
Ute Vogt (Pforzheim)

Hans Georg Wagner
Hedi Wegener
Dr. Konstanze Wegner
Wolfgang Weiermann

Reinhard Weis (Stendal)

Matthias Weisheit
Gunter Weißgerber
Gert Weisskirchen

(Wiesloch)


Dr. Ernst Ulrich von
Weizsäcker

Jochen Welt
Dr. Rainer Wend
Hildegard Wester
Lydia Westrich
Inge Wettig-Danielmeier
Dr. Margrit Wetzel
Dr. Norbert Wieczorek
Jürgen Wieczorek (Böhlen)

Helmut Wieczorek

(Duisburg)


Dieter Wiefelspütz
Heino Wiese (Hannover)

Klaus Wiesehügel
Brigitte Wimmer (Karlsruhe)

Engelbert Wistuba
Dr. Wolfgang Wodarg
Verena Wohlleben
Hanna Wolf (München)

Waltraud Wolff

(Wolmirstedt)


Heidemarie Wright
Uta Zapf
Dr. Christoph Zöpel
Peter Zumkley
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Gila Altmann (Aurich)

Marieluise Beck (Bremen)

Volker Beck (Köln)

Angelika Beer
Matthias Berninger
Grietje Bettin
Annelie Buntenbach
Ekin Deligöz
Amke Dietert-Scheuer
Dr. Thea Dückert
Franziska Eichstädt-Bohlig
Hans-Josef Fell
Joseph Fischer (Frankfurt)

Katrin Göring-Eckardt
Rita Grießhaber
Gerald Häfner
Winfried Hermann
Antje Hermenau

Ulrike Höfken
Michaele Hustedt
Dr. Angelika Köster-Loßack
Steffi Lemke
Dr. Helmut Lippelt
Dr. Reinhard Loske
Kerstin Müller (Köln)

Winfried Nachtwei
Christa Nickels
Cem Özdemir
Simone Probst
Christine Scheel
Irmingard Schewe-Gerigk
Rezzo Schlauch
Albert Schmidt (Hitzhofen)

Werner Schulz (Leipzig)

Christian Simmert
Christian Sterzing
Hans-Christian Ströbele
Jürgen Trittin
Dr. Antje Vollmer
Dr. Ludger Volmer
Helmut Wilhelm (Amberg)

Margareta Wolf (Frankfurt)

PDS
Wolfgang Bierstedt
Fraktionslos
Christa Lörcher

Enthaltungen
CDU/CSU
Brigitte Baumeister
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Sylvia Voß
PDS
Monika Balt
Dr. Ruth Fuchs
Heidemarie Lüth
Angela Marquardt
Manfred Müller (Berlin)

Kersten Naumann
Gustav-Adolf Schur




Vizepräsidentin Petra Bläss
23576


(C)



(D)



(A)



(B)


Entschuldigt wegen Übernahme einer Verpflichtung im Rahmen ihrer Mitgliedschaft in den Parlamentarischen Versammlungen des
Europarates und der WEU, der Parlamentarischen Versammlung der NATO, der OSZE oder der IPU
Abgeordnete(r)
Zierer, Benno*
CDU/CSU

* für die Teilnahme an den Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates

Der Antrag ist damit abgelehnt.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Hans Michelbach [CDU/ CSU]: Das ist ein gutes Ergebnis! Scharping bleibt uns erhalten! – Albert Deß [CDU/CSU]: Für Deutschland schlecht, für die Opposition gut!)


Wir fahren in der Debatte fort. Nächster Redner ist der
Kollege Peter Altmaier für die Fraktion der CDU/CSU.


Peter Altmaier (CDU):
Rede ID: ID1423614900
Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren! In der grundsätzlichen Hal-
tung zur Europäischen Union sind wir uns in diesem
Hause seit vielen Jahren einig. Dies ist auch notwendig;
denn die Arbeit des Konvents findet in einem schwieri-
gen internationalen politischen Umfeld statt. Fast jede
Woche wird in Europa irgendwo eine sozialdemokrati-
sche Regierung abgewählt. Populisten von rechts und
links erhalten breiten Zulauf mit europafeindlichen Paro-
len und Schlagworten.


(Sabine Leutheusser-Schnarrenberger [FDP]: Stimmt!)


Wenn der Bundeskanzler allerdings vor diesem Hin-
tergrund pathetisch vor einer rechten Gefahr warnt, dann
sollte er ehrlicherweise sagen, dass der Aufstieg extre-
mer Kräfte in Europa derzeit überall parallel mit dem
eklatanten Versagen sozialdemokratischer Regierungen
einhergeht.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Uwe Hiksch [PDS])


Das war der Fall in Italien, in Österreich, in Dänemark, in
Portugal und in Frankreich. In den Niederlanden wurden
die sozialdemokratischen Stimmen regelrecht halbiert.
Sozialdemokratische Parteien verlieren flächendeckend
Wahlen, weil sie für die Probleme der Bürger weder Ant-
worten noch Lösungen haben. Die Wähler in Deutschland
haben dies inzwischen ebenfalls verstanden.

Ein weiterer Punkt. Die europapolitischen Rundum-
schläge des Bundeskanzlers gegen alles, was sich in
Brüssel bewegt, werden nicht dazu beitragen, den antieu-
ropäischen Populisten aller Länder den Wind aus den Se-
geln zu nehmen. Sogar die „FAZ“, die nicht im Verdacht
steht, unkritisch europabegeistert zu sein, wirft ihm vor,
auf die europäischen Institutionen einzuprügeln, ihre Au-
torität zu beschädigen und sie zu dämonisieren. Sie
kommt zu dem Schluss:


(Dr. Norbert Wieczorek [SPD]: Die beschädigt sich selber!)


Schröder selbst hat getan, was er nun als potentielle
Wirkung einer „rechten Gefahr“ unterstellt.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Die ständigen Frontalangriffe auf die Europäische

Kommission, die markigen, aber hohlen Sprüche über na-
tionale Interessen haben in Brüssel, im Konvent, in den
Nachbarländern und bei den Beitrittskandidaten zu er-
heblichen Zweifeln und Verunsicherung geführt, ohne
dass irgendetwas im positiven Sinne erreicht worden

wäre. Dies schadet den europäischen und den deutschen
Interessen gleichermaßen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Sabine Leutheusser-Schnarrenberger [FDP] – Dr. Norbert Wieczorek [SPD]: Das war aber in Ihrer Zeit!)


Der Umstand, dass wir nun schon im zweiten Jahr in
Europa Schlusslicht bei Wirtschaftswachstum, Haus-
haltsdefizit und Unternehmenspleiten sind, ist in den Ge-
sprächen am Rande des Konvents mehr als einmal Thema
und trägt nicht dazu bei, das Vertrauen in unser Land und
in die handelnden Personen zu stärken.


(Beifall bei der CDU/CSU – Detlev von Larcher [SPD]: Reden Sie über Europa oder machen Sie Wahlkampf?)


– Hören Sie bitte zu!
Vor dem Hintergrund der innenpolitischen Verwerfun-

gen in immer mehr europäischen Staaten und des enormen
Zeitdrucks, unter dem wir für den weiteren Fortgang der
Verhandlungen stehen, müssen wir uns im Konvent auf
das konzentrieren, was an Herausforderungen notwendig
und wichtig ist. Ich will drei Herausforderungen nennen.

Die erste Herausforderung. Wir müssen die Osterwei-
terung der Europäischen Union – unabhängig von der Ar-
beit des Konvents – mit Nachdruck vorantreiben und frist-
gerecht vollenden, damit die ersten neuen Mitgliedstaaten
an den Europawahlen im Jahre 2004 teilnehmen können.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Dass gerade in den letzten Tagen Zweifel an der Reali-
sierbarkeit dieses Zeitplans aufgekommen sind, muss uns
alarmieren. Wir dürfen die Kandidaten nicht länger ver-
trösten und dürfen uns weder hinter dem Konvent noch
hinter nationalen Problemen verstecken.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Zweitens. Wir müssen in der weiteren Arbeit des Kon-

vents die Hauptlinien der notwendigen Reformen nicht
nur für Juristen und Politiker, sondern auch für die Bürger
erkennbar und nachvollziehbar machen. Die Zeit der Ver-
handlungen hinter verschlossenen Türen ist vorbei. Aber
wir müssen die öffentlichen Debatten auch so strukturie-
ren, dass sie verstanden werden und sich nicht in techni-
schen Details und kleinkariertem Feilschen über Sonder-
interessen erschöpfen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg. Uwe Hiksch [PDS])


Das gilt auch, verehrter Herr Kollege Meyer, für Ihr
Lieblingsprojekt, den so genannten Subsidiaritätsaus-
schuss.Wenn ich Sie richtig verstanden habe, soll dieser
Ausschuss zusätzlich neben die bereits bestehenden Insti-
tutionen Europäisches Parlament, Rat, Kommission, Ge-
richtshof, Wirtschafts- und Sozialausschuss und Aus-
schuss der Regionen treten und dann gemeinsam mit
diesen darüber entscheiden, wo die EU tätig werden soll
und wo nicht. Ein solcher Ausschuss würde, wenn er
käme, das Institutionengefüge nicht einfacher, sondern
komplizierter machen


(Beifall des Abg. Dr. Werner Hoyer [FDP])





Vizepräsidentin Petra Bläss

23577


(C)



(D)



(A)



(B)


und er würde es undurchschaubarer und nicht übersicht-
licher machen.


(Peter Hintze [CDU/CSU]: So ist es!)

Ein Ausschuss von mindestens 100 nationalen und euro-
päischen Abgeordneten


(Dr. Jürgen Meyer [Ulm] [SPD]: Wo haben Sie das her?)


mit dazugehörigem Apparat und dazugehöriger Ausstat-
tung wird die Gewaltenteilung in Europa empfindlich be-
einträchtigen, die Stellung des Parlaments und der Kom-
mission schwächen und auch den nationalen Parlamenten
Steine geben statt Brot.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Deshalb plädiere ich dafür, dass wir uns nicht verzet-

teln in Lösungen nach dem Motto „Und wenn ich nicht
mehr weiter weiß, dann mach‘ ich einen Arbeitskreis“,
sondern dass wir uns auf die Themen konzentrieren, die
uns die Mitgliedstaaten in der Erklärung von Laeken für
den Konvent ins Stammbuch geschrieben haben. Wir
brauchen ein starkes Europäisches Parlament mit Mitent-
scheidungsrecht in allen Gesetzgebungsfragen, einen
starken Kommissionspräsidenten, der vom Parlament ge-
wählt ist, und eine klare Verteilung der Zuständigkeiten,
deren Einhaltung vom EuGH auf Antrag der nationalen
Parlamente auch überwacht und überprüft werden kann.
Das ist allemal besser als neue Komitees und Ausschüsse,
die niemand versteht.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir sollten auch darüber nachdenken, ob es nicht Sinn

macht, die Debatte über die Kompetenzverteilung in
Europa zu entideologisieren und zu entdämonisieren.


(Michael Roth [Heringen] [SPD]: Sag das mal Herrn Teufel!)


Sie ist nämlich wichtig im Hinblick sowohl auf die Effi-
zienz als auch auf die Demokratie in der Europäischen
Union. Wenn wir die Illusion nähren, dass sich Europa um
alles und jedes kümmern muss oder kann, wird die Euro-
päische Union an ihrer eigenen Handlungsunfähigkeit er-
sticken, weil ein Gebilde von 25 Mitgliedstaaten nicht in
derselben Weise regiert und verwaltet werden kann wie
eine viel kleinere Sechser- oder Zehnergemeinschaft.

Angesichts der Größe und der Heterogenität der künf-
tigen Europäischen Union, des enormen Wohlstands-
gefälles zwischen Nord und Süd, Ost und West, der un-
terschiedlichen Mentalitäten, Kulturen und Interessen
müssen wir uns doch gemeinsam die Frage stellen, was
wir künftig noch bezahlen können, was wir künftig noch
gemeinsam regeln können und müssen und wo wir Spiel-
räume für nationales Handeln der Mitgliedstaaten erhal-
ten oder erweitern können.

Wir haben mit dem Schäuble-Bocklet-Papier nicht den
Anspruch erhoben, den Stein des Weisen gefunden zu ha-
ben,


(Dr. Norbert Wieczorek [SPD]: Haben Sie auch nicht!)


aber wir haben Ihnen einen Vorschlag unterbreitet, der
zeigt, in welchen Bereichen, etwa in den Bereichen der
Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik, wir neue
Kompetenzen für die Union begründen und in anderen
Bereichen nationale Spielräume erhalten wollen. Wir
wollen über diese Fragen diskutieren, statt uns in ideolo-
gischen Debatten zu erschöpfen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Joachim Poß [SPD]: Hat der Meyer ideologisch debattiert? Das ist doch Unsinn!)


Was spräche denn dagegen, die finanzielle Hilfe für die
strukturschwachen Regionen in den Mitgliedstaaten auf
die wirklich armen Länder zu konzentrieren und den rei-
cheren Mitgliedstaaten, die Nettozahler sind, stattdessen
mehr Befugnisse zur eigenverantwortlichen Förderung
ihrer eigenen strukturschwachen Gebiete zu übertragen?
Es macht doch keinen Sinn, dass wir deutsche Gelder
nach Brüssel überweisen, die dann von einem dänischen
oder französischen Beamten, teilweise mit Auflagen und
Bedingungen, in die neuen Länder zurücküberwiesen
werden. Das schafft Bürgerferne und Bürokratie, erhöht
die Anfälligkeit für Betrug sowie Korruption und bindet
wichtige Ressourcen der Union, die wir in anderen Berei-
chen dringend brauchen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Lassen Sie uns gemeinsam darüber nachdenken, wie

wir die Europäische Union wieder handlungsfähig ma-
chen können: mit Mehrheitsentscheidungen, mit öffentli-
chen Beratungen im Ministerrat und mit Gesetzen, die
nicht einer jahrelangen Ratifizierungsprozedur bedürfen.
Herr Kollege Meyer, wir waren beide Berichterstatter für
das Übereinkommen zum Schutz der finanziellen Interes-
sen der Gemeinschaft, das im Jahre 1996 unterschrieben
wurde. Es ist bis heute nicht in Kraft getreten, weil es
nicht in allen Mitgliedstaaten ratifiziert worden ist.

Wenn dieses Gesetz notwendig war, dann ist es ein
Skandal, dass es nach sechs Jahren noch immer nicht in
Kraft getreten ist. Wenn dieses Gesetz aber nicht notwen-
dig war, dann hätten wir uns die Arbeit sparen und die
Kräfte auf wichtigere Aufgaben konzentrieren können.
Darüber müssen wir in Europa diskutieren, wenn wir den
Bedenken und den Problemen der Bürger Rechnung tra-
gen wollen.

Lassen sie mich noch einen wichtigen Aspekt hinsicht-
lich der Beratungen in den nächsten Wochen ansprechen.
Wir haben in Europa in den letzten Jahren viele Züge auf
die Gleise gesetzt. Sie sind zwar mit Aplomb abgefahren,
aber nur wenige sind angekommen: Die Agenda 2000 ist
verabschiedet; durch sie wurde die Erweiterung aber nicht
wirklich finanziert. Die Grundrechtecharta ist feierlich
proklamiert worden, aber sie ist bislang nicht verbindlich
und einklagbar. In Nizza gab es ein enttäuschendes Er-
gebnis, das meilenweit von der Ratifizierung und dem
In-Kraft-Treten entfernt ist.

Nun tagt der Konvent. Uns bleibt nicht mehr viel Zeit.
Wenn wir verhindern wollen, dass sich Mutlosigkeit breit
macht und antieuropäische Stimmungen weiter angeheizt
werden, dann müssen wir gemeinsam dafür sorgen, dass
die beiden wichtigsten Züge, die Osterweiterung und der




Peter Altmaier
23578


(C)



(D)



(A)



(B)


Konvent, pünktlich und mit allen Insassen ins Ziel kom-
men. Das ist unsere gemeinsame Verantwortung als De-
mokraten und als Europäer.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1423615000
Für die Fraktion des
Bündnisses 90/Die Grünen spricht jetzt der Kollege
Christian Sterzing.


Christian Sterzing (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1423615100

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
Hoffnungen und die Erwartungen, die wir alle in diesen
Konvent setzen, sind gewiß sehr hoch. Es scheint ein brei-
tes Einverständnis darüber zu herrschen, dass wir als Er-
gebnis dieses Konvents den Entwurf eines Verfassungs-
dokuments erwarten, der ernst genommen werden muss
und insofern ein wichtiger Markstein in der Geschichte
der europäischen Integration sein soll. Deshalb ist es ein
positives Signal des Konvents, dass sich zumindest die
große Mehrheit der Mitglieder dieser Aufgabe stellen
will. Es ist ein ambitioniertes Ziel, für dessen Umsetzung
die Zeit knapp ist. Deshalb ist es aber auch ein positives
Signal, dass die Mitglieder des Konvents gewillt sind, das
manchmal etwas bedächtige, präsidial vorgegebene
Tempo zu erhöhen, sozusagen Dampf zu machen, was an
der Bildung von Arbeitsgruppen deutlich wird.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


Der Ruf nach baldiger Vorlage von Texten macht deut-
lich, dass man über europäische Idealvorstellungen nicht
langatmig reden, sondern Textarbeit – ich denke an kon-
krete Arbeit mit Vorschlägen und darüber hinaus gemein-
same Debatten – leisten will. Das ist das Ziel. Nach meinem
bisherigen Eindruck entwickelt sich eine Eigendynamik,
die wir alle erhofft haben. Für diese Eigendynamik sind
gerade die Abgeordneten verantwortlich und dafür ver-
dienen die Parlamentarier in diesem Gremium, auch die
beiden deutschen Vertreter, unseren ganz besonderen
Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Die Ziele dieses Prozesses sind meines Erachtens rela-
tiv klar. Das sind zum einen die häufig erwähnte Demo-
kratisierung der EU und zum anderen die Sicherung der
Handlungsfähigkeit der europäischen Institutionen in ei-
ner erweiterten EU im Zeitalter der Globalisierung. Zum
Dritten ist es aber auch die Fortentwicklung des euro-
päischen Gesellschaftsmodells der Solidarität. Und
schließlich ist es die Verbesserung der Grundlagen für
eine demokratische, ökologisch-soziale und nachhaltige
Reformpolitik.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Es wurde schon eine Reihe von Problemen angespro-
chen. In meiner kurzen Redezeit will ich nur auf drei Pro-

bleme hinweisen, die etwas am Rande dessen liegen,
worüber diskutiert wird.

Das eine ist das Stichwort Gewaltenteilung. Wir de-
battieren ja viel über Demokratisierung, über „volle Par-
lamentarisierung“, über die Stärkung der Rechte des Eu-
ropäischen Parlaments. Das alles tun wir zu Recht. Aber
wir müssen, glaube ich, auch noch intensiver über Ge-
waltenteilung reden, über das Verhältnis zwischen den In-
stitutionen.

Wir sind uns einig: Im legislativen Prozess geht es um
eine Gleichberechtigung des Europäischen Parlaments
gegenüber dem Rat. Ungeklärt ist aber weitgehend der
ganze Bereich der Exekutive, denn da haben wir es mit
drei Organen zu tun: der Kommission, dem Rat und dem
Europäischen Rat. Hier liegt bislang kein stimmiges Kon-
zept vor. Die Räte lassen sich ganz gewiss nicht auf ein le-
gislatives Organ reduzieren. Sie haben weiterhin einen
Anspruch auf Teilhabe an der exekutiven Gewalt.

Die Kommission muss aber mehr sein als eine Admi-
nistration des Rates, zumal wenn wir uns alle einig sind,
dass die demokratische Legitimation dieser Kommission
gestärkt werden soll. Dieses Verhältnis der Institutionen
untereinander zu klären wird eine Aufgabe sein.

Das zweite Problem betrifft das Stichwort Referen-
dum.Wir halten ein Referendum für richtig.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP und der PDS)


Dabei geht es nicht nur um ein Referendum über die Ver-
fassung, sondern auch um die Verankerung des Referen-
dums in einer Verfassung. Die Frage ist nicht: Wie viel
Demokratie können wir uns in der EU leisten?, sondern
die Frage lautet meines Erachtens: Wie lange kann die EU
mit dem existierenden Demokratiedefizit noch über-
leben?

Deshalb ist das Referendum nicht ein direktdemokra-
tisches Sahnehäubchen auf einer institutionellen Verfas-
sung, sondern es ist eine Notwendigkeit für die europä-
ische Demokratie und auch für die europäische Identität.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Uwe Hiksch [PDS])



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1423615200
Herr Kollege Sterzing,
ich weiß, dass Sie uns noch ein drittes Problem angekün-
digt haben. Jetzt ist aber Ihre Redezeit schon abgelaufen.
Vielleicht nennen Sie noch kurz das Stichwort.


Christian Sterzing (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1423615300

Das dritte Problem betrifft den Euratom-Vertrag. Er
muss nach unserer Überzeugung abgewickelt werden;
denn wir müssen auch eine Grundlage für eine neue Ener-
giepolitik innerhalb Europas schaffen und dürfen nur die
unbedingt notwendigen Teile des Euratom-Vertrags, die
den Gesundheitsschutz, die Sicherheit, die Entsorgung
betreffen, in eine neue Verfassung übertragen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS)





Peter Altmaier

23579


(C)



(D)



(A)



(B)


Das sind drei Probleme, über deren Lösung wir in den
nächsten Wochen und Monaten gemeinsam noch heftig
diskutieren müssen.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der PDS)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1423615400
Nächste Rednerin ist
für die FDP-Fraktion die Kollegin Sabine Leutheusser-
Schnarrenberger.


Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP):
Rede ID: ID1423615500

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kolle-
gen! So wichtig es ist, dass wir in unseren Debatten den
Beratungsprozess im Konvent begleiten, so schön wäre
es, wenn der Beauftragte der Bundesregierung und auch
der Vertreter des Bundesrates wenigstens an dieser De-
batte teilnehmen würden.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Beide vermisse ich sehr; denn es geht uns ja darum, dass
gerade diese beiden Vertreter bei der Wahrnehmung ihrer
Interessen und Anliegen sehr wohl sehen, in welche Rich-
tung diese Debatte verläuft und welche Gemeinsamkeiten
in Grundlinien vom Parlament vertreten werden.

Zumindest für die Vertreter im Europaausschuss gilt:
Es ist besonders bedauerlich, dass es, seit die Diskussio-
nen im Konvent begonnen haben, kein einziges Mal ge-
lungen ist, uns mit diesem Vertreter und diesem Beauf-
tragten intensiv über die grundsätzliche Arbeit des
Konvents argumentativ auseinander zu setzen.


(Beifall des Abg. Jürgen Koppelin [FDP] und des Abg. Gerald Häfner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Das, denke ich, ist nicht dazu angetan, die weitere Ent-
wicklung des Konvents zu euphorisch zu sehen.

Wir haben unseren Antrag mit den Worten überschrie-
ben: „Die Zukunft Europas liegt in den Händen des Kon-
vents“. Natürlich nicht, um damit zum Ausdruck zu brin-
gen, dass wir damit keine Rolle mehr spielen, sondern um
deutlich zu machen, wie wichtig und entscheidend der
Konvent in diesem Stadium der europäischen Integration
ist. Denn mit den herkömmlichen Strukturen sind wir
ziemlich an die Grenzen dessen gelangt, was zu entschei-
den notwendig war. In diesem Zusammenhang brauche
ich nicht an unsere Debatten hier im Parlament über den
Vertrag von Nizza, über die so genannten Leftovers, zu er-
innern, von denen ich hoffe, dass zumindest sie im Rah-
men der anspruchsvollen Aufgaben und Ziele, die sich der
Konvent gesetzt hat, einigermaßen gelöst werden können.

Zu den Schlagworten „Handlungsfähigkeit der EU“,
„Demokratiedefizit“ und „höheres Maß an Transparenz“
möchte ich gar nicht mehr sehr viel sagen. Einen Punkt
aber möchte ich betonen: Über die Richtungsänderung
der Diskussion, wie sie mir von einem Vertreter des Prä-

sidiums, Herrn Hänsch, in einer Runde in der letzten Wo-
che geschildert worden ist, bin ich etwas besorgt. Denn im
Präsidium des Konvents ist man zu der Auffassung ge-
kommen, dass man jetzt nicht über die Finalität des Kon-
ventsprozesses, der ein Verfassungs- und Dis-
kussionsprozess ist, beraten und diskutieren sollte.
Warum? – Weil dann die in dieser Frage sehr unter-
schiedlichen Grundhaltungen der Mitglieder des Kon-
vents, die aus den verschiedenen Mitgliedstaaten kom-
men, deutlich würden.

So sehr ich dafür bin, verbal Gemeinsamkeiten zu for-
mulieren, so sehr müssen wir uns bewusst sein, dass das,
was wir uns von diesem Konvent erhoffen, nämlich als
langfristiges Ziel der Europäischen Union letztendlich
eine Verfassung, ein ganz steiniger, dorniger und schwie-
riger Weg sein wird. Auch der Konvent mit seinen vielen
Erwartungen und dem Optimismus, den wir nationale
Parlamentarier mit ihm verbinden, wird, wenn man die
allgemeinen Begriffe und notwendigen Zielsetzungen
verlassen wird, sehr schnell an seine Grenzen stoßen.
Trotz dieses hohen Anspruchs und trotz der nach meiner
Auffassung notwendigen Vision der Finalität dieses Inte-
grationsprozesses sollten wir uns sehr wohl mit kleinen
Schritten der Verbesserung befassen und deutlich ma-
chen, was wir ganz konkret wollen.


(Beifall bei der FDP)

Das heißt für das Europäische Parlament – da kommen

wir zu den Gemeinsamkeiten –: Ausstattung mit dem
vollen Budgetrecht, Ausdehnung der Mitentscheidungs-
kompetenzen und das Recht, den Kommissionspräsiden-
ten zu wählen. Als ein wichtiger Schritt würde damit deut-
lich gemacht werden, wo die Verantwortung liegt, wie sie
wahrgenommen werden kann und welche Kontrollfunk-
tionen ausgeübt werden sollten. Damit könnte sichtbar
gemacht werden, dass auf der Kommissionsebene Verant-
wortlichkeiten liegen, die im Hinblick auf die Bürge-
rinnen und Bürger wahrgenommen werden müssen.


(Beifall bei der FDP)

Natürlich spielt neben der immer so bezeichneten Stär-

kung des Parlaments und der Beseitigung des Demokra-
tiedefizits die Kompetenzabgrenzung, die Kompetenz-
zuordnung eine entscheidende Rolle. Ich bedauere es
häufig, dass in den Debatten über den Konvent und die
Zukunft der Europäischen Union sehr viele fast immer
mit der Kompetenzzuordnung beginnen, anstatt mit der
Stärkung der Demokratie, dem Verhältnis der Institu-
tionen zueinander und einer stärkeren Kontrolle und
Transparenz anzufangen. Denn das sind aus meiner Sicht
die Dinge, die wirklich Vorrang haben müssen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich bin zwar nicht entsetzt, aber etwas überrascht da-
rüber gewesen, in welcher einseitigen Diktion – ich er-
laube mir einmal, das hier so zu sagen – sich Herr Teufel
den Fragen der Kompetenzzuordnung zugewandt hat.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Dr. Werner Hoyer [FDP]: Der ist nicht sehr kompetent! – Uwe Hiksch [PDS]: Sehr schade! Ja!)





Christian Sterzing
23580


(C)



(D)



(A)



(B)


Für ihn gibt es nur einen ganz starren, festen Aufbau Eu-
ropas von unten nach oben. Ich habe in seiner Rede, die er
im Rahmen der Beratungen des Konvents gehalten hat,
überhaupt keine europäischen integrationspolitischen
Elemente erkennen können.


(Beifall des Abg. Jürgen Koppelin [FDP])

Die Forderung nach einem enumerativen Kompetenz-
katalog ist unrealistisch.


(Dr. Werner Hoyer [FDP]: Ist falsch!)

Je mehr man sich mit den Kompetenzzuordnungen be-

fasst, umso mehr wird deutlich, dass bei den Arbeiten des
Konvents der Acquis communitaire im Wesentlichen
nicht verlassen werden wird. Das sollte man realistisch
ansprechen; denn so schlecht ist er gar nicht.

Natürlich ist das Subsidiaritätsprinzip wichtig.
Ich darf für die FDP kurz sagen: Auch wir unterstützen
Forderungen nach weiteren Gremien, Subsidiari-
tätsausschüssen oder Ähnlichem nicht, weil dies die ge-
samten Abläufe komplizierter macht und es politische
Entscheidungen sind. Die werden nicht leichter, wenn wir
noch ein weiteres Gremium haben, in dem natürlich auch
Interessenunterschiede zutage treten und zum Tragen
kommen. Wir brauchen also keine Gremien und Institu-
tionen, die die nationale und europäische Ebene vermi-
schen; sie sollten vielmehr, soweit es geht, getrennt blei-
ben. Dann weiß man auch, wo Entscheidungen fallen, wer
verantwortlich ist und wen man für Entscheidungen zur
Verantwortung ziehen kann.

Leider erlaubt es mir die begrenzte Redezeit nicht, auf
andere Einzelheiten einzugehen. Bei aller Euphorie müs-
sen wir aber – das ist mir wirklich sehr wichtig –, eine
ganz realistische Haltung gegenüber dem einnehmen, was
der Konvent tatsächlich leisten kann.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1423615600
Für die PDS-Fraktion
spricht jetzt der Kollege Uwe Hiksch.


Uwe Hiksch (PDS):
Rede ID: ID1423615700
Frau Präsidentin! Liebe Kolle-
ginnen und Kollegen! Der Europäische Konvent hat drei
große Aufgaben, die er im Hinblick auf die Schaffung ei-
ner europäischen Verfassung lösen muss.

Erstens. Er muss versuchen, eine Verfassung zu schaf-
fen, mit der das vereinte Europa dahin gehend vorange-
bracht wird, dass es zu einer struktur- und sozialpoli-
tischen Entwicklung in den mittel- und osteuropäischen
Staaten kommt.

Zweitens. Er muss versuchen, die Defizite, die es in
Nizza gab, schrittweise zu überwinden, und eine
demokratische und strukturpolitische Antwort darauf ge-
ben, wie Europa weiter handlungsfähig bleiben kann.

Drittens muss er es schaffen, Europa so zu gestalten,
dass auch auf europäischer Ebene Arbeitslosigkeit
bekämpft, Armut verhindert und der wirtschaftliche Nie-

dergang ganzer Regionen und Branchen sozial verträglich
gestaffelt oder ganz verhindert werden kann.


(Beifall bei Abgeordneten der PDS)

Deshalb wird dem Europäischen Konvent auch die

Aufgabe zukommen, eine andere Antwort auf die Pro-
bleme zu geben, als es derzeit die Mehrzahl der europä-
ischen Regierungen tut. Wir erleben doch alle mit viel
Sorge – da hat Kollege Altmaier völlig Recht –, dass sich
in Europa die rechtspopulistischen Regierungen reihen-
weise durchsetzen, rechte Tendenzen in einer Art zuneh-
men, wie wir es uns alle nicht hätten vorstellen können,
und dass sich gerade die Menschen, die früher ihre Hoff-
nungen auf sozialdemokratische Projekte gerichtet ha-
ben – früher sprach man von kleinen Leuten, den Indus-
triearbeitnehmerinnen und -arbeitnehmern, den sozial
Ausgegrenzten sowie den einfachen Leuten –, reihen-
weise von dem abwenden, was Sozialdemokratie heute
macht, und auf rechtspopulistisches Gerede hereinfallen.

Deshalb hat Kollege Altmaier Recht, wenn er darauf
hinweist, dass das Abwählen sozialdemokratischer Re-
gierungen auch damit zu tun hat, dass der Weg der Neuen
Mitte, der in Europa von Schröder und Blair beschritten
wurde, gescheitert ist und wir damit rechnen müssen, dass
sich Europa, wenn es nicht gelingt, eine sozial gerechte
Politik auf europäischer Ebene beispielsweise durch die
Schaffung einer sozialen und ökologischen Verfassung
durchzusetzen, in einer Form verändern wird, wie es kei-
ner hier im Haus, wie ich glaube, möchte.

Deshalb sind wir herausgefordert – das kommt noch
hinzu –, die europäische Verfassung so weiterzuent-
wickeln, dass die Menschen spüren, dass die europäische
Ebene für die Lösung der dringenden Probleme genutzt
werden kann. Das wäre dann eine Motivation für die
Menschen, überhaupt zur Wahl zu gehen. Wir brauchen
also eine Diskussion darüber, Frau Leutheusser-
Schnarrenberger, wie soziale und bürgerliche Men-
schenrechte gemeinsam in der europäischen Verfassung
verankert werden können. Es kann nicht so gehen, dass
zwar die bürgerlichen Menschenrechte hochgehalten und
in der europäischen Verfassung eine Rolle spielen – wie es
beispielsweise die FDP fordert –, aber das Recht auf Ar-
beit, das Recht auf Wohnung, das Recht auf Gesundheits-
versorgung oder auch das Recht auf ein Existenzminimum
als individuell einklagbares Menschenrecht, das den glei-
chen Stellenwert wie soziale Menschenrechte haben muss,
in Europa insgesamt von großen Teilen der Sozialdemo-
kratie und auch der liberalen und konservativen Kräfte in-
frage gestellt werden.


(Beifall bei der PDS)

Hier wird die PDS deutlich machen: Wir brauchen eine
Verfassung, in der bürgerliche und soziale Grundrechte
als Menschenrechte verankert werden, sodass die Men-
schen eine Chance haben, diese auch einzufordern.

Wir brauchen darüber hinaus eine Diskussion darüber,
wie die Demokratisierung der Europäischen Union so
vorangetrieben werden kann, dass im Mittelpunkt der le-
gislativen Entscheidungen auf europäischer Ebene das
Europäische Parlament steht. Es darf keine Entscheidun-
gen in der Europäischen Union mehr geben, bei denen das
Europäische Parlament kein Mitentscheidungsrecht hat.




Sabine Leutheusser-Schnarrenberger

23581


(C)



(D)



(A)



(B)


Darüber hinaus müssen plebiszitäre Elemente, bei-
spielsweise die Möglichkeit einer Volksabstimmung über
eine europäische Verfassung, dazu beitragen, dass das eu-
ropäische Projekt auf der einen Seite und die konkreten
Forderungen von Menschen an die Politik auf der anderen
Seite wieder zusammengeführt werden.

Schaffen wir das nicht, wird Neoliberalismus als die
einzige politische Grundrichtung von Sozialdemokraten,
von Grünen und auch von Konservativen in ein europä-
isches Projekt verwandelt. Dann müssen wir große Sorge
haben, dass die berechtigten Sorgen der Menschen dazu
führen, dass Rechtspopulisten Zulauf haben und wir keine
Antwort darauf finden, wie soziale Gerechtigkeit in ein
internationales Projekt wie dem eines gemeinsamen Eu-
ropas als linkes und auch als demokratisches Projekt inte-
griert wird.

Danke schön.

(Beifall bei der PDS)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1423615800
Jetzt spricht der Bun-
desfinanzminister Hans Eichel.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1423615900
Frau Prä-
sidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Eu-
ropa steht jetzt vor der historischen Aufgabe, sich eine
Verfassung zu geben. Das ist vielleicht der wichtigste
Schritt beim Zusammenwachsen Europas zu einer stabi-
len, friedlichen und prosperierenden Region. Diese Ver-
fassung wird die Zukunft Europas für sehr lange Zeit re-
geln. Denken Sie einmal daran, welche Prägekraft die
amerikanische Verfassung, die seit Jahrhunderten fast un-
verändert gilt, gehabt hat, aber auch daran, welche Präge-
kraft etwa das Grundgesetz hat.

Deshalb ist es nötig, diese Debatte im Konvent auch öf-
fentlich zu begleiten, wobei wir uns, die wir heute hier
sind, vielleicht gemeinsam fragen sollten, wie viel Öf-
fentlichkeit wir wirklich für diese Debatte herstellen.


(Sabine Leutheusser-Schnarrenberger [FDP]: Tatsächlich! Wie wahr!)


Bei dem Skeptizismus – ich erlebe das landauf, landab –,
den es inzwischen im Lande gegenüber den europäischen
Entwicklungen gibt, sind wir umso mehr gefordert, diese
Debatte öffentlich zu machen, damit wir die Menschen
mitnehmen können. Denn es wird dieses Europa nur ge-
ben, wenn die Menschen es als ihre Zukunft begreifen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS und der Abg. Sabine LeutheusserSchnarrenberger [FDP])


Ich hoffe auch, dass die Verfassung das, worüber wir
immer wieder in den verschiedensten Zusammensetzun-
gen diskutieren, klären wird: Was ist eigentlich das euro-
päische Gesellschaftsmodell? Damit sollte den Menschen
ein Stück Rückhalt in der oft als Bedrohung empfundenen
Globalisierung gegeben werden. Es gibt den eigenstän-
digen europäischen Beitrag dafür, wie eine gerechte
Weltordnung aussehen kann. Wir fangen bei uns zu Hause
damit an. Deswegen ist diese Debatte so wichtig.

Ich möchte – das ist in der Kürze der Zeit gar nicht mög-
lich – keine umfassenden Bemerkungen dazu machen. Ich
denke, dass der Kollege Fischer am Schluss noch zusam-
menfassende Bemerkungen dazu machen wird.


(Joachim Poß [SPD]: Der hat noch weniger Redezeit!)


Ich möchte aus der Perspektive des Finanzministers,
der in verschiedenen Zusammenhängen natürlich genauso
mit dem Thema befasst ist, ein paar Bemerkungen ma-
chen. Die erste Frage ist die nach den Aufgaben Euro-
pas. Ganz sicher ist, dass wir den Mut haben müssen, Eu-
ropa als Einheit in der Welt sehr viel deutlicher sichtbar zu
machen. Das heißt zum Beispiel, der Außen- und der Ver-
teidigungspolitik in Europa, Europa in diesem Zusam-
menhang viel mehr Gewicht zu geben.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich setze darauf, dass der Konvent gerade in diesem Be-
reich spürbare Fortschritte erzielt.

Dasselbe gilt für die äußeren Grenzen und damit auch
zum Beispiel für das Thema der Zuwanderung. Europa
wird über sehr lange Zeit eine Region der Zuwanderung
in der Welt sein, weil wir eine der großen Wohlstandsre-
gionen auf dieser Welt sind. Man kann sich nicht vorstel-
len, dass wir das noch national regeln können. Das hat
dann auch mit der Asylpolitik zu tun.

Im Übrigen sage ich vor dem Hintergrund der Finanz-
märkte, dass wir ein hohes Maß an innen- und rechtspoli-
tischer Gemeinsamkeit in Europa benötigen. Wenn die
Fragen geklärt sind, welche Aufgaben in Zukunft auf eu-
ropäischer Ebene gelöst werden sollen, dann müssen wir
im Blick auf die Zukunft darüber diskutieren.

Beim Europäischen Rat in Lissabon haben wir uns vor-
genommen, Europa zur wettbewerbsfähigsten Region
dieser Welt zu machen. Das ist ein ungeheurer Anspruch,
von dem ich denke, dass wir ihm bis heute in den Ansät-
zen längst nicht hinreichend gerecht geworden sind. Dann
müssen wir aber in die Zukunft Europas, das heißt in den
Ausbau der Strukturen, die uns künftigen Wohlstand be-
scheren, investieren und nicht in das Konservieren vor-
handener Strukturen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Das ist dann europäische Aufgabe: investieren in For-
schung und Bildung, investieren in die Wissenschaft, die
europäischen Netze ausbauen. Europa muss im wahrsten
Sinne des Wortes untereinander verbunden werden und
auf diese Weise zusammenrücken.


(Uwe Hiksch [PDS]: Aber auch erhalten, was erhaltenswert ist!)


Die Bürgerinnen und Bürger sollen Europa so erleben,
dass hier in die Zukunft investiert wird, sie sollen Europa
nicht als ein Europa der Butterberge und als ein Europa er-
leben, in dem die Agrarpolitik zum Verbrennen von Tier-
kadavern als letztem Mittel greifen muss.


(Beifall des Abg. Gert Weisskirchen [Wiesloch] [SPD])





Uwe Hiksch
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(A)



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Ich sage dabei mit allem Nachdruck: Wir müssen die
Agrarpolitik grundlegend reformieren. Das muss mit der
Mid-Term Review bereits passieren.


(Beifall bei der SPD)

Wenn wir die Aufgaben definiert haben, reden wir über

den Finanzbedarf und sein Aufbringen. Dabei will ich
mit völliger Klarheit sagen, um eine Position hart zu mar-
kieren: Wenn und solange – es wird wohl lange so sein –
die Zahl der Länder, die Nettozahler sind, die Minderheit
darstellt und die Mehrheit, nach der Erweiterung der
Europäischen Union nach Osten sogar die ganz große
Mehrheit, Nettoempfänger sind, muss die Frage, wie viele
Mittel der Europäischen Union zur Verfügung gestellt
werden, im Bereich der Einstimmigkeit verbleiben. Eine
andere Lösung kann ich mir nicht vorstellen.

Um das für Deutschland noch klarer zu machen: Es ist
1999 der Bundesregierung zum ersten Mal gelungen, im
Rahmen der Agenda 2000 den deutschen Beitrag zur Fi-
nanzierung der Europäischen Union zu senken. Ich sehe
diesen Prozess nicht am Ende. Es gibt auch aufgrund der
erfolgreichen Regional- und Kohäsionspolitik der Euro-
päischen Union inzwischen Nettoempfänger, die ein
höheres Bruttoinlandsprodukt je Kopf der Bevölkerung
haben als wir zum Beispiel. Das, meine Damen und Her-
ren, wird man auf Dauer niemandem erklären können.

Wir brauchen auch in der Finanzierung mehr Solida-
rität im Rahmen der Europäischen Union. Wir brauchen
mehr Solidarität mit Blick gerade auf die neuen Länder,
die der Europäischen Union – ich denke, ab 2004 – bei-
treten wollen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr.Werner Hoyer [FDP]: Was ist mit der Einstimmigkeit?)


– Ja, das ist auch und gerade mit der Einstimmigkeit zu
machen, anders nicht; denn anderenfalls werden Sie erle-
ben, sehr verehrter Herr Kollege Hoyer – das ist die Frage
der Struktur der Union –, dass sehr einseitige Beschlüsse
zustande kommen. Bei der Frage „wie viel“ werden sich
alle verständigen müssen.

Damit kommen wir zu einem anderen Kapitel, zur
Frage der Koordinierung. Wir sind bei der Koordinie-
rung der Wirtschafts- und Finanzpolitik sehr weit ge-
kommen. In keinem anderen Politikbereich sind die Fort-
schritte so deutlich. Wir haben einen gemeinsamen Markt
und für 12 der 15 eine gemeinsame Währung. Diese ge-
meinsame Währung ist ein Erfolg, auch weil sie durch den
Europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakt auf Dauer
abgesichert ist.

Ich sage mit allem Nachdruck: Ich kann nur jedem ra-
ten, vom Stabilitäts-und Wachstumspakt die Finger zu
lassen und die Verpflichtungen, die in Brüssel eingegan-
gen worden sind, zu erfüllen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich bin froh darüber, dass ich aus Frankreich – ich habe
das heute Morgen in einem anderen Zusammenhang
schon gesagt – eine Reihe von Signalen sehe, dass jeden-
falls – ich will es zurückhaltend formulieren – nicht daran

gedacht wird, sich aus den Verpflichtungen, die man im
Rahmen des Europäischen Stabilitäts- und Wachstums-
paktes eingegangen ist, verabschieden zu wollen.

Dass man europäische Politik ernst nimmt, muss sich
übrigens auch – das sage ich jetzt vor allem an die Vertre-
ter der Opposition – in den Wahlprogrammen niederschla-
gen. Man kann nicht mehr allein nationale Politik machen
und Wahlprogramme aufstellen, die mit den Verpflichtun-
gen, die man in Europa eingegangen ist, überhaupt nicht
mehr kompatibel sind. Das müssen sich insbesondere Sie
von FDP und CDU/CSU in der Tat klar machen;


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Karl Lamers [CDU/CSU]: Sie haben es gerade nötig, Herr Eichel!)


denn das, was in Ihren Programmen steht, ist, wird es
ernst genommen, die klare Ansage, die Verpflichtungen,
die wir im Rahmen des Europäischen Stabilitäts- und
Wachstumspaktes übernommen haben, nicht mehr erfül-
len zu wollen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass das Ihr
politischer Ernst ist. Wenn das aber nicht Ihr politischer
Ernst ist, sind Ihre Programme nicht ernst zu nehmen. Das
muss man den Menschen sagen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir haben Instrumente entwickelt, die die Koordinie-
rung von der unverbindlichen Gesprächsebene wegbrin-
gen und in konkrete Politik umsetzen. Eines der Instru-
mente sind die Grundzüge der Wirtschaftspolitik. Ich
kann mir vorstellen, dass diese Grundzüge, die jährlich
neu erstellt werden, in Zukunft an Bedeutung gewinnen
und die Kommission und wir alle eine Umsetzung der ge-
meinsamen Beschlüsse in der Tat noch strikter und mit
sehr konkreten Empfehlungen für jedes einzelne Mit-
gliedsland verfolgen. Das ist nicht sehr angenehm. Wir in
Deutschland und – ich übertrage das jetzt auf den natio-
nalen Stabilitätspakt – auch die deutschen Länder sind das
noch nicht gewöhnt. Wir werden uns aber, jedenfalls
dann, wenn wir entschlossen sind, unsere Verpflichtungen
ernst zu nehmen, daran gewöhnen müssen.

Meine Damen und Herren, wir sollten im Gegenteil da-
rüber nachdenken, wie wir die Abstimmung unserer Poli-
tiken inhaltlich verbessern – neue Prozeduren, die gar
nicht erforderlich sind, sollten wir nicht entwickeln – und
wie wir weitere Wirtschaftsfelder einbeziehen, die für
Wachstum und Beschäftigung entscheidend sind. Struk-
turreformen gehen zum Beispiel uns alle an.

Ich werde nun ein besonderes Beispiel aus dem Be-
reich, für den ich die Verantwortung in der Regierung
habe,


(Zuruf von der CDU/CSU: Aber nicht mehr lange!)


herausgreifen. Es geht um den gesamten Bereich der
Steuerharmonisierung. Ich kann mir einen gemeinsa-
men Markt und eine gemeinsame Währung mit zwölf,
15 oder irgendwann auch 27 unterschiedlichen Steuersys-
temen auf Dauer nicht vorstellen.


(Beifall bei der SPD und der PDS)





Bundesminister Hans Eichel

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Ich denke, all das, was in der Steuergesetzgebung binnen-
marktrelevant ist – es ist nicht alles binnenmarktrelevant –,


(Peter Altmaier [CDU/CSU]: Eben!)

sollten wir in überschaubarer Zeit zusammentragen, um
auf dieser Grundlage eine gemeinsame Steuergesetzge-
bung vorzunehmen. Das bedeutet ja nicht, dass wir darauf
verzichten, auch Wettbewerb durchzuführen. Der Wettbe-
werb bezieht sich dann aber auf die Steuertarife und nicht
auf das Steuersystem. Die Bemessungsgrundlage muss in
allen Ländern gleich sein.


(Beifall bei der SPD)

Die Unternehmen in Europa werden es uns auch nicht

durchgehen lassen – ich sage das auch in Richtung unserer
britischen Freunde, die sich an dieser Stelle besonders
schwer tun, die aber auch Pragmatiker sind –, dass wir ih-
nen solche Hemmnisse in den Weg legen. Es wäre eine mas-
sive Behinderung bei der Entfaltung des Wachstums und da-
mit der Wohlfahrtswirkung des europäischen Marktes.

Ich bin froh, dass wir auch bei den jetzigen Strukturen
immerhin schon Fortschritte, zum Beispiel bei der Har-
monisierung der Energiebesteuerung, erkennen können.
Erste Ansätze – aber wirklich nur erste – gibt es bei der
Schaffung gemeinsamer Grundlagen für die Unterneh-
mensbesteuerung. Das ist aus meiner Sicht ein ganz zen-
trales Thema. Aber auch die Mindeststeuersätze müssen
einbezogen werden, damit Steuerdumping vermieden
wird.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)


Meine Damen und Herren, da ich sehe, dass ich nur
noch eine sehr kurze Redezeit habe, möchte ich sagen:
Hier liegt die Aufgabe des Konvents, die verfassungs-
mäßigen Grundlagen für diese Steuerharmonisierung zu
schaffen. Für uns heißt das, dass wir später bei der Aus-
füllung, zum Beispiel im Rat – an der Stelle ist es dann an-
ders, Herr Kollege Hoyer –, den Mut haben müssen, zu
Mehrheitsentscheidungen überzugehen; denn sonst
werden wir kaum eine Chance haben, zu einem einheitli-
chen Steuersystem im Rahmen der Europäischen Union
zu kommen.

Bei aller Notwendigkeit für eine verstärkte Harmoni-
sierung und Koordinierung muss aber auch klar sein, dass
es keine zentrale Zuständigkeit für die Wirtschafts- und
Finanzpolitik auf europäischer Ebene gibt.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wir brauchen auf absehbarer Zeit auch keinen europä-
ischen Wirtschafts- oder Finanzminister; denn die Fi-
nanzpolitik liegt in der Zuständigkeit der einzelnen Na-
tionalstaaten. Sie muss aber mit Rücksicht auf Europa
betrieben werden. Dort brauchen wir ein koordiniertes
Handeln. Die bestehenden Strukturen sind in diesem Be-
reich durchaus ausbaufähig. Deswegen sage ich: Koordi-
nierung ja. Ich füge ausdrücklich hinzu, dass es auch eine
verstärkte Ex-ante-Koordinierung geben muss. Im Vorfeld
der Realisierung wesentlicher Projekte der Nationalstaaten
– das werden wir wohl akzeptieren müssen – müssen wir
über ihre Gemeinschaftsverträglicheit diskutieren. Das

Gleiche gilt auch für große Steuerreformen oder Ähnli-
ches. Ich glaube, dass wir dann auf dem richtigen Weg
sind. Als nationale Regierungen und Parlamente müssen
wir eben auch wissen, dass wir unsere Gesetzgebung mit
Rücksicht auf Europa zu gestalten haben.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Meine Damen und Herren, ich komme zu meiner letz-
ten Bemerkung, zur Europasteuer. Diese wird von ver-
schiedenen Seiten als Diskussionsgegenstand in den Kon-
vent eingebracht. Ich will meine Position dazu nur kurz
beschreiben.


(Uwe Hiksch [PDS]: Ist das eine offene Debatte?)


Zum einen darf es keine zusätzliche Steuer für die Bür-
ger der Europäischen Union geben.


(Dr. Werner Hoyer [FDP]: Sehr wahr!)

Wer sich die europäische Einigung derart vorstellt, dass
die Verwaltungsebenen und die Steuern aufeinander
getürmt werden, wird von den Bürgerinnen und Bürgern
keine Zustimmung zu Europa erhalten. Wenn es zu einer
Europasteuer kommt, muss sie an die Stelle des jetzigen
Finanzierungssystems treten.


(Sabine Leutheusser-Schnarrenberger [FDP]: Das ist richtig!)


Die Mittel, die heute dafür ausgegeben werden, müssen
dann entfallen. Es darf also nicht zu einer versteckten
Steuererhöhung kommen.

Zum anderen – darin liegt ein Problem gegenüber dem
jetzigen System – muss es gerecht sein. Eine solche Steuer
darf unterschiedliche Regionen nicht unterschiedlich tref-
fen. Darin liegt ein großer Vorzug der heutigen Finanzie-
rung der Europäischen Union. Das wird sicherlich nicht
ganz einfach zu regeln sein.

Das waren ein paar Bemerkungen aus der Sicht des Fi-
nanzministers zu diesem Thema. Ich will zum Schluss nur
sagen: Ich bin mit Leidenschaft Europäer. Ich glaube, das
ist das zentrale Friedensprojekt des 21. Jahrhunderts.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)


Vor diesem Hintergrund bin ich traurig darüber, wie viel
Skeptizismus zu europäischen Fragen zurzeit in Europa
herrscht. Wir müssen gewaltige Anstrengungen unterneh-
men, um ihn zu überwinden. Wir brauchen wieder emo-
tionale Zuwendung zu Europa; denn es wird keine friedli-
che Zukunft in und für Europa geben, wenn wir uns nicht
einigen. Dies wird der beste Beitrag sein, den Europa für
eine friedlichere und gerechtere Weltordnung leisten kann.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1423616000
Nun haben wir ein
Problem. Die Situation ist folgende: Die Mitglieder der




Bundesminister Hans Eichel
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(A)



(B)


Bundesregierung dürfen nach der Verfassung so lange re-
den, wie sie wollen. Aber wenn ein Mitglied über zehn
Minuten redet, ist die Debatte wieder eröffnet. Nun sind
wir mit der Debatte noch nicht am Ende. Daher mache ich
einen pragmatischen Vorschlag. Wir akzeptieren, dass der
Kollege Dr. Gerd Müller etwas länger spricht. Ich bitte die
kleineren Fraktionen, das für heute hinzunehmen. Einver-
standen? – Das ist der Fall.


(Uwe Hiksch [PDS]: Wenn es woanders gutgemacht wird!)


Herr Dr. Müller, Sie haben das Wort.

(Joachim Poß [SPD]: Darauf ist er gar nicht eingerichtet!)

– Sie müssen nicht länger reden.


(Joachim Poß [SPD]: Sein Fundus ist nicht so stark!)



Dr. Gerd Müller (CSU):
Rede ID: ID1423616100
Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren! Ich nehme das Angebot sehr
gerne wahr. Mir war nicht klar, dass ich nach Herrn Eichel
spreche, tue das aber sehr gerne. Ich habe mir während
seiner Rede immer gedacht: War das im Deutschen Bun-
destag jetzt seine Abschiedsrede? Denn, Herr Bundesfi-
nanzminister, Sie haben in der Tat in den vergangenen vier
Jahren Deutschland in der Europäischen Union auf den
Abstiegsplatz geführt.


(Beifall bei der CDU/CSU – Michael Roth [Heringen] [SPD]: Olle Kamellen! – Weiterer Zuruf von der SPD: Ach du liebe Zeit!)


Sie haben für die Europäische Union große Ansprüche
formuliert. Diese Visionen sind alle gut. Sie wollen Eu-
ropa zur wettbewerbsfähigsten, zukunftsträchtigsten und
modernsten Region in der Welt machen. Ich rate Ihnen, zu
Hause anzufangen, wo Sie konkret Verantwortung tragen.

Wir haben Ankündigungen von Ihnen gehört. Die Rea-
lität ist heute eine andere. Währungskommissar Solbes
hat Ihnen in seinen Ausführungen schon wieder zumin-
dest die gelbe Karte gezeigt, nachdem Sie den blauen
Brief in skandalöser Weise abgewendet haben. Sie haben
das Versprechen abgegeben, die Neuverschuldung bis
2006 auf Null zurückzufahren.


(Joachim Poß [SPD]: Wir haben eben immer noch mit der falschen Finanzierung der deutschen Einheit zu tun!)


Ich sehe keinen Ansatz, wie Sie den Vorgaben des Stabi-
litätspaktes der Europäischen Union nachkommen kön-
nen.

Voraussetzung dafür wäre nämlich in Deutschland eine
anziehende Konjunktur. Dies ist nicht der Fall, weil Ihre
Politik falsch ist. Voraussetzung dafür wäre ein Einnah-
meplus. Der Arbeitskreis Steuerschätzung sagt Ihnen aber
5 Milliarden Euro weniger Steuereinnahmen voraus, weil
die Wirtschaft in Deutschland nicht anspringt. Es werden
unter Ihrer Regie aber 10 Milliarden Euro weniger Ein-
nahmen werden.


(Detlev von Larcher [SPD]: Haben Sie schon einmal das Wort Konvent gehört?)


Der Bundesfinanzminister und Bundeskanzler Schröder
haben Deutschland zum Schlusslicht in Europa gemacht.
Sie haben kein Wirtschaftskonzept, wie Sie Deutschland
wieder an die Spitze führen können.


(Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf von der SPD: Müller zerredet Europa!)


Nun haben Sie aus Ihrer Sicht wichtige Problemberei-
che angesprochen.


(Uwe Hiksch [PDS]: Drei Sätze zum Allgäu!)

Von einem Bundesfinanzminister erwartet man aber nicht
nur, dass er diese Problembereiche skizziert. Wir erwarten
von Ihnen Antworten auf die Fragen: Wie stärken Sie den
Euro? Wie finanzieren Sie die Erweiterung der Europä-
ischen Union um 15 weitere Mitgliedstaaten? Sie haben
in diese Debatte die Notwendigkeit einer Reform der
Struktur- und Agrarpolitik eingeführt. Warum haben Sie
in den letzten vier Jahren die Agrar- und Strukturpolitik
nicht reformiert?


(Widerspruch bei der SPD)

Warum warten Sie? Sie haben die Agrar- und Strukturpo-
litik entgegen unseren Forderungen beim Berliner Gipfel
leider nicht auf eine neue Schiene gesetzt.


(Detlev von Larcher [SPD]: Naivling!)

Herr Außenminister Fischer – wir sind es von Ihnen ge-
wohnt, dass Sie sich auf der Regierungsbank flegelhaft
aufführen – und Herr Bundesfinanzminister, sagen Sie
uns, wie Sie in der Agrarpolitik – Sie haben unsere Vor-
schläge zur Reform und zur Kofinanzierung nicht aufge-
griffen – Ihr Versprechen gegenüber den polnischen, tsche-
chischen und ungarischen Bauern, sie am System der
Direktbeihilfen zu beteiligen, wofür aber im Finanzrah-
men der Europäischen Union über 2006 hinaus keine Mark
zur Verfügung steht, einlösen wollen. Wenn die Reform
der Agrarpolitik ausbleibt und diese Politik im Zuge der
europäischen Osterweiterung auf weitere 15 Staaten aus-
gedehnt wird, entstehen jährliche Mehrkosten in Höhe von
8 Milliarden Euro. Das zeigt in der Tat die Notwendigkeit,
Reformen anzugehen. Dabei haben Sie uns auf Ihrer Seite.

Ich muss aber sagen: Die Jahre der Regierung Schröder
waren schlechte Jahre für die Europäische Union und die
deutsche Europapolitik.


(Zurufe von der SPD: Ach!)

Wir können uns diesen Stillstand nicht mehr leisten.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich möchte
kurz auf eine heute über die Ticker gelaufene Meldung
von Kommissar Bolkestein zurückkommen. Dieser Kom-
missar kommentiert doch in der Tat das Wahlergebnis in
den Niederlanden, das nicht jedem so gepasst hat, mit der
Aussage:

Politik muss Distanz zum Wähler halten.
Man könne nicht jeder Mehrheitsmeinung folgen. Eine
gewisse Distanz zwischen Politik und Wählern sei nötig,
so Bolkestein. – Das entspricht nicht unserem Demokra-
tieverständnis.


(Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf von der SPD: Das ist doch einer von Ihnen, der Bolkestein!)





Vizepräsidentin Anke Fuchs

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(A)



(B)


Wer sich dafür einsetzt, die Europäische Kommission in
Zukunft zur europäischen Regierung zu machen, muss
wissen, dass dies – ein Demokratieverständnis in Europa
hin zu einer noch größeren Ferne zum Bürger – nicht der
richtige Weg sein kann. Wir wollen eine größere Nähe
zum Bürger. Herr Meyer, Sie haben den Weg dazu aufge-
zeigt.


(Michael Roth [Heringen] [SPD]: Genau das hat er!)


Dafür brauchen wir als Erstes eine klare Kompetenzab-
grenzung, die für den Bürger durchschaubar ist.


(Michael Roth [Heringen] [SPD]: Die Leier kann ich nicht mehr hören!)


Was machen Brüssel, Paris oder Berlin und wer ist wo für
welche Entscheidung verantwortlich? Das sind die ent-
scheidenden Kernfragen.


(Michael Roth [Heringen] [SPD]: Na ja!)

Dazu haben CDU und CSU ein Konzept vorgelegt. Darü-
ber kann und muss man diskutieren. Ich nehme das gerne
auf, Herr Meyer. Wir müssen diese Fragen gemeinsam
diskutieren. Zu Beginn einer solchen Diskussion im Kon-
vent gibt es noch keine Lösungen. Leider ist der politische
Stil heute so, dass man nicht mehr ergebnisoffen disku-
tiert, sondern sich nur noch über die Presse unterhält.


(Detlev von Larcher [SPD]: Sie sind ja das beste Beispiel!)


– Herr Larcher, haben Sie sich beruhigt? – Wir haben ein
Konzept vorgelegt, über das wir mit Ihnen diskutieren
wollen. Es gibt kein Konzept der Regierungsfraktionen,
geschweige denn der Regierung, zur Kompetenzabgren-
zung, wie es im Konvent angestrebt wird und dem Auf-
trag von Nizza entspricht.


(Joseph Fischer, Bundesminister: Wir machen so etwas grundsätzlich nicht!)


Vielleicht wird Außenminister Fischer nachher noch
seine Visionen skizzieren,


(Joseph Fischer, Bundesminister: Nein!)

aber in der Realität hat er kein Konzept und keinen Vor-
schlag, mit dem man sich auseinander setzen kann. Das
erwarten wir aber in dieser Debatte. Sonst redet man an-
einander vorbei.

Ich will noch einen Punkt herausgreifen. Herr Meyer,
Sie haben den Kernbereich der Subsidiaritätsabgrenzung
angesprochen. Wie macht man das? Auf welcher Ebene
siedelt man die Entscheidungen an? Durch eine neue
Kammer beim EuGH oder durch Einbeziehung der natio-
nalen Parlamente? Ich halte das für einen Kernpunkt der
Frage der zukünftigen Zuweisung von Verantwortlichkei-
ten. Über diese Frage muss man miteinander diskutieren.
Ich meine, dafür ist noch keine Lösung in Sicht. Es gibt
auch keine Fraktionen, die dieses oder jenes für den Kö-
nigsweg halten. Wir müssen dabei ergebnisoffen aufein-
ander zugehen.

Fest steht, dass Europa auch in Zukunft auf National-
staaten aufbauen wird und dass damit den nationalen Par-

lamenten auch in der Legitimation der Europapolitik
große Bedeutung beikommen wird. Denn die Verbindung
zu den Menschen, zu den Bürgern vor Ort, ergibt sich im-
mer noch in erster Linie durch die nationalen Parlamente.
Den nationalen Parlamenten muss deshalb auch bei der
europäischen Rechtssetzung, bei der Mitwirkung und bei
der Kontrolle ein maßgebliches Mitwirkungsrecht einge-
räumt werden, wie es bisher schon der Bundesrat bei Fra-
gen eingeräumt bekommt, die die Länder betreffen. Auch
über diese Frage sollten wir diskutieren. Es ist doch eine
spannende Frage, welche Zukunft die nationalen Parla-
mente in dem gemeinsamen Europa haben. Wir könnten
ja sogar zu dem Ergebnis kommen: Wir, der Deutsche
Bundestag, lösen uns auf und geben die Kompetenzen, die
uns noch verblieben sind, an die Länderparlamente ab.


(Detlev von Larcher [SPD]: Ist das Ihr Vorschlag?)


Das wäre auch eine Lösung. Das ist zwar nicht mein
Weg. Aber man muss über die unterschiedlichen Wege
diskutieren; denn es gibt viele offene Fragen gerade bei
der Reform des Rates und der anderen Institutionen der
Europäischen Union.

Ich möchte zum Schluss sagen: Der Kernauftrag von
Nizza für den Konvent war, eine durchschaubare Abgren-
zung der Kompetenzen der verschiedenen Ebenen zu fin-
den. Der Kernauftrag war nicht, alle offenen Fragen im
Konvent zu lösen. Ich habe die Sorge, dass man genau das
versucht. Es wird nicht gelingen, alle Fragen sozusagen
im Rahmen eines neuen Schöpfungsakts zu lösen. Wir
sollten lieber Schritt für Schritt vorgehen und uns im ers-
ten Schritt darauf konzentrieren, ein sinnvolles System
der Kompetenzabgrenzung zu finden.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1423616200
Herr Kollege, kom-
men Sie bitte zum Schluss.


Dr. Gerd Müller (CSU):
Rede ID: ID1423616300
Ich bin so gut wie am
Ende meiner Rede. – Auch wenn es im nationalen Parla-
ment zwischen den Fraktionen etwas aufgeregter zugeht:
Die nationale Delegation muss in Brüssel vielleicht auch
imstande sein, einen gemeinsamen Vorstoß in dieser
Frage mitzutragen.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1423616400
Sie wollten zum
Schluss kommen, Herr Kollege.


Dr. Gerd Müller (CSU):
Rede ID: ID1423616500
Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1423616600
Zum Abschluss dieser
Debatte spricht jetzt der Bundesaußenminister Joseph
Fischer.


Joseph Fischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1423616700

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte
zuerst etwas zum Hintergrund der jetzigen Debatte sagen.
Die momentane politische Entwicklung in Europa muss
uns alle berühren, ja vielleicht sogar Sorgen bereiten. Wir




Dr. Gerd Müller
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(C)



(D)



(A)



(B)


stellen fest, dass zunehmend rechtspopulistische und er-
klärtermaßen antieuropäische Parteien Zulauf haben


(Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: Hier sitzen sogar Kommunisten!)


und dass sie zunehmend bei der Mehrheitsbildung in den
einzelnen europäischen Ländern von entscheidender Be-
deutung sind. Ich möchte mich nicht auf das platte Niveau
begeben, das mein Vorredner


(Zuruf von der CDU/CSU: Schröder?)

in der Auseinandersetzung mit dem Bundesfinanzminis-
ter an den Tag gelegt hat. Ich möchte Ihnen nur sagen,
dass ich diese Entwicklung bedauere, weil ich um die
großen historischen Verdienste der europäischen Christ-
demokratie um die europäische Integration weiß. Auch
und gerade nach 1945 haben die Christdemokraten ganz
entscheidende neue Weichenstellungen vorgenommen.


(Zuruf von der CDU/CSU)

– Ich komme gleich darauf zu sprechen. – Europa und
seine Integration, das war zwar nicht nur ein Mitte-Rechts-
Projekt, wohl aber in weiten Teilen. Namen wie De Gasperi,
Adenauer und de Gaulle stehen dafür. Ich habe ganz be-
wusst gesagt: nicht nur, aber in weiten Teilen.

Seit in Österreich die Regierung unter Beteiligung von
Haiders Partei gebildet wurde, stellen wir fest, dass die bür-
gerliche Mitte aus Gründen, die man teilen mag oder nicht
– ich möchte bewusst nicht polemisch werden; ich möchte
lediglich die Konsequenzen für Europa ansprechen –, nur
zusammen mit erklärtermaßen antieuropäischen und
rechtspopulistischen Parteien die Mehrheit bilden kann.
Der Preis dafür ist abnehmende Integrationsbereitschaft
und ist in Euro zu zahlen.


(Karl Lamers [CDU/CSU]: Aber Altmaier hat doch Recht! Das ist doch das, was er sagt!)


– Nein, Herr Altmaier hat nicht Recht. Ich komme gleich
auf das meiner Meinung nach eigentliche Problem zu
sprechen. Mir geht es jetzt gar nicht um eine Wertung,
sondern nur um das Konstatieren.

Ich fürchte, dass die Konsequenz aus der von mir be-
schriebenen Entwicklung – in den europäischen Haupt-
städten gibt es bereits entsprechende Signale in diese
Richtung – weniger Europa, also die Verlangsamung des
Integrationsprozesses, sein wird. Ich glaube, dass weni-
ger Europa eher den Euroskeptizismus sowie bereits
heute vorhandene Defizite verstärken wird


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


und mitnichten dazu führen wird, dass sich die Bürgerin-
nen und Bürger Europa mehr zuwenden werden. Im Ge-
genteil: Die Abwehrreaktionen werden zunehmen, wenn
der europäische Integrationsprozess verlangsamt wird.
Auch ich bin für Realismus, sage Ihnen aber ganz offen:
Wenn der Konvent zu kurz springt – das kann durchaus
passieren –, dann muss man die Konsequenzen nennen.
All denjenigen, die auf die Politik der kleinen Schritte
verweisen, kann ich nur sagen: Auch ich bin immer für
eine solche Politik gewesen. Nur, es gibt einen Punkt, an

dem die Politik der kleinen Schritte nicht möglich ist. Das
ist die Erweiterung. Sie wird nämlich ein großer Schritt
sein. Sie werden auf die Konsequenzen dieses großen
Schrittes nicht mit einer Politik der kleinen Schritte ant-
worten können,


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


ohne ein Glaubwürdigkeitsdefizit zu haben und auf Ver-
ständnisprobleme zu stoßen, wodurch dann wieder die an-
tieuropäischen Kräfte gestärkt würden. Das ist meine
große Sorge, die ich hier ganz offen ansprechen möchte.
Mir geht es dabei nicht darum, dass die einen die Realität
und die anderen Visionen vertreten. Visionen sind Ziel-
orientierungen; man muss wissen, wohin man will.

Mit der Erweiterung stehen wir also vor einem großen
Schritt. Es ist in unserem Interesse, die Union von 15 auf
25 Mitgliedstaaten zu erweitern, auch wenn dabei ein be-
trächtliches ökonomisches Gefälle überwunden werden
muss. Darüber braucht niemand mit mir zu streiten. Im
Rückblick sage ich, ohne jemanden zu kritisieren, dass
dies vermutlich schon viel früher hätte gemacht werden
müssen.

Wir stehen nun vor der Frage, ob der Konvent die Kraft
hat, zu einem zweiten Philadelphia, der entscheidenden
verfassunggebenden Versammlung in der Geschichte der
USA, zu werden, ob wir am Ende also einen Vertragsent-
wurf bekommen werden, der an die Qualität des
Maastricht-Vertrages anknüpft, oder einen Entwurf, der in
seiner Qualität – nicht in seiner Substanz – an die be-
scheidenen Zielsetzungen des Nizza-Vertrages anknüpft.
Werden wir mit einem Vertragsentwurf in Maastricht-
Qualität herauskommen, dann werden wir den histori-
schen Herausforderungen der Erweiterung gerecht. Wer-
den wir aber mit dem weniger ambitionierten Ansatz von
Nizza herauskommen, dann werden wir uns an den Ant-
worten in der Praxis festfressen, was ganz realistische
Konsequenzen haben wird.

Lassen Sie mich nun auf das Demokratiedefizit zu
sprechen kommen: Das Verhältnis zwischen den nationa-
len Regierungen und der Europäischen Kommission ist
heute auch deswegen so belastet, weil die Kommission als
tatsächliche Exekutive in Europa immer mehr zu sagen
hat, die Regierungen dafür aber den Kopf hinhalten müs-
sen, da die Kommission als Exekutive nicht legitimiert ist.


(Peter Altmaier [CDU/CSU]: Also muss sie gewählt werden!)


Also wäre die Konsequenz, die Kommission zur Exeku-
tive zu machen, wenn man nicht wieder mehr auf die na-
tionalen Regierungen zurückverlagern will, wovor ich
aber nur warnen kann, weil dafür die Mitgliedstaaten ei-
nen bitteren Preis zu bezahlen hätten.


(Beifall bei der FDP und der PDS)

Fragen Sie doch hier einmal die Zuhörerinnen und

Zuhörer, was sie von unserer „Euro-Theologie“ verste-
hen. Die Bürgerinnen und Bürger wollen schlicht und ein-
fach begreifen, wer wo entscheidet. Entscheidet jemand
irgendetwas in Brüssel, dann möchten sie ihn abwählen,
wenn die Entscheidung ihrer Meinung nach nichts taugt.




Bundesminister Joseph Fischer

23587


(C)



(D)



(A)



(B)


Stimmen sie der Entscheidung zu, möchten sie ihn wählen
können. Das heißt im Klartext, dass im Konvent die ganz
wichtige Frage beantwortet werden muss, ob eine euro-
päische Exekutive geschaffen wird und wie sie sich zu-
sammensetzt. Ich plädiere hier für Einfachheit und Klar-
heit. Anders geht es nicht, wenn wir unsere Kritik an der
zunehmenden Tendenz zum Euroskeptizismus und zur
Ablehnung Europas ernst nehmen.

Die Bürgerinnen und Bürger wissen auf nationaler
Ebene ganz genau, dass es in Deutschland einen Bundes-
kanzler gibt, der jetzt von der SPD gestellt wird und
Schröder heißt. Wenn sie ihn für weitere vier Jahre als
Bundeskanzler wollen, dann wissen sie, welche Parteien
sie bei der Bundestagswahl zu wählen haben. Sind sie
über ihn frustriert, dann wissen sie, dass sie andere Par-
teien wählen müssen. Mit Sicherheit wird die Mehrheit
nicht einen Bundeskanzler Stoiber wollen; er soll Minis-
terpräsident bleiben.


(Beifall bei der SPD und der PDS)

In Europa wissen die Bürgerinnen und Bürger nicht, wen
sie im Hinblick auf die Exekutive wählen oder nicht
wählen können. – Frau Präsidentin, ich komme sofort
zum Schluss.

Dasselbe gilt für die Legislative. Auch hier muss klar
sein, was das Europäische Parlament zu tun hat. Dann
werden sich die Zustimmung zu diesem Parlament und
auch die Kenntnis der Akteure im Parlament schlagartig
verbessern. Auch hier gilt wieder: Einfachheit und Klar-
heit. Um das, was Sie wollen, Herr Professor Meyer, ver-
stehen zu können, muss man mindestens zwei juristische
Staatsprüfungen bestanden haben.


(Uwe Hiksch [PDS]: Die hat er aber!)

– Ja, aber die Mehrheit der Deutschen und auch die Mehr-
heit der anderen Europäerinnen und Europäer sind keine
gefeierten Juraprofessoren. Deswegen wird ein solcher
Vorschlag nicht zum Ziel führen, auch wenn ich viel Sym-
pathie für ihn habe. Es geht darum, institutionelle Klarheit
herbeizuführen.

Ich glaube nicht, dass der Konvent eine Perspektive ha-
ben wird, wenn er in Richtung Intergouvernementalis-
mus geht. Der Intergouvernementalismus ist eine Be-
helfsbrücke, aber keine Antwort auf die drängenden
Fragen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS – Peter Hintze [CDU/CSU]: Weiß der Kanzler das?)


Meine Damen und Herren, wir stehen vor der Heraus-
forderung, die in den nächsten zwei Jahren die große Er-
weiterung mit sich bringt. Sie wird uns in eine institutio-
nelle Krise führen, wenn der Konvent darauf nicht eine
entsprechende historische Antwort findet. Das ist Realis-
mus und nicht Vision.


(Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: Darauf müssen die Regierungen die Antwort finden! Ihr habt doch versagt! Jetzt schiebt man es auf den Konvent!)


– Die Regierungen sind gefragt, wenn der Konvent seinen
Vorschlag gemacht hat.


(Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: In Nizza habt ihr doch versagt! Die Regierungen haben doch versäumt, Antworten zu geben!)


– Mein Lieber, ich möchte am Schluss nicht noch auf Sie
als großen Europäer eingehen. Sie müssen einmal sehen,
wie Ihre Fraktion auf Sie reagiert, wenn Sie reden. Ihre
Kollegen haben da eine klare Meinung.


(Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: Der Konvent arbeitet noch nicht einmal und Sie erwarten schon Lösungen!)


Nein, meine Damen und Herren, der entscheidende
Punkt wird sein: Der Konvent muss einen ambitionierten,
klaren und einfachen Vorschlag für eine europäische Ver-
fassung unterbreiten, die funktional ist und die das De-
mokratiedefizit behebt. Das ist Realismus angesichts der
großen Herausforderungen der Erweiterung.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie des Abg. Uwe Hiksch [PDS] und der Abg. Sabine LeutheusserSchnarrenberger [FDP])



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1423616800
Ich schließe die Aus-
sprache.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 14/8489, 14/9044 und 14/9046 an die in
der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschla-
gen. Der Antrag der Fraktionen der SPD und des Bündnis-
ses 90/Die Grünen zu Tagesordnungspunkt 10 a, dessen
Titel lautet „Reform durch Verfassung: Für eine demo-
kratische, solidarische und handlungsfähige Europäische
Union“, Drucksache 14/9047, soll ebenfalls an die in der
Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse und zusätzlich
an den Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
überwiesen werden. – Damit sind Sie einverstanden.
Dann sind die Überweisungen so beschlossen.

Nun rufe ich die Tagesordnungspunkte 11 a und b so-
wie den Zusatzpunkt 16 auf:
11. a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Norbert

Lammert, Bernd Neumann (Bremen), Klaus
Brähmig, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der CDU/CSU
Zentrum gegen Vertreibungen
– Drucksache 14/8594 (neu)
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Kultur und Medien (f)

Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Markus
Meckel, Eckhardt Barthel, Wilhelm Schmidt

(Salzgitter), weiterer Abgeordneter und der Frak-





Bundesminister Joseph Fischer
23588


(C)



(D)



(A)



(B)


tion der SPD sowie der Abgeordneten Dr. Antje
Vollmer, Dr. Helmut Lippelt, Kerstin Müller

(Köln), Rezzo Schlauch und der Fraktion des

BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Für ein europäisch ausgerichtetes Zentrum
gegen Vertreibungen
– Drucksache 14/9033 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Kultur und Medien (f)

Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

ZP 16 Beratung des Antrags der Abgeordneten Hans-
Joachim Otto (Frankfurt), Dr. Edzard Schmidt-
Jortzig, Dr. Klaus Kinkel, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der FDP
Für ein europäisches Zentrum gegen Vertrei-
bungen
– Drucksache 14/9068 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Kultur und Medien (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Auch das ist
so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile der Kollegin
Erika Reinhardt, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.


Erika Reinhardt (CDU):
Rede ID: ID1423616900
Frau Präsidentin!
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Vertreibungen
sind leider keine überwundenen Ereignisse der Ge-
schichte, sondern immer noch täglich schuldlose Men-
schen auf der ganzen Welt treffende Menschenrechtsver-
letzungen. Deutschland hat aufgrund seiner leidvollen
Erfahrungen mit der gnadenlosen Vertreibung und Ver-
schleppung von mehr als 15Millionen Menschen ein ganz
besonderes Verhältnis zu Ursachen und Folgen von Ver-
treibungen und deshalb auch eine besondere Verantwor-
tung für die Aufarbeitung von Geschichte und Schicksal
der davon betroffenen Menschen.

Wie groß das Bedürfnis an Information ist, zeigt das
hohe Interesse an den Medien, die in letzter Zeit darüber
informiert haben.


(Uwe Hiksch [PDS]: Und die Anwesendheit von fünf CDU-Abgeordneten!)


Es waren gerade junge Menschen, die sich sehr für dieses
Thema interessierten.

Doch bis heute gibt es in Deutschland keinen Ort, an
dem die Gesamtthematik der Vertreibungen aufgearbeitet
und dokumentiert wird und der als zentrale Informations-
und Begegnungsstätte öffentlich zugänglich wäre. Des-
halb begrüßen wir die von einer breiten überparteilichen
Basis getragene Initiative der gemeinnützigen Stiftung
„Zentrum gegen Vertreibungen“, die Vertreibung welt-

weit dokumentiert und Wege zur Völkerverständigung
und Versöhnung aufzeigt.

Meine Damen und Herren, wie wollen wir uns glaub-
haft für Menschenrechte, Völkerverständigung und Ver-
söhnung einsetzen, wenn wir unsere eigenen Erfahrungen
aus dem kollektiven Bewusstsein verdrängen?

Das ehemalige Mitglied der SPD-Bundestagsfraktion
Professor Peter Glotz, Vorsitzender der Stiftung „Zentrum
gegen Vertreibungen“, hat es auf den Punkt gebracht. Er
findet es keineswegs abwegig, dass Deutschland in dieser
Frage einmal mit den Deutschen anfängt. Das Zentrum
gegen Vertreibungen soll unter einem Dach die Kultur,
das Schicksal und die Geschichte der Vertriebenen und ih-
rer Heimat erfahrbar machen. Ausgehend vom Geist der
Versöhnung, der aus der Stuttgarter Charta der Heimat-
vertriebenen vom 5. August 1950 erwächst, soll dieses
Zentrum mahnen und sensibilisieren.

Unsere Geschichtsvergessenheit tut uns nicht gut, hat
Professor Arnulf Baring treffend formuliert. Es ist daher
wichtig, dass die Deutschen das eigene Leid kennen und
die eigene Trauer zulassen. Es geht dabei auch um so et-
was wie die innere Balance einer Nation, um das Sich-
Auseinander-Setzen mit der Geschichte. Dies wird nur
gelingen, wenn das Zentrum gegen Vertreibungen einen
Ort findet, der nicht am Rand, sondern im Zentrum liegt.
Dieser Ort ist in Berlin, ist in Deutschlands Hauptstadt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Verschieben wir also nicht die Verantwortung auf Europa,
sondern beginnen wir heute bei uns mit einem Ja zu einem
Zentrum gegen Vertreibungen in Berlin!

Meine Damen und Herren, mit unserem Antrag wollen
wir die überparteiliche Initiative der gemeinnützigen Stif-
tung „Zentrum gegen Vertreibungen“ unterstützen. Des-
halb bitten wir die Bundesregierung und alle Fraktionen
des Hohen Hauses, sich vorbehaltlos hinter das Zentrum
gegen Vertreibungen zu stellen.

Wir fordern Sie von der Bundesregierung auf: Schaf-
fen Sie eine Grundlage für eine konstruktive inhaltliche
und organisatorische Zusammenarbeit mit dem Zentrum
gegen Vertreibungen! Schaffen Sie die konzeptionellen
Voraussetzungen, die zur Realisierung eines Zentrums
gegen Vertreibungen nötig sind, auch im Zusammenhang
mit bestehenden Gedenkstätten in Berlin! Stellen Sie ein
geeignetes Gebäude in Berlin als öffentlich zugänglichen
Ort der Forschung, Dokumentation und Ausstellung
zur Verfügung! Wir fordern eine Klärung der Bereitschaft
der Länder, sich an dem Projekt zu beteiligen. Legen Sie
auf dieser Basis ein Konzept zur Finanzierung vor! Las-
sen Sie uns auf dieser Basis über Parteigrenzen hinweg
gemeinsam ein Zeichen – ich glaube, ein wichtiges Zei-
chen – gegen Vertreibungen setzen! Stimmen Sie bitte un-
serem Antrag zu!

Herzlichen Dank.
Liebe Frau Präsidentin, nachdem ich, wie ich an-

nehme, meine letzte Rede hier gehalten habe, möchte ich
mich bei Ihnen allen ganz herzlich bedanken, vor allem
bei den Schriftführern, die hier die Arbeit leisten, und bei
der Verwaltung. Alles Gute!


(Beifall im ganzen Hause)





Vizepräsidentin Anke Fuchs

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(C)



(D)



(A)



(B)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1423617000
Frau Kollegin
Reinhardt, ich nutze die Gelegenheit, Ihnen im Namen
des ganzen Hauses Dank und Anerkennung für Ihre
langjährige Tätigkeit auszusprechen und für den neuen
Lebensabschnitt alles Gute zu wünschen.


(Beifall im ganzen Hause)

Jetzt hat der Kollege Markus Meckel für die SPD-Frak-

tion das Wort.


Markus Meckel (SPD):
Rede ID: ID1423617100
Frau Präsidentin! Meine lie-
ben Kolleginnen und Kollegen! Ich schließe mich den
Wünschen an, die eben für meine Vorrednerin ausgespro-
chen worden sind.

Es ist bemerkenswert, dass wir uns heute im Bundes-
tag in der Erkenntnis einig sind – um das festzustellen,
brauchen wir nur unsere drei Anträge anzusehen, die wir
heute miteinander debattieren –: Wir sollten der Vertrei-
bungen gedenken, uns den Betroffenen und ihrem Schick-
sal nähern und uns dessen erinnern. Noch vor wenigen
Jahren wäre dieser Konsens in dieser Breite und Klarheit
so nicht möglich gewesen. Das, denke ich, sollten wir hier
heute aussprechen.

Wenn wir dies so sagen, stehen wir vor der Aufgabe,
ein Stück unserer Geschichte neu aufzuarbeiten – das hat
natürlich schon lange begonnen –, aber uns auch neu zu
erinnern. In dem Teil Deutschlands, in dem ich aufge-
wachsen bin, war dies keineswegs selbstverständlich. In
der Schule haben wir über dieses Leid nichts gelernt. Die
Vertriebenen, die es auch dort zu Abertausenden gegeben
hat, wurden zwar integriert, aber ihr Schicksal wurde ver-
drängt und verschwiegen. Ähnlich ist es übrigens in Be-
zug auf die eigene Geschichte in Nachbarländern gesche-
hen, die ebenfalls unter der kommunistischen Diktatur
gelitten haben. Auch dort wurden eigene Opfer und Ver-
treibungen nicht zur Sprache gebracht, war die Verant-
wortung aus dem Nationalsozialismus kein Thema, wurde
– ähnlich wie in der DDR – weder die eigene Täterrolle
noch die Dimension des Opferseins ausgesprochen und
bedacht; dazu gab es keinen öffentlichen Diskurs und kei-
nen öffentlichen Dialog wie in anderen, demokratischen
Ländern, etwa in der Bundesrepublik Deutschland.

Deshalb ist es wichtig, denke ich, dass wir dies heute
nachholen. Dies tun wir in einem europäischen Kontext;
denn wir leben in einem zusammenwachsenden Europa
und gerade die Geschichte der Vertreibungen ist ein Teil
der europäischen Geschichte und als singuläres Ereignis
überhaupt nicht zu verstehen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


12 bis 15 Millionen Deutsche wurden nach dem Krieg,
den Deutschland angezettelt hat, vertrieben. Insgesamt
sind es 40 bis 50 Millionen Menschen gewesen, die in
Europa in der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts
vertrieben wurden. Zählen wir die Opfer nationalsozia-
listischer Rekrutierung von Zwangsarbeitern und die sta-
linistischen Deportationen hinzu, sind es weitere 20 Mil-
lionen. Vertreibungen sind ein furchtbares persönliches

Schicksal. In ihrer Gesamtheit sind sie aber ein Teil der
barbarischen Geschichte des letzten Jahrhunderts.

Die historischen Zusammenhänge der verschiedenen
Vertreibungen waren gewiss unterschiedlich. Hier ist
nichts gleichzusetzen. Wenn wir uns das Schicksal der
Betroffenen ansehen, so kann man sagen, dass deren Leid
sehr ähnlich war. Bis in die jüngste Zeit, also bis in die
90er-Jahre, haben wir es im Zentrum Europas erleben
müssen.

Es waren im letzten Jahrhundert nicht nur Hitler und
Stalin, die Verursacher von Vertreibungen waren, sondern
– wir müssen es zugeben – auch Demokraten wie
Churchill, Roosevelt und Truman akzeptierten Vertrei-
bungen, indem sie Zwangsumsiedlungen als ein Teil von
Stabilitätspolitik betrachteten. Heute lehnen wir dies ab,
weil es Unrecht ist. Dies darf nicht sein; denn es beruht
immer auf dem Gedanken einer Kollektivschuld. Dieses
Vorgehen kann niemand rechtfertigen; diese Menschen-
rechtsverletzungen können wir nicht akzeptieren.

Es ist wichtig, dass wir uns aus diesem aktuellem An-
lass heute diesem Thema wieder nähern. Aber gleichzei-
tig müssen wir sehr deutlich machen, dass es ein sehr eu-
ropäisches Thema ist. Wir müssen von Anfang an die
europäische Dimension berücksichtigen.

Genau in diesem Punkt sehe ich den Unterschied in den
Anträgen, die uns heute vorliegen. In Ihrem Antrag wird
auch von den anderen Vertreibungen in Europa gespro-
chen; das halte ich für wichtig. Aber man muss auch deut-
lich sagen, dass Sie in ihrem Antrag ein nationales Projekt
mit entsprechendem Ausblick und mit einer möglichen
europäischen Ergänzung im Rahmen eines Kuratoriums
beschreiben. Ich glaube, das reicht nicht.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir wollen heute eine Einladung an andere Europäer
aussprechen, von Beginn an – das heißt, schon bei der Er-
arbeitung eines gemeinsamen Konzeptes für ein solches
Zentrum – an diesem Projekt teilzunehmen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Der Unterschied scheint nicht bedeutend, aber er ist
dennoch groß. Es geht nämlich darum, das Konzept ge-
meinsam mit Europäern zu erarbeiten, statt andere euro-
päische Staaten ohne Mitwirkungsmöglichkeiten zu unse-
rem Konzept einzuladen. Deren Perspektive muss von
vornherein in ein solches Projekt einfließen. Das geht nur
durch Beteiligung: indem diese Länder ihre Perspektiven
und ihre Erfahrungen einbringen und indem wir gemein-
sam deutlich machen, dass Vertreibung nie wieder ge-
schehen darf.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir laden dazu Polen – eine intensive Diskussion hat
dort in den letzten Wochen schon längst begonnen –,
ebenso aber Tschechen, Ukrainer, Ungarn und Slowaken
ein. Wir wissen, dass es in der Mitte Europas eine ganze
Reihe von Völkern gibt, die diese schlimme Erfahrung






(C)



(D)



(A)



(B)


gemacht haben und in deren Ländern dies bisher nicht
genügend aufgearbeitet werden konnte.

Es kann nicht unser Ziel sein, dass jeder nur seine ei-
gene Vertreibung im Blick hat. Es ist ein europäisches
Thema. Lasst es uns europäisch behandeln und gemein-
sam ein Konzept für ein Zentrum erarbeiten!


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Dies soll nicht ein deutsches Projekt unter Beteiligung
anderer sein, sondern es soll von Beginn ein europäisches
Zentrum sein.

Sie wollen – so steht es in Ihrem Antrag – das Zentrum
in Berlin errichten. Ich halte es für falsch, jetzt eine sol-
che Entscheidung treffen zu wollen. Im Übrigen glaube
ich auch nicht, dass Berlin der ideale Ort dafür ist.


(Beifall der Abg. Dr. Antje Vollmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Aber lassen Sie uns darüber diskutieren! Ich habe im Fe-
bruar vorgeschlagen, in Breslau ein solches Zentrum zu
errichten. Es ist völlig klar, dass nicht der Deutsche Bun-
destag über den Sitz Breslau entscheiden kann. Ein ent-
sprechender Vorschlag kann nur von den Polen kommen.
Wir werden sehen, ob dies geschieht. Die Behandlung der
Frage, wo das Zentrum errichtet werden soll, sollten wir
einer Kommission überlassen, die europäisch zusammen-
gesetzt ist, die sich an der Erarbeitung eines entsprechen-
den Konzeptes macht und die uns – möglicherweise nach
einer langen Diskussion – einen Ort vorschlägt. Ich
denke, dieses Vorgehen ist ein angemessener und richtiger
Weg.

Frau Steinbach, Sie haben mir am Anfang, als ich die-
sen Vorschlag machte, vorgeworfen, ich sei nicht fähig,
der eigenen Opfer zu gedenken. Ich sage Ihnen: Das ist
falsch. Mein eigener Großvater ist im Januar 1945 auf den
Straßen in Polen umgekommen. Er war Zivilist. Natürlich
trauere ich darum, dass ich ihn nie kennen gelernt habe; er
muss ein ganz toller Mann gewesen sein.

Ich sage Ihnen: Das Schicksal der Vertreibungen kann
nicht allein im deutschen Kontext betrachtet werden. Wir
müssen dies gemeinsam tun mit anderen Europäern, die
ganz vergleichbare Schicksale haben, in sehr unterschied-
lichen historischen Konstellationen von Schuld, Verant-
wortung und Opfersein. Aber lassen Sie uns dieses Leid
der Einzelnen, auch der einzelnen Völker, das oft in aller
Einsamkeit erlitten worden ist, gemeinsam bedenken, ge-
meinsam verarbeiten, gemeinsam dokumentieren. Und
lassen Sie uns diesen Weg gemeinsam mit unseren Nach-
barn – sofern sie wollen – gehen.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1423617200
Für die FDP-Fraktion
erteile ich das Wort dem Kollegen Hans-Joachim Otto.


Hans-Joachim Otto (FDP):
Rede ID: ID1423617300
Frau Präsi-
dentin! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Die

Errichtung eines europäischen Zentrums gegen Vertrei-
bungen ist ein Symbol für den Willen zum Neuanfang in
einem gemeinsamen Europa. Nichts belegt dies anschau-
licher als die Tatsache, dass sich jüngst zwei der angese-
hensten Publizisten Polens, nämlich Adam Krzeminski
und Adam Michnik, für ein solches Zentrum in Breslau
ausgesprochen haben. Es ist geradezu ein europäisches
Aufbruchsignal, dass die Errichtung eines solchen Zen-
trums von unseren Nachbarn im Osten und auch im Wes-
ten nicht länger, wie in der Vergangenheit so häufig, als
Gefahr deutschen Revanchismus, sondern als europäische
Chance betrachtet wird.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Über das Ärgernis der Fortgeltung der Benes-Dekrete
in einem unserer Nachbarländer will ich an dieser Stelle
den Mantel des Schweigens hüllen. Aber ich möchte doch
sagen, dass die internationale Zustimmung zu diesem
Zentrum, zumindest das Interesse an diesem Zentrum, auf
eine sehr überzeugende Grundkonzeption gerichtet ist,
die in erster Linie nicht in die Vergangenheit, sondern in
die Zukunft gerichtet ist. Herr Kollege Meckel, da stim-
men wir mit Ihnen überein: Auch wir wollen von vorn-
herein die Einladung an unsere europäischen Nachbarn,
insbesondere im Osten, damit diese an der Feinarbeit des
Konzeptes mitwirken können.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich sage Ihnen aber auch: Das schließt nicht zwangsläu-
fig Berlin als Sitz aus. Ich kann mir durchaus vorstellen,
dass ein europäisches Zentrum seinen Sitz in Berlin hat.
Das ist kein Widerspruch.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Berlin ist mit all seinen Brüchen und seiner Geschichte
ein sehr interessanter Ort für dieses Zentrum. Auf Breslau
komme ich noch zu sprechen.

Ausgangspunkt für dieses Forschungs- und Dokumen-
tationszentrum ist zwar die kollektive Vertreibungserfah-
rung, die rund 15 Millionen Deutsche nach dem Zweiten
Weltkrieg erleiden mussten, aber sein Ziel und seine Auf-
gabe ist es, auf der Grundlage dieser historischen Erfah-
rungen Strategien zu entwickeln, um das Menschenrecht
auf Heimat weltweit dauerhaft zu sichern, zum Beispiel
auch in jüngster Zeit im Kosovo, im Sudan, in Liberia und
in anderen Teilen der Welt.

Die überparteiliche Stiftung „Zentrum gegen Vertrei-
bung“ – die Kollegin Reinhardt hat darauf hingewiesen –
betrachten wir als einen höchst erfreulichen und unter-
stützenswerten Ausdruck bürgerschaftlichen Engage-
ments. Wir hoffen, dass sich dies als Ergänzung zu den
Bundesmitteln, die natürlich notwendig sind, auch in
Form von privaten Zustiftungen ausdrücken wird.

Auch der wissenschaftliche Beirat beim Zentrum mit
allseits anerkannten Persönlichkeiten – ich nenne nur drei
Namen: Arnulf Baring, Dieter Blumenwitz und György
Konrád – beweist diese völkerverbindende Ausrichtung
des Zentrums.

Gestatten Sie mir zum Abschluss eine kleine Anregung
und eine kurze persönliche Bemerkung. Die Anregung,




Markus Meckel

23591


(C)



(D)



(A)



(B)


Herr Kollege Meckel: Ich würde es geradezu als eine Ver-
vollkommnung und als einen Glücksfall ansehen, wenn es
neben dem künftigen Zentrum mit Sitz möglicherweise in
Deutschland, in Berlin, ein Schwesterinstitut in Breslau
geben würde.
Das halte ich für die beste Idee. Auch wir in Deutschland
müssen uns mit dieser Frage auseinander setzen. Wenn es
mit unseren polnischen Nachbarn, die genauso viel Leid
wie wir im Zweiten Weltkrieg – übrigens auch schon im
Ersten Weltkrieg – erleben mussten, eine Kooperation
gäbe, dann wäre das wirklich hervorragend. Ich appelliere
deshalb an die Verantwortlichen, gemeinsam mit unseren
polnischen Nachbarn die Umsetzung dieses großartigen
Gedankens zu prüfen.

Ich möchte – ich sehe die Kollegin Steinbach hier –
noch eine persönliche Bemerkung machen. Ich möchte an
dieser Stelle, auch aufgrund bestimmter Erfahrungen,
meinen Dank und meine Anerkennung für den, wie ich es
empfinde, wirklich zukunftsgerichteten und völkerver-
bindenden neuen Kurs des Bundes der Vertriebenen aus-
drücken. Trotz des unsäglichen Leides und Unrechts, das
Ihnen und der Generation Ihrer Eltern – viel stärker als al-
len übrigen Deutschen – infolge des von den Nazis ange-
zettelten Krieges zugefügt wurde, haben Sie sehr glaub-
haft die Hand zur Aussöhnung und zur Freundschaft mit
unseren östlichen Nachbarn ausgestreckt. Dafür verdie-
nen Sie – das sage ich sehr persönlich – die Unterstützung
des gesamten Hauses.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1423617400
Zu einer Kurzinter-
vention als Reaktion auf die Rede des Kollegen Markus
Meckel erteile ich der Kollegin Steinbach das Wort.


Erika Steinbach-Hermann (Plos):
Rede ID: ID1423617500
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Heute ist ein guter Tag. Ange-
sichts der Beiträge, die ich bisher gehört habe, teile ich Ihre
Auffassung, Herr Meckel, dass eine solche Diskussion vor
einigen Jahren noch undenkbar gewesen wäre. Man kann
das nicht hoch genug einschätzen. Dass wir uns in diesem
Hause – ich beziehe mich zumindest auf die heutigen
Beiträge – gemeinsam eines Themas annehmen, das bei so
vielen Menschen in diesem Lande emotionale Spuren und
Verletzungen hinterlassen hat, ist eine gute Sache.

Wenn Sie sagen: „Wir wollen einen europäischen An-
satz“, dann rennen Sie offene Türen ein. Die Stiftung hat
diesen europäischen Ansatz von sich aus vorgegeben.
Nicht umsonst gehört György Konrád zu denjenigen, die
dieses Anliegen unterstützen. Nicht umsonst ist Dolezal
ein Gesprächspartner. Nicht umsonst gab es schon Dis-
kussionen, auch mit polnischen Journalisten und mit pol-
nischen Wissenschaftlern. Im Bereich dieser Thematik
gibt es ein reges Geben und Nehmen.

Herr Kollege Otto, ich halte das für elementar. Nichts
ist bei der Behandlung einer solchen Frage schädlicher,
als sich in eine Opferrolle einzuigeln und keinem Argu-
ment mehr zugänglich zu sein.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Vor diesem Hintergrund begrüße ich ausdrücklich, dass
auf diesem Gebiet eine Öffnung erfolgt ist, die unserem
Land gut tun wird.

Meine Anregung an alle Fraktionen sieht folgender-
maßen aus: Wenn man ein großes Feld beackern will,
dann muss man mit der ersten Scholle im eigenen Garten
anfangen. Man sollte ein Thema nicht zunächst sozusagen
an den Enden aufhängen, weil das dazu führen kann, dass
man am Schluss die Übersicht verliert. Wenn man sich an-
schaut, wie viele europäische Völker von Vertreibung be-
troffen waren, dann wird einem schlecht, weil es so viele
sind. Allein in der ehemaligen Sowjetunion sind an die
zehn Völker – die Krimtataren, die Inguschen, die Tschet-
schenen, die Wolgadeutschen und viele andere Völker;
die tschetschenische Frage ist noch heute akut – vertrie-
ben worden.

Vor diesem Hintergrund müssen wir sehr sorgfältig
überlegen, ob man anderen Völkern einen Gefallen tut,
wenn man sie in die Behandlung einer Frage einbindet.
Ich begrüße auf jeden Fall die Töne, die heute angeschla-
gen worden sind, und hoffe, dass am Ende nicht manches,
was als europäisch bezeichnet wird, nur dazu dienen soll,
einem Thema doch noch aus dem Wege zu gehen. Wir in
Deutschland sollten damit anfangen, eine Thematik auf-
zuarbeiten, die über Europa hinausreicht. Vertreibung ist
ein politisches Mittel, das nach wie vor weltweit Kon-
junktur hat. Dem wollen wir alle miteinander entgegen-
wirken.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1423617600
Herr Kollege Meckel,
wollen Sie antworten? – Nein. Dann hat jetzt die Kollegin
Dr. Antje Vollmer für das Bündnis 90/Die Grünen das
Wort.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1423617700

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
denke, wir sind uns alle einig: Man muss die Ursachen be-
greifen, um den Ungeist bekämpfen zu können.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


Der Ungeist von Vertreibung gehört zu dem, was Europa
immer bedroht hat. Wir alle haben das Erschrecken ge-
teilt, wir, die wir nach all den bitteren Erfahrungen so vie-
ler Völker gedacht haben, dass es Vertreibung nicht mehr
geben könnte. Sie haben zu Recht gesagt: Mindestens
zehn europäische Völker sind Opfer und auch Täter der
Vertreibungen gewesen.


(Erika Steinbach [CDU/CSU]: Allein in der UdSSR!)


Wenn man das begreifen will, dann muss man anfan-
gen, sich zu überlegen, wie es eigentlich zu diesem Un-
geist gekommen ist; denn im Kern geht es um die euro-
päische Zukunft. Ich möchte einmal den Versuch machen,
darzustellen, wie ich es mir erkläre.

Ich glaube, die Ursachen reichen sehr weit zurück. Ich
denke – das wird viele erstaunen –, dass sie schon bei den




Hans-Joachim Otto (Frankfurt)

23592


(C)



(D)



(A)



(B)


Wirkungen der Französischen Revolution liegen, die Eu-
ropa einerseits Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit ge-
bracht hat, andererseits aber zum ersten Mal die Völker,
und zwar die politisch ungebildeten Völker, zum Subjekt
von Politik gemacht hat. Schon seit dieser Zeit gibt es die
andere, die dunkle Kehrseite, nämlich die des Populismus
und des Nationalismus.

Infolgedessen gab es – das ist für mich die zweite Ur-
sache – das Auseinanderbrechen der früheren euro-
päischen Großreiche, die alle multikulturelle, multiethni-
sche Großreiche und im Kleinen Vorbilder dieses Europas
der vielen Völker und der vielen Sprachen gewesen sind.
Aus diesen zusammenbrechenden Großreichen und mit
diesem Geist von Populismus und radikalem Nationalis-
mus kam eine Wahnidee auf, von der ich glaube, dass sie
die zerstörerischste Wahnidee war, die Europa je hatte,
nämlich die von ethnisch-homogenen Nationalstaaten,
sodass diese nicht mehr in der Lage waren, mit anderen
Kulturen und anderen Ethnien zusammenzuleben.

Diese Wahnidee – das ist mir außerordentlich wichtig
und deswegen müssen wir den Ansatz weiter fassen, auch
wissenschaftlich und historisch – wurde sogar von großen
Europäern geteilt. Das war der Grund, warum im Münch-
ner Abkommen gesagt wurde, wenn die Deutschen nicht
mehr mit den Tschechen zusammenleben können, dann
sollen sie doch wählen können und wieder mit ihren
Landsleuten zusammengeschlossen werden. Das waren
Menschen wie Präsident Wilson, Chamberlain, Churchill,
später Stalin, die diese Wahnidee vertreten haben und ge-
meint haben, sie könnten damit stabilere Staaten und so-
mit einen friedlicheren Zustand in Europa erreichen. Das
Gegenteil war der Fall.

Wir sind deswegen für ein europäisch ausgerichtetes
Zentrum, weil wir nur, wenn wir es so angehen, endlich
klar machen können, dass Europa immer ein Kontinent
der vielen Völker, der vielen Kulturen, der vielen Spra-
chen, der Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit sein
muss.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie des Abg. Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP])


Nur wenn wir dies verfestigen, werden wir ein Europa be-
kommen, das nie wieder in solche Wahnvorstellungen,
solche Radikalisierungen und solche exzessiven Nationa-
lismen gerät. Das ist die Aufgabe und dafür brauchen wir
ein Zentrum.

Jetzt frage ich Sie, Frau Steinbach: Können Sie diese
Aufgabe mit einem vor allen Dingen an den Deutschen
und ihrem Leid orientierten Zentrum leisten? Das können
Sie nicht. Sie müssen es dialogisch machen. Sie können
es auch nicht, indem Sie einzelne Völker zu Sünden-
böcken machen und sagen, die waren besonders schlimm,
sondern Sie müssen alle in diesen Dialog einbeziehen.
Deswegen kann er nicht ein deutsch zentrierter Dialog
und meines Erachtens auch nicht ein bilateral zentrierter
Dialog sein.

Wir wollen mit unserem Antrag erreichen, dass man
anfängt, mit den anderen europäischen Demokratien und
Parlamenten zu diskutieren, und gemeinsam darüber

nachdenkt, was Europa zerstört hat und in welchem Geist
das neue Europa gebaut werden soll. Dann macht dieses
europäisch ausgerichtete Zentrum gegen Vertreibungen
ungeheuer viel Sinn. Es wird Europa stabilisieren, es wird
es sicherer machen und es wird dieses wunderbare Europa
der vielen Völker und Staaten fähig zum Zusammenleben
machen.

Ich glaube, das ist der richtige Weg. Dafür brauchen
wir Zeit. Diesen Dialog sollten wir mit allen Parlamenta-
riern, die wir im europäischen Rahmen treffen, suchen.

Danke.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1423617800
Für die PDS-Fraktion
erteile ich jetzt dem Kollegen Dr. Heinrich Fink das Wort.


Dr. Heinrich Fink (PDS):
Rede ID: ID1423617900
Sehr verehrte Frau Präsiden-
tin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Um gleich
Vorurteilen entgegenzutreten: Meine Fraktion ist für eine
konsequente wissenschaftliche Aufarbeitung der Ge-
schichte der Vertreibung, für ein aufdeckendes historisches
Verfahren ohne Wenn und Aber und ohne Rücksicht auf
Biografien der Verursacher sowie für schonungslose Of-
fenheit gegenüber der Geschichte, um den Völkern der Ver-
triebenen zu Verständigung und Versöhnung zu verhelfen.

Doch Zahlen und Daten sind Quellen. Daher verraten
sie bereits eine Absicht. Ich kann es nicht verhehlen: Ich
meine in diesem Zusammenhang zum Beispiel den An-
trag der CDU/CSU. Wenn im Antrag der CDU/CSU von
15 Millionen Vertreibungsopfern gesprochen wird, dann
sind damit die Vertriebenen des Zweiten Weltkrieges in
den Jahren 1942 bis 1945 gemeint.

Doch die Vertreibung hat bereits zu Beginn dieses
Jahrhunderts begonnen. Daher stimme ich folgendem
Satz im Antrag der SPD und des Bündnisses 90/Die Grü-
nen voll zu: Die Forschungsstätte „soll die Vertreibungen
im Europa des 20. Jahrhunderts in ihren verschiedenen
Ursachen, Kontexten und Folgen, darunter die Vertrei-
bung der Deutschen, dokumentieren“.

Leider habe ich nicht die Zeit, Länder und Daten von
Vertreibungen im 20. Jahrhundert aufzuzählen. Ihnen
selbst fallen ja gleich Armenien, Griechenland und die
Türkei ein. Wenn wir uns auf Deutschland beschränken
würden, wären die Zahlen der vertriebenen Juden auf je-
den Fall mitzurechnen, ebenso die der Polen, Tschechen
und Russen sowie die all derjenigen aus von Deutschland
besetzten europäischen Staaten, die als Zwangsarbeiter
nach Deutschland deportiert wurden.

Die deutsche und europäische Geschichtswissenschaft
hat eine ausgezeichnete Faschismusforschung vorzuwei-
sen. Die Dimension der Vertreibung ist darin präzise un-
tersucht worden. Die älteste Wurzel aller Vertreibungen,
liebe Frau Vollmer, kommt aus dem Antijudaismus, der
im 19. Jahrhundert in Deutschland zum Antisemitismus
geworden ist. In einem Zentrum der Vertreibung sollte
deshalb dafür breiter Raum sein.




Dr. Antje Vollmer

23593


(C)



(D)



(A)



(B)


Es sei mir ein Seitenblick erlaubt: Wir lesen heute in
der Presse von einem neuen Antisemitismus. Ich wundere
mich, was an diesem neu sein soll. Es ist doch der alte la-
tente. Neu ist nur, dass er heute am Verhalten gegenüber
dem Staat Israel deutlich gemacht wird, nämlich an Ver-
triebenen.

Ich bitte Sie: Vertreibung muss weiter erforscht und
politisch analysiert werden, darf aber politisch nicht in-
strumentalisiert werden. Deshalb ist für mich die Debatte
am heutigen Tag, kurz vor Pfingsten, verdächtig. Zu
Pfingsten finden die Heimatvertriebenentreffen statt. Ich
hoffe, dass hier keine Reden aus dem Fenster gehalten
worden sind.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich spreche nicht ohne
Erfahrung. Ich bin ein Flüchtlingskind. Ich bin von 1940 bis
1945 aus Bessarabien nach Brandenburg getrieben worden.
Ich habe aber bald begriffen: Vertrieben haben uns nicht die
Russen oder die Polen, sondern diejenigen, die den Krieg
von Deutschland aus angefangen haben.


(Beifall des Abg. Uwe Hiksch [PDS])

Wir sollten an diesem Punkt politisch sehr sensibel

sein, und zwar gerade mit Blick auf Tschechien und Po-
len, an deren Beitritt zur Europäischen Gemeinschaft wir
arbeiten. Sollten wir deshalb nicht deren Meinung zu
einem solchen Zentrum für die Vertriebenen Europas mit
einholen? Wenn ein Konzept erarbeitet wird, dann nicht
ohne sie, nicht ohne deren Beratung und deren Be-
teiligung. Daher ist an dem Gedanken im Antrag der SPD
und des Bündnisses 90/Die Grünen festzuhalten: „Ein sol-
ches Projekt ist eine europäische Aufgabe.“

Da der Kulturausschuss federführend sein wird, kann
ich Sie nur bitten, diesen Antrag an ihn zu überweisen. Ich
hoffe nur, wir könnten noch in dieser Legislaturperiode
darüber diskutieren.

Vielen Dank.

(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Gert Weisskirchen [Wiesloch] [SPD]: Nicht nur diskutieren! Entscheiden!)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1423618000
Staatsminister Profes-
sor Dr. Nida-Rümelin hat seine Rede zu Protokoll gege-
ben.1) Deswegen erteile ich dem Kollegen Dr. Norbert
Lammert für die CDU/CSU-Fraktion das Wort.


(Dr. Antje Vollmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ein guter Europäer muss für das nationale Zentrum reden!)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1423618100
Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Den wichtigsten Zweck
hat der Antrag der CDU/CSU-Fraktion bereits erreicht:
eine breite öffentliche Befassung, und zwar nicht nur in
Deutschland, mit einem Thema, das weder historisch
noch politisch als erledigt betrachtet werden kann – die

Vertreibung. Deswegen haben wir im Übrigen gerne die
überparteiliche Initiative der Stiftung „Zentrum gegen
Vertreibungen“ aufgegriffen, die nach unserem Verständ-
nis die Tradition der Veröffentlichung herausragender
Dokumente und des verantwortlichen Umgangs von Be-
troffenen mit den dramatischen Verirrungen der deut-
schen und europäischen Geschichte im letzten Jahrhun-
dert fortsetzt, die mit der Charta der Heimatvertriebenen
begonnen hat.

Wir begrüßen die nachgereichten Anträge sowohl der
Koalitionsfraktionen als auch der FDP ausdrücklich, weil
sie deutlich machen, dass es im Kern eine breite Überein-
stimmung bezüglich der Notwendigkeit der Beschäfti-
gung mit diesem Thema und – das kann ich aufgrund die-
ser Debatte sagen – ganz offensichtlich auch bezüglich
der Orientierung bei der Beschäftigung mit diesem Thema
gibt. Ich darf in diese, natürlich ganz subjektive, Bewer-
tung die zu Protokoll gegebene Rede des Staatsministers
ausdrücklich einbeziehen; er hat sie mir freundlicher-
weise zu Beginn der Debatte zur Verfügung gestellt.


(Dr. Antje Vollmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ja ein Vorzug! – Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Das ist ja ein Privileg!)


– Die Spekulationen, die das nun auslöst, nehme ich mit
einem gewissen Vergnügen in Kauf.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1423618200
Erzählen Sie doch
einmal, was der gesagt hätte.


(Heiterkeit bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1423618300
Da die Präsiden-
tin darauf besteht, will ich Sie nicht gänzlich enttäuschen.
Der Staatsminister hatte ausdrücklich vortragen wollen,
dass der Antrag der CDU/CSU-Fraktion Bezug auf eine
Initiative des Bundes der Vertriebenen nehme und er in ei-
nem ersten Gespräch Ende März vergangenen Jahres mit
Frau Steinbach die Pläne zur Einrichtung eines Zentrums
erörtert und dabei seine prinzipielle Zustimmung signali-
siert habe.


(Dr. Karl-Heinz Hornhues [CDU/CSU]: Hört! Hört!)


Er hat hinzugefügt – das entspricht, wie ich finde, die-
ser Debatte in vollem Umfang –: Er habe damals bereits
darauf hingewiesen, dass es aus seiner Sicht keine thema-
tische Engführung eines solchen Zentrums etwa in dem
Sinne geben dürfe, dass nur die Vertreibung von Deut-
schen Gegenstand sein dürfe. Ich stelle auch an der Stelle
ausdrücklich Konsens fest. Dies ist ganz offenkundig we-
der die Absicht der Initiatoren und schon gar nicht ist das
die Absicht der CDU/CSU-Fraktion. Uns liegt daran, die
Schlüsselbedeutung, die dieses Thema nicht nur in der
Vergangenheit für die Entwicklung der deutschen und eu-
ropäischen Geschichte hatte, und die im wörtlichen und
übertragenen Sinne blutigen Spuren, die dieses Thema bis
in die Gegenwart hineinzieht, zum Gegenstand der öf-
fentlichen Aufmerksamkeit zu machen und es kontinuier-
lich zu vertiefen.




Dr. Heinrich Fink
23594


(C)



(D)



(A)



(B)


1) Anlage 6


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1423618400
Nun kommt die
Frage, ob Sie eine Frage des Kollegen Meckel zulassen.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1423618500
Mit Vergnügen.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1423618600
Bitte sehr, Herr Kol-
lege Meckel.


(Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Er möchte wissen, was der Kollege Nida-Rümelin noch gesagt hat!)


– Das wäre dann zu lange, Herr Kollege.


Markus Meckel (SPD):
Rede ID: ID1423618700
Lieber Dr. Lammert, ich
möchte an Sie die Frage stellen, ob Sie mit mir darin über-
einstimmen, dass wir, wenn wir die deutsche Vertreibung
in den Blick nehmen – damit meine ich nicht die Vertrei-
bung, die wir Deutschen anderen zugefügt haben, wie es
sie auch zuhauf gab, sondern die Vertreibung der Deut-
schen –, automatisch auch über russische – sowjetische –,
polnische und tschechische Geschichte reden müssen


(Erika Steinbach [CDU/CSU]: Das ist so!)

und dass wir dies von Anfang an nicht nur allein tun, son-
dern schon bei der Erarbeitung des Konzeptes mit den an-
deren zusammenarbeiten sollten. Würden Sie mir darin
zustimmen?


(Dr. Helmut Lippelt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hat er längst zugesagt!)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1423618800
Jawohl, Herr
Meckel, ich stimme Ihnen ausdrücklich zu. So viel Über-
einstimmung gab es selten. Wir müssen geradezu nach
Meinungsverschiedenheiten suchen, eine Verlegenheit, in
die wir ja bei Debatten des Deutschen Bundestages ver-
gleichsweise selten kommen.


(Eckhardt Barthel [Berlin] [SPD]: Dann stimmen Sie unserem Antrag zu!)


Ich darf Sie aber ausdrücklich noch einmal auf einen
Satz in unserem Antrag verweisen, der die besondere Ver-
antwortung reklamiert, die wir für dieses Thema haben:

Deutschland
– so schreiben wir in unserem Antrag –

hat aufgrund seiner historischen Erfahrungen und
des leidvollen Schicksals von mehr als 15 Millionen
Vertreibungsopfern ein besonderes Verhältnis zu den
Ursachen wie den Folgen von Vertreibungen. Daraus
ergibt sich eine besondere Verantwortung für die
Aufarbeitung von Geschichte und Schicksal der da-
von betroffenen Menschen.

Ich stimme dem ausdrücklich noch einmal zu, was Sie ge-
rade zum Gegenstand Ihrer Frage gemacht haben.

Um allen Missverständnissen vorzubeugen, möchte
ich für meine Fraktion am Schluss unserer Debatte noch
einmal drei Punkte ganz knapp ansprechen. Vorher
möchte ich im Übrigen nicht versäumen, mich ausdrück-
lich für den bemerkenswerten Appell zu bedanken, den
zwei renommierte polnische Publizisten, nämlich Adam

Michnik und Adam Krzeminski, in den letzten Tagen zu
diesem Thema ausdrücklich an die beiden Regierungs-
chefs gerichtet haben.
Das macht deutlich, dass dies eben nicht nur ein deut-
sches, nicht nur ein polnisches, übrigens aber auch kein
bilaterales Thema ist


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


und dass es in diesem zusammenwachsenden Europa im-
mer besser gelingt, auch über komplizierteste Vorgänge
der deutschen und europäischen Geschichte eine Verstän-
digung zu erzielen und eine gemeinsame Gesprächsbasis
zu finden. Es wäre in der Tat ein unentschuldbares Ver-
säumnis, wenn man diese Chance nicht aufgriffe und
nicht den Versuch unternähme, auf dieser Basis Gemein-
sames zu bauen.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)


Drei knappe Bemerkungen zum Schluss.
Erstens. Weil es so ist, wie es ist und in dieser Debatte

von allen Seiten deutlich gemacht worden ist, sollte die
Frage, wo ein solches Zentrum seinen Sitz findet, nun
wirklich nicht für die entscheidende Frage erklärt werden.


(Beifall des Abg. Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP])


Sie ist keineswegs unwichtig.

(Dr. Helmut Lippelt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!)

Aber wichtig ist, ob wir in dem Anliegen übereinstimmen,
das mit einem solchen Zentrum gegen Vertreibungen
zum Ausdruck gebracht werden soll.


(Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: So ist es!)


Ich kann nicht erkennen, dass es nur und ausschließlich in
Berlin seinen Sitz haben könnte, wie die Initiatoren mit
guten Gründen vorschlagen. Ich kann allerdings auch
nicht erkennen, dass es auf gar keinen Fall seinen Sitz in
Berlin haben könnte. Das sollten wir in Ruhe dem Verlauf
weiterer Gespräche überlassen.

Zweitens. Weil ich gelegentlich in den vergangenen
Tagen die Bemerkung gelesen habe, einen besonderen
Anspruch Berlins auf ein solches Zentrum könne man
nicht erkennen, will ich mir folgende Bemerkung gestat-
ten: Eine Attraktion wird dieses Zentrum nicht. Jedenfalls
nach unserer Überzeugung von dem, was da stattfinden
soll, kann es keine städtische Attraktion werden. Es wird
ein Stachel im Fleisch der Stadt sein, in der es seinen Sitz
findet, und es muss ein Stachel im Fleisch der Stadt, des
Landes und dieses Europas sein, das sich diese Verirrun-
gen gemeinsam geleistet hat.

Drittens. Die wesentliche Funktion dieses Zentrums,
wenn es denn – hoffentlich – zustande kommt, wird darin
bestehen, eine europäische Übereinstimmung in der
Wahrnehmung dieses Vorgangs zum Ausdruck zu brin-
gen, nämlich dass Vertreibungen unschuldiger Menschen






(C)



(D)



(A)



(B)


aus ihrer angestammten Heimat – wodurch auch immer
sie veranlasst gewesen sein mögen –, immer Unrecht sind.

Wenn wir das gemeinsam betreiben, dann leisten wir
einen erheblichen Beitrag zum Bau eines Europas, um das
wir uns gemeinsam bemühen.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1423618900
Ich danke für diese
Debatte und schließe sie.

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf
Drucksachen 14/8594 (neu), 14/9033 und 14/9068 an die
in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorge-
schlagen. Die Vorlage auf Drucksache 14/9068 soll zu-
sätzlich an den Auswärtigen Ausschuss überwiesen wer-
den. – Damit sind Sie einverstanden. Dann sind die
Überweisungen so beschlossen.

Nun rufe ich Tagesordnungspunkt 9 a sowie Zusatz-
punkt 17 auf:
9. a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Rainer

Funke, Jörg van Essen, Dr. Edzard Schmidt-
Jortzig, weiteren Abgeordneten und der Fraktion
der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes

(Rechtsanwaltsvergütungsgesetz – RVG)

– Drucksache 14/8818 –
Überweisungsvorschlag:
Rechtausschuss (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie

ZP 17 Erste Beratung des von den Abgeordneten Alfred
Hartenbach, Hermann Bachmaier, Anni Brandt-
Elsweier, weiteren Abgeordneten und der Fraktion
der SPD sowie den Abgeordneten Volker Beck

(Köln), Hans-Christian Ströbele, Kerstin Müller


(Köln), Rezzo Schlauch und der Fraktion des

BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Neuordnung des

(Rechtsanwaltsvergütungs-Neuordnungsgesetz – RVNeuOG)

– Drucksache 14/9037 –
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Dem stim-
men Sie zu.

Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem
Kollegen Rainer Funke für die FDP-Fraktion.


Rainer Funke (FDP):
Rede ID: ID1423619000
Frau Präsidentin! Meine Da-
men und Herren! Es ist sehr gut, dass wir heute über zwei
Entwürfe zur Rechtsanwaltsvergütung diskutieren kön-

nen. Es ist zum einen der Gesetzentwurf der FDP-Frak-
tion vom 18. April und zum anderen der Entwurf der
Koalitionsfraktionen vom 14. Mai 2002.

Beiden Entwürfen ist gemein, dass anerkannt wird, dass
eine strukturelle Änderung des anwaltlichen Kostenrechts
erfolgen muss. Denn schließlich ist die letzte strukturelle
Veränderung im Jahre 1986 und die letzte lineare Anpas-
sung im Jahre 1994 gewesen. Kaum ein Berufsstand hat
so lange ohne Gebührenerhöhungen auskommen müssen,
obwohl die Kosten gerade in den letzten acht Jahren im-
mens gestiegen sind.


(Beifall bei der FDP)

So hat die Bundesjustizministerin sehr konsequent

schon zu Beginn der Legislaturperiode angekündigt, dass
eine strukturelle Änderung der Rechtsanwaltsvergütung
erfolgen werde. Zur Vorbereitung dieses Gesetzes hat sie
eine Expertenkommission berufen, die im Frühsommer
des vergangenen Jahres ihre Arbeit beendet hat und deren
Arbeit fast einhellig von allen Organen der Rechtspflege
und im Übrigen auch von der Bundesjustizministerin be-
grüßt wurde. Nur, das angekündigte Gesetz blieb aus und
es dauerte lange, bis diese Veränderungen überhaupt in
die Öffentlichkeit drangen.

Als es unsicher wurde, ob das versprochene Gesetz
noch in dieser Legislaturperiode eingebracht würde, hat
unsere Fraktion kurzerhand den Kommissionsentwurf ge-
nommen und ihn zum Gesetzentwurf gemacht,


(Beifall bei der FDP – Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Das war auch nötig!)


um die Bundesregierung in ihrem Handeln zu treiben.

(Dr. Herta Däubler-Gmelin, Bundesministerin: Urheberrechte! – Gegenruf des Abg. HansJoachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Keine Urheberrechtsverletzung!)


– Ich weiß das; ich weiß auch, dass die Bundesregierung
darüber nicht begeistert gewesen ist. – Frau Ministerin,
ich möchte Sie ungern unterbrechen.


(Dr. Herta Däubler-Gmelin, Bundesministerin: Ich rede nicht! – Alfred Hartenbach [SPD]: Er hat ein schlechtes Gewissen! Man merkt es!)


– Nein, ich habe überhaupt kein schlechtes Gewissen;
denn es ist nun einmal die Aufgabe der Opposition, die
Regierungskoalition und die Bundesregierung zu treiben.
Das sieht unser System vor; das machen wir auch gern,
weil es uns viel Spaß macht.


(Alfred Hartenbach [SPD]: Sie brauchen uns nicht zu treiben! Wir sind hier!)


Die vorgesehenen strukturellen Veränderungen waren
in weiten Bereichen im Referentenentwurf des Ministeri-
ums und im Entwurf der FDP identisch. Der jetzt vorge-
legte Entwurf der Koalitionsfraktionen sieht dagegen eine
drastische Verschlechterung gegenüber dem Referenten-
entwurf vor. In 37 Positionen


(Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Er hat gezählt!)


gibt es ganz erhebliche Verschlechterungen und lineare
Erhöhungen kommen überhaupt nicht vor.




Dr. Norbert Lammert
23596


(C)



(D)



(A)



(B)


Offensichtlich soll die unbotmäßige Anwaltschaft ab-
gestraft werden. Wie sich dieses Verhalten des Rachefeld-
zugs mit der verbalen Anerkennung der Anwaltschaft als
Rechtspflegeorgan vereinbaren lässt, ist mir nicht be-
greiflich.

Gegenüber dem FDP-Entwurf, der auch lineare Er-
höhungen vorsieht, ist von der Bundesjustizministerin
das Schreckensszenario einer Gebührenerhöhung von
40 Prozent geltend gemacht worden. Das ist natürlich
nicht wahr, das weiß die Bundesjustizministerin auch. Es
dürfte sich durchschnittlich um eine Erhöhung um rund
20 Prozent handeln. Diese ist auch berechtigt, weil die
Anwaltschaft immerhin acht Jahre lang gewartet


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


und keine Erhöhung bekommen hat und auch wieder viele
Jahre wird warten müssen. Wenn man das alles einbe-
zieht, ist eine jährliche Steigerungsrate von eher unter
2 Prozent durchaus angemessen.

Bei dieser Gelegenheit lassen Sie mich daran erinnern,
dass die Frau Bundesjustizministerin den Gebührenab-
schlag für Ostanwälte noch beim Anwaltstag als nicht
gerechtfertigt bezeichnet hat. Trotzdem hat sie bis heute
nicht eine entsprechende Verordnung vorgelegt, obwohl
sie durchaus in der Lage gewesen wäre, eine Ministerver-
ordnung zu erlassen und die 10 Prozent zu streichen.


(Dr. Herta Däubler-Gmelin, Bundesministerin: Unfug!)


Nur auf den Hinweis, dass die wirtschaftlichen Ver-
hältnisse im Osten und Westen gleich sein müssen, kön-
nen Sie sich kaum stützen; denn auch im Westen gibt es
Unterschiede zwischen Ostfriesland und München oder
Hamburg.


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehen Sie das bei den Tarifverträgen auch so?)


– Genauso, lieber Herr Beck.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1423619100
Herr Kollege, Sie ha-
ben Ihre Redezeit weit überschritten.


Rainer Funke (FDP):
Rede ID: ID1423619200
Gerade deswegen sind wir ge-
gen die Flächentarifverträge, Herr Beck.

Meine Damen und Herren, lassen Sie uns diese beiden
Gesetzentwürfe im Rechtsausschuss gründlich beraten.
Ich hoffe, dass wir hier noch zu einer Verbesserung nicht
nur im Interesse der Anwaltschaft, sondern auch des
Rechtsstaats gelangen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1423619300
Ich erteile nun das
Wort der Frau Bundesjustizministerin Dr. Herta Däubler-
Gmelin.


(Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Jetzt sind wir aber gespannt!)


Dr. Herta Däubler-Gmelin, Bundesministerin der
Justiz: Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Ich glaube, dass Sie gespannt sind. Es ist im-
mer wieder eine Freude, zu erleben, wie der Kollege
Funke in der Opposition redet. Heute hat er uns wieder
eine neue Kunstform vorgemacht: die neue Mischung
zwischen Trittbrettfahren, Raubkopieren und kreativem
Verschleiern der Urheberschaft.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich muss Ihnen sagen, es hat mich sehr gefreut, Ihre Dar-
stellung zu hören, denn weiter entfernt von der Wahrheit
könnte man gar nicht sein.

Sie wissen ganz genau: Ansatzpunkt für die Diskussion
über die beiden Gesetzentwürfe und die Gerichtskosten-
novelle, die Sie ganz übersehen haben, ist die Moderni-
sierung der Justiz. Zu dieser Schwerpunktaufgabe gehört
selbstverständlich auch die Regelung der Anwaltsvergü-
tung. Die Anwälte wären übrigens verlassen, wenn sie
sich auf Leute wie Sie oder Vorschläge wie den Ihrigen
verlassen würden, lieber Kollege Funke.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Meine Damen und Herren, die Modernisierung der Ge-
bührenordnung wird seit etwa zwei Jahren durch eine Ex-
pertenkommission von Bund, Ländern und Anwalt-
schaft beraten. Diese Expertenkommission hat einen
Entwurf vorgestellt, nach dem es zu inhaltlichen Verein-
fachungen für Anwälte und Gerichte sowie zu mehr
Transparenz für die Bürger kommen wird. In ihm steht,
dass leistungsorientiertere Vergütungsregelungen, zum
Beispiel durch die Erhöhung der Gebühren für das Er-
mittlungsverfahren und für Pflichtverteidiger, eingeführt
werden sollen. Ganz besonders wichtig ist, dass die außer-
gerichtliche Erledigung gefördert werden soll. Darüber hi-
naus enthält er Aussagen über Regelungen am Beginn des
Vergütungsverzeichnisses, über die Umgestaltung der Ver-
gleichsgebühr zur Einigungsgebühr für jede Form der ver-
traglichen Streitbeilegung und – das ist erstmals der Fall –
über die Mediation im anwaltlichen Vergütungsrecht.

Herr Funke, ich weiß, dass man es, wenn man es schon
einbringt, noch einmal lesen muss, um das überhaupt zu
sehen. Der Entwurf enthält übrigens auch bisher nicht ge-
regelte anwaltliche Tätigkeiten, zum Beispiel Hilfeleis-
tungen in Steuerangelegenheiten, Zeugenbeistand und die
Förderung von Gebührenvereinbarungen. Auch das ist ein
wichtiger Punkt.

In diesem Zusammenhang ist das, was Ihnen offen-
sichtlich am wichtigsten ist – wen wundert das aber bei
der FDP –, nämlich die Gebührenhöhung, auch ein
Punkt. Die faire und angemessene Anpassung der seit
1994 nicht erhöhten Gebühren wird angesprochen. Sie ha-
ben übrigens auch vergessen, die in dieser Zeit wegen des
Geldwertverfalls erfolgten Steuer- und Gebührener-
höhungen in Höhe von rund 14 bis 15 Prozent – es war je-
weils abhängig vom Streitwert – zu erwähnen.


(Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Das ist aber doch degressiv! – Gegenruf des Abg. Rainer Funke 23597 Alfred Hartenbach [SPD]: Deswegen nagen Sie doch nicht am Hungertuch! – Rainer Funke [FDP]: Schauen Sie sich doch einmal die Gebührenordnung an!)





(C)


(D)


(A)


(B)


Gestatten Sie mir, Folgendes zu sagen: Ob er es nun merkt
oder gar am Hungertuch nagt – das wäre für einen besser-
verdienenden FDP-Angehörigen ohnehin ein Skandal –, ist
ziemlich zweitrangig. Wir müssen die vorhandenen Ge-
bührenerhöhungen natürlich dazurechnen. Dann wird klar,
dass das, was Sie hier machen, ein relativer Skandal ist.

Was haben wir getan? Wir haben, so, wie wir es mit den
Ländern – übrigens mit allen Ländern – abgesprochen ha-
ben, den Expertenentwurf, nach dem es zu einer etwa
20-prozentigen Gebührenerhöhung käme, den Ländern
zur Stellungnahme übersandt. Diese haben uns gesagt,
dass sie ihn nicht mittragen können. Sie haben gesagt,
dass sie zwei zusätzliche Komponenten brauchen, näm-
lich ein Gerichtskostengesetz und eine leicht abgespeckte
Version. Diese haben wir am 12. April gemeinsam mit ih-
nen erarbeitet. Das ist die Version, die die Fraktionen der
SPD und der Grünen jetzt vorlegen.

Wir können diese Gebührenreform und auch die faire
und angemessene Erhöhung, für die ich bin, nur gemein-
sam mit den Ländern erreichen. Das kann übrigens auch
nur gemeinsam – lassen Sie mich das einmal sehr deutlich
sagen – mit der Öffentlichkeit und mit Vertretern der
Rechtsschutzversicherung, die alle mit uns an einem
Tisch sitzen, geschehen.

Ich sage Ihnen: Wer das will, muss auch das bisher ein-
geschlagene Verfahren für richtig halten. Sie sind herzlich
eingeladen, sich daran zu beteiligen. Dass Sie einen Ex-
pertenentwurf vorlegen, der für die Länder ohnehin nicht
zustimmungsfähig ist, weil er zu teuer ist und weil er – das
können Sie mit den Sozialdemokraten und den Grünen
einfach nicht machen – den Zugang zum Recht für die
nicht Besserverdienenden außerordentlich erschwert,
macht keinen Sinn.


(Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Kennen Sie die Prozesskostenhilfe?)


Nun bringen Sie weitere einseitige Forderungen von den
Leuten, die Sie schlecht beraten haben, in Höhe von zu-
sätzlichen 20 Prozent vor. Erinnern Sie sich einfach an die
Worte des Ministerpräsidenten des Landes Bayern auf
dem Anwaltstag: Zu viel ist zu viel. – Lieber Herr Funke,
das geht halt nicht.

Deswegen bitte ich Sie – gerade wenn Sie es mit den
Anwälten ernst meinen; dieses Bemühen ist Ihnen, wenn
auch der Weg höchst merkwürdig ist, gar nicht abzuspre-
chen –, die entsprechenden Gesichtspunkte zu beachten.
Gestalten Sie es einfach so seriös, wie es sein sollte.

Diese Bitte bezieht sich übrigens auch auf den 10-pro-
zentigen Gebührenabschlag. Sie wissen ganz genau,
dass die rechtlichen Voraussetzungen für eine Verordnung
nicht gegeben sind. Wenn Sie es nicht wissen, sage ich es
Ihnen gern noch einmal; wir haben bereits mehrfach da-
rüber geredet. Es ist ganz einfach. Auch ich bin der Mei-
nung, dass unsere Kolleginnen und Kollegen aus den
neuen Bundesländern dieses als genauso demütigend
empfinden wie zum Beispiel Arbeitnehmerinnen und Ar-

beitnehmer, die in den östlichen Ländern eingestellt wer-
den. Deswegen werden Sie auch unter den Justizministern
– das hoffe ich jedenfalls – und Rechtspolitikern dazu
keine Differenz finden. Das Problem ist, dass uns die Ka-
binette der ostdeutschen Länder erklären, sie könnten das
nicht tun.


(Rainer Funke [FDP]: Sachsen und Thüringen sehen das anders!)


Sie sind jetzt ja in Sachsen-Anhalt auch am Ruder.
Wenn Sachsen-Anhalt, Thüringen, Sachsen, Mecklen-
burg-Vorpommern und Brandenburg erklären, dass sie
dies tun könnten, dann werden Sie sehen, dass dies keine
Probleme mehr machen wird. Aber so unseriös über die
Probleme der neuen Länder hinwegzugehen ist nicht Sa-
che der Bundesregierung. Das machen auch die Kollegin-
nen und Kollegen der Koalitionsfraktionen nicht mit.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1423619400
Für die CDU/CSU-
Fraktion spricht jetzt der Kollege Dr. Norbert Röttgen.


(Alfred Hartenbach [SPD]: Herr Röttgen, mäßigen Sie sich! – Dirk Manzewski [SPD]: Kann er nicht! Wenn er grinst, dann geht es los! – Gegenruf der Abg. Ilse Falk [CDU/CSU]: Hat er schon einmal über die Stränge geschlagen?)



Dr. Norbert Röttgen (CDU):
Rede ID: ID1423619500
Frau Präsidentin!
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Diskussion
um das Rechtsanwaltsvergütungsgesetz bietet die Gele-
genheit, den rasant fortgeschrittenen politischen Muskel-
schwund der rot-grünen Bundesregierung auf dem Gebiet
der Rechtspolitik zu beobachten. Dazu gibt es viele Gele-
genheiten. Sie haben keine Kraft mehr. Darüber kann
auch Ihre Rede nicht hinwegtäuschen. Ich werde gleich
im Einzelnen darauf eingehen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Alfred Hartenbach [SPD]: Ich würde es auf eine Kraftprobe nicht ankommen lassen!)


Das Besondere an diesem Thema der Novellierung der
Rechtsanwaltsvergütung ist, dass es seit Jahren zwischen
Anwaltschaft, Richterschaft, Landesjustizverwaltung,
Bundesjustizministerium, Regierung und Opposition ei-
nen Konsens über das Ziel der Vereinfachung des Kos-
tenrechts, das Gebot einer strukturellen inhaltlichen Neu-
gewichtung und die Notwendigkeit der wirtschaftlichen
Anpassung gibt. Aber es geschieht nichts. Über Jahre hat
die Bundesregierung auf diesem Gebiet nichts gemacht.
Nachdem es, wie schon häufig in dieser Legislaturperi-
ode, wieder eine Anzeigenkampagne gegen die Bundes-
regierung aus der Anwaltschaft und von den Betroffenen
gegeben hat


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Diesmal war der Kanzler schuld!)


– auf den Kanzler komme ich gleich zu sprechen –, wird
auf äußersten Druck in letzter Sekunde ein relativ küm-




Bundesministerin Dr. Herta Däubler-Gmelin
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merlicher Torso zuwege gebracht. Das ist das Ergebnis
jahrelanger Versprechungen.

Auf viele Ihrer grandiosen Reformwerke hätten die Be-
troffenen gerne und dankend verzichtet.


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich bin auf die Vorschläge der Länder in dieser Frage gespannt!)


Das, was notwendig ist und von allen übereinstimmend ge-
fordert wird, leistet die Bundesregierung nicht. „Verspro-
chen und gebrochen“ wird immer mehr zum Leitmotiv
dieser Bundesregierung und zu ihrer Abschlussmelodie.

Frau Bundesjustizministerin, Sie haben eben zu mei-
nem völligen Unverständnis betont, dass Ihr Vorschlag in
Übereinstimmung mit der Anwaltschaft steht und dass das
Rechtsanwaltsvergütungsgesetz, das die Expertenkom-
mission erarbeitet und das sich die FDP zu Eigen gemacht
hat – daran besteht gar kein Zweifel und sie hat keinen
Hehl daraus gemacht –, nicht von der Anwaltschaft ge-
fordert wird. Das glatte Gegenteil ist der Fall. Ich muss
Sie fragen: Reden Sie gelegentlich mit der Anwaltschaft?
Sind Sie mit ihr noch im Gespräch?

Ich lese Ihnen zur Sicherheit den ersten Punkt der Re-
solution der 91. Hauptversammlung der Bundesrechtsan-
waltskammer vom 19. April dieses Jahres – das ist noch
nicht lange her – vor. Er lautet:

Die Hauptversammlung stellt mit Enttäuschung fest,
dass die Bundesministerin der Justiz bis heute ihr Ver-
sprechen vom Sommer 2000, in dieser Legislaturpe-
riode das Rechtsanwaltsvergütungsgesetz durchzu-
setzen, bisher nicht erfüllt hat.

Das ist die Wahrheit und nichts anderes. Die Bundesre-
gierung hat nicht das geleistet, was sie versprochen hat.

Die Bundesjustizministerin hat ihre Durchsetzungs-
kraft in vielen Prestigeprojekten, aus denen überwiegend
nichts geworden ist, aufgezehrt. Die „FAZ-Sonntagszei-
tung“ vom 24. März 2002 schreibt dazu: Es hat nicht ir-
gendein Ministerpräsident interveniert, sondern der Bun-
deskanzler hat sich, obwohl er nicht dafür bekannt ist,
dass ihn rechtspolitische Fragen wahnsinnig interessie-
ren, erneut mit der Rechtspolitik beschäftigen müssen und
die Bundesjustizministerin mit ihrem Vorhaben gestoppt.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Hört! Hört!)

Das ist die Wahrheit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Die Bundesjustizministerin kann sich nicht durchsetzen.
Darum ist nichts auf den Tisch gekommen. Aus diesem
Grunde gab es zwei Tage vor dieser Debatte einen Ge-
setzentwurf von Ihnen. Ich weiß nicht, ob das so stimmt.
Ich habe nur die Pressemeldung zitiert. Aber ich bin der
festen Überzeugung: Da, wo Rauch ist, ist auch Feuer; an
dieser Stelle ganz gewiss.


(Alfred Hartenbach [SPD]: Wissen Sie überhaupt, wovon Sie reden?)


Dabei gibt es eine exzellente Vorlage, nämlich den Ent-
wurf eines Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes einer Ex-

pertenkommission. Nur um es noch einmal in Erinnerung
zu rufen: Dabei handelte es sich nicht um eine Experten-
kommission der FDP-Fraktion, sondern um eine Kommis-
sion, die einen Entwurf vorgelegt hat und aus Vertretern
der Anwaltschaft, der Richterschaft, den Landesjustizmi-
nisterien und dem Bundesjustizministerium zusammenge-
setzt war. Sie haben eben so getan, als hätten Sie mit die-
sem Entwurf gar nichts zu tun, als sei er irgendein dreistes
Lobbywerk gewesen. Nein, das war auch das Werk der
Bundesjustizministerin. Sie hat es nur nicht politisch
durchsetzen können, meine Damen und Herren. Das ist
die Wirklichkeit.

Nun haben Sie einen eigenen Entwurf eines Rechts-
anwaltsvergütungsgesetzes vom Sommer 2001 vorge-
legt. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion bedauert aus-
drücklich, dass nicht die Mehrheit diesen Entwurf als
Gesetzentwurf in das Plenum eingebracht hat,


(Beifall bei der CDU/CSU – Norbert Geis [CDU/CSU]: Das ist wahr!)


aber nicht, weil wir der Auffassung sind, dass dieser Ent-
wurf 1:1 oder auf Punkt und Komma hätte umgesetzt wer-
den müssen, sondern weil es sich dabei um eine Exper-
tengrundlage handelt. Wir sind der Gesetzgeber, nicht die
Kommission, aber der Kommissionsentwurf war die rich-
tige Grundlage, um zu diskutieren und möglicherweise zu
Veränderungen zu kommen. Insgesamt aber stimmt dieser
Entwurf; das ist keine Frage. Er ist übrigens auch schon
ein Kompromiss zwischen unterschiedlichen Beteiligten
gewesen.

Ich möchte Ihnen weiterhin, weil Sie offensichtlich
nicht sehr gut über die Befindlichkeit der Anwaltschaft in-
formiert sind, Frau Justizministerin, aus dem Schreiben
des Präsidenten der Bundesrechtsanwaltskammer vor-
lesen, das er an die Koalitionsfraktionen und auch an die
anderen Fraktionen des Hauses adressiert hat und das viel
über die Befindlichkeit der Anwaltschaft im Hinblick auf
den Umgang mit ihr aussagt. Darum zitiere ich bewusst
im Plenum aus diesem Schreiben von Herrn Dr. Dombek
an die Fraktionen:


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Soll ich es mitlesen?)


Auf dem Anwaltstag in München
– er hat vergangene Woche stattgefunden –

erklärte der Pressesprecher des BMJ gegenüber der
Presse, der Entwurf des Rechtsanwaltsvergütungs-
neuordnungsgesetzes könne seitens des BMJ noch
nicht zur Verfügung gestellt werden, da es sich um
einen Entwurf der Koalitionsfraktionen handle.


(Alfred Hartenbach [SPD]: Merkwürdig!)

Eine Stunde später zitierte der Ministerialrat im BMJ
Otto aus dem Entwurf der Koalitionsfraktionen;

(Dr. Herta Däubler-Gmelin, Bundesministerin: Er hat ihn ja auch geschrieben!)

er legte im Einzelnen dar, welche Änderungen ge-
genüber dem Kommissionsbericht erfolgt seien.
Später legte in der Diskussion die Hausleitung des
BMJ dar, dass der Entwurf nicht der Diskontinuität




Dr. Norbert Röttgen

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anheim fallen werde, weil er gleichzeitig als Koaliti-
onsentwurf und als Regierungsentwurf eingebracht
werde. Der Entwurf selbst wurde jedoch der Bun-
desrechtsanwaltskammer weder durch die Regie-
rungskoalition noch durch das Bundesministerium
der Justiz zur Verfügung gestellt. Die Presse war in
der Lage, wie schon beim Zivilprozessreformgesetz,
uns den Entwurf auszuhändigen.

Das ist der Umgang der Bundesregierung mit der An-
waltschaft und mit einer öffentlich-rechtlichen Körper-
schaft die einen gesetzlichen Auftrag zu erfüllen hat.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Das ist kein guter Stil!)


Das ist ein schlechter Stil.
Wir werden in diesem Haus weiterhin über den Inhalt

der Rechtspolitik streiten. Das ist richtig und gut so. Aber
ich sage Ihnen eines, das schon fast ein Ceterum Censeo
von uns und auch von mir ist und wofür wir einstehen –


(Dr. Herta Däubler-Gmelin, Bundesministerin: Sie!)


wir stehen für Inhalte ein; aber es wird sich nach dem
22. September auch etwas anderes wesentlich ändern –:
Wir brauchen wieder einen anderen Stil in der Rechtspo-
litik.


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Herta DäublerGmelin, Bundesministerin: Ihren!)


Den Stil des Abschottens, des Sichdurchsetzens, der kei-
nem Erfolg gebracht hat,


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gerade haben Sie noch bemängelt, die Justizministerin könne sich nicht durchsetzen! Jetzt setzt sie sich wieder zu viel durch! Ja, was denn nun?)


weder Ihnen noch irgendjemand anderem, werden wir am
22. September beenden, egal, wie die Bundestagswahl
ausgeht.


(Alfred Hartenbach [SPD]: Haben Sie das Gesetz überhaupt gelesen?)


Wir werden zu einem argumentativen und kooperativen
Stil zurückkehren. Diesen braucht die Rechtspolitik. Es
hat etwas mit der Qualität der Gesetzgebung zu tun, ob
man vernünftig miteinander redet und umgeht. Das ist seit
1998 nicht mehr der Fall.


(Dr. Herta Däubler-Gmelin, Bundesministerin: Nur kein Neid, Herr Röttgen!)


Hören Sie auch einmal ein bisschen auf die Vertreter der
Anwaltschaft. Belehren Sie sie nicht nur und klammern
Sie sie nicht nur aus, sondern reden Sie mit den Vertretern
der Anwaltschaft.


(Dr. Herta Däubler-Gmelin, Bundesministerin: Belehrungen haben nur Sie nötig!)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1423619600
Frau Ministerin, ich
muss Sie leider darauf hinweisen, dass wir es nicht für gut

halten, wenn sich jemand von der Regierungsbank in die
Debatte einschaltet.


(Zuruf von der FDP: Und zwar ständig!)



Dr. Norbert Röttgen (CDU):
Rede ID: ID1423619700
Ich komme nun zu
dem Entwurf in inhaltlicher Hinsicht.


(Alfred Hartenbach [SPD]: Das ist ja unglaublich!)


– Ja, es geht viel um das Verfahren, auch wenn Sie das
nicht gerne hören. – Inhaltlich ist der Entwurf nicht über-
zeugend. Sie haben den eigenen Anspruch verfehlt, eine
umfassende Kostenstrukturreform vorzulegen. Sie haben
keine solche Reform vorgelegt; es fehlen die Reform des
Gerichtskostengesetzes und die Neuordnung der Vergü-
tung von Sachverständigen, Dolmetschern und Überset-
zern. Es fehlt auch eine Neuregelung der Entschädigung
von Zeugen und ehrenamtlich tätigen Richtern. Das alles
ist nicht Teil Ihrer Kostenreform.


(Alfred Hartenbach [SPD]: Sie sind jetzt beim Gerichtskostengesetz oder beim Anwaltsvergütungsgesetz?)


Sehr geehrter Herr Parlamentarischer Staatssekretär
Professor Pick, noch in der letzten Sitzungswoche haben
Sie als Vertreter der Bundesregierung auf die Fragen un-
serer Fraktion hin im Bundestag den strukturellen inhalt-
lichen Zusammenhang zwischen der Reform des anwalt-
lichen Gebührenrechts und dem Gerichtskostenrecht
betont. Sie haben gesagt, deswegen werde die Bundesre-
gierung zu beiden Bereichen Reformvorschläge vorlegen.
Sie legen nunmehr nur einen Torso vor und reformieren
das Gerichtskostenrecht nicht.

Sie machen dies alles – das möchte ich betonen – ohne
Abstimmung mit den Ländern. Jedenfalls kann ich das
für die CDU-geführten Landesregierungen sagen. Es mag
sein, dass Sie nur mit den verbliebenen sozialdemokra-
tisch bzw. rot-grün-geführten Landesregierungen gespro-
chen haben.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Das sind nicht mehr viele!)


Dies würde zu Ihrem Stil passen. Jedenfalls ist mit den
CDU-geführten Landesregierungen – ich weiß das, weil
ich mit ihnen gesprochen habe – keine politische Abstim-
mung über die Auswirkungen Ihres Gesetzentwurfs auf
die Gerichtskosten getroffen worden. Das ist ein Wider-
spruch zu Ihrer eigenen Ankündigung.

Die Anwälte und die Länder finden das übrigens nicht
so amüsant wie Sie; denn diese sind durch das Gesetz, das
Sie beschließen wollen, schon betroffen. Sie müssen im
Wege der Prozesskostenhilfe dafür zahlen. Es wäre also
fair gewesen, wenn Sie mit den Ländern geredet hätten,
um eine politische Abstimmung herbeizuführen. Wir wol-
len den Erfolg, Sie offenbar nicht.

Wir werden genau prüfen, ob die wirtschaftliche An-
passung, die Sie vornehmen, fair ist. Ich habe nach der
ersten Durchsicht – mehr war nicht möglich, weil dieses
Thema wieder kurzfristig auf die Tagesordnung gesetzt
wurde – erhebliche Zweifel, ob der von Ihnen vorge-




Dr. Norbert Röttgen
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schlagene Ausgleich wirklich fair ist, insbesondere wenn
man berücksichtigt, dass die Beweisgebühr wegfällt. Die
Frage ist, ob das insbesondere für die kleinen Praxen, die
überwiegend forensisch tätig sind, ein faires Angebot ist,
ob sie dadurch nicht schlechter gestellt werden.

Wir jedenfalls werden nicht nach dem Motto „Lieber
den Spatz in der Hand als die Taube auf dem Dach“ dieses
karge Mahl ohne sachliche Prüfung zu uns nehmen und
gutheißen. Wir befürworten sowohl im Grundsatz als auch
fast in jedem Detail den Entwurf der Expertenkommission,
den die FDP-Fraktion in die Beratungen eingebracht hat.
Wir halten das, was Sie vorgelegt haben, für einen Nach-
weis Ihrer mangelnden politischen Durchsetzungskraft.
Sie lassen die Anwälte erneut im Stich. Auch das wird sich
nach dem 22. September ändern.

Die Anwälte brauchen zwar keine Lobby, aber eine
vernünftige Interessenvertretung in diesem Parlament.
Seit 1994 ist nichts mehr getan worden. Sie haben die an-
gestrebte Strukturreform, die inhaltliche Neugewichtung,
die Vereinfachung und die wirtschaftliche Anpassung
– die möchte ich auf keinen Fall verschweigen – nicht auf
den Weg gebracht. Die Bundesregierung lässt die kleinen
mittelständischen Anwaltskanzleien, die sich als Einzel-
kämpfer behaupten müssen – die großen Kanzleien, die
ihre Honorare selber vereinbaren können, sind ja außen
vor –, im Regen stehen.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1423619800
Jetzt hat das Wort der
Kollege Volker Beck für Bündnis 90/Die Grünen.


(Rainer Funke [FDP]: Der Rechtsexperte! – Dr. Herta Däubler-Gmelin, Bundesministerin: Der Röttgen beleidigt nur! Ahnung hat er keine!)



Volker Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1423619900

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr
Röttgen, Ihr Beitrag war wirklich klasse. Wenn wir das
Motto „Wo Rauch ist, ist auch Feuer“ beherzigen würden,
dann müssten wir davon ausgehen, dass demnächst Frau
Merkel Fraktionsvorsitzende ist; denn um diese Frage
gibt es sehr viel Rauch. Sie wissen sehr gut, wie man mit
solchen Argumenten verfahren sollte.

Sie haben gesagt, Sie stünden 1:1 hinter dem FDP-Ent-
wurf, der im Vergleich zum heutigen Recht in einzelnen
Punkten, zum Beispiel bei der Gebühr für die Beratungs-
hilfe, Steigerungen von bis zu 160 Prozent vorsieht. Ich
sage Ihnen: Wenn wir nach der Ausschussberatung und
der Anhörung der Vertreter der Anwaltsorganisationen
unseren Gesetzentwurf verabschiedet haben, haben Sie ja
noch immer die Möglichkeit, über den Bundesrat den Ver-
mittlungsausschuss anzurufen, um die vorgeschlagenen
Erhöhungen durchzusetzen.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Dann ist es zu spät! – Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Sie wollen in die Diskontinuität!)


Ich bin sehr gespannt, welches von der Union mitregierte
Land sich findet, um einen Antrag mit dieser Zielsetzung
zu stellen.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Dann ist das Gesetz weg! Sie wissen doch, was Diskontinuität ist!)


Das, was ich aus den Ländern höre, ob sie nun rot oder
schwarz, rot-grün oder schwarz-gelb regiert sind, hat
nicht den Tenor, dass man sich für eine 40-prozentige Ge-
bührenerhöhung einsetzen wolle. Alles andere wäre auch
Unsinn.

Die Schieflage, die Sie hier zu suggerieren versuchen,
hier die Anwälte, da die böse Justizministerin und die ver-
brecherische Koalition,


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Da der Herr Beck!)


ist völlig falsch. Mich hat vor dieser Debatte ein Vertreter
des Deutschen Anwaltsvereins angerufen und gesagt,
man wolle über ein paar Punkte mit uns noch reden, un-
terstütze aber im Grundsatz diesen Gesetzentwurf.


(Rainer Funke [FDP]: Haben Sie den Brief von Herrn Dr. Dombek überhaupt nicht gelesen?)


Dort weiß man nämlich, dass unser Entwurf anders als der
der FDP im Bundesrat die Mehrheit finden und Gesetz
werden wird.


(Beifall bei der SPD)

Was nützt ein schöner Entwurf, der niemals das Bundes-
gesetzblatt erreicht?


(Alfred Hartenbach [SPD]: So ist das bei einer Spaßpartei! – Norbert Geis [CDU/CSU]: Die nehmen auch ein Linsengericht statt gar nichts!)


– Sie würden sicherlich auch Ihr Erstgeburtsrecht für ein
Linsengericht verkaufen. Aber bei einer Gebührener-
höhung von 12 Prozent handelt es sich doch nicht um ein
Linsengericht.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Nein, das ist zu wenig! 30 Prozent!)


Heute hat sich der Kollege Brüderle von der FDP, die
eine Erhöhung um 40 Prozent verlangt, erdreistet, den
moderaten Abschluss der IG Metall mit Gesamtmetall zu
kritisieren. Dabei geht es gerade einmal um rund 4 Pro-
zent. Für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ist das
selbstverständlich zu üppig; es wird das Land ruinieren.
Aber für die Rechtsanwälte wollen Sie zehnmal so viel,
nämlich 40 Prozent. Was Sie hier aufführen, ist doch nun
wirklich Narretei.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Die Richtergehälter sind in dieser Zeit um 30 Prozent gestiegen!)


Meine Damen und Herren, mit dieser Strukturreform
der Anwaltsgebühren setzt die Koalition in der Justizpo-
litik ihren Modernisierungskurs entschlossen fort. Dieses
Gesetz war überfällig: nicht nur, weil seit 1994 in puncto
Gebührenerhöhung nichts mehr geschehen ist – das wäre




Dr. Norbert Röttgen

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ja noch zu verkraften gewesen, zumal ja auch die Streit-
werte seit 1994 wegen der Preisentwicklung gestiegen
sind –, sondern auch deshalb, weil die Struktur der noch
geltenden BRAGO hoffnungslos veraltet ist. Ihr Leitbild
stimmt einfach nicht mehr. Das wird nach unserer um-
fangreichen Reform der ZPO und von Vorläufergesetzen
besonders sichtbar. Der Rechtsanwalt von heute ist nicht
mehr in erster Linie Prozessvertreter, der seinen Mandan-
ten am besten durch alle Gerichtsinstanzen zieht. Schwer-
punkt ist heute der außergerichtliche Bereich. Untersu-
chungen zufolge werden circa 70 Prozent der anwaltlichen
Tätigkeiten nur in diesem Bereich verrichtet. Diesem Um-
stand trägt unser Entwurf optimal Rechnung.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: In Großkanzleien ja, aber nicht in kleinen Kanzleien!)


– Sie haben vielleicht auch mitbekommen, dass wir so et-
was wie die außergerichtliche Streitbeilegung eingeführt
haben. Das wollen wir fördern.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Das haben wir alles mitgekriegt! Aber Sie haben von der Praxis wenig Ahnung, Herr Beck!)


Diese Arbeit soll sich auch für die Anwälte lohnen, weil
eine außergerichtliche Regelung besser ist, als nach einem
Instanzenweg für die Mandantschaft erfolglos dazuste-
hen.


(Dr. Herta Däubler-Gmelin [SPD]: Der Geis ist in Ordnung! Der Röttgen ist es nicht!)


Dass wir hier einen neuen Weg gehen, erkennen Sie
schon am transparenten Aufbau des Gesetzes. Die Rege-
lungen über die außergerichtliche Beratung stehen voran
und finden sich nicht versteckt irgendwo unter „ferner lie-
fen“. An sich müssten Sie ja dafür sein, weil die Struktur
von der Expertenkommission stammt, die Sie gerade so
sehr gelobt haben. Ich verstehe gar nicht, gegen wen Herr
Geis hier gerade wettern will.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Von der Struktur ist nichts übrig geblieben!)


Auch wollen wir Formen der außergerichtlichen Er-
ledigung wie die gütliche Streitbeilegung fördern. Das lö-
sen wir hier ein: Versprochen, gehalten! Wir tun das zum
Beispiel, indem wir die geltende Vergleichsgebühr, deren
Anfall häufig zu Streit geführt hat, durch eine flexiblere
Einigungsgebühr ersetzen. Ein Novum in diesem Gesetz
ist, dass erstmals im Vergütungsrecht die Mediation aus-
drücklich Erwähnung findet. Auch das unterstreicht die
Bedeutung, die wir übrigens nicht erst bei diesem Geset-
zesvorhaben diesem Bereich beimessen.

Dieses Gesetz wird wegen seiner neuen Akzente und
seiner Ausrichtung die Qualität der Rechtsberatung durch
Anwälte erhöhen. Es stellt deshalb eine Reform nicht nur
für die Anwaltschaft, sondern auch für die Verbraucher
in unserem Land dar. Gerade die Recht suchenden Bürge-
rinnen und Bürger muss man auch bei einer Anwaltsge-
bührenordnung berücksichtigen. Es darf nicht wie bei der
FDP gelten, dass guter Rat so teuer ist, dass ihn sich nur
noch die Besserverdienenden leisten können. Vielmehr
gehört zu einer Rechtskultur auch der Zugang zum an-
waltlichen Rat.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Das wird durch diese Gebührenreform nicht behindert,
sondern gefördert. Deshalb sind wir hier auf einem mo-
deraten, vernünftigen Weg, für Anwälte und Recht su-
chende Bürgerinnen und Bürger gleichermaßen.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1423620000
Nun erteile ich der
Kollegin Dr. Evelyn Kenzler für die PDS-Fraktion das
Wort.


(Alfred Hartenbach [SPD]: Frau Kenzler frisch aus Kanada!)



Dr. Evelyn Kenzler (PDS):
Rede ID: ID1423620100
Ja, ich habe die Zeitver-
schiebung gerade überstanden.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Nun wissen wir, was wir von Schreiber zu halten haben!)


Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die Reform der Anwaltsvergütung steht schon lange auf
der Gesetzgebungsagenda. Leider kommt der Entwurf
sehr spät,


(Rainer Funke [FDP]: Zu spät!)

auf den letzten Drücker, in den Bundestag, sodass eine ge-
wissenhafte Beratung unter dem daraus resultierenden
Zeitdruck fast nicht mehr möglich ist.


(Rainer Funke [FDP]: Das wollen die ja auch gar nicht!)


Aber ungeachtet dessen müssen wir jetzt zügig in die Be-
ratung eintreten.

Gebührenerhöhungen, gleich welcher Art und Höhe,
finden in der Öffentlichkeit nie Beifall. Man muss also
schon eine gute Begründung dafür haben, warum eine Er-
höhung notwendig ist. Sie muss auch verhältnismäßig
sein, denn sie darf nicht zu ungerechtfertigten Härten für
die Rechtsuchenden führen.


(Alfred Hartenbach [SPD]: Richtig!)

Dieser Nachweis muss gebracht werden, um die öffentli-
che Akzeptanz zu erreichen. Wir dürfen schließlich nicht
vergessen: Der Rechtsanwalt gilt nach allgemeiner Vor-
stellung in der Bevölkerung nicht gerade als bedürftig.
Die Realität sieht jedoch für viele Anwälte ganz anders
aus. Für die meisten Rechtsanwältinnen und Rechtsan-
wälte ist ihre Tätigkeit ein harter Broterwerb mit einem
überlangen Arbeitstag. Sie haben oft wenig Urlaub und
unter dem Strich einen niedrigen Stundenlohn. Gerade
junge Anwälte, die sich selbstständig gemacht haben,
müssen häufig mit einem sehr geringen Nettoeinkommen
auskommen; nicht selten ist es am Anfang sogar ein Zu-
schussgeschäft.

In den Begründungen beider Gesetzentwürfe sind Zah-
len enthalten, die im Hinblick auf die Einkommenssitua-
tion der Anwaltschaft für sich sprechen. Eine moderate
Anhebung der Gebühren ist deshalb nur gerecht. Sie ist
für viele kleine und mittlere Praxen sogar überlebens-




Volker Beck (Köln)

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wichtig. Die Angleichung der Gebühren an die Entwick-
lung der allgemeinen Lebenshaltungskosten ist insofern
wirklich dringlich. Schließlich sind die Anwaltsgebühren
seit über sieben Jahren unverändert geblieben, und das bei
gestiegenen Kosten und bei stagnierendem oder sogar
zurückgehendem Umsatz und Einkommen der Rechtsan-
wälte.

Die im Gesetzentwurf der Regierungskoalition ausge-
wiesenen Mehreinnahmen für die Anwaltschaft sollen
circa 12 Prozent betragen. Ich werde mir genauer anse-
hen, wie sich die geplanten Gebührenerhöhungen im Ein-
zelnen gestalten bzw. wie sie sich verteilen.

Ich begrüße es, dass die Gesetzentwürfe nicht nur
schlechthin Gebührenerhöhungen anstreben. Das Vergü-
tungsrecht soll durch strukturelle Veränderungen transpa-
renter werden. Dies ist vor allem für den Recht suchenden
Bürger wichtig, damit er die ihm in Rechnung gestellten
Gebühren besser nachvollziehen kann. Ich will hier nur an
das Vergütungsverzeichnis erinnern, das beide Gesetzent-
würfe vorsehen.

Ich halte es auch für sinnvoll, dass im Gesetzentwurf
die bisher nicht geregelten anwaltlichen Tätigkeiten er-
fasst werden. Dazu gehören Mediation, Hilfeleistungen in
Steuersachen und auch die Tätigkeit des Rechtsanwaltes
als Zeugenbeistand.

Ich möchte zum Schluss noch ein Problem ansprechen,
dass mich nach wie vor umtreibt. Das ist der längst über-
fällige Wegfall des Gebührenabschlags für die Rechts-
anwälte in den neuen Bundesländern. Seine Beseitigung
halte ich für mindestens ebenso wichtig wie die Anhebung
der Gebühren insgesamt.


(Beifall bei der PDS sowie des Abg. Rainer Funke [FDP])


Hierzu hätte ich von der Bundesregierung noch in die-
ser Wahlperiode einen Lösungsvorschlag erwartet. Noch
ist es nicht zu spät, wie der heute behandelte Gesetzent-
wurf zeigt. Er verdeutlicht auch, dass bestehende Wider-
stände auf diesem Gebiet überwunden werden können.
Sie haben die Möglichkeit, noch in dieser Wahlperiode
Abhilfe zu schaffen. Wir werden Sie dabei nach Kräften
unterstützen.


(Beifall bei der PDS)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1423620200
Frau Kollegin, gestat-
ten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Margot von
Renesse?


Dr. Evelyn Kenzler (PDS):
Rede ID: ID1423620300
Ja, bitte.


Margot von Renesse (SPD):
Rede ID: ID1423620400
Frau Kollegin, wir haben
hier schon öfter die Bitte und die Forderung der Anwälte
aus dem Osten gehört, dass dieser Gebührenabschlag end-
lich entfallen solle. Wundert es Sie ebenso wie mich, dass
es keine Zusage der Anwälte gibt, dann auch ihre Kanzlei-
angestellten entsprechend den Westtarifen zu bezahlen?


Dr. Evelyn Kenzler (PDS):
Rede ID: ID1423620500
Ja, darüber müssen wir si-
cher noch einmal diskutieren; das ist völlig richtig. Aber

das darf uns nicht daran hindern, dass wir dieses Problem
endlich insgesamt anpacken, denn die Ungleichbehand-
lung der Anwälte in Ost-Berlin und in den neuen Bundes-
ländern ist einfach nicht mehr akzeptabel und muss
schleunigst beseitigt werden.


(Zuruf von der SPD: Ihre Angestellten würden dann auch 10 Prozent mehr kriegen?)


– Ja, sicher.

(Zuruf von der SPD: Klasse!)


Was denken Sie denn, wie ich meine Angestellten be-
zahle? Selbstverständlich!


(Beifall bei der PDS)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1423620600
Nun hat der Kollege
Alfred Hartenbach für die SPD-Fraktion das Wort.


Alfred Hartenbach (SPD):
Rede ID: ID1423620700
Verehrte Frau Präsidentin!
Verehrtes Präsidium! Liebe interessierte Kolleginnen und
Kollegen! „Angemessene Honorare für gute Leistung,
aber keine Gebühreninflation“, diese Überschrift der
Presseankündigung zu unserem Gesetzentwurf müssen
die Vorstände der Bundesrechtsanwaltskammer als
Kampfansage verstanden haben; denn sie haben uns noch
heute einen Brief geschrieben, in dem sie sich über zwei
Dinge beschwert haben, erstens darüber, dass wir nicht
mit ihnen darüber geredet haben und sie gar nicht gehört
worden sind, obwohl sie doch mit allen Behörden Kontakt
halten müssen, und zweitens darüber, dass die Gebühren-
erhöhung viel zu niedrig ausfällt. Erstens sind wir keine
Behörde. Zweitens sind die Damen und Herren gehört
worden. Drittens halte ich es schon für eine Anmaßung,
zu glauben, wir könnten keinen Gesetzentwurf einbrin-
gen, ohne vorher den Vorstand der BRAK gehört zu ha-
ben.

Die weitere Forderung haben Sie sich nun zu Eigen ge-
macht. Meine verehrten Damen und Herren auf der Seite
der CDU/CSU und der FDP – ich weiß jetzt nicht, ob ihr
inzwischen die Pünktchen abgelegt habt –,


(Rainer Funke [FDP]: Haben wir!)

Sie müssen sich genauso wie der Vorstand der BRAK ei-
nes vorhalten lassen.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Nicht so laut!)

Als wir vor einiger Zeit die Pfändungsfreigrenzen um
12 Prozent erhöht haben, hat es vonseiten der BRAK ein
unglaubliches Geschrei gegeben und auch Sie haben der
Erhöhung nicht zugestimmt. Deswegen finde ich es schon
ein bißchen merkwürdig, dass Sie nun plötzlich mit der
Erhöhung der Gebühren um 12 Prozent nicht zufrieden
sind. Angesichts dessen müssen Sie sich einmal fragen
lassen, wie Ihr Weltbild ist. Wir wissen, wie es ist.

Ich sage eines ganz deutlich – das ist meine Kampfan-
sage –: Wenn wir dieses Gesetz nur für die Vorstände der
Bundesrechtsanwaltskammer machen würden, dann wäre
meine Lust, dieses Gesetz noch zu beraten, wahrschein-
lich nicht besonders groß. Aber dieses Gesetz dient auch
und besonders den mehr als 100 000 Rechtsanwälten, die




Dr. Evelyn Kenzler

23603


(C)



(D)



(A)



(B)


auf realistische Gebührenanpassungen hoffen und nicht
Utopisten oder Fantasten nachlaufen, insbesondere den
vielen kleinen Ein- und Zweipersonenkanzleien,


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Für die ist es allemal zu wenig!)


die nur über Gebührenordnung abrechnen und nicht, wie
die großen Kanzleien, denen ganz offensichtlich die Vor-
stände der BRAK hörig sind, über Gebührenvereinbarun-
gen.

Das Gesetz dient auch dem Recht suchenden Bürger
und ebenso der überlasteten Justiz, weil die Ge-
bührenstruktur für eine schnellere und gründliche Erledi-
gung der Verfahren sorgen wird. Weil wir uns eben nicht
ein paar Lobbyisten, die offensichtlich jedes Maß für Rea-
litäten verloren haben,


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Ich würde auf die Vorstände nicht so schimpfen, Herr Kollege Hartenbach!)


sondern einer breiten Öffentlichkeit verpflichtet fühlen,
werden wir diesen Gesetzentwurf beraten und, so hoffe
ich, auch noch verabschieden.

Die Vergütungsregelungen führen zu einer durch-
schnittlichen linearen Erhöhung um 12 Prozent.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Das ist zu wenig!)

Das entspricht dem Inflationsausgleich und das entspricht
– ich wiederhole es; da ist Ihr Gewissen gefragt, Herr
Geis – der Anhebung der Pfändungsfreigrenzen. Damit
bewegen wir uns in einem Rahmen, der vertretbar ist.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Das entspricht aber nicht der Steigerung der Gehälter der Richter!)


– Nun halt doch mal den Mund, Mensch!
Bedeutend bei dieser Strukturreform ist, dass sie zwei

Säulen hat. Einmal werden die Einkommen der vielen
kleinen und mittleren Anwaltspraxen den aktuellen Be-
dingungen angepaßt und zum anderen dient die Struktur-
reform der beschleunigten Erledigung von Rechtsstrei-
tigkeiten.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Die Kosten werden damit nicht einmal gedeckt!)


Die Berücksichtigung anwaltlicher Tätigkeit als Zeugenbei-
stand, bei Täter-Opfer-Ausgleich, Mediation, Hilfeleistung
in Steuersachen, als Beistand in strafrechtlichen Ermitt-
lungsverfahren und vor allem bei der Förderung außerge-
richtlicher Erledigungen ist genau der richtige Weg.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Das ist ja richtig! Dagegen haben wir nichts!)


Es geht darum, das besser und korrekter zu honorieren, als
es bisher der Fall war. Gerade das Letztere, die außerge-
richtliche Streitschlichtung, dient der Beschleunigung.
Dem Bürger ist mehr gedient, wenn der Anwalt dafür or-
dentlich honoriert wird; dann wirft er auch mehr Gewicht
in die Waagschale, um ein Verfahren außergerichtlich zu
erledigen.

Unser Entwurf ist Teil einer Strukturreform des ge-
samten Gerichtskostenwesens. Wir hätten sicherlich gern

gemeinsam mit den Ländern auch das Gerichtskostenge-
setz zu einem früheren Zeitpunkt beraten.


(Rainer Funke [FDP]: Warum haben Sie es nicht getan?)


Dieses gestaltet sich aber so schwierig, dass wir mit dem
Rechtsanwaltsvergütungsgesetz vorangehen mussten, da-
mit sich etwas bewegt.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Das war höchste Zeit!)


Wer aber nun als Anwalt auf die Populisten aus der
FDP und der CDU/CSU


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Das weisen wir zurück!)


und deren Gesetzentwurf setzt, der wird verdammt alt da-
rüber werden. Dieser Gesetzentwurf wird mit Sicherheit
nicht in das Bundesgesetzblatt kommen.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Das wollen wir einmal abwarten!)


Zum einen werden wir dafür sorgen und zum anderen
werden Ihre eigenen Länder, Herr Geis, das nicht mitma-
chen.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Ich habe keine Länder!)


Ich finde es schon lustig, dass sich die FDP – ich sage
einmal: vermutlich – einer Raubkopie bedient hat. Es ist
schon lustig, dass bei dieser Spaßpartei anscheinend auch
der Raub geistigen Eigentums zum Tagesgeschäft gehört.


(Ernst Burgbacher [FDP]: Das war jetzt richtig lustig!)


Nicht lustig finde ich es aber, Herr Kollege Funke, dass
Sie sich als ehemaliger Staatssekretär im Justizministe-
rium dieser Tat auch noch rühmen. Dann treiben Sie die
Gebührensätze auch noch in Schwindel erregende Höhen.
Machen Sie doch bitte einmal den Millionen Bürgern, die
anwaltlichen Beistand benötigen, klar, dass sie in den letz-
ten Jahren mit Einkommens- und Lohnsteigerungen von
etwa 14 Prozent klarkommen mussten


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Es geht doch um die Deckung der Kosten! Das ist doch etwas anderes!)


– Herr Geis, ich habe Sie doch gebeten, etwas ruhiger zu
sein –,


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Sie müssen sich Zwischenrufe schon gefallen lassen!)


nun aber für die Beratung beim Anwalt plötzlich über
40 Prozent mehr bezahlen sollen. Bei euch in der Opposi-
tion sind die 40 Prozent im Moment unheimlich modern.


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Ja, eben! Daran sollten Sie sich ein Beispiel nehmen!)


Der Stoiber will unter 40 Prozent und der Funke will über
40 Prozent.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Nein, wir gehen über 40 Prozent!)





Alfred Hartenbach
23604


(C)



(D)



(A)



(B)


Ihr müsst euch einmal einigen.
Ich möchte mich bei den Mitgliedern des Vorstandes

des Deutschen Anwaltsvereines ausdrücklich für ihre Un-
terstützung bedanken. Ich weiß, dass sie mit diesem Ent-
wurf zufrieden sind und dass sie uns auf dem weiteren
Weg der Beratungen begleiten werden.

Dem Kollegen Röttgen – er ist nicht mehr anwesend;
er hat sich bei mir entschuldigt – muss ich sagen, dass wir
seine letzte Philippika bei der Beratung der Juristenaus-
bildung gehört haben. Was hat er unsere Ministerin
schlecht gemacht, was hat er unseren Entwurf zerrissen!
Das hat er heute wieder gemacht. Er kann anscheinend
nicht anders, als mit Dreck um sich zu werfen.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Das ist nicht korrekt!)


Dann kam er auf uns zu und hat sich bei der Juristenaus-
bildung angedient.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Was heißt hier „angedient“?)


Wir waren ja froh, dass er sich da angedient hat. Zum
Schluss hat er dafür gestimmt und wollte noch namentlich
auf dem Entwurf stehen. Wir haben seinem Wunsch gern
entsprochen.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1423620800
Herr Kollege, Ihre
Redezeit ist weit überschritten.


Alfred Hartenbach (SPD):
Rede ID: ID1423620900
Ich kann Ihnen jetzt schon
sagen, dass er auch hier sicherlich mitmachen wird.

Dem Vorstand der BRAK möchte ich folgende Emp-
fehlung geben: Helm ab, Kettenhemd aus, Speer aus der
Hand, hinein in die Robe, Gesetzbuch zur Hand und zu
vernünftigen Gesprächen bereit.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Norbert Geis [CDU/CSU]: Da haben wir nichts mehr zu melden!)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1423621000
Ich schließe die Aus-
sprache.

Interfraktionell wird Überweisung der Gesetzentwürfe
auf Drucksachen 14/8818 und 14/9037 an die in der Ta-
gesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Gibt es anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall.
Dann ist die Überweisung so beschlossen.

Nun rufe ich die Tagesordnungspunkte 13 a und 13 b
auf:

a) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeord-
neten Gerda Hasselfeldt, Bartholomäus Kalb,
Heinz Seiffert, weiteren Abgeordneten und der
Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs
eines Gesetzes zum Bürokratieabbau für kleine
und mittelständische Betriebe
– Drucksache 14/6633 –


(Erste Beratung 198. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzaus-
schusses (7. Ausschuss)

– Drucksache 14/8682 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Reinhard Schultz (Everswinkel)

Elke Wülfing

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Wirtschaft und Techno-
logie (9. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeord-
neten Dr. Heinz Riesenhuber, Wolfgang Börnsen

(Börnstrup), Klaus Brämig, weiterer Abgeordneter

und der Fraktion der CDU/CSU
Förderung der Innovation im Mittelstand
– Drucksachen 14/7615, 14/9026 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Heinz Riesenhuber

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Damit
sind Sie einverstanden. Dann ist es so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Dr. Heinz Riesenhuber für die CDU/CSU-Fraktion.


Dr. Heinz Riesenhuber (CDU):
Rede ID: ID1423621100
Frau Präsiden-
tin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben
hier in den vergangenen vier Jahren sehr oft über den Mit-
telstand gesprochen. Wir haben insbesondere über den in-
novativen Mittelstand diskutiert, weil hier die eigentliche
Chance für Arbeitsplätze in unserem Land liegt. In den
80er-Jahren ist die Zahl der Arbeitsplätze bei den Großun-
ternehmen nur begrenzt gestiegen, in den 90er-Jahren hat
sie abgenommen, während der Mittelstand ständig aufge-
baut hat. Je stärker er in der Innovation war, desto erfolg-
reicher war er am Markt.


(V o r s i t z: Dr. h. c. Rudolf Seiters)

Sie sind in diese Legislaturperiode gestartet, getragen

vom fröhlichen Vertrauen der Neuen Mitte, die sich von
uns etwas abgewendet hatte. Die hatten das Gefühl, wir
gingen nicht scharf genug an die Reformen heran. Die hat-
ten das Gefühl: Jetzt kommt eine kühne Reformpartei, die
einen neuen Durchbruch schafft und endlich Luft für den
Mittelstand bringt.

Inzwischen hat sich das ein wenig geändert. Wenn der
Aufschwung des Jahres 1998 Schröders Aufschwung war,
ist es jetzt sein Abschwung. Er wird getragen von dem
Mittelstand, der keine Freude an dem hat, was geschehen
ist, vom 630-Mark-Gesetz bis zur Scheinselbstständig-
keit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Wir haben Sie an vielen Stellen mit Freundlichkeit be-
gleitet und Ihnen unseren brüderlichen Rat nicht vorent-
halten. Wir haben gesagt: Das führt zum Übel. Sie haben
geantwortet: Redet den Standort nicht schlecht! Wenn
eine Regierung kraftvoll handelt, kann eine Opposition
den Standort gar nicht schlechtreden, weil niemand darauf




Alfred Hartenbach

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(C)



(D)



(A)



(B)


hört. Wenn eine Regierung jedoch nicht handelt, ist die Si-
tuation anders. Dann müssen wir sagen, was ist, damit et-
was geschieht.


(Ernst Burgbacher [FDP]: Wo ist eigentlich die Regierung?)


– Da sieht es ein bisschen sehr verlassen aus. Frau Wolf
hat um Verständnis dafür gebeten, dass sie ihre Rede nicht
halten kann. Aber dass wir ganz ohne Regierung sind, ist
bedauerlich. Ich fühle mich verlassen.

Der Mittelstand stellt sich nach Auskunft von Credit-
reform zum Ende der Legislaturperiode folgendermaßen
dar: Die Geschäftseinschätzung ist schlechter als irgend-
wann in den letzten sieben Jahren. Die Hälfte der Firmen
hat rückläufige Umsätze. Die Zahl derer, die entlassen
wollen, ist um ein Viertel größer als die Zahl der Unter-
nehmen, die einstellen wollen. Die Investitionsbereit-
schaft ist gegenüber dem vergangenen Jahr um 10 Prozent
gesunken. – Wenn wir diese sehr gefährliche Situation
nicht wenden, kommen wir in Schwierigkeiten.

Die Maßnahmen Ihrer Steuerreform sind offensicht-
lich beim Mittelstand überhaupt nicht angekommen. Der
Mittelstand versteht die Fiskalrabulistik nicht mehr. Nach
Umfragen von Allensbach glauben 8 Prozent der Befrag-
ten, dass sich durch die Steuerreform etwas zum Guten
geändert hat, und 1 Prozent der Befragten glauben, dass sie
selber etwas davon haben. So etwas kann man mit einer
Ökosteuer-Diskussion zudecken. Ich will gar nicht ausei-
nander fieseln, was daran richtig und was falsch wahrge-
nommen worden ist. Aber wir haben eine Situation, in der
die Rahmenbedingungen einfach nicht stimmen.

Wir haben den Antrag im Umfeld der letzten Haus-
haltsdebatte eingebracht. Das Parlament hat gemeinsam
wesentliche Ansätze erhöht und wir halten das für ein vor-
zügliches Ergebnis. Wir bedanken uns ausdrücklich für
die Brüderlichkeit über die Fraktionsgrenzen hinweg.
Jetzt sollten wir diese Brüderlichkeit aber für die nächste
Runde bewahren.

Wir sehen mit Spannung dem neuen Haushalt entge-
gen, den Herr Eichel in Kürze vorlegen wird. In diesem
neuen Haushalt, so habe ich gelernt, wird man vieles nach
dem Verständnis des Parlaments zugrunde legen, etwa die
Beschlüsse zur Forschung vom vorhandenen Haushalt
und nicht etwa die alte Mifrifi. Wenn wir auf die alte Mi-
frifi zurückgehen, werden wir die Mittel um einige Dut-
zend Millionen senken. Was das in einer Zeit, in der etwa
für BTU, also für das Kreditausfallrisiko von Bürgschaf-
ten, Dutzende von Millionen anstehen, bedeutet, ist of-
fenkundig. Ich beschwöre unsere Freunde über alle Frak-
tionen hinweg, dass wir gemeinsam daran arbeiten. Wir
haben den Plafond für die Fortschreibung gelegt und ich
hoffe, dass die Bundesregierung hier das Parlament re-
spektiert.

Im Übrigen ist der Antrag durch die Ausschüsse ge-
wandert. Ich freue mich sehr darüber, dass der For-
schungsausschuss die Weisheit des Antrags verstanden
und ihm zugestimmt hat. Wir haben also immerhin hier
eine übergeordnete Weisheit, die uns beglückt.

Wir müssen in dieser Situation in der Tat darüber nach-
denken, ob die Aufteilung der Forschung zwischen Wirt-

schafts- und Forschungssektor zu irgendetwas gut ist.
Es war prima, dass Herr Müller und Frau Bulmahn am
2. Mai eine gemeinsame Pressekonferenz durchgeführt
haben. Ich hatte zeitweilig das Gefühl, dass sie dabei zum
ersten Mal gemeinsam über Forschungspolitik geredet
haben. Dieser Diskussion verdanken wir aber jedenfalls
eine Klärung der Frage, wie hoch die Zuwächse im For-
schungsbereich waren. Sie haben versprochen, sie auf
200 Prozent zu erhöhen; jetzt haben wir aber erfahren,
dass sie um 18 Prozent gestiegen sind. Dies wird stolz als
Erfolg verkündet.


(Beifall des Abg. Dieter Grasedieck [SPD])

– Ich höre leidenschaftlichen Applaus bei der Koalition.

Freunde, wenn man dem Mittelstand so viel verspricht
und es dann nicht hält, muss das frustrierend wirken. Die
Folge ist, dass die Forschungskapazität im Mittelstand
zurzeit real schrumpft.


(Hubertus Heil [SPD]: Das stimmt nicht!)

Das besagen die Zahlen des Stifterverbandes. Der Anteil
des Bundes am Forschungsbudget der Nation schrumpft
ebenfalls.


(Hubertus Heil [SPD]: Auch falsch!)

– Wenn Sie wollen, kann ich Ihnen die Zahlen vorlesen.

Es ist offensichtlich, dass es um die Sache hinsichtlich
der Strategie und der Mittel nicht gut steht. Wenn wir in
der nächsten Legislaturperiode ein starkes Wirtschaftsmi-
nisterium unter Leitung von Lothar Späth bekommen,


(Beifall bei der CDU/CSU)

dann haben wir die vorzügliche Möglichkeit, ein starkes
Forschungsministerium wieder dort anzusiedeln, wo es
eigentlich zu Hause ist.

Wir haben über die Forschung, die Innovationen in den
mittelständischen Unternehmen und über die Neugrün-
dungen gesprochen. Herr Kollege Heil, bis 1998 gab es
einen ständigen Zuwachs an Neugründungen. Sie können
die entsprechenden Zahlen des Instituts für Mittelstands-
forschung ebenso wie die Zahlen des Stifterverbandes
nachschlagen. Seit 1998 ist die Zahl der Neugründungen
rückläufig. Die Zahl der Konkurse steigt. Es werden neue
Rekordzahlen erreicht.

Wir wissen, dass die Großwetterlage schwierig ist. Die
Frage ist aber, wo die Bundesregierung etwas machen
kann. Ich bin es leid, über Aktienoptionen zu diskutieren.
Die Leitung des Wirtschaftsministeriums hat sich immer
wieder mit Leidenschaft dafür ausgesprochen; im Ergeb-
nis geschah aber nichts.

In der letzten Debatte hat uns ein Kollege gefragt, wie
wir die Steuerausfälle bezahlen wollen. Das ist eine sehr
einfache Sache: Steuerausfälle, resultierend aus den Akti-
enoptionen von mittelständischen und kleinen Unterneh-
men, sind nie eingetreten, weil die Kurse gefallen sind.
Sie sind auch nie in den Haushalt eingestellt worden, weil
niemand damit gerechnet hat. Aber die Chance, dass sich
jemand an diesen Unternehmen beteiligt, wenn die Aktien
niedrig stehen, sollte man nicht dadurch verschenken,
dass wir unsere Leute schlechter stellen als diejenigen in
anderen Ländern.




Dr. Heinz Riesenhuber
23606


(C)



(D)



(A)



(B)


Frau Wolf, die heute nicht bei uns sein kann, hat uns ge-
sagt, dass die Besteuerung der Fondsanteile kein Pro-
blem sei. In der Debatte hörten wir, dass dieses Problem
in Kürze gelöst werde. Seit einem Jahr ist eine Debatte
über die Besteuerung der Fondsanteile im Gange. Die
Fonds stagnieren, weil die Verantwortlichen nicht wissen,
unter welchen Bedingungen sie arbeiten werden. Dies al-
les geschieht in einer Zeit, in der viele neu gegründete Un-
ternehmen frisches Geld brauchen, welches ihnen der Ka-
pitalmarkt nicht zur Verfügung stellt.

Über ihren erfolgreichen Feldzug gegen die Business-
angelwill ich nicht sprechen. Ein Businessangel wird sich
für sein Unternehmen nur einsetzen, wenn er nicht maxi-
mal nur 1 Prozent erhält. Eine maximale Beteiligung ist
die Motivation des Businessangels. Wenn Sie aber die
Wesentlichkeitsgrenze auf 10 Prozent anheben, dann ge-
fährden Sie eine gerade entstehende Kultur.

Mein Kollege und Freund Norbert Schindler wird zum
Thema Deregulierung einiges sagen. Es gibt nur wenige
Punkte, an denen Sie ansetzen können. Ich habe gehört,
dass es im Rechtsausschuss gestern zu einem Streit über
das Thema Basel II kam. Es sei darüber diskutiert worden,
ob das Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen nicht
eine striktere, restriktivere Richtlinie einführen solle, als
sie im Rahmen der Verhandlungen über Basel II gefordert
werden. Die Bundesregierung und die Koalition lehne es
ab, darüber Bericht zu erstatten. Liebe Kollegen aus dem
Wirtschaftsausschuss, bei Basel II waren wir uns immer
einig und so wollen wir das auch weiterhin halten.


Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1423621200
Wir sind
gleich am Ende dieser Diskussion.


Dr. Heinz Riesenhuber (CDU):
Rede ID: ID1423621300
Ich bitte Sie
um Nachsicht. Auf die Mahnung des hochverehrten Prä-
sidenten hin – lieber Rudolf, vielen Dank – werde ich jetzt
den berühmten Schlusssatz sprechen.

Für eine Wahlperiode hält der Mittelstand eine solche
Situation aus; der Mittelstand hat auch schwierige Zeiten
überlebt. Wir werden jetzt aber eine neue Wahl haben. Der
Mittelstand in Deutschland hat die glänzende Aussicht,
dass er dann Bedingungen haben wird, wie er sie schon
jetzt bei Edmund Stoiber in Bayern hat und wie er sie in
Baden-Württemberg bei Lothar Späth gehabt hat und jetzt
bei Erwin Teufel hat.


(Dr. Norbert Wieczorek [SPD]: Auf Reise in Baden-Württemberg!)


Die prächtige Situation, die der Mittelstand dort schon
kennen gelernt hat, werden wir dann überall haben. Wir
alle sehen dieser Zukunft fröhlich entgegen. Wir hoffen
nur, dass Sie uns einen geordneten Haushalt übergeben.


(Wolfgang Weiermann [SPD]: Darauf können Sie sich verlassen!)


Das ist unser Antrag. Wenn Sie dem zustimmen, dann ha-
ben Sie einen kraftvollen Schritt in eine gemeinsame er-
folgreiche Zukunft für unseren Mittelstand getan.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1423621400
Nun gebe
ich das Wort der Kollegin Birgit Roth. Sie spricht für die
Fraktion der SPD.


Birgit Roth (SPD):
Rede ID: ID1423621500
Herr Präsident! Werte
Kolleginnen und Kollegen! Mit Ihrem Antrag „Förderung
der Innovation im Mittelstand“, meine sehr verehrten
Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, steht es ei-
gentlich wie mit Ihrem Kanzlerkandidaten: Der ist schon
ziemlich überholt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Der ist gut, sehr gut!)


– Oh nein, der ist schon sehr überholt. – Ihre Kernforde-
rung lautet ja: Erhöhung der Haushaltsmittel für die Inno-
vation. Meine sehr verehrten Damen und Herren von der
Opposition, ich darf Sie einmal ganz sacht auf den Haus-
halt 2002 verweisen; denn dieser ist bereits Realität. Das,
was Sie gefordert haben bzw. noch mehr, ist in diesem
Haushalt enthalten. Im Einzelplan 09 dieses Haushaltes,
also im Bereich Forschung, Entwicklung und Innovation
für den Mittelstand, haben wir die Gelder von 2001 auf
2002 sogar um 14 Prozent gesteigert. Das sind Dinge, die
Sie immer sehr schnell und auch sehr gerne vergessen,
Herr Riesenhuber. Im Gegensatz zum Haushaltsansatz von
1998 haben wir die Mittelstandsförderung sogar um ins-
gesamt 26 Prozent gesteigert. Darauf sind wir auch stolz.


(Beifall bei der SPD)

Sie haben vorhin erwähnt, die Betriebe hätten sich von

uns abgewendet. Sie haben dann zwei Beispiele genannt,
und zwar das Gesetz gegen Scheinselbstständigkeit – das
ist das Gesetz zur Förderung der Selbstständigkeit – und
die 630-Mark-Jobs. Ich muss Ihnen ganz klar sagen: Das,
was ich im Mittelstand nicht möchte, sind 630-Mark-Jobs
ohne jegliche Sozialversicherungspflicht. Ich glaube, das,
was der Mittelstand braucht, ist eine Qualitätsoffensive.
Er braucht keine Nebenbei-Jobs.


(Beifall bei der SPD – Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Das sehen die selber aber ganz anders!)


In Ihrem Antrag fragen Sie auch nach der strategi-
schen Konzeption bei unserer Mittelstandsförderung.
Hier möchte ich darauf verweisen – es wundert mich, dass
Sie es noch nicht wissen –, dass wir bereits Anfang 2000
unser Konzept „Technologiepolitik – Wege zu Wachstum
und Beschäftigung“ vorgestellt haben, das vor allem am
Bedarf des Mittelstandes ausgerichtet ist. Wir sagen eben:
Wenn wir fördern, dann gerade bei Technologieunterneh-
men. Wir haben Forschungskooperationen ins Leben ge-
rufen – denken Sie nur an Pro Inno. Wir haben innovative
Netzwerke ins Leben gerufen – auch hier ein Beispiel:
Inno-Net.

Des Weiteren möchte ich Ihnen sagen: Es gibt eine Un-
tersuchung „Entrepreneurship“, und zwar unter 29 Indus-
trienationen. In punkto Fördermittel für den Mittelstand
steht Deutschland ganz klar an Nummer 1. Das ist unsere
Mittelstandspolitik, die wir auch weiterhin verfolgen wer-
den.


(Beifall bei der SPD)





Dr. Heinz Riesenhuber

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(C)



(D)



(A)



(B)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1423621600
Frau Kolle-
gin Roth, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeord-
neten Riesenhuber?


Birgit Roth (SPD):
Rede ID: ID1423621700
Nein, ich glaube, er muss
noch ein bisschen warten.

Hinzu kommt auch das ERP-Sondervermögen. Darf
ich Sie darauf aufmerksam machen, dass wir mittlerweile
5,2 Milliarden Euro für zinsgünstige Kredite für die
KMUs, für den Mittelstand zur Verfügung stellen? Darf
ich Sie darauf hinweisen, dass wir durch die beiden
großen Banken des Bundes, KfWund DtA, weitere 9Mil-
liarden Euro – für zinsgünstige Kredite an unseren Mit-
telstand zur Verfügung stellen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Im Februar 2002 haben wir sogar den Förderwettbe-
werb „Netzwerkmanagement-Ost“, NEMO, ausgeschrie-
ben. Wenn ich Sie hier zitieren darf, meine sehr verehrten
Kolleginnen und Kollegen von der Opposition: Selbst Sie
haben gesagt, dass das ein sehr sinnvoller Ansatz ist.
Dafür möchte ich Ihnen danken. Auf der anderen Seite
müssen Sie aber auch einmal sehen, was wir geleistet ha-
ben und was wir von Ihnen übernommen haben, was wir
trotz der Schulden, trotz der Staatsverschuldung, die Sie
uns mit auf den Weg gegeben haben, geschafft haben.


(Beifall bei der SPD – Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Sie haben noch die 16 Jahre vergessen!)


Was haben wir nicht alles nach 16 Jahren konservati-
ver Politik übernommen,


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Ach, siehste! – Lachen bei der CDU/CSU)


angefangen bei der höchsten Arbeitslosigkeit seit 1945.
Ich möchte Ihnen hier ganz klar sagen: Die durchschnitt-
liche Arbeitslosigkeit hat 1998 bei 4,4 Millionen Arbeits-
losen gelegen. – Was haben wir noch übernommen? Un-
ter anderem eine sehr hohe Jugendarbeitslosigkeit und die
höchste Steuer- und Abgabenbelastung für die Bürgerin-
nen und Bürger in der Bundesrepublik.

Aber Ihr Kanzlerkandidat spricht von der Abschaffung
der Ökosteuer.


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Sehr richtig!)


Nebenbei bemerkt: Kostenpunkt 13 Milliarden Euro jähr-
lich. Danach reflektiert er erst einmal, was er da gesagt
hat. Dann zieht er seinen Vorschlag zurück und spricht da-
von, dass er vielleicht nur die fünfte Stufe der Ökosteuer
abschaffen will. Mit Verlaub, darüber sollte er sich vor ei-
ner solchen Aussage informieren. Auch hier ist der Kos-
tenpunkt 2,4 Milliarden Euro.

Eine nächste Forderung von Ihrer Seite ist die Senkung
der Lohnnebenkosten auf unter 40 Prozent. Dies ist si-
cherlich eine Forderung, die wir alle unterstützen und un-
terschreiben können; das ist überhaupt keine Frage.


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Dies haben Sie zigmal angekündigt und nichts erreicht!)


Aber auf Ihre solide Gegenfinanzierung, auf Ihr Konzept
warte ich noch heute. Das heißt, das, was Sie da tun, ist
nichts anderes als die Fortführung der Schuldenpolitik der
alten Regierung. Genau das werden wir entsprechend ver-
deutlichen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich möchte kurz auf die Lohnnebenkosten zurückkom-
men. Heute Morgen haben wir eine Debatte über Nach-
haltigkeit geführt. In diesem Zusammenhang wurde des
Öfteren die Ökosteuer angesprochen. Meine sehr verehr-
ten Damen und Herren von der Opposition, ich wäre Ih-
nen dankbar, wenn Sie auch einmal die andere Seite der
Medaille erwähnen würden. Was passiert denn mit den
Geldern aus der Erhebung der Ökosteuer? Wir können ja
über die Verwendung streiten; das ist keine Frage. Aber
was machen wir denn mit diesen Geldern? Die fließen
doch direkt in das soziale System,


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Damit werden Löcher gestopft, die Sie vorher gerissen haben!)


sodass wir es geschafft haben, die Rentenversicherungs-
beiträge zu stabilisieren.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Manfred Grund [CDU/CSU]: Dann sagen Sie doch Rentensteuer dazu!)


Wir hätten ohne die Ökosteuer und ohne die Rentenre-
form einen Rentenversicherungsbeitrag von mehr als
22 Prozent. Wir haben es geschafft, ihn auf 19,1 Prozent
abzusenken. Auch das ist eine Förderung des Mittelstan-
des.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir haben andere Wege beschritten, zum Beispiel in-
dem wir an unseren Universitäten 42 neue Lehrstühle im
Bereich der Existenzgründungen geschaffen haben. Wir
haben das Meister-BAföG erhöht, und zwar so, dass jetzt
eine größere Personengruppe einen Nutzen davon hat.
Seit 1998 sind 62 Ausbildungsplatzverordnungen moder-
nisiert worden. Es gibt inzwischen 21 bzw. 22 neue Aus-
bildungsberufe in den Bereichen der IT- bzw. der Dienst-
leistungsbranche. Genau da wollen wir hin. Auch das ist
aus unserer Sicht eine Mittelstandsförderung, zumal Sie
genau wissen, dass wir unter anderem eine Zukunftsmil-
liarde in den Haushalt von Bildung und Forschung sowie
Wirtschaft eingestellt haben. Dies betrifft gerade innova-
tive Projekte, unter anderem das 100 000-Dächer-Pro-
gramm. Ich brauche Ihnen nicht zu sagen, wie viele
Arbeitsplätze durch das 100 000-Dächer-Programm ge-
rade in diesem innovativen Umweltbereich geschaffen
worden sind.


(Beifall bei der SPD)

Mittlerweile haben wir flächendeckend in der Bundes-

republik 24 Kompetenzzentren für den IT-Bedarf, den
E-Commerce, eingerichtet. Herr Schindler, wir sind ja
beide aus der Pfalz: Wir haben zum Beispiel auch das
KET, das Kompetenzzentrum E-Business – Touristik, an






(C)



(D)



(A)



(B)


der FH Worms finanziert. Hier haben sich die Wirtschaft
– sprich: der DRV – und das Bundeswirtschaftsministe-
rium zu einer Förderung der IT-Branche im Tourismus-
bereich zusammengeschlossen.

An dieser Stelle möchte ich dem Wirtschaftsminister
ganz herzlich für seine Aktionen danken, die er im Mit-
telstandsbereich, aber auch im Tourismusbereich durch-
geführt hat.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Denn der Tourismus hat bei uns mittlerweile einen Anteil
von circa 8 Prozent am Bruttosozialprodukt. Es ist der
Tourismus, der inzwischen 2,8 bis 2,9 Millionen Arbeits-
plätze stellt. Ich habe vorhin mit meinem Kollegen Klaus
Wiesehügel gesprochen: Der Tourismus bietet mittler-
weile mehr Arbeitsplätze als das gesamte Bauhauptge-
werbe. Dementsprechend haben wir in den letzten drei-
einhalb Jahren natürlich gerade an dieser Stelle viel getan.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Denken Sie nur an das Tourismusförderprogramm, an die
Hilfen für den Campingtourismus und den ländlichen
Raum!


(Ilse Falk [CDU/CSU]: Man hätte auch etwas für das Baugewerbe tun können!)


Lassen Sie mich ganz kurz einige allgemeine wirt-
schaftspolitische Aussagen treffen. Die Konjunktur in
den USA, in den anderen europäischen Staaten, aber auch
hier bei uns in der Bundesrepublik zieht an. Wir werden
durch die Außenwirtschaft sicherlich noch einige positive
Impulse erhalten. Die Inflation hält sich in Grenzen. Wir
haben im Frühjahr dieses Jahres – lassen Sie es mich so
konkret formulieren – keine konjunkturpolitisch kopflo-
sen und vor allem auch populistischen Schnellschüsse ge-
macht.


(Beifall des Abg. Hubertus Heil [SPD])

Sie haben irgendwelche Konjunkturprogramme gefor-
dert, die – mit Verlaub – sowieso nur im Wind verpufft
wären.


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Die ruhige Hand merkt man allenthalben!)


Nein, ganz im Gegenteil: Wir haben am Kurs der Haus-
haltskonsolidierung festgehalten. Genauso werden wir
weitermachen. Das hilft auch dem Mittelstand.


(Beifall bei der SPD)

Der Bund muss ja immer noch jede vierte D-Mark bzw.

jeden zweiten Euro – Entschuldigung, ich denke immer
noch in D-Mark – für Zinsen ausgeben. Dieses Geld fehlt
uns im Bereich der Bildung, der Forschung, vor allem
aber auch für Zukunftsinvestitionen. Meine sehr verehr-
ten Damen und Herren vonseiten der Opposition, der An-
satz für Zukunftsinvestitionen, den wir von Ihnen über-
nommen haben, zeugt davon, dass Sie diese sträflich
vernachlässigt haben. Denken Sie nur an die PISA-Stu-
die! Diese Versäumnisse sind ja wohl nicht ein Ergebnis
der Politik der letzten zwei bis drei Jahre; ganz im Ge-

genteil: Die Fehler dafür sind in den letzten 15 Jahren zu
suchen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Genau deswegen werden wir auch weiterhin an der Poli-
tik der Haushaltskonsolidierung festhalten.

Wir haben die Neuverschuldung des Bundes mittler-
weile um 6 Milliarden Euro gedrückt, denn Sparen heißt
für uns ganz einfach auch, Spielräume für Zukunftsinves-
titionen zu schaffen. Wir halten es nämlich für verant-
wortungslos, der nächsten Generation einen so großen
Schuldenberg zu hinterlassen. Auch das, meine sehr ver-
ehrten Damen und Herren von der Opposition, ist für uns
ein Beitrag zu einer nachhaltigen Mittelstandspolitik.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Noch kurz ein Wort zur Steuerreform:Wir gehen von
einer Gesamtentlastung von circa 35 Milliarden Euro aus,
für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, für Familien,
aber auch für die Wirtschaft. Am meisten empört mich da-
bei der Vorwurf von Ihrer Seite, dass wir die Personenge-
sellschaften nicht entsprechend entlastet hätten.


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Stimmt doch!)


Darf ich Sie darauf hinweisen, dass 50 Prozent der Perso-
nengesellschaften gerade einmal einen Verdienst von
50 000 DM, sprich 25 000 Euro, und sogar 75 Prozent der
Personengesellschaften einen Verdienst von ungefähr
100 000 DM oder 50 000 Euro haben? Genau diese Grup-
pierung wird durch die Steuerreform entlastet.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – JochenKonrad Fromme [CDU/CSU]: Seit wann denn?)


Wir haben nämlich als Erstes den Eingangssteuersatz
von 25,9 Prozent auf mittlerweile 19,9 Prozent gesenkt
und werden ihn weiter auf 15 Prozent senken. Wir haben
den Spitzensteuersatz von 53 Prozent auf momentan
48,5 Prozent gesenkt


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Hätten wir alles schon 1995 mit Petersberg haben können!)


und gehen noch weiter herunter auf 42 Prozent. Genau das
hilft dem Mittelstand.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Angesichts der Forderung Ihres Kanzlerkandidaten, die
dritte Stufe der Steuerreform vorzuziehen – Kostenpunkt:
20 Milliarden Euro pro Jahr –, kann ich einfach nur nach-
fragen, meine sehr verehrten Damen und Herren vonsei-
ten der Opposition: Wo, bitte schön, ist Ihre solide Ge-
genfinanzierung?

Ich habe zum Schluss einfach nur eine große Bitte an
Sie, im Namen aller Deutschen,


(Lachen und Widerspruch bei der CDU/CSU)





Birgit Roth (Speyer)


23609


(C)



(D)



(A)



(B)


im Namen aller Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, im
Namen aller Familien und im Namen aller Betriebe:


(Manfred Grund [CDU/CSU]: Gute Frau, hier verheben Sie sich!)


Hören Sie endlich auf, den Standort Deutschland schlecht
zu reden, und hören Sie endlich auf, sich auf Kosten der
Wirtschaft zu profilieren!

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1423621800
Ich mache
Ihnen ein Kompliment, Frau Kollegin Roth: Sie haben so
intensiv gesprochen, dass sich das Plenum des Hauses
wirklich in erfreulicher Weise wieder gefüllt hat.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Deswegen durften Sie Ihre Redezeit ja auch um zwei Mi-
nuten überziehen.


(Manfred Grund [CDU/CSU]: Jeder soll seine Abschiedsrede bekommen!)


Jetzt hat das Wort die Kollegin Gudrun Kopp für die
Fraktion der FDP.


Gudrun Kopp (FDP):
Rede ID: ID1423621900
Herr Präsident! Sehr geehrte
Herren und Damen! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Es
mag ja sein, dass Sie aufgrund der Tatsache, dass die Re-
gierungsbank fast vollständig verwaist ist


(Widerspruch von der Regierungsbank)

– fast vollständig, jedenfalls was die Wirtschaftspolitik
betrifft –, einen Herbeizitierungsantrag befürchten. Sie
möchten aber sicher lieber bald in den Biergarten, statt
sich mit Wirtschaftspolitik zu beschäftigen.


(Manfred Grund [CDU/CSU]: Die kommen aus dem Biergarten! – Zuruf von der SPD: Wo sind denn Ihre Kolleginnen und Kollegen?)


Meine Herren und Damen, ich wüsste gerne einmal,
wer von Ihnen hier im Raum tatsächlich aus der mittel-
ständischen Wirtschaft kommt bzw. den Alltag in einem
mittelständischen Betrieb gesehen, geschweige denn, ihn
geführt hat oder in irgendeiner Weise die Innensicht
kennt.


(Renate Rennebach [SPD]: Sie haben Vorurteile! – Weitere Zurufe von der SPD)


In den vier Jahren Ihrer Regierungszeit, die nun vorüber-
geht, hätten sich die Mittelständler – aus dem Bereich, aus
der Praxis, komme ich nämlich – gewünscht, dass Rot-
Grün auch nur eine Hand gerührt hätte.


(Zuruf von der SPD: Was Sie für eine Praxis haben!)


Ich glaube, ohne Ihr politisches Zutun würde es dem Mit-
telstand heute erheblich besser gehen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Liebe Frau Kollegin Roth, ich schätze Sie persönlich
sehr. Aber wenn Sie hier ein Bild malen nach dem Motto
„Alles ist prima, alles ist herrlich; nur die dummen Mit-
telständler merken das gar nicht“, dann ist das wirklich ein
Affront gegen den Mittelstand.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Dann muss ich mich aufregen, weil ich es aus der Praxis
besser weiß.

Das Einzige, was uns in dieser verfahrenen Situation
hilft – um den Mittelstand steht es ganz schlecht, gerade
um die kleinen mittelständischen Unternehmen –, ist eine
spürbare Steuer- und Lohnnebenkostensenkung. Das
erfordert Reformen, Mut zu Veränderungen und natürlich
auch einen Bürokratieabbau.

Von den 3,3 Millionen mittelständischen Unternehmen
sind 60 Prozent kleine Betriebe, die nur bis zu zehn Be-
schäftigte haben. Eine erheblich größere Zahl hat bis zu
20 Beschäftigte. Diese kleinen Unternehmen tun sich
furchtbar schwer – Herr Professor Riesenhuber, ich
denke, da stimmen Sie mir zu –, wenn es darum geht, För-
derprogramme überhaupt in Anspruch zu nehmen, För-
dermittel zu beantragen, durch den Förderwust hindurch-
zufinden, den Riesenwust an Formularen auszufüllen.


(Monika Ganseforth [SPD]: Das ist aber nicht erst seit drei Jahren so!)


Dafür haben die Mittelständler in der Regel überhaupt
keine Zeit. Sie müssen sich um die wenigen Mitarbeiter,
die sie haben, und um jeden Auftrag, den sie brauchen, um
am Markt überhaupt noch bestehen zu können, sorgen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Frau Roth, Sie und Ihre Kollegen und Kolleginnen hät-

ten eine gute Tat vollbringen können, indem Sie die staat-
lichen Bürokratielasten abgebaut hätten, die Sie Firmen
aufbürden, zum Beispiel das Erstellen von Statistiken und
Pflichten im Bereich des Steuerrechts.


(Hubertus Heil [SPD]: Wie lange haben Sie von der FDP denn den Wirtschaftsminister gestellt? Das ist doch eine spannende Frage! Fast 30 Jahre hat es gedauert!)


30 Milliarden DM macht das aus. Diese Riesenbelastung
schultern zu 96 Prozent die kleinen und mittelgroßen Un-
ternehmen.

Heute stehen Firmen wirklich am Abgrund, weil es ih-
nen an Eigenkapital fehlt und sie auf langfristige Kredite
angewiesen sind. Sie könnten sich wenigstens darum
kümmern, hier Entlastungen zu schaffen, zum Beispiel in-
dem Sie Steueranreize bieten, damit diese Firmen über-
haupt in der Lage sind, sich in Zukunft mehr Eigenkapi-
tal zu verschaffen, und hier eine Tür zu einer besseren Zeit
öffnen.

Im Augenblick haben wir das komplette Chaos bei
sämtlichen Anmeldeformularen und bei Förderprogram-
men, die meist den großen und nicht den kleinen Firmen
zur Verfügung stehen. Wissen Sie eigentlich – bei dieser
Frage sehe ich noch einmal insbesondere zu den Sozial-
demokraten hinüber –, dass unsere Problembranchen,




Birgit Roth (Speyer)

23610


(C)



(D)



(A)



(B)


nämlich die Baubranche und die Holz verarbeitende
Branche, derzeit über eine Eigenkapitalquote von gerade
einmal 2 bis 5 Prozent verfügen?


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Hört! Hört!)


Das ist mit einer Bankrotterklärung gleichzusetzen. Das
ist gar nichts. Da weht überhaupt kein Wind mehr. Die
sind eigentlich fertig.

Ich wünschte mir, dass Sie sich erheblich ins Zeug le-
gen und sagen: Wir verabschieden endlich eine Steuer-
reform für den Mittelstand, die sich sehen lassen kann.
Wir gehen heran an die nötigen Reformen. Wir setzen uns
zudem auf der EU-Ebene dafür ein, dass Mittelständler in
Zukunft überhaupt noch Kredite erhalten. Denn es ist eine
Frage, zu welchen Konditionen sie Kredite bekommen;
eine andere Frage ist, ob sie überhaupt Kredite bekommen.

Wir müssen zum Thema Basel II Verbesserungen
durchsetzen, zum Beispiel was die Maluspunkte betrifft,
die für langfristige Kredite vergeben werden, und was die
Frage betrifft, wie künftig eine Unternehmeridee bewer-
tet wird. Was ist eine Unternehmeridee überhaupt wert?
Wie bewerten wir Risiko? Was ist ein Risiko innerhalb ei-
ner Firma? Wie finanzieren wir künftig Existenzgründer?
Das ist überhaupt nicht geklärt.


(Dr. Werner Hoyer [FDP]: Wohl wahr!)

Sie haben im Rahmen von Basel II Riesenprobleme. Hier
voranzukommen und ein Konzept auf den Weg zu brin-
gen, möglichst noch geschlossen in diesem Haus, sehe ich
als eine der ganz großen Aufgaben.


(Hubertus Heil [SPD]: Ja! Wir arbeiten daran!)

– Ja, auch wir arbeiten daran. Ich weiß allerdings, lieber
Herr Kollege Heil, dass die Mittelständler im Augenblick
überhaupt keine Hoffnung mehr auf irgendwelche Verän-
derungen vor der Bundestagswahl haben.


(Wolfgang Weiermann [SPD]: Einen kleinen Beitrag müssen sie selber einbringen, dafür sind sie Unternehmer!)


Sie wissen, sie müssen sich irgendwie über die Runden
bringen, sie müssen versuchen, dieses tiefe Tal, das sie vor
sich haben, zu durchschreiten, und das, obwohl der Mit-
telstand derjenige ist, der die meisten Ausbildungs- und
Arbeitsplätze bietet.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Genau diese Kuh wird gemolken.

(Wolfgang Weiermann [SPD]: Gemolken heißt nicht geschlachtet!)

Auf diese wichtige Wirtschaftssäule schlagen Sie ein und
sind überhaupt nicht bereit, das zu tun, was für die Zu-
kunft gemacht werden muss.

Ich sage Ihnen, für die FDP ist völlig klar –

(Hubertus Heil [SPD]: 18 Prozent!)


– natürlich, 18 Prozent –: Wir sind der Hoffnungsträger
für den Mittelstand. Wir hoffen, dass wir das ab dem
22. September unter Beweis stellen können.


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zeigen Sie mal Ihre Schuhsohlen!)


Dann dürfen Sie sich zurücklehnen und von uns lernen.
Herzlichen Dank.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1423622000
Der Kollege
Rolf Kutzmutz von der PDS gibt seine Rede zu Protokoll.
Die Kollegin Parlamentarische Staatssekretärin Margareta
Wolf gibt ihre Rede zu Protokoll. 1)

Der Kollege Norbert Schindler von der CDU/CSU-
Fraktion gibt seine Rede nicht zu Protokoll und steigert
damit natürlich unsere Erwartungen. Ich gebe ihm das
Wort.


Norbert Schindler (CDU):
Rede ID: ID1423622100
Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Man könnte seine Rede
eigentlich zu Protokoll geben, aber es muss unter anderem
darauf geantwortet werden, was die Kollegin Roth an
Behauptungen aufgestellt hat. Mittelstandspolitik und die
Steuerreform und ihre Auswirkungen sind die brennenden
Themen in diesen Tagen in unserer Republik. Liebe Kol-
legen von der Regierungspartei, ich gratuliere zum ideo-
logischen Bruch bei der Steuerreform. Das muss man Ih-
nen zugestehen. Dass Sie trotz der Neiddiskussion
versuchen, den jetzt gültigen Spitzensteuersatz von
52 Prozent auf 42 Prozent zu senken, erkenne ich an.


(Hubertus Heil [SPD]: Wie viele vom Mittelstand zahlen den Spitzensteuersatz?)


Dass man aber das Pferd von hinten aufzäumt, dass
man große Betriebe, Konzerne, Weltunternehmen und
Banker zuerst entlastet und mittelständische Betriebe erst
2005 in die Entlastung bringt – das gilt für alle
Mittelständler, das ist unbestritten –, ist doch die Misere
der Auswirkungen der Steuerreform, die Sie so hochge-
lobt im Jahre 2000 verkündet haben. Welche Ergebnisse
haben wir? Es gibt leider Gottes mehr als 4 Millionen Ar-
beitslose.

Sie haben vorhin in der Rede gelobt, zinsgünstige Kre-
dite für den Mittelstand auszugeben. Ist das etwas Neues?
Das haben doch alle Länder- und Bundesregierungen in
der Vergangenheit genauso praktiziert.

Dann reden Sie über die Schulden, die wir Ihnen hin-
terlassen haben.


(Hubertus Heil [SPD]: Ja!)

Ich bin auf die Schulden der deutschen Einheit stolz.
Leute, das kann man gar nicht oft genug wiederholen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Wolfgang Weiermann [SPD]: Aus welchem Säckel haben Sie die bezahlt? Sie haben in die Rentenversicherung reingepackt und haben die Schulden bezahlt!)





Gudrun Kopp

23611


(C)



(D)



(A)



(B)


1) Anlage 7

Ich darf das gern noch einmal vorrechnen: 400 Milliar-
den DM Auslandsschulden der DDR, 400 Milliarden DM
Inlandsschulden der DDR und 1 100Milliarden DM Trans-
ferleistungen sind die Bilanz, das sind rund 2 000 Milliar-
den DM. Was haben Sie in drei Jahren erreicht? Sie haben
noch 200, 300 Milliarden DM draufgesetzt. Sie rechnen
uns die Schulden, die wir uns in der Aufbauarbeit der ers-
ten zehn Jahre nach der deutschen Wiedervereinigung


(Hubertus Heil [SPD]: Nicht nur!)

mit Recht geleistet haben, vor. Sie wollten alles besser
machen. Die Schulden sind in drei Jahren um insgesamt
15 Prozent angewachsen.

Sie sprechen von der Umlenkung der Ökosteuer und
machen dem Volk dabei etwas vor. Sagen Sie doch gleich,
dass das eine Rentenfinanzierungsteuer ist. Wo findet
denn die Umweltkomponente statt? Dass wir mit der
Staatsquote wieder an 50 Prozent herangekommen sind,
spricht doch Bände.

Sie und natürlich auch wir hoffen, dass der Auf-
schwung aus den USA kommend auch auf Westeuropa,
auf Deutschland übergreift. Aber, liebe Freunde von der
Regierung, ich muss euch enttäuschen, denn so wie Rot-
Grün Verkrustungen in den Arbeitsgesetzen festge-
schrieben hat, wird das nicht eintreten. Das besagen alle
Voraussagen, die nach einer nüchternen Analyse der Zah-
len erstellt wurden.

Hier wird auch von der PISA-Studie berichtet. Ich bin
gespannt darauf, ob Sie den Mut haben, im Sommer die
PISA-Studie aufgeteilt nach Bundesländern vorzustellen,
und darauf, welche Ergebnisse der lange Zeit von Rot und
Rot-Grün geführten Regierungen Sie der deutschen Öf-
fentlichkeit präsentiert werden. Ich würde Ihnen für den
Mut, den Sie dabei aufbringen müssten, gratulieren.

Es wurden sehr viele Maßnahmen versprochen, zum
Beispiel die Reform der Arbeitsverwaltung und die De-
regulierung des Arbeitsmarktes. Allein bezogen auf die
630-Mark-Jobs wurde damals einiges beschlossen.


(Monika Ganseforth [SPD]: Das war gut!)

Stolz hat man verkündet, dass eine Millionen neue
Arbeitsplätze geschaffen wurden. Es gab über 3Millionen
630-Mark-Jobs. Wo sind denn die anderen 2 Millionen
geblieben?


(Erika Lotz [SPD]: Das wissen Sie doch!)

Bei der Verkrustung, die es derzeit gibt, ist die Gefahr

der latenten Schwarzarbeit immer mehr gegeben.

(Heinz Wiese [Ehingen] [CDU/CSU]: Das ist der Punkt! – Jochen-Konrad Fromme [CDU/ CSU]: So ist es!)


Im Tourismus wird bitter beklagt – Frau Roth, Sie haben
darauf hingewiesen –, man bekomme kaum noch gute
Leute, zum Beispiel rüstige Rentner – dabei ist es egal,
aus welchen Berufen sie kommen –, die nicht mehr Mit-
glied im Verein Finanzamt werden wollen. Über die Pau-
schalregeln haben wir 1997 und 1998 diskutiert. Alle
wussten, dass etwas passieren musste.

Der Wust, der jetzt vorgelegt wurde, und das, was für
den Arbeiternehmer tatsächlich unter dem Strich bleibt,

war nicht die Vernunftsantwort, um den Arbeitsmarkt auf
die Reihe zu bringen.


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Das Kind wurde mit dem Bade ausgeschüttet!)


Sie wissen doch selbst, welche ideologischen Fehler da-
bei gemacht wurden.


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: So ist es! – Wolfgang Weiermann [SPD]: Abgaben an die Rentenund Krankenversicherung sind Arbeitgeberleistungen!)


Der Gesetzentwurf von uns heißt „Deregulierung in
der Landwirtschaft“; das darf man ja nicht vergessen. Wir
machen nur bescheidene Vorschläge. Zum Beispiel schla-
gen wir vor, die Buchführungs- und Wertgrenzen für
die einzelnen Betriebe – insbesondere für die kleinen bäu-
erlichen Betriebe – leicht bzw. mittelmäßig zu erhöhen.
Die Steuerreferenten der Länder empfehlen dies auch.
Trotzdem werden nach der Einnahme-Überschuss-Rech-
nung wieder Bedenken vorgebracht. Hier hätten Sie, ge-
nauso wie bei der Diskussion im Rahmen der Anhörung
vorgestern im Finanzausschuss, den Mut aufbringen kön-
nen – das begrüße ich ausdrücklich –, zu sagen, dass bei
der Bioenergie schnell noch etwas auf den Weg gebracht
werden muss.


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Aktionismus!)


Sie reden von Deregulierung. Deshalb hätten Sie mit
kleinen Maßnahmen auch bei unserer Gesetzesvorlage ein
Zeichen setzen können.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Folgende Deregulierung brauchen wir zum Beispiel – re-
den wir nicht so plakativ daher –: eine 50-Tage-Regelung
für die Studenten und Arbeitswilligen in dieser Republik.
Das wäre eine Antwort gewesen, mit der das Gesetzes-
werk hätte reformiert werden können. Ich lobe hier die
Mitarbeit von Doris Barnett, die uns in ihrer Eigenschaft
mit konkreten Vorstellungen gerne helfen wollte. Die der-
zeitige Verstarrung führt zu 4 Millionen Arbeitslosen.


(Hubertus Heil [SPD]: Jetzt fangen Sie noch an zu weinen!)


Liebe Freunde von der Regierung, bei Ihnen gibt es
eine wahre Regulierungswut. Ich nenne das Bundes-
naturschutzgesetz, die Düngeauflagen von Künast und
Eingriffe, die natürlich zum Teil auch EU-bedingt sind.
Man wollte einiges besser machen. Der jetzige Zustand ist
aber bezeichnend für unsere Lage.


(Monika Ganseforth [SPD]: Das Bundesnaturschutzgesetz ist hervorragend!)


Frau Roth, auch wenn Sie an Deutschland, an uns und
alle Bürgerinnen und Bürger appellieren: Man muss da-
rüber reden. Wir reden den Standort Deutschland nicht
schlecht.


(Horst Kubatschka [SPD]: Permanent!)

Er ist schlecht. Das sind die nackten Tatsachen, die man
auch von der OECD in Paris hört.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)





Norbert Schindler
23612


(C)



(D)



(A)



(B)


Wir sind Europameister – von hinten – und liegen in der
wirtschaftlichen Entwicklung und bei allen wichtigen
Zahlen uneinholbar auf dem letzten Platz. Das ist nach
drei Jahren Rot-Grün Stand der Dinge.


(Dr. Norbert Wieczorek [SPD]: Warum haben wir so viele Direktinvestitionen? Warum sind wir Weltmeister im Export?)


Liebe Freunde, meine Damen und Herren, das hat
Deutschland nicht verdient. Wir alle rechnen am 22. Sep-
tember ab.


(Wolfgang Weiermann [SPD]: Man muss sich fragen, was bei Ihnen überwiegt: Ihre Dummheit oder Ihre Arroganz!)


Verlassen Sie sich darauf. Die Bürgerinnen und Bürger
sind klüger, als Sie glauben. Es wird Zeit, dass in der Re-
gierungsarbeit wieder Verantwortung, Vernunft und Mut
für die Zukunft Platz greifen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Bürger sind schlauer! Sie werden Sie nicht wählen)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1423622200
Nun spricht
der Kollege Hubertus Heil für die Fraktion der SPD.

Hubertus Heil (SPD) (von der SPD mit Beifall be-
grüßt): Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kol-
legen! Ich sehe mit Freuden, dass der amtierende Präsident
aus Niedersachsen stammt. Auch ich komme da her. Bei
uns in Norddeutschland erzählt man sich immer die Ge-
schichte vom Hasen und vom Igel. Ich weiß nicht, ob Sie
sie auch in der Pfalz kennen. Ich nehme es einmal an.

Zu Ihrem vorgelegten Antrag haben Sie keinen Satz ge-
sagt. Das ist wieder einmal bezeichnend.


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Im Finanzausschuss haben Sie das abgelehnt!)


Ich habe sehr gut zugehört, aber Sie haben nichts dazu ge-
sagt. In Ihrem Antrag fordern Sie etwas – die Kollegin
Roth hat schon darauf hingewiesen, auch ich will es Ihnen
ins Stammbuch schreiben –, was wir nicht nur längst er-
füllt, sondern weit überboten haben, nämlich die Auf-
stockung der Mittel im Bereich Innovation.


(Norbert Schindler [CDU/CSU]: Hat es etwas genutzt?)


– Entschuldigen Sie bitte. Wenn das hier nicht das Parla-
ment wäre und eine gewisse Würde zu achten wäre, würde
ich sagen, dass Sie ungetrübt von jeder Sachkenntnis Mist
und Blödsinn verzapfen.


(Beifall bei der SPD)

Der Kollege Riesenhuber hat sich zumindest bemüht, sich
zum Thema Innovation und Mittelstand zu äußern. Sie
verbreiten sich in allgemeinen Floskeln, die nichts mit der
Situation in diesem Land zu tun haben. Ich will mich, weil
es so spät ist, gerne auf Ihr Niveau herablassen.


(Zurufe von der SPD: Nein! – Horst Kubatschka [SPD]: Das schaffst du nicht!)


– Na gut, dann lassen wir das. Dann machen wir es kürzer.

(Manfred Grund [CDU/CSU]: Wir sind alle deswegen gekommen!)


Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1423622300
Bleiben Sie

so vornehm, wie die Niedersachsen immer sind.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und der FDP)


Hubertus Heil (SPD):
Rede ID: ID1423622400
Gut, dann bleiben wir auf nie-

dersächsischem Niveau. Schließlich kommt auch der
Kanzler aus Niedersachsen.


(Heiterkeit bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und der CDU/CSU – JochenKonrad Fromme [CDU/CSU]: Er war heute ganz besonders vornehm!)


– Bleiben wir also niedersächsisch gelassen, Herr Kol-
lege. Ich sage Ihnen einfach einmal der Reihe nach die
Fakten. Sie versuchen immer wieder, dieses Land kran-
kenhausreif zu reden und sich dann als Notarzt anzubie-
ten. Das werden die Menschen nicht mitmachen. Herr
Schindler, ich will Ihnen ein paar Sachen nennen, die et-
was mit der Innovationskraft und auch mit dem Mittel-
stand dieses Landes zu tun haben.

Deutschland ist bei den Patentanmeldungen noch vor
den USA auf Platz 2 der führenden Industrienationen in
der Welt. Deutschland ist im Bereich der Biotechnologie
Spitze. Deutschland ist in Europa im Bereich des E-Com-
mercemit einem Umsatz von 20 Milliarden Euro im Jahr
Spitze. Deutschland ist im Bereich der Automobilindus-
trie und – das möchte ich besonders betonen, weil es mit
dem Mittelstand zu tun hat – der Zuliefererbetriebe hoch
innovativ. All das wollen Sie kleinreden und aus blödsin-
nigen wahlkampftechnischen Überlegungen schlecht ma-
chen? Das wird Ihnen nicht gelingen, Herr Kollege.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Gudrun Kopp [FDP]: Also alles bestens?)


Ich sage Ihnen: Diese Spitzenposition hat auch etwas
mit der Politik der letzten drei Jahre zu tun. Das ist ganz
einfach an einer Zahl abzumessen. Wie kann der Standort
Deutschland, den Sie hier so kleinreden, schlecht sein,
wenn sich die Zahl der Direktinvestitionen in den letzten
drei Jahren verzehnfacht hat?


(Manfred Grund [CDU/CSU]: Vodafone!)

Das hat etwas mit der Steuerreform, die wir gegen Ihren
heftigen Widerstand gemacht haben, zu tun.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die Rahmenbedingungen, unter anderem durch die
Steuerreform, aber auch durch neue Akzente in der Bil-
dungs-, Wirtschafts-, Technologiepolitik und -förderung
verbessert, sind die eigentliche Ursache dafür, dass wir
uns heute sehen lassen können. Daran werden Sie nichts
ändern können.

Die kleinen und mittelständischen Unternehmen in
Deutschland sind nach wie vor innovationsstark und der




Norbert Schindler

23613


(C)



(D)



(A)



(B)


Motor von Innovationen in diesem Land. Das liegt nicht
zuletzt daran, dass es Dinge gibt, die Sie vielleicht als wei-
che Standortfaktoren bezeichnen würden, nämlich die
Qualifikation und der Erfindungsgeist der Arbeitneh-
merinnen und Arbeitnehmer, die in kleinen und mittel-
ständischen Unternehmen als Tüftler arbeiten und dafür
sorgen, dass in diesem Bereich neue Arbeitsplätze ent-
stehen.

Wir haben tatsächlich eine Situation, in der wir uns da-
rauf besinnen müssen, was den Standort Deutschland ein-
mal groß gemacht hat; denn diese Standortvorteile haben
wir nach wie vor. Ich habe die Qualifikation der Arbeit-
nehmerinnen und Arbeitnehmer schon angesprochen. Ich
möchte einen zweiten nennen, nämlich Wissenschaft
und Forschung. Auch dieser Standortvorteil ist wieder
im Kommen. Die Region Südostniedersachsen – ich darf
das noch einmal betonen, Herr Präsident – ist ein Beispiel
dafür – das können Sie sich anschauen –, wie mit öffent-
licher Unterstützung in Forschung und Wissenschaft in
diesem Bereich Effekte für wirtschaftliche Entwicklung
und Arbeitsplätze entstehen.

Eines vergessen Sie von der Opposition so oft. Das er-
kennt man auch, wenn man sich Ihr Regierungsprogramm
anschaut. Es gibt in diesem Land einen dritten Standort-
vorteil, nämlich den sozialen Frieden.


(Wolfgang Weiermann [SPD]: So ist es!)

Die Tatsache, dass es in Deutschland gesicherte Verhält-
nisse und Investitionssicherheit auch für den Mittelstand
gibt, ist ein Standortvorteil. Sie wollen diesen sozialen
Frieden mit Ihrer Politik, für die Sie 1998 abgewählt wur-
den, aufkündigen. Bei der Lohnfortzahlung im Krank-
heitsfall, beim Kündigungsschutz und bei vielen anderen
Dingen erklären Sie den Arbeitnehmerinnen und Arbeit-
nehmern wiederum den sozialen Krieg. Darüber werden
wir uns einmal unterhalten, meine lieben Kolleginnen und
Kollegen. Das ist keine Politik für den Mittelstand


(Manfred Grund [CDU/CSU]: Das war das 98er-Programm, das Sie jetzt haben!)


– auch wenn Sie das immer wieder behaupten –, sondern
eine Politik, die einzig und allein darauf ausgerichtet ist,
den sozialen Frieden und den Sozialstaat in diesem Land
zu diskreditieren und abzubauen.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Dr. Angelika Köster-Loßack [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])


Das werden wir nicht mitmachen und das werden wir
Ihnen auch nicht durchgehen lassen.


(Beifall bei der SPD – Lachen des Abg. Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU])


– Sie können ja über den sozialen Rechtsstaat lachen, Herr
Kollege Fromme.


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Ich lache nicht über den sozialen Rechtsstaat! Ich lache über Sie!)


Er ist nicht nur im Grundgesetz verankert, sondern er ist
– ich wiederhole – für dieses Land auch ein wichtiger

Standortfaktor und ein wirtschaftlicher Faktor. Das hat
sich auch beispielsweise gestern Nacht bei der Tarifeini-
gung gezeigt.

Wir leben in einem Land, in dem es Auseinanderset-
zungen und unterschiedliche Interessen gibt, aber wir ha-
ben auch ein politisches System, das es durchaus schafft,
sozialen Ausgleich und die Teilhabe am Haben und am
Sagen zum Wohle aller – der Beschäftigten in diesem
Land wie auch der Unternehmerinnen und Unternehmer –
miteinander zu vereinbaren.

Keine Frage, wir haben noch viel zu tun. Es bleibt auch
in den nächsten Jahren für den wirtschaftlichen Mittel-
stand gerade bei der Frage des Zugangs zum Kapital-
markt eine ganze Menge auf den Weg zu bringen.

Frau Kollegin Kopp, Basel II ist ein gemeinsames
Thema. Das wissen Sie und darin gibt es auch keinen Dis-
sens.


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Sie wollten das doch laufen lassen! Wir haben es erst hochgezogen!)


– Ach Quatsch, Herr Fromme. Ich verliere gleich die Fas-
sung. Es ist eigentlich zu spät dafür. Erzählen Sie nicht so
einen Quatsch. Wir haben zumindest im Wirtschaftsaus-
schuss, dem Sie ja nicht angehören, miteinander über
Basel II diskutiert.


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Nachdem wir Sie im Finanzausschuss erst munter gemacht haben!)


Wir haben eine Bundesregierung, die in den Verhandlun-
gen eine ganze Menge für den Mittelstand herausgeholt
hat.


(Beifall bei der SPD – Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Auf Druck!)


Wir stehen auch vor einer Situation, in der wir sehr
ernsthaft miteinander darüber reden müssen, wie es mit
den Geschäftsbanken in Deutschland und dem Durch-
reichen bestimmter öffentlicher Programme weitergeht.
Wir wollen beispielsweise keinen Aufbau einer Direkt-
vermarktungsstruktur. Dieses Missverständnis versu-
chen Sie ja zu erwecken. Falls es aber nicht gelingt, diese
Programme auch über private Geschäftsbanken in diesem
Bereich durchzureichen, müssen wir darüber eine Dis-
kussion führen.

Es geht darum, dass kleine und mittelständische Un-
ternehmen auch zukünftig an Kredite kommen können,
um innovativ zu sein, Arbeitsplätze zu schaffen und wirt-
schaftlich tätig zu sein. Ich hoffe, dass wir uns dabei nicht
auch noch aus Wahlkampfzwecken einen Dissens leisten
müssen. Es gibt andere Beispiele und Themen, über die
wir uns ordentlich zoffen können; dieses aber sollte ein
gemeinsames Anliegen sein.

Heute Morgen ist über Nachhaltigkeitsstrategien in
diesem Land diskutiert worden. Aufgrund der Debatten-
beiträge der Kolleginnen und Kollegen von der Opposi-
tion ist die Diskussion dann wieder in eine reine Wahl-
kampfschlacht ausgeartet. Das fand ich schade, weil
Nachhaltigkeit durchaus nicht nur mit der ökologischen
Entwicklung und dem sozialen Frieden in diesem Land,




Hubertus Heil
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(D)



(A)



(B)


sondern auch mit der wirtschaftlichen Entwicklung zu tun
hat. Dafür ist der Mittelstand nach wie vor die treibende
Kraft. 70 Prozent der Arbeitsplätze und 90 Prozent der
Ausbildungsplätze in Deutschland befinden sich in klei-
nen und mittelständischen Unternehmen.

Wir haben durch die Senkung des Eingangsteuersatzes,
die Erhöhung des Grundfreibetrags und auch die Senkung
des Spitzensteuersatzes etwas getan, um die steuerlichen
Rahmenbedingungen zu verbessern. Das allein wird
aber nicht ausreichen, um den Mittelstand in Deutschland
weiter zu stärken. Gerade im Bereich Innovation und
Technologieförderung wollen wir den Weg, den wir be-
reits eingeschlagen haben, fortsetzen.


(Gudrun Kopp [FDP]: Lieber nicht!)

Damit machen wir morgen Früh weiter. Für heute wün-
sche ich Ihnen noch eine schöne Nacht.

Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1423622500
Ich schließe
die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzentwurf
der Fraktion der CDU/CSU zum Bürokratieabbau für
kleine und mittelständische Betriebe, Drucksache 14/6633.
Der Finanzausschuss empfiehlt, den Gesetzentwurf abzu-
lehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zu-
stimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dage-
gen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter
Beratung mit den Stimmen von SPD und Bündnis 90/Die
Grünen gegen die Stimmen von CDU/CSU und der FDP
bei Enthaltung der PDS abgelehnt. Damit entfällt nach un-
serer Geschäftsordnung die weitere Beratung.

Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschus-
ses für Wirtschaft und Technologie zu dem Antrag der
Fraktion der CDU/CSU mit dem Titel „Förderung der In-
novation im Mittelstand“. Der Ausschuss empfiehlt, den
Antrag abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussemp-
fehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die
Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitions-
fraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen
angenommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 14 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Wirtschaft und Techno-
logie (9. Ausschuss) zu dem Entschließungsan-
trag der Abgeordneten Wolfgang Börnsen

(Bönstrup), Gunnar Uldall, Peter Rauen, weiterer

Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU zu
der Großen Anfrage der Abgeordneten Wolfgang
Börnsen (Bönstrup), Gunnar Uldall, Peter Rauen,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/
CSU
Zukunft der deutschen Messewirtschaft in der
Globalisierung
– Drucksachen 14/4816, 14/5581, 14/6340,
14/7160 –

Berichterstattung:
Abgeordneter Werner Schulz (Leipzig)


Die Kolleginnen und Kollegen, die angemeldet waren,
geben ihre Reden zu Protokoll.1)

Deswegen kommen wir zur Abstimmung über die Be-
schlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und
Technologie auf Drucksache 14/7160. Der Ausschuss
empfiehlt, den Entschließungsantrag auf Drucksache
14/6340 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussemp-
fehlung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? – Die Be-
schlussempfehlung ist mit den Stimmen von SPD, Bünd-
nis 90/Die Grünen und PDS gegen die Stimmen von
CDU/CSU und FDP angenommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Markus
Meckel, Monika Heubaum, Dr. Hans-Peter
Bartels, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der SPD; der Abgeordneten Hans-Dirk Bierling,
Dr. Karl-Heinz Hornhues, Karl Lamers, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU,
der Abgeordneten Rita Grießhaber, Dr. Helmut
Lippelt, Christian Sterzing, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN sowie der Abgeordneten Dr. Helmut
Haussmann, Walter Hirche, Ulrich Irmer,
Dr. Wolfgang Gerhardt und der Fraktion der FDP
Neue Impulse für die Zusammenarbeit von EU
und Russland bei der Entwicklung der Region
Kaliningrad
– Drucksache 14/9060 –

Alle Redner haben ihre Reden zu Protokoll gegeben.2)
Wir stimmen jetzt über den Antrag auf Drucksache

14/9060 ab. Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? –
Enthaltungen? – Der Antrag ist einstimmig angenommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 sowie den Zu-
satzpunkt 18 auf:
16. Beratung des Antrags der Abgeordneten Lothar


(Ingolstadt)

SPD sowie der Abgeordneten Kerstin Müller

(Köln), Rezzo Schlauch und der Fraktion des

BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Intensivierung der Beziehungen zwischen der
Europäischen Union, Lateinamerika und der
Karibik
– Drucksache 14/9051 –

ZP 18 Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-

(3. Ausschuss)

Mark, Hans Büttner (Ingolstadt), Anke Hartnagel,




Hubertus Heil

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(D)



(A)



(B)


1) Anlage 8
2) Anlage 9

weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD,
der Abgeordneten Christa Nickels, Kerstin Müller

(Köln), Rezzo Schlauch und der Fraktion des

BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie der Ab-
geordneten Dr. Helmut Haussmann, Walter
Hirche, Dr. Werner Hoyer, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der FDP
Hilfe für die Opfer der Colonia Dignidad
– Drucksachen 14/7444, 14/8511 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Lothar Mark
Clemens Schwalbe
Dr. Helmut Lippelt
Walter Hirche
Wolfgang Gehrcke

Alle Redner haben ihre Reden zu Protokoll gegeben.1)
Tagesordnungspunkt 16: Interfraktionell wird die

Überweisung der Vorlage auf Drucksache 14/9051 an die
in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorge-
schlagen. – Das Haus ist damit einverstanden. Dann ist die
Überweisung so beschlossen.

Zusatzpunkt 18: Wir kommen zur Abstimmung über
die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses
zu dem Antrag der Fraktion von SPD, Bündnis 90/Die
Grünen und FDP mit dem Titel „Hilfe für die Opfer der
Colonia Dignidad“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag
auf Drucksache 14/7444 anzunehmen. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? – Gegenprobe! – Enthaltun-
gen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen des
Hauses bei Enthaltung der CDU/CSU-Fraktion angenom-
men.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 17 sowie den Zu-
satzpunkt 19 auf:
17. Beratung des Antrags der Abgeordneten Brigitte

Adler, Adelheid Tröscher, Ingrid Becker-Inglau,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
sowie der Abgeordneten Dr. Angelika Köster-
Loßack, Hans-Christian Ströbele, Ulrike Höfken,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Welternährungsgipfel – fünf Jahre später
– Drucksachen 14/8031 –

ZP 19 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Helmut
Haussmann, Ina Albowitz, Hildebrecht Braun

(Augsburg), weiterer Abgeordneter und der Frak-

tion der FDP
Umsetzung der von Deutschland beim Millen-
niumgipfel übernommenen Verpflichtungen
– Drucksache 14/9055 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung (f)

Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie

Die Fraktionen haben sich auf eine Debattendauer von
einer halben Stunde verständigt. – Ich höre keinen Wider-
spruch. Dann ist so beschlossen.

Bevor ich die Aussprache eröffne, gebe ich bekannt,
dass die Kollegen Joachim Günther von der FDP und
Carsten Hübner von der PDS ihre Reden zu Protokoll ge-
geben haben.2)

Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort der Kol-
legin Brigitte Adler für die Fraktion der SPD.

Brigitte Adler (SPD) (von der SPD mit Beifall be-
grüßt): Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kolle-
gen! Die Teilnehmerstaaten des Welternährungsgipfels
von 1996 in Rom hatten sich zum Ziel gesetzt, bis zum
Jahr 2015 die Zahl der Hungernden von damals 800 Mil-
lionen auf 400 Millionen Menschen zu reduzieren. Im
globalen Aktionsplanwurden dabei verschiedene Aufga-
benschwerpunkte identifiziert, so zum Beispiel die Schaf-
fung des für die Bekämpfung von Armut und Hunger so-
wie für dauerhaften Frieden notwendigen politischen,
sozialen und wirtschaftlichen Umfeldes, die Umsetzung
einer partizipativen und nachhaltigen Entwicklungspoli-
tik oder die Einbettung einer solchen Politik in eine faire
und marktorientierte Welthandelspolitik.

Die Probleme im Bereich „Ernährungssicherheit und
ländliche Entwicklung“ sind wissenschaftlich hinrei-
chend untersucht und umfassend dokumentiert worden. In
zahlreichen internationalen Erklärungen und Aktions-
programmen wurden die Ziele eindeutig formuliert und
Lösungswege aufgezeigt. Nach Angaben der Welt-
ernährungsorganisation der Vereinten Nationen, FAO,
sind die technischen, institutionellen und finanziellen
Möglichkeiten, den Kampf gegen den Hunger zu gewin-
nen, grundsätzlich vorhanden. Erforderlich ist die Set-
zung politischer Prioritäten zugunsten von Maßnahmen
zur Bekämpfung des Hungers sowie zur Entwicklung der
Landwirtschaft und der ländlichen Räume.

Ziel aller Bemühungen ist es, wie es der Träger des
Welternährungspreises, Per Pinstrup-Andersen, formu-
liert, eine

Welt, in der jeder Mensch Zugang zu ausreichender
Nahrung hat, um ein gesundes und lebenswertes
Leben zu führen,

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

eine Welt, in der es keine Unterernährung gibt und
Nahrungsmittel aus leistungsfähigen und kostengüns-
tigen Nahrungsketten stammen, die mit einer nach-
haltigen Nutzung der natürlichen Ressourcen verein-
bar sind.

Das Aktionsprogramm 2015 der Bundesregierung un-
terstreicht im Hinblick auf diese Ziele die große Bedeu-
tung des Rechts auf Nahrung im Kontext der wirtschaft-
lichen, sozialen und kulturellen Menschenrechte.




Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters
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(D)



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(B)


1) Anlage 10 2) Anlage 11

Gerade jetzt, fünf Jahre nach dem Welternährungsgip-
fel in Rom, geht es nicht allein um eine Analyse der bis-
her erreichten Fortschritte, sondern um eine politische
Weichenstellung im Hinblick auf zukünftige Strategien.
Insofern steht der Welternährungsgipfel in direktem Zu-
sammenhang mit der WTO-Ministerratstagung in Doha,
der Konferenz der Vereinten Nationen zur Entwicklungs-
finanzierung in Monterrey, Mexiko, und dem Weltgipfel
für nachhaltige Entwicklung im September 2002 in
Johannesburg.

Eine Stellungnahme der Landwirtschaftsorganisation
der Vereinten Nationen, FAO, besagt, dass bei gleichblei-
bendem Engagement der Staatengemeinschaft die Errei-
chung des Zieles einer Halbierung der Zahl der weltweit
Hungernden in Zweifel zu ziehen ist, wenn nicht erheb-
lich mehr Anstrengungen unternommen werden. Bleibt
also Ernährungssicherung eine Utopie? Bleiben Ak-
tionspläne ohne Wirkung? Wenn ja, warum? Der Nobel-
preisträger für Wirtschaftswissenschaften, Amartya Sen,
sieht den Schlüssel zur Verwirklichung von Ernährungs-
sicherheit in der substanziellen Freiheit des Einzelnen und
der Familie, sich ausreichend Nahrung zu beschaffen.
Dazu müssen die Menschen entweder in der Lage sein,
ihre Nahrung selbst zu produzieren, oder sie müssen über
eine entsprechende Kaufkraft verfügen, um sich Lebens-
mittel auf dem Markt beschaffen zu können. Menschen
leiden nach Sen dann Hunger, wenn sie nicht selbst um
Nahrung nachsuchen können.

Welche Gründe können nun angeführt werden, die dies
verhindern? Die Antwort fällt sehr differenziert aus: Steht
in Lateinamerika die fehlende oder halbherzige Land-
reform im Vordergrund, so sind es in Asien ebenfalls ei-
gentumsrechtliche Hindernisse und in Afrika unter an-
derem klimatische Probleme wie die Ausdehnung der
unfruchtbaren Wüste. Diese Klimaproblematik wurde
weltweit durch Abholzung, Überweidung und Überlas-
tung der Böden hervorgerufen.

Hier wäre es notwendig, konsequent anzusetzen. Aber
immer wieder stehen wirtschaftliche Interessen kapital-
starker Unternehmen entgegen. Die internationale Staa-
tengemeinschaft sollte mehr Mut aufbringen, durch Öf-
fentlichkeitsarbeit die Ursachen genau zu benennen und
Lösungen aufzuzeigen und diese, wenn nötig, auch mit
politischem Druck durchzusetzen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Es kann nicht angehen, dass die bereits bestehenden Ana-
lysen eigentlich sehr genau Aufschluss geben, konse-
quentes Handeln der politisch Verantwortlichen aber aus-
bleibt.

Eine Reform des Bodenrechts, um die Chancen-
gleichheit wieder herzustellen, sowie der Zugang zu sau-
berem Wasser für die Haushalte und die Bewässerung
müssen gewährleistet werden. Das Saatgutmuss den kli-
matischen Bedingungen angepasst sein und darf nicht
durch Giftstoffe der Pflanzenbehandlungsmittel passend
gemacht werden. Hybridsaatgut muss untersagt werden,
da wirtschaftliche Interessen gegen Hunger nicht ausge-
spielt werden dürfen. Die Vermarktung erzeugter land-

wirtschaftlicher Produkte sollte nicht den Multis über-
lassen bleiben. Örtliche, regionale und überregionale Or-
ganisationen, die von dem Produzenten noch beeinflusst
werden können, sollten gestärkt und unterstützt werden.
Überwachung und Kontrolle dürfen nicht abgezogen
werden, damit die Preise und die Terms of Trade nicht ein-
seitig bestimmt werden. Teilhabe und Partizipation soll-
ten nicht mehr nur in Sonntagsreden für die Länder des
Südens eine Rolle spielen. Auch Analphabeten können
ihre Interessen artikulieren und einfordern.

Eine Weiterverarbeitung der landwirtschaftlichen
Produktion ist der nächste Schritt, der Ernährungssiche-
rung stabilisieren kann. Das notwendige Wissen ist vor-
handen und, wenn nötig, erlernbar. Aber auch hier ver-
suchen Großkonzerne, ihre Produktion zulasten der
Kleineren auszulasten. Veredlung kann auch in Schwarz-
afrika geleistet werden.

Kapital wäre vorhanden, wenn Weltbankkredite
auch für solche Bereiche konsequent eingesetzt würden.
Arbeitsplätze außerhalb der Landwirtschaft könnten zu-
stande kommen. Die Folgen wären Arbeit, Einkommen
und Konsum; ein Kreislauf könnte sich zur Aufwärts-
spirale entwickeln. Zulieferbereiche könnten im formel-
len Sektor entstehen. Auf dem Land gäbe es Zukunft
durch Landwirtschaft, Handwerk und Gewerbe. Das Pro-
blem der Verteilung von Gütern könnte dadurch ebenfalls
gelöst werden.

Grüne Gentechnologie täuscht Hilfe vor. Wieder wol-
len große, kapitalstarke Unternehmen ihre Geschäfte ma-
chen. Die Frage ist, was gentechnisch erforscht und
weiterentwickelt werden soll. Die Verträglichkeit von
Pflanzengiften, damit die Agrarchemie wächst und ge-
deiht? Besteht die Lösung darin, bodenabhängiges Saat-
gut zu entwickeln? Gentechnik ist nicht mehr zu verhin-
dern. Die Richtung aber muss mitbestimmt werden. Die
internationale Agrarforschung hat hier eine verantwor-
tungsvolle Aufgabe zu erfüllen.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Aber überall, wo Menschen handeln, gilt es Interessen ab-
zuwägen.

Frauen spielen in der Landwirtschaft eine hervorgeho-
bene Rolle. Traditionell haben sie dort schwerpunktmäßig
ihre Aufgabe. Wie werden sie mit neuen Anforderungen
fertig? Wer bildet sie aus? Wer unterrichtet sie über neuere
und effizientere Methoden? Auch hier gäbe es Ansatz-
punkte, die schnell und unbürokratisch umgesetzt werden
könnten. Warum unterbleibt es? Warum geht alles so
schwerfällig? An welcher Stelle muss begonnen werden,
den Teufelskreis zu durchbrechen? Sauberes Wasser hilft
Krankheiten zu verhindern. Nährstoffreiches Saatgut
hilft, Schlappheit und Müdigkeit in neue Energie zu ver-
wandeln.

Nachhaltigkeit ist das neue Zauberwort. Nur, was be-
deutet dies konkret? Maßstab muss sein, die notwendigen
Ressourcen zu schonen und erneuerbar zu halten. Nur,
wer hält sich daran? Jeder zeigt mit dem Finger auf den
anderen und stellt Forderungen an den anderen. Was
macht den Norden so sicher, dass er glaubt, den Süden so




Brigitte Adler

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(C)



(D)



(A)



(B)


nachhaltig ausbeuten zu können? Letztlich vernichten wir
damit auch unsere Lebensgrundlage.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Unser Antrag enthält Forderungen, die nicht utopisch,
sondern praktikabel umsetzbar sind. Umweltverträgliches
Handeln hat die Natur und den Menschen im Blick.

Was kostet das Ganze nun? Der erste Schritt bestünde
darin, die finanziellen Ressourcen besser und effizienter
einzusetzen; ehrliche und betriebswirtschaftlich bere-
chenbare Preise wären der nächste. Geld allein hilft nicht.
In den Köpfen muss der Kampf gegen Hunger und Armut
beginnen, um gewonnen zu werden. Er ist nicht aus-
sichtslos. Veraltete Strukturen dürfen nicht konserviert
werden, aber „altes Wissen“ muss einbezogen und wei-
terentwickelt werden.

Mit Konferenzen und Workshops wird international
versucht, Wissen und Schlussfolgerungen zu erörtern, um
die besten Lösungen zu finden. Aber der Weg muss end-
lich beschritten werden. Analysen sind genug erstellt wor-
den; Schlussfolgerungen müssen endlich umgesetzt wer-
den. Die Bundesregierung und die sie tragenden Fraktionen
haben gute Vorschläge und Handlungsalternativen in die
Entwicklungszusammenarbeit eingebracht. Sie müssen
international erweitert werden, damit der Hunger in der
Welt besiegt wird.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Deshalb muss es bei der im Juni anstehenden Konfe-
renz in Rom um konkrete Maßnahmen gehen, zu denen
sich die teilnehmenden Staaten nicht nur verpflichten,
sondern zu denen sie auch Zeitpläne auf den Tisch legen.
Die vielen Absichtserklärungen vergangener Jahrzehnte
waren sicherlich nicht vergeblich. Aber in Anbetracht der
nach wie vor Besorgnis erregenden Situation sollten mit-
telfristige Zeitpläne eine bessere Fortschrittskontrolle er-
möglichen. Ein Zeitraum von 20 Jahren ist einfach zu
lang. Eine solche Fortschrittskontrolle führt lediglich zu
bedauerndem Staunen über die verpassten Chancen.

Unser Antrag, um den es heute geht, eröffnet jetzt die
Möglichkeit des Handelns in einem überschaubaren Zeit-
raum. Ich bitte Sie deshalb, unserem Antrag zuzustim-
men.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1423622600
Für die Frak-
tion der CDU/CSU spricht die Kollegin Marlies Pretzlaff.


Marlies Pretzlaff (CDU):
Rede ID: ID1423622700
Herr Präsident! Liebe
Zuhörer der SPD!


(Heiterkeit bei der SPD)

Ich begrüße auch die wenigen der anderen Parteien.


(Heiterkeit bei der PDS)

Frau Adler, Sie haben eben viele richtige Fragen ge-

stellt und die Probleme, die hinsichtlich der Sicherung der

Ernährung der Weltbevölkerung bestehen, richtig be-
schrieben. Doch unser Problem ist, dass schon 1996, als
der Welternährungsgipfel stattfand, Lösungswege aufge-
zeigt wurden und ein Aktionsplan aufgestellt worden ist,
von dem jetzt, wo die Nachfolgekonferenz ansteht, leider
gesagt werden muss, dass er wenig Erfolg gezeigt hat.
Darin werden Sie mir zustimmen müssen. Leider sind die
Lösungswege von 1996 allzu häufig Makulatur geblie-
ben, denn man ist ziemlich schnell zur nationalen Tages-
politik übergegangen; die praktische Umsetzung der rati-
fizierten Theorie lässt bis heute auf sich warten.

Die Erreichung des damals formulierten Ziels, die Zahl
der Hungernden bis zum Jahr 2015 zu halbieren, scheint
tatsächlich in weite Ferne zu rücken; denn nur wenige der
91 Länder, die im Vorfeld dieser Nachfolgekonferenz Be-
richte über ihre Aktivitäten erstatteten, konnten nennens-
werte Fortschritte bei der Ernährungssicherung der ei-
genen Bevölkerung mitteilen. Mehr als die Hälfte der
Entwicklungsländer, die 1996 in Rom teilnahmen, haben
heute mehr Unterernährte als vor fünf Jahren. Wenn China
nicht so große Erfolge bei der Hungerbekämpfung vor-
weisen könnte – eine Reduzierung der Zahl der Hunger
leidenden Menschen um 80 Millionen –, würden die Zah-
len nicht stagnieren, sondern gäbe es heute mehr chro-
nisch Hunger leidende Menschen als vor fünf Jahren.

Trotz vielfältiger Anstrengungen der Hilfsorganisatio-
nen und der staatlichen Zusammenarbeit ist es also bisher
nicht gelungen – das bleibt festzustellen –, die
Ernährungsdefizite signifikant zu beheben. Umso wichti-
ger ist der Antrag, den die Fraktionen der SPD und der
Grünen gestellt haben.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


– Ihr dürft auch klatschen. –

(Manfred Grund [CDU/CSU]: Mal sehen, was noch kommt!)

Von daher – ich nehme es vorweg – werden wir uns der
Stimme enthalten.


(Zurufe von der SPD: Oh! – Lothar Mark [SPD]: Das sollten Sie sich noch einmal überlegen!)


Ich werde auch begründen, warum wir nicht zustimmen
können.

Leider rückt diese ernüchternde Bilanz nach fünf Jah-
ren auch die Weltbank und die Geberländer in ein wenig
erfreuliches Licht. Die Weltbank, eigentlich der Armuts-
bekämpfung verpflichtet, schreibt die Landbevölkerung
in den Entwicklungsländern offensichtlich zunehmend
ab. Die Kreditsumme von 3,6 Milliarden US-Dollar für
Projekte der ländlichen Entwicklung schrumpfte inner-
halb von zehn Jahren auf nur noch 1,1 Milliarden US-
Dollar. Die USA, Japan und leider auch Deutschland
kürzten ihre Hilfe für ländliche Entwicklung, Agrarrefor-
men und Ernährungssicherungsprogramme ebenfalls
mehrfach. Die offizielle Agrarentwicklungshilfe sank um
rund 1 Milliarde US-Dollar auf nur noch 14 Milliar-
den US-Dollar – gerade so, als litte nicht nach wie vor je-




Brigitte Adler
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(D)



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(B)


der fünfte Mensch in den Entwicklungsländern an chroni-
schem Hunger!

Der Ernährungssicherung ebenso wenig dienlich ist
auch die Tatsache, dass die Industriestaaten weiterhin
rund 350 Milliarden US-Dollar Agrarsubventionen pro
Jahr in ihre eigene Landwirtschaft pumpen. Das ist sie-
benmal mehr als der Gesamtetat für Entwicklungshilfe.
Mit dem Aktionsplan von 1996 ist nur schwer zu verein-
baren, dass der US-Senat erst vor einigen Tagen ein bei-
spielloses Subventionsprogramm von 180Milliarden US-
Dollar als Zuschuss für die eigenen Farmer aufgelegt hat.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Um von den Industrie- und Geberländern auf die Ent-
wicklungsländer zu kommen: Auch die Entwicklungs-
länder haben ihre Hausaufgaben nur ungenügend gemacht
und zu wenig in den Agrarsektor bzw. in die Entwicklung
der ländlichen Räume investiert. Oft stehen sie zugegebe-
nermaßen unter finanziellem Druck und müssen ihre
Staatsausgaben reduzieren, sind hoch verschuldet und ha-
ben nicht die notwendigen Mittel. Aber oft investieren sie
auch in Vorzeigeobjekte und -projekte oder – schlimmer
noch – tätigen Militärausgaben und Waffenkäufe.

Good governance beweist sich nicht nur in Demokra-
tiebestrebungen, in der Einrichtung von Menschenrechts-
kommissionen und in Bemühungen um mehr Rechtssi-
cherheit, sondern vor allem auch im Umgang mit der
eigenen Bevölkerung.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)


In sämtlichen Regionen der Dritten Welt sank in den 90er-
Jahren der Anteil der Staatsausgaben für die ländliche Ent-
wicklung zugunsten zum Beispiel der Stadtentwicklung.
Statt die Dezentralisierung voranzutreiben und Landrefor-
men zugunsten der Millionen Kleinbauern durchzuführen,
setzt man – Frau Adler hat es schon gesagt – auf export-
orientierte industrielle Agrarwirtschaft, auf Monokulturen
Devisen bringender cash crops und wird so oftmals zum
Nettoimporteur von Nahrungsmitteln.

Die Unterstützung einer neuen Weichenstellung für die
Politik dieser Länder, wie sie in den Nummern eins bis
fünf des Antrags formuliert wird, findet unsere volle Un-
terstützung; denn mit intensiver Förderung und Partizipa-
tion der in und von der Landwirtschaft lebenden Bevöl-
kerung in den Entwicklungsländern – das sind 70 Prozent
der Bevölkerung – könnte langfristig ein wichtiger Bei-
trag zur nachhaltigen Hunger- und Armutsbekämpfung
geleistet werden.

Wir alle wissen, dass die Fläche dieser Erde die be-
wirtschaftet werden kann, begrenzt ist, dass Produktions-
steigerungen nur noch bedingt möglich sind und dass die
Wasservorräte immer knapper werden. Umweltzer-
störung, Degradierung der Böden, Klimaveränderungen
und nicht zuletzt – Frau Adler, diesen Punkt haben Sie
vergessen – das Wachstum der Weltbevölkerung sind Ur-
sachen bzw. Folgen einer Entwicklung, die man vielleicht
gerade noch rechtzeitig erkannt hat, aber leider nur halb-
herzig und mit unzureichendem Einsatz bekämpft.

Auch die Handelserleichterungen der WTO für die
ärmsten Länder sind noch verbesserungsbedürftig. Zur-
zeit ist die Dritte Welt gezwungen, auf den Weltmärkten
mit den hoch subventionierten Produkten der Bauern aus
Industrieländern zu konkurrieren. Kaffee, Kakao oder
beispielsweise Ölsaaten aus tropischen Ländern dürfen
zwar mittlerweile zollfrei eingeführt werden; verarbeitete
Produkte aus den gleichen Rohstoffen unterliegen jedoch
nach wie vor den hohen Zöllen der EU.

Der ungehinderte Zugang von Produkten der 48 ärms-
ten Länder – eine lobenswerte Initiative der EU – bleibt
unglaubwürdig, solange der Freihandel mit Bananen,
Reis und vor allen Dingen Zucker weiterhin verhindert
wird. Der angekündigte Importstopp für Rindfleisch aus
Namibia durch Brüssel geht in die gleiche Richtung; denn
mangels Zertifizierungsbehörde können weder die Nami-
bier noch ihre südafrikanischen Futterlieferanten garan-
tieren, dass kein gentechnisch veränderter Mais verfüttert
wurde. Dies ist ein Nachteil; denn ohne Zertifikat dürfen
sie ihre Rinder nicht exportieren.

Neben der auch von uns befürworteten nachhaltigen
Landwirtschaft mit bemerkenswerten Erfolgen dürfen die
neuen Biotechnologien und die grüne Gentechnik nicht
von vornherein ausgegrenzt werden. Das ist einer der
Punkte, bei denen wir anderer Meinung sind als Sie, wes-
wegen wir nicht Ihrem Antrag zustimmen können.


(Detlef Dzembritzki [SPD]: Sie bringen jetzt aber eine unnötige Schärfe in die Debatte hinein!)


Denn auch die neuen Biotechnologien können einen Bei-
trag zur Sicherung der Ernährung zum Beispiel in Gebie-
ten mit extremem Klima leisten. Die Kleinbauern brau-
chen den Zugang zu einem Saatgut, das beispielsweise
gegen spezielle Schädlinge resistent ist, um auch in die-
sen Gebieten produzieren zu können.


(René Röspel [SPD]: Das verschärft die Probleme nur!)


– Das ist Ihre Meinung.
Ernährungssicherung ist eine Querschnittsaufgabe mit

komplexen Beziehungsgeflechten; sie kann durch Einzel-
reformen, die häufig als das Nonplusultra genannt wer-
den, nicht bewältigt werden.


(René Röspel [SPD]: Das ist eine Technologie der reichen Leute!)


– Wir müssten jetzt diskutieren, inwieweit das eine Tech-
nologie der reichen Leute ist oder inwieweit die interna-
tionale Agrarforschung auch segensreich dazu beiträgt,
um Reis und Mais, die das benötigte VitaminA enthalten,
besser anbauen zu können. Das ist wichtig, um den Kin-
dern in der Dritten Welt die sonst nicht vorhandenen
Nährstoffe zu geben.

Meine Redezeit läuft ab. Ich will mich beeilen, damit
Sie alle schnell nach Hause kommen.

Wie bereits gesagt, kann durch Einzelmaßnahmen die
Ernährungssicherung nicht gewährleistet werden. Dies
kann nur durch ein Geflecht von vielen verschiedenen
Maßnahmen erreicht werden. Dabei darf keine Möglich-
keit einer Förderung und keine Anwendung einer neuen
Technologie von vornherein ausgeschlossen werden.




Marlies Pretzlaff

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(C)



(D)



(A)



(B)


Wir bezweifeln, dass die ökologische Landwirtschaft
– die Agrarwende à la Künast – zur Reduzierung des Hun-
gers in der Welt beigetragen wird. Wir befürchten, dass
damit neue Handelshemmnisse für die Produkte der Ent-
wicklungsländer aufgebaut werden. Verstärkter Verbrau-
cherschutz und höhere Qualitätsanforderungen – siehe
Beispiel Namibia – fördern nicht unbedingt den Export
der in den Entwicklungsländern produzierten Lebensmit-
tel. Auch aus diesem Grund können wir dem Antrag lei-
der nicht zustimmen, obwohl wir das Grundanliegen be-
fürworten.

Die CDU/CSU wird sich der Stimme enthalten.
Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1423622800
Als letzter
Rednerin in dieser Debatte und des heutigen Abends gebe
ich das Wort nunmehr der Kollegin Dr. Angelika Köster-
Loßak, Bündnis 90/Die Grünen.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

SPD mit Beifall begrüßt): Herr Präsident! Liebe Kolle-
ginnen und Kollegen! Hunger ist eine schreckliche
Geißel. Er entstellt die Menschen, beeinträchtigt ihre kör-
perliche und intellektuelle Entwicklung und schädigt sie
psychisch. Unterernährung, insbesondere die frühkindli-
che Unterernährung, führt zu erhöhter Krankheitsanfäl-
ligkeit ein Leben lang und vermindert auch die physische
und geistige Produktivität. Hunger vermindert deshalb
auch die Chancen der wirtschaftlichen Entwicklung und
der ökonomischen Leistungsfähigkeit in den armen Län-
dern, ob in ärmsten Ländern wie Kambodscha oder in
Schwellenländern wie Brasilien.

Der bevorstehende Welternährungsgipfel wird wieder
zeigen, dass wir die Anstrengungen zur Bekämpfung von
Hunger und Armut vervielfachen müssen. Probleme vor
Ort beeinflussen das Fortdauern des Hungers genauso wie
die internationalen Rahmenbedingungen. An guter Regie-
rungsführung, an einem echten Engagement für die Ar-
mutsbekämpfung und an mehr sozialer Rücksichtnahme
mangelt es vielen nationalen Eliten in den Entwicklungs-
ländern. Die Industrieländer fangen außerdem erst in den
letzten Jahren an, eine global ausgleichende Strukturpoli-
tik zu formulieren. Aber sie muss auch umgesetzt werden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Lassen Sie mich kurz zitieren:
Nirgends tritt die Doppelmoral der Regierungen von
Industrieländern so deutlich zutage wie in der
Landwirtschaft. Die Gesamtsubventionen für heimi-
sche Landwirte belaufen sich auf mehr als 1 Milli-
arde Dollar täglich. Diese Subventionen, von denen
fast durchgehend die reichsten Landwirte profitie-
ren, richten massive Umweltschäden an. Sie führen
außerdem zu Überproduktion. Die entstehenden
Überschüsse werden unter Einsatz noch weiterer

Subventionen auf den Weltmärkten verschleudert,
finanziert von Steuerzahlern und Verbrauchern.

Dies konstatiert die international tätige Nichtregierungs-
organisation OXFAM. Als hätte es noch eines Beweises
bedurft – es wurde schon darauf hingewiesen –, bringt die
US-Regierung gerade ein neues Agrargesetz auf den Weg,
das die staatlichen Subventionen für den Agrarsektor
um 70 Prozent auf 130 Milliarden Dollar erhöht. Die
EU-Agrarpolitik steht aber auch kaum besser da.

Wenn wir in der Agrarpolitik der Industrieländer nicht
schnell eine Wende schaffen, dann vertagen wir die nach-
haltige Armutsbekämpfung in den Entwicklungsländern
in unverantwortlicher Weise. Wir untergraben damit aber
auch gleichzeitig die Legitimität einer auf Integration und
Ausgleich gerichteten internationalen Politik.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


In vielen Entwicklungsländern sind bis zu 70 Prozent
der Menschen in der Landwirtschaft tätig und erbringen
bis zu einem Drittel des Sozialprodukts in diesem Bereich.
Alle Anstrengungen bei der Armutsbekämpfung, in der
Gesundheitspolitik, für Beschäftigung und Entwicklung
hängen deshalb entscheidend von der Landwirtschaft ab.

Täglich sterben 20 000 Menschen an den Folgen des
Hungers. Das ist nicht in erster Linie eine Folge der zu ge-
ringen globalen Nahrungsmittelproduktion. Deshalb wird
uns auch die mit einer höheren Produktion verknüpfte
grüne Gentechnik nicht weiterbringen. Ernährungssiche-
rung braucht mehr als Produktivitätssteigerung. Ein um-
fassender Ansatz von Landreformen, öffentliche Investi-
tionen in Gesundheit und Bildung, eine die natürlichen
Ressourcen schonende Agrarpolitik und ein verändertes
Handelsregime sind dafür ausschlaggebend.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Es ist auch dringend erforderlich, dass in den Regio-
nen, in denen Kleinbauern bisher keine Lebensperspekti-
ven hatten, eine Förderung dieses Sektors in Angriff ge-
nommen wird. Dabei bedarf es der Aufhebung von
sozialer und politischer Ausgrenzung und des Zugangs zu
Land.

In Deutschland hat die BSE-Krise deutlich gezeigt,
dass eine pervertierte industrielle Landwirtschaft keine
Überlebenschance hat. Deswegen hat Renate Künast eine
Agrarwende eingeleitet. An die Landwirtschaft werden
qualitative Maßstäbe angelegt, die Umwelt- und Verbrau-
cherschutzgesichtspunkte einbeziehen. Durch den Rück-
bau von Agrarfabriken und die Förderung einer qualitäts-
orientierten Landwirtschaft wird dann auch international
Druck von den Märkten genommen werden.

Es ist jedoch klar, dass Deutschland oder irgendein an-
deres Land allein keine internationale Wende in der Land-
wirtschaft herbeiführen kann. Um Hunger und Armut
wirklich weltweit zu bekämpfen, brauchen wir eine sol-
che internationale Agrarwende mit einem verbesserten
Marktzugang für kleinbäuerliche Erzeugnisse und um-
weltgerechte Agrargüter. Hierbei muss uns der nächste
Welternährungsgipfel ein ganzes Stück weiterbringen.




Marlies Pretzlaff
23620


(C)



(D)



(A)



(B)


Ich danke.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1423622900
Ich schließe
die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der
Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen mit dem
Titel „Welternährungsgipfel – fünf Jahre später“. Wer
stimmt für den Antrag auf Drucksache 14/8031? – Wer
stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Antrag ist mit
den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und PDS
gegen die Stimme der FDP


(Heiterkeit bei der SPD)

bei Enthaltung der CDU/CSU angenommen.

Zusatzpunkt 19: Interfraktionell wird die Überweisung
der Vorlage auf Drucksache 14/9055 an die in der Tages-
ordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Das
Haus ist damit einverstanden.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 18 auf:
Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten
Ursula Lötzer, Eva Bulling-Schröter, Rolf
Kutzmutz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der PDS
Sicherung sozialer und tariflicher Standards
sowie Stellung der kommunalen Selbstverwal-
tung und der öffentlichen Dasseinsvorsorge im
nationalen und europäischen Wettbewerbs-
und Vergaberecht
– Drucksache 14/6527, 14/7730 –

Das Wort wird nicht gewünscht. Die Kolleginnen und
Kollegen geben ihre Reden zu Protokoll.1)

Wir sind damit am Schluss der heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes-

tages auf morgen, Freitag, den 17. Mai 2002, 9 Uhr, ein.
Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Abend.
Die Sitzung ist geschlossen.