Protokoll:
14234

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 14

  • date_rangeSitzungsnummer: 234

  • date_rangeDatum: 26. April 2002

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:00 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 14:10 Uhr

  • account_circleMdBs dieser Rede
  • tocInhaltsverzeichnis
    Glückwünsche zum Geburtstag des Abgeord- neten Wolfgang Börnsen (Bönstrup) . . . . . . . 23289 A Erweiterung der Tagesordnung . . . . . . . . . . . . 23289 A Zusatztagesordnungspunkt 9 Weitere abschließende Beratungen ohne Aussprache am Freitag a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Durchführung der Rechtsakte der Europäischen Ge- meinschaft auf dem Gebiet des ökologi- schen Landbaus (Öko-Landbaugesetz) (Drucksachen 14/8768, 14/8906) . . . . . 23289 B b) – e) Beschlussempfehlungen des Petitions- ausschusses: Sammelübersichten 383, 384, 385, 386 zu Petitionen (Drucksachen 14/8871, 14/8872, 14/8873, 14/8874) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23289 D Tagesordnungspunkt 16: a) – Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Klaus Wiesehügel, Dr. Axel Berg, weitereren Abgeord- neten und der Fraktion der SPD sowie den Abgeordneten Kerstin Müller (Köln), Rezzo Schlauch und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur tariflichen Ent- lohnung bei öffentlichen Aufträgen und zur Einrichtung eines Regis- ters über unzuverlässige Unter- nehmen (Drucksachen 14/7796, 14/8896) 23290 A – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur tarif- lichen Entlohnung bei öffent- lichen Aufträgen und zur Einrich- tung eines Registers über unzuverlässige Unternehmen (Drucksachen 14/8285, 14/8896) 23290 B b) Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes für Tariftreueerklärungen (Drucksachen 14/5263, 14/8897) . . . . . 23290 B c) Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur tariflichen Entlohnung bei öffentlichen Aufträgen (Drucksachen 14/6752, 14/8898) . . . . . 23290 B d) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Tech- nologie zu dem Antrag der Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN: Tariftreue im Verga- berecht – Bundeseinheitliche Rege- lung schafft fairen Wettbewerb (Drucksachen 14/6982, 14/8899) . . . . . 23290 C e) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Tech- nologie zu dem Antrag der Abgeordne- ten Hartmut Schauerte, Dr. Hansjürgen Doss, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Offensive für die Bauwirtschaft – Ursachen wirk- sam bekämpfen (Drucksachen 14/7506, 14/8901) . . . . . 23290 C in Verbindung mit Plenarprotokoll 14/234 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 234. Sitzung Berlin, Freitag, den 26. April 2002 I n h a l t : Zusatztagesordnungspunkt 10: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Wirtschaft und Technologie zu dem Antrag der Abgeordneten Rainer Brüderle, Dr. Heinrich L. Kolb, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Tarifzwang im öffentlichen Ver- gaberecht verhindern (Drucksachen 14/8510, 14/8902) . . . . . . . 23290 D Klaus Wiesehügel SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . 23290 D Hartmut Schauerte CDU/CSU . . . . . . . . . . . . 23292 C Werner Schulz (Leipzig) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23295 B Hartmut Schauerte CDU/CSU . . . . . . . . . 23295 C Rolf Kutzmutz PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . 23296 C Rainer Brüderle FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23297 C Peter Dreßen SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23298 A Ursula Lötzer PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23299 C Dr. Rainer Wend SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23300 C Hartmut Schauerte CDU/CSU . . . . . . . . . 23301 B Werner Kuhn CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . 23302 C Wolfgang Weiermann SPD . . . . . . . . . . . . . . . 23304 C Tagesordnungspunkt 17: a) Antrag der Abgeordneten Volker Rühe, Dr. Karl-Heinz Hornhues, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion der CDU/ CSU sowie der Abgeordneten Dr. Helmut Haussmann, Dr. Klaus Kinkel und der Fraktion der FDP: Die zweite Runde der NATO-Erweiterung auch als Beitrag zur Stabilisierung Südosteuropas kon- zipieren (Drucksache 14/8835) . . . . . . . . . . . . . 23306 C b) Antrag der Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Die NATO vor der Erweiterung (Drucksache 14/8861) . . . . . . . . . . . . . 23306 D Tagesordnungspunkt 4: Antrag der Abgeordneten Karl-Josef Laumann, Brigitte Baumeister, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Arbeitnehmer entlasten – Vorfahrt für Beschäftigung (Drucksache 14/8366) . . . . . . . . . . . . . . . . 23306 D Karl-Josef Laumann CDU/CSU . . . . . . . . . . . 23307 A Dr. Werner Müller, Bundesminister BMWi 23310 A Peter Rauen CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 23311 A Dirk Niebel FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23311 D Ernst Hinsken CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . 23313 D Walter Hirche FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23314 B Dr. Irmgard Schwaetzer FDP . . . . . . . . . . . . . 23315 C Dr. Thea Dückert BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23317 C Klaus Brandner SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . 23318 B Wolfgang Meckelburg CDU/CSU . . . . . . 23318 D Dr. Klaus Grehn PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23319 C Gerd Andres SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23320 D Wolfgang Meckelburg CDU/CSU . . . . . . . . . 23322 D Gerd Andres SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23323 D Karl-Josef Laumann CDU/CSU . . . . . . . . 23324 A Werner Schulz (Leipzig) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23326 B Dr. Irmgard Schwaetzer FDP . . . . . . . . . . 23327 B Ute Kumpf SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23327 D Peter Dreßen SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23329 B Tagesordnungspunkt 18: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines ... Strafrechtsänderungsgesetzes – § 129 b StGB (... StrÄndG) (Drucksachen 14/7025, 14/8893) . . . . . . . 23330 D Dr. Eckhart Pick, Parl. Staatssekretär BMJ . . . 23331 A Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten CDU/CSU 23331 D Volker Beck (Köln) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23333 A Jörg van Essen FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23334 C Dr. Eckhart Pick, Parl. Staatssekretär BMJ . . . 23335 C Jörg van Essen FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23335 D Ulla Jelpke PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23336 A Joachim Stünker SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23336 D Thomas Strobl (Heilbronn) CDU/CSU . . . . . 23338 B Hans-Christian Ströbele BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23339 A Tagesordnungspunkt 29: – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Neuregelung des Waffenrechts (WaffRNeuRegG) (Drucksachen 14/7758, 14/8886) . . . . . 23340 A – Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs ei- nes Dritten Gesetzes zur Änderung des Waffengesetzes (Drucksachen 14/763, 14/8886) . . . . . . 23340 B Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. April 2002II Fritz Rudolf Körper, Parl. Staatssekretär BMI 23340 B Hartmut Koschyk CDU/CSU . . . . . . . . . . . . 23341 B Cem Özdemir BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 23342 D Rainer Funke FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23344 B Ulla Jelpke PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23345 A Ernst Bahr SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23345 C Erwin Marschewski (Recklinghausen) CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23347 A Tagesordnungspunkt 21: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Gesundheit zu dem Antrag der Abgeordneten Horst Seehofer, Wolfgang Lohmann (Lüdenscheid), weiterer Abge- ordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Informationsmöglichkeiten der Kran- kenversicherten umgehend verbessern (Drucksachen 14/5678, 14/8885) . . . . . . . 23348 B Tagesordnungspunkt 22: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bewa- chungsgewerberechts (Drucksachen 14/8386, 14/8903) . . . . . . . 23348 C Tagesordnungspunkt 23: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Mutterschutzrechts (Drucksachen 14/8525, 14/8880) . . . . . . . 23348 D Tagesordnungspunkt 24: Antrag der Abgeordneten Ulrike Flach, Walter Hirche, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Die Brennstoff- zelle – Technik des 3. Jahrtausends (Drucksache 14/8282) . . . . . . . . . . . . . . . . 23349 A Tagesordnungspunkt 25: Zweite und dritte Beratung des vom Bun- desrat eingebrachten Entwurfs eines Ge- setzes zur Änderung des Apotheken- gesetzes (Drucksachen 14/756, 14/8875, 14/8930) . 23349 B Tagesordnungspunkt 27: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes über die Entsor- gung von Altfahrzeugen (Altfahrzeug- Gesetz) (Drucksache 14/8343, 14/8670, 14/8884, 14/8929, 14/8890) . . . . . . . . . . . . . . . . 23349 C b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu dem Antrag der Abgeordneten Birgit Homburger, Marita Sehn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Umsetzung der EU-Altfahrzeugrichtlinie ökolo- gisch sinnvoll und ökonomisch verantwortlich gestalten (Drucksachen 14/5466, 14/7020) . . . . 23350 A Tagesordnungspunkt 28: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Fünften Gesetzes zur Änderung des Steuerbeamten-Ausbildungsgesetzes (Drucksachen 14/8286, 14/8887) . . . . . . . 23350 B Tagesordnungspunkt 30: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Um- weltauditgesetzes (Drucksachen 14/8231, 14/8521, 14/8891) 23350 D Tagesordnungspunkt 31: – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Zweiten Gesetzes zur Ände- rung und Ergänzung vermögensrechtli- cher und anderer Vorschriften (Zweites Vermögensrechtsergänzungsgesetz) (Drucksachen 14/7228, 14/8889) . . . . 23351 A – Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. Edzard Schmidt- Jortzig, Rainer Funke, weiteren Abge- ordneten und der Fraktion der FDP ein- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ergänzung des Vermögensgesetzes (Zweites Vermögensrechtsergän- zungsgesetz) (Drucksachen 14/5091, 14/8889) . . . . 23351 A Tagesordnungspunkt 32: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Errichtung einer Stif- tung Deutsche Geisteswissenschaftliche Institute im Ausland, Bonn (Drucksachen 14/8465, 14/8847) . . . . . . . 23351 C Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. April 2002 III Tagesordnungspunkt 33: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Arbeit und Sozialordnung zu dem Antrag der Abgeordneten Pia Maier, Dr. Klaus Grehn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der PDS: Eine Grund- sicherung in die Arbeitslosenversiche- rung einführen (Drucksachen 14/7294, 14/8662) . . . . . . . 23352 A Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23352 C Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . . 23353 A Anlage 2 Nachträglich zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung – des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Untersuchung von Seeunfällen (Seeunfalluntersuchungsände- rungsgesetz – SeeUÄndG) – der Beschlussempfehlung und des Berichts zu dem Antrag: Bildung einer Leitstelle für Seesicherheit – des Antrags: Maritime Sicherheit auf der Ostsee (Tagesordnungspunkt 12 a bis c) (siehe 233. Sitzung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23354 B Dr. Winfried Wolf PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23354 B Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten (CDU/CSU) zur Abstimmung über den Entwurf eines Ge- setzes zur Neuregelung des Waffenrechts (WaffRNeuRegG) (Tagesordnungspunkt 29) . . . . . . . . . . . . . . . . 23355 A Anlage 4 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten (CDU/CSU) zur Abstimmung über den Entwurf eines Ge- setzes zur Ergänzung des Vermögensgesetzes (Zweites Vermögensrechtsergänzungsgesetz – 2. VermRErG) (Tagesordnungspunkt 31) . . . . 23355 C Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Informationsmöglichkeiten der Kran- kenversicherten umgehend verbessern (Tages- ordnungspunkt 21) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23356 A Eike Maria Hovermann SPD . . . . . . . . . . . . . 23356 A Aribert Wolf CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . 23357 C Monika Knoche BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23359 A Detlef Parr FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23359 C Dr. Ruth Fuchs PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23360 B Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Be- wachungsgewerberechts (Tagesordnungs- punkt 22) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23360 D Christian Lange (Backnang) SPD . . . . . . . . . 23360 D Günter Graf (Friesoythe) SPD . . . . . . . . . . . . 23361 C Klaus Francke CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . 23362 D Hans-Christian Ströbele BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23363 C Rainer Funke FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23364 C Petra Pau PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23364 D Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Ände- rung des Mutterschutzrechts (Tagesordnungs- punkt 23) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23365 B Marlene Rupprecht SPD . . . . . . . . . . . . . . . . 23365 B Maria Eichhorn CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 23365 B Irmingard Schewe-Gerigk BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23366 C Ina Lenke FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23367 B Christina Schenk PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23367 C Dr. Edith Niehuis, Parl. Staatssekretärin BMFSFJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23367 D Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Die Brennstoffzelle – Technik des 3. Jahrtausends (Tagesordnungspunkt 24) . . . 23369 A Hubertus Heil SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23369 A Ulrich Kasparick SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23369 C Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land) CDU/CSU 23370 B Hans-Josef Fell BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 23371 B Ulrike Flach FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23372 B Wolfgang Bierstedt PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . 23372 D Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. April 2002IV Anlage 9 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Apothekengesetzes (Tagesordnungspunkt 25) 23373 B Dr. Margrit Spielmann SPD . . . . . . . . . . . . . . 23373 B Dr. Wolf Bauer CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . 23374 C Katrin Göring-Eckardt BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23376 A Detlef Parr FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23376 C Dr. Ruth Fuchs PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23377 A Anlage 10 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung – des Entwurfs eines Gesetzes über die Ent- sorgung von Altfahrzeugen (Altfahrzeug- Gesetz – AltfahrzeugG) – des Antrags: Umsetzung der EU-Altfahr- zeugrichtlinie ökologisch sinnvoll und ökonomisch verantwortlich gestalten (Tagesordnungspunkt 27 a und b) . . . . . . . . . . 23377 D Ulrich Kelber SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23377 D Dr. Paul Laufs CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . 23379 C Birgit Homburger FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . 23380 D Eva Bulling-Schröter PDS . . . . . . . . . . . . . . . 23381 B Jürgen Trittin, Bundesminister BMU . . . . . . . 23381 D Anlage 11 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Steuerbeamten-Ausbildungsgesetzes (Tages- ordnungspunkt 28) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23382 C Lydia Westrich SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23382 C Hansgeorg Hauser (Rednitzhembach) CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23383 C Christine Scheel BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 23385 B Carl-Ludwig Thiele FDP . . . . . . . . . . . . . . . . 23385 D Heidemarie Ehlert PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . 23386 C Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin BMF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23387 B Anlage 12 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Umweltauditgesetzes (Tagesordnungspunkt 30) 23388 A Petra Bierwirth SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23388 A Bernward Müller (Jena) CDU/CSU . . . . . . . 23388 B Birgit Homburger FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . 23390 D Eva Bulling-Schröter PDS . . . . . . . . . . . . . . . 23391 B Jürgen Trittin, Bundesminister BMU . . . . . . . 23391 D Anlage 13 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Än- derung und Ergänzung vermögensrechtlicher und anderer Vorschriften (Zweites Vermögens- rechtsergänzungsgesetz – 2. VermRErG) (Tagesordnungspunkt 31) . . . . . . . . . . . . . . . . 23392 B Hans-Joachim Hacker SPD . . . . . . . . . . . . . . 23392 B Andrea Voßhoff CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 23393 C Hans-Christian Ströbele BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23395 B Rainer Funke FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23396 B Dr. Evelyn Kenzler PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . 23396 D Dr. Eckhart Pick, Parl. Staatssekretär BMJ 23397 B Anlage 14 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Errichtung ei- ner Stiftung Deutsche Geisteswissenschaftli- che Institute im Ausland, Bonn (Tagesord- nungspunkt 32) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23398 C Hans-Werner Bertl SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . 23398 D Werner Lensing CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 23399 B Dr. Reinhard Loske BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23400 D Ernst Burgbacher FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . 23401 A Dr. Heinrich Fink PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . 23401 D Wolf-Michael Catenhusen, Parl. Staatssekre- tär BMBF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23402 C Anlage 15 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Eine Grundsicherung in die Ar- beitslosenversicherung einführen (Tagesord- nungspunkt 33) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23403 C Ute Kumpf SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23403 C Wolfgang Meckelburg CDU/CSU . . . . . . . . . 23404 D Dr. Thea Dückert BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23405 B Dirk Niebel FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23406 A Pia Maier PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23406 C Anlage 16 Amtliche Mitteilungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23408 A Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. April 2002 V Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. April 2002
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    Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. April 2002 Vizepräsidentin Petra Bläss 23352 (C) (D) (A) (B) 1) Anlage 15 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. April 2002 23353 (C) (D) (A) (B) Balt, Monika PDS 26.04.2002 Dr. Bartsch, Dietmar PDS 26.04.2002 Behrendt, Wolfgang SPD 26.04.2002* Bindig, Rudolf SPD 26.04.2002* Dr. Blank, CDU/CSU 26.04.2002 Joseph-Theodor Dr. Blüm, Norbert CDU/CSU 26.04.2002 Bohl, Friedrich CDU/CSU 26.04.2002 Breuer, Paul CDU/CSU 26.04.2002 Bühler (Bruchsal), CDU/CSU 26.04.2002* Klaus Dautzenberg, Leo CDU/CSU 26.04.2002 Eichstädt-Bohlig, BÜNDNIS 90/ 26.04.2002 Franziska DIE GRÜNEN Dr. Eid, Uschi BÜNDNIS 90/ 26.04.2002 DIE GRÜNEN Erler, Gernot SPD 26.04.2002 Ernstberger, Petra SPD 26.04.2002 Friedrich (Altenburg), SPD 26.04.2002 Peter Glos, Michael CDU/CSU 26.04.2002 Günther (Duisburg), CDU/CSU 26.04.2002 Horst Haack (Extertal), SPD 26.04.2002* Karl-Hermann Freiherr von CDU/CSU 26.04.2002 Hammerstein, Carl-Detlev Hartnagel, Anke SPD 26.04.2002 Helling, Detlef CDU/CSU 26.04.2002 Hiksch, Uwe PDS 26.04.2002 Hofbauer, Klaus CDU/CSU 26.04.2002 Hoffmann (Chemnitz), SPD 26.04.2002 Jelena Dr. Hornhues, CDU/CSU 26.04.2002* Karl-Heinz Hornung, Siegfried CDU/CSU 26.04.2002* Irber, Brunhilde SPD 26.04.2002 Irmer, Ulrich FDP 26.04.2002 Jäger, Renate SPD 26.04.2002* Jünger, Sabine PDS 26.04.2002 Dr.-Ing. Kansy, CDU/CSU 26.04.2002 Dietmar Karwatzki, Irmgard CDU/CSU 26.04.2002 Kossendey, Thomas CDU/CSU 26.04.2002* Leidinger, Robert SPD 26.04.2002 Dr. Lippold CDU/CSU 26.04.2002 (Offenbach), Klaus W. Lörcher, Christa fraktionslos 26.02.0202* Dr. Lucyga, Christine SPD 26.04.2002* Marquardt, Angela PDS 26.04.2002 Michelbach, Hans CDU/CSU 26.04.2002 Michels, Meinolf CDU/CSU 26.04.2002* Müller (Berlin), PDS 26.04.2002* Manfred Müller (Köln), Kerstin BÜNDNIS 90/ 26.04.2002 DIE GRÜNEN 02 Neumann (Gotha), SPD 26.04.2002* Gerhard Nietan, Dietmar SPD 26.04.2002 Onur, Leyla SPD 26.04.2002* Ost, Friedhelm CDU/CSU 26.04.2002 Ostrowski, Christine PDS 26.04.2002 Palis, Kurt SPD 26.04.2002* Philipp, Beatrix CDU/CSU 26.04.2002 Pieper, Cornelia FDP 26.04.2002 Reiche, Katherina CDU/CSU 26.04.2002 Reuter, Bernd SPD 26.04.2002 Röspel, René SPD 26.04.2002 Ronsöhr, CDU/CSU 26.04.2002 Heinrich-Wilhelm Roos, Gudrun SPD 26.04.2002 entschuldigt bisAbgeordnete(r) einschließlich entschuldigt bisAbgeordnete(r) einschließlich Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Anlagen zum Stenographischen Bericht Rühe, Volker CDU/CSU 26.04.2002 Schemken, Heinz CDU/CSU 26.04.2002 Schlee, Dietmar CDU/CSU 26.04.2002 Schmidbauer, Bernd CDU/CSU 26.04.2002 Schmitz (Baesweiler), CDU/CSU 26.04.2002 Hans Peter von Schmude, Michael CDU/CSU 26.04.2002* Dr. Schockenhoff, CDU/CSU 26.04.2002 Andreas Schuhmann (Delitzsch), SPD 26.04.2002 Richard Schulhoff, Wolfgang CDU/CSU 26.04.2002 Schultz (Köln), SPD 26.04.2002 Volkmar Seehofer, Horst CDU/CSU 26.04.2002 Siemann, Werner CDU/CSU 26.04.2002 Dr. Solms, Hermann FDP 26.04.2002 Otto Spranger, Carl-Dieter CDU/CSU 26.04.2002 Dr. Stadler, Max FDP 26.04.2002 Thiele, Carl-Ludwig FDP 26.04.2002 Thönnes, Franz SPD 26.04.2002 Wimmer (Neuss), CDU/CSU 26.04.2002 Willy Wissmann, Matthias CDU/CSU 26.04.2002 Zierer, Benno CDU/CSU 26.04.2002* * für die Teilnahme an den Sitzungen der Parlamentarischen Ver- sammlung des Europarates Anlage 2 Nachträglich zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung – des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Untersuchung von Seeunfällen (Seeunfalluntersuchungsändungsgesetz – See- UÄndG) – der Beschlussempfehlung und des Berichtes zu dem Antrag: Bildung einer Leitstelle für Seesi- cherheit – des Antrags: Maritme Sicherheit auf der Ostsee (Tagesordnungspunkt 12 a bis c) (siehe 233. Sit- zung) Dr. Winfried Wolf (PDS):Wir erleben hier den letzten Akt eines parlamentarischen und verkehrspolitischen Trauerspiels. CSU/CSU haben den Gesetzentwurf für ein Seeunfalluntersuchungsänderungsgesetz eingebracht. Mit diesem wollten sie den entsprechenden Gesetzentwurf der Bundesregierung verhindern. Der CDU/CSU-Gesetzent- wurf verdeutlicht, dass es anders gegangen wäre, dass die Argumente der Bundesregierung, ihr neues Gesetz auf die- sem Gebiet sei erforderlich aufgrund der EG-Richtline 1999/35/EG und aufgrund der Verpflichtung, den IMO- Code A.894(20) zu übernehmen, ohne jede Substanz sind. Doch leider wurde der entsprechende Gesetzentwurf der Bundesregierung in der zweiten und dritten Lesung bereits verabschiedet – gegen die Stimmen von CDU/CSU, FDP und gegen diejenigen der PDS-Fraktion. Und leider gelang es im Bundesrat nicht, den zunächst massiven Widerstand der Länder aufrechtzuerhalten. Drei Aspekte nochmals zur Verdeutlichung: Erstens. Der Inhalt des alten Rechts hat sich mehr als 130 Jahre lang bewährt. Es gab und gibt rein sachlich ge- sehen keinen Grund für eine Änderung, schon gar nicht für eine Neufassung im Sinne des Gesetzes, das die Bun- desregierung einbrachte. Der Entwurf von CDU/CSU verdeutlicht dies nochmals. Wir würden ihm inzwischen zustimmen, wenn es nicht bereits eine neue Sachlage, ein neues Gesetz geben würde. Vor dem Hintergrund dieser neuen Sachlage ist die zweite und dritte Lesung dieses Entwurfs nunmehr zwar in der Sache vergeblich, als poli- tische Demonstration jedoch gerechtfertigt. Das im Bun- destag mehrheitlich beschlossene Gesetz ist Ausdruck ei- ner falschen Zentralisierung, mir der unter anderem die Seeämter faktisch teilweise abgeschafft bzw. zu Briefkas- ten-Behörden degradiert werden. Zweitens. Das bisher zur Anwendung gebrachte Ver- fahren bei Seeunfällen wies das Charakteristikum der Transparenz auf. SPD und Bündnis 90/Die Grünen sind 1998 angetreten, um für mehr Transparenz einzutreten – unter anderem aufgrund der Kohl-Spenden-Affäre. Nun plötzlich gilt dieses Gebot nicht mehr. Und es gilt ausge- rechnet dort nicht mehr, wo es sich erstens bewährt hat und wo es zweitens grundsätzlich in einer Demokratie eine besondere Bedeutung hat: bei der Gerichtsbarkeit oder bei Verhandlungen, die im vorgerichtlichen Umfeld stattfinden. Indem hier die Öffentlichkeit faktisch abge- schafft wird, können hinter verschlossenen Türen sach- fremde Einflüsse ausgeübt und Zwänge praktiziert wer- den. Der Zusammenhang zwischen dem Gesetz der Bundesregierung und dem Pallas-Unglück wurde hier in den Medien zu Recht hergestellt. Drittens. Im Bundesrat gab es zunächst die einstim- mige Ablehnung des Gesetzentwurfs der Bundesregie- rung. Insbesondere die Küstenländer – gleichgültig, ob in ihnen die CDU oder die SPD die führende Regierungs- partei stellt – hatten sich für eine Ablehnung und für die weit gehende Beibehaltung der bisherigen gesetzlichen Regelung stark gemacht. Hier handelte es sich um einen ziemlich ungewöhnlichen Vorgang, der verdeutlicht, wie gut begründet die Ablehnung des Regierungs-Gesetzes- entwurfs war. Dass sich im Bundesrat dann nach der zwei- ten und dritten Lesung im Bundestag keine Mehrheit mehr fand, um den Vermittlungsausschuss anzurufen, dass wichtige Bundesländer einknickten, ist mehr als be- dauerlich. Dieser Vorgang wirft auch ein bezeichnendes Licht auf unsere parlamentarische Demokratie und die Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. April 200223354 (C) (D) (A) (B) Möglichkeiten, den Bundesrat zu instrumentalisieren. Das Bundesland Hamburg hat in einer Anmerkung zum Protokoll des Verkehrsausschusses des Bundesrates deut- lich gemacht, dass hier gelinde gesagt seitens der Bun- desregierung auch Druck ausgeübt wurde. Ich zitiere aus dem Blatt „Waterkant“: „Der Arm von Kurt Bodewig ist eben lang und dringende teure Verkehrsprojekte gibt es in allen Bundesländern.“ Zu dem bei diesem Tagespunkt ebenfalls anstehenden Antrag „Maritime Sicherheit auf der Ostsee“ ist anzumer- ken, dass wir erstens dem Antrag und dem damit angefor- derten Bericht selbstverständlich zustimmen und dabei zweitens erneut auf die Peinlichkeit verweisen müssen, dass die PDS ursprünglich eine der den Antrag einbrin- genden Fraktionen war und dann jedoch auf Forderung der CDU-CSU-Fraktion wieder aus dieser Funktion „ge- kippt“ wurde. Die Kolleginnen und Kollegen der CDU/ CSU sollten ihren Unvereinbarkeitsbeschluss bei nächs- ter Gelegenheit überprüfen. Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten (CDU/CSU) zur Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Waffenrechts (WaffRNeuRegG) (Tagesordnungspunkt 29) Der von der Bundesregierung am 7. Dezember 2001 vorgelegte Gesetzentwurf hat zu einem Aufschrei der Empörung unter Sportschützen, Jägern, Strafrechtlern und Polizeiverbänden geführt. Die Unionsfraktion hat schon frühzeitig auf die Mängel hingewiesen und viele Änderungsanträge eingebracht, de- ren Grundlage die enge Zusammenarbeit mit den Deut- schen Jagdverbänden und Sportschützenverbänden und der seinerzeit 1998 mit diesen abgestimmten Gesetzent- wurf für ein neues Waffenrecht gewesen sind. Die Koali- tion hat aufgrund der massiven Proteste, durch die sie so- zusagen „weichgekocht“ wurde, viele Änderungswünsche erfüllt. Dennoch bleiben zahlreiche Mängel erhalten. Ich habe Verständnis dafür, dass die Verbände trotzdem ent- nervt die Parole ausgeben „man solle diesen Kompromis- sen zustimmen, weil damit ein Jahrzehnt an Diskussionen zu Ende gehe und Jäger- und Sportschützenverbände mit diesem Gesetz leben könnten“. „Leben können“ – sicher ja, aber doch nach wie vor eingeschränkt durch hohe bürokratische Hürden, die kei- neswegs mehr Sicherheit bringen, da Gangster, Gauner und Ganoven nicht aus den Reihen der Jäger und Sport- schützen kommen. Sie besorgen sich ihre Waffen nicht le- gal, sondern illegal. Und daran ändert das Gesetz nichts. Der Streit um das Eigentum von Waffen in Erbenhand ist zwar zunächst entschärft. Aber nur der oberflächliche Betrachter lässt sich hier „Sand in die Augen streuen“, weil die Bestimmungen nach fünf Jahren, außer Kraft tre- ten. Daher liegt eventuell doch ein verkappter enteig- nungsgleicher Tatbestand vor, mindestens ist es aber eine Mogelpackung. Was bleibt ist letztlich ein in Eile und unter Druck zu- sammengeschustertes Gesetz, das sehr bald in der Praxis seine Mängel aufweisen wird und daher Änderungen be- reits jetzt abzusehen sind. Aus diesem Grunde stimme ich daher gegen das Gesetz. Anlage 4 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten (CDU/CSU) zur Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Ergänzung des Vermögensgesetzes (Zweites Vermögensrechts- ergänzungsgesetz – 2. VermRErG) (Tagesord- nungspunkt 31) Dem Gesetzentwurf der FDP-Fraktion stimme ich voll inhaltlich zu, weil er den Versuch macht, wenigstens einer ganz kleinen Gruppe von Entrechteten Genugtuung zuteil werden zu lassen. Entgegen der Auffassung der Regierungsparteien wird das von ihr vorgelegte Gesetz zur Ergänzung des Vermö- gensgesetzes keinen Abschluss der Aufarbeitung von kommunistischen und SED-Unrecht bringen. Während nationalsozialistisches Unrecht im Wesentlichen wieder gut gemacht wurde, steht eine umfassende Wiedergutma- chung des Kommunistischen Unrechts sowjetischer Prä- gung aus. Gerade das Beispiel der kleinen Gruppe der nicht ent- deckten Widerstandskämpfer zeigt, wie widersprüchlich – und letztlich unhaltbar – unser Wiedergutmachungsrecht ist. Diejenigen Erben von Widerstandskämpfern, die von den Nationalsozialisten hingerichtet wurden, erhalten Haus und Hof wieder, diejenigen Erben, deren Vorfahren durch die Kommunisten nach 1945 erschlagen und enteig- net wurden, erhalten nichts. Es ist ein Widersinn des Ver- mögensgesetzes – und ich habe dies schon oft angepran- gert –, dass ein Unterschied gemacht wird zwischen NS-Unrechtssystem und dem kommunistischen Unrechts- system. Ob jemand erschlagen wurde durch das „Haken- kreuz“ oder durch „Hammer und Sichel“ kann für die Rechtsfolgen auf Dauer keinen Unterschied machen. Bei- des waren Menschen verachtende Unrechtssysteme, deren Unrechtshandlungen gleich behandelt werden sollten. Der Gesetzentwurf der FDP ist ein Schritt in die rich- tige Richtung auf dem Wege zur gerechteren Beurteilung von Einzelfällen, und hätte dem Rechtsstaat Bundesrepu- blik Deutschland gut zu Gesicht gestanden. Ich wage die Prognose, dass die rechtlichen, moralischen und politi- schen Fehlbehandlungen der Enteignungen 1945 bis 1949 – und das waren nicht nur Opfer der Bodenreform, son- dern zehntausende von Hauseigentümern, Eigentümern von kleinen Betrieben, Mühlen und Gaststätten – später durch eine gerechtere Beurteilung ersetzt werden, wenn das so genannte „Junkersyndrom“ einer sachlichen und gerechten Behandlung durch Ost und West aus den Köpfen gewichen ist. Bei den Ureinwohnern Amerikas, Australiens und Neuseelands hat dies 100 bis 150 Jahre gedauert, wir sind erst im Jahre 12 nach der Wiederver- einigung und im Jahre 53 bis 57 nach der willkürlichen, gesetzlosen Enteignung. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. April 2002 23355 (C) (D) (A) (B) Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Informationsmög- lichkeiten der Krankenversicherten umgehend verbessern (Tagesordnungspunkt 21) Eike Maria Hovermann (SPD):Wenn man die Über- schrift zum Antrag der CDU liest, ist der erste Eindruck, dass die besondere Fürsorge der CDU dem Patienten gilt. Er soll nach dem Willen der CDU umgehend darüber in- formiert werden, welche Leistungen er im Krankheitsfall von den Ärzten erhalten hat und welche Gelder die Ärzte dafür abgerechnet haben. Das Ganze soll zeitnah und schriftlich und vor allem flächendeckend geschehen. Das ist ein durchaus löbliches Ziel, zumal damit nach dem Willen der CDU auch die Mün- digkeit und aktive Mitgestaltung des Patienten gemäß Sach- verständigenratgutachten gestärkt werden kann und soll. Einmal abgesehen davon, dass die Unterrichtungen der Patienten nicht nur schriftlich und zeitnah sein sollten, sondern vor allem auch aussagefähig und gerichtsfest, wenn der Patient wirklich etwas verstehen soll und gege- benenfalls Einspruch erheben will, fällt beim weiteren Le- sen des Antrags Folgendes auf: Es fällt auf, dass unter dem Deckmantel „mehr Infor- mationen für die Patienten“ zuallererst die Einkommens- situation der niedergelassenen Ärzte gestärkt werden soll durch „feste Punktwerte“; ein interessanter Vorschlag im Übrigen schon deshalb, weil ja von CDU und FDP land- auf, landab die Aufhebung der Budgetierung gefordert wird, ein fester Punktwert aber durchaus eine Form von Budgetierung darstellt. Hier ist und wird die Diskussionsline äußerst unehrlich, zumal wenn der Kollege Ulf Funk von der CDU zum Bei- spiel die Einsicht anmahnt, dass es mit endlichem Geld nicht unendliche Leistungen geben könne. Wenn eine Aufhebung des Budgets wirklich ehrlich diskutiert werden soll, dann müssten Sie von der CDU und FDP klären, wie Sie dies vereinbaren wollen etwa mit wachsenden Ausgabenerwartungen wegen der demogra- phischen Veränderungen, durch den medizinischen Fort- schritt und anderes mehr. Hierdurch und auch durch die wachsende Qualität bei den DMPs werden sich Honorarmaßstäbe verändern, wird die Diskussion über Beiträge ein Thema bleiben und ist das Ziel fester Punktwerte eine Fiktion, die vermeint- liche Sicherheit geben will. Hierzu äußerte sich der Kollege Zöller in interessanter Weise in der Zeitschrift „Die BKK“ vom August 2001: „Ich bin fest davon überzeugt, dass wir mittelfristig mehr Geld im System brauchen.“ Dies bringt Sie von der CDU ja in eine gewisse Spannung zum §70 SGB V, wo es heißt, die Versorgung „so zu gestalten, dass Beitragser- höhungen ausgeschlossen werden, es sei denn, die medizi- nisch notwendige Versorgung ist auch nach Ausschöpfung von Wirtschaftlichkeitsreserven nicht zu gewährleisten.“ Genau für diese Aufgaben brauchen wir schnellstens sichere und aussagefähige Dateninformationen. Insofern geht die CDU/CSU-Forderung in ihrem heu- tigen Antrag, bessere und umgehende Informationen für die Patienten mit einem festen Punktwert zu koppeln, strukturell betrachtet an dem Ziel, mehr Informationen für die Patienten, völlig vorbei. In diesem Zusammenhang sei zunächst auch an die An- hörung vom 13. März 2002 erinnert zu Ihrem Thema: „Informationsmöglichkeiten der Krankenversicherten umgehend verbessern“. Die Stellungnahme der DKG führt im Zusammenhang mit dem § 305 SGB V – Auskünfte der Versicherten – aus: Insbesondere der Krankenhausbereich hat in den letzten Jahren erhebliche Anstrengungen unternom- men, dass Qualität und Ergebnis ... transparent ge- macht werden ... Wie sicherlich bekannt ist, besteht ein Zertifizierungsprojekt mit dem Titel „Koopera- tion für Transparenz und Qualität im Krankenhaus.“ Zudem sieht das nunmehr beschlossene Gesetz zur Einführung der DRGs vor, dass ab dem Jahre 2005 Krankenhäuser alle zwei Jahre einen Qualitätsbe- richt abgeben müssen . ... Im Zusammenhang mit den DRGs die wir auf den Weg gebracht haben, werden nun Zug um Zug die Informati- onsflüsse in Richtung Patienten verbreitert. Das sind erste wirkliche Schritte hin zu mehr Information über Kosten- transparenz und mehr Qualität. Die AOK hat in der selbigen Anhörung zum Thema un- serer jetzigen Debatte darauf verwiesen, dass die KBV eine Verbesserung der Patienteninformationen gemäß § 305 SGB V mit dem Argument verhindert habe, dass erst einmal ein „fester Punktwert“ für die niedergelasse- nen Ärzte vereinbart werden müsse. Das sind unnötige Blockaden, die natürlich dazu veranlassen, über die Ent- scheidungsfähigkeit der Selbstverwaltung in bestehender Form nachzudenken und neue Wege zu überlegen. Auch die KBV will bei ihrem Einsatz für feste Punkt- werte verschleiern, dass solide Informationen auch ohne „festen Punktwert“ technisch kein Problem darstellen durch Bezug zum Beispiel auf den letzten bekannten Ab- rechnungswert. Außerdem sei wieder daran erinnert, dass es nicht nur um Abrechnungsdaten gehen soll, sondern be- sonders um aussagefähige Informationen an den Patienten über Diagnosen, Therapien und Medikamentierungen, also über die Qualität der Leistungserbringung, und die Nutz- barkeit dieser Daten bei allen weiteren Behandlungen. Hier wird der weiteren Umsetzung der „Vernetzten Versorgung“ – § 140 SGB V – besondere Bedeutung zu- kommen, durch die mit effizienterem Mitteleinsatz und mit mehr Qualität behandelt werden kann, als es bisher in den oft unverbundenen Behandlungsebenen ambulant, stationär plus Rehabilitation geschieht. Hier sind noch mannigfache Blockaden in der Selbstverwaltung und im Geflecht föderaler Strukturen beiseite zu schieben. Eine Implantation von DRG-ähnlichen Strukturen in den am- bulanten Bereich und in die Rehabilitation ist dazu auf Dauer wünschenswert zur Vermeidung kostenträchtiger Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. April 200223356 (C) (D) (A) (B) Verlagerungen von Leistungen und damit zur Vermeidung von Wettbewerbsverzerrungen, die zum Beispiel dadurch entstehen, dass im Krankenhaus Arzneien mehr oder min- der kostenlos zur Verfügung gestellt werden und damit im Krankenhaus Wirtschaftlichkeitszwänge in diesem Seg- ment nicht entstehen, denen niedergelassene Ärzte durch- aus ausgesetzt sind. Um all dies und die damit notwendigen Informations- flüsse an den Patienten zu verbessern, brauchen wir auf der Informationsebene weitere Schritte in Richtung einer elek- tronischen intelligenten Chipkarte/Gesundheitskarte, die am Ende diagnose- und patientenbezogen den Behand- lungsweg des Patienten – unter Einhaltung des Daten- schutzes – dokumentieren und diese Informationen zur sinnvollen Nutzung bei weiteren Arzt- und Krankenhaus- besuchen qualitätsvoll speichern kann, und zwar so, dass „Medienbrüche“ vermieden werden können beim Wechsel von einer Versorgungsebene in eine andere. Der Patient kann dabei ohne jede technische Problematik die Datenho- heit behalten und Öffnungen von Daten nur mit seiner Zu- stimmung ermöglichen. Hier hat das BMG einen Modellversuch vereinbart. Das ist gut so. Das ist wichtig für alle zukünftigen Patien- tengenerationen. All diese genannten exzellenten Mög- lichkeiten der neuen Medien mit der Forderung nach festen Punktwerten zu verknüpfen – siehe CDU-Antrag –, geht an den wirklichen Notwendigkeiten für eine Verbes- serung von Informationen sträflich vorbei und bedient sehr einseitig partikulare Interessen. Wichtig – und das ist noch eine weitere ganz entschei- dende Hauptaufgabe – wichtig dabei ist, dass die jetzt vor- handenen Dateninformationssysteme auf den verschie- densten Ebenen bei den Akteuren im Gesundheitswesen wie in einzelnen Bundesländern technisch kompatibel ge- macht werden durch eine einheitlich unterlegte „Daten- Grundsprache“, um Insellösungen abzubauen. Nur so wer- den wir auf Dauer wirklich aussagefähige, zeitnahe und gerichtsfeste Dateninformationen erstellen und umgehend an den Patienten weitergeben können. Hier gibt es mit GAmSI – GKV-Arzneimittelschnellinformationssystem – erste richtige Schritte seitens der Kasse, wobei diese Da- ten allerdings abrechnungstechnisch noch nicht geprüft und auch nicht diagnose- und patientenbezogen sind. Ich gehe im Übrigen davon aus, dass die Erstellung von Leistungs- und Abrechnungsinformationen integraler Be- standteil der Gesamtleistung sind und nicht mit zusätzli- chen Honorarforderungen verknüpft werden. Das ist eigentlich in allen Dienstleistungsbereichen selbstverständlich im Verhältnis von Auftraggeber und Auftragnehmer – alias Leistungserbringer und Beitrags- zahler. Wir sind informationell auf dem richtigen Weg, das können Sie mühelos auch aus dem Bericht der Bundesre- gierung entnehmen zum Thema „Innovation und Arbeits- plätze in der Informationsgesellschaft des 21. Jahrhun- derts“, Drucksache 14/8456 vom 7. März 2002. Da steht unter dem Punkt 4.8, Gesundheitswesen, ein ganz wichtiger Satz: Die Ergebnisse [verschiedenster Studien] zeigen die zunehmende Bedeutung elektronischer Informations- und Kommunikationstechnologien für eine bessere Patientenversorgung, für ein effizienteres, qualitäts- gesichertes und wirtschaftlich betriebenes Gesund- heitswesen, für die Abdeckung der Informations- bedürfnisse von Bürgerinnen und Bürgern sowie Patientinnen und Patienten und damit einhergehende Stärkung ihrer Rechte und für eine integrierte Ge- sundheitsforschung. Davon, dass all dies nur dann machbar ist, wenn es feste Punktwerte à la CDU/CSU und KBV gibt, steht in allen Studien kein Wort. Das wäre auf Fachtagungen al- lenfalls einer Fußnote wert mit dem Tenor: „Worauf man nicht Rücksicht nehmen darf.“ Aus den genannten Gründen lehnen wir Ihren Antrag ab, weil mit ihm das, was erreicht werden soll, eher blockiert als gefördert wird. Aribert Wolf (CDU/CSU): In der heutigen Zeit ist viel davon die Rede, dass wir in einer Informationsgesell- schaft leben. Jeder Bundesbürger hat heute Zugriff auf eine Fülle von Informationen, über das Fernsehen, über Bücher, über Zeitschriften, Zeitungen und immer mehr auch über das Internet. Information und Transparenz sind in einer Demokratie quasi das Blut in den Adern, das den Organismus am Leben erhält. Sogar der Architekt unseres Reichstagsgebäudes hat die Idee der Transparenz demokratischer Entscheidungen in seine Gestaltungselemente aufgenommen und wir kön- nen eindrucksvoll erleben, wie dieses massive Gebäude durch transparente Baukörper sinnbildlich für die Trans- parenz der Demokratie eindrucksvoll aufgelockert wird. Es gibt aber ein Feld, in dem den Bürgern Transparenz und Information bis heute systematisch vorenthalten wer- den. Das sind Informationen über medizinische Behand- lungsqualitäten und Behandlungskosten von gesetzlich Krankenversicherten. So dürfen die Bürger unter der rot-grünen Bundesregierung zwar Rekordbeitragssätze von 14 Prozent und mehr bezahlen, aber die von der Union im Sozialgesetzbuch V im Ansatz niedergelegten Informationsrechte sind in keiner Weise weiterentwickelt worden. Im Gegenteil: Rot-Grün hat die Umsetzung der Informationsrechte unmöglich gemacht. Noch immer erfahren gesetzlich Krankenversicherte nicht, was ihre Behandlung beim niedergelassenen Arzt oder im Krankenhaus gekostet hat. Dabei gibt es hier viel- fältige Wünsche von Patienten und gesetzlich Kranken- versicherten, mehr Informationen zu erhalten. Sowohl Krankenkassen als auch ärztliche Standesorganisationen wehren sich nicht grundsätzlich gegen dieses berechtigte Anliegen ihrer Kunden. Allerdings gibt es auch immer wieder Reichsbedenkenträger, die, kurz bevor es ernst wird, mit unrealistischen und astronomisch hohen Kos- tenargumenten hier eine Information der Verbraucher zu torpedieren versuchen. Dies konnten wir ja auch in der Anhörung zu diesem Antrag der CDU/CSU-Fraktion wie- der erleben. Umso mehr ist es eine Aufgabe verantwortungsvoller Gesundheitspolitik, hier den Verbrauchern und Patienten endlich mehr Informationen an die Hand zu geben. Nur ein informierter Bürger kann ein mündiger Patient sein! Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. April 2002 23357 (C) (D) (A) (B) Deswegen kann ich nicht nachvollziehen, warum SPD und Grüne dieses berechtigte Bürgeranliegen nicht ebenso aufgreifen, wie es die Unionsfraktion tut. Vermutlich wer- den Sie unseren Antrag im Plenum des Deutschen Bun- destags genauso ablehnen wie im Gesundheitsausschuss. Ich finde es traurig, dass Sie Bürgern, die Informationen nachfragen, so eiskalt die Tür vor der Nase zuschlagen. Natürlich lässt sich das von der Union eingeführte In- formationsrecht der Versicherten in § 305 Abs. 2 Sozial- gesetzbuch V nur dann vernünftig umsetzen, wenn Rot- Grün endlich die Bereitschaft zeigt, das wieder einzuführen, was von der Union längst im Sozialgesetz- buch V verankert war, nämlich die Einführung von festen Preisen für Ärzte, Zahnärzte und Krankenhäuser. Nur dann ist sicherzustellen, dass die Selbstverwaltungspart- ner Vereinbarungen treffen können, um die Versicherten über Umfang und Kosten der von ihnen in Anspruch ge- nommenen Leistungen direkt und zeitnah zu unterrichten. Ich halte es in der Tat für einen auf Dauer nicht hin- nehmbaren Zustand, dass wir Ärztinnen und Ärzten in Deutschland tagtäglich zumuten, dass sie Leistungen er- bringen, von denen sie nicht wissen, in welcher Höhe sie von den Krankenkassen bezahlt werden. Ich kann an die- ser Stelle das komplizierte Abrechnungsverfahren nicht erläutern, aber durch das Vergütungssystem mit floaten- den Punktwerten kommt es dazu, dass so mancher Arzt in Deutschland je nach Abrechungsquartal für ein und die- selbe Leistung zwischen 20 und 30 Prozent unterschiedli- ches Honorar bekommt. Welche Berufsgruppe würde es akzeptieren, dass eine Dienstleistung, zum Beispiel eine Spritze, die einem Patienten verabreicht wird, in einem Quartal mit 10 Euro vergütet wird, in einem anderen Quarta mit 5 Euro und in wiederum einem anderen Quar- tal mit 15 Euro? Wir reden immer davon, dass niederge- lassene Ärzte Freiberufler sind, Selbstständige, also quasi Kleinunternehmer, die für die eigene Wirtschaftlichkeit verantwortlich sind. Wie aber soll ein Unternehmer ver- nünftig seine Wirtschaftlichkeit organisieren, wenn er überhaupt nicht abschätzen kann, was er für eine identi- sche Dienstleistung an Vergütung zu erwarten hat? Das ist schon ein Ärgernis an sich. Aber wie soll ein Arzt, der nicht weiß, was er für eine Leistung vergütet be- kommt, den Patienten über den Preis der Behandlung in- formieren? Deswegen müssen diese Dinge auch im Zusammenhang mit den Informationsrechten der Versi- cherten diskutiert werden. Wir müssen in Deutschland endlich wieder dazu kommen, ein Vergütungssystem im Sozialgesetzbuch einzuführen, das es den Selbstverwal- tungspartnern erlaubt, für medizinisch notwendige Leis- tungen feste Preise einzuführen. All das stand unter dem Stichwort Regelleistungsvolumina längst im SGB V und wurde von Rot-Grün leider wieder rückgängig gemacht. Auch hier wird es Zeit, dass es zu einem Politikwech- sel im Interesse von Patienten und Leistungserbringern kommt! Wir brauchen aber nicht nur die Einführung von festen Preisen für medizinisch notwendige Leistungen und die damit verbundene Informationsmöglichkeit für die Versi- cherten. CDU und CSU wollen auch Informationen über Qualität und Ergebnisse der einzelnen Leistungserbrin- ger, über Häufigkeit und Qualität von medizinischen Leis- tungen offen legen und den Versicherten zugänglich machen. Auch hier gibt es ein riesiges Informationsbe- dürfnis. Dass Rot-Grün hier dem Anliegen von CDU und CSU, das in diesem Entschließungsantrag vorgebracht ist, eine Abfuhr erteilen wird, stimmt mich besonders ärger- lich. Was macht es denn für einen Sinn, wenn sich heute bereits viele Krankenhäuser an externen Qualitätssiche- rungsmaßnahmen beteiligen, die Politik aber nicht bereit ist, den Versicherten diese Informationen auch zugänglich zu machen? Viele Operationen sind heute planbar, was den Zeit- punkt des Eingriffs anbelangt. Hier ist es für die Patienten doch von großem Interesse, zu erfahren, in welchem Krankenhaus denn zum Beispiel die Implantation eines künstlichen Hüftgelenks qualitativ hochwertig erbracht wird oder in welchem Haus ein solcher operativer Eingriff vielleicht nur vier- bis fünfmal im Jahr stattfindet, mit der berechtigten Befürchtung, dass dann die Leistungserbrin- gung vermutlich nicht das gleiche qualitative Niveau ha- ben wird wie in einem Krankenhaus, das einen solchen Eingriff über fünfhundertmal pro Jahr erbringt. Es ist doch kein Wunder, dass die „Focus“-Ärztelisten immer zu besonders starken Auflagen geführt haben. Das zeigt, was für ein Informationsbedürfnis in unserer Be- völkerung besteht. Wer ist noch nicht gefragt worden, ob er nicht einen guten Internisten, einen guten Gynäkologen oder einen guten Augenarzt kennt. Hier wird die Selbstverwaltung alleine nicht zu zufrieden stellenden Lösungen kommen, sondern hier wird der Gesetzgeber den Versicherten und Patienten Hilfestellung bieten müssen. SPD und Grüne sprechen doch auch in ihren Wahlpro- grammen von einer Stärkung der Verbraucherrechte. Aber warum stimmen Sie dann hier im Bundestag, wenn es Ernst wird und wenn Sie Ihren Ankündigungen Taten fol- gen lassen können, gegen unseren Antrag? Von der Bun- desregierung wird doch nichts anderes gefordert, als die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass Qualität von Leistungerbringern und von Leistungen endlich besser of- fen gelegt und den Verbrauchern zugänglich gemacht werden muss. Ich finde es ausgesprochen schwach, dass sich SPD und Grüne aus rein parteipolitischen Erwägun- gen heraus der Stärkung der Verbraucher- und Patienten- rechte verschließen. Auch der Sachverständigenrat im Gesundheitswesen fordert in seinem Gutachten eine Stärkung der Rolle von Versicherten und Patienten im Sinne einer aktiven Mitge- staltung. Patienten und Versicherte können jedoch nur dann eigenverantwortlich Entscheidungen treffen und Wahlmöglichkeiten nutzen, wenn sie ausreichend infor- miert sind. Das System der gesetzlichen Krankenversicherung muss deshalb insgesamt transparenter gestaltet werden. Genau dies verfolgt der heute vorgelegte Antrag von CDU und CSU. Und daher fordere ich jeden von Ihnen, der ein Interesse daran hat, Versicherte und Verbraucherrechte zu stärken, mit Nachdruck dazu auf, unserem Antrag zuzu- stimmen. Haben Sie die Kraft, wie wir von CDU und CSU, nicht den Reichsbedenkenträgern Ihre politische Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. April 200223358 (C) (D) (A) (B) und parlamentarische Unterstützung zukommen zu las- sen, sondern den berechtigten Interessen der Bürgerinnen und Bürgern in diesem Land! Monika Knoche (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Im Verlauf der Beratung Ihres Antrages, aber gerade erst jüngst, aufgrund der politischen Forderungen der CDU, die Kostenerstattung einzuführen, die sich nahtlos mit Ihren Ideen des Selbstbehaltes verknüpfen lassen, sind alle wohlmeinenden Unterstellungen zum Antrag hinfäl- lig geworden. Zum Inhalt: Von der datenschutzrechtlich zweifelhaf- ten Zulässigkeit einmal abgesehen, die in der Zusam- menführung aller patientenbezogenen Leistungsdaten liegen, stellt sich die praktische Frage: Wer macht denn bei Ihrem Modell die Quartalsabrechnung? Gelten die Ergebnisse der kassenärztlichen Abrechnungsstellen noch oder sind die Patientenquittungen der Beleg für die tatsächlichen Kosten? Wie können überhaupt alle er- brachten und veranlassten Leistungen im ambulanten und stationären Sektor auf den betreffenden Patienten oder die betreffende Patientin stimmig zusammengeführt werden? Und welchen Beitrag zur Systemsteuerung leis- tet Ihr Vorschlag? Fragen über Fragen. Kann das alles überhaupt funktio- nieren? Nein. Feste Preise in der Arztpraxis gibt es nicht. Und überhaupt, was sagen Preise eigentlich über die me- dizinische Indiziertheit der ärztlichen Diagnostik und Therapie aus? Zu viele offene Fragen, um diese Vorlage für einen guten Antrag zu halten. Übrigens ein wichtiger Hinweis: Zwischen Arzt/Ärztin und Patient/Patientin besteht kein Dienstleistungsvertrag, sondern ein Behandlungsauftrag. Das ist ein so grundle- gender Unterschied wie die Abnahme von Malerarbeiten zum Erwerb eines Gemäldes. Im Ernst. Wollen Sie eine Gesundheitsversorgung, bei der Patienten einkaufen gehen, wie im Supermarkt, mit Preisvergleich und Sonderangeboten? Die Trivialisierung des Geschehens Gesundheitsversorgung ist schon erstaun- lich, Die Durchökonomisierung der Medizin ist keine kul- turvolle Vision. Übrigens, auch in dem von Ihnen oft als Modell belie- henen PKV-System sind Fehlanreize bei Barzahlung und Erstattung nicht ausgeschlossen. Im Gegenteil: Die Ge- bührenordnung für Ärzte - GOÄ - ist oftmals ein Rätsel für die Privatversicherten und das Behandlungsverhältnis nicht von unbedingt besserer und effizienterer Leistung gezeitigt. Das kann kein Vorbild sein, weil es keine wirk- liche Patienten- und Patientinnenkompetenz schafft. Im GKV-System hat sich der Punktwert für die ärztli- che Leistung herausgebildet. Der ist floatend. Da lassen sich keine Festpreise bilden. Zudem läuft Ihr Modell aller Reform des Honorierungswesens entgegen. Hier will man bekanntlich zu behandlungsleitlinienorientierter Honorie- rung kommen. Die BÄK und die KBV arbeiten an be- handlungsstandardisierungsähnlichen Qualitätsmarkern im ambulanten Sektor. Diesen Weg sind Sie von der CDU/CSU bislang immer mitgegangen. Warum verlassen Sie diesen Weg? Zum stationären Bereich: In allen deutschen Kranken- häusern soll das DRG-Abrechnungswesen Einzug halten. Über integrierte Versorgungsverläufe, die unter Umstän- den auch die Reha umfassen, wird derzeit nachgedacht. Es ist also viel Bewegung im System. Ich bin nicht davon zu überzeugen, dass man Patienten zu Kostenkontrolleuren machen kann oder soll. Das Be- dürfnis der Patienten und Patientinnen nach Information richtet sich meiner Erfahrung nach viel mehr auf Unter- stützung, eine gute Beratung über ihre Krankheit und Hil- fen; sie wollen auch fachlich fundierte Informationen über Behandlungsalternativen bekommen, um die Qua- lität ärztlicher Leistungen zu heben und bei Behandlungs- fehlern, bei iatrogenen Schäden etc. die Patienten und Pa- tientinnen zu unterstützen. Das ist eine Sache, für die Krankenkassen, Patientenverbände, Patientenschutzbe- auftragte usw. viel geeigneter sind als Ihre Vorschläge. Nicht zu vergessen ist die Politik. Sie hat Qualitätsi- cherungsmaßnahmen, mit dem Koordinierungsausschuss und anderem die Verantwortung dafür, dass das Geld der Versicherten nur für die Interessen der Patienten ausgege- ben wird. Dazu vermag Ihr Antrag leider wenig Weiter- führendes beizutragen. Detlef Parr (FDP): Wenn wir eine durchgreifende Gesundheitsreform wollen, müssen wir sie auf zwei Pfeiler setzen: Freiberuflichkeit bei den Heilberufen wiederher- stellen und Patientensouveränität aufbauen. Dabei spielt die Verbesserung der Informationsmöglichkeiten der Ver- sicherten eine zentrale Rolle. Mehr Kostenbewusstsein bei der Inanspruchnahme des Gesundheitssystems ist dringend erforderlich. Das kann nur – wie der Unionsantrag zu Recht fordert – durch mehr Transparenz des Leistungsgeschehens erreicht werden. Dazu gehören zum einen feste Preise in den Praxen und Krankenhäusern, zum anderen aber eine über den Antrag hinaus gehende Kostentransparenz. Wir müssen das Sachleistungsprinzip weitgehend durch die Kostenerstattung ablösen. Der Arzt stellt eine für jeden lesbare und verständliche Rechnung, der Versi- cherte rechnet mit der Krankenkasse ab und begleicht sie. Das lässt Spielräume für Wahlfreiheiten der Versicherten wie Selbstbehalte, Beitragrückerstattungen oder Selbst- beteiligungen. Das eröffnet Gestaltungsmöglichkeiten ei- nes zum Beispiel Festzuschusssystems bei dem die medi- zinisch notwendige Versorgung zu 100 Prozent von der Kasse erstattet wird und bei dem darüber hinaus gehende Wünsche vom Versicherten selbst zu tragen sind, über er- gänzende Privatversicherungen oder eben Cash. Ein solches System setzt die notwendigen Anreize, die beim Versicherten wie beim Arzt eine wirtschaftliche Er- bringung und Inanspruchnahme von Gesundheitsleistun- gen bewirken. Die Verbesserung der Informationsmög- lichkeiten der Versicherten ist die eine Seite der Medaille. Andererseits müssen wir feststellen, dass ein anderes Wis- sensdefizit besteht: Wir haben über Jahre versäumt, hin- reichende Informationen über Präferenzen und Erwartun- gen der Patienten gegenüber dem Gesundheitswesen zu sammeln: Expertendominanz statt Kundenorientierung, Für eine verbesserte Patientenbeteiligung benötigen wir dringend valide Hinweise darüber, aufgeschlüsselt nach Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. April 2002 23359 (C) (D) (A) (B) sozialer Herkunft, Geschlecht, Alter, Lebenssituation, und international vergleichbare Studien dazu. Dem Pati- enten wiederum müssen Begriffe, Methoden, Behand- lungsformen verständlich vorgestellt werden. Erinnern wir uns an das Lipobay-Drama: Die Beipackzettel für Arzneimittel bedürfen dringend einer Überarbeitung, da- mit das Ausmaß möglicher schädlicher Nebenwirkungen deutlicher wird. Wir haben nach den Ausschussberatungen noch einmal nachgedacht: Vor dem Hintergrund der gegenwärtig be- stehenden Bedingungen im Gesundheitswesen wollen wir dem Antrag der CDU/ CSU nun doch zustimmen, obwohl er uns nicht weit genug geht! Letzten Anstoß dazu haben uns die Beschlussempfehlung und der Bericht gegeben. Dort heißt es wortwörtlich als Begründung für die Ableh- nung durch Rot-Grün: „Sie vermuteten, dass letztlich Ziel des Begehrens sei, die Kostenerstattung einzuführen“. Richtig so, und deshalb unser Ja. Was bleibt über diese Ansätze hinaus zu tun? Wir müs- sen aus dem Zwinger der Patienteninformation als abs- traktes Regelwerk heraus. Die Information darf nicht Selbstzweck bleiben; sie muss vielmehr zur Verbesserung des Wissensstandes des Patienten beitragen. Unabhängige Qualitätsmanagementstrukturen müssen geschaffen wer- den. Darauf aufbauend kann dann die Einführung von Pa- tientenrechten und Patientenweiterbildung aufgrund überprüfter Qualitätsstandards erfolgen. Letzte Bemerkung: Alle Information nutzt dem Patien- ten wenig, wenn er sie nicht einordnen kann. Wir sollten über das Angebot einer Beratung nachdenken, eines Ge- sundheitscoachs als Partner des Patienten, der sich die notwenige Zeit nehmen kann, Fragen zu erläutern und Hinweise auf das richtige Verhalten, zum Beispiel beim Therapieablauf, zu geben. Die Kommunikation zwischen den am Behandlungs- und Pflegeprozess Beteiligten muss sich verändern, wollen wir das Ziel des Antrags der Union wirklich erreichen. Dr. Ruth Fuchs (PDS): Der Beginn ihres Antrages ist nicht unklug gewählt, meine Damen und Herren von der Unionsfraktion. Sie berufen sich auf eine Forderung des Sachverständigenrates für die konzertierte Aktion. Das hört sich gut an und weckt auch eine Art Vertrauen. Auch wir finden es richtig und notwendig, die Rolle der Versi- cherten und Patienten zu stärken und das System der ge- setzlichen Krankenversicherung transparenter zu machen. Realität ist aber, dass wir unterschiedliche Auffassun- gen haben, was unter stärkerer Versichertenpartizipation und Transparenz im Gesundheitswesen zu verstehen ist und wie man das gestalten kann. Wenn damit gemeint ist, wie es in Ihrer dritten Forderung an die Bundesregierung heißt, dass Qualität und Ergebnisse der einzelnen Leis- tungserbringer für Versicherte transparent sein sollen, dann findet das unsere Unterstützung. Das steht auch klar und deutlich in unserem Wahlprogrogramm. Um aber Rechte in Anspruch nehmen zu können, be- darf es mehr. Patienten brauchen dafür vor allem mehr In- formationen über Struktur und Profil der Gesundheitsan- gebote. Diesbezüglich finden wir es richtig, dass Krankenhäuser verpflichtet sind, regelmäßige Qualitäts- berichte zu veröffentlichen und dass die konkrete Ausge- staltung von Behandlungsprogrammen für chronisch Kranke erfolgen muss. Genau das sind Felder, auf denen Patientenkompetenz unerlässlich ist. – Je mehr Patienten darüber wissen, desto besser werden sie befähigt, ihren in- dividuellen Behandlungsprozess kompetent zu bewerten und selbst aktiv mitzugestalten. Davon steht aber nichts im Antrag der Unionsfraktion. Sie begrenzen das Mitwirkungsrecht der Patienten vor- rangig auf eine Kontrolle ärztlicher Rechnungen. Genau da hört unsere Zustimmung auf, und zwar aus folgenden Gründen: Dieser Ansatz steht dem Sachleistungsprinzip sowie anderen Ordnungsprinzipien der GKV diametral entge- gen. Es ist das Aufstoßen einer Tür hin zu Selbstbehalten, zur Zu- und Abwahl von Leistungen und zur Kostener- stattung. Ist die Tür dann weit genug offen, war es das mit dem Solidarsystem. Die FDP stimmt Ihrem Antrag nicht zu, aber nicht etwa, weil sie Ihr Anliegen nicht unterstützen würden. Die FDP fordert sofort die Einführung der Kostenerstattung. Das ist wenigstens konsequent; denn genau das ist die Lo- gik, die sich aus Ihrem Antrag ergibt, meine Damen und Herren von der CDU/CSU. Wir lehnen die Kostenerstattung ab. Unserer Meinung nach sind finanzielle Kontrollen der Ärzte durch ihre Pa- tienten kein adäquater Weg. Nötig sind angemessene ärzt- liche Vergütungen, die überwiegend pauschal erfolgen und Abrechnungsmanipulation ebenso wie bürokrati- schen Aufwand zurückdrängen. Im Übrigen ist ja kürzlich im SPD/FDP-regierten Rheinland Pfalz – noch unter dem damaligen Gesundheitsminister Gerster – ein Modellpro- jekt in Sachen Patientenquittung gestartet worden. Für eine Tagesquittung, die unmittelbar beim Verlassen der Praxis ausgestellt wird, erhalten die Ärzte 1,5 Euro, für eine Quittung am Quartalsende 2,25 Euro. Insgesamt stellt die GKV für die einjährige Laufzeit des Projektes, an dem nur 96 Ärzte beteiligt sind, 750 000 Euro zur Ver- fügung. Eine grobe Überschlagsrechnung bestätigt, dass eine generelle Einführung bei den weit über 100 000 Ver- tragsärzten eine Summe ergeben würde, die in der Größenordnung von 1 Milliarde Euro und mehr liegen dürfte. Erneut werden Geld und weitere ärztliche Arbeits- zeit der unmittelbaren medzinischen Versorgung entzo- gen. Auch das halten wir für falsch. Wir lehnen den An- trag ab. Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bewachungsgewerberechts (Tagesordungspunkt 22) Christian Lange (Backnang) (SPD): Wir haben in Deutschland das europaweit am weitesten entwickelte private Bewachungsgewerbe, das darüber hinaus in stän- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. April 200223360 (C) (D) (A) (B) digem Wachstum begriffen ist. Derzeit beschäftigen in Deutschland 2 500 Unternehmen rund 140 000 Arbeit- nehmerinnen und Arbeitnehmer. Der zunehmenden Be- deutung dieses Wirtschaftsbereiches und den gestiegenen Anforderungen an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in diesem Gewerbe wollen wir durch die Novellierung des Bewachungsgewerberechts entsprechen. Wir wollen mit der Novellierung des Bewachungs- rechts die Voraussetzungen vor allem für die im öffentli- chen Bereich auszuführenden Tätigkeiten des privaten Bewachungsgewerbes an die steigenden qualitativen An- forderungen anpassen. Es bleibt dabei sicherzustellen, dass das staatliche Gewaltmonopol auch in Zukunft un- angetastet bleibt. Um dies zu gewährleisten, wird bei- spielsweise klargestellt, dass dem Sicherheitsgewerbe außer in Fällen der Beleihung nur die vom Auftraggeber vertraglich übertragenen privatrechtlichen Befugnisse und die so genannten Jedermannrechte zustehen. Weiterhin wird für Wachleute, die beim Schutz vor La- dendieben, beispielsweise Kaufhausdetektive, tätig sein sollen, eine Sachkundeprüfung eingeführt. Dasselbe gilt auch für Wachpersonal, das mit Kontrollgängen im öf- fentlichen Verkehrsraum betraut ist, also beispielsweise in S-Bahnen oder Ladenpassagen, oder das als bewachende Kontrolleure vor Diskotheken eingesetzt wird. Für das übrige Personal im Bewachungsgewerbe wird die Zahl der vorgeschriebenen Unterrichtungsstunden von 24 auf 40 und für die Gewerbetreibenden von 40 auf 80 Stunden erhöht. Dabei sollen gleichzeitig effektivere Schulungsverfahren zum Einsatz kommen, wie Rollen- spiele, Multipe-Choice-Tests und ähnliche. Die Kosten für eine Personalunterrichtung werden sich circa um 511,29 Euro und für die Unterrichtung des Gewerbetreibenden um 1124,84 Euro erhöhen. Die Kosten für eine Sachkunde- prüfung werden auf bis zu 153,39 Euro geschätzt. Für be- sonders wichtig erachte ich außerdem die Intensivierung der Zuverlässigkeitsprüfungen, die vorgesehen sind, denn dieses Gewerbe ist in hohem Maße auch von der Persön- lichkeitsstruktur des jeweiligen Wachmanns abhängig. Dazu entsprechend erhalten die Gewerbeämter die Mög- lichkeit, unmittelbar eine Untersagung auszusprechen, so- fern gegenüber einzelnen Wachleuten eine entsprechende Arbeitsauffassung und Persönlichkeitsstruktur nicht garan- tiert werden kann. Die datenschutz- und waffenrechtlichen Vorgaben in der Bewachungsverordnung werden ebenfalls verschärft. Schließlich sollen bestimmte, in öffentlich zugänglichen Räumen tätige Wachleute dazu verpflichtet werden, ein Na- mensschild zu tragen. Dies erhöht das Sicherheitsgefühl der Bürgerinnen und Bürger und schützt gleichzeitig vor Überschreitung der Befugnisse des Bewachungspersonals. Im Übrigen ist die vom Bundesrat geforderte Auswei- tung des Sachkundenachweises für Personenschützer und Wachleute abzulehnen, die im Zugangskontrollbereich bei öffentlichen Großveranstaltungen eingesetzt werden. Eine weitere kostenträchtige Verschärfung, wie sie eine solche Ausweitung darstellen würde, würde letztlich nur dazu führen, dass die Veranstalter aufgrund des Kosten- drucks weniger Ordnungspersonal bei Großveranstaltun- gen, wie Fußballspielen, Rockkonzerten oder ähnlichen, einsetzen würden. Letztlich würde dies zu weniger Si- cherheit bei solchen Massenveranstaltungen führen, ob- wohl gerade dort besondere Sicherheitsmaßnahmen er- forderlich sind. Damit hätten wir unser eigentliches Ziel unterlaufen, die Qualität im Bewachungsgewerbe und da- mit auch die Sicherheit zu erhöhen. Die positive Entwicklung des Bewachungsgewerbes hat auch beschäftigungspolitisches Gewicht, wenn man bedenkt, dass Arbeitsplätze in diesem Dienstleistungsbe- reich gerade für Arbeitssuchende mit eher praktischen Neigungen interessant sein können. Hier eröffnet sich ein zukunftsfähiger Arbeitsmarkt ganz besonders auch für Menschen, die nur über eine geringe Qualifizierung ver- fügen und deshalb oftmals keine adäquaten Beschäfti- gungsmöglichkeiten auf dem Arbeitsmarkt finden. Daher begrüße ich sehr den freien Zugang zu diesem Gewerbe. Das Wachstum in diesem Dienstleistungsbereich ist längst nicht erschöpft. Neue Arbeitsplätze werden ge- schaffen. Gleichzeitig schaffen wir durch die Novellie- rung mehr Qualität und Sicherheit für die Bevölkerung, wie es den gestiegenen Anforderungen dieses Gewerbes entspricht. Günter Graf (Friesoythe): Vor dem Hintergrund einer zunehmenden Anzahl leerer öffentlicher Kassen ist immer häufiger die Rede vom schlanken Staat. Dieses ist Fakt und nicht zu leugnen. Dahinter versteckt sich letztlich auch die Frage nach dem künftigen Bestand von Staats- aufgaben im Allgemeinen. Es stellt sich aber auch die Frage, ob im Bereich der inneren Sicherheit als Kernbe- reich der staatlichen Tätigkeit verstärkt private Sicher- heitsdienste ergänzend zur Polizei oder teilweise sogar an deren Stelle treten und hoheitliche Aufgaben wahrnehmen dürfen und sollten. Ich bin mir sehr sicher – das haben die bisherigen Dis- kussionen in den Ausschüssen gezeigt –, dass Einigkeit darüber herrscht, dass das private Sicherheitsgewerbe ei- nen wichtigen Beitrag zur Aufrechterhaltung der Inneren Sicherheit in Deutschland leistet und nicht mehr wegzu- denken ist, ohne dass dadurch das staatliche Gewaltmo- nopol infrage gestellt wird. Dabei ist festzustellen, dass private Sicherheitsdienst- leister ihre Aktivitäten immer mehr im öffentlich zugäng- lichen Raum entfalten. Dieses sage ich deshalb, weil es dadurch bedingt zunehmend zu Konfliktsituationen zwi- schen dem Sicherheitsdienstleister und dem Bürger kommt bzw. kommen kann, weil die bis heute geltenden gesetzlichen Regelungen unvollkommen und weil die Qualifikationsvoraussetzungen unzureichend sind. Im- mer häufiger wird in diesem Zusammenhang von so ge- nannten schwarzen Sheriffs und von rechtlichen Grauzo- nen gesprochen. Viele von Ihnen können sich noch sehr gut daran erin- nern, dass wir uns bereits in der 12. und 13. Wahlperiode mit der Thematik der privaten Sicherheitsdienste beschäf- tigt haben, weil ganz allgemein ein Novellierungsbedarf des Bewacherrechtes erkannt worden war. Leider sind noch zu Zeiten der damaligen Regierungskoalition alle Bemühungen aufgrund der internen Zerstrittenheit ge- scheitert. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. April 2002 23361 (C) (D) (A) (B) Vor diesem Hintergrund haben sich die Koalitionäre im Jahre 1998, nachdem Rot-Grün einen klaren Wählerauf- trag erhalten hatte, unter dem Aspekt weiterer Vorhaben zur Rechtspolitik dahin gehend verständigt, Aufgaben und Befugnisse des Sicherheitsgewerbes in dieser Wahl- periode zu regeln. Auch in diesem Punkt hat die rot-grüne Bundesregierung und die sie tragende rot-grüne Koalition Wort gehalten und einen Gesetzentwurf auf den Weg ge- bracht, den wir heute abschließend, also in zweiter und dritter Lesung, beraten. Zu den Kernpunkten dieses Gesetzes gehört unter an- derem die Erhöhung der Stundenzahl der Unterrichtung der Beschäftigten von bislang 24 Stunden auf 40 Stunden, für die Gewerbetreibenden selbst von 40 auf 80 Stunden durch die jeweils zuständigen Industrie- und Handels- kammern. Was nach meiner ganz persönlichen Einschätzung und fast aller Fachleute in dem Gesetz fehlt – das hat auch eine entsprechende Anhörung ergeben –, dass für die Gewer- betreibenden selbst nicht die bloße Unterrichtung ausrei- chend ist, sondern dass von ihnen aufgrund ihrer beson- deren Verantwortung eine Sachkundeprüfung zu fordern wäre. Dies war aber aufgrund unterschiedlicher Interes- sen zwischen Wirtschafts- und Innenpolitik nicht erreich- bar; insofern ist die Erhöhung der Stundenzahl von 40 auf 80 Stunden als Kompromiss zu sehen. Auch möchte ich in aller Kürze darauf hinweisen, dass mit diesem Gesetzentwurf die Zuverlässigkeitsprüfung der Beschäftigten deutlich verschärft wird. Nunmehr ist zwingende Voraussetzung, dass vor Einstellung die Zu- verlässigkeit unter anderem durch die unbeschränkte Aus- kunft nach § 41 Abs. 1 Nr. 9 des Bundeszentralregisters gefordert wird. Ebenso sind für ganz bestimmte Aufga- benbereiche auch Auskünfte bei den zuständigen Landes- behörden für Verfassungsschutz zu tätigen. Ich gehe davon aus, dass es künftig nicht mehr möglich sein wird, dass eine Person, die wegen eines kriminellen Tuns eine öffentliche Anlage beschädigt hat und dadurch eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung heraufbeschworen hat, nach Strafverbüßung als Wachper- son gerade für dieses Objekt eingestellt werden würde. Dies wird durch die neuen Regelungen künftig nicht mehr möglich sein, wobei ich darauf hinweise, dass die Ver- schärfung hinsichtlich der Sicherheitsüberprüfung für Personen in bestimmten lebensnotwendigen Bereichen – Flughäfen, Elektrizitätswerke, Kläranlagen usw. – von dieser Regelung unberührt bleibt. Auch sind mit diesem Gesetz die zwingend notwen- dige Regelung hinsichtlich der datenschutz- und waffen- rechtlichen Bestimmungen getroffen worden. Dies will ich an dieser Stelle nicht vertiefen. Ein Letztes möchte ich allerdings hier noch anmerken: Durch die Änderung der Gewerbeordnung § 34 fordern wir – das ist etwas Neues – für einen bestimmten Personenkreis eine erfolg- reich abgelegte Sachkundeprüfung. Diese Sachkundeprü- fung, so das Gesetz, ist für die Beschäftigten zwingende Voraussetzung bei der Ausübung folgender Tätigkeiten: Erstens. Kontrollgänge im öffentlichen Verkehrsraum oder in Hausrechtsbereichen mit tatsächlich öffentlichem Verkehr. Zweitens. Schutz vor Ladendieben. Drittens. Bewachung im Einlassbereich von gastge- werblichen Diskotheken. Dies ist gut und notwendig. Allerdings – das will ich hier in aller Deutlichkeit sa- gen – bedauere ich sehr, dass der federführende Aus- schuss für Wirtschaft und Technologie die parteiübergrei- fende, einstimmige Empfehlung des Innenausschusses und die mehrheitlich beschlossene Empfehlung des mit- beratenden Rechtsausschusses, diese Sachkundeprüfung auch dann zu fordern, wenn Personen in Aufsichtsfunk- tionen bei der Zugangskontrolle von Großveranstaltungen eingesetzt werden, angenommen habt. Diesem Argument hat sich der federführende Aus- schuss leider verschlossen und ich sage persönlich in aller Deutlichkeit: Dies ist nicht nachvollziehbar. Sachlich ist die Nichtaufnahme dieser Forderung in das Gesetz nicht zu begründen. Die Frage, die sich stellt, lau- tet doch schlicht und ergreifend, warum Zugangskontrol- leure vor Diskotheken eine Prüfung ablegen müssen, die mit gleichem Arbeitsauftrag versehenen Zugangskontrol- leure im Einlassbereich von Großveranstaltungen hinge- gen nicht. Letzteres sage ich deshalb auch in dieser Deutlichkeit, weil ich als ehemaliger Polizeibeamter die dargestellte Pro- blematik hautnah im Diskothekenbereich, aber auch im Zu- gangsbereich von Großveranstaltungen kennen gelernt habe. Die von mir angesprochenen Unterrichtungen, die bislang ausnahmslos von IHKs durchgeführt werden durf- ten, können nunmehr auch auf Antrag von den Sicherheits- dienstleistern, sofern sie entsprechende Einrichtungen un- terhalten, durchgeführt werden. Diese Änderung ist eine notwendige Reaktion auf die Lebenswirklichkeit. Jeder, der sich mit diesen Dingen beschäftigt hat, dem wird nicht verborgen geblieben sein, dass sich die Industrie- und Han- delskammern des Fachpersonals der privaten Sicherheits- dienstleister ganz überwiegend bedient haben. Vor diesem Hintergrund ist es sicherlich folgerichtig, dass die Sicherheitsdienstleister, die über entsprechende Einrichtungen verfügen, diese Unterrichtung unter dem Dach der IHKs eigenständig durchführen können. Klaus Francke (CDU/CSU): Das Thema Sicherheit hat in den politischen Diskussionen im Lande einen stän- dig steigenden Aufmerksamkeitswert, und dies nicht erst als Folge der Ereignisse des 11. September. Wahlergeb- nisse, wie bei uns in Hamburg, sind von diesem Thema maßgeblich beeinflusst worden. Der objektive und sub- jektive Erkenntnisstand der Bevölkerung, dass ihre Si- cherheit in vielfältiger Weise zunehmend bedroht ist, nimmt zu. Eine Folge dieser Sachlage sind die allseits ver- stärkten Sicherheitsvorkehrungen in unserem Land; denn es gehört nach wie vor zu den vornehmlichsten Aufgagen des Staates, den Schutz seiner Bürger zu gewährleisten. Vor zahlreichen öffentlichen Gebäuden steht Sicherheits- personal, das den Schutz der Objekte und der Menschen darin gewährleisten soll. Es zeigt sich aber, dass diese Aufgabe von den Poli- zeien der Länder und vom Bundesgrenzschutz nur noch Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. April 200223362 (C) (D) (A) (B) unter großen personellen Schwierigkeiten bewerkstelligt werden kann. Immer häufiger sind deshalb auch private Sicherheitsdienste mit dem Schutz und der Absicherung von gefährdeten Einrichtungen beauftragt. Diese Entwicklung hat zu einer erheblichen Auswei- tung der Zahl privater Sicherheitsdienste im letzten Jahr- zehnt geführt. Gab es 1990 noch circa 900 private Wach- und Sicherheitsunternehmen, so steigerte sich die Zahl bis zum Jahre 2000 auf rund 2 500 Firmen. Mit der Frage der Qualität dieser Firmen und ihres Per- sonals beschäftigt sich der vorliegende Gesetzentwurf. Um es vorweg zu sagen: Der grundsätzlichen Zielsetzung des Gesetzes stimmt die CDU/CSU-Fraktion ausdrücklich zu. Das staatliche Gewaltmonopol bleibt auch in Zukunft unangetastet. Es soll und muss jedoch bei steigender Inanspruchnahme pri- vater Sicherheitsdienste und einer damit verbundenen Aufgabenausweitung sichergestellt sein, dass die Voraus- setzungen, in diesem Gewerbe tätig zu sein, den gestiege- nen Anforderungen gerecht werden und dass die Aus- und Weiterbildung des Personals eine permanente Aufgabe sein müssen. Es muss die Zuverlässigkeit der Wachleute vor ihrer Einstellung gründlicher geprüft werden und der Hinweis der Gewerkschaft der Polizei, die privaten Si- cherheitsdienste sollten einer verschärften Kontrolle un- terzogen werden, sollte nicht unbeachtet bleiben. Dies ist auch deshalb notwendig, weil auf Seite der privaten Si- cherheitsdienste eine entsprechende Sachkenntnis des eingesetzten Personals nicht in allen Fällen gewährleistet ist. Nach unserer Auffassung sollten einige zusätzliche Re- gelungen in das vorgelegte Gesetz aufgenommen werden. Dazu haben wir den ihnen vorliegenden Änderungsantrag eingebracht. Es geht uns im Wesentlichen um drei Aspekte: Erstens. Wir wollen, dass die Sachkundeprüfungen auch auf die Aufsichtsfunktionen bei der Zugangskon- trolle von Großveranstaltungen ausgeweitet werden. Nicht nur die bei Massenveranstaltungen möglichen Angst- und Panikreaktionen rechtfertigen eine solche Er- gänzung. Die Terroranschläge in vielen Ländern, zum Beispiel in Lokalen und Diskotheken, liefern eine weitere Begründung für die gewollte Ergänzung. Der Bundesrat hat sich in seiner Stellungsnahme ausdrücklich dieser Auffassung angeschlossen. Das in diesem Zusammenhang von der Bundesregie- rung vorgebrachte Kostenargument, nach dem die Kosten für entsprechend qualifiziertes Personal zu hoch seien, ist nicht überzeugend. Sicherheit kostet Geld und dieses Geld ist im Interesse der Sicherheit der Bevölkerung und unseres Gemeinwesens gut angelegt. Zweitens. Wir möchten erreichen, dass außer den In- dustrie- und Handelskammern auch die Verbände ASW, VSW und BDWS die Unterweisung des Personals vor- nehmen können. Drittens. Unser Vorschlag zu § 5 a, Abs. 1 der Bewa- chungsverordnung betrifft eine notwendige rechtssyste- matische Klarstellung. Eine abschließende Bemerkung: Im Gesetzentwurf heißt es: Die mit der Ausführung des Gesetzes betrauten Ge- meinden werden durch die intensivere Zuverlässig- keitsüberprüfung in geringem Maße mehr belastet. Wie groß oder gering die Mehrbelastung ist, will ich hier nicht untersuchen, aber so viel sei doch gesagt: Ein weiteres Mal legt der Bund den Gemeinden Lasten auf, ohne auch nur ansatzweise in einem größeren Gesamt- zusammenhang den Gemeinden einen finanziellen Aus- gleich zu gewähren. Ich bitte das Haus um Zustimmung zu unseren Änderungsanträgen. Bei Ablehnung unserer Änderungsanträge werden wir uns in der Schlussabstim- mung der Stimme enthalten. Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Das Anliegen dieses Gesetzes teilen wir Bündnis- grünen und auch ich persönlich mit der Polizeigewerk- schaft. Diese Allianz ist sicher bemerkenswert, aber von der Sache her verständlich und richtig. Das private Si- cherheitsgewerbe ist ein florierender Wirtschaftszweig geworden. Hunderttausende finden dort inzwischen einen Arbeitsplatz. Private Firmen übernehmen immer mehr Si- cherheitsaufgaben auch im öffentlichen Bereich. Sogar Bundestag und Ministerien nutzen diese Dienste, ja, man glaubt es kaum, Sicherheitsdienste des Bundes lassen sich von Privatdiensten bewachen und sichern. Die Konkur- renz zu Polizei, Bundesgrenzschutz und anderen staat- lichen Sicherheitsdiensten ist offensichtlich. Warum kön- nen Private soviel günstiger anscheinend diesselben Leistungen anbieten, dass sie in der Konkurrenz zur Poli- zei vorgezogen werden? Sie sind billiger, weil sie an ihr Personal weniger bezahlen, häufig lange Arbeits- und Einsatzzeiten praktizieren und häufig keine lange Ausbil- dung für ihre Mitarbeiter finanzieren müssen. Aber kön- nen sie dann Gleichwertiges leisten oder ist solcher Ein- satz nicht mit großen Risiken und Gefahren für die Bevölkerung verbunden? In der Zeitung war vor einem Jahr zu lesen, ein Privat- angestellter habe einen Fahrgast in der U-Bahn derart schwer misshandelt, dass Blutspuren im Wagen zurückblie- ben. Am nächsten Tag gab es einen ähnlichen Vorfall mit ei- nem Obdachlosen. Die beteiligten Privatangestellten ver- dienten 6,70 DM pro Stunde. Der eine war 15 Stunden ohne Pause im Dienst, der andere hatte 12 Stunden pro Tag drei- einhalb Wochen durchgearbeitet. Einem LKW- oder Bus- fahrer verbieten wir völlig zu Recht, länger als eine be- stimmte Stundenzahl am Steuer Dienst zu tun und wir verlangen eine gute Ausbildung und das Bestehen einer Prü- fung, weil von ihm sonst Gefahren für andere Verkehrsteil- nehmer ausgehen. Ein Angestellter eines privaten Sicher- heitsdienstes kann übermüdet im öffentlichen Raum Dienst tun, oft ohne besondere Ausbildung und manchmal sogar bewaffnet, obwohl von ihm sicher eine nicht geringere Ge- fahr ausgeht. Da gibt es Regelungsbedarf. Mit dem Gesetz zur Änderung des Bewachungsgewerberechts unternehmen wir erste notwendige Regelungsschritte. Es sind nur erste Schritte, weitere müssen möglichst bald folgen. Wir verlangen eine erfolgreich abgelegte Sachkundeprü- fung als Voraussetzung für die Durchführung bestimmter Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. April 2002 23363 (C) (D) (A) (B) Aufgaben, wie Kontrollgänge im öffentlichen Raum, Ein- satz gegen Ladendiebe, Bewachung von Diskotheken, also immer, wenn das Sicherheitspersonal im öffentlichen Raum tätig ist oder Publikumsverkehr abzuwickeln hat. Wir regeln die Unterrichts- und Ausbildungszeiten, die erreicht werde müssen, bevor Personen in bestimmten Be- reichen des Sicherheitsdienstes eingesetzt werden dürfen. Und wir legen fest, wie die Sachkundeprüfung abgenom- men wird und von wem. Wir halten ausdrücklich fest, dass das Gewaltmonopol des Staates beim Staat bleibt und dass die Privaten also keine Sonderrechte zur Gewaltausübung haben. Sie dür- fen nur das, was nach dem Gesetz jedermann und jede Frau auch darf, also insbesondere in Notwehr persönliche Angriffe abwehren und notfalls anderen in Nothilfe bei- stehen, wenn sie angegriffen sind. Wir halten ausdrück- lich fest, dass selbstverständlich jede Gewaltanwendung verhältnismäßig bleiben muss, das heißt, nur das Maß an Gewalt angewandt werden darf, was zur Abwehr eines Angriffes unbedingt erforderlich ist. Ein wichtiger Bereich der Neuregelungen ist der der Überprüfung von Personen, die Personen mit Bewa- chungsaufgaben beschäftigen dürfen. Hier wird eine ganze Reihe von Zuverlässigkeitsvoraussetzungen festgelegt. Auch die Zuverlässigkeit ist in einer Prüfung nachzuwei- sen. In Berlin spricht man davon, Sicherheitsunternehmen würden ihre Mitarbeiter an den Gefängnistoren aus dem Kreis der Haftentlassenen anwerben. Natürlich haben wir nichts dagegen, dass Personen, die im Gefängnis saßen, nach ihrer Entlassung einen vernünftigen, ehrlichen Job finden. Aber wir legen Wert darauf und wollen sicherstel- len, dass sowohl die, die Leute für Bewachungsaufgaben beschäftigen, als auch die, die mit Bewachungsaufgaben betraut werden, zuverlässig sind und dass von diesen keine Gefahren ausgehen. Deshalb regeln wir, wie unter Berück- sichtigung des Datenschutzes die notwendigen Auskünfte für die Überprüfung der Zuverlässigkeit zur Verfügung ge- stellt werden können. Wichtig ist auch die Regelung, dass Gewerbetreibende die Daten und Geheimnisse Dritter, die im Rahmen der Tätigkeit des Bewachungsunternehmens anfallen, ähnlich gut sichern und bewahren, wie dies im öffentlichen Be- reich vorgeschrieben ist. Wir regeln den Datenaustausch mit Behörden und ins- besondere mit der Polizei. Und nicht zu vergessen, verbes- sern wir die Bestimmungen über den Waffengebrauch im privaten Sicherheitsbereich Beschäftigter. Die Bestimmun- gen zum Tragen oder schon zum Aufbewahren der Waffen müssen mindestens so streng und restriktiv sein wie bei der Polizei. Das ist das Ziel der gesetzlichen Regelung. Ich habe darauf hingewiesen, dies können nur erste Schritte sein. Es bleibt noch viel zu tun. So brauchen wir die Regelung von Mindeststandards für Arbeitszeit- und Arbeitsschutzbestimmungen und für eine tarifliche Entloh- nung. Die Polizeigewerkschaft hat uns auch mit solchen Forderungen auf ihrer Seite, im Interesse der Bevölkerung, die keine Risiken und Gefahren will, die von Firmen aus- gehen, die im Sicherheitsbereich tätig sind. Um nicht miss- verstanden zu werden: Selbstverständlich gibt es auch nach unserer Auffassung viele Personen und Unternehmen, die ordentliche Arbeit verrichten und Mindeststandards auch heute schon praktizieren. Die werden solche gesetzlichen Regelungen weder fürchten noch scheuen. Rainer Funke (FDP): Das vorliegende Gesetz zur Änderung des Bewachungsgewerberechts steht gerade für uns Liberale in einem ganz besonderen Spannungsver- hältnis. Auf der einen Seite sehen wir das Gewaltmonopol des Staates als unerlässlichen Bestandteil der inneren Si- cherheit unseres Staatswesens an. Auf der anderen Seite gehen wir vom Prinzip der Gewerbefreiheit aus und müs- sen gerade bei diesem Gesetz fragen, ob Einschränkungen der Gewerbefreiheit berechtigt sein könnten. Dabei hat man sich zunächst zu fragen, ob im rechts- staatlichen Bereich in letzter Zeit Missstände bekannt ge- worden wären, die durch Gesetzesänderungen behoben werden müssten. Gravierende Missstände gibt es sicher- lich nicht. Aber eines ist sicher: dass das Bewachungsge- werbe vielfältige zusätzliche Aufgabenbereiche, vor al- lem bei Zugängen zu sensiblen Bereichen in Betrieben, haben wird. Dies könnte dafür sprechen, dass auch im In- teresse des Bewachungsgewerbes selbst Ausbildung und Zuverlässigkeitsprüfung einen noch höheren Stellenwert bekommen. Das erhöht die Akzeptanz in der Öffentlich- keit, aber auch in den Betrieben. Wir werden dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zustimmen, auch wenn uns – wie im Übrigen den Deut- schen Industrie- und Handelskammertag und zahlreiche Sachverständige auch – die übermäßige Regulierungswut und der zusätzliche Bürokratismus eigentlich ab- schrecken. Wir sind durchaus mit der Zielrichtung dieses Gesetzes einverstanden und werden mit Argusaugen da- rüber wachen, dass das Bewachungsgewerbe nicht durch Bürokratie und Regulierungswut erdrosselt wird. Wir hal- ten sehr viel von Deregulierung und vom Prinzip der Selbstverwaltung und der Subsidiarität. Wir werden bei der Umsetzung dieses Gesetzes darüber wachen, dass die Prinzipien des Gesetzes umgesetzt werden. Wenn es da- bei zu Anständen und Schwierigkeiten kommt, werden wir nicht zögern, in der nächsten Legislaturperiode wie- derum Änderungen an diesem Gesetz vorzunehmen. Petra Pau (PDS): Das Anliegen der heutigen Bera- tung wird auch von der PDS-Fraktion unterstützt. Die Bundesregierung will mit dem Gesetzentwurf die Voraus- setzung vor allem für die im öffentlichen Bereich ausge- führten Tätigkeiten des privaten Bewachungsgewerbes an gestiegene, notwendige, qualitative Anforderungen an- passen. Außerdem will sie sicherstellen, dass das staatli- che Gewaltmonopol auch in Zukunft unangetastet bleibt. Zumindest die zweite Zielstellung des Gesetzes wird meines Erachtens weder in diesem Gesetzeswerk noch in der praktischen Politik erfüllt, da sich die staatlichen In- stitutionen immer öfter aus ihrer Verantwortung im öf- fentlichen Raum zurückziehen und Aufgaben zur Siche- rung der öffentlichen Sicherheit an Private übertragen. Dies ist nun keinesfalls den Unternehmen und ihren Be- schäftigten anzulasten, sondern wäre Gegenstand von weiter gehenden Debatten. Nun zum Gesetzentwurf. Insgesamt begrüßen wir, dass versucht wird, die Tätigkeit der privaten Sicherheitsdiens- te neu und besser zu regeln und insbesondere einheitliche Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. April 200223364 (C) (D) (A) (B) Voraussetzungen für die Ausbildung und natürlich auch die Befugnisse dieser Sicherheitsdienste zu schaffen. Wir begrüßen auch, dass es nachträglich gelungen ist, auch die- jenigen, welche zur Begleitung bzw. Sicherung von Großveranstaltungen eingesetzt werden, in diesen Forde- rungskatalog aufzunehmen. Allerdings bleiben aus unserer Sicht einige Regelungen weit hinter dem Bedarf zurück. Darf schon angezweifelt werden, dass die erhöhte Stundenzahl für die Unterweisung und Ausbildung nicht ausreichend ist, so fehlen insgesamt Regelungen zur regelmäßigen Weiterbildung und Überprü- fung des Wissens- und Fähigkeitsstandes der Beschäftigten in einzelnen Sicherheitsunternehmen. Wir begrüßen, dass die Ausbildung nach einheitlichen Normen der IHK auch durch die Betriebe selbst durchgeführt werden kann, aber auch hier fehlen einheitliche Maßstäbe für eine entspre- chende Weiterbildung. Im Datenschutzbereich bleibt dieses Gesetz weiter hin- ter den Erfordernissen zurück. Wir schließen uns hier der Kritik der Bundesarbeitsgemeinschaft Kritischer Polizis- tinnen und Polizisten an, welche insbesondere kritisieren, dass die Vermischung zwischen Polizeikräften und priva- ten Sicherheitsdiensten durch Kooperationsverträge zu ei- ner unkontrollierten Weitergabe von Daten führt, sodass das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ausge- hebelt werden könnte. Kritisch sehen wir auch die Neu- regelung zum Umgang mit Waffen, da wir aufgrund des schon kritisierten Umfanges der Ausbildungsstunden an- zweifeln, dass die Unterweisung im Umgang mit Waffen ausreichend ist und auch den entsprechenden Anforde- rungen an Sachkunde und körperliche Eignung entspricht. Die Kritik der FDP, dass die Standards diese Dienstleis- tungen zu sehr verteuern würden, teile ich nicht, weil öf- fentliche Sicherheit nicht vom Umfang des Geldbeutels unterschiedlicher Quartiere abhängen darf. Dies würde auch dem Gleichheitsgrundsatz widersprechen. Insofern gilt es auch in diesem Bereich, gegen prekäre Beschäfti- gungsverhältnisse vorzugehen. Dies gilt übrigens auch für die Ausschreibungs- und Entscheidungskriterien der öf- fentlichen Hand als Auftraggeber. Daher wäre auch der Bereich des privaten Sicherheitsgewerbes heute Morgen in der Debatte um das Vergabegesetz zu berücksichtigen ge- wesen. Aus all diesen Gründen lehnen wir den heute vor- liegenden geänderten Gesetzentwurf ab. Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Zweiten Geset- zes zur Änderung des Mutterschutzrechts (Ta- gesordnungspunkt 23) Marlene Rupprecht (SPD): Wir beraten heute einen Gesetzentwurf, der zwar „nur“ nationales, das heißt deut- sches Recht betrifft, der aber nicht losgelöst von europä- ischem Recht gesehen werden darf. Wir leben in einem Europa, in dem wir die Freizügigkeit der Arbeitnehmerin- nen und Arbeitnehmer sicherstellen, aber wir haben noch häufig unterschiedliche Gesetzgebungen im Arbeits- und Sozialrecht. Im Wissen um diese Unterschiede hat der Rat die „Richt- linie 92/85/EWG über die Durchführung von Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheits- schutzes von schwangeren Arbeitnehmerinnen, Wöchnerin- nen und stillenden Arbeitnehmerinnen am Arbeitsplatz ... „ im Oktober 1992 verabschiedet. Darin wird ausgeführt: ... Diese Richtlinie ermöglicht keine Einschränkung des bereits in den einzelnen Mit- gliedstaaten erzielten Schutzes; die Mitgliedstaaten haben sich gemäß dem Vertrag verpflichtet, die bestehenden Be- dingungen in diesem Bereich zu verbessern, und sich eine Harmonisierung bei gleichzeitigem Fortschritt zum Ziel gesetzt. Da allein schon bei der Definition, wer als schwangere Arbeitnehmerin, wer als Wöchnerin und wer als stillende Arbeitnehmerin gilt, in den Mitgliedstaaten unterschied- liche Auffassungen bestanden, hat die Richtlinie auch hier erst eine klare Definition festlegen müssen. Auch die Bundesrepublik Deutschland musste ihr Mut- terschutzrecht an die Vorgaben der europäischen Richtli- nie anpassen. Die einzelnen Punkte wurden von Frau Staatssekretärin Dr. Niehuis bereits vorgestellt. Diese Anpassungen bedeuten aber für die betroffenen Frauen erhebliche Verbesserungen. Ich will es Ihnen nochmals an einem Beispiel deutlich machen. Eine Lehrerin im Vorbereitungsdienst hatte bisher keinerlei Schutz, wenn ihr Vorbereitungsdienst in der Mutterschutzfrist endete. Sie wurde vom Dienstherren – in der Regel das jeweilige Bundesland – erst nach Ab- lauf der Fristen in ein Arbeitsverhältnis übernommen. Die Richtlinie schreibt hier klar vor, dass die nationalen Re- gelungen dem Schutz im Sinne der Sozialcharta entspre- chen müssen. Der Bundesrat hatte nun noch einige Ergänzungen vorgeschlagen, die auf den ersten Blick ganz vernünftig klingen. Hätten wir sie aber jetzt in einem Schnellverfah- ren aufgenommen, trüge das nicht zur Harmonisierung auf europäischer Ebene bei. Diese Vorschläge werden in die Beratungen für eine Re- form, die in der nächsten Legislaturperiode kommen wird, Eingang finden. Die Vorbereitungen hierfür setzen aber viele Gespräche mit allen Beteiligten, Arbeitnehmerinnen- vertreterinnen, Arbeitgebern und Verbänden voraus. Gleichzeitig muss der europäische Abgleich erfolgen. Dieser Gesetzentwurf ist ein Baustein einer guten, zu- kunftsweisenden Frauen- und Familienpolitik unserer Re- gierung. Maria Eichhorn (CDU/CSU): Das Mutterschutz- gesetz ist am 24. Januar dieses Jahres 50 Jahre alt gewor- den. Es gehört zu den wichtigsten Eckpfeilern der Arbeits- und Sozialgesetzgebung in Deutschland. Es schützt Ar- beitnehmerinnen und ihre Kinder vor gesundheitlichen Gefährdungen am Arbeitsplatz, vor Kündigung und Ver- lust des Einkommens. Das Gesetz hat sich zweifellos bewährt. Frauen und Mütter können sich auf dieses Gesetz verlassen. Die Durch- setzung des Mutterschutzes ist ein wichtiger Meilenstein Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. April 2002 23365 (C) (D) (A) (B) auf dem Weg zur Gleichstellung von Mann und Frau in der Arbeitswelt. Die Union hat einen entscheidenden Anteil an der Fort- entwicklung und Modernisierung des Mutterschutzes. 1985 hat die CDU/CSU-geführte Bundesregierung den damali- gen Mutterschaftsurlaub und das Mutterschaftsurlaubsgeld zum Erziehungsurlaub und Erziehungsgeld ausgebaut. 1989 haben wir die Dauer des Erwerbs des Erziehungsgeldes und des -urlaubs von zwölf Monaten bis auf den achtzehnten Le- bensmonat des Kindes verlängert. 1992 haben wir das Verbot der Nachtarbeit für Künst- lerinnen flexibilisiert und 1997 erreicht, dass das Mutter- schutzgesetz für Hausangestellte genauso gilt wie für Arbeitnehmerinnen. Das längst überfällige und von der Bundesregierung kurz vor Toresschluss vorgelegte zweite Gesetz zur Än- derung des Mutterschutzgesetzes dient der Umsetzung von Art. 8 der EG-Mutterschutz-Richtlinie, der die Dauer des Mutterschaftsurlaubes vor und nach der Entbindung regelt. Viel zu lange bestand die Rechtsunsicherheit bei der Bewertung von mutterschutzrechtlichen Ausfallzeiten bei der Berechnung des Erholungsurlaubs. Die Verlängerung der Mutterschutzfrist nach der Ge- burt für alle vorzeitigen Entbindungen und nicht nur für Frühgeburten im medizinischen Sinne entspricht einer langjährigen Forderung. Auf Antrag Bayerns wurde die Bundesregierung bereits nach Beschluss der 8. BFMK 1998 gebeten, einen dahin gehenden Gesetzentwurf einzubringen, da für jeglichen Fall einer vorzeitigen Ent- bindung eine erhöhte Schutzbedürftigkeit von Mutter und Kind besteht. Die vorgesehene Anpassung der Mutterschutzfristen für alle vorzeitigen Entbindungen ist unbedingt zu be- grüßen. Sie ist auch im Hinblick darauf sinnvoll, dass die Abgrenzung zwischen einer medizinischen Frühgeburt und einer sonstigen vorzeitigen Entbindung aufgrund der nicht eindeutigen Abgrenzungskriterien schwierig sein kann. Wirklicher Mutterschutz besteht auch in der hinrei- chenden finanziellen Unterstützung der jungen Mütter, in der Förderung der Erziehungskompetenz und der Ermög- lichung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Viele von uns wissen, dass gerade diese Sorgen eine werdende und junge Mutter in erheblichem Maße belas- ten. Mit der Geburt eines Kindes beginnt ein neuer Le- bensabschnitt. Die Eltern haben doppelte Verantwortung zu tragen. Eine Kindergelderhöhung von 15 Euro, die Mütter dreier und mehrerer Kindern schlicht vergisst, passt nicht zu einer Politik, die vorgibt, Familien fördern und Mütter schützen zu wollen. Allein erziehende Mütter werden durch das Zweite Familienfördergesetz im Regen stehen gelassen. Diese Bundesregierung hat den Alleinerziehenden die Unter- stützung durch den Haushaltsfreibetrag gestrichen. Das ist in höchstem Maße unglaubwürdig und ungerecht. Seit dreieinhalb Jahren sind Sie in der Verantwortung. Sie ha- ben die Mütter nicht ent-, sondern belastet. Die gerade in den letzten Wochen geäußerten Vor- schläge und Ankündigungen zur Familienpolitik sind nur Stückwerk und lassen jedes Gesamtkonzept vermissen. Die Union setzt eine Familienoffensive aus einem Guss dagegen, die Mütter, Väter und Kinder unmittelbar ent- lastet und unterstützt: Erstens, mit der Einführung eines Familiengeldes eine echte Wahlfreiheit zwischen verschiedenen Lebensent- würfen ermöglicht, zweitens, die Vereinbarkeit von Fami- lie und Erwerbstätigkeit durch den bedarfsgerechten Aus- bau der Kinderbetreuung für alle Altersgruppen verbessert und drittens, die Erziehungskompetenz von Müttern und Vätern durch zahlreiche Maßnahmen stärkt. Mit unserer Politik schaffen wir Rahmenbedingungen, die Müttern und Vätern die Möglichkeit geben, selbst zu entscheiden, wie sie gemeinsam in den unterschiedlichen Familienphasen für das Familieneinkommen, für die Er- ziehung der Kinder und füreinander Sorge tragen. Seit der Regierungsübernahme in 1998 hören die Müt- ter Ihre Ankündigungen und Versprechen. Die Enttäu- schung über ihre Umsetzung ist jedoch groß. Wir brau- chen eine neue Familienpolitik. Diese werden wir mit unserer Familienoffensive ver- wirklichen. Irmingard Schewe-Geigk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Das Mutterschutzrecht ist eine Errungenschaft der Frauen- und Arbeiterbewegung. Mit dem Mutterschutz genießen alle Frauen während der Schwangerschaft und nach der Geburt einen besonderen Schutz. Das Gesetz schützt vor Kündigung, vor Minderung des Einkommens und vor Gefahren für die Gesundheit von Mutter und Kind am Arbeitsplatz. Die Schutzfrist für die Mutter beinhaltet 6 Wochen vor der Geburt und 8 Wochen nach der Geburt. In dieser Zeit ist die Arbeitnehmerin von der Arbeit frei- gestellt. Das Mutterschutzrecht wurde zum letzten Mal 1996 geändert. Auch damals war die Änderung durch die EG- Mutterschutzrichtlinie veranlasst worden. Unter anderem wurde damals die Mutterschutzfrist nach Frühgeburten auf 12 Wochen nach der Entbindung verlängert. Die Schutz- frist nach der Geburt verlängert sich außerdem, wenn die Freistellung vor der Geburt nicht wahrgenommen werden konnte. Um eine Frühgeburt zu bescheinigen, muss die Schwangere dem Betrieb ein ärztliches Zeugnis vorlegen. Kommt es jedoch zu einer Frühgeburt, die nicht medizi- nisch vorausgesagt werden konnte, so gilt diese verlän- gerte Mutterschutzfrist nicht. Eine erhöhte Schutzbedürf- tigkeit besteht jedoch auch in diesen Fällen. Diese Ungleichbehandlung wird mit dem vorliegenden Gesetz- entwurf ergänzt. Künftig erhalten alle Mütter einen Mut- terschaftsurlaub von mindestens 14 Wochen. So will es die Mutterschutz-Richtlinie der EU. Diese Änderung des Mut- terschutzrechtes notwendig, wir halten die geltenden Be- stimmungen jedoch weiter für reformbedürftig. Schwangerschaft darf kein Hindernis beim beruflichen Fortkommen und bei Einstellungen von Frauen sein. Der Mutterschutz darf für Frauen nicht zu einem Nachteil für Frauen auf dem Arbeitsmarkt werden. Kurz gesagt: Mut- terschutz – ja, Berufsverbot – nein. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. April 200223366 (C) (D) (A) (B) Mich erreichen immer wieder Proteste von Frauen be- sonders aus dem Gesundheitswesen. Ärztinnen, Schwestern oder Hebammen empfinden die streng ausgelegte Mutter- schutzverordnung als Berufsverbot. Teilweise werden sogar Schwangerschaften vor dem Arbeitgeber verheimlicht. Die Bestimmungen des Landes Baden-Württemberg sehen bei- spielsweise vor, dass Schwangere keinen Umgang mit kon- taminierten, spitzen, scharfen und zerbrechlichen Gegen- ständen haben dürften. Kontaminiert bedeutet hier alles, was blutig ist. Folge: Eine Chirurgin oder Zahnärztin kann ihren Beruf vom ersten Tag der Schwangerschaft an nicht mehr ausüben. Auch Krankenhausärztinnen, Kranken- schwestern, Hebammen oder eine Arzthelferin können heute nach Mitteilung ihrer Schwangerschaft ihren Beruf nur noch sehr eingeschränkt ausüben. Pauschale, undifferenzierte Beschäftigungsverbote ver- schlechtern also die Arbeitsbedingungen, Einstellungschan- cen und die beruflichen Entwicklungsmöglichkeiten von Frauen. Gefragt sind vor allem sinnvolle individuelle Schutzmaßnahmen und nicht pauschale Verbote. Deshalb wollen wir die Mutterschutzverordnung flexibilisieren, so- dass beispielsweise das Arbeitsverbot für Schwangere ab 20 Uhr so geregelt wird, dass es nicht zu beruflichen Nach- teilen kommt. Auch der Bundesrat dringt in seiner Stellungnahme zum Gesetzentwurf auf eine weiter gehende Ausnahme- regelung des Nachtarbeitverbots, insbesondere wenn dies die Arbeitnehmerinnen ausdrücklich wünschen. Wir sollten also in der kommenden Legislaturperiode das Mutterschutzrecht gemeinsam in diese Richtung überarbeiten. Ina Lenke (FDP): Mit dem Gesetzesentwurf zur Än- derung des Mutterschutzrechtes soll zum einen eine un- gerechtfertige Ungleichbehandlung von Frauen beseitigt werden, die zwar vorzeitig entbinden, aber bei denen es nicht zu einer medizinischen Frühgeburt kommt. Diese Fälle vorzeitiger Entbindung werden durch die Anglei- chung der Schutzfristen also nicht etwa privilegiert, son- dern es wird sichergestellt, dass die Schutzfristen in Summe genauso lang sind wie bei Frauen, die zum er- rechneten Termin entbinden. Diese Regelung ist lange fäl- lig und sehr zu begrüßen. Auch die mit der Gesetzesände- rung beabsichtigten Regelungen zum Erholungsurlaub und für besondere Fallgruppen schwangerer Arbeitneh- merinnen finden unsere Zustimmung. Nicht nachvollziehen kann ich allerdings die Ableh- nung des Änderungsvorschlags des Bundesrates durch die Bundesregierung. Hier wird eine Ausnahmeregelung von dem grundsätzlichen Nachtarbeitsverbot für werdende und stillende Mütter auch für den Bereich der Kranken- pflegeanstalten gefordert, weil sich in der Arbeitspraxis gezeigt hat, dass das Beschäftigungsverbot sich aus Sicht mancher betroffenen Frauen zu ihrem Nachteil auswirkt. Dies wird von der Bundesregierung in ihrer Ablehnung auch gar nicht bestritten. Vielmehr verweist sie darauf, dass eine umfassende Reform des Mutterschutzgesetzes notwendig sei und noch viel Zeit erfordere. Dass die grundsätzliche Überprüfung mutterschutzrechtlicher Vor- schriften nötig ist, kann ich bestätigen. Aber muss man deshalb einen schon vorliegenden, konkreten, sinnvollen Änderungsvorschlag auf die nächste Legislaturperiode verschieben? Die betroffenen Ärztinnen, Pflegerinnen und Krankenschwestern werden sich von Ihrem Argu- ment kaum trösten lassen. Christina Schenk (PDS): Die Bundestagsfraktion der PDS begrüßt die hier vorgeschlagenen Änderungen im Mutterschutzgesetz und stimmt ihnen zu. Es handelt sich überwiegend um Veränderungen, die die Rechtslage von schwangeren Arbeitnehmerinnen verbessern und ih- nen mehr Rechtssicherheit gewähren. Im hier zur Diskussion stehenden Gesetzentwurf wird lediglich der Art. 8 der EG-Mutterschutz-Richtlinie um- gesetzt. Wir möchten aber bei dieser Gelegenheit nach- drücklich darauf hinweisen, dass das gesamte Mutter- schutzrecht dringend einer Reform bedarf. Die Arbeitsbedingungen von Frauen – und von Männern – ha- ben sich in den letzten Jahren so sehr verändert, dass das jetzt geltende Mutterschutzrecht die dadurch entstande- nen neuen Problemlagen nur teilweise regelt. Erinnert sei an die vielfältigen Formen „moderner“ Heimarbeit, die durch die neuen Kommunikationsmittel entstanden sind, aber auch an zunehmende Scheinselbstständigkeit und ungesicherte Beschäftigungsverhältnisse. In der Begründung für diesen Gesetzentwurf wird zu Recht festgestellt, dass eine Aktualisierung des Mutter- schaftsrechtes „einer umfangreichen fachlichen Vorar- beit“ bedarf, „die mit einem erheblichen Zeitaufwand ver- bunden ist“. Damit es nicht zu Verzögerungen kommt, sollte eine Reform des Mutterschutzrechtes gleich zu Be- ginn der nächsten Legislaturperiode in Angriff genommen werden. Edith Niehuis, Parl. Staatssekretärin bei der Bundes- ministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend:Der vorliegende Gesetzentwurf zum Mutterschutzrecht ist eine wichtige Weiterentwicklung in der Familien- und Frauen- politik. Die Geschichte des Mutterschutzes reicht – was heute kaum noch jemand weiß – bis in die Bismarck-Zeit, nämlich bis in das Jahr 1878, zurück. Das Mutterschutz- gesetz von 1952 hatte im Januar 2002 seinen 50. Geburts- tag. Mit seiner Konzeption und Zielsetzung gehört es zu den fundamentalen Gesetzen des Arbeits- und Sozial- rechts. Es schützt die Arbeitnehmerin und ihr Kind vor ge- sundheitlichen Gefahren am Arbeitsplatz, vor Kündigung und grundsätzlich auch vor dem Verlust des Einkommens. Art. 6 des Grundgesetzes verpflichtet die Gemein- schaft – den Staat, die Arbeitgeber und die Sozialversi- cherungsträger –, den Anspruch der Mutter auf Schutz und Fürsorge zu erfüllen. Dieser Aufgabe stellt sich die Bundesregierung auch mit ihrem Gesetzentwurf zur Än- derung des Mutterschutzrechts, den wir heute ab- schließend beraten. Erstens. Die Mutterschutzfrist nach einer vorzeitigen Entbindung wird verlängert: Bisher verkürzte sich für Mütter bei Geburten vor dem errechneten Termin die sechswöchige Schutzfrist vor der Geburt. Nur bei Früh- geburten im medizinischen Sinne, vor allem bei einem Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. April 2002 23367 (C) (D) (A) (B) Geburtsgewicht von unter 2 500 Gramm, verlängert sich nach geltendem Recht die Mutterschutzfrist nach der Ge- burt um die Tage, die bei der Mutterschutzfrist vor der Entbindung nicht in Anspruch genommen werden konn- ten. Diese Verlängerungsregelung, die den Müttern eine mindestens 14-wöchige Schutzfrist garantiert, erweitern wir jetzt – entsprechend der EG-Richtlinie – auch zuguns- ten der Mütter mit einer sonstigen vorzeitigen Entbin- dung. Circa 45 Prozent der Mütter bringen ihre Kinder vor dem ursprünglich festgesetzten Geburtstermin zur Welt, ohne dass es sich dabei um medizinische Frühgeburten handelt – das sind in etwa 180 000 Arbeitnehmerinnen. Wir schließen damit eine noch verbliebene Lücke gegen- über der EG-Mutterschutz-Richtlinie und vermeiden das Risiko eines Vertragsverletzungsverfahrens. Zweitens. Die Urlaubsregelung normiert höchstrich- terliche Rechtsprechung. Der Gesetzentwurf stellt klar, dass die mutterschutzrechtlichen Beschäftigungsverbote für die Berechnung des Erholungsurlaubs als Beschäfti- gungszeiten zählen. Bisherige Rechtsunsicherheiten wer- den damit gegenstandslos. Drittens. Der Gesetzentwurf enthält auch eine verbes- serte Regelung für Berufsanfängerinnen. Die Berufs- anfängerin, deren Arbeitsverhältnis während der Mutterschutzfrist beginnt, erhielt bisher weder Mutter- schaftsgeld noch den Arbeitgeberzuschuss. Das ändert sich künftig. Davon sind zum Beispiel Lehrerinnen be- troffen, die aus dem staatlichen Vorbereitungsdienst in ein Angestelltenverhältnis wechseln. Der Bundesrat hat in seiner Stellungnahme einen wei- teren Vorschlag unterbreitet, nämlich im Gesetzentwurf das Verbot der Nachtarbeit in Krankenhäusern und Pfle- geheimen einzuschränken. Er hat beantragt, die Regelung des § 8 Mutterschutzge- setz zum Nachtarbeitsverbot zu ändern und die Beschäfti- gung von schwangeren Ärztinnen, Krankenschwestern und Pflegerinnen in den ersten vier Monaten der Schwanger- schaft in Krankenhäusern bis 22 Uhr statt nur bis 20 Uhr zu erlauben. Voraussetzung ist, dass die betroffenen Arbeit- nehmerinnen dies ausdrücklich wünschen und ihre Ent- scheidung nicht widerrufen. Der Bundesrat hat den Vorschlag damit begründet, dass die Beschäftigten durch den Beginn des Nachtarbeitver- bots um 20 Uhr nicht in der Abendschicht bis 22 Uhr ar- beiten könnten, sondern gezwungen seien, in der anstren- genderen Tagesschicht zu arbeiten. Diese Problematik, dass Krankenschwestern beziehungsweise Ärztinnen, de- ren Schicht zum Beispiel bis 20 Uhr andauert, wegen des Nachtarbeitsverbotes nicht mehr an der Schichtübergabe teilnehmen können und deshalb gegen ihren Willen in eine andere Schicht versetzt werden, kann nach gel- tendem Recht in der Regel mit einer Ausnahmebewilli- gung gemäß § 8 Abs. 6 des Mutterschutzgesetzes gelöst werden. Darüber hinaus wird es so sein, dass der heute vorlie- gende Gesetzentwurf nur ein erster Schritt sein kann. Wir werden in der nächsten Legislaturperiode das Mutter- schutzgesetz in größerem Umfang novellieren müssen; denn der Mutterschutz kann seiner hohen Verantwortung nur gerecht werden, wenn er mit den Veränderungen im Arbeitsleben Schritt hält. Bei der Novellierung des Mutterschutzrechts in der nächsten Legislaturperiode werden auch die mutter- schutzrechtlichen Beschäftigungsverbote eine Rolle spie- len. Dazu bedarf es aber umfangreicher Vorarbeiten zu- sammen mit arbeitsmedizinischen Sachverständigen und den Verbänden wie Gewerkschaften, Arbeitgeberverbän- den, Frauenverbänden usw. Es wird zu prüfen sein, inwieweit und wo Beschäfti- gungsverbote, und Nachtarbeitsverbote unter den heuti- gen Arbeitsbedingungen notwendig sind, um den Schutz von Mutter und Kind sicherzustellen. Neben dem Arbeitsschutz muss auch der Bereich der wirtschaftlichen Sicherung überdacht werden. Im Lebens- alltag gibt es noch immer Fallkonstellationen, in denen die schwangere Frau als Arbeitnehmerin oder nach einer eingetretenen Arbeitslosigkeit weder durch das Mutter- schutzgesetz noch durch die Sozialversicherung in ihrer wirtschaftlichen Existenz ausreichend geschützt wird. Be- troffen sind Frauen zum Beispiel mit einer geringfügigen Beschäftigung, die nicht Mitglieder einer gesetzlichen Krankenkasse sind, und Frauen mit einer beginnenden Ar- beitslosigkeit während der Mutterschutzfristen. Nicht zuletzt wird sich der Bundestag mit einer Ent- scheidung des Bundesverfassungsgerichts auseinander setzen müssen, die wir noch in diesem Jahr erwarten. In diesem Urteil wird es um die Kostenbeteiligung der Ar- beitgeber an der Einkommenssicherung der Frauen während der Mutterschutzfristen gehen, also um das gel- tende System der Lastenverteilung. Und nur darum kann es gehen. Der Anspruch jeder Mutter auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft, der im Art. 6 Abs. 4 GG verankert ist, wird bestehen bleiben und manifestiert sich auch in einem guten Mutterschutzrecht. In diesem Zusammenhang begrüßt die Bundesregie- rung ausdrücklich, dass die Internationale Arbeitsorgani- sation im Sommer 2000 die weltweite Bedeutung des Mutterschutzes noch einmal unterstrichen hat, indem eine Neufassung des Mutterschutzübereinkommens beschlos- sen wurde. Die Bundesregierung hat die Neufassung des Übereinkommens über den Mutterschutz mit Nachdruck unterstützt und wird es ratifizieren. Das Mutterschutz- recht bleibt ein wichtiges Recht. Es schützt Mutter und Kind vor gesundheitlichen Gefahren. Es verbietet sich, dieses Schutzrecht, direkt oder indirekt, als Beschäfti- gungshindernis für Frauen zu sehen, wie man hin und wieder hören kann. Wer solch eine Argumentation gesell- schaftsfähig macht, bekommt in unserer modernen Ar- beitswelt die Quittung: die Weigerung der Frauen, Mutter zu werden. Der vorliegende Gesetzentwurf beschränkt sich auf vorrangige und dringend erforderliche Änderungen, unter anderem auf die abschließende Umsetzung der EG-Mut- terschutz-Richtlinie. Doch das Mutterschutzgesetz muss weiterhin eine hohe Priorität behalten. Der Bundeskanz- ler hat in der vorigen Woche in seiner Regierungser- klärung die gegenwärtige und künftige Familienpolitik Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. April 200223368 (C) (D) (A) (B) der Bundesregierung erläutert. Die Weiterentwicklung des Mutterschutzes wird zu diesem Aufgabenkatalog gehören. Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Die Brennstoffzelle – Technik des 3. Jahrtausends (Tagesordnungs- punkt 24) Hubertus Heil (SPD): Ich komme aus Norddeutsch- land, genauer aus Niedersachsen! In diesem Teil unseres Landes erzählt man sich gern die Geschichte vom Hasen und vom Igel, die Sie sicherlich kennen. In der Technolo- giepolitik scheint sich dasselbe abzuspielen. Hier der Hase FDP und dort die Bundesregierung und die Koali- tion als Igel. Und so will ich am Anfang dieser Debatte in Richtung der Hasen-FDP – dieses Mal auf Hochdeutsch rufen –: Wir sind schon da! Es freut mich ja, dass die Damen und Herren der FDP inzwischen auch gemerkt haben, dass die Brennstoffzel- len-Technologie eine zukunftsweisende Technik für die Erzeugung von Strom und Wärme ist. Wir wissen das nicht nur schon lange. Wir tun auch schon seit langem et- was dafür. Vielleicht muss man Sie mit ein paar Zahlen aufklären. Der Bund hat die Entwicklung der Brennstoff- zellen-Technologie in Deutschland seit Ende der 80er- Jahre im Energieforschungsprogramm mit insgesamt über 150 Millionen DM gefördert. Während anfangs noch die Hochtemperatur-Brennstoffzellen für den stationären Einsatz im Zentrum der Förderungen standen, wird seit ei- nigen Jahren die Entwicklung des mobilen Einsatzes ver- stärkt unterstützt. Allein in den Jahren 2000 und 2001 wurde durch die Bundesregierung die Jahres-Fördermittel für Forschung in diesen Programmen auf 17 bis 20 Mil- lionen DM gesteigert. Durch das Zukunfts-Investitions-Programm (ZIP) der Bundesregierung für die Jahre 2001 bis 2003 stellen wir in der Forschungsförderung rund 60 Millionen Euro für Entwicklungen und Erprobungen im Bereich der Brenn- stoffzellentechnologie sowohl bei stationären als auch mobilen Anwendungen zur Verfügung. Insgesamt werden im Zukunftsinvestitionsprogramm 28 Projekte aus dem Bereich Brennstoffzellen gefördert. Die Zusammenarbeit läuft mit vielen deutschen Unternehmen, zum Beispiel der DeTe Immobilien der Deutschen Telekom oder der Firma MTU. Auch durch das neue Kraft-Wärme-Kopplungsge- setz erfährt die Brennstoffzellen-Technologie eine Förde- rung: Durch die Vergütung von 5 Cent pro ins Netz ein- gespeister Kilowattstunde wird der Anreiz zur Nutzung weiter erhöht. Damit hat die SPD-geführte Bundesregie- rung wichtige Weichen für die Markteinführung und die Praxis-Erprobung der Brennstoffzellen gestellt. Das müs- sen Sie zur Kenntnis nehmen und wissen, bevor Sie Dinge fordern, die wir bereits umsetzen. Natürlich stehen wir bei der Brennstoffzellen-Techno- logie erst am Anfang der technologischen Entwicklung. Es bleibt für uns alle das Ziel, die derzeitigen Prototypen und Demonstrationsanlagen weiterzuentwickeln. Erst wenn die Kosten der Anlagen reduziert und die Wir- kungsgrade erhöht werden, ist die Konkurrenzfähigkeit der Brennstoffzelle eingeführt. Wir brauchen jetzt auch keine isolierten Schnellschüsse, sondern werden in den kommenden Monaten ein Energieforschungskonzept er- arbeiten, in dem die Brennstoffzelle ihren angemessen wichtigen Stellenwert erhalten wird. Doch darüber klärt Sie der Kollege Kasparik gerne auf. Sie sehen, die Bundesregierung arbeitet bereits. Vieles von dem, was sie aufgeschrieben haben, wird schon um- gesetzt. Wenn Sie den Energiebericht der Bundesregie- rung gelesen hätten, wüssten Sie das auch. Mal wieder waren wir schneller als Sie. Deutschland wird in dieser wichtigen Zukunftstechnologie eine führende Rolle be- halten. Deshalb nochmals der Gruß des Igels: Wir sind schon da! Ulrich Kasparick (SPD): Dass die Brennstoffzellen- Technologie eine wichtige Rolle bei der künftigen Ener- gieversorgung spielen wird, steht außer Frage. Jedoch eine einseitige Förderung der Brennstoffzelle, wie es die FDP in ihrem Antrag fordert, ist wenig zielführend und zu kurzfristig gedacht. Wir müssen und wollen unsere Volkswirtschaft auf ei- nen neuen Energiepfad lenken, weil wir sehen, dass die traditionell geförderten fossilen Brennstoffe endlich sind, und weil wir wollen, dass wir den Klimawandel ver- langsamen – verhindern können wir ihn ohnehin schon nicht mehr. Daher ist es erforderlich, dass wir die Ener- gieforschung im Zusammenhang aller Alternativ-Techno- logien erkennen und planen. Wenn wir mittelfristig die Energiepolitik nachhaltig gestalten wollen, ist es falsch, nur eine einzelne Technologie zu fördern, wie es die FDP hier verlangt. Ausschließlich eine einzelne Technologie zu fördern ist eine unseriöse Herangehensweise an diese große Herausforderung. Was die FDPhier verlangt, ist ein unüberlegter Schnell- schuss, der nur auf eine kurzfristige Wirkung aus ist, ohne an die Folgen und an parallele energiewirtschaftliche Zu- sammenhänge zu denken. Das zeigt auch, dass die FDPan- scheinend die Zeichen der Zeit nicht erkannt hat und for- dert, dass deutsche Kernkraftwerke eine zentrale Rolle bei der Herstellung industriellen Wasserstoffs für die Brenn- stoffzelle spielen sollen. Der Ausstieg aus der Kernenergie ist in Deutschland beschlossen, falls die Opposition das nicht mitbekommen haben sollte. Und es scheint mir, dass außer Ihnen und Herrn Stoiber niemand das Gegenteil er- reichen möchte. Ihre an der Oberfläche kratzenden Aus- führungen in diesem Antrag beweisen also keinerlei Sub- stanz. Aber solche Worthülsen, die sich auf ein Minimum an nachhaltig wirkenden Informationen reduzieren, ken- nen wir von Ihnen. – Die 18 wird Ihnen, den Kollegen von der FDP, aber in diesem Falle zum Verhängnis werden. In 18 Jahren würden Sie nämlich merken, was Sie durch diese einseitige Bevorzugung einer einzelnen Technologie versäumt hätten. Sie wollen die Brennstoffzelle zur Marktreife bringen. Was Sie vorhaben, tun wir bereits. Ich empfehle Ihnen, sich das Zukunftsinvestitionsprogramm der Bundesregierung Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. April 2002 23369 (C) (D) (A) (B) einmal anzusehen. Mit über 60 Millionen Euro fördern wir neue Vorhaben zur Entwicklung und Demonstration von Brennstoffzellen-Anlagen. Das bringt den erforderlichen Entwicklungsschub für die Fertigung und die Markteinfüh- rung von Brennstoffzellen. Eine weitere Förderung be- kommt die Brennstoffzelle durch das neue Gesetz zur Kraft- Wärme-Kopplung, das eine Vergütung von etwa 5 Cent pro Kilowattstunde für zehn Jahre vorsieht. Dieser Antrag zeigt wieder einmal, wie konzeptlos die FDP in Energiefragen ist. Wir brauchen keine Ideen für Einzelentwicklungen, sondern ein Gesamtenergiekonzept, das eine nachhaltige Energieversorgung in den kommen- den 50 Jahren und danach sicherstellt. Dieses Konzept muss neben dem Einsatz alternativer Energieerzeugungs- formen auch emissionsmindernde und energiesparende Technologien berücksichtigen. Und genau das werden wir tun: Die Bundesregierung wird in der nächsten Legislatur- periode ein solches Energieforschungskonzept vorlegen. Was die Brennstoffzelle betrifft, wird dieses Konzept die Ergebnisse des Berichts vom Büro für Technikfolgen- abschätzung berücksichtigen. Dazu gehört die Optimie- rung der Leistungsdichte und der Langzeitstabilität ebenso wie die Verstärkung der Materialforschung etwa im Be- reich der Minimierung der Edelmetallbelegung von Mem- branen bei Niedrigtemperatur-Brennstoffzellen. Großen Forschungsbedarf sehen wir derzeit im Mobi- litätssektor bei einem möglich einzuschlagenden Wasser- stoffpfad. Die derzeit verfügbaren Optionen zur Wasser- stoffspeicherung stellen momentan keine praktikable Alternative dar. Deshalb muss zur Umsetzung des For- schungsbedarfs die Brennstoffzelle auch weiterhin ein ausreichend dotierter Schwerpunkt über das ZIP-Pro- gramm hinaus werden, und dafür wollen wir sorgen, aber im Gegensatz zu Ihnen so, dass die Ergebnisse dieser For- schung auch noch für unsere Kinder und Enkel Substanz haben. Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land) (CDU/CSU): Wenn zu Beginn des letzten Jahrhunderts über die Zu- kunft der Entwicklungsmöglichkeiten und des Einsatzes von Verbrennungsmotoren debattiert worden wäre, dann hätte es hierzu sicherlich viele unterschiedliche Beiträge mit den unterschiedlichsten Vorstellungen und Visionen gegeben. Die reale Entwicklung, der Siegeszug des Ver- brennungsmotors als Antriebsquelle im Straßen- und Luftverkehr, sein Einsatz in Kraftwerken, der mit dem Einsatz verbundene Ausbau der Infrastruktur in den ein- zelnen Ländern wie weltweit und die mit dem Einsatz ver- bundenen gesellschaftlichen Veränderungen haben sicher- lich nur wenige – wenn überhaupt – vorausgesehen. Heute, zu Beginn des 21. Jahrhunderts oder auch des dritten Jahrtausends – je nach individueller Perspektive –, haben sich auf Basis der Ergebnisse aus der Grundlagen- forschung die Energieerzeuger, Anlagenbauer, Automobil- und Mineralölindustrie daran gemacht, die Brennstoffzel- lentechnik in Deutschland und weltweit zur Marktreife zu bringen. Heute geht es um die zukünftigen Einsatzmög- lichkeiten von Brennstoffzellen, deren absehbare Poten- ziale in den verschiedenen Anwendungsbereichen und um damit verbundene mögliche Vor- und Nachteile. Verbun- den damit sind Visionen, Visionen zum Beispiel von einer interkontinentalen solaren Wasserstoffwirtschaft, Visio- nen der klimaneutralen Produktion von Wasserstoff in be- stehenden oder in neuen Generationen von Kernkraftwer- ken als Treibstoff der Zukunft, der Benzin bzw. Öl ersetzen wird, Visionen einer Dezentralisierung und Atomisierung der Stromerzeugung durch den flächendeckenden Ersatz konventioneller Heizanlagen in Häusern durch Brenn- stoffzellen, die in jedem Haus neben der Hauswärme auch noch den benötigten Strom erzeugen. Es gibt handfeste Argumente, die für den Einsatz von Brennstoffzellen sprechen. Da ist zum Ersten ein hoher Wirkungsgrad von Anlagen zum Beispiel als PKW-An- trieb. Gerade im Straßenverkehr erscheint zudem die Aus- sicht auf lokal emissionsfreie Fahrzeuge, die zumindest halbwegs die in herkömmlichen Fahrzeugen üblichen Komfort- und Mobilitätsstandards erreichen, verlockend. Praktisch alle bedeutenden Automobilproduzenten arbei- ten daher weltweit an der Entwicklung entsprechender Fahrzeuge für den Großserieneinsatz. Diese Unterneh- men verstehen die Brennstoffzellentechnik offenbar als wirtschaftliche Chance zur langfristigen Sicherung von High-Tech-Arbeitsplätzen und für unternehmerischen Er- folg. Pluspunkte beim Wirkungsgrad gegenüber heute handelsüblichen Anlagen und damit Potenziale zur Scho- nung von Ressourcen bestehen zum Zweiten auch beim Einsatz von Brennstoffzellenanlagen zur gekoppelten Strom- und Wärmeversorgung in Gebäuden. Zum Dritten bestehen Möglichkeiten zum Einsatz in tragbaren Klein- geräten als Ersatz für Batterien, wodurch eine längere netzunabhängige Betriebszeit zu erreichen wäre und der Einsatz bzw. Abfall an Batterien bzw. Akkumulatoren ge- senkt würde. Die Einsatzmöglichkeiten von Brennstoffzellen er- scheinen aus heutiger Sicht in der Perspektive vielfältig. Der exemplarische Einsatz methanol- und wasserstoffge- triebener Fahrzeuge und der im vergangenen Dezember gefallene Startschuss für den Einsatz der Brennstoffzel- lentechnik in der Hausenergieversorgung weisen als Pi- lotprojekte mögliche Wege für die zukünftige technische Entwicklung in verschiedenen Bereichen auf. Es gilt, diese Entwicklungs- und Einsatzpotenziale konsequent zu erforschen und gegebenenfalls zu nutzen. Ständiger wei- terer Forschungsbedarf besteht im Hinblick auf die Opti- mierung der Brennstoffzellen, was zum Beispiel ihre Leistungsdichte, Langzeitstabilität oder Praxistauglich- keit bis hin zur Serienreife angeht. Die Aussicht auf große ökologische Vorteile durch die Brennstoffzellentechnik dürfen jedoch den Blick auf die heute noch selbst in der Perspektive vergleichsweise ho- hen Kosten der Brennstoffzellen und der zu ihrer Verbrei- tung notwendigen Infrastruktur-Strukturmaßnahmen nicht verstellen. Erst mit dem Einsatz von Wasserstoff könnten ökologische Vorteile von Brennstoffzellen voll zur Geltung kommen. Hier stehen den Vorteilen von Brennstoffzellen beim Wirkungsgrad höhere Aufwendun- gen bei der Bereitstellung des Energieträgers gegenüber. Zwar wurden in der Vergangenheit zumeist im Zusam- menhang mit firmeneigenen oder öffentlich geförderten Pilotprojekten vereinzelt die notwendigen Voraussetzun- gen zum Betrieb der Anlagen geschaffen. Eine flächen- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. April 200223370 (C) (D) (A) (B) deckende Versorgung ist derzeit jedoch noch Zukunfts- musik. Hier müssten Wege gefunden werden, falls die Brennstoffzelle die in sie gesetzten Erwartungen erfüllt, den Übergang in eine Wasserstoffwirtschaft – insoweit das technisch mit erträglichen Risiken und Kosten mach- bar ist – zu bewältigen. Wasserstoff ist ein Energiespeicher, dessen sinnvoller Einsatz unter Umweltgesichtspunkten direkt abhängig ist von der Gewinnung mittels einer kostengünstigen und kohlendioxidfreien Energiequelle. Die ökologische Ver- träglichkeit von Wasserstoff ist nur dann gegeben, wenn er nicht wie heute aus Erdgas oder anderen fossilen Ener- gieträgern unter Freisetzung von Kohlendioxid gewonnen wird, wie die Bundesregierung bereits 1998 festgestellt hat. Ob und inwieweit Brennstoffzellen eine Brücken- funktion hin zu einer Energieerzeugung ohne den Einsatz fossiler Brennstoffe wahrnehmen können, hängt daher wesentlich auch von der Entwicklung der Energieerzeu- gungsstruktur im liberalisierten europäischen Energie- markt ab. Die Brennstoffzellentechnik weist weitere Optionen für eine zukunftsfähige Energieversorgung in Deutsch- land und weltweit auf. Es gilt, die mit ihrem Einsatz ver- bundenen gesellschaftlichen Chancen und Risiken, die Kosten und Nutzen im ökologischen, ökonomischen und sozialen Bereich abzuwägen und geeignete Entwicklun- gen auch von staatlicher Seite zu unterstützen. Mit viel Glück erfüllen sich dann vielleicht auch die vielfältigen Visionen, Hoffnungen und Wünsche, die heute mit dieser Technik verbunden sind. Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die FDP hat Recht! Die Brennstoffzelle ist eine innovative Zukunftstechnologie und der vorliegende Antrag wäre sicher ein guter Antrag geworden, wenn die FDP ihre Ideologie einen Augenblick vergessen hätte. Aber: Der Aktionismus der FDPkommt viel zu spät, da Rot-Grün längst gehandelt hat, und zwar viel weit rei- chender als die FDP dies in ihrem Antrag fordert. Zudem überdeckt die FDP nur ihre Technikfeindlichkeit gegen- über dezentralen Zukunftsenergien – insbesondere gegen- über den erneuerbaren Energien. Ja, die Brennstoffzelle wird aller Wahrscheinlichkeit nach in den nächsten Jahren eine der wichtigsten Ener- gietechnologien werden. Dabei kann die Brennstoffzelle neben der Strom- und Wärmeversorgung auch beim Ver- kehr eine wichtige Rolle spielen. Das Büro für Technikfolgenabschätzung hat in seiner Brennstoffzellenstudie festgestellt, dass Brennstoffzellen den gesamten Strom der Haushalte erzeugen können. Und sie können das wesentlich energieeffizienter und damit umweltfreundlicher als Großkraftwerke. In einigen Jah- ren werden viele Haushalte ihren Strom ebenso selbstver- ständlich selbst erzeugen wie ihre Wärme. In der Industrie kann die Brennstoffzelle sogar Pro- zesswärme erzeugen, Das Ende der Großkraftwerke wird daher früher kommen, als es den großen Stromkonzernen und ihrem politischen Arm, der FDP, recht sein dürfte. Der Atomausstieg und der Abschied von der klimaschäd- lichen Kohle wird durch diese Technologie erheblich be- schleunigt werden. Der Antrag steht in Widerspruch sowohl zu den Er- kenntnissen des Büros für Technikfolgenabschätzung als auch zu der technologischen Entwicklung, wenn sie der Brennstoffzelle im Verkehrsbereich eine höhere Bedeu- tung zumisst als dem stationären Bereich. Die Studie des Büros für Technikfolgenabschätzung – wie alle anderen Studien zur Brennstoffzelle im Übrigen auch – weisen da- rauf hin, dass die Wirkungsgradvorteile der Brennstoff- zelle im Verkehr vergleichsweise niedrig ausfallen. Hier gibt es nur dann ökologische Vorteile, wenn Treibstoffe eingesetzt werden, die aus erneuerbaren Energien gewon- nen wurden. Die FDP ignoriert nicht nur die Erkenntnisse der Wis- senschaft. Sie hat auch noch den Kontakt zur wirtschaft- lichen Realität verloren. Derzeit erwartet niemand Seri- enfahrzeuge mit Brennstoffzellen noch in diesem Jahrzehnt. Die Automobilindustrie hat bei ihren Ankündi- gungen bereits auf das nächste Jahrzehnt verwiesen. Mit der Einführung von Brennstoffzellen zur Strom- und Wärmeerzeugung ist hingegen schon in der nächsten Legislaturperiode zu rechnen. Somit müssen jetzt auch hier die Akzente gesetzt werden. Der Antrag entwirft ein Energieszenario, das ich als Physiker nur als Energievernichtungsstrategie bezeichnen kann. So wird ernsthaft vorgeschlagen, mit Atomkraft- werken Strom zu erzeugen; mit diesen wird Wasserstoff erzeugt und dieser soll dann in Brennstoffzellen wieder in Strom umgewandelt werden. Das Ganze hätte dann einen Gesamtwirkungsgrad von etwa 10 bis 15 Prozent. Bei so viel Energievernichtung kann ich nur den Kopf schütteln. Brennstoffzellen werden den Atomausstieg beschleuni- gen, weil Sie Atomstrom ersetzen, meine Damen und Her- ren von der FDP. Statt Wasserstoff oder Erdgas kann im Übrigen Biogas als Brennstoff für Brennstoffzellen eingesetzt werden. Das scheinen die Antragsteller nicht zu wissen. Die Effi- zienz von Biogasanlagen wird sich im Übrigen mit der Brennstoffzelle deutlich verbessern. Die FDPübersieht: Wer die Brennstoffzelle erfolgreich in den Energiemarkt einführen will, muss zwei Hebel an- setzen: Er muss die Kraft-Wärme-Kopplung besser stel- len als die verschwenderischen Großkraftwerke und er muss zusätzlich die Brennstoffzelle unterstützen. Ja, es ist richtig, der Brennstoffzelle Markteinführungs- hilfen zu geben, um in die Massenproduktion zu gehen. Die FDP beraubt die Brennstoffzellen aber jeder Chance, wenn sie sich gegen Maßnahmen für die Kraft-Wärme- Kopplung einsetzt. Es gibt hier kein Entweder-oder, son- dern nur ein Sowohl-als-auch! Der Antrag ist völlig überflüssig. Rot-Grün hat bereits weit reichende Maßnahmen für die Brennstoffzelle er- griffen: Wir haben in dieser Legislaturperiode alles getan, um der Brennstoffzelle den Weg zu bereiten: Wir geben der Brennstoffzelle über die Ökosteuer steuerliche Vor- teile bei der Strom- und der Mineralölsteuer. Wir fördern die Brennstoffzelle über das KWK-Gesetz direkt mit ei- nem Bonus von 5,11 Cent pro Kilowattstunde. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. April 2002 23371 (C) (D) (A) (B) Wir haben ein Technologieprogramm für die Brenn- stoffzelle in Höhe von 61 Millionen Euro vorgelegt. Das Programm läuft bis Ende 2003. Die Regierungsfraktionen haben bereits beschlossen, das Zukunftsinvestitionspro- gramm um vier Jahre bis 2007 zu verlängern. Damit wer- den weitere 82 Millionen Euro zur Verfügung gestellt werden. Meine sehr geehrten Damen und Herren von der Opposition, von einem ähnlichen Beschluss aus Ihren Reihen ist mir nichts bekannt! Mit unseren Maßnahmen für Brennstoffzellen beka- men die Hersteller genau die Rahmenbedingungen, mit denen Deutschland weltweit an die Spitze bei der Brenn- stoffzelle kommen kann. Etwa 2005 wird die Brennstoff- zelle im stationären Bereich serienreif sein. Daher werden wir in der nächsten Legislaturperiode ein Marktein- führungsprogramm für die Brennstoffzelle auflegen, das die vorhandenen gesetzlichen Maßnahmen ergänzt. Nach dem 100 000-Dächer-Programm wird es dann Zeit für ein 100 000-Keller-Programm sein. Meine sehr geehrten Damen und Herren von der FDP, ich möchte Ihnen zu Ihrem Mut gratulieren! Ich halte es für sehr mutig, einen Antrag für die Brennstoffzelle in die- sem Hohen Hause einzureichen und parallel fast alle Maßnahmen zu attackieren, die die Brennstoffzellent- wicklung fördern. Aber wir kennen das ja auch aus ande- ren Bereichen. So behaupten Sie ja auch, für erneuerbare Energien zu sein. Und gleichzeitig bekämpfen Sie jede Maßnahme, die sich als tauglich für die Stärkung erneu- erbarer Energien erwiesen hat. Ulrike Flach (FDP): Die Brennstoffzelle ist eine der viel versprechendsten, innovativsten und umweltfreund- lichsten Energietechnologien für die stationäre und die mobile Anwendung. Diese Technologie steht an der Schwelle zur industriellen Anwendung. Diese Phase wird die entscheidende Stufe der Entwicklung sein; denn sie kann mittel- bis langfristig zu einer deutlichen Senkung der Umwelt- und Klimabelastungen beitragen. Deshalb sind verstärkte forschungspolitische Anstrengungen not- wendig, um die Voraussetzungen für eine breite Ein- führung zu schaffen. Hier geht es aber nicht mehr allein um Forschung, sondern auch um Markteinführung und die Setzung geeigneter Rahmenbedingungen. Bei der Betrachtung der unzähligen Anwendungsmög- lichkeiten – von der Stromversorgung kleiner Elektrogeräte wie Notebooks über Kleinanlagen für die häusliche Strom- versorgung bis zu mobilen Anwendungen bei PKWs und Nutzfahrzeugen und große Anlagen für Kraftwerke – ergibt sich ein enormes Marktpotenzial. Damit eröffnet sich ein vielfältiges Beschäftigungspotenzial für die großen Ener- gieversorger, Automobilhersteller und Kraftwerksbauer, aber auch für kleine und mittelständische Betriebe. Bis Wasserstoff in ausreichender Menge zur Verfügung steht, wird Erdgas als Brennstoff eingesetzt werden kön- nen. Erdgas ist die wasserstoffreichste fossile Energie, seine Reserven sind ausreichend groß, die Preise wettbe- werbsfähig und die Infrastruktur gut ausgebaut. Im Bereich der Hausenergietechnik kann sich die Brennstoffzellentechnologie als dezentrales „Kleinkraft- werk“ zur Alternative zur konventionellen Strom- und Wärmegewinnung entwickeln. Für die Hausenergiever- sorgung ist für 2004 mit den ersten marktfähigen Anlagen zu rechnen. Die FDP will den flächendeckenden Einstieg in die Brennstoffzellenwirtschaft. Dazu ist eine Unterstützung der öffentlichen Hand notwendig, aber nicht als Dauer- subvention, sondern im wettbewerblichen Vergabeverfah- ren, degressiv ausgestaltet und zeitlich begrenzt. Dirigis- tische Maßnahmen, wie zum Beispiel Sie sie vornehmen, bei der Förderung herkömmlicher Anlagen zur Kraft- Wärme-Kopplung, behindern die Entwicklung der Brenn- stoffzellentechnologie. Sie müssen die Förderung am Wirkungsgrad ansetzen und nicht an der Technologie! Ich begrüße es, dass die Ministerien für Verkehr, Um- welt und Wirtschaft als auch das DLR und die Helmholtz- Gemeinschaft Projekte zur Förderung der Brennstoffzel- lentechnik unterhalten. Wir werden auch sehr sorgfältig verfolgen, ob Staatssekretär Hilsberg seine Aussage, das Verkehrsministerium wolle als Moderator zwischen Au- tomobilherstellern und Mineralölkonzernen auftreten, um Einführungshemmnisse abzubauen, erfüllt. Bisher kann ich von dieser Moderation nichts erkennen. Wir sind auch der Ansicht, dass die alleinige Erzeu- gung von Wasserstoff aus regenerativen Energieträgern nicht für den großmaßstäblichen Einstieg reichen wird. Deshalb schlagen wir vor, auch in Kernkraftwerken Was- serstoff zu erzeugen. Die Liberalen sind immer die Vorreiter bei neuen Tech- nologien gewesen. Das gilt auch für die Brennstoffzelle, die für die Generation unserer Kinder ebenso zum Be- standteil von Haus und Auto gehören wird wie Kohleofen und Otto-Motor für die Generation unserer Eltern zum Alltag gehört haben. Wolfgang Bierstedt (PDS): Verehrte Kollegen von der FDP, das prinzipielle Anliegen Ihres Antrags kann ich ja unterstützen. Allerdings verfolge ich verständlicher- weise eine deutlich andere Schwerpunktsetzung. Darüber hinaus befremdet mich die Überschrift Ihres Antrags, die da lautet: „Die Brennstoffzelle – Technik des 3. Jahrtausends“. Falls es Ihnen entgangen sein sollte: Dieses Jahrtausend hat doch gerade erst begonnen. Wol- len Sie allen Ernstes die wissenschaftliche Entwicklung des Jahrtausends bereits jetzt, zumindest auf diesem Ge- biet für beendet erklären? Ich kann ja verstehen, dass Sie sich gegenwärtig für den Nabel der Welt halten, ginge es nicht aber wenigstens bei wissenschaftlichen Sachthemen etwas bescheidener? Aber ernsthaft: Ihre Präferenz für den Einsatz von Erd- gas bei der Brennstoffzellentechnologie mag ja ob der derzeit noch scheinbar ausreichend zur Verfügung stehen- den Rohstoffmengen sinnvoll erscheinen und auch eine rein ökonomische Betrachtungsweise scheint Ihnen Recht zu geben. Aus meiner Sicht steht dem aber zweierlei ent- gegen: Erstens die bis heute erheblichen CO2-Emissioneninfolge der Methanolkomponente und zweitens die Tat- sache, dass es sich beim Energieträger Erdgas um einen nicht regenerierbaren, also endlichen Rohstoff handelt. Unbestritten ist, dass Brennstoffzellen auf Wasserstoff- basis nach dem derzeitigen Wissensstand den höchsten Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. April 200223372 (C) (D) (A) (B) Wirkungsgrad besitzen. Aber deshalb wieder die Kern- kraftwerkstechnologien ins Spiel zu bringen, um eine den Bedarf deckende Wasserstoffproduktion zu erreichen und dieses noch mit ökologischen Argumenten begründen zu wollen, das erscheint mir schon abenteuerlich. Insgesamt gesehen unterstützt die PDS die Förderung von Forschung und Entwicklung verschiedener Brenn- stoffzellentechnologien. Wir sollten diese Förderung je- doch mit einer Fokussierung auf regenerative Energieträger verbinden. Da stimmen wir mit dem Text unter Punkt 2 Ih- rer Beschlussempfehlung, der da lautet: „Im Rahmen der Forschungsprogramme für eine umweltgerechte nachhal- tige Entwicklung und der Programme der Forschungs- und Wissenschaftseinrichtungen ist gezielt auf die Besei- tigung bestehender Forschungsdefizite zur Einführung der Brennstoffzellentechnologie einzuwirken“, überein. In Anbetracht des Gesamtkontextes Ihres Antrages glaube ich allerdings, dass dieser Punkt nur eine Alibi- funktion zu erfüllen hat. Natürlich wird die Brennstoff- zelle in absehbarer Zeit den Verbrauch nicht regenerativer Energieträger nicht allein senken können, aber sie kann bei Ausrichtung auf den Einsatz regenerativer Energieträ- ger tendenziell dazu beitragen. Im Übrigen halten wir auch den in Ihrem Antrag for- mulierten Standpunkt zur Ablehnung der Förderung von herkömmlichen Anlagen zur Kraft-Wärme-Kopplung in der gegenwärtigen Situation für nicht angemessen. Unsere inhaltlich begründete Zustimmung zum For- schungs- und Entwicklungsschwerpunkt Brennstoffzelle beruht aber auch darauf, dass wir eine deutlich größere An- wendungsbreite dieser Zukunftstechnologie sehen, als die im Antrag hintergründig zu erkennende Ausrichtung auf den Bereich der Automobilindustrie. Da greift der FDP- Antrag zu kurz, als dass wir diesen unterstützen können. Anlage 9 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Apothekengesetzes (Tagesord- nungspunkt 25) Dr. Margrit Spielmann (SPD): Mit der Initiative für den Gesetzentwurf zur Änderung des Apothekengesetzes hat der Bundesrat dem Bundestag eine gute Grundlage für eine umfassende Aktualisierung des Apothekengesetzes erarbeitet. Wir sind dem Bundesrat dankbar, dass damit ein Erfolg versprechender Prozess angeschoben werden konnte. Auf dieser guten Grundlage hat der Deutsche Bundestag nun gut aufsatteln können. Insgesamt haben wir dem Bundesrats-Paket noch sechs Bausteine und zwei Packtaschen hinzugefügt. Dabei haben wir sorgfältig darauf geachtet, dass die Überforderungs- klausel nicht in Anspruch genommen werden musste. Nun die sechs wichtigsten Bausteine, die hinzugefügt wurden: Baustein l: Dieser Baustein wird den Patienten bei der Arzneimittelversorgung im Krankenhaus zugute kommen. Die Patienteninteressen und die Schutzbestim- mungen für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die mit Zytostatikazubereitung beschäftigt sind, haben es erfor- derlich gemacht, die Kenntnisse, Erfahrungen und Spe- zialisierungen in den Krankenhausapotheken auch den öf- fentlichen Apotheken und den ambulant tätigen Ärzten zugänglich zu machen. Für die Patienten wird damit sichergestellt, dass sie ihre Medikation aus dem Kranken- haus beim Übergang in die ambulante Versorgung, unver- ändert beibehalten können. Auf diesem Weg wird auch dem Arbeitsschutzbedürfnis ausreichend Rechnung ge- tragen. Baustein 2: Mit diesem Baustein wird die Arzneimit- telversorgung im Krankenhaus aus einer Hand gewährleis- tet. Mit der Neuregelung in § 14 werden Krankenhaus- apotheken sicherstellen können, dass auch bei ambulanter Behandlung an Ambulanzen, an Polikliniken, an psychia- trischen Institutsambulanzen und an sozialpädriatrischen Zentren die Arzneimittelversorgung aus einer Hand er- folgt. Durch diese Neuregelung wird sich die Versor- gungsqualität insbesondere für chronisch kranke Patien- ten, wie Krebspatienten, die entlang der ambulanten und stationären Versorgung pendeln, sicherstellen lassen. Baustein 3: Mit diesem Baustein erfolgt eine unbüro- kratische Hilfe für Patienten mit Arzneimitteln. Bei der Entlassung darf nach stationärer oder ambulanter Behand- lung im Krankenhaus, die zur Überbrückung benötigte Menge an Arzneimitteln aus Beständen des Krankenhau- ses mitgegeben werden, sofern im unmittelbaren An- schluss an die Behandlung ein Wochenende oder ein Fei- ertag folgt. Baustein 4: Mit diesem Baustein wird das Wirtschaft- lichkeitsgebot des Fünften Sozialgesetzbuches auch für die Krankenhausapotheke und für die Ärzte im Kranken- haus eindeutig verbindlich gemacht. Es kann nicht ange- hen, dass hochpreisige Produkte über die Krankenhaus- apotheke eingesetzt werden, die dann bei der Anschlussbehandlung dem niedergelassenen Arzt Pro- bleme beim Wirtschaftlichkeitsgebot bereiten. Diese Phar- mastrategie über Billigpreise bei den Krankenhäusern, hochpreisige Produkte in den Markt einzuführen, wird da- durch unterbunden. Baustein 5: Mit diesem Baustein kommt Qualität und Sicherheit in die Heime. Ohne die Freiheit der Bewohner oder der Apotheker einzuschränken, sind jetzt vertragli- che Vereinbarungen möglich, Menschen in Heimen bes- ser und sicherer mit Arzneimitteln zu versorgen. Wer die Berge von Arzneimittelpackungen in Nachttischschubla- den von Heimbewohnern kennt, weiß, was dieser Weg an Sicherheit bringt. Nun ist über Serviceangebote eine Aus- einzelung der Medikamente und eine Verblisterung im Heim durch den Apotheker möglich. Das heißt, die Ta- gesrationen der Bewohner werden zusammengestellt und an die Pflege weitergegeben. Baustein 6: Mit diesem Baustein schaffen wir kurze und damit sichere Wege für Impfstoffe. Mit der Herausnahme der Impfstoffe aus der Apothekenpflicht, kann direkt an den Arzt geliefert werden. Auch die Patienten brauchen nicht mehr den Umweg über die Apotheke zu machen. Damit sind zahlreiche Vorteile, wie Sicherheit, Qualität und Preis- nachlässe für Impfstoffe verbunden. Je kürzer der Ver- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. April 2002 23373 (C) (D) (A) (B) triebsweg, desto höher die Arzneimittelsicherheit. Auch durch gezielte Rückrufmöglichkeiten direkt beim Arzt, auf der Basis lückenloser Chargendokumentation, wird zusätz- lich Sicherheit geschaffen. Marktadäquate Preise werden nun durch den Wettbewerb erfolgen. Von den Impfstofflie- feranten und den Krankenkassen bestätigt, gehen 50 Milli- onen Euro indirekt an die Beitragszahler zurück. Damit bleibt der Apothekerverband mit seiner Ansicht, die Apo- thekenpflicht für Impfstoffe nicht aufzuheben, alleine. An- gefangen von den Ärzten über die Impfstofflieferanten bis hin zur Pharmaindustrie bis zu den Krankenkassen treten alle für einen direkten Vertrieb zum Arzt ein. Aber auch zwei Packtaschen wurden dem Apotheken- gesetz mit auf den Weg gegeben. Mit der ersten Packtasche haben wir die Chancen- gleichheit, speziell für die in Ostdeutschland angesiedel- ten Polikliniken beziehungsweise Gesundheitszentren auf den Weg gebracht. Diese Einrichtungen schreiben nun seit über zehn Jahren eine Erfolgsgeschichte! In Sachen inte- grierter Versorgung sind sie ein Vorbild für ganz Deutsch- land. Sie sind ein gelungenes Beispiel dafür, wie effizient verschiedene ärztliche Fachgruppen und andere Gesund- heitsberufe in der ganzheitlichen Versorgung der Patien- ten zusammenwirken können. So werden unnötige Dop- peluntersuchungen und damit Kosten vermieden. Die Qualität der Versorgung zugunsten der Patienten wird er- höht: Mit der Neuregelung im § 311 des Fünften Sozial- gesetzbuches erhalten sie nun endlich Chancengleichheit. Die erforderliche und wünschenswerte Weiterentwick- lung dieser Einrichtungen wurde bisher durch eine Stich- tagsregelung verhindert. Längst überfällig, sollen sie nun das Recht bekommen, bei Bedarf ihr Angebot künftig um zusätzliche Facharztbereiche erweitern zu können. Damit werden die Gesundheitseinrichtungen rechtlich den nie- dergelassenen Vertragsärzten gleichgestellt. Sie sind nicht länger der konservativen Blockadepolitik ausgeliefert, die ihre Expansion bisher verhindert hat. Mit der zweiten Packtasche haben wir den Weg frei gemacht für eine Pa- tientenkarte in Deutschland. Mit den Neuregelungen zum § 63 SGB V können Modellvorhaben nun angepackt wer- den. Für innovative Kräfte wird die Blockade beseitigt. Mit dem Gesundheitspass können alle wichtigen Ge- sundheits- und Notfalldaten von Patienten, verordnete Arzneimittel, sowie Hinweise auf Untersuchungen für be- treuende Ärzte dokumentiert werden. Damit wird gewähr- leistet: die Qualität in der medizinischen Behandlung, die Arzneimittelsicherheit, gerade angesichts der vielen Inno- vationen und Wechselwirkungen, die Vermeidung von Doppelbehandlungen und damit auch Kostenersparnis, die Stärkung des mündigen Patienten, die Optimierung von Behandlungsprozessen und vor allem die Transparenz für Patienten, aber auch für die Leistungserbringer. Über alle dem steht das uneingeschränkte Patienten- recht gepaart mit einem sicheren Datenschutz. Nur wir als Versicherte haben die Verfügung über die Daten. Nur wir Versicherte entscheiden, für wen – zum Beispiel für wel- chen Arzt oder welcher Ärztin – der Zugang zu unseren Daten eröffnet werden soll. Die Teilnahme von Patienten am Modellvorhaben bleibt freiwillig. Unabhängig davon wissen wir, dass die Zustimmung groß ist. Aus Erfahrungen, wie zum Beispiel zur wissenschaft- lichen Begleitung des Praxisnetzes Nürnberg Nord, wis- sen wir, dass es eine breite Zustimmung der Patienten gab, ihre Daten auf der Basis einer Datenschutzvereinbarung zur Verfügung zu stellen. Wir sind ganz sicher, dass der souveräne Patient seine Chancen nutzt, und damit Trans- parenz und Sicherheit für sich gewinnt. Diese Neurege- lung für Modellvorhaben im § 63 sind mit dem Daten- schutzbeauftragten der Bundesregierung abgestimmt. Gemeinsam wurde auch klargelegt, dass nach dem Mo- dellvorhaben die Einführung einer Patientenkarte ein ei- genes Gesetz erforderlich macht. Unabhängig davon ist für uns wichtig, dass bei Modellvorhaben, die auch von den Vorschriften des zehnten Kapitels abweichen, in be- sonderem Maße darauf zu achten ist, dass sie stringent auf die Verbesserung der Qualität und der Wirtschaftlichkeit ausgerichtet sind. Dr. Wolf Bauer (CDU/CSU): So wie nahezu alle ge- sundheitspolitischen Gesetzesvorhaben der rot-grünen Koalition zeigt auch der Entwurf eines Apothekengeset- zes – bzw. der Entwurf eines Gesetzes über das Apothe- kenwesen – die Konzeptlosigkeit dieser Bundesregierung und der sie tragenden Fraktionen. Arzneimittelgesetz, Apothekengesetz, Apothekenbetriebsordnung werden in einen Topf oder besser gesagt in einen Mörser geworfen, kräftig durchgeknetet und das Durcheinander anschlie- ßend als Teil einer Gesundheitsreform verkauft. Hierzu passt die Überschrift in der„Rheinischen Post“ vom 24. April 2002: „Runder Tisch für das Gesundheits- wesen konnte sich auf fast nichts einigen/Ulla Schmidt gescheitert“. Unsere Fraktion hat immer wieder von der Bundesgesundheitsministerin gefordert, ein in sich schlüssiges und alle Bereiche des Gesundheitswesens umfassendes Konzept auf den Tisch zu legen. Auf dem Tisch liegt aber bisher nur ein nicht sehr aussagekräftiges Wahlprogramm der SPD. Darin steht, dass „ärztliches und pflegerisches Können sowie Leistungskraft und Vielzahl medizinischer Einrichtungen und Unternehmen ..., bisher eine gute Versorgung“ sichern. Wenn dem so ist, warum bläst dann die rot-grüne Ko- alition zum Angriff auf dieses, selbst nach ihren eigenen Erkenntnissen gut funktionierende System? Es liegt doch nicht etwa daran, dass der Bundeskanzler nicht allzu viel für den Mittelstand, dafür aber um so mehr für die Groß- industrie übrig hat? Auch hilft es dem Mittelstand nicht allzu viel, wenn sich seine Standesvertreter gelegentlich einmal zum Kaffeetrinken bei der Gesundheitsministerin einfinden dürfen. Wir hingegen wollen gerade die mittelständischen Struk- turen in unserem Gesundheitswesen stärken und erhalten. Aus diesem Grund fragen wir bei jeder Gesetzesinitiative nicht zuerst nach dem Geld, sondern ob angestrebte Verän- derungen systemkonform sind. Da bei uns der Mensch bzw. der Patient im Mittelpunkt aller unserer Überlegungen steht, fragen wir schwerpunktmäßig natürlich auch immer, ob zum Beispiel die jahrhundertealte und bewährte Trennung zwischen Arzt und Apotheker oder die Trennung zwischen stationärer und ambulanter Versorgung im Sinne einer best- möglichen medizinischen Versorgung der Patienten ist. Un- ter diesen Gesichtspunkten betrachten wir selbstverständ- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. April 200223374 (C) (D) (A) (B) lich auch den Änderungsentwurf des uns vorliegenden Apothekengesetzes. Das Ergebnis ist, dass einige Punkte durchaus auch unseren politischen Vorstellungen entspre- chen. Ich denke hier zum Beispiel an den § 11, der Abgabe von anwendungsfertigen Zytostatika-Zubereitungen, oder an den § 12 a, die Versorgungsverträge zwischen Apotheken einerseits und Trägern von Alten- und Pflegeheimen ande- rerseits. Ablehnen hingegen werden wir die Änderungen in § 14 Abs. 4 Satz 3 (neu). Übrigens wird hier die bereits angesprochene Konzeptlosigkeit einmal mehr als deut- lich! Warum? Im Gesetzentwurf zur Änderung des Apo- thekengesetzes vom 14. April 1999 findet sich die For- mulierung von den „Ambulanzen in den Räumen des Krankenhauses.“ In einem ersten Änderungsantrag der Koalition vom 26. Februar 2002 erfolgt eine Korrektur in „Ambulanzen des Krankenhauses.“ Nach heftigen Pro- testen der Verbände dämmerte auch den Koalitionspart- nern, dass diese Änderung zu einer Gefährdung der pati- entenorientierten Versorgung führt. Zwei Monate später folgt dann ein Änderungsantrag zum Änderungsantrag. Jetzt ist von „ermächtigten Ambulanzen des Kranken- hauses“ die Rede. Ein Glück, dass es nur drei relevante Formen der ambulanten Behandlung von Patienten im Krankenhaus gibt! Soweit die Konzeptlosigkeit. Viel gravierender ist aber die Systemänderung, die dahinter steckt: Krankenhausärzte, die die Ermächtigung der KV besitzen, in den Räumen ei- nes Krankenhauses auch ambulant tätig zu sein, dürfen Arz- neimittel aus einer Krankenhausapotheke beziehen. Nieder- gelassene Ärzte, die in den Räumen des Krankenhauses praktizieren, sind hiervon ausgeschlossen. Gegen diese Regelung wäre nichts einzuwenden, wenn es nicht zu einer Wettbewerbsverzerrung zuungunsten der niedergelassenen Ärzte käme. Die Befürworter dieser Änderungen werden antworten, dass diese Bedenken unberechtigt sind, da eine Ermächtigung nur dort erteilt wird, wo eine fachärztliche Unterversorgung vorhanden ist. Ich kann hier nur warnen: Wehret den Anfängen! Ist der Einbruch in ein System erst einmal gelungen, werden weitere Veränderungen nicht lange auf sich warten lassen. Eine Wettbewerbsverzerrung ergibt sich aber auch im Bereich der Apotheken, denn weder mit subventionierten Arzneimitteln noch mit einer subventionierten Apotheken- infrastruktur – einschließlich einer subventionierten Per- sonalstruktur – kann eine öffentliche Apotheke konkurrie- ren. Sie ist vielmehr an die Preisspannenverordnung gebunden und muss für die gesamten Investitionen und Betriebskosten selbst aufkommen. Interessant ist, dass mittlerweile auch die Koalitionsfraktionen erkannt haben, dass die daraus resultierenden Systemfragen, zum Beispiel Anwendbarkeit der Arzneimittelpreisverordnung, gleiche Wettbewerbsbedingungen für öffentliche Apotheken und Krankenhausapotheken nicht isoliert, sondern im Kontext mit der GKV-Gesundheitsreform 2003 im Rahmen einer ganzheitlichen Konzeption zur Neustrukturierung der Arz- neimitteldistribution angegangen werden soll. Ein interessanter Hinweis, bei dem sich allerdings die Frage stellt, warum sich SPD und Grüne bereits jetzt schon für den Versandhandel aussprechen und nicht war- ten, bis dieses „ganzheitliche Konzept“ konzipiert ist. Unsere Fraktion hingegen wird an einer Ablehnung des Versandhandels festhalten, denn Arzneimittelsicherheit und eine flächendeckende, wohnortnahe Versorgung mit Arzneimitteln sind nur durch öffentliche Apotheken ge- währleistet. Dass SPD und Grüne verstärkt auf den Ver- sandhandel setzen, ist auch daran zu erkennen, dass sie die Impfstoffe aus der Apothekenpflicht herausnehmen wol- len (Artikel 2 neu). Während sie allerdings beim norma- len Versandhandel immerhin noch Probleme mit der Arz- neimittelsicherheit zugeben, sprechen sie bei einer Impfstoffbelieferung der Arztpraxen durch irgendeinen Paketdienst sogar von einer Verbesserung der Arzneimit- telsicherheit: Das verstehe, wer will! Und die Kostenersparnis? Vor sieben Jahren wurde bei der Fünften AMG-Novelle von einem Einsparpotenzial von 50 Millionen DM gesprochen; heute sind es dann eben 50 Millionen Euro. So einfach ist das! Und die Be- ratung? Hier ist in der Begründung des Änderungsantrags von SPD und Grünen zu lesen: „Sollte eine Beratung ei- nes Arztes in Verbindung mit dem zugesandten Impfstoff notwendig sein, könnte diese auf verschiedenen Wegen erfolgen“. Welche „verschiedenen Wege“ das sind, über- lassen SPD und Grüne der Fantasie des Lesers. Sie wer- den doch nicht etwa an die Apotheker gedacht haben? Ebenfalls lehnen wir eine Gleichstellung von Pflege- heimen mit Kur- und Spezialeinrichtungen, wie sie ur- sprünglich von den Koalitionsparteien angedacht war, ab § 14 Abs. 6 Sätze 2 und 3 bzw. Änderungsantrag vom 26. Februar 2002. Hier sollen Bewohner bzw. Patienten von Pflegeheimen generell der Zuständigkeit von Kran- kenhausapotheken unterstellt werden. Als Begründung seitens der Krankenkassen wird ein erhebliches Einspar- potenzial angeführt. Damit soll offenkundig eine beson- dere Situation, die sich insbesondere im Land Berlin, und zwar im ehemaligen Ostteil der Stadt, ergeben hat, als Be- gründung für eine grundsätzliche und systemverändernde Maßnahme herhalten. Die Koalitionsfraktionen unterlie- gen hier dem Trugschluss, dass eine auf die Kranken- hausapotheken verlagerte Versorgung zu den gleichen Konditionen wie die gegenwärtige Krankenhausversor- gung erfolgt, die geprägt ist durch ein von Arzneimittel- listen beschränktes Sortiment und eine von der Industrie in hohem Maße subventionierte Belieferung. Mit ihren Änderungsanträgen wollen die Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen ganz offensichtlich erreichen, Kosten für die GKV zu sparen. Hiergegen ist im Prinzip nichts einzuwenden. Allerdings wird hier der Einspareffekt sehr schnell verpuffen, denn es ist davon auszugehen, dass die Arzneimittelhersteller nicht lange auf eine Änderung ihrer Preisbildung im Klinikbereich warten lassen, sodass für sie das Ergebnis unterm Strich wieder stimmt. Auch entsteht ein rechtlicher Konflikt dadurch, dass der Träger eines Krankenhauses, der eine Krankenhausapo- theke nach § 14 ApoG als unselbstständige Betriebseinheit unterhält, berechtigt und verpflichtet ist, vertragsärztliche Verschreibungen mit den Krankenkassen abzurechnen. Während Krankenhäuser aus wirtschaftlichen Gründen bestrebt sind, die Arzneimittelversorgung von stationären Krankenhauspatienten möglichst preiswert zu gestalten, Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. April 2002 23375 (C) (D) (A) (B) entsteht für Krankenhausträger bei der Abrechnung nach Individualrezepten ein wirtschaftliches Interesse, das mit dem der öffentlichen Apotheken vergleichbar ist. Eine Wettbewerbsverzerrung zulasten der öffentlichen Apo- theke ist eklatant. Hinzu kommt, dass hier die Gefahr be- steht, da die Apothekenlandschaft durch Mehr- und Fremdbesitz total verändert wird. Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): „Der Patient im Mittelpunkt“. Unter diesem Motto hat die rot-grüne Koalition in den vergangenen Jahren die gesetzliche Krankenversicherung neu ausgerichtet. Eines steht fest: Wir haben für eine Verbesserung der Qualität der Versorgung der Patientinnen und Patienten gesorgt. Eine Vielzahl von Maßnahmen wirkt bereits heute. An- dere, wie die Disease Management Programme, werden in Zukunft die medizinische Versorgung besser an den Be- dürfnissen der Patientinnen und Patienten ausrichten. Die Koalition hat den Gesetzentwurf des Bundesrates zum Anlass genommen, die Qualität und Wirtschaftlich- keit der Versorgung mit Arzneimitteln über die Vorlage des Antrages hinaus zu verbessern. Außerdem stellen wir die Weichen für eine Durchführung von Modellversuchen zur verbesserten Verwendung medizinischer und pharma- zeutischer Informationen, ohne die Rechte der Patientin- nen und Patienten bezüglich ihres Anspruches auf infor- melle Selbstbestimmung einzuschränken. Sie sehen: Rot-grün verbessert die Qualität der medi- zinischen Versorgung. Doch nun zu den Einzelheiten: Meine sehr verehrten Damen und Herren von der FDP, die Koalition eröffnet den im Krankenhaus ambulant ver- sorgten Patientinnen und Patienten eine Versorgung mit Medikamenten durch die Krankenhausapotheke. Es ist unserer Ansicht nach nicht zumutbar, wenn ein Patient, der im Krankenhaus ambulant operiert wurde, nicht die vorhandenen Versorgungsmöglichkeiten nutzen kann, sondern erst eine Offizinapotheke aufsuchen muss. Wir sagen nicht, dass die öffentlichen Apotheken diese Pati- enten nicht versorgen dürfen. Wir eröffnen aber die Mög- lichkeit, unter genau definierten Umständen die benötig- ten Medikamente über die Krankenhausapotheke zu beziehen. Und das will die FDP verhindern. Da muss ich Sie fragen: Sind Sie nun die Partei des Wettbewerbs oder doch die des Bestandschutzes für bestimmte Berufsgrup- pen? Eines ist sicher: Den Patientenschutz haben Sie nicht im Auge. Weil ich gerade beim Wettbewerb bin: Die Entlassung der Impfstoffe aus der Apothekenpflicht gefährdet den Wettbewerb zwischen den Apotheken und den anderen Vertriebswegen in keiner Weise. Die existierenden Impf- stoffapotheken verdeutlichen dies. Die Behauptung, die Qualität und Sicherheit der Versorgung wäre in einem ver- kürzten Vertriebsweg nicht mehr gesichert, ist einfach falsch. Als die Impfstoffe 1994 in die Apothekenpflicht aufgenommen wurden, haben Sie das mit einer möglichen Unterbrechung der Kühlkette begründet, und das, obwohl dem Paul-Ehrlich-Institut keine Fälle bekannt geworden sind, bei denen ein mangelnder Impferfolg auf eine unter- brochene Kühlkette zurückzuführen war. Ihre tatsächli- chen Beweggründe seien dahingestellt. Mit der Änderung der Betriebsverordnung für Großhandelsbetriebe sowie der Einführung des § 54 (2 a) AMG ist gesetzlich ein Si- cherheitsstandard geschaffen worden, der die Arzneimit- telsicherheit im Direktvertrieb sichert. Zum Schluss komme ich noch zur Erweiterung der Mo- dellvorhaben. Die Entwicklungen in der Informa- tionstechnologie erlauben es zunehmend, die vorhandenen Daten zusammenzuführen und sinnvoll auszuwerten. Die entstehenden Synergieeffekte müssen im Interesse der Versicherten und Beitragzahler genutzt werden, um die Versorgung mit Gesundheitsleistungen an ihre Bedürf- nisse anpassen zu können. Ob elektronisches Rezept, intelligente Patienten-Chipkarte oder elektronische Pati- entenakte, es gibt bisher keine Erfahrungen in der Praxis, ob solche Systeme angenommen werden und welche Vor- teile sie tatsächlich bringen können. Die Rahmenbedin- gungen für derartige Pilotprojekte sind mit dem Bundes- beauftragten für Datenschutz abgestimmt. Die an einem Modellprojekt teilnehmenden Versicherten können dies freiwillig tun und müssen ihre Einwilligung zur Erfassung und Verarbeitung ihrer persönlichen Daten geben. Sie kön- nen diese jederzeit zurückziehen. Nach Beendigung der Modellvorhaben sind alle Daten sofort zu löschen. Das Recht auf informelle Selbstbestimmung bleibt gewahrt. Dass die Fraktion des Bündnises 90/Die Grünen in diesem Punkt genau hinsehen, darf wohl kaum verwundern. Detlef Parr (FDP):Wesentliche Elemente der Freibe- ruflichkeit sind in dreieinhalb Jahren rot-grüner Gesund- heitspolitik auf der Strecke geblieben. Heute tun wir einen weiteren Schritt hin in Richtung Schwächung der Freibe- ruflichkeit – ohne die FDP. Der Gesetzentwurf öffnet die Tür für eine ambulante Arzneimittelversorgung durch Krankenhausapotheken ei- nen Spaltbreit. Er schafft damit eine bessere Angriffs- fläche für weiter gehende Bestrebungen, die Bedeutung der Krankenhausapotheken zu stärken und gleichermaßen die öffentlichen Apotheken – und damit die Freiberuf- lichkeit – zu schwächen. Auch wenn eine Belieferung von Pflegeheimen durch Krankenhausapotheken, wie im ur- sprünglichen Entwurf vorgesehen, nun nicht mehr weiter- verfolgt wird, werden die Weichen für eine Änderung des Systems gestellt. Wir wollen mehr Wettbewerb im Ge- sundheitssystem, aber fairen Wettbewerb. Die Abgabe von Arzneimitteln durch Krankenhaus- apotheken an Ambulanzen des Krankenhauses bringt da- gegen wettbewerbsverzerrende Effekte, weil die Preise für Arzneimittel in den Krankenhäusern niedriger liegen als im Bereich der Offizinapotheken. Eine solche Öffnung sollte deshalb nicht erfolgen mit Ausnahme von Spezial- rezepturen, wo Sicherheitsaspekte eine besondere Rolle spielen, also den Zytostatika. Ambulanzen können nach dem Gesetzentwurf zum Beispiel auch dann durch eine Krankenhausapotheke beliefert werden, wenn diese gar nicht im Gebäude der Ambulanz, sondern weiter entfernt angesiedelt ist. Deshalb müssen wir die Trennschärfe zwi- schen ambulanter und stationärer Versorgung aufrechter- halten. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. April 200223376 (C) (D) (A) (B) Es bestand bisher Einigkeit darin, dass die Polikliniken lediglich Bestandsschutz haben sollten. Die im Gesetz- entwurf vorgesehene Möglichkeit für Polikliniken, zu- sätzliche Ärzte anzustellen und ihren Sitz zu verlegen, hebt diesen Konsens auf. Diese Regelung wird, wenn sie Realität wird, als Türöffner benutzt werden, solche Poli- kliniken auch in den westlichen Bundesländern zukünftig zuzulassen. Die Arbeit der niedergelassenen Ärzte wird hier erheblich tangiert – integrierte Versorgung stellen wir uns anders vor. Der Vertriebsweg für Impfstoffe über die Apotheke hat sich aus Sicherheitsgründen bewährt. Diese Regelung ist 1994 so eingeführt worden, weil es bei der Direktbeliefe- rung Sicherheitsprobleme gegeben hat. Wir möchten die Direktbelieferung gern beibehalten, auch deswegen, weil die Befürchtungen aus der Ärzteschaft – Hämatologen, internistische Onkologen –, Krankenhausapotheken wür- den durch den Gesetzentwurf übervorteilt, nicht von der Hand zu weisen sind. Übervorteilung droht auch bei der Absicht, den Kran- kenhausapotheken zu gestatten, Patienten bei Entlassung an einem Wochenende oder an einem Feiertag die zur Überbrückung notwendigen Medikamente mitzugeben. Diese Überbrückung kann wie bisher auch von den öf- fentlichen Apotheken wahrgenommen werden. Bei den vielen Ungereimtheiten wird es Sie nicht wun- dern: Die FDP lehnt diesen Gesetzentwurf ab! Dr. Ruth Fuchs (PDS): Die vorliegenden Änderun- gen des Apothekengesetzes geben sinnvollen Regelungen und Zuständigkeiten die rechtliche Grundlage. Es geht um unkomplizierte Verfügbarkeit von Arzneimitteln, um kür- zere Beschaffungswege und um Erleichterungen für die Patienten. Information und Beratung durch Apotheke- rinnen und Apotheker bleiben gewahrt. Der Gesetzent- wurf wurde im Frühjahr 1999 in den Bundestag einge- bracht. Es bleibt unverständlich, warum pragmatische Lö- sungen, die Verbesserungen bringen und auf die die Praxis wartet, so viel Zeit beanspruchen. Die jetzt ermöglichte Arzneimittelversorgung der Pati- enten von Krankenhausambulanzen durch Krankenhaus- apotheken ist zweifellos zweckmäßig. Wir begrüßen da- bei, dass von Krankenhausapotheken Arzneimittel auch an die nach § 116 SGB V ermächtigten Krankenhausärzte zur unmittelbaren Anwendung abgegeben werden dürfen. Die Regelung, dass aus dem Krankenhaus entlassene Pa- tienten in dringenden Fällen zunächst durch die Kranken- hausapotheke mit Medikamenten versorgt werden kön- nen, ist eine Erleichterung für die oft noch bettlägerigen Patienten. Wir sollten uns jedoch darüber im Klaren sein, dass diese erwünschten Funktionserweiterungen für die Krankenhaus- apotheken auch einen größeren personellen Aufwand erfor- dern. Bekanntlich gibt es hier einen Trend in die andere Richtung. Gerade bei neuen Krankenhauszusammenschlüs- sen werden die bisherigen Krankenhausapotheken oft zu- gunsten von Versorgungszentren geschlossen, was mit ent- sprechenden Personalreduzierungen einhergeht. Aber auch in solchen Fällen muss die pharmazeutische Betreuung der Patienten gewährleistet bleiben, soll es nicht zu reinen Be- lieferungen kommen. Die neu geschaffenen vertraglichen Regelungen zwischen Heimträgern und öffentlichen Apo- theken zielen auf eine bessere Versorgung der Heimbewoh- ner. Wir stimmen ihnen grundsätzlich zu. Wichtig wäre al- lerdings, dass neben die Aufgabe der zuständigen Behörden, die Verträge zu genehmigen, auch eine Kontrollfunktion verbunden mit zeitlicher Begrenzung der Verträge treten würde. Auch weitere Teile des Gesetzes wie die vertraglichen Regelungen mit den Rettungsdiensten, die Festlegungen zu den Zytostatikazubereitungen oder die Herausnahme von Impfstoffen aus dem Apothekenvertriebsweg halten wir für sinnvoll. Verständlicherweise begrüßen wir besonders die Än- derungen des § 311 SGB V, die die Gesundheitszentren in den neuen Ländern betreffen. Sie ermöglichen diesen Ein- richtungen endlich auch die Etablierung von ärztlichen Fachdisziplinen, die zum Zeitpunkt der Gründung noch nicht vorhanden waren. Zugelassen wird jetzt auch die Verlegung ihres Standortes. Das sind wichtige Schritte, um diese Einrichtungen mit den niedergelassenen Ver- tragsärzten gleichzustellen. Auf der Grundlage ihrer 10-jährigen Existenz darf man mit Fug und Recht sagen, dass sie sich auch im neuem Umfeld bewährt haben. Be- trachtet man sie ohne Vorbehalte und ideologische Scheu- klappen, dann sind sie ein anschauliches Beispiel für in- tegrierte Versorgung – noch dazu unter einem Dach. Was im Interesse von Qualität und Wirtschaftlichkeit so oft ge- fordert wird – koordinierte medizinische Behandlung, kurze Wege für die Patienten, Vermeidung von Doppel- untersuchungen, gemeinsame Investitionen und Ressour- cennutzung –, ist in diesen Einrichtungen lebendiger All- tag. Im Übrigen haben sie den Vorteil, dass die Ärzte ungleich weniger mit Bürokratie und Verwaltungsaufga- ben belastet sind und sich wesentlich mehr der Behand- lung ihrer Patienten widmen können. Nicht zuletzt deshalb werden wir dem Gesetzentwurf unsere Zustimmung geben. Anlage 10 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – Entwurf eines Gesetzes über die Entsorgung von Altfahrzeugen (AltfahrzeugGesetz – Altfahr- zeugG) – Antrag: Umsetzung der EU-Altfahrzeugrichtli- nie ökologisch sinnvoll und ökonomisch verant- wortlich gestalten (Tagesordnungspunkt 27 a und b) Ulrich Kelber (SPD): Mit dem Gesetz über die Ent- sorgung von Altfahrzeugen schlagen wir fünf Fliegen mit einer Klappe: Erstens. Wir entlasten die Umwelt in Deutschland, weil die Autos in Zukunft recyclinggerechter hergestellt wer- den, weil besonders umweltschädliche Stoffe nicht mehr Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. April 2002 23377 (C) (D) (A) (B) verwendet werden dürfen, und weil in Zukunft keine Fahrzeuge mehr durch Abstellen am Straßenrand entsorgt werden. Zweitens. Wir entlasten die Umwelt in Europa, weil wir durch die entsprechende europäische Richtlinie eine Harmonisierung der Entsorgung von jährlich 9 Millionen Altfahrzeugen in der EU auf einem hohen Niveau errei- chen. Drittens. Wir entlasten die Umwelt weltweit, weil auch Hersteller außerhalb der EU ihre Produktion umstellen werden, um ihren Pflichten auf dem europäischen Markt nachzukommen. Damit wird auch in Märkten außerhalb der EU ein Fortschritt erzielt. Viertens. Wir verankern Produktverantwortung vor- bildlich in die Kreislaufwirtschaft. Das ist als ökologi- sches Prinzip gar nicht hoch genug einzuschätzen. Fünftens. Wir machen die Entsorgung für Besitzer, Her- steller und Gesellschaft bezahlbar bei gleichzeitiger Si- cherung von Arbeitsplätzen in der Verwertungsindustrie. Deswegen muss man diesem Gesetz einfach zustim- men: Deswegen ist ein Nein zu diesem Gesetz verant- wortungslos. Das Gesetz ist eine faire Umsetzung der europäischen Richtlinie. Und das Gesetz ist eine faire Abwägung ver- schiedener Interessen. Die Bundesregierung und auch die SPD-Fraktion ha- ben mit allen Beteiligten, mit den Herstellern, den Zulie- ferern, den Entsorgern, den Umweltverbänden und ande- ren mehr intensive Gespräche geführt. Und auch das ist eine wichtige Botschaft: Alle Betei- ligten haben deutlich gemacht, dass sie mit diesem Gesetz gut leben können. Das sollte auch die CDU/CSU und die FDP aufhorchen lassen, die im Umweltausschuss das Ge- setz abgelehnt haben, obwohl wir alle Anregungen der von CDU/CSU und FDP regierten Bundesländer aufge- nommen haben. Es ist schade, dass die Opposition nicht um der Sache willen bereit ist, über ihren dunklen Schat- ten zu springen. Diese allgemeine Zufriedenheit mit dem Gesetz bei allen beteiligten Unternehmen und Verbänden ist übrigens auch ein deutlicher Unterschied zur den Regelungen, die CDU/CSU und FDPin ihrer Regierungszeit versucht haben. Nur ein Zitat dazu. Die Verbraucherzentrale Hessen hat die Regelungen von CDU/CSU und FDPdamals als „öko- logische Mogelpackung“ und – was mir als Bonner Ab- geordneten natürlich ein bisschen wehtut – als „Schrott aus Bonn“ bezeichnet. Das waren die Urteile der Ver- braucherschützer zur Politik von CDU/CSU und FDP, meine Damen und Herren. Schade, dass Sie daraus scheinbar nichts gelernt haben. Nach Umsetzung der europäischen Richtlinie in natio- nales Recht wird das ärgerlichste Problem im Bereich der Altfahrzeuge bald weitgehend der Vergangenheit an- gehören. Allein in Deutschland werden jährlich zehntau- sende Altautos durch Abstellen am Straßenrand oder in der Landschaft auf Kosten der Gesellschaft entsorgt. Die Kommunen zahlen dann den Preis, den viele Halter eines Fahrzeugs auf diese Weise sparen wollten. Das Gesetz gibt jetzt die Möglichkeit zur kostenlosen Rückgabe. Das „wilde Entsorgen“ wird damit aufhören. Das ist nicht nur eine Entlastung für die Umwelt, sondern auch für die stra- pazierten Haushalte der deutschen Kommunen. Erlauben Sie mir dazu einen kleinen Einschub als in Bayern geborener Mensch: insbesondere die bayerischen Kommunen werden sich über dieses Gesetz freuen. Deren Verschuldung ist wegen der Kürzungen der bayerischen Landesregierung im letzten Jahr nämlich schneller gestie- gen als in jedem anderen Bundesland. Zurück zum Altfahrzeug-Gesetz: Im nächsten Jahr wer- den wir das Monitoring der Entsorgung noch regeln müs- sen. Das ist klar. Da die Verordnung aber erst stückweise die Altfahrzeuge erfasst, ist für diese Regelung noch aus- reichend Zeit. Die kostenlose Rückgabe der Altfahrzeuge verankert in dieser Branche die Produktverantwortung fest in der Kreislaufwirtschaft. Damit setzen wir ein wichtiges Zeichen, dass wir beim Elektroschrott fortsetzen und mit- telfristig auch in anderen Bereichen der Abfallwirtschaft wirkungsvoll umsetzen sollten. Eine Debatte hatte es im Vorfeld über den Sinn und die Berechtigung von Stoffverboten gegebenen. Es ist gut, dass die europäische Richtlinie und unser nationales Ge- setz die Idee der Stoffverbote ab dem 1. Januar 2003 aufgenommen haben. Es ist eben eine Binsenwahrheit, dass bestimmte Stoffe umweltschädlicher sind als andere. Das Stoffverbot wird helfen, dass die Umweltbelastung durch die Schwermetalle Cadmium, Quecksilber, Blei und sechswertiges Chrom wirksam gesenkt wird. Stoffverbote umfassen den gesam- ten Lebenszyklus solcher gefährlichen Stoffe in der Um- welt. Die Gewinnung wird reduziert, die Verarbeitung ver- mieden und letztlich der Eintrag in die Umwelt verhindert. Alle Vorschläge anderer Regelungen übersehen völlig, dass auf allen diesen Stufen sonst Probleme für die Umwelt auf- träten. Mit einer Rücknahme gefährlicher Stoffe alleine ist es also nicht getan; wir brauchen Stoffverbote. Wenn diese Schadstoffe dann in anderen Abfällen nicht mehr vor- kommen, werden neue Verwertungsmöglichkeiten ge- schaffen und damit die Idee der Kreislaufwirtschaft wei- ter gestärkt. Stoffverbote kosten auch keine Arbeitsplätze, weil ja auch die aus anderen Stoffen hergestellten Teile produziert werden müssen. Meist geschieht dies übrigens mit einem höheren Beschäftigungseffekt, also mit mehr Arbeitsplätzen als zuvor. Ökonomisch wichtig war, heute bereits produzierte Er- satzteile und zugelassene Fahrzeugtypen vom Stoffverbot auszunehmen. Der sonst notwendige finanzielle Aufwand wäre nicht gerechtfertigt gewesen. Wir haben am Mittwoch im Umweltausschuss von CDU/CSU und FDP nur äußerst an den Haaren herbeige- zogene Punkte gegen das neue Gesetz gehört. Vor allem konnte die Opposition nicht erklären, wie sie denn die eu- ropäische Richtlinie in nationales Recht umsetzen will. Aber diese Umsetzung ist doch verbindlich vorgegeben. Die FDP behauptet, das Gesetz verhindere den Leichtbau bei Fahrzeugen und damit eine Möglichkeit zum Sprit- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. April 200223378 (C) (D) (A) (B) sparen. Liebe FDP, mit dieser Meinung stehen Sie aller- dings alleine da. Noch nicht einmal die Hersteller dieser Fahrzeuge verstehen oder teilen etwa sogar Ihren Ein- wand. Das wurde uns in Gesprächen sehr deutlich ge- macht. Warum ist das so? Nehmen wir einmal das viel be- staunte 1-Liter-Auto von VW. Das wesentliche Gewicht machen da der Magnesiumrahmen, das Fahrgestell, das Getriebe und der Motor aus. Dies alles ist vergleichsweise leicht zu recyceln, da es aus Metall ist. Die Kohlefaser- hülle ist beim Gewicht fast zu vernachlässigen. Die Quo- tenvorgaben des Altfahrzeuggesetzes orientieren sich aber am Gewicht, liebe FDP, sodass ihr Einwurf ins Leere geht, weil selbst das VW-Auto vermutlich bereits mit heu- tiger Technik die Quotenvorgaben einhielte. Die CDU/CSU nennt die Kosten für die Verbraucher als Grund für die angekündigte Ablehnung. Der CDU-Kollege Laufs zitierte dazu im Umweltausschuss einen Verwerterverband, der von bis zu 300 Euro Kosten pro Fahrzeug sprach. In den Niederlanden, die schon heute die Entsorgung von Altfahrzeugen nach einem Prin- zip regeln, wie wir es mit dem Gesetz einführen wollen, zahlt man nur noch gut 50 Euro. Woher kommt dieser Unterschied zwischen den Be- hauptungen der CDU/CSU und den Fakten aus unserem Nachbarland? Die übliche Übertreibung eines Verbands kann das alleine doch nicht sein, oder? Nein, CDU-Kol- lege Laufs verschweigt der Öffentlichkeit, dass die von ihm genannte Zahl nicht den Erlös aus Schrott und wieder zu verwendenden Bauteilen enthält. Er verschweigt also den wichtigen zweiten Teil der Rechnung, die Einnah- men. Wer so unseriös handelt, muss schon sehr schwache Argumente haben, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU. Die Finanzierung ist klar geregelt. Die Hersteller zah- len die kostenlose Rücknahme. Dafür werden sie steuer- freie Rückstellungen bilden, übrigens auch für die Fahr- zeuge, die zur weiteren Verwendung ins Ausland gebracht werden und niemals im Geltungsbereich der EU entsorgt werden. Davon profitieren besonders die Hersteller hoch- wertiger Fahrzeuge in Deutschland und deswegen trägt das Gesetz auch zur Harmonisierung von Wettbewerbs- chancen zugunsten Deutschlands bei. Apropos Harmonisierung: Der Fortschritt durch die Umsetzung der europäischen Richtlinie wird außerhalb Deutschlands noch größer sein. Hier waren bisher meis- tens die ökologischen Standards geringer als in Deutsch- land und werden jetzt deutlich angehoben. Ich nenne als Beispiele die hohen Verwertungsquoten und die Qualifi- zierungsanforderungen an die Entsorgungsbetriebe. 2006 sind 85 Prozent des Gesamtgewichts eines Fahrzeugs zu verwerten, 2015 sogar 95 Prozent. Dabei ist insbesondere die stoffliche Verwertung auf einem hohen Niveau vorge- schrieben. Dies wird einen Innovationsschub in Industrie und Verwerterbranche auslösen und damit zu neuen Ar- beitsplätzen führen. Auch das ist ein wichtiger Grund, dem Gesetz zuzu- stimmen. Im Bundesrat erwarte ich auch unter den neuen Mehrheitsverhältnissen eine Zustimmung, weil alle – ich wiederhole: alle – Anregungen des Bundesrates aufge- nommen wurden. Eine einzige Anregung fiel der Tatsache zum Opfer, dass sie der europäischen Richtlinie wider- sprochen hätte. Mein Fazit: Das Gesetz ist ökonomisch vernünftig. Das Gesetz ist ökologisch überfällig. Ich bitte Sie um Ihre Zustimmung. Dr. Paul Laufs (CDU/CSU): In Deutschland besteht ein erfolgreich funktionierendes, ökologisch effizientes, flächendeckend verfügbares Altautoentsorgungs- und -verwertungssystem, das auf der Grundlage einer freiwil- ligen Selbstverpflichtung aller betroffenen Wirtschafts- branchen und der bisherigen Altautoverordnung aufge- baut worden ist. Im vergangenen Jahr sind bereits 800 000 Altautos geordnet entsorgt und zu 75 Gewichtsprozent verwertet worden. Dieses System soll mit der Umsetzung der Altbau- richtlinie der Europäischen Union vom Oktober 2000 durch ein anderes, neues Regime ersetzt werden. Der be- währte runde Tisch der ARGE Altauto wird sich nun er- übrigen. Das neue Regime schließt freiwillige Vereinba- rungen aus, obwohl sie nach der Richtlinie möglich wären. Es wird die Kosten durch eine exzessive Umset- zung der EU-Richtlinie erheblich erhöhen und die Betei- ligten mit Vorschriften großer Regelungstiefe überziehen. Kernstück der Neuordnung ist die Durchsetzung äußerst hoher stofflicher Verwertungsquoten, die gerade von Um- weltpolitikern kritisch hinterfragt werden müssen, denn Materialkreisläufe lassen sich vollständig nicht immer ökologisch und wirtschaftlich sinnvoll schließen. Die Entsorgungskosten werden den Herstellern und Importeuren voll angelastet. Der Letzthalter kann sein Alt- auto kostenlos abgeben. Die entstehenden zusätzlichen Kosten von 100 bis 200 Euro und künftig auch deutlich mehr pro Kraftfahrzeug hat aber letztlich doch der Kunde zu tragen. Die Neuwagenpreise werden entsprechend stei- gen. Anders als in allen anderen EU-Mitgliedstaaten müs- sen die deutschen, exportorientierten Hersteller die hohen deutschen Entsorgungskosten insgesamt in den Neuwa- genpreis einrechnen, wodurch ihre Wettbewerbsfähigkeit verschlechtert wird. Dem Wunsch der Industrie, die Ent- sorgungskosten wenigstens zum Teil getrennt ausweisen zu dürfen, wurde nicht entsprochen. Die EU-Altautorichtlinie, für die diese Bundesregie- rung Mitverantwortung trägt, und damit auch das vorlie- gende Altautogesetz haben aus umweltpolitischer Sicht erhebliche Mängel. So beziehen sich die Verwertungs- quoten fast ausschließlich auf das stoffliche Recycling. Die thermische Verwertung wird nur marginal zugelassen. Dadurch wird die Einführung von Leichtbautechniken enorm erschwert. Das in diesen Tagen in der Presse vorgestellte Einliter- auto von Volkswagen ist in Ultraleichtbauweise gefertigt und wiegt gerade 290 Kilogramm. Seine Karosserie besteht aus Kohlenstofffaser-Verbundwerkstoff. Der erfolgver- sprechendste Weg, um im Verkehrsbereich die Treibstoff- verbräuche zu senken, ist in der Tat die Einführung der Leichtbauweise. Dafür bieten sich neben Leichtmetallen Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. April 2002 23379 (C) (D) (A) (B) insbesondere naturfaserverstärkte Kunststoffe, chemisch vernetzte Duroplaste und thermoplastische Faserverbund- werkstoffe an, wobei die Kohlenstofffaser besonders vielversprechend ist. Diese Materialien werden aus Erdöl gewonnen und lassen sich ausgezeichnet thermisch ver- werten. Die Menge der Leichtbauwerkstoffe in einem die- ser modernen Kraftfahrzeuge ist im Vergleich zum einge- sparten Treibstoff geradezu lächerlich gering. Es macht im Übrigen keinen Sinn, auf der stofflichen Verwertung von Kunststoffen in einer Volkswirtschaft zu bestehen, in der riesige Mengen von Erdöl direkt zur Wärmeerzeugung ver- brannt werden. Ein stoffliches Recycling dieser Leichtbau- werkstoffe ist dagegen sinnvoll nicht möglich. Natürlich können sie geschreddert, fein gemahlen und als einfache Füllstoffe irgendeiner Anwendung zugeführt werden. Dafür gibt es aber praktisch keine Märkte mehr, seit das Duale System Deutschland die nur sehr begrenzt vorhan- denen Absatzmöglichkeiten verstopft. Das Fazit dieser Feststellungen ist, dass Leichtbau- fahrzeuge mit einem hohen Anteil an Verbundwerkstoffen bei ihrer Entsorgung als Altauto nicht den Vorschriften des Altautogesetzes entsprechen und damit schon Pro- bleme mit der Typgenehmigung haben. Die Leichtbau- weise ist eine entscheidende Voraussetzung für ver- brauchsarme Fahrzeuge. Welchen Sinn macht es, wenn die Bundesregierung hohe Millionenbeträge für die For- schungsförderung von modernen Verbundwerkstoffen ausgibt und mit den Regelungen des Altautogesetzes de- ren Anwendung behindert? Ein Umsteuern hin zum Leichtbau erfordert langfristig angelegte Investitionsentscheidungen zu Forschung, Ent- wicklung und Markteinführung. Deshalb müssen die öko- logisch und ökonomisch unsinnigen stofflichen Verwer- tungsquoten in der EU-Richtlinie und im Altautogesetz so bald wie möglich korrigiert werden. Es ist nicht zu be- greifen, warum gerade auch in dieser Hinsicht die Revi- sionsklausel aus der EU-Richtlinie nicht übernommen worden ist, um uns in die Pflicht zu nehmen, schon vor Ende 2005 eine Überprüfung der Quoten voranzubringen. Die Umsetzung der EU-Richtlinie erfolgt nicht im Ver- hältnis 1:1. Allein der Bundesrat hat 55 Änderungsvor- schläge zum Kabinettsentwurf eingebracht, die zum großen Teil vernünftig sind und auch ganz überwiegend von der Bundesregierung und den Koalitionsfraktionen angenommen wurden. Trotzdem wird noch zulasten der deutschen Marktbeteiligten draufgesattelt. So müssen nur in Deutschland die Automobilzulieferer für alle in Repa- raturwerkstätten anfallenden Altteile ein Rücknahmenetz installieren, für das es noch keine alle Zulieferer umfas- sende Plattform gibt. Sie können also mit zusätzlichen Rücknahme- und Recyclingkosten belastet werden. Die Demontagebetriebe müssen mit beispiellos großer De- montagetiefe die Altautos zerlegen und Teile ausbauen – bis zu den Stoßdämpfern. Die Rücknahmestellen müssen auch Altautos annehmen, die nicht rollfähig oder nachträglich verändert oder Unfalltotalschäden sind, die sich nicht mehr demontieren lassen. Die EU-Richtlinie und damit auch das Altautogesetz enthalten Materialver- bote, die isoliert für die Automobilbranche wenig Sinn machen und in den laufenden Serienproduktionen bis 1. Juli 2003 schwer umsetzbar sind. Weitere Zusatzlasten werden den deutschen Herstel- lern und Importeuren durch neue steuer- und handels- rechtliche Vorschriften aufgebürdet. So werden den Unternehmen für die erforderlichen Rückstellungen für die Entsorgung so genannter Altfahrzeuge und Alt-Neu- fahrzeuge in Höhe vieler Milliarden Euro – die Bundes- regierung rechnet mit rund 10 Milliarden Euro bis 2030 – steuerliche Gestaltungsspielräume weggenommen und vorgeschrieben, Rückstellungen zeitanteilig in Raten an- zusammeln. Einige Automobilhersteller haben bereits Rückstellungen gebildet. Die Rückstellungen sollen aber nicht rückwirkend seit dem Jahr 2000, als die Verpflich- tungen dazu europarechtlich verbindlich wurden, sondern erst von diesem Jahr, 2002, an vorgenommen werden dür- fen. Wir lehnen diese systemwidrigen Manipulationen ab. Der Grundsatz der Produktverantwortung wird unein- geschränkt auf die Hersteller und Importeure angewandt. Dadurch geraten die mittelständischen Entsorgungsun- ternehmen in eine direkte Abhängigkeit als Zulieferer und müssen schwierige Kooperationsprobleme lösen. Auch hier ist der Mittelstand mehrfach unter Druck. Neben den Folgen einer äußerst belastenden Umsetzung der EU-Richtlinie in deutsches Recht unterliegt er auch noch starkem grenzüberschreitendem Wettbewerb, zum Bei- spiel mit der niederländischen subventionierten Entsor- gungswirtschaft. Ich möchte zusammenfassen: Das vorliegende Altau- togesetz ist aus umweltpolitischer Sicht in Deutschland nicht erforderlich und aus volkswirtschaftlicher Sicht von Nachteil. Es reguliert übermäßig, ist kostentreibend und enthält schwere Mängel. Wie die EU-Richtlinie in natio- nales Recht umgesetzt wurde, entspricht nicht den Inter- essen unseres Landes. Birgit Homburger (FDP): Die FDP begrüßt die Ziel- setzung der europäischen Altfahrzeugrichtlinie, wonach die Umweltbelastung durch Altfahrzeuge gemäß den Er- fordernissen des Binnenmarktes und ohne Wettbewerbs- verzerrungen verringert werden soll. Dazu müssen in den Mitgliedstaaten der EU einheitliche Anforderungen gel- ten. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung wird diesen Vorstellungen nicht gerecht. Die FDP lehnt den Gesetz- entwurf deshalb ab. Das vorgelegte Altfahrzeuggesetz ist ökologisch frag- würdig, ökonomisch unausgewogen und bedeutet eine einseitige Belastung Deutschlands als Standort der Auto- mobilwirtschaft im europäischen Wettbewerb. Dies wiegt umso schwerer, als Deutschland von den wirtschaftlichen Folgen der europäischen Altfahrzeugrichtlinie und ihrer Umsetzung in deutsches Recht besonders betroffen ist. Schon im vergangenen Jahr hat die FDP die Bundesregie- rung deshalb dazu aufgefordert, die Altfahrzeugrichtlinie ökologisch sinnvoll und ökonomisch verantwortlich in deutsches Recht umzusetzen. Die Appelle der FDP trafen bei Umweltminister Trittin wieder einmal auf taube Ohren. Die FDP hat die in der Richtlinie vorgesehene Quo- tenregelung als ökologisch kontraproduktiv entlarvt, weil eine Quotenregelung die Leichtbauweise behindert. Eine Recyclingpflicht, die auf das Gewicht von Fahrzeugteilen bezogen ist, setzt für Automobilkonstrukteure den wider- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. April 200223380 (C) (D) (A) (B) sinnigen Anreiz, herkömmliche und im Vergleich zu nach- wachsenden oder Verbundwerkstoffen relativ schwere Bauteile zu verwenden. Stahlbleche haben ein hohes Ge- wicht und erleichtern so die Erfüllung gewichtsbezogener Recyclingquoten. Relativ schwere Fahrzeuge haben aber einen höheren Kraftstoffverbrauch, was die Abgase im Straßenverkehr unnötig erhöht. Dieser ökologisch kon- traproduktive Effekt muss aus Klimaschutzgründen unbe- dingt vermieden werden. Aufgrund einer Anfrage der FDP-Fraktion hatte die Bundesregierung diesen Zusam- menhang schon im vergangenen Jahr zur Kenntnis nehmen müssen. Ausdrücklich hatte die Bundesregierung seinerzeit die ökologische Kritik der FDPan den Quotenvorgaben be- stätigt und erklärt, sich für eine Überprüfung der Quo- tenregelung einsetzen zu wollen. Die Ergebnisse sind mehr als enttäuschend: Nicht nur, dass die ökologisch unsinnigen Quoten erhalten geblieben sind. Weit schlimmer ist, dass die europäische Richtlinie eine Überprüfung der Quoten- ziele spätestens bis zum Jahresende 2005 vorsieht, der Ge- setzentwurf der Bundesregierung auf eine solche Revisi- onsklausel aber verzichtet. Auch die Mahnung der FDP, der betroffenen Automo- bilwirtschaft unverzüglich die Bildung von Rückstellun- gen für die ihr auferlegten Pflichten zu ermöglichen, wurde von der Bundesregierung ignoriert. Dies wird zu unnötigen und kostentreibenden Auseinandersetzungen führen. Im Übrigen ist die von der Bundesregierung vor- gesehene Änderung des Einkommensteuergesetzes nicht erforderlich und steuersystematisch hoch problematisch. Der sorgenvolle Blick auf die Kasse des Finanzministers verhindert einmal mehr sachgerechte Lösungen für die Umweltpolitik. Von diesen schwerwiegenden Mängeln abgesehen, ist der Gesetzentwurf im Vergleich zur Richtlinie unnötig dirigistisch. Spielräume für freiwillige Vereinbarungen mit den Betroffenen, die die Richtlinie ausdrücklich vor- sieht, werden zum Nachteil der deutschen Automobil- wirtschaft nicht genutzt. Dies gilt beispielsweise für die im Gesetzentwurf vorgesehenen Informationspflichten: Die EU-Richtlinie gestattet für die Umsetzung der Kenn- zeichnungsnormen und der Demontageinformationen die Nutzung freiwilliger Selbstverpflichtungen. Der Gesetz- entwurf der Bundesregierung lässt dazu keinen Raum, sondern setzt an dieser Stelle statt dessen allein auf ho- heitlichen Zwang. Die Umsetzung der europäischen Alt- fahrzeugrichtlinie in deutsches Recht folgt damit einem traurigen, mittlerweile aber leider vertrauten Prinzip rot- grüner Umweltpolitik: Mit bürokratischen, dirigistischen und kostentreibenden Vorschriften werden europäische Vorgaben übererfüllt, ohne dass ein erkennbarer Vorteil für die Umwelt erzielt würde. Das Nachsehen hat die deutsche Wirtschaft. Das ist das Gegenteil einer nachhal- tigen und ökologisch glaubwürdigen Umweltpolitik. Eva Bulling-Schröter (PDS): Es ist bezeichnend für die Stärke der Automobilindustrie in Europa, dass die Europäische Kommission an der Altfahrzeugrichtlinie über 10 Jahre arbeiten musste. Über die peinliche Rolle Deutschlands und speziell die des Bundes- und Auto- kanzlers Gerhard Schröder dabei, haben wir hier schon mehrfach gesprochen. Wir begrüßen, dass die Fahrzeuge mit diesem Umset- zungsgesetz kostenlos zurückgenommen werden müssen. Somit wird zwar nicht ganz dem Verursacherprinzip ent- sprochen – nicht nur der Hersteller, sondern auch der Nut- zer ist ja Verursacher –, aber es wird dem wilden und ille- galen Entsorgen ein Riegel vorgeschoben. Wir begrüßen auch die hohen Wiederverwendungs- und Verwertungsquoten. Allerdings sind die Zeiträume, 2006 bzw. 2015, sehr lang. Unverständlich ist für uns, dass nur Fahrzeuge, die nach dem 1. Juli 2002 erstmals zugelassen wurden, ab die- sem Zeitpunkt kostenlos zurückgenommen werden. Für die übrigen Altfahrzeuge wird die kostenlose Rücknahme erst ab 2007 gesichert. Hier wäre auch EU-konform ein früherer Zeitpunkt denkbar gewesen. Beispielsweise die kostenlose Rücknahme aller Altfahrzeuge ab 1. Januar 2003. Somit wäre die illegale Entsorgung auch für die 5 Jahre vom Tisch. Steuerlich kann die Autoindustrie zufrieden sein. In kaum einem anderen Land werden die Rückstellungen steuerlich so großzügig behandelt wie in Deutschland. Hierzulande können die Entsorgungsrückstellungen für Autos steuerlich geltend gemacht werden. Somit bezahlt die Allgemeinheit über das Rückstellungsmodell, das Zinsvorteile zumindestens ermöglicht, einen Teil der Autoschrottbeseitigung. Selbst in der ultrakonservativen USA ist so etwas nicht möglich. Wie im Ausschuss zu erfahren war, ist Deutschland da- bei haarscharf an einer Klage der anderen europäischen Automobilhersteller vorbeigeschrammt. Kein Wunder, denn es könnten Subventionen sein, jedenfalls dann, wenn Rückstellungen nicht fürs Recyceln verbraucht, sondern irgendwann aufgelöst werden, also wenn diese Rückstel- lungen der Höhe oder dem zeitlichen Horizont nach unan- gemessen hoch sind. Den öffentlichen Haushalten in Deutschland gehen durch die Rückstellungen in diesem Jahr 248 Millionen Euro verloren. Angesichts dieser Summe und dem innigen Verhältnis der Bundesregierung zu „ihren“ Automobil- konzernen ist wenigstens ein gesundes Grundmisstrauen angebracht, und zwar dagegen, ob diese Viertelmilliarde wirklich die entsprechenden zeitnahen Aufwendungen re- präsentiert und ob die Abzinsungsregelungen im Gesetz tatsächlich mögliche Zinseffekte ausgleicht. Summa sumarum halten wir das Gesetz umweltpoli- tisch für einen Fortschritt; denn es löst die weitaus schlechtere deutsche Verordnung von 1997 ab. Aber auf- grund der geschilderten Mängel enthalten wir uns. Jürgen Trittin, Bundesminister für Umwelt, Natur- schutz und Reaktorsicherheit:Wir bringen heute ein lang- wieriges und leidiges Kapitel der Wirtschafts- und Um- weltpolitik zu einem guten Ende: Wir haben eine zukunftsfähige Lösung, die den hohen Materialaufwand der Autoproduktion künftig verringern wird. Ich danke den Ländern, die aufgrund ihrer Vollzugskompetenz etli- che sinnvolle Details ergänzt haben, und ich danke den beratenden Ausschüssen für die kooperative Beratung. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. April 2002 23381 (C) (D) (A) (B) Deutschland als einer der europa- und sogar weltweit führenden Automobilhersteller setzt damit als eines der ersten Länder die europäische Altfahrzeug-Richtlinie und damit das Prinzip der Produktverantwortung in der Kfz-Industrie um. Die rot-grüne Koalition hat sich vor dreieinhalb Jahren zum Ziel gesetzt, die Ökologisierung der Wirtschaft in allen Bereichen einzuleiten. In der Ener- gie- und Klimapolitik haben wir unsere größten Erfolge, da ist unsere Vorreiterrolle international anerkannt. Aber auch im Verkehr haben wir mit der gleichberechtigten Förderung der Schiene, mit der Ökosteuer, schadstoffar- mem Treibstoff, der Maut und der verkehrsmittelunab- hängigen Kilometerpauschale eine Trendwende erreicht. Das Altfahrzeug-Gesetz ist ein weiterer wichtiger Bau- stein, um den Gesamtkomplex Verkehr ressourcenscho- nender und damit zukunftsfähiger zu gestalten. Dazu verhelfen: die kostenlose Rückgabemöglichkeit des Letzthalters – sie ist ökologisch sinnvoll und sozial gerecht; die unentgeltliche Rücknahmepflicht der Her- steller, eine Gesamtverwertungsquote ab dem Jahr 2006 85 Prozent – ab 2015 95 Prozent – und eine Recycling- quote von 80 Prozent – ab 2015 85 Prozent und das Ver- bot von Stoffen wie Blei, Quecksilber, Cadmium und Chrom-IV-Verbindungen. Wenn die Automobilhersteller die Altautos zurückneh- men und die Kosten der Entsorgung tragen müssen, haben sie ein Interesse, die Kosten dafür gering zu halten. Das Gesetz lässt die Wahl zwischen verschiedenen Möglich- keiten: Sie können die Quote der wiederverwertbaren Einzelteile sogar übererfüllen. Sie können Materialien verwenden, die ohne große Probleme entsorgt werden können; also zum Beispiel giftige Schwermetalle meiden. Sie können Autos bauen, die sehr lange laufen, weil man sie in ihren Einzelteilen jederzeit modernisieren und opti- mal reparieren kann. Wir haben mit der Altfahrzeug-Richtlinie einen Pro- zess eingeleitet, der die Automobilindustrie fit für das 21. Jahrhundert macht. Denn klar ist: Im 21. Jahrhundert werden Rohmaterialien sehr viel teurer werden. Auto- mobilkonzerne werden den Ressourcenverbrauch redu- zieren und Stoffkreisläufe entwickeln wollen. Die Bundesregierung hat darauf insistiert, dass die Er- zeuger – und nicht, wie von der Industrie gewünscht: die Halter – die Kosten für die Entsorgung tragen; nicht weil wir halsstarrig wären oder die Industrie triezen wollten, sondern weil nur das einen Lenkungseffekt bietet. Die Automobilhersteller bekommen so ein Interesse an langlebigen, modernisierbaren, gut reparierbaren und vor allem verwertungsoptimierten Kraftfahrzeugen. Genau für diese Entwicklung stellen wir heute die Weichen, in- dem wir Produktverantwortung zum Prinzip machen und den Herstellern die Entsorgungskosten übertragen. Denn nur das schafft den Anreiz, sich in Richtung Zukunft zu orientieren. Klar werden die Hersteller Kosten an die Käufer von Neuwagen weitergeben. Durchschnittlich werden das rund 0,5 Prozent sein, also etwa 100 Euro. Wer diese Kos- ten geringer hält, hat bei den Kunden einen Marktvorteil. Genau das wollen wir erreichen. Wir haben auch den Autokonzernen, die erst Rück- lagen für die Entsorgung bilden müssen, dafür die nötige Zeit gegeben. Trotzdem haben wir es geschafft, die Richt- linie als eines der ersten Länder in Europa umzusetzen. Die Vorgeschichte hätte das nicht vermuten lassen. Heute aber, wo auch die Automobilindustrie dem Bundes- umweltminister zustimmt, dass sich die Rückstellungs- frage so lösen lässt, wie er das schon vor drei Jahren vorgeschlagen hat, sollten wir diese Meinungsverschie- denheiten beiseite legen. Heute gilt: Alle haben mit dem neuen Altautogesetz gewonnen: die Umwelt durch ein Stück mehr Kreislauf- wirtschaft und Produktverantwortung, die Automobilin- dustrie, weil sie so fit wird für eine Zeit, in der hoher Res- sourcenverbrauch ein Produkt unverkäuflich macht und smarte Produkte Marktvorteile bringen. Anlage 11 Zu Protokoll gegebene Reden zurBeratung des Entwurfs eines Gesetzes zurÄn- derung des Steuerbeamten-Ausbildungsgesetzes Lydia Westrich (SPD):Als ehemalige Finanzbeamtin ist für mich in erster Linie die Änderung des Steuerbeam- ten-Ausbildungsgesetzes von Interesse, obwohl es darin noch eine Fülle von Änderungen weiterer Steuergesetze gibt. Solch ein Gesetzespaket, wie es uns heute vorliegt, nennen die Parlamentarier „Omnibusgesetz“. Es ist nicht sehr beliebt, aber häufig. Die Diskussion um die so genannten „Omnibusge- setze“ kenne ich schon seit ich im Finanzausschuss bin. Sie sind einerseits notwendig, um aufgetauchte redaktio- nelle Fehler bei der ersten Möglichkeit zu bereinigen, da- mit schnell Rechtssicherheit vorhanden ist. Sie wissen aus der langen Gesetzgebungspraxis genau, dass ein verges- senes Wort, falsches Komma oder fehlender Verweis oft ungewollte finanzielle Folgen nach sich ziehen. Die übliche Praxis, das im nächstfolgenden Gesetz schnell richtig zu stellen, ist für uns alle sinnvoll und ge- wünscht. Und natürlich war schon immer auch die eine oder andere materielle Änderung dabei. Wie Sie alle diese Praxis schon verinnerlicht haben, zeigen ja die gestellten zusätzlichen Änderungswünsche. Auch die Sachverstän- digen haben in der Anhörung trotz Kritik zusätzlich neue Forderungen erhoben. Ich behaupte ja nicht, dass diese langjährige Praxis zu mehr Transparenz beiträgt. Aber sie ist zügig und effizient. Effizient ist auch die Ausbildung der Steuerbeamten. Sie genießt innerhalb und außerhalb der Verwaltung, auch in der Wirtschaft, ein hohes Ansehen. Es gibt dement- sprechend auch viele Abwerbungsversuche. Wenn ich bei mir zu Hause das Telefonbuch aufschlage, finde ich bei den Steuerberatern und Wirtschaftsprüfungsgesellschaf- ten die Namen vieler ehemaliger Kollegen. Das weist auf das anspruchsvolle Niveau der Ausbildung hin. Nicht sel- ten erreichen die Beamten beim Weiterstudium über- durchschnittliche Studienabschlüsse. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. April 200223382 (C) (D) (A) (B) Aber Ziel der guten Ausbildung ist es, die motivierten Beamten bei der Verwaltung zu halten und ihre Ausbil- dung den Erfordernissen einer modernen Dienstleistungs- behörde anzupassen. Deshalb wird die Ausbildungszeit verlängert, um andere Lerninhalte wie Methodik und so- ziale Kompetenz dem komplexen Fachwissen hinzufügen zu können. Dass die Berufsbezeichnung „Finanzwirt oder Finanzwirtin“ für den mittleren Dienst noch mal aus- drücklich bestätigt wird, war längst überfällig. Das duale Ausbildungssystem mit dem hohen Praxisbezug bleibt uneingeschränkt erhalten. Insgesamt sind die Änderungen des Steuerbeamten- Ausbildungsgesetzes Garantie dafür, dass die hohe Qua- lität der Ausbildung weiterentwickelt wird. Die Steuerbe- amten sollen optimal gerüstet sein, den Zielen Sicherung der Einnahmen des Staates und einheitliche Anwendung der Steuergesetze sowie den Anforderungen einer moder- nen Dienstleistungsbehörde zu entsprechen. Ich hoffe, dass die Ausbildungsverordnungen bald diesem Anspruch gerecht werden, um das Steuerbeamten-Ausbildungsge- setz mit Leben zu erfüllen. Über die redaktionellen Änderungen oder weiteren Steuergesetze habe ich schon etwas gesagt. Bei den materiellen Änderungen sticht vor allem die Beibehaltung der Steuerklasse II für Alleinerziehende hervor. Sie wissen, dass das Bundesverfassungsgericht im Haushaltsfreibetrag einen ungerechtfertigten Vorteil der Alleinerziehenden im Vergleich zu verheirateten Eltern gesehen hat. Wir haben ihn nicht gleich abgeschafft, son- dern schmelzen ihn mit Wirkung vom 1. Januar 2002 stu- fenweise bis 2005 ab bei gleichzeitiger Einführung des neuen Freibetrages für Betreuung, Erziehung oder Aus- bildung der Kinder. Diese „sanfte Abschmelzung“ bei gleichzeitiger Anhebung der pauschalen Freibeträge und des Kindergeldes war verfassungsmäßig nicht geboten, wie es auch jetzt in der Anhörung noch mal deutlich wurde. Deshalb hat sie ursprünglich auch nur für die so genannten „Altfälle“ vor dem 1. Januar 2002 gegolten. Aber es ist eigentlich nur Zufall, ob ein Kind Ende De- zember 2001 oder Januar 2002 geboren wird. Deshalb hat die sozialdemokratische und grüne Regie- rungskoalition nach sorgfältiger juristischer Prüfung be- schlossen, die Abschmelzungsregelung rückwirkend für alle Alleinerziehenden wirken zu lassen. Die Idee ist nir- gendwo abgeguckt. Sie ist in der Diskussion und Über- prüfung seit Verabschiedung des Steuersenkungsgesetzes und bei der ersten Möglichkeit wird es umgesetzt. Ich hoffe nur, dass der Bundesrat dann auch noch zustimmt, damit wir die Schieflage bei den Alleinerziehenden berei- nigen können. Damit führen wir die gute Bilanz unserer Familienleis- tungen fort. Ich erinnere Sie: 1998: 220 DM Kindergeld und 6 912 DM Kinderfreibetrag. 2002: 301 DM oder 154 Euro Kindergeld monatlich und 11 360 DM oder 5 808 Euro Kinderfreibetrag, zusätzlich erstmalig im deutschen Steuerrecht der Abzug erwerbsbedingter Be- treuungskosten bis zu 1 500 Euro. Man muss es immer wiederholen. Den von der Opposition eingebrachten Änderungswün- schen können wir nicht entsprechen. Bei der Senkung der Gewerbesteuerumlage sagte selbst der Vertreter des Bun- des der Steuerzahler: Man müsse die prekäre Finanzlage von Bund und Ländern bedenken. Außerdem ist Ihnen vom Kollegen Bernd Scheelen wiederholt erklärt worden, dass von einer Senkung der Gewerbesteuerumlage gerade die Kommunen kaum profitieren, die hohe Einbrüche in den Gewerbesteuereinnahmen haben. Nicht Aktionismus, sondern eine solide Sicherung der Gemeindefinanzen ist geboten. Und wir sollten gemeinsam drängen, dass die Kommission endlich ihre Arbeit aufnimmt, damit wir ei- nen fairen Gemeindefinanzausgleich erhalten und die Kommunen eine sichere finanzielle Basis erhalten. Dasselbe gilt für den § 370 a AO. Er hat die Zielrich- tung, gewerbemäßige und bandenmäßige Steuerkriminelle wirksam bekämpfen zu können. Diese Ziele teilen wir alle. Kleine Sünder sind nicht gemeint. Ich bin überzeugt da- von, dass die Steuerverwaltung die Verhältnismäßigkeit der Vorgänge durchaus bewusst beurteilen kann und die Selbstanzeige als Instrument weiter wirkt. Wir brauchen endlich wirksamen Schutz der ehrlichen Steuerzahler vor kriminellen Elementen. Da helfen keine „weichen“ Paragraphen. Allerdings müssen wir die Ent- wicklung im Auge behalten, dasselbe gilt für die Steuer- nummer auf der Rechnung. Insgesamt hoffe ich, dass mit Ihrer Zustimmung die Verbesserungen für die auszubildenden Steuerbeamten und die Alleinerziehenden schnell in Kraft treten können. Hansgeorg Hauser (Rednitzhembach) (CDU/CSU): Mit der Vorlage eines Entwurfs eines 5. Gesetzes zur Än- derung des Steuerbeamten-Ausbildungsgesetzes im Fe- bruar 2002 schien ein routinemäßiger Ablauf einer Geset- zesänderung seinen Anfang genommen zu haben. Die Beratungen im Bundesrat ergaben nur geringfügige Ver- änderungen, sodass einer Verabschiedung dieses Gesetzes auch mit den Stimmen der CDU/CSU nichts im Wege zu stehen schien. Regierung und Koalitionsfraktion nahmen jedoch dieses Gesetz zum Anlass, für eine groß angelegte Korrekturaktion in neun Steuergesetzen und zwei Durch- führungsverordnungen. Die zum Teil erheblichen Auswir- kungen bringen Verschlechterungen für die Wirtschaft, während andererseits weitere dringend erforderliche Än- derungen, die die CDU/CSU-Fraktion eingebracht hatte, im Finanzausschuss abgelehnt wurden. Die vorgenommenen Korrekturen zeigen, dass bei den früheren Gesetzen in einem großen Ausmaß schludrig ge- arbeitet wurde. Die Fantasie bei der Umschreibung des Begriffs „Fehler“ ist allerdings beispiellos. Da ist von Klar- stellung, Berichtigung, Sicherstellen, Anpassung, Verdeut- lichungen und notwendigen Ergänzungen die Rede. Allein fünfmal wird von einem redaktionellen Versehen gespro- chen. Ein „unbeabsichtigt gestrichener Satz“ muss in ein zu korrigierendes Gesetz wieder eingefügt werden. Besonders blumig ist die Formulierung, die Regelung sei notwendig, um „eine Versteinerung“ des durch dieses Gesetzes geän- derten Teils der Gewerbesteuerdurchführungsverordnung usw. zu vermeiden. Wenn die Koalitionsfraktionen und die für die Abfassung der Gesetze verantwortlichen Re- gierungsmitarbeiter die gleiche Sorgfalt und Phantasie auf wirklich notwendige zusätzliche Gesetzesänderungen Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. April 2002 23383 (C) (D) (A) (B) verwendet hätten, wäre aus diesem Moloch von Gesetzes- änderungen vielleicht doch noch etwas Brauchbares he- rausgekommen. Dazu war die Regierungskoalition aber nicht bereit. Bei der Änderung des § 3 c Abs. 2 des Einkommen- steuergesetzes spricht die Gesetzesbegründung von einer redaktionellen Änderung. Allerdings hat sich bei der Dis- kussion im Ausschuss herausgestellt, dass die vorgenom- mene Änderung eine erneute Verschlechterung für Perso- nengesellschaften bedeutet. Im Falle der Veräußerung von einbringungsgeborenen Anteilen ist der Veräußerungs- vorgang voll steuerpflichtig, wenn die Veräußerung in- nerhalb von sieben Jahren nach dem Zeitpunkt der Ein- bringung erfolgt. Nach der derzeitigen Fassung des § 3 c sind die damit zusammenhängenden Betriebsvermögens- minderungen, Betriebsausgaben und Veräußerungskosten deshalb auch voll abzugsfähig. Nach der jetzt im Steuerbe- amten-Ausbildungsgesetz vorgenommen Änderung sind die damit genannten Kosten nur noch zu 50 Prozent ab- zugsfähig. Dieses Ergebnis ist in hohem Maße system- widrig und ungerecht. Es steht außerdem im Widerspruch zu einer vergleichbaren Regelung im Körperschaftsteuer- gesetz, wo Gewinne aus der Veräußerung von einbrin- gungsgeborenen Kapitalanteilen zu 100 Prozent steuer- pflichtig sind und die damit zusammenhängenden Kosten voll abziehbar sind. Auch bei einer weiteren materiellen Änderung im Ge- setz wird nur eine halbherzige Lösung erreicht. Künftig wird im Umsatzsteuergesetz auch eine Rechnung mit ei- ner qualifiziert elektronischen Signatur zugelassen. Die Behauptung, es handele sich hier um eine punktgenaue Umsetzung einer europäischen Richtlinie trifft nur einge- schränkt zu. Ab 1. Januar 2004 werden aufgrund der Än- derung der 6. EG-Richtlinie elektronisch übermittelte Rechnungen akzeptiert, die entweder durch eine „fortge- schrittene elektronische Signatur“ oder durch „elektroni- schen Datenaustausch“, EDI, übermittelt werden. In der Finanzausschusssitzung hat sich darüber hinaus heraus- gestellt, dass offenbar juristische Personen elektronische Rechnungen nicht verwenden können. Deshalb musste das Bundesfinanzministerium auch zugeben, dass aus diesem Grund ein BMF-Schreiben zu erstellen ist. Ohne die massiven Nachfragen der Union wäre diese Proble- matik nicht bewusst geworden. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat drei substanzi- elle Änderungsanträge gestellt, die leider keine Mehrheit fanden. Im Steuerverkürzungsbekämpfungsgesetz ist eine Re- gelung aufgenommen worden, die in Fachkreisen einhel- lig kritisiert und abgelehnt worden ist. Der neu eingefügte § 370 a Abgabenordnung über die gewerbsmäßige oder bandenmäßige Steuerhinterziehung schießt eindeutig über das Ziel hinaus. Unser Antrag sah vor, dass die Wör- ter „gewerbsmäßig oder“ gestrichen werden sollten, so- dass nur die bandenmäßige Steuerhinterziehung erwähnt wird. Wir sind der Auffassung, dass der Tatbestand unge- nau gefasst ist, soweit die gewerbsmäßige Steuerhinter- ziehung mit qualifizierter Strafe bedroht ist. Nach der her- kömmlichen Definition dieses Begriffs könnten darunter auch Steuerpflichtige verstanden werden, die lediglich wiederholt den Grundtatbestand der Steuerhinterziehung verwirklicht hätten. Nicht gewollt war außerdem, dass in den Fällen des § 370 a keine strafbefreiende Selbstanzeige möglich ist. Da darüber hinaus völlig ungeklärt ist, wie sich die Vorschrift des § 370 a im Hinblick auf den Tatbe- stand der Geldwäsche bei Entgegennahme von Honoraren durch Steuerberater oder Rechtsanwälte auswirkt, sollte die gewerbsmäßige Begehungsform im § 370 a Abgaben- ordnung wieder aus dem Gesetz gestrichen werden. Mit dieser Forderung wird die CDU/CSU von der gesamten Fachwelt unterstützt. Offenbar ist den Regierungskoalitionsfraktionen selbst unwohl bei der jetzigen Regelung; denn zumindest das Bündnis 90/Die Grünen hat sich bei unserem Änderungs- antrag der Stimme enthalten. Der Hinweis der SPD-Frak- tion, dass sich die Problematik hinsichtlich des weiten Begriffs „Gewerbsmäßigkeit“ durch eine gemeinsame Vereinbarung mit den Ländern lösen lassen könne, ent- larvt die Taktik der SPD in der Steuerpolitik: Zunächst neuartige Vorschriften ausprobieren, man wird dann schon sehen, wie die Praxis damit zurechtkommt. Von Rechtssicherheit wollen die Genossen offenbar nicht wis- sen! Ein weiterer Antrag der Union betrifft die ersatzlose Streichung der in § 14 Abs. 1 a Umsatzsteuergesetz vor- gesehenen Nennung der Steuernummer. Wir halten die gesetzliche Verpflichtung ab 1. Juli 2002 auf jeder Rech- nung die persönliche Steuernummer anzugeben, für einen überflüssigen nationalen Alleingang. Denn ab dem 1. Ja- nuar 2004 ist durch die Änderung der 6. EG-Richtlinie zwingend auf jeder Rechnung die Umsatzsteueridentifi- kationsnummer anzugeben. Es ist den Unternehmen nicht zuzumuten, in doppelter Weise Umstellungskosten bei Rechnungsformularen zu bezahlen. Durch die Bekannt- gabe der persönlichen Steuernummer auf jeder Rechnung könnte auch die bisher übliche Praxis, dass telefonische Auskünfte bei der Finanzbehörde unter Angabe der Steu- ernummer eingeholt werden können, in Gefahr geraten. Es ist zu befürchten, dass künftig telefonische Auskünfte wegen der Einhaltung des Steuergeheimnisses nicht mehr oder nur noch in einem geringen Umfang möglich sind. Damit wäre eine vertrauensvolle Zusammenarbeit zwi- schen Finanzämtern und Steuerpflichtigen beziehungs- weise deren Steuerberatern nicht mehr gewährleistet. Schließlich hat die CDU/CSU-Bundestagsfraktion die Absenkung der Gewerbesteuerumlage gefordert. Der Re- gierung ist seit geraumer Zeit bekannt, dass die finanzielle Lage der Kommunen äußerst angespannt ist. Die stark rückläufigen Einnahmen bei der Gewerbesteuer resultie- ren zum einen aus der schwachen Konjunktur, aber auch durch die Belastungen aus zahlreichen rot-grünen Steuer- gesetzen. Die Gewerbesteuereinnahmen brachen in 2001 durchschnittlich um 12 Prozent ein. Die gravierenden Fol- gen schlechter rot-grüner Wirtschafts- und Steuerpolitik werden immer deutlicher. Deshalb wäre es dringend ge- boten, in dem vermutlich letzten Steuergesetz dieser Le- gislaturperiode, die Gewerbesteuerumlage, die die Ge- meinden an Bund und Länder zu entrichten haben, zu ändern und wieder auf das Niveau vor der Unternehmen- steuerreform zurückzufahren. Durch die Unternehmen- steuerreform wurde seinerzeit die Gewerbesteuerumlage stufenweise erhöht, um die Gemeinden angemessen an Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. April 200223384 (C) (D) (A) (B) der Finanzierung der Unternehmensteuerreform zu betei- ligen. Mittlerweile hat sich herausgestellt, dass die für die Gemeinden noch im damaligen Gesetzgebungsverfahren prognostizierten Mehreinnahmen nicht eingetreten sind. Außerdem ist mit dem Verzicht auf die Anpassung der Branchenabschreibungstabellen eine der versprochenen Gegenfinanzierungsmaßnahmen der Unternehmensteuer- reform weggefallen. Damit ist die Geschäftsgrundlage für die Anhebung der Gewerbesteuerumlage entfallen. Im Übrigen war auch das vorgesehene Finanzierungsinstru- ment völlig falsch gewählt. Die für das Steuerbeamten- Ausbildungsgesetz durchgeführte öffentliche Anhörung hat deutlich gemacht, dass die Absenkung der Gewerbe- steuerumlage den Kommunen wieder Luft verschaffen würde. Die Kommunen hätten dadurch jährliche Mehr- einnahmen in Höhe von circa 2,3 Milliarden Euro. Leider wurde dieser Antrag abgelehnt. Dies zeigt, dass die Ko- alitionsfraktionen SPD und Bündnis 90/Die Grünen, ent- gegen den lautstarken Äußerungen in der Öffentlichkeit, offensichtlich an einer finanziellen Stärkung der Kommu- nen nicht interessiert sind. Im Finanzausschuss haben sie es nicht einmal für nötig gefunden, darüber eine tiefer ge- hende Diskussion zu führen. Wie eingangs ausgeführt, hätten wir dem Steuerbeam- ten-Ausbildungsgesetz in seiner ursprünglichen Form zu- gestimmt. Durch die Anhäufung von Änderungen, die mit ihren gravierenden materiellen Auswirkungen weitere Verschlechterungen für die Wirtschaft bringen, ist eine Zustimmung jedoch unmöglich gemacht, sodass wir die- ses Gesetz ablehnen. Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):Mit dem Fünften Gesetz zur Änderung des Steuerbeamten- Ausbildungsgesetzes werden die Inhalte und Abläufe der Aus- und Fortbildung der Steuerbeamten der Länder den modernen Erfordernissen einer effizienten, dienstleis- tungs- und bürgerorganisierten Verwaltung angepasst. Die Vorschriften des Bundes werden mit den dienstrecht- lichen Regelungen der Länder harmonisiert. Daneben werden eine Reihe von anderen Gesetzesän- derungen zu anderen Themen vorgenommen. Im Mittel- punkt des öffentlichen Interesses steht die Gesetzesände- rung in der Familienförderung, die alle Alleinerziehenden in die Abschmelzungsregelung beim Haushaltsfreibetrag einbezieht. Bislang kommen die so genannten echten und unechten Neufälle nach dem Zweiten Familienförde- rungsgesetz gar nicht mehr in den Genuss der Steuerent- lastung durch den Haushaltsfreibetrag. Damit wird die stufenweise Abschmelzung des Haushaltsfreibetrags auf 2 340 Euro zum 1. Januar 2002 und die weitere Absen- kung auf 1 188 Euro ab 1. Januar 2003 und auf null Euro ab 2005 im Sinne der Gleichbehandlung auf alle Allein- erziehenden angewandt. Die Steuerklasse II existiert da- mit bis einschließlich 2004 weiter. Das Bundesverfassungsgerichtsurteil aus dem Jahre 1998 erzwingt den Abbau des Haushaltsfreibetrages. In- folgedessen kommt es insbesondere in den Jahren 2003 und 2005 für Alleinerziehende zu finanziellen Belastun- gen. Bündnis 90/Die Grünen fordert deshalb seit langem eine gezielte Kompensation für diese finanziellen Nach- teile. Wir wollen grundsätzlich, dass die erwerbsbeding- ten Kinderbetreuungskosten vom ersten Euro an steuer- lich abzugsfähig werden. Mit dieser Förderung soll ein Beitrag dafür geleistet werden, die Vereinbarkeit von Be- rufstätigkeit und Familienaufgaben besser vereinbaren zu können. Die Förderung würde alle berufstätigen Eltern begünstigen – nicht nur die Alleinerziehenden – und ist deshalb verfassungsgemäß. Aus finanzpolitischen Gründen haben wir bereits im letzten Jahr eine Stufenlösung erarbeitet, die im Ergebnis zur vollen Absetzbarkeit der erwerbsbedingten Betreu- ungskosten führt und nicht wie bislang erst oberhalb des allgemeinen Betreuungsfreibetrages von 1 548 Euro. Diese Regelung ist sozial unausgewogen im Hinblick auf das politische Ziel, die Vereinbarkeit von Beruf und Fa- milie zu erleichtern. In vielen Bundesländern fehlen Kinderbetreuungsein- richtungen und Ganztagsschulplätze für Kinder zwischen 0 und 14 Jahren. Deshalb wollen wir ein bedarfsorientier- tes sowie flächendeckendes Betreuungsangebot in der nächsten Wahlperiode auf den Weg bringen. Unseres Er- achtens muss im Rahmen der Gemeindefinanzreform die Finanzierungsfrage für diesen Infrastrukturaufbau zwi- schen Bund, Ländern und Gemeinden mit geklärt werden. Eine Größenordnung von 5 Milliarden Euro lässt sich nicht aus dem Ärmel schütteln, sondern bedarf eines se- riösen Finanzierungskonzepts. Für besonders dringlich halten wir die Realisierung un- seres Kindergrundsicherungskonzepts. Kinderarmut in ei- ner reichen Gesellschaft ist ein Skandal. Wir wollen zielge- nau Kinder aus einkommensschwachen Familien fördern. Für diese Familien soll es einen Kindergeldzuschlag von bis zu 100 Euro pro Monat geben. Über 4 Millionen Kinder würden von dieser Kindergrundsicherung erreicht und aus dem Sozialhilfestatus herausgeholt. Die Finanzierung dieser Kindergrundsicherung soll mithilfe einer Modernisierung des Ehegattensplittings er- folgen. So soll bei unterschiedlich hohen Einkommen beider Ehegatten ein Teil des Einkommens des einen Ehe- gatten, nämlich bis zu rund 20 000 Euro, auf den anderen Ehegatten übertragbar sein. Gleichzeitig soll die Geltend- machung von Sonderausgaben weiterhin gemeinsam er- folgen; das betrifft vor allem die Vorsorgeaufwendungen. Mit dieser Regelung werden Schlechterstellungen bei Al- leinverdienerehen mit einem Einkommen von bis zu rund 45 000 Euro pro Jahr vermieden. Die hierdurch erzielten Steuermehreinnahmen wollen wir für die Förderung von Familien mit Kindern in prekären Einkommensverhält- nissen verwenden. Außer dieser zielgenauen Armutsbekämpfung verfol- gen wir weiter unser Ziel eines einheitlichen Kindergeldes. Das Kindergeld soll stufenweise von derzeit 154 Euro auf 200 Euro pro Monat und Kind steigen. Es soll in der mittelfristigen Perspektive genau so hoch werden, wie die finanzielle Entlastung eines Spitzenverdieners durch den Kinderfreibetrag im Jahre 2005 infolge der dritten Stufe der Steuerreform sein wird. Wir meinen, dass jedes Kind dem Staat gleich viel wert sein muss. Carl-Ludwig Thiele (FDP):Mit diesem Gesetzesent- wurf wird anders als der Titel erwarten lässt, nicht mehr das Steuerbeamten-Ausbildungsgesetz geändert, sondern Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. April 2002 23385 (C) (D) (A) (B) die rot-grüne Flickschusterei und Chaotisierung des Steu- errechtes erreicht einen neuen Höhepunkt. Mit diesem Gesetz sollen elf Steuergesetze geändert werden. Es ist schon makaber, wenn die Regierung diese notwendigen Änderungen damit begründet, dass es sich lediglich um „redaktionelle Änderungen und Korrekturen, sowie Klar- stellungen im letzten Jahr beschlossener Regelungen“ handeln würde. Rot-Grün war einmal angetreten, das Steuerrecht zu vereinfachen. Das Gegenteil ist zwischenzeitlich einge- treten. Noch nie sind in einer Legislaturperiode so viele Steuergesetze vom Bundestag verabschiedet worden. Die Abstände der Gesetze und der Korrekturbedarf werden zudem immer kürzer. Dieses ist eine ungeheure Verant- wortungslosigkeit, auch gegenüber den Menschen, die sich mit der Materie der Steuern zu beschäftigen haben. Jedes Steuergesetz, was Rot-Grün einbringt, wird regel- mäßig im Zuge des Verfahrens vom Finanzministerium dazu genutzt, neue verschärfende Regelungen zulasten der Steuerpflichtigen einzuführen. Die rot-grünen Abge- ordneten sind hierbei unter dem Vorsitz von Frau Scheel im Finanzausschuss willfährige Diener der Finanzverwal- tung. Von Eigenständigkeit oder auch dem Anspruch, als Abgeordnete Politik gestalten zu wollen, hat Rot-Grün sich längst entfernt. Die Steuerpolitik der Koalition war und ist handwerk- lich miserabel, woran diese Korrekturen nichts ändern. Sie hätten aber wenigstens einen gravierenden Fehler än- dern müssen: In Ihrem Aktionismus unter dem Deckman- tel der Terrorismusbekämpfung haben Sie eine Unzahl kleiner Steuersünder zu Verbrechern gemacht. Wer zum Beispiel wiederholt seinen Weg zur Arbeit für das Fi- nanzamt falsch und länger angibt oder auch Zinsen nicht angibt, wird nunmehr als Verbrecher behandelt und muss mit einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr rech- nen. Auch die Möglichkeit einer strafbefreienden Selbst- anzeige, einer Einstellung des Verfahrens und Ähnlichem ist nicht gegeben. Für die FDP ist es unstreitig, dass Steuerhinterziehung strafbar ist, strafbar bleiben muss und verfolgt werden muss. Daran gibt es nichts zu deuteln. Rot-Grün hat hier je- doch maßlos und in absurder Weise überzogen. Die FDP wird diese Regelung nach der Bundestagswahl korrigieren. Ferner ist es absurd, dass mit Wirkung ab dem 1. Juli 2002 jeder Unternehmer auf jeder Rechnung seine Steuer- nummer anzugeben hat. Aufgrund einer europäischen Richtlinie hat jeder Unternehmer ab dem 1. Januar 2004 auf jeder Rechnung die Umsatzsteuer-Identifikationsnum- mer anzugeben. Deshalb ist die Verpflichtung zur Angabe der Steuernummer auf der Rechnung überflüssig. Zudem ist in der Anhörung gerade seitens der Finanzverwaltung vorgetragen worden, dass die Angabe der Steuernummer die vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Finanzamt und Steuerpflichtigen, beziehungsweise deren Steuerbera- ter, gefährdet, weil es bisher teilweise übliche Praxis sei, dass der Steuerpflichtige unter Angabe seiner Steuernum- mer telefonische Auskünfte vom Finanzamt erhalte. Hier- von müsste zukünftig abgesehen werden, da die Steuer- nummer des Steuerpflichtigen durch diese Regelung jedem Kunden und damit nahezu jedermann bekannt sei. Die FDP reicht Rot-Grün bei dieser weiter gehenden Chaotisierung und Flickschusterei der Steuergesetzgebung nicht die Hand. Deshalb lehnt die FDP dieses Gesetz ab. Heidemarie Ehlert (PDS): Das Anliegen des vorlie- genden Gesetzentwurfs ist, soweit es um die Ausbildung von Steuerbeamten geht, zu begrüßen. Allerdings liegen die Tücken im Detail. Gut ist, dass künftig Absolventen der Ausbildung zum mittleren Dienst den Titel Finanzwirt erhalten. Mit dieser Berufsbezeichnung ist bei Nichtübernahme in den öffent- lichen Dienst – was ja gerade angesichts der Sparmaß- nahmen nicht mehr ungewöhnlich ist – auch die Arbeit- suche erleichtert. Für außerordentlich problematisch halte ich die Festle- gung, dass der Aufstieg von Beamten des einfachen und des mittleren Dienstes in die nächsthöhere Laufbahn künftig auf Länderebene geregelt werden soll. Ein Auf- stieg ist dann nur möglich, wenn die Länderkassen gefüllt sind. Angesichts der gegenwärtigen Finanzsituation in ei- ner ganzen Reihe von Ländern, die durchaus nicht nur hausgemacht ist, wird es in reichen Ländern leichter sein, aufzusteigen, als in armen Ländern. Und das, obwohl die Arbeitsaufgaben die gleichen sind. Als kontraproduktiv empfinde ich die Regelung, dass im gehobenen Dienst in der Finanzverwaltung der Quer- einstieg ermöglicht werden soll. Die Anforderungen an die Finanzverwaltungen sind in den vergangenen Jahren aufgrund der fortlaufenden Veränderungen in der Steuer- gesetzgebung gewachsen. Anliegen des Gesetzes ist die Verbesserung der Ausbildung künftiger Steuerbeamter, damit sie erfolgreich in den Dienst einsteigen können. Aber nun auf einmal soll Beamten ohne eine entspre- chende Ausbildung der Einstieg ermöglicht werden. Der Hintergrund ist mir schon bewusst. Durch die Änderung des Versorgungsgesetzes soll ein Beamter, der vorzeitig aus welchen Gründen auch immer in den Ruhestand ver- setzt wurde, wieder zurück in den öffentlichen Dienst. Wenn es für andere Aufgaben nicht reichen sollte, kann er dann immer noch in die Finanzverwaltung. Ich frage Sie: Wozu sollen die jungen Leute eigentlich dann drei Monate länger oder überhaupt studieren? Soweit zur Ausbildung der künftiger Steuerbeamten. Aber diesem Gesetzentwurf erging es ähnlich wie ei- ner ganzen Reihe von Gesetzen, die in den letzten Mona- ten eine erstaunliche Metamorphose erlebten. An ein Ge- setz, in dem es um die Ausbildung von Steuerbeamten gehen sollte, wurde die Änderung von zehn weiteren Ge- setzen sowie der Gewerbesteuer-Durchführungsverord- nung und der Abgabenordnung angehängt. Diese 35 Än- derungen – ich betone: 35 – haben mit dem eigentlichen Gesetzentwurf nichts, aber auch gar nichts zu tun. Sie sind das Zeichen für eine unseriöse Arbeit der Regierung. Die jüngsten Steueränderungsgesetze wurden mit der heißen Nadel gestrickt. Das gilt für die Berichtigung feh- lerhafter Verweise oder redaktioneller Versehen, vor al- lem aber für inhaltliche Korrekturen. Die Steuergesetzge- bung unter Rot-Grün ist chaotisch und entspricht nicht mehr dem verfassungsrechtlichen Gebot, dass Gesetze Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. April 200223386 (C) (D) (A) (B) einfach und für den Einzelnen überschaubar ausgestaltet sein müssen. Aber auch die nun vorgesehenen Änderungen sind nicht unbedingt ein Lichtblick. Lassen sie mich ein Bei- spiel nennen: die Problematik der elektronischen Signa- tur. Die Angleichung an die EU-Richtlinie ist notwendig, auch um den Umsatzsteuerbetrug wirksam zu bekämpfen. Unredlich aber ist es, dass kein Wort zu den daraus ent- stehenden Kosten gesagt wird. Und diese werden nicht unerheblich sein. Ich nehme an, diese werden wie üblich bei den Verbrauchern landen. Eine Änderung des Einkommensteuergesetzes, die im Gesetzentwurf formuliert ist, begrüßen wir ausdrücklich: die Gewährung des Haushaltsfreibetrages für alle Allein- erziehenden bis zum Jahr 2005. Hier hat unser Druck im Parlament eine Änderung zugunsten zahlreicher Allein- erziehender herbeigeführt. Leider spät, denn das Problem ist schon lange bekannt. Aber besser als gar nicht. Die Formulierung in § 32 Abs. 7 Satz 6 des Einkom- mensteuergesetzes, wonach bereits ab Januar Alleinerzie- hende, die den Haushaltsfreibetrag noch nicht im vergan- genen Jahr geltend machen konnten, diesen nicht mehr erhielten, ist nun gestrichen. Vier Monate benötigten Sie dazu. Klar ist aber noch nicht, wie schnell die betroffenen Alleinerziehenden zu ihren zu viel gezahlten Steuern kommen: ob im nächsten Monat eine entsprechende Än- derung der Steuerklasse und eine Rückerstattung erfolgt oder ob sie auf die Einkommensteuererklärung am Ende des Jahres warten müssen. Spannend ist die Frage, wie das Problem nun bis 2005 gelöst wird. Wir würden gern den Bundeskanzler mit sei- nen jüngsten Äußerungen beim Wort nehmen: Trauen sie sich, schaffen sie das Ehegattensplitting ab! Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen:Der vorgelegte Entwurf ei- nes Fünften Gesetzes zur Änderung des Steuerbeam- ten-Ausbildungsgesetzes und zur Änderung von Steuerge- setzen soll die bewährte Aus- und Fortbildung der Steuerbeamten der Länder an gewandelte Anforderungen anpassen, denen sie angesichts stetiger Veränderungen in Staat und Gesellschaft Rechnung tragen müssen. Beispiel- haft seien die Reformbestrebungen zur Realisierung einer effizienten und bürgerorientierten Verwaltung genannt. Zu berücksichtigen sind aber auch die Globalisierung der Wirtschaft und die Entwicklung neuer Informations- und Kommunikationstechnologien. Die Ausbildung legt hier- bei die entscheidende Grundlage: Sie ermöglicht dem Steuerbeamten, sich dieses vom Wandel und einer lebens- langen Weiterbildung geprägten beruflichen Alltags stel- len zu können. Durch den Gesetzentwurf wird in allen Laufbahnen neben der Fachkompetenz vermehrt Raum für die Ver- mittlung methodischer und sozialer Kompetenzen ge- schaffen. Die Änderungen betreffen im Wesentlichen die Laufbahn des gehobenen Dienstes. Hier wird den geän- derten Ausbildungsinhalten durch eine Verlängerung der Fachstudien von bisher 18 auf 21 Monate Rechnung ge- tragen. Dies erfolgt ohne Verlängerung der Gesamtdauer des dreijährigen Fachhochschulstudiums. Die dadurch geschaffenen Freiräume werden für die neuen theoreti- schen Anforderungen an das Studium benötigt. Im Übri- gen erfolgt eine Harmonisierung mit landesrechtlichen Vorschriften für die Teilzeitbeschäftigung und den Auf- stieg von Beamtinnen und Beamten. Der Bundesrat hat in seiner Stellungnahme zwei Ände- rungsvorschläge gemacht. Der erste Vorschlag betrifft den Laufbahnwechsel aus anderen Laufbahnen in die Lauf- bahn der Steuerbeamten. Dem Anliegen, einen solchen Laufbahnwechsel zu ermöglichen, wird grundsätzlich zu- gestimmt. Vor einer endgültigen Gesetzesänderung und der damit untrennbar verbundenen Änderung der Ausbil- dungs- und Prüfungsordnung für die Steuerbeamten bedarf es aber noch einer Abstimmung mit den obersten Finanzbehörden der Länder. Daher wurde dieser Antrag zurückgestellt. Er wird, sobald eine zwischen Bund und Ländern abgestimmte Fassung vorliegt, weiter verfolgt. Der zweite Vorschlag empfiehlt, § 6 – die Vorschrift über den Aufstieg in höhere Laufbahnen – zu ergänzen. Durch diesen Vorschlag, bei dem es sich im Prinzip le- diglich um eine Neuformulierung handelt, wird klarge- stellt, dass die Steuerbeamten mit den Beamten anderer Laufbahnen gleich behandelt werden sollen. Darüber hinaus wurde die Vorschrift über das In-Kraft-Treten dieses Gesetzes modifiziert. Hierdurch soll sichergestellt werden, dass auch bei möglichen Ver- zögerungen im Gesetzgebungsverfahren die Bundeslän- der, die schon zum 1. Juli 2002 neue Anwärter einstellen, dies nach neuem Recht tun können. Insgesamt wird durch die Anpassung des Gesetzes die Steuerbeamtenausbildung modernisiert und zukunftswei- send ausgestaltet. Bund und Länder sind sich einig, das bewährte verwaltungsinterne duale System dieser Ausbil- dung in Form von enger Verzahnung von Fachtheorie und Fachpraxis beizubehalten. Nur so wird das allseits anerkannte hohe Leistungsniveau der Steuerverwaltung zu halten sein. Daneben enthält der Gesetzentwurf steuerliche Verbes- serungen für Alleinerziehende. Er sieht vor, alle Alleiner- ziehenden in die Abschmelzregelung für den Haushaltsfrei- betrag ab 2002 einzubeziehen. Nach dem Zweiten Gesetz zur Familienförderung wird damit ein weiterer großer Schritt zugunsten von Familien getan. Die Neuregelung trägt den Besorgnissen der Alleinerziehenden vor einer steuerlichen Schlechterstellung Rechnung. Die Regierung setzt damit einen weiteren Meilenstein bei der besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Daneben werdenAl- leinerziehende durch die steuerliche Absetzbarkeit von er- werbsbedingten Betreuungskosten sowie die Anhebung des Kindergeldes massiv entlastet. Das sind die Elemente einer Politik für Familien; die wir auch nach der Wahl fortsetzen werden. Darüber hinaus enthält der Gesetzentwurf mit den Län- dern abgestimmte Klarstellungen im Investitionszulagen- gesetz 1999 und Erleichterungen bei der Anerkennung elektronischer Rechnungen im Vorgriff auf die Umsetzung einer EU-Richtlinie vom 20. Dezember 2001. Dadurch wird eine elektronische Rechnung bei der Umsatzsteuer Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. April 2002 23387 (C) (D) (A) (B) bereits dann anerkannt, wenn sie mit einer qualifizierten elektronischen Signatur nach dem Signaturgesetz ver- sehen ist. Eine Anbieterakkreditierung ist dann nicht mehr zwingend erforderlich. Die Anforderungen an die elektro- nische Abrechnung werden damit wirtschaftsfreundlich an europäisches Recht angepasst. Anlage 12 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Umweltauditgesetzes (Tagesord- nungspunkt 30) Petra Bierwirth (SPD):Mitte der 90er-Jahre wurde im Bereich des Umweltmanagements in Unternehmen ein neuer Weg beschritten. Die europäische Ökoaudit-Ver- ordnung trat in Kraft. Statt staatlichem Zwang stehen Ko- operation, Eigenverantwortung, freiwillige Initiative der Betriebe in Zukunft im Vordergrund. Für die Unternehmen hat sich hier eine neue Tür geöff- net, bewusst und verantwortungsvoll mit der Umwelt um- zugehen und dieses auch vor der breiten Öffentlichkeit be- kannt zu machen. Vor allem angesichts des zunehmenden Umweltbewusstseins der Bevölkerung ist dies ein nicht zu unterschätzender Wettbewerbsvorteil. Eine Vielzahl von Unternehmen betrachtet zudem diese Investition in den Umweltschutz als normale Investition mit folgenden Rationalisierungs- und Qualitätssteigerungseffekten. So hat sich in vielen gewerblichen Unternehmen das Ökoaudit etabliert. Im europäischen Vergleich liegt die Zahl der in Deutschland registrierten Standorte mit fast 2 700 Unternehmen sehr hoch. In der gesamten Europä- ischen Union sind es im Oktober 2001 etwas mehr als 3 000 Unternehmen gewesen, die sich nach EMAS zerti- fiziert haben. Gleichwohl muss man zur Kenntnis nehmen, dass die Zahl der Unternehmen, die sich am System des Umwelt- audit beteiligen, stagniert, wohingegen die Beteiligung an dem internationalen Zertifizierungssystem ISO 14001 zu- nimmt. Aus meiner Sicht bietet zum einen die im Rahmen der/des IVU/UVP geschaffene Möglichkeit einer Privile- gierungsverordnung, die bereits auf einem guten Weg ist, und zum anderen die Umsetzung der EMAS-II-Verord- nung Chancen, den Kreis der Teilnehmer zu erweitern. Ich begrüße es sehr, dass nunmehr durch die Ein- führung eines Logos für zertifizierte Unternehmen die Möglichkeit besteht, sichtbar mit ihrem Engagement für die Umwelt zu werben. Nach Einschätzungen der Spit- zenverbände der deutschen Wirtschaft liegt hier auch ein großes Interesse bei den Unternehmen vor. Das Logo wurde im Übrigen auf wesentliche Initiative des EU-Mit- gliedslandes Deutschland geschaffen. Zukünftig können sich nun endlich auch alle Organisa- tionen an diesem freiwilligen System beteiligen. Bisher war es nach EMAS I nur für Gewerbe und Industrie mög- lich. Nun können beispielsweise auch Schulen, landwirt- schaftliche Betriebe oder Behörden am Umweltauditsys- tem teilnehmen. Ich halte dies für einen großen Fortschritt und begrüße es sehr, dass das Umweltbundesamt im vergangenen De- zember als erste Bundesbehörde seine Umwelterklärung vorgelegt hat. Ich habe die Hoffnung, dass weitere Bun- desbehörden zügig folgen werden. Eine wichtige Neuregelung gerade vor dem Hinter- grund der neusten Zahlen über die Beteiligung am euro- päischen Umweltauditsystem ist die Angleichung der Systemanforderungen von EMAS II und der ISO 14001. Unternehmen können so auf einfache Art und Weise über ISO 14001 in EMAS II einsteigen. Aus Umweltsicht besonders wichtig ist, dass die An- forderungen an die Einhaltung der Rechtsvorschriften als Voraussetzung der Eintragung in das EMAS-Register ge- stärkt wird. Dieses gilt selbstverständlich auch für die Aufrechterhaltung der Eintragung. Die externe Kommu- nikation und die Motivation und Einbeziehung der Mitar- beiter werden mit der neuen EMAS-Verordnung gestärkt. Gerade die verstärkte Einbeziehung von Mitarbeitern ei- nes Unternehmens in die Planung von betrieblichen Um- weltschutzmaßnahmen erhöht deren Indentifizierung mit dem Unternehmen selbst. Ein Ergebnis sind Produkti- vitätssteigerungen und Kosteneinsparungen. Umweltmanagement und Umweltaudit sind hervorra- gende Instrumente, um mehr Umweltschutz mit mehr Ei- geninitiative und mit mehr Wirtschaftlichkeit zu verbin- den. Ordnungsrecht und deregulierende Maßnahmen durch vorgesehene Erleichterungen im Genehmigungs- verfahren stehen hier nicht im Widerspruch zueinander. Sie ergänzen sich. Eine Voraussetzung, dass dies so bleibt, ist, dass alle Unternehmen bzw. Organisationen, Umwelt- gutachter, Behörden und Politik sich gemeinsam dafür einsetzen. Das EG-Umweltaudit bietet große Chancen. Wir müssen sie nutzen. Bernward Müller (Jena) (CDU/CSU): 1995 betraten wir mit der Einführung des Ökoaudits in Deutschland Neuland. Neu war der Ansatz, Unternehmen zum freiwil- ligen Mitmachen zu bewegen, statt ihnen Vorschriften zu machen. Neu war die Einbeziehung der wirtschaftlichen Selbstverwaltung in die Registrierung. Neu war auch der Umweltguterachterausschuss, ein weisungsunabhängiges Beratungsgremium, das alle am Umweltaudit interessier- ten gesellschaftlichen Kräfte einbindet. Damit waren und sind wir im europäischen Vergleich einzigartig. Heute geht es um die Anpassung unseres deutschen Umweltauditgesetzes an neue Vorgaben der EU. Und diese Anpassung ist dringend notwendig. Entsprechend der neuen EU-Richtlinie – EMAS II – sieht der heute zur Debatte stehende Gesetzentwurf einige wichtige Ände- rungen vor. Gestatten Sie mir, dass ich diese noch einmal kurz zusammenfasse, zum einen, damit wir wissen, wo- rüber wir reden, und zum anderen, damit Sie wissen, warum wir von der CDU/CSU-Fraktion diesem Entwurf zustimmen, obwohl es auch in diesem Bereich der rot- grünen Umweltpolitik viel zu kritisieren gibt. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. April 200223388 (C) (D) (A) (B) Kernpunkte des vorliegenden Gesetzentwurfs sind die Ausweitung des Teilnehmerkreises, der Übergang von der standortbezogenen zur organisationsbezogenen Regis- trierung, die Integration von Regelungen der ISO-Norm 14001 und die Schaffung von Rechtsgrundlagen für die Zulassung von Umweltgutachtern und Umweltgutachter- Organisationen. Ich nenne nur die Stichworte: Regelun- gen zum Prüfungsstoff, Regelaufsicht der Gutachter alle zwei statt drei Jahre, Witnessaudit alle sechs Jahre statt wie bisher alle drei Jahre. Zunächst sind dies eine ganze Reihe sinnvoller Änderungen. Ich möchte noch einmal ausdrücklich beto- nen, dass die CDU/CSU-Bundestagsfraktion den vorlie- genden Gesetzentwurf begrüßt. Das Gesetz weist grundsätzlich in die richtige Richtung. Besonders wichtig erscheint uns die Öffnung des Umweltaudits für die nicht gewerbliche Wirtschaft und die Zusammenführung der er- folgreichen ISO-Norm 14001 und EMAS. Doch reicht das aus? Geht das weit genug? Halten wir uns noch einmal das Ziel – unser gemein- sames Ziel – vor Augen: Möglichst viele Unternehmen sollen sich am Ökoaudit beteiligen, die Attraktivität dieses freiwilligen Umwelt- managements soll gestärkt, seine Effizienz erhöht werden. Das alles sind Ziele, die wir fraktionsübergreifend ge- meinsam verfolgen. Dazu reichen die im Gesetzentwurf vorgeschlagenen Regelungen allein aber nicht aus. Es bedarf noch weitaus mehr als das, was jetzt als Minimal- paket in diesem Gesetzentwurf steckt. Lassen Sie mich zur Verdeutlichung einen Blick auf die derzeitige Situation des Management-Systems werfen: Zum 31. März dieses Jahres gab es nach Auskunft des zentralen EMAS-Registers – DIHK – insgesamt 2 560 am Ökoaudit beteiligte Unternehmen in Deutschland. – Wenn Sie mir diese Nebenbemerkung gestatten wollen. – Dies ist ein Ergebnis, das zu einem großen Teil bis 1998 unter der CDU/CSU geführten Bundesregierung erreicht wurde. Damit sind wir derzeit noch führend in Europa; das ist – wenn Sie mir eine weitere Anmerkung erlauben – we- nigstens ein Bereich, in dem wir seit Antritt der rot-grü- nen Regierung noch nicht die rote Laterne tragen. Doch haben wir in Deutschland nun wahrlich keinen Grund, uns selbst auf die Schulter zu klopfen. Von den beiden Unter- nehmen, die 1995 als erste zertifiziert wurden, nimmt heute nur noch eines am Umweltaudit teil. Hätten wir alle Unternehmen bei der Stange gehalten, wären es heute weit mehr als 3 000 Teilnehmer. Inzwischen reichen die monatlichen Neuregistrierungen jedoch nicht mehr aus, um die Streichungen zu kompensieren. Und die Aussichten sind noch schlechter: Denn wenn die zurzeit noch aktiven Förderprogramme in den neuen Bundesländern auslaufen, wird auch der dort erfreulich hohe Zulauf zum Umweltmanagementsystem geringer ausfallen: Gleichzeitig müssen wir mit weiteren Strei- chungen von Unternehmen aus unserer Teilnehmerliste rechnen. So zeichnet sich heute ein dramatisches Absin- ken der Zahl auditierter Unternehmen ab: einerseits durch Verluste bei den bislang teilnehmenden Betrieben, ande- rerseits durch mangelnden Neuzufluss. Schon bald wird, wenn wir jetzt nicht handeln, das Ökoaudit in Deutsch- land nur noch eine Episode der Umweltgeschichte sein. Der Auftrag an uns als Politiker ist klar: Die Attrak- tivität der Teilnahme muss gesteigert werden. EMAS muss einen angemessenen Platz im großen Instrumenten- kasten des Umweltrechts erhalten. Schon 1995 erkannte der Deutsche Bundestag in einer Entschließung dem Öko- audit ein erhebliches Deregulierungspotenzial zu. Die Frage ist: Wo kann der Staat seine Kontrolldichte zu- rückfahren? Ich verspreche gerade den Genossen von PDS und SPD, die immer betont kritisch auf die Eigenver- antwortlichkeit der Unternehmen blicken, ich verspreche Ihnen, es ist möglich. Es hat sich doch deutlich gezeigt: EMAS ist nur im Bündnis von Wirtschaft und Staat erfolgreich. Der Beitrag der Wirtschaft ist dabei die freiwillige Teilnahme am Um- weltaudit. Der Beitrag des Staates ist die Gewährung von Vollzugserleichterungen. Vergleicht man die Zahl der EMAS-Teilnehmer in den Bundesländern, lässt sich nach- weisen: Wo Staat und Wirtschaft kooperieren, erhöht sich die Stabilität der EMAS-Teilnahmen. Auf Länderebene sprechen die Zahlen für sich: Es gibt eine auffällige Korrelation zwischen der Bereitschaft der Länder, sich auf ein solches Bündnis mit entsprechenden Privilegierungen einzulassen, und dem Engagement der Unternehmerschaft in Sachen EMAS. Der Freistaat Bayern hat beispielsweise im letzten Jahr eine besonders interessante Regelung für EMAS-Unter- nehmen erlassen. Diese erhalten in emissionsschutzrecht- lichen Genehmigungsverfahren eine Gebührenermäßi- gung von 30 Prozent. Begründet wird diese Ermäßigung mit der Annahme, dass auditierte Unternehmen bessere und deshalb einfacher und schneller zu überprüfende An- tragsunterlagen einreichen. Bayern besaß im letzten Mo- nat mit 21,7 Prozent bundesweit die höchste Beteiligung von Organisationen. Auf Platz zwei finden wir das Land Baden-Württemberg mit 14,5 Prozent. Auch in den neuen Bundesländern findet sich eine erfreuliche Bereitschaft, sich an dem Ökoaudit zu beteili- gen. Wir in Thüringen konnten zum Beispiel die Zahl der teilnehmenden Unternehmen von 1999 bis heute verdop- peln, und zwar von 76 auf 151. Fraglich ist allerdings, was wird, wenn die in den neuen Bundesländern laufenden Förderprogramme enden. Fraglich ist auch, ob für die kleinen mittelständischen Unternehmen in den neuen Bundesländern die Beteiligung an EMAS aus finanziellen Gründen überhaupt noch möglich ist. Steigende Ausga- ben, vor allem durch Steuererhöhungen und steigende Ab- gaben haben in den letzten Jahren die Finanzlage der Un- ternehmen erheblich verschlechtert. Nordrhein-Westfalen hat dagegen seit 1999 einen sagenhaften Einbruch bei den auditierten Unternehmen erlitten. Von guten 19,2 Prozent im Dezember 1999 sank die Beteiligungsquote im Land auf 13,1 Prozent im März dieses Jahres – Tendenz fallend. Ich möchte diese bedauerliche Entwicklung vor allem in den SPD-geführten Bundesländern nicht weiter aus- breiten. Eines wird aber deutlich: Die Regierungsverant- wortlichen dieser Bundesländer müssen noch begreifen, dass ein Bündnis aus zwei Seiten besteht: aus Nehmen und Geben! Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. April 2002 23389 (C) (D) (A) (B) Meine Frage ist also nicht: Reicht der vorliegende Gesetzentwurf aus, um dieser fatalen Entwicklung Herr zu werden? Das ist eine Frage, die man sich nach einem genauen Blick auf die Situation des Ökoaudits in Deutschland seit dem Regierungsantritt von Rot-Grün nicht mehr zu stellen braucht. Die Frage lautet vielmehr – und sie ist wesentlich konstruktiver –: Was können wir für die Zukunft tun? Die Attraktivität steigern, das ist die kurze Antwort. Und das ist die einzig vernünftige Ant- wort, wollen wir EMAS in Deutschland nicht aufgeben. Zu diesem Lösungsansatz gab es in dieser Legis- laturperiode einen dankenswerten Antrag der FDP- Fraktion, den wir von der CDU/CSU unterstützt haben. Diesen Antrag haben Sie, liebe Umweltfreunde der rot-grünen Regierungskoalition, vor zwei Jahren verwor- fen. Doch was haben Sie geleistet? Von Ihnen kam nichts. Und das haben die Unternehmen auch gemerkt. Vonseiten der Wirtschaft wurde der Vorwurf geäußert, dass Rot-Grün vier Jahre lang nichts getan hat, um die At- traktivität des Umweltaudits zu erhöhen. Dabei hätten Sie mit der Privilegierungsverordnung ein deutliches Zeichen setzten können. Aber da Sie nicht auf die Betroffenen hören, wissen Sie auch nicht, was getan werden muss. Sie beschränken sich auf Ankündigungen, Absichtserklä- rungen und Versprechungen. Ich erinnere an die Ankün- digungen der Parlamentarischen Staatssekretärin Probst in der letzten Ausschusssitzung: Logo, Werbekampagne, eigene Aktivitäten verstärken. Das alles hätte schon ge- schehen können. Aber am Ende – genau wie jetzt am Ende des 14. Deutschen Bundestages – kommt dabei im besten Falle eine Menge heißer Luft heraus. Was haben Sie ihren hoffnungsvollen Wählerinnen und Wählern nicht alles versprochen! Was haben Sie hier im Plenum nicht alles angekündigt! Reformstau wollten Sie verhindern, den Wirtschaftsstandort Deutschland stärken. Und was haben Sie dann tatsächlich getan? Meine Damen und Herren von Rot-Grün, man hatte mehr von Ihnen er- wartet. Was Sie heute vorlegen, ist allenfalls ein guter, un- terstützenswerter Ansatz. Aber als Ergebnis von vier Jah- ren Regierungsarbeit ist das, was Sie mit diesem Gesetzentwurf zur Änderung des Umweltauditgesetzes abliefern, ein Armutszeugnis. Nein, Sie haben viele wichtige Aspekte einer wirksa- men Umweltpolitik verschlafen. Ihre Ökosteuer und der vermeintliche Atomausstieg sind der falsche Weg. Sie ha- ben verzögert und vernachlässigt, wo es sich anbot. Kurz gesagt: An Ihrer Politik ist Hopfen und Malz ver- loren. Wir von der CDU/CSU-Fraktion sind überzeugt: Die erfolgreiche Weiterführung von EMAS ist nicht nur zu unterstützen, sondern zu beschleunigen. Deregulierung ist ein entscheidender Schlüssel zur Steigerung der Attrakti- vität des Umweltaudits. Ein weiteres wichtiges Mittel zur Erhöhung der Attraktivität für teilnahmewillige Unter- nehmen ist die Gewährung von Erleichterungen beim Vollzug des Umweltrechts. Es hat sich gezeigt, dass es sich aus umweltpolitischen Gründen empfiehlt, Öko- audit-Betrieben Vollzugserleichterungen zu gewähren. Die Teilnehmer am Ökoaudit wollen ein verändertes Ver- hältnis zu den Behörden und administrative Entlastung durch Reduzierung von gesetzlichen Mess- und Berichts- pflichten. Das sollte uns ein Zeichen sein, hier endlich tätig zu werden. Gerade der Mittelstand, der es in diesen Zeiten beson- ders schwer hat, sollte durch Erleichterungen gefördert werden. Für ein mittelständisches Unternehmen sind bei- spielsweise die Kosten für die Auditierung, meist in Höhe einer fünfstelligen Summe, äußerst abschreckend. Hier kann wie im erfolgreichen bayerischen Modell Abhilfe zum Nutzen aller geschaffen werden. Denken Sie, meine Damen und Herren von Rot-Grün, doch einmal über eine Begünstigung von auditierten Be- trieben im Rahmen Ihres Lieblingsthemas, der Ökosteuer, nach. Und noch besser: Denken Sie nicht nur, sondern han- deln Sie bei Gelegenheit auch einmal – am besten zügig und verantwortungsvoll für die Umwelt, wie Sie es Ihren Wählern versprochen haben. Mit EMAS haben wir ein System installiert, das eine großartige Chance bietet: die Chance, Umweltschutz an- ders zu organisieren, als dies gewöhnlich geschieht. Diese Chance besteht. Rot-Grün hat sie verschlafen. Ich bin überzeugt, dass wir nach dem 22. September dieses Jah- res den unter einer unionsgeführten Bundesregierung so erfolgreich begonnenen Weg des Ökoaudits wieder mit einer unionsgeführten Bundesregierung erfolgreich fort- setzen werden. Birgit Homburger (FDP): Mit diesem Gesetz wird das Umweltauditgesetz (UAG) von 1995 einerseits an die seit dem 27. April 2001 unmittelbar in jedem Mitgliedstaat der EG geltende so genannte EMAS-II-Verordnung ange- passt und zugleich wird mit kleinen Änderungen auf die praktischen Erfahrungen mit dem geltenden UAG reagiert. Der UAG-Entwurf enthält Ausführungsvorschriften und ergänzt als nationale Regelung die EMAS-II-VO. Auch die aufgrund der praktischen Erfahrungen mit dem UAG vorgenommenen Änderungen erscheinen mir sachgerecht, sodass wir diesem Gesetz zustimmen werden. Das freiwillige Ökoaudit ist ein erfolgreiches umwelt- politisches Instrument. Ziel ist es, über integrierte be- triebliche Umweltmanagementsysteme zusätzliche Ef- fekte für den Umweltschutz zu erreichen, bei gleichzeitig hoher Effizienz für die Betriebe. Leider litt die Akzeptanz daran, dass mit der ISO 14001 ein praktikableres, ökologisch weniger anspruchsvolles Umweltmanagementsystem existiert, das sich internatio- nal durchgesetzt hat. Deshalb haben wir gleich zu Beginn der Legislaturperiode einen Antrag zur Steigerung der At- traktivität des Umweltaudits in den Deutschen Bundestag eingebracht. Die FDP begrüßt, dass nunmehr das Umweltmanage- mentsystem nach DIN ISO 14001 in das EG-Ökoaudit- System integriert worden ist. Dies war eine wesentliche Forderung aus dem FDP-Antrag. So wird Doppelarbeit vermieden und es wird die Entscheidung erleichtert, noch einen Schritt weiter zu gehen und sich auch nach der Öko- audit-Verordnung bzw. UAG registrieren zu lassen. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. April 200223390 (C) (D) (A) (B) Ebenso zu begrüßen ist, dass der Teilnehmerkreis ausge- weitet wird und das EMAS-Zeichen für Werbezwecke ver- wendet werden kann. Das reicht jedoch bei weitem nicht aus, um die Attrakti- vität des Ökoaudits zu steigern. Es muss für registrierte Or- ganisationen deutliche Vollzugserleichterungen geben. Hier kommen Erleichterungen bei Genehmigungsverfah- ren, Entlastung bei Berichtspflichten, Nachweisverfahren und der Überwachung für registrierte Organisationen in Betracht. Auch dies hatten wir schon zu Beginn der Legis- laturperiode gefordert. Die FDP fordert daher weitere Maß- nahmen auf Bundesebene, um endlich neue Impulse für das Umweltaudit zu geben. Hier hat Rot-Grün erneut versagt. Viel zu spät wurde die Bundesregierung aktiv. Es soll jetzt noch eine Privilegierungsverordnung verabschiedet werden. Wir sind genauso gespannt wie die zertifizierten Organisationen, was da kommen soll. Bisher wurde nur geredet, nicht gehandelt. Sie haben auch in diesem Be- reich vier Jahre verschlafen. Darüber hinaus sind auch die Länder in der Pflicht. In manchen Bundesländern gelten immerhin reduzierte Ge- bühren im immissionsschutzrechtlichen Genehmigungs- verfahren. Das ist ausbaufähig. Umweltmanagementsysteme kommen nicht nur den Unternehmen, sondern besonders auch der Umwelt zu- gute. Organisationen, die von sich aus ein Umweltmana- gementsystem installieren und dies von unabhängigen Gutachtern überprüfen lassen, haben einen Vertrauens- vorschuss und entsprechende organisatorische Erleichte- rungen verdient. Die FDP wird sich auch und gerade aus ökologischen Gründen weiter für erforderliche Deregu- lierungen für registrierte Organisationen einsetzen. Eva Bulling-Schröter (PDS): Der Gesetzentwurf übernimmt die neue EMAS-II-Verordnung der EU und damit auch alle ihre Verschlechterungen beim Umwelt- audit. Rot-Grün ignoriert dies und bastelt unbeirrt weiter an einer Verordnung zur ordnungsrechtlichen Privilegie- rung von auditierten Unternehmen. Eine gefährliche Mi- schung. So ist die umfassende Umweltbetriebsprüfung bei EMAS II auf eine stichprobenhafte Umweltbetriebs- prüfung reduziert worden. „Eine schwer verständliche Abschwächung“, wie der Sachverständigenrat für Um- weltfragen feststellt. Es ist jetzt auch möglich, Teilstand- orte nach Ökoaudit-Verordnung überprüfen zu lassen zum Beispiel einen Unternehmensstandort ohne die „marode“ Abfallanlage. Die umfassende Einhaltung der Umweltvorschriften ist mit EMAS II also noch weniger als bisher Gegenstand der Umwelterklärung. Lediglich bekannt gewordene Ver- stöße führen zur Verweigerung dieser Erklärung. Eine Attestierung der Einhaltung der Umweltvorschriften wird auch nicht im vorliegenden Gesetzentwurf als Registrie- rungsvoraussetzung verankern, und dies, obwohl der Bundestag das im letzten Jahr mit dem Artikelgesetz als Voraussetzung für die sogenannten Ökoaudit-Privilegie- rung beschlossen hat. Wir sind der Meinung – und stimmen da nicht nur mit dem DGB, sondern auch mit dem Umweltrat überein, dass logischerweise nur das, was auch tatsächlich im Um- weltaudit geprüft wird, durch ordnungsrechtliche Erleich- terungen zu rechtfertigen ist. Die Privilegierung sieht aber vor, dass die Unternehmen nur noch auf Anforderung die bislang gesetzlich vorgeschriebenen Berichte an die Behörden vorlegen sollen. Der Umweltgutachter be- kommt so aber kaum Informationen bei der Einsicht in die Unterlagen, da es keinen Schriftverkehr mit der Behörde mehr gibt, aus denen er bisher Hinweise auf Rechtsver- stöße entnehmen konnte. Die Behörde ihrerseits hat bei der Regelanfrage der IHK vor der Ökoaudit-Registrie- rung ebenfalls keine Unterlagen mehr vorliegen, aus de- nen Umweltrechtsverstöße erkennbar wären. Es steht also zu befürchten, dass das Ökoaudit sich von einem Instru- ment zur kontinuierlichen Verbesserung des betrieblichen Umweltschutzes hin zu einem Instrument zur Deregulie- rung bewährten Umweltrechtes entwickelt: Die Unter- nehmen nehmen am Ökoaudit teil, und die Behörden se- hen infolge der deutschen Privilegierung bei diesen immer seltener hin. Wir vermissen zudem die Änderung der Besetzung des Umweltgutachterausschusses. Wenn das Ökoaudit von ursprünglich nur „gewerblichen Unternehmen“ auf Land- wirtschaft, Behörden oder Kommunen erweitert wird, muss dies auch für den Ausschuss gelten. Dies hat man wohl im § 22 UAG vergessen. Noch ein Wort zur Zertifizierung der Umweltgutachter. Die Unternehmen könne ihn sich selbst aussuchen. Dass ein solches System nicht gerade dazu neigt, den korrek- testen Gutachter zu bestellen, stellt auch der Umweltrat lakonisch fest. Dass die Wirtschaft mit dem deutschen Akkreditierungsgremium – der DAU – die Aufsicht über sich selbst ausübt, haben wir schon bemängelt, seit es in Deutschland ein Umweltaudit gibt. So ist es auch kein Wunder, dass nach Berichten des WDR in Hanau die Degussa das Ökoaudit bekam, obwohl sie gesetzlich vorgeschriebene Grenzwerte, beispiels- weise beim Abwasser, bei weitem überschritt. Jürgen Trittin, Bundesminister für Umwelt, Natur- schutz und Reaktorsicherheit:Das heute zu beschließende Umweltauditgesetz stärkt das System von EMAS, dem Ökoaudit, das schon jetzt, sieben Jahre nach der Ein- führung, ein Markenzeichen für betrieblichen Umwelt- schutz ist. Wir haben inzwischen überall in Deutschland die Erfahrung gemacht: Sobald eine Organisation an EMAS teilnimmt, fegt frischer Wind durch den Laden: Umwelt wird, statt billige Ressource zu sein, Gegenstand von ausgefeiltem Management. Staatlich zugelassene Umweltgutachter prüfen den Betrieb und gehen den Um- weltproblemen systematisch auf den Grund. Jeder EMAS- Teilnehmer verpflichtet sich, seine Umweltleistung fort- laufend zu verbessern – und meist sogar über das gesetz- lich notwendige Maß hinaus. Wer an EMAS teilnimmt, wird Vorreiter für betrieblichen Umweltschutz. Das soll- ten sich auch Behörden bewusst machen. Nicht nur ich als Umweltminister, sondern die Bun- desregierung insgesamt fordert Unternehmen zur Teil- nahme auf. EMAS leistet einen wertvollen Beitrag inner- halb der nationalen Nachhaltigkeitsstrategie, die wir vor wenigen Tagen hier im Bundestag beschlossen haben. Für Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. April 2002 23391 (C) (D) (A) (B) Unternehmen rechnet sich die freiwillige Teilnahme auch betriebswirtschaftlich: Sie können Umweltkosten einspa- ren und Haftungsrisiken minimieren. EMAS verbindet das ökologisch Notwendige mit dem ökonomisch Erfolg- reichen. Bei der zunehmenden Zahl ökologisch bewusster Käufer bietet EMAS einen Marktvorteil. Mit der vorliegenden Gesetzesnovelle passen wir das Umweltauditgesetz von 1995 an die neue EG-Verordnung an und wahren zugleich die hohe Qualität, die EMAS in Deutschland seit Jahren auszeichnet. Es hat sich bewährt, dass wir uns in Deutschland ein vergleichsweise anspruchs- volles Zulassungs- und Aufsichtssystem über Umweltgut- achter leisten. Der Sachverständigenrat für Umweltfragen hat das in seinem jüngsten Gutachten ausdrücklich bestätigt. Die Industrie-, Handels- und Handwerkskammern, bei de- nen die EMAS-Teilnehmer registriert werden, tragen zur Qualität des deutschen Umweltaudits erheblich bei. Auch dem Umweltgutachterausschuss, der das BMU bei Fragen des Umweltaudits berät, möchte ich für seine konstruktive Arbeit danken. Bei der Zahl der EMAS-Teilnehmer ist Deutschland Spitzenreiter in Europa. Derzeit sind es etwa 2 600 Stand- orte; leider mit fallender Tendenz. Das beruht zum Teil auf einer Konkurrenz durch ISO 14001. Ich bedaure diesen Trend. Denn EMAS ist besser als ISO. EMAS enthält die materiellen Anforderungen von ISO, ergänzt sie aber durch weitere Elemente: EMAS ist glaubwürdiger, weil es trans- parenter ist und Kommunikation mit der Öffentlichkeit einbezieht. EMAS verpflichtet zur stetigen Verbesserung der Umweltleistungen. EMAS stellt sicher, dass Umwelt- rechtsvorschriften auch eingehalten werden. Bei EMAS prüfen nur staatlich zugelassene Umweltgutachter. Wenn ein Betrieb von EMAS zu ISO wechselt, ver- zichtet er also darauf, weiter in der ersten Liga des be- trieblichen Umweltschutzes mitzuspielen. Die Bundesre- gierung fördert die Teilnahme an EMAS. Wir haben gerade eine Privilegierungsverordnung entworfen. Das BMU hat außerdem am 9. April 2002 eine Pilotgruppe von Bundesbehörden konstituiert, die EMAS einführen wird und als Multiplikator bei anderen Bundesbehörden wirken soll. Ich möchte den Bundestag auffordern, sich stärker für EMAS zu engagieren: Lassen Sie die Bundestagsverwal- tung mit gutem Beispiel vorangehen und an EMAS teil- nehmen! Sie haben die nationale Nachhaltigkeitsstrategie verabschiedet. Machen Sie also Nägel mit Köpfen und tragen Sie aktiv bei zu konsequentem betrieblichen Um- weltschutz! Anlage 13 Zu Protokoll gegebene Reden zurBeratung des Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung und Ergänzung vermögensrecht- licher und anderer Vorschriften (Zweites Ver- mögensrechtsergänzungsgesetz – 2. VermRErG) (Tagesordnungspunkt 31) Hans-Joachim Hacker (SPD): In der heutigen De- batte behandeln wir zwei titelgleiche Gesetzentwürfe der Bundesregierung und der FDP-Fraktion. Der beabsich- tigte Regelungsgegenstand ist jedoch völlig unterschied- lich. Ich beginne in meiner Bewertung mit dem Gesetz- entwurf der FDP, den die SPD-Bundestagsfraktion nicht unterstützen kann. Vorweg: Wir Sozialdemokraten haben hohen Respekt vor all jenen Deutschen, die sich dem NS-Unrechtsregime in vielfältiger Weise entgegengestellt oder entzogen ha- ben. Sie haben dabei in vielen Fällen das eigene Leben und die Sicherheit der Familien riskiert. Deswegen hat sich die SPD-Volkskammerfraktion 1990 für eine Rege- lung im Vermögensgesetz eingesetzt, die die Restitution von durch die Nazis enteignetem Vermögen möglich macht. Damit können auch diejenigen Familien, die von den Nationalsozialisten wegen ihres Widerstandes enteig- net worden sind und deren Vermögen später im Rahmen der Bodenreform verteilt wurde, ihr früheres Hab und Gut zurückbekommen. Die Regelung im Vermögensgesetz ist eindeutig und hat sich unabhängig von diesem betreffen- den Gerichtsverfahren in der Praxis bewährt. Der FDP-Antrag zielt auf eine Erweiterung dieser Regelung auf die Personengruppe der „aktiven Wider- ständler“ ab. Die Diskussion über den FDP-Gesetzent- wurf – insbesondere aber die Anhörung zu den beiden Ge- setzentwürfen am 17. April 2002 – hat ergeben, dass der FDP-Vorschlag nicht justiziabel ist. Er stellt nicht – wie das Vermögensgesetz – auf einen NS-Enteignungsakt ab. Er definiert vielmehr, dass aktive Widerständler, die bis zum 8. Mai 1945 nicht mehr ermit- telt oder verurteilt wurden, rückgabeberechtigt sein sol- len. In Übereinstimmung mit fast allen Sachverständigen bin auch ich der Auffassung, dass der personelle Gel- tungsbereich einer solchen Regelung nicht exakt zu be- stimmen ist. Wenn in der Anhörung ein Sachverständiger von einer Betroffenengruppe von möglicherweise vier Fällen gesprochen hat, dann zeigt dies, dass die Dimen- sion des Regelungsinhaltes des FDP-Vorschlages nicht er- kannt wurde. Für mich ist auch ein Gutsbesitzer, der einen KZ-Häftling versteckt hat, ein aktiver Widerständler. Er würde aber nicht von der FDP-Regelung erfasst werden. Und ein letztes Wort zum FDP-Antrag: Man sollte we- gen der Unklarheit konkret Position beziehen. Die Ent- haltung der anderen Oppositionsparteien ist mir vollkom- men unverständlich. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung hingegen greift Regelungserfordernisse auf, die sich auf das Vermö- gensgesetz, das Entschädigungsgesetz und das NS-Ver- folgtenentschädigungsgesetz beziehen. Ich glaube, wir be- handeln heute in dieser Legislaturperiode zum letzten Mal in einer ausführlichen Form den Bereich der so genannten offenen Vermögensfragen, die sich bei der Wiedervereini- gung dargestellt haben. Die Zustimmung zu dem Gesetzentwurf der Bundes- regierung ist dringend erforderlich, weil damit notwen- dige Klarstellungen vorgenommen werden. Regelungs- lücken werden im Interesse von Betroffenen geschlossen. Für mich ist unverständlich, dass CDU/CSU und FDP – sie waren bei der Vorlaufgesetzgebung in Regierungs- verantwortung – sich nicht der Verantwortung stellen, sondern Frontalopposition betreiben und jetzt, weil nicht Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. April 200223392 (C) (D) (A) (B) ihre eigene Gesetzgebung noch weiter gehend korrigiert wird, Einzelregelungen blockieren. So kann politische Verantwortung der Opposition nicht verstanden werden. Ich beziehe diese Aussage insbesondere auf die im Ge- setzentwurf vorgesehene Änderung des § 2 Abs. 1 Ver- mögensgesetz. Es sind die Fälle der so genannten kalten Enteignung. Bei diesen Fällen können wegen einer Erb- ausschlagung im Hinblick auf Vermögensschäden, die der Erblasser erlitten hat, vermögensrechtliche Ansprüche bislang nicht geltend gemacht werden. Begründet wird dies dadurch, dass die betreffenden Berechtigten keine Rechtsnachfolger geworden sind. Die vorgeschlagene Neuregelung beseitigt einen unbilligen Tatbestand und ist daher zu befürworten. Erneut wird in dem Gesetzentwurf der Bundes- regierung eine Problematik aufgegriffen, die aus Gründen der Gerechtigkeit und Wiedergutmachung von NS-Un- recht einer Klarstellung bedarf: Es geht um die Anrech- nung von Anteilen von Mutterunternehmen, die heute in einer Hand liegen. Das betrifft nicht nur die von NS-Ent- eignungen betroffenen früheren Weimarer Gewerkschaf- ten, deren Rechtsnachfolger Ansprüche auf Rückgabe ge- stellt hat. Nach unserer Auffassung ist die vorgesehene Regelung im § 3 Abs. 1 nur eine Klarstellung. Entgegen den Argumenten von Opposition und einigen Ländern führt sie nicht zu einer Verbürokratisierung der Entschei- dungsvorgänge. Das Gegenteil ist der Fall: Der Prozess der gütlichen Einigung wird befördert. Die Regelung gilt im Übrigen nur dann, wenn der Antragsteller bereits An- sprüche auf Einräumung von Bruchteilseigentum an dem konkreten Vermögenswert hatte. Das heißt, bislang nicht restitutionsbelastetes Vermögen bleibt unbelastet. Diese Regelung ist eine Konsequenz aus der Oberleitung der Grundsätze des alliierten Entschädigungsrechts, die sich aus den Vereinbarungen im Einigungsvertrag und im Rah- men seiner Vorbereitung ergeben hat. Insbesondere die FDP – ich verweise auf den bereits angesprochenen Ge- setzentwurf –, aber auch die CDU/CSU müssten diesem Vorschlag zustimmen. Es ist eine Klarstellung, keine Neu- regelung. Und die Klarstellung bezieht sich auf Regelun- gen aus der Zeit ihrer Regierungsverantwortung. Ich kann verstehen, dass die Wohnungsunternehmen, die von dieser Regelung nicht betroffen sind, gerne eine an- dere Lösung hätten. Aber das würde bedeuten, dass wir bei der Wiedergutmachung von NS-Unrecht unterschiedliche Maßstäbe ansetzten. Betriebswirtschaftliche Interessen von Wohnungsunternehmen würden über die Grundsätze des Rückerstattungsrechts und der Wiedergutmachung gestellt. Das kann nicht richtig sein. Im Übrigen: Die Kritiker die- ser Regelung sollten sich mit dem bereits 1997 im Rahmen des Wohnraummodernisierungssicherungsgesetzes präzi- sierten § 3 Abs. 1 Satz 9 des Vermögensgesetzes befassen. Danach können die Verfügungsberechtigten, die Woh- nungsunternehmen, bei Restitution eines Objektes die Er- stattung sämtlicher Investitionen verlangen, die sie im Ver- trauen auf eine fehlende objektbezogene Präzisierung durch den Berechtigten vorgenommen haben. Auch das ist geltende Rechtslage und wird durch die vorgesehene Klar- stellung nicht tangiert. Zum Schluss will ich nur stichwortartig weitere Rege- lungen ansprechen, die der Gesetzentwurf enthält: Erstens. § 4 Abs. 1 Vermögensgesetz schafft die Voraus- setzungen für eine Teilrestitution, wenn der Zugang zum öffentlichen Verkehrswegenetz nicht gegeben ist. Dieses erfolgt in Anlehnung an eine bewährte Regelung im Sa- chenrechtsbereinigungsgesetz. Zweitens. Für die von DDR-Verwaltungsunrecht be- troffenen Zwangsausgesiedelten erfolgt eine Klarstellung in ihrem Sinne. Es wird gesichert, dass bei der Umsetzung des Entschädigungsgesetzes erhaltene Gegenleistungen nicht doppelt erfasst werden. All das sind gute Gründe, dem Gesetzentwurf zuzu- stimmen. Diesen Appell richte ich erneut an die Opposi- tion in diesem Hause, aber auch an den Bundesrat. Die Behauptung, das Gesetz würde die Verwaltungsverfahren flächendeckend erschweren, ist in der Anhörung nicht bestätigt worden. Auf Beschleunigungseffekte, insbe- sondere bei der Abwicklung der Fälle des doppelten Durchgriffs, habe ich bereits verwiesen. Und zuletzt er- innere ich auch daran, dass die Länder richtigerweise bei der Beratung zur Änderung der beiden SED-Un- rechtsbereinigungsgesetze im Vermittlungsausschuss am 6. Dezember 2001 dokumentiert haben, dass ihnen Ge- rechtigkeit wichtiger ist als der Abbau von Verwal- tungskapazitäten. An diesen Grundsatz erinnere ich Sie auch bei der Umsetzung des Vermögensgesetzes und des Entschädigungs- und Ausgleichsleistungsgesetzes. Andrea Voßhoff (CDU/CSU): Zwei Gesetzentwürfe aus dem Bereich des Vermögensgesetzes und der ergän- zenden Entschädigungsregelungen stehen heute zur ab- schließenden Beratung in diesem Hohen Hause an. Obwohl im rechtstatsächlichen Bereich die Abarbei- tung der Verfahren nach dem Vermögensgesetz nach heu- tigem Stand doch eine hohe Erledigungsquote aufweist, legt Rot-Grün ein umfangreiches Änderungspaket zu die- sen Themenkomplexen vor. Wir wissen aus der An- hörung, dass im Grundstücksbereich bereits 95 Prozent und im Unternehmensbereich circa 85 Prozent der Ver- fahren erledigt sind. Der wünschenswerte zügige Fortgang dieser Verfahren wird durch die immer wieder von Rot-Grün beabsichtig- ten Änderungen hinausgezögert und steht deshalb dem Abschluss dieser Verfahren insgesamt entgegen. Zudem hätte über eine Vielzahl der in diesem Gesetzentwurf ent- haltenen Änderungen bereits mit dem Vermögensrechts- ergänzungsgesetz oder mit dem Grundstücksrechtsände- rungsgesetz aus dem Jahr 2000 der parlamentarischen Beratung diskutiert werden können. Folge dieser Änderungen im parlamentarischen Minu- tentakt ist, dass für die Arbeit der Ämter zur Regelung of- fener Vermögensfragen erneut das Risiko der Verzöge- rung in der Abwicklung noch offener Verfahren, aber auch durch Wiederaufnahme bereits abgeschlossener Verfah- ren besteht. Dadurch entstehen neue Rechtsunsicherhei- ten für den Anspruch der Betroffenen auf einen endgülti- gen Abschluss der offenen Vermögensfragen. Wir wissen auch, dass mit diesem Ziel ganz unmittelbar Fragen nach Planungssicherheit und Investitionstätigkeiten im Grundstücksverkehr und damit der infrastrukturellen Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. April 2002 23393 (C) (D) (A) (B) Entwicklung der Kommunen einhergehen. Aus der An- hörung sind die Bedenken dazu von den Vertretern der Wohnungsbaugesellschaften mehr als deutlich geworden. Warum – so ist zu fragen – haben Sie, meine Herren, meine Damen von den Regierungsfraktionen, Ihren Antrag daher heute zur Abstimmung gestellt? In den Beratungen ist die zwingende Notwendigkeit der von Ihnen jetzt wieder ein- geforderten Änderungen nicht deutlich geworden, stattdes- sen vielmehr deren nachteilige Auswirkungen. Und ich for- dere den Handlungsauftrag für diese Änderungen schon ein. Wie sonst wären diese Maßnahmen, die zu neuen Rechtsunsicherheiten, zu finanziellen Belastungen, zu Änderungen und Wiederaufnahmen bereits abgeschlosse- ner Verfahren führen würden, überhaupt zu rechtfertigen? Wie sonst ließe sich rechtfertigen, dass sich die Abwick- lung noch laufender Restitutionsverfahren verzögert und gewachsenes Vertrauen in die bestehenden Regelungen beeinträchtigt würde? Wenn Sie in der Gesetzesbegründung erläutern, dass es um die Verbesserung der materiellen Gerechtigkeit zu- gunsten NS-Geschädigter und Alteigentümer gehe, klingt dies vordergründig nachdenkenswert. Ich konzediere, dass an der ein oder anderen Stelle Ihrer geplanten Ände- rungen Wertungswidersprüche vielleicht auch beseitigt werden könnten. Gleichwohl überwiegen in diesem Ent- wurf eindeutig die negativen Folgen, die zwangsläufig mit einer so späten Ausweitung von Restitutionsan- sprüchen verbunden sind. Unter anderem enthält der Antrag Änderungen zuguns- ten der Alteigentümer. Ich verhehle nicht, dass die Aus- weitung der Restitution bei den so genannten kalten Ent- eignungen ein diskussionswürdiger Ansatz ist. Ihr Regelungsvorschlag aber, nur die Betroffenen zu begüns- tigen, die seinerzeit fristgerecht einen entsprechenden An- trag gestellt haben, ist jedoch auch verfassungsrechtlich nicht unbedenklich. Sie riskieren das unbillige Ergebnis, dass derjenige, der nach bisheriger Rechtslage keinen An- trag gestellt hat, weil der Anspruch ja auch gar nicht bestand, auch weiterhin wegen des Fristablaufes zur An- meldung ausgeschlossen bleibt. Meine Damen und Her- ren von der SPD, Sie bestrafen den gewissenhaften Anmelder und belohnen denjenigen, der unrichtig ange- meldet hat. Der materiellen Gerechtigkeit wird damit kein Dienst erwiesen. Verfassungsrechtliche Bedenken mit Blick auf den Gleichbehandlungsgrundsatz können nicht ausgeräumt werden. Dem bislang mit seinem unbegründeten Antrag abge- wiesenen Anmelder eröffnen Sie mit dem Wiederaufgrei- fen des Verfahrens die Möglichkeit, seinen Anspruch durchzusetzen. Neue Rechtsunsicherheiten und zusätzli- che Verzögerungen wären Folge dieser späten Änderung. Sie, meine Damen und Herren von der SPD, opfern aber ohne große Not eine durchaus mit Schwierigkeiten ge- wonnene Rechtssicherheit. Und dass Sie dabei die Kon- sequenzen entweder nicht bedacht haben oder in Kauf nehmen wollten, zeigt sich in der Tatsache, dass eine er- forderliche Anpassung der Anmeldefrist des § 30 a des Vermögensgesetzes von Ihnen nicht in Erwägung gezogen wurde. Es wäre konsequent gewesen, die Anmeldefrist aufgrund der augenscheinlichen Widersprüchlichkeiten dann auch anzupassen. Wegen der damit einhergehenden unübersehbaren Folgen können Sie dies aber verständli- cherweise nicht tun. Aber es geht Ihnen ja im Grunde auch gar nicht um die Probleme der Restitution in den Fällen der kalten Ent- eignungen. Obwohl bereits im Jahre 2000 mit dem Grund- stücksrechtsänderungsgesetz in dieser Frage gescheitert, versuchen Sie doch heute erneut und nur wenig modifi- ziert, Änderungen in der Unternehmensrestitution herbei- zuführen, deren Hauptbegünstigte nun einmal recht- statsächlich die Gewerkschaften als NS-Geschädigte wären. Ob es eine Ausweitung der Restitution oder eine – wie Sie es formulieren – Klarstellung des Gesetzes ist, die fi- nanziellen Auswirkungen zulasten der Verfügungsberech- tigten – zumeist die Wohnungsbaugesellschaften – sind gravierend. Dies ist in der Anhörung auch deutlich geworden. Auch von Vertretern der Ämter zur Regelung offener Vermögensfragen wurden diese Bedenken geteilt. Sie ge- fährden den Stadtumbau Ost, wie uns einige Sachverstän- digen in der Anhörung eindrucksvoll darlegten, da Liquiditätsprobleme bei den Wohnungsunternehmen ver- schärft werden. Längst hat Ihr Gesetzesentwurf auch neue Begehrlich- keiten geweckt und damit beabsichtigte Vergleichsver- handlungen zwischen den Verfügungs- und den Restituti- onsberechtigten beeinträchtigt. Sie schaffen dadurch neue Unsicherheiten und riskieren weitere bürokratische Hemmnisse bei der Abwicklung der Ansprüche nach dem Vermögensgesetz. Dem Rechtsfrieden ist all dies nicht förderlich. Diese negativen Folgen verschärfen sich auch noch mit der von Ihnen vorgeschlagenen Mietenauskehr bei den vereinfachten Rückübertragungen nach dem Investitions- vorranggesetz. Bei den hohen Leerständen sind Insolven- zen der Wohnungsunternehmen abzusehen. Ihnen, meine Damen und Herren von der SPD, wird es obliegen, den Mietern solcher von Insolvenz bedrohten Wohnungsunternehmen den tieferen Sinn Ihres Gesetzes- vorhabens zu erläutern. Der BGH ist jedenfalls nicht der Auffassung, dass Restitutionsberechtigten bei investiven Vorhaben ein Anspruch auf Auskehr von Mieten oder Pachten zustehen müsse. Für dieses „Insolvenzbeschleunigungsgesetz“, wie es ein Sachverständiger in der Anhörung ebenso trefflich wie deutlich formulierte, dürfen Sie unsere Zustimmung nicht erwarten. Wegen dieser gravierenden Folgen einzelner Maßnahmen im vorliegenden Gesetzentwurf, können an- dere – im Grundansatz zu befürwortende Regelungen – in der Gesamtbewertung dieses Gesetzentwurfes zu keiner Zustimmung führen. Wir lehnen ihn daher ab. Bei dem heute mit zu beratenden Antrag der FDP wer- den wir uns enthalten. Mit dem Antrag der FDPwurde das Schicksal der aktiven NS-Widerständler auf die Tages- ordnung dieses Hohen Hauses gerufen. Vielleicht spreche ich auch für die anwesenden Kollegen, wenn Respekt und Achtung vor dem Mut und dem Schicksal der NS-Wider- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. April 200223394 (C) (D) (A) (B) ständler und ihrer Familien mit diesem Antrag in Erinne- rung gerufen werden. Gleichwohl darf das den Blick für die Umsetzbarkeit des Anliegens nicht verstellen. Wir halten die bestehenden Regelungen des Vermögens- gesetzes in seiner Zielstellung und damit in dem Rege- lungsanspruch dem Grunde nach für tragbar und akzeptabel. Es ist sicher einzuräumen, dass wir in der Anwendung des Gesetzes einer Vielzahl von Schicksalen nicht mit der emo- tional wünschenswerten Einzelfallgerechtigkeit begegnen können. Mit diesem Antrag wird aber der sachliche Gel- tungsbereich des Vermögensgesetzes nachträglich geändert. Jede Änderung des sachlichen Geltungsbereichs wirkt streng genommen in jedes vermögensrechtliche Verfahren hinein und würde zwangsläufig zu neuen Rechtsunsicher- heiten und zu weiteren Belastungen des Grundstücksver- kehrs führen. Daran dürfte auch die angegebene geringe Zahl der mutmaßlichen Betroffenen letztlich nichts ändern. Darüber hinaus würde dieser Antrag zu einem System- bruch des Vermögensgesetzes führen. Wenn nunmehr die Kausalität zwischen Schädigungsgrund und schädigen- dem Ereignis im Bereich des Vermögensgesetzes teil- weise aufgegeben werden soll, ist nicht absehbar, in wie vielen anderen Fällen individuell erlittenen Unrechts Re- gelungen notwendig würden. Die FDP will mit ihrem Antrag den Restitutionsgrund im Rahmen des § 1 Abs. 6 VermG für einen eingrenzba- ren Personenkreis auf die Lebensweise – dem aktiven Wi- derstand – erweitern, deren Vermögenswerte später durch die Bodenreform konfisziert wurde. Bisher ist Restitu- tionsgrund im Rahmen des § 1 Abs. 6 aber gerade der Ver- mögensentzug durch NS-Unrecht. Dies würde im Ergeb- nis aber den Restitutionsausschluss nach § 1 Abs. 8 a für bestimmte Gruppierungen durchbrechen, der Bodenre- formopfer auf Leistungen nach dem Ausgleichleistungs- gesetz verweist. Bei Würdigung aller Umstände können wir diesem An- trag nicht zu stimmen. Wir werden uns enthalten, weil dem Grundanliegen ein moralischer Anspruch nicht ab- zusprechen ist und eine Entschädigungsregelung außer- halb des Vermögensgesetzes, zum Beispiel durch eine Fondslösung, auch mit Blick auf die eingrenzbare Zahl der Betroffenen wünschenswert wäre. Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GÜ- NEN): Wir debattieren und entscheiden heute über meh- rere Anträge, die Vorschriften des Vermögens- und Ent- schädigungsrechts für das Gebiet der ehemaligen DDR zu ändern, weil tatsächliche oder angebliche Ungerechtig- keiten des nach der Vereinigung geschaffenen Vermö- gensgesetzes deutlich geworden sind. Es geht zum Beispiel um so genannte „kalte Enteig- nungen“, das heißt, dass zur DDR-Zeit Menschen ge- zwungen wurden, etwa Erbschaften auszuschlagen, und es geht auch um einen Antrag der FDP, „aktive Wider- ständler“ in der Nazizeit Erben von Widerstandskämpfern der NS-Zeit gleichzustellen, wenn es um die Rückgabe von von den Nazis enteigneten Grundvermögen geht. Der Entwurf ändert nichts Grundsätzliches an den im Einigungsvertrag getroffenen Entscheidungen zur Rück- übertragung von Eigentum, das im Gebiet der DDR ent- eignet wurde. Es ändert sich auch nichts Grundsätzliches an der Entschädigung in den Fällen, in denen eine Rück- übertragung ausgeschlossen ist. Ich habe schon häufig auch hier im Bundestag zum Ausdruck gebracht: Ich be- dauere, dass solche grundsätzlichen Korrekturen insbe- sondere des Grundsatzes „Rückgabe vor Entschädigung“ nicht mehr möglich sind. Aber ich sehe, dass dies zu neuen schwerer wiegenden Ungerechtigkeiten führen würde und vor den Augen des Bundesverfassungsgerichts wohl keine Gnade finden könnte. In dem Artikelgesetz werden nun einige Klarstellungen vorgenommen in bestimmten – nicht unwichtigen – De- tails, die schief formuliert sind und in der Praxis Probleme bereitet haben. Schon aus rechtlichen Gründen müssen Ungereimtheiten beseitigt werden, auch dann, wenn diese Ungereimtheiten zulasten früherer Eigentümer gehen. So kann die abgenötigte Erbausschlagung in der DDR, eben die „kalte Enteignung“, nicht anders behandelt werden als eine „normale“ Enteignung. Auch die, die in einer Nöti- gungssituation in der DDR eine Erbschaft ausgeschlagen haben, sollen Wiedergutmachungsansprüche erhalten. Die Regelung der so genannten Fiskuserbschaften war nötig geworden. Die Regelung zu den übergangenen Er- ben, die zu DDR-Zeiten weder enteignet worden waren noch auf ihr Erbe verzichtet hatten, ist nötig. Das hat das höchste deutsche Gericht auch so festgestellt. Die Frag- würdigkeit der Generalentscheidung des damaligen Ge- setzgebers ist keine Rechtfertigung für eine willkürliche Differenzierung. Gleiches darf nicht ungleich behandelt werden. Es ist es beispielsweise auch sachgerecht, die Rück- gabe von Grundstücken dann zu erleichtern, wenn sie nach der geltenden Rechtslage nur deshalb nicht zurück- gegeben werden können, weil die Verbindung zum öf- fentlichen Wegenetz fehlt. Die Restitutionsproblematik sollte nicht an der Frage des Notwegerechts entschieden werden. Richtig ist aus grundsätzlichen Überlegungen auch, die Rechtsstellung der NS-Opfer zu verbessern, die rechts- staatswidrig ihre Anteile an Unternehmen verloren haben. Änderungen sind auch an anderer Stelle geboten. Die Situation für Opfer der Zwangsaussiedlung aus den Grenzgebieten ist gegenwärtig misslich. Nach geltender Rechtslage kann es zur doppelten Anrechnung der ge- währten Gegenleistungen an den Betroffenen kommen. Das ist aus Gerechtigkeitsgründen unhaltbar. Ich habe be- reits anlässlich der Einbringung dieses Gesetzes auf diese Schwierigkeiten hingewiesen. Wir kennen doch alle die Fälle, wo die Betroffenen ihr Eigentum in einem fürch- terlichen Zustand zurückbekommen haben. Wenn sie die Entschädigungsleistungen zurückzahlen müssen, dann muss klar sein, dass sie nur an den Entschädigungsfonds zahlen und an niemand anderen. Dem Antrag der FDP konnten wir nicht entsprechen. Natürlich ist an der Überlegung etwas dran, dass auch die, die in der NS-Zeit verfolgt wurden, denen ihr Vermögen wegen ihres Widerstandes genommen wurde, die aber nicht zu Tode gekommen sind, grundsätzlich restituiert werden sollten. Aber es ist kaum vernünftig und gerecht zu definieren, wer denn unter „aktive Widerständler“ Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. April 2002 23395 (C) (D) (A) (B) fallen soll. Jeder Versuch der Definierung schafft neue Ungleichheit und Ungerechtigkeit. Für Wohnungsunternehmen kann es zu Problemen führen, auch zu erheblichen Problemen – das sehen wir auch, wenn sie jetzt Grundeigentum herausgeben müssen; aber solche wirtschaftlichen Überlegungen reichen nicht als Grund, eine Restituierung zu verweigern und damit mehr Gerechtigkeit und Gleichbehandlung zu erreichen. Recht muss tatsächlich Recht bleiben. Für die Verwaltungen wird es nicht einfach sein, die notwendigen Neuregelungen in der Praxis umzusetzen. Das gilt vor allem für laufende oder bereits abgeschlos- sene Verfahren. Die Bundesregierung hat bei ihrer Ge- genäußerung im Grundsatz Recht, wenn sie feststellt, dass die Belange der materiellen Gerechtigkeit und der Ar- beitsbelastung für die Verwaltung gegeneinander abge- wogen werden müssen. Die allzu sehr am Wohl der Ver- waltung orientierten Bedenken des Bundesrates müssten an dieser Stelle konkretisiert und belegt werden. Ich denke auch, dass die Auswertung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Entschädigung bei kalten Enteignungen hier die weitere Diskussion beeinflussen wird. Wir sehen diese Reparaturen des Vermögensgesetzes als notwendig an. Wir hoffen, dass damit das Kapitel deut- scher Geschichte, jedenfalls was die vermögensrechtliche Aufarbeitung anbelangt, bald abgeschlossen werden kann. Schließlich wurde im Rechtsausschuss zu Recht darauf hingewiesen, dass inzwischen mehr als 95 Restitutions- verfahren abgeschlossen sind. Rainer Funke (FDP): Zur heutigen Beratung liegen zwei Gesetzentwürfe vor, die sich beide zur Aufgabe ge- stellt haben, mögliche Lücken des Vermögensgesetzes zu füllen. Der FDP-Entwurf eines 2. Vermögensrechtsergänzungs- gesetzes soll dafür sorgen, dass neben Widerstandskämp- fern, die vor dem nationalsozialistischem Volksgerichtshof verurteilt worden sind und deren Vermögen eingezogen wurde, auch diejenigen ihr Vermögen zurückerhalten, die Widerstandskämpfer gegen den NS-Staat gewesen sind, aber im NS-Staat tatsächlich nicht verurteilt wurden, zum Beispiel weil sie auch nicht gefasst oder ermittelt worden waren. Wir wollen, dass ihnen ihre Vermögenswerte, die in der späteren sowjetischen Besatzungszone gelegen waren und dann konfisziert wurden, zurückgegeben werden. In den Beratungen des Rechtsausschusses haben fast alle Kolleginnen und Kollegen, die sich mit dieser Frage befasst haben, geäußert, dass sie vor dieser Personen- gruppe großen Respekt haben und dass sie einen morali- schen Anspruch hat, ihre Ansprüche geltend zu machen. Einen rechtlichen Anspruch wollte die Mehrheit, insbe- sondere aus den Koalitionsfraktionen, nicht gewähren. Vielleicht ist dies einer der Gründe, warum viele Bür- ger unseren Rechtsstaat nicht verstehen, weil nämlich das, was als moralisch und ethisch richtig angesehen wird, allzu häufig nicht den Weg ins Bundesgesetzblatt findet. Hierüber sollten wir uns mal außerhalb des Wahlkampfes unter den Rechtspolitikern Gedanken machen. Mit mei- nen Gerechtigkeitsmaßstäben ist es jedenfalls nicht zu vereinbaren, dass diese Widerstandskämpfer ihr Vermö- gen nicht zurückerhalten. Der bittere Satz: „Nur die getö- teten Widerstandskämpfer sind gute“, darf so nicht stehen bleiben. Auch der zweite Gesetzentwurf zum Vermögensrechts- ergänzungsgesetz, nämlich der der Bundesregierung, ver- sucht anhand von Einzelfällen Neuregelungen und Ergän- zungen vorzunehmen. Wir fürchten jedoch, dass es keine echten Lösungen sind, sondern neue Ungerechtigkeiten entstehen. Nach § 2 Abs. 1 Vermögensgesetz haben Berechtigte we- gen der Erbausschlagung im Hinblick auf Vermögensschä- digungen, die der Erblasser erlitten hat, keine vermögens- rechtlichen Ansprüche, weil sie infolge der Erbausschlagung keine Rechtsnachfolger geworden sind. Dies soll nun geän- dert werden, aber nur insoweit, als noch keine rechtskräfti- gen Entscheide vorliegen. Bei rechtskräftigen Entscheiden will man zwar mit einer Wiederaufnahme des Verfahrens helfen. Aber bei all den Fällen, bei denen die Berechtigten nach rechtlicher Beratung ihre Ansprüche nicht angemeldet haben – und das dürfte der überwiegende Teil sein –, wird die Antragsfrist nicht wieder eröffnet. Hier werden innerhalb derselben Betroffenengruppe Ansprüche gewährt bzw. nach Ablauf der Antragsfrist nicht gewährt. Diese unterschiedli- che Verfahrensweise kann nicht gerecht sein. Auch in § 3 Abs. 1 Vermögensgesetz wird für eine be- stimmte Gruppe, nämlich die der Gewerkschaft, ein Son- dergesetz geschaffen, und zwar durch die Möglichkeit der Addition von Kleinstbeteiligungen beim so genannten doppelten Durchgriff. In der Anhörung ist insbesondere von den Verbänden der Wohnungswirtschaft von erhebli- chem Nachteilen für die Wohnungswirtschaft und für den Wohnungsmarkt berichtet worden. Wir teilen diese Auf- fassung und hätten uns eine gründlichere Bearbeitung im Bundesjustizministerium gewünscht. Denn auch in Be- richterstattergesprächen konnten die nicht finanziellen Auswirkungen dargelegt werden. Wir werden den Gesetzentwurf der Bundesregierung daher nicht zustimmen. Gesetze müssen nicht nur rechts- staatlich sein; sie sollten auch gerecht sein. Gerechtigkeit wird jedoch weder die Ablehnung unseres Gesetzentwur- fes bringen noch der Beschluss des Koalitionsentwurfes. Dr. Evelyn Kenzler (PDS): Der Regierungsentwurf will Ungereimtheiten und Ungerechtigkeiten bei der bis- herigen Regelung offener Vermögensfragen bereinigen. Dagegen wäre an sich nichts einzuwenden. (So ist es durchaus überlegenswert, einen Restitutions- oder Ent- schädigungsanspruch für Grundstücke einzuführen, die zu DDR-Zeiten durch Erbausschlagung Volkseigentum wurden. Es handelte sich dabei meist um überschuldete und instandsetzungsbedürftige Wohnhäuser, die zu erben eine nicht tragbare finanzielle Last war. An sich ist auch eine Verbesserung der Regelungen beim „doppelten Durchgriff“ zugunsten der bereits in der Zeit des Natio- nalsozialismus Enteigneten nicht von vornherein abzu- lehnen. Diese Regelungen führen jedoch fast zwölf Jahre nach der Vereinigung zu neuer Rechtsunsicherheit und zu er- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. April 200223396 (C) (D) (A) (B) heblichen finanziellen Belastungen für die ostdeutschen Wohnungsunternehmen, die ohnehin überschuldet sind oder sogar am Rande des Ruins stehen. In der Anhörung des Rechtsausschusses am 17. April wurde berichtet, dass für die Leipziger Wohnungs- und Baugesellschaft finan- zielle Verpflichtungen in dreistelliger Millionenhöhe ent- stehen. Der Entwurf wurde als „Insolvenzbeschleuni- gungsgesetz“ bezeichnet. Der Bundesverband deutscher Wohnungsunternehmen kommt zu der Einschätzung, dass durch die neuen Belastungen der Stadtumbau Ost äußerst gefährdet würde. Die Bundesregierung schlägt ein Gesetz vor, ohne den Kreis der Betroffenen, die Anzahl der zu erwartenden Fälle und die finanziellen Folgen der Regelungen auch nur einigermaßen genau bestimmen zu können. Sie trifft aber nicht zugleich Maßnahmen zur finanziellen Entlas- tung der Wohnungsunternehmen. Ich halte das für verant- wortungslos. Meine Fraktion muss einem Gesetz die Zustimmung verweigern, das zur finanziellen Strangu- lierung der ostdeutschen Wohnungsunternehmen führen kann. Zum Entwurf der FDP, der einen ganz anderen Sach- verhalt betrifft, ist Folgendes zu sagen: Meine antifaschis- tische Gesinnung gebietet mir allergrößten Respekt vor den mutigen Frauen und Männern des 20. Juli 1944 wie auch vor allen anderen aktiven Kämpfern gegen den Hit- ler-Faschismus. Es ergeben sich aber gewichtige völker- rechtliche und verfassungsrechtliche Einwände gegen den Vorschlag der FDP. Die Betroffenen wurden zweifelsfrei „auf besatzungs- rechtlicher bzw. besatzungshoheitlicher Grundlage“ im Rahmen der Bodenreform in der sowjetischen Besat- zungszone enteignet. Solche Enteignungen „sind nicht mehr rückgängig zu machen“. So heißt es in der Gemein- samen Erklärung der beiden deutschen Regierungen vom 15. Juni 1990. Möglich ist eine Ausgleichsleistung, aber nicht die Rückgabe von Grund und Boden. Die Bodenre- form soll nicht angetastet werden. Die Erklärung ist nach Art. 41 Abs. 1 Bestandteil des Einigungsvertrags. Sie ist in dem Gemeinsamen Brief der beiden deutschen Außenminister anlässlich der Unter- zeichnung des Zwei-plus-Vier-Vertrags an die Außenmi- nister der vier Mächte verankert. Und schließlich ist die Erklärung in Art. 143 Abs. 3 des Grundgesetzes bestätigt. Das Bundesverfassungsgericht hat den Restitutionsaus- schluss wiederholt für rechtsgültig erklärt. Von diesen rechtlichen Vorgaben geht auch das Vermögensgesetz aus. Aus diesen prinzipiellen Gründen müssen wir dem Entwurf unsere Zustimmung versagen. Dr. Eckhart Pick, Parl. Staatssekretär bei der Bun- desministerin der Justiz: Mit dem Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung und Ergänzung vermögensrecht- licher und anderer Vorschriften stehen heute abermals Re- gelungen auf dem Gebiet der „Offenen Vermögensfra- gen“ in den neuen Bundesländern auf der Tagesordnung. Ich kann Ihnen versichern, dass auch die Bundesregierung daran interessiert ist, in diesem inzwischen recht kompli- zierten Rechtsbereich Kontinuität zu wahren und die be- troffenen Verwaltungsbehörden und Gerichte nicht immer wieder vor neue Anforderungen zu stellen. Wenn sich aber in der Praxis erweist, dass das geltende Recht – seien es auch Einzelfragen – nicht mehr zu Rechtsfrieden und ge- rechten Ergebnissen führt, ist nach meiner Auffassung der Gesetzgeber gefordert. Der Entwurf – das haben wir immer betont – ändert weder etwas an den bereits mit dem Einigungsvertrag ge- troffenen grundlegenden Entscheidungen zur Rücküber- tragung von Eigentum, das im Gebiet der DDR enteignet wurde, noch bei der Entschädigung in den Fällen, in de- nen die Rückübertragung ausgeschlossen ist. Vielmehr verfolgt er vor allem zwei Anliegen, nämlich: Erstens wollen wir dort Klarstellungen vornehmen, wo sich gezeigt hat, dass missverständliche Formulierungen vermögensrechtliche Verfahren behindern oder zu unzu- treffenden Ergebnissen führen können. In diesem Sinne – das sage ich vor allem mit Blick auf diejenigen, die al- lein wegen der Gefahr zusätzlicher Belastungen der Behörden die Vorschläge kritisieren – können die Neu- regelungen sogar zur Beschleunigung und Vereinfachung der Verfahren beitragen. Und zweitens sollen die Vorschläge gerechtere Lösun- gen ermöglichen, wo die geltenden Regelungen in Aus- nahmekonstellationen für Alteigentümer zu unbilligen Entscheidungen führen. Das sind wir den Betroffenen schuldig. Die Ausschüsse des Deutschen Bundestages haben sich die parlamentarischen Beratungen zu diesem Gesetzent- wurf nicht leicht gemacht. Die vom Rechtsausschuss durchgeführte Experten- anhörung hat uns in die Lage versetzt, uns sachkundig zu machen und die Berechtigung der Änderungsvorschläge einzuschätzen. Sie hat uns in unserer Auffassung bestä- tigt, dass wir die Verfahren zur Regelung der offenen Ver- mögensfragen nur dann zügig abschließen können, wenn über die Entscheidungen der Vermögensämter möglichst wenig Streitigkeiten entstehen. Denn Rechtsstreitigkeiten ziehen sich mitunter über Jahre hin; sie belasten die Recht Suchenden, die Behörden und Gerichte gleichermaßen. Wenn wir zugunsten von NS-Verfolgten im Bereich des so genannten doppelten Durchgriffs auf entzogene Vermögensgegenstände in Zukunft in verstärktem Maße verfolgungsbedingt entzogene Anteile an Mutterunter- nehmen addieren wollen, dann gebietet dies zum einen die Gerechtigkeit und es soll zum anderen der bestehenden Rechtsunsicherheit entgegengewirkt werden. Auf die ge- genwärtige Rechtsunsicherheit und die daraus folgende uneinheitliche Verwaltungspraxis in den neuen Ländern ist in der Anhörung wiederholt von den Sachverständigen hingewiesen worden. Die vorgeschlagene klarstellende Regelung ist ein Kompromiss zwischen den berechtigten Anliegen der NS-Verfolgten und dem Vertrauen der Verfügungs- berechtigten – vor allem der Wohnungswirtschaft – da- rauf, dass überhaupt keine Addition kleinerer Anteile er- folgen werde: Die Anteile an verschiedenen Unternehmen werden – nur – dann addiert, wenn der NS-Verfolgte auch ohne diese zusätzlichen Anteile ohnehin schon einen An- spruch auf Einräumung von Bruchteilseigentum hatte, sie Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. April 2002 23397 (C) (D) (A) (B) werden diesem ohnehin bestehenden Anspruch also nur hinzugezählt. Damit wird gewährleistet, dass Vermögens- werte, die bislang von Restitutionsansprüchen frei waren, auch restitutionsfrei bleiben. Ein Wiederaufgreifen dieser abgeschlossenen Verfahren wird es aufgrund der vorge- schlagenen Regelung daher nicht geben. Die Sachverständigen haben uns auch bestätigt, dass sich aus der Regelung kein Mehraufwand für die Ämter ergibt: Denn schon bisher müssen – nicht zuletzt für die spätere Entscheidung über eventuelle Entschädigungs- ansprüche – Kleinstbeteiligungen ermittelt werden. In den vorliegenden Entwurf haben wir Vorschläge aufgenommen, die erforderlich sind, um für die Alt- eigentümer unbillige oder nicht mehr nachvollziehbare Ergebnisse zu vermeiden. Lassen Sie mich das an einem Beispiel darstellen: Seit 1994 gibt es die Vorschrift, nach der Alteigen- tümer, die ein Mietshaus nach dem Vermögensgesetz zurückerhalten, die seit Juli 1994 eingenommenen und nicht in die Verwaltung oder das Mietobjekt investierten Mietzinsen beanspruchen können (§ 7 Abs. 7 VermG). Es ist nicht recht nachzuvollziehen, weshalb dies dann nicht gelten soll, wenn die Rückgabe an den Alteigentümer nicht über einen vermögensrechtlichen Bescheid erfolgt, sondern nach den §§ 21, 21 b des Investitionsvor- ranggesetzes erfolgt. Wirtschaftlich wird das gleiche Er- gebnis erzielt, nur das vorgelagerte Verfahren ist ein anderes. Auch bei diesen Verfahren nach dem Investi- tionsvorranggesetz besteht die Gefahr, dass sich die Ver- fahren länger hinziehen. In der Zwischenzeit verfallen die Häuser, wenn die Mieten nicht in sie investiert werden. Dem Alteigentümer werden dann nicht nur die Miet- erträge vorenthalten, sondern er erhält sein Haus auch noch wertgemindert zurück. – Wir verkennen nicht die enormen Anstrengungen der Wohnungswirtschaft und die großen finanziellen Belastungen, vor denen die Unter- nehmen infolge der jahrzehntelangen Misswirtschaft ste- hen. Hier aber geht es um die Beseitigung einer „Schief- lage“, deren Beibehaltung den Alteigentümern nicht zu vermitteln ist. Die Verfügungsberechtigten, so auch die Wohnungs- wirtschaft, mussten in diesen Fällen schon bisher kalku- lieren, die Nutzungen herausgeben zu müssen, weil stets die Möglichkeit bestand, dass der Vermögenswert statt im Verfahren nach dem Investitionsvorranggesetz nach dem Vermögensgesetz zurückübertragen wird. Die Belastung der Wohnungsbauunternehmen durch diese Neuregelung ist dadurch begrenzt, dass der Anspruch binnen eines Jah- res nach bestandskräftiger Feststellung der Berechtigung geltend zu machen ist. In vielen Verfahren aus der Ver- gangenheit ist diese Frist bereits verstrichen. Auch die beabsichtigte Änderung des Vermögens- gesetzes, die dazu führen wird, dass Teilgrundstücke künftig auch dann an die Alteigentümer zurückgegeben werden können, wenn sie nicht mit dem öffentlichen We- genetz verbunden sind, erscheint mir dringend. Es ist nicht nachzuvollziehen, dass die Wiedergutmachung von Unrecht daran scheitern soll, dass zunächst ein bauord- nungsrechtswidriger Zustand entsteht, zu dessen Beseiti- gung der Gesetzgeber längst allerdings das rechtliche Instrumentarium bereitgestellt hat. Und gegen den Vorschlag, den Erbschein künftig kos- tenfrei zu erteilen, wenn dieser zum Nachweis der Be- rechtigung erforderlich wird, sind bisher ebenso keine überzeugenden Argumente vorgetragen worden. Es ist bisher nicht gelungen, die vermögensrechtlichen Anträge vollständig abzuarbeiten. Sehr oft sind die Berechtigten aber im höheren Lebensalter; mitunter versterben sie vor der Entscheidung über ihren Anspruch. Dann ist es nach meiner Ansicht auch gerechtfertigt, ihre Rechtsnachfolger von den Kosten eines erforderlichen Erbscheins, der sie in die Lage versetzt, den Anspruch weiter zu verfolgen, zu befreien. Der Gesetzentwurf enthält ferner Regelungen für das Entschädigungsgesetz. Hier werden vor allem Klarstel- lungen zu den Berechnungs- oder Anrechnungsgrund- lagen bei der Bemessung von Entschädigungsleistungen getroffen. Diese greifen zum Teil eine bereits zwischen Bund und Ländern abgestimmte Verwaltungspraxis auf. Ich habe anhand von Beispielen versucht, Ihnen das Erfordernis der Neuregelungen zu verdeutlichen und da- mit zugleich im Gesetzgebungsverfahren geäußerte Vor- behalte abzubauen. Ich bitte Sie, dem Gesetz zuzustim- men. Anlage 14 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Errichtung einer Stiftung Deutsche Geisteswis- senschaftliche Institute im Ausland, Bonn (Tagesordnungspunkt 32) Hans-Werner Bertl (SPD): Im Geschäftsbereich des BMBF befinden sich zurzeit sieben geisteswissenschaft- liche Auslandsinstitute mit Standorten in Rom, Paris, London, Washington, Warschau, Beirut/Istanbul und To- kio. Die Institute erfüllen wichtige Aufgaben in den Be- reichen Forschung, Service und Nachwuchsförderung und sind aufgrund ihrer historischen Entwicklung recht- lich unterschiedlich organisiert. Auf Bitten des BMBF hat der Wissenschaftsrat in den Jahren 1996 bis 1999 diese In- stitute sowie das damals noch im Geschäftsbereich des BMBF befindliche Kunsthistorische Institut Florenz eva- luiert. In seiner abschließenden Stellungnahme regt der Wissenschaftsrat an, zu prüfen, ob ein gemeinsames insti- tutionelles Dach für alle aus öffentlichen Mitteln finan- zierten geisteswissenschaftlichen Forschungseinrichtun- gen im Ausland geschaffen werden sollte – das Kunsthistorische Institut Florenz wurde wegen der be- sonderen fachlichen Nähe zur Bibliotheca Hertziana, die von der Max-Planck-Gesellschaft getragen wird, an diese mit Wirkung ab Anfang dieses Jahres übertragen. Der uns heute vorliegende Gesetzesentwurf folgt der Anregung des Wissenschaftsrates. Das Ziel des Gesetzes ist die Schaffung eines neuen Rechtsträgers, unter dessen Dach die Institute zusammengefasst werden sollen. Die Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. April 200223398 (C) (D) (A) (B) Zusammenfassung in einem Träger schafft die dringend notwendige Voraussetzung für mehr interne Kooperation, ein verbessertes Auftreten in der Öffentlichkeit, die bes- sere Wahrnehmung gemeinsamer Anliegen und die Er- leichterung von Neuaufnahmen unter einem gemeinsa- men Dach – es gibt zum Beispiel bereits jetzt konkrete Überlegungen für ein neues Institut in Russland. Für die Zukunftsfähigkeit der Institute ist die Zusam- menfassung unter einem gemeinsamen Dach Vorausset- zung. Die über teilweise mehr als 100 Jahre gewachsenen Strukturen der einzelnen Institute tragen den heutigen An- forderungen in einer global orientierten und modernen in- ternationalen Forschungslandschaft hinsichtlich der Sichtbarkeit der Institute wie auch ihrer Kooperation un- tereinander nicht mehr hinreichend Rechnung. Teilweise waren die Institute bisher in der Form unselbstständiger Bundesanstalten organisiert – diese Rechtsform ist für Forschungseinrichtungen denkbar ungeeignet. Die Aus- gestaltung von zum Beispiel administrativen Eingriffs- rechten, wissenschaftlicher Selbstkontrolle, Beiratswesen oder Befristung von Funktionen entsprach in Details nicht mehr den heutigen vom Wissenschaftsrat geforderten Standards. Den ab und zu laut werdenden Vorwurf des Zentralis- mus oder gar Dirigismus muss man sich wegen dieses Ge- setzentwurfes nicht machen lassen – er ist unfair und ent- spricht nicht den Tatsachen. Die Zusammenfassung als solche unter einem Dach mit einem Stiftungsrat, der über- wiegend mit Wissenschaftlern besetzt ist, kann nicht als Dirigismus bezeichnet werden. Das vorgelegte Gesetz fällt hinsichtlich der wissenschaftlichen Freiheit der ein- zelnen Institute hinter keine der bisher existierenden Re- gelungen zurück. Über die Abgrenzung der Aufgaben zwischen den örtlichen Verwaltungen und der gemeinsa- men Geschäftsstelle besteht Konsens. Auch die wissenschaftliche Freiheit der Institute ist nicht in Gefahr. Die Institute bleiben wissenschaftlich selbstständig – § 2 Abs. 2 des Gesetzentwurfes –, es gibt eine klare Abgrenzung zwischen den Befugnissen der Di- rektoren und den Befugnissen des Stiftungsrates, der als Aufsichts- und Lenkungsgremium konstruiert ist. Ich möchte an dieser Stelle zum Abschluss hervorhe- ben – ich habe dies auch im Bildungs- und Forschungs- ausschuss betont –, dass bei der Besetzung der Leitungs- gremien die Vorschläge des Wissenschaftsrates in aller Konsequenz umgesetzt werden müssen. Der Wissen- schaftsrat fordert ausdrücklich im aktiven Berufsleben stehende Persönlichkeiten zu berücksichtigen und betont – und das ist heute eine Selbstverständlichkeit – dass auch Frauen in den Leitungsgremien dieser Institute deutlich berücksichtigt werden sollen. Werner Lensing (CDU/CSU): Den deutschen Geis- teswissenschaftlichen Auslandsinstituten gebührt aus Sicht der Unionsfraktion schon immer eine besondere Pri- orität. Garantieren doch deren wissenschaftliche Leistun- gen eine würdige Repräsentanz Deutschlands im Ausland. Diese sind auf diese Weise willkommene Botschafter un- serer geisteswissenschaftlichen Kultur. Nicht von unge- fähr bescheinigt der Wissenschaftsrat den Auslandsinsti- tuten in seinem jüngsten Gutachten ausdrücklich eine überaus erfolgreiche Arbeit und wissenschaftliche Qua- lität. Zu dieser exponierten Stellung erbrachten nicht Zu- letzt die jeweiligen Institutsdirektorinnen und -direktoren einen entscheidenden Beitrag. Mit deren persönlichem und fachlichem Engagement stehen und fallen die Qua- lität und damit die Außenwirkung der Auslandsinstitute. Daher erscheint es der Union besonders wichtig, die Freiheit und die Unabhängigkeit dieser Institute zu ge- währleisten. Vor diesem Hintergrund sucht man überra- schenderweise im Gutachten des Wissenschaftsrates ver- geblich einen triftigen Grund, nach dem die Autonomie der Institute in einer derartig tief greifenden Art einzu- schränken sei, wie es der vorliegende Gesetzesentwurf vorsieht. Einer Optimierung der Synergieeffekte, wie vom Wis- senschaftsrat vorgeschlagen, wird niemand widerspre- chen wollen. Dann sollte allerdings auch in voller Konse- quenz des Vorhabens das Deutsche Archäologische Institut mit einbezogen werden. So regt Herr Professor Dr. Einhäuptl vom Wissenschaftsrat zu Recht an – siehe Ausschussdrucksa- che 14/585 –: „Die Zusammenfassung aller deutschen Geisteswissenschaftlichen Auslandsinstitute – neben den von BMBF finanzierten auch das vom Auswärtigen Amt finanzierte Deutsche Archäologische Institut und die zur Max-Planck-Gesellschaft gehörenden Bibliotheca Hert- ziana – in einem gemeinsamen institutionellen Verbund im Sinne einer Nutzung synergetischer Effekte und damit einer Stärkung der wissenschaftlichen Präsenz Deutsch- lands im Ausland zu erwägen“. Doch derzeit kann davon leider keine Rede sein. Of- fensichtlich ist in der rot-grünen Regierung eine effektive Verständigung über die Grenzen einzelner Ministerien hinweg kaum noch möglich. In Anbetracht dieser nicht zu leugnenden Verständigungsprobleme überrascht es nicht, wenn in letzter Zeit das Bundesministerium für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung erhebliche Schwierigkeiten hatte, freie Direktorenstellen mit kompe- tenten Persönlichkeiten zu besetzen. Offensichtlich waren die angelegten Auswahlkriterien nicht nur rein fachlicher Natur! Ansonsten hätte es keine Probleme bereiten dür- fen, unter der Vielzahl hervorragender deutscher Histori- ker einen geeigneten Vorschlag für den vakanten Posten in Washington zu finden. 0ffensichtlich spielten bisher bei der Auswahl der Di- rektoren die Vorstellungen des entsprechenden SPD-Ar- beitskreises eine entscheidendere Rolle als die jeweilige fachliche Kompetenz der Bewerber. Die betroffenen Beiräte leisteten daher aus verständlichem Grund erbit- terten Widerstand. Wie dünn in der rot-grünen Gefolg- schaft die Personaldecke ist, brauche ich sicherlich vor diesen Hause nicht erneut zu erläutern. Ich sage es mit gebotener Offenheit: Der gegenwärtige Stillstand ist für die Auslandsinstitute unerträglich. Daher darf auf keinen Fall die Neubesetzung der Direktorenstel- len durch ideologisches Gezerre auf die lange Bank ge- schoben werden, da darunter auch die wissenschaftliche Arbeit zu stark leiden würde. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. April 2002 23399 (C) (D) (A) (B) Gleiches gilt für die Besetzung der Beiräte. Das Vorschlagsrecht der Beiräte auf Ergänzung sollte stär- ker Berücksichtigung finden, als bisher beabsichtigt. Schließlich sollte der Stiftungsrat sinnvollerweise im Regelfall den Vorschlägen des Beirates folgen. Abwei- chungen müssten gegebenenfalls – natürlich überzeu- gend – begründet werden. Dabei könnte sich der Stif- tungsrat auf die Voten der gewählten Fachgutachter der Deutschen Forschungsgemeinschaft und des Historiker- verbandes beziehen, zumal diese ohnehin gemäß einer Empfehlung des Wissenschaftsrates anzuhören sind. Auf diese Weise könnte wirksam verhindert werden, dass sich Beiräte allzu autonom nur aus einem bestimmten Kreis rekrutieren. Wenn die Damen und Herren von der Regierungsko- alition die wiederholt von ihnen beschworene Freiheit der Institute wirklich ernst nehmen, müssten sie dem Vor- schlag der Union zustimmen und ein Selbstergänzungs- recht der Beiräte im Antrag zulassen. Doch sie reden im- mer nur von Freiheiten und meinen damit tatsächlich das Einsetzen von Kontrollgremien. Die Direktoren der Institute fühlen sich verständlicher- weise durch den Gesetzentwurf der Regierung mediati- siert. Sie befürchten zudem eine Minderung ihres Anse- hens im Gastland. Bekanntlich haben sich bisher vor Ort die Wissenschafts- und/oder Kulturreferate der Botschaf- ten sehr erfolgreich um die Institute gekümmert. Jetzt soll jedoch auf Betreiben der rot-grünen Koalition eine zentrale Geschäftsstelle in Bonn angesiedelt werden, die von der wirklichen Situation im jeweiligen Gastland kaum hinreichend Kenntnis haben dürfte. Angesichts der Tatsache, dass die Institute um jede einzelne und befris- tete Stelle zu kämpfen haben, stellt sich die Frage, welche Anzahl von Personen in der Geschäftsstelle tatsächlich angesiedelt werden soll. Auf keinen Fall akzeptieren wir eine unnötige und kaum verantwortbare Verwaltungs- bürokratie. Ich frage deshalb: Welche konkreten Aufga- ben soll denn diese Zentralstelle übernehmen? Werden demnächst etwa die hierfür im Haushalt bereitgestellten Mittel aus dem Etat der Institute abgezogen? Nach Auffassung der Regierung wird mit einer solchen Geschäftsstelle das Ministerium entlastet. Ich gebe jedoch dies zu bedenken: Wirklich komplizierte Dinge, wie Haushaltsplanverhandlungen mit dem BMF und Beru- fungsverhandlungen mit den Direktoren – auch hier muss der BMF gewissen Sonderabsprachen zustimmen – kann eine solche Geschäftsstelle kaum wirksam übernehmen. Schließlich waren in der Vergangenheit hierbei im Regel- fall zu Recht Staatssekretäre involviert. Ich sehe überdies auch diese Probleme: Noch immer sind die dienst- und arbeitsrechtlichen Fragen im Hinblick auf die geplante Statusänderung der „Kapitelinstitute“ für die betroffenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in kei- ner befriedigenden Weise geklärt: So gibt es bis heute noch keine klare Aussage des zuständigen Ministeriums, in welcher verbindlichen Rechtsform die bisherigen Be- amtinnen und Beamten im Rahmen der Stiftungen tätig werden sollen. Der § 12 Abs. 2 des Gesetzentwurfes bietet zwar eine Sicherheitsklausel für die erworbenen Rechte aus Arbeits- und Ausbildungsverhältnissen. Rechte aus beamtenrecht- lichen Dienstverhältnissen werden hingegen mit keinem Wort erwähnt. Bisher liegen mir keinerlei Informationen vor, in wel- cher Abgrenzung bei beamtenrechtlichen Fragen die Kompetenzverteilung zwischen der Geschäftsstelle der Stiftung und dem zuständigen Ministerium erfolgen soll. Weiterhin ungeklärt ist die Frage des Verbleibs aller Beschäftigten mit deutschen Dienst- und Arbeitsverhält- nissen im deutschen Sozialsystem. In Italien zum Beispiel herrscht Sozialversicherungspflicht. Eine Befreiung ist bekanntlich nur in Ausnahmefällen und auf Antrag mög- lich. Ich will nicht hoffen, dass die betroffenen Mitarbeite- rinnen und Mitarbeiter bewusst im Unklaren gelassen werden, bis sie schließlich vor vollendeten Tatsachen ste- hen. Ich fordere daher das Ministerium auf, oben ge- nannte dienstrechtliche Konsequenzen, die sich aus dem Gesetzentwurf ergeben, umgehend und auch zufrieden stellend mit den beteiligten Mitarbeiterinnen und Mit- arbeitern zu klären. Fazit: Ich halte es für erfreulich, dass es der Union ge- lungen ist, die Zahl der im Stiftungsrat vertretenen wis- senschaftlichen Beiräte aus den Auslandsinstituten auf vier zu erhöhen. Das nenne ich bei den noch vorherr- schenden Mehrheitsverhältnissen einen achtbaren Erfolg. Was allerdings von den fortwährenden Beteuerungen der Regierung zu halten ist, die Freiheit und Autonomie der Institute zu achten und die geplante Geschäftsstelle über- schaubar klein zu halten, wird die Zukunft weisen. Ich hoffe, dass die Besetzung von Direktorenposten und wei- tere bedeutsame Personalentscheidungen in Zukunft ohne einen ideologischen Filter erfolgen können. Dies schul- den wir dem Ruf der deutschen Geisteswissenschaftli- chen Institute. Dr. Reinhard Loske (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Bundesregierung verfolgt mit diesem Gesetz das Ziel, einen neuen Rechtsträger zu schaffen, unter dessen Dach die sieben geisteswissenschaftlichen Institute im Ge- schäftsbereich des BMBF zusammengefasst werden sol- len. Ihnen kommt eine wichtige Rolle in der auswärtigen Kulturpolitik zu. Die Zusammenfassung bildet die Vo- raussetzung für eine verstärkte Kooperation der Institute untereinander und erleichtert Neuaufnahmen unter einem gemeinsamen Dach. Darüber hinaus stärken wir die Posi- tion der Institute, die in Zukunft ihre Interessen gebündelt vertreten können. In anderen Worten kann man auch sagen: Wir nutzen die synergetischen Effekte und stärken die wissenschaft- liche Position Deutschlands im Ausland. Bisher waren die Institute faktisch absolut unabhängig, die Direktoren konnten eigenständig im jeweiligen Gastland auftreten. Die finanzielle Ausstattung der Institute war hervorra- gend. Diese wird in Zukunft auch nicht beschnitten. Vereinzelte Vorwürfe, die Regierung würde mit diesem Gesetz den spezifischen Ausgestaltungen der einzelnen Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. April 200223400 (C) (D) (A) (B) Institute widersprechen und damit dem Zentralismus Tür und Tor öffnen, halte ich für nicht gerechtfertigt. Die Ein- richtung eines gemeinsamen Stiftungsrats kann nicht als Dirigismus bezeichnet werden. Die Institute können statt- dessen von verwaltungstechnischen Synergieeffekten profitieren, ihre wissenschaftliche Eigenständigkeit aber beibehalten. Wir schaffen mit diesem Gesetz also die Voraussetzun- gen für eine kontinuierliche Weiterentwicklung der Ein- richtungen in einer stärker global orientierten Zeit. Dane- ben werden unauffällig einige Unebenheiten ausgebügelt, die nicht mehr zeitgemäß sind. Ich stimme deshalb dem Gesetzentwurf der Bundes- regierung zu. Ernst Burgbacher (FDP): Der Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Errichtung einer Stiftung Deutsche Geisteswissenschaftliche Institute im Ausland mit Sitz in Bonn weist in der vorliegenden Form einige Mängel und Schwachstellen auf, denen wir als FDP nicht zustimmen können. Daher enthalten wir uns in der heutigen Abstim- mung. Der Gesetzentwurf sieht vor, die sieben im Geschäfts- bereich des BMBF befindlichen geisteswissenschaftli- chen Auslandsinstitute mit unterschiedlichen Organisati- onsformen – die Deutschen Historischen Institute in Paris, London, Rom, Warschau und Washington sowie das Kunsthistorische Institut in Florenz, das Orientinstitut in Beirut und Istanbul sowie das Deutsche Institut für Japan- studien in Tokio – als öffentlich-rechtliche Stiftung zu- sammenzufassen. Vorausgegangen ist in den Jahren 1996 bis 1999 eine Evaluation der Institute durch den Wissen- schaftsrat, der den Instituten viel Anerkennung aussprach. Dennoch empfahl der Wissenschaftsrat einen gemeinsa- men institutionellen Verband. Zu kritisieren ist, dass der nun vorliegende Gesetzent- wurf der Regierung über die Köpfe der unmittelbar Be- troffenen hinweg erarbeitet wurde. Die Expertenanhörung des Bildungsausschusses hat gezeigt, dass die Skepsis groß ist. Zahlreiche Fragen wurden aufgeworfen, die die Bundesregierung nicht schlüssig beantworten konnte. Zum Beispiel: Wo können die viel beschworenen „Synergieeffekte“ zwischen dem Deutschen Historischen Institut in Rom und dem Deutschen Institut für Japan- studien liegen? Hier sind große Zweifel erlaubt. Syner- gieeffekte ergeben sich hingegen seit langem aus der fruchtbaren Zusammenarbeit das DHI in Rom mit der Bi- bliotheca Hertziana. Der historische Kontext der Institute in ihren Gastländern wird ignoriert. Wäre es nicht konsequent, bei einer „Entlassung in die Unabhängigkeit“ die Entscheidungsautonomie bei Perso- nalentscheidungen der Stiftung weitgehend zu übertragen? Stattdessen behält sich das BMBF ein entscheidendes Mit- spracherecht und Vetorecht bei der Personalauswahl vor. Zugleich wird in Kauf genommen, dass die Unabhängig- keit der Direktoren in ihren Gastländern durch die Media- tisierung merklich geschwächt wird. Verwunderlich ist, dass im Stiftungsrat zwar Wissen- schaftsorganisationen, die überwiegend naturwissenschaft- lich geprägt sind, wie die Max-Planck-Gesellschaft (MPG) oder die Alexander-von-Humboldt-Stiftung (AvH), vertre- ten sein sollen, nicht aber der Verband der Historiker Deutschlands (VHD). Erlaubt sei auch die Frage: Was ist mit den geistes- wissenschaftlichen Instituten im Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes? Wie soll der konkrete Aufgabenbereich der Stiftung aussehen? Eindringlich wurde von allen Experten – so- wohl den dezidierten Gegnern wie den vorsichtigen Be- fürwortern einer Stiftung – davor gewarnt, dass die Ge- schäftsstelle Aufgabenbereiche an sich ziehen werde und die Arbeit der Institute durch ein Mehr an Bürokratie und Zentralismus erschweren statt erleichtern könne. Deshalb muss die Geschäftsstelle wirklich klein angelegt sein und klein bleiben. Es darf sich kein bürokratischer Wasserkopf entwickeln. Prinzipiell ist es richtig, sich Gedanken zu machen, wie die Effizienz der Institute erhöht werden kann und welche Synergieeffekte möglich sind. Dem stimmen wir Libera- len zu, jedoch nicht dem Gesetzentwurf der Regierung in dieser Form. Deshalb haben wir einen Änderungsantrag eingebracht, der auch die berechtigten Einwände der be- troffenen Historiker angemessen berücksichtigt. Dies gilt insbesondere für die Bestellung der Direktoren. Ein abso- lutes Vetorecht des Bundes lehnen wir ab. Wir fordern ein suspensives Vetorecht in der ersten Abstimmung; bei ei- ner zweiten Abstimmung entscheidet die Mehrheit der Stiftungsratmitglieder. Auf diese Weise wird verhindert, dass über Jahre hinweg ein Direktorenposten unbesetzt bleibt, wie dies in Washington der Fall ist. Aus Sicht der FDPmuss die Position der wissenschaft- lichen Beiräte gestärkt werden. Die Zahl der Vertreter der wissenschaftlichen Beiräte ist deshalb zu erhöhen. Damit die Gesamtzahl von elf Mitgliedern im Stiftungsrat nicht überschritten wird, soll nur ein Vertreter der DFG dem Stif- tungsrat angehören. Auch müssen die wissenschaftlichen Beiräte der einzelnen Institute ihr Vorschlagsrecht zur Selbstergänzung erhalten. Die ursprüngliche Formulie- rung im Gesetzenwurf der Regierung kommt einer Ent- machtung der Beiräte durch den Stiftungsrat gleich und schwächt deren Stellung in nicht akzeptabler Weise. Wir bitten die Vertreter der Regierungskoalition, unse- rem Änderungsantrag im Interesse der Freiheit der Wis- senschaft und der effizienten Arbeit der Deutschen Aus- landsinstitute zuzustimmen. Dr. Heinrich Fink (PDS): Die PDS unterstützt alle Ini- tiativen, die zur Optimierung der Arbeit der geisteswis- senschaftlichen Auslandsinstitute beitragen. Wir begrüßen daher auch das Grundanliegen des vorliegenden Gesetz- entwurfs der Bundesregierung. Die insgesamt sieben im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Bildung und Forschung angesiedelten Institute sollen demnach un- ter dem Dach einer neuen öffentlich-rechtlichen Stiftung des Bundes zusammengefasst werden. Übergreifende ge- meinsame Aufgaben der einzelnen Institute sollen in Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. April 2002 23401 (C) (D) (A) (B) Zukunft vom Stiftungsrat und der Geschäftsstelle der neuen Stiftung wahrgenommen werden. Ich bin der Auffassung, dass die Arbeit der Auslands- institute von dieser Organisationsreform profitieren kann. Eine institutionelle Integration der geisteswissenschaftli- chen Auslandsinstitute kann zur Erhöhung der Leistungs- fähigkeit und Effizienz der Arbeit der Stiftungen beitragen, wenn sie die Selbstverwaltungsrechte der Einrichtungen grundsätzlich respektiert. Darüber hinaus sehe ich die Per- spektive, eine stärkere Öffnung der Arbeit der Institute für gesellschaftliche Belange in Deutschland und in den Sitz- ländern der Institute herzustellen. Gleichwohl weist der von der Bundesregierung vorge- legte Gesetzentwurf im Einzelnen eine Reihe von Schwachstellen auf, die auch bei Sachverständigenan- hörung im Ausschuss für Bildung, Forschung und Tech- nikfolgenabschätzung am 20. März diesen Jahres zur Sprache gekommen sind. So bedauere ich insbesondere, dass die Stiftung lediglich die dem Geschäftsbereich des BMBF zugeordneten Institute umfassen soll, aber die Auslandsinstitute im Bereich des Auswärtigen Amtes, na- mentlich das Deutsche Archäologische Institut und die Bibliotheca Hertziana, außen vor bleiben sollen. Darüber hinaus halte ich die Zusammensetzung des wichtigsten Organs der neuen Stiftung, des Stiftungsrats, für unausgewogen. Dieses Gremium ist immerhin für so entscheidende Fragen wie die Satzungsgebung, die Fest- stellung des Wirtschaftsplans oder bedeutsame Personal- entscheidungen der Stiftungen zuständig. Erfreulicher- weise ist die Zahl der Vertreterinnen und Vertreter der Institute von drei auf vier angehoben worden – so sieht es die vorliegende Beschlussempfehlung des federführen- den Ausschusses vor. Die PDS begrüßt diese Korrektur, weil sie dem Gedanken der wissenschaftlichen Selbstver- waltung besser gerecht wird. Für problematisch halte ich jedoch weiterhin, dass dem Stiftungsrat keine Vertreterinnen und Vertreter der wis- senschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und des sonstigen Personals der Stiftungen angehören. Diese dür- fen lediglich mit beratender Stimme an den Sitzungen teilnehmen. Ich frage mich ferner, warum unter den im Stiftungsrat vertretenen Wissenschaftlerinnen und Wis- senschaftlern keine Vertreterinnen und Vertreter der Hochschulen sind. Schließlich soll die Organisationsre- form auch die Zusammenarbeit der Auslandsinstitute mit den Hochschulen im In- und Ausland fördern. Gesell- schaftliche Interessen halte ich für unterrepräsentiert: Dem Stiftungsrat gehört lediglich eine vom Stifterver- band für die Deutsche Wissenschaft benannte Vertretung der Wirtschaft an; weder Gewerkschaften noch andere re- levanten gesellschaftlichen Kräfte sind repräsentiert. Schließlich ist entgegen der Empfehlung des Wissen- schaftsrats auch keine Vertretung ausländischer Wissen- schaftlerinnen und Wissenschaftler im Stiftungsrat ge- währleistet. Zum Abschluss möchte ich kritisch einwenden, dass mit dem Regierungsentwurf auch das Gleichgewicht zwi- schen der staatlicher Kontrolle und Rahmensetzung durch den Staat auf der einen Seite und der wissenschaftlichen Selbstverwaltung auf der anderen Seite nicht gesichert wird. Ich denke dabei insbesondere an das Vetorecht der Vertreterinnen und Vertreter des BMBF im Stiftungsrat in Angelegenheiten des Wirtschaftsplans, der Bestellung von Institutsdirektorinnen und -direktoren und bei Sat- zungsänderungen sowie an die Berufung der wissen- schaftlichen Beiräte der Einzelinstitute durch den Stif- tungsrat. In diesen Fragen sind Nachjustierungen angemessen, sodass die PDS dem vorliegenden Ände- rungsantrag der FDP-Fraktion zustimmt. Die von mir benannten Schwachstellen des Gesetzent- wurfs sind jedoch nicht so gravierend, dass sich meine Fraktion den zu erwartenden Verbesserungen der Rah- menbedingungen der Arbeit der geisteswissenschaftli- chen Auslandsinstitute in den Weg stellen wird. Trotz der Unzulänglichkeiten im Detail ist der Gesetzentwurf ins- gesamt zustimmungsfähig, da auf diese Weise die not- wendige Organisationsreform der Auslandsinstitute über- haupt in Gang gesetzt wird. Ich erwarte, dass die Auswirkungen der Reform und die Arbeit der Stiftung in absehbarer Zeit evaluiert werden und wir über weitere Verbesserungen des Gesetzes sowie die Einbeziehung weiterer Institute diskutieren können. Wolf-Michael Catenhusen, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Bildung und Forschung: Mit dem heute zur Entscheidung anstehenden Gesetzentwurf beabsichtigt die Bundesregierung die Schaffung eines neuen Rechtsträgers, unter dessen Dach die sieben geis- teswissenschaftlichen Institute im Geschäftsbereich des BMBF mit Standorten in Rom, Paris, London, Washington, Warschau, Beirut/Istanbul und Tokio zusammengefasst werden sollen. Die Zusammenfassung dieser Institute un- ter dem Dach eines Trägers schafft die Voraussetzung für mehr interne Kooperation, ein verbessertes Auftreten in der Öffentlichkeit, die Erleichterung von Neuaufnahmen unter einem gemeinsamen Dach – hier gibt es schon ein konkretes Projekt in Russland – und die bessere Wahr- nehmung gemeinsamer Anliegen. Dieses Vorhaben der Bundesregierung ist ein Element der Anstrengungen der Bundesregierung zur Neuordnung der Forschungsland- schaft. Die Initiative der Bundesregierung geht zurück auf ei- nen Prüfauftrag des Wissenschaftsrates, der in den Jahren 1996 bis 1999 die oben genannten Institute und das Kunsthistorische Institut Florenz evaluiert hat. In seiner abschließenden Stellungnahme regte der Wissenschafts- rat an, zu prüfen, ob ein gemeinsames institutionelles Dach für alle aus öffentlichen Mitteln finanzierten geis- teswissenschaftlichen Forschungseinrichtungen im Aus- land geschaffen werden sollte. Ausgehend hiervon hat das BMBF das Kunsthistori- sche Institut Florenz wegen der besonderen fachlichen Nähe zur Bibliotheca Hertziana, die von der Max-Planck- Gesellschaft getragen wird, an diese mit Wirkung von An- fang dieses Jahres übertragen. Für die übrigen Institute hat das BMBF, ausgehend von einem Konzept zur Neuord- nung der geisteswissenschaftlichen Einrichtungen im Ausland, eine gemeinsame öffentlich-rechtliche Träger- schaft konzipiert, die alle oben genannten Einrichtungen umfassen soll. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. April 200223402 (C) (D) (A) (B) Damit wird den Einrichtungen eine Organisationsform gegeben, die mehr wissenschaftliche Selbstverwaltung ermöglicht. Ich betone das insbesondere, weil in der Dis- kussion um den Gesetzentwurf und die Neuordnung der Auslandsinstitute immer wieder der Vorwurf erhoben wurde, es würden die Voraussetzungen für mehr Zentra- lismus und mehr Dirigismus geschaffen. Der Vorwurf ist unfair und entspricht nicht den Tatsachen. Gerade die so genannten Kapitelinstitute sind bisher als nachgeordnete Behörde verfasst, was bestimmt nicht ihrer Aufgabe und ihrem Anspruch auf wissenschaftliche Unabhängigkeit entspricht. Die Zusammenfassung unter einem Dach er- folgt mit einem Stiftungsrat, der überwiegend mit Wis- senschaftlern besetzt ist. Die Institute behalten ihre Selbstständigkeit. Es gibt eine klare Abgrenzung zwi- schen den Befugnissen der Direktoren und den Befugnis- sen des Stiftungsrates, der als Aufsichts- und Lenkungs- gremium konstruiert ist. Um es ganz deutlich zu sagen: Das vorgelegte Gesetz fällt hinsichtlich der wissenschaft- lichen Freiheit der einzelnen Institute hinter keine der bis- her existierenden Regelungen zurück. Es schafft gleich- zeitig die Voraussetzungen für eine kontinuierliche Weiterentwicklung der Einrichtungen in einer stärker glo- bal orientierten Weit. Die bisher geäußerte Kritik erklärt sich für mich vor al- lem aus der Angst vor dem unbekannten Neuen. Das zeigt sich auch daran, dass vonseiten des Kunsthistorischen Instituts Florenz keine vergleichbaren Vorwürfe oder Be- denken gegen eine Integration in die Max-Planck-Gesell- schaft erhoben wurden. Auch die Max-Planck-Gesell- schaft verfügt über eine zentrale Verwaltung und ein gemeinsames Leitungs- und Aufsichtsgremium. In der Diskussion ist darüber hinaus oft der Sinn der Zusammenfassung hinterfragt worden und insbesondere auf die positive Evaluation der einzelnen Institute durch den Wissenschaftsrat verwiesen worden. Die Zusammen- fassung der Institute unter einem gemeinsamen Dach ist aus Sicht der Bundesregierung Voraussetzung für die wei- tere Entwicklung der Institute. Die gewachsenen Struktu- ren der einzelnen Institute – beim DHI Rom sind es mehr als 100 Jahre – tragen den heutigen Anforderungen in einer global orientierten und modernen internationalen Forschungslandschaft hinsichtlich der Sichtbarkeit der Institute wie auch ihrer Kooperation untereinander nicht mehr hinreichend Rechnung. Der Gesetzentwurf schafft die Voraussetzung für eine kontinuierliche und zukunfts- fähige Weiterentwicklung der Einrichtungen. Für die In- stitute ist damit keine Revolution beabsichtigt. Die Insti- tute bedürfen auch keiner Revolution, sondern vielmehr einer Weiterentwicklung, für deren Voraussetzung die Bundesregierung sorgt. Es ist erfreulich, dass im Verlauf der Diskussion sich überwiegende Teile der Opposition dem Gesetzentwurf der Bundesregierung angeschlossen haben. Ursache hier- für mag vielleicht auch gewesen sein, dass die Erkenntnis in die Notwendigkeit für eine Reform der Struktur der Auslandsinstitute bereits unter der letzten Bundesregie- rung existierte – jedoch dann der Mut zur Umsetzung nicht mehr vorhanden war. Insofern danke ich für die Un- terstützung. Anlage 15 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Eine Grundsicherung in die Arbeitslosenversicherung einführen (Tagesordnungspunkt 33) Ute Kumpf (SPD):Der Antrag der PDS-Fraktion ist nicht nur populistisch, er ist auch nicht durchdacht. Denn die geforderte Einführung einer bedarfsorientierten Grund- sicherung in die Arbeitslosenversicherung ist schlichtweg eine unzulässige Vermischung des Versicherungsprinzips in der Arbeitslosenversicherung mit dem Fürsorgeprinzip. Völlig klar ist – die Einführung einer Grundsicherung würde jeden Anreiz für einen Arbeitslosenhilfeempfänger beseitigen, selbst aktiv zu werden und sich um eine neue Beschäftigung zu bemühen. In diesem Punkt herrscht par- teiübergreifend – bis auf eine Ausnahme – Übereinstim- mung. Einmal wieder lässt die alte passive Denkweise der PDS grüßen. Manchmal kommt man mit dieser Denkweise auch zu spät und rennt gegen Mauern an, wo gar keine sind. So ge- schehen bei der Forderung der PDS nach Zusammenfas- sung der Aufgaben von Arbeits- und Sozialämtern. Hier ist die Bundesregierung bereits aktiv. Die Zusammen- führung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe wird im Rahmen der geförderten Modellvorhaben zur Verbesse- rung der Zusammenarbeit von Arbeitsämtern und Trägern der Sozialhilfe (MoZArT) bereits erprobt. MoZArT steht für die Erprobung neuer Wege der Ko- operation beider Leistungsträger, für die Verbesserung der Arbeitsvermittlung von Hilfebedürftigen, für die Steige- rung der Hilfen zur Eingliederung und schließlich für eine bürgernahe und vereinfachte Gestaltung des Verwaltungs- verfahrens. An diesem Modellvorhaben beteiligen sich Arbeits- und Sozialämter in 30 Orten im gesamten Bun- desgebiet. Zur Zeit wird MoZArt mit einem Volumen von jährlich bis zu 15 Millionen Euro gefördert. Gefördert werden re- gionale und innovative Modellvorhaben, die eine sub- stanzielle Verbesserung der Zusammenarbeit von Arbeits- und Sozialverwaltung zum Ziel haben. Mit dem „Gesetz zur Verbesserung der Zusammenarbeit von Arbeitsämtern und Trägern der Sozialhilfe“, das die Koalitionsfraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen am 20. Novem- ber 2000 beschlossen haben, wurden die gesetzlichen Grundlagen für eine verbesserte Zusammenarbeit von Ar- beitsämtern und Sozialämtern gelegt. Konkrete Inhalte sind die Errichtung von gemeinsamen Anlaufstellen von Arbeitsamt- bzw. Sozialhilfeträgern, die Straffung der Verwaltungsabläufe, die Verbesserung des Informations- bzw. Datenaustausches zwischen den Äm- tern, die Durchführung gemeinsamer Qualifizierungs- bzw. Beschäftigungsmaßnahmen sowie die gemeinsame Bewilligung und Auszahlung durch eine Stelle. Diese Maßnahmen werden wissenschaftlich begleitet und unter anderem mit dem Ziel ausgewertet, aus der Pra- xis Erkenntnisse über Gestaltungsmöglichkeiten zu ent- wickeln. Deshalb ist es zum gegenwärtigen Zeitpunkt auch zu früh, über die einzelnen im Antrag geforderten Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. April 2002 23403 (C) (D) (A) (B) Schritte einer Reform der Verwaltungswege zwischen Ar- beits- und Sozialämtern zu entscheiden. Der Reformbedarf der Sozialhilfe ist unbestritten. Mit MoZArT sind wir auf dem richtigen Weg. Nun gilt es zunächst die wissenschaftlichen Auswertungen der Erpro- bungen abzuwarten, damit dieser Weg auch zum Ziel führt. Erste Ergebnisse sollen Ende des Jahres 2002 vorliegen. Wir fordern nicht nur – wir handeln auch. Auf dem Ge- biet der aktiven Arbeitsmarktpolitik können wir bereits Ergebnisse vorweisen, wo die PDS noch fordert. Denn die im Antrag niedergeschriebenen Reformen der Maßnah- men der aktiven Arbeitsmarktpolitik haben wir bereits im Job-AQTIV-Gesetz umgesetzt. Lassen Sie mich nur einige Beispiele nennen. Mit Job- AQTIV werden unter anderem die derzeit bestehenden unterschiedlichen Lohnkostenzuschüsse an Arbeitgeber vereinheitlicht. Eine ABM-Förderung ist jetzt auch ohne Wartezeit möglich. Bei ABM, die an Wirtschaftsunter- nehmen vergeben werden, wurde im Gesetz die Voraus- setzung der Zusätzlichkeit der Arbeiten durch die Voraus- setzung des zusätzlichen Fördermitteleinsatzes ersetzt. Neu hinzugekommen ist das Instrument der beschäf- tigungsfördernden Auftragsvergabe. Eine schlimme Erblast der Regierung Kohl ist der bis- lang einmalige und traurige Rekord von Sozialhilfeemp- fängern in Deutschland. Von 1992 bis 1998 ist die Zahl der Sozialhilfeempfänger von 2,3 Millionen auf 2,9 Mil- lionen Menschen gestiegen. Der Anteil der Sozialhilfe- empfänger an der gesamten Bevölkerung lag damit bei 3,3 Prozent. 1965 lag dieser Anteil bei noch 1 Prozent. Dies ist eine der gesellschaftspolitischen Bankrott- erklärungen der Regierung Kohl. Seit dem Regierungsantritt im Herbst 1998 ist es uns ge- lungen, diesen verhängnisvollen Trend umzukehren. Zum Jahresende 2000 ist die Zahl der Sozialhilfeempfänger auf knapp 2,7 Mio. gesunken. Damit waren 8 Prozent weniger Menschen auf Sozialhilfe angewiesen als noch 1998. Damit können wir uns aber nicht zufrieden geben. Wir suchen weiter nach Möglichkeiten, die Menschen aus der Sozialhilfe zu führen. Dabei spielt die stärkere Verzahnung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe eine wichtige Rolle. Unter dem Motto „Fördern und Fordern“ setzen wir mit unserem Reform- konzept die Linie konsequent fort, die wir auf dem Gebiet der Arbeitsmarktpolitik mit dem Job-AQTIV-Gesetz ver- folgen. Wir setzen auf das aktive Zusammenwirken der verschiedenen Akteure vor Ort, auf eine intensive Bera- tung, passgenaue und frühzeitig greifende Eingliede- rungshilfe wie Hilfeplanung. Wir streben eine Reform der Sozialhilfe an, die mehr Bürgernähe und weniger Bürokratie bringt und zu einer möglichst schnellen Eingliederung der Betroffenen in den Arbeitsmarkt beiträgt. Im Mittelpunkt steht für uns der Mensch. Gefragt ist die helfende Hand und nicht die dro- hende Faust. Ziel einer vom Lebenslagenansatz ausgehenden Re- form soll ein einfaches, transparentes und in sich konsis- tentes System der Gewährung der materiellen Hilfeleis- tungen sein. Zum anderen geht es darum, durch mehr individuelle Unterstützung Sozialhilfebedürftigkeit zu vermeiden bzw. zu überwinden. Für eine seriöse und an den Erfordernissen der Praxis orientierte Reform der Sozialhilfe liegen in der nächsten Legislaturperiode die notwendigen Ergebnisse aus den noch laufenden Modellvorhaben wie zum Beispiel MoZArT oder denen zur Pauschalierung von Leistungen der Sozialhilfe vor. Unsere Eckpunkte für eine solche Reform sind unter anderem: Die Verbesserung der aktivierenden Instru- mente und Leistungen der Sozialhilfe: Die zentralen Ele- mente sind eine „Förderkette“ (Beratung, Assessment, Hilfeplanung, Case-Management), der Zugang zu Be- schäftigung und zu Qualifikation und die Ko-Produktion der Beteiligten. Die Verbesserung der Integration in den Arbeitsmarkt: Für eine schnellere Integration in den Arbeitsmarkt gilt es die laufenden Modellvorhaben aus dem Projekt MoZArT zur Verbesserung der Zusammenarbeit von Arbeitsämtern und Trägern der Sozialhilfe auszuwerten, die notwen- digen Schlussfolgerungen zu ziehen und entsprechende gesetzliche Regelungen zu treffen. Die transparente und bedarfsgerechte Weiterentwick- lung der finanziellen Leistungen. Ein weiterer Eckpunkt ist schließlich die Stärkung der Selbstverantwortung des Hilfeempfängers und die Ver- einfachung der Verwaltung. Wir bekennen uns zu unserer Verantwortung gegen- über den Schwächeren in unserer Gesellschaft. Deswegen wollen wir im Rahmen der Reform der Arbeitslosen- und Sozialhilfe keine Absenkung der zukünftigen Leistungen auf Sozialhilfeniveau. Die finanziellen Auswirkungen für die Kostenträger werden in der Gemeindefinanzreform zu berücksichtigen sein. Denn wir fahren eine Politik der helfenden Hand und nicht der drohenden Faust! Wolfgang Meckelburg (CDU/CSU): Die PDS beab- sichtigt mit ihrem Antrag, eine Grundsicherung in die Ar- beitslosenversicherung einzuführen. Aus Sicht der Union geht dieser Antrag in die völlig falsche Richtung. Die Ein- führung einer Grundsicherung verhindert geradezu jeden Anreiz für Arbeitslosenhilfeempfänger, sich selbst um eine Beschäftigung zu bemühen. Dies aber ist das erklärte Ziel der Reformvorschläge der Union. Denn im Gegensatz zur rot-grünen Bundesre- gierung verfügt die Union über ein gegengerechnetes Re- formkonzept. Wir wollen durch eine Zusammenlegung der beiden Systeme Beschäftigungsanreize für Langzeit- arbeitslose schaffen und gleichzeitig die individuelle Be- treuung der Arbeitssuchenden verbessern. Die Kommunen sollen Träger der reformierten Hilfe- leistung werden. Sie werden dafür bei der Sozialhilfe ent- lastet – Kinder und Behinderte aus der Sozialhilfe – und erhalten eigene Gestaltungsoptionen für den Arbeits- markt. Hintergrund unserer Überlegungen ist, dass heute rund 2,7 Millionen Sozialhilfeempfänger – darunter fast 1 Million Kinder! – auf die „Hilfe in besonderen Lebens- lagen“ angewiesen sind. Das kostet die Kommunen rund Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. April 200223404 (C) (D) (A) (B) 10 Milliarden Euro pro Jahr. Die Gesamtausgaben der So- zialhilfeträger belaufen sich auf fast 25 Milliarden Euro und fließen zum größten Teil in die „Hilfe in besonderen Lebenslagen“ wie zum Beispiel die Eingliederungshilfe für Behinderte. Von den 2,7 Millionen Sozialhilfeempfängern sind rund 1 Million Menschen grundsätzlich arbeitsfähig, weil sie weder Familienpflichten haben noch krank, behindert oder über 65 Jahre alt sind. Daneben gibt es rund 1,3 Mil- lionen Menschen, die ebenfalls arbeitslos und bedürftig sind und die von der Bundesanstalt für Arbeit insgesamt rund 13 Milliarden Euro in 2000 an Arbeitslosenhilfe be- zogen haben. Unser Ziel ist es, diesem Personenkreis, der das gleiche Problem teilt – keine Arbeit –, gleiche Leis- tungen durch dasselbe Instrument bei durchgehender Be- treuung anzubieten. Die Vermittlung in den ersten Arbeitsmarkt hat für uns oberste Priorität. Die derzeitige Ausgestaltung der Sozial- hilfe verhindert aber genau das, da sie praktisch wie eine Lohnuntergrenze wirkt. Der Anreiz für einen sozialhil- febedürftigen Familienvater einer fünfköpfigen Familie – ein Kind unter drei, zwei Kinder unter 18 Jahre – zu ar- beiten, hält sich sehr in Grenzen, da er sich mit der der- zeitigen Sozialhilfe, circa 1 700 Euro, insgesamt besser stellt, als ein vergleichbarer Familienvater, der in einem regulären Arbeitsverhältnis steht. So erhält beispielsweise ein im Einzelhandel Beschäftigter im ersten Berufsjahr ein Monatseinkommen von nur 1 200 Euro. Die Union beabsichtigt die Wirkung der Sozialhilfe als Lohnuntergrenze aufzubrechen. Wie? Erstens. Die CDU plant ein Familiengeld einzuführen. Dadurch wird erreicht, dass Kinder nicht mehr sozialhil- febedürftig sind und keine Familie mehr wegen eines Kin- des in die Sozialhilfe abrutscht. Gleichzeitig bewirkt das Familiengeld, dass das Lohnabstandsgebot auch bei kin- derreichen Familien wieder eingehalten wird. Der vom Sozialamt auszuzahlende Betrag für die Familie und da- mit der Schwellenwert, ab dem sich Arbeiten wieder lohnt, sinkt deutlich. Zweitens. Die Union fordert ein Leistungsgesetz für Behinderte. Dieses löst die derzeitige Eingliederungshilfe im Sozialhilferecht ab und holt diese Menschen ebenfalls aus der Sozialhilfe heraus. Drittens. Für Diejenigen, die jung genug und gesund sind, deren familiäre Situation es zulässt und für die eine Arbeit oder ein Ausbildungsplatz vorhanden ist, gilt künf- tig: Das Regel-Ausnahme-Verhältnis der derzeitigen So- zialhilfe wird umgekehrt. Das Sozialamt muss nicht mehr die Zahlungen kürzen, wenn eine zumutbare Arbeit ver- weigert wird, sondern der Hilfeempfänger hat von vorn- herein nur einen Anspruch auf die volle Leistung, wenn er eine angebotene Arbeit annimmt, einer gemeinnützigen Tätigkeit nachgeht oder eine Ausbildung absolviert. Ar- beitet er allerdings trotz eines Arbeitsangebotes nicht, hat er nur Anspruch auf das absolute Existenzminimum. Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die PDS hat einen Antrag vorgelegt, der populistisch und nicht durchdacht ist. Sie will eine Grundsicherung in die Arbeitslosenversicherung einführen. Wir halten die Ein- führung einer bedarfsorientierten Grundsicherung in die Arbeitslosenversicherung für eine unzulässige Ver- mischung des Versicherungsprinzips mit dem Fürsorge- prinzip. Darüber hinaus widerspricht ein solcher Vor- schlag dem Grundprinzip der Arbeitslosenversicherung, nur das Arbeitsentgelt für einen befristeten Zeitraum zu ersetzen und – durch die Befristung – dem Arbeitslosen einen Anreiz zu geben, schnellstmöglich eine neue Be- schäftigung aufzunehmen. Die Einführung einer bedarfsorientierten Grundsiche- rung als eigenständiges steuerfinanziertes Leistungssys- tem ist ein wichtiger Baustein des grünen Ansatzes von mehr sozialer Sicherheit und Flexibilität. Deshalb planen wir eine Zusammenlegung der Arbeitslosen- und Sozial- hilfe in der Grundsicherung, die allen Arbeitslosen den Zugang zu den Instrumenten der Arbeitsförderung nach dem Prinzip des Förderns und Forderns öffnet. Wer sich aus eigener Kraft nicht helfen kann, der wird unterstützt. Wer in der Lage ist, sich selbst zu unterhalten, der soll dazu auch verpflichtet sein. Er muss aber auch darin un- terstützt werden. Erwerbslose müssen in die Lage versetzt werden, erwerbstätig zu werden, zum Beispiel durch die Ausarbeitung individuell auf sie zugeschnittener Einglie- derungspläne. So erschöpfen sich die Hilfen, die eine Grundsicherung bieten, nicht in einer Verbesserung der materiellen Situation, sondern werden ergänzt von akti- vierenden Angeboten, welche der gesellschaftlichen Aus- grenzung von Berechtigten entgegenwirken. Auf diesem Weg haben wir erste Schritte bereits in die- ser Wahlperiode unternommen. So können die Bundeslän- der die Kommunen berechtigen, Leistungen der Sozialhilfe pauschaliert zu erbringen. Mit diesen Modellversuchen sol- len Verfahren der Leistungsgewährung erprobt werden, die letztendlich die Bürger weniger entmündigen und zugleich die Verwaltung vereinfachen. Bei den zahlreichen „MoZArT“-Modellprojekten sind Arbeitsämter und die Träger der Sozialhilfe nun in der Lage, Hilfe aus einer Hand zu bieten. Sozialämter können Arbeitslosenhilfe auszahlen und Arbeitsämter Sozialhilfe. Beide Ämter können auch eine dritte Stelle mit der Aus- zahlung beauftragen. Das vereinfacht die Verwaltung deut- lich, vor allem für jene Bürgerinnen und Bürger, die sowohl Sozial- als auch Arbeitslosenhilfe bekommen. Sozialhilfe- empfänger können auch an Maßnahmen des Arbeitsamtes teilnehmen. Viele Bundesländer haben die Anreize ver- stärkt, eine Erwerbsarbeit aufzunehmen. Diese Erfahrun- gen sollen bei der in der nächsten Legislaturperiode anste- henden umfangreichen Reform zur Geltung kommen. Als ersten Schritt einer umfassenden sozialen Grundsi- cherung haben wir in dieser Legislaturperiode die Alters- grundsicherung in der Rente eingeführt. Als zweiten Schritt wollen wir in der kommenden Legislaturperiode eine Kindergrundsicherung einführen. Wir wollen Kin- dern, die von Armut am stärksten betroffen sind und am wenigsten aus eigener Kraft dagegen tun können, ein Le- ben oberhalb des Existenzminimums ermöglichen. Was haben Kinder mit der Arbeitslosenversicherung zu tun? Wir fordern ein Recht für Kinder, menschenwürdig zu le- ben. Unser Konzept der Kindergrundsicherung setzt un- mittelbar da an, wo Not herrscht, und nicht, wie in Ihrem Antrag, am Kriterium der Arbeitslosigkeit. Die Vorschläge der PDS überfordern die Arbeitslosen- versicherung und die Versichertengemeinschaft – Armuts- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. April 2002 23405 (C) (D) (A) (B) bekämpfung muss steuerfinanziert und nicht beitragsfi- nanziert sein. Dirk Niebel (FDP): Die Einführung einer steuerfinan- zierten Grundsicherung war bei der Rentenversicherung falsch und sie ist es auch bei der Arbeitslosenversiche- rung. Das von der PDS vorgeschlagene Konzept will die Probleme, die wir bei der Sozialhilfe dringend bekämpfen müssen, auf die Arbeitslosenversicherung ausweiten. Außerdem läuft es allen Erkenntnissen zum Thema „Re- form der sozialen Sicherungssysteme“ zuwider. Daher lehnen wir diesen Vorschlag ab. Es ist in diesem Hohen Haus schon x-mal gesagt wor- den. Aber da es einige offensichtlich immer noch nicht verstanden haben, sage ich es noch einmal: Grundprinzip jeder Versicherung ist das Äquivalenzprinzip: Die Höhe der garantierten Leistung ergibt sich aus dem vorher ein- gezahlten Beitrag. Und Grundprinzip unseres Sozialsys- tems ist das Subsidiaritätsprinzip: Vor der Unterstützung durch den Staat steht die Selbsthilfe des Betroffenen. Hinsichtlich der Reform der Arbeitslosenversicherung sind sich alle Experten in einem einig: Das System muss dringend transparenter werden. Und der wichtigste Schritt zu mehr Transparenz ist, Versicherungsleistungen und Umverteilungselemente voneinander zu trennen. Der PDS-Vorschlag bewirkt aber genau das Gegenteil: Sie wollen Sozialpolitik über eine Versicherung machen. Wo- hin das führt, haben wir gesehen: Zu einer aufgeblähten Verwaltung, in der niemand mehr einen Überblick hat, welche Gelder wohin fließen. Aber das von der PDS vorgeschlagene System hätte nicht nur höhere Kosten zur Folge; es ist auch in hohem Maße ungerecht. Wenn jeder arbeitslos Gemeldete eine Grundsicherung aus der Arbeitslosenversicherung garan- tiert bekäme, dann erhielte jemand, der zuvor keine oder nur sehr geringe Beiträge gezahlt hat, dieselbe Leistung wie jemand mit deutlich höheren Beiträgen. Das ließe sich keinem Beitragszahler mehr vermitteln. Darüber hinaus vermindert eine garantierte Grundsicherung gerade bei Geringverdienern den Anreiz, eine normale Beschäfti- gung aufzunehmen. Dieses Problem sehen wir insbeson- dere in der Sozialhilfe deutlich. Und die Diskussion um eine Reform dort zeigt, wie schwierig es ist, aus diesem Dilemma herauszukommen, Es wäre ja geradezu töricht, diese Schwierigkeiten jetzt auch auf die Arbeitslosenver- sicherung auszuweiten. Genau das würde aber passieren, wenn der Antrag der PDS beschlossen würde. In der Begründung eben jenes Antrags argumentiert die PDS, dass der Bund die Kosten der sozialen Sicherung nicht immer mehr auf die Kommunen abwälzen dürfe. Es ist in der Tat nicht mehr zu ertragen, wie die rot-grüne Bundesregierung versucht, immer mehr Wohltaten unter das Volk zu bringen, und – da im Bundeshaushalt kein Geld dafür da ist – die Länder und Kommunen die Zeche zahlen lässt. Jüngstes Beispiel ist die beitragsfreie Grund- sicherung im Alter. Die Mehrbelastung der Städte und Ge- meinden soll hier zwar über einen versprochenen Bun- deszuschuss ausgeglichen werden, aber die Vergangenheit lehrt, dass die Höhe solcher Zuschüsse mit den tatsächlichen Kosten nur wenig zu tun hat. Die PDS will Lasten von den Kommunen auf den Bund verschieben. Zusätzlich 6 bis 7 Milliarden DM soll der Bund in die Arbeitslosenversicherung zuschießen, um die Grundsicherung zu finanzieren. Das ist schon ein höchst seltsames Verständnis von Problemlösung. Sie kritisieren die ungerechte Verteilung von Lasten, und um das auszu- gleichen, schaffen sie erst einmal zusätzliche Kosten. Die Probleme der Arbeitslosenversicherung lassen sich nur beseitigen, wenn wir jetzt endlich die längst überfäl- ligen Reformen angehen, das heißt eine klare Trennung zwischen Versicherung und Umverteilung in allen Berei- chen des Sozialsystems. Es gibt eine Versicherungs- pflicht, wo es nötig ist, aber es bleibt der freien Entschei- dung des Einzelnen überlassen, wie er oder sie dieser Pflicht nachkommt. Wer Umverteilung wünscht, muss sie auch finanzieren. Bei sämtlichen öffentlichen Hilfen muss die Rückkehr zum Subsidiaritätsprinzip gelten: Hilfe bekommt nur, wer sich nicht selber helfen kann. Gleichermaßen muss der Grundsatz gelten: Leistung ge- gen Bereitschaft zur Gegenleistung. Die Sozialsysteme müssen bezahlbar bleiben. Nur wenn die Beiträge nicht ins Unermessliche steigen, werden sie von den Menschen akzeptiert. Pia Maier (PDS): Der Antrag der PDS-Fraktion „Eine Grundsicherung in die Arbeitslosenversicherung ein- führen“ ist unsere Antwort auf Ihre Debatte zur Zusam- menlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe. CDU/CSU und FDP entwerfen in ihren Anträgen hier im Bundestag scharf umrissene Bilder. Sie wollen die Ar- beitslosenhilfe abschaffen. Damit fiele jede und jeder, der oder die Arbeitslosengeld bezog, keine neue Stelle fand, nach der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes in die So- zialhilfe. Für die Betroffenen hieße das der direkte Weg in die Armut. Und das machen wir nicht mit. Das Arbeitslosengeld und auch die Arbeitslosenhilfe gehen vom ehemaligen Lohn aus. Die Arbeitslosenhilfe reduziert sich nicht sofort, wenn der Partner oder die Part- nerin auch arbeitet und das Haushaltseinkommen auf- stockt, wie das bei der Sozialhilfe der Fall ist. Deswegen wirkt sich die Abschaffung der Sozialhilfe auch besonders dann aus, wenn man das Haushaltseinkommen betrachtet. Am deutlichsten spüren die den Einkommensverlust, der in der Abschaffung der Arbeitslosenhilfe steckt, die vor- her ein ordentliches Einkommen hatten. Dann sind die 53 oder 57 Prozent des ehemaligen Lohns deutlich mehr als die Sozialhilfe. Der Sozialhilfe liegt ein anderes Prinzip zugrunde: Hier wird nicht nach dem Lohn gefragt, sondern nur er- rechnet, was der Haushalt braucht. Danach bemessen sich die Regelsätze und die einmaligen Zahlungen, zum Bei- spiel für Wintermäntel. Bei hohem ehemaligen Verdienst liegt die Sozialhilfe darunter, wenn auch viele, die Ar- beitslosenhilfe beziehen, auf ergänzende Leistungen des Sozialamtes mindestens Anrecht haben. Nur ein Beispiel, wie sich das auf eine ganz normale Fa- milie auswirkt: Ein Ehepaar – er erhält ein Durchschnitts- entgelt, sie zwei Drittel; das ist die übliche Verteilung der Einkommen zwischen Männern und Frauen in der Ehe, Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. April 200223406 (C) (D) (A) (B) leider. Beide haben ein Kind. Während der Erwerbstätig- keit hat die Familie ein Einkommen von rund 2 670 Euro. Wurde er arbeitslos und erhält dann Arbeitslosenhilfe, liegt das Haushaltseinkommen bei rund 1 920 Euro aus ihrem Verdienst, der Arbeitslosenhilfe und dem Kindergeld. Bei abgeschaffter Arbeitslosenhilfe liegt das Haushaltsein- kommen dann bei 1 480 Euro. Das sind rund 440 Euro we- niger. Was Sie hier immer herunterspielen, indem sie sa- gen, es sind doch beides steuerfinanzierte Leistungen, die nach Bedarf gezahlt werden, ist in Wahrheit ein großes Verarmungsprogramm. Abgesehen von der Berechnungsart hat die Sozialhilfe auch schärfere Regeln, wie viel Vermögen aufgebraucht sein muss, bevor man als bedürftig im Sinne der Sozial- hilfe gilt. Da die Sozialhilfe einst gedacht war, um in letz- ten Notfällen zu helfen, hatten diese Regeln damals auch einen Grund. Inzwischen ist die Sozialhilfe aber zu einer dauerhaften Versorgung für viele geworden, denen diese Gesellschaft nichts anderes mehr anbietet. Arbeitslosigkeit ist die häufigste Ursache für den Bezug von Sozialhilfe und Langzeitarbeitslosigkeit ist ein wachsendes Phäno- men, das mit steigender Arbeitslosigkeit, mit andauernd hohen Arbeitslosenzahlen auch weiter zunehmen wird. Die Abschaffung der Arbeitslosenhilfe heißt zudem auch, die Sozialversicherungen weiter in die Finanznot zu treiben. Im Gegensatz zu Sozialhilfeberechtigten sind die Arbeitslosenhilfeempfangenden noch in die Kranken- und Rentenversicherung integriert. Der Bund bezahlt die entsprechenden Beiträge in die Kassen ein. Für die So- zialhilfeempfänger und -empfängerinnen tut er das nicht. Für die werden nur tatsächlich anfallende, unabwendbare Behandlungskosten erstattet. Und im Alter wird die So- zialhilfe einfach weiter gezahlt. Sie schaden nicht nur den Familien, den Arbeitslosen, Sie ruinieren auch die Sozial- kassen weiter. Die SPD spricht derzeit nur von Verzahnung – es ist ja Wahlkampf. So lange wird noch besonderer Wert darauf gelegt, dass es nicht um eine Zusammenlegung gehe. Wie auch immer sie es nennen, es läuft systematisch auf die Abschaffung der Arbeitslosenhilfe zu. Es wurde schon ge- probt, wie groß der Aufschrei sein würde – leider noch nicht laut genug, als Florian Gerster und Minister der SPD-geführten Länder schon von der Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe redeten. Der Wahlkampf bietet nur Aufschub. Wer die Arbeits- losen- und Sozialhilfe verzahnen will, muss die Arbeits- losenhilfe nach unten angleichen. Das verlangt die Syste- matik, denn die Sozialhilfe ist Hilfe in Notlagen, keine dauerhafte. Jedenfalls eigentlich. Ob Aushöhlung durch Verzahnung oder Abschaffung durch Zusammenlegung, die Folge ist jedenfalls: Die Ar- beitslosenversicherung wird noch weniger akzeptiert wer- den. Wenn es nach Gerster geht, kann man für jahrelange Beiträge nur Leistungen für maximal ein Jahr erwarten, wenn man arbeitslos wird. Nach dem Arbeitslosengeld wird man dann auf die Sozialhilfe verwiesen. Damit för- dern Sie die Erosion der sozialen Sicherungssysteme. Klar, dass die Bereitschaft, Beiträge zu zahlen, sinkt. Klar, dass man dann lieber privat für sich sorgt, wenn keine dauer- hafte Sicherung mehr zu erwarten ist. Die Arbeitslosen- versicherung hat eben nicht nur Versorgungsaspekte, wenn es auch die sind, die Betroffene zuerst interessieren. Und das ist auch gut so, denn darum müssen sie kämpfen. Mit der solidarischen Arbeitslosenversicherung – je- denfalls zwischen den Arbeitnehmer- und Arbeitnehme- rinnen – können auch Aufgaben der Umschulung, der Weiterbildung, der Qualifizierung für den Arbeitsmarkt im Interesse der Versicherten finanziert werden. Das sind Leistungen, die Versicherte nur in besonderen Fällen be- kommen. Trotzdem sind sie ein wichtiger Beitrag zur Ver- ringerung der Arbeitslosigkeit. Und das ist ja das eigent- lich wesentliche Ziel: der Abbau der Arbeitslosigkeit. Solange aber zehn Bewerber auf eine gemeldete offene Stelle kommen, ist der Verweis auf den ersten Arbeits- markt für viele nur zynisch. Solange die Massenarbeits- losigkeit Langzeitarbeitslosigkeit hervorbringt, müssen wir uns um die Betroffenen kümmern, ihnen würdige Le- bensbedingungen ermöglichen, denn sie sind nicht allein an ihrem Schicksal schuld, wie viele ihnen immer einre- den wollen. Sie sind diejenigen, die es getroffen hat in ei- ner Gesellschaft, die Arbeitslosigkeit hervorbringt. Für viele Arbeitslose reicht das Arbeitslosengeld, meist aber dann die Arbeitslosenhilfe nicht für ein Leben an der Grenze des Existenzminimums. Sie haben Anrecht auf er- gänzende Leistungen der Sozialhilfe. Dafür müssen sie sich aber mit zwei Ämtern ärgern, müssen zwei Bedürf- tigkeitsprüfungen über sich ergehen lassen, müssen zwei Sachbearbeitern ihr Leben ausbreiten und ihre Not geste- hen. Muss das wirklich sein, wenn der einzige Grund für die Bedürftigkeit die fehlenden Arbeitsplätze sind? Für Altersarmut hatte die Regierungskoalition ein Ein- sehen. Mit der Grundsicherung im Alter ging sie einen Schritt in die richtige Richtung: Wer zu wenig Rente be- zieht, soll mindestens die Höhe der Sozialhilfe erhalten und sich nicht von Scham und Unwissen abhalten lassen. Dabei soll auch nicht mehr auf die Kinder zurückgegrif- fen werden, von denen sich das Sozialamt sonst die be- zahlten Leistungen wiederholen kann. Eine so einfache Regelung stellt sich die PDS mit dem Antrag, eine Grundsicherung in die Arbeitslosenversiche- rung einzuführen, auch vor. Zuallererst halten wir an der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes fest, wollen es lieber ausgebaut sehen. Dann halten wir an der Arbeitslosenhilfe fest; sie soll beibehalten werden und grundsätzlich nicht mehr abgeschmolzen werden. Mit einem gesetzlichen Mindestlohn wären hoffentlich künftig dann die jenseits der Armutsgrenze abgesichert, die eine Vollzeitstelle hat- ten und arbeitslos wurden. Wir wollen uns mit diesem Antrag aber auch jener an- nehmen, die aufgrund niedriger Löhne mit der Arbeitslo- senhilfe, seltener auch schon mit dem Arbeitslosengeld so arm dran sind, dass sie Anrecht auf ergänzende Sozialhilfe haben. Dafür müssen sie sich derzeit aber mit zwei Äm- tern herumärgern. Das wollen wir ändern. Ein Bürgeramt für Arbeit soll die Leistungen bündeln. Außerdem wollen wir die arbeitslosen Sozialhilfeemp- fänger und -empfängerinnen in die Arbeitslosenversiche- rung hereinholen – und nicht wie so viele andere Arbeitslo- senhilfeempfänger und -empfängerinnen in die Sozialhilfe abschieben. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. April 2002 23407 (C) (D) (A) (B) Das sind wirkliche Alternativen zu der unterschieds- losen Politik, die alle anderen Fraktionen hier bieten. Das sind Alternativen, die sich an der Grundidee sozia- ler Gerechtigkeit orientieren und nicht an Vorurteilen gegenüber Leistungsempfängern und -empfängerinnen. Ich hoffe, Sie geben sich einen Ruck, denken über unsere Vorschläge noch mal nach und stimmen dann doch zu. Anlage 16 Amtliche Mitteilungen Der Abgeordnete Dr. Hermann Kues und Jochen Borchert haben darum gebeten, bei dem Antrag Vermei- dung von Spätabtreibungen – Hilfen für Eltern und Kinder auf Drucksache 14/6635 in die Liste der Antrag- steller aufgenommen zu werden. Der Vorsitzende des folgenden Ausschusses hat mitge- teilt, dass der Ausschuss gemäß § 80 Abs. 3 Satz 2 der Ge- schäftsordnung von einer Berichterstattung zu der nach- stehenden Vorlage absieht: Rechtsausschuss – Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Rgierungskommission „Corporate Gover- nance“ Unternehmensführung – Unternehmenskontrolle – Modernisierung des Aktienrechts – Drucksachen 14/7515, 14/8086 Nr. 1.1 – Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mit- geteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden EU-Vorla- gen bzw. Unterrichtungen durch das Europäische Parla- ment zur Kenntnis genommen oder von einer Beratung abgesehen hat. Auswärtiger Ausschuss Drucksache 14/8339 Nr. 2.51 Drucksache 14/8562 Nr. 2.51 Finanzausschuss Drucksache 14/7708 Nr. 2.2 Drucksache 14/8339 Nr. 2.48 Drucksache 14/8339 Nr. 2.49 Drucksache 14/8339 Nr. 2.50 Drucksache 14/8428 Nr. 2.11 Drucksache 14/8428 Nr. 2.54 Drucksache 14/8428 Nr. 2.59 Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft Drucksache 14/8562 Nr. 1.5 Drucksache 14/8562 Nr. 2.3 Drucksache 14/8562 Nr. 2.27 Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Drucksache 14/8179 Nr. 2.13 Drucksache 14/8179 Nr. 2.32 Drucksache 14/8339 Nr. 2.21 Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Drucksache 14/8428 Nr. 2.8 Drucksache 14/8428 Nr. 2.30 Drucksache 14/8428 Nr. 2.41 Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Drucksache 14/6395 Nr. 2.1 Drucksache 14/7000 Nr. 2.10 Drucksache 14/7000 Nr. 2.34 Drucksache 14/7129 Nr. 2.43 Drucksache 14/7129 Nr. 2.67 Drucksache 14/7708 Nr. 1.10 Drucksache 14/7833 Nr. 2.5 Drucksache 14/7833 Nr. 2.6 Drucksache 14/8081 Nr. 2.16 Drucksache 14/8691 Nr. 2.1 Ausschuss für Kultur und Medien Drucksache 14/7000 Nr. 1.17 Drucksache 14/7000 Nr. 2.6 Drucksache 14/8179 Nr. 1.1 Drucksache 14/8339 Nr. 1.8 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. April 200223408 (C) (D) (A) (B) Berichtigung Der Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen hat anstelle der in der AmoV 228 mitgeteilten Vorlage Drucksache 14/7708 Nr. 2.15 die Vorlage Drucksache 14/7708 Nr. 2.37 zur Kenntnis genommen. Druck: MuK. Medien- und Kommunikations GmbH, Berlin
Gesamtes Protokol
Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1423400000
Guten Morgen, liebe
Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.

Heute feiert Kollege Börnsen (Bönstrup) seinen
60. Geburtstag. Richten Sie ihm im Namen des Hauses
herzliche Glückwunsche aus!


(Beifall)

Interfraktionell ist Folgendes vereinbart worden: Die

Beratung zum Tagesordnungspunkt 16 – Tariftreue – soll
um die Beratung der Beschlussempfehlung zu einem An-
trag der FDP-Fraktion – es handelt sich um die Drucksa-
che 14/8902 – erweitert werden. Sodann sollen die beiden
bereits gestern beratenen Anträge zur NATO-Erweiterung
auf den Drucksachen 14/8835 und 14/8861 nicht – wie er-
folgt – überwiesen, sondern gleich abgestimmt werden.
Die Beschlussfassung darüber soll unmittelbar nach der
Debatte zu Tagesordnungspunkt 16 stattfinden. Sind Sie
damit einverstanden? – Ich höre keinen Widerspruch.
Dann ist so beschlossen.

Wir kommen nun zu den Zusatzpunkten 9 a bis 9 e. Es
handelt sich um die Beschlussfassung zu Vorlagen, zu de-
nen keine Aussprache vorgesehen ist.

Zusatzpunkt 9 a:
Zweite und dritte Beratung des von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurfs eines Ge-
setzes zur Durchführung der Rechtsakte der
Europäischen Gemeinschaft auf dem Gebiet

(Öko-Landbaugesetz – ÖLG)

– Drucksache 14/8768 –

(Erste Beratung 230. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Verbraucherschutz, Ernährung und Land-
wirtschaft (10. Ausschuss)

– Drucksache 14/8906 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Marita Sehn

Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Aus-
schussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen.

– Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Damit ist der
Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit den Stimmen des
ganzen Hauses angenommen.

Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer
stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf
ist damit einstimmig angenommen.

Wir kommen zu den Beschlussempfehlungen des Peti-
tionsausschusses.

Zusatzpunkt 9 b:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 383 zu Petitionen
– Drucksache 14/8871 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Die Sammelübersicht 383 ist mit den Stimmen
des Hauses bei Enthaltung der PDS-Fraktion angenom-
men.

Zusatzpunkt 9 c:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 384 zu Petitionen
– Drucksache 14/8872 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Die Sammelübersicht 384 ist einstimmig ange-
nommen.

Zusatzpunkt 9 d:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 385 zu Petitionen
– Drucksache 14/8873 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Die Sammelübersicht 385 ist mit den Stimmen

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(A)



(B)


234. Sitzung

Berlin, Freitag, den 26. April 2002

Beginn: 9.00 Uhr

von SPD und von Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stim-
men von CDU/CSU und FDP bei Enthaltung der PDS an-
genommen.

Zusatzpunkt 9 e:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 386 zu Petitionen
– Drucksache 14/8874 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Die Sammelübersicht 386 ist mit den Stimmen
des Hauses bei Enthaltung der PDS angenommen.

Ich rufe nunmehr die Tagesordnungspunkte 16 a bis
16 e sowie Zusatzpunkt 10 auf:
16 a) – Zweite und dritte Beratung des von den Abge-

ordneten Klaus Wiesehügel, Dr. Axel Berg,
Hubertus Heil, weiteren Abgeordneten und der
Fraktion der SPD sowie den Abgeordneten
Kerstin Müller (Köln), Rezzo Schlauch und der
Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur ta-
riflichen Entlohnung bei öffentlichen Aufträ-
gen und zur Einrichtung eines Registers über
unzuverlässige Unternehmen
– Drucksache 14/7796 –

(Erste Beratung 213. Sitzung)


– Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes zur tariflichen Entlohnung bei öffentli-
chen Aufträgen und zur Einrichtung eines
Registers über unzuverlässige Unternehmen
– Drucksache 14/8285 –

(Erste Beratung 218. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-

(9. Ausschuss)

– Drucksache 14/8896 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Klaus Wiesehügel

b) Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes für Tarif-
treueerklärungen
– Drucksache 14/5263 –

(Erste Beratung 213. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Wirtschaft und Technologie (9. Ausschuss)

– Drucksache 14/8897 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Hartmut Schauerte

c) Zweite und dritte Beratung des vom Bundes-
rat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur

tariflichen Entlohnung bei öffentlichen Auf-
trägen
– Drucksache 14/6752 –

(Erste Beratung 213. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Wirtschaft und Technologie (9. Ausschuss)

– Drucksache 14/8898
Berichterstattung:
Abgeordneter Klaus Wiesehügel

d) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Wirtschaft und Techno-
logie (9. Ausschuss) zu dem Antrag der Fraktionen
der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Tariftreue im Vergaberecht – Bundeseinheitli-
che Regelung schafft fairen Wettbewerb
– Drucksachen 14/6982, 14/8899 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Klaus Wiesehügel

e) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Wirtschaft und Techno-
logie (9. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeord-
neten Hartmut Schauerte, Dr. Hansjürgen Doss,
Wolfgang Börnsen (Bönstrup), weiterer Abgeord-
neter und der Fraktion der CDU/CSU
Offensive für die Bauwirtschaft – Ursachen
wirksam bekämpfen
– Drucksachen 14/7506, 14/8901 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Hartmut Schauerte

ZP 10 Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Wirtschaft und Techno-
logie (9. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeord-
neten Rainer Brüderle, Dr. Heinrich L. Kolb,
Gudrun Kopp, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der FDP
Tarifzwang im öffentlichen Vergaberecht ver-
hindern
– Drucksachen 14/8510, 14/8902 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Klaus Wiesehügel

Zum Gesetzentwurf der Fraktionen der SPD und des
Bündnisses 90/Die Grünen sowie der Bundesregierung
liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion der PDS vor.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. – Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen
Klaus Wiesehügel, SPD-Fraktion, das Wort.


Klaus Wiesehügel (SPD):
Rede ID: ID1423400100
Sehr geehrter Herr Präsi-
dent! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit dem heute zu
verabschiedenden Gesetz zur tariflichen Entlohnung bei




Präsident Wolfgang Thierse
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(D)



(A)



(B)


öffentlichen Aufträgen und zur Einrichtung eines Regis-
ters über unzuverlässige Unternehmen setzt die Regie-
rungskoalition konsequent ihren Weg fort, Recht und Ord-
nung auf dem Arbeitsmarkt wieder herzustellen.


(Beifall bei der SPD)

Spätestens seit dem Ende des Baubooms in Ost-

deutschland, seit 1995, befindet sich die Bauwirtschaft in
einer schweren strukturellen Krise. Der deutsche Bau-
markt ist von Überkapazitäten geprägt, die durch falsche
Weichenstellungen der Regierung Kohl bedingt sind. Das
ist keine linke Propaganda oder die eines Gewerkschaf-
ters. Das sprechen auch führende deutsche Mittelständler
der Baubranche klar und deutlich aus. Zugleich ist der
deutsche Baumarkt der größte und offenste in Westeu-
ropa. Es ist daher nicht verwunderlich, dass vor allem aus-
ländische Billigunternehmen ein weites Betätigungsfeld
in Deutschland gefunden haben. Das hat nicht nur zu ei-
nem enormen Konkurrenzdruck beigetragen, sondern vor
allem auch zu einem ruinösen Wettbewerb geführt. Die
Folgen sind Lohndumping, aber auch eine zunehmende
Tarifflucht selbst deutscher Firmen.

Es ist ein verhängnisvolles Wechselspiel: Die Zahl der
legalen Arbeitsplätze mit tarifgerechter Bezahlung sinkt
dramatisch immer weiter und im gleichen Tempo weiten
sich illegale Strukturen aus. Seit 1995 ist ein Drittel der le-
galen inländischen Arbeitsplätze abgebaut worden. Das
betrifft mehr als eine halbe Million Menschen. Gleichzei-
tig haben wir aber eine Zunahme der illegalen Beschäfti-
gung auf mindestens 300 000 zu verzeichnen. Wenn wir
diese ruinösen Strukturen beseitigen, dieses verhängnis-
volle Wechselspiel beenden wollen, dann brauchen wir
klare und faire Vergaberichtlinien. Die öffentliche Hand
hat dabei eine ganz besondere Verpflichtung.


(Beifall bei der SPD und der PDS)

Ein Tariftreuegesetz ist für die Bauwirtschaft, aber ins-

besondere auch mit Blick auf die Zukunft des öffentlichen
Personennahverkehrs wichtig. Die Europäische Kom-
mission hat zuletzt im Februar dieses Jahres einen Vor-
schlag für eine europäische Verordnung vorgelegt, wonach
künftig Verkehrsleistungen grundsätzlich im Ausschrei-
bungswettbewerb zu vergeben sind. Das heißt ganz klar,
ohne ein flankierendes Tariftreuegesetz würde dies den
deutschen Nahverkehrsmarkt mit seinen rund 6 400 Be-
trieben und 250000 Arbeitnehmerinnen und Arbeitneh-
mern in einen ruinösen Wettbewerb treiben, so wie wir es
in der Bauwirtschaft leider schon kennen gelernt haben.

Deshalb brauchen wir auch für den Bereich des öffent-
lichen Personennahverkehrs ein Tariftreuegesetz. Wir
brauchen es, weil die Qualität der Verkehrsleistungen ent-
weder durch den Verkehrsverbund oder durch den Nah-
verkehrsplan der kommunalen Gebietskörperschaften
vorgegeben ist und von jedem Anbieter genau erfüllt wer-
den muss, weil der Anteil der Personalkosten an den Ge-
samtkosten im Nahverkehr bei über 50 Prozent liegt
– schließlich handelt es sich um eine sehr personalinten-
sive Dienstleistung, da jedes Fahrzeug eine Fahrerin oder
einen Fahrer braucht – und weil § 13 a des deutschen Per-
sonenbeförderungsgesetzes vorschreibt, dass dasjenige
Verkehrsunternehmen mit der Erbringung von Leistungen
zu beauftragen ist, welches zu der niedrigsten Kostenbe-

lastung für den Auftraggeber führt. Somit können Unter-
nehmen, die keinen Tarifvertrag anwenden oder zu Hei-
matlohnbedingungen – denken Sie an den europäischen
Binnenmarkt – ihre Preisangebote kalkulieren, die beste-
henden Betriebe sehr schnell ausbooten. Dadurch geraten
die Arbeitsplätze in höchste Gefahr. Die Arbeitnehmerin-
nen und Arbeitnehmer müssten zu denselben schlechten
Bedingungen arbeiten, um überhaupt noch mithalten zu
können.

Die Notwendigkeit einer gesetzlichen Regelung der
öffentlichen Auftragsvergabe kann niemand ernsthaft
bestreiten. Das ist ja auch bereits von mehreren unionsge-
führten Bundesländern erkannt worden. Einige Bundes-
länder haben schon lange darauf reagiert, indem sie
eigene Gesetze erlassen haben. Ich erinnere an Bayern
und an das Saarland. Dabei ist aber auch deutlich gewor-
den, wie notwendig eine bundeseinheitliche Regelung
ist, nach der künftig öffentliche Auftraggeber Aufträge
über Baumaßnahmen und im öffentlichen Personennah-
verkehr nur an die Unternehmen vergeben dürfen, die sich
verpflichten, mindestens den am Ort der Leistungsaus-
führung einschlägigen Lohn- und Gehaltstarif zum ver-
traglich vorgesehenen Zeitpunkt zu zahlen. Das ist der
Kern des vorliegenden Gesetzentwurfs. Nur ein Tarif-
treuegesetz, das die Anwendung des Tarifvertrages am
Ort der Leistungserbringung vorschreibt, schützt vor ei-
nem ruinösen Wettbewerb und sichert die Existenz der be-
stehenden Betriebe durch eine faire Regelung.


(Beifall bei der SPD)

Wir haben auch festgelegt, dass es sich um einen re-

präsentativen Tarifvertrag handeln muss, der für die meis-
ten Arbeitnehmer Anwendung findet. Wie wichtig das ist,
zeigt ein Beispiel aus Nordrhein-Westfalen, wo die dem
Christlichen Gewerkschaftsbund angehörende GÖD ei-
nen Gefälligkeitstarifvertrag abgeschlossen hatte, obwohl
sie keine Mitglieder in den Nahverkehrsbetrieben nach-
weisen konnte. Die Beschäftigten mussten über sieben
Wochen streiken, um einen gleichwertigen Abschluss zu
dem üblichen Tarifvertrag zu erhalten.

Um einen vernünftigen Interessenausgleich zwischen
strukturschwächeren und strukturstärkeren Regionen zu
schaffen, ist eine Staffelung vorgesehen. Zunächst beträgt
der Anteil der zu zahlenden Lohn- und Gehaltstarife
92,5 Prozent. Er erhöht sich jeweils zum 1. Januar um
2,5 Prozent, bis schließlich ab dem 1. Januar 2005 die am
Ort der Leistungsausführung einschlägigen Lohn- und
Gehaltstarife in voller Höhe zu zahlen sind.

Ebenso sieht das Gesetz eine Staffelung in Bezug auf
die Auftragshöhe vor. Das gilt zunächst für Aufträge ab
einem geschätzten Auftragswert von 100 000 Euro und
wird bis zum Januar 2004 auf 50 000 Euro abgesenkt.

Die Kritik, hierdurch entstünden Mehrkosten in Höhe
von 5 Prozent, ist falsch. Sie ist zum Teil von Beratern
übernommen worden, die bestimmte Interessen hatten.
Wir haben im Bereich des Baugewerbes – laut der Kritik
sollte es genau da teurer werden – ungefähr 31 Prozent
Personalkosten. Das bezieht sich auf Bauwerke und nicht
auf Baufirmen. Wir müssten also ganz erhebliche Lohn-
steigerungen durch das Tariftreuegesetz erzielen, bevor
überhaupt eine 5-prozentige Kostensteigerung entstehen




Klaus Wiesehügel

23291


(C)



(D)



(A)



(B)


könnte. Wenn diese gewaltigen Lohnkostensteigerungen
durch das Tariftreuegesetz ausgelöst würden, dann hätte
es wahrhaftig seinen Sinn.

Wie im kameralistischen Denken üblich, bleiben
gravierende finanzielle Auswirkungen, die das Gesetz aus-
drücklich anstrebt, unberücksichtigt: Illegale Beschäfti-
gung und damit verbundenes Lohndumping soll zumin-
dest bei öffentlichen Aufträgen vermindert werden.
Hierdurch werden entsprechende volkswirtschaftliche
Schäden verringert. Zurückgedrängte illegale Beschäfti-
gung stärkt zugleich die heimische Beschäftigung. Damit
erhalten Fiskus und Sozialversicherung höhere Steuern
undAbgaben.Gleichzeitigwerden kommunaleKostenwie
die aus Arbeitslosigkeit resultierende Sozialhilfe sowie
Aufwendungen fürArbeitslosengeld und -hilfe eingespart.


(Beifall bei der SPD – Peter Rauen [CDU/ CSU]: Alles Wunschdenken!)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, das heute vorlie-
gende Gesetz hat noch eine zweite wesentliche Kompo-
nente: die Einrichtung eines Registers über unzuverläs-
sige Unternehmen. Diese können bei Verfehlungen wie
illegaler Beschäftigung, Schwarzarbeit oder bei Ver-
stößen gegen die Tariftreue von der Vergabe öffentlicher
Aufträge ausgeschlossen werden. Durch das Register
wird gewährleistet, dass die öffentlichen Auftraggeber
von derartigen Ausschlüssen Kenntnis erlangen können.

Denjenigen, die immer noch meinen, wir kämen ohne
ein Tariftreuegesetz aus, und behaupten, diesem Gesetz
liege ein Kartell von Bauverbänden, Gewerkschaften und
anderen auf Kosten der Allgemeinheit zugrunde, rate ich
nachdrücklich, einen Blick auf die Situation in der von
vielen, die diese Klage führen, ja immer als vorbildlich
gepriesenen USA zu werfen. Ich habe das an dieser Stelle
schon einmal gesagt und wiederhole es, weil man es nicht
oft genug darlegen kann; das muss ja in die Köpfe hinein.

Sowohl auf Bundesebene als auch in rund 60 Prozent
der Bundesstaaten der USA gelten Gesetze, die mit dem
hier diskutierten Tariftreuegesetz vergleichbar sind. In
den Staaten, in denen die Vergabegesetze zwischenzeit-
lich aufgehoben waren, konnte man in dieser Phase fest-
stellen, dass die Baukosten nicht sanken, obwohl die
Löhne und Sozialkosten zum Teil deutlich zurückgingen.
Aber ohne Vergabegesetz verringerte sich die Ausbil-
dungsquote drastisch, nämlich um mehr als die Hälfte,
und es trat ein besorgniserregender Fachkräftemangel ein.
Zugleich gingen in dieser Zeit die Innovationsfähigkeit
und ihr folgend die Qualität und Produktivität in der Bau-
wirtschaft zurück. Niemand investiert nämlich mehr in
langfristig wirksame Innovationen, wenn seine Konkur-
renten kurz- und mittelfristig die Aufträge erhalten, weil
sie auf diese Investitionen verzichten. Die erwähnten
Bundesstaaten der USA setzten nach diesen ernüchtern-
den Erfahrungen ihre Vergabegesetze wieder in Kraft.

Man soll ja auch einmal von anderen lernen. Aus-
nahmsweise finde ich es gut, wenn man hier von den USA
lernt. Man muss nicht alles von Ihnen lernen; aber dies
kann man durchaus lernen.


(Beifall bei der SPD – Zuruf von der CDU/ CSU: Von den Besseren soll man lernen!)


Ich bitte Sie: Stimmen Sie dem Gesetz zu! Zeigen wir
den Menschen auf der Baustelle, dass wir ihre Probleme
ernst nehmen und sie lösen wollen. Wer gleiche Tarife und
Arbeitsbedingungen für deutsche und ausländische Ar-
beitnehmer durchsetzen möchte, zeigt politisches Verant-
wortungsbewusstsein.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)


Dieses Gesetz wird dafür sorgen, dass es für alle Be-
teiligten günstiger ist, Tarife und Auflagen einzuhalten
und auf illegale Beschäftigung zu verzichten. Sie sind
doch die Freunde der mittelständischen Unternehmer-
schaft und auch der mittelständischen Bauunternehmer-
schaft! Helfen Sie denen doch einmal, damit sie wieder
richtige Renditen bekommen, und stimmen Sie diesem
Gesetz zu!


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS – Peter Rauen [CDU/CSU]: Das ist doch Unfug!)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1423400200
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Hartmut Schauerte, CDU/CSU-Fraktion.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Jetzt kommt der wahre Freund des Mittelstandes und lehnt das alles ab!)



Hartmut Schauerte (CDU):
Rede ID: ID1423400300
Herr Präsident!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr
Wiesehügel, verantwortliche Politik betreibt der, der eine
Politik zur Schaffung neuer Arbeitsplätze betreibt, und
nicht einer, der Arbeitsplätze mit neuen, nicht praktika-
blen und behindernden Regulierungen verhindert.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Hinsichtlich der Kritik an den USAmöchte ich einmal

generell sagen: Wir haben ja in Deutschland eine interes-
sante Situation. Gerade in der deutschen Politik wird im-
mer wieder gesagt: Aber so wie die Amerikaner wollen
wir das nicht machen. Als ich mir jedoch gestern die Kon-
junkturdebatte angehört habe, habe ich festgestellt, dass
die ganze Regierung und die ganze SPD gesagt haben:
Hoffentlich springt die Konjunktur in Amerika an, da-
mit es uns wieder besser geht.


(Heiterkeit bei der CDU/CSU)

Das ist schon eine eigenartige Arbeitsteilung. Wir be-

schimpfen die Amerikaner für alle Fehler, die sie machen;
aber wir sagen: Ohne sie kriegen wir überhaupt nichts ge-
regelt,


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

so nach dem Motto: Hoffentlich senkt Herr Bush die Steu-
ern, damit wir in Deutschland es nicht tun müssen und un-
sere Wirtschaft etwas davon hat. – Das ist eine Arbeitstei-
lung, die in meinen Kopf nicht hineingeht.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Die Lage am Bau ist katastrophal, und zwar so kata-

strophal, wie sie es noch nie war. Sie, Herr Wiesehügel,




Klaus Wiesehügel
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(D)



(A)



(B)


regieren jetzt schon seit fast vier Jahren. Sie sind der
Fachmann für Baufragen und der zentrale Ratgeber der
Bundesregierung bei allen Maßnahmen in diesem Bereich
gewesen. Das Ergebnis ist eine nackte Katastrophe!


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Hören Sie doch auf! Das ist von Ihnen auf den Weg gebracht worden!)


1998 hatten wir in der Bauwirtschaft 1,15 Millionen
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Heute sind es nur
noch 840 000. Das sind 250 000 Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer weniger. Einen solchen dramatischen Ver-
lust an Arbeitsplätzen hat es in der Geschichte der Bun-
desrepublik Deutschland zu keiner Zeit gegeben. Das ist
ein Ergebnis Ihrer Politik.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Ich darf noch einmal darauf hinweisen, dass allein im

letzten Jahr 80 000 Arbeitsplätze verloren gegangen sind.
Das sind so viele, wie im ganzen Kohlebergbau vorhan-
den sind. Was ist Ihrer Regierung alles zum Kohlebergbau
eingefallen und was haben Sie in der Bauwirtschaft alles
verkehrt gemacht! Man muss die Dinge einfach einmal
miteinander vergleichen, um die Verantwortlichkeiten
klar zu machen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Zuruf von der CDU/CSU: Holzmann lässt grüßen!)


Wir hatten im letzten Jahr in der Bauwirtschaft
9 026 Konkurse zu verzeichnen. Der Umsatz im Bau-
hauptgewerbe ist um 7,4 Prozent zurückgegangen.

Herr Wiesehügel, wie antworten Sie darauf? Nicht in-
dem Sie neue Aufträge erteilen, indem Sie eine Politik für
Wachstum machen, sondern indem Sie wieder einmal zur
Regulierung greifen. Sie wollen einer wegbrechenden
Marktchance mit neuen Regulierungen auf die Beine hel-
fen. Ich sage Ihnen: Das ist ein absoluter Irrweg und er
wird, wie alle Ihre Versuche, über Regulierung neuen
Druck und neues Wachstum in die deutsche Volkswirt-
schaft hineinzubringen, scheitern.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Der wirklich wichtige Grund ist, dass die öffentlichen

Bauaufträge wegbrechen. Die öffentlichen Steuereinnah-
men brechen weg, weil Sie nicht einmal eine richtige
Steuerreform durchführen können. So, wie sich Herr
Eichel bei der Entwicklung der Steuereinnahmen, – allein
bei der Körperschaftsteuer – vergaloppiert hat, das hat es
in der Geschichte der Bundesrepublik noch nicht gege-
ben. Bei kleinen Zahlen soll er ja ganz gut sein; aber bei
der großen Zahl – was passiert denn und was nehme ich
noch ein, wenn ich eine Steuerreform mache – hat er wirk-
lich auf Grund aufgesetzt. Das ist ursächlich dafür, dass
die öffentliche Knappheit ausgebrochen ist und Sie die
Konjunktur so „in die Puppen jagen“, dass wir in der In-
frastruktur, im öffentlichen Wohnungsbau, im Schulbau
und überall, wo wir solche Aufträge benötigen, keine Auf-
träge mehr haben. Es findet nichts mehr statt.

Gegen so etwas gehen Sie mit Regulierungen vor. Wir
haben das in der Bauwirtschaft schon häufiger gehabt. Es

gab eine Menge Eingriffe: das Entsendegesetz, die Bau-
abzugssteuer und jetzt die Tariftreue. Herr Wiesehügel,
wir haben an dem einen oder anderen sogar mitgewirkt.
Ich sage Ihnen: Es sind aber die falschen Rezepte. Wir
müssen an diese Frage gründlicher herangehen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP– Klaus Wiesehügel [SPD]: Sie müssen Ihre Scheuklappen einmal herunternehmen!)


Wo immer man hinschaut – ich erinnere an das
630-Mark-Gesetz –, entdeckt man Fehler. Sie sind nicht
in der Lage, das Problem wirklich an der Wurzel zu
packen.

Lassen Sie uns doch einmal nachdenklich an das
Thema herangehen. Das Geld in den öffentlichen Kassen
– wir reden nur über öffentliche Bauaufträge – und die
Anzahl der öffentlichen Aufträge sind knapp. Dieses Pro-
blem wollen Sie durch höhere Preise lösen; denn – das
muss man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen –
dieses Gesetz führt genau dazu.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Obwohl so wenig Geld da ist, die Anzahl der öffentlichen
Aufträge so knapp ist und immer mehr Arbeitsplätze weg-
fallen, beschließen Sie ein Gesetz, das zur Folge hat, dass
die Preise steigen, und das, ohne gleichzeitig ein Gesetz
zu beschließen, das dafür sorgt, dass die öffentliche Hand
in den Kommunen, in den Ländern und im Bund mehr
Geld für Investitionen hat.


(Rainer Brüderle [FDP]: So ist es!)

Die Sachverständigen haben uns schlicht und ergrei-

fend gesagt: Die Preissteigerungen, die dieses Gesetz
nach sich ziehen wird, werden bei mindestens 5 Prozent
liegen. Die Kommunen haben uns gesagt: Wir erhöhen
unsere Ausgaben um keinen Pfennig. Die zwingende
Konsequenz aus der Verabschiedung Ihres Gesetzent-
wurfs ist die Verringerung der Anzahl der Arbeitsplätze.
Das ist das Ergebnis Ihrer Politik.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Klaus Wiesehügel [SPD]: Das ist die falsche Logik!)


Es wird weniger gebaut werden; deswegen wird es weni-
ger Arbeit geben.

Ich möchte ein paar konkrete Fragen ansprechen.
Holzmann ist wirklich kein Ruhmesblatt gewesen. Selbst
wenn man unterstellt, dass die Rettung von Holzmann
hätte klappen können: Ein solches Eingreifen wie das bei
Holzmann wäre nach der Verabschiebung des Tariftreue-
gesetzes nicht mehr möglich. Bei der Rettung von Holz-
mann galt ein Sondertarif und kein am Ort der Leis-
tungserbringung einschlägiger Tarif. Holzmann wäre
nach dem Vertrag zu seiner Rettung, den Sie mit unter-
schrieben haben, von jedem öffentlichen Auftrag aus-
geschlossen worden und ins Register gekommen.


(Klaus Wiesehügel [SPD]: Das ist falsch, was Sie sagen!)


Herr Wiesehügel – Sie müssen doch einmal bis zum Ende
denken –,


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)





Hartmut Schauerte

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(C)



(D)



(A)



(B)


Sie haben noch gar nicht bedacht: Holzmann hätte keinen
öffentlichen Auftrag mehr bekommen können, egal was
der Bundeskanzler quer geschrieben hätte. Dort, wo wir
Beweglichkeit brauchen, schaffen Sie Überregulierung.
Was Sie tun, ist der falsche Weg.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Sie haben keine Ahnung! – Klaus Wiesehügel [SPD]: Das kann doch nicht wahr sein! Wie kann man so etwas erzählen!)


Zu Ostdeutschland will ich gar nicht viel sagen. Ich
möchte nur noch etwas zur Europatauglichkeit sagen. Die
Gutachter haben uns eindeutig erklärt, dass das, was Sie
hier machen, europarechtswidrig ist. Gegen dieses Gesetz
wird geklagt werden. Wie man in der „FAZ“ von heute
nachlesen kann, hat ein Mitglied der Monopolkommis-
sion dazu ausführlich etwas gesagt. Dieses Gesetz hat eine
kurze Lebensdauer. Dieses Gesetz verabschieden Sie mit
der Hoffnung, dass es für Sie gewissermaßen in den letz-
ten Zuckungen des Wahlkampfs einen Vorteil bringt. Sie
rechnen damit, dass die negativen Auswirkungen und die
Untauglichkeit dieses Gesetzes, Hilfe zu leisten, in der
Kürze der Zeit bis zur Wahl nicht mehr erkannt wird. Am
1. Mai wird es Ihrerseits vielerorts einen Redebeitrag zu
diesem Thema geben.


(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Auch in der restlichen Zeit des Wahlkampfs wollen Sie
darauf eingehen.

Ich sage Ihnen: Sie streuen den Leuten Sand in die Au-
gen. Aber sie wissen mittlerweile, dass ihnen Sand in die
Augen gestreut wird. Herr Wiesehügel, angesichts all Ih-
rer glänzenden Ideen, wie man die Bauwirtschaft wieder
auf Vordermann bringt, kann ich mir das Wahlergebnis in
Sachsen-Anhalt anders wirklich nicht erklären.


(Albrecht Feibel [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

Die Wahl in Sachsen-Anhalt war doch auch eine Ab-
stimmung über die Wertschätzung Ihrer Politikansätze zu
diesem Thema. In den neuen Ländern war die Frage „Wie
soll es mit der Wirtschaft im Osten weitergehen?“ ein
Thema.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Diesen Punkt will ich aber nicht vertiefen.

Ich möchte auf die Europatauglichkeit dieses Gesetzes
zu sprechen kommen. Mittlerweile liegt eine Entschei-
dung des Europäischen Gerichtshofs zu Haustarifver-
trägen vor. Sie können den neuen Ländern nicht etwas er-
lauben, was den Portugiesen anschließend verboten wird.
Ich garantiere Ihnen, dass – mein Kollege wird dazu nach-
her ausführlich etwas sagen – die Einführung der 92,5-
Prozent-Regelung den Todeskuss für dieses Gesetz be-
deutet. Nach der Einführung dieser Regelung wäre dieses
Gesetz von der europäischen Rechtslage nicht mehr ge-
deckt und würde in die Irre führen.

Ich will noch auf einen anderen Punkt, der mir ganz
wichtig ist, zu sprechen kommen, nämlich auf den ÖPNV.
Auf diesem Gebiet haben wir es mit der gleichen Idiotie
zu tun. Der Vertreter der Stadtwerke Dortmund – Dort-

mund ist eine seit über 50 Jahren sozialdemokratisch ge-
führte Stadt mit tiefroten Strukturen – hat uns in der An-
hörung gesagt: Die Umsetzung der Pläne wird beim
ÖPNV zu Kostenerhöhungen in der Größenordnung zwi-
schen 10 und 15 Prozent führen. Ich finde das beein-
druckend. Wir haben diesen Vertreter gefragt: Welche
Konsequenzen werden nach allen Gesetzen der Logik aus
den Kostenerhöhungen zu ziehen sein? Eine Konsequenz
ist, dass die Straßenbahnfahrpreise steigen. Mit dieser
Frage hatte er gerechnet und antwortete sofort: Nein, nein,
das haben wir nicht vor.


(Heiterkeit bei der CDU/CSU)

Daraufhin waren alle beruhigt. Anschließend haben wir
gefragt, welche weiteren Möglichkeiten bestehen. – Die
andere Möglichkeit ist, dass wir die Subventionen der
Stadt erhöhen. Dagegen waren alle anderen Stadtwerke;
das geht auf keinen Fall. – Welche Lösungen gibt es noch?
Es sind ja immerhin 15 Prozent Preissteigerung zu erwar-
ten, wenn das, was Sie beschließen wollen, realisiert
wird. – Seine Antwort war, dann könne nur die Arbeit ver-
dichtet werden. Das heißt, wir müssten noch mehr Private
einsetzen und den öffentlichen Dienst ganz aus dem
ÖPNV hinauswerfen. Das muss es wohl in der Konse-
quenz heißen.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das sind doch wieder Schauerte-Märchen!)


Es gibt bei einer Preissteigerung von 15 Prozent nur
drei Lösungsansätze. Entweder müssen die Kommunen
höhere Subventionen zahlen oder die Arbeitnehmer be-
kommen weniger oder die Benutzer müssen mehr Geld
zahlen. Für keine dieser drei Lösungen haben Sie ein Kon-
zept.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Auch das geht fürchterlich in die Hose. Sie werden sich
wundern, was Sie Ihren Städten und Gemeinden damit an-
getan haben.

Nun noch schnell ein paar Bemerkungen zum Register.
Wir wollen die Korruption bekämpfen und lassen uns
darin nicht überbieten,


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Ach ja! Ausgerechnet Sie! – Rainer Brüderle [FDP]: Schönen Gruß!)


erst recht nicht von Ihnen. Sie haben ja Ihre eigenen Er-
fahrungen. Im Hinblick auf die Korruptionsbekämpfung
sagen wir aber auch: Das ist nicht nur ein privates Thema.
Korruption findet auch in Amtsstuben des öffentlichen
Dienstes statt, Herr Wiesehügel. Wenn wir denn einmal
ein Register bekommen, möchten wir auch eines für öf-
fentliche Amtsstuben bekommen.

Ich verdeutliche diese Problematik: Wenn Herr
Kremendahl tatsächlich auf diese Liste käme, dürfte nie-
mand mehr für die Stadt Wuppertal arbeiten. Oder welche
Konsequenz hätte das?

Ich will nur daran erinnern, dass das nicht nur ein Pro-
blem der Privatwirtschaft, sondern auch der öffentlichen
Hände ist. Bei der Privatwirtschaft sind Sie ausgesprochen




Hartmut Schauerte
23294


(C)



(D)



(A)



(B)


erfindungsreich; bei den öffentlichen Händen schweigt des
Sängers Höflichkeit. Machen Sie ein Register auch für
derartige Verfehlungen im öffentlichen Dienst!


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Dann fühlen wir uns gemeinsam auf einem vertretbaren
Weg.

Es bleiben dennoch Restprobleme. Ich höre und sehe
zum Beispiel noch die Grünen und all das, was Sie an Vor-
stellungen zum Datenschutz im Kopf hatten.


(Werner Schulz [Leipzig] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hallo! Sie sehen uns immer noch!)


Was wart ihr für Überzeugungstäter! Jetzt machen Sie
Prangerlisten ohne rechtskräftige Verurteilung, Pranger-
listen auf Verdacht hin,


(Dirk Niebel [FDP]: Skandal!)

die veröffentlicht werden und zu existenziellen Konse-
quenzen führen können.


(Peter Dreßen [SPD]: Bleiben Sie bei der Wahrheit!)


– Den Laden bei Holzmann hätten wir, wenn diese Fragen
damals schon geregelt gewesen wären, schon viel früher
schließen müssen. Ich weiß nicht, was Sie dann den von
Ihnen vertretenen Arbeitnehmern, wenn sie entlassen
worden wären, gesagt hätten.

Gehen Sie vorsichtig damit um! Sie operieren an einer
sehr kritischen Angelegenheit. Auch aus rechtsstaatlicher
Sicht liegt darin eine Menge von Problemen, die sorgfäl-
tig bearbeitet werden müssen


(Dr. Norbert Wieczorek [SPD]: Sie wollen Betrüger schützen! Das ist richtig! Das wollen Sie!)


und die es nicht verdient haben, in einer solchen Kürze, in
einer solchen Hektik einfach an ein Gesetz angebunden zu
werden. So etwas muss auch unter rechtsstaatlichen
Aspekten gründlich diskutiert werden. Wir reden über
Existenzen, über das Ansehen von Personen im öffentli-
chen wie im privaten Bereich. Darüber kann man nicht
einfach mit dem Rasenmäher hinweggehen. Seien Sie
vorsichtig! Ich glaube, wir würden damit neue Probleme
mit großer rechtsstaatlicher Brisanz schaffen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1423400400
Ich erteile dem Kolle-
gen Werner Schulz von Bündnis 90/Die Grünen das Wort.

Werner Schulz (Leipzig) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Kol-
lege Schauerte, das mit dem Todeskuss müssen Sie mir
noch einmal erklären.


(Rainer Brüderle [FDP]: Das ist gar nicht so einfach!)


Das setzt ja giftigen Speichelfluss voraus. Ich weiß nicht,
wie Sie das hinbekommen wollen.

Sie haben sich sehr umfassend mit der Analyse bzw.
der Beschreibung der Situation beschäftigt.


(Abg. Hartmut Schauerte [CDU/CSU] meldet sich zu einer Zwischenfrage)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1423400500
Kollege Schulz,
wahrscheinlich will Kollege Schauerte Ihnen das sofort
erklären. Er hat sich zu einer Zwischenfrage zu Wort ge-
meldet.

Werner Schulz (Leipzig) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN): Ja, er will mir den Todeskuss vorführen. Aber bitte
vom Platz aus!


(Heiterkeit – Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Hartmut Schauerte (CDU):
Rede ID: ID1423400600
Herr Kollege
Wiesehügel – –


(Heiterkeit)

– Herr Kollege Schulz, ich war gerade hin- und hergeris-
sen, wen ich lieber küssen sollte. Auch ich lege großen
Wert auf ausreichende Distanz, wenn ich das Zitat vorlese.

Können Sie mir zustimmen, dass das Zitat aus der heu-
tigen Ausgabe der „FAZ“, das ich jetzt vortragen werde,
wirklich von großem Interesse ist:

Eine Extrawurst für sie würde dem ganzen Vorhaben
aber vermutlich den Todeskuss aufdrücken. Denn
Deutschland kann nicht den Unternehmen in Thürin-
gen oder Mecklenburg gewähren, was es den Unter-
nehmen aus Irland oder Portugal verwehrt.

Das schreibt Herr Jürgen Basedow, Mitglied der Mono-
polkommission Ihrer Bundesregierung.

Werner Schulz (Leipzig) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN): Das Verwenden von Bildern ist immer Glückssa-
che. Eine Extrawurst, die zum Todeskuss führt – ich kom-
mentiere das nicht weiter. Da haben Sie nicht gerade das
glücklichste Zitat gefunden.

Sie haben sehr viel über die Situation gesagt, Kollege
Schauerte, aber sie haben weniger die Ursachen in der
Bauwirtschaft Deutschlands analysiert. Sie haben von Re-
gulierung und Überregulierung gesprochen, aber leider
den Begriff der Überstimulierung vergessen, die zu den
Überkapazitäten in der deutschen Bauindustrie geführt
hat. Sie haben durch Sonderabschreibungen wie die Son-
der-AfAOst und durch Steuervergünstigungen Überkapa-
zitäten in der Bauwirtschaft geschaffen, die wir heute in
einem sehr schmerzhaften Schrumpfungsprozess müh-
sam abbauen.


(Ulrich Heinrich [FDP]: Haben Sie damals dagegen gestimmt?)


– Wir haben das rechtzeitig kritisiert.

(Rainer Brüderle [FDP]: Haben Sie dagegen gestimmt?)

– Ich kann Ihnen anhand der Protokolle früherer Jahre
nachweisen, dass wir mit dieser Art Bauvorhaben auf der




Hartmut Schauerte

23295


(C)



(D)



(A)



(B)


grünen Wiese, auf gut Glück und in den blauen Dunst hi-
nein große Probleme hatten und sie rechtzeitig kritisiert
haben. Davon abgesehen, müssen Sie einfach zur Kennt-
nis nehmen, dass mit der Entwicklung der Europäischen
Union und mit dem fortschreitenden Wettbewerb der Li-
beralisierung eine zunehmende Rolle zukommt. Das ist
durch den europäischen Binnenmarkt und durch die Ein-
führung des Euros verstärkt worden.

Wir setzen auf den Wettbewerb – er hält auch in Be-
reiche der alten Daseinsvorsorge Einzug –, aber es kommt
für unsere Begriffe darauf an, dass dieser Wettbewerb fair
ausgetragen wird, dass er soziale Mindestgarantien über-
nimmt. Es geht hier um die beste Qualität, um die beste
Serviceleistung, um die beste technologische und die bes-
te ökologische Lösung. Das ist im Baugewerbe durchaus
mit großen Problemen verbunden. Wir haben eine beson-
dere Situation in einem sozial und wirtschaftlich zusam-
menwachsenden Land. Wir haben ein Tarifgefälle. Bei der
Einbringung dieses Tariftreuegesetzes haben wir darauf
aufmerksam gemacht, dass es in einer äußerst schwieri-
gen Situation, die sich zwischen den beiden Tarifgebieten
Ost und West abzeichnet, vor allen Dingen um einen fai-
ren Ausgleich gehen muss.

Deswegen haben wir uns – ich will das hier noch ein-
mal deutlich herausarbeiten – im Rahmen des Tariftreue-
gesetzes für eine Stufenlösung ausgesprochen, nach der
Tariflöhne am Ort der Baustelle nicht sofort und in voller
Höhe gezahlt, sondern erst in einem Übergangszeitraum
von zweieinhalb Jahren angepasst werden. Das ermög-
licht vor allen Dingen der ostdeutschen Bauindustrie, sich
auf diesen Prozess einzustellen, die Produktivitätsnach-
teile auszugleichen, sich entsprechend zu modernisieren
und so diesen Wettbewerb aufzunehmen.

Ich habe mir in dieser Hinsicht noch einmal den Ent-
schließungsantrag der PDS angeschaut und will mich
hier einmal damit auseinander setzen, weil die PDS sich
ja immer als die Interessenvertreterin der Ostdeutschen
profiliert und in der Öffentlichkeit auch häufig so wahr-
genommen wird.


(Beifall bei Abgeordneten der PDS)

– Sie würden dies wahrscheinlich kaum mit Ihrem Ap-
plaus unterstützen, wenn Sie Ihren Antrag gelesen hätten.
Herr Kutzmutz, ich kann überhaupt nicht verstehen, wes-
halb Sie Ihren Namen unter diesen Antrag gesetzt haben.
Bei Frau Lötzer habe ich die Vermutung, dass sie die ost-
deutsche Bauindustrie überhaupt nicht kennt und nicht
einschätzen kann.

Sie behaupten in Ihrem Antrag, die zeitliche Staffelung
der Verpflichtung zur Zahlung des ortsüblichen Tarif-
lohnes würde dem Geist des Gesetzes widersprechen. Da-
rüber hinaus gehe sie an den tatsächlichen Problemen der
ostdeutschen Bauwirtschaft vorbei, mit denen die zeit-
liche Staffelung öffentlich begründet werde. Sie scheinen
die tatsächliche Situation der ostdeutschen Bauindustrie
überhaupt nicht zu kennen. Mit der sofortigen Einführung
eines Tariftreuegesetzes, das die ostdeutschen Baube-
triebe verpflichten würde, Tariflohn West zu zahlen,
schließen Sie ostdeutsche Baubetriebe von zwei Dritteln
des gesamtdeutschen Marktes aus.

Das, was Sie als Ausgleich vorschlagen, ist wirklich
ein Witz. Sie reden von „geeigneten Fördermaßnahmen“.
Ich war wirklich gespannt, was Sie an geeigneten Förder-
maßnahmen vorschlagen würden. Genannt wird ein öf-
fentlicher Kreditfonds zur Überwindung kurzfristiger Li-
quiditätsprobleme. Sie wollen also einen öffentlichen
Fonds schaffen, damit in den ostdeutschen Betrieben
praktisch über Steuergelder Tariflohn West gezahlt wer-
den kann. Des Weiteren schlagen Sie eine kommunale In-
vestitionspauschale, also eine pauschale Förderung mit
der Gießkanne, für Ostdeutschland vor und setzen damit
dem, was wir dort bereits verbaut haben, zum Teil über-
dimensioniert verbaut haben, weil ein Regulativ, eine
Kontrolle gefehlt hat, noch eins drauf.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1423400700
Herr Kollege Schulz,
gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Kutzmutz?

Werner Schulz (Leipzig) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN): Ja.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1423400800
Bitte schön.


Rolf Kutzmutz (PDS):
Rede ID: ID1423400900
Herr Kollege Schulz, ich will
mich jetzt nicht zur kommunalen Investitionspauschale
äußern. Sie wissen, dass das ein Vorschlag nicht nur der
PDS, sondern auch von vielen anderen ist, die in den kom-
munalen Bereichen arbeiten. Nach diesem Vorschlag soll
das Geld in den Bereich der kommunalen Verantwortung
gelegt werden, in dem die größte Sachkompetenz vorhan-
den ist. Sie wissen auch, dass die Kommunen über viele
Gesetze, die von der rot-grünen Regierung mit beschlos-
sen worden sind, durchaus in finanzielle Not geraten sind.

Ich möchte Sie gern etwas fragen, weil Sie gesagt haben,
dass unser Vorschlag den Interessen der ostdeutschen Bau-
betriebe zuwiderlaufe. Kennen Sie in etwa die Anzahl der
Aufträge, die ostdeutsche Baubetriebe im Westen der Bun-
desrepublik erhalten, obwohl ihr Lohnniveau deutlich unter
dem der westdeutschen Betriebe liegt? Wenn es also so ist,
dass Lohndumping ein Vorteil ist, müssten die ostdeutschen
Baubetriebe den ganzen Westen sozusagen schon erobert
haben. Ich frage also: Kennen Sie den Anteil der ostdeut-
schen Betriebe an öffentlichen Aufträgen im Westen und
wissen Sie, dass umgekehrt westdeutsche Betriebe zum Bei-
spiel in Thüringen trotz höherer Löhne das Gros an Aufträ-
gen bekommen? Kennen Sie diese Zusammenhänge?

Werner Schulz (Leipzig) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN): Herr Kutzmutz, das ist mir wohl vertraut. Der Gut-
achter, den Sie bei der Anhörung bestellt haben, hat inso-
weit mit falschen Zahlen aufgewartet.


(Wiederspruch bei der PDS)

Wenn Sie sich zum Beispiel die Stellungnahme des
Zweckverbundes Ostdeutscher Bauverbände anschauen,
dann werden Sie feststellen, dass die Zahl sehr groß ist,
weil sich viele Bauhandwerksbetriebe im Osten zurzeit
vor allem mit Aufträgen aus den alten Bundesländern über
Wasser halten. Von Baukonjunktur im Osten kann man ja
gar nicht mehr reden; sie ist zusammengebrochen. Die




Werner Schulz (Leipzig)

23296


(C)



(D)



(A)



(B)


Zahl der öffentlichen Aufträge ist sehr stark zurückge-
gangen. In der ostdeutschen Bauindustrie ist die Zahl der
Insolvenzen sehr hoch. Das Einzige, was diesen Betrieben
häufig bleibt, sind Aufträge vonseiten der alten Bundes-
länder. Wenn wir das einführten, was Ihnen hier vor-
schwebt, dann würden diese Betriebe solche Aufträge mit
einem Schlag nicht mehr bekommen können. Das
ist die Situation der ostdeutschen Baubetriebe. Denen tun
Sie damit überhaupt keinen Gefallen, sondern Sie handeln
damit gegen die Interessen der ostdeutschen Baubetriebe.
Ihre Position würde dort eher Arbeitsplätze kosten.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1423401000
Der Kollege
Kutzmutz möchte eine Nachfrage stellen. Bitte schön.


Rolf Kutzmutz (PDS):
Rede ID: ID1423401100
Nur eine kurze Nachfrage,
Herr Kollege Schulz. Sie berufen sich hier auf einen Ver-
band. Ist Ihnen bekannt, dass diesem Verband unmittelbar
nach seiner Gründung mitgeteilt worden ist, dass er gar
nicht existiert? Durch ein entsprechendes Verwaltungsge-
richtsverfahren ist dieser Fachverband ostdeutscher Bau-
betriebe unmittelbar nach seiner Gründung wieder aufge-
löst worden.


(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Das ist doch tricky! Fürchterlich! – Weitere Zurufe von der CDU/CSU)


Es geht um die Fachgemeinschaft Bau; ich kenne die Hin-
tergründe.

Werner Schulz (Leipzig) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN): Herr Kollege Kutzmutz, der Verband ist lediglich
umbenannt worden. Er heißt jetzt nicht mehr „Fachver-
band“, sondern „Zweckverbund Ostdeutscher Bauver-
bände“. Ich will nicht sagen, dass dieser Verbund nun für
alle reden kann, aber ich weiß – er war auch in der An-
hörung vertreten –, dass er für die Einschätzung der Lage
im Osten repräsentativ ist. Wir brauchen uns darüber nicht
zu streiten. Sie haben ja durch Kopfnicken bestätigt, dass
die Lage der ostdeutschen Bauindustrie insofern schlecht
ist, als sie nicht genügend örtliche Aufträge hat und sich im
grenznahen Bereich, vor allem durch Aufträge in den west-
lichen Bundesländern, über Wasser hält. Das ist einfach so.


(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Entschuldigen Sie sich für die Frage, Herr Kutzmutz! Die war unter Niveau! – Gegenruf des Abg. Rolf Kutzmutz [PDS]: Dass Sie von Niveau sprechen!)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir tragen mit dem
Tariftreuegesetz zu einem fairen Wettbewerb bei. Wir
wollen vor allem, dass Billiganbieter mit Dumpinglöhnen
nicht weiter Verzerrungen in der Bauwirtschaft her-
beiführen. Wir haben hier einen tragfähigen Kompromiss
gefunden, der die Interessen des Mittelstandes und der Ar-
beitnehmer gleichermaßen berücksichtigt, also einen
Kompromiss, der sich sehen lassen kann.

Herr Kollege Schauerte, dieses Gesetz ist ein Versuch,
die Situation im Baugewerbe zu verbessern.


(Albrecht Feibel [CDU/CSU]: Das ist ein untauglicher Versuch!)


Ich bin durchaus offen dafür, dass wir uns die Wirkung
dieses Gesetzes nach zweieinhalb Jahren, dem Ablauf der
Stufenlösung – das müssen wir abwarten –, anschauen.
Aber es gilt wie bei jedem Gesetz, dass man erst hinterher
einschätzen kann, ob das Ziel erreicht ist, ob das Gesetz
effizient genug ist. Ihre Vorabkritik in dieser Pauschalität
und Rigorosität lehne ich jedenfalls ab. Ich glaube, uns ist
hier ein Beitrag gelungen, der krisengeschüttelten Bau-
wirtschaft aus dem Tief herauszuhelfen.

Ich danke Ihnen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1423401200
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Rainer Brüderle, FDP-Fraktion.


Rainer Brüderle (FDP):
Rede ID: ID1423401300
Herr Präsident! Meine Damen
und Herren! Die Konjunktur dümpelt vor sich hin.
Deutschland ist und bleibt Schlusslicht; wir haben gestern
darüber diskutiert. Die Sachverständigen des Frühjahrgut-
achtens empfehlen kommunale Infrastrukturprojekte. Aber
was macht die Bundesregierung? Sie dringt auf ein Tarif-
treuegesetz, das die Bauinvestitionen deutlich verteuert.
Selbst in der Begründung des Gesetzentwurfes ist unter
„Finanzielle Auswirkungen“ von 5 Prozent Erhöhung die
Rede. Bei 40 Milliarden Euro sind das schon 2 Milliarden
Euro mehr. Es wird also deutlich weniger Projekte geben.

Das ist ein Paradebeispiel für grün-rote wirtschaftspo-
litische Geisterfahrerei.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Das wird nicht nur konjunkturpolitisch voll danebenlie-
gen, sondern ist vor allem ordnungspolitisch verfehlt.
Aber Ordnungspolitik ist für diese Regierung ein Fremd-
wort. Mit punktuellen Eingriffen in den Markt versucht
sie, der Strukturkrise der deutschen Bauwirtschaft Herr zu
werden. Versuchen Sie es doch einmal mit Strukturrefor-
men! Dass sich Schwarzarbeit und Lohndumping aus-
breiten, liegt an der unerträglichen Steuer- und Abgaben-
last. Gegen sie hilft aber kein Tarifzwang.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Insofern ist Ihr Tariftreuegesetz so sinnvoll, wie neue Dach-
ziegeln auf einen längst morschen Dachstuhl zu setzen.

Dieses Gesetz behindert den Wettbewerb, treibt die
Preise in die Höhe, und ist juristisch fragwürdig. Es exis-
tieren verfassungsrechtliche Bedenken, denn der Tarif-
zwang bedroht die negative Koalitionsfreiheit der tarif-
ungebundenen Firmen. Zudem ist es europarechtlich auf
tönerne Füße gestellt, weil es der Binnenmarktidee wi-
derspricht, gegen die Dienstleistungsfreiheit verstößt und
das Beihilfeverbot verletzt.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das grün-rote Motto lautet –


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1423401400
Kollege Brüderle, ge-
statten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dreßen?




Werner Schulz (Leipzig)


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(C)



(D)



(A)



(B)



Rainer Brüderle (FDP):
Rede ID: ID1423401500
– ich gestatte sie, wenn ich
den Satz beendet habe –: Tariftreue statt Rechtstreue.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Lachen bei der SPD)


– Sie sollten nicht lachen, sondern sich schämen. Das
wäre viel besser.

Bitte sehr, Herr Kollege.


Peter Dreßen (SPD):
Rede ID: ID1423401600
Herr Kollege Brüderle, Sie ha-
ben gerade die verfassungsrechtlichen Bedenken ange-
sprochen und in diesem Zusammenhang auf tarifunge-
bundene Firmen verwiesen. Wie stehen Sie denn zu der
Tatsache, dass es seit Jahrzehnten viele allgemeinver-
bindliche Tarifverträge gibt und niemand bisher deren
Rechtmäßigkeit angezweifelt hat? Meinen Sie nicht, dass
Sie hier im Irrtum sind?


Rainer Brüderle (FDP):
Rede ID: ID1423401700
Ich bin nicht im Irrtum. In-
dem Sie diese Vorgabe für die Vergabe öffentlich-rechtli-
cher Aufträge machen, behindern und bedrohen Sie das
Recht der negativen Koalitionsfreiheit. Die Lösung wäre
ohnehin, diese Kartelle durch Öffnungsklauseln und an-
dere Maßnahmen zu öffnen. Mit dem Zementieren kön-
nen Sie die Kellerdecke fester machen, aber nicht mehr
Arbeitsplätze schaffen.


(Zuruf des Abg. Peter Dreßen [SPD])

– Es ist Ihr gutes Recht, Ihre Frage zu stellen, wie Sie wol-
len, und es ist mein Recht, Ihre Frage zu beantworten, wie
ich es für richtig halte.


(Beifall bei der FDP)

Diese Freiheit haben wir noch im Parlament. Sie zwingen
zwar die Leute in ein Tarifkorsett, aber Sie können nicht
die freie Rede so beeinflussen, dass wir unsere Meinung
nicht mehr äußern dürfen. So weit gehen Ihre Zwangs-
maßnahmen noch nicht.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das war doch gar nicht die Frage, Herr Brüderle! – Klaus Wiesehügel [SPD]: Aber der Hinweis, dass Sie der Frage ausweichen, ist doch gestattet!)


– Herr Wiesehügel, als was sprechen Sie jetzt: als Parla-
mentarier oder als Gewerkschaftsboss?


(Klaus Wiesehügel [SPD]: Als Parlamentarier!)


Welche Rolle haben Sie überhaupt in diesem Parlament?
Was sind Sie hier: Vertreter der Gewerkschaft oder Abge-
ordneter?


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Klaus Wiesehügel [SPD]: Hören Sie doch mit der billigen Polemik auf! – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Sie sind der Brunnenvergifter!)


Das ist eine Vermengung von Funktionen und Interessen.
Herzliche Grüße vom Ruhrgebiet! Es ist doch nicht in
Ordnung, was Sie hier machen!

Das Gesetz diskriminiert ostdeutsche Baufirmen, da
ihnen der Lohnkostenvorteil genommen wird. Erklären
Sie das, Herr Wiesehügel, den 35 Prozent ostdeutschen
Bauarbeitern, die arbeitslos oder von Arbeitslosigkeit be-
droht sind. Jeder dritte Bauarbeiter im Osten Deutsch-
lands ist akut bedroht, seinen Arbeitsplatz zu verlieren.

Hinzu kommt die haarsträubende Bürokratie dieses
Gesetzes. Die Bagatellgrenze wird von ursprünglich
50000 auf 100000 Euro vorverlegt; 2005 soll sie wieder
weiter gezogen werden. Dann würfelt die Regierung, ob
zunächst nur 90 Prozent oder 92,5 Prozent der Tariflöhne
gezahlt werden. Das Ergebnis des Würfelns lautet
92,5 Prozent. „Respekt“, werden Ihnen da sicherlich die
ostdeutschen Bauarbeiter zurufen und in Jubel ausbrechen.
Herr Wiesehügel, Ihre Wiederwahl ist dann gesichert.

Immerhin scheint Grün-Rot langsam bewusst zu wer-
den, wie beschäftigungsfeindlich und ökonomisch unsin-
nig Tarifzwang ist; denn Sie wollen jetzt mit Pseudonach-
besserungen die Auswirkungen nach dem Motto „ein
bisschen schwanger“ mildern. Was auf jeden Fall geboren
wird, ist ein neuer Verwaltungs- und Kontrollaufwand.
Auch das wird in der Vorlage ausdrücklich erwähnt.


(Beifall bei der FDP)

Vielleicht ist die Denkweise von Grün-Rot: Das sichert
wenigstens die Arbeitsplätze in den Ämtern und Behörden.

Diese Tariftreue entspringt der Ideologietreue und der
Marktferne dieser grün-roten Regierung.


(Beifall bei der FDP – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Unerträglich! – Lachen des Abg. Peter Dreßen [SPD])


Grün-Rot verliert mit einem solchen Minigesetz, das
wegen des Namens „Tariftreue“ in die Galerie der Gut-
menschen gestellt werden sollte. Es ist nämlich volks-
wirtschaftlich kontraproduktiv. Die Regierung sollte statt-
dessen ihre wenige Energie darauf verwenden,
Strukturreformen wenigstens anzuschieben, beispiels-
weise beim Günstigkeitsprinzip zur Erhaltung des Ar-
beitsplatzes und bei Öffnungsklauseln. Aber anstatt das
Tarifkorsett endlich aufzuschnüren, versuchen Sie, noch
mehr Arbeitnehmer und Firmen in dieses Korsett hinein-
zuzwängen. Das ist plumpe Schützenhilfe für die Flächen-
tarifdogmatiker.

Die Bundesregierung sollte diesen Freundschafts-
dienst für die IG BAU wirklich noch einmal überdenken.


(Beifall bei der FDP)

Wie es um die gewerkschaftliche Dankbarkeit steht, zeigt
in diesen Tagen die IG Metall mit ihrer maßlosen Forde-
rung; das zeugt von Verantwortungslosigkeit. Aber auch
die IG BAU hält weiterhin an ihrer Lohnforderung von
4,5 Prozent fest und droht auf ihrer Internetseite martia-
lisch: Die Lunte brennt!


(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Das ist Verherrlichung von Gewalt!)


Die Lunte brennt in der Tat; denn 4,5 Prozent mehr Lohn
wären ein Verlust. In einer Verlust machenden Branche be-
deutet dies Vernichtung von Arbeitsplätzen. Das können
Sie auch mit einem Tariftreuegesetz nicht ausgleichen.






(C)



(D)



(A)



(B)


Ich kenne kaum einen Gesetzentwurf, in dem so rela-
tiv ausführlich auf die finanziellen Auswirkungen ein-
gegangen wird. Da kommt wahrscheinlich der Unwille
und der Frust der Beamten gegenüber einem so unsinni-
gen und kostentreibenden Gesetz zum Vorschein. Ich
nenne einige Stichworte: 5 Prozent Verteuerung der Bau-
aufträge, Vollzugskosten beim Arbeitsministerium, bei
der öffentlichen Hand Mehrkosten von 1 Prozent des Auf-
tragswertes, Kontrollkosten bei der Zollverwaltung, Kos-
ten bei der Bundesanstalt für Arbeit: 50 Millionen Euro,
Kosten des Registers für unzuverlässige Firmen beim
Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle:
75 000 Euro, höhere Personalkosten beim öffentlichen
Personennahverkehr und damit verschenktes Fahrpreis-
senkungspotenzial, um mehr Anreize für die Benutzung
des ÖPNV zu setzen. Das hat schon etwas Fatalistisches.

Ich habe es bereits angesprochen: Bei einer Summe
von 40 Milliarden Euro für öffentliche Bauten bedeutet
das Gesetz 2 000 Millionen Euro mehr Kosten.


(Beifall bei der FDP)

Das heißt: weniger Bauaufträge – einfach so im Vorüber-
gehen. Schon deshalb sollte es nicht treu und brav verab-
schiedet werden, ganz abgesehen von den Verwaltungs-
kosten, den langfristigen Kosten, der Behinderung des
Wettbewerbs und der Leistungsstrukturanpassung.


(Gudrun Kopp [FDP]: Unerträglich!)

Ich frage mich und ich frage vor allen Dingen Sie von

Grün-Rot. Heute will Grün-Rot Bauprojekte und den
ÖPNV unter Tarifzwang setzen. Und morgen? Boykot-
tiert dann die öffentliche Hand Produkte aus den neuen
Bundesländern?


(Peter Dreßen [SPD]: So ein Schwachsinn! – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Sie haben doch nicht mehr alle Tassen im Schrank! Das ist unerträglich!)


Sie wissen, zwei Drittel aller Arbeitsverhältnisse in Ost-
deutschland sind außerhalb des geltenden Tarifvertrags-
rechts.


(Beifall bei der FDP)

Keine Gewerkschaft – auch nicht die IG BAU oder die IG
Metall, die hier alle durch ihre hauptamtlichen Gewerk-
schaftsfunktionäre vertreten sind – geht gegen diese Ar-
beitsverhältnisse vor. Sie wissen nämlich genau: Wenn sie
da die Hand anlegen, dann verdoppelt sich die Arbeitslo-
sigkeit in Ostdeutschland.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Lassen Sie diese Ideologie! Unerträglich!)


Heute fangen Sie an beim Bau, morgen vielleicht beim
Maschinenbau und im Bereich der Nahrungsmittel.
70 Prozent aller Arbeitsplätze sind außerhalb des gelten-
den Tarifvertragsrechts. Wollen Sie die auch unter Tarif-
zwang setzen? Dürfen dann keine Würstchen mehr aus
Sachsen-Anhalt verkauft werden, weil die Tarife nicht
eingehalten werden? Wo soll das enden? Das ist ein
Schritt in die Sackgasse.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Kehren Sie endlich um! Sie helfen niemandem mit die-
sem Gesetz. Sie behindern die notwendigen Veränderun-
gen. Sie nehmen denen, die draußen stehen, die Chance,
einen Arbeitsplatz zu bekommen. Den anderen, die noch
drin sind, nehmen Sie die Chance, ihren Arbeitsplatz zu
behalten.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1423401800
Ich erteile das Wort
der Kollegin Ulla Lötzer, PDS-Fraktion.


Ursula Lötzer (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1423401900
Herr Präsident! Kolleginnen
und Kollegen!Wir haben uns vonAnfang an für die Ziele
des Tariftreuegesetzes eingesetzt und Ihnen viele Vor-
schläge gemacht, ein wirksames Gesetz auf den Weg zu
bringen. Dass es dieses Gesetz heute gibt, finden wir bes-
ser als nichts. In seiner vorliegenden Form aber wird es
demProblemvöllig unzureichend gerecht. Es ist eben kein
Ergebnis eines von Ihnen betriebenen Politikwechsels hin
zur sozialen Gerechtigkeit. Jeder Schritt musste – zum
Beispiel gegen Ihren Wirtschaftsminister Müller – müh-
sam durchgesetzt werden. Kollege Schulz, Sie haben sich
bis zuletzt nur als Bremser erwiesen. Die Schlupflöcher
zum Unterlaufen sind sperrangelweit aufgerissen.

Für die mittelständische Wirtschaft war schon die Ba-
gatellgrenze von 50 000 Euro zu hoch. Sie erfasst das
Gros der Auftragsvergaben an kleine und mittlere Unter-
nehmen nicht. Vertreter des Bauhandwerks, der Bauin-
dustrie und der Gewerkschaften forderten eine Absen-
kung. Sie aber legen eine befristete Verdoppelung der
Bagatellgrenze vor.

Öffentliche Unternehmen, die in einer privaten Rechts-
form betrieben werden, werden mehrheitlich nicht einbe-
zogen werden. Das fordert ein Unterlaufen der Tariftreue
durch Ausgründung geradezu heraus. Der Schutz kleiner
und mittlerer Unternehmen vor ruinösem Wettbewerb
bleibt auf der Strecke. Der Gipfel aber ist die Staffel bei
der Tariftreue. Die Unterschreitung der in den Tarifverträ-
gen festgelegten Löhne wird gesetzlich sanktioniert statt
die Tariftreue zu schützen. Bei Laufzeiten der Vergabe bis
zu acht Jahren – zum Beispiel im Busbereich – wirkt die-
ses Lohndumping auf Raten lange über den Stichtag hi-
naus. Herr Schulz, es ist ein zynisches Spiel mit den Ängs-
ten der Menschen, dies mit Krokodilstränen über die
Probleme der ostdeutschen Bauwirtschaft zu begründen.


(Beifall bei der PDS – Werner Schulz [Leipzig] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben keine Ahnung!)


Spätestens seit der Anhörung wissen Sie, dass der Anteil
ostdeutscher Betriebe an westdeutschen öffentlichen Auf-
trägen etwa 10 Prozent beträgt. Umgekehrt wird ein Schuh
daraus: Beispielsweise gehen 23 Prozent der öffentlichen
Aufträge in Thüringen an westdeutsche Betriebe.

Das Problem sind nicht nur die Überkapazitäten. Das
Deutsche Institut für Urbanistik hat festgestellt, dass die
Kommunen in Ost und West in den kommenden zehn Jah-
ren einen Investitionsbedarf für die kommunale Infra-
struktur von 640 Milliarden haben. Die Kommunen




Rainer Brüderle

23299


(C)



(D)



(A)



(B)


können die notwendigen Infrastrukturmaßnahmen nicht
bezahlen, und zwar nicht wegen zu hoher Tarife, sondern
wegen Ihrer Steuerpolitik, durch die die kommunalen
Kassen ausgeplündert wurden.


(Beifall bei der PDS)

Wir fordern eine kommunale Investitionspauschale.

Sie ermöglicht die Finanzierung der notwendigen Infra-
strukturprogramme und stärkt regionale Kreisläufe, sie
hilft den ostdeutschen Baubetrieben. Ihre Lösung tut dies
nicht. Sie schaffen ihnen eine Zukunft als Subunterneh-
men mit Niedriglöhnen.


(Beifall bei der PDS)

Wir schlagen deshalb konkrete Hilfen vor, die es ermög-
lichen, Tariflöhne zu zahlen und zukunftsfähig zu sein.
Sie als Grüne haben sich in der Wirtschaftspolitik in die
Grundfarben blau und gelb zersetzt.

Kollege Wiesehügel, in Duisburg streiken gerade die
Busfahrer der GUD. Sie verdienen genau 92,5 Prozent
des Lohnes, der im Flächentarifvertrag – es ist ein aus-
gehandelter Spartentarifvertrag – festgelegt ist. Mit Ihrer
Staffelregelung fallen Sie diesen Kollegen mächtig
in den Rücken. Unsere Solidarität werden sie weiterhin
haben.

Kollege Schauerte, insbesondere die Beschäftigten in
NRW haben mit ihren Aktionen das Tariftreuegesetz erst
möglich gemacht. Sie und Herr Kollege Brüderle machen
ihnen Ihre Alternativen allerdings deutlich. Sie verwei-
gern den Betrieben den Schutz vor ruinösem Wettbewerb,
Sie bieten den Menschen und ihren Familien Armut trotz
Arbeit. Auch das ist nicht auf den Bau und den Öffentli-
chen Personennahverkehr beschränkt.


(Rainer Brüderle [FDP]: Wissen Sie, was Wettbewerb ist?)


Kollege Brüderle, Ihre Angriffe auf die Flächentarifver-
träge hier und in Ihren Wahlprogrammentwürfen werden
alle in diese Abwärtsspirale hineinziehen.


(Rainer Brüderle [FDP]: Quatsch mit Soße!)

Sie reden gerne von der roten Laterne und der Stärkung
der Binnennachfrage, um die Arbeitslosigkeit zu bekämp-
fen. Tariftreue und Schutz vor ruinösem Wettbewerb stär-
ken die Binnennachfrage und sind nicht nur sozial ge-
recht, sondern auch wirtschaftspolitisch notwendig.


(Beifall bei der PDS sowie des Abg. Dieter Maaß [Herne] [SPD])


Mit Ihren Alternativen beerdigen Sie die Binnennach-
frage völlig. Sie fördern die Arbeitslosigkeit, statt sie zu
bekämpfen.


(Rainer Brüderle [FDP]: Haben Sie in der DDR studiert oder was?)


Kolleginnen und Kollegen, die öffentliche Auftrags-
vergabe ist zurzeit vor allem als Selbstbedienungsladen
für Politikerinnen und Politiker sowie Parteien im Ge-
spräch. Ihr vorgeschlagenes Korruptionsregister ohne
Sanktionen reicht nicht aus. Dringend notwendig sind
Maßnahmen für mehr Transparenz und Informations-
rechte der Bürgerinnen und Bürger bei der Auftragsver-

gabe sowie die Einbeziehung der Unternehmen in die
Bekämpfung der Korruption. Mit der Beschränkung auf
die Eintragung in ein Korruptionsregister stellen Sie das
Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die Politik nicht
wieder her.

Kollege Wiesehügel, gerade weil wir das Problem
ernst nehmen, hätten wir heute sehr gern einem wirksa-
men Gesetz gegen Lohndumping und Korruption zuge-
stimmt. Die gravierenden Mängel zwingen uns leider zur
Enthaltung.

Vielen Dank.

(Beifall bei der PDS)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1423402000
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Rainer Wend, SPD-Fraktion.


Dr. Rainer Wend (SPD):
Rede ID: ID1423402100
Herr Präsident! Meine sehr
geehrten Damen und Herren! Herr Brüderle, die Anzahl
Ihrer Schlagwörter und die Billigkeit Ihrer Polemik sind
langsam schmerzensgeldpflichtig.


(Rainer Brüderle [FDP]: Sie müssen ja Ihre Gewerkschaftsleute verteidigen!)


Freundlich möchte ich Ihnen sagen: Manchmal sieht man
sich im Leben zweimal. Wenn Sie glauben, auf der
Schiene „Gewerkschaftsfunktionäre in der SPD“ Punkte
sammeln zu können, dann sage ich Ihnen etwas weniger
freundlich: Wir Sozialdemokraten sind froh darüber, dass
in unseren Reihen von Arbeitnehmern gewählte Gewerk-
schaftsrepräsentanten vertreten sind und uns bei einer
guten Politik beraten. Wenn Sie ein paar mehr davon hät-
ten, würden Sie vernünftigere Arbeit in diesem Bundestag
leisten.


(Beifall bei der SPD)

Herr Schauerte, ich muss Ihnen einräumen: Bei Ihren

Ausführungen bin ich ein bisschen durcheinander ge-
kommen.


(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Das war beabsichtigt!)


Sie haben gesagt, dieses Vergabegesetz sei unmöglich,
das sei Überregulierung. Ich frage Sie: Wer hat eigentlich
als Erster in Deutschland ein solches Vergaberecht gefor-
dert? Es waren zwei Ministerpräsidenten: der von Nord-
rhein-Westfalen, Wolfgang Clement – ein kluger Mann –,


(Albrecht Feibel [CDU/CSU]: SPD!)

und der von Bayern, der für seine Unternehmen in Bayern
genau das gefordert hat. Sie stellen sich heute hier hin und
sagen: Das ist Überregulierung. Klären Sie das einmal mit
Ihrem Kanzlerkandidaten! Dann wissen wir wenigstens,
in welche Richtung die CDU gehen will.


(Beifall bei der SPD)

Ob in der Steuerpolitik – wo bei Ihnen die einen „Steu-

erreform vorziehen!“ und die anderen „Unbezahlbar!“ sa-
gen –, ob in der Finanzpolitik – wo die einen „Sparen!
Sparen!“ und die anderen „Mehrausgaben für die Vertei-
digung! Mehrausgaben für Familiengeld! Mehrausgaben




Ursula Lötzer
23300


(C)



(D)



(A)



(B)


für die Bildung!“ sagen –, ob im Vergaberecht – wo die ei-
nen „Wir müssen unsere Betriebe schützen; wir müssen die
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer schützen“ und die
anderen „Überregulierung!“ sagen –: Bei Ihnen gibt es bei
den wichtigsten Themen inhaltliche Konfusion. Deswegen
ist Ihre Partei nicht regierungsfähig, Herr Schauerte.


(Beifall bei der SPD)

Ich will noch einmal zur Beschreibung des Problems

im Baubereich und im öffentlichen Personennahverkehr
kommen. Wir haben festzustellen: Es findet Wettbewerb
statt. Wettbewerb ist gut, Wettbewerb ist zu unterstützen.
Aber wie läuft denn dieser Wettbewerb? Ob im Baube-
reich oder im ÖPNV: Ausländische Firmen, die sich hier
niederlassen, und Firmen, die aus den Arbeitgeberverbän-
den ausgetreten sind, drehen an der Lohnspirale – nach
unten. Der Wettbewerb findet nicht über Produktivität und
Qualität von Leistungen, sondern bald nur noch über
Lohndumping statt. Das ist nicht in Ordnung. Meine Da-
men und Herren, dem machen wir mit diesem Gesetz ein
Ende.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich will die Situation am Beispiel des öffentlichen Per-
sonennahverkehrs plastisch machen. Wie läuft es denn bei
der Vergabe von Buslinien? Es drängen zunehmend Un-
ternehmen mit Billigangeboten in den Markt, bei denen
die Arbeitnehmer Hungerlöhne bekommen und schlecht
ausgebildet sind – weil nur sie bereit sind, zu diesen Kon-
ditionen zu arbeiten –, von denen Fahrzeuge im Busver-
kehr angeboten werden, deren Sicherheitsstandards eine
Katastrophe sind.


(Albrecht Feibel [CDU/CSU]: Ich wäre sehr vorsichtig, solche Behauptungen aufzustellen!)


Das Ergebnis ist nicht nur, dass Arbeitnehmer schlecht
bezahlt werden, sondern auch, dass die Sicherheit im öf-
fentlichen Personennahverkehr leidet und Schülerver-
kehre im Hinblick auf die Sicherheit problematischer
werden.


(Albrecht Feibel [CDU/CSU]: Das ist wirklich skandalös!)


Deswegen sage ich: Wettbewerb ja, aber nicht über Lohn-
dumping, sondern über Qualität der Leistungen.


(Beifall bei der SPD)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1423402200
Kollege Wend, gestat-
ten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schauerte?


Dr. Rainer Wend (SPD):
Rede ID: ID1423402300
Selbstverständlich.


Hartmut Schauerte (CDU):
Rede ID: ID1423402400
Herr Kollege
Wend, Sie haben gerade erklärt, dass Privatunternehmen
Mitarbeiter im öffentlichen Nahverkehr und im Schüler-
verkehr einsetzten, die schlecht ausgebildet seien und da-
mit qualitativ gegenüber denen aus dem öffentlichen
Dienst abfielen. Das ist eine so gravierende, belastende
und diskriminierende Unterscheidung, dass Sie, wenn das
stimmen sollte, auch Ross und Reiter nennen müssten.

Ich frage also: Gibt es irgendeinen Hinweis, dass mit
privat eingesetzten Fahrern in privaten Busunternehmen
höhere Unfallwahrscheinlichkeiten, höhere Risiken und
mehr Probleme entstanden sind als mit in einem öffent-
lich-rechtlichen Vertragsverhältnis stehenden Fahrern?
Werden Sie sich, wenn Sie das nicht nachweisen können,
bei denen, die im privaten Beförderungsgewerbe beschäf-
tigt sind, entschuldigen?


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Rainer Wend (SPD):
Rede ID: ID1423402500
Es gibt zwei Möglichkeiten,
Herr Schauerte. Ich will Ihnen noch einmal sagen, was ich
bereits gesagt habe und wozu ich auch stehe.


(Albrecht Feibel [CDU/CSU]: Das haben wir alle gehört!)


Es soll hier keine Unterscheidung zwischen öffentlichen
und privaten Unternehmen getroffen werden. Private Un-
ternehmen leisten auch in der Beförderung hervorragende
Arbeit.


(Zurufe von der CDU/CSU: Aha!)

Es geht um etwas anderes, Herr Schauerte. Es geht darum,
dass solche privaten Unternehmen, die den Wettbewerb
ausschließlich über Lohndumping machen, nicht weiter
zum Zuge kommen sollen und dass es einen ordentlichen
Wettbewerb zwischen öffentlichen und privaten Unter-
nehmen über Qualität und Produktivität und nicht über die
Lohnspirale nach unten geben soll.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Zum Abschluss möchte ich noch einen Gesichtspunkt
anführen, über den Frau Lötzer und Herr Schauerte ge-
sprochen haben, Korruptionsbekämpfung. Herr
Schauerte, teilt Ihre Fraktion wirklich die Position, die Sie
in dieser Frage hinsichtlich der privaten und der öffentli-
chen Beförderungsunternehmen vertreten haben? Die Si-
tuation ist heute die: Wenn Bestechung stattfindet, werden
der Beamte oder der Politiker zu Recht wegen Bestech-
lichkeit bestraft und kommen ins Gefängnis.


(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Der Private auch!)


Das Gleiche passiert mit dem Bestecher. Das Problem ist
nur, dass eine Reihe von Unternehmen, vor allen Dingen
größere Unternehmen, in ihrem Management Personen
haben, die die Bestechung betreiben und anschließend
auch ins Gefängnis wandern, die Praktiken dieser Unter-
nehmen aber von anderen Personen fortgeführt werden.
Das wollen wir mit unserem Korruptionsregister been-
den und das ist eine vernünftige Sache, Herr Schauerte.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: In Köln gibt es da Parallelen!)


Frau Lötzer, ich glaube, Sie haben die Regelung doch
noch nicht vollständig zur Kenntnis genommen. Sie sag-
ten, wir richteten nur ein Korruptionsregister ein und
sähen keine Bestrafung der Unternehmen vor. Das ist
falsch. Heute ist es bereits so, dass gemäß § 94 Abs. 4 des




Dr. RainerWend

23301


(C)



(D)



(A)



(B)


Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen Aufträge
nur an zuverlässige Unternehmen vergeben werden dür-
fen. Zuverlässig sind solche Unternehmen – wir definie-
ren es –, die nicht durch Korruption auffallen. Das Span-
nende ist: Es gibt in Deutschland etwa 35 000 Stellen im
öffentlichen Bereich, die Aufträge vergeben. Wie stellen
wir sicher, dass diese erfahren, welche Unternehmen nicht
zuverlässig, also korrupt, sind? Dafür gibt es dieses Kor-
ruptionsregister, das wir einrichten. Die öffentliche Hand
soll verpflichtet werden, dort nachzufragen, ob ein Unter-
nehmen wegen Korruption eingetragen ist. Wenn es ein-
getragen ist, ist es unzuverlässig im Sinne des Gesetzes
gegen Wettbewerbsbeschränkungen. Dann bekommt es
keine Aufträge mehr. Das ist die gesetzliche Situation.
Deswegen ist das, was wir hier auf den Weg gebracht ha-
ben, sehr vernünftig.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Herr Schauerte, Sie haben gegen die Bauabzugsteuer
polemisiert und gesagt, auch das sei eine Überregulie-
rung. Ich lese Ihnen vor aus dem Brief von Professor
Walter, dem Präsidenten des Hauptverbandes der Deut-
schen Bauindustrie, an Herrn Bundesminister Bodewig –
bekanntlich nicht unbedingt ein Sozialdemokrat.


(Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Meinen Sie etwa Bodewig?)


Es heißt wie folgt:
Sehr geehrter Herr Minister, zum Ende des 1. Quar-
tals 2002 lässt sich erstmals der Erfolg des zum 1. Ja-
nuar 2002 in Kraft getretenen Steuerabzugverfahrens
seriös beurteilen. In der Praxis zeigt sich sehr deut-
lich, dass inzwischen ein Ausleseprozess bei den für
die Bauindustrie tätigen Nachunternehmen stattge-
funden hat. Mehr als 95 Prozent der beauftragten Un-
ternehmen sind steuerlich gemeldet und haben fast
durchgängig auf drei Jahre befristete Freistellungs-
bescheinigungen durch die Finanzverwaltung erhal-
ten. Diese Zahlen sprechen für sich und lassen darauf
schließen, dass illegale Unternehmen zu ganz we-
sentlichen Teilen vom Markt verschwunden sind.
Das Ergebnis spricht für sich und veranlasst mich,
Ihnen auf diesem Wege sowohl im Namen der
deutschen Bauindustrie als auch ganz persönlich
nochmals dafür zu danken, dass Sie sich für die Ein-
führung des Abzugverfahrens und damit eine Ver-
besserung der Wettbewerbssituation seriöser Bau-
unternehmen eingesetzt haben.

Damit ist unsere Politik richtig beschrieben, Herr
Schauerte. Das ist wunderbar.


(Beifall bei der SPD)

Deswegen zum Abschluss: Wir führen eine Regelung

ein, die den Arbeitnehmern hilft, zu vernünftigen Bedin-
gungen zu arbeiten, die den seriösen Unternehmen hilft,
sich in einem fairen Wettbewerb zu behaupten, und die ei-
nen ersten Schritt in Richtung Korruptionsbekämpfung
macht. Ich sage bewusst: „einen ersten Schritt“, weil wir
ein Gesamtkonzept zur Korruptionsbekämpfung brau-
chen, das wir auf den Weg bringen werden.

Das, was wir heute beschließen werden, ist eine rund-
herum gute Sache.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1423402600
Ich erteile dem Kolle-
gen Werner Kuhn, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.


Werner Kuhn (CDU):
Rede ID: ID1423402700
Herr Präsident! Meine
sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Wer sich in der
Baubranche auskennt, weiß natürlich genau, dass dort
richtig harte Arbeit geleistet werden muss. Da wird im
Akkord gearbeitet, die Baustellen sind oftmals etliche Ki-
lometer von den Firmensitzen entfernt. Da, wo die Ar-
beitnehmer die Woche über in den Baucontainern sowohl
Arbeit als auch Freizeit verbringen, weiß jeder, dass sich
die Behaglichkeit durchaus in Grenzen hält.

Wenn dieses Tariftreuegesetz nun eingebracht wird, so
könnte man sagen: Das sind hehre Ziele; denen muss man
natürlich zustimmen. Aber das Gesetz geht völlig an der
Realität vorbei. Herr Schauerte hat es eindeutig gesagt
und Herr Brüderle auch.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Eindeutig, aber falsch!)


Wir haben kein flächendeckendes Tarifsystem in
Deutschland. Wir haben gerade in den Unternehmen in
Ostdeutschland Haustarife und diese Haustarife sind so
ausgestaltet, dass die Unternehmen nicht Pleite gehen.
Das ist mit den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern,
den Arbeitgebern und den Firmeninhabern genau abge-
stimmt. Da können Sie nicht sagen: Jetzt müssen wir Ta-
riftreue in ganz Deutschland haben. – Mit Blick auf die
PDS muss ich ganz offen sagen: Ich weiß nicht, warum
sich ein ostdeutscher Abgeordneter für ein solch irrsinni-
ges, schwachsinniges Gesetz einsetzen sollte.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Es mag ja durchaus sein, dass es aus Sicht der Ge-

werkschaften und der großen Bauverbände Gründe dafür
gibt, dass man solche Dinge heute abschließend im Deut-
schen Bundestag behandeln muss. Aber geben Sie doch
ehrlich zu: Sie müssen Ihrem Bundeskanzler, der auf dem
großen Gewerkschaftskongress in Bonn der Versuchung
erlegen ist, den Showdown in Sachen Tariftreue zu zele-
brieren, mit einem neuen Gesetz aus der Patsche helfen.
Das ist doch die Wahrheit.


(Beifall bei der CDU/CSU – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Quatsch!)


Ich habe die Rede meines Kollegen Werner Schulz auf-
merksam verfolgt. Er war mental überhaupt nicht gut
drauf und hat er die Argumente, die er hier vorgetragen
hat, wohl selber nicht begriffen. Er sagte: Das sei der rich-
tige Weg. – Ich dagegen sage: Dieses Tariftreuegesetz be-
hindert die ostdeutschen Unternehmenmassiv, wenn sie
am Markt agieren wollen. Was für die Privatwirtschaft
gelten soll, wenn ostdeutsche Unternehmen in den alten
Bundesländern Aufträge gewinnen wollen, das muss auch
für das öffentliche Auftragsvergabewesen gelten.




Hartmut Schauerte
23302


(C)



(D)



(A)



(B)


Als CDU/CSU-Fraktion wenden wir uns vehement ge-
gen diese kleinlichen gesetzlichen Bestimmungen. Sie
behindern Wettbewerb, grenzen ostdeutsche Unterneh-
men aus und bringen die wenigen Firmen, die noch am
Markt sind, an den Rand ihrer Existenz. Sie werden sehen:
Künftig werden noch mehr Leute aus dem Baugewerbe
auf der Straße stehen und die Arbeitslosenzahlen werden
noch höher sein.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Nach der deutschen Wiedervereinigung haben Sie uns

entgegengehalten, wir hätten angesichts der verfallenen
Städte und Gemeinden und der maroden Betriebe einen
Sanierungsbedarf heraufbeschworen, der überhaupt nicht
mit Transfermitteln zu finanzieren gewesen sei. Die an-
dere Seite ist aber: Damit war auch ein Riesenmarkt ver-
bunden.

Die Auftragslage in den alten Bundesländern war An-
fang der 90er-Jahre nicht sonderlich gut, da mussten die
Unternehmen aus dem Westen auch in Richtung Osten ge-
hen und sagen: Da machen wir Dependancen auf, da brin-
gen wir uns voll mit ein. – Sie haben auch ostdeutschen
Unternehmen unter die Arme gegriffen. Das waren nicht
nur Abzocker, sondern darunter sind auch seriöse Unter-
nehmen gewesen, die jetzt ihre Firmensitze in Ost-
deutschland haben.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, dass ich hier
nicht falsch verstanden werde: Auch wir als CDU/CSU-
Fraktion sind gegen Lohndumping und gegen Schwarz-
arbeit.


(Dr. Rainer Wend [SPD]: Dann tut doch auch etwas!)


Wir sind allerdings auch gegen den Slogan, der da heißt:
Hier soll nach BAT bezahlt werden. Das hätte nämlich auf
dem Bau die Konsequenz: Bar auf die Tatze, ohne Steu-
ern, ohne Sozialabgaben. – Das hat aber Ihre Steuerpoli-
tik hervorgerufen.


(Beifall von der CDU/CSU – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Unsinn!)


Sie führen den ÖPNV an und sagen: Auch bei der Ver-
gabe von Leistungen für den öffentlichen Personennah-
verkehr soll das Tariftreuegesetz gelten. Erst haben Sie
die Belastungen durch die Ökosteuer nach oben getrieben
und die Benzinpreise sind massiv gestiegen. Die Leute,
die jeden Tag zur Arbeit fahren müssen, zahlen dafür. De-
nen sagen Sie: Steigen Sie doch auf den öffentlichen Per-
sonennahverkehr um. Damit sind Sie gut bedient.

Mit Ihrem Tariftreuegesetz, Herr Wiesehügel, werden
Sie auch dort die Preise nach oben treiben. Den Menschen
wird immer weniger Geld dafür bleiben, dass sie über-
haupt ihre Existenz bestreiten können. Das ist die Wahr-
heit.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Klaus Wiesehügel [SPD]: Was man sich hier alles anhören muss!)


Sie bringen mit Ihrem Gesetz die Firmen in immer
weitere Schwierigkeiten. Die Unterlagen im öffentli-
chen Auftragsvergabewesen sind nicht mehr 90 Seiten,

sondern 110 Seiten stark, weil wieder ein Formular da-
zugekommen ist. Es muss noch mehr Papier ausgefüllt
werden. Der kleine und mittelständische Unternehmer
fasst sich doch an den Kopf und stellt sich die Frage, ob
er sich da überhaupt noch bewirbt. Dies führt dazu, dass
nur noch die großen Unternehmen eine Chance haben, ei-
nen Auftrag zu erhalten. Für diese gilt der Flächentarif-
vertrag und diese haben eine Chance. Wenn der kleine
Unternehmer dann doch alle Unterlagen ausgefüllt hat
und quasi vor den Toren von Hannover, Köln – Köln ist
vielleicht nicht gerade ein gutes Beispiel dafür, wie das
öffentliche Auftragsvergaberecht gehandhabt werden
sollte –


(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


oder Hamburg angekommen ist, sagen Sie dem: Toll, Sie
können die Leistung bringen und haben alle Referenzen,
die wir brauchen. Die Finanzierung durch die Banken ist
gesichert, aber wir haben hier noch eine Kleinigkeit und
die heißt Tariftreue.


(Klaus Wiesehügel [SPD]: Wissen Sie eigentlich, dass Köln einen CDU-Oberbürgermeister hat?)


Diese Tariftreue soll irgendwann durch ein eigenarti-
ges Stufengesetz geregelt werden. Ich halte dies für
schwachsinnig, weil dies überhaupt keiner kontrollieren
kann.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Schwachsinnig sind Ihre Argumente!)


An dieser Stelle sagen Sie dem kleinen Unternehmer dann
einfach: Sie sind vom Wettbewerb ausgeschlossen und
haben keine Chance, einen öffentlichen Auftrag in Han-
nover, Hamburg oder anderswo in den alten Bundeslän-
dern zu bekommen.

Ich stehe hier für die Unternehmen aus Ostdeutsch-
land, die sich in dieser schwierigen Situation befinden.
Ich habe es Ihnen schon einmal gesagt: Wenn Sie weiter-
hin so agieren, werden Sie diese Unternehmen noch platt
machen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Dr. Rainer Wend [SPD]: Da werden die sich aber freuen, dass sie durch Sie vertreten werden! Die werden ihr Glück nicht fassen können!)


Wir haben seinerzeit – nach der deutschen Einheit –
noch für eine vernünftige Finanzierung in den Städten und
Gemeinden gesorgt. Damals gab es die kommunale Inves-
titionspauschale. Damals haben wir Infrastrukturpro-
gramme aufgelegt, mit denen man vernünftig agieren und
arbeiten konnte. Trinkwasser- und Abwasseranlagen,
Straßen- und Wohnungsbau wurden richtig gefördert.

Bei Ihnen geht jetzt alles in eine Richtung, mit der Sie
überhaupt nicht mehr klar kommen. Sie haben die Leis-
tungen für diese Bereiche heruntergeschraubt. Nun sind
die Gemeinden nicht mehr in der Lage, den Eigenanteil
von 20 Prozent als Komplementärmittel aufzubringen.
Die Bürgermeister und Landräte können ihren Unterneh-
mern die Aufträge nicht erteilen, obwohl die Programme




Werner Kuhn

23303


(C)



(D)



(A)



(B)


vorhanden sind. Dies hat die Steuerreform dieser Bundes-
regierung verursacht.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Peter Dreßen [SPD]: Sie wollten die Steuerreform doch immer! Dr. Norbert Wieczorek [SPD]: Sie haben doch den Haushalt ruiniert! Bekennen Sie sich doch mal zu Ihrer Schweinerei)


Wie behandeln Sie denn eigentlich die Pioniere des
Aufbaus in Ostdeutschland? Um Holzmann und die ande-
ren großen Unternehmen wird sich gekümmert, aber die
kleinen Unternehmen gehen reihenweise den Bach runter.
Herr Wiesehügel, ich habe es Ihnen gesagt: In den letzten
drei Jahren sind 50 Prozent aller Firmen in Ostdeutschland
sozusagen in die Insolvenz gegangen. Es sind zwar Auf-
fanggesellschaften gegründet worden, aber die Hälfte aller
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sind im wahrsten
Sinne des Wortes auf die Straße geflogen. Es müssen nun
neue Berufsbilder geschaffen werden und diese Menschen
müssen entsprechend umgeschult werden. Das ist eine
wichtige Aufgabe. Sie aber haben den richtigen Zeitpunkt
verpasst und geißeln nur die angeblich falsche Politik der
Bundesregierung unter Helmut Kohl.

Dazu will ich Ihnen ganz klar sagen: Es war die rich-
tige Politik, auch den Kapitaltransfer von West nach
Ost so zu gestalten,


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Unter dieser richtigen Politik leiden wir heute noch!)


dass die Unternehmen vernünftige Anreize hatten. Wenn
die Unternehmen privates Kapital einsetzen, müssen ih-
nen auch entsprechende steuerliche Vorteile gewährt wer-
den. Mit den 50 Prozent Sonder-Afa haben wir dieses Pro-
blem in den Griff bekommen und so privates Kapital zur
Verfügung gestellt, das wir in Ostdeutschland für den
Wiederaufbau benötigt haben. Deswegen kann man sich
jetzt nicht hier hinstellen und sagen: Das war eine ver-
fehlte Politik.

Ein altes pommersches Bauernsprichwort lautet: Wer
beim Pflügen ewig nach hinten schaut, wird keine gerade
Furche ziehen können. – Sie schauen bei Ihrer Regie-
rungspolitik nur nach hinten. Sie schauen nur zurück und
sagen, die Fehler seien in der Regierungszeit von
CDU/CSU zusammen mit der FDP begangen worden: zu
viele Schulden, zu hohe Arbeitslosenzahlen, zu hohe Son-
der-Afa.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Genau! Jawohl! So war das!)


Dann sind noch die Amerikaner schuld. Bei Ihnen gibt es
nur Schuldige, die nicht in Ihren eigenen Reihen sitzen.
So werden Sie nie eine gerade Furche ziehen können.

Sie fahren beim Aufbau Ost einen Schlingerkurs. Se-
hen Sie endlich zu, dass Sie diesen Schlingerkurs wieder
auf eine gerade Linie bringen. Aber dazu sind Sie nicht in
der Lage. Die Menschen in den neuen Ländern haben das
Vertrauen in diese Bundesregierung verloren. Dies hat die
Wahl in Sachsen-Anhalt gezeigt und Mecklenburg-Vor-
pommern wird folgen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die Wirtschaftsministerkonferenz der neuen Länder
hat Stellung dazu bezogen und gesagt: Wir können uns
mit diesem Tariftreuegesetz überhaupt nicht anfreunden;
denn es bedeutet eine Ausgrenzung unserer Firmen. – Wo
ist aber der vehemente Kampf von Ministerpräsident
Ringstorff in Mecklenburg-Vorpommern gegen dieses
Gesetz? Davon höre ich nichts. Wahrscheinlich sitzt er auf
dem Schoß vom Kanzler und erklärt: Das ist der richtige
Weg. Kurs halten und weiter so! – Dieser Weg führt in die
Sackgasse. Ich habe es Ihnen schon einmal gesagt: Am
22. September bekommen Sie dafür die Quittung.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1423402800
Ich erteile dem Kolle-
gen Wolfgang Weiermann, SPD-Fraktion, das Wort.


Wolfgang Weiermann (SPD):
Rede ID: ID1423402900
Herr Präsident! Meine
Damen! Meine Herren! Was uns bedrückt, ist in der Tat
Ihre Aussage, Herr Brüderle, zu Tarif- und Rechtstreue.
Wir sagen für uns ganz eindeutig – damit wenden wir uns
an Sie –: Tariftreue ist gleichsam Rechtstreue und damit
Verfassungsauftrag.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)


Wer mit der Verfassung so liederlich umgeht, dem muss
man sagen, dass seine Politik nicht die Politik für unser
Volk sein kann. Vernünftiges kommt dabei jedenfalls
nicht heraus.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Der Streit, um den es hier geht, ist im Grunde ein alter

und grundsätzlicher Streit. Es ist der Streit über die Frage
– wir unterscheiden uns in diesem Punkt –: Wie frei darf
ein Wettbewerb sein, ohne dass er einerseits zu einer Ver-
zerrung der Wettbewerbsverhältnisse führt und anderer-
seits zulasten der Lohn- und Arbeitsbedingungen geht?
Darüber lassen wir gerne mit uns streiten. Dabei geht es
um Inhalte, aber nicht um den Abbau vieler Schutzrechte
in der Bundesrepublik Deutschland.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wir Sozialdemokraten sagen: Unlauterer Wettbewerb

darf nicht zulasten der Beschäftigten und der Qualität der
Leistungen gehen, was unausweichlich geschieht, wenn
der Staat keine vernünftigen Rahmenbedingungen
schafft. Es ist unser Auftrag, auch und gerade im Hinblick
auf die soziale Marktwirtschaft, dort Korsettstangen ein-
zuziehen, wo wir sie im Interesse unserer Gesellschaft
und der Wirtschaft für notwendig halten.


(Beifall bei der SPD)

Im Bereich des ÖPNV ist angesichts der bevorstehen-

den Liberalisierung auf EU-Ebene mit einer etwas anders
gelagerten, aber ähnlichen Entwicklung wie in der Bau-
wirtschaft zu rechnen. Das, was die Sachverständigen der
Stadtwerke geschrieben haben, war, dass sich die Preise
für den Nahverkehr nicht verändern, also nicht in die
Höhe getrieben werden. Vielmehr betonen sie in ihrer
Stellungnahme eindeutig, dass eine solche Entwicklung,




Werner Kuhn
23304


(C)



(D)



(A)



(B)


eine Liberalisierung, zu erheblichen Mehrkosten führen
wird, die weit über denen liegen, die mit einer vernünfti-
gen Regelung in Sachen Tariftreue und Vergaberecht ver-
bunden sind. Das war die korrekte und konkrete Aussage
der Stadtwerke. Das hört sich anders an, wenn man sagt,
ein Teil der Mehrkosten könnte auf die Kommune über-
tragen werden. Das ist etwas ganz anderes.

Unlautere Wettbewerber, die sich durch Lohndumping
und Billiglohnarbeitskräfte Wettbewerbsvorteile ver-
schaffen wollen, werden durch unser Gesetz ausgebremst.
Das ist der Sache wegen in der Tat vernünftig und richtig.
Was wäre das für eine Wirtschaftsordnung, was wäre das
für ein Staat, in dem der selbstbewusste Arbeitnehmer das
Gefühl haben muss, nicht mehr als ein Tagelöhner längst
vergangener Zeiten wert zu sein? Das wollen wir nicht.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)


Deswegen ist das Tariftreuegesetz in einer Reihe mit
anderen gesetzlichen Regelungen zur Bekämpfung illega-
ler Beschäftigung wie dem Arbeitnehmerentsendegesetz,
dem Steuerabzugsgesetz, dem Gesetz zur Erleichterung
zur Bekämpfung illegaler Beschäftigung und Schwarzar-
beit zu sehen.

Nun hören Sie doch mit der Schwarzarbeit auf: Es sind
doch nicht die Arbeitnehmer, die in den Unternehmen il-
legale Aufträge vergeben. Es sind doch die Unternehmen
– Gott sei Dank sind es nicht allzu viele; das hoffe ich je-
denfalls –, die illegal Aufträge vergeben. An diese und
nicht an die Sozialdemokraten und die Grünen, die diese
Entwicklung verändern wollen, müssen Sie Ihre Klagen
richten.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ziele des Gesetzes sind also der Abbau von
Wettbewerbsverzerrungen, die durch den Einsatz von
Niedriglohnkräften entstehen, die Sicherung sozialer
Mindeststandards und die Unterstützung derjenigen
Unternehmen, die sich im Wettbewerb gesetzes- und
tariftreu verhalten. Es ist doch eine unserer verfassungs-
gemäßen Aufgaben, Schaden nicht nur von der Wirtschaft,
sondern vom gesamten deutschen Volk abzuwenden.
Dafür ist eine bundeseinheitliche Regelung notwendig, die
Rechtssicherheit bei der Vergabe öffentlicher Aufträge
schafft.

Bedenken der Opposition, diese Regelung sei nicht
verfassungskonform oder verstoße gegen Vorschriften der
EU, wurden schon in der Anhörung zerstreut. Das wurde
sowohl bei den schriftlichen Stellungnahmen als auch bei
der mündlichen Anhörung der Experten recht deutlich.
Die FDP hat in ihrem Antrag, der der Verhinderung des
Tarifzwangs im öffentlichen Vergaberecht dient, deutlich
gemacht, was sie unter Flexibilisierung des Arbeitsmark-
tes versteht. Ich möchte übrigens nicht an der Stelle von
Klaus Wiesehügel sein; denn ihm, den man mit Recht ei-
nen guten Gewerkschaftsführer nennen kann und der Mit-
glied des Bundestages ist – er wurde genauso wie Sie frei
gewählt –, wollen Sie immer das Etikett anheften, alle
Dinge ausschließlich durch die Brille des Gewerkschaf-
ters zu sehen.

Sie wollen die Schutzrechte abräumen, und zwar – das
haben wir ja heute wieder gehört – nicht nur, wenn es um
steuerliche Fragen geht, sondern auch, wenn es um be-
triebsverfassungsrechtliche Inhalte geht. Letzteres stört
Sie so sehr wie das Weihwasser den Teufel. Das, was sich
eigentlich hinter Ihren Äußerungen verbirgt, ist Folgen-
des: Weg mit dem, was wir als Errungenschaften des
21. Jahrhunderts bezeichnen, zurück zu einer Zeit, in der
der Standpunkt des Staates war: Der Herr im Hause re-
giert! – Ich sage dazu: Mit uns nicht!


(Beifall bei der SPD und der PDS)

Das, was Sie heute gefordert haben – ich bin mir sicher,

dass das auch für alles gilt, was Sie noch vorschlagen wer-
den –, ist ein Angriff auf den Flächentarifvertrag und die
Tarifautonomie. Das machen wir nicht mit, schon aus
dem Grunde nicht, weil wir wissen, was die deutsche
Wirtschaft zusammen mit den Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmern sowie mit Unterstützung der gesamten
Gesellschaft beim Wiederaufbau, der nach dem schreckli-
chen Zweiten Weltkrieg begann, zu leisten imstande war,
und zwar in einem Land, in dem die Tarifautonomie funk-
tionierte und das soziale Gefüge in Ordnung war. Dieses
soziale Gefüge lassen wir uns nicht kaputtmachen.


(Beifall bei der SPD)

Das wollen auch nicht die Unternehmer in unserem Land,
jedenfalls nicht die klugen Unternehmer, die begriffen ha-
ben, wie demokratische und wirtschaftliche Abläufe funk-
tionieren.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1423403000
Kollege Weiermann,
Sie müssen zum Ende kommen.


Wolfgang Weiermann (SPD):
Rede ID: ID1423403100
In Ordnung, Herr Prä-
sident.

Herzlichen Dank, dass Sie mir zugehört haben. Ich
sage nicht, dass Sie aus dem, was ich gesagt habe, lernen
sollen. Sie sind frei in Ihrer Entscheidung, ob Sie das tun
wollen. Aber ich rate Ihnen, sich das eine oder andere
durch den Kopf gehen zu lassen.

Der heutige Tag ist gut, wenn wir gleich das Tariftreue-
gesetz verabschieden werden.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1423403200
Ich schließe die Aus-
sprache.

Tagesordnungspunkt 16 a: Wir kommen zur Abstim-
mung über die von den Fraktionen der SPD und des
Bündnisses 90/Die Grünen sowie von der Bundesregie-
rung eingebrachten Entwürfe eines Gesetzes zur tarifli-
chen Entlohnung bei öffentlichen Aufträgen und zur
Einrichtung eines Registers über unzuverlässige Unter-
nehmen auf den Drucksachen 14/7796 und 14/8285. Der
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie empfiehlt in
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 14/8896, die
eben genannten Gesetzentwürfe als Gesetz zur tariflichen




Wolfgang Weiermann

23305


(C)



(D)



(A)



(B)


Entlohnung bei öffentlichen Aufträgen und zur Einrich-
tung eines Registers über unzuverlässige Unternehmen in
der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen,
die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustim-
men wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dage-
gen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist damit in
zweiter Beratung mit den Stimmen von SPD und Bünd-
nis 90/Die Grünen bei Gegenstimmen der CDU/CSU und
der FDP und Enthaltung der PDS angenommen.

Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer
stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf
ist mit den Stimmen der Fraktionen von SPD und Bünd-
nis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktionen von
CDU/CSU und FDPund gegen eine Stimme aus der Frak-
tion von Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der
PDS-Fraktion und einer Enthaltung bei den Grünen ange-
nommen.


(Beifall bei der SPD)

Abstimmung über den Entschließungsantrag der Frak-

tion der PDS auf Drucksache 14/8932: Wer stimmt für
diesen Entschließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? –
Enthaltungen? – Der Entschließungsantrag ist mit den
Stimmen des Hauses gegen die Stimmen der PDS-Frak-
tion abgelehnt.

Tagesordnungspunkt 16 b: Abstimmung über den vom
Bundesrat eingebrachten Entwurf eines Gesetzes für Ta-
riftreueerklärungen auf Drucksache 14/5263. Der Aus-
schuss für Wirtschaft und Technologie empfiehlt in seiner
Beschlussempfehlung auf Drucksache 14/8897, den Ge-
setzentwurf abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Ge-
setzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. –
Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetz-
entwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen von SPD
und Bündnis 90/Die Grünen, FDP und PDS gegen die
Stimmen der CDU/CSU abgelehnt. Damit entfällt nach
unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung.

Tagesordnungspunkt 16 c: Abstimmung über den vom
Bundesrat eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur ta-
riflichen Entlohnung bei öffentlichen Aufträgen auf
Drucksache 14/6752. Der Ausschuss für Wirtschaft und
Technologie empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung
auf Drucksache 14/8898, den Gesetzentwurf abzulehnen.
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen
wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? –
Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Bera-
tung einstimmig abgelehnt. Damit entfällt nach unserer
Geschäftsordnung die weitere Beratung.

Tagesordnungspunkt 16 d: Beschlussempfehlung des
Ausschusses für Wirtschaft und Technologie auf Druck-
sache 14/8899 zu dem Antrag der Fraktionen von SPD
und Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Tariftreue im
Vergaberecht – Bundeseinheitliche Regelung schafft fai-
ren Wettbewerb“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag
auf Drucksache 14/6982 anzunehmen. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? –
Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen die

Stimmen von CDU/CSU und FDP bei Stimmenthaltung
der PDS-Fraktion angenommen.

Tagesordnungspunkt 16 e: Beschlussempfehlung des
Ausschusses für Wirtschaft und Technologie auf Druck-
sache 14/8901 zu dem Antrag der Fraktion der CDU/CSU
mit dem Titel „Offensive für die Bauwirtschaft – Ursa-
chen wirksam bekämpfen“. Der Ausschuss empfiehlt,
den Antrag auf Drucksache 14/7506 abzulehnen. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt
dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung
ist mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen
und PDS gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP an-
genommen.

Zusatzpunkt 10: Abstimmung über die Beschlussemp-
fehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie
auf Drucksache 14/8902 zu dem Antrag der Fraktion der
FDP „Tarifzwang im öffentlichen Vergaberecht verhin-
dern“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Druck-
sache 14/8510 abzulehnen. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen
von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und PDS gegen die
Stimmen von CDU/CSU und FDP angenommen.

Wie bereits bekannt gegeben, kommen wir noch ein-
mal auf die Tagesordnungspunkte 17 a und 17 b zurück,
die bereits gestern aufgerufen worden waren:

a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Volker
Rühe, Dr. Karl-Heinz Hornhues, Hans-Peter
Repnik, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr. Helmut
Haussmann, Dr. Klaus Kinkel, Dr. Werner Hoyer
und der Fraktion der FDP
Die zweite Runde der NATO-Erweiterung auch
als Beitrag zur Stabilisierung Südosteuropas
konzipieren
– Drucksache 14/8835 –

b) Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD und
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Die NATO vor der Erweiterung
– Drucksache 14/8861 –

Die Drucksachen 14/8835 und 14/8861 sollen nicht,
wie erfolgt, überwiesen, sondern über sie soll gleich ab-
gestimmt werden.

Wir kommen jetzt zur Abstimmung über Tagesord-
nungspunkt 17 a: Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer
stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Antrag ist mit
den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und PDS
bei Zustimmung von CDU/CSU und FDP abgelehnt.

Wir kommen zur Abstimmung über Tagesordnungs-
punkt 17 b: Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt
dagegen? – Enthaltungen? – Der Antrag ist mit den Stim-
men von SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen die
Stimmen von CDU/CSU, FDP und PDS angenommen.

Damit rufe ich Tagesordnungspunkt 4 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Karl-
Josef Laumann, Brigitte Baumeister, Klaus




Präsident Wolfgang Thierse
23306


(C)



(D)



(A)



(B)


Brähmig, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der CDU/CSU
Arbeitnehmer entlasten – Vorfahrt für Be-
schäftigung
– Drucksache 14/8366 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung (f)

Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Haushaltsausschuss

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die
Aussprache eineinviertel Stunden vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen
Karl-Josef Laumann, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.


Karl-Josef Laumann (CDU):
Rede ID: ID1423403300
Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! In unserem Antrag ha-
ben wir das Konzept der Union zur Reform der geringfü-
gigen Beschäftigungsverhältnisse vorgelegt.


(Gerd Andres [SPD]: Das Stoiber-Konzept! Unbezahlbar!)


Auf dieses Konzept haben viele Betriebe, aber vor allen
Dingen viele Beschäftigte und Arbeitssuchende gewartet.


(Lachen des Abg. Gerd Andres [SPD])

Mit Ihrer Regelung, Herr Kollege Andres, für geringfü-
gige Beschäftigungsverhältnisse vom Frühjahr 1999 sind
Sie gescheitert.


(Beifall bei der CDU/CSU – Gerd Andres [SPD]: Sagen Sie!)


Sie haben viele enttäuscht, insbesondere die Fleißigen in
unserer Gesellschaft, die sich durch einen Nebenerwerb
etwas hinzuverdienen wollten. Sie haben mit Ihren ein-
schränkenden Regelungen zu geringfügiger Beschäfti-
gung fast keines der Ziele erreicht, die Sie eigentlich er-
reichen wollten.


(Zuruf von der SPD: Falsch!)

Erinnern wir uns noch einmal: Sie wollten eine Brücke

zwischen geringfügiger Beschäftigung und Vollzeitbe-
schäftigung bauen. Das ist Ihnen nicht gelungen. Nach ei-
ner Kienbaum-Studie sind, seitdem das neue Gesetz in
Kraft ist, nur 2 Prozent der gringfügigen Beschäftigungs-
verhältnisse in Teilzeit- bzw. Vollzeitbeschäftigungsver-
hältnisse umgewandelt worden.

Sie wollten eine bessere soziale Absicherung der Men-
schen, die in so genannten 630-Mark-Jobs arbeiten. Was ist
Ihnen gelungen? Pro Jahr Beschäftigung entsteht ein Ren-
tenanspruch von monatlich 2 Euro und 18 Cent. Da können
Sie nun wirklich nicht von sozialer Absicherung sprechen.

Sie wollten für Frauen eine Brücke in Teilzeit- und Voll-
zeitbeschäftigung schaffen. Hierzu stellte das Deutsche In-
stitut für Wirtschaftsforschung Ende letzten Jahres fest:

Es ist nicht gelungen, den verheirateten Frauen die
Aufnahme einer Teilzeit- und Vollzeitbeschäftigung
zu erleichtern.

Erreicht haben Sie mit Ihrer komplizierten und büro-
kratischen Regelung, dass 700 000 Beschäftigungsver-
hältnisse einfach vernichtet worden sind,


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

dass die Schwarzarbeit mittlerweile auf einen Anteil von
16,5 Prozent am Bruttosozialprodukt gestiegen ist.

Wenn man mit den Wirten in irgendeinem Wahlkreis
spricht, dann sagen sie einem: Wir finden keine Aushilfs-
kellnerinnen und Aushilfskellner für die Wochenenden
mehr, außer wir sind bereit, sie bar zu bezahlen; denn kei-
ner sieht ein, dass er, wenn er während der Kaffeezeit am
Sonntagnachmittag kellnert, die gleichen Abgaben leisten
muss, die er für eine Überstunde leisten müsste. – So wirkt
sich Ihre Regelung auf die Leute aus und das machen sie
nicht mit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Walter Hirche [FDP]: Und die Trinkgeldbesteuerung!)


Ihr Gesetz hat zu Bürokratismus, zum Verlust von Ar-
beitsplätzen und zum Anstieg der Schwarzarbeit geführt.
Das ist eine erfolglose Politik.

Im Zusammenhang mit den von Ihnen vorgenommen
Änderungen möchte ich drei Dinge ansprechen:

Staatssekretär Andres hat im Juni 2000 bestätigt, dass
die Arbeitslosenquote allein durch eine andere statistische
Erfassung der 630-Mark-Jobs um 0,4 Prozent gesunken
ist. In Deutschland wurden keine zusätzlichen Arbeits-
plätze geschaffen; dennoch ist dieser Effekt – ich beziehe
mich auf die Aussage von Staatssekretär Andres – auf-
grund einer anderen Zählweise erzielt worden.

Ein weiterer Punkt ist, dass Sie in einer Annonce, die
in den letzten Tagen in mehreren deutschen Zeitungen und
Zeitschriften zu lesen war, die Parole verkündet haben:
„Liebe Bürgerinnen und Bürger, in Deutschland gibt es
38,9 Millionen Beschäftigte. Das sind 1,1 Millionen mehr
als 1998 ...“ Wahr ist aber, dass sich die Anzahl der Er-
werbstätigenstunden in Deutschland überhaupt nicht ver-
ändert hat;


(Peter Rauen [CDU/CSU]: Die sind zurückgegangen! Es wird weniger gearbeitet!)


sie ist vielmehr zurückgegangen. Wir müssen schlicht und
ergreifend feststellen, dass Sie nur anders zählen. Diese
Annonce,


(Peter Rauen [CDU/CSU]: Sie verdummen die Leute mit der Annonce! – Dr. Irmgard Schwaetzer [FDP]: Wie viel Geld haben Sie dafür ausgegeben? Steuerzahlergeld!)


die nach meinen Recherchen im „Focus“, im „Stern“, im
„Spiegel“, in der „Süddeutschen Zeitung“ und im „Han-
delsblatt“ erschienen ist, kostet – ich habe mich beim „Fo-
cus“ informiert – 81 000 Euro. Sie haben am letzten Wo-
chenende eine Anzeige geschaltet, die zwar null
Informationscharakter hatte, die den Steuerzahler aber
rund eine halbe Million Euro gekostet hat.


(Peter Rauen [CDU/CSU]: Das muss man sich einmal vorstellen! – Dr. Irmgard Schwaetzer [FDP]: Skandal!)





Präsident Wolfgang Thierse

23307


(C)



(D)



(A)



(B)


Es ist wirklich unverantwortlich, was im Arbeitsministe-
rium mittlerweile gemacht wird. Hätte die Anzeige doch
wenigstens einen Informationscharakter!


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Aber Grafiker zu engagieren, um ein halb volles Glas zu
servieren und dafür Steuerzahlergeld auszugeben, ist
wirklich ein einmaliger Vorgang, der seinesgleichen
sucht.


(Walter Hirche [FDP]: Das Arbeitsministerium schämt sich so, dass keiner anwesend ist!)


Ich nenne Ihnen ein Beispiel für das, was wir mit die-
sen 500 000 Euro, die Sie damit „verbraten“ haben, hät-
ten tun können: Wir hätten zu Weihnachten 10 000 Wit-
wen einen Zuschlag in Höhe von 50 Euro zur Rente
zahlen können. So viel Geld ist vom Arbeitsminister am
letzten Wochenende einfach aus dem Fenster hinausge-
worfen worden!


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Werner Schulz [Leipzig] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Laumann, der Rächer der Witwen!)


Mit Ihrem Gesetz haben Sie schließlich auch erreicht,
dass die Sozialversicherungen durch die 630-Mark-Jobs
insgesamt rund 3 Milliarden Euro abkassieren. Allein
die gesetzliche Rentenversicherung erhält 1,5 Milli-
onen Euro.


(Gerd Andres [SPD]: Das ist gut: Sozialversicherungen, die Abkassierer!)


Man kann sagen: Wir haben gewollt, dass diese Jobs stär-
ker zur Finanzierung der Sozialversicherung beitragen.
Das ist eine politische Meinung, die man teilen kann oder
nicht. Auf der anderen Seite haben Sie aber gerade bei de-
nen, die wenig verdienen, ein Volumen von über 4,5 Mil-
liarden Euro abgeschöpft. Das ist die andere Seite. Um
diesen Betrag sind die Nettolöhne in diesem Bereich ge-
fallen. Deswegen ist der Umfang der Schwarzarbeit auf
diesem Gebiet gestiegen.


(Peter Dreßen [SPD]: Wie finanzieren Sie denn die Renten? Sagen Sie etwas dazu!)


All das, was Sie mit Ihrem Gesetz, das in die falsche
Richtung geht, bis jetzt erreicht haben, wollen wir ändern:
Wir wollen weniger Schwarzarbeit, mehr legale Beschäf-
tigung sowie einfache und unbürokratische Regelungen.

Worum geht es bei unserem Konzept? In einer ersten
Säule wollen wir, dass die Menschen wieder einen
630-Mark-Job unter den Bedingungen, die früher galten,
annehmen können, und zwar auf der Basis von 400 Euro.
Wir wollen, dass die Arbeitgeber, genau wie bei einem
normalen Arbeitsverhältnis, eine Pauschalsteuer in Höhe
von 20,5 Prozent zahlen.


(Gerd Andres [SPD]: Die kriegen jetzt aber 22 Prozent!)


Diesen Betrag wollen wir allerdings den Sozialkassen zur
Verfügung stellen, damit das nicht dazu führt, dass dieje-
nigen, die einen sozialversicherungspflichtigen Arbeits-
platz haben, für die geringfügig Beschäftigen mitbezahlen
müssen.

Viel wichtiger erscheint mir die zweite Säule.Wir stre-
ben an, dass diejenigen, die Beträge zwischen 401 Euro
und 800 Euro verdienen, linear ansteigende Sozialversi-
cherungsbeiträge zu zahlen haben. Damit ist die so ge-
nannte 630-DM-Falle, die uns Sozialpolitiker und Wirt-
schaftspolitiker seit Jahren beschäftigt, beseitigt. Einen
geringfügig Beschäftigten träfen im Falle eines höheren
Arbeitsanfalls nicht mehr die brutalen Auswirkungen ei-
nes Abzugs von 20 Prozent, wenn er einmal einige Euro
über die Grenze von 325 Euro oder demnächst 400 Euro
hinaus verdient.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ich glaube, dass das eine vernünftige Regelung ist.

Wir wollen dieses Privileg aber nicht allen gewähren;
wir wollen es nicht den Gutverdienenden geben. Deswe-
gen haben wir uns entschieden, dass in diesem Bereich
mindestens 20 Wochenstunden gearbeitet werden muss
und der Stundenlohn nicht über 10 Euro liegen darf. Wir
bewegen uns damit wirklich in einem Bereich, der er-
möglicht – das ist zwingend notwendig; auch um dem Ab-
standsgebot zur Sozialhilfe zu genügen –, dass die Ar-
beitnehmer netto mehr mit nach Hause bringen. Diese
Regelung ist relativ unkompliziert.

Darüber hinaus gibt es noch eine dritte Säule. Dieje-
nigen, die heute in staatlichen Transfersystemen sind und
Arbeitslosen- bzw. Sozialhilfe beziehen


(Gerd Andres [SPD]: Sie sollen drinbleiben und Zuschlag kriegen!)


und eine niedrig bezahlte Arbeit annehmen, sollen für eine
gewisse Zeit bestimmte Anteile aus den Transfersystemen
bekommen. Wir glauben, dass wir auch damit Anreize
schaffen können, solche Jobs anzunehmen.

Welche Auswirkungen hat das? Ich nenne Ihnen ein
Beispiel dafür: Ein geringfügig Beschäftigter, der nach
geltendem Recht 325 Euro steuer- und sozialversiche-
rungsfrei verdient, aber schon anderweitig versiche-
rungspflichtig tätig ist, hat zurzeit, falls er auch nur einen
Euro über die genannte Grenze hinaus verdient, Abzüge
von 82 Euro. Von 400 Euro bleiben nach dem SPD-Recht
also 318 Euro übrig. Nach unserem Konzept, das wir
nach dem 22. September durchsetzen werden, sind dies
400 Euro.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Das heißt, bei einem solchen Einkommen bringt der Mann
oder die Frau 82 Euro mehr mit nach Hause.


(Beifall bei der CDU/CSU – Peter Dreßen [SPD]: Wie finanzieren Sie die Lücke in der Sozialversicherung? – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Wie finanzieren Sie das? Eine Luftbuchung!)


Ich nenne Ihnen ein zweites Beispiel. Nach geltendem
Recht muss ein Arbeitnehmer in der Steuerklasse I, der in
seinem Hauptberuf im Monat 2 000 Euro verdient und ne-
benher einer geringfügigen Beschäftigung nachgeht,


(Klaus Brandner [SPD]: Karl-Josef, wo habt ihr das Rechnen gelernt?)





Karl-Josef Laumann
23308


(C)



(D)



(A)



(B)


insgesamt für 2 325 Euro Steuern und Sozialversiche-
rungsabgaben zahlen, das heißt 413,20 Euro Steuern und
467,32 Euro Sozialversicherungsbeiträge.


(Klaus Brandner [SPD]: So komplizierte Dinge? Noch mehr Bürokratie?)


Nach unserem Konzept kann er nebenbei bis zu
400 Euro steuer- und sozialversicherungsfrei hinzuver-
dienen. Das heißt in der Konsequenz, er zahlt insgesamt
105,71 Euro weniger Steuern und 65,32 Euro weniger So-
zialversicherungsabgaben.


(Peter Rauen [CDU/CSU]: Das ist wahr! Er hat 100 Euro mehr! – Widerspruch bei der SPD – Gegenruf des Abg. Peter Rauen [CDU/CSU]: Er hat doch Recht mit dem, was er sagt!)


In dem Bereich, in dem die Leute knapp mehr als die So-
zialhilfesätze verdienen, gibt es eine enorme Entlastung
und ein Zusammenführen der Schere zwischen Brutto und
Netto. Das ist die einzige Möglichkeit, um die Tendenz
zur Schwarzarbeit ein Stück weit einzudämmen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Wenn wir über den Niedriglohnbereich sprechen, dann

bekommen wir oft von der SPD und anderen vorgehalten,
wir wollten mit diesem Konzept eine Arbeit außerhalb der
Tariflöhne fördern.


(Dr. Irmgard Schwaetzer [FDP]: Wir wollen Arbeit fördern!)


Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, Sie müssen ein-
fach zur Kenntnis nehmen, dass wir in Deutschland im
Niedriglohnbereich eine Menge von Tariflöhnen haben.
Der Tarifbericht der Bundesregierung, den ich sehr auf-
merksam studiert habe und der die Gestaltung der Tarif-
verträge in Deutschland darstellt, macht das deutlich.

Ich will Ihnen einige Beispiele nennen – in diesem Be-
richt werden die Löhne noch in DM ausgewiesen –: In der
Schuhindustrie in Ostdeutschland beträgt der Bruttomo-
natslohn der untersten Lohngruppe 2 138 DM. Der zu-
grunde liegende Tarifvertrag wurde mit einer DGB-Ge-
werkschaft abgeschlossen. In der Textilindustrie in
Ostdeutschland beträgt der Bruttomonatslohn 2 224 DM,
im Bäckerhandwerk in Brandenburg 1 802 DM, im Ein-
zelhandel in Berlin 2 126 DM und im Einzelhandel in
Thüringen 2 013 DM. Das entspricht bei einer monatli-
chen Arbeitszeit von 168 Stunden Stundenlöhnen zwi-
schen 10,50 und 12 DM. Das sind nach der jetzigen
Währung 5,30 bzw. gut 6 Euro, also weit unterhalb der
Grenze, bei der wir unsere Förderung ansetzen.

Die Gestaltung eines linearen Aufbaus des Sozialver-
sicherungsbeitrages in diesem Bereich ist nun wirklich
zwingend angezeigt, damit die Menschen, die in diesen
Bereichen arbeiten – aus meiner Sicht leider Gottes; jeder
von uns würde da gern höhere Löhne sehen, aber es ist
nun einmal so, wie es ist –, schlicht und ergreifend netto
mehr nach Hause bringen.


(Peter Rauen [CDU/CSU]: So ist das! – Peter Dreßen [SPD]: Sie müssen einmal sagen, wie Sie die Finanzierungslücke schließen! – Gerd Andres [SPD]: Wie bezahlen Sie das denn, Herr Laumann?)


Es kann doch keine falsche Politik sein, gerade in diesem
Bereich die Motivation zu steigern, damit die Betroffenen
diesen Jobs nachgehen und nicht in der Arbeitslosenhilfe
oder der Sozialhilfe bleiben. Damit würde auch der
Konsum ein Stück weit angestoßen, weil die Leute das
zusätzlich verdiente Geld für ihre Familien ausgeben
werden.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Jetzt sage ich noch etwas zu den Kosten: Auch wir ha-

ben gerechnet bzw. haben rechnen lassen. Wir gehen da-
von aus, dass das Konzept, das ich Ihnen heute vorgetra-
gen habe,


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das war doch kein Konzept! Das war Unsinn!)


rund 3 Milliarden Euro kostet.

(Gerd Andres [SPD]: 3,7!)


Ich glaube aber, dass diesen Kosten Rieseneinsparungen
gegenüberstehen werden, weil Menschen aus dem Leis-
tungsbezug herausgehen. Wir sind fest davon überzeugt,
dass im Niedriglohnbereich wieder mehr Arbeitsplätze
entstehen, die es zurzeit gar nicht gibt,


(Peter Rauen [CDU/CSU]: So ist das!)

und dadurch auch mehr Wertschöpfung entsteht. Ich
glaube, wir können in Deutschland einen Wirtschaftsauf-
schwung ermöglichen, indem wir mehr Beschäftigung or-
ganisieren.


(Peter Rauen [CDU/CSU]: Das ist die Voraussetzung dafür!)


Wir sind fest davon überzeugt, dass die von uns vorgese-
hene Regelung für ein Segment des Arbeitsmarktes ein
vernünftiger Vorschlag ist.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir sollten vernünftig und ohne Ideologie über diese

Vorschläge sprechen.

(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Die Ideologen fordern immer die Abkehr von der Ideologie!)


Aber ich sage Ihnen auch: Wir werden die Beschäftigung
zu einem der entscheidenden inhaltlichen Themen des
Bundestagswahlkampfes machen, weil wir wollen, dass
sich etwas bewegt. Gestern habe ich zumindest Teile Ih-
res Wahlprogramms gelesen. Als Sozialpolitiker kann ich
nur sagen: Ihr Wahlprogramm ist eine einzigartige Ent-
täuschung.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir Sozialpolitiker sprechen seit zwei, drei Jahren darü-
ber, dass Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe zusammenge-
führt werden müssen. Was machen Sie in Ihrem Wahlpro-
gramm? – Sie bleiben bei den beiden Systemen, weil Sie
keinen Mut zu dem entscheidenden Schritt haben. In vie-
len anderen Fragen gilt einfach: Weiter so! Ist Ihnen denn
eigentlich gar nicht aufgefallen, dass wir in diesem Wahl-
kampf in der Sozialpolitik und in der Arbeitsmarktpolitik
genau über die gleichen Themen diskutieren wie 1998?




Karl-Josef Laumann

23309


(C)



(D)



(A)



(B)


Das ist doch der Beweis dafür, dass „weiter so“ einfach
nicht geht.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Deswegen kann ich Ihnen nur raten, dass auch Sie sich be-
wegen, dass auch Sie einmal neue Vorschläge machen und
nicht weiter in dem alten Denken der 50er- und 60er-Jahre
verharren.

Schönen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1423403400
Ich erteile dem Bun-
desminister Werner Müller das Wort.

Dr. Werner Müller, Bundesminister für Wirtschaft
und Technologie: Sehr geehrter Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Lassen Sie mich zunächst kurz an-
merken, dass Kollege Riester auf einem G-8-Arbeitsmi-
nistertreffen in Kanada ist und deswegen heute nicht hier
sein kann. Er hat mich gebeten, für ihn eine kleine Rede
zu halten. Das mache ich gern.


(Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Der Staatssekretär hat sich schon in die Abgeordnetenbänke verzogen! – Dr. Irmgard Schwaetzer [FDP]: „Kleine Rede“ zeigt die Bedeutung, die ihr den Arbeitsmarktfragen zuwendet!)


Sie haben einen Antrag eingebracht mit der interessan-
ten Überschrift „Arbeitnehmer entlasten – Vorfahrt für
Beschäftigung“. Wer kann dieser Überschrift nicht zu-
stimmen? Ich stimme ihr ausdrücklich zu. Die Frage ist
nur: Was verbirgt sich hinter dieser Überschrift?


(Peter Dreßen [SPD]: Was kommt danach? – Klaus Brandner [SPD]: Mogelpackung!)


Wir haben unter dieser Überschrift, die Sie jetzt neu er-
finden – dass Sie sie neu erfinden, scheint mir logisch,
weil Sie den Inhalt dieser Überschrift 16 Jahre lang nicht
zur Kenntnis genommen haben –,


(Beifall bei der SPD – Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Da haben wir sie auch nicht gebraucht!)


in den letzten vier Jahren zur Entlastung der Arbeitnehmer
Folgendes geleistet:


(Walter Hirche [FDP]: Ökosteuer und noch so weiter!)


Wir haben die Lohnnebenkosten, die bei Ihnen von
36 Prozent auf über 42 Prozent gestiegen sind,


(Klaus Brandner [SPD]: Richtig!)

leicht senken können.


(Peter Rauen [CDU/CSU]: Wir haben heute denselben Beitrag wie 1998, Herr Müller! Es ist exakt derselbe Beitrag! 41,9 Prozent, genau wie 1998!)


Ich verhehle nicht, dass wir nicht auf die 40 Prozent ge-
kommen sind, die wir angestrebt haben; aber es ist außer-
ordentlich schwierig, einen über 20 Jahre eingeübten

Trend überhaupt zu stoppen. Wir haben ihn gestoppt und
ein Stück weit umgekehrt.


(Beifall bei der SPD – Peter Rauen [CDU/CSU]: Das ist einfach unwahr! Das stimmt nicht!)


Wir sind übrigens nicht den Weg gegangen, durch all-
gemeine Mehrwertsteuererhöhungen, also durch eine
Schmälerung der Konsumbasis, die Renten zu finan-
zieren,


(Walter Hirche [FDP]: Abgabenquote und Belastungsquote sind gestiegen! ErneuerbareEnergien-Gesetz, Ökosteuer und noch ein paar lustige Sachen!)


sondern wir haben ein anderes Instrument eingesetzt: die
Ökosteuer. Ich lese mit größtem Vergnügen, dass Sie die
Ökosteuer abschaffen und durch eine Schadstoffabgabe
ersetzen wollen.


(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Damit liegen wir ja relativ nahe beieinander.

(Peter Rauen [CDU/CSU]: Sie müssen die ganze Wahrheit sagen: europaweit abgestimmt und an den Schadstoffausstoß gekoppelt!)


Zur Entlastung der Arbeitnehmer gehört auch die Ab-
schaffung des übergroßen Besteuerungsniveaus, das Sie
hinterlassen haben. Wir haben gesetzlich geregelt, dass die
Arbeitnehmer, und zwar diejenigen, die in Lohn und Brot
stehen, in der Zeit von 1999 bis 2005 in der Größenord-
nung von 30 Milliarden Euro steuerlich entlastet werden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dr. Irmgard Schwaetzer [FDP]: Das bringt auch gerade die Ökosteuer! – Weitere Zurufe von der FDP)


Wir haben in der Arbeitsmarktpolitik insgesamt nicht
die Erfolge erzielt, die wir zu Beginn unserer Tätigkeit
formuliert haben. Aber wir haben Erfolge erzielt. Die Ar-
beitslosigkeit lag im Jahre 2001 im Jahresdurchschnitt um
430 000 unter der des Jahres 1998.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Hört, hört!)


Vor allem sind aber 1,2 Millionen neue Arbeitsplätze ge-
schaffen worden.


(Beifall bei der SPD – Peter Rauen [CDU/ CSU]: Das ist ein absolutes Märchen!)


Das bedeutet konkret: Die Arbeitslosigkeit ist um 10 Pro-
zent abgebaut worden und – darauf sind wir besonders
stolz – die Zahl der Langzeitarbeitslosen ist um annähernd
20 Prozent gesenkt worden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Erfolge sind also erreicht worden.
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang nebenbei

etwas anmerken: Sie verweigern sich leider einer Begra-
digung der Arbeitslosenstatistik, die wir von Ihnen über-
nommen haben.




Karl-Josef Laumann
23310


(C)



(D)



(A)



(B)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1423403500
Herr Müller, gestatten
Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Rauen?

Dr. Werner Müller, Bundesminister für Wirtschaft
und Technologie: Wenn es sein muss.


(Heiterkeit bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1423403600
Es muss nicht sein.
Sie haben die Freiheit, Ja oder Nein zu sagen. – Also ja?

Dr. Werner Müller, Bundesminister für Wirtschaft
und Technologie: Ja, es stört ja nicht.


(Heiterkeit bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Peter Rauen (CDU):
Rede ID: ID1423403700
Herr Müller, Sie nannten
die zusätzlich entstandenen Beschäftigungsverhältnisse.
Diese Zahl ist laut Statistik richtig. Aber wie erklären Sie,
dass der Sachverständigenrat, die Herren, die entsprechend
Ihrem Auftrag die Gutachten erstellen, festgestellt hat, dass,
in Erwerbstätigenstunden gerechnet, im Jahre 2001 in
Deutschland 500 Millionen Stunden weniger gearbeitet
worden ist? Es gibt zwar mehr Beschäftigungsverhältnisse;
aber es wird weniger gearbeitet.


(Klaus Brandner [SPD]: Das trifft nicht zu!)

Das ist auch logisch: Wenn Sie 2 Millionen Teilzeitar-

beitsplätze zusätzlich haben, weil Sie die 630-Mark-Jobs
heutzutage mitzählen, aber 1Million Vollzeitarbeitsplätze
weniger, dann haben Sie zwar 1 Million Arbeitsplätze
mehr; aber mehr gearbeitet wird in Deutschland nicht. Sie
kennen genauso gut wie ich das Sachverständigengutach-
ten, aus dem ganz klar hervorgeht, dass im Jahre 2001 in
Deutschland 500 Millionen Stunden weniger gearbeitet
worden ist. Deshalb bitte ich Sie, in diesem Zusammen-
hang die ganze Wahrheit zu sagen.


(Klaus Brandner [SPD]: Dann sagen Sie etwas zur Produktivität!)


Dr. Werner Müller, Bundesminister für Wirtschaft
und Technologie: Herr Rauen, zur ganzen Wahrheit
gehört aber auch, dass Sie zunächst einmal zur Kenntnis
nehmen müssen, dass wir eine Politik des Überstunden-
abbaus betreiben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Die von Ihnen genannte Zahl entspricht dem Überstun-
denabbau. So einfach erklärt sich das.


(Lachen bei der CDU/CSU – Peter Rauen [CDU/CSU]: Das hat damit doch gar nichts zu tun! – Weitere Zurufe von der CDU/CSU und der FDP)


– Jetzt gebe ich Ihnen eine einfache Antwort und Sie la-
chen sich darüber kaputt.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Sie haben die Frage nicht verstanden!)


Lassen Sie mich also im Kontext fortfahren. Ich wollte
Ihnen gerade sagen: Begradigen Sie doch die Arbeitslo-
senstatistik!


(Zuruf des Abg. Walter Hirche [FDP])

Es ist doch geradezu irrsinnig, dass die Unternehmen un-
ter Zuhilfenahme der Sozialkassen Frühpensionierungen
vornehmen. Die Leute gehen dann mit 58 in Rente und
sind zwei Jahre lang arbeitslos gemeldet. Das größte Un-
glück, das ihnen passieren könnte, wäre, dass sie jemand
vermitteln will. Aber sie werden natürlich in der Statistik
geführt. Das sind allein 15 Prozent der Arbeitslosen.
Wenn ein junger Mensch nicht sofort einen Studienplatz
bekommt, er aber in der Krankenversicherung bleiben
möchte, dann muss er sich arbeitslos melden, obwohl be-
kannt ist, dass er fünf Monate später mit einem Studium
beginnen wird.


(Peter Rauen [CDU/CSU]: Das hat doch nichts mit der in meiner Frage angesprochenen Beschäftigung zu tun!)


Wenn jemand, der arbeitslos ist, bereits einen neuen Ar-
beitsvertrag unterschrieben hat, dann wird er bis zur Auf-
nahme der Arbeit immer noch in der Arbeitslosenstatistik
geführt, obwohl er gar nicht mehr vermittelt zu werden
braucht.

Deswegen nur noch einmal die Nebenbemerkung: Be-
gradigen Sie doch die Arbeitslosenstatistik,


(Peter Rauen [CDU/CSU]: Ich habe von der Beschäftigung gesprochen, Herr Müller!)


sodass wir wissen, wer wirklich arbeitslos ist und vermit-
telt werden muss.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1423403800
Herr Müller, gestatten
Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Niebel?

Dr. Werner Müller, Bundesminister für Wirtschaft
und Technologie: Ja, sie kann ja nur besser werden.


(Heiterkeit bei der SPD)



Dr. h.c. Dirk Niebel (FDP):
Rede ID: ID1423403900
Vorweg vielen Dank für das Lob,
Herr Minister.

Herr Minister, wenn Sie die Statistik so verändern, wie
Sie das eben skizziert haben, wie wollen Sie dann das Pro-
blem lösen, dass eine Anspruchsvoraussetzung für die Ge-
währung von Arbeitslosengeld die Verfügbarkeit im Rah-
men der Vermittlung in Arbeit ist? Wenn Sie all
diejenigen, die Sie eben genannt haben, aus der Statistik
herausnehmen wollen, aber die Verfügbarkeit weiterhin
unterstellen, dann haben Sie das Problem, dass Menschen
mit Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung bedacht
werden, die die genannte Zugangsvoraussetzung für diese
Leistung gar nicht mehr erfüllen. In der Konsequenz
dürfte jemand, der auf einen Studienplatz wartet


(Klaus Brandner [SPD]: Wo ist die Frage? – Gerd Andres [SPD]: Kein Koreferat!)


und einen Leistungsanspruch hat, aber nicht vermittelt
werden will, auch kein Geld bekommen. Wie wollen Sie
dieses Problem lösen?






(C)



(D)



(A)



(B)


Dr. Werner Müller, Bundesminister für Wirtschaft
und Technologie: Ihre Frage war: Wie lösen Sie dieses
Problem? Aber Sie haben etwas beschrieben, was gar kein
Problem ist.


(Beifall bei der SPD)

Es ist doch völlig klar, dass wir trennen müssen zwischen
denjenigen, die einen Leistungsanspruch haben, und de-
nen, die keinen haben. Wenn eine Firma einen 58-Jähri-
gen in die Frührente schickt, soll er seinen Leistungsan-
spruch nicht verlieren. Ich muss aber für die Statistik
wissen: Will er überhaupt vermittelt werden? Ist das ein
echter Arbeitsloser?


(Klaus Brandner [SPD]: Ein Arbeitsuchender!)

Insofern muss eine Trennung vorgenommen werden. Da-
mit ist das, was Sie hier als Problem beschreiben, gelöst.


(Beifall bei der SPD – Dirk Niebel [FDP]: Die Anspruchsvoraussetzungen für die Leistung hat er nicht erfüllt! – Gegenruf der Abg. Dr. Irmgard Schwaetzer [FDP]: Das weiß er nicht!)


Jetzt fahre ich in meiner Rede fort. Überlegen Sie sich
doch einmal eine ernste Frage.

Ich komme zum Thema zurück. Nachdem ich Ihnen
vorhin zugehört habe


(Peter Rauen [CDU/CSU]: Sie hören nicht zu, Herr Müller!)


– Sie haben ja gar nicht geredet –

(Peter Rauen [CDU/CSU]: Sie geben eine Antwort auf eine Frage, die gar nicht gestellt worden ist! So kann man alles schön wegschieben!)


und gelesen habe, welche Säulenmodelle Sie zu Papier
gebracht haben, stelle ich fest, dass sich etwas wiederholt,
was wir Ende 1998 als Problem vorgefunden haben: eine
kollektive Flucht aus den Sozialsystemen. Diese kollek-
tive Flucht musste damals gestoppt werden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Deswegen waren Korrekturen notwendig, etwa bei den
630-Mark-Jobs oder auch bei der Definition des Begriffes
„selbstständig“. Wir haben heute über 4 Millionen so ge-
nannte 630-Mark-Arbeitsverhältnisse. Sie haben selber
richtig bemerkt, dass dadurch heute fast 3Milliarden Euro
in die Sozialkassen eingezahlt werden.

Wir haben des Weiteren durchaus Deregulierungen
am Arbeitsmarkt vorgenommen.


(Dirk Niebel [FDP]: Deregulierungen?)

Nur muss man sie auch zur Kenntnis nehmen. Wir haben
in Deutschland verschiedene Modelle des Kombilohns
eingeführt, eines jetzt bundesweit. Ich weise gerne darauf
hin: Wir haben die Möglichkeit geschaffen, Leute ohne
sachlichen Grund befristet einzustellen, sodass das
Thema Kündigungsschutz etc. in diesen Fällen entfällt.


(Walter Hirche [FDP]: Das müssen Sie mal einem Mittelständler sagen! Das ist eine oberflächliche Betrachtung!)


Wir haben diese Möglichkeit insbesondere für Arbeitneh-
mer ab dem 56. Lebensjahr geschaffen. Ich stelle aller-
dings fest, dass von dieser Form der Deregulierung in der
Wirtschaft wenig Gebrauch gemacht wird.

Zu dem Antrag, den Sie heute stellen, hat die Bundes-
regierung eine sehr einfache Position:

Erstens. Wir lehnen alles ab, was, wie Sie es fordern,
zu einer Dauersubventionierung von Arbeitsplätzen führt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Klaus Brandner [SPD]: Das fordern die Marktwirtschaftler!)


Zweitens. Wir sehen sehr kritisch, ob sich nicht, wenn
man das umsetzen würde, was Sie fordern, eine regelhafte
Wandlung von regulären Vollzeitarbeitsplätzen in jede
Menge von einfachen Teilbeschäftigungsverhältnissen er-
gäbe.


(Peter Dreßen [SPD]: So ist es! Genau das wird passieren!)


Das war nämlich das, was uns in den 90er-Jahren Pro-
bleme bereitet hat.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ihr Antrag basiert auf einer sehr einfachen Denke:
Wachstum schaffen, indem man die Flucht aus den Sozi-
alsystemen ermöglicht.


(Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Das ist ja gar nicht wahr! Weiter so!)


Das kann keine Arbeitsmarktpolitik sein.

(Beifall bei der SPD)


Arbeitsmarktpolitik muss neben der erfolgten Deregu-
lierung am Arbeitsmarkt vor allem eine vernünftige
Wachstumspolitik bedeuten.


(Peter Rauen [CDU/CSU]: Das sehen wir in Deutschland! Wir sind durch Ihre Wachstumspolitik die Fußkranken Europas geworden!)


In Bezug auf die Wachstumspolitik ist eben ein inte-
ressanter Satz gefallen, der inhaltlich ausdrückte: In dem
Maße, in dem wir unsere Sozialsysteme abbauen, schaf-
fen wir Voraussetzungen für Wirtschaftswachstum. Das
ist genau falsch.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wir brauchen Wirtschaftswachstum, um die Sozialsys-
teme und die soziale Gerechtigkeit im Lande
aufrechtzuerhalten und die Arbeitslosigkeit abzubauen.


(Peter Rauen [CDU/CSU]: Das haben wir in den letzten drei Jahren erfolgreich bewiesen! Wir haben europaweit überragende Erfolge beim Wachstum!)


Für die Wachstumspolitik, die wir gemacht haben, spre-
chen durchaus Erfolge. Ich will Ihnen einige Bausteine
nennen: Zur Wachstumspolitik gehört, dass wir in den
neuen Bereichen für Unternehmensgründungen sorgen.


(V o r s i t z: Vizepräsidentin Anke Fuchs)







(C)



(D)



(A)



(B)


Diese Bundesregierung hat beispielsweise – um nur einen
kleinen Baustein zu nennen – einen Gründerwettbewerb
für Multimediaunternehmen ausgerufen. Das hat zu 1 000
Unternehmensgründungen und der Schaffung von etwa
12 000 Arbeitsplätzen geführt. Das ist ein ganz kleiner
Baustein in einem sehr modernen Segment.

Zur Wachstumspolitik, die Arbeitsplätze schafft, ge-
hört beispielsweise auch eine Mittelstandspolitik, die sich
dem Problem der Finanzierung des Mittelstandes an-
nimmt. Sie wissen, diese Problematik ereilt die Politik.
Nicht wir sind diejenigen, die im Privatbankensektor die
Linie vorgeben, dass es sich nicht mehr lohne, den Mit-
telstand zu finanzieren, weil der Beratungsaufwand zu
hoch sei.


(Walter Hirche [FDP]: Aber Eichel hat mit seinen Steueränderungen die Eigenkapitalsituation der Betriebe verschlechtert!)


Wir werden in jedem Falle, einschließlich unserer Mit-
arbeit bei Basel II, dafür sorgen, dass der Mittelstand de-
finitiv sicher sein kann, dass er zu den Konditionen, die
bisher galten, finanziert wird.


(Beifall bei der SPD – Walter Hirche [FDP]: Das schafft ihr nicht mehr, dass euch der Mittelstand das glaubt!)


Nötigenfalls werden wir das seitens der Bundesregierung
regeln müssen.

Zur erfolgreichen Wirtschaftspolitik, die Arbeitsplätze
schafft, gehört übrigens auch die Industriepolitik. Ich be-
obachte jetzt, wo der Wahlkampf beginnt, dass sich ins-
besondere seitens der CDU/CSU eine Art Industriefeind-
lichkeit in die Diskussion einschleicht.


(Peter Rauen [CDU/CSU]: Ach!)

– Ja, sicher. – Wer ist denn beispielsweise kritisch gegen-
über einer angeblichen steuerlichen Bevorteilung der
Großbetriebe?


(Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: 3 Milliarden bei den 630-Mark-Jobs abzocken und die Großbanken steuerfrei stellen! Das ist Ihre Politik! Unerträglich!)


Wer will denn die steuerfreie Beteiligungsveräußerung
abschaffen? Das steht doch in Ihrem Programm.


(Dirk Niebel [FDP]: Wer hat die denn durchgesetzt?)


Ich sage Ihnen: Damit werden Sie zu einem Standortrisiko
für unser Land.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Widerspruch bei der CDU/CSU)


Sie müssen sich einmal überlegen, dass es Ihnen in den
90er-Jahren gelungen ist, dass kaum jemand aus dem Aus-
land in Deutschland investieren wollte. In einem Jahr gab
es überhaupt keine Auslandsinvestitionen.Während un-
serer Regierungszeit haben sich die Auslandsinvestitio-
nen – ohne Vodafone – inzwischen auf über 50 Milliarden
Euro erhöht. Das ist mehr als eine Verdopplung des Ni-
veaus der 90er-Jahre.

Da Sie die Industrie so kritisch angehen, sollten Sie
Folgendes bedenken: Der Export, von dem Deutschland
abhängt, besteht zu 85 Prozent aus Industrieprodukten.


(Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Da haben Sie Recht!)


Die Großindustrie ist oft auch Arbeitgeber für den Mittel-
stand. Zu behaupten, wer Industriepolitik mache, der ma-
che keine Mittelstandspolitik – das tun Sie in Ihren Wahl-
kampfaussagen –, ist absolut kontraproduktiv.


(Beifall bei der SPD – Peter Rauen [CDU/ CSU]: Sie reden von Dingen, die Sie überhaupt nicht wissen!)


– Ich weiß, wovon ich rede. Wer rennt denn in Brüssel
herum und hintertreibt dort die Politik dieser Bundes-
regierung, mit der EU-Kommission zusammen zu einer
vernünftigen Industriepolitik zu kommen? Wer sagt denn,
dass er mit größter Skepsis auf gewisse Differenzen zwi-
schen Bundesregierung und Brüssel blickt? Wer ist denn
in Brüssel und hintertreibt dort unsere Kohlepolitik? Das
sind doch Leute aus Ihren Reihen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dr. Irmgard Schwaetzer [FDP]: Sagen Sie einmal etwas zum Thema!)


Angesichts der Gefahr, dass das so weitergeht, muss
ich Ihnen sagen: Wir müssen einige der Eigenheiten un-
seres Wirtschaftssystems in Brüssel verteidigen. Ich hoffe
nicht, dass Ihre Politik so weit geht, dass Sie in Brüssel
noch dafür eintreten, die deutsche Handwerksordnung
abzuschaffen.


(Peter Rauen [CDU/CSU]: Machen Sie sich da keine Sorgen!)


– Ich höre doch entsprechende Stimmen aus Brüssel.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1423404000
Herr Minister Müller,
gestatten Sie zwei Zwischenfragen, eine von Herrn
Hinsken und eine von Herrn Hirche?

Dr. Werner Müller, Bundesminister für Wirtschaft
und Technologie: Ja.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1423404100
Herr Kollege
Hinsken, Sie haben das Wort.


Ernst Hinsken (CSU):
Rede ID: ID1423404200
Herr Minister, Sie stel-
len jetzt Ihre großen wirtschaftspolitischen Leistungen
heraus, die angeblich von dieser Bundesregierung er-
bracht worden sind.


(Peter Dreßen [SPD]: Die sind nun einmal da!)

Sie versuchen, einen Gegensatz zwischen der Industrie-
politik und der Mittelstandspolitik der CDU/CSU-Frak-
tion zu konstruieren. Dem ist aber nicht so.


(Klaus Brandner [SPD]: Dem ist so!)

Da Sie hier herausstellen, dass Ihre Politik so gut ist,

muss ich Sie fragen: Worauf führen Sie es zurück, dass
wir in diesem Jahr über 40 000 Insolvenzen zu erwarten




Bundesminister Dr. Werner Müller

23313


(C)



(D)



(A)



(B)


haben? Worauf führen Sie es zurück, dass durch das
630-DM-Gesetz im Hotellerie- und Gaststättengewerbe
80 000 bis 100 000 Arbeitsplätze leider nicht mehr besetzt
werden können, also für den Arbeitsmarkt verloren ge-
gangen sind?


(Klaus Brandner [SPD]: Er tut so, als müsste das Volk hungern, weil es nicht mehr in den Gaststätten bedient wird!)


Die Menschen vermissen den notwendigen Anreiz, diese
Jobs nach der neuen Regelung anzunehmen. Das ist doch
eine verfehlte Politik, für die Sie mit verantwortlich zeich-
nen. Deshalb meine ich, Sie sollten auch auf dieses Thema
eingehen, zumal Sie die Frage meines Kollegen Rauen
noch nicht einmal zu einem kleinen Teil beantwortet haben.

Dr. Werner Müller, Bundesminister für Wirtschaft
und Technologie: Ich habe die Frage von Herrn Rauen mit
Hinweis auf die Statistik sehr klar und eindeutig beant-
wortet.


(Peter Rauen [CDU/CSU]: Haben Sie nicht!)

Herr Hinsken, ich will Ihnen Folgendes sagen. Wir

müssen darüber streiten, ob es richtig ist, dass eine Be-
dienung, die am Tresen einen Teller mit Eisbein in die
Hand nimmt und ihn auf dem Gästetisch absetzt, zwi-
schendurch vom Gaststättengewerbe zu einer selbststän-
digen Handelsvertreterin erklärt wird.


(Dirk Niebel [FDP]: Das war auch schon früher illegal!)


Wenn das das System ist, mit dem Sie Arbeitsplätze schaf-
fen wollen, dann sage ich Ihnen: Das ist ein Abbau von so-
zialer Grundsicherung.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wenn es hierzulande nur noch Bedienungskräfte sind, die
selbstständige Handelsvertreter sind,


(Dr. Irmgard Schwaetzer [FDP]: Das war illegal und das bleibt illegal!)


und wenn es keine angestellten Busfahrer mehr gibt, weil
alle selbstständige Unternehmer sind, ist in diesem Lande
etwas faul.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Karl-Josef Laumann [CDU/ CSU]: Der private Busunternehmer ist genauso angestellt wie der, der bei den Stadtwerken arbeitet! Das ist doch lächerlich!)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1423404300
Lassen Sie eine Zwi-
schenfrage des Kollegen Hirche zu?

Dr. Werner Müller, Bundesminister für Wirtschaft
und Technologie: Ja.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1423404400
Herr Kollege Hirche.


Walter Hirche (FDP):
Rede ID: ID1423404500
Herr Minister, Sie wollen hier
Wertschätzung für Ihre Bemühungen zur Unterstützung

der Wirtschaft gewinnen. Ist es richtig, dass die Bundes-
regierung innerhalb der EU bereit ist, die französischen
Mineralölsteuerbefreiungen zugunsten des französi-
schen, italienischen und niederländischen Gewerbes zu
unterstützen, was bedeuten würde, dass beim deutschen
Speditionsgewerbe Tausende von Arbeitsplätzen gefähr-
det werden, und das nur, um unsinnige Steinkohlesub-
ventionen in Brüssel durchzusetzen? Sind die Meldungen
der Zeitungen, die von diesem Subventionskuhhandel be-
richten, richtig?

Dr. Werner Müller, Bundesminister für Wirtschaft
und Technologie: Ich könnte Ihre Frage dann sachlicher
beantworten, wenn Sie die Worte „unsinnige Steinkohle-
subventionen“ und „Kuhhandel“ vermieden hätten.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Walter Hirche [FDP]: Das ist aber im Kern richtig! – Dr. Irmgard Schwaetzer [FDP]: Als Abgeordneter ist man immer noch frei!)


So will ich Ihnen den Stand zur Stunde mitteilen: Wir sind
in Verhandlungen.


(Dirk Niebel [FDP]: Sie wollen es also machen?)


– Wenn die Gegenleistungen stimmen, ja.

(Dirk Niebel [FDP]: Das ist ja wohl nicht wahr! – Walter Hirche [FDP]: Tausende von Arbeitsplätzen im Mittelstand werden durch diese Bundesregierung gefährdet! – Peter Rauen [CDU/ CSU]: Das muss man sich einmal vorstellen! Eine Schande ist das!)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1423404600
Herr Hirche, Sie dür-
fen sich setzen. Nun hat der Herr Minister wieder das Wort.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Herr Minister, Sie reden heute unter Ihrem Niveau! Normalerweise sind Sie besser!)


Dr. Werner Müller, Bundesminister für Wirtschaft
und Technologie: Ich darf die Union noch einmal bitten,
die Industriepolitik in Brüssel gemeinsam zu vertreten
und den Standort Deutschland, bezogen auf die Steuerpo-
litik, nicht schlechter zu machen, nachdem er jetzt wieder
herausgeputzt wurde.


(Peter Rauen [CDU/CSU]: Deshalb sind wir Schlusslicht in Europa geworden! – Walter Hirche [FDP]: Das ist unglaublich!)


– Was heißt denn „Schlusslicht in Europa“? Ich bewun-
dere an Ihnen, wie Sie es geschafft haben, Ihre Leistungen
von über 16 Jahren aus dem Gedächtnis zu streichen.


(Beifall bei der SPD – Klaus Brandner [SPD]: Weltmeister im Verdrängen! – Dr. Irmgard Schwaetzer [FDP]: Das ist wirklich euer letzter Strohhalm! Aber das interessiert den Wähler nicht mehr!)


Von 1992 bis 1998 – Sie wollen es nicht hören, es geht
aber aus der amtlichen Statistik hervor – hatte Deutsch-




Ernst Hinsken
23314


(C)



(D)



(A)



(B)


land ein Wirtschaftswachstum von 1,3 Prozent. Wenn
das, was die Institute sagen, richtig ist, hatten wir in den
ersten knapp vier Jahren unter Bundeskanzler Schröder
ein Wirtschaftswachstum von 1,8 Prozent. Das ist schon
ein Niveauunterschied.


(Peter Rauen [CDU/CSU]: Das ist 1998 bei uns angelaufen!)


Bedenken Sie, dass es in den 80er-Jahren nur ein leicht
höheres Wachstum als 1,3 Prozent gab. In den gesamten
80er-Jahren lag Deutschland im letzten Drittel aller EU-
Länder, während wir in den 90er-Jahren sogar am Ende
aller EU-Länder standen. Wir haben uns aus der Schluss-
lichtposition in eine Aufstiegsposition gebracht.


(Dirk Niebel [FDP]: Ach, du ahnst es nicht! – Lachen des Abg. Peter Rauen [CDU/CSU])


– Dass Sie lachen, ist klar, weil Sie nicht zur Kenntnis
nehmen wollen, dass wir das Wachstumsniveau substan-
ziell gesteigert haben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Zuruf von der CDU/CSU: Wo denn? Das ist eine Scheinwelt!)


Wenn man 20 Jahre lang auf einem absteigenden Ast
sitzt, kann man nicht in vier Jahren Weltmeister werden.
Man muss zufrieden sein, dass man wieder ein Stück nach
oben gekommen ist und die Basis geschaffen hat, über-
haupt wieder Wachstumspolitik betreiben zu können.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Peter Rauen [CDU/CSU]: Ach, Herr Müller!)


Ich kann Ihnen das an Beispielen demonstrieren.

(Peter Rauen [CDU/CSU]: Das können Sie eben nicht!)

Als wir antraten, gab es beispielsweise fast keine Exporte
mehr nach Russland und nach China. Wir haben gemein-
sam mit der Industrie dafür gesorgt, dass der Export in
diese Länder wieder aufgebaut wurde. Der Export nach
Russland ist im letzten Jahr um über 50 Prozent gewach-
sen; er hat jetzt ein Volumen von weit über 10 Milliarden
Euro erreicht. Auch das Exportvolumen nach China be-
trägt weit über 10 Milliarden Euro.


(Zuruf von der SPD: Sehr gut!)

Parallel dazu haben wir den Trend der 90er-Jahre, als

wir permanent Anteile am Welthandel verloren haben,
gewendet. Seitdem wir regieren, gewinnen wir im Welt-
handel wieder hinzu.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


International sind wir wettbewerbsfähiger geworden. In
den letzten drei Jahren haben wir allein das Exportvolu-
men in die USAvon 40Milliarden Euro auf 80Milliarden
Euro erhöht.


(Peter Rauen [CDU/CSU]: Bei einem schwachen Euro kann jeder gut exportieren!)


Das alles sind Zahlen, die Sie durch laute Zwischenrufe un-
hörbar machen wollen. Wir werden diese Zahlen vertreten.

Deswegen sage ich: Führen Sie den Wahlkampf ruhig
auf wirtschaftspolitischem Gebiet. Sie werden sich noch
wundern. Wir werden das, was nicht jeden Tag schlagzei-
lenartig in der Zeitung steht, den Bürgern durch eine haar-
genaue, redliche und ehrliche Information vermitteln.


(Walter Hirche [FDP]: Dann sehen Sie aber schlecht aus!)


Wir haben die Basis geschaffen, um wieder ein Wachs-
tumsland zu werden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1423404700
Ich erteile nun der
Kollegin Dr. Irmgard Schwaetzer für die FDP-Fraktion
das Wort.


Dr. Irmgard Adam-Schwaetzer (FDP):
Rede ID: ID1423404800
Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn die Situation in
Deutschland so toll ist, wie Wirtschaftsminister Müller
gerade beschrieben hat,


(Klaus Brandner [SPD]: Besser als vor unserer Regierungszeit!)


dann frage ich mich wirklich, warum die Arbeitslosensta-
tistik immer noch bei 4 Millionen verharrt, obwohl Bun-
deskanzler Schröder zugesagt hat, die Arbeitslosenzahl
auf 3,5 Millionen zu senken,


(Klaus Brandner [SPD]: Nun warten Sie doch ab! – Peter Dreßen [SPD]: Wenn ihr vier Perioden geschlafen habt, können wir das nicht in einer Periode gutmachen!)


und warum wir durch die enorm gestiegene Zahl von
Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen nach wie vor einen aus-
ufernden zweiten Arbeitsmarkt haben.


(Klaus Brandner [SPD]: Wir haben Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen zurückgeführt, ihr habt sie aufgebaut!)


Meine Damen und Herren, es hilft kein Tricksen und kein
Täuschen; es helfen keine Zahlen, die immer haarscharf
an der Realität vorbei operieren. Die rot-grüne Koalition
ist mit ihrer Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik in die-
ser Legislaturperiode gescheitert.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Sie haben den Arbeitsmarkt, der wirklich hätte flexibi-

lisiert werden müssen, weiter verbarrikadiert.

(Dirk Niebel [FDP]: Verriestert und ver riegelt!)

630-DM-Gesetz, Scheinselbstständigengesetz, Teilzeit-
gesetz – all dies hat dazu geführt, dass die Unternehmen
wegen der zusätzlichen Bürokratie große Schwierigkeiten
haben, einzustellen.


(Gerd Andres [SPD]: Quatsch! So ein Unsinn!)


Die Arbeitnehmer fragen die Arbeit im Niedriglohn-
bereich nicht mehr nach, weil das, was sie hinterher netto




Bundesminister Dr. Werner Müller

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(C)



(D)



(A)



(B)


auf der Hand haben, wirklich nicht mehr ausreicht, um die
Familie zu ernähren.


(Beifall bei der FDP – Peter Dreßen [SPD]: Deswegen haben wir die Steuerreform gemacht und die Beiträge gesenkt! Das müssen Sie einmal zur Kenntnis nehmen!)


Das ist genau der falsche Weg. So wird den Arbeitslosen
nicht geholfen. Vielmehr müssen Barrikaden abgebaut
werden.


(Klaus Brandner [SPD]: Wir befinden uns doch nicht im Kriegszustand! Wie reden Sie eigentlich? „Barrikaden“!)


Wie wenig von den Ankündigungen des Bundeskanz-
lers zu Beginn dieser Legislaturperiode übrig geblieben
ist, kann man an einem kleinen Mosaikstein ablesen, um
den es jetzt offensichtlich eine Diskussion im SPD-Vor-
stand gegeben hat. Der Bundeskanzler und der Bundes-
arbeitsminister haben hier im Parlament ein Dutzend Mal
angekündigt, dass sie die Arbeitslosen- und die Sozial-
hilfe zu einer einheitlichen Leistung zusammenlegen
wollen. Auf Druck der traditionell reformscheuen und
reformängstlichen Gewerkschaften ist das nun wieder aus
dem Wahlprogramm gestrichen worden.


(Klaus Brandner [SPD]: Was kümmert Sie eigentlich das Wahlprogramm der SPD? – Peter Dreßen [SPD]: Es stimmt so nicht, wie Sie das sagen!)


Meine Damen und Herren, was wollen Sie eigentlich noch
tun, um wirklich von den 4 Millionen Arbeitslosen herun-
terzukommen?

Die Grünen wehren sich nicht einmal dagegen. Sie ha-
ben nicht einmal mehr die Kraft dazu.


(Beifall bei der FDP)

Der Antrag der Union, den wir hier debattieren, geht im

Prinzip in die richtige Richtung. Aber auch er ist noch
nicht wirklich der Startschuss für grundlegende Reformen
und eine Neugestaltung der Arbeitsmarktpolitik.


(Klaus Brandner [SPD]: Noch mehr Kälte!)

Wir sind uns zumindest mit der Union einig, dass wir

mehr Chancen im Niedriglohnbereich und mehr Teilzeit-
arbeit brauchen.


(Peter Dreßen [SPD]: Keine Rechte für Arbeitnehmer! Alles abschaffen!)


Wir machen uns seriöse Gedanken darüber, wie man die-
sen Bereich gestalten kann, ohne dass Sprünge und
Brüche auftreten oder zusätzliche Hürden aufgebaut wer-
den. Vielmehr soll es eine kontinuierliche Entwicklung
vom Niedriglohnbereich bis zu einer gut entlohnten Voll-
zeitbeschäftigung geben, ohne dass, Herr Bundeswirt-
schaftsminister, Dauersubventionen ins Recht eingeführt
werden.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Deswegen ist es richtig, dass wir uns überlegen, wie
wir dem Hotel- und Gaststättengewerbewieder die not-

wendigen Arbeitnehmer verschaffen. Die Zahlen sind
eben schon genannt worden. Durch Ihre Neuregelung der
630-DM-Beschäftigung ist ein massiver Arbeitsplatz-
abbau eingetreten,


(Peter Dreßen [SPD]: Es ist wieder mehr Gerechtigkeit hergestellt worden!)


vor allen Dingen im Handwerk und im Einzelhandel. –
Wenn mehr Arbeitslose mehr Gerechtigkeit beinhalten,


(Peter Dreßen [SPD]: Nein! Dann hätten Sie die Überstunden auch von Sozialbeiträgen freistellen müssen!)


dann allerdings ist Ihre Gerechtigkeitsvorstellung ganz
eindeutig auf eine einzige Klientel ausgerichtet: die, die
Arbeit haben, das heißt die Arbeitsplatzbesitzer und nicht
diejenigen, die draußen vor der Tür stehen.


(Beifall bei der FDP – Peter Dreßen [SPD]: Sehen Sie sich einmal die Statistik an!)


Das nenne ich nicht sozial gerecht.

(Dirk Niebel [FDP]: Betonköpfige Gewerk schaftspolitik!)

Wir wollen, dass diejenigen, die jetzt draußen vor der

Tür stehen, wieder in den ersten Arbeitsmarkt hinein-
wachsen können. Deswegen ist es richtig, dass wir uns
überlegen, wie wir auch geringer entlohnte und geringer
qualifizierte Beschäftigung attraktiv machen können.

Die Union fordert, die Grenze der geringfügigen Be-
schäftigung von jetzt 325 Euro auf 400 Euro anzuheben.
Das ist ein Schritt in die richtige Richtung. Aber wir glau-
ben, dass dieser Schritt nicht ausreicht. Denn Sie bauen
dadurch – das wird in Ihrem Antrag auch deutlich – wie-
der eine zweite Schwelle ein. Sie haben diese zweite
Schwelle zwischen 400 und 800 Euro vorgesehen.

Die FDP ist in ihrem Antrag, den wir vor einigen Wo-
chen hier debattiert haben, diesen Weg konsequent zu Ende
gegangen und wir fordern Sie auf, diesen Weg mit uns zu
gehen. Wir haben gesagt: Es gibt nach unserer Vorstellung
natürlicherweise eine Schwelle und das ist die des steuer-
freien Existenzminimums. Wir wollen mit unserer Steuer-
reform dieses steuerfreie Existenzminimum weiter anhe-
ben, nämlich auf 7 500 Euro im Jahr für jeden Erwachsenen
und jedes Kind. Das, meine Damen und Herren, ist wirk-
lich eine Entlastung für diejenigen, die ein geringes Ein-
kommen haben, für diejenigen, die Kinder haben.


(Beifall bei der FDP)

Wenn man diese Grenze akzeptiert, muss man doch

auch sagen, dass die Beschäftigung mit einer Entlohnung
unterhalb der Schwelle des steuerfreien Existenzmini-
mums anders behandelt werden muss. Deswegen wollen
wir die Möglichkeit von Beschäftigungsverhältnissen für
630 Euro einführen, die dann pauschal versteuert werden.
Diese pauschale Besteuerung bezahlt der Arbeitgeber.
Das, meine Damen und Herren, ist wirklich ein Anreiz,
Beschäftigung im Niedriglohnsektor aufzunehmen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Deswegen bitten wir Sie, diesen Weg gemeinsam mit uns
zu gehen.




Dr. Irmgard Schwaetzer
23316


(C)



(D)



(A)



(B)


Wichtig ist doch, die Anreize für die Rückkehr in den
ersten Arbeitsmarkt richtig zu setzen. Es geht nicht um
die Ausweitung – Sie haben uns das immer vorgeworfen,
jetzt betreiben Sie es selber – von Arbeitsbeschaffungs-
maßnahmen, also des zweiten Arbeitsmarktes, sondern es
geht um die Brücke in den ersten Arbeitsmarkt. Mit einem
solchen Konzept ist das vernünftigerweise zu machen.

Ich wiederhole: Es geht auch nicht darum, Arbeits-
plätze dauerhaft zu subventionieren. Deswegen sagen
wir: Um das weitere Hineinwachsen in eine gut entlohnte
Vollzeitbeschäftigung zu erleichtern, wollen wir auch die
Brücke zwischen Sozialhilfe, Arbeitslosenhilfe und Ent-
lohnung bauen, die Lücke schließen, die durch die Über-
schreitung von Grenzen entsteht, und schlagen deswegen
vor, dass die Anrechnung des Arbeitseinkommens auf die
Sozialhilfe anders gestaltet wird als heute, dass nämlich
höhere Beträge anrechnungsfrei bleiben und dass die An-
rechnungssätze langsam abgeschmolzen werden.


(Beifall bei der FDP)

Wenn Sie das so machen, meine Damen und Herren,

haben Sie wirklich ein konsequentes Konzept aus einem
Guss, das tatsächlich die Brücke in den ersten Arbeits-
markt schafft. Dies müsste noch ergänzt werden mit der
Aktivierung all der Menschen, die arbeitsfähig sind, aber
heute – aus welchem Grunde auch immer – keine Be-
schäftigung haben, auch um keine Beschäftigung nachsu-
chen. Sie reden selber davon, dass es 700 000 Sozialhil-
feempfänger gibt, die eigentlich arbeitsfähig sind, aber
aus irgendwelchen Gründen nicht in den Arbeitsmarkt in-
tegriert sind. Dieses Problem – darin sind sich übrigens
auch sozialdemokratische städtische Sozialdezernenten
einig – können Sie nur dadurch lösen, dass Sie Sozialhilfe
und Arbeitslosenhilfe zu einer einheitlichen, klar geglie-
derten Leistung zusammenlegen.


(Beifall bei der FDP)

Herr Laumann wollte gerade ein wenig klatschen, aber

er hat sich dann besonnen; denn diesen letzten Schritt
macht die Union auch noch nicht mit.


(Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Welchen denn?)


Aber alle Fachleute sind sich darüber einig, dass dies zu-
sammengelegt werden muss. Erst dann können Sie nach
dem Konzept „Fördern und fordern“ in diesem Bereich
wirklich eine aktivierende Sozialpolitik betreiben.


(Beifall bei der FDP)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, es gibt eine

Menge Ansätze in dem Unionsantrag, über die wir sicher-
lich weiter debattieren werden. Wichtig ist aber, dass nach
dem 22. September endlich gehandelt wird.


(Peter Dreßen [SPD]: Wir handeln schon seit dreieinhalb Jahren!)


– Sie haben zwar eine ganze Menge gemacht, aber Sie
hatten keinen Erfolg, Herr Dreßen. 4 Millionen Arbeits-
lose zeigen doch ganz klar, dass Ihr Weg der falsche Weg
ist und dass es deshalb darauf ankommt, etwas anderes zu
machen, um mehr Flexibilität auf dem Arbeitsmarkt zu er-
reichen.


(Beifall bei der FDP)


Die FDPhat ihre Oppositionszeit genutzt. Wir haben gut
durchdachte, sorgfältig formulierte Konzepte vorgelegt.


(Werner Schulz [Leipzig] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das 18-Prozent-Konzept!)


Wir sind gerüstet, Verantwortung zu übernehmen.
Ich danke Ihnen.


(Beifall bei der FDP)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1423404900
Für Bündnis 90/Die
Grünen hat nun die Kollegen Dr. Thea Dückert das Wort.


Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1423405000

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
denke, jedenfalls von uns in den Koalitionsfraktionen ist
niemand so vermessen zu behaupten, dass wir in der Ar-
beitsmarktpolitik das Ziel, nämlich den Abbau der Mas-
senarbeitslosigkeit, vor allen Dingen auch der langen
Dauer von Arbeitslosigkeit, schon erreicht hätten. Das
liegt daran, dass der Reformbedarf enorm groß war, als
wir die Regierung übernommen haben. Aber richtig ist
auch – ich denke, darüber muss man diskutieren –, dass
wir auf diesem langen Weg, den Arbeitsmarkt wieder in
ein Gleichgewicht zu bringen, schon viele zentrale
Schritte zurückgelegt haben.

Ich will an ein paar Dinge erinnern, die Sie von der Op-
position natürlich ablehnen mussten und auch ablehnt ha-
ben, so zum Beispiel an das Job-AQTIV-Gesetz. Frau
Schwaetzer hat gerade behauptet, bei der Arbeitsmarkt-
politik würden wir uns auf den zweiten Arbeitsmarkt kon-
zentrieren.


(Gerd Andres [SPD]: Das haben die gemacht!)

Nein, Frau Schwaetzer, wir haben mit dem Job-AQTIV-
Gesetz ein Gesetz eingeführt, ein altes Gesetz, das Sie jah-
relang fortgeführt haben, verändert, und zwar in einem
ganz zentralen Punkt, dem Paradigma der Arbeitsmarkt-
politik. Es geht nämlich nicht darum, irgendwohin zu ver-
mitteln, nicht darum, zunächst in den zweiten Arbeits-
markt zu vermitteln, die Leute irgendwo abzustellen,
sondern es geht darum, die Leute in den ersten Arbeits-
markt zu vermitteln, sie wirklich maßgeschneidert an der
Person zu beraten, und zwar vom ersten Tag an, und sie
nicht erst lange warten zu lassen, bis sie dann in Maßnah-
men kommen.


(Walter Hirche [FDP]: Die Absicht ist löblich!)


Das haben Sie jahrelang gemacht. Das haben wir geän-
dert.

Ich sagte gerade: Wir haben eine ganze Reihe von
Schritten zurückgelegt.


(Walter Hirche [FDP]: „Zurück“-gelegt, ja! – Dr. Irmgard Schwaetzer [FDP]: „Zurück“ ist schon der richtige Begriff!)


Wir haben die Reform der Bundesanstalt für Arbeit
begonnen, die Sie blockieren wollen. Wir haben – das
war das Zentrale und beschäftigungswirksam – die
Steuerreform begonnen, wir haben die Steuersätze




Dr. Irmgard Schwaetzer

23317


(C)



(D)



(A)



(B)


gesenkt, wir haben die Abgaben gesenkt, beispielsweise
durch die Rentenreform.


(Dr. Irmgard Schwaetzer [FDP]: Taschenspielertricks!)


– Da rufen Sie: „Taschenspielertricks!“ – Wir haben – das
wissen Sie ganz genau – die höchste Steuerlast, die höchste
Abgabenlast, die höchste Staatsverschuldung vorgefunden.
Das alles haben wir heruntergefahren und genau diesen Weg
werden wir weitergehen. Die Wirtschaftswissenschaftler sa-
gen, dass sich dies schon ausgezahlt habe.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Irmgard Schwaetzer [FDP]: Wo denn?)


Wir sind am Ende

(Dr. Irmgard Schwaetzer [FDP]: Ihr seid am Ende!)

einer Talsohle angekommen.


(Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Sie sind am Ende und in voller Talfahrt!)


Ich sage Ihnen, was da passiert ist: Heute, nach dieser
schwierigen konjunkturellen Entwicklung im letzten Jahr,
haben wir 500 000 Arbeitslose weniger als nach der letz-
ten Krise und nachdem wir Ihr Desaster übernommen ha-
ben. Wir haben im Vergleich zu dem, was wir von Ihnen
übernommen haben, 1 Million Beschäftigte mehr. Ich
sage Ihnen: Wir sind eben genau auf dem Weg, die Rah-
menbedingungen weiter zu verbessern.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir werden Ihnen, auch wenn Sie versuchen, dies zu ver-
hindern, zeigen, dass man diesen Weg weitergehen kann,
und zwar mit einer nachhaltigen Finanzpolitik, ohne die
zukünftigen Generationen weiter zu belasten, wie Sie das
vorschlagen, meine Damen und Herren.


(Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Das ist ja Quatsch!)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1423405100
Gestatten Sie eine
Zwischenfrage des Kollegen Brandner?


Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1423405200
Ja.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1423405300
Bitte sehr, Herr Kol-
lege.


Klaus Brandner (SPD):
Rede ID: ID1423405400
Frau Kollegin Dückert, kön-
nen Sie mir Auskunft darüber geben, wie ernsthaft die
CDU ein Thema in der Kernzeit, nämlich das Thema
„Bekämpfung der Arbeitslosigkeit“, nimmt, wenn sie mit
sechs Abgeordneten im Parlament anwesend ist?


Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1423405500

Herr Brandner, entschuldigen Sie, wenn ich Sie korri-
giere. Ich sehe nur vier Abgeordnete der CDU/CSU. –
Ach, dort hinten haben sich noch zwei versteckt.


(Dirk Niebel [FDP]: Wo ist denn die ganze SPD-Fraktion? Herr Brandner, Sie hätten sich umdrehen müssen, um die Reihen zu schließen!)


Nun gut, wie ernst die Abgeordneten der CDU die Ar-
beitsmarktpolitik nehmen, sieht man noch viel besser an
dem, was sie hier vorgeschlagen haben. Dazu wollte ich
gerade kommen. Herr Brandner, schauen wir uns doch
einmal an, was sie vorgeschlagen haben.

Herr Laumann hat behauptet, mit ihren Vorschlägen
zum 630-DM-Gesetz würden sie etwas am Arbeitsmarkt
bewegen, und hat uns gleichzeitig vorgeworfen, dass un-
sere neuen Regelungen ein Abkassiermodell darstellten.
Herr Laumann, es tut mir furchtbar Leid, genau das Ge-
genteil ist der Fall. Was Sie hier vorschlagen, ist ein rei-
nes Abkassiermodell, das auch noch unsozial ist.


(Elke Wülfing [CDU/CSU]: Wo denn? Wer kassiert denn da bei wem? – Dr. Irmgard Schwaetzer [FDP]: Was haben Sie denn da gelesen?)


Ich sage Ihnen auch, an welchem Punkt dies deutlich
wird: Sie schlagen die Wiedereinführung einer Pauschal-
steuer in etwa gleicher Höhe wie bislang die Sozialabga-
ben vor, die dann als Bundeszuschuss an die Sozialversi-
cherung abgeführt werden soll. Die Belastung für die
Arbeitgeber bleibt gleich, aber den Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmern nehmen Sie den sozialen Schutz, den
wir mit unseren Gesetzen verbessern wollten.


(Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Mit 2,18 Euro?)


Sie nehmen diese aus der Sozialversicherung heraus. Dies
ist der Hintergrund. Sie wollen ohne Gegenleistung für
die Versicherten abkassieren und das Geld in die Sozial-
versicherung stecken. Das wollen wir nicht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Walter Hirche [FDP]: Das ist bei der Ökosteuer nichts anderes!)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1423405600
Dies produziert eine
Zwischenfrage. Lassen Sie diese zu? – Ja. Bitte sehr, Herr
Kollege Meckelburg.


Wolfgang Meckelburg (CDU):
Rede ID: ID1423405700
Frau Kollegin,
ich frage Sie: Wollen Sie wirklich den Bürgerinnen und
Bürgern klarmachen, dass es eine soziale Absicherung sei,
wenn das, was an Sozialversicherungsbeiträgen bei ge-
ringfügig Beschäftigten gezahlt wird, am Ende dazu führt,
dass sie dann, wenn sie einen solchen Job ein Jahr lang
haben, eine Rente von 2,18 Euro pro Monat haben?


(Peter Dreßen [SPD]: Es kommt noch die Kinderkomponente dazu!)


Oder anders gesagt: Wenn sie nach 20 Jahren einer sol-
chen geringfügigen Beschäftigung Rente bekommen,
liegt diese dann bei etwa 43 Euro pro Monat. Sie können
doch nicht ernsthaft meinen, dass dies eine soziale Absi-
cherung sei. Das glauben Sie doch wohl selber nicht.


Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1423405800

Lieber Herr Kollege Meckelburg, ich will den Bürgerin-




Dr. Thea Dückert
23318


(C)



(D)



(A)



(B)


nen und Bürgern klar machen – ich glaube, das wissen die
schon – , dass es sozial ungerecht und auch ungerechtfer-
tigt ist, wenn Zeiten, in denen Menschen in geringfügigen
Beschäftigungsverhältnissen stehen, zum Beispiel aus ih-
rer Rentenbiografie herausfallen. Wir haben eine Regelung
geschaffen, damit dies auch dann, wenn die Menschen in
geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen stehen, nicht
passiert.


(Klaus Brandner [SPD]: Verbessern können! – Dirk Niebel [FDP]: Sie müssen 150 Jahre geringfügig arbeiten, um eine Rente auf Sozialhilfeniveau zu bekommen!)


Ich nenne Ihnen noch einen zweiten, einen sozialen
Unterschied zwischen Ihrem und unserem Ansatz. Sie
wollen mit Ihrem Vorschlag zu den 630-Mark-Jobs, mit
dem Sie auch die Grenze nach oben schieben wollen,
gleichzeitig Menschen aus der Arbeitslosenversicherung
herausnehmen, die heute darin abgesichert sind. Deswe-
gen sage ich noch einmal zusammenfassend: Dies ist Ab-
kassieren und gleichzeitig unsozial.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Sie sprechen Punkte an, über die wir hier wirklich dis-
kutieren müssen. Natürlich entsteht durch diese Regelun-
gen die von Ihnen beschriebene Teilzeitmauer. Wir, die
Grünen, haben Modelle vorgelegt, wie diese Teilzeit-
mauer zu überwinden ist. Aber auch hier gibt es einen fun-
damentalen Unterschied zwischen Ihnen und uns. Sie
wollen die Teilzeitmauer durch progressiv gestaltete So-
zialabgaben überwinden. Das bedeutet, dass die Personen
mit einem Arbeitsentgelt zwischen 401 und 800 Euro ei-
nen geringeren Sozialschutz haben. Genau dies ist in un-
serem Modell nicht enthalten.

Sie schlagen ein Einstiegsgeld für Sozialhilfeempfän-
gerinnen und -empfänger sowie Arbeitslosenhilfeempfän-
gerinnen und -empfänger vor. Ich halte diesen Ansatz für
richtig. Er ist und bleibt aber nur richtig, wenn er in ein
sozial verträgliches Konzept eingebunden ist. Wo ist bei
Ihnen diese Einbindung? Ein Einstiegsgeld zum Beispiel
für Transferleistungsbezieher ist doch nur dann sinnvoll,
wenn es sich um einen sicheren Transferleistungsbezug
handelt, wenn die Arbeitslosen- und Sozialhilfe also auf
einem ordentlichen Niveau liegen.

Genau hier setzen Sie mit Ihrer Abkassier- und Kahl-
schlagspolitik an. Dies sagen Sie nicht in Ihrem Antrag,
das sagen Sie auch mit keinem Wort in dieser Debatte,
weil es höchst peinlich ist. Sie schlagen vor, für die Wun-
dertüte von Herrn Stoiber mit dem Familiengeld schlicht-
weg 20 Milliarden Euro aus dem Sozial- und Arbeits-
losenhilfeetat herauszunehmen. Unser Sozialhilfeetat ist
gerade 19 Milliarden Euro hoch. Letzten Endes schlagen
Sie also vor, die Sozialhilfe abzuschaffen. Es tut mir Leid,
aber wenn man Ihre einzelnen Vorschläge und beispiels-
weise Ihre Gegenwehr bezüglich des Mainzer Modells
nimmt, bleibt unter dem Strich: Sozialabbau.

Wir wollen die Flexibilität am Arbeitsmarkt erhöhen,
aber nur auf der Basis einer vernünftigen, verlässlichen
sozialen Sicherung, weil sich sonst die Menschen wegen
der Auswirkungen auf ihre Erwerbs- und Lebensbiogra-

fien den Veränderungen am Arbeitsmarkt mit den damit
verbundenen Anforderungen nicht stellen können. Des-
wegen basieren unsere Vorschläge auf einer soliden so-
zialen Sicherung und sind nicht wie die Vorschläge der
FDP, vor allem aber der CDU, mit dem Abbau von Sozi-
alleistungen verbunden.

Danke schön.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1423405900
Ich erteile dem Kolle-
gen Dr. Klaus Grehn für die PDS-Fraktion das Wort.


Dr. Klaus Grehn (PDS):
Rede ID: ID1423406000
Frau Präsidentin! Liebe Kol-
leginnen und Kollegen! Ich möchte zuerst auf die
Beiträge meiner Vorredner eingehen. Frau Kollegin
Dückert, die Erfolge des Job-AQTIV-Gesetzes halten sich
in Grenzen.


(Dirk Niebel [FDP]: In engen Grenzen! – Walter Hirche [FDP]: Sehr höflich gesprochen!)


Auch die Freigabe der privaten Arbeitsvermittlung und
die Vermittlungsgutscheine sind noch nicht der Renner.


(Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo ist denn Ihr Renner?)


Sie werfen zurzeit mehr Probleme auf, als sie lösen.
Herr Bundesminister, auf Ihre Lobrede auf die Leis-

tungen der Bundesregierung und der sie tragenden Koali-
tion antworte ich Ihnen mit Umfrageergebnissen, die be-
sagen: Nach dem „Politbarometer“ erkennen noch immer
77 Prozent der Befragten die Arbeitslosigkeit als das
wichtigste Problem an,


(Peter Dreßen [SPD]: Auch wir gehören dazu!)

das die Bundesregierung zu lösen hat. Aber, Kollege
Dreßen, 90 Prozent meinen, die Bundesregierung komme
nicht genügend voran. 79 Prozent sind der Ansicht, die
Bundesregierung hätte mehr tun können. Lassen Sie mich
dazu noch eines sagen: Die Einschätzung, dass Sie die Ar-
beitslosigkeit wirksam bekämpfen können, liegt in den
Umfragen zurzeit bei 18 Prozent. Das war einmal anders.
Das sind nun ganz andere Werte, die auf Einschätzungen
der Ergebnisse fußen, die erreicht worden sind.

Hätte jede der vielen Diskussionen, die wir zur Lage
auf dem Arbeitsmarkt, zur Arbeitslosigkeit, zur Beschäf-
tigung und zu den entsprechenden Vorlagen in dieser Le-
gislaturperiode geführt haben, Ergebnisse gebracht und
den Erwartungen zumindest halbwegs entsprochen, wäre
das wichtigste wirtschaftspolitische Ziel, der Abbau der
Massenarbeitslosigkeit, nicht erneut so weit verfehlt wor-
den, wie es in der Tat der Fall ist.

Der heute zu behandelnde Antrag der CDU/CSU-
Fraktion mit einem gewichtigen Titel ordnet sich in den
Rhythmus „Erwartungen wecken und ihnen dann nicht
gerecht werden“ ein. Ähnlichkeiten zur Koalition lassen
sich entdecken, die mit ihren Versprechungen zum Abbau
der Arbeitslosigkeit auch Erwartungen geweckt hat, die,
wie wir sehen, in den vier Jahren nicht erfüllt worden sind.




Dr. Thea Dückert

23319


(C)



(D)



(A)



(B)


Statt wirklicher Neuansätze und wirksamer Vorschläge
enthält der Antrag die schmalspurige Wiederholung von
vielfach bereits vorgelegten Forderungen mit den zum
x-ten Mal verkündeten zentralen Botschaften zu den
325-Euro-Jobs und Kombilohn als arbeitsplatzschaffende
Maßnahmen, die umfassender genutzt werden sollen.
Letzteres ist umso unverständlicher, als die Modellversu-
che in Mainz und im Saarland nichts erbracht haben, wie
Sie selbst feststellen und kritisieren. Kombilohn schafft
keine neuen Jobs. Er drückt nur auf die Tarife.

Wer den Niedriglohnsektormit nicht existenzsichern-
den Löhnen immer stärker ausweitet, muss sich darüber
im Klaren sein, dass Existenzsicherung und Erwerbs-
arbeit entkoppelt werden. Zugleich muss er eine Vorstel-
lung davon entwickeln, auf welche Weise die Existenz-
sicherung dann erfolgen soll.


(Beifall bei der PDS)

Deshalb sollten sowohl die Regierungskoalition als auch
die CDU/CSU ihre Position zur Schaffung von Jobs im
Niedriglohnbereich korrigieren. Wie wenig sich Nied-
riglohn in der Schaffung von Arbeitsplätzen nieder-
schlägt, sehen Sie überdeutlich in den neuen Bundeslän-
dern. Sie sind der Großfeldversuch für Niedriglohn, aber
wahrlich kein Eldorado für Arbeitsplätze. Sie kennen die
Zahlen so gut wie ich.


(Beifall bei der PDS)

So richtig der Vorwurf des Aktionismus angesichts der

vielen erfolglosen Modellprojekte an die Bundesregie-
rung gerichtet ist, so wenig ist die Behauptung empirisch
belegbar, dass die Arbeitslosigkeit nur mit umfassenden
strukturellen Veränderungen am Arbeitsmarkt abgebaut
werden kann. Im Übrigen sucht man in Ihrem Antrag ver-
geblich Vorschläge zur Lösung dieser strukturellen Pro-
bleme. Wir alle wissen, dass es den Königsweg nicht gibt,
sondern dass es vieler komplexer Maßnahmen bedarf.

Wir können nicht erkennen, dass die im Antrag ange-
führten Einzelschritte, wie die Ausweitung des Nied-
riglohnsektors, die Änderung der geringfügigen Beschäf-
tigungsverhältnisse, die Kombination von Verstärkung
des Anreizes zur Arbeitsaufnahme und einer Verstärkung
von Sanktionsmaßnahmen, die Angleichung von Arbeits-
losen- und Sozialhilfe zu Sozialhilfekonditionen, die Kür-
zung von Leistungen der Arbeitsunwilligen, wie Sie sie
nennen, genauso wenig wie die Maßnahmen des Job-
AQTIV-Gesetzes oder die Neustrukturierung der Bundes-
anstalt für Arbeit, einen nennenswerten Beitrag zur Sen-
kung der Arbeitslosenzahlen leisten werden. Der Bestand
an Langzeitarbeitslosen wird vielleicht durch das abneh-
men, was Sie auf dem Arbeitsmarkt tun wollen, nämlich
die Vermittlung zu verstärken. Aber der Bestand an Ar-
beitslosen wird sich dadurch insgesamt nicht verändern.

Alle im CDU/CSU-Antrag enthaltenen Maßnahmen
führen nicht zur Schaffung neuer Arbeitsplätze, weil sie
wie schon so häufig bei den Betroffenen ansetzen. Sie
suggerieren, dass die Ursache der Arbeitslosigkeit sozu-
sagen in subjektiven Defekten der Arbeitslosen zu su-
chen ist. Die Verschärfung von Sanktionen oder die Ver-
stärkung von Anreizen für die Betroffenen ist so lange
unwirksam, wie es nicht in ausreichendem Maße Arbeits-

plätze mit existenzsichernden Einkommen gibt. Das ist
das A und O.


(Beifall bei der PDS)

Wer den Niedriglohnsektor favorisiert, sollte nicht ver-

gessen, dass unqualifizierte Arbeitsplätze am schnellsten
wieder abgebaut werden. Es werden auf diese Weise
Arbeitsplätze subventioniert, die kaum überlebensfähig
sind.


(Beifall bei der PDS)

Daraus erwächst nach unserer Auffassung die Aufgabe,
die arbeitsplatzschaffende Wirkung von Fördermitteln
und Subventionen wirksamer zu kontrollieren, zu stärken
und durch an die Höhe der Subventionen gebundene Ar-
beitsplatzkennziffern zu ergänzen. Das entspräche dem
Titel des CDU/CSU-Antrags: „Arbeitnehmer entlasten –
Vorfahrt für Beschäftigung“.

Ähnliche Möglichkeiten sehen wir für Investitionen,
die stärker am Beschäftigungsziel orientiert und zugleich
intensiviert werden müssen, so zum Beispiel im Bereich
der kommunalen Infrastruktur. Um das zu realisieren, be-
darf es einer Gemeindefinanzreform und zugleich einer
Erhöhung des Anteils der öffentlichen Investitionen am
Bruttoinlandsprodukt.


(Beifall bei der PDS)

Wer unter „Vorfahrt für Beschäftigung“ wahrhaft den

Abbau der Arbeitslosigkeit versteht, sollte auch die Mög-
lichkeiten nutzen, durch eine Umverteilung der Arbeit
und durch den Abbau von Überstunden Arbeitsplätze zu
schaffen. Ein Blick nach Frankreich lehrt uns das.

Dies sind wegen der Kürze der Zeit nur einige Vor-
schläge, die die PDS auf den Tisch legt, um Beschäftigung
auf- und auszubauen. Sie sind erfolgversprechender als
die in Ihrem Antrag aufgeführten Maßnahmen, die für uns
so nicht zustimmungsfähig sind.


(Beifall bei der PDS)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1423406100
Nun erteile ich das
Wort dem Kollegen Gerd Andres für die SPD-Fraktion.


Dr. h.c. Gerd Andres (SPD):
Rede ID: ID1423406200
Frau Präsidentin! Meine sehr
verehrten Damen und Herren! Ich möchte das Haus gleich
zu Beginn meiner Rede darauf hinweisen, dass sich im
Antrag der CDU/CSU mehrere Fehler eingeschlichen ha-
ben. Beispielsweise müsste der Titel dieses Antrags lau-
ten: Arbeitnehmer belasten – Beschäftigung stoppen.


(Dr. Irmgard Schwaetzer [FDP]: Enorm witzig!)


Ich werde das später noch genauer belegen und beweisen.
Ich stelle vorweg die Frage: Was will die Union mit ihren
abenteuerlichen Vorschlägen zur Arbeitsmarktpolitik ei-
gentlich erreichen? Entweder will sie den Bürgerinnen
und Bürgern Sand in die Augen streuen oder der vorlie-
gende Antrag dokumentiert das wahre Niveau ihrer sozi-
alpolitischen Denkkraft.


(Dr. Irmgard Schwaetzer [FDP]: Oh Gott!)





Dr. Klaus Grehn
23320


(C)



(D)



(A)



(B)


Die Arbeitsmarktexperten streiten vielleicht unterei-
nander über die besten Maßnahmen zum Abbau von Ar-
beitslosigkeit oder zum Aufbau von Beschäftigung. Aber
in einem Punkt sind sich alle einig: Es gibt kein Patentre-
zept gegen die Arbeitslosigkeit. Es kann kein Patentrezept
geben, weil die volkswirtschaftliche Problemlage sehr
komplex ist und viele arbeitslose Menschen ganz indivi-
duelle Hilfen brauchen. Gerade deshalb hat die Bundes-
regierung auf das Job-AQTIV-Gesetz gesetzt und es auch
verwirklicht. Gerade deshalb bauen wir die BA zu einer
modernen Dienstleistungsagentur um. Deswegen werden
wir in der kommenden Legislaturperiode nach gründli-
cher Vorbereitung die Arbeitslosenhilfe und die Sozial-
hilfe zusammenführen. Damit werden sich die Chancen
auf berufliche Eingliederung für noch mehr Menschen
weiter verbessern.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Politik
der Bundesregierung braucht sich überhaupt nicht zu ver-
stecken, ganz im Gegenteil. Heute gibt es eine halbe Mil-
lion Arbeitslose weniger als im Vergleichsmonat Ihres
letzten Regierungsjahres, Frau Schwaetzer. An Ihrer
Stelle hielte ich mir diese Zahlen immer vor Augen; dann
hielten Sie hier auch verantwortungsvollere Reden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Lachen der Abg. Dr. Irmgard Schwaetzer [FDP])


Der Abbau der Arbeitslosigkeit ist uns gelungen, ob-
wohl wir eine Schwächephase der Weltwirtschaft durch-
gemacht haben. Ein Managermagazin hat in diesem Zu-
sammenhang von einer „historischen Wende auf dem
Arbeitsmarkt in Deutschland“ gesprochen. Damit wir uns
bei dem Wörtchen „Wende“ richtig verstehen: Es ist eine
Wende zum Besseren gemeint.

Die Bundesregierung hat auf den Weg gebracht, was
machbar und finanzierbar ist. Sie hat viele neue und mo-
derne Konzepte verwirklicht.


(Dr. Irmgard Schwaetzer [FDP]: Irgendwie ist das alles wie das Pfeifen im Wald!)


Trotzdem sind wir nicht so vermessen wie Edmund
Stoiber, den Menschen das Blaue vom Himmel zu ver-
sprechen. Fast 1 Million Arbeitsplätze will Herr Stoiber
durch sein bayerisches Kombilohnmodell herbeizaubern.
Allerdings ist auch diese Zahl herbeigezaubert; irgendein
Fachmann hat sie aus der Luft gegriffen und in die Kon-
zepte geschrieben.


(Klaus Brandner [SPD]: Das war doch kein Fachmann!)


Ein solches Versprechen ist absolut unseriös, aber auch
absolut unbezahlbar. An dieser Frage hat sich der Kollege
Laumann wunderbar vorbeigeschlängelt. Wenn Sie die
Verdienstgrenzen bei geringfügig Beschäftigten auf
400 Euro anheben und von 400 bis 800 Euro die Sozial-
versicherungsbeiträge degressiv gestalten, werden Ar-
beitnehmer zum Beispiel aus dem Schutz der Rentenver-
sicherung gedrängt.

Damit werden Sie Milliardenlöcher in die Kassen der
Sozialversicherung reißen. Herr Laumann, unsere Be-
rechnungen gehen davon aus, dass Ihr Dreisäulenmodell

rund 3,7 Milliarden DM kostet. Sie können ja einmal den
Grips aufbringen und erklären, wie Sie das finanzieren
wollen. Das wäre in einer solchen Diskussion ausgespro-
chen hilfreich.


(Beifall bei der SPD)

Dass ausgerechnet Sie, Herr Laumann, als Obmann der
Unionsfraktion in diesem Zusammenhang die Sozialver-
sicherung als Abkassierer bezeichnen, empfinde ich als
absolut zynisch.


(Beifall bei der SPD)

Wenn Sie das alles zurückführen, dann müssen Sie

auch erklären, wie Sie die Löcher in der Sozialversiche-
rung stopfen wollen. Dann wird man den Bürgerinnen und
Bürgern allerdings sagen müssen, dass die Union gar
keine andere Möglichkeit hätte, als zum Beispiel die Bei-
tragssätze in der Rentenversicherung zu erhöhen oder die
Leistungen zu kürzen.


(Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Das ist doch Quatsch! – Dr. Irmgard Schwaetzer [FDP]: Wenn man so wenig Phantasie hat wie Sie, mag das zutreffen!)


Es gehört zur Redlichkeit einer Konzeption, dass so etwas
nicht verschwiegen wird.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir sind uns
einig, dass die hohen gesetzlichen Lohnnebenkosten – –


(Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Sie wollen das einfach nicht verstehen!)


– Doch, wir verstehen das richtig. Herr Laumann, viel-
leicht darf ich Ihnen noch etwas zur Information sagen,
damit Sie einmal mitrechnen können: Es gibt in der
Größenordnung von 630 bis 830 DM – ich nehme die
D-Mark-Sätze – gegenwärtig rund 250 000 Beschäftigte.


(Dr. Irmgard Schwaetzer [FDP]: Sie wissen nicht, was Sie machen sollen!)


Sie wollen von den pauschalierten Sozialversicherungs-
beiträgen zum pauschalen Steuersatz zurückkehren.


(Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Ja!)

Prüfen Sie einmal folgende Frage: Einen pauschalen Steu-
ersatz kann der Arbeitgeber auf den Betroffenen umlegen,
einen Sozialversicherungsbeitrag nicht. Das war einer der
Gründe dafür, warum wir von der Pauschalversteuerung
weggegangen sind und die Sozialversicherungsbeiträge
pauschalisiert haben.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Das ist wiederum ein Fehler in Ihrem Antrag, der etwas
über die Seriosität Ihres Antrages aussagt.

In der Größenordnung von 830 bis 1 250 DM gibt es
rund 800 000 Beschäftigte, in der Größenordnung von
1 250 bis 1 670 DM nochmals rund 1 Million Menschen,
die ganz normal sozialversichert beschäftigt sind. Wenn
für sie die Grenzen so angehoben würden und so mit ih-
nen umgegangen würde, wie Sie es vorschlagen, dann




Gerd Andres

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(C)



(D)



(A)



(B)


veränderten Sie all diese real existierenden Beschäfti-
gungsverhältnisse dergestalt, dass Sie geringere Sozial-
versicherungsbeiträge nähmen und die geringfügige Be-
schäftigung teilweise ausdehnten. Das aber wollen die
Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen nicht;
wir werden so etwas auch nicht mitmachen. Wir werden
aber im Wahlkampf deutlich machen, welch ein unseriö-
ser und unvernünftiger Vorschlag das ist.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich komme zur angeblichen dritten Säule. Herr
Laumann, dazu kann ich nur sagen: Wunderbar! Es wird
gesagt, es solle eine Subventionierung eingeführt wer-
den. Bei denjenigen, die Arbeitslosengeld bekommen,
wollen Sie 10 Prozent darauf legen, bei denjenigen, die
Arbeitslosenhilfe bekommen, 20 Prozent. Es kommt nicht
darauf an, etwas darauf zu legen, sondern es kommt da-
rauf an, dass diese Menschen in dauerhafte Beschäftigung
kommen und so schnell wie möglich aus den Leistungs-
bezügen herauskommen. Genau das hat diese Regierung
auf den Weg gebracht. Das werden wir fortsetzen.

Ich kann Ihnen sagen – Herr Müller hat das auch dar-
gestellt –, mit dieser Bundesregierung wird es keine
flächendeckende Subventionierung von real vorhandener
Beschäftigung geben.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Was ist denn daran Subventionierung?)


Stattdessen setzen wir auch auf das Mainzer Modell als
einen Versuch. Es steht allen offen, die neue sozialver-
sicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse mit ei-
ner Bezahlung zwischen 325 und 897 Euro annehmen. Ich
betone, dass es sich um eine neue Stelle handeln muss.
Damit verhindern wir, dass bereits Beschäftigte in diesen
Sektor, der bezuschusst wird, hineingedrängt werden.


(Dr. Irmgard Schwaetzer [FDP]: Ihr wisst doch selber, wie leicht das unterlaufen werden kann!)


Meine sehr verehrten Damen und Herren von der
Union, im vierten Punkt Ihres Vorschlages schreien Sie
– Sie können es nicht lassen – nach Kürzungen bei der So-
zial- und Arbeitslosenhilfe. Das ist purer Populismus.
Natürlich weiß man in den Reihen der Union, dass es be-
reits Maßnahmen gibt, wenn ein Arbeitsloser eine zumut-
bare Stelle nicht annimmt. Im letzten Jahr kürzten oder
strichen die Arbeitsämter rund 90 000-mal die Leistun-
gen. Außerdem muss ein Arbeitsloser nach sechs Mona-
ten eine Beschäftigung annehmen, deren Lohn genauso
hoch ist wie das Arbeitslosengeld. Natürlich haben wir die
Instrumente im Job-AQTIV-Gesetz sehr passgenau aus-
gelegt und wollen, dass Arbeitslose nach dem System
„Fördern und Fordern“ stärker gefordert werden.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Trotzdem erzählt die Union immer wieder ein uraltes

Märchen, nämlich das Märchen, dass sich die Arbeits-
losen drücken.


(Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Damit hat Schröder doch angefangen!)


Mit diesem Märchen verhöhnt die CDU/CSU alle Men-
schen in diesem Land, die Arbeit suchen. Ich frage mich,
warum Herr Stoiber das bei seinen Besuchen im Osten der
Republik nicht erzählt. Verschlägt es ihm vielleicht selbst
die Sprache?


(Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Wie war das mit Schröder?)


Die Union begibt sich mit ihren Sprüchen auf das Ni-
veau eines bekannten Fußballspielers aus Bayern, der für
ähnliche Äußerungen gerade für ein Spiel aus der Mann-
schaft geflogen ist. Beim FC Bayern hat das der Trainer
entschieden, über die Konzepte der Union entscheiden die
Wähler und Wählerinnen.


(Dr. Irmgard Schwaetzer [FDP]: Glücklicherweise!)


Ich sage Ihnen vorher: Sie werden keine Mehrheit dafür
bekommen, diese Konzeption um– und durchzusetzen,
weil sie sozial unausgewogen ist, dauerhafte Subventio-
nierung erfordert und schwere Schäden für unsere sozia-
len Sicherungssysteme mit sich bringt. Das werden wir
den Menschen deutlich machen und deshalb für eine an-
dere Mehrheit kämpfen.

Schönen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1423406300
Nun erteile ich das
Wort dem Kollegen Wolfgang Meckelburg für die
CDU/CSU-Fraktion.


Wolfgang Meckelburg (CDU):
Rede ID: ID1423406400
Frau Präsiden-
tin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist dringend not-
wendig, dass wir heute über den Arbeitsmarkt diskutieren.


(Ute Kumpf [SPD]: Das sieht man an der geringen Präsenz der CDU/CSU!)


Die alte Parole der Arbeiterbewegung lautete: „Alle Rä-
der stehen still, wenn dein starker Arm es will.“ Nach drei-
einhalb Jahren Schröder hat man heute den Eindruck, der
Streikposten steht im Bundeskanzleramt nach dem Motto:
„Alle Räder stehen still, wenn die ruhige Hand es will.“


(Beifall bei der CDU/CSU)

Zu diesem Ergebnis muss man kommen, denn es hat sich
auf dem Arbeitsmarkt wirklich nichts bewegt.


(Klaus Brandner [SPD]: Luftnummer!)

Hier reden Sie dauernd davon, dass 1 Million Arbeits-

plätze entstanden sind. Dazu ist zu sagen, dass ein Groß-
teil der Arbeitsplätze, die Sie dauernd anführen, im Be-
reich der geringfügigen Beschäftigung entstanden ist.
Das, was Sie den Leuten vormachen, stimmt also nicht.


(Gerd Andres [SPD]: Das ist erwiesenermaßen unwahr!)


– Hören Sie zu. Erwiesenermaßen schreibt das Ihr eigener
Sachverständigenrat. Vielleicht sollten Sie häufiger die
Broschüren lesen, statt die Bank der Kollegen zu drücken.


(Peter Dreßen [SPD]: Sie sollten bei der Wahrheit bleiben!)





Gerd Andres
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(A)



(B)


Aber vielleicht versuchen Sie ja schon zu üben, wie das
ist, wenn man demnächst die Regierungsbank verlassen
und in die Opposition gehen muss.

Ich will Ihnen vorlesen, was Ihr eigener Sachverstän-
digenrat geschrieben hat. Im Gutachten steht wörtlich:

Die Diskrepanz zwischen dem Beschäftigungsan-
stieg in Personen und demjenigen in Erwerbstätigen-
stunden war im Wesentlichen auf die Zunahme im
Segment der geringfügigen Beschäftigung zurückzu-
führen.

So wörtlich der Sachverständigenrat. Er stellt damit fest,
dass die Zahl der Arbeitsplätze gestiegen ist, aber deutlich
weniger Stunden – das wurde im Bericht des letzten Jah-
res noch deutlicher – gearbeitet wird. Da können Sie doch
den Leuten nicht weismachen, es seien Arbeitsplätze ent-
standen.


(Klaus Brandner [SPD]: Erzählen Sie doch etwas von der Produktivität, Herr Meckelburg!)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir reden heute vor
dem Hintergrund von noch immer 4,156 Millionen Ar-
beitslosen im März des Jahres 2002 über Arbeitsmarkt-
politik.


(Klaus Brandner [SPD]: Nicht mehr lange!)

Das sind im Vergleich zum selben Monat des Vorjahres
noch immer gut 160 000 mehr. Wir reden darüber, dass
unter den unter 25-Jährigen die Arbeitslosigkeit im Ver-
gleich zum selben Monat des Vorjahres um rund 12 Pro-
zent zugenommen hat.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1423406500
Herr Kollege, gestat-
ten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Andres?


Wolfgang Meckelburg (CDU):
Rede ID: ID1423406600
Gerne. Aber
erst möchte ich noch diesen Gedanken zu Ende führen.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1423406700
Gerne.


Wolfgang Meckelburg (CDU):
Rede ID: ID1423406800
Wir stellen fest,
dass Sie das vom Bundeskanzler vorgegebene Ziel, die
Arbeitslosigkeit im Jahr 2002 auf im Durchschnitt
3,5 Millionen zu senken, nicht erreicht haben.


(Dr. Irmgard Schwaetzer [FDP]: Leicht verfehlt!)


Die offizielle und auch von Ihnen selbst genannte Zahl
liegt bei fast 4 Millionen. Wenn Sie darauf mit dem Wort
„Gebetsmühle“ antworten – entsprechende Hinweise gibt
es aus den Koalitionsfraktionen –, dann kann ich Ihnen
nur sagen: Auf Ihr eigenes Ziel muss immer wieder deut-
lich hingewiesen werden. Sie müssen an das erinnert wer-
den, was Sie den Bürgern versprochen haben und was Sie
nicht erreicht haben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1423406900
Nun kommt die Zwi-
schenfrage des Kollegen Andres, bitte sehr.


Dr. h.c. Gerd Andres (SPD):
Rede ID: ID1423407000
Herr Meckelburg, mir liegen
Angaben zur Anzahl der sozialversicherungspflichtig Be-
schäftigten vor. Ich will Ihnen einmal ein paar Zahlen nen-
nen: Im April des Jahres 1998 waren 27 Millionen Men-
schen sozialversicherungspflichtig beschäftigt.


(Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Das bestreitet er ja gar nicht!)


Im April des Jahres 2001 waren 27 800 000Menschen, also
800 000 mehr, sozialversicherungspflichtig beschäftigt.


(Dr. Irmgard Schwaetzer [FDP]: Allein 4 Millionen geringfügig Beschäftigte sind doch da zusätzlich aufgetaucht!)


Sind Sie der Meinung, dass diese 800 000 Menschen ge-
ringfügig Beschäftigte sind?


Wolfgang Meckelburg (CDU):
Rede ID: ID1423407100
Die einzige Er-
klärung dafür ist – vielleicht setzen Sie sich einmal mit
Ihrem Sachverständigenrat auseinander und fragen ihn,
wie er das meint –, dass, wie auch andere bestätigen, ein
Großteil dieses Beschäftigungszuwachses – das Institut
für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung sagt, es seien zwei
Drittel – auf die Neuregelung der geringfügigen Beschäf-
tigungsverhältnisse zurückgeht. Vor der Neuregelung ist
die Zahl der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse
geschätzt worden. Da diese Tätigkeiten mittlerweile, wie
Sie gerade gesagt haben, sozialversicherungspflichtig
sind und dementsprechend Sozialabgaben gezahlt wer-
den, lässt sich ihre Anzahl berechnen. Das ist der Unter-
schied. Viel ist in diesem Zeitraum nicht passiert.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1423407200
Nach der nächsten
Zwischenfrage werden wir zur vorgesehenen Rednerfolge
zurückkehren.

Herr Kollege Andres, bitte.

(Dirk Niebel [FDP]: Er ist ziemlich mittei lungsbedürftig!)



Dr. h.c. Gerd Andres (SPD):
Rede ID: ID1423407300
Ich möchte auf diese Zahl
zurückkommen. Herr Meckelburg, ich gehe davon aus,
dass Sie als Mitglied des Ausschusses für Arbeit und So-
zialordnung sachverständig sind. Sie wissen, dass gering-
fügig Beschäftigte nicht zu den sozialversicherungs-
pflichtig Beschäftigten gezählt werden. Man kann
nachweisen, dass binnen vier Jahren die Anzahl der so-
zialversicherungspflichtig Beschäftigten um 800 000 ge-
stiegen ist. Nehmen Sie zur Kenntnis, dass unter diesen
800 000 zusätzlich sozialversicherungspflichtig Beschäf-
tigten keine geringfügig Beschäftigten sind? Das müssten
Sie normalerweise wissen.


Wolfgang Meckelburg (CDU):
Rede ID: ID1423407400
Das werde ich
so nicht zur Kenntnis nehmen.


(Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Klaus Brandner [SPD]: Sie müssen es aber zur Kenntnis nehmen!)





Wolfgang Meckelburg

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(A)



(B)


Schließlich sind die Aussagen Ihres eigenen Sachverstän-
digenrates klar und deutlich anders.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Sie können hier mit Zahlen so viel herumtricksen, wie Sie
wollen: Im Bereich der Beschäftigungspolitik ist im We-
sentlichen nichts passiert. Was den Rückgang der Ar-
beitslosigkeit angeht, haben Sie deutlich versagt. Sie wer-
den Ihr Ziel in diesem Jahr nicht erreichen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Erika Lotz [SPD]: Das ist böswillig, was Sie sagen!)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1423407500
Lassen Sie eine Zwi-
schenfrage des Kollegen Laumann zu oder möchten Sie
mit Ihrer Rede fortfahren?


Wolfgang Meckelburg (CDU):
Rede ID: ID1423407600
Ja, sicher lasse
ich eine Zwischenfrage zu.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1423407700
Bitte sehr, Herr Kol-
lege Laumann.


Karl-Josef Laumann (CDU):
Rede ID: ID1423407800
Herr Kollege
Meckelburg, können Sie mir bestätigen, dass diejenigen,
die einen 630-Mark-Job ausüben und freiwillig – zusätz-
lich zum Arbeitgeberanteil zur Rentenversicherung – ei-
nen Arbeitnehmerbeitrag an die Rentenversicherung ab-
führen, als sozialversicherungspflichtig Angestellte
gezählt werden?


(Gerd Andres [SPD]: 0,2 Prozent aller geringfügig Beschäftigten!)


Können Sie mir bestätigen, dass der Staatssekretär Andres
insofern eben nur die halbe Wahrheit gesagt hat?


Wolfgang Meckelburg (CDU):
Rede ID: ID1423407900
Das fällt mir
leicht, Herr Kollege Laumann: Ich bestätige Ihnen dies.


(Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Danke schön! Ganz aus Dummsdorf kommen wir auch nicht!)


Auf den Feldern Arbeitsmarkt und Arbeitsmarktpolitik
sind verschiedenste Bereiche zu beackern.


(Gerd Andres [SPD]: Man muss schon aufpassen, was man erzählt! – Weitere Zurufe von der SPD)


– Wenn ihr fertig seid, dann sagt Bescheid. Dann mache
ich weiter.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1423408000
Nun wollen wir die
Diskussion fortführen. Ich weiß, dass Sozialpolitiker dis-
kussionsfreudige Menschen sind.

Nun hat der Redner das Wort, bitte sehr.


Wolfgang Meckelburg (CDU):
Rede ID: ID1423408100
Wenn wir über
Arbeitsmarktpolitik reden, dann sprechen wir über ver-
schiedenste Bereiche. Festzuhalten bleibt natürlich: In ei-

ner sozialen Marktwirtschaft entstehen Arbeitsplätze in
Unternehmen und nicht durch konkretes politisches Han-
deln. Politiker können nicht bestimmen, wie viele
Arbeitsplätze da sind. Aber die Politik schafft die Rah-
menbedingungen dafür, dass in Unternehmen Arbeits-
plätze entstehen können. Die Bedingungen dafür sind in
den letzten Jahren schlechter geworden. Wir brauchen
dringend eine Mittelstandspolitik, die dem Mittelstand
wirkliche Steuererleichterungen bringt. Wir brauchen
eine Politik, die bei der Arbeitsförderung deutliche Ände-
rungen vornimmt, und zwar was Maßnahmen betrifft, die
den Eintritt in den ersten Arbeitsmarkt fördern.

Wir benötigen auf dem gesamten Feld des Arbeits-
rechts dringend mehr Flexibilisierung. Darüber haben wir
in der letzten Woche im Ausschuss diskutiert.

Eines dieser Felder, auf dem wir wirklich Handlungs-
bedarf sehen und auf dem wir einen Push für den Arbeits-
markt erreichen können, ist der Niedriglohnbereich.
Deshalb haben wir den Antrag zu diesem konkreten Teil-
bereich im Sinne eines Rades im großen Räderwerk des-
sen, was wir tun können, eingebracht. Insofern ist das
Bild, wonach alle Räder stillstehen, zumindest an diesem
Punkt klar: Meine Damen und Herren von der Koalition,
Sie weigern sich konsequent, hier auch nur ansatzweise
Veränderungen vorzunehmen. Worin liegen die Probleme
im Hinblick auf die 325-Euro-Jobs?

Erstens. Durch Sie ist zu viel Bürokratie eingeführt
worden. Nach einer Studie des ISG haben wir festzustel-
len, dass die Zahl der geringfügigen Beschäftigungsver-
hältnisse gegenüber dem ersten Quartal 1999 um 700 000
zurückgegangen ist. Davon entfallen 600 000 auf gering-
fügig Nebenbeschäftigte.

Wir haben festzustellen, dass es 1999 zunächst zu aus-
geprägten Kündigungswellen kam. Von den 1,4Millionen
Arbeitsplätzen, die dabei verloren gegangen sind, wurden
nur rund 50 Prozent wieder besetzt. Die zusätzlichen Kos-
ten für die Betriebe sind zu beziffern. Häufig werden die
Personalkosten durch die sehr komplizierten sozialver-
sicherungsrechtlichen Regelungen zur Meldung der Bei-
tragspflichtigen um bis zu 20 Prozent höher. Es kommt zu
Ausweichreaktionen in die Schattenwirtschaft, im Klar-
text zu Schwarzarbeit statt zu Beschäftigung. Es ist Ihnen
mit dieser Regelung nicht gelungen, verheirateten Frauen
die Aufnahme einer Teilzeit- oder Vollzeitbeschäftigung
zu erleichtern. Lediglich zu 2 Prozent sind bisher sozial-
abgabenfreie Beschäftigungsverhältnisse in sozialversi-
cherungspflichtige Teilzeit- und Vollzeitbeschäftigungs-
verhältnisse umgewandelt worden.

Das heißt, mit Ihrer Novellierung des damaligen
630-DM-Gesetzes, des jetzigen 325-Euro-Gesetzes, ist
mehr Bürokratie und an vielen Stellen der Verlust von Ar-
beitsplätzen erreicht worden. Das muss dringend rück-
gängig gemacht werden. Wir wollen einfache Regelungen
und einen Push in diesem Bereich.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Zweitens. In den Bereich im Niedriglohnsektor, in dem

die Beschäftigten zwischen 630 DM und 1 600 DM ver-
dienen, also bis etwa 800 Euro, muss Bewegung hinein-
kommen. Dort gibt es eine Beschäftigungslücke und da-




Wolfgang Meckelburg
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(C)



(D)



(A)



(B)


mit die Möglichkeit, mehr Menschen in Arbeit zu bringen,
sofern die Regelungen vernünftig und für Arbeitnehmer
akzeptabel sind, weil sie netto einfach mehr in der Tasche
haben, wenn sie in diesem Niedriglohnsektor arbeiten.
Auch in diesem zweiten Bereich wollen wir für mehr Be-
schäftigung sorgen.

Drittens geht es darum, wie wir stärkere Anreize schaf-
fen können, damit Empfänger von Arbeitslosenhilfe, Ar-
beitslosengeld und Sozialhilfe Arbeit annehmen. Auch
auf diesem Gebiet ist sicherlich noch mehr machbar. Des-
wegen haben wir als Union ein Dreisäulenmodell vorge-
legt, das ich Ihnen noch einmal kurz darstellen will, weil
es in der Diskussion etwas verloren gegangen ist.

Dreisäulenmodell bedeutet, dass wir in den drei Berei-
chen, die ich gerade aufgezeigt habe, die Mobilisierung von
mehr Beschäftigung und Wachstum durch Neuregelungen
bewirken. Wir wollen einen Push hineinbringen. Wir wol-
len erreichen, dass den Arbeitnehmern und Arbeitgebern
spürbare finanzielle Vorteile entstehen. Wir wollen Rege-
lungen, die unbürokratisch und praktisch zu handhaben
sind. Wir wollen, dass das einfach, klar und leicht ver-
ständlich ist. Auf die Bürger zuzugehen und ihnen ein An-
gebot zu machen setzt notwendigerweise voraus, dass sie
es zunächst einmal verstehen und dass für die Betriebe
nicht zusätzlich Bürokratie entsteht, sondern die Regelung
einfach zu handhaben ist. Wenn man dann noch sagen
kann: „Du hast netto mehr in der Tasche“, dann ist das ein
Modell, das schon von der Idee her sehr überzeugend ist,
sofern man es in die Praxis umsetzen kann. Das werden wir
nach dem 22. September tun können. Dann wird das ein
großer Schritt in Richtung Beschäftigung sein.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Peter Dreßen [SPD]: Warten Sie es ab!)


Im ersten Bereich wollen wir die Grenze für die Ge-
ringfügigkeit einer Beschäftigung von jetzt 325 auf
400 Euro anheben. Sie, meine Damen und Herren von der
FDP, gehen da etwas weiter, aber ich stelle fest, dass die
Schnittmengen zwischen FDP und CDU/CSU im Hin-
blick auf diesen Bereich sehr groß sind, sodass gerade
hierbei nach dem 22. September große Möglichkeiten be-
stehen werden, sich zu einigen.

Wir wollen die Gleichbehandlung der geringfügigen
Beschäftigung und der geringfügigen Nebenbeschäfti-
gung wieder einführen. Wir wollen die pauschalen So-
zialversicherungsbeiträge wieder abschaffen, die Sie ein-
geführt haben, weil sie einen wahnsinnigen Aufwand an
Bürokratie bedeuten. Wenn Sie mit Zeitungsverlegern,
mit Gebäudereinigern, mit Vertretern des Gaststätten- und
Hotelgewerbes reden, dann werden Sie relativ schnell
hören, wie viel Bürokratie dafür notwendig ist und dass es
für die Betroffenen gar nichts bringt. Ich will die Zahlen
noch einmal nennen, weil es ja wirklich kaum
nachzuvollziehen ist, wenn Sie sagen, über die Sozialver-
sicherungspflicht werde die Rente abgesichert. Wenn man
einen solchen Job ein Jahr ausübt, kriegt man daraus pro
Monat eine Rente von 2,18 Euro. Sie können nicht im
Ernst behaupten, dass eine solche Regelung zur sozialen
Sicherheit im Alter führt.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Eine Rente von 2,18 Euro – ich muss Ihnen ehrlich ge-
stehen, dass ich nicht den Mut hätte, die Worte zu ge-
brauchen, die Sie von der Regierungskoalition immer be-
nutzen.


(Klaus Brandner [SPD]: Sie wollen die Grundsicherung abschaffen und die Älteren in die Sozialhilfe treiben! Da müssen Sie auch die Wahrheit sagen! – Gegenruf des Abg. Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Das ist doch nicht wahr!)


Um es noch an einer anderen Zahl deutlich zu
machen: Arbeitnehmer müssten in der Tat 150 Jahre in
einem solchen 325-Euro-Job arbeiten, um überhaupt
das Niveau von Sozialhilfe zu erreichen. Sie liegen
also mit dem, was sie an sozialer Sicherung erarbeiten
und durch ihre Beiträge bezahlen, unter dem, was
Sozialhilfeempfängern ohnehin zusteht. Wollen Sie je-
mandem klar machen, dadurch entstehe zusätzliche
Sicherheit? Ich glaube, den Versuch sollten Sie ab-
brechen.

Wir wollen die Besteuerung beim Arbeitgeber ab-
schaffen und die Pauschalsteuer von 20 Prozent wieder
einführen. Diese 20 Prozent Pauschalsteuer wollen wir als
Bundeszuschuss in die Sozialversicherung einbringen,
damit dort keine Lücke entsteht und der Betrag, den Sie
bisher über die Sozialversicherungsbeiträge eingebracht
haben, gedeckt wird.


(Gerd Andres [SPD]: Das sind jetzt aber 22 Prozent! Das ist eine Differenz!)


– Gut, die kriegen wir auch noch hin.

(Gerd Andres [SPD]: Sie kriegen alles hin! Sie versprechen das Blaue vom Himmel, Herr Meckelburg! Ungedeckte Schecks!)


Im Vergleich zu der Anzeige, die Sie in den letzten Tagen
aufgegeben haben, ist das ja wirklich ein Popanz. Diese
Anzeige in einem Wahljahr – ich habe sie erst einmal gar
nicht verstanden.


(Gerd Andres [SPD]: Das kann ich mir vorstellen! – Klaus Brandner [SPD]: PISA lässt grüßen!)


In der Anzeige zeigen Sie ein halbes Glas und für das Jahr
2002 noch eines, in dem etwas sprudelt.


(Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Und dafür geben die Steuergelder aus! Das ist das Schlimmste!)


Es glaubt doch kein Mensch draußen, dass in den The-
menbereichen Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und mehr
Beschäftigung irgendetwas in Ihrem Glas sprudelt. Das ist
doch völlig von der Realität entfernt.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Die Flaschen, die das da hereinkippen, kann man noch
nicht einmal sehen. Sie sollten sich schämen, dafür viel
Geld auszugeben und mit so etwas in einem Wahljahr
überhaupt an die Öffentlichkeit zu gehen.


(Widerspruch bei der SPD)





Wolfgang Meckelburg

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Das hat mit Information der Bundesregierung absolut
nichts zu tun.


(Beifall bei der CDU/CSU – Gerd Andres [SPD]: Bei Plakaten haben Sie wohl bessere Erfahrungen! Deswegen ziehen Sie sie aus dem Verkehr!)


Zu der zweiten Säule zwischen 400 und 800 Euro:
Wir wollen, dass durch Bezuschussung linear an-
steigend ein Arbeitnehmeranteil an den Sozial-
versicherungsbeiträgen übernommen wird. Das heißt,
es gibt keine Falle, bei der man von jetzt auf gleich beim
nächsten Euro aus der Regelung herausfällt und voll in
die Sozialversicherungspflicht gerät. Wir wollen den
Korridor zwischen 400 und 800 Euro nutzen, um die So-
zialversicherungsbeiträge linear aufzubauen, sodass die
Beschäftigten im unteren Bereich relativ wenig zahlen
und sich die Beiträge im oberen Bereich an die inzwi-
schen 20,5 Prozent angleichen. Diese Erhöhung ist ab-
gesichert.

Die Arbeitszeit sollte nach unseren Vorstellungen min-
destens 20 Wochenstunden betragen – wir wollen ja nicht
Teilzeitarbeit finanzieren – und die Sozialversicherungs-
abgaben für den Arbeitnehmer bleiben unverändert.

Zur dritten Säule einen letzten Satz: Wenn wir es schaf-
fen, einen Empfänger von Arbeitslosengeld, Arbeitslo-
senhilfe oder Sozialhilfe in einen Job zu vermitteln, in
dem das Nettoeinkommen im ersten Arbeitsmarkt unter-
halb der staatlichen Hilfe bleibt, wollen wir das Einkom-
men zunächst einmal auf die Höhe der entsprechenden
staatlichen Hilfe aufstocken und dann noch einen Zu-
schlag geben, um damit den Anreiz zu schaffen, diesen
Job wirklich anzunehmen.

Ich glaube, dieses Modell ist so überzeugend, dass es
im Bereich Niedriglohn einen Push geben wird. Der Nied-
riglohnsektor ist nicht alles auf dem Arbeitsmarkt, aber er
ist ein wirklich bedeutender Teil, den Sie konsequent aus
den Augen verlieren. Allein das ist ein Grund dafür, Sie
abzuwählen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Doris Barnett [SPD]: Unter Tarif bezahlen! Das ist dann der große Sprung!)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1423408200
Nun erteile ich das
Wort dem Kollegen Werner Schulz für Bündnis 90/Die
Grünen.


(Dr. Irmgard Schwaetzer [FDP]: Herr Schulz, Sie müssen jetzt lachen!)


Werner Schulz (Leipzig) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN): Schon wenn ich Sie sehe, Frau Schwaetzer, geht es
mir gut.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Im Ver-
hältnis zu Ihrem Antrag, Kollege Meckelburg, ist ein Glas
Wasser allerdings klar und erquickend frisch. Das muss
ich Ihnen sagen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Vielleicht wäre es auch besser gewesen, Sie hätten sich
einmal die Umfrage des ökonomischen Panels ange-
schaut,


(Gerd Andres [SPD]: Richtig, ja!)

wonach in unserem Land 49 Prozent der Bürger noch im-
mer glauben, dass die Arbeitsplätze in erster Linie vom
Staat geschaffen werden. Mit Ihrem Antrag, mit der Dis-
kussion, die Sie heute führen, verstärken Sie diesen fata-
len Fehlglauben; denn Sie suggerieren, man könnte das
große Problem der Arbeitslosigkeit mit der Einrichtung
eines Niedriglohnsektors beseitigen.

In der Überschrift Ihres Antrags heißt es dann auch
noch: „Arbeitnehmer entlasten“. Wenn Ihnen das doch ein
paar Jahre früher eingefallen wäre!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Bei Kästner heißt es: „Die schärfsten Kritiker der Elche
waren früher selber welche.“


(Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Das ist mir zu der Überschrift Ihres Antrags eingefallen.
36 Prozent Lohnnebenkosten hatten wir 1990 zu Be-

ginn der deutschen Einheit. Bei gut 42,2 Prozent haben
wir das dann übernommen.


(Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Ich glaube, da war ich aber kein Sozialpolitiker! – Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Gerade Sie müssen wissen, warum!)


In diesem Anstieg verbergen sich die Kosten für die deut-
sche Einheit, die da zweckentfremdet untergebracht wor-
den sind. Das hat dazu geführt, dass Arbeit teuer gewor-
den ist, dass Arbeitnehmer belastet worden sind. Das ist
ein Riesenproblem.


(Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Wie hätten wir das sonst machen sollen?)


Ich glaube nicht, dass man das Problem der Arbeitslo-
sigkeit mit einem Niedriglohnsektor lösen kann, schon
gar nicht, wenn dieser hoch subventioniert wird und auf
der anderen Seite die Sozialkassen belastet werden, wie
Sie das vorhaben. Ich meine, das Problem in unserem
Lande besteht eher darin, dass es in einer Situation von
exorbitant hohen Vorstandsbezügen Arbeitsplätze mit
Löhnen gibt, die nicht existenzsichernd sind. Das ist wirk-
lich ein soziales Problem geworden. Dem müssen wir zu
Leibe rücken. Das sind sicherlich schwierige politische
Verhandlungen.

Ich habe mich gefragt, wie Sie diese Initiative über-
haupt finanzieren wollen.


(Gerd Andres [SPD]: Ja!)

Das sind etwa 2 Milliarden Euro – wenn man das um-
rechnet – die dieses Unternehmen kosten wird.


(Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: 20 Milliarden Euro geben Sie allein für den zweiten Arbeitsmarkt aus!)





Wolfgang Meckelburg
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(C)



(D)



(A)



(B)


Wenn man dann noch berücksichtigt – ich kenne das Kon-
zept noch nicht genau; das ist bisher ja nur in groben Zü-
gen an die Öffentlichkeit gedrungen –, dass Sie auch noch
eine Steuerreform durchführen wollen, die 42 Milliarden
Euro Entlastung bringen soll, und dass Sie auch noch ei-
nen Familienlastenausgleich in Höhe von 24 Milliarden
Euro verkünden,


(Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: 20 Milliarden für den zweiten Arbeitsmarkt!)


dann entsteht da eine Deckungslücke von 68 Milliarden
Euro. Was Sie hier verkünden, ist unseriös und unbezahlbar.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Insofern kann ich das nur zurückweisen.
Frau Schwaetzer – vielleicht könnten Sie mir zuhören,


(Dr. Irmgard Schwaetzer [FDP]: Gern!)

wenn Sie mich zu Beginn meiner Rede schon so freund-
lich begrüßt haben –, wir haben 4,3Millionen Arbeitslose
übernommen. Das ist die Bilanz Ihrer Regierungstätigkeit
gewesen. Zurzeit stehen wir bei unter 4 Millionen und ich
gehe davon aus – ich hoffe das sehr stark –, dass wir vor
der Wahl in diesem Jahr zumindest mit 3,8 Millionen ab-
schließen werden. Was wir damit erreicht haben, ist si-
cherlich nicht das selbst gesteckte Ziel.


(Dirk Niebel [FDP]: Damit haben Sie noch nicht einmal die demographische Entwicklung von 200 000 pro Jahr umgesetzt!)


Aber das ist auch nicht so einfach, wenn die Weltkon-
junktur einbricht und sich die Wirtschaft nicht so ent-
wickelt, wie das zu Beginn der Legislaturperiode aus-
gesehen hat. Jedenfalls sind es 500 000 Arbeitslose
weniger als zu Ihrer Regierungszeit.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1423408300
Herr Kollege, gestat-
ten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Schwaetzer?

Werner Schulz (Leipzig) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN): Ja.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1423408400
Bitte sehr.


Dr. Irmgard Adam-Schwaetzer (FDP):
Rede ID: ID1423408500
Herr Kollege
Schulz, sicherlich wissen Sie, dass die demographische
Entwicklung in den vergangenen Jahren günstig für den
Arbeitsmarkt gewesen ist. Stimmen Sie mir darin zu, dass
allein aufgrund der demographischen Entwicklung ein
Abbau der Arbeitslosigkeit um 200 000 Personen pro Jahr
zu verzeichnen gewesen ist, und stimmen Sie mir darin
zu, dass Sie im Jahre 1998 einen Wirtschaftsaufschwung
übernommen haben, der natürlich zu weiteren Entlastun-
gen am Arbeitsmarkt geführt hat,


(Lachen bei der SPD)

den Sie dann aber leider wieder verspielt haben? Das war
also nicht nur die Weltwirtschaft.


(Jörg van Essen [FDP]: Das war eine sehr gute Frage!)


Werner Schulz (Leipzig) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN): Ich will mich jetzt nicht an den Spekulationen da-
rüber beteiligen, wem dieser Aufschwung von 1998
gehört hat. Auf jeden Fall ist uns dieser Aufschwung zu-
gute gekommen; keine Frage. Aber es hat eine große Rolle
gespielt, dass es in unserem Land eine Wechselstimmung
gab, was die Motivation in der Wirtschaft bewirkt hat.

Die Strategie, die Sie in der Wirtschaftspolitik zurzeit
betreiben, wird nicht aufgehen. Die eine Hälfte ist, wie
wir alle wissen, Psychologie, aber die andere Hälfte ist bei
Ihnen Zweckpessimismus. Sie machen dieses Land
schlecht. Sie reden es runter.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Sie reden auch die Erfolge der Regierung runter. Sie sind
nicht so übermäßig, dass sie unser aller Erwartungen be-
friedigen würden.


(Ilse Falk [CDU/CSU]: Das ist endlich mal die Wahrheit!)


Ich gestehe Ihnen gerne: Auch wir hätten lieber einen
deutlicheren Rückgang der Arbeitslosigkeit gehabt. Aber
der Rückgang ist nicht nur auf die demographische Ent-
wicklung zurückzuführen, sondern es sind 1 Million neue
Arbeitsplätze entstanden. Das sollten Sie berücksichtigen.

Wenn wir Ihrem Modell folgen würden, würde das eine
Menge Geld kosten und relativ wenig bringen. Deswegen
bleiben wir bei dem Job-AQTIV-Gesetz und besserer Ver-
mittlung. Das wird uns mehr Arbeitsplätze auf dem ersten
Arbeitsmarkt bringen.

Ich danke Ihnen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1423408600
Jetzt erteile ich das
Wort der Kollegin Ute Kumpf für die SPD-Fraktion.


Ute Kumpf (SPD):
Rede ID: ID1423408700
Frau Präsidentin! Liebe Kollegin-
nen und Kollegen! Der Antrag der CDU/CSU ist – das
sage ich vor allem mit Blick auf die Kolleginnen und Kol-
legen aus Bayern – ein Produkt aus der Werkstatt des
bayerischen Lüftlmalers Edmund Stoiber: wolkig, wider-
sprüchlich und irreführend.


(Beifall bei der SPD)

Für die Kolleginnen und Kollegen, die Lüftlmalerei nicht
kennen: Das ist die Kunst, Dinge so darzustellen, als seien
sie real vorhanden. Bei genauerem Hinsehen aber ent-
puppen sie sich als Täuschung, erweisen sie sich als Luft-
nummer.

Am Hausgiebel mag das ja vielleicht für jemanden, der
in der Gegend seinen Urlaub verbringt, noch ganz schön
sein, aber die arbeitsmarktpolitische Lüftlmalerei im An-
trag der CDU/CSU, das so genannte Dreisäulenmodell
des Stoiber Edi aus der Bayerischen Staatskanzlei – wahr-
scheinlich diente das als Kopiervorlage für diesen Antrag
und wahrscheinlich hat er heimlich die Feder geführt –,
hätte für den Arbeitsmarkt fatale Folgen. Denn die Vor-
fahrt für Beschäftigung à la CDU/CSU entpuppt sich bei




Werner Schulz (Leipzig)


23327


(C)



(D)



(A)



(B)


genauerem Hinsehen als Rutschbahn in prekäre Beschäf-
tigung, als eine Einladung und Aufforderung an die
Arbeitgeber, bestehende sozialversicherungspflichtige
Beschäftigungsverhältnisse umzuwandeln und aufzu-
splitten. Nicht Vorfahrt für Beschäftigung, sondern der
reinste Verschiebebahnhof wäre die Folge. Auch die in
Aussicht gestellten 800 000 bis 900 000 zusätzlichen Be-
schäftigten – so auch die Meinung von Experten; das
wurde hier schon einige Male angedeutet – ist eine reine
Luftnummer.


(Heinz Wiese [Ehingen] [CDU/CSU]: Die Hälfte wäre doch auch schon was!)


Zur Frage der Subventionen. Ich weiß nicht: Wollen
Sie Investitionen oder wollen Sie sie nicht? Auf der einen
Seite kritisieren Sie uns, was das Mainzer Modell anbe-
langt, auf der anderen Seite führen Sie mit Ihrem Zuschlag
von 10 Prozent eine Dauersubvention ein, die eine Einla-
dung in Bezug auf Mitnahmeeffekte bedeutet, ein Rein in
den und Raus aus dem Arbeitsmarkt, subventioniert oder
nicht subventioniert.

Das alles zusammen ist die stoibersche Rückwärtsrolle
in der Arbeitsmarktpolitik. Hier gilt die Warnung
– ich komme aus Bayern –: Vorsicht vor bayerischen Re-
zepten!


(Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Die sind in Bayern sehr erfolgreich!)


Wie die Weißwurst und die Radlermaß entstanden sind,
will ich hier gar nicht erläutern; das steht in der „Stuttgar-
ter Zeitung“ vom 24. April. Da erfährt man, wie erfinde-
risch und manchmal heuchlerisch der Bayer vorgeht.

Ich will auch an dieser Stelle sagen, was in der Ausei-
nandersetzung im Wahlkampf oft eine Rolle spielen wird:
Bayern ist nicht das bessere Deutschland, wie Sie uns
gerne glauben machen wollen. Rund um den Nockher-
berg, rund um München und um Freising ist der Arbeits-
markt bei einer Arbeitslosenrate von 3,5 Prozent vielleicht
noch in Ordnung; das kann ich auch für Stuttgart sagen.
Aber geht man in die Oberpfalz oder nach Oberfranken,
sieht die Situation schon anders aus, und zwar sehr be-
trüblich. In Bezug auf die Struktur dort – aus dieser Ge-
gend komme ich; da bin ich auch gebürtig – hat sich das
Nord-Süd-Gefälle eisern gehalten. Es ist unter Edmund
Stoiber nicht besser geworden, sondern hat sich sogar
noch verfestigt.


(Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Aber die Schnittzahlen sind wesentlich besser als in Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen usw.! Hören Sie doch auf! – Reinhold Strobl [Amberg] [SPD]: Sagen Sie doch mal die Arbeitslosenzahlen für Bayern!)


Es ist nichts für den Mittelstand gemacht worden, nichts
mit Blick auf Strukturveränderungen.

Würde in Bayern nicht das JUMP-Programm greifen,
dann wären weitere 5 000 Menschen arbeitslos und ohne
Perspektive.


(Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Auch das gibt es überall!)


Noch ein Stichwort – auch hier passt der Vergleich mit
der Lüftlmalerei –: Bildung. Den Bayern und Schwaben
wird nachgesagt, sie seien furchtbar schlau; die Bayern
seien Schlaumeier und die Schwaben Käpsele.


(Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Das sind Sie!)


Aber das Gegenteil ist der Fall. Baden-Württemberg und
Bayern haben Weiterbildung bitter nötig. 21,1 Prozent der
sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in Bayern ha-
ben keine Berufsausbildung. Diese Zahl wird nur noch
von Baden-Württemberg mit 23,2 Prozent getoppt. Der
Bundesdurchschnitt liegt bei 18,4 Prozent.


(Klaus Brandner [SPD]: Entwicklungsland Bayern! – Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: In Nordrhein-Westfalen sind diese alle arbeitslos! So ist es!)


Deswegen ist mir um so unverständlicher, dass die
CDU/CSU das Job-AQTIV-Gesetz abgelehnt hat. Mit
diesem Gesetz soll gerade den Un- und Angelernten Qua-
lifizierungen ermöglicht, Brücken in den ersten Arbeits-
markt und in die Weiterbildung gebaut, der Strukturwan-
del durch eine Qualifizierungsoffensive begleitet und der
Mittelstand für die Zukunft fit gemacht werden.

Ich möchte noch einen weiteren Punkt ansprechen. Er
betrifft Rahmenbedingungen, die für Frauen wichtig sind.
Die Frauen wollen keine billigen Arbeitskräfte sein.


(Dr. Irmgard Schwaetzer [FDP]: Was nützt mir Ausbildung, wenn ich arbeitslos bin?)


Sie wollen nicht einfach abgespeist werden, Frau
Schwaetzer, sondern sie wollen eine gesicherte Teilzeit
und eine berufliche Perspektive. Dazu bedarf es aber ver-
nünftiger Rahmenbedingungen.

Lassen Sie uns auch in diesem Fall nach Bayern und
Baden-Württemberg schauen.


(Dr. Irmgard Schwaetzer [FDP]: Können Sie auch noch etwas zur Sache sagen?)


Bayern und Baden-Württemberg mögen in der Auto-
mobilproduktion Spitze sein. Aber diese Länder sind
Schlusslichter, was die Ganztagsbetreuung anbelangt. In
diesem Bereich sieht es ganz düster aus. Man könnte je-
den Tag vor Scham rot werden. Bayern und Baden-Würt-
temberg sind hinsichtlich der Rahmenbedingungen für die
Beschäftigung von Frauen – wie auch die CDU und CSU
mit ihren Vorstellungen zur Gleichstellung – ein Innova-
tionshemmnis und ein Standortrisiko.

Mit Ihrem altbackenen Frauenleitbild treten Sie den
Frauen auf die Füße.


(Lachen bei der CDU/CSU)

Mütter und Väter werden in Bayern und Baden-Württem-
berg, was den täglichen Spagat zwischen Familie und Be-
ruf anbelangt, alleine gelassen. Um von dieser Betreu-
ungsmisere abzulenken, wedeln Sie mit Ihrem
Familiengeld von 600 Euro. Die Frauen sollen nämlich
nicht auf die dumme Idee kommen, noch mehr auf den Ar-
beitsmarkt zu drängen. Dieses Familiengeld von 600 Euro
ist weder seriös finanzierbar noch sozial gerechtfertigt.


(Beifall bei der SPD)





Ute Kumpf
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(C)



(D)



(A)



(B)


Wir von der SPD stehen den Müttern und Vätern zur
Seite. Wir wollen den Ausbau der Ganztagsbetreuung.
Das ist eine der Rahmenbedingungen, die dafür sorgt,
dass Beschäftigung und Arbeit für Frauen überhaupt mög-
lich ist. Sie tragen, was die Ganztagsbetreuung anbelangt,
ideologische Scheuklappen.


(Zurufe von der CDU/CSU: Oh!)

Wir dagegen wollen Vorfahrt für Beschäftigung – auch für
Frauen. Das beginnt mit der Betreuung. In diesem Bereich
müssen wir einen Schritt nach vorne gehen. In den Ent-
wicklungsländern Bayern und Baden-Württemberg müs-
sen wir eine entsprechende Entwicklungspolitik betreiben.

Vorfahrt für Beschäftigung heißt auch: aktive Arbeits-
marktpolitik, konsequente Förderung beruflicher Aus- und
Weiterbildung, Erhalt und Ausbau der Beschäftigungs-
fähigkeit, Ausgleich regionaler Strukturunterschiede so-
wie Rahmenbedingungen für familienfreundliche und
beschäftigungsorientierte Arbeitszeit.


(Dr. Irmgard Schwaetzer [FDP]: Da kann man sehen, dass fünf Minuten wirklich zu lang sein können!)


Vorfahrt für Beschäftigung, Frau Schwaetzer, bedeutet
auch Fördern und Fordern. Das ist die Politik der ausge-
streckten Hand und nicht der geballten Faust, mit der Sie
sonst den Arbeitsmarkt regieren und auf ihn einschlagen
wollen.

Danke.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dr. Irmgard Schwaetzer [FDP]: Gewerkschaften!)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1423408800
Als letzter Redner in
dieser Debatte hat der Kollege Peter Dreßen, SPD-Frak-
tion, das Wort.


(Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Ist das jetzt nicht vermeidbar? – Dr. Irmgard Schwaetzer [FDP]: Noch einmal fünf Minuten! – Jürgen Koppelin [FDP]: Habt ihr nur Gewerkschaftssekretäre?)



Peter Dreßen (SPD):
Rede ID: ID1423408900
Frau Präsidentin! Meine lieben
Kolleginnen und Kollegen! Da diese Debatte in ihren ei-
genen Reihen auf so wenig Widerhall stößt, muss man sich
schon fragen, warum wir eigentlich 75 Minuten – das ist
auf Ihre Anregung hin geschehen – dafür angesetzt haben.


(Klaus Brandner [SPD]: Sie wollten sogar 90 Minuten!)


Der Titel des Antrages der CDU/CSU „Arbeitnehmer
entlasten – Vorfahrt für Beschäftigung“ klingt zunächst
einmal ganz verheißungsvoll. Allerdings kann man den
Text vergessen. Denn darin sind nur die alten Kamellen
von 1998 enthalten. So ist es, Herr Laumann.


(Beifall der Abg. Erika Lotz [SPD])

Würden die Vorschläge der CDU/CSU umgesetzt, wären
wir schnell wieder bei dem Arbeitslosenstand von 1998.
Da bin ich mir ziemlich sicher.

Beim Lesen Ihres Antrages muss man sich schon die
Frage stellen, woher Sie eigentlich das Selbstbewusstsein
nehmen, im Wahlkampf auf Ihre angebliche Wirtschafts-
kompetenz zu setzen. In Ihrem Antrag haben Sie kein
Wort darüber verloren – das wurde heute schon mehrmals
gesagt –, wie Sie die Anhebung der Grenze für die ge-
ringfügige Beschäftigung von 325 auf 400 Euro und da-
rüber eigentlich finanzieren wollen.


(Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Doch!)

– Nein, darüber ist kein Wort enthalten.


(Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Bei 20 Milliarden für ABM ist das eine Kleinigkeit! – Klaus Brandner [SPD]: Mit heißer Luft!)


Jeder anständige Kaufmann muss sich überlegen – wenn
er weniger Einnahmen oder mehr Ausgaben hat –, ob er
aus der eigenen Schatulle das Minus auffüllt oder ob er
zur Bank geht. Ich fürchte, Sie wollen wieder zur Bank
gehen. Schulden machen – und sonst nichts – war in den
16 Jahren Ihrer Regierung Ihr Credo. Damit können Sie
aber keine Arbeitsmarktpolitik finanzieren.


(Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Die Behauptung, dass bei Ihnen die Schulden zurückgegangen sind, ist falsch!)


Durch die Ausweitung des Mainzer Modells haben
wir schon den Bereich zwischen 325 und 897 Euro Mo-
natsverdienst attraktiv gemacht, und zwar für den Perso-
nenkreis, der eine solche Unterstützung nötig hat, nämlich
für Langzeitarbeitslose und Geringqualifizierte. Diese
Personengruppen werden durch die Umsetzung des Main-
zer Modells von Sozialversicherungsabgaben entlastet,
damit sich Arbeit für sie wieder lohnt.

Nicht nur unter wirtschaftspolitischen Gesichtspunk-
ten ist Ihr Antrag ein Armutszeugnis, sondern auch unter
sozial- und gesellschaftspolitischen. Eine pauschale Sub-
ventionierung des Niedriglohnsektors,wie sie von Ihnen
gefordert wird, kann doch nicht das Ziel sein. Vielmehr
sollte der Schwerpunkt weiterhin auf Qualifizierung und
Weiterbildung gelegt werden. Die Arbeit im Niedriglohn-
bereich soll klar umgrenzten Zielgruppen die Möglichkeit
geben, den Übergang in Arbeit wieder zu schaffen. Nied-
riglohnarbeit soll für uns Sozialdemokraten aber keine
Endstation sein, sondern vielmehr eine Etappe auf dem
Weg zu höherer, qualifizierterer und besser entlohnter
Tätigkeit. Das Verlassen des Niedriglohnbereichs durch
Qualifizierung wird im Antrag der Union jedoch gar nicht
erst in Erwägung gezogen. Das zeigt meines Erachtens,
wessen Geistes Kind Sie sind.

Die CDU/CSU schlägt außerdem vor, bei den 325-Euro-
Jobs eine Pauschalsteuer durch den Arbeitgeber einzu-
führen und diese als Bundeszuschuss in die Sozialversi-
cherung abzuführen. Hier zeigt sich wieder einmal, dass
Sie gar nicht wollen, dass Geringverdiener eigene Renten-
ansprüche erwerben.

Herr Meckelburg, Sie haben vorhin in der Debatte von
einer jährlichen Steigerung von 2,74 DM gesprochen.


(Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: 2,18 Euro!)





Ute Kumpf

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(C)



(D)



(A)



(B)


Ich will Ihnen nur sagen, dass die Geringverdiener, wenn
sie ihren Eigenbeitrag erbringen, natürlich Anspruch zum
Beispiel auf eine Erwerbsminderungsrente und auf Reha-
bilitationsmaßnahmen haben. Ganz ohne Gegenleistung
erfolgt dieser Beitrag also nicht.

Das heißt konkret: Sie wollen vor allen Dingen nicht,
dass Frauen – sie sind diejenigen, die zu einem maßgeb-
lichen Anteil diese Beschäftigungsverhältnisse eingehen –
eigenständige Rentenansprüche erwerben können. Sie
bekämpfen also nicht nur die positive Entwicklung auf
dem Arbeitsmarkt, Sie verhindern auch noch die gesell-
schaftliche Modernisierung und stellen sich gegen die
Rechte von Frauen auf größere materielle Unabhängig-
keit. Ich bin gespannt, ob die Vorsitzende der Frauen-
Union, Kollegin Böhmer, diesen Antrag mitträgt.


(Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Natürlich!)


Da Frauen nach Ihrem Weltbild aber ohnehin nur ins
Heim und an den Herd gehören,


(Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Hören Sie mit dem Unsinn auf!)


wundere ich mich nicht, dass wir uns über solche Anträge
hier in diesem Hause unterhalten müssen.

Sie streben eine Entlohnung, die dem Tarifvertrag bzw.
den örtlichen Bedingungen entspricht – nach dem Main-
zer Modell erfolgt eine solche –, offensichtlich nicht an.
Dies bedeutet ein weiteres Aushebeln der Tarifverträge.
Dem Arbeitgeber soll es ermöglicht werden, zu möglichst
niedrigen Löhnen einzustellen. Auf eine sozialverträgli-
che Entlohnung der Arbeitnehmer legen Sie also offen-
sichtlich keinen Wert. Mit Ihren Forderungen können Sie
die Arbeitnehmer nicht entlasten, geschweige denn der
Mehrbeschäftigung Vorfahrt geben.

Ich möchte Ihnen deshalb einige Vorschläge machen,
damit Sie sich bei Ihrem nächsten Antrag nicht erneut bla-
mieren müssen. Das Schöne an diesen Vorschlägen ist,
dass sie schon umgesetzt sind und sich in positiver und
nachhaltiger Weise auf den Arbeitsmarkt auswirken.

Anstatt auf eine flächendeckende und dauerhafte Sub-
ventionierung im Niedriglohnbereich setzen wir auf
Qualifizierung. Wir haben die Ausgaben für Forschung
und Bildung um 8,4 Milliarden erhöht; das sind 16 Pro-
zent mehr als 1998. Im Job-AQTIV-Gesetz haben wir un-
ter anderem durch die Jobrotation auf die Qualifizierung
der Arbeitnehmer gesetzt. Die verstärkte Mitwirkungs-
pflicht der Leistungsempfänger, die Sie fordern, haben
wir im Job-AQTIV-Gesetz mit der Eingliederungsverein-
barung bereits durchgesetzt. Wir haben eine BAföG-Re-
form durchgeführt, wodurch es 80 000 jungen Menschen
mehr möglich ist, ein Studium aufzunehmen.

Wir wollen keine Volkswirtschaft sein, die keine Inno-
vationen mehr hervorbringt und stattdessen niedrig be-
zahlte und niedrig qualifizierte Beschäftigungsverhält-
nisse subventioniert.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Im Gegensatz zur CDU/CSU und besonders zur FDP,
die am liebsten alles dem freien Markt überlassen würde,

haben wir zum Beispiel ein Teilzeitgesetz gestaltet, das
den Wünschen vieler Arbeitnehmerinnen und Arbeitneh-
mer nach Teilzeit entspricht. Es ist doch nichts Schlech-
tes, wenn die vorhandene Arbeit auf mehr Schultern ver-
teilt wird.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Aber es funktioniert nicht! – Dr. Irmgard Schwaetzer [FDP]: Er kann weder lesen noch zuhören! –)


Lassen Sie mich Ihnen zum Abschluss noch eine For-
derung unseres zur Debatte stehenden Wahlprogramms,
das ich voll teile, mit auf den Weg geben. Dort steht:

Die Globalisierung ist Realität. Sie stoppen zu wol-
len ist illusionär. Ihr freien Lauf zu lassen ist gefähr-
lich. Sie zu gestalten und ihre Potenziale für alle zu
nutzen – darauf kommt es an.

Das sollten Sie sich für die Zukunft überlegen, damit
Sie solche Anträge, die tatsächlich sehr unsozial sind, in
Zukunft hier nicht mehr vorlegen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1423409000
Ich schließe die Aus-
sprache.

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 14/8366 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. – Damit sind Sie ein-
verstanden. Dann ist die Überweisung so beschlossen.

Nun rufe ich Tagesordnungspunkt 18 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurfs eines
... Strafrechtsänderungsgesetzes – § 129b StGB

(... StrÄndG)

– Drucksache 14/7025 –

(Erste Beratung 192. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsaus-
schusses (6. Ausschuss)

– Drucksache 14/8893 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Jürgen Meyer (Ulm)

Joachim Stünker
Volker Kauder
Jörg van Essen
Dr. Evelyn Kenzler

Es liegen ein Änderungsantrag der Fraktion der
CDU/CSU sowie ein Entschließungsantrag der Fraktion
der FDP vor.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Auch das ist
so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Ich erteile das Wort dem
Parlamentarischen Staatssekretär Eckhart Pick. Bitte sehr.




Peter Dreßen
23330


(C)



(D)



(A)



(B)


D
Prof. Dr. Eckhart Pick (SPD):
Rede ID: ID1423409100
Frau Präsidentin! Meine Damen und
Herren! Wir schließen heute die Gesetzgebungsberatun-
gen zu einem weiteren wichtigen Instrument zur Bekämp-
fung des Terrorismus ab.


(Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/ CSU]: „Abschließen“ ist übertrieben!)


Bekanntlich besitzt die Bundesrepublik mit den §§ 129
und 129 a des Strafgesetzbuches ein Instrument, mit dem
terroristische Anschläge bereits im Vorfeld wirksam
bekämpft werden können.


(Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Das waren bisher zwei gute Paragraphen!)


Ich darf mit Befriedigung feststellen, dass gerade die
jüngsten Ermittlungen und die damit verbundenen Fest-
nahmen auf dem Gebiet des Terrorismus gezeigt haben,
dass wir eine wehrhafte Demokratie sind


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Jörg van Essen [FDP] – Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Deswegen schränkt ihr es jetzt auch ein!)


und dass unsere Instrumente auch gegriffen haben. Ich be-
danke mich an dieser Stelle bei den Ermittlungsbehörden,
beim Bundeskriminalamt, beim Generalbundesanwalt
und bei allen, die dazu beigetragen haben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Alfred Hartenbach [SPD]: Da könnt ihr ruhig alle klatschen!)


Die terroristischen Strukturen konnten in der Vergan-
genheit in Deutschland zerstört werden. Damit konnte die
Sicherheit der einzelnen Bürger in unserem Lande erhöht
werden, ohne dass damit rechtsstaatliche Grundsätze über
Bord gegangen wären, die dem Einzelnen eine Menge an
Rechten und Möglichkeiten geben, die beeinträchtigt
werden könnten.

Die schrecklichen Anschläge in den Vereinigten Staa-
ten, in Ägypten und jetzt neuerdings auf der Insel Djerba
haben uns wieder deutlich aufgezeigt, dass sich kriminelle
und terroristische Vereinigungen heute nicht mehr auf ein
Land beschränken. Deswegen können wir auch die
Bekämpfung des Terrorismus nicht nur innerhalb unserer
nationalen Grenzen betreiben. Deswegen wird die Zusam-
menarbeit in Europa und darüber hinaus immer wichtiger.
So sieht das übrigens auch die Gemeinsame Maßnahme
der Europäischen Union vom 21. Dezember 1998 vor.

Diesen Anforderungen wird bisher unser Recht nicht in
vollem Umfang gerecht. Denn die §§ 129 und 129 a StGB
sind nur auf Vereinigungen anwendbar, die zumindest
eine Teilorganisation im Inland unterhalten. Das ändern
wir jetzt. Wir erstrecken ihre Anwendung allgemein auf
ausländische Vereinigungen, das aber, wie ich betonen
will, in differenzierter Weise: Auf Vereinigungen in den
Mitgliedstaaten der Europäischen Union wenden wir sie
ohne Einschränkungen an, entsprechend dem Gebot des
Gemeinschaftsrechts in dem von uns gewollten Raum der
Freiheit, der Sicherheit und des Rechts in der EU.

Gegen die allgemeine Einbeziehung von Vereinigun-
gen außerhalb Europas hat der Rechtsausschuss in seiner
Beschlussempfehlung Bedenken angemeldet. Das ist ver-
ständlich. Die vorbehaltlose Einbeziehung ausländischer
Vereinigungen würde die deutschen Strafverfolgungs-
behörden nicht nur vor Kapazitätsprobleme stellen, son-
dern vor allem negieren, dass die §§ 129 und 129 a auf die
Verhältnisse innerhalb einer stabilen demokratischen
Ordnung zugeschnitten sind, aber auf Staaten, die diesen
Anforderungen nicht entsprechen, nicht uneingeschränkt
passen. Deshalb enthält die Beschlussempfehlung einen
Änderungsvorschlag, der diesen Bedenken Rechnung
trägt. Er sieht vor, dass Beteiligungshandlungen in außer-
europäischen kriminellen und terroristischen Vereinigun-
gen nur dann vom deutschen Strafrecht zu erfassen sind,
wenn sie einen persönlichen oder räumlichen Bezug zum
Inland aufweisen.

Ein weiterer sachgerechter Filter, um die Strafverfol-
gung auf die angestrebten wichtigen Aktionen zu konzen-
trieren, liegt in der vorgesehenen Ermächtigung durch das
Bundesministerium der Justiz.


(Beifall bei der SPD)

Die vorgesehenen Hinweise zur Ausübung des Ermes-

sens tasten den Grundsatz nicht an, dass die Ermächtigung
zur Strafverfolgung nicht gerichtlich nachprüfbar ist, son-
dern rufen dazu auf, solche Entscheidungen nur unter An-
legung eines strengen Maßstabs zu treffen.

Ich halte es auch für richtig, die Tathandlung des Wer-
bens auf aktives Werben um Mitglieder oder Unterstüt-
zer zu konzentrieren. Es ist vernünftig, die Tathandlung
auf das zu konzentrieren, was wir für strafbar und verfol-
genswert halten. Das ist das Werben um Unterstützer oder
Mitglieder, aber nicht etwa ein Bericht über gewaltsame
Auseinandersetzungen im Ausland, bei dem sowieso im-
mer schwer zu entscheiden sein wird, ob er nun einseitig
ist oder ob er bereits eine strafbare Werbung für eine Sa-
che enthalten kann. Die Entscheidung sollte umso leich-
ter fallen, als die §§ 84 und 85 StGB seit jeher auf diese
Tathandlung verzichten, ohne dass Unzuträglichkeiten
bekannt geworden wären.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich finde es
gut, dass die Beratungen zu diesem wichtigen Thema
heute abgeschlossen werden. Ich hoffe, dass der Gesetz-
entwurf in dieser Fassung eine Mehrheit findet. Ich
meine, wir alle hoffen, dass er die in ihn gesetzten Erwar-
tungen letztlich auch erfüllen wird.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1423409200
Für die CDU/CSU-
Fraktion erhält das Wort Dr. Wolfgang von Stetten.


Dr. Freiherr Wolfgang von Stetten (CDU):
Rede ID: ID1423409300

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Her-
ren! Man glaubt es eigentlich nicht: Da legt die Bundes-
regierung mit Datum vom 4. Oktober 2001, wenige Wo-
chen nach den Anschlägen vom 11. September in New
York und Washington, einen vernünftigen Entwurf eines






(C)



(D)



(A)



(B)


Strafrechtsänderungsgesetzes vor mit einem einzigen
neuen, übersichtlichen Paragraphen, dem § 129 b, mit
nicht einmal einem Dutzend Worten. Es heißt:

Die §§ 129 und 129 a gelten auch für Vereinigungen
im Ausland.

Eigentlich eine hervorragende Sache. Wir hätten das un-
terschreiben können. Aber wir haben uns zunächst einmal
verwundert die Augen gerieben, dass die Bundesregie-
rung so schnell war; denn seit Jahren erheben wir diese
Forderung.


(Lachen bei der SPD – Alfred Hartenbach [SPD]: Sonst schreit ihr immer, wir würden mit der Brechstange arbeiten!)


– Lesen Sie doch unsere Leitlinie zur inneren Sicherheit
vom Juni 2001; dann wissen Sie, dass wir dies schon
lange gefordert haben, um der internationalen Krimina-
lität einen Riegel vorzuschieben.


(Joachim Stünker [SPD]: 16 Jahre lang haben Sie das machen können!)


Die Freude war aber verfrüht, lieber Herr Stünker. Die
Bundesregierung hatte wahrscheinlich den Gesetzentwurf
vorgelegt, ohne ihn mit ihren grünen Partnern und den
Softies in den eigenen Reihen abzustimmen.


(Alfred Hartenbach [SPD]: Gestern hat Herr Geis mehr Toleranz gerfordert!)


Vielleicht war es auch Zufall, dass der Gesetzentwurf
drei Wochen nach dem 11. September kam; denn man be-
rief sich ja auf die Maßnahmen der EU vom 21. Dezem-
ber 1998, betreffend die Strafbarkeit der Beteiligung an
kriminellen Vereinigungen in den Mitgliedstaaten der EU.
Die Mitgliedstaaten wurden also verpflichtet, die Vereini-
gungen unabhängig vom Ort der Tätigkeit zu verfolgen.

In dem Entwurf war noch keine Rede von Beschrän-
kungen auf Mitgliedstaaten der EU. Dies ist in dem nun-
mehr vorliegenden Entwurf schon die erste Verwässe-
rung, um sich einen Rückweg offen zu halten, wenn diese
kriminellen Vereinigungen oder die Taten dieser Vereini-
gungen nicht unmittelbar einen spezifischen Inlandsbe-
zug haben. „Filter“ nennen Sie das, Herr Staatssekretär;
wir nennen das „Aufweichen“.


(Alfred Hartenbach [SPD]: Rechtsstaatlicher Filter, Herr von Stetten!)


Die Begründung ist auch nichts als Prosa, weil das Op-
portunitätsprinzip im Strafrecht in Verbindung mit dem
Völkerrecht gilt und durch den § 129 b StGB nach dem al-
ten Entwurf nicht ausgehebelt worden wäre. Insbesondere
der letzte Satz, in dem viele unbestimmte Rechtsbegriffe
enthalten sind und in dem es heißt

... ob die Bestrebungen der Vereinigung gegen die
Grundwerte einer die Würde des Menschen achten-
den staatlichen Ordnung oder das friedliche Zusam-
menleben der Völker gerichtet sind und bei Abwä-
gung aller Umstände als verwerflich erscheinen.

ist schön blumig und flauschig; aber das gehört in einen
Strafgesetzbuchparagraphen nicht hinein.


(Zuruf von der CDU/CSU: Das könnte man fast im Versmaß vortragen!)


– Ja, so ist es.
Es ist nicht schwer, vorherzusehen, dass dann rein po-

litische Entscheidungen getroffen werden, die mit Recht
und Rechtsprechung wenig zu tun haben.

Die langen und ausschweifenden Bestimmungen des
neuen § 129 b könnte man ja noch hinnehmen, aber nicht
die Entschärfung des § 129 Abs. 1 und des § 129 a Abs. 3.

Herr Ströbele meinte ja im Rechtsauschuss, man könne
für die Bildung krimineller Vereinigungen, für die Bil-
dung terroristischer Vereinigungen anständig werben.


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat er überhaupt nicht gesagt! Das ist unglaublich!)


Er hat durchgesetzt, dass es nur strafbar sein darf, wenn
man „um Mitglieder oder Unterstützer wirbt. Warum diese
Verschlechterung, wenn nicht ein Freiraum für Gesin-
nungstäter geschaffen werden soll, die oftmals viel
schlimmer sind als die, die durch moralische und physische
Unterstützung mehr Unheil anrichten als die Täter selbst?


(Beifall bei der CDU/CSU – Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach du liebe Güte!)


Deren strafloses Werben endet nach Herrn Ströbele nur
dann, wenn für die Mitgliedschaft geworben wird.


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann bestraft man also nur noch die Gesinnungstäter und nicht mehr das In-die-LuftSprengen, oder wie?)


Das können wir nicht hinnehmen. Daher haben wir ei-
nen Änderungsantrag gestellt, den wir Sie zu unterstützen
bitten. Wenn er nicht unterstützt wird, werden wir das Ge-
setz später wieder ändern.

Richtigerweise wurden letztlich nur, weil sonst keine
Logik vorhanden gewesen wäre, die §§ 73 d und 74 a StGB
– Verfall des erlangten Wertersatzes bzw. Einziehung von
Gegenständen – aufgenommen. Das gilt im Übrigen auch
für die Aufnahme der Bestimmungen des § 261des StGB,
dem so genannten Geldwäscheparagraphen, wobei es
natürlich Unsinn ist und unlogisch gewesen wäre, diese
Maßnahmen auf kriminelle Vereinigungen nicht anzu-
wenden. Das Gleiche gilt für die §§ 138 und 139. Ich
glaube, dies wäre nicht notwendig gewesen, sondern der
erste Gesetzentwurf hätte gereicht.

Wir hätten in dem Gesetzentwurf gerne noch mehr un-
tergebracht. Nachdem Herr Ströbele schon auf das Justiz-
ministerium und auf die Regierung bzw. auf die Roten
Druck ausgeübt hat, haben wir unsere Anträge gestellt.
Sie wurden verworfen. Das Opferentschädigungsgesetz
wäre besser gewesen – übrigens unterstützen wir den An-
trag der FDP insoweit – und es wäre auch dringend erfor-
derlich gewesen, § 112 a StPO zu verändern, um die Haft-
gründe zu verschärfen.


(Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Natürlich!)

All dies ist leider nicht geschehen. Sie boxen vielmehr

in alter Manier Gesetze durch, ohne auf Einzelheiten ein-
zugehen,


(Beifall bei der CDU/CSU)





Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten
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(B)


und das in Anbetracht des Anschlages von Djerba und
der Verhaftungen der letzen Woche, die zeigen, dass die
Decke, unter der wir hier leben, sehr dünn ist. Wir sollten
– und zwar gemeinsam, meine Damen und Herren von der
Koalition – alles tun, um diese neue Generation von Ter-
rorismus zu bekämpfen. Da darf nichts weichgespült wer-
den, sondern da muss man hart vorgehen, damit wir Si-
cherheit in der Bundesrepublik Deutschland haben.

Danke schön.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1423409400
Ich erteile dem Kolle-
gen Volker Beck, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.


(Alfred Hartenbach [SPD]: Herr Beck sorgt jetzt für Rechtsstaatlichkeit am Rednerpult!)



Volker Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1423409500

Genau. – Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren!
Uns liegt ein Gesetz vor, das es uns künftig ermöglicht,
terroristische Vereinigungen im Ausland in Deutschland
eindeutiger strafrechtlich als Organisationsdelikt zu ver-
folgen, und zwar auch dann, wenn sie hier in Deutschland
keine organisatorischen Einheiten bilden.

Das bringt zum Ausdruck, dass die Koalition an ihrem
Kurs festhält, gegen Terrorismus im In- und Ausland glei-
chermaßen energisch vorzugehen. Ich glaube, Herr von
Stetten, wir haben uns hier wirklich nichts vorzuwerfen.
Wir haben mit dem Sicherheitspaket, mit der Veränderung
des Vereinsgesetzes und weiteren Maßnahmen eine ganz
große Zahl von Initiativen – gesetzgeberisch und tatsäch-
lich – ergriffen, um die Sicherheit in Deutschland zu ver-
bessern.


(Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/ CSU]: Warum ändert ihr dann den § 129 und den § 129 a? Das ist ein Unsinn!)


Dass es beim § 129 b ein bisschen gedauert hat, liegt
einfach daran, dass er eine komplizierte Materie aufgreift.


(Zuruf von der CDU/CSU: Herrjemine! In einem Satz hätte man das regeln können!)


Diese Koalition hat sich vorgenommen, Sicherheits-
maßnahmen zu ergreifen, aber sie auf das Rechtsstaat-
liche und Verhältnismäßige zu begrenzen. Das ist die
Stärke unserer Politik.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Zuruf von der CDU/CSU: Oh Gott! – Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass! Das ist das Gesetz!)


– Herr Gehb, Sie rufen: „Wasch mir den Pelz, aber mach
mich nicht nass!“ Das ist nicht der Punkt. Aber zu sagen,
es gehe in der Innenpolitik um Eigenschaften wie „weich“
oder „hart“, das ist falsch. Man muss das Problem lösen
und nicht den starken Macker markieren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Es löst das Problem nicht!)


Wir haben bei dem Problem der terroristischen Verei-
nigungen im Ausland einfach unterschiedliche Situatio-
nen zu berücksichtigen. Innerhalb der Europäischen
Union haben wir es zweifelsfrei überall mit demokrati-
schen Rechtsstaaten wie der Bundesrepublik Deutsch-
land zu tun. Deshalb kann man terroristische Vereinigun-
gen überall in der Union unter denselben Bedingungen
rechtsstaatlich strafrechtlich verfolgen wie in Deutsch-
land selbst auch. Das tun wir.

Außerhalb der Europäischen Union gibt es ebenfalls
Demokratien und Rechtsstaaten. Es gibt aber auch Dikta-
turen und Unrechtsregime, nicht zuletzt das Taliban-Re-
gime, das bis vor kurzem in Afghanistan sein Unwesen
trieb. Wer dagegen auch mit gewalttätigen Mitteln vor-
geht, wie die mit uns verbündete Nordallianz, kann nicht
allen Ernstes mit einer Vereinigung über einen Kamm ge-
schoren werden, die sich gegen eine Demokratie und ei-
nen Rechtsstaat wendet.


(Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/ CSU]: Da gilt das so genannte Opportunitätsprinzip!)


Diesem Umstand – Herr von Stetten, das mag Ihnen nicht
passen – haben wir Rechnung getragen.

Würden Ihre Vorstellungen hier durchgehen und hätte
das Gesetz vor 20 Jahren schon gegolten, hätten wir zum
Beispiel Nelson Mandela, den Friedensnobelpreisträger
und ehemaligen Führer des African National Congress,
festnehmen müssen, als er hier in Deutschland aufgetre-
ten ist und wir ihm, weil er ein Kämpfer für die Men-
schenrechte ist, selber zugejubelt haben,


(Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Das ist barer Unsinn!)


weil er gleichzeitig der Vorsitzende einer Organisation ist,
die auch zu Gewalt als Mittel der politischen Auseinan-
dersetzung gegriffen hat.


(Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/ CSU]: Sie sind gar nicht orientiert!)


Diese Gewalt mag man nicht billigen. Aber die Men-
schen allein wegen der Mitgliedschaft in einer solchen
Vereinigung strafrechtlich zu verfolgen oder gar diejeni-
gen, die zu einer Podiumsdiskussion mit ihnen einladen,
unter das Strafrecht zu stellen ist einfach absurd und zeigt,
dass Sie in der Innenpolitik jedes Maß verloren haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Herr Beck, Sie haben keine Ahnung vom Opportunitätsprinzip! Darüber gibt es ganze Bücher!)


Wir haben hier – das scheint Ihnen besonders aufzu-
stoßen – das Werben aus § 129 a StGB zurückgestutzt auf
das gezielte Werben um Mitglieder und Unterstützer. Dies
ist eine vernünftige Sache,


(Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Nein!)


weil in der Vergangenheit allein schon die politische Iden-
tifikation mit dem Ziel und nicht mit den terroristischen




Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten

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Mitteln der Vereinigung Anlass für eine strafrechtliche
Verfolgung war.


(Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Der Hehler genauso wie der Stehler!)


In den letzten Jahren hat dieser Tatbestand allerdings
kaum noch Wirkung gehabt. Das BMJ hat dies einmal un-
tersucht: 1999 gab es fünf Verfahren, im Jahre 2000 gab
es überhaupt keines. Deswegen ist Ihre Aufregung an die-
sem Punkt künstlich.


(Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Der Anstifter wird wie der Täter behandelt!)


Wir drängen hier das Gesinnungsstrafrecht zurück.
Auch angesichts dessen, dass wir hier notwendige Si-
cherheitsmaßnahmen ergreifen, bin ich stolz darauf, dass
diese Koalition


(Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/ CSU]: Das wieder kaputtmacht!)


so viel Verstand aufbringt, um in einer solchen Debatte
das Notwendige zu tun, auch wenn Sie versuchen, das
Klima aufzuheizen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das musste aber mal gesagt werden!)


Wir haben bei der strafrechtlichen Verfolgung von Ver-
einigungen im Ausland, die wir in Zukunft haben werden,
für einen Filter gesorgt, indem das Bundesjustizministe-
rium in Zukunft prüfen muss, ob eine Ermächtigung zur
strafrechtlichen Verfolgung erteilt wird. Dabei sollen be-
stimmte Erwägungen eine Rolle spielen. Dies sind For-
mulierungen, die Sie eigentlich kennen müssten. Sie
stammen nämlich zum einem aus dem Sicherheitspaket
und zum anderen aus unserer Verfassung,


(Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/ CSU]: Deswegen brauchen wir sie nicht zu wiederholen!)


wie „das friedliche Zusammenleben der Völker“. Dies ist
ein vernünftiger Schritt. Dies ist wichtig; denn es ist nicht
immer garantiert, dass eine so herausragende Justizminis-
terin wie die jetzige dieses Amt bekleidet.


(Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/ CSU]: Herausragender Staatssekretär!)


Es könnte ja sein, dass wir nach 16 Jahren einmal bedauer-
licherweise einer anderen Koalition Platz machen müssen.


(Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Das wird schon im Herbst passieren!)


Dann ist aber gewährleistet, dass die Gerichte überprü-
fen können, ob diese Erwägungen bei der Ermächtigung
zu den strafrechtlichen Ermittlungen eine Rolle gespielt
haben.


(Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/ CSU]: Beck fordert den Rücktritt von Justizministerin!)


Deshalb ist dies ein relevanter Filter. Dies ist nicht nur
Schmus, sondern greift das schwierige Problem auf, dass

wir Terrorismus bekämpfen, aber Freiheitsbewegungen in
ihren politischen Auseinandersetzungen nicht behindern
und insbesondere den Dialog mit ihnen auch in unserem
Land führbar machen wollen.

Der Aufruf zu terroristischen Straftaten bleibt un-
abhängig von dem § 129 b nach § 111 StGB selbstver-
ständlich strafbar, wenn er hier in Deutschland erfolgt.
Führen Sie deshalb eine präzisere Diskussion, dann brau-
chen Sie hier auch nicht so aufgeregt zu sein!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Sie liegen völlig daneben, Herr Beck!)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1423409600
Für die FDP-Fraktion
hat jetzt der Kollege van Essen das Wort.


(Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/ CSU]: Nun wollen wir etwas Sachliches hören!)



Jörg van Essen (FDP):
Rede ID: ID1423409700
Frau Präsidentin! Liebe Kol-
leginnen und Kollegen! Alle meine Vorredner haben bis-
her von terroristischen Tätern gesprochen. Es ist sicher-
lich auch richtig, dass wir in diesem Bereich etwas
unternehmen müssen. Wir haben von den Strafverfol-
gungsbehörden gehört, dass Mängel in unserem Straf-
recht dazu geführt haben, dass in der Vergangenheit be-
stimmte Untersuchungshandlungen nicht durchgeführt
werden konnten. Wir als FDP sind grundsätzlich froh,
dass diese Lücke geschlossen wird.

Ich möchte aber darauf hinweisen, dass wir erneut
nicht über die Opfer, zum Beispiel die Opfer des An-
schlags in Djerba, gesprochen haben. Es gibt aber Anlass,
das zu tun.

Am Wochenende haben die Anwälte der Opfer von
Djerba mitgeteilt, dass sie die tunesische Regierung ver-
klagen wollen. Wir haben lesen können, dass diese Kla-
gen voraussichtlich wenig Aussicht auf Erfolg haben. Das
hat die Aufmerksamkeit darauf gelenkt, dass deutsche
Staatsangehörige, die im Ausland Opfer von terroristi-
schen Anschlägen werden, schlechter gestellt sind als zum
Beispiel österreichische Staatsbürger. Österreich hat das
ganz hervorragend gelöst. Es gibt dort nämlich keinen
Unterschied, wo man Opfer wird, ob im Inland oder im
Ausland.

Für die FDP ist klar: Es darf keinen Unterschied geben,
wo jemand Opfer terroristischer Gewalt wird, egal ob im
Inland oder Ausland. Es muss für ihn das Opferentschä-
digungsgesetz gelten.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Deshalb haben wir heute einen entsprechenden Antrag
eingebracht, in dem wir die Bundesregierung auffordern,
dies umzusetzen.


(Alfred Hartenbach [SPD]: Ihr auch?)

Der Bundesinnenminister hat am Dienstag dieser Woche
erklärt, dass er eine solche Initiative der Bundesregierung
vorbereiten wird.




Volker Beck (Köln)

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Umso überraschter war ich, als ich von der Koalition
hörte, dass man unseren Antrag, Opfer besser zu schützen,
ablehnen will.


(Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Das überrascht mich nicht!)


Das kann doch wohl nicht wahr sein!

(Beifall bei der FDP)


So viele Bürger werden in den nächsten Wochen in den
Urlaub reisen. Sie brauchen einen besseren Schutz.


(Joachim Stünker [SPD]: Reiner Populismus!)

Wir verlangen, dass das Gegenstand ist.


(Joachim Stünker [SPD]: Das gehört doch gar nicht zur Sache!)


Unser Antrag ist Gegenstand der heutigen Debatte.

(Beifall bei der FDP – Joachim Stünker [SPD]: Er gehört nicht zu diesem Tagesordnungspunkt!)


– Er gehört hierhin. Bei der Terrorismusbekämpfung darf
man die Opfer nicht vergessen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Es ist sehr interessant, dass die SPD nicht über die Opfer
sprechen will.


(Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Bei der Koalition stehen die Täter zur Debatte!)


Zum Antrag selbst. Es ist ein richtiger Schritt, das
Merkmal des Werbens – darin unterscheide ich mich von
der CDU/CSU und unterstütze die Überlegungen der Ko-
alition – einzuschränken. So wie wir als FDP beim Thema
des Verbots der NPD meinen, ein starker demokratischer
Staat braucht keine Parteien zu verbieten, er muss mit ih-
nen auf andere Weise fertig werden, so sind wir der Auf-
fassung, dass es ein starker demokratischer Staat ertragen
kann, wenn jemand ein T-Shirt mit einer Parole trägt, die
wir als Liberale nicht akzeptieren. Das müssen wir nicht
mit dem Strafrecht lösen.


(Beifall bei der FDP)

Aber es ist für uns inakzeptabel, dass die Koalition in

die Begründung des Gesetzes hineingeschrieben hat, dass
das Werben von Solidaritätsbüros kein Werben ist.


(Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: So ist es!)

Es ist schlicht falsch, Solidaritätsbüros – um ein theore-
tisches Beispiel zu nennen; Sie haben die RAF ange-
führt –, die Unterstützer werben, mit dieser Strafvorschrift
zu erfassen. Ich bin Staatssekretär Pick sehr dankbar, dass
er in der Sitzung des Rechtsausschuss versucht hat, diesen
falschen Satz aus der Begründung herausstreichen zu las-
sen. Er ist an den Grünen gescheitert.


(Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Wie so oft!)

Das macht deutlich, dass die Grünen offensichtlich keine
bessere Bekämpfung des Terrorismus beabsichtigen;


(Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/ CSU]: Das ist der zentrale Satz!)


denn sonst hätte man diesen Satz streichen müssen, der im
Übrigen auch von den Kollegen der SPD so nicht akzep-
tiert wird.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich möchte darauf hinweisen – das ist meine letzte Be-
merkung –, dass wir uns mit der Frage der Beteiligung der
Politik bei der Ermächtigung zur Strafverfolgung auf
ein schwieriges Terrain begeben.


(Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Sehr schwierig!)


Aber ich muss zugeben: Ich habe mögliche Alternativen
überlegt. Im Endeffekt wird es immer eine politische Ent-
scheidung bleiben. Dann macht es Sinn, dies bei dem Mi-
nisterium anzusiedeln, das die Schnittstelle zwischen der
Justiz und der Politik ist. Deshalb wird die FDP dem An-
trag der Koalition, den § 129 b einzuführen und Ände-
rungen am § 129 a StGB vorzunehmen, zustimmen.


(Beifall bei der FDP)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1423409800
Zu einer Kurzinter-
vention erteile ich dem Parlamentarischen Staatssekretär
Eckhart Pick das Wort.

D
Prof. Dr. Eckhart Pick (SPD):
Rede ID: ID1423409900
Vielen Dank, Frau Präsidentin. Ich
nehme den Beitrag von Herrn van Essen zum Anlass – ei-
gentlich wollte ich heute darüber noch nicht reden, weil die
Dinge noch in Vorbereitung sind –, zu sagen, dass die Bun-
desregierung, insbesondere das Bundesinnenministerium
und das Bundesjustizministerium, mit dem zuständigen
Ressort konkret verhandeln – das ist der Finanzminister –,
um Entschädigungen zu ermöglichen. Dies geschieht pa-
rallel zu dem, was wir für die Opfer rechtsradikaler Strafta-
ten in unserem Haushalt bereits verankert haben.

Ich bitte um Verständnis, dass wir noch in Verhandlun-
gen sind. Ich bin aber sicher, dass damit eine Möglichkeit
eröffnet wird, unbürokratisch zu helfen, ohne Rücksicht da-
rauf, wie lange sich die Verfahren hinziehen werden, dass
die Beträge beachtlich sein werden und dass sie insbeson-
dere den Opfern von Djerba zur Verfügung stehen werden.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Jürgen Koppelin [FDP])



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1423410000
Herr van Essen,
möchten Sie erwidern? – Bitte sehr.


Jörg van Essen (FDP):
Rede ID: ID1423410100
Herr Staatssekretär, ich freue
mich außerordentlich über das, was Sie gerade gesagt ha-
ben; denn der Sinn unserer Initiative war es, unseren Bür-
gern, die in den nächsten Monaten in den Urlaub fahren
werden, mehr Sicherheit zu geben. Deshalb würden wir
uns sehr freuen – mit unserer Unterstützung können Sie
rechnen –, wenn wir hier zu einer einvernehmlichen
Lösung kommen könnten.

Herzlichen Dank, dass Sie unsere Initiative offensicht-
lich aufgreifen.




Jörg van Essen

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(B)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1423410200
Hat das Auswirkun-
gen auf den Entschließungsantrag, den Ihre Fraktion ge-
stellt hat?


Jörg van Essen (FDP):
Rede ID: ID1423410300
Nein, wir halten ihn natürlich
aufrecht.


(Alfred Hartenbach [SPD]: Wollen Sie Überweisung beantragen? Das wäre sinnvoll!)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1423410400
Herr van Essen, die
SPD-Fraktion schlägt Ihnen vor, Überweisung zu bean-
tragen. – Sie können ja darüber nachdenken. Ich habe le-
diglich darauf hingewiesen. Ich mische mich aber nicht in
die Arbeit der parlamentarischen Geschäftsführer ein.
Wie könnte ich auch?

Ich erteile das Wort der Kollegin Ulla Jelpke für die
PDS-Fraktion.


Ulla Jelpke (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1423410500
Frau Präsidentin! Meine Damen
und Herren! Schon der bestehende § 129 a StGB – Bil-
dung terroristischer Vereinigungen – ist bei vielen Juristen
und Bürgerrechtsorganisationen zu Recht auf Kritik ge-
stoßen, weil er zu einer breitflächigen Repression gegen
Linke geführt hat. Weniger als ein Zehntel aller Ermitt-
lungen führten zu einem Gerichtsverfahren. Der Rest der
Ermittlungen wird nach monatelangen Observationen,
Hausdurchsuchungen und Beschlagnahmungen irgend-
wann sang- und klanglos eingestellt. Ich erinnere in die-
sem Zusammenhang nur an die jungen antifaschistischen
Gruppen aus Passau und Göttingen.

Der neue § 129 b soll die Verfolgung von Menschen er-
lauben, die sich keiner einzigen Straftat verdächtig ge-
macht haben, die aber eine von anderen Staaten als krimi-
nell oder terroristisch definierte Vereinigung unterstützen.
Die Sicherheit in Deutschland wird damit meines Erach-
tens um kein Jota verbessert. Dafür wächst die Möglich-
keit, dass andere Staaten mithilfe deutscher Staatsorgane
hier lebende Oppositionelle verfolgen können. So werden
die Militärs in der Türkei sicherlich bald eine Liste nach
Deutschland schicken, um ihren Wünschen bezüglich des
Verbots von kurdischen und anderen linken Gruppierun-
gen Ausdruck zu verleihen.

Wer definiert, welche Vereinigung in Pakistan, Burma,
Algerien oder sonst wo terroristisch ist? Welcher Staats-
anwalt entscheidet, dass irgendwo auf der Welt eine Grup-
pierung die Grenzen berechtigter Gegenwehr gegen Re-
pression überschritten hat und deswegen terroristisch ist?
Angesichts der deutschen Zusammenarbeit mit repres-
siven Regimen wie der Türkei, dem Iran und vielen ande-
ren Ländern befürchte ich schlimme Folgen dieses Geset-
zes für hier lebende Flüchtlinge aus diesen Ländern bzw.
für Dritte-Welt-Gruppen und Dritte-Welt-Bewegungen.

Diese Bedenken werden durch das vorliegende Gesetz
im Einzelnen noch verstärkt. So soll künftig die Justiz-
ministerin entscheiden, was als unerlaubte politische Wer-
bung für eine angebliche ausländische terroristische Ver-
einigung verfolgt wird. Entscheidend sind damit keine
strafrechtlichen Kriterien, sondern außenpolitische Inte-
ressen der Bundesregierung.

Des Weiteren sollen angeblich nur Vereinigungen ver-
folgt werden, die einen Staat bekämpfen, der die Men-
schenrechte achtet. Auch das ist eine Gummiformulie-
rung. Wer entscheidet künftig nach welchen Kriterien, ob
ein Staat die Menschenrechte achtet? Gelten dafür in Zu-
kunft die Aussagen des Auswärtigen Amtes oder die Aus-
sagen von Amnesty International?

Seit den 70er-Jahren wird im Übrigen über das heute
zur Abstimmung vorliegende Gesetz immer wieder dis-
kutiert, und zwar mit großen Differenzen. Jetzt soll der
Anschlag in Djerba instrumentalisiert werden, um wieder
einmal ein so genanntes Antiterrorgesetz mit weit rei-
chenden Folgen durchzupeitschen. Dabei wissen Sie alle:
Eine einheitliche Definition von Terrorismus und eine in-
ternationale Antiterrorkonvention gibt es bis heute nicht.
Ich erinnere nur daran, dass beispielsweise eine Defini-
tion des Staatsterrorismus bis heute weltweit nicht geklärt
werden konnte.


Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1423410600
Frau Kollegin, Ihre
Redezeit ist abgelaufen.


Ulla Jelpke (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1423410700
Ich verweise auf die vielen War-
nungen von Menschenrechtlern, dass Kritik und Wider-
stand gegen inhumane Regierungen künftig durch dieses
neue Gesetz verfolgt werden können.

Zum Schluss betone ich, dass alle von Bürgerrechts-
organisationen vorgetragenen Bedenken wieder beiseite
geschoben wurden. Ein solches Gesetz, das in dieser Eile
durchgepeitscht wurde, kann von uns jedenfalls keine Zu-
stimmung erfahren.


(Beifall bei der PDS)



Anke Fuchs (SPD):
Rede ID: ID1423410800
Nun hat der Kollege
Joachim Stünker für die SPD-Fraktion das Wort.

Joachim Stünker (SPD) (von der SPD mit Beifall be-
grüßt): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kolle-
gen! Gestern Abend haben wir noch nach 20:30 Uhr eine
Debatte geführt, die von der Unionsfraktion beantragt war


(Alfred Hartenbach [SPD]: Angezettelt war!)

und unbedingt geführt werden sollte. In dieser Debatte ha-
ben wir uns mit der Toleranz in unserer Gesellschaft be-
schäftigt.


(Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/ CSU]: Eine sehr wichtige Sache!)


Die Union hat uns gesagt, wir müssten Toleranz durch Ge-
und Verbote in unserer Gesellschaft herbeistrafen. Ich
habe gestern Abend darauf hingewiesen, dass man Tole-
ranz nur über Erziehung erlangen könne, indem Vorbilder
gelebt werden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Dazu gehört auch der öffentliche Umgang mit der Wahr-
haftigkeit; denn es steht geschrieben: „Du sollst nicht
falsch Zeugnis reden.“


(Beifall bei der SPD)







(C)



(D)



(A)



(B)


Heute Morgen bekam ich eine dpa-Meldung auf den
Tisch, in der eine Erklärung des Kollegen Geis abge-
druckt war, der gestern Abend die Toleranz hier wie eine
Monstranz vor sich her getragen hatte.


(Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/ CSU]: Das hat er gut gemacht!)


In dieser Meldung heißt es:
Die Bundesregierung hat nach Ansicht der Union bei
der Bekämpfung des internationalen Terrorismus
völlig versagt. So soll nach dem Willen von Rot-
Grün das Werben für eine terroristische Vereinigung
künftig nicht mehr strafbar sein.

Hier hat der Kollege Geis falsch Zeugnis abgelegt.

(Beifall bei der SPD)


Sie wollen die Gemeinwohlaufgabe Terrorismus-
bekämpfung innenpolitisch zu Wahlkampfzwecken in-
strumentalisieren. Das ist zutiefst unanständig.


(Beifall bei der SPD)

Sie wollen die Angst der Menschen schüren, Ängste zu
Wahlkampfzwecken herbeireden und die innere Sicher-
heit künstlich infrage stellen. Das ist ebenfalls zutiefst un-
anständig.

Meine Damen und Herren, die gestrige Debatte, diese
Debatte und die dpa-Meldungen haben mir deutlich ge-
macht, dass die Alternative am 22. September


(Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/ CSU]: Nur CDU sein kann!)


sehr klar geworden ist:

(Beifall bei der SPD)


Wollen wir in diesem Land weiterhin eine tolerante,
weltoffene und in die Zukunft gewandte Gesellschaft oder
die Restauration? Sie machen mit Themen der inneren Si-
cherheit Politik. Anschließend wundert man sich über die
Ergebnisse; ich denke hier nur an die Präsidentenwahl in
Frankreich.


(Beifall bei der SPD – Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Warum ändert ihr etwas, was sinnvoll war? Ihr ändert etwas! Damit gebt ihr ein Signal!)


Dabei haben wir ganz aktuell große Erfolge in der Ter-
rorismusbekämpfung zu verzeichnen. Gemeinsam haben
wir hier – darüber war ich froh – kurz vor Weihnachten die
Pakete Schily I und Schily II verabschiedet und damit die
Voraussetzung für eine bessere Verknüpfung im Daten-
und Informationsaustausch zwischen den Diensten ge-
schaffen. Gerade in dieser Woche ist ein islamistisches
Netzwerk in diesem Land aufgedeckt worden


(Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/ CSU]: Sie verlassen den gemeinsamen Weg!)


und es sind Verhaftungen erfolgt. Darum frage ich: Wenn
hier von Versagen gesprochen, wird wer hat denn versagt?


(Beifall bei der SPD – Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Dann lassen Sie doch den Paragraphen, wie er ist!)


Herr Kollege von Stetten, ich empfehle Ihnen – ich
weiß ja, es ist nicht die Zeitung, die Sie normalerweise le-
sen –, einmal die „Zeit“ von dieser Woche zu lesen.


(Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/ CSU]: In ihr steht: Stoiber punktet! Die „Zeit“ war erstaunlich gut!)


Lesen Sie einmal nach, was der Journalist von Schirrer zu-
sammengetragen hat. In diesem Artikel erheben Verfas-
sungsschützer und Experten der Dienste schwerste Vor-
würfe gegen die Sicherheitspolitik am Ende der
80er-Jahre und zu Beginn der 90er-Jahre. Es ist die Rede
davon, dass die Dienste damals eine Art Waffenstillstand
mit den Islamisten in diesem Land geschlossen hätten:
Deutschland als Ruheraum in der Erwartung, sie würden
sich ihren Ruheraum nicht selber zerbomben. Lesen Sie
es nach! Was dort gesagt wird, ist sehr bedenkenswert.


(Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/ CSU]: Es muss ja nicht stimmen, was da drin steht! Aber bei Stoiber stimmt es!)


Wenn dann der Politik von Experten allgemein vorge-
worfen wird, sie hätte die Dienste zehn Jahre lang im Stich
gelassen, dann sollten wir gemeinsam überlegen, welche
Fehler möglicherweise gemacht worden sind, anstatt mit
so einseitigen und polemischen Äußerungen an die Öf-
fentlichkeit zu gehen.


(Beifall bei der SPD)

Die Menschen in unserem Land verlangen von uns, dass
wir gemeinsam politische Antworten geben. Nur dann
sind wir auch gemeinsam glaubwürdig, nicht aber mit sol-
chen einseitigen und die Tatsachen verzerrenden Meldun-
gen, wie sie heute Morgen auf den Tisch gekommen sind.


(Beifall bei der SPD – Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Warum ändern Sie dann den Paragraphen?)


Ich frage mich, wer denn Ende der 80er-, Anfang der
90er-Jahre regiert hat.


( V o r s i t z : Vizepräsidentin Petra Bläss)

Das war Bundeskanzler Kohl, der heute noch jeden Tag
die Verfassung bricht.


(Beifall bei der SPD – Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Das ist doch Unfug!)


Es war Innenminister Kanther, der nach außen hin den
Law-and-order-Mann gespielt hat. Hinterher erfuhren
wir, was wirklich geschehen ist.


(Alfred Hartenbach [SPD]: Ein Rechtsbrecher! – Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Eine Superdebatte!)


Ich will Ihnen damit nur sagen: Kehren Sie zu Wahrheit
und Wahrhaftigkeit zurück! Im Rechtsausschuss, Herr
Kollege von Stetten, haben wir sehr sachlich diskutiert.
Das, was Sie heute morgen per dpa-Meldung in deutschen
Landen verstreuen, zeigt aber im Grunde, dass Sie in der
Sache nicht am Thema arbeiten wollen.


(Beifall des Abg. Alfred Hartenbach [SPD] – Zurufe von der CDU/CSU)





Joachim Stünker

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Eine letzte Bemerkung: Auch diese Regelung steht,
wie wir gehört haben, überwiegend oder teilweise bei be-
stimmten Richtungen in der Kritik. Ich will nur einen
Punkt nennen, nämlich den von einigen Seiten erhobenen
Vorwurf, die Ermittler würden durch die Regelung in
§ 129 b (neu) sozusagen an die kurze Leine der Politik ge-
legt. Wir haben in der Tat sehr lange darüber nachgedacht.


(Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/ CSU]: Aber nicht lange genug!)


Ich denke, das ist insofern hinnehmbar, als Politik in die-
sem Lande ein großes Maß an Öffentlichkeit besitzt; so
kann dann auch über die Medien öffentlich werden, wo
wir stehen und welche Vereinigungen wir dementspre-
chend einstufen. Wer auch immer Justizministerin oder
Justizminister sein wird, trägt die Verantwortung, die
Strafverfolgungsvoraussetzungen zu schaffen, die not-
wendig sind, um zukünftig Straftaten gemäß § 129 b ver-
folgen zu können. Eines ist doch klar – diejenigen, die an
diesem Gesetz gearbeitet haben und vor diesem Problem
standen, wissen es –: Es ist doch gar nicht möglich, dass
deutsche Ermittlungsbehörden weltweit terroristische
Vereinigungen verfolgen. Wie sollte das allein schon von
der Quantität her funktionieren?

Wir haben ein Gesetz gemacht, das angesichts der An-
forderungen an die innere Sicherheit notwendig und rich-
tig ist. Wir werden vielleicht in einigen Jahren hier über-
prüfen, ob es auch in Zukunft Bestand haben muss.
Risiken beinhaltet es nämlich in der Tat.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich möchte noch folgenden Geschäftsordnungs-
antrag stellen: Wir beantragen Überweisung des Antra-
ges der FDP. Herr van Essen hat schon gesagt, dass er da-
mit einverstanden ist.

Danke schön.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1423410900
Der letzte Redner in
dieser Debatte ist der Kollege Thomas Strobl für die Frak-
tion der CDU/CSU.


Thomas Strobl (CDU):
Rede ID: ID1423411000
Frau Präsi-
dentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Am 4. Okto-
ber vergangenen Jahres hat infolge der schrecklichen
Ereignisse vom 11. September 2001 für die Bundesregie-
rung der Bundesinnenminister einen Gesetzentwurf zur
Einführung eines neuen § 129 b Strafgesetzbuch vorge-
legt. Der Text war denkbar einfach: §§ 129 und 129 a gel-
ten auch im Ausland. Damit wäre auch die Bildung kri-
mineller und terroristischer Vereinigungen im Ausland
strafrechtlich verfolgbar gewesen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

So weit, so gut. Wir hätten dem ohne Bedenken zustim-
men können.


(Alfred Hartenbach [SPD]: Sie hätten nie zugestimmt!)


Dann allerdings versank dieser wichtige und notwendige
Gesetzentwurf zunächst einmal in der rot-grünen Koaliti-
onsmaschinerie; damit wurde alles schlechter.

Ich möchte drei Punkte vor allem unter dem Gesichts-
punkt der inneren Sicherheit beleuchten:

Nach der lautstarken Ankündigung, man wolle jetzt et-
was tun und werde den § 129 b im Strafgesetzbuch ein-
führen, geschah erst einmal über sechs Monate überhaupt
nichts. Dies allein ist schon aufgrund der fortschreitenden
internationalen Verflechtung des Terrorismus schlimm.
Ich behaupte: Wäre Djerba nicht gewesen, dann wären Sie
aus Ihrem sicherheitspolitischen Tiefschlaf wahrschein-
lich gar nicht aufgewacht.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Jörg van Essen [FDP])


Über sechs Monate Stillstand bei der Strafgesetzgebung
aufseiten von Rot-Grün, über sechs Monate kann al-
Quaida in der Bundesrepublik Deutschland strafrechtlich
unbehelligt weiterarbeiten, über sechs Monate Über-
gangsfrist für den Terror.

Es kommt noch schlimmer: Es ist nicht nur über sechs
Monate nichts geschehen, nein, Sie haben den Straftatbe-
stand des § 129 b verschlimmbessert – ein Novum in der
deutschen Rechtsgeschichte. Nun soll das Bundesjustiz-
ministerium im Einzelfall vorher prüfen, wer ein aus-
ländischer Terrorist ist und ob die Strafverfolgungsbehör-
den ihren Aufgaben nachkommen dürfen. Die klare
Regelung vom 4. Oktober 2001 wurde bis zur Unkennt-
lichkeit weich gespült, bis zur Unpraktikabilität verkom-
pliziert und bis zur Unbrauchbarkeit politisiert. Das ist an-
gesichts der aktuellen Sicherheitslage eine Schande. Die
Ermittlungsbehörden wurden an die Leine der Bundesjus-
tizministerin gelegt. Ein solches Misstrauen seitens der
Politik und eine solche politische Überwachung unserer
Kriminalbeamten ist nicht angebracht.


(Beifall bei der CDU/CSU – Joachim Stünker [SPD]: Politische Überwachung von Kriminalbeamten!)


Bis das Bundesjustizministerium in Abstimmung mit
dem Auswärtigen Amt, mit dem Bundeswirtschaftsminis-
terium sowie mit fünf weiteren Ministerien und Behörden
letztlich zu einer Entscheidung gekommen ist, hat sich die
terroristische Organisation eher selbst aufgelöst oder
– das erscheint mir wahrscheinlicher – dank der rot-grü-
nen Novelle unseres Staatsangehörigkeitsrechts hat der
jeweilige ausländische Terrorist längst die deutsche
Staatsbürgerschaft und agiert in Deutschland unter dem
Deckmantel der deutschen Staatsangehörigkeit.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Alfred Hartenbach [SPD]: Das ist unglaublich! Das zeigt, welch Geistes Kind Sie sind!)


Nicht nur der § 129 b StGB wurde weich gespült. Auch
die §§ 129 und 129 a StGB, Bekämpfung krimineller Ver-
einigungen und Bekämpfung terroristischer Vereinigun-
gen, wurden beschnitten.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1423411100
Herr Kollege, gestat-
ten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Ströbele?




Joachim Stünker
23338


(C)



(D)



(A)



(B)



Thomas Strobl (CDU):
Rede ID: ID1423411200
Ich weiß,
dass gerade dem ehemaligen RAF-Anwalt Ströbele die
Weichspülung der §§ 129 und 129 a StGB seit vielen Jahr-
zehnten ein besonderes Anliegen ist. Deswegen sage ich:
Bitte, gerne, Herr Kollege.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



(Alfred Hartenbach [SPD]: Lass das doch! Gib ihm doch keine Plattform!)


ist Ihnen bekannt, dass, wenn ein mutmaßlicher Terrorist
die deutsche Staatsbürgerschaft bekommt, ohnehin die
§§ 129 und 129 a StGB originär auf ihn Anwendung fin-
den?


(Joachim Stünker [SPD]: Das ist ihm nicht bekannt!)


Sie haben hier ein sehr schlechtes Beispiel gewählt.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)



Thomas Strobl (CDU):
Rede ID: ID1423411300
Sehr geehr-
ter Herr Kollege Ströbele, dieser Sachverhalt ist mir be-
kannt. Vermutlich ist das ein zusätzlicher Grund dafür, dass
Sie die Wirksamkeit der §§ 129 und 129 a StGB einge-
schränkt haben. Sie sind ganz persönlich einem Ziel näher
gekommen, für das Sie bereits seit 20 Jahren kämpfen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Aufgrund der derzeitigen Lage im Bereich der inneren

Sicherheit halten wir es für völlig inakzeptabel, wie die
Bekämpfung krimineller Vereinigungen und terroristi-
scher Vereinigungen – auch im Inland – weich gespült
wird. Ich sage es ganz klar: Das Werben für inländische
und ausländische kriminelle Vereinigungen und terroristi-
sche Vereinigungen wird straffrei gestellt, wenn nicht
nachweisbar und gezielt um Unterstützer und Mitglieder
geworben wird.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Joachim Stünker [SPD]: Das stimmt doch überhaupt nicht! Sie haben keine Ahnung! – Alfred Hartenbach [SPD]: Das ist der hoffnungsvolle Nachwuchs der CDU!)


Herr Kollege van Essen, die reine Werbung um Sym-
pathien ist nach §§ 129 und 129 a StGB bisher straflos.
Es gibt eine klare Rechtsprechung. Sie konnten und kön-
nen sagen: Es lebe die RAF. Sie können in der Bundesre-
publik Deutschland ein T-Shirt mit der Aufschrift „Es lebe
al-Qaida“ tragen. Dies ist in der Bundesrepublik de lege
lata straffrei.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch nicht wahr! Sie haben keine Ahnung! – Jörg van Essen [FDP]: Gucken Sie sich die Rechtsprechung an!)


Die Rechtsprechung verlangt eine messbare Gefahr.
Ich frage Sie: Wenn eine messbare Gefahr für eine Straf-
barkeit nicht mehr ausreicht, wie groß muss dann eigent-
lich die Gefahr sein, bis Sie den Ermittlungsbehörden die
Möglichkeit geben, tätig zu werden? Wann ist bei Ihnen

die Strafbarkeitsgrenze erreicht? Muss eigentlich immer
erst etwas passieren? Ist nicht schon genug passiert? Wie
viel muss eigentlich noch passieren?


(Beifall bei der CDU/CSU)

Abgeordnete sind nach Art. 38 Abs. 1 GG nur ihrem

Gewissen unterworfen. Das gilt auch für die Innen- und
Sicherheitspolitiker der SPD-Fraktion.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1423411400
Herr Kollege Strobl,
Sie wissen, dass die Rednerinnen und Redner einem Zeit-
limit unterworfen sind. Ihre Redezeit ist schon über-
schritten.


Thomas Strobl (CDU):
Rede ID: ID1423411500
Ich bedanke
mich sehr, Frau Präsidentin, aber vielleicht könnten Sie im
Sinne einer ausgewogenen Leitung der parlamentarischen
Debatte bei mir dieselbe Großzügigkeit anwenden wie
Ihre Vorgängerin gegenüber Herrn Kollegen Beck.


(Alfred Hartenbach [SPD]: So viel Unwissenheit auf einem Platz ist unerträglich!)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1423411600
Ich bin schon recht
großzügig.


Thomas Strobl (CDU):
Rede ID: ID1423411700
Meine Da-
men und Herren, dann komme ich zum Schluss. Es ist
höchste Zeit,


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

dass etwas gegen ausländische Kriminelle und ausländi-
sche Terroristen getan wird. Leider wird es noch weitere
sechs Monate dauern, aber nach dem 22. September wird
dann Gelegenheit sein, nicht nur zu reden, sondern auch
zu handeln,


(Alfred Hartenbach [SPD]: Um Himmels willen!)


damit im Interesse der inneren Sicherheit dieses Landes
und des Schutzes der Bürgerinnen und Bürger vor Krimi-
nalität und vor Terrorismus dann auch gesetzgeberisch auf
dem Gebiet des Strafrechts etwas geschieht.

Besten Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU – Alfred Hartenbach [SPD]: Ich beantrage Schmerzensgeld für die Rede!)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1423411800
Ich schließe die Aus-
sprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurf eines Strafrechtsän-
derungsgesetzes auf Drucksache 14/7025. Der Rechts-
ausschuss empfiehlt auf Drucksache 14/8893, den
Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen.

Es liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der CDU/
CSU vor, über den wir zuerst abstimmen werden. Wer
stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 14/8942?






(C)



(D)



(A)



(B)


– Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Ände-
rungsantrag ist gegen die Stimmen der CDU/CSU-Frak-
tion bei Enthaltung der FDP-Fraktion abgelehnt.

Ich bitte jetzt diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der
Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzei-
chen. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Ge-
setzentwurf ist damit in zweiter Beratung gegen die Stim-
men von CDU/CSU- und PDS-Fraktion angenommen.

Wir kommen zur
dritten Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Ge-
genprobe! – Enthaltungen? – Damit ist der Gesetzentwurf
gegen die Stimmen von CDU/CSU- und PDS-Fraktion
angenommen.

Im Hinblick auf den Entschließungsantrag der Fraktion
der FDP auf Drucksache 14/8931 wurde kurzfristig Über-
weisung beantragt. Gibt es Widerspruch? – Dann ist die
Überweisung beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 29 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes

(WaffRNeuRegG)

– Drucksache 14/7758 –

(Erste Beratung 208. Sitzung)

Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat
eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes
zur Änderung des Waffengesetzes
– Drucksache 14/763 –

(Erste Beratung 208. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Innenaus-
schusses (4. Ausschuss)

– Drucksache 14/8886 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Ernst Bahr
Hartmut Koschyk
Cem Özdemir
Dr. Max Stadler
Ulla Jelpke

Zum Gesetzentwurf der Bundesregierung liegen zwei
Änderungsanträge der Fraktion der PDS vor.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre
keine Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Erster Redner für die Bun-
desregierung ist der Parlamentarische Staatssekretär Fritz
Rudolf Körper.

F
Fritz Rudolf Körper (SPD):
Rede ID: ID1423411900
Frau Präsidentin! Meine Damen
und Herren! Der Vorlage dieses Gesetzes ging ein langes
und langwieriges Verfahren voraus. Lieber Herr

Koppelin, ich denke, Hängepartien sind in fast allen Le-
benslagen das Schlechteste. Mit diesem Gesetzentwurf
beenden wir diese Hängepartie.

Ich richte an dieser Stelle ein herzliches Dankeschön
an diejenigen, die dafür Sorge getragen haben, dass es zu
dieser Vorlage gekommen ist. Das sind nicht nur die Mit-
glieder und die zuständigen Beamten der Bundesregie-
rung, sondern insbesondere die Koalitions- und die Op-
positionsfraktionen.


(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Es ist richtig, dass Sie sich jetzt bedankt haben!)


– Lieber Herr Koschyk, ich habe damit überhaupt kein
Problem. Ich halte dieses Thema für völlig ungeeignet,
um es über einen parteipolitischen Leisten zu schlagen.
Das Ergebnis ist davon geprägt, dass wir uns in der Sache
auseinander gesetzt haben.

Bei der Novellierung des Waffenrechts geht es insbe-
sondere um Anwendungssicherheiten, aber auch um Voll-
zugsdefizite, die wir erkannt haben und deren Behebung
wir gemeinsam in Angriff genommen haben. Es geht auch
darum, mit dieser Novellierung einen Beitrag für die in-
nere Sicherheit zu leisten. Dies geschieht beispielsweise,
indem bestimmte gefährliche Messer und Wurfsterne ver-
boten werden. Dies wurde übrigens auch in dem jetzt ge-
genstandslos werdenden Bundesratsentwurf gefordert.
Der Gesetzentwurf stimmt mit den Forderungen auf Bun-
desratsseite überein.

Der inneren Sicherheit dient auch, dass wir die bei über
der Hälfte aller Straftaten nach dem Strafgesetzbuch als
Tatwaffe sichergestellten Gas- und Schreckschusswaffen
Restriktionen unterwerfen, die über die jetzt geltende Al-
tersgrenze von 18 Jahren deutlich hinausgehen. Diese
Maßnahmen beschreiben wir mit dem so genannten klei-
nen Waffenschein. Die Anregungen aus dem Dialog mit
der Gewerkschaft der Polizei sind in diese Regelungen
eingeflossen. Ich denke, dass die Unterscheidung zwi-
schen Erwerb und Führen dieser so genannten Anscheins-
waffen hier richtig ist.

Die innere Sicherheit wird auch gestärkt, indem wir so
genannte Scheinschützen und bloße Waffenbeschaffer un-
ter dem Deckmantel des Sportschützen dadurch vom
Waffenbesitz ausschließen, dass wir eine einmalige Wie-
derholungsprüfung für das Bedürfnis einführen sowie das
Verbandswesen im Schießsport einem staatlichen An-
erkennungsverfahren unterziehen. Das ist deswegen so
wichtig, weil wir das Bedürfnis in diesem Gesetz unter an-
derem mit der Mitgliedschaft in einem Sportschützenver-
ein definieren,


(Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Wie ist das denn früher gewesen?)


allerdings unter der Voraussetzung, dass der Verein einem
anerkannten Schießsportverband angehören muss. Alle,
die ein bisschen Erfahrung haben, wissen, dass wir die
Kriterien im Anerkennungsverfahren mit den gewissen
Notwendigkeiten versehen haben, damit hier kein Grau-
zonenbereich entsteht. Die Kriterien sind übrigens von
den Verbänden und von den Sportschützenvereinen voll
akzeptiert worden; sie empfinden sie als richtige Maß-
nahmen.




Vizepräsidentin Petra Bläss
23340


(C)



(D)



(A)



(B)


Als Hauptbotschaft geht von dieser Novellierung aus,
dass aus einer legalen Waffe keine illegale Waffe wird.
Das ist wichtig zu unterstreichen; denn wir wissen, dass
für das Kriminalitätsgeschehen nicht der legale, sondern
der illegale Waffenbesitz entscheidend ist.


(Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Das hat aber lange gedauert!)


Deswegen haben wir auch die gesetzlichen Regelungen
für die Aufbewahrung von Waffen normiert. Ich habe
eine Menge über A-Schränke und Sonstiges gelernt, auch
darüber, was in der Praxis möglich oder nicht möglich ist.


(Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/ CSU]: Manche machen erst einen Gesetzentwurf, und dann lernen sie! Das ist gut so!)


Wir haben es der Mithilfe der Vertreter des Forums Waf-
fenrecht zu verdanken, dass wir auch hier eine vernünf-
tige Regelung gefunden haben.

Im Übrigen ist es wichtig, deutlich zu machen, dass wir
diese Novellierung mit den Betroffenen und nicht gegen
sie herbeigeführt haben. Es geht nicht darum, irgendwel-
che unnötigen Hemmnisse beispielsweise bei der Aus-
übung des Schießsports zu produzieren. Ich habe gelernt,
dass die Jagd kein Hobby, sondern etwas ganz Besonde-
res ist, und man im Verhältnis zur Jagd den Begriff Hobby
nach Möglichkeit vermeiden sollte. In der Debatte ging es
lange Zeit um die Frage, ob die Anzahl der Langwaffen
begrenzt werden soll oder nicht. Weil dieses Thema für
die innere Sicherheit aber keine Relevanz hat, wurde auf
die Begrenzung der Langwaffen im Jagdbereich verzich-
tet. Im Übrigen ist hier die Definition richtig, dass das Be-
dürfnis mit dem Jagdschein, übrigens auch mit dem Ju-
gendjagdschein, nachgewiesen ist.

Das Waffenrechtsneuregelungsgesetz ist in sich syste-
matisch stimmig. Das Waffengesetz auf der einen und das
Beschussgesetz auf der anderen Seite haben unterschied-
liche Zweckrichtungen. Ich glaube, dass wir einen guten
und wichtigen Kompromiss ausgehandelt haben, der den
Bedürfnissen der Materie, die damit geregelt werden soll,
gerecht wird. Ich bin froh, dass es uns gelungen ist, diese
Hängepartie aufzulösen; denn bereits seit 1983 hat man
sich hier bemüht.

Diese Bundesregierung und die sie tragenden Koaliti-
onsfraktionen waren sich nicht zu schade, im Laufe die-
ses Diskussionsprozesses auch Anregungen beispiels-
weise von Fachleuten aus der Praxis aufzunehmen, die
dieser Novellierung zugute kamen. Es ist allemal besser,
miteinander als übereinander zu reden. Das bringt immer
gute Ergebnisse.

Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1423412000
Für die CDU/CSU-
Fraktion spricht jetzt der Kollege Hartmut Koschyk.


Hartmut Koschyk (CSU):
Rede ID: ID1423412100
Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Staatssekretär

Körper, es war eine sehr milde Umschreibung, als Sie eben
sagten, dass sich die Koalitionsfraktionen nicht zu schade
gewesen seien, bei dem Versuch der Novellierung des
Waffenrechts Verbesserungsvorschläge aufzunehmen.
Man muss nämlich sehr deutlich sagen, dass zwischen
Ihrem ursprünglichen Gesetzentwurf und der Vorlage,
über die wir heute zu entscheiden haben, Welten liegen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Der ursprüngliche Gesetzentwurf, den Sie lange Zeit

als ein Jahrhundertwerk verteidigt haben, stieß zu Recht
auf den entschiedenen Protest und die strikte Ablehnung
durch Jäger, Sportschützen, Waffensammler und Waffen-
hersteller, aber auch vonseiten der Rechts-, Polizei- und
Verwaltungspraxis, sowie von Anfang an auch auf unse-
ren entschiedenen Widerstand.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sind Sie an der Seite der Waffenlobby?)


Wir teilen die Einschätzung des Präsidenten des Deut-
schen Schützenbundes Josef Ambacher, dass dieser Ge-
setzentwurf, wenn er so in Kraft getreten wäre, zum Ende
des Schießsports in Deutschland geführt hätte.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Diejenigen, die den Gesetzentwurf in der ursprünglichen
Fassung vorgelegt haben, mussten sich auch von sach-
kundiger Stelle, nämlich von der Gewerkschaft der Poli-
zei in Deutschland, vorwerfen lassen, dieser Gesetzent-
wurf sei eine Lachnummer.

Der entschiedene Widerstand von Jägern, Sportschüt-
zen, Waffensammlern, Waffenherstellern in Deutschland,
die Sachkunde des Forums Waffenrecht, aber auch die
entschiedene Ablehnung aus der Polizei- und Verwal-
tungspraxis sowie auch die Aussicht, dass Sie mit diesem
Gesetzentwurf nicht auf die Zustimmung der Union im
Bundestag – das war für Sie vielleicht nicht so wichtig –,
aber auch nicht im Bundesrat rechnen konnten, hat Sie
dann zu einer 180-Grad-Wendung veranlasst. Dies be-
grüßen wir. Es bleibt aber die Frage, verehrte Kolleginnen
und Kollegen, wie Sie überhaupt einen Gesetzentwurf
vorlegen und lange Zeit verteidigen konnten, der zu durch
nichts zu rechtfertigende Restriktionen für Schützen,
Jäger, Waffensammler und Waffenhersteller in Deutsch-
land geführt hätte, ohne dass damit ein wichtiger und nen-
nenswerter Beitrag zur inneren Sicherheit unseres Landes
geleistet worden wäre.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Das in dem ursprünglichen Gesetzentwurf formulierte
Misstrauen haben Schützen und Jäger in Deutschland
nicht verdient.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Die Gewerkschaft der Polizei hat es in ihrer Stellung-

nahme auf den Punkt gebracht:
Der private Waffenbesitz ist aus polizeilicher Sicht
überhaupt nicht das Problem. Der BKA-Bericht
„Waffen und Sprengstoffe“ für das Jahr 2000 spricht
bei StGB-Straftaten unter Verwendung von Schuss-
waffen von einem Anteil erlaubnispflichtiger legaler




Parl. Staatssekretär Fritz Rudolf Körper

23341


(C)



(D)



(A)



(B)


Waffen von 3,4 Prozent, damit sogar unter dem Vor-
jahresniveau von 4,2 Prozent. Bezogen auf alle im
Jahr 2000 begangenen Straftaten wurden in
0,013 Prozent aller Fälle legale Schusswaffen ver-
wendet.

(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ein schlechter Witz!)

– Herr Ströbele, Sie hätten sich bei der Anhörung des
Bundestages am 20. März sachkundig machen können.
Sie waren da allerdings nicht anwesend.


(Zuruf des Abg. Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Da hat nämlich der BKA-Vertreter noch gesagt, dass zu
diesen 0,013 Prozent auch Waffenvergehen gehören, die
mit Dienstwaffen von Polizei, Bundesgrenzschutz und
Bundeswehr begangen wurden.

Sie sind jetzt auf Unionskurs eingeschwenkt. Wir be-
danken uns dafür, dass Sie im Innenausschuss auch noch
zwei wichtigen Änderungsanträgen zugestimmt haben,
die die Union gestellt hat. Dadurch wird jetzt zum einen
auch das Führen von Waffen durch Brauchtumsschützen
im Zusammenhang mit Brauchtumsveranstaltungen si-
chergestellt. Zum anderen haben Sie unserem Vorschlag
zugestimmt, dass das Bundeskriminalamt bundeseinheit-
lich für die waffentechnische Beurteilung und Einstufung
von Waffen zuständig wird, wodurch eine unterschiedli-
che Genehmigungspraxis in den Ländern verhindert wird.

Wir bedauern, dass Sie unserem weiteren Änderungs-
antrag, der das Erbenprivileg betrifft, nicht zugestimmt
haben.


(Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: So ist es! Das ist ein großer Mangel!)


Denn wir sehen im Gegensatz zu dem vorliegenden Ge-
setzentwurf nicht die Notwendigkeit, den Erwerb und Be-
sitz von Schusswaffen durch Erbfall im Gesetz auf fünf
Jahre zu befristen. Im Gegensatz zu Ihnen glauben wir
nämlich nicht, dass es gelingt, Blockiersysteme zu ent-
wickeln, die ererbte Waffen ohne Beschädigung, was vor
allem bei wertvollen Waffen wichtig ist, blockieren. Nach
unserer Auffassung besteht für den Wegfall des so ge-
nannten Erbenprivilegs fünf Jahre nach In-Kraft-Treten
des Gesetzes kein Grund, zumal die Vorschriften über die
sichere Aufbewahrung von Schusswaffen verschärft wor-
den sind, der Erbe nunmehr nicht nur zuverlässig, sondern
auch persönlich geeignet sein muss, keine priviligierte
Vererbung von Munition vorgesehen ist und Waffen ohne
Munition nahezu ungefährlich sind.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Die bekommen Sie an jeder Ecke!)


Bei der Anhörung am 20. März dieses Jahres haben uns
alle Polizeifachleute bestätigt, dass ererbte Waffen in
Deutschland kein Sicherheitsproblem darstellen.

Gleichwohl: Die Verbände der Schützen, Jäger, Waf-
fensammler und Waffenhersteller sowie das Forum Waf-
fenrecht haben erklärt, dass sie den nunmehr generalsa-
nierten Gesetzentwurf mittragen können. Sie haben

unsere Fraktion, aber auch die unionsregierten Länder ge-
beten, dem Gesetzentwurf im Bundestag zuzustimmen.
Diesem Wunsch wollen wir uns heute nicht versagen,
auch wenn wir die Regelung hinsichtlich des Erbenprivi-
legs nicht für sachgerecht halten.


(Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Die ändern wir nach dem 22. September!)


Auch müssen wir kritisieren, dass das Hauptziel der
Novellierung, das in der Begründung des Gesetzes steht,
nämlich ein schlankes, von Verwaltung und betroffenen
Bürgern leicht anzuwendendes Gesetz zu schaffen, in kei-
ner Weise erreicht worden ist.


(Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/CSU]: Das ist wahr!)


Vielmehr ist ein Paragraphenungetüm entstanden, das im
Gesetzesvollzug nicht unerhebliche Probleme schaffen
wird. Wir werden deshalb den Gesetzesvollzug genau be-
obachten. Wenn wir Änderungs- und Verbesserungsbe-
darf erkennen, werden wir diesen aufgreifen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir danken den Schützen, Jägern, Waffensammlern

und Waffenherstellern sowie dem Forum Waffenrecht,
dass sie gemeinsam mit uns durch gute Zusammenarbeit
und engen Schulterschluss verhindert haben, dass der ur-
sprüngliche miserable Gesetzentwurf, den Sie vorgelegt
haben, nicht Wirklichkeit geworden ist.


(Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Gott sei Dank haben wir das verhindert!)


Wir sehen in dem jetzt verabschiedeten Gesetzentwurf
kein Glanzstück rot-grüner Gesetzespolitik. Wir werden
dem Gesetz jedoch im Interesse der Schützen, Jäger,
Waffensammler und Waffenhersteller in Deutschland zu-
stimmen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1423412200
Das Wort hat der Herr
Kollege Cem Özdemir für die Fraktion des Bündnis-
ses 90/Die Grünen.


Cem Özdemir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1423412300
Frau
Präsidentin! Meine Damen und Herren!


(Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/ CSU]: Sie haben einen Salto mortale gemacht!)


– Und in welche Richtung?

(Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/ CSU]: Einen Salto mortale rückwärts!)


Dieser Gesetzentwurf wird im Gegensatz zu den Ge-
setzentwürfen der Vorgängerregierungen tatsächlich Ge-
setzeskraft erlangen. Damit hat diese Koalition ein Ver-
sprechen eingelöst.


(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Weil wir Ihnen geholfen haben!)





Hartmut Koschyk
23342


(C)



(D)



(A)



(B)


– Es ist doch gut, wenn Sie uns helfen. Dann machen Sie
mal etwas Vernünftiges, das schadet Ihnen ja nicht.

Jedenfalls bin ich froh darüber, dass wir heute ein
wichtiges Reformprojekt zum Ende bringen, nämlich ein
modernes Waffenrecht, an dem sich die Vorgängerregie-
rungen, wie Sie sich vielleicht noch erinnern können, die
Zähne ausgebissen haben. Es gab mehrere Anläufe; kei-
ner davon war bislang von Erfolg beschieden. Ich bin
froh, dass wir dieser Sache heute zum Erfolg verhelfen
werden. Über die Notwendigkeit einer Gesetzesände-
rung kann ja wohl kein Zweifel bestanden haben; sonst
hätten sich nicht auch die Vorgängerregierungen daran
versucht.

Ich will, weil Kollege Koschyk das nicht getan hat, et-
was zum Ziel des Gesetzes sagen. Ziel des Gesetzes war
es, die öffentliche Sicherheit zu verbessern. Zu keinem
Zeitpunkt war es das Ziel, anständigen, ehrlichen Bür-
gern, die ihren Hobbys nachgehen, ob es die Jagd oder der
Skisport ist, das Leben zu erschweren.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Dann hätten Sie aber einen anderen Text vorlegen müssen!)


Es ging nicht darum, Vereinsmitglieder zu gängeln oder
ihnen das Leben schwer zu machen. Wenn es hier Miss-
verständnisse gab, dann sind diese ausgeräumt worden.

Herr Kollege Koschyk, eigentlich hätten Sie uns ein-
mal dafür loben können, dass die Regierung sich intensiv
mit den Vereinen, Verbänden und der Gewerkschaft der
Polizei beraten hat. Die Fraktionen haben sich zusam-
mengesetzt. Das Innenministerium hat sich daran betei-
ligt. Die Tatsache, dass sich die Fraktionen der SPD und
der Grünen dieses Gesetzentwurfes angenommen und ein
Wort mitgeredet haben, spricht doch eher dafür, dass wir
eine offene Gesetzesberatung hatten. Sie sollten uns also
dafür loben, wie bürgerfreundlich wir agieren, dass wir
Bürgerbeteiligung schätzen und dass auch die Wünsche,
die aus der Bürgerschaft an uns herangetragen wurden, in
den Gesetzgebungsprozess eingeflossen sind.


(Beifall bei der SPD)

Da wäre ein Wort des Dankes und des Lobes angemessen,
Kolleginnen und Kollegen.


(Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Nur unter Druck habt ihr das gemacht!)


Ich will ein Beispiel nennen, woran man erkennen
kann, dass wir Verbesserungen für die Vereine, die wir
mit gutem Gewissen vertreten können, durchgesetzt ha-
ben. Natürlich ist es nicht sinnvoll, dass sich ein Verein
melden soll, wenn er sich aus der sportlichen Betätigung
zurückzieht. Diesen Unsinn haben wir abgestellt.


(Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/ CSU]: Gut, dass Sie sagen, dass der Gesetzentwurf Unsinn war!)


– Herr Kollege, Sie sind doch schon lange genug dabei
und müssten das strucksche Gesetz eigentlich kennen:
Kein Gesetz kommt aus dem Parlament so heraus, wie es
hereingekommen ist. Das galt auch schon zu Ihren Zeiten.
Der Unterschied zwischen uns aber ist: Wir setzen die Ge-

setze durch, während Sie Ihre Gesetze nur angekündigt
haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Aber wir haben unsere Gesetze nicht als Unsinn bezeichnet!)


Natürlich ist es sinnvoll, dass die Möglichkeiten für die
Jugendarbeit der Vereine verbessert wurden. Wenn Sie
mit den Menschen in den Vereinen reden – wir haben auch
Gespräche mit dem Schützenbund geführt –, dann können
Sie erfahren, dass sich niemand mehr über dieses Gesetz
ernsthaft beklagt. Es kommt nämlich den Bedürfnissen
der Vereine entgegen und geht sogar über das hinaus, was
bislang möglich war.

Aber in einem Punkt scheinen wir uns ein wenig zu un-
terscheiden, was ich bedauere, weil ich es nicht erwartet
hatte. Es geht nämlich auch darum, dass wir in dem Be-
reich, in dem wir den Schutz der Bürgerinnen und Bürger
vor Gefahren gewährleisten müssen, keine Lockerungen
zulassen dürfen. Es wäre ganz gut gewesen, wenn die Op-
position Stellung zur der Notwendigkeit genommen hätte
– da gehen wir mit den Vereinen konform –, dass die
schwarzen Schafe keine Vorteile aus diesem Gesetz ziehen
dürfen. Sie dürfen sich nicht hinter den anständigen Bür-
gerinnen und Bürgern verstecken, die ihren Hobbys nach-
gehen. Deshalb ist es richtig, dass Spring- und Fallmesser
künftig ebenso verboten sind wie tückische Wurfsterne.


(Zuruf des Abg. Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU])

– Warum sagen Sie es dann nicht?


(Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Das ist doch überhaupt nicht Thema gewesen!)


– Sie tun doch gerade so, Herr Kollege, als ob wir ein un-
sinniges Gesetz gemacht hätten, das nur dazu da ist, den
Vereinen das Leben schwer zu machen. Wenn Sie die An-
hörung genau ausgewertet hätten, dann hätten Sie fest-
stellen können, dass sich ein sehr wichtiges Thema, das
von der Gewerkschaft der Polizei angesprochen wurde,
auf die Gefahr bezog, die von Gas- und Schreckschuss-
waffen ausgeht.


(Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Das ist doch in Ordnung!)


In diesem Bereich haben wir eine sinnvolle Regelung ge-
funden. Man sollte also nicht so tun, als ob es einen Streit
um Punkte gibt, die eigentlich unstrittig sind.


(Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Sie erwecken doch den Eindruck, dass darüber ein Streit stattgefunden hat!)


– Sie erwähnen diesen Punkt doch gar nicht mehr.

(Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Unstreitiges muss nicht erwähnt werden!)

– Doch, das ist wichtig, weil diese Punkte der Kern des
Gesetzes sind. Genau darum geht es.

Es geht eine extreme Gefahr von Gas- und Schreck-
schusswaffen aus. Wir wissen – Sie haben die entspre-
chenden Statistiken erwähnt –, dass es viele Spontankäufe




Cem Özdemir

23343


(C)



(D)



(A)



(B)


gerade von Jugendlichen gibt, die kurz entschlossen in
einen Laden gehen, eine solche Scheinwaffe kaufen und
damit schreckliche Taten begehen. Das wird künftig er-
schwert.

Ich will nicht verhehlen: Wenn es nach uns gegangen
wäre, wären wir bezüglich dieser Waffen noch einen
Schritt weitergegangen. Ich bin mir nicht sicher, ob man
diese so genannten Schreckschusswaffen überhaupt
braucht. Aber eine schärfere Regelung war nicht möglich.
Das Argument der Länder war, dass eine entsprechende
Regelung zu bürokratisch und ihre Durchsetzung zu auf-
wendig sei. Ich finde es gut, dass wir jetzt die Regelung
haben, dass Waffen künftig nicht mehr frei verkäuflich
sind und dass sich der Ladenbesitzer die Käufer genau an-
schauen muss.


(Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/ CSU]: Ein Gangster kauft sich nicht eine Waffe im Laden!)


Ich will zum Schluss nicht versäumen – meine Rede-
zeit ist schon abgelaufen –, ein Wort des Dankes an die
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Innenministeriums,
aber auch an den Innenausschuss und an die Kollegen
aller Fraktionen, die sich an der Debatte beteiligt haben,
zu richten. Ich will aber auch den Verbänden und der Ge-
werkschaft der Polizei danken, deren Anregungen so
wichtig und sinnvoll waren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1423412400
Es spricht jetzt der
Kollege Rainer Funke für die FDP-Fraktion.


Rainer Funke (FDP):
Rede ID: ID1423412500
Frau Präsidentin! Meine Da-
men und Herren! Die Bundesregierung ist mit einem Ent-
wurf zur Änderung des Waffenrechts in das Gesetzge-
bungsverfahren gegangen, der zu Recht von allen Seiten
heftige Kritik erfahren hat.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Die FDP-Fraktion lehnt diesen Gesetzentwurf auch in der
geänderten Fassung weiterhin ab.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der PDS)


Das geltende Waffenrecht zählt ja ohnehin zu den strengs-
ten der Welt. Eine Verschärfung aus Gründen der inneren
Sicherheit ist nicht notwendig;


(Beifall bei der FDP)

denn die Sicherheitsprobleme liegen nicht bei den legalen
Waffenbesitzern, sondern sie werden vielmehr durch den
illegalen Waffenmarkt verursacht, der mit Nachdruck
bekämpft werden muss.

Wenn dem so ist, stellt sich die Frage, ob das bisherige
Waffengesetz überhaupt geändert werden muss. Ein trifti-
ger Grund hierfür liegt nach Meinung der FDP allenfalls
darin, dass das geltende Waffenrecht sehr kompliziert ist.


(Jürgen Koppelin [FDP]: Sehr wahr!)


Daran ändert sich durch den Gesetzesvorschlag der Bun-
desregierung und der rot-grünen Koalition aber überhaupt
nichts.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP – Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Leider wahr!)


Im Gegenteil: Nach dem einhelligen Urteil der Experten
kann von Vereinfachung, Entbürokratisierung, Rück-
nahme der Regelungsdichte, mehr Übersichtlichkeit und
mehr Lesbarkeit keine Rede sein. Die unübersichtlichen
Anhänge bleiben und die zahlreichen Verordnungs-
ermächtigungen, die zulassen, wesentliche Fragen am
Parlament vorbei zu regeln, kennzeichnen weiterhin das
Waffenrecht.

Darüber hinaus war der ursprüngliche Inhalt des Ge-
setzentwurfs eindeutig gegen die berechtigten Interessen
der legalen Waffenbesitzer, insbesondere der Sportschüt-
zen, der Jäger und der Waffensammler, gerichtet. Diese
Gruppen sollten mit einem Übermaß an Bürokratie über-
zogen werden, ohne dass dadurch irgendein nennenswerter
Zugewinn für die innere Sicherheit erzielt worden wäre.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Jawohl, das war das Hauptproblem!)


Wir haben dies gemeinsam mit den anderen Oppositi-
onsfraktionen und den betroffenen Verbänden von Anfang
an heftig kritisiert. Sportschützen, Jäger und Sammler
fühlten sich durch den Gesetzentwurf regelrecht diskri-
miniert


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

und in ihren bürgerlichen Freiheitsrechten bedroht. Die
vernichtende Kritik, die auch in der Sachverständigenan-
hörung zum Ausdruck gebracht worden ist, hat schließlich
das Bundesinnenministerium und die Koalitionsfraktionen
dazu veranlasst, ihr ursprüngliches Vorhaben aufzugeben.

Es ist ein Erfolg auch der FDP-Opposition, dass eine
Vielzahl von kritikwürdigen Punkten aus dem Gesetzent-
wurf herausgenommen worden ist. Unverständlich bleibt
für uns jedoch, warum die Koalition daran festhält, im Ge-
setz einen Wegfall des Erbenprivilegs nach fünf Jahren
vorzusehen.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Jawohl!)

Wenn es dabei bleibt, werden Erben künftig faktisch dazu
gezwungen sein, wertvolle Waffen unter Zeitdruck und
damit unter Wert zu veräußern. Dies kann nicht akzeptiert
werden.


(Heinz Wiese [Ehingen] [CDU/CSU]: So ist es!)


Nun versucht die Koalition, dieses Problem, mit dem
Entschließungsantrag zu entschärfen, in dem behauptet
wird, dass die Abschaffung des Erbenprivilegs ohnehin
wieder zurückgenommen werden wird.


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Warum hat man es nicht gleich gemacht?)


Man fragt sich, warum diese Regelung überhaupt im
Gesetzentwurf verblieben ist.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)





Cem Özdemir
23344


(C)



(D)



(A)



(B)


Aus diesem Grunde und aufgrund der eingangs getrof-
fenen Feststellung, dass der Gesetzentwurf auch in der
geänderten Fassung keinerlei Rechtsvereinfachung und
Rechtsklarheit bringt, bleibt die FDP-Fraktion bei ihrer
ablehnenden Haltung.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1423412600
Das Wort hat die Kol-
legin Ulla Jelpke für die PDS-Fraktion.


Ulla Jelpke (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1423412700
Frau Präsidentin! Meine Damen
und Herren! Mit der heute vorliegenden Novelle ist die
Regierung vielen berechtigten Protesten und Kritiken der
Menschen, die Waffen legal besitzen, der Gewerkschaf-
ten, der Polizei und der Rechtsmediziner gegenüber dem
ursprünglichen katastrophalen Entwurf, den die Bundes-
regierung vorgelegt hat, nachgekommen.

Wir von der PDS haben diese Kritik von Anfang an un-
terstützt. Wir wollen keine amerikanischen Verhältnisse.


(Zuruf von der SPD: Du liebes Bisschen!)

Bei der Kriminalitätsbekämpfung sind, bezogen auf den
Waffenbesitz, unserer Meinung nach die legalen Waffen-
besitzer – Jäger und Sportschützen – nicht das Problem.


(Beifall bei der PDS)

Der ursprüngliche Entwurf war dort, wo es um die drin-
gend notwendige Kontrolle von Gas- und Schreckschuss-
waffen ging, eine Lachnummer. Dies hat die Gewerk-
schaft der Polizei richtigerweise kritisiert.

In diesem Zusammenhang möchte ich mich dem Dank
meiner Kollegen an die Verbände für ihre enge Zusam-
menarbeit mit der Opposition im gesamten Hause an-
schließen, wodurch sie erheblich dazu beigetragen haben,
dass heute tatsächlich ein wesentlich verbesserter Gesetz-
entwurf vorliegt.

Trotzdem bleiben wichtige Kritikpunkte am vorliegen-
den Gesetz bestehen. Das Grundrecht auf Unverletzlich-
keit der Wohnung soll bei Waffenbesitzern in Zukunft
weniger geschützt sein als bei anderen Menschen. Schon
ein boshafter Nachbar kann mit falschen Beschuldigun-
gen eine Hausdurchsuchung auslösen. Ein solches Son-
derrecht gegen legale Waffenbesitzer lehnen wir
grundsätzlich ab.


(Beifall bei der PDS)

Wir haben deshalb einen Antrag auf Streichung dieser
repressiven Klausel vorgelegt.

Geblieben sind auch andere Schikanen. So soll bei Jä-
gern und Sportschützen drei Jahre, nachdem sie ihre Waf-
fenbesitzkarte erhalten haben, erneut geprüft werden, ob
noch ein Bedürfnis zum Waffenbesitz vorliegt. Geblieben
sind auch Einschränkungen beim Erbrecht. Geblieben sind
auch restriktive Vorschriften für die Anerkennung von
Schießsportverbänden und andere Regelungen, für die ich
keinen vernünftigen Grund gefunden habe. Hier spuken
noch immer der alte Obrigkeitsstaat bzw. die besonders
deutsche Gründlichkeit und Regulierungswut herum.

Falsch in anderer Hinsicht, nämlich geradezu lax, sind
dagegen die Bestimmungen für Gas- und Schreckschuss-
waffen. Diese Waffen können tödliche Verletzungen aus-
lösen, wie uns auch in der Anhörung bestätigt wurde. Hier
geht die Vorlage der Regierung uns nicht weit genug. Die
GdP hat einen Antrag vorgelegt, den wir übernommen ha-
ben und in dem es darum geht, dass für diese Waffen ein
Führungszeugnis vorgelegt werden muss; außerdem sol-
len eine Registrierung und eine Berichtspflicht eingeführt
werden. Auch diesen Antrag stellen wir heute zur Ab-
stimmung. Wer Gas- und Schreckschusswaffen zum eige-
nen Schutz kaufen will, wird dadurch auch in Zukunft
nicht behindert. Gelegenheitstäter aber, die sich eine sol-
che Waffe besorgen, um Straftaten zu begehen, werden
durch zusätzliche Maßnahmen hoffentlich abgeschreckt.

Leider haben die Regierungsparteien diesen Anträgen
nicht zugestimmt. Damit bleibt die Novelle trotz vieler
Verbesserungen in wichtigen Punkten mangelhaft. Einer
solchen Novelle können auch wir nicht zustimmen.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der PDS)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1423412800
Jetzt spricht für die
SPD-Fraktion der Kollege Ernst Bahr.


(Reinhard Freiherr von Schorlemer [CDU/ CSU]: Das ist ein richtiger Jäger!)



Ernst Bahr (SPD):
Rede ID: ID1423412900

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist er-
schreckend, wie hier zum Teil noch heute von Rednern
der Opposition Falschdarstellungen kommen.


(Beifall bei der SPD – Widerspruch bei der CDU/CSU)


Frau Jelpke hat gerade gesagt, dass sie beantragt hat,
das Recht auf Wohnungszutritt zu streichen. Dieser An-
trag der PDS hat folgenden Zusammenhang: Die Erlaub-
nis für eine Waffe ist erloschen und wurde entzogen.
Wenn dann eine Frist für die Abgabe der Waffe verstri-
chen ist, müssen die Behörden die Möglichkeit haben, sie
abzuholen. – Das ist doch wohl das Mindeste, was man er-
warten kann.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Das gilt auch für andere Dinge. Ich werde darauf in
meiner Rede noch eingehen.

Eigentlich haben die Regierungskoalition und die Re-
gierung für die Novellierung des Waffengesetzes ein
dickes Lob verdient. Wir werden es in der Öffentlichkeit
und vor allem bei den Betroffenen auch noch kriegen. Da
bin ich mir sicher.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Der Gesetzentwurf, der heute zur Verabschiedung kommt,
ist nämlich mustergültig erarbeitet worden.

Herr Koschyk, das ist das Problem: Sie hätten das in
drei Wahlperioden machen können. Sie haben das nicht




Rainer Funke

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(C)



(D)



(A)



(B)


zustande gebracht. Jetzt hängen Sie sich an unsere Arbeit
dran. Das können Sie auch tun.


(Beifall bei der SPD)

Wir haben diese Novellierung mit dem Ziel gestaltet,

die Inhalte den Belangen der inneren Sicherheit besser an-
zupassen und missbräuchlichen Umgang mit Waffen ein-
zudämmen. Das war unser Ausgangspunkt. Während der
Regierungsentwurf im Mai vorigen Jahres von der Fach-
presse noch positiv aufgenommen wurde


(Widerspruch bei der CDU/CSU – Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/CSU]: „Vorwärts“, Seite 53!)


– das können Sie in der Fachpresse nachlesen –, ist nach
der Stellungnahme des Bundesrates die Stimmung über-
gekocht. Es ist in alle Parteien Material gegeben worden,
das diese Kritik verursacht hat.


(Beifall bei der SPD)

Es liegt in der Natur der Sache, dass bei einer Neufas-

sung eines Gesetzes auch Änderungsbedarf besteht. Das
ist doch völlig klar. Die Interessenvertreter möchten
natürlich weiter gehende Regelungen haben und Ver-
schärfungen verhindern. Das verstehen wir.


(Zuruf von der CDU/CSU: Sie versuchen jetzt, die Sache schön umzudrehen!)


Die Änderungsvorschläge, die eingebracht wurden, sind
uns natürlich willkommen gewesen. Denn wir wollten
eine Arbeit mit den Betroffenen machen. Das ist uns auch
gelungen.

Kein Verständnis habe ich jedoch für Falschinformatio-
nen in der Presse und im Internet. Wie ich oft auf öffentli-
chen Veranstaltungen feststellen musste, sind auch nach
der öffentlichen Anhörung am 20. März immer noch
Falschmeldungen von Vertretern der Opposition verbreitet
worden – das ist wirklich nicht in Ordnung –, obwohl wir
einen 18-Punkte-Katalog vorgelegt hatten, der deutlich
machte, dass wir eine ganz andere Novellierung haben.
Denn auch wir wussten und wissen heute noch, dass die le-
galen Waffenbesitzer gesetzestreue Bürger sind. Das ent-
spricht auch dem, was wir hier niedergeschrieben haben.


(Beifall bei der SPD)

Wie groß die Verwirrung war, habe ich auf einer Tour

bei Horst Kubatschka in Bayern erfahren, wo wir Sport-
schützenverbände und Schießstätten besucht haben. Sie
haben gestaunt, dass das alles, was ihnen in der Fach-
presse und durch andere Leute vorgetragen wurde, gar
nicht so zutrifft. Der Gesetzentwurf, den wir heute be-
schließen, zeigt das ja deutlich. Das alles ist nachlesbar.
Weder der tatsächliche Regierungsentwurf noch die
Punkte des Änderungsantrages waren bekannt. Insofern
ist klar, dass Sie als Opposition die Ängste und Unsicher-
heiten noch geschürt haben. Das ist deutlich zu merken.
Sie können das alles, wie gesagt, in der Fachpresse nach-
lesen, auch Ihre Stellungnahmen.

Ich möchte an dieser Stelle nicht noch einmal auf die
inhaltlichen Punkte im Einzelnen eingehen. Der Parla-
mentarische Staatssekretär, Herr Körper, hat das weitge-
hend schon getan. Ich möchte auf einen Punkt eingehen,

der einer besonderen Interpretation bedarf, weil er bis
heute in diesem Hause falsch dargestellt wird.

Während Sportschützen und Jäger ein Bedürfnis, die
körperliche und geistige Eignung, die persönliche Zuver-
lässigkeit und eine entsprechende Qualifizierung nach-
weisen müssen, gestattet das noch geltende, aber auch das
neue Waffenrecht Erben,Vermächtnisnehmern und durch
Auflage Begünstigten den Erwerb und Besitz von Waffen
ohne den Nachweis eines Bedürfnisses oder der Sach-
kunde. Zivilrechtlich gesehen ist der Eigentums- und Be-
sitzerwerb der Waffen durch Erben unstrittig und durch
das Grundgesetz geschützt. Um der mit dem Verzicht des
Nachweises des Bedürfnisses und der Sachkunde beim
Erwerber im Erbfall verbundenen Gefahr von Missbrauchs-
fällen zu begegnen, war im Regierungsentwurf ursprüng-
lich beabsichtigt, den Besitz von ererbten Schutzwaffen
mit der Verpflichtung zu verbinden, sie mit einem dem
Stand der Technik entsprechenden Blockiersystem zu si-
chern. Dieses System gibt es bis heute nicht, es gibt nur
Ansätze dafür. Deswegen haben wir in das Gesetz eine
Frist von fünf Jahren hineingeschrieben, in der die Indus-
trie die Aufgabe hat, Blockiersysteme zu entwickeln,
durch die diese Waffen für Unbefugte nicht nutzbar sind.
Allein das ist eine Befristung. Das Erbrecht können wir
nicht und wollen wir auch nach wie vor nicht angehen.


(Beifall bei der SPD – Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Warum machen Sie dann so einen Murks!)


Es ist vielleicht verlockend, von Erben, die in den Besitz
von Waffen kommen, den Sachkundenachweis zu er-
warten. Aber das können Sie nicht verlangen. Es kann ein
minderjähriges Kind oder eine alte Oma Erbe werden, die
Sachkunde nicht nachweisen können, indem sie die Jäger-
prüfung machen. Insofern halten wir die Blockiersysteme
für das richtige Mittel.


(Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Mit der bewaffneten Oma auf Du und Du!)


An dieser Stelle möchte ich noch einmal auf das Recht
des Zutritts zur Wohnung eingehen. Es ist nicht so, wie es
immer dargestellt wird. Es gibt die Möglichkeit, die Woh-
nung zu betreten, nur bei Gefahr im Verzuge. Das gilt in
anderen gesetzlichen Regelungen auch.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich möchte an dieser Stelle Herrn Bundesminister

Schily und seinen Mitarbeitern für die vorbildliche Er-
arbeitung dieses Gesetzes noch einmal herzlich danken.


(Beifall bei der SPD)

Ich frage mich, warum das die CDU/CSU-Fraktion mit

der FDP in ihrer Regierungszeit nicht zustande gebracht
hat. Vielleicht wollten Sie es auch nicht. Das müssten Sie
Ihren Leuten einmal erklären. Hier liegt jedenfalls jetzt
die Aufgabe vor uns, den 4 Millionen Waffenbesitzern
deutlich zu machen, dass die Inhalte, die wir vertreten ha-
ben, ihren Interessen entsprechen und nicht dem, was Sie
demagogisch in die Welt gesetzt haben.


(Beifall bei der SPD)

Ich darf zur Ergänzung hinsichtlich einer redaktionel-

len Änderung, die mit den Fraktionen abgestimmt ist, der




Ernst Bahr
23346


(C)



(D)



(A)



(B)


Präsidentin noch ein Blatt zu einem Änderungsantrag
übergeben, den die CDU/CSU eingebracht hat.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1423413000
Letzter Redner in die-
ser Debatte ist der Kollege Erwin Marschewski für die
CDU/CSU-Fraktion.


Erwin Marschewski (CDU):
Rede ID: ID1423413100

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Her-
ren! Offensichtlich waren die Sozialdemokraten mal wie-
der mit ihrem Jägerlatein am Ende.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Deshalb haben sie ihre wirklich absurden Reglemen-
tierungen von Jägern, Schützen und Waffensammlern
aufgeben müssen und deswegen haben sie sich zu Recht
den Forderungen der Union endlich angeschlossen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich sage Ihnen: Sie hätten sich natürlich viel Ärger bei

den Betroffenen ersparen können. Sie hätten von Anfang
an auf unseren guten Rat hören sollen


(Zuruf von der SPD: Warum haben Sie es nicht selbst gemacht!)


oder, Herr Kollege von der SPD, auf den guten Rat Ihrer
Kollegen Graf und Kemper. Das wäre gut gewesen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Dass Jäger, Schützen und Waffensammler gesetzes-

treue Bürger sind, ist bekannt. Gerade diesen bürokrati-
sche Daumenschrauben anlegen zu wollen ist doch wirk-
lich verfehlt.


(Zuruf von der CDU/CSU: Bravo!)

Was wir bekämpfen müssen, ist die Kriminalität, sind die
Gangster, ist die organisierte Kriminalität, deren Vertreter
mit illegalen Waffen Verbrechen begehen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

So hat Josef Ambacher, der Präsident des Deutschen

Schützenbundes, Recht, wenn er in einem Dankesschrei-
ben an unseren Fraktionsvorsitzenden schreibt, der Ent-
wurf habe ein Vielzahl von Regelungen enthalten, die für
die Sportschützen nicht tragbar gewesen seien und die zum
Ende des Schießsports geführt hätten. Ich wiederhole:
Josef Ambacher, Präsident des Schützenbundes, sagt, diese
Regelungen hätten zum Ende des Schießsports geführt. So
etwas haben Sie vorgelegt, meine Damen und Herren!

Wir haben Sie nunmehr gezwungen, Ihren Gesetzent-
wurf vom Kopf auf die Füße zu stellen. Da vieles jetzt ver-
nünftig geworden ist, können wir diesem total veränder-
ten Gesetzentwurf zustimmen.

Es ist gut, dass die sinnlose Waffenbegrenzung vom
Tisch ist. Es ist gut, dass auf die Meldepflicht für Inaktive
verzichtet worden ist, dass die Regelungen zu den
Aufbewahrungspflichten praxisnah gestaltet worden sind,

dass junge Leute jetzt wieder üben können. Der Jugend ist
eine Chance zur Leistung zu geben, gerade in den Schüt-
zenvereinen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Raten möchte ich Ihnen noch, auf das Erbenprivileg zu

verzichten, denn es hat überhaupt keine Sicherheitsrele-
vanz. Sie sollen dies nicht antasten, meine Damen und
Herren. Das fordern wir und wir hoffen, dass dies im Bun-
desrat noch geregelt wird.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1423413200
Herr Kollege
Marschewski!


Erwin Marschewski (CDU):
Rede ID: ID1423413300

Ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1423413400
Sie gestatten keine
Zwischenfrage.


Erwin Marschewski (CDU):
Rede ID: ID1423413500

Zum Schluss stelle ich fest: Der Widerstand der Union im
Schulterschluss mit Jägern und mit Sportschützen hat sich
gelohnt.


(Lachen bei der SPD – Ernst Bahr [SPD]: Herr Marschewski, das, was Sie jetzt kritisieren, stand doch alles in Ihren Entwürfen! Deswegen haben Sie es nicht zu Ende gebracht! Horst Kubatschka [SPD]: Sie haben gar nichts bewirkt!)


CDU/CSU, Jäger, Sportschützen und Waffensammler
haben gut gezielt und voll ins Schwarze getroffen.
Schwarz – das wissen Sie als Schütze, Herr Kollege – ist
nun einmal die höchste Punktzahl.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf von der CDU/CSU: Waidmannsheil!)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1423413600
Ich schließe die Aus-
sprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Neurege-
lung des Waffenrechts auf Drucksache 14/7758. Ich ver-
weise darauf, dass es eine persönliche Erklärung nach
§ 31 der Geschäftsordnung des Kollegen Dr. Wolfgang
Freiherr von Stetten zur Abstimmung gibt.1) Der Innen-
ausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschluss-
empfehlung auf Drucksache 14/8886, den Gesetzentwurf
in der Ausschussfassung anzunehmen. Hier verweise ich
auf die redaktionellen Änderungen, auf die der Kollege
Bahr soeben hingewiesen hat.

Es liegen zwei Änderungsanträge der Fraktion der PDS
vor, über die wir zuerst abstimmen.




Ernst Bahr

23347


(C)



(D)



(A)



(B)


1) Anlage 3

Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion der
PDS auf Drucksache 14/8933? – Wer stimmt dagegen? –
Enthaltungen? – Keine. Der Änderungsantrag ist gegen
die Stimmen der PDS-Fraktion abgelehnt.

Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion der
PDS auf Drucksache 14/8934? – Gegenprobe! – Enthal-
tungen? – Keine. Der Änderungsantrag ist gegen die
Stimmen der PDS-Fraktion abgelehnt.

Ich bitte jetzt diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der
Ausschussfassung mit den genannten redaktionellen Än-
derungen zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Ge-
genprobe! – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist damit
in zweiter Beratung gegen die Stimmen von FDP- und
PDS-Fraktion angenommen.

Wir kommen zur
dritten Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Gegenprobe! – Enthaltungen? – Damit ist der Gesetzent-
wurf gegen die Stimmen von FDP- und PDS-Fraktion
angenommen.

Der Innenausschuss empfiehlt unter Nr. 2 seiner Be-
schlussempfehlung auf Drucksache 14/8886, eine Ent-
schließung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschluss-
empfehlung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? – Die
Beschlussempfehlung ist bei Enthaltung von FDP- und
PDS-Fraktion angenommen.

Wir kommen zur Abstimmung über den vom Bundes-
rat eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Waf-
fengesetzes auf Drucksache 14/763. Der Innenausschuss
empfiehlt unter Nummer drei seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 14/8886, den Gesetzentwurf abzu-
lehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zu-
stimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt
dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist damit
in zweiter Beratung bei Enthaltung der CDU/CSU-Frak-
tion abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Geschäftsord-
nung die weitere Beratung.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 21 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-

(14. Ausschuss)

Seehofer, Wolfgang Lohmann (Lüdenscheid),
Dr. Wolf Bauer, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der CDU/CSU
Informationsmöglichkeiten der Krankenversi-
cherten umgehend verbessern
– Drucksachen 14/5678, 14/8885 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Wolfgang Lohmann (Lüdenscheid)


Die Kolleginnen und Kollegen Eike Hovermann,
Aribert Wolf, Monika Knoche, Detlef Parr sowie Dr. Ruth
Fuchs haben ihre Reden zu Protokoll gegeben.1) – Ich sehe
keinen Widerspruch im Hause.

Wir kommen deshalb zur Abstimmung über die Be-
schlussempfehlung des Ausschusses für Gesundheit auf
Drucksache 14/8885 zu dem Antrag der Fraktion der
CDU/CSU mit dem Titel „Informationsmöglichkeiten der
Krankenversicherten umgehend verbessern“. Der Aus-
schuss empfiehlt, denAntrag aufDrucksache 14/5678 abzu-
lehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Ge-
genprobe! – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist
gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP angenommen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 22 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Änderung des Bewachungsgewerberechts
– Drucksache 14/8386 –

(Erste Beratung 227. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Wirtschaft und Technologie (9. Ausschuss)

– Drucksache 14/8903 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Hartmut Schauerte

Die Kolleginnen und Kollegen Günter Graf, Christian
Lange, Klaus Francke, Hans-Christian Ströbele, Rainer
Funke und Petra Pau haben ihre Reden zu Protokoll ge-
geben.2) – Auch hierzu gibt es keinen Widerspruch.

Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung
des Bewachungsgewerberechts in der Ausschussfassung,
Drucksachen 14/8386 und 14/8903. Ich bitte diejenigen,
die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustim-
men wollen, um das Handzeichen. – Gegenprobe! – Ent-
haltungen? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Be-
ratung gegen die Stimmen der PDS-Fraktion bei
Enthaltung der CDU/CSU angenommen.

Wir kommen jetzt zur
dritten Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Gegenprobe! – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist
damit gegen die Stimmen der PDS-Fraktion bei Enthal-
tung der CDU/CSU angenommen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 23 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten
Gesetzes zur Änderung des Mutterschutzrechts
– Drucksache 14/8525 –

(Erste Beratung 227. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

(13. Ausschuss)

– Drucksache 14/8880 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Marlene Rupprecht
Maria Eichhorn




Vizepräsidentin Petra Bläss
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(C)



(D)



(A)



(B)


1) Anlage 5 2) Anlage 6

Irmingard Schewe-Gerigk
Ina Lenke

Die Kolleginnen und Kollegen Marlene Rupprecht,
Maria Eichhorn, Irmingard Schewe-Gerigk, Ina Lenke,
Christina Schenk sowie die Parlamentarische Staatssekre-
tärin Dr. Edith Niehuis haben ihre Reden zu Protokoll ge-
geben.1) – Auch hierüber gibt es große Begeisterung bei
allen Kolleginnen und Kollegen.

Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung
des Mutterschutzrechts, Drucksache 14/8525. Der Aus-
schuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend emp-
fiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-
che 14/8880, den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte
diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen,
um das Handzeichen. – Gegenprobe! – Enthaltungen? –
Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung einstim-
mig angenommen.

Wir kommen zur
dritten Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, aufzustehen. – Gegen-
probe! – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist mit den
Stimmen des gesamten Hauses angenommen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 24 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulrike
Flach, Walter Hirche, Cornelia Pieper, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Die Brennstoffzelle – Technik des 3. Jahr-
tausends
– Drucksache 14/8282 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit

Die Kolleginnen und Kollegen Hubertus Heil, Ulrich
Kasparick, Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land), Hans-Josef
Fell, Ulrike Flach und Wolfgang Bierstedt haben ihre Re-
den ebenfalls zu Protokoll gegeben.2) – Auch dazu gibt es
keinen Widerspruch im Hause. Interfraktionell wird die
Überweisung der Vorlage auf Drucksache 14/8282 an die
in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorge-
schlagen. – Auch hierzu gibt es keinen Widerspruch.
Dann ist die Überweisung so beschlossen.

Jetzt sind wir schon bei Tagesordnungspunkt 25:
Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zurÄnde-
rung des Apothekengesetzes
– Drucksache 14/756 –

(Erste Beratung 66. Sitzung)


Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Gesundheit (14. Ausschuss)

– Drucksachen 14/8875, 14/8930 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Wolf Bauer

Die Kolleginnen und Kollegen Dr. Margrit Spielmann,
Dr. Wolf Bauer, Detlef Parr, Dr. Ruth Fuchs und sicher
auch noch eine Kollegin vom Bündnis 90/Die Grünen
– diese Rede wird wohl nachgereicht – haben ihre Reden
zu Protokoll gegeben.3) – Auch hierzu gibt es keinen Wi-
derspruch.

Wir kommen deshalb direkt zur Abstimmung über den
vom Bundesrat eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur
Änderung des Apothekengesetzes in der Ausschussfas-
sung, Drucksachen 14/756 und 14/8875. Ich bitte diejeni-
gen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zu-
stimmen wollen, um das Handzeichen. – Gegenprobe! –
Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter
Beratung gegen die Stimmen von CDU/CSU- und FDP-
Fraktion angenommen.

Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die zustim-
men wollen, sich zu erheben. – Gegenprobe! – Enthaltun-
gen? – Der Gesetzentwurf ist damit gegen die Stimmen
von CDU/CSU- und FDP-Fraktion angenommen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 27 a und 27 b auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-

gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes

(Altfahrzeug-Gesetz – AltfahrzeugG)

– Drucksache 14/8343, 14/8670 –

(Erste Beratung 221. Sitzung)

aa) Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-

schusses für Umwelt, Naturschutz und Reak-
torsicherheit (16. Ausschuss)

– Drucksachen 14/8884, 14/8929 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Ulrich Kelber
Dr. Paul Laufs
Michaele Hustedt
Birgit Homburger
Eva Bulling-Schröter


(8. Ausschuss)

– Drucksache 14/8890 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Waltraud Lehn
Jochen Borchert
Oswald Metzger
Jürgen Koppelin
Dr. Uwe-Jens Rössel




Vizepräsidentin Petra Bläss

23349


(C)



(D)



(A)



(B)


1) Anlage 7
2) Anlage 8 3) Anlage 9

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss) zu dem An-
trag der Abgeordneten Birgit Homburger, Marita
Sehn, Ulrike Flach, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der FDP
Umsetzung der EU-Altfahrzeugrichtlinie öko-
logisch sinnvoll und ökonomisch verantwort-
lich gestalten
– Drucksachen 14/5466, 14/7020 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Ulrich Kelber
Georg Girisch
Michaele Hustedt
Birgit Homburger
Eva Bulling-Schröter

Die Kolleginnen und Kollegen Ulrich Kelber, Dr. Paul
Laufs, Bundesminister Jürgen Trittin, Birgit Homburger
sowie Eva Bulling-Schröter möchten ihre Reden zu Pro-
tokoll geben.1) – Auch hier – was Wunder – kein Wider-
spruch.

Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes über
die Entsorgung von Altfahrzeugen in der Ausschuss-
fassung, Drucksachen 14/8343, 14/8670 und 14/8884. Ich
bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen,
um das Handzeichen. – Gegenprobe! – Enthaltungen? –
Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung gegen
die Stimmen von CDU/CSU- und FDP-Fraktion bei Ent-
haltung der PDS-Fraktion angenommen.

Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Ge-
genprobe! – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist damit
gegen die Stimmen von CDU/CSU- und FDP-Fraktion
bei Enthaltung der PDS-Fraktion angenommen.

Beschlussempfehlung des Ausschusses für Umwelt,
Naturschutz und Reaktorsicherheit auf Drucksache 14/7020
zu dem Antrag der Fraktion der FDP mit dem Titel „Um-
setzung der EU-Altfahrzeugrichtlinie ökologisch sinnvoll
und ökonomisch verantwortlich gestalten“: Der Aus-
schuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/5466 ab-
zulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? –
Gegenprobe! – Enthaltungen? – Die Beschlussempfeh-
lung ist gegen die Stimmen von CDU/CSU- und FDP-
Fraktion angenommen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 28 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Fünften
Gesetzes zur Änderung des Steuerbeamten-
Ausbildungsgesetzes
– Drucksache 14/8286 –

(Erste Beratung 221. Sitzung)


Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzaus-
schusses (7. Ausschuss)

– Drucksache 14/8887 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Lydia Westrich
Hansgeorg Hauser (Rednitzhembach)

Heidemarie Ehlert

Die Kolleginnen und Kollegen Lydia Westrich,
Hansgeorg Hauser (Rednitzhembach), Christine Scheel,
Heidemarie Ehlert und sicherlich noch eine Kollegin oder
ein Kollege der FDP, deren bzw. dessen Rede nach-
gereicht wird, möchten ihre Reden zu Protokoll geben.2) –
Kein Widerspruch im Saal.

Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur
Änderung des Steuerbeamten-Ausbildungsgesetzes in der
Ausschussfassung, Drucksachen 14/8286 und 14/8887.
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen
wollen, um ihr Handzeichen. – Gegenprobe! – Enthaltun-
gen? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung
gegen die Stimmen von CDU/CSU- und FDP-Fraktion
bei Enthaltung der PDS-Fraktion angenommen.

Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. All diejenigen, die dem Gesetz-
entwurf zustimmen wollen, bitte ich, sich zu erheben. –
Gegenprobe! – Enthaltungen? – Dieser Gesetzentwurf ist
gegen die Stimmen von CDU/CSU- und FDP-Fraktion
bei Enthaltung der PDS-Fraktion angenommen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 30 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Änderung des Umweltauditgesetzes
– Drucksachen 14/8231, 14/8521 –

(Erste Beratung 218. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher-
heit (16. Ausschuss)

– Drucksache 14/8891 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Petra Bierwirth
Bernward Müller (Jena)

Winfried Hermann
Birgit Homburger
Eva Bulling-Schröter

Die Kolleginnen und Kollegen Petra Bierwirth,
Bernward Müller (Jena), Bundesminister Trittin, Birgit
Homburger sowie Eva Bulling-Schröter möchten ihre
Reden zu Protokoll geben.3) – Auch hier kein Widerspruch.

Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur
Änderung des Umweltauditgesetzes in der Ausschuss-




Vizepräsidentin Petra Bläss
23350


(C)



(D)



(A)



(B)


1) Anlage 10
2) Anlage 11
3) Anlage 12

fassung, Drucksachen 14/8231, 14/8521 und 14/8891. Ich
bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschuss-
fassung zustimmen wollen, um ihr Handzeichen. – Wer
stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf
ist damit in zweiter Beratung gegen die Stimmen der
PDS-Fraktion angenommen.

Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wol-
len, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltun-
gen? – Der Gesetzentwurf ist damit gegen die Stimmen
der PDS-Fraktion angenommen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 31 auf:
– Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-

regierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten
Gesetzes zur Änderung und Ergänzung ver-
mögensrechtlicher und anderer Vorschriften

(Zweites Vermögensrechtsergänzungsgesetz – 2. VermRErgG)

– Drucksache 14/7228 –

(Erste Beratung 208. Sitzung)


– Zweite und dritte Beratung des von den Abgeord-
neten Dr. Edzard Schmidt-Jortzig, Rainer Funke,
Jörg van Essen, weiteren Abgeordneten und der
Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Ergänzung des Vermögensgesetzes

(Zweites Vermögensrechtsergänzungsgesetz – 2. VermRErgG)

– Drucksache 14/5091 –

(Erste Beratung 176. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsaus-
schusses (6. Ausschuss)

– Drucksache 14/8889 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Hans-Joachim Hacker
Andrea Voßhoff
Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten
Hans-Christian Ströbele
Rainer Funke
Dr. Evelyn Kenzler

Die Kolleginnen Andrea Voßhoff und Dr. Evelyn
Kenzler, die Kollegen Hans-Joachim Hacker und Rainer
Funke, der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Eckhart
Pick sowie die Kolleginnen und Kollegen von den Grü-
nen möchten ihre Reden zu Protokoll geben.1) Sind Sie
damit einverstanden? – Ich höre keinen Widerspruch.
Dann ist das so beschlossen.

Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den von der
Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Zweiten
Gesetzes zur Änderung und Ergänzung vermögensrecht-
licher und anderer Vorschriften auf Drucksache 14/7228.
Hierzu liegt eine schriftliche Erklärung zur Abstimmung

vonseiten des Kollegen Dr. Freiherr von Stetten gemäß
§ 31 unserer Geschäftsordnung vor.2)

Der Rechtsausschuss empfiehlt unter Buchstabe a sei-
ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 14/8889, den
Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz-
entwurf ist damit in zweiter Beratung gegen die Stimmen
der Fraktionen der CDU/CSU, der FDP und der PDS an-
genommen.

Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer
stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf
ist damit gegen die Stimmen der Fraktionen der CDU/
CSU, der FDP und der PDS angenommen.

Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den von der
Fraktion der FDP eingebrachten Entwurf eines Gesetzes
zur Ergänzung des Vermögensgesetzes, Drucksache
14/5091. Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung
auf Drucksache 14/8889 empfiehlt der Rechtsausschuss,
den Gesetzentwurf abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzei-
chen. – Gegenprobe! – Enthaltungen? – Der Gesetzent-
wurf ist damit in zweiter Beratung gegen die Stimmen der
FDP-Fraktion bei Enthaltung der CDU/CSU-Fraktion ab-
gelehnt. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung
die weitere Beratung.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 32 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Errichtung einer Stiftung Deutsche Geistes-
wissenschaftliche Institute im Ausland, Bonn
– Drucksache 14/8465 –

(Erste Beratung 224. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung (19. Ausschuss)

– Drucksache 14/8847 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Hans-Werner Bertl
Werner Lensing
Dr. Reinhard Loske
Ernst Burgbacher
Maritta Böttcher

Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der FDP
vor.

Die Kollegen Hans-Werner Bertl, Werner Lensing,
Dr. Reinhard Loske, Ernst Burgbacher und Dr. Heinrich
Fink möchten ihre Reden zu Protokoll geben.3) Sind Sie
damit einverstanden? – Ich höre keinen Widerspruch.
Dann ist das so beschlossen.




Vizepräsidentin Petra Bläss

23351


(C)



(D)



(A)



(B)


1) Anlage 13
2) Anlage 4
3) Anlage 14

Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur
Errichtung einer Stiftung „Deutsche Geisteswissen-
schaftliche Institute im Ausland“ auf Drucksache
14/8465. Der Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung empfiehlt auf Drucksache
14/8847, den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung an-
zunehmen.

Es liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der FDPvor,
über den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für den Än-
derungsantrag auf Drucksache 14/8907? – Gegenprobe! –
Enthaltungen? – Der Änderungsantrag ist gegen die Stim-
men der Fraktionen der FDP und der PDS abgelehnt.

Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Aus-
schussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. –
Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzent-
wurf ist damit in zweiter Beratung gegen die Stimmen der
FDP-Fraktion angenommen.

Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Ge-
genprobe! – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist damit
gegen die Stimmen der FDP-Fraktion angenommen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 33 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Arbeit und Sozialord-
nung (11. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeord-
neten Pia Maier, Dr. Klaus Grehn, Dr. Heidi
Knake-Werner, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der PDS

Eine Grundsicherung in die Arbeitslosenver-
sicherung einführen
– Drucksachen 14/7294, 14/8662 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Peter Weiß (Emmendingen)


Die Kolleginnen Ute Kumpf, Dr. Thea Dückert und Pia
Maier sowie die Kollegen Wolfgang Meckelburg und
Dirk Niebel möchten ihre Reden zu Protokoll geben.1)
Sind Sie damit einverstanden? – Ich höre keinen Wider-
spruch. Dann ist das so beschlossen.

Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des Ausschusses für Arbeit und Sozialord-
nung auf Drucksache 14/8662 zu dem Antrag der Fraktion
der PDS mit dem Titel: „Eine Grundsicherung in die Ar-
beitslosenversicherung einführen“. Der Ausschuss emp-
fiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/7294 abzulehnen.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer
stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussemp-
fehlung ist damit gegen die Stimmen der PDS-Fraktion
angenommen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit am
Schluss unserer heutigen Tagesordnung.


(Beifall)

Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes-

tages auf Mittwoch, den 15. Mai 2002, 13 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.