Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. April 2002
Vizepräsidentin Petra Bläss
23352
(C)
(D)
(A)
(B) 1) Anlage 15
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. April 2002 23353
(C)
(D)
(A)
(B)
Balt, Monika PDS 26.04.2002
Dr. Bartsch, Dietmar PDS 26.04.2002
Behrendt, Wolfgang SPD 26.04.2002*
Bindig, Rudolf SPD 26.04.2002*
Dr. Blank, CDU/CSU 26.04.2002
Joseph-Theodor
Dr. Blüm, Norbert CDU/CSU 26.04.2002
Bohl, Friedrich CDU/CSU 26.04.2002
Breuer, Paul CDU/CSU 26.04.2002
Bühler (Bruchsal), CDU/CSU 26.04.2002*
Klaus
Dautzenberg, Leo CDU/CSU 26.04.2002
Eichstädt-Bohlig, BÜNDNIS 90/ 26.04.2002
Franziska DIE GRÜNEN
Dr. Eid, Uschi BÜNDNIS 90/ 26.04.2002
DIE GRÜNEN
Erler, Gernot SPD 26.04.2002
Ernstberger, Petra SPD 26.04.2002
Friedrich (Altenburg), SPD 26.04.2002
Peter
Glos, Michael CDU/CSU 26.04.2002
Günther (Duisburg), CDU/CSU 26.04.2002
Horst
Haack (Extertal), SPD 26.04.2002*
Karl-Hermann
Freiherr von CDU/CSU 26.04.2002
Hammerstein,
Carl-Detlev
Hartnagel, Anke SPD 26.04.2002
Helling, Detlef CDU/CSU 26.04.2002
Hiksch, Uwe PDS 26.04.2002
Hofbauer, Klaus CDU/CSU 26.04.2002
Hoffmann (Chemnitz), SPD 26.04.2002
Jelena
Dr. Hornhues, CDU/CSU 26.04.2002*
Karl-Heinz
Hornung, Siegfried CDU/CSU 26.04.2002*
Irber, Brunhilde SPD 26.04.2002
Irmer, Ulrich FDP 26.04.2002
Jäger, Renate SPD 26.04.2002*
Jünger, Sabine PDS 26.04.2002
Dr.-Ing. Kansy, CDU/CSU 26.04.2002
Dietmar
Karwatzki, Irmgard CDU/CSU 26.04.2002
Kossendey, Thomas CDU/CSU 26.04.2002*
Leidinger, Robert SPD 26.04.2002
Dr. Lippold CDU/CSU 26.04.2002
(Offenbach), Klaus W.
Lörcher, Christa fraktionslos 26.02.0202*
Dr. Lucyga, Christine SPD 26.04.2002*
Marquardt, Angela PDS 26.04.2002
Michelbach, Hans CDU/CSU 26.04.2002
Michels, Meinolf CDU/CSU 26.04.2002*
Müller (Berlin), PDS 26.04.2002*
Manfred
Müller (Köln), Kerstin BÜNDNIS 90/ 26.04.2002
DIE GRÜNEN 02
Neumann (Gotha), SPD 26.04.2002*
Gerhard
Nietan, Dietmar SPD 26.04.2002
Onur, Leyla SPD 26.04.2002*
Ost, Friedhelm CDU/CSU 26.04.2002
Ostrowski, Christine PDS 26.04.2002
Palis, Kurt SPD 26.04.2002*
Philipp, Beatrix CDU/CSU 26.04.2002
Pieper, Cornelia FDP 26.04.2002
Reiche, Katherina CDU/CSU 26.04.2002
Reuter, Bernd SPD 26.04.2002
Röspel, René SPD 26.04.2002
Ronsöhr, CDU/CSU 26.04.2002
Heinrich-Wilhelm
Roos, Gudrun SPD 26.04.2002
entschuldigt bisAbgeordnete(r) einschließlich entschuldigt bisAbgeordnete(r) einschließlich
Anlage 1
Liste der entschuldigten Abgeordneten
Anlagen zum Stenographischen Bericht
Rühe, Volker CDU/CSU 26.04.2002
Schemken, Heinz CDU/CSU 26.04.2002
Schlee, Dietmar CDU/CSU 26.04.2002
Schmidbauer, Bernd CDU/CSU 26.04.2002
Schmitz (Baesweiler), CDU/CSU 26.04.2002
Hans Peter
von Schmude, Michael CDU/CSU 26.04.2002*
Dr. Schockenhoff, CDU/CSU 26.04.2002
Andreas
Schuhmann (Delitzsch), SPD 26.04.2002
Richard
Schulhoff, Wolfgang CDU/CSU 26.04.2002
Schultz (Köln), SPD 26.04.2002
Volkmar
Seehofer, Horst CDU/CSU 26.04.2002
Siemann, Werner CDU/CSU 26.04.2002
Dr. Solms, Hermann FDP 26.04.2002
Otto
Spranger, Carl-Dieter CDU/CSU 26.04.2002
Dr. Stadler, Max FDP 26.04.2002
Thiele, Carl-Ludwig FDP 26.04.2002
Thönnes, Franz SPD 26.04.2002
Wimmer (Neuss), CDU/CSU 26.04.2002
Willy
Wissmann, Matthias CDU/CSU 26.04.2002
Zierer, Benno CDU/CSU 26.04.2002*
* für die Teilnahme an den Sitzungen der Parlamentarischen Ver-
sammlung des Europarates
Anlage 2
Nachträglich zu Protokoll gegebene Rede
zur Beratung
– des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des
Gesetzes über die Untersuchung von Seeunfällen
(Seeunfalluntersuchungsändungsgesetz – See-
UÄndG)
– der Beschlussempfehlung und des Berichtes zu
dem Antrag: Bildung einer Leitstelle für Seesi-
cherheit
– des Antrags: Maritme Sicherheit auf der Ostsee
(Tagesordnungspunkt 12 a bis c) (siehe 233. Sit-
zung)
Dr. Winfried Wolf (PDS):Wir erleben hier den letzten
Akt eines parlamentarischen und verkehrspolitischen
Trauerspiels. CSU/CSU haben den Gesetzentwurf für ein
Seeunfalluntersuchungsänderungsgesetz eingebracht. Mit
diesem wollten sie den entsprechenden Gesetzentwurf der
Bundesregierung verhindern. Der CDU/CSU-Gesetzent-
wurf verdeutlicht, dass es anders gegangen wäre, dass die
Argumente der Bundesregierung, ihr neues Gesetz auf die-
sem Gebiet sei erforderlich aufgrund der EG-Richtline
1999/35/EG und aufgrund der Verpflichtung, den IMO-
Code A.894(20) zu übernehmen, ohne jede Substanz sind.
Doch leider wurde der entsprechende Gesetzentwurf der
Bundesregierung in der zweiten und dritten Lesung bereits
verabschiedet – gegen die Stimmen von CDU/CSU, FDP
und gegen diejenigen der PDS-Fraktion. Und leider gelang
es im Bundesrat nicht, den zunächst massiven Widerstand
der Länder aufrechtzuerhalten.
Drei Aspekte nochmals zur Verdeutlichung:
Erstens. Der Inhalt des alten Rechts hat sich mehr als
130 Jahre lang bewährt. Es gab und gibt rein sachlich ge-
sehen keinen Grund für eine Änderung, schon gar nicht
für eine Neufassung im Sinne des Gesetzes, das die Bun-
desregierung einbrachte. Der Entwurf von CDU/CSU
verdeutlicht dies nochmals. Wir würden ihm inzwischen
zustimmen, wenn es nicht bereits eine neue Sachlage, ein
neues Gesetz geben würde. Vor dem Hintergrund dieser
neuen Sachlage ist die zweite und dritte Lesung dieses
Entwurfs nunmehr zwar in der Sache vergeblich, als poli-
tische Demonstration jedoch gerechtfertigt. Das im Bun-
destag mehrheitlich beschlossene Gesetz ist Ausdruck ei-
ner falschen Zentralisierung, mir der unter anderem die
Seeämter faktisch teilweise abgeschafft bzw. zu Briefkas-
ten-Behörden degradiert werden.
Zweitens. Das bisher zur Anwendung gebrachte Ver-
fahren bei Seeunfällen wies das Charakteristikum der
Transparenz auf. SPD und Bündnis 90/Die Grünen sind
1998 angetreten, um für mehr Transparenz einzutreten –
unter anderem aufgrund der Kohl-Spenden-Affäre. Nun
plötzlich gilt dieses Gebot nicht mehr. Und es gilt ausge-
rechnet dort nicht mehr, wo es sich erstens bewährt hat
und wo es zweitens grundsätzlich in einer Demokratie
eine besondere Bedeutung hat: bei der Gerichtsbarkeit
oder bei Verhandlungen, die im vorgerichtlichen Umfeld
stattfinden. Indem hier die Öffentlichkeit faktisch abge-
schafft wird, können hinter verschlossenen Türen sach-
fremde Einflüsse ausgeübt und Zwänge praktiziert wer-
den. Der Zusammenhang zwischen dem Gesetz der
Bundesregierung und dem Pallas-Unglück wurde hier in
den Medien zu Recht hergestellt.
Drittens. Im Bundesrat gab es zunächst die einstim-
mige Ablehnung des Gesetzentwurfs der Bundesregie-
rung. Insbesondere die Küstenländer – gleichgültig, ob in
ihnen die CDU oder die SPD die führende Regierungs-
partei stellt – hatten sich für eine Ablehnung und für die
weit gehende Beibehaltung der bisherigen gesetzlichen
Regelung stark gemacht. Hier handelte es sich um einen
ziemlich ungewöhnlichen Vorgang, der verdeutlicht, wie
gut begründet die Ablehnung des Regierungs-Gesetzes-
entwurfs war. Dass sich im Bundesrat dann nach der zwei-
ten und dritten Lesung im Bundestag keine Mehrheit
mehr fand, um den Vermittlungsausschuss anzurufen,
dass wichtige Bundesländer einknickten, ist mehr als be-
dauerlich. Dieser Vorgang wirft auch ein bezeichnendes
Licht auf unsere parlamentarische Demokratie und die
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. April 200223354
(C)
(D)
(A)
(B)
Möglichkeiten, den Bundesrat zu instrumentalisieren.
Das Bundesland Hamburg hat in einer Anmerkung zum
Protokoll des Verkehrsausschusses des Bundesrates deut-
lich gemacht, dass hier gelinde gesagt seitens der Bun-
desregierung auch Druck ausgeübt wurde. Ich zitiere aus
dem Blatt „Waterkant“: „Der Arm von Kurt Bodewig ist
eben lang und dringende teure Verkehrsprojekte gibt es in
allen Bundesländern.“
Zu dem bei diesem Tagespunkt ebenfalls anstehenden
Antrag „Maritime Sicherheit auf der Ostsee“ ist anzumer-
ken, dass wir erstens dem Antrag und dem damit angefor-
derten Bericht selbstverständlich zustimmen und dabei
zweitens erneut auf die Peinlichkeit verweisen müssen,
dass die PDS ursprünglich eine der den Antrag einbrin-
genden Fraktionen war und dann jedoch auf Forderung
der CDU-CSU-Fraktion wieder aus dieser Funktion „ge-
kippt“ wurde. Die Kolleginnen und Kollegen der CDU/
CSU sollten ihren Unvereinbarkeitsbeschluss bei nächs-
ter Gelegenheit überprüfen.
Anlage 3
Erklärung nach § 31 GO
des Abgeordneten Dr. Wolfgang Freiherr von
Stetten (CDU/CSU) zur Abstimmung über den
Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des
Waffenrechts (WaffRNeuRegG)
(Tagesordnungspunkt 29)
Der von der Bundesregierung am 7. Dezember 2001
vorgelegte Gesetzentwurf hat zu einem Aufschrei der
Empörung unter Sportschützen, Jägern, Strafrechtlern
und Polizeiverbänden geführt.
Die Unionsfraktion hat schon frühzeitig auf die Mängel
hingewiesen und viele Änderungsanträge eingebracht, de-
ren Grundlage die enge Zusammenarbeit mit den Deut-
schen Jagdverbänden und Sportschützenverbänden und
der seinerzeit 1998 mit diesen abgestimmten Gesetzent-
wurf für ein neues Waffenrecht gewesen sind. Die Koali-
tion hat aufgrund der massiven Proteste, durch die sie so-
zusagen „weichgekocht“ wurde, viele Änderungswünsche
erfüllt. Dennoch bleiben zahlreiche Mängel erhalten. Ich
habe Verständnis dafür, dass die Verbände trotzdem ent-
nervt die Parole ausgeben „man solle diesen Kompromis-
sen zustimmen, weil damit ein Jahrzehnt an Diskussionen
zu Ende gehe und Jäger- und Sportschützenverbände mit
diesem Gesetz leben könnten“.
„Leben können“ – sicher ja, aber doch nach wie vor
eingeschränkt durch hohe bürokratische Hürden, die kei-
neswegs mehr Sicherheit bringen, da Gangster, Gauner
und Ganoven nicht aus den Reihen der Jäger und Sport-
schützen kommen. Sie besorgen sich ihre Waffen nicht le-
gal, sondern illegal. Und daran ändert das Gesetz nichts.
Der Streit um das Eigentum von Waffen in Erbenhand
ist zwar zunächst entschärft. Aber nur der oberflächliche
Betrachter lässt sich hier „Sand in die Augen streuen“,
weil die Bestimmungen nach fünf Jahren, außer Kraft tre-
ten. Daher liegt eventuell doch ein verkappter enteig-
nungsgleicher Tatbestand vor, mindestens ist es aber eine
Mogelpackung.
Was bleibt ist letztlich ein in Eile und unter Druck zu-
sammengeschustertes Gesetz, das sehr bald in der Praxis
seine Mängel aufweisen wird und daher Änderungen be-
reits jetzt abzusehen sind. Aus diesem Grunde stimme ich
daher gegen das Gesetz.
Anlage 4
Erklärung nach § 31 GO
des Abgeordneten Dr. Wolfgang Freiherr von
Stetten (CDU/CSU) zur Abstimmung über den
Entwurf eines Gesetzes zur Ergänzung des
Vermögensgesetzes (Zweites Vermögensrechts-
ergänzungsgesetz – 2. VermRErG) (Tagesord-
nungspunkt 31)
Dem Gesetzentwurf der FDP-Fraktion stimme ich voll
inhaltlich zu, weil er den Versuch macht, wenigstens einer
ganz kleinen Gruppe von Entrechteten Genugtuung zuteil
werden zu lassen.
Entgegen der Auffassung der Regierungsparteien wird
das von ihr vorgelegte Gesetz zur Ergänzung des Vermö-
gensgesetzes keinen Abschluss der Aufarbeitung von
kommunistischen und SED-Unrecht bringen. Während
nationalsozialistisches Unrecht im Wesentlichen wieder
gut gemacht wurde, steht eine umfassende Wiedergutma-
chung des Kommunistischen Unrechts sowjetischer Prä-
gung aus.
Gerade das Beispiel der kleinen Gruppe der nicht ent-
deckten Widerstandskämpfer zeigt, wie widersprüchlich –
und letztlich unhaltbar – unser Wiedergutmachungsrecht
ist. Diejenigen Erben von Widerstandskämpfern, die von
den Nationalsozialisten hingerichtet wurden, erhalten
Haus und Hof wieder, diejenigen Erben, deren Vorfahren
durch die Kommunisten nach 1945 erschlagen und enteig-
net wurden, erhalten nichts. Es ist ein Widersinn des Ver-
mögensgesetzes – und ich habe dies schon oft angepran-
gert –, dass ein Unterschied gemacht wird zwischen
NS-Unrechtssystem und dem kommunistischen Unrechts-
system. Ob jemand erschlagen wurde durch das „Haken-
kreuz“ oder durch „Hammer und Sichel“ kann für die
Rechtsfolgen auf Dauer keinen Unterschied machen. Bei-
des waren Menschen verachtende Unrechtssysteme, deren
Unrechtshandlungen gleich behandelt werden sollten.
Der Gesetzentwurf der FDP ist ein Schritt in die rich-
tige Richtung auf dem Wege zur gerechteren Beurteilung
von Einzelfällen, und hätte dem Rechtsstaat Bundesrepu-
blik Deutschland gut zu Gesicht gestanden. Ich wage die
Prognose, dass die rechtlichen, moralischen und politi-
schen Fehlbehandlungen der Enteignungen 1945 bis 1949
– und das waren nicht nur Opfer der Bodenreform, son-
dern zehntausende von Hauseigentümern, Eigentümern
von kleinen Betrieben, Mühlen und Gaststätten – später
durch eine gerechtere Beurteilung ersetzt werden, wenn
das so genannte „Junkersyndrom“ einer sachlichen und
gerechten Behandlung durch Ost und West aus den
Köpfen gewichen ist. Bei den Ureinwohnern Amerikas,
Australiens und Neuseelands hat dies 100 bis 150 Jahre
gedauert, wir sind erst im Jahre 12 nach der Wiederver-
einigung und im Jahre 53 bis 57 nach der willkürlichen,
gesetzlosen Enteignung.
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. April 2002 23355
(C)
(D)
(A)
(B)
Anlage 5
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Antrags: Informationsmög-
lichkeiten der Krankenversicherten umgehend
verbessern (Tagesordnungspunkt 21)
Eike Maria Hovermann (SPD):Wenn man die Über-
schrift zum Antrag der CDU liest, ist der erste Eindruck,
dass die besondere Fürsorge der CDU dem Patienten gilt.
Er soll nach dem Willen der CDU umgehend darüber in-
formiert werden, welche Leistungen er im Krankheitsfall
von den Ärzten erhalten hat und welche Gelder die Ärzte
dafür abgerechnet haben.
Das Ganze soll zeitnah und schriftlich und vor allem
flächendeckend geschehen. Das ist ein durchaus löbliches
Ziel, zumal damit nach dem Willen der CDU auch die Mün-
digkeit und aktive Mitgestaltung des Patienten gemäß Sach-
verständigenratgutachten gestärkt werden kann und soll.
Einmal abgesehen davon, dass die Unterrichtungen der
Patienten nicht nur schriftlich und zeitnah sein sollten,
sondern vor allem auch aussagefähig und gerichtsfest,
wenn der Patient wirklich etwas verstehen soll und gege-
benenfalls Einspruch erheben will, fällt beim weiteren Le-
sen des Antrags Folgendes auf:
Es fällt auf, dass unter dem Deckmantel „mehr Infor-
mationen für die Patienten“ zuallererst die Einkommens-
situation der niedergelassenen Ärzte gestärkt werden soll
durch „feste Punktwerte“; ein interessanter Vorschlag im
Übrigen schon deshalb, weil ja von CDU und FDP land-
auf, landab die Aufhebung der Budgetierung gefordert
wird, ein fester Punktwert aber durchaus eine Form von
Budgetierung darstellt.
Hier ist und wird die Diskussionsline äußerst unehrlich,
zumal wenn der Kollege Ulf Funk von der CDU zum Bei-
spiel die Einsicht anmahnt, dass es mit endlichem Geld
nicht unendliche Leistungen geben könne.
Wenn eine Aufhebung des Budgets wirklich ehrlich
diskutiert werden soll, dann müssten Sie von der CDU
und FDP klären, wie Sie dies vereinbaren wollen etwa mit
wachsenden Ausgabenerwartungen wegen der demogra-
phischen Veränderungen, durch den medizinischen Fort-
schritt und anderes mehr.
Hierdurch und auch durch die wachsende Qualität bei
den DMPs werden sich Honorarmaßstäbe verändern,
wird die Diskussion über Beiträge ein Thema bleiben und
ist das Ziel fester Punktwerte eine Fiktion, die vermeint-
liche Sicherheit geben will.
Hierzu äußerte sich der Kollege Zöller in interessanter
Weise in der Zeitschrift „Die BKK“ vom August 2001:
„Ich bin fest davon überzeugt, dass wir mittelfristig
mehr Geld im System brauchen.“ Dies bringt Sie von der
CDU ja in eine gewisse Spannung zum §70 SGB V, wo es
heißt, die Versorgung „so zu gestalten, dass Beitragser-
höhungen ausgeschlossen werden, es sei denn, die medizi-
nisch notwendige Versorgung ist auch nach Ausschöpfung
von Wirtschaftlichkeitsreserven nicht zu gewährleisten.“
Genau für diese Aufgaben brauchen wir schnellstens
sichere und aussagefähige Dateninformationen.
Insofern geht die CDU/CSU-Forderung in ihrem heu-
tigen Antrag, bessere und umgehende Informationen für
die Patienten mit einem festen Punktwert zu koppeln,
strukturell betrachtet an dem Ziel, mehr Informationen für
die Patienten, völlig vorbei.
In diesem Zusammenhang sei zunächst auch an die An-
hörung vom 13. März 2002 erinnert zu Ihrem Thema:
„Informationsmöglichkeiten der Krankenversicherten
umgehend verbessern“.
Die Stellungnahme der DKG führt im Zusammenhang
mit dem § 305 SGB V – Auskünfte der Versicherten – aus:
Insbesondere der Krankenhausbereich hat in den
letzten Jahren erhebliche Anstrengungen unternom-
men, dass Qualität und Ergebnis ... transparent ge-
macht werden ... Wie sicherlich bekannt ist, besteht
ein Zertifizierungsprojekt mit dem Titel „Koopera-
tion für Transparenz und Qualität im Krankenhaus.“
Zudem sieht das nunmehr beschlossene Gesetz zur
Einführung der DRGs vor, dass ab dem Jahre 2005
Krankenhäuser alle zwei Jahre einen Qualitätsbe-
richt abgeben müssen . ...
Im Zusammenhang mit den DRGs die wir auf den Weg
gebracht haben, werden nun Zug um Zug die Informati-
onsflüsse in Richtung Patienten verbreitert. Das sind erste
wirkliche Schritte hin zu mehr Information über Kosten-
transparenz und mehr Qualität.
Die AOK hat in der selbigen Anhörung zum Thema un-
serer jetzigen Debatte darauf verwiesen, dass die KBV
eine Verbesserung der Patienteninformationen gemäß
§ 305 SGB V mit dem Argument verhindert habe, dass
erst einmal ein „fester Punktwert“ für die niedergelasse-
nen Ärzte vereinbart werden müsse. Das sind unnötige
Blockaden, die natürlich dazu veranlassen, über die Ent-
scheidungsfähigkeit der Selbstverwaltung in bestehender
Form nachzudenken und neue Wege zu überlegen.
Auch die KBV will bei ihrem Einsatz für feste Punkt-
werte verschleiern, dass solide Informationen auch ohne
„festen Punktwert“ technisch kein Problem darstellen
durch Bezug zum Beispiel auf den letzten bekannten Ab-
rechnungswert. Außerdem sei wieder daran erinnert, dass
es nicht nur um Abrechnungsdaten gehen soll, sondern be-
sonders um aussagefähige Informationen an den Patienten
über Diagnosen, Therapien und Medikamentierungen, also
über die Qualität der Leistungserbringung, und die Nutz-
barkeit dieser Daten bei allen weiteren Behandlungen.
Hier wird der weiteren Umsetzung der „Vernetzten
Versorgung“ – § 140 SGB V – besondere Bedeutung zu-
kommen, durch die mit effizienterem Mitteleinsatz und
mit mehr Qualität behandelt werden kann, als es bisher in
den oft unverbundenen Behandlungsebenen ambulant,
stationär plus Rehabilitation geschieht. Hier sind noch
mannigfache Blockaden in der Selbstverwaltung und im
Geflecht föderaler Strukturen beiseite zu schieben. Eine
Implantation von DRG-ähnlichen Strukturen in den am-
bulanten Bereich und in die Rehabilitation ist dazu auf
Dauer wünschenswert zur Vermeidung kostenträchtiger
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. April 200223356
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(D)
(A)
(B)
Verlagerungen von Leistungen und damit zur Vermeidung
von Wettbewerbsverzerrungen, die zum Beispiel dadurch
entstehen, dass im Krankenhaus Arzneien mehr oder min-
der kostenlos zur Verfügung gestellt werden und damit im
Krankenhaus Wirtschaftlichkeitszwänge in diesem Seg-
ment nicht entstehen, denen niedergelassene Ärzte durch-
aus ausgesetzt sind.
Um all dies und die damit notwendigen Informations-
flüsse an den Patienten zu verbessern, brauchen wir auf der
Informationsebene weitere Schritte in Richtung einer elek-
tronischen intelligenten Chipkarte/Gesundheitskarte, die
am Ende diagnose- und patientenbezogen den Behand-
lungsweg des Patienten – unter Einhaltung des Daten-
schutzes – dokumentieren und diese Informationen zur
sinnvollen Nutzung bei weiteren Arzt- und Krankenhaus-
besuchen qualitätsvoll speichern kann, und zwar so, dass
„Medienbrüche“ vermieden werden können beim Wechsel
von einer Versorgungsebene in eine andere. Der Patient
kann dabei ohne jede technische Problematik die Datenho-
heit behalten und Öffnungen von Daten nur mit seiner Zu-
stimmung ermöglichen.
Hier hat das BMG einen Modellversuch vereinbart.
Das ist gut so. Das ist wichtig für alle zukünftigen Patien-
tengenerationen. All diese genannten exzellenten Mög-
lichkeiten der neuen Medien mit der Forderung nach
festen Punktwerten zu verknüpfen – siehe CDU-Antrag –,
geht an den wirklichen Notwendigkeiten für eine Verbes-
serung von Informationen sträflich vorbei und bedient
sehr einseitig partikulare Interessen.
Wichtig – und das ist noch eine weitere ganz entschei-
dende Hauptaufgabe – wichtig dabei ist, dass die jetzt vor-
handenen Dateninformationssysteme auf den verschie-
densten Ebenen bei den Akteuren im Gesundheitswesen
wie in einzelnen Bundesländern technisch kompatibel ge-
macht werden durch eine einheitlich unterlegte „Daten-
Grundsprache“, um Insellösungen abzubauen. Nur so wer-
den wir auf Dauer wirklich aussagefähige, zeitnahe und
gerichtsfeste Dateninformationen erstellen und umgehend
an den Patienten weitergeben können. Hier gibt es mit
GAmSI – GKV-Arzneimittelschnellinformationssystem –
erste richtige Schritte seitens der Kasse, wobei diese Da-
ten allerdings abrechnungstechnisch noch nicht geprüft
und auch nicht diagnose- und patientenbezogen sind.
Ich gehe im Übrigen davon aus, dass die Erstellung von
Leistungs- und Abrechnungsinformationen integraler Be-
standteil der Gesamtleistung sind und nicht mit zusätzli-
chen Honorarforderungen verknüpft werden.
Das ist eigentlich in allen Dienstleistungsbereichen
selbstverständlich im Verhältnis von Auftraggeber und
Auftragnehmer – alias Leistungserbringer und Beitrags-
zahler.
Wir sind informationell auf dem richtigen Weg, das
können Sie mühelos auch aus dem Bericht der Bundesre-
gierung entnehmen zum Thema „Innovation und Arbeits-
plätze in der Informationsgesellschaft des 21. Jahrhun-
derts“, Drucksache 14/8456 vom 7. März 2002.
Da steht unter dem Punkt 4.8, Gesundheitswesen, ein
ganz wichtiger Satz:
Die Ergebnisse [verschiedenster Studien] zeigen die
zunehmende Bedeutung elektronischer Informations-
und Kommunikationstechnologien für eine bessere
Patientenversorgung, für ein effizienteres, qualitäts-
gesichertes und wirtschaftlich betriebenes Gesund-
heitswesen, für die Abdeckung der Informations-
bedürfnisse von Bürgerinnen und Bürgern sowie
Patientinnen und Patienten und damit einhergehende
Stärkung ihrer Rechte und für eine integrierte Ge-
sundheitsforschung.
Davon, dass all dies nur dann machbar ist, wenn es
feste Punktwerte à la CDU/CSU und KBV gibt, steht in
allen Studien kein Wort. Das wäre auf Fachtagungen al-
lenfalls einer Fußnote wert mit dem Tenor: „Worauf man
nicht Rücksicht nehmen darf.“
Aus den genannten Gründen lehnen wir Ihren Antrag
ab, weil mit ihm das, was erreicht werden soll, eher
blockiert als gefördert wird.
Aribert Wolf (CDU/CSU): In der heutigen Zeit ist viel
davon die Rede, dass wir in einer Informationsgesell-
schaft leben. Jeder Bundesbürger hat heute Zugriff auf
eine Fülle von Informationen, über das Fernsehen, über
Bücher, über Zeitschriften, Zeitungen und immer mehr
auch über das Internet. Information und Transparenz sind
in einer Demokratie quasi das Blut in den Adern, das den
Organismus am Leben erhält.
Sogar der Architekt unseres Reichstagsgebäudes hat
die Idee der Transparenz demokratischer Entscheidungen
in seine Gestaltungselemente aufgenommen und wir kön-
nen eindrucksvoll erleben, wie dieses massive Gebäude
durch transparente Baukörper sinnbildlich für die Trans-
parenz der Demokratie eindrucksvoll aufgelockert wird.
Es gibt aber ein Feld, in dem den Bürgern Transparenz
und Information bis heute systematisch vorenthalten wer-
den. Das sind Informationen über medizinische Behand-
lungsqualitäten und Behandlungskosten von gesetzlich
Krankenversicherten. So dürfen die Bürger unter der
rot-grünen Bundesregierung zwar Rekordbeitragssätze
von 14 Prozent und mehr bezahlen, aber die von der
Union im Sozialgesetzbuch V im Ansatz niedergelegten
Informationsrechte sind in keiner Weise weiterentwickelt
worden. Im Gegenteil: Rot-Grün hat die Umsetzung der
Informationsrechte unmöglich gemacht.
Noch immer erfahren gesetzlich Krankenversicherte
nicht, was ihre Behandlung beim niedergelassenen Arzt
oder im Krankenhaus gekostet hat. Dabei gibt es hier viel-
fältige Wünsche von Patienten und gesetzlich Kranken-
versicherten, mehr Informationen zu erhalten. Sowohl
Krankenkassen als auch ärztliche Standesorganisationen
wehren sich nicht grundsätzlich gegen dieses berechtigte
Anliegen ihrer Kunden. Allerdings gibt es auch immer
wieder Reichsbedenkenträger, die, kurz bevor es ernst
wird, mit unrealistischen und astronomisch hohen Kos-
tenargumenten hier eine Information der Verbraucher zu
torpedieren versuchen. Dies konnten wir ja auch in der
Anhörung zu diesem Antrag der CDU/CSU-Fraktion wie-
der erleben.
Umso mehr ist es eine Aufgabe verantwortungsvoller
Gesundheitspolitik, hier den Verbrauchern und Patienten
endlich mehr Informationen an die Hand zu geben. Nur
ein informierter Bürger kann ein mündiger Patient sein!
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. April 2002 23357
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Deswegen kann ich nicht nachvollziehen, warum SPD
und Grüne dieses berechtigte Bürgeranliegen nicht ebenso
aufgreifen, wie es die Unionsfraktion tut. Vermutlich wer-
den Sie unseren Antrag im Plenum des Deutschen Bun-
destags genauso ablehnen wie im Gesundheitsausschuss.
Ich finde es traurig, dass Sie Bürgern, die Informationen
nachfragen, so eiskalt die Tür vor der Nase zuschlagen.
Natürlich lässt sich das von der Union eingeführte In-
formationsrecht der Versicherten in § 305 Abs. 2 Sozial-
gesetzbuch V nur dann vernünftig umsetzen, wenn Rot-
Grün endlich die Bereitschaft zeigt, das wieder
einzuführen, was von der Union längst im Sozialgesetz-
buch V verankert war, nämlich die Einführung von festen
Preisen für Ärzte, Zahnärzte und Krankenhäuser. Nur
dann ist sicherzustellen, dass die Selbstverwaltungspart-
ner Vereinbarungen treffen können, um die Versicherten
über Umfang und Kosten der von ihnen in Anspruch ge-
nommenen Leistungen direkt und zeitnah zu unterrichten.
Ich halte es in der Tat für einen auf Dauer nicht hin-
nehmbaren Zustand, dass wir Ärztinnen und Ärzten in
Deutschland tagtäglich zumuten, dass sie Leistungen er-
bringen, von denen sie nicht wissen, in welcher Höhe sie
von den Krankenkassen bezahlt werden. Ich kann an die-
ser Stelle das komplizierte Abrechnungsverfahren nicht
erläutern, aber durch das Vergütungssystem mit floaten-
den Punktwerten kommt es dazu, dass so mancher Arzt in
Deutschland je nach Abrechungsquartal für ein und die-
selbe Leistung zwischen 20 und 30 Prozent unterschiedli-
ches Honorar bekommt. Welche Berufsgruppe würde es
akzeptieren, dass eine Dienstleistung, zum Beispiel eine
Spritze, die einem Patienten verabreicht wird, in einem
Quartal mit 10 Euro vergütet wird, in einem anderen
Quarta mit 5 Euro und in wiederum einem anderen Quar-
tal mit 15 Euro? Wir reden immer davon, dass niederge-
lassene Ärzte Freiberufler sind, Selbstständige, also quasi
Kleinunternehmer, die für die eigene Wirtschaftlichkeit
verantwortlich sind. Wie aber soll ein Unternehmer ver-
nünftig seine Wirtschaftlichkeit organisieren, wenn er
überhaupt nicht abschätzen kann, was er für eine identi-
sche Dienstleistung an Vergütung zu erwarten hat?
Das ist schon ein Ärgernis an sich. Aber wie soll ein
Arzt, der nicht weiß, was er für eine Leistung vergütet be-
kommt, den Patienten über den Preis der Behandlung in-
formieren? Deswegen müssen diese Dinge auch im
Zusammenhang mit den Informationsrechten der Versi-
cherten diskutiert werden. Wir müssen in Deutschland
endlich wieder dazu kommen, ein Vergütungssystem im
Sozialgesetzbuch einzuführen, das es den Selbstverwal-
tungspartnern erlaubt, für medizinisch notwendige Leis-
tungen feste Preise einzuführen. All das stand unter dem
Stichwort Regelleistungsvolumina längst im SGB V und
wurde von Rot-Grün leider wieder rückgängig gemacht.
Auch hier wird es Zeit, dass es zu einem Politikwech-
sel im Interesse von Patienten und Leistungserbringern
kommt!
Wir brauchen aber nicht nur die Einführung von festen
Preisen für medizinisch notwendige Leistungen und die
damit verbundene Informationsmöglichkeit für die Versi-
cherten. CDU und CSU wollen auch Informationen über
Qualität und Ergebnisse der einzelnen Leistungserbrin-
ger, über Häufigkeit und Qualität von medizinischen Leis-
tungen offen legen und den Versicherten zugänglich
machen. Auch hier gibt es ein riesiges Informationsbe-
dürfnis. Dass Rot-Grün hier dem Anliegen von CDU und
CSU, das in diesem Entschließungsantrag vorgebracht ist,
eine Abfuhr erteilen wird, stimmt mich besonders ärger-
lich. Was macht es denn für einen Sinn, wenn sich heute
bereits viele Krankenhäuser an externen Qualitätssiche-
rungsmaßnahmen beteiligen, die Politik aber nicht bereit
ist, den Versicherten diese Informationen auch zugänglich
zu machen?
Viele Operationen sind heute planbar, was den Zeit-
punkt des Eingriffs anbelangt. Hier ist es für die Patienten
doch von großem Interesse, zu erfahren, in welchem
Krankenhaus denn zum Beispiel die Implantation eines
künstlichen Hüftgelenks qualitativ hochwertig erbracht
wird oder in welchem Haus ein solcher operativer Eingriff
vielleicht nur vier- bis fünfmal im Jahr stattfindet, mit der
berechtigten Befürchtung, dass dann die Leistungserbrin-
gung vermutlich nicht das gleiche qualitative Niveau ha-
ben wird wie in einem Krankenhaus, das einen solchen
Eingriff über fünfhundertmal pro Jahr erbringt.
Es ist doch kein Wunder, dass die „Focus“-Ärztelisten
immer zu besonders starken Auflagen geführt haben. Das
zeigt, was für ein Informationsbedürfnis in unserer Be-
völkerung besteht.
Wer ist noch nicht gefragt worden, ob er nicht einen
guten Internisten, einen guten Gynäkologen oder einen
guten Augenarzt kennt. Hier wird die Selbstverwaltung
alleine nicht zu zufrieden stellenden Lösungen kommen,
sondern hier wird der Gesetzgeber den Versicherten und
Patienten Hilfestellung bieten müssen.
SPD und Grüne sprechen doch auch in ihren Wahlpro-
grammen von einer Stärkung der Verbraucherrechte. Aber
warum stimmen Sie dann hier im Bundestag, wenn es
Ernst wird und wenn Sie Ihren Ankündigungen Taten fol-
gen lassen können, gegen unseren Antrag? Von der Bun-
desregierung wird doch nichts anderes gefordert, als die
Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass Qualität von
Leistungerbringern und von Leistungen endlich besser of-
fen gelegt und den Verbrauchern zugänglich gemacht
werden muss. Ich finde es ausgesprochen schwach, dass
sich SPD und Grüne aus rein parteipolitischen Erwägun-
gen heraus der Stärkung der Verbraucher- und Patienten-
rechte verschließen.
Auch der Sachverständigenrat im Gesundheitswesen
fordert in seinem Gutachten eine Stärkung der Rolle von
Versicherten und Patienten im Sinne einer aktiven Mitge-
staltung. Patienten und Versicherte können jedoch nur
dann eigenverantwortlich Entscheidungen treffen und
Wahlmöglichkeiten nutzen, wenn sie ausreichend infor-
miert sind.
Das System der gesetzlichen Krankenversicherung
muss deshalb insgesamt transparenter gestaltet werden.
Genau dies verfolgt der heute vorgelegte Antrag von CDU
und CSU. Und daher fordere ich jeden von Ihnen, der ein
Interesse daran hat, Versicherte und Verbraucherrechte zu
stärken, mit Nachdruck dazu auf, unserem Antrag zuzu-
stimmen. Haben Sie die Kraft, wie wir von CDU und
CSU, nicht den Reichsbedenkenträgern Ihre politische
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. April 200223358
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und parlamentarische Unterstützung zukommen zu las-
sen, sondern den berechtigten Interessen der Bürgerinnen
und Bürgern in diesem Land!
Monika Knoche (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Im
Verlauf der Beratung Ihres Antrages, aber gerade erst
jüngst, aufgrund der politischen Forderungen der CDU,
die Kostenerstattung einzuführen, die sich nahtlos mit
Ihren Ideen des Selbstbehaltes verknüpfen lassen, sind
alle wohlmeinenden Unterstellungen zum Antrag hinfäl-
lig geworden.
Zum Inhalt: Von der datenschutzrechtlich zweifelhaf-
ten Zulässigkeit einmal abgesehen, die in der Zusam-
menführung aller patientenbezogenen Leistungsdaten
liegen, stellt sich die praktische Frage: Wer macht denn
bei Ihrem Modell die Quartalsabrechnung? Gelten die
Ergebnisse der kassenärztlichen Abrechnungsstellen
noch oder sind die Patientenquittungen der Beleg für die
tatsächlichen Kosten? Wie können überhaupt alle er-
brachten und veranlassten Leistungen im ambulanten
und stationären Sektor auf den betreffenden Patienten
oder die betreffende Patientin stimmig zusammengeführt
werden? Und welchen Beitrag zur Systemsteuerung leis-
tet Ihr Vorschlag?
Fragen über Fragen. Kann das alles überhaupt funktio-
nieren? Nein. Feste Preise in der Arztpraxis gibt es nicht.
Und überhaupt, was sagen Preise eigentlich über die me-
dizinische Indiziertheit der ärztlichen Diagnostik und
Therapie aus? Zu viele offene Fragen, um diese Vorlage
für einen guten Antrag zu halten.
Übrigens ein wichtiger Hinweis: Zwischen Arzt/Ärztin
und Patient/Patientin besteht kein Dienstleistungsvertrag,
sondern ein Behandlungsauftrag. Das ist ein so grundle-
gender Unterschied wie die Abnahme von Malerarbeiten
zum Erwerb eines Gemäldes.
Im Ernst. Wollen Sie eine Gesundheitsversorgung, bei
der Patienten einkaufen gehen, wie im Supermarkt, mit
Preisvergleich und Sonderangeboten? Die Trivialisierung
des Geschehens Gesundheitsversorgung ist schon erstaun-
lich, Die Durchökonomisierung der Medizin ist keine kul-
turvolle Vision.
Übrigens, auch in dem von Ihnen oft als Modell belie-
henen PKV-System sind Fehlanreize bei Barzahlung und
Erstattung nicht ausgeschlossen. Im Gegenteil: Die Ge-
bührenordnung für Ärzte - GOÄ - ist oftmals ein Rätsel
für die Privatversicherten und das Behandlungsverhältnis
nicht von unbedingt besserer und effizienterer Leistung
gezeitigt. Das kann kein Vorbild sein, weil es keine wirk-
liche Patienten- und Patientinnenkompetenz schafft.
Im GKV-System hat sich der Punktwert für die ärztli-
che Leistung herausgebildet. Der ist floatend. Da lassen
sich keine Festpreise bilden. Zudem läuft Ihr Modell aller
Reform des Honorierungswesens entgegen. Hier will man
bekanntlich zu behandlungsleitlinienorientierter Honorie-
rung kommen. Die BÄK und die KBV arbeiten an be-
handlungsstandardisierungsähnlichen Qualitätsmarkern
im ambulanten Sektor. Diesen Weg sind Sie von der
CDU/CSU bislang immer mitgegangen. Warum verlassen
Sie diesen Weg?
Zum stationären Bereich: In allen deutschen Kranken-
häusern soll das DRG-Abrechnungswesen Einzug halten.
Über integrierte Versorgungsverläufe, die unter Umstän-
den auch die Reha umfassen, wird derzeit nachgedacht.
Es ist also viel Bewegung im System.
Ich bin nicht davon zu überzeugen, dass man Patienten
zu Kostenkontrolleuren machen kann oder soll. Das Be-
dürfnis der Patienten und Patientinnen nach Information
richtet sich meiner Erfahrung nach viel mehr auf Unter-
stützung, eine gute Beratung über ihre Krankheit und Hil-
fen; sie wollen auch fachlich fundierte Informationen
über Behandlungsalternativen bekommen, um die Qua-
lität ärztlicher Leistungen zu heben und bei Behandlungs-
fehlern, bei iatrogenen Schäden etc. die Patienten und Pa-
tientinnen zu unterstützen. Das ist eine Sache, für die
Krankenkassen, Patientenverbände, Patientenschutzbe-
auftragte usw. viel geeigneter sind als Ihre Vorschläge.
Nicht zu vergessen ist die Politik. Sie hat Qualitätsi-
cherungsmaßnahmen, mit dem Koordinierungsausschuss
und anderem die Verantwortung dafür, dass das Geld der
Versicherten nur für die Interessen der Patienten ausgege-
ben wird. Dazu vermag Ihr Antrag leider wenig Weiter-
führendes beizutragen.
Detlef Parr (FDP): Wenn wir eine durchgreifende
Gesundheitsreform wollen, müssen wir sie auf zwei Pfeiler
setzen: Freiberuflichkeit bei den Heilberufen wiederher-
stellen und Patientensouveränität aufbauen. Dabei spielt
die Verbesserung der Informationsmöglichkeiten der Ver-
sicherten eine zentrale Rolle. Mehr Kostenbewusstsein bei
der Inanspruchnahme des Gesundheitssystems ist dringend
erforderlich. Das kann nur – wie der Unionsantrag zu Recht
fordert – durch mehr Transparenz des Leistungsgeschehens
erreicht werden. Dazu gehören zum einen feste Preise in
den Praxen und Krankenhäusern, zum anderen aber eine
über den Antrag hinaus gehende Kostentransparenz.
Wir müssen das Sachleistungsprinzip weitgehend
durch die Kostenerstattung ablösen. Der Arzt stellt eine
für jeden lesbare und verständliche Rechnung, der Versi-
cherte rechnet mit der Krankenkasse ab und begleicht sie.
Das lässt Spielräume für Wahlfreiheiten der Versicherten
wie Selbstbehalte, Beitragrückerstattungen oder Selbst-
beteiligungen. Das eröffnet Gestaltungsmöglichkeiten ei-
nes zum Beispiel Festzuschusssystems bei dem die medi-
zinisch notwendige Versorgung zu 100 Prozent von der
Kasse erstattet wird und bei dem darüber hinaus gehende
Wünsche vom Versicherten selbst zu tragen sind, über er-
gänzende Privatversicherungen oder eben Cash.
Ein solches System setzt die notwendigen Anreize, die
beim Versicherten wie beim Arzt eine wirtschaftliche Er-
bringung und Inanspruchnahme von Gesundheitsleistun-
gen bewirken. Die Verbesserung der Informationsmög-
lichkeiten der Versicherten ist die eine Seite der Medaille.
Andererseits müssen wir feststellen, dass ein anderes Wis-
sensdefizit besteht: Wir haben über Jahre versäumt, hin-
reichende Informationen über Präferenzen und Erwartun-
gen der Patienten gegenüber dem Gesundheitswesen zu
sammeln: Expertendominanz statt Kundenorientierung,
Für eine verbesserte Patientenbeteiligung benötigen wir
dringend valide Hinweise darüber, aufgeschlüsselt nach
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. April 2002 23359
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sozialer Herkunft, Geschlecht, Alter, Lebenssituation,
und international vergleichbare Studien dazu. Dem Pati-
enten wiederum müssen Begriffe, Methoden, Behand-
lungsformen verständlich vorgestellt werden. Erinnern
wir uns an das Lipobay-Drama: Die Beipackzettel für
Arzneimittel bedürfen dringend einer Überarbeitung, da-
mit das Ausmaß möglicher schädlicher Nebenwirkungen
deutlicher wird.
Wir haben nach den Ausschussberatungen noch einmal
nachgedacht: Vor dem Hintergrund der gegenwärtig be-
stehenden Bedingungen im Gesundheitswesen wollen wir
dem Antrag der CDU/ CSU nun doch zustimmen, obwohl
er uns nicht weit genug geht! Letzten Anstoß dazu haben
uns die Beschlussempfehlung und der Bericht gegeben.
Dort heißt es wortwörtlich als Begründung für die Ableh-
nung durch Rot-Grün: „Sie vermuteten, dass letztlich Ziel
des Begehrens sei, die Kostenerstattung einzuführen“.
Richtig so, und deshalb unser Ja.
Was bleibt über diese Ansätze hinaus zu tun? Wir müs-
sen aus dem Zwinger der Patienteninformation als abs-
traktes Regelwerk heraus. Die Information darf nicht
Selbstzweck bleiben; sie muss vielmehr zur Verbesserung
des Wissensstandes des Patienten beitragen. Unabhängige
Qualitätsmanagementstrukturen müssen geschaffen wer-
den. Darauf aufbauend kann dann die Einführung von Pa-
tientenrechten und Patientenweiterbildung aufgrund
überprüfter Qualitätsstandards erfolgen.
Letzte Bemerkung: Alle Information nutzt dem Patien-
ten wenig, wenn er sie nicht einordnen kann. Wir sollten
über das Angebot einer Beratung nachdenken, eines Ge-
sundheitscoachs als Partner des Patienten, der sich die
notwenige Zeit nehmen kann, Fragen zu erläutern und
Hinweise auf das richtige Verhalten, zum Beispiel beim
Therapieablauf, zu geben. Die Kommunikation zwischen
den am Behandlungs- und Pflegeprozess Beteiligten muss
sich verändern, wollen wir das Ziel des Antrags der Union
wirklich erreichen.
Dr. Ruth Fuchs (PDS): Der Beginn ihres Antrages ist
nicht unklug gewählt, meine Damen und Herren von der
Unionsfraktion. Sie berufen sich auf eine Forderung des
Sachverständigenrates für die konzertierte Aktion. Das
hört sich gut an und weckt auch eine Art Vertrauen. Auch
wir finden es richtig und notwendig, die Rolle der Versi-
cherten und Patienten zu stärken und das System der ge-
setzlichen Krankenversicherung transparenter zu machen.
Realität ist aber, dass wir unterschiedliche Auffassun-
gen haben, was unter stärkerer Versichertenpartizipation
und Transparenz im Gesundheitswesen zu verstehen ist
und wie man das gestalten kann. Wenn damit gemeint ist,
wie es in Ihrer dritten Forderung an die Bundesregierung
heißt, dass Qualität und Ergebnisse der einzelnen Leis-
tungserbringer für Versicherte transparent sein sollen,
dann findet das unsere Unterstützung. Das steht auch klar
und deutlich in unserem Wahlprogrogramm.
Um aber Rechte in Anspruch nehmen zu können, be-
darf es mehr. Patienten brauchen dafür vor allem mehr In-
formationen über Struktur und Profil der Gesundheitsan-
gebote. Diesbezüglich finden wir es richtig, dass
Krankenhäuser verpflichtet sind, regelmäßige Qualitäts-
berichte zu veröffentlichen und dass die konkrete Ausge-
staltung von Behandlungsprogrammen für chronisch
Kranke erfolgen muss. Genau das sind Felder, auf denen
Patientenkompetenz unerlässlich ist. – Je mehr Patienten
darüber wissen, desto besser werden sie befähigt, ihren in-
dividuellen Behandlungsprozess kompetent zu bewerten
und selbst aktiv mitzugestalten.
Davon steht aber nichts im Antrag der Unionsfraktion.
Sie begrenzen das Mitwirkungsrecht der Patienten vor-
rangig auf eine Kontrolle ärztlicher Rechnungen. Genau
da hört unsere Zustimmung auf, und zwar aus folgenden
Gründen:
Dieser Ansatz steht dem Sachleistungsprinzip sowie
anderen Ordnungsprinzipien der GKV diametral entge-
gen. Es ist das Aufstoßen einer Tür hin zu Selbstbehalten,
zur Zu- und Abwahl von Leistungen und zur Kostener-
stattung. Ist die Tür dann weit genug offen, war es das mit
dem Solidarsystem.
Die FDP stimmt Ihrem Antrag nicht zu, aber nicht
etwa, weil sie Ihr Anliegen nicht unterstützen würden. Die
FDP fordert sofort die Einführung der Kostenerstattung.
Das ist wenigstens konsequent; denn genau das ist die Lo-
gik, die sich aus Ihrem Antrag ergibt, meine Damen und
Herren von der CDU/CSU.
Wir lehnen die Kostenerstattung ab. Unserer Meinung
nach sind finanzielle Kontrollen der Ärzte durch ihre Pa-
tienten kein adäquater Weg. Nötig sind angemessene ärzt-
liche Vergütungen, die überwiegend pauschal erfolgen
und Abrechnungsmanipulation ebenso wie bürokrati-
schen Aufwand zurückdrängen. Im Übrigen ist ja kürzlich
im SPD/FDP-regierten Rheinland Pfalz – noch unter dem
damaligen Gesundheitsminister Gerster – ein Modellpro-
jekt in Sachen Patientenquittung gestartet worden. Für
eine Tagesquittung, die unmittelbar beim Verlassen der
Praxis ausgestellt wird, erhalten die Ärzte 1,5 Euro, für
eine Quittung am Quartalsende 2,25 Euro. Insgesamt
stellt die GKV für die einjährige Laufzeit des Projektes,
an dem nur 96 Ärzte beteiligt sind, 750 000 Euro zur Ver-
fügung. Eine grobe Überschlagsrechnung bestätigt, dass
eine generelle Einführung bei den weit über 100 000 Ver-
tragsärzten eine Summe ergeben würde, die in der
Größenordnung von 1 Milliarde Euro und mehr liegen
dürfte. Erneut werden Geld und weitere ärztliche Arbeits-
zeit der unmittelbaren medzinischen Versorgung entzo-
gen. Auch das halten wir für falsch. Wir lehnen den An-
trag ab.
Anlage 6
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes
zur Änderung des Bewachungsgewerberechts
(Tagesordungspunkt 22)
Christian Lange (Backnang) (SPD): Wir haben in
Deutschland das europaweit am weitesten entwickelte
private Bewachungsgewerbe, das darüber hinaus in stän-
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digem Wachstum begriffen ist. Derzeit beschäftigen in
Deutschland 2 500 Unternehmen rund 140 000 Arbeit-
nehmerinnen und Arbeitnehmer. Der zunehmenden Be-
deutung dieses Wirtschaftsbereiches und den gestiegenen
Anforderungen an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
in diesem Gewerbe wollen wir durch die Novellierung des
Bewachungsgewerberechts entsprechen.
Wir wollen mit der Novellierung des Bewachungs-
rechts die Voraussetzungen vor allem für die im öffentli-
chen Bereich auszuführenden Tätigkeiten des privaten
Bewachungsgewerbes an die steigenden qualitativen An-
forderungen anpassen. Es bleibt dabei sicherzustellen,
dass das staatliche Gewaltmonopol auch in Zukunft un-
angetastet bleibt. Um dies zu gewährleisten, wird bei-
spielsweise klargestellt, dass dem Sicherheitsgewerbe
außer in Fällen der Beleihung nur die vom Auftraggeber
vertraglich übertragenen privatrechtlichen Befugnisse
und die so genannten Jedermannrechte zustehen.
Weiterhin wird für Wachleute, die beim Schutz vor La-
dendieben, beispielsweise Kaufhausdetektive, tätig sein
sollen, eine Sachkundeprüfung eingeführt. Dasselbe gilt
auch für Wachpersonal, das mit Kontrollgängen im öf-
fentlichen Verkehrsraum betraut ist, also beispielsweise in
S-Bahnen oder Ladenpassagen, oder das als bewachende
Kontrolleure vor Diskotheken eingesetzt wird.
Für das übrige Personal im Bewachungsgewerbe wird
die Zahl der vorgeschriebenen Unterrichtungsstunden von
24 auf 40 und für die Gewerbetreibenden von 40 auf
80 Stunden erhöht. Dabei sollen gleichzeitig effektivere
Schulungsverfahren zum Einsatz kommen, wie Rollen-
spiele, Multipe-Choice-Tests und ähnliche. Die Kosten für
eine Personalunterrichtung werden sich circa um 511,29
Euro und für die Unterrichtung des Gewerbetreibenden um
1124,84 Euro erhöhen. Die Kosten für eine Sachkunde-
prüfung werden auf bis zu 153,39 Euro geschätzt. Für be-
sonders wichtig erachte ich außerdem die Intensivierung
der Zuverlässigkeitsprüfungen, die vorgesehen sind, denn
dieses Gewerbe ist in hohem Maße auch von der Persön-
lichkeitsstruktur des jeweiligen Wachmanns abhängig.
Dazu entsprechend erhalten die Gewerbeämter die Mög-
lichkeit, unmittelbar eine Untersagung auszusprechen, so-
fern gegenüber einzelnen Wachleuten eine entsprechende
Arbeitsauffassung und Persönlichkeitsstruktur nicht garan-
tiert werden kann.
Die datenschutz- und waffenrechtlichen Vorgaben in der
Bewachungsverordnung werden ebenfalls verschärft.
Schließlich sollen bestimmte, in öffentlich zugänglichen
Räumen tätige Wachleute dazu verpflichtet werden, ein Na-
mensschild zu tragen. Dies erhöht das Sicherheitsgefühl
der Bürgerinnen und Bürger und schützt gleichzeitig vor
Überschreitung der Befugnisse des Bewachungspersonals.
Im Übrigen ist die vom Bundesrat geforderte Auswei-
tung des Sachkundenachweises für Personenschützer und
Wachleute abzulehnen, die im Zugangskontrollbereich
bei öffentlichen Großveranstaltungen eingesetzt werden.
Eine weitere kostenträchtige Verschärfung, wie sie eine
solche Ausweitung darstellen würde, würde letztlich nur
dazu führen, dass die Veranstalter aufgrund des Kosten-
drucks weniger Ordnungspersonal bei Großveranstaltun-
gen, wie Fußballspielen, Rockkonzerten oder ähnlichen,
einsetzen würden. Letztlich würde dies zu weniger Si-
cherheit bei solchen Massenveranstaltungen führen, ob-
wohl gerade dort besondere Sicherheitsmaßnahmen er-
forderlich sind. Damit hätten wir unser eigentliches Ziel
unterlaufen, die Qualität im Bewachungsgewerbe und da-
mit auch die Sicherheit zu erhöhen.
Die positive Entwicklung des Bewachungsgewerbes
hat auch beschäftigungspolitisches Gewicht, wenn man
bedenkt, dass Arbeitsplätze in diesem Dienstleistungsbe-
reich gerade für Arbeitssuchende mit eher praktischen
Neigungen interessant sein können. Hier eröffnet sich ein
zukunftsfähiger Arbeitsmarkt ganz besonders auch für
Menschen, die nur über eine geringe Qualifizierung ver-
fügen und deshalb oftmals keine adäquaten Beschäfti-
gungsmöglichkeiten auf dem Arbeitsmarkt finden. Daher
begrüße ich sehr den freien Zugang zu diesem Gewerbe.
Das Wachstum in diesem Dienstleistungsbereich ist
längst nicht erschöpft. Neue Arbeitsplätze werden ge-
schaffen. Gleichzeitig schaffen wir durch die Novellie-
rung mehr Qualität und Sicherheit für die Bevölkerung,
wie es den gestiegenen Anforderungen dieses Gewerbes
entspricht.
Günter Graf (Friesoythe): Vor dem Hintergrund einer
zunehmenden Anzahl leerer öffentlicher Kassen ist immer
häufiger die Rede vom schlanken Staat. Dieses ist Fakt
und nicht zu leugnen. Dahinter versteckt sich letztlich
auch die Frage nach dem künftigen Bestand von Staats-
aufgaben im Allgemeinen. Es stellt sich aber auch die
Frage, ob im Bereich der inneren Sicherheit als Kernbe-
reich der staatlichen Tätigkeit verstärkt private Sicher-
heitsdienste ergänzend zur Polizei oder teilweise sogar an
deren Stelle treten und hoheitliche Aufgaben wahrnehmen
dürfen und sollten.
Ich bin mir sehr sicher – das haben die bisherigen Dis-
kussionen in den Ausschüssen gezeigt –, dass Einigkeit
darüber herrscht, dass das private Sicherheitsgewerbe ei-
nen wichtigen Beitrag zur Aufrechterhaltung der Inneren
Sicherheit in Deutschland leistet und nicht mehr wegzu-
denken ist, ohne dass dadurch das staatliche Gewaltmo-
nopol infrage gestellt wird.
Dabei ist festzustellen, dass private Sicherheitsdienst-
leister ihre Aktivitäten immer mehr im öffentlich zugäng-
lichen Raum entfalten. Dieses sage ich deshalb, weil es
dadurch bedingt zunehmend zu Konfliktsituationen zwi-
schen dem Sicherheitsdienstleister und dem Bürger
kommt bzw. kommen kann, weil die bis heute geltenden
gesetzlichen Regelungen unvollkommen und weil die
Qualifikationsvoraussetzungen unzureichend sind. Im-
mer häufiger wird in diesem Zusammenhang von so ge-
nannten schwarzen Sheriffs und von rechtlichen Grauzo-
nen gesprochen.
Viele von Ihnen können sich noch sehr gut daran erin-
nern, dass wir uns bereits in der 12. und 13. Wahlperiode
mit der Thematik der privaten Sicherheitsdienste beschäf-
tigt haben, weil ganz allgemein ein Novellierungsbedarf
des Bewacherrechtes erkannt worden war. Leider sind
noch zu Zeiten der damaligen Regierungskoalition alle
Bemühungen aufgrund der internen Zerstrittenheit ge-
scheitert.
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. April 2002 23361
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(B)
Vor diesem Hintergrund haben sich die Koalitionäre im
Jahre 1998, nachdem Rot-Grün einen klaren Wählerauf-
trag erhalten hatte, unter dem Aspekt weiterer Vorhaben
zur Rechtspolitik dahin gehend verständigt, Aufgaben
und Befugnisse des Sicherheitsgewerbes in dieser Wahl-
periode zu regeln. Auch in diesem Punkt hat die rot-grüne
Bundesregierung und die sie tragende rot-grüne Koalition
Wort gehalten und einen Gesetzentwurf auf den Weg ge-
bracht, den wir heute abschließend, also in zweiter und
dritter Lesung, beraten.
Zu den Kernpunkten dieses Gesetzes gehört unter an-
derem die Erhöhung der Stundenzahl der Unterrichtung
der Beschäftigten von bislang 24 Stunden auf 40 Stunden,
für die Gewerbetreibenden selbst von 40 auf 80 Stunden
durch die jeweils zuständigen Industrie- und Handels-
kammern.
Was nach meiner ganz persönlichen Einschätzung und
fast aller Fachleute in dem Gesetz fehlt – das hat auch eine
entsprechende Anhörung ergeben –, dass für die Gewer-
betreibenden selbst nicht die bloße Unterrichtung ausrei-
chend ist, sondern dass von ihnen aufgrund ihrer beson-
deren Verantwortung eine Sachkundeprüfung zu fordern
wäre. Dies war aber aufgrund unterschiedlicher Interes-
sen zwischen Wirtschafts- und Innenpolitik nicht erreich-
bar; insofern ist die Erhöhung der Stundenzahl von 40 auf
80 Stunden als Kompromiss zu sehen.
Auch möchte ich in aller Kürze darauf hinweisen, dass
mit diesem Gesetzentwurf die Zuverlässigkeitsprüfung
der Beschäftigten deutlich verschärft wird. Nunmehr ist
zwingende Voraussetzung, dass vor Einstellung die Zu-
verlässigkeit unter anderem durch die unbeschränkte Aus-
kunft nach § 41 Abs. 1 Nr. 9 des Bundeszentralregisters
gefordert wird. Ebenso sind für ganz bestimmte Aufga-
benbereiche auch Auskünfte bei den zuständigen Landes-
behörden für Verfassungsschutz zu tätigen.
Ich gehe davon aus, dass es künftig nicht mehr möglich
sein wird, dass eine Person, die wegen eines kriminellen
Tuns eine öffentliche Anlage beschädigt hat und dadurch
eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung
heraufbeschworen hat, nach Strafverbüßung als Wachper-
son gerade für dieses Objekt eingestellt werden würde.
Dies wird durch die neuen Regelungen künftig nicht mehr
möglich sein, wobei ich darauf hinweise, dass die Ver-
schärfung hinsichtlich der Sicherheitsüberprüfung für
Personen in bestimmten lebensnotwendigen Bereichen
– Flughäfen, Elektrizitätswerke, Kläranlagen usw. – von
dieser Regelung unberührt bleibt.
Auch sind mit diesem Gesetz die zwingend notwen-
dige Regelung hinsichtlich der datenschutz- und waffen-
rechtlichen Bestimmungen getroffen worden. Dies will
ich an dieser Stelle nicht vertiefen. Ein Letztes möchte ich
allerdings hier noch anmerken: Durch die Änderung der
Gewerbeordnung § 34 fordern wir – das ist etwas
Neues – für einen bestimmten Personenkreis eine erfolg-
reich abgelegte Sachkundeprüfung. Diese Sachkundeprü-
fung, so das Gesetz, ist für die Beschäftigten zwingende
Voraussetzung bei der Ausübung folgender Tätigkeiten:
Erstens. Kontrollgänge im öffentlichen Verkehrsraum
oder in Hausrechtsbereichen mit tatsächlich öffentlichem
Verkehr.
Zweitens. Schutz vor Ladendieben.
Drittens. Bewachung im Einlassbereich von gastge-
werblichen Diskotheken.
Dies ist gut und notwendig.
Allerdings – das will ich hier in aller Deutlichkeit sa-
gen – bedauere ich sehr, dass der federführende Aus-
schuss für Wirtschaft und Technologie die parteiübergrei-
fende, einstimmige Empfehlung des Innenausschusses
und die mehrheitlich beschlossene Empfehlung des mit-
beratenden Rechtsausschusses, diese Sachkundeprüfung
auch dann zu fordern, wenn Personen in Aufsichtsfunk-
tionen bei der Zugangskontrolle von Großveranstaltungen
eingesetzt werden, angenommen habt.
Diesem Argument hat sich der federführende Aus-
schuss leider verschlossen und ich sage persönlich in aller
Deutlichkeit: Dies ist nicht nachvollziehbar.
Sachlich ist die Nichtaufnahme dieser Forderung in das
Gesetz nicht zu begründen. Die Frage, die sich stellt, lau-
tet doch schlicht und ergreifend, warum Zugangskontrol-
leure vor Diskotheken eine Prüfung ablegen müssen, die
mit gleichem Arbeitsauftrag versehenen Zugangskontrol-
leure im Einlassbereich von Großveranstaltungen hinge-
gen nicht.
Letzteres sage ich deshalb auch in dieser Deutlichkeit,
weil ich als ehemaliger Polizeibeamter die dargestellte Pro-
blematik hautnah im Diskothekenbereich, aber auch im Zu-
gangsbereich von Großveranstaltungen kennen gelernt
habe. Die von mir angesprochenen Unterrichtungen, die
bislang ausnahmslos von IHKs durchgeführt werden durf-
ten, können nunmehr auch auf Antrag von den Sicherheits-
dienstleistern, sofern sie entsprechende Einrichtungen un-
terhalten, durchgeführt werden. Diese Änderung ist eine
notwendige Reaktion auf die Lebenswirklichkeit. Jeder,
der sich mit diesen Dingen beschäftigt hat, dem wird nicht
verborgen geblieben sein, dass sich die Industrie- und Han-
delskammern des Fachpersonals der privaten Sicherheits-
dienstleister ganz überwiegend bedient haben.
Vor diesem Hintergrund ist es sicherlich folgerichtig,
dass die Sicherheitsdienstleister, die über entsprechende
Einrichtungen verfügen, diese Unterrichtung unter dem
Dach der IHKs eigenständig durchführen können.
Klaus Francke (CDU/CSU): Das Thema Sicherheit
hat in den politischen Diskussionen im Lande einen stän-
dig steigenden Aufmerksamkeitswert, und dies nicht erst
als Folge der Ereignisse des 11. September. Wahlergeb-
nisse, wie bei uns in Hamburg, sind von diesem Thema
maßgeblich beeinflusst worden. Der objektive und sub-
jektive Erkenntnisstand der Bevölkerung, dass ihre Si-
cherheit in vielfältiger Weise zunehmend bedroht ist,
nimmt zu. Eine Folge dieser Sachlage sind die allseits ver-
stärkten Sicherheitsvorkehrungen in unserem Land; denn
es gehört nach wie vor zu den vornehmlichsten Aufgagen
des Staates, den Schutz seiner Bürger zu gewährleisten.
Vor zahlreichen öffentlichen Gebäuden steht Sicherheits-
personal, das den Schutz der Objekte und der Menschen
darin gewährleisten soll.
Es zeigt sich aber, dass diese Aufgabe von den Poli-
zeien der Länder und vom Bundesgrenzschutz nur noch
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. April 200223362
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unter großen personellen Schwierigkeiten bewerkstelligt
werden kann. Immer häufiger sind deshalb auch private
Sicherheitsdienste mit dem Schutz und der Absicherung
von gefährdeten Einrichtungen beauftragt.
Diese Entwicklung hat zu einer erheblichen Auswei-
tung der Zahl privater Sicherheitsdienste im letzten Jahr-
zehnt geführt. Gab es 1990 noch circa 900 private Wach-
und Sicherheitsunternehmen, so steigerte sich die Zahl bis
zum Jahre 2000 auf rund 2 500 Firmen.
Mit der Frage der Qualität dieser Firmen und ihres Per-
sonals beschäftigt sich der vorliegende Gesetzentwurf.
Um es vorweg zu sagen:
Der grundsätzlichen Zielsetzung des Gesetzes stimmt
die CDU/CSU-Fraktion ausdrücklich zu. Das staatliche
Gewaltmonopol bleibt auch in Zukunft unangetastet. Es
soll und muss jedoch bei steigender Inanspruchnahme pri-
vater Sicherheitsdienste und einer damit verbundenen
Aufgabenausweitung sichergestellt sein, dass die Voraus-
setzungen, in diesem Gewerbe tätig zu sein, den gestiege-
nen Anforderungen gerecht werden und dass die Aus- und
Weiterbildung des Personals eine permanente Aufgabe
sein müssen. Es muss die Zuverlässigkeit der Wachleute
vor ihrer Einstellung gründlicher geprüft werden und der
Hinweis der Gewerkschaft der Polizei, die privaten Si-
cherheitsdienste sollten einer verschärften Kontrolle un-
terzogen werden, sollte nicht unbeachtet bleiben. Dies ist
auch deshalb notwendig, weil auf Seite der privaten Si-
cherheitsdienste eine entsprechende Sachkenntnis des
eingesetzten Personals nicht in allen Fällen gewährleistet
ist.
Nach unserer Auffassung sollten einige zusätzliche Re-
gelungen in das vorgelegte Gesetz aufgenommen werden.
Dazu haben wir den ihnen vorliegenden Änderungsantrag
eingebracht. Es geht uns im Wesentlichen um drei
Aspekte:
Erstens. Wir wollen, dass die Sachkundeprüfungen
auch auf die Aufsichtsfunktionen bei der Zugangskon-
trolle von Großveranstaltungen ausgeweitet werden.
Nicht nur die bei Massenveranstaltungen möglichen
Angst- und Panikreaktionen rechtfertigen eine solche Er-
gänzung. Die Terroranschläge in vielen Ländern, zum
Beispiel in Lokalen und Diskotheken, liefern eine weitere
Begründung für die gewollte Ergänzung. Der Bundesrat
hat sich in seiner Stellungsnahme ausdrücklich dieser
Auffassung angeschlossen.
Das in diesem Zusammenhang von der Bundesregie-
rung vorgebrachte Kostenargument, nach dem die Kosten
für entsprechend qualifiziertes Personal zu hoch seien, ist
nicht überzeugend. Sicherheit kostet Geld und dieses
Geld ist im Interesse der Sicherheit der Bevölkerung und
unseres Gemeinwesens gut angelegt.
Zweitens. Wir möchten erreichen, dass außer den In-
dustrie- und Handelskammern auch die Verbände ASW,
VSW und BDWS die Unterweisung des Personals vor-
nehmen können.
Drittens. Unser Vorschlag zu § 5 a, Abs. 1 der Bewa-
chungsverordnung betrifft eine notwendige rechtssyste-
matische Klarstellung.
Eine abschließende Bemerkung: Im Gesetzentwurf
heißt es:
Die mit der Ausführung des Gesetzes betrauten Ge-
meinden werden durch die intensivere Zuverlässig-
keitsüberprüfung in geringem Maße mehr belastet.
Wie groß oder gering die Mehrbelastung ist, will ich
hier nicht untersuchen, aber so viel sei doch gesagt: Ein
weiteres Mal legt der Bund den Gemeinden Lasten auf,
ohne auch nur ansatzweise in einem größeren Gesamt-
zusammenhang den Gemeinden einen finanziellen Aus-
gleich zu gewähren. Ich bitte das Haus um Zustimmung
zu unseren Änderungsanträgen. Bei Ablehnung unserer
Änderungsanträge werden wir uns in der Schlussabstim-
mung der Stimme enthalten.
Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN): Das Anliegen dieses Gesetzes teilen wir Bündnis-
grünen und auch ich persönlich mit der Polizeigewerk-
schaft. Diese Allianz ist sicher bemerkenswert, aber von
der Sache her verständlich und richtig. Das private Si-
cherheitsgewerbe ist ein florierender Wirtschaftszweig
geworden. Hunderttausende finden dort inzwischen einen
Arbeitsplatz. Private Firmen übernehmen immer mehr Si-
cherheitsaufgaben auch im öffentlichen Bereich. Sogar
Bundestag und Ministerien nutzen diese Dienste, ja, man
glaubt es kaum, Sicherheitsdienste des Bundes lassen sich
von Privatdiensten bewachen und sichern. Die Konkur-
renz zu Polizei, Bundesgrenzschutz und anderen staat-
lichen Sicherheitsdiensten ist offensichtlich. Warum kön-
nen Private soviel günstiger anscheinend diesselben
Leistungen anbieten, dass sie in der Konkurrenz zur Poli-
zei vorgezogen werden? Sie sind billiger, weil sie an ihr
Personal weniger bezahlen, häufig lange Arbeits- und
Einsatzzeiten praktizieren und häufig keine lange Ausbil-
dung für ihre Mitarbeiter finanzieren müssen. Aber kön-
nen sie dann Gleichwertiges leisten oder ist solcher Ein-
satz nicht mit großen Risiken und Gefahren für die
Bevölkerung verbunden?
In der Zeitung war vor einem Jahr zu lesen, ein Privat-
angestellter habe einen Fahrgast in der U-Bahn derart
schwer misshandelt, dass Blutspuren im Wagen zurückblie-
ben. Am nächsten Tag gab es einen ähnlichen Vorfall mit ei-
nem Obdachlosen. Die beteiligten Privatangestellten ver-
dienten 6,70 DM pro Stunde. Der eine war 15 Stunden ohne
Pause im Dienst, der andere hatte 12 Stunden pro Tag drei-
einhalb Wochen durchgearbeitet. Einem LKW- oder Bus-
fahrer verbieten wir völlig zu Recht, länger als eine be-
stimmte Stundenzahl am Steuer Dienst zu tun und wir
verlangen eine gute Ausbildung und das Bestehen einer Prü-
fung, weil von ihm sonst Gefahren für andere Verkehrsteil-
nehmer ausgehen. Ein Angestellter eines privaten Sicher-
heitsdienstes kann übermüdet im öffentlichen Raum Dienst
tun, oft ohne besondere Ausbildung und manchmal sogar
bewaffnet, obwohl von ihm sicher eine nicht geringere Ge-
fahr ausgeht. Da gibt es Regelungsbedarf. Mit dem Gesetz
zur Änderung des Bewachungsgewerberechts unternehmen
wir erste notwendige Regelungsschritte. Es sind nur erste
Schritte, weitere müssen möglichst bald folgen.
Wir verlangen eine erfolgreich abgelegte Sachkundeprü-
fung als Voraussetzung für die Durchführung bestimmter
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Aufgaben, wie Kontrollgänge im öffentlichen Raum, Ein-
satz gegen Ladendiebe, Bewachung von Diskotheken, also
immer, wenn das Sicherheitspersonal im öffentlichen Raum
tätig ist oder Publikumsverkehr abzuwickeln hat.
Wir regeln die Unterrichts- und Ausbildungszeiten, die
erreicht werde müssen, bevor Personen in bestimmten Be-
reichen des Sicherheitsdienstes eingesetzt werden dürfen.
Und wir legen fest, wie die Sachkundeprüfung abgenom-
men wird und von wem.
Wir halten ausdrücklich fest, dass das Gewaltmonopol
des Staates beim Staat bleibt und dass die Privaten also
keine Sonderrechte zur Gewaltausübung haben. Sie dür-
fen nur das, was nach dem Gesetz jedermann und jede
Frau auch darf, also insbesondere in Notwehr persönliche
Angriffe abwehren und notfalls anderen in Nothilfe bei-
stehen, wenn sie angegriffen sind. Wir halten ausdrück-
lich fest, dass selbstverständlich jede Gewaltanwendung
verhältnismäßig bleiben muss, das heißt, nur das Maß an
Gewalt angewandt werden darf, was zur Abwehr eines
Angriffes unbedingt erforderlich ist.
Ein wichtiger Bereich der Neuregelungen ist der der
Überprüfung von Personen, die Personen mit Bewa-
chungsaufgaben beschäftigen dürfen. Hier wird eine ganze
Reihe von Zuverlässigkeitsvoraussetzungen festgelegt.
Auch die Zuverlässigkeit ist in einer Prüfung nachzuwei-
sen. In Berlin spricht man davon, Sicherheitsunternehmen
würden ihre Mitarbeiter an den Gefängnistoren aus dem
Kreis der Haftentlassenen anwerben. Natürlich haben wir
nichts dagegen, dass Personen, die im Gefängnis saßen,
nach ihrer Entlassung einen vernünftigen, ehrlichen Job
finden. Aber wir legen Wert darauf und wollen sicherstel-
len, dass sowohl die, die Leute für Bewachungsaufgaben
beschäftigen, als auch die, die mit Bewachungsaufgaben
betraut werden, zuverlässig sind und dass von diesen keine
Gefahren ausgehen. Deshalb regeln wir, wie unter Berück-
sichtigung des Datenschutzes die notwendigen Auskünfte
für die Überprüfung der Zuverlässigkeit zur Verfügung ge-
stellt werden können.
Wichtig ist auch die Regelung, dass Gewerbetreibende
die Daten und Geheimnisse Dritter, die im Rahmen der
Tätigkeit des Bewachungsunternehmens anfallen, ähnlich
gut sichern und bewahren, wie dies im öffentlichen Be-
reich vorgeschrieben ist.
Wir regeln den Datenaustausch mit Behörden und ins-
besondere mit der Polizei. Und nicht zu vergessen, verbes-
sern wir die Bestimmungen über den Waffengebrauch im
privaten Sicherheitsbereich Beschäftigter. Die Bestimmun-
gen zum Tragen oder schon zum Aufbewahren der Waffen
müssen mindestens so streng und restriktiv sein wie bei der
Polizei. Das ist das Ziel der gesetzlichen Regelung.
Ich habe darauf hingewiesen, dies können nur erste
Schritte sein. Es bleibt noch viel zu tun. So brauchen wir
die Regelung von Mindeststandards für Arbeitszeit- und
Arbeitsschutzbestimmungen und für eine tarifliche Entloh-
nung. Die Polizeigewerkschaft hat uns auch mit solchen
Forderungen auf ihrer Seite, im Interesse der Bevölkerung,
die keine Risiken und Gefahren will, die von Firmen aus-
gehen, die im Sicherheitsbereich tätig sind. Um nicht miss-
verstanden zu werden: Selbstverständlich gibt es auch nach
unserer Auffassung viele Personen und Unternehmen, die
ordentliche Arbeit verrichten und Mindeststandards auch
heute schon praktizieren. Die werden solche gesetzlichen
Regelungen weder fürchten noch scheuen.
Rainer Funke (FDP): Das vorliegende Gesetz zur
Änderung des Bewachungsgewerberechts steht gerade für
uns Liberale in einem ganz besonderen Spannungsver-
hältnis. Auf der einen Seite sehen wir das Gewaltmonopol
des Staates als unerlässlichen Bestandteil der inneren Si-
cherheit unseres Staatswesens an. Auf der anderen Seite
gehen wir vom Prinzip der Gewerbefreiheit aus und müs-
sen gerade bei diesem Gesetz fragen, ob Einschränkungen
der Gewerbefreiheit berechtigt sein könnten.
Dabei hat man sich zunächst zu fragen, ob im rechts-
staatlichen Bereich in letzter Zeit Missstände bekannt ge-
worden wären, die durch Gesetzesänderungen behoben
werden müssten. Gravierende Missstände gibt es sicher-
lich nicht. Aber eines ist sicher: dass das Bewachungsge-
werbe vielfältige zusätzliche Aufgabenbereiche, vor al-
lem bei Zugängen zu sensiblen Bereichen in Betrieben,
haben wird. Dies könnte dafür sprechen, dass auch im In-
teresse des Bewachungsgewerbes selbst Ausbildung und
Zuverlässigkeitsprüfung einen noch höheren Stellenwert
bekommen. Das erhöht die Akzeptanz in der Öffentlich-
keit, aber auch in den Betrieben.
Wir werden dem Gesetzentwurf der Bundesregierung
zustimmen, auch wenn uns – wie im Übrigen den Deut-
schen Industrie- und Handelskammertag und zahlreiche
Sachverständige auch – die übermäßige Regulierungswut
und der zusätzliche Bürokratismus eigentlich ab-
schrecken. Wir sind durchaus mit der Zielrichtung dieses
Gesetzes einverstanden und werden mit Argusaugen da-
rüber wachen, dass das Bewachungsgewerbe nicht durch
Bürokratie und Regulierungswut erdrosselt wird. Wir hal-
ten sehr viel von Deregulierung und vom Prinzip der
Selbstverwaltung und der Subsidiarität. Wir werden bei
der Umsetzung dieses Gesetzes darüber wachen, dass die
Prinzipien des Gesetzes umgesetzt werden. Wenn es da-
bei zu Anständen und Schwierigkeiten kommt, werden
wir nicht zögern, in der nächsten Legislaturperiode wie-
derum Änderungen an diesem Gesetz vorzunehmen.
Petra Pau (PDS): Das Anliegen der heutigen Bera-
tung wird auch von der PDS-Fraktion unterstützt. Die
Bundesregierung will mit dem Gesetzentwurf die Voraus-
setzung vor allem für die im öffentlichen Bereich ausge-
führten Tätigkeiten des privaten Bewachungsgewerbes an
gestiegene, notwendige, qualitative Anforderungen an-
passen. Außerdem will sie sicherstellen, dass das staatli-
che Gewaltmonopol auch in Zukunft unangetastet bleibt.
Zumindest die zweite Zielstellung des Gesetzes wird
meines Erachtens weder in diesem Gesetzeswerk noch in
der praktischen Politik erfüllt, da sich die staatlichen In-
stitutionen immer öfter aus ihrer Verantwortung im öf-
fentlichen Raum zurückziehen und Aufgaben zur Siche-
rung der öffentlichen Sicherheit an Private übertragen.
Dies ist nun keinesfalls den Unternehmen und ihren Be-
schäftigten anzulasten, sondern wäre Gegenstand von
weiter gehenden Debatten.
Nun zum Gesetzentwurf. Insgesamt begrüßen wir, dass
versucht wird, die Tätigkeit der privaten Sicherheitsdiens-
te neu und besser zu regeln und insbesondere einheitliche
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Voraussetzungen für die Ausbildung und natürlich auch
die Befugnisse dieser Sicherheitsdienste zu schaffen. Wir
begrüßen auch, dass es nachträglich gelungen ist, auch die-
jenigen, welche zur Begleitung bzw. Sicherung von
Großveranstaltungen eingesetzt werden, in diesen Forde-
rungskatalog aufzunehmen.
Allerdings bleiben aus unserer Sicht einige Regelungen
weit hinter dem Bedarf zurück. Darf schon angezweifelt
werden, dass die erhöhte Stundenzahl für die Unterweisung
und Ausbildung nicht ausreichend ist, so fehlen insgesamt
Regelungen zur regelmäßigen Weiterbildung und Überprü-
fung des Wissens- und Fähigkeitsstandes der Beschäftigten
in einzelnen Sicherheitsunternehmen. Wir begrüßen, dass
die Ausbildung nach einheitlichen Normen der IHK auch
durch die Betriebe selbst durchgeführt werden kann, aber
auch hier fehlen einheitliche Maßstäbe für eine entspre-
chende Weiterbildung.
Im Datenschutzbereich bleibt dieses Gesetz weiter hin-
ter den Erfordernissen zurück. Wir schließen uns hier der
Kritik der Bundesarbeitsgemeinschaft Kritischer Polizis-
tinnen und Polizisten an, welche insbesondere kritisieren,
dass die Vermischung zwischen Polizeikräften und priva-
ten Sicherheitsdiensten durch Kooperationsverträge zu ei-
ner unkontrollierten Weitergabe von Daten führt, sodass
das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ausge-
hebelt werden könnte. Kritisch sehen wir auch die Neu-
regelung zum Umgang mit Waffen, da wir aufgrund des
schon kritisierten Umfanges der Ausbildungsstunden an-
zweifeln, dass die Unterweisung im Umgang mit Waffen
ausreichend ist und auch den entsprechenden Anforde-
rungen an Sachkunde und körperliche Eignung entspricht.
Die Kritik der FDP, dass die Standards diese Dienstleis-
tungen zu sehr verteuern würden, teile ich nicht, weil öf-
fentliche Sicherheit nicht vom Umfang des Geldbeutels
unterschiedlicher Quartiere abhängen darf. Dies würde
auch dem Gleichheitsgrundsatz widersprechen. Insofern
gilt es auch in diesem Bereich, gegen prekäre Beschäfti-
gungsverhältnisse vorzugehen. Dies gilt übrigens auch für
die Ausschreibungs- und Entscheidungskriterien der öf-
fentlichen Hand als Auftraggeber. Daher wäre auch der
Bereich des privaten Sicherheitsgewerbes heute Morgen in
der Debatte um das Vergabegesetz zu berücksichtigen ge-
wesen. Aus all diesen Gründen lehnen wir den heute vor-
liegenden geänderten Gesetzentwurf ab.
Anlage 7
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Entwurfs eines Zweiten Geset-
zes zur Änderung des Mutterschutzrechts (Ta-
gesordnungspunkt 23)
Marlene Rupprecht (SPD): Wir beraten heute einen
Gesetzentwurf, der zwar „nur“ nationales, das heißt deut-
sches Recht betrifft, der aber nicht losgelöst von europä-
ischem Recht gesehen werden darf. Wir leben in einem
Europa, in dem wir die Freizügigkeit der Arbeitnehmerin-
nen und Arbeitnehmer sicherstellen, aber wir haben noch
häufig unterschiedliche Gesetzgebungen im Arbeits- und
Sozialrecht.
Im Wissen um diese Unterschiede hat der Rat die „Richt-
linie 92/85/EWG über die Durchführung von Maßnahmen
zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheits-
schutzes von schwangeren Arbeitnehmerinnen, Wöchnerin-
nen und stillenden Arbeitnehmerinnen am Arbeitsplatz ... „
im Oktober 1992 verabschiedet.
Darin wird ausgeführt: ... Diese Richtlinie ermöglicht
keine Einschränkung des bereits in den einzelnen Mit-
gliedstaaten erzielten Schutzes; die Mitgliedstaaten haben
sich gemäß dem Vertrag verpflichtet, die bestehenden Be-
dingungen in diesem Bereich zu verbessern, und sich eine
Harmonisierung bei gleichzeitigem Fortschritt zum Ziel
gesetzt.
Da allein schon bei der Definition, wer als schwangere
Arbeitnehmerin, wer als Wöchnerin und wer als stillende
Arbeitnehmerin gilt, in den Mitgliedstaaten unterschied-
liche Auffassungen bestanden, hat die Richtlinie auch hier
erst eine klare Definition festlegen müssen.
Auch die Bundesrepublik Deutschland musste ihr Mut-
terschutzrecht an die Vorgaben der europäischen Richtli-
nie anpassen. Die einzelnen Punkte wurden von Frau
Staatssekretärin Dr. Niehuis bereits vorgestellt.
Diese Anpassungen bedeuten aber für die betroffenen
Frauen erhebliche Verbesserungen. Ich will es Ihnen
nochmals an einem Beispiel deutlich machen.
Eine Lehrerin im Vorbereitungsdienst hatte bisher
keinerlei Schutz, wenn ihr Vorbereitungsdienst in der
Mutterschutzfrist endete. Sie wurde vom Dienstherren
– in der Regel das jeweilige Bundesland – erst nach Ab-
lauf der Fristen in ein Arbeitsverhältnis übernommen. Die
Richtlinie schreibt hier klar vor, dass die nationalen Re-
gelungen dem Schutz im Sinne der Sozialcharta entspre-
chen müssen.
Der Bundesrat hatte nun noch einige Ergänzungen
vorgeschlagen, die auf den ersten Blick ganz vernünftig
klingen. Hätten wir sie aber jetzt in einem Schnellverfah-
ren aufgenommen, trüge das nicht zur Harmonisierung
auf europäischer Ebene bei.
Diese Vorschläge werden in die Beratungen für eine Re-
form, die in der nächsten Legislaturperiode kommen wird,
Eingang finden. Die Vorbereitungen hierfür setzen aber
viele Gespräche mit allen Beteiligten, Arbeitnehmerinnen-
vertreterinnen, Arbeitgebern und Verbänden voraus.
Gleichzeitig muss der europäische Abgleich erfolgen.
Dieser Gesetzentwurf ist ein Baustein einer guten, zu-
kunftsweisenden Frauen- und Familienpolitik unserer Re-
gierung.
Maria Eichhorn (CDU/CSU): Das Mutterschutz-
gesetz ist am 24. Januar dieses Jahres 50 Jahre alt gewor-
den. Es gehört zu den wichtigsten Eckpfeilern der Arbeits-
und Sozialgesetzgebung in Deutschland. Es schützt Ar-
beitnehmerinnen und ihre Kinder vor gesundheitlichen
Gefährdungen am Arbeitsplatz, vor Kündigung und Ver-
lust des Einkommens.
Das Gesetz hat sich zweifellos bewährt. Frauen und
Mütter können sich auf dieses Gesetz verlassen. Die Durch-
setzung des Mutterschutzes ist ein wichtiger Meilenstein
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auf dem Weg zur Gleichstellung von Mann und Frau in der
Arbeitswelt.
Die Union hat einen entscheidenden Anteil an der Fort-
entwicklung und Modernisierung des Mutterschutzes. 1985
hat die CDU/CSU-geführte Bundesregierung den damali-
gen Mutterschaftsurlaub und das Mutterschaftsurlaubsgeld
zum Erziehungsurlaub und Erziehungsgeld ausgebaut. 1989
haben wir die Dauer des Erwerbs des Erziehungsgeldes und
des -urlaubs von zwölf Monaten bis auf den achtzehnten Le-
bensmonat des Kindes verlängert.
1992 haben wir das Verbot der Nachtarbeit für Künst-
lerinnen flexibilisiert und 1997 erreicht, dass das Mutter-
schutzgesetz für Hausangestellte genauso gilt wie für
Arbeitnehmerinnen.
Das längst überfällige und von der Bundesregierung
kurz vor Toresschluss vorgelegte zweite Gesetz zur Än-
derung des Mutterschutzgesetzes dient der Umsetzung
von Art. 8 der EG-Mutterschutz-Richtlinie, der die Dauer
des Mutterschaftsurlaubes vor und nach der Entbindung
regelt.
Viel zu lange bestand die Rechtsunsicherheit bei der
Bewertung von mutterschutzrechtlichen Ausfallzeiten bei
der Berechnung des Erholungsurlaubs.
Die Verlängerung der Mutterschutzfrist nach der Ge-
burt für alle vorzeitigen Entbindungen und nicht nur für
Frühgeburten im medizinischen Sinne entspricht einer
langjährigen Forderung. Auf Antrag Bayerns wurde die
Bundesregierung bereits nach Beschluss der 8. BFMK
1998 gebeten, einen dahin gehenden Gesetzentwurf
einzubringen, da für jeglichen Fall einer vorzeitigen Ent-
bindung eine erhöhte Schutzbedürftigkeit von Mutter und
Kind besteht.
Die vorgesehene Anpassung der Mutterschutzfristen
für alle vorzeitigen Entbindungen ist unbedingt zu be-
grüßen. Sie ist auch im Hinblick darauf sinnvoll, dass die
Abgrenzung zwischen einer medizinischen Frühgeburt
und einer sonstigen vorzeitigen Entbindung aufgrund der
nicht eindeutigen Abgrenzungskriterien schwierig sein
kann.
Wirklicher Mutterschutz besteht auch in der hinrei-
chenden finanziellen Unterstützung der jungen Mütter, in
der Förderung der Erziehungskompetenz und der Ermög-
lichung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf.
Viele von uns wissen, dass gerade diese Sorgen eine
werdende und junge Mutter in erheblichem Maße belas-
ten. Mit der Geburt eines Kindes beginnt ein neuer Le-
bensabschnitt. Die Eltern haben doppelte Verantwortung
zu tragen. Eine Kindergelderhöhung von 15 Euro, die
Mütter dreier und mehrerer Kindern schlicht vergisst,
passt nicht zu einer Politik, die vorgibt, Familien fördern
und Mütter schützen zu wollen.
Allein erziehende Mütter werden durch das Zweite
Familienfördergesetz im Regen stehen gelassen. Diese
Bundesregierung hat den Alleinerziehenden die Unter-
stützung durch den Haushaltsfreibetrag gestrichen. Das
ist in höchstem Maße unglaubwürdig und ungerecht. Seit
dreieinhalb Jahren sind Sie in der Verantwortung. Sie ha-
ben die Mütter nicht ent-, sondern belastet.
Die gerade in den letzten Wochen geäußerten Vor-
schläge und Ankündigungen zur Familienpolitik sind nur
Stückwerk und lassen jedes Gesamtkonzept vermissen.
Die Union setzt eine Familienoffensive aus einem Guss
dagegen, die Mütter, Väter und Kinder unmittelbar ent-
lastet und unterstützt:
Erstens, mit der Einführung eines Familiengeldes eine
echte Wahlfreiheit zwischen verschiedenen Lebensent-
würfen ermöglicht, zweitens, die Vereinbarkeit von Fami-
lie und Erwerbstätigkeit durch den bedarfsgerechten Aus-
bau der Kinderbetreuung für alle Altersgruppen
verbessert und drittens, die Erziehungskompetenz von
Müttern und Vätern durch zahlreiche Maßnahmen stärkt.
Mit unserer Politik schaffen wir Rahmenbedingungen,
die Müttern und Vätern die Möglichkeit geben, selbst zu
entscheiden, wie sie gemeinsam in den unterschiedlichen
Familienphasen für das Familieneinkommen, für die Er-
ziehung der Kinder und füreinander Sorge tragen.
Seit der Regierungsübernahme in 1998 hören die Müt-
ter Ihre Ankündigungen und Versprechen. Die Enttäu-
schung über ihre Umsetzung ist jedoch groß. Wir brau-
chen eine neue Familienpolitik.
Diese werden wir mit unserer Familienoffensive ver-
wirklichen.
Irmingard Schewe-Geigk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN): Das Mutterschutzrecht ist eine Errungenschaft der
Frauen- und Arbeiterbewegung. Mit dem Mutterschutz
genießen alle Frauen während der Schwangerschaft und
nach der Geburt einen besonderen Schutz. Das Gesetz
schützt vor Kündigung, vor Minderung des Einkommens
und vor Gefahren für die Gesundheit von Mutter und Kind
am Arbeitsplatz. Die Schutzfrist für die Mutter beinhaltet
6 Wochen vor der Geburt und 8 Wochen nach der Geburt.
In dieser Zeit ist die Arbeitnehmerin von der Arbeit frei-
gestellt.
Das Mutterschutzrecht wurde zum letzten Mal 1996
geändert. Auch damals war die Änderung durch die EG-
Mutterschutzrichtlinie veranlasst worden. Unter anderem
wurde damals die Mutterschutzfrist nach Frühgeburten auf
12 Wochen nach der Entbindung verlängert. Die Schutz-
frist nach der Geburt verlängert sich außerdem, wenn die
Freistellung vor der Geburt nicht wahrgenommen werden
konnte. Um eine Frühgeburt zu bescheinigen, muss die
Schwangere dem Betrieb ein ärztliches Zeugnis vorlegen.
Kommt es jedoch zu einer Frühgeburt, die nicht medizi-
nisch vorausgesagt werden konnte, so gilt diese verlän-
gerte Mutterschutzfrist nicht. Eine erhöhte Schutzbedürf-
tigkeit besteht jedoch auch in diesen Fällen. Diese
Ungleichbehandlung wird mit dem vorliegenden Gesetz-
entwurf ergänzt. Künftig erhalten alle Mütter einen Mut-
terschaftsurlaub von mindestens 14 Wochen. So will es die
Mutterschutz-Richtlinie der EU. Diese Änderung des Mut-
terschutzrechtes notwendig, wir halten die geltenden Be-
stimmungen jedoch weiter für reformbedürftig.
Schwangerschaft darf kein Hindernis beim beruflichen
Fortkommen und bei Einstellungen von Frauen sein. Der
Mutterschutz darf für Frauen nicht zu einem Nachteil für
Frauen auf dem Arbeitsmarkt werden. Kurz gesagt: Mut-
terschutz – ja, Berufsverbot – nein.
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Mich erreichen immer wieder Proteste von Frauen be-
sonders aus dem Gesundheitswesen. Ärztinnen, Schwestern
oder Hebammen empfinden die streng ausgelegte Mutter-
schutzverordnung als Berufsverbot. Teilweise werden sogar
Schwangerschaften vor dem Arbeitgeber verheimlicht. Die
Bestimmungen des Landes Baden-Württemberg sehen bei-
spielsweise vor, dass Schwangere keinen Umgang mit kon-
taminierten, spitzen, scharfen und zerbrechlichen Gegen-
ständen haben dürften. Kontaminiert bedeutet hier alles,
was blutig ist. Folge: Eine Chirurgin oder Zahnärztin kann
ihren Beruf vom ersten Tag der Schwangerschaft an nicht
mehr ausüben. Auch Krankenhausärztinnen, Kranken-
schwestern, Hebammen oder eine Arzthelferin können
heute nach Mitteilung ihrer Schwangerschaft ihren Beruf
nur noch sehr eingeschränkt ausüben.
Pauschale, undifferenzierte Beschäftigungsverbote ver-
schlechtern also die Arbeitsbedingungen, Einstellungschan-
cen und die beruflichen Entwicklungsmöglichkeiten von
Frauen. Gefragt sind vor allem sinnvolle individuelle
Schutzmaßnahmen und nicht pauschale Verbote. Deshalb
wollen wir die Mutterschutzverordnung flexibilisieren, so-
dass beispielsweise das Arbeitsverbot für Schwangere ab
20 Uhr so geregelt wird, dass es nicht zu beruflichen Nach-
teilen kommt.
Auch der Bundesrat dringt in seiner Stellungnahme
zum Gesetzentwurf auf eine weiter gehende Ausnahme-
regelung des Nachtarbeitverbots, insbesondere wenn dies
die Arbeitnehmerinnen ausdrücklich wünschen.
Wir sollten also in der kommenden Legislaturperiode
das Mutterschutzrecht gemeinsam in diese Richtung
überarbeiten.
Ina Lenke (FDP): Mit dem Gesetzesentwurf zur Än-
derung des Mutterschutzrechtes soll zum einen eine un-
gerechtfertige Ungleichbehandlung von Frauen beseitigt
werden, die zwar vorzeitig entbinden, aber bei denen es
nicht zu einer medizinischen Frühgeburt kommt. Diese
Fälle vorzeitiger Entbindung werden durch die Anglei-
chung der Schutzfristen also nicht etwa privilegiert, son-
dern es wird sichergestellt, dass die Schutzfristen in
Summe genauso lang sind wie bei Frauen, die zum er-
rechneten Termin entbinden. Diese Regelung ist lange fäl-
lig und sehr zu begrüßen. Auch die mit der Gesetzesände-
rung beabsichtigten Regelungen zum Erholungsurlaub
und für besondere Fallgruppen schwangerer Arbeitneh-
merinnen finden unsere Zustimmung.
Nicht nachvollziehen kann ich allerdings die Ableh-
nung des Änderungsvorschlags des Bundesrates durch die
Bundesregierung. Hier wird eine Ausnahmeregelung von
dem grundsätzlichen Nachtarbeitsverbot für werdende
und stillende Mütter auch für den Bereich der Kranken-
pflegeanstalten gefordert, weil sich in der Arbeitspraxis
gezeigt hat, dass das Beschäftigungsverbot sich aus Sicht
mancher betroffenen Frauen zu ihrem Nachteil auswirkt.
Dies wird von der Bundesregierung in ihrer Ablehnung
auch gar nicht bestritten. Vielmehr verweist sie darauf,
dass eine umfassende Reform des Mutterschutzgesetzes
notwendig sei und noch viel Zeit erfordere. Dass die
grundsätzliche Überprüfung mutterschutzrechtlicher Vor-
schriften nötig ist, kann ich bestätigen. Aber muss man
deshalb einen schon vorliegenden, konkreten, sinnvollen
Änderungsvorschlag auf die nächste Legislaturperiode
verschieben? Die betroffenen Ärztinnen, Pflegerinnen
und Krankenschwestern werden sich von Ihrem Argu-
ment kaum trösten lassen.
Christina Schenk (PDS): Die Bundestagsfraktion
der PDS begrüßt die hier vorgeschlagenen Änderungen
im Mutterschutzgesetz und stimmt ihnen zu. Es handelt
sich überwiegend um Veränderungen, die die Rechtslage
von schwangeren Arbeitnehmerinnen verbessern und ih-
nen mehr Rechtssicherheit gewähren.
Im hier zur Diskussion stehenden Gesetzentwurf wird
lediglich der Art. 8 der EG-Mutterschutz-Richtlinie um-
gesetzt. Wir möchten aber bei dieser Gelegenheit nach-
drücklich darauf hinweisen, dass das gesamte Mutter-
schutzrecht dringend einer Reform bedarf. Die
Arbeitsbedingungen von Frauen – und von Männern – ha-
ben sich in den letzten Jahren so sehr verändert, dass das
jetzt geltende Mutterschutzrecht die dadurch entstande-
nen neuen Problemlagen nur teilweise regelt. Erinnert sei
an die vielfältigen Formen „moderner“ Heimarbeit, die
durch die neuen Kommunikationsmittel entstanden sind,
aber auch an zunehmende Scheinselbstständigkeit und
ungesicherte Beschäftigungsverhältnisse.
In der Begründung für diesen Gesetzentwurf wird zu
Recht festgestellt, dass eine Aktualisierung des Mutter-
schaftsrechtes „einer umfangreichen fachlichen Vorar-
beit“ bedarf, „die mit einem erheblichen Zeitaufwand ver-
bunden ist“. Damit es nicht zu Verzögerungen kommt,
sollte eine Reform des Mutterschutzrechtes gleich zu Be-
ginn der nächsten Legislaturperiode in Angriff genommen
werden.
Edith Niehuis, Parl. Staatssekretärin bei der Bundes-
ministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend:Der
vorliegende Gesetzentwurf zum Mutterschutzrecht ist eine
wichtige Weiterentwicklung in der Familien- und Frauen-
politik. Die Geschichte des Mutterschutzes reicht – was
heute kaum noch jemand weiß – bis in die Bismarck-Zeit,
nämlich bis in das Jahr 1878, zurück. Das Mutterschutz-
gesetz von 1952 hatte im Januar 2002 seinen 50. Geburts-
tag. Mit seiner Konzeption und Zielsetzung gehört es zu
den fundamentalen Gesetzen des Arbeits- und Sozial-
rechts. Es schützt die Arbeitnehmerin und ihr Kind vor ge-
sundheitlichen Gefahren am Arbeitsplatz, vor Kündigung
und grundsätzlich auch vor dem Verlust des Einkommens.
Art. 6 des Grundgesetzes verpflichtet die Gemein-
schaft – den Staat, die Arbeitgeber und die Sozialversi-
cherungsträger –, den Anspruch der Mutter auf Schutz
und Fürsorge zu erfüllen. Dieser Aufgabe stellt sich die
Bundesregierung auch mit ihrem Gesetzentwurf zur Än-
derung des Mutterschutzrechts, den wir heute ab-
schließend beraten.
Erstens. Die Mutterschutzfrist nach einer vorzeitigen
Entbindung wird verlängert: Bisher verkürzte sich für
Mütter bei Geburten vor dem errechneten Termin die
sechswöchige Schutzfrist vor der Geburt. Nur bei Früh-
geburten im medizinischen Sinne, vor allem bei einem
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. April 2002 23367
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Geburtsgewicht von unter 2 500 Gramm, verlängert sich
nach geltendem Recht die Mutterschutzfrist nach der Ge-
burt um die Tage, die bei der Mutterschutzfrist vor der
Entbindung nicht in Anspruch genommen werden konn-
ten.
Diese Verlängerungsregelung, die den Müttern eine
mindestens 14-wöchige Schutzfrist garantiert, erweitern
wir jetzt – entsprechend der EG-Richtlinie – auch zuguns-
ten der Mütter mit einer sonstigen vorzeitigen Entbin-
dung. Circa 45 Prozent der Mütter bringen ihre Kinder vor
dem ursprünglich festgesetzten Geburtstermin zur Welt,
ohne dass es sich dabei um medizinische Frühgeburten
handelt – das sind in etwa 180 000 Arbeitnehmerinnen.
Wir schließen damit eine noch verbliebene Lücke gegen-
über der EG-Mutterschutz-Richtlinie und vermeiden das
Risiko eines Vertragsverletzungsverfahrens.
Zweitens. Die Urlaubsregelung normiert höchstrich-
terliche Rechtsprechung. Der Gesetzentwurf stellt klar,
dass die mutterschutzrechtlichen Beschäftigungsverbote
für die Berechnung des Erholungsurlaubs als Beschäfti-
gungszeiten zählen. Bisherige Rechtsunsicherheiten wer-
den damit gegenstandslos.
Drittens. Der Gesetzentwurf enthält auch eine verbes-
serte Regelung für Berufsanfängerinnen. Die Berufs-
anfängerin, deren Arbeitsverhältnis während der
Mutterschutzfrist beginnt, erhielt bisher weder Mutter-
schaftsgeld noch den Arbeitgeberzuschuss. Das ändert
sich künftig. Davon sind zum Beispiel Lehrerinnen be-
troffen, die aus dem staatlichen Vorbereitungsdienst in ein
Angestelltenverhältnis wechseln.
Der Bundesrat hat in seiner Stellungnahme einen wei-
teren Vorschlag unterbreitet, nämlich im Gesetzentwurf
das Verbot der Nachtarbeit in Krankenhäusern und Pfle-
geheimen einzuschränken.
Er hat beantragt, die Regelung des § 8 Mutterschutzge-
setz zum Nachtarbeitsverbot zu ändern und die Beschäfti-
gung von schwangeren Ärztinnen, Krankenschwestern und
Pflegerinnen in den ersten vier Monaten der Schwanger-
schaft in Krankenhäusern bis 22 Uhr statt nur bis 20 Uhr zu
erlauben. Voraussetzung ist, dass die betroffenen Arbeit-
nehmerinnen dies ausdrücklich wünschen und ihre Ent-
scheidung nicht widerrufen.
Der Bundesrat hat den Vorschlag damit begründet, dass
die Beschäftigten durch den Beginn des Nachtarbeitver-
bots um 20 Uhr nicht in der Abendschicht bis 22 Uhr ar-
beiten könnten, sondern gezwungen seien, in der anstren-
genderen Tagesschicht zu arbeiten. Diese Problematik,
dass Krankenschwestern beziehungsweise Ärztinnen, de-
ren Schicht zum Beispiel bis 20 Uhr andauert, wegen des
Nachtarbeitsverbotes nicht mehr an der Schichtübergabe
teilnehmen können und deshalb gegen ihren Willen in
eine andere Schicht versetzt werden, kann nach gel-
tendem Recht in der Regel mit einer Ausnahmebewilli-
gung gemäß § 8 Abs. 6 des Mutterschutzgesetzes gelöst
werden.
Darüber hinaus wird es so sein, dass der heute vorlie-
gende Gesetzentwurf nur ein erster Schritt sein kann. Wir
werden in der nächsten Legislaturperiode das Mutter-
schutzgesetz in größerem Umfang novellieren müssen;
denn der Mutterschutz kann seiner hohen Verantwortung
nur gerecht werden, wenn er mit den Veränderungen im
Arbeitsleben Schritt hält.
Bei der Novellierung des Mutterschutzrechts in der
nächsten Legislaturperiode werden auch die mutter-
schutzrechtlichen Beschäftigungsverbote eine Rolle spie-
len. Dazu bedarf es aber umfangreicher Vorarbeiten zu-
sammen mit arbeitsmedizinischen Sachverständigen und
den Verbänden wie Gewerkschaften, Arbeitgeberverbän-
den, Frauenverbänden usw.
Es wird zu prüfen sein, inwieweit und wo Beschäfti-
gungsverbote, und Nachtarbeitsverbote unter den heuti-
gen Arbeitsbedingungen notwendig sind, um den Schutz
von Mutter und Kind sicherzustellen.
Neben dem Arbeitsschutz muss auch der Bereich der
wirtschaftlichen Sicherung überdacht werden. Im Lebens-
alltag gibt es noch immer Fallkonstellationen, in denen die
schwangere Frau als Arbeitnehmerin oder nach einer
eingetretenen Arbeitslosigkeit weder durch das Mutter-
schutzgesetz noch durch die Sozialversicherung in ihrer
wirtschaftlichen Existenz ausreichend geschützt wird. Be-
troffen sind Frauen zum Beispiel mit einer geringfügigen
Beschäftigung, die nicht Mitglieder einer gesetzlichen
Krankenkasse sind, und Frauen mit einer beginnenden Ar-
beitslosigkeit während der Mutterschutzfristen.
Nicht zuletzt wird sich der Bundestag mit einer Ent-
scheidung des Bundesverfassungsgerichts auseinander
setzen müssen, die wir noch in diesem Jahr erwarten. In
diesem Urteil wird es um die Kostenbeteiligung der Ar-
beitgeber an der Einkommenssicherung der Frauen
während der Mutterschutzfristen gehen, also um das gel-
tende System der Lastenverteilung. Und nur darum kann
es gehen. Der Anspruch jeder Mutter auf den Schutz und
die Fürsorge der Gemeinschaft, der im Art. 6 Abs. 4 GG
verankert ist, wird bestehen bleiben und manifestiert sich
auch in einem guten Mutterschutzrecht.
In diesem Zusammenhang begrüßt die Bundesregie-
rung ausdrücklich, dass die Internationale Arbeitsorgani-
sation im Sommer 2000 die weltweite Bedeutung des
Mutterschutzes noch einmal unterstrichen hat, indem eine
Neufassung des Mutterschutzübereinkommens beschlos-
sen wurde. Die Bundesregierung hat die Neufassung des
Übereinkommens über den Mutterschutz mit Nachdruck
unterstützt und wird es ratifizieren. Das Mutterschutz-
recht bleibt ein wichtiges Recht. Es schützt Mutter und
Kind vor gesundheitlichen Gefahren. Es verbietet sich,
dieses Schutzrecht, direkt oder indirekt, als Beschäfti-
gungshindernis für Frauen zu sehen, wie man hin und
wieder hören kann. Wer solch eine Argumentation gesell-
schaftsfähig macht, bekommt in unserer modernen Ar-
beitswelt die Quittung: die Weigerung der Frauen, Mutter
zu werden.
Der vorliegende Gesetzentwurf beschränkt sich auf
vorrangige und dringend erforderliche Änderungen, unter
anderem auf die abschließende Umsetzung der EG-Mut-
terschutz-Richtlinie. Doch das Mutterschutzgesetz muss
weiterhin eine hohe Priorität behalten. Der Bundeskanz-
ler hat in der vorigen Woche in seiner Regierungser-
klärung die gegenwärtige und künftige Familienpolitik
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. April 200223368
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der Bundesregierung erläutert. Die Weiterentwicklung
des Mutterschutzes wird zu diesem Aufgabenkatalog
gehören.
Anlage 8
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Antrags: Die Brennstoffzelle –
Technik des 3. Jahrtausends (Tagesordnungs-
punkt 24)
Hubertus Heil (SPD): Ich komme aus Norddeutsch-
land, genauer aus Niedersachsen! In diesem Teil unseres
Landes erzählt man sich gern die Geschichte vom Hasen
und vom Igel, die Sie sicherlich kennen. In der Technolo-
giepolitik scheint sich dasselbe abzuspielen. Hier der
Hase FDP und dort die Bundesregierung und die Koali-
tion als Igel. Und so will ich am Anfang dieser Debatte in
Richtung der Hasen-FDP – dieses Mal auf Hochdeutsch
rufen –: Wir sind schon da!
Es freut mich ja, dass die Damen und Herren der FDP
inzwischen auch gemerkt haben, dass die Brennstoffzel-
len-Technologie eine zukunftsweisende Technik für die
Erzeugung von Strom und Wärme ist. Wir wissen das
nicht nur schon lange. Wir tun auch schon seit langem et-
was dafür. Vielleicht muss man Sie mit ein paar Zahlen
aufklären. Der Bund hat die Entwicklung der Brennstoff-
zellen-Technologie in Deutschland seit Ende der 80er-
Jahre im Energieforschungsprogramm mit insgesamt über
150 Millionen DM gefördert. Während anfangs noch die
Hochtemperatur-Brennstoffzellen für den stationären
Einsatz im Zentrum der Förderungen standen, wird seit ei-
nigen Jahren die Entwicklung des mobilen Einsatzes ver-
stärkt unterstützt. Allein in den Jahren 2000 und 2001
wurde durch die Bundesregierung die Jahres-Fördermittel
für Forschung in diesen Programmen auf 17 bis 20 Mil-
lionen DM gesteigert.
Durch das Zukunfts-Investitions-Programm (ZIP) der
Bundesregierung für die Jahre 2001 bis 2003 stellen wir
in der Forschungsförderung rund 60 Millionen Euro für
Entwicklungen und Erprobungen im Bereich der Brenn-
stoffzellentechnologie sowohl bei stationären als auch
mobilen Anwendungen zur Verfügung. Insgesamt werden
im Zukunftsinvestitionsprogramm 28 Projekte aus dem
Bereich Brennstoffzellen gefördert. Die Zusammenarbeit
läuft mit vielen deutschen Unternehmen, zum Beispiel der
DeTe Immobilien der Deutschen Telekom oder der Firma
MTU. Auch durch das neue Kraft-Wärme-Kopplungsge-
setz erfährt die Brennstoffzellen-Technologie eine Förde-
rung: Durch die Vergütung von 5 Cent pro ins Netz ein-
gespeister Kilowattstunde wird der Anreiz zur Nutzung
weiter erhöht. Damit hat die SPD-geführte Bundesregie-
rung wichtige Weichen für die Markteinführung und die
Praxis-Erprobung der Brennstoffzellen gestellt. Das müs-
sen Sie zur Kenntnis nehmen und wissen, bevor Sie Dinge
fordern, die wir bereits umsetzen.
Natürlich stehen wir bei der Brennstoffzellen-Techno-
logie erst am Anfang der technologischen Entwicklung.
Es bleibt für uns alle das Ziel, die derzeitigen Prototypen
und Demonstrationsanlagen weiterzuentwickeln. Erst
wenn die Kosten der Anlagen reduziert und die Wir-
kungsgrade erhöht werden, ist die Konkurrenzfähigkeit
der Brennstoffzelle eingeführt. Wir brauchen jetzt auch
keine isolierten Schnellschüsse, sondern werden in den
kommenden Monaten ein Energieforschungskonzept er-
arbeiten, in dem die Brennstoffzelle ihren angemessen
wichtigen Stellenwert erhalten wird. Doch darüber klärt
Sie der Kollege Kasparik gerne auf.
Sie sehen, die Bundesregierung arbeitet bereits. Vieles
von dem, was sie aufgeschrieben haben, wird schon um-
gesetzt. Wenn Sie den Energiebericht der Bundesregie-
rung gelesen hätten, wüssten Sie das auch. Mal wieder
waren wir schneller als Sie. Deutschland wird in dieser
wichtigen Zukunftstechnologie eine führende Rolle be-
halten. Deshalb nochmals der Gruß des Igels: Wir sind
schon da!
Ulrich Kasparick (SPD): Dass die Brennstoffzellen-
Technologie eine wichtige Rolle bei der künftigen Ener-
gieversorgung spielen wird, steht außer Frage. Jedoch
eine einseitige Förderung der Brennstoffzelle, wie es die
FDP in ihrem Antrag fordert, ist wenig zielführend und zu
kurzfristig gedacht.
Wir müssen und wollen unsere Volkswirtschaft auf ei-
nen neuen Energiepfad lenken, weil wir sehen, dass die
traditionell geförderten fossilen Brennstoffe endlich sind,
und weil wir wollen, dass wir den Klimawandel ver-
langsamen – verhindern können wir ihn ohnehin schon
nicht mehr. Daher ist es erforderlich, dass wir die Ener-
gieforschung im Zusammenhang aller Alternativ-Techno-
logien erkennen und planen. Wenn wir mittelfristig die
Energiepolitik nachhaltig gestalten wollen, ist es falsch,
nur eine einzelne Technologie zu fördern, wie es die FDP
hier verlangt. Ausschließlich eine einzelne Technologie
zu fördern ist eine unseriöse Herangehensweise an diese
große Herausforderung.
Was die FDPhier verlangt, ist ein unüberlegter Schnell-
schuss, der nur auf eine kurzfristige Wirkung aus ist, ohne
an die Folgen und an parallele energiewirtschaftliche Zu-
sammenhänge zu denken. Das zeigt auch, dass die FDPan-
scheinend die Zeichen der Zeit nicht erkannt hat und for-
dert, dass deutsche Kernkraftwerke eine zentrale Rolle bei
der Herstellung industriellen Wasserstoffs für die Brenn-
stoffzelle spielen sollen. Der Ausstieg aus der Kernenergie
ist in Deutschland beschlossen, falls die Opposition das
nicht mitbekommen haben sollte. Und es scheint mir, dass
außer Ihnen und Herrn Stoiber niemand das Gegenteil er-
reichen möchte. Ihre an der Oberfläche kratzenden Aus-
führungen in diesem Antrag beweisen also keinerlei Sub-
stanz. Aber solche Worthülsen, die sich auf ein Minimum
an nachhaltig wirkenden Informationen reduzieren, ken-
nen wir von Ihnen. – Die 18 wird Ihnen, den Kollegen von
der FDP, aber in diesem Falle zum Verhängnis werden. In
18 Jahren würden Sie nämlich merken, was Sie durch
diese einseitige Bevorzugung einer einzelnen Technologie
versäumt hätten.
Sie wollen die Brennstoffzelle zur Marktreife bringen.
Was Sie vorhaben, tun wir bereits. Ich empfehle Ihnen, sich
das Zukunftsinvestitionsprogramm der Bundesregierung
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. April 2002 23369
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einmal anzusehen. Mit über 60 Millionen Euro fördern wir
neue Vorhaben zur Entwicklung und Demonstration von
Brennstoffzellen-Anlagen. Das bringt den erforderlichen
Entwicklungsschub für die Fertigung und die Markteinfüh-
rung von Brennstoffzellen. Eine weitere Förderung be-
kommt die Brennstoffzelle durch das neue Gesetz zur Kraft-
Wärme-Kopplung, das eine Vergütung von etwa 5 Cent pro
Kilowattstunde für zehn Jahre vorsieht.
Dieser Antrag zeigt wieder einmal, wie konzeptlos die
FDP in Energiefragen ist. Wir brauchen keine Ideen für
Einzelentwicklungen, sondern ein Gesamtenergiekonzept,
das eine nachhaltige Energieversorgung in den kommen-
den 50 Jahren und danach sicherstellt. Dieses Konzept
muss neben dem Einsatz alternativer Energieerzeugungs-
formen auch emissionsmindernde und energiesparende
Technologien berücksichtigen. Und genau das werden wir
tun: Die Bundesregierung wird in der nächsten Legislatur-
periode ein solches Energieforschungskonzept vorlegen.
Was die Brennstoffzelle betrifft, wird dieses Konzept
die Ergebnisse des Berichts vom Büro für Technikfolgen-
abschätzung berücksichtigen. Dazu gehört die Optimie-
rung der Leistungsdichte und der Langzeitstabilität ebenso
wie die Verstärkung der Materialforschung etwa im Be-
reich der Minimierung der Edelmetallbelegung von Mem-
branen bei Niedrigtemperatur-Brennstoffzellen.
Großen Forschungsbedarf sehen wir derzeit im Mobi-
litätssektor bei einem möglich einzuschlagenden Wasser-
stoffpfad. Die derzeit verfügbaren Optionen zur Wasser-
stoffspeicherung stellen momentan keine praktikable
Alternative dar. Deshalb muss zur Umsetzung des For-
schungsbedarfs die Brennstoffzelle auch weiterhin ein
ausreichend dotierter Schwerpunkt über das ZIP-Pro-
gramm hinaus werden, und dafür wollen wir sorgen, aber
im Gegensatz zu Ihnen so, dass die Ergebnisse dieser For-
schung auch noch für unsere Kinder und Enkel Substanz
haben.
Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land) (CDU/CSU):
Wenn zu Beginn des letzten Jahrhunderts über die Zu-
kunft der Entwicklungsmöglichkeiten und des Einsatzes
von Verbrennungsmotoren debattiert worden wäre, dann
hätte es hierzu sicherlich viele unterschiedliche Beiträge
mit den unterschiedlichsten Vorstellungen und Visionen
gegeben. Die reale Entwicklung, der Siegeszug des Ver-
brennungsmotors als Antriebsquelle im Straßen- und
Luftverkehr, sein Einsatz in Kraftwerken, der mit dem
Einsatz verbundene Ausbau der Infrastruktur in den ein-
zelnen Ländern wie weltweit und die mit dem Einsatz ver-
bundenen gesellschaftlichen Veränderungen haben sicher-
lich nur wenige – wenn überhaupt – vorausgesehen.
Heute, zu Beginn des 21. Jahrhunderts oder auch des
dritten Jahrtausends – je nach individueller Perspektive –,
haben sich auf Basis der Ergebnisse aus der Grundlagen-
forschung die Energieerzeuger, Anlagenbauer, Automobil-
und Mineralölindustrie daran gemacht, die Brennstoffzel-
lentechnik in Deutschland und weltweit zur Marktreife zu
bringen. Heute geht es um die zukünftigen Einsatzmög-
lichkeiten von Brennstoffzellen, deren absehbare Poten-
ziale in den verschiedenen Anwendungsbereichen und um
damit verbundene mögliche Vor- und Nachteile. Verbun-
den damit sind Visionen, Visionen zum Beispiel von einer
interkontinentalen solaren Wasserstoffwirtschaft, Visio-
nen der klimaneutralen Produktion von Wasserstoff in be-
stehenden oder in neuen Generationen von Kernkraftwer-
ken als Treibstoff der Zukunft, der Benzin bzw. Öl ersetzen
wird, Visionen einer Dezentralisierung und Atomisierung
der Stromerzeugung durch den flächendeckenden Ersatz
konventioneller Heizanlagen in Häusern durch Brenn-
stoffzellen, die in jedem Haus neben der Hauswärme auch
noch den benötigten Strom erzeugen.
Es gibt handfeste Argumente, die für den Einsatz von
Brennstoffzellen sprechen. Da ist zum Ersten ein hoher
Wirkungsgrad von Anlagen zum Beispiel als PKW-An-
trieb. Gerade im Straßenverkehr erscheint zudem die Aus-
sicht auf lokal emissionsfreie Fahrzeuge, die zumindest
halbwegs die in herkömmlichen Fahrzeugen üblichen
Komfort- und Mobilitätsstandards erreichen, verlockend.
Praktisch alle bedeutenden Automobilproduzenten arbei-
ten daher weltweit an der Entwicklung entsprechender
Fahrzeuge für den Großserieneinsatz. Diese Unterneh-
men verstehen die Brennstoffzellentechnik offenbar als
wirtschaftliche Chance zur langfristigen Sicherung von
High-Tech-Arbeitsplätzen und für unternehmerischen Er-
folg. Pluspunkte beim Wirkungsgrad gegenüber heute
handelsüblichen Anlagen und damit Potenziale zur Scho-
nung von Ressourcen bestehen zum Zweiten auch beim
Einsatz von Brennstoffzellenanlagen zur gekoppelten
Strom- und Wärmeversorgung in Gebäuden. Zum Dritten
bestehen Möglichkeiten zum Einsatz in tragbaren Klein-
geräten als Ersatz für Batterien, wodurch eine längere
netzunabhängige Betriebszeit zu erreichen wäre und der
Einsatz bzw. Abfall an Batterien bzw. Akkumulatoren ge-
senkt würde.
Die Einsatzmöglichkeiten von Brennstoffzellen er-
scheinen aus heutiger Sicht in der Perspektive vielfältig.
Der exemplarische Einsatz methanol- und wasserstoffge-
triebener Fahrzeuge und der im vergangenen Dezember
gefallene Startschuss für den Einsatz der Brennstoffzel-
lentechnik in der Hausenergieversorgung weisen als Pi-
lotprojekte mögliche Wege für die zukünftige technische
Entwicklung in verschiedenen Bereichen auf. Es gilt,
diese Entwicklungs- und Einsatzpotenziale konsequent zu
erforschen und gegebenenfalls zu nutzen. Ständiger wei-
terer Forschungsbedarf besteht im Hinblick auf die Opti-
mierung der Brennstoffzellen, was zum Beispiel ihre
Leistungsdichte, Langzeitstabilität oder Praxistauglich-
keit bis hin zur Serienreife angeht.
Die Aussicht auf große ökologische Vorteile durch die
Brennstoffzellentechnik dürfen jedoch den Blick auf die
heute noch selbst in der Perspektive vergleichsweise ho-
hen Kosten der Brennstoffzellen und der zu ihrer Verbrei-
tung notwendigen Infrastruktur-Strukturmaßnahmen
nicht verstellen. Erst mit dem Einsatz von Wasserstoff
könnten ökologische Vorteile von Brennstoffzellen voll
zur Geltung kommen. Hier stehen den Vorteilen von
Brennstoffzellen beim Wirkungsgrad höhere Aufwendun-
gen bei der Bereitstellung des Energieträgers gegenüber.
Zwar wurden in der Vergangenheit zumeist im Zusam-
menhang mit firmeneigenen oder öffentlich geförderten
Pilotprojekten vereinzelt die notwendigen Voraussetzun-
gen zum Betrieb der Anlagen geschaffen. Eine flächen-
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deckende Versorgung ist derzeit jedoch noch Zukunfts-
musik. Hier müssten Wege gefunden werden, falls die
Brennstoffzelle die in sie gesetzten Erwartungen erfüllt,
den Übergang in eine Wasserstoffwirtschaft – insoweit
das technisch mit erträglichen Risiken und Kosten mach-
bar ist – zu bewältigen.
Wasserstoff ist ein Energiespeicher, dessen sinnvoller
Einsatz unter Umweltgesichtspunkten direkt abhängig ist
von der Gewinnung mittels einer kostengünstigen und
kohlendioxidfreien Energiequelle. Die ökologische Ver-
träglichkeit von Wasserstoff ist nur dann gegeben, wenn
er nicht wie heute aus Erdgas oder anderen fossilen Ener-
gieträgern unter Freisetzung von Kohlendioxid gewonnen
wird, wie die Bundesregierung bereits 1998 festgestellt
hat. Ob und inwieweit Brennstoffzellen eine Brücken-
funktion hin zu einer Energieerzeugung ohne den Einsatz
fossiler Brennstoffe wahrnehmen können, hängt daher
wesentlich auch von der Entwicklung der Energieerzeu-
gungsstruktur im liberalisierten europäischen Energie-
markt ab.
Die Brennstoffzellentechnik weist weitere Optionen
für eine zukunftsfähige Energieversorgung in Deutsch-
land und weltweit auf. Es gilt, die mit ihrem Einsatz ver-
bundenen gesellschaftlichen Chancen und Risiken, die
Kosten und Nutzen im ökologischen, ökonomischen und
sozialen Bereich abzuwägen und geeignete Entwicklun-
gen auch von staatlicher Seite zu unterstützen. Mit viel
Glück erfüllen sich dann vielleicht auch die vielfältigen
Visionen, Hoffnungen und Wünsche, die heute mit dieser
Technik verbunden sind.
Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die
FDP hat Recht! Die Brennstoffzelle ist eine innovative
Zukunftstechnologie und der vorliegende Antrag wäre
sicher ein guter Antrag geworden, wenn die FDP ihre
Ideologie einen Augenblick vergessen hätte.
Aber: Der Aktionismus der FDPkommt viel zu spät, da
Rot-Grün längst gehandelt hat, und zwar viel weit rei-
chender als die FDP dies in ihrem Antrag fordert. Zudem
überdeckt die FDP nur ihre Technikfeindlichkeit gegen-
über dezentralen Zukunftsenergien – insbesondere gegen-
über den erneuerbaren Energien.
Ja, die Brennstoffzelle wird aller Wahrscheinlichkeit
nach in den nächsten Jahren eine der wichtigsten Ener-
gietechnologien werden. Dabei kann die Brennstoffzelle
neben der Strom- und Wärmeversorgung auch beim Ver-
kehr eine wichtige Rolle spielen.
Das Büro für Technikfolgenabschätzung hat in seiner
Brennstoffzellenstudie festgestellt, dass Brennstoffzellen
den gesamten Strom der Haushalte erzeugen können. Und
sie können das wesentlich energieeffizienter und damit
umweltfreundlicher als Großkraftwerke. In einigen Jah-
ren werden viele Haushalte ihren Strom ebenso selbstver-
ständlich selbst erzeugen wie ihre Wärme.
In der Industrie kann die Brennstoffzelle sogar Pro-
zesswärme erzeugen, Das Ende der Großkraftwerke wird
daher früher kommen, als es den großen Stromkonzernen
und ihrem politischen Arm, der FDP, recht sein dürfte.
Der Atomausstieg und der Abschied von der klimaschäd-
lichen Kohle wird durch diese Technologie erheblich be-
schleunigt werden.
Der Antrag steht in Widerspruch sowohl zu den Er-
kenntnissen des Büros für Technikfolgenabschätzung als
auch zu der technologischen Entwicklung, wenn sie der
Brennstoffzelle im Verkehrsbereich eine höhere Bedeu-
tung zumisst als dem stationären Bereich. Die Studie des
Büros für Technikfolgenabschätzung – wie alle anderen
Studien zur Brennstoffzelle im Übrigen auch – weisen da-
rauf hin, dass die Wirkungsgradvorteile der Brennstoff-
zelle im Verkehr vergleichsweise niedrig ausfallen. Hier
gibt es nur dann ökologische Vorteile, wenn Treibstoffe
eingesetzt werden, die aus erneuerbaren Energien gewon-
nen wurden.
Die FDP ignoriert nicht nur die Erkenntnisse der Wis-
senschaft. Sie hat auch noch den Kontakt zur wirtschaft-
lichen Realität verloren. Derzeit erwartet niemand Seri-
enfahrzeuge mit Brennstoffzellen noch in diesem
Jahrzehnt. Die Automobilindustrie hat bei ihren Ankündi-
gungen bereits auf das nächste Jahrzehnt verwiesen. Mit
der Einführung von Brennstoffzellen zur Strom- und
Wärmeerzeugung ist hingegen schon in der nächsten
Legislaturperiode zu rechnen. Somit müssen jetzt auch
hier die Akzente gesetzt werden.
Der Antrag entwirft ein Energieszenario, das ich als
Physiker nur als Energievernichtungsstrategie bezeichnen
kann. So wird ernsthaft vorgeschlagen, mit Atomkraft-
werken Strom zu erzeugen; mit diesen wird Wasserstoff
erzeugt und dieser soll dann in Brennstoffzellen wieder in
Strom umgewandelt werden. Das Ganze hätte dann einen
Gesamtwirkungsgrad von etwa 10 bis 15 Prozent. Bei so
viel Energievernichtung kann ich nur den Kopf schütteln.
Brennstoffzellen werden den Atomausstieg beschleuni-
gen, weil Sie Atomstrom ersetzen, meine Damen und Her-
ren von der FDP.
Statt Wasserstoff oder Erdgas kann im Übrigen Biogas
als Brennstoff für Brennstoffzellen eingesetzt werden.
Das scheinen die Antragsteller nicht zu wissen. Die Effi-
zienz von Biogasanlagen wird sich im Übrigen mit der
Brennstoffzelle deutlich verbessern.
Die FDPübersieht: Wer die Brennstoffzelle erfolgreich
in den Energiemarkt einführen will, muss zwei Hebel an-
setzen: Er muss die Kraft-Wärme-Kopplung besser stel-
len als die verschwenderischen Großkraftwerke und er
muss zusätzlich die Brennstoffzelle unterstützen.
Ja, es ist richtig, der Brennstoffzelle Markteinführungs-
hilfen zu geben, um in die Massenproduktion zu gehen.
Die FDP beraubt die Brennstoffzellen aber jeder Chance,
wenn sie sich gegen Maßnahmen für die Kraft-Wärme-
Kopplung einsetzt. Es gibt hier kein Entweder-oder, son-
dern nur ein Sowohl-als-auch!
Der Antrag ist völlig überflüssig. Rot-Grün hat bereits
weit reichende Maßnahmen für die Brennstoffzelle er-
griffen: Wir haben in dieser Legislaturperiode alles getan,
um der Brennstoffzelle den Weg zu bereiten: Wir geben
der Brennstoffzelle über die Ökosteuer steuerliche Vor-
teile bei der Strom- und der Mineralölsteuer. Wir fördern
die Brennstoffzelle über das KWK-Gesetz direkt mit ei-
nem Bonus von 5,11 Cent pro Kilowattstunde.
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. April 2002 23371
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Wir haben ein Technologieprogramm für die Brenn-
stoffzelle in Höhe von 61 Millionen Euro vorgelegt. Das
Programm läuft bis Ende 2003. Die Regierungsfraktionen
haben bereits beschlossen, das Zukunftsinvestitionspro-
gramm um vier Jahre bis 2007 zu verlängern. Damit wer-
den weitere 82 Millionen Euro zur Verfügung gestellt
werden. Meine sehr geehrten Damen und Herren von der
Opposition, von einem ähnlichen Beschluss aus Ihren
Reihen ist mir nichts bekannt!
Mit unseren Maßnahmen für Brennstoffzellen beka-
men die Hersteller genau die Rahmenbedingungen, mit
denen Deutschland weltweit an die Spitze bei der Brenn-
stoffzelle kommen kann. Etwa 2005 wird die Brennstoff-
zelle im stationären Bereich serienreif sein. Daher werden
wir in der nächsten Legislaturperiode ein Marktein-
führungsprogramm für die Brennstoffzelle auflegen, das
die vorhandenen gesetzlichen Maßnahmen ergänzt. Nach
dem 100 000-Dächer-Programm wird es dann Zeit für ein
100 000-Keller-Programm sein.
Meine sehr geehrten Damen und Herren von der FDP,
ich möchte Ihnen zu Ihrem Mut gratulieren! Ich halte es
für sehr mutig, einen Antrag für die Brennstoffzelle in die-
sem Hohen Hause einzureichen und parallel fast alle
Maßnahmen zu attackieren, die die Brennstoffzellent-
wicklung fördern. Aber wir kennen das ja auch aus ande-
ren Bereichen. So behaupten Sie ja auch, für erneuerbare
Energien zu sein. Und gleichzeitig bekämpfen Sie jede
Maßnahme, die sich als tauglich für die Stärkung erneu-
erbarer Energien erwiesen hat.
Ulrike Flach (FDP): Die Brennstoffzelle ist eine der
viel versprechendsten, innovativsten und umweltfreund-
lichsten Energietechnologien für die stationäre und die
mobile Anwendung. Diese Technologie steht an der
Schwelle zur industriellen Anwendung. Diese Phase wird
die entscheidende Stufe der Entwicklung sein; denn sie
kann mittel- bis langfristig zu einer deutlichen Senkung
der Umwelt- und Klimabelastungen beitragen. Deshalb
sind verstärkte forschungspolitische Anstrengungen not-
wendig, um die Voraussetzungen für eine breite Ein-
führung zu schaffen. Hier geht es aber nicht mehr allein
um Forschung, sondern auch um Markteinführung und
die Setzung geeigneter Rahmenbedingungen.
Bei der Betrachtung der unzähligen Anwendungsmög-
lichkeiten – von der Stromversorgung kleiner Elektrogeräte
wie Notebooks über Kleinanlagen für die häusliche Strom-
versorgung bis zu mobilen Anwendungen bei PKWs und
Nutzfahrzeugen und große Anlagen für Kraftwerke – ergibt
sich ein enormes Marktpotenzial. Damit eröffnet sich ein
vielfältiges Beschäftigungspotenzial für die großen Ener-
gieversorger, Automobilhersteller und Kraftwerksbauer,
aber auch für kleine und mittelständische Betriebe.
Bis Wasserstoff in ausreichender Menge zur Verfügung
steht, wird Erdgas als Brennstoff eingesetzt werden kön-
nen. Erdgas ist die wasserstoffreichste fossile Energie,
seine Reserven sind ausreichend groß, die Preise wettbe-
werbsfähig und die Infrastruktur gut ausgebaut.
Im Bereich der Hausenergietechnik kann sich die
Brennstoffzellentechnologie als dezentrales „Kleinkraft-
werk“ zur Alternative zur konventionellen Strom- und
Wärmegewinnung entwickeln. Für die Hausenergiever-
sorgung ist für 2004 mit den ersten marktfähigen Anlagen
zu rechnen.
Die FDP will den flächendeckenden Einstieg in die
Brennstoffzellenwirtschaft. Dazu ist eine Unterstützung
der öffentlichen Hand notwendig, aber nicht als Dauer-
subvention, sondern im wettbewerblichen Vergabeverfah-
ren, degressiv ausgestaltet und zeitlich begrenzt. Dirigis-
tische Maßnahmen, wie zum Beispiel Sie sie vornehmen,
bei der Förderung herkömmlicher Anlagen zur Kraft-
Wärme-Kopplung, behindern die Entwicklung der Brenn-
stoffzellentechnologie. Sie müssen die Förderung am
Wirkungsgrad ansetzen und nicht an der Technologie!
Ich begrüße es, dass die Ministerien für Verkehr, Um-
welt und Wirtschaft als auch das DLR und die Helmholtz-
Gemeinschaft Projekte zur Förderung der Brennstoffzel-
lentechnik unterhalten. Wir werden auch sehr sorgfältig
verfolgen, ob Staatssekretär Hilsberg seine Aussage, das
Verkehrsministerium wolle als Moderator zwischen Au-
tomobilherstellern und Mineralölkonzernen auftreten, um
Einführungshemmnisse abzubauen, erfüllt. Bisher kann
ich von dieser Moderation nichts erkennen.
Wir sind auch der Ansicht, dass die alleinige Erzeu-
gung von Wasserstoff aus regenerativen Energieträgern
nicht für den großmaßstäblichen Einstieg reichen wird.
Deshalb schlagen wir vor, auch in Kernkraftwerken Was-
serstoff zu erzeugen.
Die Liberalen sind immer die Vorreiter bei neuen Tech-
nologien gewesen. Das gilt auch für die Brennstoffzelle,
die für die Generation unserer Kinder ebenso zum Be-
standteil von Haus und Auto gehören wird wie Kohleofen
und Otto-Motor für die Generation unserer Eltern zum
Alltag gehört haben.
Wolfgang Bierstedt (PDS): Verehrte Kollegen von
der FDP, das prinzipielle Anliegen Ihres Antrags kann ich
ja unterstützen. Allerdings verfolge ich verständlicher-
weise eine deutlich andere Schwerpunktsetzung.
Darüber hinaus befremdet mich die Überschrift Ihres
Antrags, die da lautet: „Die Brennstoffzelle – Technik des
3. Jahrtausends“. Falls es Ihnen entgangen sein sollte:
Dieses Jahrtausend hat doch gerade erst begonnen. Wol-
len Sie allen Ernstes die wissenschaftliche Entwicklung
des Jahrtausends bereits jetzt, zumindest auf diesem Ge-
biet für beendet erklären? Ich kann ja verstehen, dass Sie
sich gegenwärtig für den Nabel der Welt halten, ginge es
nicht aber wenigstens bei wissenschaftlichen Sachthemen
etwas bescheidener?
Aber ernsthaft: Ihre Präferenz für den Einsatz von Erd-
gas bei der Brennstoffzellentechnologie mag ja ob der
derzeit noch scheinbar ausreichend zur Verfügung stehen-
den Rohstoffmengen sinnvoll erscheinen und auch eine
rein ökonomische Betrachtungsweise scheint Ihnen Recht
zu geben. Aus meiner Sicht steht dem aber zweierlei ent-
gegen: Erstens die bis heute erheblichen CO2-Emissioneninfolge der Methanolkomponente und zweitens die Tat-
sache, dass es sich beim Energieträger Erdgas um einen
nicht regenerierbaren, also endlichen Rohstoff handelt.
Unbestritten ist, dass Brennstoffzellen auf Wasserstoff-
basis nach dem derzeitigen Wissensstand den höchsten
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. April 200223372
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Wirkungsgrad besitzen. Aber deshalb wieder die Kern-
kraftwerkstechnologien ins Spiel zu bringen, um eine den
Bedarf deckende Wasserstoffproduktion zu erreichen und
dieses noch mit ökologischen Argumenten begründen zu
wollen, das erscheint mir schon abenteuerlich.
Insgesamt gesehen unterstützt die PDS die Förderung
von Forschung und Entwicklung verschiedener Brenn-
stoffzellentechnologien. Wir sollten diese Förderung je-
doch mit einer Fokussierung auf regenerative Energieträger
verbinden. Da stimmen wir mit dem Text unter Punkt 2 Ih-
rer Beschlussempfehlung, der da lautet: „Im Rahmen der
Forschungsprogramme für eine umweltgerechte nachhal-
tige Entwicklung und der Programme der Forschungs-
und Wissenschaftseinrichtungen ist gezielt auf die Besei-
tigung bestehender Forschungsdefizite zur Einführung
der Brennstoffzellentechnologie einzuwirken“, überein.
In Anbetracht des Gesamtkontextes Ihres Antrages
glaube ich allerdings, dass dieser Punkt nur eine Alibi-
funktion zu erfüllen hat. Natürlich wird die Brennstoff-
zelle in absehbarer Zeit den Verbrauch nicht regenerativer
Energieträger nicht allein senken können, aber sie kann
bei Ausrichtung auf den Einsatz regenerativer Energieträ-
ger tendenziell dazu beitragen.
Im Übrigen halten wir auch den in Ihrem Antrag for-
mulierten Standpunkt zur Ablehnung der Förderung von
herkömmlichen Anlagen zur Kraft-Wärme-Kopplung in
der gegenwärtigen Situation für nicht angemessen.
Unsere inhaltlich begründete Zustimmung zum For-
schungs- und Entwicklungsschwerpunkt Brennstoffzelle
beruht aber auch darauf, dass wir eine deutlich größere An-
wendungsbreite dieser Zukunftstechnologie sehen, als die
im Antrag hintergründig zu erkennende Ausrichtung auf
den Bereich der Automobilindustrie. Da greift der FDP-
Antrag zu kurz, als dass wir diesen unterstützen können.
Anlage 9
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur
Änderung des Apothekengesetzes (Tagesord-
nungspunkt 25)
Dr. Margrit Spielmann (SPD): Mit der Initiative für
den Gesetzentwurf zur Änderung des Apothekengesetzes
hat der Bundesrat dem Bundestag eine gute Grundlage für
eine umfassende Aktualisierung des Apothekengesetzes
erarbeitet. Wir sind dem Bundesrat dankbar, dass damit
ein Erfolg versprechender Prozess angeschoben werden
konnte. Auf dieser guten Grundlage hat der Deutsche
Bundestag nun gut aufsatteln können.
Insgesamt haben wir dem Bundesrats-Paket noch sechs
Bausteine und zwei Packtaschen hinzugefügt. Dabei haben
wir sorgfältig darauf geachtet, dass die Überforderungs-
klausel nicht in Anspruch genommen werden musste.
Nun die sechs wichtigsten Bausteine, die hinzugefügt
wurden: Baustein l: Dieser Baustein wird den Patienten
bei der Arzneimittelversorgung im Krankenhaus zugute
kommen. Die Patienteninteressen und die Schutzbestim-
mungen für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die mit
Zytostatikazubereitung beschäftigt sind, haben es erfor-
derlich gemacht, die Kenntnisse, Erfahrungen und Spe-
zialisierungen in den Krankenhausapotheken auch den öf-
fentlichen Apotheken und den ambulant tätigen Ärzten
zugänglich zu machen. Für die Patienten wird damit
sichergestellt, dass sie ihre Medikation aus dem Kranken-
haus beim Übergang in die ambulante Versorgung, unver-
ändert beibehalten können. Auf diesem Weg wird auch
dem Arbeitsschutzbedürfnis ausreichend Rechnung ge-
tragen.
Baustein 2: Mit diesem Baustein wird die Arzneimit-
telversorgung im Krankenhaus aus einer Hand gewährleis-
tet. Mit der Neuregelung in § 14 werden Krankenhaus-
apotheken sicherstellen können, dass auch bei ambulanter
Behandlung an Ambulanzen, an Polikliniken, an psychia-
trischen Institutsambulanzen und an sozialpädriatrischen
Zentren die Arzneimittelversorgung aus einer Hand er-
folgt. Durch diese Neuregelung wird sich die Versor-
gungsqualität insbesondere für chronisch kranke Patien-
ten, wie Krebspatienten, die entlang der ambulanten und
stationären Versorgung pendeln, sicherstellen lassen.
Baustein 3: Mit diesem Baustein erfolgt eine unbüro-
kratische Hilfe für Patienten mit Arzneimitteln. Bei der
Entlassung darf nach stationärer oder ambulanter Behand-
lung im Krankenhaus, die zur Überbrückung benötigte
Menge an Arzneimitteln aus Beständen des Krankenhau-
ses mitgegeben werden, sofern im unmittelbaren An-
schluss an die Behandlung ein Wochenende oder ein Fei-
ertag folgt.
Baustein 4: Mit diesem Baustein wird das Wirtschaft-
lichkeitsgebot des Fünften Sozialgesetzbuches auch für
die Krankenhausapotheke und für die Ärzte im Kranken-
haus eindeutig verbindlich gemacht. Es kann nicht ange-
hen, dass hochpreisige Produkte über die Krankenhaus-
apotheke eingesetzt werden, die dann bei der
Anschlussbehandlung dem niedergelassenen Arzt Pro-
bleme beim Wirtschaftlichkeitsgebot bereiten. Diese Phar-
mastrategie über Billigpreise bei den Krankenhäusern,
hochpreisige Produkte in den Markt einzuführen, wird da-
durch unterbunden.
Baustein 5: Mit diesem Baustein kommt Qualität und
Sicherheit in die Heime. Ohne die Freiheit der Bewohner
oder der Apotheker einzuschränken, sind jetzt vertragli-
che Vereinbarungen möglich, Menschen in Heimen bes-
ser und sicherer mit Arzneimitteln zu versorgen. Wer die
Berge von Arzneimittelpackungen in Nachttischschubla-
den von Heimbewohnern kennt, weiß, was dieser Weg an
Sicherheit bringt. Nun ist über Serviceangebote eine Aus-
einzelung der Medikamente und eine Verblisterung im
Heim durch den Apotheker möglich. Das heißt, die Ta-
gesrationen der Bewohner werden zusammengestellt und
an die Pflege weitergegeben.
Baustein 6: Mit diesem Baustein schaffen wir kurze und
damit sichere Wege für Impfstoffe. Mit der Herausnahme
der Impfstoffe aus der Apothekenpflicht, kann direkt an den
Arzt geliefert werden. Auch die Patienten brauchen nicht
mehr den Umweg über die Apotheke zu machen. Damit
sind zahlreiche Vorteile, wie Sicherheit, Qualität und Preis-
nachlässe für Impfstoffe verbunden. Je kürzer der Ver-
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triebsweg, desto höher die Arzneimittelsicherheit. Auch
durch gezielte Rückrufmöglichkeiten direkt beim Arzt, auf
der Basis lückenloser Chargendokumentation, wird zusätz-
lich Sicherheit geschaffen. Marktadäquate Preise werden
nun durch den Wettbewerb erfolgen. Von den Impfstofflie-
feranten und den Krankenkassen bestätigt, gehen 50 Milli-
onen Euro indirekt an die Beitragszahler zurück. Damit
bleibt der Apothekerverband mit seiner Ansicht, die Apo-
thekenpflicht für Impfstoffe nicht aufzuheben, alleine. An-
gefangen von den Ärzten über die Impfstofflieferanten bis
hin zur Pharmaindustrie bis zu den Krankenkassen treten
alle für einen direkten Vertrieb zum Arzt ein.
Aber auch zwei Packtaschen wurden dem Apotheken-
gesetz mit auf den Weg gegeben.
Mit der ersten Packtasche haben wir die Chancen-
gleichheit, speziell für die in Ostdeutschland angesiedel-
ten Polikliniken beziehungsweise Gesundheitszentren auf
den Weg gebracht. Diese Einrichtungen schreiben nun seit
über zehn Jahren eine Erfolgsgeschichte! In Sachen inte-
grierter Versorgung sind sie ein Vorbild für ganz Deutsch-
land. Sie sind ein gelungenes Beispiel dafür, wie effizient
verschiedene ärztliche Fachgruppen und andere Gesund-
heitsberufe in der ganzheitlichen Versorgung der Patien-
ten zusammenwirken können. So werden unnötige Dop-
peluntersuchungen und damit Kosten vermieden. Die
Qualität der Versorgung zugunsten der Patienten wird er-
höht: Mit der Neuregelung im § 311 des Fünften Sozial-
gesetzbuches erhalten sie nun endlich Chancengleichheit.
Die erforderliche und wünschenswerte Weiterentwick-
lung dieser Einrichtungen wurde bisher durch eine Stich-
tagsregelung verhindert. Längst überfällig, sollen sie nun
das Recht bekommen, bei Bedarf ihr Angebot künftig um
zusätzliche Facharztbereiche erweitern zu können. Damit
werden die Gesundheitseinrichtungen rechtlich den nie-
dergelassenen Vertragsärzten gleichgestellt. Sie sind nicht
länger der konservativen Blockadepolitik ausgeliefert, die
ihre Expansion bisher verhindert hat. Mit der zweiten
Packtasche haben wir den Weg frei gemacht für eine Pa-
tientenkarte in Deutschland. Mit den Neuregelungen zum
§ 63 SGB V können Modellvorhaben nun angepackt wer-
den. Für innovative Kräfte wird die Blockade beseitigt.
Mit dem Gesundheitspass können alle wichtigen Ge-
sundheits- und Notfalldaten von Patienten, verordnete
Arzneimittel, sowie Hinweise auf Untersuchungen für be-
treuende Ärzte dokumentiert werden. Damit wird gewähr-
leistet: die Qualität in der medizinischen Behandlung, die
Arzneimittelsicherheit, gerade angesichts der vielen Inno-
vationen und Wechselwirkungen, die Vermeidung von
Doppelbehandlungen und damit auch Kostenersparnis, die
Stärkung des mündigen Patienten, die Optimierung von
Behandlungsprozessen und vor allem die Transparenz für
Patienten, aber auch für die Leistungserbringer.
Über alle dem steht das uneingeschränkte Patienten-
recht gepaart mit einem sicheren Datenschutz. Nur wir als
Versicherte haben die Verfügung über die Daten. Nur wir
Versicherte entscheiden, für wen – zum Beispiel für wel-
chen Arzt oder welcher Ärztin – der Zugang zu unseren
Daten eröffnet werden soll. Die Teilnahme von Patienten
am Modellvorhaben bleibt freiwillig. Unabhängig davon
wissen wir, dass die Zustimmung groß ist.
Aus Erfahrungen, wie zum Beispiel zur wissenschaft-
lichen Begleitung des Praxisnetzes Nürnberg Nord, wis-
sen wir, dass es eine breite Zustimmung der Patienten gab,
ihre Daten auf der Basis einer Datenschutzvereinbarung
zur Verfügung zu stellen. Wir sind ganz sicher, dass der
souveräne Patient seine Chancen nutzt, und damit Trans-
parenz und Sicherheit für sich gewinnt. Diese Neurege-
lung für Modellvorhaben im § 63 sind mit dem Daten-
schutzbeauftragten der Bundesregierung abgestimmt.
Gemeinsam wurde auch klargelegt, dass nach dem Mo-
dellvorhaben die Einführung einer Patientenkarte ein ei-
genes Gesetz erforderlich macht. Unabhängig davon ist
für uns wichtig, dass bei Modellvorhaben, die auch von
den Vorschriften des zehnten Kapitels abweichen, in be-
sonderem Maße darauf zu achten ist, dass sie stringent auf
die Verbesserung der Qualität und der Wirtschaftlichkeit
ausgerichtet sind.
Dr. Wolf Bauer (CDU/CSU): So wie nahezu alle ge-
sundheitspolitischen Gesetzesvorhaben der rot-grünen
Koalition zeigt auch der Entwurf eines Apothekengeset-
zes – bzw. der Entwurf eines Gesetzes über das Apothe-
kenwesen – die Konzeptlosigkeit dieser Bundesregierung
und der sie tragenden Fraktionen. Arzneimittelgesetz,
Apothekengesetz, Apothekenbetriebsordnung werden in
einen Topf oder besser gesagt in einen Mörser geworfen,
kräftig durchgeknetet und das Durcheinander anschlie-
ßend als Teil einer Gesundheitsreform verkauft.
Hierzu passt die Überschrift in der„Rheinischen Post“
vom 24. April 2002: „Runder Tisch für das Gesundheits-
wesen konnte sich auf fast nichts einigen/Ulla Schmidt
gescheitert“. Unsere Fraktion hat immer wieder von der
Bundesgesundheitsministerin gefordert, ein in sich
schlüssiges und alle Bereiche des Gesundheitswesens
umfassendes Konzept auf den Tisch zu legen. Auf dem
Tisch liegt aber bisher nur ein nicht sehr aussagekräftiges
Wahlprogramm der SPD. Darin steht, dass „ärztliches und
pflegerisches Können sowie Leistungskraft und Vielzahl
medizinischer Einrichtungen und Unternehmen ..., bisher
eine gute Versorgung“ sichern.
Wenn dem so ist, warum bläst dann die rot-grüne Ko-
alition zum Angriff auf dieses, selbst nach ihren eigenen
Erkenntnissen gut funktionierende System? Es liegt doch
nicht etwa daran, dass der Bundeskanzler nicht allzu viel
für den Mittelstand, dafür aber um so mehr für die Groß-
industrie übrig hat? Auch hilft es dem Mittelstand nicht
allzu viel, wenn sich seine Standesvertreter gelegentlich
einmal zum Kaffeetrinken bei der Gesundheitsministerin
einfinden dürfen.
Wir hingegen wollen gerade die mittelständischen Struk-
turen in unserem Gesundheitswesen stärken und erhalten.
Aus diesem Grund fragen wir bei jeder Gesetzesinitiative
nicht zuerst nach dem Geld, sondern ob angestrebte Verän-
derungen systemkonform sind. Da bei uns der Mensch bzw.
der Patient im Mittelpunkt aller unserer Überlegungen steht,
fragen wir schwerpunktmäßig natürlich auch immer, ob
zum Beispiel die jahrhundertealte und bewährte Trennung
zwischen Arzt und Apotheker oder die Trennung zwischen
stationärer und ambulanter Versorgung im Sinne einer best-
möglichen medizinischen Versorgung der Patienten ist. Un-
ter diesen Gesichtspunkten betrachten wir selbstverständ-
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. April 200223374
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lich auch den Änderungsentwurf des uns vorliegenden
Apothekengesetzes. Das Ergebnis ist, dass einige Punkte
durchaus auch unseren politischen Vorstellungen entspre-
chen. Ich denke hier zum Beispiel an den § 11, der Abgabe
von anwendungsfertigen Zytostatika-Zubereitungen, oder
an den § 12 a, die Versorgungsverträge zwischen Apotheken
einerseits und Trägern von Alten- und Pflegeheimen ande-
rerseits.
Ablehnen hingegen werden wir die Änderungen in
§ 14 Abs. 4 Satz 3 (neu). Übrigens wird hier die bereits
angesprochene Konzeptlosigkeit einmal mehr als deut-
lich! Warum? Im Gesetzentwurf zur Änderung des Apo-
thekengesetzes vom 14. April 1999 findet sich die For-
mulierung von den „Ambulanzen in den Räumen des
Krankenhauses.“ In einem ersten Änderungsantrag der
Koalition vom 26. Februar 2002 erfolgt eine Korrektur in
„Ambulanzen des Krankenhauses.“ Nach heftigen Pro-
testen der Verbände dämmerte auch den Koalitionspart-
nern, dass diese Änderung zu einer Gefährdung der pati-
entenorientierten Versorgung führt. Zwei Monate später
folgt dann ein Änderungsantrag zum Änderungsantrag.
Jetzt ist von „ermächtigten Ambulanzen des Kranken-
hauses“ die Rede. Ein Glück, dass es nur drei relevante
Formen der ambulanten Behandlung von Patienten im
Krankenhaus gibt!
Soweit die Konzeptlosigkeit. Viel gravierender ist aber
die Systemänderung, die dahinter steckt: Krankenhausärzte,
die die Ermächtigung der KV besitzen, in den Räumen ei-
nes Krankenhauses auch ambulant tätig zu sein, dürfen Arz-
neimittel aus einer Krankenhausapotheke beziehen. Nieder-
gelassene Ärzte, die in den Räumen des Krankenhauses
praktizieren, sind hiervon ausgeschlossen. Gegen diese
Regelung wäre nichts einzuwenden, wenn es nicht zu einer
Wettbewerbsverzerrung zuungunsten der niedergelassenen
Ärzte käme. Die Befürworter dieser Änderungen werden
antworten, dass diese Bedenken unberechtigt sind, da eine
Ermächtigung nur dort erteilt wird, wo eine fachärztliche
Unterversorgung vorhanden ist. Ich kann hier nur warnen:
Wehret den Anfängen! Ist der Einbruch in ein System erst
einmal gelungen, werden weitere Veränderungen nicht
lange auf sich warten lassen.
Eine Wettbewerbsverzerrung ergibt sich aber auch im
Bereich der Apotheken, denn weder mit subventionierten
Arzneimitteln noch mit einer subventionierten Apotheken-
infrastruktur – einschließlich einer subventionierten Per-
sonalstruktur – kann eine öffentliche Apotheke konkurrie-
ren. Sie ist vielmehr an die Preisspannenverordnung
gebunden und muss für die gesamten Investitionen und
Betriebskosten selbst aufkommen. Interessant ist, dass
mittlerweile auch die Koalitionsfraktionen erkannt haben,
dass die daraus resultierenden Systemfragen, zum Beispiel
Anwendbarkeit der Arzneimittelpreisverordnung, gleiche
Wettbewerbsbedingungen für öffentliche Apotheken und
Krankenhausapotheken nicht isoliert, sondern im Kontext
mit der GKV-Gesundheitsreform 2003 im Rahmen einer
ganzheitlichen Konzeption zur Neustrukturierung der Arz-
neimitteldistribution angegangen werden soll.
Ein interessanter Hinweis, bei dem sich allerdings die
Frage stellt, warum sich SPD und Grüne bereits jetzt
schon für den Versandhandel aussprechen und nicht war-
ten, bis dieses „ganzheitliche Konzept“ konzipiert ist.
Unsere Fraktion hingegen wird an einer Ablehnung des
Versandhandels festhalten, denn Arzneimittelsicherheit
und eine flächendeckende, wohnortnahe Versorgung mit
Arzneimitteln sind nur durch öffentliche Apotheken ge-
währleistet. Dass SPD und Grüne verstärkt auf den Ver-
sandhandel setzen, ist auch daran zu erkennen, dass sie die
Impfstoffe aus der Apothekenpflicht herausnehmen wol-
len (Artikel 2 neu). Während sie allerdings beim norma-
len Versandhandel immerhin noch Probleme mit der Arz-
neimittelsicherheit zugeben, sprechen sie bei einer
Impfstoffbelieferung der Arztpraxen durch irgendeinen
Paketdienst sogar von einer Verbesserung der Arzneimit-
telsicherheit: Das verstehe, wer will!
Und die Kostenersparnis? Vor sieben Jahren wurde bei
der Fünften AMG-Novelle von einem Einsparpotenzial
von 50 Millionen DM gesprochen; heute sind es dann
eben 50 Millionen Euro. So einfach ist das! Und die Be-
ratung? Hier ist in der Begründung des Änderungsantrags
von SPD und Grünen zu lesen: „Sollte eine Beratung ei-
nes Arztes in Verbindung mit dem zugesandten Impfstoff
notwendig sein, könnte diese auf verschiedenen Wegen
erfolgen“. Welche „verschiedenen Wege“ das sind, über-
lassen SPD und Grüne der Fantasie des Lesers. Sie wer-
den doch nicht etwa an die Apotheker gedacht haben?
Ebenfalls lehnen wir eine Gleichstellung von Pflege-
heimen mit Kur- und Spezialeinrichtungen, wie sie ur-
sprünglich von den Koalitionsparteien angedacht war, ab
§ 14 Abs. 6 Sätze 2 und 3 bzw. Änderungsantrag vom
26. Februar 2002. Hier sollen Bewohner bzw. Patienten
von Pflegeheimen generell der Zuständigkeit von Kran-
kenhausapotheken unterstellt werden. Als Begründung
seitens der Krankenkassen wird ein erhebliches Einspar-
potenzial angeführt. Damit soll offenkundig eine beson-
dere Situation, die sich insbesondere im Land Berlin, und
zwar im ehemaligen Ostteil der Stadt, ergeben hat, als Be-
gründung für eine grundsätzliche und systemverändernde
Maßnahme herhalten. Die Koalitionsfraktionen unterlie-
gen hier dem Trugschluss, dass eine auf die Kranken-
hausapotheken verlagerte Versorgung zu den gleichen
Konditionen wie die gegenwärtige Krankenhausversor-
gung erfolgt, die geprägt ist durch ein von Arzneimittel-
listen beschränktes Sortiment und eine von der Industrie
in hohem Maße subventionierte Belieferung.
Mit ihren Änderungsanträgen wollen die Fraktionen
von SPD und Bündnis 90/Die Grünen ganz offensichtlich
erreichen, Kosten für die GKV zu sparen. Hiergegen ist
im Prinzip nichts einzuwenden. Allerdings wird hier der
Einspareffekt sehr schnell verpuffen, denn es ist davon
auszugehen, dass die Arzneimittelhersteller nicht lange
auf eine Änderung ihrer Preisbildung im Klinikbereich
warten lassen, sodass für sie das Ergebnis unterm Strich
wieder stimmt.
Auch entsteht ein rechtlicher Konflikt dadurch, dass der
Träger eines Krankenhauses, der eine Krankenhausapo-
theke nach § 14 ApoG als unselbstständige Betriebseinheit
unterhält, berechtigt und verpflichtet ist, vertragsärztliche
Verschreibungen mit den Krankenkassen abzurechnen.
Während Krankenhäuser aus wirtschaftlichen Gründen
bestrebt sind, die Arzneimittelversorgung von stationären
Krankenhauspatienten möglichst preiswert zu gestalten,
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. April 2002 23375
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entsteht für Krankenhausträger bei der Abrechnung nach
Individualrezepten ein wirtschaftliches Interesse, das mit
dem der öffentlichen Apotheken vergleichbar ist. Eine
Wettbewerbsverzerrung zulasten der öffentlichen Apo-
theke ist eklatant. Hinzu kommt, dass hier die Gefahr be-
steht, da die Apothekenlandschaft durch Mehr- und
Fremdbesitz total verändert wird.
Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN): „Der Patient im Mittelpunkt“. Unter diesem Motto
hat die rot-grüne Koalition in den vergangenen Jahren die
gesetzliche Krankenversicherung neu ausgerichtet. Eines
steht fest: Wir haben für eine Verbesserung der Qualität
der Versorgung der Patientinnen und Patienten gesorgt.
Eine Vielzahl von Maßnahmen wirkt bereits heute. An-
dere, wie die Disease Management Programme, werden
in Zukunft die medizinische Versorgung besser an den Be-
dürfnissen der Patientinnen und Patienten ausrichten.
Die Koalition hat den Gesetzentwurf des Bundesrates
zum Anlass genommen, die Qualität und Wirtschaftlich-
keit der Versorgung mit Arzneimitteln über die Vorlage
des Antrages hinaus zu verbessern. Außerdem stellen wir
die Weichen für eine Durchführung von Modellversuchen
zur verbesserten Verwendung medizinischer und pharma-
zeutischer Informationen, ohne die Rechte der Patientin-
nen und Patienten bezüglich ihres Anspruches auf infor-
melle Selbstbestimmung einzuschränken.
Sie sehen: Rot-grün verbessert die Qualität der medi-
zinischen Versorgung.
Doch nun zu den Einzelheiten:
Meine sehr verehrten Damen und Herren von der FDP,
die Koalition eröffnet den im Krankenhaus ambulant ver-
sorgten Patientinnen und Patienten eine Versorgung mit
Medikamenten durch die Krankenhausapotheke. Es ist
unserer Ansicht nach nicht zumutbar, wenn ein Patient,
der im Krankenhaus ambulant operiert wurde, nicht die
vorhandenen Versorgungsmöglichkeiten nutzen kann,
sondern erst eine Offizinapotheke aufsuchen muss. Wir
sagen nicht, dass die öffentlichen Apotheken diese Pati-
enten nicht versorgen dürfen. Wir eröffnen aber die Mög-
lichkeit, unter genau definierten Umständen die benötig-
ten Medikamente über die Krankenhausapotheke zu
beziehen. Und das will die FDP verhindern. Da muss ich
Sie fragen: Sind Sie nun die Partei des Wettbewerbs oder
doch die des Bestandschutzes für bestimmte Berufsgrup-
pen? Eines ist sicher: Den Patientenschutz haben Sie nicht
im Auge.
Weil ich gerade beim Wettbewerb bin: Die Entlassung
der Impfstoffe aus der Apothekenpflicht gefährdet den
Wettbewerb zwischen den Apotheken und den anderen
Vertriebswegen in keiner Weise. Die existierenden Impf-
stoffapotheken verdeutlichen dies. Die Behauptung, die
Qualität und Sicherheit der Versorgung wäre in einem ver-
kürzten Vertriebsweg nicht mehr gesichert, ist einfach
falsch. Als die Impfstoffe 1994 in die Apothekenpflicht
aufgenommen wurden, haben Sie das mit einer möglichen
Unterbrechung der Kühlkette begründet, und das, obwohl
dem Paul-Ehrlich-Institut keine Fälle bekannt geworden
sind, bei denen ein mangelnder Impferfolg auf eine unter-
brochene Kühlkette zurückzuführen war. Ihre tatsächli-
chen Beweggründe seien dahingestellt. Mit der Änderung
der Betriebsverordnung für Großhandelsbetriebe sowie
der Einführung des § 54 (2 a) AMG ist gesetzlich ein Si-
cherheitsstandard geschaffen worden, der die Arzneimit-
telsicherheit im Direktvertrieb sichert.
Zum Schluss komme ich noch zur Erweiterung der Mo-
dellvorhaben. Die Entwicklungen in der Informa-
tionstechnologie erlauben es zunehmend, die vorhandenen
Daten zusammenzuführen und sinnvoll auszuwerten. Die
entstehenden Synergieeffekte müssen im Interesse der
Versicherten und Beitragzahler genutzt werden, um die
Versorgung mit Gesundheitsleistungen an ihre Bedürf-
nisse anpassen zu können. Ob elektronisches Rezept,
intelligente Patienten-Chipkarte oder elektronische Pati-
entenakte, es gibt bisher keine Erfahrungen in der Praxis,
ob solche Systeme angenommen werden und welche Vor-
teile sie tatsächlich bringen können. Die Rahmenbedin-
gungen für derartige Pilotprojekte sind mit dem Bundes-
beauftragten für Datenschutz abgestimmt. Die an einem
Modellprojekt teilnehmenden Versicherten können dies
freiwillig tun und müssen ihre Einwilligung zur Erfassung
und Verarbeitung ihrer persönlichen Daten geben. Sie kön-
nen diese jederzeit zurückziehen. Nach Beendigung der
Modellvorhaben sind alle Daten sofort zu löschen. Das
Recht auf informelle Selbstbestimmung bleibt gewahrt.
Dass die Fraktion des Bündnises 90/Die Grünen in diesem
Punkt genau hinsehen, darf wohl kaum verwundern.
Detlef Parr (FDP):Wesentliche Elemente der Freibe-
ruflichkeit sind in dreieinhalb Jahren rot-grüner Gesund-
heitspolitik auf der Strecke geblieben. Heute tun wir einen
weiteren Schritt hin in Richtung Schwächung der Freibe-
ruflichkeit – ohne die FDP.
Der Gesetzentwurf öffnet die Tür für eine ambulante
Arzneimittelversorgung durch Krankenhausapotheken ei-
nen Spaltbreit. Er schafft damit eine bessere Angriffs-
fläche für weiter gehende Bestrebungen, die Bedeutung
der Krankenhausapotheken zu stärken und gleichermaßen
die öffentlichen Apotheken – und damit die Freiberuf-
lichkeit – zu schwächen. Auch wenn eine Belieferung von
Pflegeheimen durch Krankenhausapotheken, wie im ur-
sprünglichen Entwurf vorgesehen, nun nicht mehr weiter-
verfolgt wird, werden die Weichen für eine Änderung des
Systems gestellt. Wir wollen mehr Wettbewerb im Ge-
sundheitssystem, aber fairen Wettbewerb.
Die Abgabe von Arzneimitteln durch Krankenhaus-
apotheken an Ambulanzen des Krankenhauses bringt da-
gegen wettbewerbsverzerrende Effekte, weil die Preise
für Arzneimittel in den Krankenhäusern niedriger liegen
als im Bereich der Offizinapotheken. Eine solche Öffnung
sollte deshalb nicht erfolgen mit Ausnahme von Spezial-
rezepturen, wo Sicherheitsaspekte eine besondere Rolle
spielen, also den Zytostatika. Ambulanzen können nach
dem Gesetzentwurf zum Beispiel auch dann durch eine
Krankenhausapotheke beliefert werden, wenn diese gar
nicht im Gebäude der Ambulanz, sondern weiter entfernt
angesiedelt ist. Deshalb müssen wir die Trennschärfe zwi-
schen ambulanter und stationärer Versorgung aufrechter-
halten.
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. April 200223376
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Es bestand bisher Einigkeit darin, dass die Polikliniken
lediglich Bestandsschutz haben sollten. Die im Gesetz-
entwurf vorgesehene Möglichkeit für Polikliniken, zu-
sätzliche Ärzte anzustellen und ihren Sitz zu verlegen,
hebt diesen Konsens auf. Diese Regelung wird, wenn sie
Realität wird, als Türöffner benutzt werden, solche Poli-
kliniken auch in den westlichen Bundesländern zukünftig
zuzulassen. Die Arbeit der niedergelassenen Ärzte wird
hier erheblich tangiert – integrierte Versorgung stellen wir
uns anders vor.
Der Vertriebsweg für Impfstoffe über die Apotheke hat
sich aus Sicherheitsgründen bewährt. Diese Regelung ist
1994 so eingeführt worden, weil es bei der Direktbeliefe-
rung Sicherheitsprobleme gegeben hat. Wir möchten die
Direktbelieferung gern beibehalten, auch deswegen, weil
die Befürchtungen aus der Ärzteschaft – Hämatologen,
internistische Onkologen –, Krankenhausapotheken wür-
den durch den Gesetzentwurf übervorteilt, nicht von der
Hand zu weisen sind.
Übervorteilung droht auch bei der Absicht, den Kran-
kenhausapotheken zu gestatten, Patienten bei Entlassung
an einem Wochenende oder an einem Feiertag die zur
Überbrückung notwendigen Medikamente mitzugeben.
Diese Überbrückung kann wie bisher auch von den öf-
fentlichen Apotheken wahrgenommen werden.
Bei den vielen Ungereimtheiten wird es Sie nicht wun-
dern: Die FDP lehnt diesen Gesetzentwurf ab!
Dr. Ruth Fuchs (PDS): Die vorliegenden Änderun-
gen des Apothekengesetzes geben sinnvollen Regelungen
und Zuständigkeiten die rechtliche Grundlage. Es geht um
unkomplizierte Verfügbarkeit von Arzneimitteln, um kür-
zere Beschaffungswege und um Erleichterungen für die
Patienten. Information und Beratung durch Apotheke-
rinnen und Apotheker bleiben gewahrt. Der Gesetzent-
wurf wurde im Frühjahr 1999 in den Bundestag einge-
bracht. Es bleibt unverständlich, warum pragmatische Lö-
sungen, die Verbesserungen bringen und auf die die Praxis
wartet, so viel Zeit beanspruchen.
Die jetzt ermöglichte Arzneimittelversorgung der Pati-
enten von Krankenhausambulanzen durch Krankenhaus-
apotheken ist zweifellos zweckmäßig. Wir begrüßen da-
bei, dass von Krankenhausapotheken Arzneimittel auch
an die nach § 116 SGB V ermächtigten Krankenhausärzte
zur unmittelbaren Anwendung abgegeben werden dürfen.
Die Regelung, dass aus dem Krankenhaus entlassene Pa-
tienten in dringenden Fällen zunächst durch die Kranken-
hausapotheke mit Medikamenten versorgt werden kön-
nen, ist eine Erleichterung für die oft noch bettlägerigen
Patienten.
Wir sollten uns jedoch darüber im Klaren sein, dass diese
erwünschten Funktionserweiterungen für die Krankenhaus-
apotheken auch einen größeren personellen Aufwand erfor-
dern. Bekanntlich gibt es hier einen Trend in die andere
Richtung. Gerade bei neuen Krankenhauszusammenschlüs-
sen werden die bisherigen Krankenhausapotheken oft zu-
gunsten von Versorgungszentren geschlossen, was mit ent-
sprechenden Personalreduzierungen einhergeht. Aber auch
in solchen Fällen muss die pharmazeutische Betreuung der
Patienten gewährleistet bleiben, soll es nicht zu reinen Be-
lieferungen kommen. Die neu geschaffenen vertraglichen
Regelungen zwischen Heimträgern und öffentlichen Apo-
theken zielen auf eine bessere Versorgung der Heimbewoh-
ner. Wir stimmen ihnen grundsätzlich zu. Wichtig wäre al-
lerdings, dass neben die Aufgabe der zuständigen Behörden,
die Verträge zu genehmigen, auch eine Kontrollfunktion
verbunden mit zeitlicher Begrenzung der Verträge treten
würde.
Auch weitere Teile des Gesetzes wie die vertraglichen
Regelungen mit den Rettungsdiensten, die Festlegungen
zu den Zytostatikazubereitungen oder die Herausnahme
von Impfstoffen aus dem Apothekenvertriebsweg halten
wir für sinnvoll.
Verständlicherweise begrüßen wir besonders die Än-
derungen des § 311 SGB V, die die Gesundheitszentren in
den neuen Ländern betreffen. Sie ermöglichen diesen Ein-
richtungen endlich auch die Etablierung von ärztlichen
Fachdisziplinen, die zum Zeitpunkt der Gründung noch
nicht vorhanden waren. Zugelassen wird jetzt auch die
Verlegung ihres Standortes. Das sind wichtige Schritte,
um diese Einrichtungen mit den niedergelassenen Ver-
tragsärzten gleichzustellen. Auf der Grundlage ihrer
10-jährigen Existenz darf man mit Fug und Recht sagen,
dass sie sich auch im neuem Umfeld bewährt haben. Be-
trachtet man sie ohne Vorbehalte und ideologische Scheu-
klappen, dann sind sie ein anschauliches Beispiel für in-
tegrierte Versorgung – noch dazu unter einem Dach. Was
im Interesse von Qualität und Wirtschaftlichkeit so oft ge-
fordert wird – koordinierte medizinische Behandlung,
kurze Wege für die Patienten, Vermeidung von Doppel-
untersuchungen, gemeinsame Investitionen und Ressour-
cennutzung –, ist in diesen Einrichtungen lebendiger All-
tag. Im Übrigen haben sie den Vorteil, dass die Ärzte
ungleich weniger mit Bürokratie und Verwaltungsaufga-
ben belastet sind und sich wesentlich mehr der Behand-
lung ihrer Patienten widmen können.
Nicht zuletzt deshalb werden wir dem Gesetzentwurf
unsere Zustimmung geben.
Anlage 10
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung:
– Entwurf eines Gesetzes über die Entsorgung von
Altfahrzeugen (AltfahrzeugGesetz – Altfahr-
zeugG)
– Antrag: Umsetzung der EU-Altfahrzeugrichtli-
nie ökologisch sinnvoll und ökonomisch verant-
wortlich gestalten
(Tagesordnungspunkt 27 a und b)
Ulrich Kelber (SPD): Mit dem Gesetz über die Ent-
sorgung von Altfahrzeugen schlagen wir fünf Fliegen mit
einer Klappe:
Erstens. Wir entlasten die Umwelt in Deutschland, weil
die Autos in Zukunft recyclinggerechter hergestellt wer-
den, weil besonders umweltschädliche Stoffe nicht mehr
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verwendet werden dürfen, und weil in Zukunft keine
Fahrzeuge mehr durch Abstellen am Straßenrand entsorgt
werden.
Zweitens. Wir entlasten die Umwelt in Europa, weil
wir durch die entsprechende europäische Richtlinie eine
Harmonisierung der Entsorgung von jährlich 9 Millionen
Altfahrzeugen in der EU auf einem hohen Niveau errei-
chen.
Drittens. Wir entlasten die Umwelt weltweit, weil auch
Hersteller außerhalb der EU ihre Produktion umstellen
werden, um ihren Pflichten auf dem europäischen Markt
nachzukommen. Damit wird auch in Märkten außerhalb
der EU ein Fortschritt erzielt.
Viertens. Wir verankern Produktverantwortung vor-
bildlich in die Kreislaufwirtschaft. Das ist als ökologi-
sches Prinzip gar nicht hoch genug einzuschätzen.
Fünftens. Wir machen die Entsorgung für Besitzer, Her-
steller und Gesellschaft bezahlbar bei gleichzeitiger Si-
cherung von Arbeitsplätzen in der Verwertungsindustrie.
Deswegen muss man diesem Gesetz einfach zustim-
men: Deswegen ist ein Nein zu diesem Gesetz verant-
wortungslos.
Das Gesetz ist eine faire Umsetzung der europäischen
Richtlinie. Und das Gesetz ist eine faire Abwägung ver-
schiedener Interessen.
Die Bundesregierung und auch die SPD-Fraktion ha-
ben mit allen Beteiligten, mit den Herstellern, den Zulie-
ferern, den Entsorgern, den Umweltverbänden und ande-
ren mehr intensive Gespräche geführt.
Und auch das ist eine wichtige Botschaft: Alle Betei-
ligten haben deutlich gemacht, dass sie mit diesem Gesetz
gut leben können. Das sollte auch die CDU/CSU und die
FDP aufhorchen lassen, die im Umweltausschuss das Ge-
setz abgelehnt haben, obwohl wir alle Anregungen der
von CDU/CSU und FDP regierten Bundesländer aufge-
nommen haben. Es ist schade, dass die Opposition nicht
um der Sache willen bereit ist, über ihren dunklen Schat-
ten zu springen.
Diese allgemeine Zufriedenheit mit dem Gesetz bei allen
beteiligten Unternehmen und Verbänden ist übrigens auch
ein deutlicher Unterschied zur den Regelungen, die
CDU/CSU und FDPin ihrer Regierungszeit versucht haben.
Nur ein Zitat dazu. Die Verbraucherzentrale Hessen hat
die Regelungen von CDU/CSU und FDPdamals als „öko-
logische Mogelpackung“ und – was mir als Bonner Ab-
geordneten natürlich ein bisschen wehtut – als „Schrott
aus Bonn“ bezeichnet. Das waren die Urteile der Ver-
braucherschützer zur Politik von CDU/CSU und FDP,
meine Damen und Herren. Schade, dass Sie daraus
scheinbar nichts gelernt haben.
Nach Umsetzung der europäischen Richtlinie in natio-
nales Recht wird das ärgerlichste Problem im Bereich der
Altfahrzeuge bald weitgehend der Vergangenheit an-
gehören. Allein in Deutschland werden jährlich zehntau-
sende Altautos durch Abstellen am Straßenrand oder in
der Landschaft auf Kosten der Gesellschaft entsorgt. Die
Kommunen zahlen dann den Preis, den viele Halter eines
Fahrzeugs auf diese Weise sparen wollten. Das Gesetz
gibt jetzt die Möglichkeit zur kostenlosen Rückgabe. Das
„wilde Entsorgen“ wird damit aufhören. Das ist nicht nur
eine Entlastung für die Umwelt, sondern auch für die stra-
pazierten Haushalte der deutschen Kommunen.
Erlauben Sie mir dazu einen kleinen Einschub als in
Bayern geborener Mensch: insbesondere die bayerischen
Kommunen werden sich über dieses Gesetz freuen. Deren
Verschuldung ist wegen der Kürzungen der bayerischen
Landesregierung im letzten Jahr nämlich schneller gestie-
gen als in jedem anderen Bundesland.
Zurück zum Altfahrzeug-Gesetz: Im nächsten Jahr wer-
den wir das Monitoring der Entsorgung noch regeln müs-
sen. Das ist klar. Da die Verordnung aber erst stückweise
die Altfahrzeuge erfasst, ist für diese Regelung noch aus-
reichend Zeit. Die kostenlose Rückgabe der Altfahrzeuge
verankert in dieser Branche die Produktverantwortung fest
in der Kreislaufwirtschaft. Damit setzen wir ein wichtiges
Zeichen, dass wir beim Elektroschrott fortsetzen und mit-
telfristig auch in anderen Bereichen der Abfallwirtschaft
wirkungsvoll umsetzen sollten.
Eine Debatte hatte es im Vorfeld über den Sinn und die
Berechtigung von Stoffverboten gegebenen. Es ist gut,
dass die europäische Richtlinie und unser nationales Ge-
setz die Idee der Stoffverbote ab dem 1. Januar 2003
aufgenommen haben.
Es ist eben eine Binsenwahrheit, dass bestimmte Stoffe
umweltschädlicher sind als andere. Das Stoffverbot wird
helfen, dass die Umweltbelastung durch die Schwermetalle
Cadmium, Quecksilber, Blei und sechswertiges Chrom
wirksam gesenkt wird. Stoffverbote umfassen den gesam-
ten Lebenszyklus solcher gefährlichen Stoffe in der Um-
welt. Die Gewinnung wird reduziert, die Verarbeitung ver-
mieden und letztlich der Eintrag in die Umwelt verhindert.
Alle Vorschläge anderer Regelungen übersehen völlig, dass
auf allen diesen Stufen sonst Probleme für die Umwelt auf-
träten.
Mit einer Rücknahme gefährlicher Stoffe alleine ist es
also nicht getan; wir brauchen Stoffverbote. Wenn diese
Schadstoffe dann in anderen Abfällen nicht mehr vor-
kommen, werden neue Verwertungsmöglichkeiten ge-
schaffen und damit die Idee der Kreislaufwirtschaft wei-
ter gestärkt. Stoffverbote kosten auch keine Arbeitsplätze,
weil ja auch die aus anderen Stoffen hergestellten Teile
produziert werden müssen. Meist geschieht dies übrigens
mit einem höheren Beschäftigungseffekt, also mit mehr
Arbeitsplätzen als zuvor.
Ökonomisch wichtig war, heute bereits produzierte Er-
satzteile und zugelassene Fahrzeugtypen vom Stoffverbot
auszunehmen. Der sonst notwendige finanzielle Aufwand
wäre nicht gerechtfertigt gewesen.
Wir haben am Mittwoch im Umweltausschuss von
CDU/CSU und FDP nur äußerst an den Haaren herbeige-
zogene Punkte gegen das neue Gesetz gehört. Vor allem
konnte die Opposition nicht erklären, wie sie denn die eu-
ropäische Richtlinie in nationales Recht umsetzen will.
Aber diese Umsetzung ist doch verbindlich vorgegeben.
Die FDP behauptet, das Gesetz verhindere den Leichtbau
bei Fahrzeugen und damit eine Möglichkeit zum Sprit-
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sparen. Liebe FDP, mit dieser Meinung stehen Sie aller-
dings alleine da. Noch nicht einmal die Hersteller dieser
Fahrzeuge verstehen oder teilen etwa sogar Ihren Ein-
wand. Das wurde uns in Gesprächen sehr deutlich ge-
macht.
Warum ist das so? Nehmen wir einmal das viel be-
staunte 1-Liter-Auto von VW. Das wesentliche Gewicht
machen da der Magnesiumrahmen, das Fahrgestell, das
Getriebe und der Motor aus. Dies alles ist vergleichsweise
leicht zu recyceln, da es aus Metall ist. Die Kohlefaser-
hülle ist beim Gewicht fast zu vernachlässigen. Die Quo-
tenvorgaben des Altfahrzeuggesetzes orientieren sich
aber am Gewicht, liebe FDP, sodass ihr Einwurf ins Leere
geht, weil selbst das VW-Auto vermutlich bereits mit heu-
tiger Technik die Quotenvorgaben einhielte.
Die CDU/CSU nennt die Kosten für die Verbraucher
als Grund für die angekündigte Ablehnung. Der
CDU-Kollege Laufs zitierte dazu im Umweltausschuss
einen Verwerterverband, der von bis zu 300 Euro Kosten
pro Fahrzeug sprach. In den Niederlanden, die schon
heute die Entsorgung von Altfahrzeugen nach einem Prin-
zip regeln, wie wir es mit dem Gesetz einführen wollen,
zahlt man nur noch gut 50 Euro.
Woher kommt dieser Unterschied zwischen den Be-
hauptungen der CDU/CSU und den Fakten aus unserem
Nachbarland? Die übliche Übertreibung eines Verbands
kann das alleine doch nicht sein, oder? Nein, CDU-Kol-
lege Laufs verschweigt der Öffentlichkeit, dass die von
ihm genannte Zahl nicht den Erlös aus Schrott und wieder
zu verwendenden Bauteilen enthält. Er verschweigt also
den wichtigen zweiten Teil der Rechnung, die Einnah-
men. Wer so unseriös handelt, muss schon sehr schwache
Argumente haben, liebe Kolleginnen und Kollegen von
der CDU/CSU.
Die Finanzierung ist klar geregelt. Die Hersteller zah-
len die kostenlose Rücknahme. Dafür werden sie steuer-
freie Rückstellungen bilden, übrigens auch für die Fahr-
zeuge, die zur weiteren Verwendung ins Ausland gebracht
werden und niemals im Geltungsbereich der EU entsorgt
werden. Davon profitieren besonders die Hersteller hoch-
wertiger Fahrzeuge in Deutschland und deswegen trägt
das Gesetz auch zur Harmonisierung von Wettbewerbs-
chancen zugunsten Deutschlands bei.
Apropos Harmonisierung: Der Fortschritt durch die
Umsetzung der europäischen Richtlinie wird außerhalb
Deutschlands noch größer sein. Hier waren bisher meis-
tens die ökologischen Standards geringer als in Deutsch-
land und werden jetzt deutlich angehoben. Ich nenne als
Beispiele die hohen Verwertungsquoten und die Qualifi-
zierungsanforderungen an die Entsorgungsbetriebe. 2006
sind 85 Prozent des Gesamtgewichts eines Fahrzeugs zu
verwerten, 2015 sogar 95 Prozent. Dabei ist insbesondere
die stoffliche Verwertung auf einem hohen Niveau vorge-
schrieben. Dies wird einen Innovationsschub in Industrie
und Verwerterbranche auslösen und damit zu neuen Ar-
beitsplätzen führen.
Auch das ist ein wichtiger Grund, dem Gesetz zuzu-
stimmen. Im Bundesrat erwarte ich auch unter den neuen
Mehrheitsverhältnissen eine Zustimmung, weil alle – ich
wiederhole: alle – Anregungen des Bundesrates aufge-
nommen wurden. Eine einzige Anregung fiel der Tatsache
zum Opfer, dass sie der europäischen Richtlinie wider-
sprochen hätte.
Mein Fazit: Das Gesetz ist ökonomisch vernünftig.
Das Gesetz ist ökologisch überfällig. Ich bitte Sie um Ihre
Zustimmung.
Dr. Paul Laufs (CDU/CSU): In Deutschland besteht
ein erfolgreich funktionierendes, ökologisch effizientes,
flächendeckend verfügbares Altautoentsorgungs- und
-verwertungssystem, das auf der Grundlage einer freiwil-
ligen Selbstverpflichtung aller betroffenen Wirtschafts-
branchen und der bisherigen Altautoverordnung aufge-
baut worden ist. Im vergangenen Jahr sind bereits 800 000
Altautos geordnet entsorgt und zu 75 Gewichtsprozent
verwertet worden.
Dieses System soll mit der Umsetzung der Altbau-
richtlinie der Europäischen Union vom Oktober 2000
durch ein anderes, neues Regime ersetzt werden. Der be-
währte runde Tisch der ARGE Altauto wird sich nun er-
übrigen. Das neue Regime schließt freiwillige Vereinba-
rungen aus, obwohl sie nach der Richtlinie möglich
wären. Es wird die Kosten durch eine exzessive Umset-
zung der EU-Richtlinie erheblich erhöhen und die Betei-
ligten mit Vorschriften großer Regelungstiefe überziehen.
Kernstück der Neuordnung ist die Durchsetzung äußerst
hoher stofflicher Verwertungsquoten, die gerade von Um-
weltpolitikern kritisch hinterfragt werden müssen, denn
Materialkreisläufe lassen sich vollständig nicht immer
ökologisch und wirtschaftlich sinnvoll schließen.
Die Entsorgungskosten werden den Herstellern und
Importeuren voll angelastet. Der Letzthalter kann sein Alt-
auto kostenlos abgeben. Die entstehenden zusätzlichen
Kosten von 100 bis 200 Euro und künftig auch deutlich
mehr pro Kraftfahrzeug hat aber letztlich doch der Kunde
zu tragen. Die Neuwagenpreise werden entsprechend stei-
gen. Anders als in allen anderen EU-Mitgliedstaaten müs-
sen die deutschen, exportorientierten Hersteller die hohen
deutschen Entsorgungskosten insgesamt in den Neuwa-
genpreis einrechnen, wodurch ihre Wettbewerbsfähigkeit
verschlechtert wird. Dem Wunsch der Industrie, die Ent-
sorgungskosten wenigstens zum Teil getrennt ausweisen
zu dürfen, wurde nicht entsprochen.
Die EU-Altautorichtlinie, für die diese Bundesregie-
rung Mitverantwortung trägt, und damit auch das vorlie-
gende Altautogesetz haben aus umweltpolitischer Sicht
erhebliche Mängel. So beziehen sich die Verwertungs-
quoten fast ausschließlich auf das stoffliche Recycling.
Die thermische Verwertung wird nur marginal zugelassen.
Dadurch wird die Einführung von Leichtbautechniken
enorm erschwert.
Das in diesen Tagen in der Presse vorgestellte Einliter-
auto von Volkswagen ist in Ultraleichtbauweise gefertigt
und wiegt gerade 290 Kilogramm. Seine Karosserie besteht
aus Kohlenstofffaser-Verbundwerkstoff. Der erfolgver-
sprechendste Weg, um im Verkehrsbereich die Treibstoff-
verbräuche zu senken, ist in der Tat die Einführung der
Leichtbauweise. Dafür bieten sich neben Leichtmetallen
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insbesondere naturfaserverstärkte Kunststoffe, chemisch
vernetzte Duroplaste und thermoplastische Faserverbund-
werkstoffe an, wobei die Kohlenstofffaser besonders
vielversprechend ist. Diese Materialien werden aus Erdöl
gewonnen und lassen sich ausgezeichnet thermisch ver-
werten. Die Menge der Leichtbauwerkstoffe in einem die-
ser modernen Kraftfahrzeuge ist im Vergleich zum einge-
sparten Treibstoff geradezu lächerlich gering. Es macht im
Übrigen keinen Sinn, auf der stofflichen Verwertung von
Kunststoffen in einer Volkswirtschaft zu bestehen, in der
riesige Mengen von Erdöl direkt zur Wärmeerzeugung ver-
brannt werden. Ein stoffliches Recycling dieser Leichtbau-
werkstoffe ist dagegen sinnvoll nicht möglich. Natürlich
können sie geschreddert, fein gemahlen und als einfache
Füllstoffe irgendeiner Anwendung zugeführt werden.
Dafür gibt es aber praktisch keine Märkte mehr, seit das
Duale System Deutschland die nur sehr begrenzt vorhan-
denen Absatzmöglichkeiten verstopft.
Das Fazit dieser Feststellungen ist, dass Leichtbau-
fahrzeuge mit einem hohen Anteil an Verbundwerkstoffen
bei ihrer Entsorgung als Altauto nicht den Vorschriften
des Altautogesetzes entsprechen und damit schon Pro-
bleme mit der Typgenehmigung haben. Die Leichtbau-
weise ist eine entscheidende Voraussetzung für ver-
brauchsarme Fahrzeuge. Welchen Sinn macht es, wenn
die Bundesregierung hohe Millionenbeträge für die For-
schungsförderung von modernen Verbundwerkstoffen
ausgibt und mit den Regelungen des Altautogesetzes de-
ren Anwendung behindert?
Ein Umsteuern hin zum Leichtbau erfordert langfristig
angelegte Investitionsentscheidungen zu Forschung, Ent-
wicklung und Markteinführung. Deshalb müssen die öko-
logisch und ökonomisch unsinnigen stofflichen Verwer-
tungsquoten in der EU-Richtlinie und im Altautogesetz so
bald wie möglich korrigiert werden. Es ist nicht zu be-
greifen, warum gerade auch in dieser Hinsicht die Revi-
sionsklausel aus der EU-Richtlinie nicht übernommen
worden ist, um uns in die Pflicht zu nehmen, schon vor
Ende 2005 eine Überprüfung der Quoten voranzubringen.
Die Umsetzung der EU-Richtlinie erfolgt nicht im Ver-
hältnis 1:1. Allein der Bundesrat hat 55 Änderungsvor-
schläge zum Kabinettsentwurf eingebracht, die zum
großen Teil vernünftig sind und auch ganz überwiegend
von der Bundesregierung und den Koalitionsfraktionen
angenommen wurden. Trotzdem wird noch zulasten der
deutschen Marktbeteiligten draufgesattelt. So müssen nur
in Deutschland die Automobilzulieferer für alle in Repa-
raturwerkstätten anfallenden Altteile ein Rücknahmenetz
installieren, für das es noch keine alle Zulieferer umfas-
sende Plattform gibt. Sie können also mit zusätzlichen
Rücknahme- und Recyclingkosten belastet werden. Die
Demontagebetriebe müssen mit beispiellos großer De-
montagetiefe die Altautos zerlegen und Teile ausbauen –
bis zu den Stoßdämpfern. Die Rücknahmestellen müssen
auch Altautos annehmen, die nicht rollfähig oder
nachträglich verändert oder Unfalltotalschäden sind, die
sich nicht mehr demontieren lassen. Die EU-Richtlinie
und damit auch das Altautogesetz enthalten Materialver-
bote, die isoliert für die Automobilbranche wenig Sinn
machen und in den laufenden Serienproduktionen bis
1. Juli 2003 schwer umsetzbar sind.
Weitere Zusatzlasten werden den deutschen Herstel-
lern und Importeuren durch neue steuer- und handels-
rechtliche Vorschriften aufgebürdet. So werden den
Unternehmen für die erforderlichen Rückstellungen für
die Entsorgung so genannter Altfahrzeuge und Alt-Neu-
fahrzeuge in Höhe vieler Milliarden Euro – die Bundes-
regierung rechnet mit rund 10 Milliarden Euro bis 2030 –
steuerliche Gestaltungsspielräume weggenommen und
vorgeschrieben, Rückstellungen zeitanteilig in Raten an-
zusammeln. Einige Automobilhersteller haben bereits
Rückstellungen gebildet. Die Rückstellungen sollen aber
nicht rückwirkend seit dem Jahr 2000, als die Verpflich-
tungen dazu europarechtlich verbindlich wurden, sondern
erst von diesem Jahr, 2002, an vorgenommen werden dür-
fen. Wir lehnen diese systemwidrigen Manipulationen ab.
Der Grundsatz der Produktverantwortung wird unein-
geschränkt auf die Hersteller und Importeure angewandt.
Dadurch geraten die mittelständischen Entsorgungsun-
ternehmen in eine direkte Abhängigkeit als Zulieferer und
müssen schwierige Kooperationsprobleme lösen. Auch
hier ist der Mittelstand mehrfach unter Druck. Neben den
Folgen einer äußerst belastenden Umsetzung der
EU-Richtlinie in deutsches Recht unterliegt er auch noch
starkem grenzüberschreitendem Wettbewerb, zum Bei-
spiel mit der niederländischen subventionierten Entsor-
gungswirtschaft.
Ich möchte zusammenfassen: Das vorliegende Altau-
togesetz ist aus umweltpolitischer Sicht in Deutschland
nicht erforderlich und aus volkswirtschaftlicher Sicht von
Nachteil. Es reguliert übermäßig, ist kostentreibend und
enthält schwere Mängel. Wie die EU-Richtlinie in natio-
nales Recht umgesetzt wurde, entspricht nicht den Inter-
essen unseres Landes.
Birgit Homburger (FDP): Die FDP begrüßt die Ziel-
setzung der europäischen Altfahrzeugrichtlinie, wonach
die Umweltbelastung durch Altfahrzeuge gemäß den Er-
fordernissen des Binnenmarktes und ohne Wettbewerbs-
verzerrungen verringert werden soll. Dazu müssen in den
Mitgliedstaaten der EU einheitliche Anforderungen gel-
ten. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung wird diesen
Vorstellungen nicht gerecht. Die FDP lehnt den Gesetz-
entwurf deshalb ab.
Das vorgelegte Altfahrzeuggesetz ist ökologisch frag-
würdig, ökonomisch unausgewogen und bedeutet eine
einseitige Belastung Deutschlands als Standort der Auto-
mobilwirtschaft im europäischen Wettbewerb. Dies wiegt
umso schwerer, als Deutschland von den wirtschaftlichen
Folgen der europäischen Altfahrzeugrichtlinie und ihrer
Umsetzung in deutsches Recht besonders betroffen ist.
Schon im vergangenen Jahr hat die FDP die Bundesregie-
rung deshalb dazu aufgefordert, die Altfahrzeugrichtlinie
ökologisch sinnvoll und ökonomisch verantwortlich in
deutsches Recht umzusetzen. Die Appelle der FDP trafen
bei Umweltminister Trittin wieder einmal auf taube Ohren.
Die FDP hat die in der Richtlinie vorgesehene Quo-
tenregelung als ökologisch kontraproduktiv entlarvt, weil
eine Quotenregelung die Leichtbauweise behindert. Eine
Recyclingpflicht, die auf das Gewicht von Fahrzeugteilen
bezogen ist, setzt für Automobilkonstrukteure den wider-
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sinnigen Anreiz, herkömmliche und im Vergleich zu nach-
wachsenden oder Verbundwerkstoffen relativ schwere
Bauteile zu verwenden. Stahlbleche haben ein hohes Ge-
wicht und erleichtern so die Erfüllung gewichtsbezogener
Recyclingquoten. Relativ schwere Fahrzeuge haben aber
einen höheren Kraftstoffverbrauch, was die Abgase im
Straßenverkehr unnötig erhöht. Dieser ökologisch kon-
traproduktive Effekt muss aus Klimaschutzgründen unbe-
dingt vermieden werden. Aufgrund einer Anfrage der
FDP-Fraktion hatte die Bundesregierung diesen Zusam-
menhang schon im vergangenen Jahr zur Kenntnis nehmen
müssen. Ausdrücklich hatte die Bundesregierung seinerzeit
die ökologische Kritik der FDPan den Quotenvorgaben be-
stätigt und erklärt, sich für eine Überprüfung der Quo-
tenregelung einsetzen zu wollen. Die Ergebnisse sind mehr
als enttäuschend: Nicht nur, dass die ökologisch unsinnigen
Quoten erhalten geblieben sind. Weit schlimmer ist, dass
die europäische Richtlinie eine Überprüfung der Quoten-
ziele spätestens bis zum Jahresende 2005 vorsieht, der Ge-
setzentwurf der Bundesregierung auf eine solche Revisi-
onsklausel aber verzichtet.
Auch die Mahnung der FDP, der betroffenen Automo-
bilwirtschaft unverzüglich die Bildung von Rückstellun-
gen für die ihr auferlegten Pflichten zu ermöglichen,
wurde von der Bundesregierung ignoriert. Dies wird zu
unnötigen und kostentreibenden Auseinandersetzungen
führen. Im Übrigen ist die von der Bundesregierung vor-
gesehene Änderung des Einkommensteuergesetzes nicht
erforderlich und steuersystematisch hoch problematisch.
Der sorgenvolle Blick auf die Kasse des Finanzministers
verhindert einmal mehr sachgerechte Lösungen für die
Umweltpolitik.
Von diesen schwerwiegenden Mängeln abgesehen, ist
der Gesetzentwurf im Vergleich zur Richtlinie unnötig
dirigistisch. Spielräume für freiwillige Vereinbarungen
mit den Betroffenen, die die Richtlinie ausdrücklich vor-
sieht, werden zum Nachteil der deutschen Automobil-
wirtschaft nicht genutzt. Dies gilt beispielsweise für die
im Gesetzentwurf vorgesehenen Informationspflichten:
Die EU-Richtlinie gestattet für die Umsetzung der Kenn-
zeichnungsnormen und der Demontageinformationen die
Nutzung freiwilliger Selbstverpflichtungen. Der Gesetz-
entwurf der Bundesregierung lässt dazu keinen Raum,
sondern setzt an dieser Stelle statt dessen allein auf ho-
heitlichen Zwang. Die Umsetzung der europäischen Alt-
fahrzeugrichtlinie in deutsches Recht folgt damit einem
traurigen, mittlerweile aber leider vertrauten Prinzip rot-
grüner Umweltpolitik: Mit bürokratischen, dirigistischen
und kostentreibenden Vorschriften werden europäische
Vorgaben übererfüllt, ohne dass ein erkennbarer Vorteil
für die Umwelt erzielt würde. Das Nachsehen hat die
deutsche Wirtschaft. Das ist das Gegenteil einer nachhal-
tigen und ökologisch glaubwürdigen Umweltpolitik.
Eva Bulling-Schröter (PDS): Es ist bezeichnend für
die Stärke der Automobilindustrie in Europa, dass die
Europäische Kommission an der Altfahrzeugrichtlinie
über 10 Jahre arbeiten musste. Über die peinliche Rolle
Deutschlands und speziell die des Bundes- und Auto-
kanzlers Gerhard Schröder dabei, haben wir hier schon
mehrfach gesprochen.
Wir begrüßen, dass die Fahrzeuge mit diesem Umset-
zungsgesetz kostenlos zurückgenommen werden müssen.
Somit wird zwar nicht ganz dem Verursacherprinzip ent-
sprochen – nicht nur der Hersteller, sondern auch der Nut-
zer ist ja Verursacher –, aber es wird dem wilden und ille-
galen Entsorgen ein Riegel vorgeschoben.
Wir begrüßen auch die hohen Wiederverwendungs-
und Verwertungsquoten. Allerdings sind die Zeiträume,
2006 bzw. 2015, sehr lang.
Unverständlich ist für uns, dass nur Fahrzeuge, die
nach dem 1. Juli 2002 erstmals zugelassen wurden, ab die-
sem Zeitpunkt kostenlos zurückgenommen werden. Für
die übrigen Altfahrzeuge wird die kostenlose Rücknahme
erst ab 2007 gesichert. Hier wäre auch EU-konform ein
früherer Zeitpunkt denkbar gewesen. Beispielsweise die
kostenlose Rücknahme aller Altfahrzeuge ab 1. Januar
2003. Somit wäre die illegale Entsorgung auch für die
5 Jahre vom Tisch.
Steuerlich kann die Autoindustrie zufrieden sein. In
kaum einem anderen Land werden die Rückstellungen
steuerlich so großzügig behandelt wie in Deutschland.
Hierzulande können die Entsorgungsrückstellungen für
Autos steuerlich geltend gemacht werden. Somit bezahlt
die Allgemeinheit über das Rückstellungsmodell, das
Zinsvorteile zumindestens ermöglicht, einen Teil der
Autoschrottbeseitigung. Selbst in der ultrakonservativen
USA ist so etwas nicht möglich.
Wie im Ausschuss zu erfahren war, ist Deutschland da-
bei haarscharf an einer Klage der anderen europäischen
Automobilhersteller vorbeigeschrammt. Kein Wunder,
denn es könnten Subventionen sein, jedenfalls dann, wenn
Rückstellungen nicht fürs Recyceln verbraucht, sondern
irgendwann aufgelöst werden, also wenn diese Rückstel-
lungen der Höhe oder dem zeitlichen Horizont nach unan-
gemessen hoch sind.
Den öffentlichen Haushalten in Deutschland gehen
durch die Rückstellungen in diesem Jahr 248 Millionen
Euro verloren. Angesichts dieser Summe und dem innigen
Verhältnis der Bundesregierung zu „ihren“ Automobil-
konzernen ist wenigstens ein gesundes Grundmisstrauen
angebracht, und zwar dagegen, ob diese Viertelmilliarde
wirklich die entsprechenden zeitnahen Aufwendungen re-
präsentiert und ob die Abzinsungsregelungen im Gesetz
tatsächlich mögliche Zinseffekte ausgleicht.
Summa sumarum halten wir das Gesetz umweltpoli-
tisch für einen Fortschritt; denn es löst die weitaus
schlechtere deutsche Verordnung von 1997 ab. Aber auf-
grund der geschilderten Mängel enthalten wir uns.
Jürgen Trittin, Bundesminister für Umwelt, Natur-
schutz und Reaktorsicherheit:Wir bringen heute ein lang-
wieriges und leidiges Kapitel der Wirtschafts- und Um-
weltpolitik zu einem guten Ende: Wir haben eine
zukunftsfähige Lösung, die den hohen Materialaufwand
der Autoproduktion künftig verringern wird. Ich danke
den Ländern, die aufgrund ihrer Vollzugskompetenz etli-
che sinnvolle Details ergänzt haben, und ich danke den
beratenden Ausschüssen für die kooperative Beratung.
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Deutschland als einer der europa- und sogar weltweit
führenden Automobilhersteller setzt damit als eines der
ersten Länder die europäische Altfahrzeug-Richtlinie und
damit das Prinzip der Produktverantwortung in der
Kfz-Industrie um. Die rot-grüne Koalition hat sich vor
dreieinhalb Jahren zum Ziel gesetzt, die Ökologisierung
der Wirtschaft in allen Bereichen einzuleiten. In der Ener-
gie- und Klimapolitik haben wir unsere größten Erfolge,
da ist unsere Vorreiterrolle international anerkannt. Aber
auch im Verkehr haben wir mit der gleichberechtigten
Förderung der Schiene, mit der Ökosteuer, schadstoffar-
mem Treibstoff, der Maut und der verkehrsmittelunab-
hängigen Kilometerpauschale eine Trendwende erreicht.
Das Altfahrzeug-Gesetz ist ein weiterer wichtiger Bau-
stein, um den Gesamtkomplex Verkehr ressourcenscho-
nender und damit zukunftsfähiger zu gestalten.
Dazu verhelfen: die kostenlose Rückgabemöglichkeit
des Letzthalters – sie ist ökologisch sinnvoll und sozial
gerecht; die unentgeltliche Rücknahmepflicht der Her-
steller, eine Gesamtverwertungsquote ab dem Jahr 2006
85 Prozent – ab 2015 95 Prozent – und eine Recycling-
quote von 80 Prozent – ab 2015 85 Prozent und das Ver-
bot von Stoffen wie Blei, Quecksilber, Cadmium und
Chrom-IV-Verbindungen.
Wenn die Automobilhersteller die Altautos zurückneh-
men und die Kosten der Entsorgung tragen müssen, haben
sie ein Interesse, die Kosten dafür gering zu halten. Das
Gesetz lässt die Wahl zwischen verschiedenen Möglich-
keiten: Sie können die Quote der wiederverwertbaren
Einzelteile sogar übererfüllen. Sie können Materialien
verwenden, die ohne große Probleme entsorgt werden
können; also zum Beispiel giftige Schwermetalle meiden.
Sie können Autos bauen, die sehr lange laufen, weil man
sie in ihren Einzelteilen jederzeit modernisieren und opti-
mal reparieren kann.
Wir haben mit der Altfahrzeug-Richtlinie einen Pro-
zess eingeleitet, der die Automobilindustrie fit für das
21. Jahrhundert macht. Denn klar ist: Im 21. Jahrhundert
werden Rohmaterialien sehr viel teurer werden. Auto-
mobilkonzerne werden den Ressourcenverbrauch redu-
zieren und Stoffkreisläufe entwickeln wollen.
Die Bundesregierung hat darauf insistiert, dass die Er-
zeuger – und nicht, wie von der Industrie gewünscht: die
Halter – die Kosten für die Entsorgung tragen; nicht weil
wir halsstarrig wären oder die Industrie triezen wollten,
sondern weil nur das einen Lenkungseffekt bietet.
Die Automobilhersteller bekommen so ein Interesse an
langlebigen, modernisierbaren, gut reparierbaren und vor
allem verwertungsoptimierten Kraftfahrzeugen. Genau
für diese Entwicklung stellen wir heute die Weichen, in-
dem wir Produktverantwortung zum Prinzip machen und
den Herstellern die Entsorgungskosten übertragen. Denn
nur das schafft den Anreiz, sich in Richtung Zukunft zu
orientieren.
Klar werden die Hersteller Kosten an die Käufer von
Neuwagen weitergeben. Durchschnittlich werden das
rund 0,5 Prozent sein, also etwa 100 Euro. Wer diese Kos-
ten geringer hält, hat bei den Kunden einen Marktvorteil.
Genau das wollen wir erreichen.
Wir haben auch den Autokonzernen, die erst Rück-
lagen für die Entsorgung bilden müssen, dafür die nötige
Zeit gegeben. Trotzdem haben wir es geschafft, die Richt-
linie als eines der ersten Länder in Europa umzusetzen.
Die Vorgeschichte hätte das nicht vermuten lassen.
Heute aber, wo auch die Automobilindustrie dem Bundes-
umweltminister zustimmt, dass sich die Rückstellungs-
frage so lösen lässt, wie er das schon vor drei Jahren
vorgeschlagen hat, sollten wir diese Meinungsverschie-
denheiten beiseite legen.
Heute gilt: Alle haben mit dem neuen Altautogesetz
gewonnen: die Umwelt durch ein Stück mehr Kreislauf-
wirtschaft und Produktverantwortung, die Automobilin-
dustrie, weil sie so fit wird für eine Zeit, in der hoher Res-
sourcenverbrauch ein Produkt unverkäuflich macht und
smarte Produkte Marktvorteile bringen.
Anlage 11
Zu Protokoll gegebene Reden
zurBeratung des Entwurfs eines Gesetzes zurÄn-
derung des Steuerbeamten-Ausbildungsgesetzes
Lydia Westrich (SPD):Als ehemalige Finanzbeamtin
ist für mich in erster Linie die Änderung des Steuerbeam-
ten-Ausbildungsgesetzes von Interesse, obwohl es darin
noch eine Fülle von Änderungen weiterer Steuergesetze
gibt. Solch ein Gesetzespaket, wie es uns heute vorliegt,
nennen die Parlamentarier „Omnibusgesetz“. Es ist nicht
sehr beliebt, aber häufig.
Die Diskussion um die so genannten „Omnibusge-
setze“ kenne ich schon seit ich im Finanzausschuss bin.
Sie sind einerseits notwendig, um aufgetauchte redaktio-
nelle Fehler bei der ersten Möglichkeit zu bereinigen, da-
mit schnell Rechtssicherheit vorhanden ist. Sie wissen aus
der langen Gesetzgebungspraxis genau, dass ein verges-
senes Wort, falsches Komma oder fehlender Verweis oft
ungewollte finanzielle Folgen nach sich ziehen.
Die übliche Praxis, das im nächstfolgenden Gesetz
schnell richtig zu stellen, ist für uns alle sinnvoll und ge-
wünscht. Und natürlich war schon immer auch die eine
oder andere materielle Änderung dabei. Wie Sie alle diese
Praxis schon verinnerlicht haben, zeigen ja die gestellten
zusätzlichen Änderungswünsche. Auch die Sachverstän-
digen haben in der Anhörung trotz Kritik zusätzlich neue
Forderungen erhoben. Ich behaupte ja nicht, dass diese
langjährige Praxis zu mehr Transparenz beiträgt. Aber sie
ist zügig und effizient.
Effizient ist auch die Ausbildung der Steuerbeamten.
Sie genießt innerhalb und außerhalb der Verwaltung, auch
in der Wirtschaft, ein hohes Ansehen. Es gibt dement-
sprechend auch viele Abwerbungsversuche. Wenn ich bei
mir zu Hause das Telefonbuch aufschlage, finde ich bei
den Steuerberatern und Wirtschaftsprüfungsgesellschaf-
ten die Namen vieler ehemaliger Kollegen. Das weist auf
das anspruchsvolle Niveau der Ausbildung hin. Nicht sel-
ten erreichen die Beamten beim Weiterstudium über-
durchschnittliche Studienabschlüsse.
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Aber Ziel der guten Ausbildung ist es, die motivierten
Beamten bei der Verwaltung zu halten und ihre Ausbil-
dung den Erfordernissen einer modernen Dienstleistungs-
behörde anzupassen. Deshalb wird die Ausbildungszeit
verlängert, um andere Lerninhalte wie Methodik und so-
ziale Kompetenz dem komplexen Fachwissen hinzufügen
zu können. Dass die Berufsbezeichnung „Finanzwirt oder
Finanzwirtin“ für den mittleren Dienst noch mal aus-
drücklich bestätigt wird, war längst überfällig. Das duale
Ausbildungssystem mit dem hohen Praxisbezug bleibt
uneingeschränkt erhalten.
Insgesamt sind die Änderungen des Steuerbeamten-
Ausbildungsgesetzes Garantie dafür, dass die hohe Qua-
lität der Ausbildung weiterentwickelt wird. Die Steuerbe-
amten sollen optimal gerüstet sein, den Zielen Sicherung
der Einnahmen des Staates und einheitliche Anwendung
der Steuergesetze sowie den Anforderungen einer moder-
nen Dienstleistungsbehörde zu entsprechen. Ich hoffe,
dass die Ausbildungsverordnungen bald diesem Anspruch
gerecht werden, um das Steuerbeamten-Ausbildungsge-
setz mit Leben zu erfüllen.
Über die redaktionellen Änderungen oder weiteren
Steuergesetze habe ich schon etwas gesagt.
Bei den materiellen Änderungen sticht vor allem die
Beibehaltung der Steuerklasse II für Alleinerziehende
hervor. Sie wissen, dass das Bundesverfassungsgericht im
Haushaltsfreibetrag einen ungerechtfertigten Vorteil der
Alleinerziehenden im Vergleich zu verheirateten Eltern
gesehen hat. Wir haben ihn nicht gleich abgeschafft, son-
dern schmelzen ihn mit Wirkung vom 1. Januar 2002 stu-
fenweise bis 2005 ab bei gleichzeitiger Einführung des
neuen Freibetrages für Betreuung, Erziehung oder Aus-
bildung der Kinder. Diese „sanfte Abschmelzung“ bei
gleichzeitiger Anhebung der pauschalen Freibeträge und
des Kindergeldes war verfassungsmäßig nicht geboten,
wie es auch jetzt in der Anhörung noch mal deutlich
wurde. Deshalb hat sie ursprünglich auch nur für die so
genannten „Altfälle“ vor dem 1. Januar 2002 gegolten.
Aber es ist eigentlich nur Zufall, ob ein Kind Ende De-
zember 2001 oder Januar 2002 geboren wird.
Deshalb hat die sozialdemokratische und grüne Regie-
rungskoalition nach sorgfältiger juristischer Prüfung be-
schlossen, die Abschmelzungsregelung rückwirkend für
alle Alleinerziehenden wirken zu lassen. Die Idee ist nir-
gendwo abgeguckt. Sie ist in der Diskussion und Über-
prüfung seit Verabschiedung des Steuersenkungsgesetzes
und bei der ersten Möglichkeit wird es umgesetzt. Ich
hoffe nur, dass der Bundesrat dann auch noch zustimmt,
damit wir die Schieflage bei den Alleinerziehenden berei-
nigen können.
Damit führen wir die gute Bilanz unserer Familienleis-
tungen fort. Ich erinnere Sie: 1998: 220 DM Kindergeld
und 6 912 DM Kinderfreibetrag. 2002: 301 DM oder
154 Euro Kindergeld monatlich und 11 360 DM oder
5 808 Euro Kinderfreibetrag, zusätzlich erstmalig im
deutschen Steuerrecht der Abzug erwerbsbedingter Be-
treuungskosten bis zu 1 500 Euro. Man muss es immer
wiederholen.
Den von der Opposition eingebrachten Änderungswün-
schen können wir nicht entsprechen. Bei der Senkung der
Gewerbesteuerumlage sagte selbst der Vertreter des Bun-
des der Steuerzahler: Man müsse die prekäre Finanzlage
von Bund und Ländern bedenken. Außerdem ist Ihnen
vom Kollegen Bernd Scheelen wiederholt erklärt worden,
dass von einer Senkung der Gewerbesteuerumlage gerade
die Kommunen kaum profitieren, die hohe Einbrüche in
den Gewerbesteuereinnahmen haben. Nicht Aktionismus,
sondern eine solide Sicherung der Gemeindefinanzen ist
geboten. Und wir sollten gemeinsam drängen, dass die
Kommission endlich ihre Arbeit aufnimmt, damit wir ei-
nen fairen Gemeindefinanzausgleich erhalten und die
Kommunen eine sichere finanzielle Basis erhalten.
Dasselbe gilt für den § 370 a AO. Er hat die Zielrich-
tung, gewerbemäßige und bandenmäßige Steuerkriminelle
wirksam bekämpfen zu können. Diese Ziele teilen wir alle.
Kleine Sünder sind nicht gemeint. Ich bin überzeugt da-
von, dass die Steuerverwaltung die Verhältnismäßigkeit
der Vorgänge durchaus bewusst beurteilen kann und die
Selbstanzeige als Instrument weiter wirkt.
Wir brauchen endlich wirksamen Schutz der ehrlichen
Steuerzahler vor kriminellen Elementen. Da helfen keine
„weichen“ Paragraphen. Allerdings müssen wir die Ent-
wicklung im Auge behalten, dasselbe gilt für die Steuer-
nummer auf der Rechnung.
Insgesamt hoffe ich, dass mit Ihrer Zustimmung die
Verbesserungen für die auszubildenden Steuerbeamten
und die Alleinerziehenden schnell in Kraft treten können.
Hansgeorg Hauser (Rednitzhembach) (CDU/CSU):
Mit der Vorlage eines Entwurfs eines 5. Gesetzes zur Än-
derung des Steuerbeamten-Ausbildungsgesetzes im Fe-
bruar 2002 schien ein routinemäßiger Ablauf einer Geset-
zesänderung seinen Anfang genommen zu haben. Die
Beratungen im Bundesrat ergaben nur geringfügige Ver-
änderungen, sodass einer Verabschiedung dieses Gesetzes
auch mit den Stimmen der CDU/CSU nichts im Wege zu
stehen schien. Regierung und Koalitionsfraktion nahmen
jedoch dieses Gesetz zum Anlass, für eine groß angelegte
Korrekturaktion in neun Steuergesetzen und zwei Durch-
führungsverordnungen. Die zum Teil erheblichen Auswir-
kungen bringen Verschlechterungen für die Wirtschaft,
während andererseits weitere dringend erforderliche Än-
derungen, die die CDU/CSU-Fraktion eingebracht hatte,
im Finanzausschuss abgelehnt wurden.
Die vorgenommenen Korrekturen zeigen, dass bei den
früheren Gesetzen in einem großen Ausmaß schludrig ge-
arbeitet wurde. Die Fantasie bei der Umschreibung des
Begriffs „Fehler“ ist allerdings beispiellos. Da ist von Klar-
stellung, Berichtigung, Sicherstellen, Anpassung, Verdeut-
lichungen und notwendigen Ergänzungen die Rede. Allein
fünfmal wird von einem redaktionellen Versehen gespro-
chen. Ein „unbeabsichtigt gestrichener Satz“ muss in ein zu
korrigierendes Gesetz wieder eingefügt werden. Besonders
blumig ist die Formulierung, die Regelung sei notwendig,
um „eine Versteinerung“ des durch dieses Gesetzes geän-
derten Teils der Gewerbesteuerdurchführungsverordnung
usw. zu vermeiden. Wenn die Koalitionsfraktionen und
die für die Abfassung der Gesetze verantwortlichen Re-
gierungsmitarbeiter die gleiche Sorgfalt und Phantasie auf
wirklich notwendige zusätzliche Gesetzesänderungen
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. April 2002 23383
(C)
(D)
(A)
(B)
verwendet hätten, wäre aus diesem Moloch von Gesetzes-
änderungen vielleicht doch noch etwas Brauchbares he-
rausgekommen. Dazu war die Regierungskoalition aber
nicht bereit.
Bei der Änderung des § 3 c Abs. 2 des Einkommen-
steuergesetzes spricht die Gesetzesbegründung von einer
redaktionellen Änderung. Allerdings hat sich bei der Dis-
kussion im Ausschuss herausgestellt, dass die vorgenom-
mene Änderung eine erneute Verschlechterung für Perso-
nengesellschaften bedeutet. Im Falle der Veräußerung von
einbringungsgeborenen Anteilen ist der Veräußerungs-
vorgang voll steuerpflichtig, wenn die Veräußerung in-
nerhalb von sieben Jahren nach dem Zeitpunkt der Ein-
bringung erfolgt. Nach der derzeitigen Fassung des § 3 c
sind die damit zusammenhängenden Betriebsvermögens-
minderungen, Betriebsausgaben und Veräußerungskosten
deshalb auch voll abzugsfähig. Nach der jetzt im Steuerbe-
amten-Ausbildungsgesetz vorgenommen Änderung sind
die damit genannten Kosten nur noch zu 50 Prozent ab-
zugsfähig. Dieses Ergebnis ist in hohem Maße system-
widrig und ungerecht. Es steht außerdem im Widerspruch
zu einer vergleichbaren Regelung im Körperschaftsteuer-
gesetz, wo Gewinne aus der Veräußerung von einbrin-
gungsgeborenen Kapitalanteilen zu 100 Prozent steuer-
pflichtig sind und die damit zusammenhängenden Kosten
voll abziehbar sind.
Auch bei einer weiteren materiellen Änderung im Ge-
setz wird nur eine halbherzige Lösung erreicht. Künftig
wird im Umsatzsteuergesetz auch eine Rechnung mit ei-
ner qualifiziert elektronischen Signatur zugelassen. Die
Behauptung, es handele sich hier um eine punktgenaue
Umsetzung einer europäischen Richtlinie trifft nur einge-
schränkt zu. Ab 1. Januar 2004 werden aufgrund der Än-
derung der 6. EG-Richtlinie elektronisch übermittelte
Rechnungen akzeptiert, die entweder durch eine „fortge-
schrittene elektronische Signatur“ oder durch „elektroni-
schen Datenaustausch“, EDI, übermittelt werden. In der
Finanzausschusssitzung hat sich darüber hinaus heraus-
gestellt, dass offenbar juristische Personen elektronische
Rechnungen nicht verwenden können. Deshalb musste
das Bundesfinanzministerium auch zugeben, dass aus
diesem Grund ein BMF-Schreiben zu erstellen ist. Ohne
die massiven Nachfragen der Union wäre diese Proble-
matik nicht bewusst geworden.
Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat drei substanzi-
elle Änderungsanträge gestellt, die leider keine Mehrheit
fanden.
Im Steuerverkürzungsbekämpfungsgesetz ist eine Re-
gelung aufgenommen worden, die in Fachkreisen einhel-
lig kritisiert und abgelehnt worden ist. Der neu eingefügte
§ 370 a Abgabenordnung über die gewerbsmäßige oder
bandenmäßige Steuerhinterziehung schießt eindeutig
über das Ziel hinaus. Unser Antrag sah vor, dass die Wör-
ter „gewerbsmäßig oder“ gestrichen werden sollten, so-
dass nur die bandenmäßige Steuerhinterziehung erwähnt
wird. Wir sind der Auffassung, dass der Tatbestand unge-
nau gefasst ist, soweit die gewerbsmäßige Steuerhinter-
ziehung mit qualifizierter Strafe bedroht ist. Nach der her-
kömmlichen Definition dieses Begriffs könnten darunter
auch Steuerpflichtige verstanden werden, die lediglich
wiederholt den Grundtatbestand der Steuerhinterziehung
verwirklicht hätten. Nicht gewollt war außerdem, dass in
den Fällen des § 370 a keine strafbefreiende Selbstanzeige
möglich ist. Da darüber hinaus völlig ungeklärt ist, wie
sich die Vorschrift des § 370 a im Hinblick auf den Tatbe-
stand der Geldwäsche bei Entgegennahme von Honoraren
durch Steuerberater oder Rechtsanwälte auswirkt, sollte
die gewerbsmäßige Begehungsform im § 370 a Abgaben-
ordnung wieder aus dem Gesetz gestrichen werden. Mit
dieser Forderung wird die CDU/CSU von der gesamten
Fachwelt unterstützt.
Offenbar ist den Regierungskoalitionsfraktionen selbst
unwohl bei der jetzigen Regelung; denn zumindest das
Bündnis 90/Die Grünen hat sich bei unserem Änderungs-
antrag der Stimme enthalten. Der Hinweis der SPD-Frak-
tion, dass sich die Problematik hinsichtlich des weiten
Begriffs „Gewerbsmäßigkeit“ durch eine gemeinsame
Vereinbarung mit den Ländern lösen lassen könne, ent-
larvt die Taktik der SPD in der Steuerpolitik: Zunächst
neuartige Vorschriften ausprobieren, man wird dann
schon sehen, wie die Praxis damit zurechtkommt. Von
Rechtssicherheit wollen die Genossen offenbar nicht wis-
sen!
Ein weiterer Antrag der Union betrifft die ersatzlose
Streichung der in § 14 Abs. 1 a Umsatzsteuergesetz vor-
gesehenen Nennung der Steuernummer. Wir halten die
gesetzliche Verpflichtung ab 1. Juli 2002 auf jeder Rech-
nung die persönliche Steuernummer anzugeben, für einen
überflüssigen nationalen Alleingang. Denn ab dem 1. Ja-
nuar 2004 ist durch die Änderung der 6. EG-Richtlinie
zwingend auf jeder Rechnung die Umsatzsteueridentifi-
kationsnummer anzugeben. Es ist den Unternehmen nicht
zuzumuten, in doppelter Weise Umstellungskosten bei
Rechnungsformularen zu bezahlen. Durch die Bekannt-
gabe der persönlichen Steuernummer auf jeder Rechnung
könnte auch die bisher übliche Praxis, dass telefonische
Auskünfte bei der Finanzbehörde unter Angabe der Steu-
ernummer eingeholt werden können, in Gefahr geraten.
Es ist zu befürchten, dass künftig telefonische Auskünfte
wegen der Einhaltung des Steuergeheimnisses nicht mehr
oder nur noch in einem geringen Umfang möglich sind.
Damit wäre eine vertrauensvolle Zusammenarbeit zwi-
schen Finanzämtern und Steuerpflichtigen beziehungs-
weise deren Steuerberatern nicht mehr gewährleistet.
Schließlich hat die CDU/CSU-Bundestagsfraktion die
Absenkung der Gewerbesteuerumlage gefordert. Der Re-
gierung ist seit geraumer Zeit bekannt, dass die finanzielle
Lage der Kommunen äußerst angespannt ist. Die stark
rückläufigen Einnahmen bei der Gewerbesteuer resultie-
ren zum einen aus der schwachen Konjunktur, aber auch
durch die Belastungen aus zahlreichen rot-grünen Steuer-
gesetzen. Die Gewerbesteuereinnahmen brachen in 2001
durchschnittlich um 12 Prozent ein. Die gravierenden Fol-
gen schlechter rot-grüner Wirtschafts- und Steuerpolitik
werden immer deutlicher. Deshalb wäre es dringend ge-
boten, in dem vermutlich letzten Steuergesetz dieser Le-
gislaturperiode, die Gewerbesteuerumlage, die die Ge-
meinden an Bund und Länder zu entrichten haben, zu
ändern und wieder auf das Niveau vor der Unternehmen-
steuerreform zurückzufahren. Durch die Unternehmen-
steuerreform wurde seinerzeit die Gewerbesteuerumlage
stufenweise erhöht, um die Gemeinden angemessen an
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. April 200223384
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(D)
(A)
(B)
der Finanzierung der Unternehmensteuerreform zu betei-
ligen. Mittlerweile hat sich herausgestellt, dass die für die
Gemeinden noch im damaligen Gesetzgebungsverfahren
prognostizierten Mehreinnahmen nicht eingetreten sind.
Außerdem ist mit dem Verzicht auf die Anpassung der
Branchenabschreibungstabellen eine der versprochenen
Gegenfinanzierungsmaßnahmen der Unternehmensteuer-
reform weggefallen. Damit ist die Geschäftsgrundlage für
die Anhebung der Gewerbesteuerumlage entfallen. Im
Übrigen war auch das vorgesehene Finanzierungsinstru-
ment völlig falsch gewählt. Die für das Steuerbeamten-
Ausbildungsgesetz durchgeführte öffentliche Anhörung
hat deutlich gemacht, dass die Absenkung der Gewerbe-
steuerumlage den Kommunen wieder Luft verschaffen
würde. Die Kommunen hätten dadurch jährliche Mehr-
einnahmen in Höhe von circa 2,3 Milliarden Euro. Leider
wurde dieser Antrag abgelehnt. Dies zeigt, dass die Ko-
alitionsfraktionen SPD und Bündnis 90/Die Grünen, ent-
gegen den lautstarken Äußerungen in der Öffentlichkeit,
offensichtlich an einer finanziellen Stärkung der Kommu-
nen nicht interessiert sind. Im Finanzausschuss haben sie
es nicht einmal für nötig gefunden, darüber eine tiefer ge-
hende Diskussion zu führen.
Wie eingangs ausgeführt, hätten wir dem Steuerbeam-
ten-Ausbildungsgesetz in seiner ursprünglichen Form zu-
gestimmt. Durch die Anhäufung von Änderungen, die mit
ihren gravierenden materiellen Auswirkungen weitere
Verschlechterungen für die Wirtschaft bringen, ist eine
Zustimmung jedoch unmöglich gemacht, sodass wir die-
ses Gesetz ablehnen.
Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):Mit
dem Fünften Gesetz zur Änderung des Steuerbeamten-
Ausbildungsgesetzes werden die Inhalte und Abläufe der
Aus- und Fortbildung der Steuerbeamten der Länder den
modernen Erfordernissen einer effizienten, dienstleis-
tungs- und bürgerorganisierten Verwaltung angepasst.
Die Vorschriften des Bundes werden mit den dienstrecht-
lichen Regelungen der Länder harmonisiert.
Daneben werden eine Reihe von anderen Gesetzesän-
derungen zu anderen Themen vorgenommen. Im Mittel-
punkt des öffentlichen Interesses steht die Gesetzesände-
rung in der Familienförderung, die alle Alleinerziehenden
in die Abschmelzungsregelung beim Haushaltsfreibetrag
einbezieht. Bislang kommen die so genannten echten und
unechten Neufälle nach dem Zweiten Familienförde-
rungsgesetz gar nicht mehr in den Genuss der Steuerent-
lastung durch den Haushaltsfreibetrag. Damit wird die
stufenweise Abschmelzung des Haushaltsfreibetrags auf
2 340 Euro zum 1. Januar 2002 und die weitere Absen-
kung auf 1 188 Euro ab 1. Januar 2003 und auf null Euro
ab 2005 im Sinne der Gleichbehandlung auf alle Allein-
erziehenden angewandt. Die Steuerklasse II existiert da-
mit bis einschließlich 2004 weiter.
Das Bundesverfassungsgerichtsurteil aus dem Jahre
1998 erzwingt den Abbau des Haushaltsfreibetrages. In-
folgedessen kommt es insbesondere in den Jahren 2003
und 2005 für Alleinerziehende zu finanziellen Belastun-
gen. Bündnis 90/Die Grünen fordert deshalb seit langem
eine gezielte Kompensation für diese finanziellen Nach-
teile. Wir wollen grundsätzlich, dass die erwerbsbeding-
ten Kinderbetreuungskosten vom ersten Euro an steuer-
lich abzugsfähig werden. Mit dieser Förderung soll ein
Beitrag dafür geleistet werden, die Vereinbarkeit von Be-
rufstätigkeit und Familienaufgaben besser vereinbaren zu
können. Die Förderung würde alle berufstätigen Eltern
begünstigen – nicht nur die Alleinerziehenden – und ist
deshalb verfassungsgemäß.
Aus finanzpolitischen Gründen haben wir bereits im
letzten Jahr eine Stufenlösung erarbeitet, die im Ergebnis
zur vollen Absetzbarkeit der erwerbsbedingten Betreu-
ungskosten führt und nicht wie bislang erst oberhalb des
allgemeinen Betreuungsfreibetrages von 1 548 Euro.
Diese Regelung ist sozial unausgewogen im Hinblick auf
das politische Ziel, die Vereinbarkeit von Beruf und Fa-
milie zu erleichtern.
In vielen Bundesländern fehlen Kinderbetreuungsein-
richtungen und Ganztagsschulplätze für Kinder zwischen
0 und 14 Jahren. Deshalb wollen wir ein bedarfsorientier-
tes sowie flächendeckendes Betreuungsangebot in der
nächsten Wahlperiode auf den Weg bringen. Unseres Er-
achtens muss im Rahmen der Gemeindefinanzreform die
Finanzierungsfrage für diesen Infrastrukturaufbau zwi-
schen Bund, Ländern und Gemeinden mit geklärt werden.
Eine Größenordnung von 5 Milliarden Euro lässt sich
nicht aus dem Ärmel schütteln, sondern bedarf eines se-
riösen Finanzierungskonzepts.
Für besonders dringlich halten wir die Realisierung un-
seres Kindergrundsicherungskonzepts. Kinderarmut in ei-
ner reichen Gesellschaft ist ein Skandal. Wir wollen zielge-
nau Kinder aus einkommensschwachen Familien fördern.
Für diese Familien soll es einen Kindergeldzuschlag von bis
zu 100 Euro pro Monat geben. Über 4 Millionen Kinder
würden von dieser Kindergrundsicherung erreicht und aus
dem Sozialhilfestatus herausgeholt.
Die Finanzierung dieser Kindergrundsicherung soll
mithilfe einer Modernisierung des Ehegattensplittings er-
folgen. So soll bei unterschiedlich hohen Einkommen
beider Ehegatten ein Teil des Einkommens des einen Ehe-
gatten, nämlich bis zu rund 20 000 Euro, auf den anderen
Ehegatten übertragbar sein. Gleichzeitig soll die Geltend-
machung von Sonderausgaben weiterhin gemeinsam er-
folgen; das betrifft vor allem die Vorsorgeaufwendungen.
Mit dieser Regelung werden Schlechterstellungen bei Al-
leinverdienerehen mit einem Einkommen von bis zu rund
45 000 Euro pro Jahr vermieden. Die hierdurch erzielten
Steuermehreinnahmen wollen wir für die Förderung von
Familien mit Kindern in prekären Einkommensverhält-
nissen verwenden.
Außer dieser zielgenauen Armutsbekämpfung verfol-
gen wir weiter unser Ziel eines einheitlichen Kindergeldes.
Das Kindergeld soll stufenweise von derzeit 154 Euro
auf 200 Euro pro Monat und Kind steigen. Es soll in der
mittelfristigen Perspektive genau so hoch werden, wie die
finanzielle Entlastung eines Spitzenverdieners durch den
Kinderfreibetrag im Jahre 2005 infolge der dritten Stufe
der Steuerreform sein wird. Wir meinen, dass jedes Kind
dem Staat gleich viel wert sein muss.
Carl-Ludwig Thiele (FDP):Mit diesem Gesetzesent-
wurf wird anders als der Titel erwarten lässt, nicht mehr
das Steuerbeamten-Ausbildungsgesetz geändert, sondern
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. April 2002 23385
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(B)
die rot-grüne Flickschusterei und Chaotisierung des Steu-
errechtes erreicht einen neuen Höhepunkt. Mit diesem
Gesetz sollen elf Steuergesetze geändert werden. Es ist
schon makaber, wenn die Regierung diese notwendigen
Änderungen damit begründet, dass es sich lediglich um
„redaktionelle Änderungen und Korrekturen, sowie Klar-
stellungen im letzten Jahr beschlossener Regelungen“
handeln würde.
Rot-Grün war einmal angetreten, das Steuerrecht zu
vereinfachen. Das Gegenteil ist zwischenzeitlich einge-
treten. Noch nie sind in einer Legislaturperiode so viele
Steuergesetze vom Bundestag verabschiedet worden. Die
Abstände der Gesetze und der Korrekturbedarf werden
zudem immer kürzer. Dieses ist eine ungeheure Verant-
wortungslosigkeit, auch gegenüber den Menschen, die
sich mit der Materie der Steuern zu beschäftigen haben.
Jedes Steuergesetz, was Rot-Grün einbringt, wird regel-
mäßig im Zuge des Verfahrens vom Finanzministerium
dazu genutzt, neue verschärfende Regelungen zulasten
der Steuerpflichtigen einzuführen. Die rot-grünen Abge-
ordneten sind hierbei unter dem Vorsitz von Frau Scheel
im Finanzausschuss willfährige Diener der Finanzverwal-
tung. Von Eigenständigkeit oder auch dem Anspruch, als
Abgeordnete Politik gestalten zu wollen, hat Rot-Grün
sich längst entfernt.
Die Steuerpolitik der Koalition war und ist handwerk-
lich miserabel, woran diese Korrekturen nichts ändern.
Sie hätten aber wenigstens einen gravierenden Fehler än-
dern müssen: In Ihrem Aktionismus unter dem Deckman-
tel der Terrorismusbekämpfung haben Sie eine Unzahl
kleiner Steuersünder zu Verbrechern gemacht. Wer zum
Beispiel wiederholt seinen Weg zur Arbeit für das Fi-
nanzamt falsch und länger angibt oder auch Zinsen nicht
angibt, wird nunmehr als Verbrecher behandelt und muss
mit einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr rech-
nen. Auch die Möglichkeit einer strafbefreienden Selbst-
anzeige, einer Einstellung des Verfahrens und Ähnlichem
ist nicht gegeben.
Für die FDP ist es unstreitig, dass Steuerhinterziehung
strafbar ist, strafbar bleiben muss und verfolgt werden
muss. Daran gibt es nichts zu deuteln. Rot-Grün hat hier je-
doch maßlos und in absurder Weise überzogen. Die FDP
wird diese Regelung nach der Bundestagswahl korrigieren.
Ferner ist es absurd, dass mit Wirkung ab dem 1. Juli
2002 jeder Unternehmer auf jeder Rechnung seine Steuer-
nummer anzugeben hat. Aufgrund einer europäischen
Richtlinie hat jeder Unternehmer ab dem 1. Januar 2004
auf jeder Rechnung die Umsatzsteuer-Identifikationsnum-
mer anzugeben. Deshalb ist die Verpflichtung zur Angabe
der Steuernummer auf der Rechnung überflüssig. Zudem
ist in der Anhörung gerade seitens der Finanzverwaltung
vorgetragen worden, dass die Angabe der Steuernummer
die vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Finanzamt
und Steuerpflichtigen, beziehungsweise deren Steuerbera-
ter, gefährdet, weil es bisher teilweise übliche Praxis sei,
dass der Steuerpflichtige unter Angabe seiner Steuernum-
mer telefonische Auskünfte vom Finanzamt erhalte. Hier-
von müsste zukünftig abgesehen werden, da die Steuer-
nummer des Steuerpflichtigen durch diese Regelung
jedem Kunden und damit nahezu jedermann bekannt sei.
Die FDP reicht Rot-Grün bei dieser weiter gehenden
Chaotisierung und Flickschusterei der Steuergesetzgebung
nicht die Hand. Deshalb lehnt die FDP dieses Gesetz ab.
Heidemarie Ehlert (PDS): Das Anliegen des vorlie-
genden Gesetzentwurfs ist, soweit es um die Ausbildung
von Steuerbeamten geht, zu begrüßen. Allerdings liegen
die Tücken im Detail.
Gut ist, dass künftig Absolventen der Ausbildung zum
mittleren Dienst den Titel Finanzwirt erhalten. Mit dieser
Berufsbezeichnung ist bei Nichtübernahme in den öffent-
lichen Dienst – was ja gerade angesichts der Sparmaß-
nahmen nicht mehr ungewöhnlich ist – auch die Arbeit-
suche erleichtert.
Für außerordentlich problematisch halte ich die Festle-
gung, dass der Aufstieg von Beamten des einfachen und
des mittleren Dienstes in die nächsthöhere Laufbahn
künftig auf Länderebene geregelt werden soll. Ein Auf-
stieg ist dann nur möglich, wenn die Länderkassen gefüllt
sind. Angesichts der gegenwärtigen Finanzsituation in ei-
ner ganzen Reihe von Ländern, die durchaus nicht nur
hausgemacht ist, wird es in reichen Ländern leichter sein,
aufzusteigen, als in armen Ländern. Und das, obwohl die
Arbeitsaufgaben die gleichen sind.
Als kontraproduktiv empfinde ich die Regelung, dass
im gehobenen Dienst in der Finanzverwaltung der Quer-
einstieg ermöglicht werden soll. Die Anforderungen an
die Finanzverwaltungen sind in den vergangenen Jahren
aufgrund der fortlaufenden Veränderungen in der Steuer-
gesetzgebung gewachsen. Anliegen des Gesetzes ist die
Verbesserung der Ausbildung künftiger Steuerbeamter,
damit sie erfolgreich in den Dienst einsteigen können.
Aber nun auf einmal soll Beamten ohne eine entspre-
chende Ausbildung der Einstieg ermöglicht werden. Der
Hintergrund ist mir schon bewusst. Durch die Änderung
des Versorgungsgesetzes soll ein Beamter, der vorzeitig
aus welchen Gründen auch immer in den Ruhestand ver-
setzt wurde, wieder zurück in den öffentlichen Dienst.
Wenn es für andere Aufgaben nicht reichen sollte, kann er
dann immer noch in die Finanzverwaltung. Ich frage Sie:
Wozu sollen die jungen Leute eigentlich dann drei Monate
länger oder überhaupt studieren?
Soweit zur Ausbildung der künftiger Steuerbeamten.
Aber diesem Gesetzentwurf erging es ähnlich wie ei-
ner ganzen Reihe von Gesetzen, die in den letzten Mona-
ten eine erstaunliche Metamorphose erlebten. An ein Ge-
setz, in dem es um die Ausbildung von Steuerbeamten
gehen sollte, wurde die Änderung von zehn weiteren Ge-
setzen sowie der Gewerbesteuer-Durchführungsverord-
nung und der Abgabenordnung angehängt. Diese 35 Än-
derungen – ich betone: 35 – haben mit dem eigentlichen
Gesetzentwurf nichts, aber auch gar nichts zu tun. Sie sind
das Zeichen für eine unseriöse Arbeit der Regierung.
Die jüngsten Steueränderungsgesetze wurden mit der
heißen Nadel gestrickt. Das gilt für die Berichtigung feh-
lerhafter Verweise oder redaktioneller Versehen, vor al-
lem aber für inhaltliche Korrekturen. Die Steuergesetzge-
bung unter Rot-Grün ist chaotisch und entspricht nicht
mehr dem verfassungsrechtlichen Gebot, dass Gesetze
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. April 200223386
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(B)
einfach und für den Einzelnen überschaubar ausgestaltet
sein müssen.
Aber auch die nun vorgesehenen Änderungen sind
nicht unbedingt ein Lichtblick. Lassen sie mich ein Bei-
spiel nennen: die Problematik der elektronischen Signa-
tur. Die Angleichung an die EU-Richtlinie ist notwendig,
auch um den Umsatzsteuerbetrug wirksam zu bekämpfen.
Unredlich aber ist es, dass kein Wort zu den daraus ent-
stehenden Kosten gesagt wird. Und diese werden nicht
unerheblich sein. Ich nehme an, diese werden wie üblich
bei den Verbrauchern landen.
Eine Änderung des Einkommensteuergesetzes, die im
Gesetzentwurf formuliert ist, begrüßen wir ausdrücklich:
die Gewährung des Haushaltsfreibetrages für alle Allein-
erziehenden bis zum Jahr 2005. Hier hat unser Druck im
Parlament eine Änderung zugunsten zahlreicher Allein-
erziehender herbeigeführt. Leider spät, denn das Problem
ist schon lange bekannt. Aber besser als gar nicht.
Die Formulierung in § 32 Abs. 7 Satz 6 des Einkom-
mensteuergesetzes, wonach bereits ab Januar Alleinerzie-
hende, die den Haushaltsfreibetrag noch nicht im vergan-
genen Jahr geltend machen konnten, diesen nicht mehr
erhielten, ist nun gestrichen. Vier Monate benötigten Sie
dazu. Klar ist aber noch nicht, wie schnell die betroffenen
Alleinerziehenden zu ihren zu viel gezahlten Steuern
kommen: ob im nächsten Monat eine entsprechende Än-
derung der Steuerklasse und eine Rückerstattung erfolgt
oder ob sie auf die Einkommensteuererklärung am Ende
des Jahres warten müssen.
Spannend ist die Frage, wie das Problem nun bis 2005
gelöst wird. Wir würden gern den Bundeskanzler mit sei-
nen jüngsten Äußerungen beim Wort nehmen: Trauen sie
sich, schaffen sie das Ehegattensplitting ab!
Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretär beim
Bundesminister der Finanzen:Der vorgelegte Entwurf ei-
nes Fünften Gesetzes zur Änderung des Steuerbeam-
ten-Ausbildungsgesetzes und zur Änderung von Steuerge-
setzen soll die bewährte Aus- und Fortbildung der
Steuerbeamten der Länder an gewandelte Anforderungen
anpassen, denen sie angesichts stetiger Veränderungen in
Staat und Gesellschaft Rechnung tragen müssen. Beispiel-
haft seien die Reformbestrebungen zur Realisierung einer
effizienten und bürgerorientierten Verwaltung genannt. Zu
berücksichtigen sind aber auch die Globalisierung der
Wirtschaft und die Entwicklung neuer Informations- und
Kommunikationstechnologien. Die Ausbildung legt hier-
bei die entscheidende Grundlage: Sie ermöglicht dem
Steuerbeamten, sich dieses vom Wandel und einer lebens-
langen Weiterbildung geprägten beruflichen Alltags stel-
len zu können.
Durch den Gesetzentwurf wird in allen Laufbahnen
neben der Fachkompetenz vermehrt Raum für die Ver-
mittlung methodischer und sozialer Kompetenzen ge-
schaffen. Die Änderungen betreffen im Wesentlichen die
Laufbahn des gehobenen Dienstes. Hier wird den geän-
derten Ausbildungsinhalten durch eine Verlängerung der
Fachstudien von bisher 18 auf 21 Monate Rechnung ge-
tragen. Dies erfolgt ohne Verlängerung der Gesamtdauer
des dreijährigen Fachhochschulstudiums. Die dadurch
geschaffenen Freiräume werden für die neuen theoreti-
schen Anforderungen an das Studium benötigt. Im Übri-
gen erfolgt eine Harmonisierung mit landesrechtlichen
Vorschriften für die Teilzeitbeschäftigung und den Auf-
stieg von Beamtinnen und Beamten.
Der Bundesrat hat in seiner Stellungnahme zwei Ände-
rungsvorschläge gemacht. Der erste Vorschlag betrifft den
Laufbahnwechsel aus anderen Laufbahnen in die Lauf-
bahn der Steuerbeamten. Dem Anliegen, einen solchen
Laufbahnwechsel zu ermöglichen, wird grundsätzlich zu-
gestimmt. Vor einer endgültigen Gesetzesänderung und
der damit untrennbar verbundenen Änderung der Ausbil-
dungs- und Prüfungsordnung für die Steuerbeamten bedarf
es aber noch einer Abstimmung mit den obersten
Finanzbehörden der Länder. Daher wurde dieser Antrag
zurückgestellt. Er wird, sobald eine zwischen Bund und
Ländern abgestimmte Fassung vorliegt, weiter verfolgt.
Der zweite Vorschlag empfiehlt, § 6 – die Vorschrift
über den Aufstieg in höhere Laufbahnen – zu ergänzen.
Durch diesen Vorschlag, bei dem es sich im Prinzip le-
diglich um eine Neuformulierung handelt, wird klarge-
stellt, dass die Steuerbeamten mit den Beamten anderer
Laufbahnen gleich behandelt werden sollen.
Darüber hinaus wurde die Vorschrift über das
In-Kraft-Treten dieses Gesetzes modifiziert. Hierdurch
soll sichergestellt werden, dass auch bei möglichen Ver-
zögerungen im Gesetzgebungsverfahren die Bundeslän-
der, die schon zum 1. Juli 2002 neue Anwärter einstellen,
dies nach neuem Recht tun können.
Insgesamt wird durch die Anpassung des Gesetzes die
Steuerbeamtenausbildung modernisiert und zukunftswei-
send ausgestaltet. Bund und Länder sind sich einig, das
bewährte verwaltungsinterne duale System dieser Ausbil-
dung in Form von enger Verzahnung von Fachtheorie und
Fachpraxis beizubehalten. Nur so wird das allseits
anerkannte hohe Leistungsniveau der Steuerverwaltung
zu halten sein.
Daneben enthält der Gesetzentwurf steuerliche Verbes-
serungen für Alleinerziehende. Er sieht vor, alle Alleiner-
ziehenden in die Abschmelzregelung für den Haushaltsfrei-
betrag ab 2002 einzubeziehen. Nach dem Zweiten Gesetz
zur Familienförderung wird damit ein weiterer großer
Schritt zugunsten von Familien getan. Die Neuregelung
trägt den Besorgnissen der Alleinerziehenden vor einer
steuerlichen Schlechterstellung Rechnung. Die Regierung
setzt damit einen weiteren Meilenstein bei der besseren
Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Daneben werdenAl-
leinerziehende durch die steuerliche Absetzbarkeit von er-
werbsbedingten Betreuungskosten sowie die Anhebung
des Kindergeldes massiv entlastet. Das sind die Elemente
einer Politik für Familien; die wir auch nach der Wahl
fortsetzen werden.
Darüber hinaus enthält der Gesetzentwurf mit den Län-
dern abgestimmte Klarstellungen im Investitionszulagen-
gesetz 1999 und Erleichterungen bei der Anerkennung
elektronischer Rechnungen im Vorgriff auf die Umsetzung
einer EU-Richtlinie vom 20. Dezember 2001. Dadurch
wird eine elektronische Rechnung bei der Umsatzsteuer
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. April 2002 23387
(C)
(D)
(A)
(B)
bereits dann anerkannt, wenn sie mit einer qualifizierten
elektronischen Signatur nach dem Signaturgesetz ver-
sehen ist. Eine Anbieterakkreditierung ist dann nicht mehr
zwingend erforderlich. Die Anforderungen an die elektro-
nische Abrechnung werden damit wirtschaftsfreundlich an
europäisches Recht angepasst.
Anlage 12
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur
Änderung des Umweltauditgesetzes (Tagesord-
nungspunkt 30)
Petra Bierwirth (SPD):Mitte der 90er-Jahre wurde
im Bereich des Umweltmanagements in Unternehmen ein
neuer Weg beschritten. Die europäische Ökoaudit-Ver-
ordnung trat in Kraft. Statt staatlichem Zwang stehen Ko-
operation, Eigenverantwortung, freiwillige Initiative der
Betriebe in Zukunft im Vordergrund.
Für die Unternehmen hat sich hier eine neue Tür geöff-
net, bewusst und verantwortungsvoll mit der Umwelt um-
zugehen und dieses auch vor der breiten Öffentlichkeit be-
kannt zu machen. Vor allem angesichts des zunehmenden
Umweltbewusstseins der Bevölkerung ist dies ein nicht
zu unterschätzender Wettbewerbsvorteil. Eine Vielzahl
von Unternehmen betrachtet zudem diese Investition in
den Umweltschutz als normale Investition mit folgenden
Rationalisierungs- und Qualitätssteigerungseffekten.
So hat sich in vielen gewerblichen Unternehmen das
Ökoaudit etabliert. Im europäischen Vergleich liegt die
Zahl der in Deutschland registrierten Standorte mit fast
2 700 Unternehmen sehr hoch. In der gesamten Europä-
ischen Union sind es im Oktober 2001 etwas mehr als
3 000 Unternehmen gewesen, die sich nach EMAS zerti-
fiziert haben.
Gleichwohl muss man zur Kenntnis nehmen, dass die
Zahl der Unternehmen, die sich am System des Umwelt-
audit beteiligen, stagniert, wohingegen die Beteiligung an
dem internationalen Zertifizierungssystem ISO 14001 zu-
nimmt.
Aus meiner Sicht bietet zum einen die im Rahmen
der/des IVU/UVP geschaffene Möglichkeit einer Privile-
gierungsverordnung, die bereits auf einem guten Weg ist,
und zum anderen die Umsetzung der EMAS-II-Verord-
nung Chancen, den Kreis der Teilnehmer zu erweitern.
Ich begrüße es sehr, dass nunmehr durch die Ein-
führung eines Logos für zertifizierte Unternehmen die
Möglichkeit besteht, sichtbar mit ihrem Engagement für
die Umwelt zu werben. Nach Einschätzungen der Spit-
zenverbände der deutschen Wirtschaft liegt hier auch ein
großes Interesse bei den Unternehmen vor. Das Logo
wurde im Übrigen auf wesentliche Initiative des EU-Mit-
gliedslandes Deutschland geschaffen.
Zukünftig können sich nun endlich auch alle Organisa-
tionen an diesem freiwilligen System beteiligen. Bisher
war es nach EMAS I nur für Gewerbe und Industrie mög-
lich. Nun können beispielsweise auch Schulen, landwirt-
schaftliche Betriebe oder Behörden am Umweltauditsys-
tem teilnehmen.
Ich halte dies für einen großen Fortschritt und begrüße
es sehr, dass das Umweltbundesamt im vergangenen De-
zember als erste Bundesbehörde seine Umwelterklärung
vorgelegt hat. Ich habe die Hoffnung, dass weitere Bun-
desbehörden zügig folgen werden.
Eine wichtige Neuregelung gerade vor dem Hinter-
grund der neusten Zahlen über die Beteiligung am euro-
päischen Umweltauditsystem ist die Angleichung der
Systemanforderungen von EMAS II und der ISO 14001.
Unternehmen können so auf einfache Art und Weise über
ISO 14001 in EMAS II einsteigen.
Aus Umweltsicht besonders wichtig ist, dass die An-
forderungen an die Einhaltung der Rechtsvorschriften als
Voraussetzung der Eintragung in das EMAS-Register ge-
stärkt wird. Dieses gilt selbstverständlich auch für die
Aufrechterhaltung der Eintragung. Die externe Kommu-
nikation und die Motivation und Einbeziehung der Mitar-
beiter werden mit der neuen EMAS-Verordnung gestärkt.
Gerade die verstärkte Einbeziehung von Mitarbeitern ei-
nes Unternehmens in die Planung von betrieblichen Um-
weltschutzmaßnahmen erhöht deren Indentifizierung mit
dem Unternehmen selbst. Ein Ergebnis sind Produkti-
vitätssteigerungen und Kosteneinsparungen.
Umweltmanagement und Umweltaudit sind hervorra-
gende Instrumente, um mehr Umweltschutz mit mehr Ei-
geninitiative und mit mehr Wirtschaftlichkeit zu verbin-
den. Ordnungsrecht und deregulierende Maßnahmen
durch vorgesehene Erleichterungen im Genehmigungs-
verfahren stehen hier nicht im Widerspruch zueinander.
Sie ergänzen sich. Eine Voraussetzung, dass dies so bleibt,
ist, dass alle Unternehmen bzw. Organisationen, Umwelt-
gutachter, Behörden und Politik sich gemeinsam dafür
einsetzen. Das EG-Umweltaudit bietet große Chancen.
Wir müssen sie nutzen.
Bernward Müller (Jena) (CDU/CSU): 1995 betraten
wir mit der Einführung des Ökoaudits in Deutschland
Neuland. Neu war der Ansatz, Unternehmen zum freiwil-
ligen Mitmachen zu bewegen, statt ihnen Vorschriften zu
machen. Neu war die Einbeziehung der wirtschaftlichen
Selbstverwaltung in die Registrierung. Neu war auch der
Umweltguterachterausschuss, ein weisungsunabhängiges
Beratungsgremium, das alle am Umweltaudit interessier-
ten gesellschaftlichen Kräfte einbindet. Damit waren und
sind wir im europäischen Vergleich einzigartig.
Heute geht es um die Anpassung unseres deutschen
Umweltauditgesetzes an neue Vorgaben der EU. Und
diese Anpassung ist dringend notwendig. Entsprechend
der neuen EU-Richtlinie – EMAS II – sieht der heute zur
Debatte stehende Gesetzentwurf einige wichtige Ände-
rungen vor. Gestatten Sie mir, dass ich diese noch einmal
kurz zusammenfasse, zum einen, damit wir wissen, wo-
rüber wir reden, und zum anderen, damit Sie wissen,
warum wir von der CDU/CSU-Fraktion diesem Entwurf
zustimmen, obwohl es auch in diesem Bereich der rot-
grünen Umweltpolitik viel zu kritisieren gibt.
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. April 200223388
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Kernpunkte des vorliegenden Gesetzentwurfs sind die
Ausweitung des Teilnehmerkreises, der Übergang von der
standortbezogenen zur organisationsbezogenen Regis-
trierung, die Integration von Regelungen der ISO-Norm
14001 und die Schaffung von Rechtsgrundlagen für die
Zulassung von Umweltgutachtern und Umweltgutachter-
Organisationen. Ich nenne nur die Stichworte: Regelun-
gen zum Prüfungsstoff, Regelaufsicht der Gutachter alle
zwei statt drei Jahre, Witnessaudit alle sechs Jahre statt
wie bisher alle drei Jahre.
Zunächst sind dies eine ganze Reihe sinnvoller
Änderungen. Ich möchte noch einmal ausdrücklich beto-
nen, dass die CDU/CSU-Bundestagsfraktion den vorlie-
genden Gesetzentwurf begrüßt. Das Gesetz weist
grundsätzlich in die richtige Richtung. Besonders wichtig
erscheint uns die Öffnung des Umweltaudits für die nicht
gewerbliche Wirtschaft und die Zusammenführung der er-
folgreichen ISO-Norm 14001 und EMAS. Doch reicht
das aus? Geht das weit genug?
Halten wir uns noch einmal das Ziel – unser gemein-
sames Ziel – vor Augen:
Möglichst viele Unternehmen sollen sich am Ökoaudit
beteiligen, die Attraktivität dieses freiwilligen Umwelt-
managements soll gestärkt, seine Effizienz erhöht werden.
Das alles sind Ziele, die wir fraktionsübergreifend ge-
meinsam verfolgen. Dazu reichen die im Gesetzentwurf
vorgeschlagenen Regelungen allein aber nicht aus. Es
bedarf noch weitaus mehr als das, was jetzt als Minimal-
paket in diesem Gesetzentwurf steckt.
Lassen Sie mich zur Verdeutlichung einen Blick auf die
derzeitige Situation des Management-Systems werfen:
Zum 31. März dieses Jahres gab es nach Auskunft des
zentralen EMAS-Registers – DIHK – insgesamt 2 560 am
Ökoaudit beteiligte Unternehmen in Deutschland. – Wenn
Sie mir diese Nebenbemerkung gestatten wollen. – Dies ist
ein Ergebnis, das zu einem großen Teil bis 1998 unter der
CDU/CSU geführten Bundesregierung erreicht wurde.
Damit sind wir derzeit noch führend in Europa; das ist
– wenn Sie mir eine weitere Anmerkung erlauben – we-
nigstens ein Bereich, in dem wir seit Antritt der rot-grü-
nen Regierung noch nicht die rote Laterne tragen. Doch
haben wir in Deutschland nun wahrlich keinen Grund, uns
selbst auf die Schulter zu klopfen. Von den beiden Unter-
nehmen, die 1995 als erste zertifiziert wurden, nimmt
heute nur noch eines am Umweltaudit teil. Hätten wir alle
Unternehmen bei der Stange gehalten, wären es heute
weit mehr als 3 000 Teilnehmer. Inzwischen reichen die
monatlichen Neuregistrierungen jedoch nicht mehr aus,
um die Streichungen zu kompensieren.
Und die Aussichten sind noch schlechter: Denn wenn
die zurzeit noch aktiven Förderprogramme in den neuen
Bundesländern auslaufen, wird auch der dort erfreulich
hohe Zulauf zum Umweltmanagementsystem geringer
ausfallen: Gleichzeitig müssen wir mit weiteren Strei-
chungen von Unternehmen aus unserer Teilnehmerliste
rechnen. So zeichnet sich heute ein dramatisches Absin-
ken der Zahl auditierter Unternehmen ab: einerseits durch
Verluste bei den bislang teilnehmenden Betrieben, ande-
rerseits durch mangelnden Neuzufluss. Schon bald wird,
wenn wir jetzt nicht handeln, das Ökoaudit in Deutsch-
land nur noch eine Episode der Umweltgeschichte sein.
Der Auftrag an uns als Politiker ist klar: Die Attrak-
tivität der Teilnahme muss gesteigert werden. EMAS
muss einen angemessenen Platz im großen Instrumenten-
kasten des Umweltrechts erhalten. Schon 1995 erkannte
der Deutsche Bundestag in einer Entschließung dem Öko-
audit ein erhebliches Deregulierungspotenzial zu. Die
Frage ist: Wo kann der Staat seine Kontrolldichte zu-
rückfahren? Ich verspreche gerade den Genossen von
PDS und SPD, die immer betont kritisch auf die Eigenver-
antwortlichkeit der Unternehmen blicken, ich verspreche
Ihnen, es ist möglich.
Es hat sich doch deutlich gezeigt: EMAS ist nur im
Bündnis von Wirtschaft und Staat erfolgreich. Der Beitrag
der Wirtschaft ist dabei die freiwillige Teilnahme am Um-
weltaudit. Der Beitrag des Staates ist die Gewährung von
Vollzugserleichterungen. Vergleicht man die Zahl der
EMAS-Teilnehmer in den Bundesländern, lässt sich nach-
weisen: Wo Staat und Wirtschaft kooperieren, erhöht sich
die Stabilität der EMAS-Teilnahmen.
Auf Länderebene sprechen die Zahlen für sich: Es gibt
eine auffällige Korrelation zwischen der Bereitschaft der
Länder, sich auf ein solches Bündnis mit entsprechenden
Privilegierungen einzulassen, und dem Engagement der
Unternehmerschaft in Sachen EMAS.
Der Freistaat Bayern hat beispielsweise im letzten Jahr
eine besonders interessante Regelung für EMAS-Unter-
nehmen erlassen. Diese erhalten in emissionsschutzrecht-
lichen Genehmigungsverfahren eine Gebührenermäßi-
gung von 30 Prozent. Begründet wird diese Ermäßigung
mit der Annahme, dass auditierte Unternehmen bessere
und deshalb einfacher und schneller zu überprüfende An-
tragsunterlagen einreichen. Bayern besaß im letzten Mo-
nat mit 21,7 Prozent bundesweit die höchste Beteiligung
von Organisationen. Auf Platz zwei finden wir das Land
Baden-Württemberg mit 14,5 Prozent.
Auch in den neuen Bundesländern findet sich eine
erfreuliche Bereitschaft, sich an dem Ökoaudit zu beteili-
gen. Wir in Thüringen konnten zum Beispiel die Zahl der
teilnehmenden Unternehmen von 1999 bis heute verdop-
peln, und zwar von 76 auf 151. Fraglich ist allerdings, was
wird, wenn die in den neuen Bundesländern laufenden
Förderprogramme enden. Fraglich ist auch, ob für die
kleinen mittelständischen Unternehmen in den neuen
Bundesländern die Beteiligung an EMAS aus finanziellen
Gründen überhaupt noch möglich ist. Steigende Ausga-
ben, vor allem durch Steuererhöhungen und steigende Ab-
gaben haben in den letzten Jahren die Finanzlage der Un-
ternehmen erheblich verschlechtert.
Nordrhein-Westfalen hat dagegen seit 1999 einen
sagenhaften Einbruch bei den auditierten Unternehmen
erlitten. Von guten 19,2 Prozent im Dezember 1999 sank
die Beteiligungsquote im Land auf 13,1 Prozent im März
dieses Jahres – Tendenz fallend.
Ich möchte diese bedauerliche Entwicklung vor allem
in den SPD-geführten Bundesländern nicht weiter aus-
breiten. Eines wird aber deutlich: Die Regierungsverant-
wortlichen dieser Bundesländer müssen noch begreifen,
dass ein Bündnis aus zwei Seiten besteht: aus Nehmen
und Geben!
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. April 2002 23389
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Meine Frage ist also nicht: Reicht der vorliegende
Gesetzentwurf aus, um dieser fatalen Entwicklung Herr
zu werden? Das ist eine Frage, die man sich nach einem
genauen Blick auf die Situation des Ökoaudits in
Deutschland seit dem Regierungsantritt von Rot-Grün
nicht mehr zu stellen braucht. Die Frage lautet vielmehr
– und sie ist wesentlich konstruktiver –: Was können wir
für die Zukunft tun? Die Attraktivität steigern, das ist die
kurze Antwort. Und das ist die einzig vernünftige Ant-
wort, wollen wir EMAS in Deutschland nicht aufgeben.
Zu diesem Lösungsansatz gab es in dieser Legis-
laturperiode einen dankenswerten Antrag der FDP-
Fraktion, den wir von der CDU/CSU unterstützt haben.
Diesen Antrag haben Sie, liebe Umweltfreunde der
rot-grünen Regierungskoalition, vor zwei Jahren verwor-
fen. Doch was haben Sie geleistet? Von Ihnen kam nichts.
Und das haben die Unternehmen auch gemerkt.
Vonseiten der Wirtschaft wurde der Vorwurf geäußert,
dass Rot-Grün vier Jahre lang nichts getan hat, um die At-
traktivität des Umweltaudits zu erhöhen. Dabei hätten Sie
mit der Privilegierungsverordnung ein deutliches Zeichen
setzten können. Aber da Sie nicht auf die Betroffenen
hören, wissen Sie auch nicht, was getan werden muss. Sie
beschränken sich auf Ankündigungen, Absichtserklä-
rungen und Versprechungen. Ich erinnere an die Ankün-
digungen der Parlamentarischen Staatssekretärin Probst
in der letzten Ausschusssitzung: Logo, Werbekampagne,
eigene Aktivitäten verstärken. Das alles hätte schon ge-
schehen können. Aber am Ende – genau wie jetzt am Ende
des 14. Deutschen Bundestages – kommt dabei im besten
Falle eine Menge heißer Luft heraus.
Was haben Sie ihren hoffnungsvollen Wählerinnen und
Wählern nicht alles versprochen! Was haben Sie hier im
Plenum nicht alles angekündigt! Reformstau wollten Sie
verhindern, den Wirtschaftsstandort Deutschland stärken.
Und was haben Sie dann tatsächlich getan? Meine Damen
und Herren von Rot-Grün, man hatte mehr von Ihnen er-
wartet. Was Sie heute vorlegen, ist allenfalls ein guter, un-
terstützenswerter Ansatz. Aber als Ergebnis von vier Jah-
ren Regierungsarbeit ist das, was Sie mit diesem
Gesetzentwurf zur Änderung des Umweltauditgesetzes
abliefern, ein Armutszeugnis.
Nein, Sie haben viele wichtige Aspekte einer wirksa-
men Umweltpolitik verschlafen. Ihre Ökosteuer und der
vermeintliche Atomausstieg sind der falsche Weg. Sie ha-
ben verzögert und vernachlässigt, wo es sich anbot.
Kurz gesagt: An Ihrer Politik ist Hopfen und Malz ver-
loren.
Wir von der CDU/CSU-Fraktion sind überzeugt: Die
erfolgreiche Weiterführung von EMAS ist nicht nur zu
unterstützen, sondern zu beschleunigen. Deregulierung ist
ein entscheidender Schlüssel zur Steigerung der Attrakti-
vität des Umweltaudits. Ein weiteres wichtiges Mittel zur
Erhöhung der Attraktivität für teilnahmewillige Unter-
nehmen ist die Gewährung von Erleichterungen beim
Vollzug des Umweltrechts. Es hat sich gezeigt, dass es
sich aus umweltpolitischen Gründen empfiehlt, Öko-
audit-Betrieben Vollzugserleichterungen zu gewähren.
Die Teilnehmer am Ökoaudit wollen ein verändertes Ver-
hältnis zu den Behörden und administrative Entlastung
durch Reduzierung von gesetzlichen Mess- und Berichts-
pflichten. Das sollte uns ein Zeichen sein, hier endlich
tätig zu werden.
Gerade der Mittelstand, der es in diesen Zeiten beson-
ders schwer hat, sollte durch Erleichterungen gefördert
werden. Für ein mittelständisches Unternehmen sind bei-
spielsweise die Kosten für die Auditierung, meist in Höhe
einer fünfstelligen Summe, äußerst abschreckend. Hier
kann wie im erfolgreichen bayerischen Modell Abhilfe
zum Nutzen aller geschaffen werden.
Denken Sie, meine Damen und Herren von Rot-Grün,
doch einmal über eine Begünstigung von auditierten Be-
trieben im Rahmen Ihres Lieblingsthemas, der Ökosteuer,
nach.
Und noch besser: Denken Sie nicht nur, sondern han-
deln Sie bei Gelegenheit auch einmal – am besten zügig
und verantwortungsvoll für die Umwelt, wie Sie es Ihren
Wählern versprochen haben.
Mit EMAS haben wir ein System installiert, das eine
großartige Chance bietet: die Chance, Umweltschutz an-
ders zu organisieren, als dies gewöhnlich geschieht. Diese
Chance besteht. Rot-Grün hat sie verschlafen. Ich bin
überzeugt, dass wir nach dem 22. September dieses Jah-
res den unter einer unionsgeführten Bundesregierung so
erfolgreich begonnenen Weg des Ökoaudits wieder mit
einer unionsgeführten Bundesregierung erfolgreich fort-
setzen werden.
Birgit Homburger (FDP): Mit diesem Gesetz wird
das Umweltauditgesetz (UAG) von 1995 einerseits an die
seit dem 27. April 2001 unmittelbar in jedem Mitgliedstaat
der EG geltende so genannte EMAS-II-Verordnung ange-
passt und zugleich wird mit kleinen Änderungen auf die
praktischen Erfahrungen mit dem geltenden UAG reagiert.
Der UAG-Entwurf enthält Ausführungsvorschriften und
ergänzt als nationale Regelung die EMAS-II-VO. Auch
die aufgrund der praktischen Erfahrungen mit dem UAG
vorgenommenen Änderungen erscheinen mir sachgerecht,
sodass wir diesem Gesetz zustimmen werden.
Das freiwillige Ökoaudit ist ein erfolgreiches umwelt-
politisches Instrument. Ziel ist es, über integrierte be-
triebliche Umweltmanagementsysteme zusätzliche Ef-
fekte für den Umweltschutz zu erreichen, bei gleichzeitig
hoher Effizienz für die Betriebe.
Leider litt die Akzeptanz daran, dass mit der ISO 14001
ein praktikableres, ökologisch weniger anspruchsvolles
Umweltmanagementsystem existiert, das sich internatio-
nal durchgesetzt hat. Deshalb haben wir gleich zu Beginn
der Legislaturperiode einen Antrag zur Steigerung der At-
traktivität des Umweltaudits in den Deutschen Bundestag
eingebracht.
Die FDP begrüßt, dass nunmehr das Umweltmanage-
mentsystem nach DIN ISO 14001 in das EG-Ökoaudit-
System integriert worden ist. Dies war eine wesentliche
Forderung aus dem FDP-Antrag. So wird Doppelarbeit
vermieden und es wird die Entscheidung erleichtert, noch
einen Schritt weiter zu gehen und sich auch nach der Öko-
audit-Verordnung bzw. UAG registrieren zu lassen.
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. April 200223390
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Ebenso zu begrüßen ist, dass der Teilnehmerkreis ausge-
weitet wird und das EMAS-Zeichen für Werbezwecke ver-
wendet werden kann.
Das reicht jedoch bei weitem nicht aus, um die Attrakti-
vität des Ökoaudits zu steigern. Es muss für registrierte Or-
ganisationen deutliche Vollzugserleichterungen geben.
Hier kommen Erleichterungen bei Genehmigungsverfah-
ren, Entlastung bei Berichtspflichten, Nachweisverfahren
und der Überwachung für registrierte Organisationen in
Betracht. Auch dies hatten wir schon zu Beginn der Legis-
laturperiode gefordert. Die FDP fordert daher weitere Maß-
nahmen auf Bundesebene, um endlich neue Impulse für das
Umweltaudit zu geben. Hier hat Rot-Grün erneut versagt.
Viel zu spät wurde die Bundesregierung aktiv. Es soll
jetzt noch eine Privilegierungsverordnung verabschiedet
werden. Wir sind genauso gespannt wie die zertifizierten
Organisationen, was da kommen soll. Bisher wurde nur
geredet, nicht gehandelt. Sie haben auch in diesem Be-
reich vier Jahre verschlafen.
Darüber hinaus sind auch die Länder in der Pflicht. In
manchen Bundesländern gelten immerhin reduzierte Ge-
bühren im immissionsschutzrechtlichen Genehmigungs-
verfahren. Das ist ausbaufähig.
Umweltmanagementsysteme kommen nicht nur den
Unternehmen, sondern besonders auch der Umwelt zu-
gute. Organisationen, die von sich aus ein Umweltmana-
gementsystem installieren und dies von unabhängigen
Gutachtern überprüfen lassen, haben einen Vertrauens-
vorschuss und entsprechende organisatorische Erleichte-
rungen verdient. Die FDP wird sich auch und gerade aus
ökologischen Gründen weiter für erforderliche Deregu-
lierungen für registrierte Organisationen einsetzen.
Eva Bulling-Schröter (PDS): Der Gesetzentwurf
übernimmt die neue EMAS-II-Verordnung der EU und
damit auch alle ihre Verschlechterungen beim Umwelt-
audit. Rot-Grün ignoriert dies und bastelt unbeirrt weiter
an einer Verordnung zur ordnungsrechtlichen Privilegie-
rung von auditierten Unternehmen. Eine gefährliche Mi-
schung. So ist die umfassende Umweltbetriebsprüfung
bei EMAS II auf eine stichprobenhafte Umweltbetriebs-
prüfung reduziert worden. „Eine schwer verständliche
Abschwächung“, wie der Sachverständigenrat für Um-
weltfragen feststellt. Es ist jetzt auch möglich, Teilstand-
orte nach Ökoaudit-Verordnung überprüfen zu lassen zum
Beispiel einen Unternehmensstandort ohne die „marode“
Abfallanlage.
Die umfassende Einhaltung der Umweltvorschriften
ist mit EMAS II also noch weniger als bisher Gegenstand
der Umwelterklärung. Lediglich bekannt gewordene Ver-
stöße führen zur Verweigerung dieser Erklärung. Eine
Attestierung der Einhaltung der Umweltvorschriften wird
auch nicht im vorliegenden Gesetzentwurf als Registrie-
rungsvoraussetzung verankern, und dies, obwohl der
Bundestag das im letzten Jahr mit dem Artikelgesetz als
Voraussetzung für die sogenannten Ökoaudit-Privilegie-
rung beschlossen hat.
Wir sind der Meinung – und stimmen da nicht nur mit
dem DGB, sondern auch mit dem Umweltrat überein,
dass logischerweise nur das, was auch tatsächlich im Um-
weltaudit geprüft wird, durch ordnungsrechtliche Erleich-
terungen zu rechtfertigen ist. Die Privilegierung sieht
aber vor, dass die Unternehmen nur noch auf Anforderung
die bislang gesetzlich vorgeschriebenen Berichte an
die Behörden vorlegen sollen. Der Umweltgutachter be-
kommt so aber kaum Informationen bei der Einsicht in die
Unterlagen, da es keinen Schriftverkehr mit der Behörde
mehr gibt, aus denen er bisher Hinweise auf Rechtsver-
stöße entnehmen konnte. Die Behörde ihrerseits hat bei
der Regelanfrage der IHK vor der Ökoaudit-Registrie-
rung ebenfalls keine Unterlagen mehr vorliegen, aus de-
nen Umweltrechtsverstöße erkennbar wären. Es steht also
zu befürchten, dass das Ökoaudit sich von einem Instru-
ment zur kontinuierlichen Verbesserung des betrieblichen
Umweltschutzes hin zu einem Instrument zur Deregulie-
rung bewährten Umweltrechtes entwickelt: Die Unter-
nehmen nehmen am Ökoaudit teil, und die Behörden se-
hen infolge der deutschen Privilegierung bei diesen
immer seltener hin.
Wir vermissen zudem die Änderung der Besetzung des
Umweltgutachterausschusses. Wenn das Ökoaudit von
ursprünglich nur „gewerblichen Unternehmen“ auf Land-
wirtschaft, Behörden oder Kommunen erweitert wird,
muss dies auch für den Ausschuss gelten. Dies hat man
wohl im § 22 UAG vergessen.
Noch ein Wort zur Zertifizierung der Umweltgutachter.
Die Unternehmen könne ihn sich selbst aussuchen. Dass
ein solches System nicht gerade dazu neigt, den korrek-
testen Gutachter zu bestellen, stellt auch der Umweltrat
lakonisch fest. Dass die Wirtschaft mit dem deutschen
Akkreditierungsgremium – der DAU – die Aufsicht über
sich selbst ausübt, haben wir schon bemängelt, seit es in
Deutschland ein Umweltaudit gibt.
So ist es auch kein Wunder, dass nach Berichten des
WDR in Hanau die Degussa das Ökoaudit bekam, obwohl
sie gesetzlich vorgeschriebene Grenzwerte, beispiels-
weise beim Abwasser, bei weitem überschritt.
Jürgen Trittin, Bundesminister für Umwelt, Natur-
schutz und Reaktorsicherheit:Das heute zu beschließende
Umweltauditgesetz stärkt das System von EMAS, dem
Ökoaudit, das schon jetzt, sieben Jahre nach der Ein-
führung, ein Markenzeichen für betrieblichen Umwelt-
schutz ist. Wir haben inzwischen überall in Deutschland
die Erfahrung gemacht: Sobald eine Organisation an
EMAS teilnimmt, fegt frischer Wind durch den Laden:
Umwelt wird, statt billige Ressource zu sein, Gegenstand
von ausgefeiltem Management. Staatlich zugelassene
Umweltgutachter prüfen den Betrieb und gehen den Um-
weltproblemen systematisch auf den Grund. Jeder EMAS-
Teilnehmer verpflichtet sich, seine Umweltleistung fort-
laufend zu verbessern – und meist sogar über das gesetz-
lich notwendige Maß hinaus. Wer an EMAS teilnimmt,
wird Vorreiter für betrieblichen Umweltschutz. Das soll-
ten sich auch Behörden bewusst machen.
Nicht nur ich als Umweltminister, sondern die Bun-
desregierung insgesamt fordert Unternehmen zur Teil-
nahme auf. EMAS leistet einen wertvollen Beitrag inner-
halb der nationalen Nachhaltigkeitsstrategie, die wir vor
wenigen Tagen hier im Bundestag beschlossen haben. Für
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. April 2002 23391
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Unternehmen rechnet sich die freiwillige Teilnahme auch
betriebswirtschaftlich: Sie können Umweltkosten einspa-
ren und Haftungsrisiken minimieren. EMAS verbindet
das ökologisch Notwendige mit dem ökonomisch Erfolg-
reichen. Bei der zunehmenden Zahl ökologisch bewusster
Käufer bietet EMAS einen Marktvorteil.
Mit der vorliegenden Gesetzesnovelle passen wir das
Umweltauditgesetz von 1995 an die neue EG-Verordnung
an und wahren zugleich die hohe Qualität, die EMAS in
Deutschland seit Jahren auszeichnet. Es hat sich bewährt,
dass wir uns in Deutschland ein vergleichsweise anspruchs-
volles Zulassungs- und Aufsichtssystem über Umweltgut-
achter leisten. Der Sachverständigenrat für Umweltfragen
hat das in seinem jüngsten Gutachten ausdrücklich bestätigt.
Die Industrie-, Handels- und Handwerkskammern, bei de-
nen die EMAS-Teilnehmer registriert werden, tragen zur
Qualität des deutschen Umweltaudits erheblich bei. Auch
dem Umweltgutachterausschuss, der das BMU bei Fragen
des Umweltaudits berät, möchte ich für seine konstruktive
Arbeit danken.
Bei der Zahl der EMAS-Teilnehmer ist Deutschland
Spitzenreiter in Europa. Derzeit sind es etwa 2 600 Stand-
orte; leider mit fallender Tendenz. Das beruht zum Teil auf
einer Konkurrenz durch ISO 14001. Ich bedaure diesen
Trend. Denn EMAS ist besser als ISO. EMAS enthält die
materiellen Anforderungen von ISO, ergänzt sie aber durch
weitere Elemente: EMAS ist glaubwürdiger, weil es trans-
parenter ist und Kommunikation mit der Öffentlichkeit
einbezieht. EMAS verpflichtet zur stetigen Verbesserung
der Umweltleistungen. EMAS stellt sicher, dass Umwelt-
rechtsvorschriften auch eingehalten werden. Bei EMAS
prüfen nur staatlich zugelassene Umweltgutachter.
Wenn ein Betrieb von EMAS zu ISO wechselt, ver-
zichtet er also darauf, weiter in der ersten Liga des be-
trieblichen Umweltschutzes mitzuspielen. Die Bundesre-
gierung fördert die Teilnahme an EMAS. Wir haben
gerade eine Privilegierungsverordnung entworfen. Das
BMU hat außerdem am 9. April 2002 eine Pilotgruppe
von Bundesbehörden konstituiert, die EMAS einführen
wird und als Multiplikator bei anderen Bundesbehörden
wirken soll.
Ich möchte den Bundestag auffordern, sich stärker für
EMAS zu engagieren: Lassen Sie die Bundestagsverwal-
tung mit gutem Beispiel vorangehen und an EMAS teil-
nehmen! Sie haben die nationale Nachhaltigkeitsstrategie
verabschiedet. Machen Sie also Nägel mit Köpfen und
tragen Sie aktiv bei zu konsequentem betrieblichen Um-
weltschutz!
Anlage 13
Zu Protokoll gegebene Reden
zurBeratung des Entwurfs eines Zweiten Gesetzes
zur Änderung und Ergänzung vermögensrecht-
licher und anderer Vorschriften (Zweites Ver-
mögensrechtsergänzungsgesetz – 2. VermRErG)
(Tagesordnungspunkt 31)
Hans-Joachim Hacker (SPD): In der heutigen De-
batte behandeln wir zwei titelgleiche Gesetzentwürfe der
Bundesregierung und der FDP-Fraktion. Der beabsich-
tigte Regelungsgegenstand ist jedoch völlig unterschied-
lich. Ich beginne in meiner Bewertung mit dem Gesetz-
entwurf der FDP, den die SPD-Bundestagsfraktion nicht
unterstützen kann.
Vorweg: Wir Sozialdemokraten haben hohen Respekt
vor all jenen Deutschen, die sich dem NS-Unrechtsregime
in vielfältiger Weise entgegengestellt oder entzogen ha-
ben. Sie haben dabei in vielen Fällen das eigene Leben
und die Sicherheit der Familien riskiert. Deswegen hat
sich die SPD-Volkskammerfraktion 1990 für eine Rege-
lung im Vermögensgesetz eingesetzt, die die Restitution
von durch die Nazis enteignetem Vermögen möglich
macht. Damit können auch diejenigen Familien, die von
den Nationalsozialisten wegen ihres Widerstandes enteig-
net worden sind und deren Vermögen später im Rahmen
der Bodenreform verteilt wurde, ihr früheres Hab und Gut
zurückbekommen. Die Regelung im Vermögensgesetz ist
eindeutig und hat sich unabhängig von diesem betreffen-
den Gerichtsverfahren in der Praxis bewährt.
Der FDP-Antrag zielt auf eine Erweiterung dieser
Regelung auf die Personengruppe der „aktiven Wider-
ständler“ ab. Die Diskussion über den FDP-Gesetzent-
wurf – insbesondere aber die Anhörung zu den beiden Ge-
setzentwürfen am 17. April 2002 – hat ergeben, dass der
FDP-Vorschlag nicht justiziabel ist.
Er stellt nicht – wie das Vermögensgesetz – auf einen
NS-Enteignungsakt ab. Er definiert vielmehr, dass aktive
Widerständler, die bis zum 8. Mai 1945 nicht mehr ermit-
telt oder verurteilt wurden, rückgabeberechtigt sein sol-
len. In Übereinstimmung mit fast allen Sachverständigen
bin auch ich der Auffassung, dass der personelle Gel-
tungsbereich einer solchen Regelung nicht exakt zu be-
stimmen ist. Wenn in der Anhörung ein Sachverständiger
von einer Betroffenengruppe von möglicherweise vier
Fällen gesprochen hat, dann zeigt dies, dass die Dimen-
sion des Regelungsinhaltes des FDP-Vorschlages nicht er-
kannt wurde. Für mich ist auch ein Gutsbesitzer, der einen
KZ-Häftling versteckt hat, ein aktiver Widerständler. Er
würde aber nicht von der FDP-Regelung erfasst werden.
Und ein letztes Wort zum FDP-Antrag: Man sollte we-
gen der Unklarheit konkret Position beziehen. Die Ent-
haltung der anderen Oppositionsparteien ist mir vollkom-
men unverständlich.
Der Gesetzentwurf der Bundesregierung hingegen
greift Regelungserfordernisse auf, die sich auf das Vermö-
gensgesetz, das Entschädigungsgesetz und das NS-Ver-
folgtenentschädigungsgesetz beziehen. Ich glaube, wir be-
handeln heute in dieser Legislaturperiode zum letzten Mal
in einer ausführlichen Form den Bereich der so genannten
offenen Vermögensfragen, die sich bei der Wiedervereini-
gung dargestellt haben.
Die Zustimmung zu dem Gesetzentwurf der Bundes-
regierung ist dringend erforderlich, weil damit notwen-
dige Klarstellungen vorgenommen werden. Regelungs-
lücken werden im Interesse von Betroffenen geschlossen.
Für mich ist unverständlich, dass CDU/CSU und FDP
– sie waren bei der Vorlaufgesetzgebung in Regierungs-
verantwortung – sich nicht der Verantwortung stellen,
sondern Frontalopposition betreiben und jetzt, weil nicht
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. April 200223392
(C)
(D)
(A)
(B)
ihre eigene Gesetzgebung noch weiter gehend korrigiert
wird, Einzelregelungen blockieren. So kann politische
Verantwortung der Opposition nicht verstanden werden.
Ich beziehe diese Aussage insbesondere auf die im Ge-
setzentwurf vorgesehene Änderung des § 2 Abs. 1 Ver-
mögensgesetz. Es sind die Fälle der so genannten kalten
Enteignung. Bei diesen Fällen können wegen einer Erb-
ausschlagung im Hinblick auf Vermögensschäden, die der
Erblasser erlitten hat, vermögensrechtliche Ansprüche
bislang nicht geltend gemacht werden. Begründet wird
dies dadurch, dass die betreffenden Berechtigten keine
Rechtsnachfolger geworden sind. Die vorgeschlagene
Neuregelung beseitigt einen unbilligen Tatbestand und ist
daher zu befürworten.
Erneut wird in dem Gesetzentwurf der Bundes-
regierung eine Problematik aufgegriffen, die aus Gründen
der Gerechtigkeit und Wiedergutmachung von NS-Un-
recht einer Klarstellung bedarf: Es geht um die Anrech-
nung von Anteilen von Mutterunternehmen, die heute in
einer Hand liegen. Das betrifft nicht nur die von NS-Ent-
eignungen betroffenen früheren Weimarer Gewerkschaf-
ten, deren Rechtsnachfolger Ansprüche auf Rückgabe ge-
stellt hat. Nach unserer Auffassung ist die vorgesehene
Regelung im § 3 Abs. 1 nur eine Klarstellung. Entgegen
den Argumenten von Opposition und einigen Ländern
führt sie nicht zu einer Verbürokratisierung der Entschei-
dungsvorgänge. Das Gegenteil ist der Fall: Der Prozess
der gütlichen Einigung wird befördert. Die Regelung gilt
im Übrigen nur dann, wenn der Antragsteller bereits An-
sprüche auf Einräumung von Bruchteilseigentum an dem
konkreten Vermögenswert hatte. Das heißt, bislang nicht
restitutionsbelastetes Vermögen bleibt unbelastet. Diese
Regelung ist eine Konsequenz aus der Oberleitung der
Grundsätze des alliierten Entschädigungsrechts, die sich
aus den Vereinbarungen im Einigungsvertrag und im Rah-
men seiner Vorbereitung ergeben hat. Insbesondere die
FDP – ich verweise auf den bereits angesprochenen Ge-
setzentwurf –, aber auch die CDU/CSU müssten diesem
Vorschlag zustimmen. Es ist eine Klarstellung, keine Neu-
regelung. Und die Klarstellung bezieht sich auf Regelun-
gen aus der Zeit ihrer Regierungsverantwortung.
Ich kann verstehen, dass die Wohnungsunternehmen,
die von dieser Regelung nicht betroffen sind, gerne eine an-
dere Lösung hätten. Aber das würde bedeuten, dass wir bei
der Wiedergutmachung von NS-Unrecht unterschiedliche
Maßstäbe ansetzten. Betriebswirtschaftliche Interessen von
Wohnungsunternehmen würden über die Grundsätze des
Rückerstattungsrechts und der Wiedergutmachung gestellt.
Das kann nicht richtig sein. Im Übrigen: Die Kritiker die-
ser Regelung sollten sich mit dem bereits 1997 im Rahmen
des Wohnraummodernisierungssicherungsgesetzes präzi-
sierten § 3 Abs. 1 Satz 9 des Vermögensgesetzes befassen.
Danach können die Verfügungsberechtigten, die Woh-
nungsunternehmen, bei Restitution eines Objektes die Er-
stattung sämtlicher Investitionen verlangen, die sie im Ver-
trauen auf eine fehlende objektbezogene Präzisierung
durch den Berechtigten vorgenommen haben. Auch das ist
geltende Rechtslage und wird durch die vorgesehene Klar-
stellung nicht tangiert.
Zum Schluss will ich nur stichwortartig weitere Rege-
lungen ansprechen, die der Gesetzentwurf enthält:
Erstens. § 4 Abs. 1 Vermögensgesetz schafft die Voraus-
setzungen für eine Teilrestitution, wenn der Zugang zum
öffentlichen Verkehrswegenetz nicht gegeben ist. Dieses
erfolgt in Anlehnung an eine bewährte Regelung im Sa-
chenrechtsbereinigungsgesetz.
Zweitens. Für die von DDR-Verwaltungsunrecht be-
troffenen Zwangsausgesiedelten erfolgt eine Klarstellung
in ihrem Sinne. Es wird gesichert, dass bei der Umsetzung
des Entschädigungsgesetzes erhaltene Gegenleistungen
nicht doppelt erfasst werden.
All das sind gute Gründe, dem Gesetzentwurf zuzu-
stimmen. Diesen Appell richte ich erneut an die Opposi-
tion in diesem Hause, aber auch an den Bundesrat. Die
Behauptung, das Gesetz würde die Verwaltungsverfahren
flächendeckend erschweren, ist in der Anhörung nicht
bestätigt worden. Auf Beschleunigungseffekte, insbe-
sondere bei der Abwicklung der Fälle des doppelten
Durchgriffs, habe ich bereits verwiesen. Und zuletzt er-
innere ich auch daran, dass die Länder richtigerweise
bei der Beratung zur Änderung der beiden SED-Un-
rechtsbereinigungsgesetze im Vermittlungsausschuss am
6. Dezember 2001 dokumentiert haben, dass ihnen Ge-
rechtigkeit wichtiger ist als der Abbau von Verwal-
tungskapazitäten. An diesen Grundsatz erinnere ich Sie
auch bei der Umsetzung des Vermögensgesetzes und des
Entschädigungs- und Ausgleichsleistungsgesetzes.
Andrea Voßhoff (CDU/CSU): Zwei Gesetzentwürfe
aus dem Bereich des Vermögensgesetzes und der ergän-
zenden Entschädigungsregelungen stehen heute zur ab-
schließenden Beratung in diesem Hohen Hause an.
Obwohl im rechtstatsächlichen Bereich die Abarbei-
tung der Verfahren nach dem Vermögensgesetz nach heu-
tigem Stand doch eine hohe Erledigungsquote aufweist,
legt Rot-Grün ein umfangreiches Änderungspaket zu die-
sen Themenkomplexen vor. Wir wissen aus der An-
hörung, dass im Grundstücksbereich bereits 95 Prozent
und im Unternehmensbereich circa 85 Prozent der Ver-
fahren erledigt sind.
Der wünschenswerte zügige Fortgang dieser Verfahren
wird durch die immer wieder von Rot-Grün beabsichtig-
ten Änderungen hinausgezögert und steht deshalb dem
Abschluss dieser Verfahren insgesamt entgegen. Zudem
hätte über eine Vielzahl der in diesem Gesetzentwurf ent-
haltenen Änderungen bereits mit dem Vermögensrechts-
ergänzungsgesetz oder mit dem Grundstücksrechtsände-
rungsgesetz aus dem Jahr 2000 der parlamentarischen
Beratung diskutiert werden können.
Folge dieser Änderungen im parlamentarischen Minu-
tentakt ist, dass für die Arbeit der Ämter zur Regelung of-
fener Vermögensfragen erneut das Risiko der Verzöge-
rung in der Abwicklung noch offener Verfahren, aber auch
durch Wiederaufnahme bereits abgeschlossener Verfah-
ren besteht. Dadurch entstehen neue Rechtsunsicherhei-
ten für den Anspruch der Betroffenen auf einen endgülti-
gen Abschluss der offenen Vermögensfragen.
Wir wissen auch, dass mit diesem Ziel ganz unmittelbar
Fragen nach Planungssicherheit und Investitionstätigkeiten
im Grundstücksverkehr und damit der infrastrukturellen
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. April 2002 23393
(C)
(D)
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Entwicklung der Kommunen einhergehen. Aus der An-
hörung sind die Bedenken dazu von den Vertretern der
Wohnungsbaugesellschaften mehr als deutlich geworden.
Warum – so ist zu fragen – haben Sie, meine Herren, meine
Damen von den Regierungsfraktionen, Ihren Antrag daher
heute zur Abstimmung gestellt? In den Beratungen ist die
zwingende Notwendigkeit der von Ihnen jetzt wieder ein-
geforderten Änderungen nicht deutlich geworden, stattdes-
sen vielmehr deren nachteilige Auswirkungen. Und ich for-
dere den Handlungsauftrag für diese Änderungen schon
ein.
Wie sonst wären diese Maßnahmen, die zu neuen
Rechtsunsicherheiten, zu finanziellen Belastungen, zu
Änderungen und Wiederaufnahmen bereits abgeschlosse-
ner Verfahren führen würden, überhaupt zu rechtfertigen?
Wie sonst ließe sich rechtfertigen, dass sich die Abwick-
lung noch laufender Restitutionsverfahren verzögert und
gewachsenes Vertrauen in die bestehenden Regelungen
beeinträchtigt würde?
Wenn Sie in der Gesetzesbegründung erläutern, dass es
um die Verbesserung der materiellen Gerechtigkeit zu-
gunsten NS-Geschädigter und Alteigentümer gehe, klingt
dies vordergründig nachdenkenswert. Ich konzediere,
dass an der ein oder anderen Stelle Ihrer geplanten Ände-
rungen Wertungswidersprüche vielleicht auch beseitigt
werden könnten. Gleichwohl überwiegen in diesem Ent-
wurf eindeutig die negativen Folgen, die zwangsläufig
mit einer so späten Ausweitung von Restitutionsan-
sprüchen verbunden sind.
Unter anderem enthält der Antrag Änderungen zuguns-
ten der Alteigentümer. Ich verhehle nicht, dass die Aus-
weitung der Restitution bei den so genannten kalten Ent-
eignungen ein diskussionswürdiger Ansatz ist. Ihr
Regelungsvorschlag aber, nur die Betroffenen zu begüns-
tigen, die seinerzeit fristgerecht einen entsprechenden An-
trag gestellt haben, ist jedoch auch verfassungsrechtlich
nicht unbedenklich. Sie riskieren das unbillige Ergebnis,
dass derjenige, der nach bisheriger Rechtslage keinen An-
trag gestellt hat, weil der Anspruch ja auch gar nicht
bestand, auch weiterhin wegen des Fristablaufes zur An-
meldung ausgeschlossen bleibt. Meine Damen und Her-
ren von der SPD, Sie bestrafen den gewissenhaften
Anmelder und belohnen denjenigen, der unrichtig ange-
meldet hat. Der materiellen Gerechtigkeit wird damit kein
Dienst erwiesen. Verfassungsrechtliche Bedenken mit
Blick auf den Gleichbehandlungsgrundsatz können nicht
ausgeräumt werden.
Dem bislang mit seinem unbegründeten Antrag abge-
wiesenen Anmelder eröffnen Sie mit dem Wiederaufgrei-
fen des Verfahrens die Möglichkeit, seinen Anspruch
durchzusetzen. Neue Rechtsunsicherheiten und zusätzli-
che Verzögerungen wären Folge dieser späten Änderung.
Sie, meine Damen und Herren von der SPD, opfern aber
ohne große Not eine durchaus mit Schwierigkeiten ge-
wonnene Rechtssicherheit. Und dass Sie dabei die Kon-
sequenzen entweder nicht bedacht haben oder in Kauf
nehmen wollten, zeigt sich in der Tatsache, dass eine er-
forderliche Anpassung der Anmeldefrist des § 30 a des
Vermögensgesetzes von Ihnen nicht in Erwägung gezogen
wurde. Es wäre konsequent gewesen, die Anmeldefrist
aufgrund der augenscheinlichen Widersprüchlichkeiten
dann auch anzupassen. Wegen der damit einhergehenden
unübersehbaren Folgen können Sie dies aber verständli-
cherweise nicht tun.
Aber es geht Ihnen ja im Grunde auch gar nicht um die
Probleme der Restitution in den Fällen der kalten Ent-
eignungen. Obwohl bereits im Jahre 2000 mit dem Grund-
stücksrechtsänderungsgesetz in dieser Frage gescheitert,
versuchen Sie doch heute erneut und nur wenig modifi-
ziert, Änderungen in der Unternehmensrestitution herbei-
zuführen, deren Hauptbegünstigte nun einmal recht-
statsächlich die Gewerkschaften als NS-Geschädigte
wären.
Ob es eine Ausweitung der Restitution oder eine – wie
Sie es formulieren – Klarstellung des Gesetzes ist, die fi-
nanziellen Auswirkungen zulasten der Verfügungsberech-
tigten – zumeist die Wohnungsbaugesellschaften – sind
gravierend.
Dies ist in der Anhörung auch deutlich geworden. Auch
von Vertretern der Ämter zur Regelung offener
Vermögensfragen wurden diese Bedenken geteilt. Sie ge-
fährden den Stadtumbau Ost, wie uns einige Sachverstän-
digen in der Anhörung eindrucksvoll darlegten, da
Liquiditätsprobleme bei den Wohnungsunternehmen ver-
schärft werden.
Längst hat Ihr Gesetzesentwurf auch neue Begehrlich-
keiten geweckt und damit beabsichtigte Vergleichsver-
handlungen zwischen den Verfügungs- und den Restituti-
onsberechtigten beeinträchtigt. Sie schaffen dadurch neue
Unsicherheiten und riskieren weitere bürokratische
Hemmnisse bei der Abwicklung der Ansprüche nach dem
Vermögensgesetz. Dem Rechtsfrieden ist all dies nicht
förderlich.
Diese negativen Folgen verschärfen sich auch noch mit
der von Ihnen vorgeschlagenen Mietenauskehr bei den
vereinfachten Rückübertragungen nach dem Investitions-
vorranggesetz. Bei den hohen Leerständen sind Insolven-
zen der Wohnungsunternehmen abzusehen.
Ihnen, meine Damen und Herren von der SPD, wird es
obliegen, den Mietern solcher von Insolvenz bedrohten
Wohnungsunternehmen den tieferen Sinn Ihres Gesetzes-
vorhabens zu erläutern. Der BGH ist jedenfalls nicht der
Auffassung, dass Restitutionsberechtigten bei investiven
Vorhaben ein Anspruch auf Auskehr von Mieten oder
Pachten zustehen müsse.
Für dieses „Insolvenzbeschleunigungsgesetz“, wie es
ein Sachverständiger in der Anhörung ebenso trefflich wie
deutlich formulierte, dürfen Sie unsere Zustimmung nicht
erwarten. Wegen dieser gravierenden Folgen einzelner
Maßnahmen im vorliegenden Gesetzentwurf, können an-
dere – im Grundansatz zu befürwortende Regelungen – in
der Gesamtbewertung dieses Gesetzentwurfes zu keiner
Zustimmung führen. Wir lehnen ihn daher ab.
Bei dem heute mit zu beratenden Antrag der FDP wer-
den wir uns enthalten. Mit dem Antrag der FDPwurde das
Schicksal der aktiven NS-Widerständler auf die Tages-
ordnung dieses Hohen Hauses gerufen. Vielleicht spreche
ich auch für die anwesenden Kollegen, wenn Respekt und
Achtung vor dem Mut und dem Schicksal der NS-Wider-
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. April 200223394
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ständler und ihrer Familien mit diesem Antrag in Erinne-
rung gerufen werden. Gleichwohl darf das den Blick für
die Umsetzbarkeit des Anliegens nicht verstellen.
Wir halten die bestehenden Regelungen des Vermögens-
gesetzes in seiner Zielstellung und damit in dem Rege-
lungsanspruch dem Grunde nach für tragbar und akzeptabel.
Es ist sicher einzuräumen, dass wir in der Anwendung des
Gesetzes einer Vielzahl von Schicksalen nicht mit der emo-
tional wünschenswerten Einzelfallgerechtigkeit begegnen
können. Mit diesem Antrag wird aber der sachliche Gel-
tungsbereich des Vermögensgesetzes nachträglich geändert.
Jede Änderung des sachlichen Geltungsbereichs wirkt
streng genommen in jedes vermögensrechtliche Verfahren
hinein und würde zwangsläufig zu neuen Rechtsunsicher-
heiten und zu weiteren Belastungen des Grundstücksver-
kehrs führen. Daran dürfte auch die angegebene geringe
Zahl der mutmaßlichen Betroffenen letztlich nichts ändern.
Darüber hinaus würde dieser Antrag zu einem System-
bruch des Vermögensgesetzes führen. Wenn nunmehr die
Kausalität zwischen Schädigungsgrund und schädigen-
dem Ereignis im Bereich des Vermögensgesetzes teil-
weise aufgegeben werden soll, ist nicht absehbar, in wie
vielen anderen Fällen individuell erlittenen Unrechts Re-
gelungen notwendig würden.
Die FDP will mit ihrem Antrag den Restitutionsgrund
im Rahmen des § 1 Abs. 6 VermG für einen eingrenzba-
ren Personenkreis auf die Lebensweise – dem aktiven Wi-
derstand – erweitern, deren Vermögenswerte später durch
die Bodenreform konfisziert wurde. Bisher ist Restitu-
tionsgrund im Rahmen des § 1 Abs. 6 aber gerade der Ver-
mögensentzug durch NS-Unrecht. Dies würde im Ergeb-
nis aber den Restitutionsausschluss nach § 1 Abs. 8 a für
bestimmte Gruppierungen durchbrechen, der Bodenre-
formopfer auf Leistungen nach dem Ausgleichleistungs-
gesetz verweist.
Bei Würdigung aller Umstände können wir diesem An-
trag nicht zu stimmen. Wir werden uns enthalten, weil
dem Grundanliegen ein moralischer Anspruch nicht ab-
zusprechen ist und eine Entschädigungsregelung außer-
halb des Vermögensgesetzes, zum Beispiel durch eine
Fondslösung, auch mit Blick auf die eingrenzbare Zahl
der Betroffenen wünschenswert wäre.
Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GÜ-
NEN): Wir debattieren und entscheiden heute über meh-
rere Anträge, die Vorschriften des Vermögens- und Ent-
schädigungsrechts für das Gebiet der ehemaligen DDR zu
ändern, weil tatsächliche oder angebliche Ungerechtig-
keiten des nach der Vereinigung geschaffenen Vermö-
gensgesetzes deutlich geworden sind.
Es geht zum Beispiel um so genannte „kalte Enteig-
nungen“, das heißt, dass zur DDR-Zeit Menschen ge-
zwungen wurden, etwa Erbschaften auszuschlagen, und
es geht auch um einen Antrag der FDP, „aktive Wider-
ständler“ in der Nazizeit Erben von Widerstandskämpfern
der NS-Zeit gleichzustellen, wenn es um die Rückgabe
von von den Nazis enteigneten Grundvermögen geht.
Der Entwurf ändert nichts Grundsätzliches an den im
Einigungsvertrag getroffenen Entscheidungen zur Rück-
übertragung von Eigentum, das im Gebiet der DDR ent-
eignet wurde. Es ändert sich auch nichts Grundsätzliches
an der Entschädigung in den Fällen, in denen eine Rück-
übertragung ausgeschlossen ist. Ich habe schon häufig
auch hier im Bundestag zum Ausdruck gebracht: Ich be-
dauere, dass solche grundsätzlichen Korrekturen insbe-
sondere des Grundsatzes „Rückgabe vor Entschädigung“
nicht mehr möglich sind. Aber ich sehe, dass dies zu
neuen schwerer wiegenden Ungerechtigkeiten führen
würde und vor den Augen des Bundesverfassungsgerichts
wohl keine Gnade finden könnte.
In dem Artikelgesetz werden nun einige Klarstellungen
vorgenommen in bestimmten – nicht unwichtigen – De-
tails, die schief formuliert sind und in der Praxis Probleme
bereitet haben. Schon aus rechtlichen Gründen müssen
Ungereimtheiten beseitigt werden, auch dann, wenn diese
Ungereimtheiten zulasten früherer Eigentümer gehen. So
kann die abgenötigte Erbausschlagung in der DDR, eben
die „kalte Enteignung“, nicht anders behandelt werden als
eine „normale“ Enteignung. Auch die, die in einer Nöti-
gungssituation in der DDR eine Erbschaft ausgeschlagen
haben, sollen Wiedergutmachungsansprüche erhalten.
Die Regelung der so genannten Fiskuserbschaften war
nötig geworden. Die Regelung zu den übergangenen Er-
ben, die zu DDR-Zeiten weder enteignet worden waren
noch auf ihr Erbe verzichtet hatten, ist nötig. Das hat das
höchste deutsche Gericht auch so festgestellt. Die Frag-
würdigkeit der Generalentscheidung des damaligen Ge-
setzgebers ist keine Rechtfertigung für eine willkürliche
Differenzierung. Gleiches darf nicht ungleich behandelt
werden.
Es ist es beispielsweise auch sachgerecht, die Rück-
gabe von Grundstücken dann zu erleichtern, wenn sie
nach der geltenden Rechtslage nur deshalb nicht zurück-
gegeben werden können, weil die Verbindung zum öf-
fentlichen Wegenetz fehlt. Die Restitutionsproblematik
sollte nicht an der Frage des Notwegerechts entschieden
werden.
Richtig ist aus grundsätzlichen Überlegungen auch, die
Rechtsstellung der NS-Opfer zu verbessern, die rechts-
staatswidrig ihre Anteile an Unternehmen verloren haben.
Änderungen sind auch an anderer Stelle geboten. Die
Situation für Opfer der Zwangsaussiedlung aus den
Grenzgebieten ist gegenwärtig misslich. Nach geltender
Rechtslage kann es zur doppelten Anrechnung der ge-
währten Gegenleistungen an den Betroffenen kommen.
Das ist aus Gerechtigkeitsgründen unhaltbar. Ich habe be-
reits anlässlich der Einbringung dieses Gesetzes auf diese
Schwierigkeiten hingewiesen. Wir kennen doch alle die
Fälle, wo die Betroffenen ihr Eigentum in einem fürch-
terlichen Zustand zurückbekommen haben. Wenn sie die
Entschädigungsleistungen zurückzahlen müssen, dann
muss klar sein, dass sie nur an den Entschädigungsfonds
zahlen und an niemand anderen.
Dem Antrag der FDP konnten wir nicht entsprechen.
Natürlich ist an der Überlegung etwas dran, dass auch die,
die in der NS-Zeit verfolgt wurden, denen ihr Vermögen
wegen ihres Widerstandes genommen wurde, die aber
nicht zu Tode gekommen sind, grundsätzlich restituiert
werden sollten. Aber es ist kaum vernünftig und gerecht
zu definieren, wer denn unter „aktive Widerständler“
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. April 2002 23395
(C)
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(B)
fallen soll. Jeder Versuch der Definierung schafft neue
Ungleichheit und Ungerechtigkeit.
Für Wohnungsunternehmen kann es zu Problemen
führen, auch zu erheblichen Problemen – das sehen wir
auch, wenn sie jetzt Grundeigentum herausgeben müssen;
aber solche wirtschaftlichen Überlegungen reichen nicht
als Grund, eine Restituierung zu verweigern und damit
mehr Gerechtigkeit und Gleichbehandlung zu erreichen.
Recht muss tatsächlich Recht bleiben.
Für die Verwaltungen wird es nicht einfach sein, die
notwendigen Neuregelungen in der Praxis umzusetzen.
Das gilt vor allem für laufende oder bereits abgeschlos-
sene Verfahren. Die Bundesregierung hat bei ihrer Ge-
genäußerung im Grundsatz Recht, wenn sie feststellt, dass
die Belange der materiellen Gerechtigkeit und der Ar-
beitsbelastung für die Verwaltung gegeneinander abge-
wogen werden müssen. Die allzu sehr am Wohl der Ver-
waltung orientierten Bedenken des Bundesrates müssten
an dieser Stelle konkretisiert und belegt werden. Ich
denke auch, dass die Auswertung der Entscheidung des
Bundesverfassungsgerichts zur Entschädigung bei kalten
Enteignungen hier die weitere Diskussion beeinflussen
wird.
Wir sehen diese Reparaturen des Vermögensgesetzes
als notwendig an. Wir hoffen, dass damit das Kapitel deut-
scher Geschichte, jedenfalls was die vermögensrechtliche
Aufarbeitung anbelangt, bald abgeschlossen werden kann.
Schließlich wurde im Rechtsausschuss zu Recht darauf
hingewiesen, dass inzwischen mehr als 95 Restitutions-
verfahren abgeschlossen sind.
Rainer Funke (FDP): Zur heutigen Beratung liegen
zwei Gesetzentwürfe vor, die sich beide zur Aufgabe ge-
stellt haben, mögliche Lücken des Vermögensgesetzes zu
füllen.
Der FDP-Entwurf eines 2. Vermögensrechtsergänzungs-
gesetzes soll dafür sorgen, dass neben Widerstandskämp-
fern, die vor dem nationalsozialistischem Volksgerichtshof
verurteilt worden sind und deren Vermögen eingezogen
wurde, auch diejenigen ihr Vermögen zurückerhalten, die
Widerstandskämpfer gegen den NS-Staat gewesen sind,
aber im NS-Staat tatsächlich nicht verurteilt wurden, zum
Beispiel weil sie auch nicht gefasst oder ermittelt worden
waren. Wir wollen, dass ihnen ihre Vermögenswerte, die in
der späteren sowjetischen Besatzungszone gelegen waren
und dann konfisziert wurden, zurückgegeben werden.
In den Beratungen des Rechtsausschusses haben fast
alle Kolleginnen und Kollegen, die sich mit dieser Frage
befasst haben, geäußert, dass sie vor dieser Personen-
gruppe großen Respekt haben und dass sie einen morali-
schen Anspruch hat, ihre Ansprüche geltend zu machen.
Einen rechtlichen Anspruch wollte die Mehrheit, insbe-
sondere aus den Koalitionsfraktionen, nicht gewähren.
Vielleicht ist dies einer der Gründe, warum viele Bür-
ger unseren Rechtsstaat nicht verstehen, weil nämlich das,
was als moralisch und ethisch richtig angesehen wird,
allzu häufig nicht den Weg ins Bundesgesetzblatt findet.
Hierüber sollten wir uns mal außerhalb des Wahlkampfes
unter den Rechtspolitikern Gedanken machen. Mit mei-
nen Gerechtigkeitsmaßstäben ist es jedenfalls nicht zu
vereinbaren, dass diese Widerstandskämpfer ihr Vermö-
gen nicht zurückerhalten. Der bittere Satz: „Nur die getö-
teten Widerstandskämpfer sind gute“, darf so nicht stehen
bleiben.
Auch der zweite Gesetzentwurf zum Vermögensrechts-
ergänzungsgesetz, nämlich der der Bundesregierung, ver-
sucht anhand von Einzelfällen Neuregelungen und Ergän-
zungen vorzunehmen. Wir fürchten jedoch, dass es keine
echten Lösungen sind, sondern neue Ungerechtigkeiten
entstehen.
Nach § 2 Abs. 1 Vermögensgesetz haben Berechtigte we-
gen der Erbausschlagung im Hinblick auf Vermögensschä-
digungen, die der Erblasser erlitten hat, keine vermögens-
rechtlichen Ansprüche, weil sie infolge der Erbausschlagung
keine Rechtsnachfolger geworden sind. Dies soll nun geän-
dert werden, aber nur insoweit, als noch keine rechtskräfti-
gen Entscheide vorliegen. Bei rechtskräftigen Entscheiden
will man zwar mit einer Wiederaufnahme des Verfahrens
helfen. Aber bei all den Fällen, bei denen die Berechtigten
nach rechtlicher Beratung ihre Ansprüche nicht angemeldet
haben – und das dürfte der überwiegende Teil sein –, wird die
Antragsfrist nicht wieder eröffnet. Hier werden innerhalb
derselben Betroffenengruppe Ansprüche gewährt bzw. nach
Ablauf der Antragsfrist nicht gewährt. Diese unterschiedli-
che Verfahrensweise kann nicht gerecht sein.
Auch in § 3 Abs. 1 Vermögensgesetz wird für eine be-
stimmte Gruppe, nämlich die der Gewerkschaft, ein Son-
dergesetz geschaffen, und zwar durch die Möglichkeit der
Addition von Kleinstbeteiligungen beim so genannten
doppelten Durchgriff. In der Anhörung ist insbesondere
von den Verbänden der Wohnungswirtschaft von erhebli-
chem Nachteilen für die Wohnungswirtschaft und für den
Wohnungsmarkt berichtet worden. Wir teilen diese Auf-
fassung und hätten uns eine gründlichere Bearbeitung im
Bundesjustizministerium gewünscht. Denn auch in Be-
richterstattergesprächen konnten die nicht finanziellen
Auswirkungen dargelegt werden.
Wir werden den Gesetzentwurf der Bundesregierung
daher nicht zustimmen. Gesetze müssen nicht nur rechts-
staatlich sein; sie sollten auch gerecht sein. Gerechtigkeit
wird jedoch weder die Ablehnung unseres Gesetzentwur-
fes bringen noch der Beschluss des Koalitionsentwurfes.
Dr. Evelyn Kenzler (PDS): Der Regierungsentwurf
will Ungereimtheiten und Ungerechtigkeiten bei der bis-
herigen Regelung offener Vermögensfragen bereinigen.
Dagegen wäre an sich nichts einzuwenden. (So ist es
durchaus überlegenswert, einen Restitutions- oder Ent-
schädigungsanspruch für Grundstücke einzuführen, die
zu DDR-Zeiten durch Erbausschlagung Volkseigentum
wurden. Es handelte sich dabei meist um überschuldete
und instandsetzungsbedürftige Wohnhäuser, die zu erben
eine nicht tragbare finanzielle Last war. An sich ist auch
eine Verbesserung der Regelungen beim „doppelten
Durchgriff“ zugunsten der bereits in der Zeit des Natio-
nalsozialismus Enteigneten nicht von vornherein abzu-
lehnen.
Diese Regelungen führen jedoch fast zwölf Jahre nach
der Vereinigung zu neuer Rechtsunsicherheit und zu er-
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. April 200223396
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(D)
(A)
(B)
heblichen finanziellen Belastungen für die ostdeutschen
Wohnungsunternehmen, die ohnehin überschuldet sind
oder sogar am Rande des Ruins stehen. In der Anhörung
des Rechtsausschusses am 17. April wurde berichtet, dass
für die Leipziger Wohnungs- und Baugesellschaft finan-
zielle Verpflichtungen in dreistelliger Millionenhöhe ent-
stehen. Der Entwurf wurde als „Insolvenzbeschleuni-
gungsgesetz“ bezeichnet. Der Bundesverband deutscher
Wohnungsunternehmen kommt zu der Einschätzung, dass
durch die neuen Belastungen der Stadtumbau Ost äußerst
gefährdet würde.
Die Bundesregierung schlägt ein Gesetz vor, ohne den
Kreis der Betroffenen, die Anzahl der zu erwartenden
Fälle und die finanziellen Folgen der Regelungen auch
nur einigermaßen genau bestimmen zu können. Sie trifft
aber nicht zugleich Maßnahmen zur finanziellen Entlas-
tung der Wohnungsunternehmen. Ich halte das für verant-
wortungslos. Meine Fraktion muss einem Gesetz die
Zustimmung verweigern, das zur finanziellen Strangu-
lierung der ostdeutschen Wohnungsunternehmen führen
kann.
Zum Entwurf der FDP, der einen ganz anderen Sach-
verhalt betrifft, ist Folgendes zu sagen: Meine antifaschis-
tische Gesinnung gebietet mir allergrößten Respekt vor
den mutigen Frauen und Männern des 20. Juli 1944 wie
auch vor allen anderen aktiven Kämpfern gegen den Hit-
ler-Faschismus. Es ergeben sich aber gewichtige völker-
rechtliche und verfassungsrechtliche Einwände gegen den
Vorschlag der FDP.
Die Betroffenen wurden zweifelsfrei „auf besatzungs-
rechtlicher bzw. besatzungshoheitlicher Grundlage“ im
Rahmen der Bodenreform in der sowjetischen Besat-
zungszone enteignet. Solche Enteignungen „sind nicht
mehr rückgängig zu machen“. So heißt es in der Gemein-
samen Erklärung der beiden deutschen Regierungen vom
15. Juni 1990. Möglich ist eine Ausgleichsleistung, aber
nicht die Rückgabe von Grund und Boden. Die Bodenre-
form soll nicht angetastet werden.
Die Erklärung ist nach Art. 41 Abs. 1 Bestandteil des
Einigungsvertrags. Sie ist in dem Gemeinsamen Brief der
beiden deutschen Außenminister anlässlich der Unter-
zeichnung des Zwei-plus-Vier-Vertrags an die Außenmi-
nister der vier Mächte verankert. Und schließlich ist die
Erklärung in Art. 143 Abs. 3 des Grundgesetzes bestätigt.
Das Bundesverfassungsgericht hat den Restitutionsaus-
schluss wiederholt für rechtsgültig erklärt. Von diesen
rechtlichen Vorgaben geht auch das Vermögensgesetz aus.
Aus diesen prinzipiellen Gründen müssen wir dem
Entwurf unsere Zustimmung versagen.
Dr. Eckhart Pick, Parl. Staatssekretär bei der Bun-
desministerin der Justiz: Mit dem Entwurf eines Zweiten
Gesetzes zur Änderung und Ergänzung vermögensrecht-
licher und anderer Vorschriften stehen heute abermals Re-
gelungen auf dem Gebiet der „Offenen Vermögensfra-
gen“ in den neuen Bundesländern auf der Tagesordnung.
Ich kann Ihnen versichern, dass auch die Bundesregierung
daran interessiert ist, in diesem inzwischen recht kompli-
zierten Rechtsbereich Kontinuität zu wahren und die be-
troffenen Verwaltungsbehörden und Gerichte nicht immer
wieder vor neue Anforderungen zu stellen. Wenn sich aber
in der Praxis erweist, dass das geltende Recht – seien es
auch Einzelfragen – nicht mehr zu Rechtsfrieden und ge-
rechten Ergebnissen führt, ist nach meiner Auffassung der
Gesetzgeber gefordert.
Der Entwurf – das haben wir immer betont – ändert
weder etwas an den bereits mit dem Einigungsvertrag ge-
troffenen grundlegenden Entscheidungen zur Rücküber-
tragung von Eigentum, das im Gebiet der DDR enteignet
wurde, noch bei der Entschädigung in den Fällen, in de-
nen die Rückübertragung ausgeschlossen ist. Vielmehr
verfolgt er vor allem zwei Anliegen, nämlich:
Erstens wollen wir dort Klarstellungen vornehmen, wo
sich gezeigt hat, dass missverständliche Formulierungen
vermögensrechtliche Verfahren behindern oder zu unzu-
treffenden Ergebnissen führen können. In diesem Sinne
– das sage ich vor allem mit Blick auf diejenigen, die al-
lein wegen der Gefahr zusätzlicher Belastungen der
Behörden die Vorschläge kritisieren – können die Neu-
regelungen sogar zur Beschleunigung und Vereinfachung
der Verfahren beitragen.
Und zweitens sollen die Vorschläge gerechtere Lösun-
gen ermöglichen, wo die geltenden Regelungen in Aus-
nahmekonstellationen für Alteigentümer zu unbilligen
Entscheidungen führen. Das sind wir den Betroffenen
schuldig.
Die Ausschüsse des Deutschen Bundestages haben sich
die parlamentarischen Beratungen zu diesem Gesetzent-
wurf nicht leicht gemacht.
Die vom Rechtsausschuss durchgeführte Experten-
anhörung hat uns in die Lage versetzt, uns sachkundig zu
machen und die Berechtigung der Änderungsvorschläge
einzuschätzen. Sie hat uns in unserer Auffassung bestä-
tigt, dass wir die Verfahren zur Regelung der offenen Ver-
mögensfragen nur dann zügig abschließen können, wenn
über die Entscheidungen der Vermögensämter möglichst
wenig Streitigkeiten entstehen. Denn Rechtsstreitigkeiten
ziehen sich mitunter über Jahre hin; sie belasten die Recht
Suchenden, die Behörden und Gerichte gleichermaßen.
Wenn wir zugunsten von NS-Verfolgten im Bereich
des so genannten doppelten Durchgriffs auf entzogene
Vermögensgegenstände in Zukunft in verstärktem Maße
verfolgungsbedingt entzogene Anteile an Mutterunter-
nehmen addieren wollen, dann gebietet dies zum einen die
Gerechtigkeit und es soll zum anderen der bestehenden
Rechtsunsicherheit entgegengewirkt werden. Auf die ge-
genwärtige Rechtsunsicherheit und die daraus folgende
uneinheitliche Verwaltungspraxis in den neuen Ländern
ist in der Anhörung wiederholt von den Sachverständigen
hingewiesen worden.
Die vorgeschlagene klarstellende Regelung ist ein
Kompromiss zwischen den berechtigten Anliegen der
NS-Verfolgten und dem Vertrauen der Verfügungs-
berechtigten – vor allem der Wohnungswirtschaft – da-
rauf, dass überhaupt keine Addition kleinerer Anteile er-
folgen werde: Die Anteile an verschiedenen Unternehmen
werden – nur – dann addiert, wenn der NS-Verfolgte auch
ohne diese zusätzlichen Anteile ohnehin schon einen An-
spruch auf Einräumung von Bruchteilseigentum hatte, sie
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. April 2002 23397
(C)
(D)
(A)
(B)
werden diesem ohnehin bestehenden Anspruch also nur
hinzugezählt. Damit wird gewährleistet, dass Vermögens-
werte, die bislang von Restitutionsansprüchen frei waren,
auch restitutionsfrei bleiben. Ein Wiederaufgreifen dieser
abgeschlossenen Verfahren wird es aufgrund der vorge-
schlagenen Regelung daher nicht geben.
Die Sachverständigen haben uns auch bestätigt, dass
sich aus der Regelung kein Mehraufwand für die Ämter
ergibt: Denn schon bisher müssen – nicht zuletzt für die
spätere Entscheidung über eventuelle Entschädigungs-
ansprüche – Kleinstbeteiligungen ermittelt werden.
In den vorliegenden Entwurf haben wir Vorschläge
aufgenommen, die erforderlich sind, um für die Alt-
eigentümer unbillige oder nicht mehr nachvollziehbare
Ergebnisse zu vermeiden. Lassen Sie mich das an einem
Beispiel darstellen:
Seit 1994 gibt es die Vorschrift, nach der Alteigen-
tümer, die ein Mietshaus nach dem Vermögensgesetz
zurückerhalten, die seit Juli 1994 eingenommenen und
nicht in die Verwaltung oder das Mietobjekt investierten
Mietzinsen beanspruchen können (§ 7 Abs. 7 VermG). Es
ist nicht recht nachzuvollziehen, weshalb dies dann nicht
gelten soll, wenn die Rückgabe an den Alteigentümer
nicht über einen vermögensrechtlichen Bescheid erfolgt,
sondern nach den §§ 21, 21 b des Investitionsvor-
ranggesetzes erfolgt. Wirtschaftlich wird das gleiche Er-
gebnis erzielt, nur das vorgelagerte Verfahren ist ein
anderes. Auch bei diesen Verfahren nach dem Investi-
tionsvorranggesetz besteht die Gefahr, dass sich die Ver-
fahren länger hinziehen. In der Zwischenzeit verfallen die
Häuser, wenn die Mieten nicht in sie investiert werden.
Dem Alteigentümer werden dann nicht nur die Miet-
erträge vorenthalten, sondern er erhält sein Haus auch
noch wertgemindert zurück. – Wir verkennen nicht die
enormen Anstrengungen der Wohnungswirtschaft und die
großen finanziellen Belastungen, vor denen die Unter-
nehmen infolge der jahrzehntelangen Misswirtschaft ste-
hen. Hier aber geht es um die Beseitigung einer „Schief-
lage“, deren Beibehaltung den Alteigentümern nicht zu
vermitteln ist.
Die Verfügungsberechtigten, so auch die Wohnungs-
wirtschaft, mussten in diesen Fällen schon bisher kalku-
lieren, die Nutzungen herausgeben zu müssen, weil stets
die Möglichkeit bestand, dass der Vermögenswert statt im
Verfahren nach dem Investitionsvorranggesetz nach dem
Vermögensgesetz zurückübertragen wird. Die Belastung
der Wohnungsbauunternehmen durch diese Neuregelung
ist dadurch begrenzt, dass der Anspruch binnen eines Jah-
res nach bestandskräftiger Feststellung der Berechtigung
geltend zu machen ist. In vielen Verfahren aus der Ver-
gangenheit ist diese Frist bereits verstrichen.
Auch die beabsichtigte Änderung des Vermögens-
gesetzes, die dazu führen wird, dass Teilgrundstücke
künftig auch dann an die Alteigentümer zurückgegeben
werden können, wenn sie nicht mit dem öffentlichen We-
genetz verbunden sind, erscheint mir dringend. Es ist
nicht nachzuvollziehen, dass die Wiedergutmachung von
Unrecht daran scheitern soll, dass zunächst ein bauord-
nungsrechtswidriger Zustand entsteht, zu dessen Beseiti-
gung der Gesetzgeber längst allerdings das rechtliche
Instrumentarium bereitgestellt hat.
Und gegen den Vorschlag, den Erbschein künftig kos-
tenfrei zu erteilen, wenn dieser zum Nachweis der Be-
rechtigung erforderlich wird, sind bisher ebenso keine
überzeugenden Argumente vorgetragen worden. Es ist
bisher nicht gelungen, die vermögensrechtlichen Anträge
vollständig abzuarbeiten. Sehr oft sind die Berechtigten
aber im höheren Lebensalter; mitunter versterben sie vor
der Entscheidung über ihren Anspruch. Dann ist es nach
meiner Ansicht auch gerechtfertigt, ihre Rechtsnachfolger
von den Kosten eines erforderlichen Erbscheins, der sie in
die Lage versetzt, den Anspruch weiter zu verfolgen, zu
befreien.
Der Gesetzentwurf enthält ferner Regelungen für das
Entschädigungsgesetz. Hier werden vor allem Klarstel-
lungen zu den Berechnungs- oder Anrechnungsgrund-
lagen bei der Bemessung von Entschädigungsleistungen
getroffen. Diese greifen zum Teil eine bereits zwischen
Bund und Ländern abgestimmte Verwaltungspraxis auf.
Ich habe anhand von Beispielen versucht, Ihnen das
Erfordernis der Neuregelungen zu verdeutlichen und da-
mit zugleich im Gesetzgebungsverfahren geäußerte Vor-
behalte abzubauen. Ich bitte Sie, dem Gesetz zuzustim-
men.
Anlage 14
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur
Errichtung einer Stiftung Deutsche Geisteswis-
senschaftliche Institute im Ausland, Bonn
(Tagesordnungspunkt 32)
Hans-Werner Bertl (SPD): Im Geschäftsbereich des
BMBF befinden sich zurzeit sieben geisteswissenschaft-
liche Auslandsinstitute mit Standorten in Rom, Paris,
London, Washington, Warschau, Beirut/Istanbul und To-
kio. Die Institute erfüllen wichtige Aufgaben in den Be-
reichen Forschung, Service und Nachwuchsförderung
und sind aufgrund ihrer historischen Entwicklung recht-
lich unterschiedlich organisiert. Auf Bitten des BMBF hat
der Wissenschaftsrat in den Jahren 1996 bis 1999 diese In-
stitute sowie das damals noch im Geschäftsbereich des
BMBF befindliche Kunsthistorische Institut Florenz eva-
luiert. In seiner abschließenden Stellungnahme regt der
Wissenschaftsrat an, zu prüfen, ob ein gemeinsames insti-
tutionelles Dach für alle aus öffentlichen Mitteln finan-
zierten geisteswissenschaftlichen Forschungseinrichtun-
gen im Ausland geschaffen werden sollte – das
Kunsthistorische Institut Florenz wurde wegen der be-
sonderen fachlichen Nähe zur Bibliotheca Hertziana, die
von der Max-Planck-Gesellschaft getragen wird, an diese
mit Wirkung ab Anfang dieses Jahres übertragen.
Der uns heute vorliegende Gesetzesentwurf folgt der
Anregung des Wissenschaftsrates. Das Ziel des Gesetzes
ist die Schaffung eines neuen Rechtsträgers, unter dessen
Dach die Institute zusammengefasst werden sollen. Die
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. April 200223398
(C)
(D)
(A)
(B)
Zusammenfassung in einem Träger schafft die dringend
notwendige Voraussetzung für mehr interne Kooperation,
ein verbessertes Auftreten in der Öffentlichkeit, die bes-
sere Wahrnehmung gemeinsamer Anliegen und die Er-
leichterung von Neuaufnahmen unter einem gemeinsa-
men Dach – es gibt zum Beispiel bereits jetzt konkrete
Überlegungen für ein neues Institut in Russland.
Für die Zukunftsfähigkeit der Institute ist die Zusam-
menfassung unter einem gemeinsamen Dach Vorausset-
zung. Die über teilweise mehr als 100 Jahre gewachsenen
Strukturen der einzelnen Institute tragen den heutigen An-
forderungen in einer global orientierten und modernen in-
ternationalen Forschungslandschaft hinsichtlich der
Sichtbarkeit der Institute wie auch ihrer Kooperation un-
tereinander nicht mehr hinreichend Rechnung. Teilweise
waren die Institute bisher in der Form unselbstständiger
Bundesanstalten organisiert – diese Rechtsform ist für
Forschungseinrichtungen denkbar ungeeignet. Die Aus-
gestaltung von zum Beispiel administrativen Eingriffs-
rechten, wissenschaftlicher Selbstkontrolle, Beiratswesen
oder Befristung von Funktionen entsprach in Details nicht
mehr den heutigen vom Wissenschaftsrat geforderten
Standards.
Den ab und zu laut werdenden Vorwurf des Zentralis-
mus oder gar Dirigismus muss man sich wegen dieses Ge-
setzentwurfes nicht machen lassen – er ist unfair und ent-
spricht nicht den Tatsachen. Die Zusammenfassung als
solche unter einem Dach mit einem Stiftungsrat, der über-
wiegend mit Wissenschaftlern besetzt ist, kann nicht als
Dirigismus bezeichnet werden. Das vorgelegte Gesetz
fällt hinsichtlich der wissenschaftlichen Freiheit der ein-
zelnen Institute hinter keine der bisher existierenden Re-
gelungen zurück. Über die Abgrenzung der Aufgaben
zwischen den örtlichen Verwaltungen und der gemeinsa-
men Geschäftsstelle besteht Konsens.
Auch die wissenschaftliche Freiheit der Institute ist
nicht in Gefahr. Die Institute bleiben wissenschaftlich
selbstständig – § 2 Abs. 2 des Gesetzentwurfes –, es gibt
eine klare Abgrenzung zwischen den Befugnissen der Di-
rektoren und den Befugnissen des Stiftungsrates, der als
Aufsichts- und Lenkungsgremium konstruiert ist.
Ich möchte an dieser Stelle zum Abschluss hervorhe-
ben – ich habe dies auch im Bildungs- und Forschungs-
ausschuss betont –, dass bei der Besetzung der Leitungs-
gremien die Vorschläge des Wissenschaftsrates in aller
Konsequenz umgesetzt werden müssen. Der Wissen-
schaftsrat fordert ausdrücklich im aktiven Berufsleben
stehende Persönlichkeiten zu berücksichtigen und
betont – und das ist heute eine Selbstverständlichkeit –
dass auch Frauen in den Leitungsgremien dieser Institute
deutlich berücksichtigt werden sollen.
Werner Lensing (CDU/CSU): Den deutschen Geis-
teswissenschaftlichen Auslandsinstituten gebührt aus
Sicht der Unionsfraktion schon immer eine besondere Pri-
orität. Garantieren doch deren wissenschaftliche Leistun-
gen eine würdige Repräsentanz Deutschlands im Ausland.
Diese sind auf diese Weise willkommene Botschafter un-
serer geisteswissenschaftlichen Kultur. Nicht von unge-
fähr bescheinigt der Wissenschaftsrat den Auslandsinsti-
tuten in seinem jüngsten Gutachten ausdrücklich eine
überaus erfolgreiche Arbeit und wissenschaftliche Qua-
lität. Zu dieser exponierten Stellung erbrachten nicht Zu-
letzt die jeweiligen Institutsdirektorinnen und -direktoren
einen entscheidenden Beitrag. Mit deren persönlichem
und fachlichem Engagement stehen und fallen die Qua-
lität und damit die Außenwirkung der Auslandsinstitute.
Daher erscheint es der Union besonders wichtig, die
Freiheit und die Unabhängigkeit dieser Institute zu ge-
währleisten. Vor diesem Hintergrund sucht man überra-
schenderweise im Gutachten des Wissenschaftsrates ver-
geblich einen triftigen Grund, nach dem die Autonomie
der Institute in einer derartig tief greifenden Art einzu-
schränken sei, wie es der vorliegende Gesetzesentwurf
vorsieht.
Einer Optimierung der Synergieeffekte, wie vom Wis-
senschaftsrat vorgeschlagen, wird niemand widerspre-
chen wollen. Dann sollte allerdings auch in voller Konse-
quenz des Vorhabens das Deutsche Archäologische
Institut mit einbezogen werden.
So regt Herr Professor Dr. Einhäuptl vom
Wissenschaftsrat zu Recht an – siehe Ausschussdrucksa-
che 14/585 –: „Die Zusammenfassung aller deutschen
Geisteswissenschaftlichen Auslandsinstitute – neben den
von BMBF finanzierten auch das vom Auswärtigen Amt
finanzierte Deutsche Archäologische Institut und die zur
Max-Planck-Gesellschaft gehörenden Bibliotheca Hert-
ziana – in einem gemeinsamen institutionellen Verbund
im Sinne einer Nutzung synergetischer Effekte und damit
einer Stärkung der wissenschaftlichen Präsenz Deutsch-
lands im Ausland zu erwägen“.
Doch derzeit kann davon leider keine Rede sein. Of-
fensichtlich ist in der rot-grünen Regierung eine effektive
Verständigung über die Grenzen einzelner Ministerien
hinweg kaum noch möglich. In Anbetracht dieser nicht zu
leugnenden Verständigungsprobleme überrascht es nicht,
wenn in letzter Zeit das Bundesministerium für Bildung,
Forschung und Technikfolgenabschätzung erhebliche
Schwierigkeiten hatte, freie Direktorenstellen mit kompe-
tenten Persönlichkeiten zu besetzen. Offensichtlich waren
die angelegten Auswahlkriterien nicht nur rein fachlicher
Natur! Ansonsten hätte es keine Probleme bereiten dür-
fen, unter der Vielzahl hervorragender deutscher Histori-
ker einen geeigneten Vorschlag für den vakanten Posten
in Washington zu finden.
0ffensichtlich spielten bisher bei der Auswahl der Di-
rektoren die Vorstellungen des entsprechenden SPD-Ar-
beitskreises eine entscheidendere Rolle als die jeweilige
fachliche Kompetenz der Bewerber. Die betroffenen
Beiräte leisteten daher aus verständlichem Grund erbit-
terten Widerstand. Wie dünn in der rot-grünen Gefolg-
schaft die Personaldecke ist, brauche ich sicherlich vor
diesen Hause nicht erneut zu erläutern.
Ich sage es mit gebotener Offenheit: Der gegenwärtige
Stillstand ist für die Auslandsinstitute unerträglich. Daher
darf auf keinen Fall die Neubesetzung der Direktorenstel-
len durch ideologisches Gezerre auf die lange Bank ge-
schoben werden, da darunter auch die wissenschaftliche
Arbeit zu stark leiden würde.
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. April 2002 23399
(C)
(D)
(A)
(B)
Gleiches gilt für die Besetzung der Beiräte. Das
Vorschlagsrecht der Beiräte auf Ergänzung sollte stär-
ker Berücksichtigung finden, als bisher beabsichtigt.
Schließlich sollte der Stiftungsrat sinnvollerweise im
Regelfall den Vorschlägen des Beirates folgen. Abwei-
chungen müssten gegebenenfalls – natürlich überzeu-
gend – begründet werden. Dabei könnte sich der Stif-
tungsrat auf die Voten der gewählten Fachgutachter der
Deutschen Forschungsgemeinschaft und des Historiker-
verbandes beziehen, zumal diese ohnehin gemäß einer
Empfehlung des Wissenschaftsrates anzuhören sind. Auf
diese Weise könnte wirksam verhindert werden, dass
sich Beiräte allzu autonom nur aus einem bestimmten
Kreis rekrutieren.
Wenn die Damen und Herren von der Regierungsko-
alition die wiederholt von ihnen beschworene Freiheit der
Institute wirklich ernst nehmen, müssten sie dem Vor-
schlag der Union zustimmen und ein Selbstergänzungs-
recht der Beiräte im Antrag zulassen. Doch sie reden im-
mer nur von Freiheiten und meinen damit tatsächlich das
Einsetzen von Kontrollgremien.
Die Direktoren der Institute fühlen sich verständlicher-
weise durch den Gesetzentwurf der Regierung mediati-
siert. Sie befürchten zudem eine Minderung ihres Anse-
hens im Gastland. Bekanntlich haben sich bisher vor Ort
die Wissenschafts- und/oder Kulturreferate der Botschaf-
ten sehr erfolgreich um die Institute gekümmert.
Jetzt soll jedoch auf Betreiben der rot-grünen Koalition
eine zentrale Geschäftsstelle in Bonn angesiedelt werden,
die von der wirklichen Situation im jeweiligen Gastland
kaum hinreichend Kenntnis haben dürfte. Angesichts der
Tatsache, dass die Institute um jede einzelne und befris-
tete Stelle zu kämpfen haben, stellt sich die Frage, welche
Anzahl von Personen in der Geschäftsstelle tatsächlich
angesiedelt werden soll. Auf keinen Fall akzeptieren wir
eine unnötige und kaum verantwortbare Verwaltungs-
bürokratie. Ich frage deshalb: Welche konkreten Aufga-
ben soll denn diese Zentralstelle übernehmen? Werden
demnächst etwa die hierfür im Haushalt bereitgestellten
Mittel aus dem Etat der Institute abgezogen?
Nach Auffassung der Regierung wird mit einer solchen
Geschäftsstelle das Ministerium entlastet. Ich gebe jedoch
dies zu bedenken: Wirklich komplizierte Dinge, wie
Haushaltsplanverhandlungen mit dem BMF und Beru-
fungsverhandlungen mit den Direktoren – auch hier muss
der BMF gewissen Sonderabsprachen zustimmen – kann
eine solche Geschäftsstelle kaum wirksam übernehmen.
Schließlich waren in der Vergangenheit hierbei im Regel-
fall zu Recht Staatssekretäre involviert.
Ich sehe überdies auch diese Probleme: Noch immer
sind die dienst- und arbeitsrechtlichen Fragen im Hinblick
auf die geplante Statusänderung der „Kapitelinstitute“ für
die betroffenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in kei-
ner befriedigenden Weise geklärt: So gibt es bis heute
noch keine klare Aussage des zuständigen Ministeriums,
in welcher verbindlichen Rechtsform die bisherigen Be-
amtinnen und Beamten im Rahmen der Stiftungen tätig
werden sollen.
Der § 12 Abs. 2 des Gesetzentwurfes bietet zwar eine
Sicherheitsklausel für die erworbenen Rechte aus Arbeits-
und Ausbildungsverhältnissen. Rechte aus beamtenrecht-
lichen Dienstverhältnissen werden hingegen mit keinem
Wort erwähnt.
Bisher liegen mir keinerlei Informationen vor, in wel-
cher Abgrenzung bei beamtenrechtlichen Fragen die
Kompetenzverteilung zwischen der Geschäftsstelle der
Stiftung und dem zuständigen Ministerium erfolgen soll.
Weiterhin ungeklärt ist die Frage des Verbleibs aller
Beschäftigten mit deutschen Dienst- und Arbeitsverhält-
nissen im deutschen Sozialsystem. In Italien zum Beispiel
herrscht Sozialversicherungspflicht. Eine Befreiung ist
bekanntlich nur in Ausnahmefällen und auf Antrag mög-
lich.
Ich will nicht hoffen, dass die betroffenen Mitarbeite-
rinnen und Mitarbeiter bewusst im Unklaren gelassen
werden, bis sie schließlich vor vollendeten Tatsachen ste-
hen. Ich fordere daher das Ministerium auf, oben ge-
nannte dienstrechtliche Konsequenzen, die sich aus dem
Gesetzentwurf ergeben, umgehend und auch zufrieden
stellend mit den beteiligten Mitarbeiterinnen und Mit-
arbeitern zu klären.
Fazit: Ich halte es für erfreulich, dass es der Union ge-
lungen ist, die Zahl der im Stiftungsrat vertretenen wis-
senschaftlichen Beiräte aus den Auslandsinstituten auf
vier zu erhöhen. Das nenne ich bei den noch vorherr-
schenden Mehrheitsverhältnissen einen achtbaren Erfolg.
Was allerdings von den fortwährenden Beteuerungen der
Regierung zu halten ist, die Freiheit und Autonomie der
Institute zu achten und die geplante Geschäftsstelle über-
schaubar klein zu halten, wird die Zukunft weisen. Ich
hoffe, dass die Besetzung von Direktorenposten und wei-
tere bedeutsame Personalentscheidungen in Zukunft ohne
einen ideologischen Filter erfolgen können. Dies schul-
den wir dem Ruf der deutschen Geisteswissenschaftli-
chen Institute.
Dr. Reinhard Loske (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Die Bundesregierung verfolgt mit diesem Gesetz das Ziel,
einen neuen Rechtsträger zu schaffen, unter dessen Dach
die sieben geisteswissenschaftlichen Institute im Ge-
schäftsbereich des BMBF zusammengefasst werden sol-
len. Ihnen kommt eine wichtige Rolle in der auswärtigen
Kulturpolitik zu. Die Zusammenfassung bildet die Vo-
raussetzung für eine verstärkte Kooperation der Institute
untereinander und erleichtert Neuaufnahmen unter einem
gemeinsamen Dach. Darüber hinaus stärken wir die Posi-
tion der Institute, die in Zukunft ihre Interessen gebündelt
vertreten können.
In anderen Worten kann man auch sagen: Wir nutzen
die synergetischen Effekte und stärken die wissenschaft-
liche Position Deutschlands im Ausland. Bisher waren die
Institute faktisch absolut unabhängig, die Direktoren
konnten eigenständig im jeweiligen Gastland auftreten.
Die finanzielle Ausstattung der Institute war hervorra-
gend. Diese wird in Zukunft auch nicht beschnitten.
Vereinzelte Vorwürfe, die Regierung würde mit diesem
Gesetz den spezifischen Ausgestaltungen der einzelnen
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. April 200223400
(C)
(D)
(A)
(B)
Institute widersprechen und damit dem Zentralismus Tür
und Tor öffnen, halte ich für nicht gerechtfertigt. Die Ein-
richtung eines gemeinsamen Stiftungsrats kann nicht als
Dirigismus bezeichnet werden. Die Institute können statt-
dessen von verwaltungstechnischen Synergieeffekten
profitieren, ihre wissenschaftliche Eigenständigkeit aber
beibehalten.
Wir schaffen mit diesem Gesetz also die Voraussetzun-
gen für eine kontinuierliche Weiterentwicklung der Ein-
richtungen in einer stärker global orientierten Zeit. Dane-
ben werden unauffällig einige Unebenheiten ausgebügelt,
die nicht mehr zeitgemäß sind.
Ich stimme deshalb dem Gesetzentwurf der Bundes-
regierung zu.
Ernst Burgbacher (FDP): Der Gesetzentwurf der
Bundesregierung zur Errichtung einer Stiftung Deutsche
Geisteswissenschaftliche Institute im Ausland mit Sitz in
Bonn weist in der vorliegenden Form einige Mängel und
Schwachstellen auf, denen wir als FDP nicht zustimmen
können. Daher enthalten wir uns in der heutigen Abstim-
mung.
Der Gesetzentwurf sieht vor, die sieben im Geschäfts-
bereich des BMBF befindlichen geisteswissenschaftli-
chen Auslandsinstitute mit unterschiedlichen Organisati-
onsformen – die Deutschen Historischen Institute in Paris,
London, Rom, Warschau und Washington sowie das
Kunsthistorische Institut in Florenz, das Orientinstitut in
Beirut und Istanbul sowie das Deutsche Institut für Japan-
studien in Tokio – als öffentlich-rechtliche Stiftung zu-
sammenzufassen. Vorausgegangen ist in den Jahren 1996
bis 1999 eine Evaluation der Institute durch den Wissen-
schaftsrat, der den Instituten viel Anerkennung aussprach.
Dennoch empfahl der Wissenschaftsrat einen gemeinsa-
men institutionellen Verband.
Zu kritisieren ist, dass der nun vorliegende Gesetzent-
wurf der Regierung über die Köpfe der unmittelbar Be-
troffenen hinweg erarbeitet wurde. Die Expertenanhörung
des Bildungsausschusses hat gezeigt, dass die Skepsis
groß ist. Zahlreiche Fragen wurden aufgeworfen, die die
Bundesregierung nicht schlüssig beantworten konnte.
Zum Beispiel: Wo können die viel beschworenen
„Synergieeffekte“ zwischen dem Deutschen Historischen
Institut in Rom und dem Deutschen Institut für Japan-
studien liegen? Hier sind große Zweifel erlaubt. Syner-
gieeffekte ergeben sich hingegen seit langem aus der
fruchtbaren Zusammenarbeit das DHI in Rom mit der Bi-
bliotheca Hertziana. Der historische Kontext der Institute
in ihren Gastländern wird ignoriert.
Wäre es nicht konsequent, bei einer „Entlassung in die
Unabhängigkeit“ die Entscheidungsautonomie bei Perso-
nalentscheidungen der Stiftung weitgehend zu übertragen?
Stattdessen behält sich das BMBF ein entscheidendes Mit-
spracherecht und Vetorecht bei der Personalauswahl vor.
Zugleich wird in Kauf genommen, dass die Unabhängig-
keit der Direktoren in ihren Gastländern durch die Media-
tisierung merklich geschwächt wird.
Verwunderlich ist, dass im Stiftungsrat zwar Wissen-
schaftsorganisationen, die überwiegend naturwissenschaft-
lich geprägt sind, wie die Max-Planck-Gesellschaft (MPG)
oder die Alexander-von-Humboldt-Stiftung (AvH), vertre-
ten sein sollen, nicht aber der Verband der Historiker
Deutschlands (VHD).
Erlaubt sei auch die Frage: Was ist mit den geistes-
wissenschaftlichen Instituten im Geschäftsbereich des
Auswärtigen Amtes?
Wie soll der konkrete Aufgabenbereich der Stiftung
aussehen? Eindringlich wurde von allen Experten – so-
wohl den dezidierten Gegnern wie den vorsichtigen Be-
fürwortern einer Stiftung – davor gewarnt, dass die Ge-
schäftsstelle Aufgabenbereiche an sich ziehen werde und
die Arbeit der Institute durch ein Mehr an Bürokratie und
Zentralismus erschweren statt erleichtern könne. Deshalb
muss die Geschäftsstelle wirklich klein angelegt sein und
klein bleiben. Es darf sich kein bürokratischer Wasserkopf
entwickeln.
Prinzipiell ist es richtig, sich Gedanken zu machen, wie
die Effizienz der Institute erhöht werden kann und welche
Synergieeffekte möglich sind. Dem stimmen wir Libera-
len zu, jedoch nicht dem Gesetzentwurf der Regierung in
dieser Form. Deshalb haben wir einen Änderungsantrag
eingebracht, der auch die berechtigten Einwände der be-
troffenen Historiker angemessen berücksichtigt. Dies gilt
insbesondere für die Bestellung der Direktoren. Ein abso-
lutes Vetorecht des Bundes lehnen wir ab. Wir fordern ein
suspensives Vetorecht in der ersten Abstimmung; bei ei-
ner zweiten Abstimmung entscheidet die Mehrheit der
Stiftungsratmitglieder. Auf diese Weise wird verhindert,
dass über Jahre hinweg ein Direktorenposten unbesetzt
bleibt, wie dies in Washington der Fall ist.
Aus Sicht der FDPmuss die Position der wissenschaft-
lichen Beiräte gestärkt werden. Die Zahl der Vertreter der
wissenschaftlichen Beiräte ist deshalb zu erhöhen. Damit
die Gesamtzahl von elf Mitgliedern im Stiftungsrat nicht
überschritten wird, soll nur ein Vertreter der DFG dem Stif-
tungsrat angehören. Auch müssen die wissenschaftlichen
Beiräte der einzelnen Institute ihr Vorschlagsrecht zur
Selbstergänzung erhalten. Die ursprüngliche Formulie-
rung im Gesetzenwurf der Regierung kommt einer Ent-
machtung der Beiräte durch den Stiftungsrat gleich und
schwächt deren Stellung in nicht akzeptabler Weise.
Wir bitten die Vertreter der Regierungskoalition, unse-
rem Änderungsantrag im Interesse der Freiheit der Wis-
senschaft und der effizienten Arbeit der Deutschen Aus-
landsinstitute zuzustimmen.
Dr. Heinrich Fink (PDS): Die PDS unterstützt alle Ini-
tiativen, die zur Optimierung der Arbeit der geisteswis-
senschaftlichen Auslandsinstitute beitragen. Wir begrüßen
daher auch das Grundanliegen des vorliegenden Gesetz-
entwurfs der Bundesregierung. Die insgesamt sieben im
Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Bildung
und Forschung angesiedelten Institute sollen demnach un-
ter dem Dach einer neuen öffentlich-rechtlichen Stiftung
des Bundes zusammengefasst werden. Übergreifende ge-
meinsame Aufgaben der einzelnen Institute sollen in
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. April 2002 23401
(C)
(D)
(A)
(B)
Zukunft vom Stiftungsrat und der Geschäftsstelle der
neuen Stiftung wahrgenommen werden.
Ich bin der Auffassung, dass die Arbeit der Auslands-
institute von dieser Organisationsreform profitieren kann.
Eine institutionelle Integration der geisteswissenschaftli-
chen Auslandsinstitute kann zur Erhöhung der Leistungs-
fähigkeit und Effizienz der Arbeit der Stiftungen beitragen,
wenn sie die Selbstverwaltungsrechte der Einrichtungen
grundsätzlich respektiert. Darüber hinaus sehe ich die Per-
spektive, eine stärkere Öffnung der Arbeit der Institute für
gesellschaftliche Belange in Deutschland und in den Sitz-
ländern der Institute herzustellen.
Gleichwohl weist der von der Bundesregierung vorge-
legte Gesetzentwurf im Einzelnen eine Reihe von
Schwachstellen auf, die auch bei Sachverständigenan-
hörung im Ausschuss für Bildung, Forschung und Tech-
nikfolgenabschätzung am 20. März diesen Jahres zur
Sprache gekommen sind. So bedauere ich insbesondere,
dass die Stiftung lediglich die dem Geschäftsbereich des
BMBF zugeordneten Institute umfassen soll, aber die
Auslandsinstitute im Bereich des Auswärtigen Amtes, na-
mentlich das Deutsche Archäologische Institut und die
Bibliotheca Hertziana, außen vor bleiben sollen.
Darüber hinaus halte ich die Zusammensetzung des
wichtigsten Organs der neuen Stiftung, des Stiftungsrats,
für unausgewogen. Dieses Gremium ist immerhin für so
entscheidende Fragen wie die Satzungsgebung, die Fest-
stellung des Wirtschaftsplans oder bedeutsame Personal-
entscheidungen der Stiftungen zuständig. Erfreulicher-
weise ist die Zahl der Vertreterinnen und Vertreter der
Institute von drei auf vier angehoben worden – so sieht es
die vorliegende Beschlussempfehlung des federführen-
den Ausschusses vor. Die PDS begrüßt diese Korrektur,
weil sie dem Gedanken der wissenschaftlichen Selbstver-
waltung besser gerecht wird.
Für problematisch halte ich jedoch weiterhin, dass dem
Stiftungsrat keine Vertreterinnen und Vertreter der wis-
senschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und des
sonstigen Personals der Stiftungen angehören. Diese dür-
fen lediglich mit beratender Stimme an den Sitzungen
teilnehmen. Ich frage mich ferner, warum unter den im
Stiftungsrat vertretenen Wissenschaftlerinnen und Wis-
senschaftlern keine Vertreterinnen und Vertreter der
Hochschulen sind. Schließlich soll die Organisationsre-
form auch die Zusammenarbeit der Auslandsinstitute mit
den Hochschulen im In- und Ausland fördern. Gesell-
schaftliche Interessen halte ich für unterrepräsentiert:
Dem Stiftungsrat gehört lediglich eine vom Stifterver-
band für die Deutsche Wissenschaft benannte Vertretung
der Wirtschaft an; weder Gewerkschaften noch andere re-
levanten gesellschaftlichen Kräfte sind repräsentiert.
Schließlich ist entgegen der Empfehlung des Wissen-
schaftsrats auch keine Vertretung ausländischer Wissen-
schaftlerinnen und Wissenschaftler im Stiftungsrat ge-
währleistet.
Zum Abschluss möchte ich kritisch einwenden, dass
mit dem Regierungsentwurf auch das Gleichgewicht zwi-
schen der staatlicher Kontrolle und Rahmensetzung durch
den Staat auf der einen Seite und der wissenschaftlichen
Selbstverwaltung auf der anderen Seite nicht gesichert
wird. Ich denke dabei insbesondere an das Vetorecht der
Vertreterinnen und Vertreter des BMBF im Stiftungsrat in
Angelegenheiten des Wirtschaftsplans, der Bestellung
von Institutsdirektorinnen und -direktoren und bei Sat-
zungsänderungen sowie an die Berufung der wissen-
schaftlichen Beiräte der Einzelinstitute durch den Stif-
tungsrat. In diesen Fragen sind Nachjustierungen
angemessen, sodass die PDS dem vorliegenden Ände-
rungsantrag der FDP-Fraktion zustimmt.
Die von mir benannten Schwachstellen des Gesetzent-
wurfs sind jedoch nicht so gravierend, dass sich meine
Fraktion den zu erwartenden Verbesserungen der Rah-
menbedingungen der Arbeit der geisteswissenschaftli-
chen Auslandsinstitute in den Weg stellen wird. Trotz der
Unzulänglichkeiten im Detail ist der Gesetzentwurf ins-
gesamt zustimmungsfähig, da auf diese Weise die not-
wendige Organisationsreform der Auslandsinstitute über-
haupt in Gang gesetzt wird. Ich erwarte, dass die
Auswirkungen der Reform und die Arbeit der Stiftung in
absehbarer Zeit evaluiert werden und wir über weitere
Verbesserungen des Gesetzes sowie die Einbeziehung
weiterer Institute diskutieren können.
Wolf-Michael Catenhusen, Parl. Staatssekretär bei
der Bundesministerin für Bildung und Forschung: Mit
dem heute zur Entscheidung anstehenden Gesetzentwurf
beabsichtigt die Bundesregierung die Schaffung eines
neuen Rechtsträgers, unter dessen Dach die sieben geis-
teswissenschaftlichen Institute im Geschäftsbereich des
BMBF mit Standorten in Rom, Paris, London, Washington,
Warschau, Beirut/Istanbul und Tokio zusammengefasst
werden sollen. Die Zusammenfassung dieser Institute un-
ter dem Dach eines Trägers schafft die Voraussetzung für
mehr interne Kooperation, ein verbessertes Auftreten in
der Öffentlichkeit, die Erleichterung von Neuaufnahmen
unter einem gemeinsamen Dach – hier gibt es schon ein
konkretes Projekt in Russland – und die bessere Wahr-
nehmung gemeinsamer Anliegen. Dieses Vorhaben der
Bundesregierung ist ein Element der Anstrengungen der
Bundesregierung zur Neuordnung der Forschungsland-
schaft.
Die Initiative der Bundesregierung geht zurück auf ei-
nen Prüfauftrag des Wissenschaftsrates, der in den Jahren
1996 bis 1999 die oben genannten Institute und das
Kunsthistorische Institut Florenz evaluiert hat. In seiner
abschließenden Stellungnahme regte der Wissenschafts-
rat an, zu prüfen, ob ein gemeinsames institutionelles
Dach für alle aus öffentlichen Mitteln finanzierten geis-
teswissenschaftlichen Forschungseinrichtungen im Aus-
land geschaffen werden sollte.
Ausgehend hiervon hat das BMBF das Kunsthistori-
sche Institut Florenz wegen der besonderen fachlichen
Nähe zur Bibliotheca Hertziana, die von der Max-Planck-
Gesellschaft getragen wird, an diese mit Wirkung von An-
fang dieses Jahres übertragen. Für die übrigen Institute hat
das BMBF, ausgehend von einem Konzept zur Neuord-
nung der geisteswissenschaftlichen Einrichtungen im
Ausland, eine gemeinsame öffentlich-rechtliche Träger-
schaft konzipiert, die alle oben genannten Einrichtungen
umfassen soll.
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. April 200223402
(C)
(D)
(A)
(B)
Damit wird den Einrichtungen eine Organisationsform
gegeben, die mehr wissenschaftliche Selbstverwaltung
ermöglicht. Ich betone das insbesondere, weil in der Dis-
kussion um den Gesetzentwurf und die Neuordnung der
Auslandsinstitute immer wieder der Vorwurf erhoben
wurde, es würden die Voraussetzungen für mehr Zentra-
lismus und mehr Dirigismus geschaffen. Der Vorwurf ist
unfair und entspricht nicht den Tatsachen. Gerade die so
genannten Kapitelinstitute sind bisher als nachgeordnete
Behörde verfasst, was bestimmt nicht ihrer Aufgabe und
ihrem Anspruch auf wissenschaftliche Unabhängigkeit
entspricht. Die Zusammenfassung unter einem Dach er-
folgt mit einem Stiftungsrat, der überwiegend mit Wis-
senschaftlern besetzt ist. Die Institute behalten ihre
Selbstständigkeit. Es gibt eine klare Abgrenzung zwi-
schen den Befugnissen der Direktoren und den Befugnis-
sen des Stiftungsrates, der als Aufsichts- und Lenkungs-
gremium konstruiert ist. Um es ganz deutlich zu sagen:
Das vorgelegte Gesetz fällt hinsichtlich der wissenschaft-
lichen Freiheit der einzelnen Institute hinter keine der bis-
her existierenden Regelungen zurück. Es schafft gleich-
zeitig die Voraussetzungen für eine kontinuierliche
Weiterentwicklung der Einrichtungen in einer stärker glo-
bal orientierten Weit.
Die bisher geäußerte Kritik erklärt sich für mich vor al-
lem aus der Angst vor dem unbekannten Neuen. Das zeigt
sich auch daran, dass vonseiten des Kunsthistorischen
Instituts Florenz keine vergleichbaren Vorwürfe oder Be-
denken gegen eine Integration in die Max-Planck-Gesell-
schaft erhoben wurden. Auch die Max-Planck-Gesell-
schaft verfügt über eine zentrale Verwaltung und ein
gemeinsames Leitungs- und Aufsichtsgremium.
In der Diskussion ist darüber hinaus oft der Sinn der
Zusammenfassung hinterfragt worden und insbesondere
auf die positive Evaluation der einzelnen Institute durch
den Wissenschaftsrat verwiesen worden. Die Zusammen-
fassung der Institute unter einem gemeinsamen Dach ist
aus Sicht der Bundesregierung Voraussetzung für die wei-
tere Entwicklung der Institute. Die gewachsenen Struktu-
ren der einzelnen Institute – beim DHI Rom sind es mehr
als 100 Jahre – tragen den heutigen Anforderungen in
einer global orientierten und modernen internationalen
Forschungslandschaft hinsichtlich der Sichtbarkeit der
Institute wie auch ihrer Kooperation untereinander nicht
mehr hinreichend Rechnung. Der Gesetzentwurf schafft
die Voraussetzung für eine kontinuierliche und zukunfts-
fähige Weiterentwicklung der Einrichtungen. Für die In-
stitute ist damit keine Revolution beabsichtigt. Die Insti-
tute bedürfen auch keiner Revolution, sondern vielmehr
einer Weiterentwicklung, für deren Voraussetzung die
Bundesregierung sorgt.
Es ist erfreulich, dass im Verlauf der Diskussion sich
überwiegende Teile der Opposition dem Gesetzentwurf
der Bundesregierung angeschlossen haben. Ursache hier-
für mag vielleicht auch gewesen sein, dass die Erkenntnis
in die Notwendigkeit für eine Reform der Struktur der
Auslandsinstitute bereits unter der letzten Bundesregie-
rung existierte – jedoch dann der Mut zur Umsetzung
nicht mehr vorhanden war. Insofern danke ich für die Un-
terstützung.
Anlage 15
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Antrags: Eine Grundsicherung
in die Arbeitslosenversicherung einführen
(Tagesordnungspunkt 33)
Ute Kumpf (SPD):Der Antrag der PDS-Fraktion ist
nicht nur populistisch, er ist auch nicht durchdacht. Denn
die geforderte Einführung einer bedarfsorientierten Grund-
sicherung in die Arbeitslosenversicherung ist schlichtweg
eine unzulässige Vermischung des Versicherungsprinzips
in der Arbeitslosenversicherung mit dem Fürsorgeprinzip.
Völlig klar ist – die Einführung einer Grundsicherung
würde jeden Anreiz für einen Arbeitslosenhilfeempfänger
beseitigen, selbst aktiv zu werden und sich um eine neue
Beschäftigung zu bemühen. In diesem Punkt herrscht par-
teiübergreifend – bis auf eine Ausnahme – Übereinstim-
mung. Einmal wieder lässt die alte passive Denkweise der
PDS grüßen.
Manchmal kommt man mit dieser Denkweise auch zu
spät und rennt gegen Mauern an, wo gar keine sind. So ge-
schehen bei der Forderung der PDS nach Zusammenfas-
sung der Aufgaben von Arbeits- und Sozialämtern. Hier
ist die Bundesregierung bereits aktiv. Die Zusammen-
führung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe wird im
Rahmen der geförderten Modellvorhaben zur Verbesse-
rung der Zusammenarbeit von Arbeitsämtern und Trägern
der Sozialhilfe (MoZArT) bereits erprobt.
MoZArT steht für die Erprobung neuer Wege der Ko-
operation beider Leistungsträger, für die Verbesserung der
Arbeitsvermittlung von Hilfebedürftigen, für die Steige-
rung der Hilfen zur Eingliederung und schließlich für eine
bürgernahe und vereinfachte Gestaltung des Verwaltungs-
verfahrens. An diesem Modellvorhaben beteiligen sich
Arbeits- und Sozialämter in 30 Orten im gesamten Bun-
desgebiet.
Zur Zeit wird MoZArt mit einem Volumen von jährlich
bis zu 15 Millionen Euro gefördert. Gefördert werden re-
gionale und innovative Modellvorhaben, die eine sub-
stanzielle Verbesserung der Zusammenarbeit von Arbeits-
und Sozialverwaltung zum Ziel haben. Mit dem „Gesetz
zur Verbesserung der Zusammenarbeit von Arbeitsämtern
und Trägern der Sozialhilfe“, das die Koalitionsfraktionen
von SPD und Bündnis 90/Die Grünen am 20. Novem-
ber 2000 beschlossen haben, wurden die gesetzlichen
Grundlagen für eine verbesserte Zusammenarbeit von Ar-
beitsämtern und Sozialämtern gelegt.
Konkrete Inhalte sind die Errichtung von gemeinsamen
Anlaufstellen von Arbeitsamt- bzw. Sozialhilfeträgern, die
Straffung der Verwaltungsabläufe, die Verbesserung des
Informations- bzw. Datenaustausches zwischen den Äm-
tern, die Durchführung gemeinsamer Qualifizierungs-
bzw. Beschäftigungsmaßnahmen sowie die gemeinsame
Bewilligung und Auszahlung durch eine Stelle.
Diese Maßnahmen werden wissenschaftlich begleitet
und unter anderem mit dem Ziel ausgewertet, aus der Pra-
xis Erkenntnisse über Gestaltungsmöglichkeiten zu ent-
wickeln. Deshalb ist es zum gegenwärtigen Zeitpunkt
auch zu früh, über die einzelnen im Antrag geforderten
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Schritte einer Reform der Verwaltungswege zwischen Ar-
beits- und Sozialämtern zu entscheiden.
Der Reformbedarf der Sozialhilfe ist unbestritten. Mit
MoZArT sind wir auf dem richtigen Weg. Nun gilt es
zunächst die wissenschaftlichen Auswertungen der Erpro-
bungen abzuwarten, damit dieser Weg auch zum Ziel führt.
Erste Ergebnisse sollen Ende des Jahres 2002 vorliegen.
Wir fordern nicht nur – wir handeln auch. Auf dem Ge-
biet der aktiven Arbeitsmarktpolitik können wir bereits
Ergebnisse vorweisen, wo die PDS noch fordert. Denn die
im Antrag niedergeschriebenen Reformen der Maßnah-
men der aktiven Arbeitsmarktpolitik haben wir bereits im
Job-AQTIV-Gesetz umgesetzt.
Lassen Sie mich nur einige Beispiele nennen. Mit Job-
AQTIV werden unter anderem die derzeit bestehenden
unterschiedlichen Lohnkostenzuschüsse an Arbeitgeber
vereinheitlicht. Eine ABM-Förderung ist jetzt auch ohne
Wartezeit möglich. Bei ABM, die an Wirtschaftsunter-
nehmen vergeben werden, wurde im Gesetz die Voraus-
setzung der Zusätzlichkeit der Arbeiten durch die Voraus-
setzung des zusätzlichen Fördermitteleinsatzes ersetzt.
Neu hinzugekommen ist das Instrument der beschäf-
tigungsfördernden Auftragsvergabe.
Eine schlimme Erblast der Regierung Kohl ist der bis-
lang einmalige und traurige Rekord von Sozialhilfeemp-
fängern in Deutschland. Von 1992 bis 1998 ist die Zahl
der Sozialhilfeempfänger von 2,3 Millionen auf 2,9 Mil-
lionen Menschen gestiegen. Der Anteil der Sozialhilfe-
empfänger an der gesamten Bevölkerung lag damit bei
3,3 Prozent. 1965 lag dieser Anteil bei noch 1 Prozent.
Dies ist eine der gesellschaftspolitischen Bankrott-
erklärungen der Regierung Kohl.
Seit dem Regierungsantritt im Herbst 1998 ist es uns ge-
lungen, diesen verhängnisvollen Trend umzukehren. Zum
Jahresende 2000 ist die Zahl der Sozialhilfeempfänger auf
knapp 2,7 Mio. gesunken. Damit waren 8 Prozent weniger
Menschen auf Sozialhilfe angewiesen als noch 1998.
Damit können wir uns aber nicht zufrieden geben. Wir
suchen weiter nach Möglichkeiten, die Menschen aus der
Sozialhilfe zu führen.
Dabei spielt die stärkere Verzahnung von Arbeitslosen-
und Sozialhilfe eine wichtige Rolle. Unter dem Motto
„Fördern und Fordern“ setzen wir mit unserem Reform-
konzept die Linie konsequent fort, die wir auf dem Gebiet
der Arbeitsmarktpolitik mit dem Job-AQTIV-Gesetz ver-
folgen. Wir setzen auf das aktive Zusammenwirken der
verschiedenen Akteure vor Ort, auf eine intensive Bera-
tung, passgenaue und frühzeitig greifende Eingliede-
rungshilfe wie Hilfeplanung.
Wir streben eine Reform der Sozialhilfe an, die mehr
Bürgernähe und weniger Bürokratie bringt und zu einer
möglichst schnellen Eingliederung der Betroffenen in den
Arbeitsmarkt beiträgt. Im Mittelpunkt steht für uns der
Mensch. Gefragt ist die helfende Hand und nicht die dro-
hende Faust.
Ziel einer vom Lebenslagenansatz ausgehenden Re-
form soll ein einfaches, transparentes und in sich konsis-
tentes System der Gewährung der materiellen Hilfeleis-
tungen sein. Zum anderen geht es darum, durch mehr
individuelle Unterstützung Sozialhilfebedürftigkeit zu
vermeiden bzw. zu überwinden.
Für eine seriöse und an den Erfordernissen der Praxis
orientierte Reform der Sozialhilfe liegen in der nächsten
Legislaturperiode die notwendigen Ergebnisse aus
den noch laufenden Modellvorhaben wie zum Beispiel
MoZArT oder denen zur Pauschalierung von Leistungen
der Sozialhilfe vor.
Unsere Eckpunkte für eine solche Reform sind unter
anderem: Die Verbesserung der aktivierenden Instru-
mente und Leistungen der Sozialhilfe: Die zentralen Ele-
mente sind eine „Förderkette“ (Beratung, Assessment,
Hilfeplanung, Case-Management), der Zugang zu Be-
schäftigung und zu Qualifikation und die Ko-Produktion
der Beteiligten.
Die Verbesserung der Integration in den Arbeitsmarkt:
Für eine schnellere Integration in den Arbeitsmarkt gilt es
die laufenden Modellvorhaben aus dem Projekt MoZArT
zur Verbesserung der Zusammenarbeit von Arbeitsämtern
und Trägern der Sozialhilfe auszuwerten, die notwen-
digen Schlussfolgerungen zu ziehen und entsprechende
gesetzliche Regelungen zu treffen.
Die transparente und bedarfsgerechte Weiterentwick-
lung der finanziellen Leistungen.
Ein weiterer Eckpunkt ist schließlich die Stärkung der
Selbstverantwortung des Hilfeempfängers und die Ver-
einfachung der Verwaltung.
Wir bekennen uns zu unserer Verantwortung gegen-
über den Schwächeren in unserer Gesellschaft. Deswegen
wollen wir im Rahmen der Reform der Arbeitslosen- und
Sozialhilfe keine Absenkung der zukünftigen Leistungen
auf Sozialhilfeniveau. Die finanziellen Auswirkungen für
die Kostenträger werden in der Gemeindefinanzreform zu
berücksichtigen sein.
Denn wir fahren eine Politik der helfenden Hand und
nicht der drohenden Faust!
Wolfgang Meckelburg (CDU/CSU): Die PDS beab-
sichtigt mit ihrem Antrag, eine Grundsicherung in die Ar-
beitslosenversicherung einzuführen. Aus Sicht der Union
geht dieser Antrag in die völlig falsche Richtung. Die Ein-
führung einer Grundsicherung verhindert geradezu jeden
Anreiz für Arbeitslosenhilfeempfänger, sich selbst um
eine Beschäftigung zu bemühen.
Dies aber ist das erklärte Ziel der Reformvorschläge
der Union. Denn im Gegensatz zur rot-grünen Bundesre-
gierung verfügt die Union über ein gegengerechnetes Re-
formkonzept. Wir wollen durch eine Zusammenlegung
der beiden Systeme Beschäftigungsanreize für Langzeit-
arbeitslose schaffen und gleichzeitig die individuelle Be-
treuung der Arbeitssuchenden verbessern.
Die Kommunen sollen Träger der reformierten Hilfe-
leistung werden. Sie werden dafür bei der Sozialhilfe ent-
lastet – Kinder und Behinderte aus der Sozialhilfe – und
erhalten eigene Gestaltungsoptionen für den Arbeits-
markt. Hintergrund unserer Überlegungen ist, dass heute
rund 2,7 Millionen Sozialhilfeempfänger – darunter fast
1 Million Kinder! – auf die „Hilfe in besonderen Lebens-
lagen“ angewiesen sind. Das kostet die Kommunen rund
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10 Milliarden Euro pro Jahr. Die Gesamtausgaben der So-
zialhilfeträger belaufen sich auf fast 25 Milliarden Euro
und fließen zum größten Teil in die „Hilfe in besonderen
Lebenslagen“ wie zum Beispiel die Eingliederungshilfe
für Behinderte.
Von den 2,7 Millionen Sozialhilfeempfängern sind
rund 1 Million Menschen grundsätzlich arbeitsfähig, weil
sie weder Familienpflichten haben noch krank, behindert
oder über 65 Jahre alt sind. Daneben gibt es rund 1,3 Mil-
lionen Menschen, die ebenfalls arbeitslos und bedürftig
sind und die von der Bundesanstalt für Arbeit insgesamt
rund 13 Milliarden Euro in 2000 an Arbeitslosenhilfe be-
zogen haben. Unser Ziel ist es, diesem Personenkreis, der
das gleiche Problem teilt – keine Arbeit –, gleiche Leis-
tungen durch dasselbe Instrument bei durchgehender Be-
treuung anzubieten.
Die Vermittlung in den ersten Arbeitsmarkt hat für uns
oberste Priorität. Die derzeitige Ausgestaltung der Sozial-
hilfe verhindert aber genau das, da sie praktisch wie eine
Lohnuntergrenze wirkt. Der Anreiz für einen sozialhil-
febedürftigen Familienvater einer fünfköpfigen Familie
– ein Kind unter drei, zwei Kinder unter 18 Jahre – zu ar-
beiten, hält sich sehr in Grenzen, da er sich mit der der-
zeitigen Sozialhilfe, circa 1 700 Euro, insgesamt besser
stellt, als ein vergleichbarer Familienvater, der in einem
regulären Arbeitsverhältnis steht. So erhält beispielsweise
ein im Einzelhandel Beschäftigter im ersten Berufsjahr
ein Monatseinkommen von nur 1 200 Euro.
Die Union beabsichtigt die Wirkung der Sozialhilfe als
Lohnuntergrenze aufzubrechen. Wie?
Erstens. Die CDU plant ein Familiengeld einzuführen.
Dadurch wird erreicht, dass Kinder nicht mehr sozialhil-
febedürftig sind und keine Familie mehr wegen eines Kin-
des in die Sozialhilfe abrutscht. Gleichzeitig bewirkt das
Familiengeld, dass das Lohnabstandsgebot auch bei kin-
derreichen Familien wieder eingehalten wird. Der vom
Sozialamt auszuzahlende Betrag für die Familie und da-
mit der Schwellenwert, ab dem sich Arbeiten wieder
lohnt, sinkt deutlich.
Zweitens. Die Union fordert ein Leistungsgesetz für
Behinderte. Dieses löst die derzeitige Eingliederungshilfe
im Sozialhilferecht ab und holt diese Menschen ebenfalls
aus der Sozialhilfe heraus.
Drittens. Für Diejenigen, die jung genug und gesund
sind, deren familiäre Situation es zulässt und für die eine
Arbeit oder ein Ausbildungsplatz vorhanden ist, gilt künf-
tig: Das Regel-Ausnahme-Verhältnis der derzeitigen So-
zialhilfe wird umgekehrt. Das Sozialamt muss nicht mehr
die Zahlungen kürzen, wenn eine zumutbare Arbeit ver-
weigert wird, sondern der Hilfeempfänger hat von vorn-
herein nur einen Anspruch auf die volle Leistung, wenn er
eine angebotene Arbeit annimmt, einer gemeinnützigen
Tätigkeit nachgeht oder eine Ausbildung absolviert. Ar-
beitet er allerdings trotz eines Arbeitsangebotes nicht, hat
er nur Anspruch auf das absolute Existenzminimum.
Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Die PDS hat einen Antrag vorgelegt, der populistisch und
nicht durchdacht ist. Sie will eine Grundsicherung in die
Arbeitslosenversicherung einführen. Wir halten die Ein-
führung einer bedarfsorientierten Grundsicherung in die
Arbeitslosenversicherung für eine unzulässige Ver-
mischung des Versicherungsprinzips mit dem Fürsorge-
prinzip. Darüber hinaus widerspricht ein solcher Vor-
schlag dem Grundprinzip der Arbeitslosenversicherung,
nur das Arbeitsentgelt für einen befristeten Zeitraum zu
ersetzen und – durch die Befristung – dem Arbeitslosen
einen Anreiz zu geben, schnellstmöglich eine neue Be-
schäftigung aufzunehmen.
Die Einführung einer bedarfsorientierten Grundsiche-
rung als eigenständiges steuerfinanziertes Leistungssys-
tem ist ein wichtiger Baustein des grünen Ansatzes von
mehr sozialer Sicherheit und Flexibilität. Deshalb planen
wir eine Zusammenlegung der Arbeitslosen- und Sozial-
hilfe in der Grundsicherung, die allen Arbeitslosen den
Zugang zu den Instrumenten der Arbeitsförderung nach
dem Prinzip des Förderns und Forderns öffnet. Wer sich
aus eigener Kraft nicht helfen kann, der wird unterstützt.
Wer in der Lage ist, sich selbst zu unterhalten, der soll
dazu auch verpflichtet sein. Er muss aber auch darin un-
terstützt werden. Erwerbslose müssen in die Lage versetzt
werden, erwerbstätig zu werden, zum Beispiel durch die
Ausarbeitung individuell auf sie zugeschnittener Einglie-
derungspläne. So erschöpfen sich die Hilfen, die eine
Grundsicherung bieten, nicht in einer Verbesserung der
materiellen Situation, sondern werden ergänzt von akti-
vierenden Angeboten, welche der gesellschaftlichen Aus-
grenzung von Berechtigten entgegenwirken.
Auf diesem Weg haben wir erste Schritte bereits in die-
ser Wahlperiode unternommen. So können die Bundeslän-
der die Kommunen berechtigen, Leistungen der Sozialhilfe
pauschaliert zu erbringen. Mit diesen Modellversuchen sol-
len Verfahren der Leistungsgewährung erprobt werden, die
letztendlich die Bürger weniger entmündigen und zugleich
die Verwaltung vereinfachen.
Bei den zahlreichen „MoZArT“-Modellprojekten sind
Arbeitsämter und die Träger der Sozialhilfe nun in der
Lage, Hilfe aus einer Hand zu bieten. Sozialämter können
Arbeitslosenhilfe auszahlen und Arbeitsämter Sozialhilfe.
Beide Ämter können auch eine dritte Stelle mit der Aus-
zahlung beauftragen. Das vereinfacht die Verwaltung deut-
lich, vor allem für jene Bürgerinnen und Bürger, die sowohl
Sozial- als auch Arbeitslosenhilfe bekommen. Sozialhilfe-
empfänger können auch an Maßnahmen des Arbeitsamtes
teilnehmen. Viele Bundesländer haben die Anreize ver-
stärkt, eine Erwerbsarbeit aufzunehmen. Diese Erfahrun-
gen sollen bei der in der nächsten Legislaturperiode anste-
henden umfangreichen Reform zur Geltung kommen.
Als ersten Schritt einer umfassenden sozialen Grundsi-
cherung haben wir in dieser Legislaturperiode die Alters-
grundsicherung in der Rente eingeführt. Als zweiten
Schritt wollen wir in der kommenden Legislaturperiode
eine Kindergrundsicherung einführen. Wir wollen Kin-
dern, die von Armut am stärksten betroffen sind und am
wenigsten aus eigener Kraft dagegen tun können, ein Le-
ben oberhalb des Existenzminimums ermöglichen. Was
haben Kinder mit der Arbeitslosenversicherung zu tun?
Wir fordern ein Recht für Kinder, menschenwürdig zu le-
ben. Unser Konzept der Kindergrundsicherung setzt un-
mittelbar da an, wo Not herrscht, und nicht, wie in Ihrem
Antrag, am Kriterium der Arbeitslosigkeit.
Die Vorschläge der PDS überfordern die Arbeitslosen-
versicherung und die Versichertengemeinschaft – Armuts-
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bekämpfung muss steuerfinanziert und nicht beitragsfi-
nanziert sein.
Dirk Niebel (FDP): Die Einführung einer steuerfinan-
zierten Grundsicherung war bei der Rentenversicherung
falsch und sie ist es auch bei der Arbeitslosenversiche-
rung. Das von der PDS vorgeschlagene Konzept will die
Probleme, die wir bei der Sozialhilfe dringend bekämpfen
müssen, auf die Arbeitslosenversicherung ausweiten.
Außerdem läuft es allen Erkenntnissen zum Thema „Re-
form der sozialen Sicherungssysteme“ zuwider. Daher
lehnen wir diesen Vorschlag ab.
Es ist in diesem Hohen Haus schon x-mal gesagt wor-
den. Aber da es einige offensichtlich immer noch nicht
verstanden haben, sage ich es noch einmal: Grundprinzip
jeder Versicherung ist das Äquivalenzprinzip: Die Höhe
der garantierten Leistung ergibt sich aus dem vorher ein-
gezahlten Beitrag. Und Grundprinzip unseres Sozialsys-
tems ist das Subsidiaritätsprinzip: Vor der Unterstützung
durch den Staat steht die Selbsthilfe des Betroffenen.
Hinsichtlich der Reform der Arbeitslosenversicherung
sind sich alle Experten in einem einig: Das System muss
dringend transparenter werden. Und der wichtigste Schritt
zu mehr Transparenz ist, Versicherungsleistungen und
Umverteilungselemente voneinander zu trennen. Der
PDS-Vorschlag bewirkt aber genau das Gegenteil: Sie
wollen Sozialpolitik über eine Versicherung machen. Wo-
hin das führt, haben wir gesehen: Zu einer aufgeblähten
Verwaltung, in der niemand mehr einen Überblick hat,
welche Gelder wohin fließen.
Aber das von der PDS vorgeschlagene System hätte
nicht nur höhere Kosten zur Folge; es ist auch in hohem
Maße ungerecht. Wenn jeder arbeitslos Gemeldete eine
Grundsicherung aus der Arbeitslosenversicherung garan-
tiert bekäme, dann erhielte jemand, der zuvor keine oder
nur sehr geringe Beiträge gezahlt hat, dieselbe Leistung
wie jemand mit deutlich höheren Beiträgen. Das ließe sich
keinem Beitragszahler mehr vermitteln. Darüber hinaus
vermindert eine garantierte Grundsicherung gerade bei
Geringverdienern den Anreiz, eine normale Beschäfti-
gung aufzunehmen. Dieses Problem sehen wir insbeson-
dere in der Sozialhilfe deutlich. Und die Diskussion um
eine Reform dort zeigt, wie schwierig es ist, aus diesem
Dilemma herauszukommen, Es wäre ja geradezu töricht,
diese Schwierigkeiten jetzt auch auf die Arbeitslosenver-
sicherung auszuweiten. Genau das würde aber passieren,
wenn der Antrag der PDS beschlossen würde.
In der Begründung eben jenes Antrags argumentiert die
PDS, dass der Bund die Kosten der sozialen Sicherung
nicht immer mehr auf die Kommunen abwälzen dürfe. Es
ist in der Tat nicht mehr zu ertragen, wie die rot-grüne
Bundesregierung versucht, immer mehr Wohltaten unter
das Volk zu bringen, und – da im Bundeshaushalt kein
Geld dafür da ist – die Länder und Kommunen die Zeche
zahlen lässt. Jüngstes Beispiel ist die beitragsfreie Grund-
sicherung im Alter. Die Mehrbelastung der Städte und Ge-
meinden soll hier zwar über einen versprochenen Bun-
deszuschuss ausgeglichen werden, aber die
Vergangenheit lehrt, dass die Höhe solcher Zuschüsse mit
den tatsächlichen Kosten nur wenig zu tun hat.
Die PDS will Lasten von den Kommunen auf den Bund
verschieben. Zusätzlich 6 bis 7 Milliarden DM soll der
Bund in die Arbeitslosenversicherung zuschießen, um die
Grundsicherung zu finanzieren. Das ist schon ein höchst
seltsames Verständnis von Problemlösung. Sie kritisieren
die ungerechte Verteilung von Lasten, und um das auszu-
gleichen, schaffen sie erst einmal zusätzliche Kosten.
Die Probleme der Arbeitslosenversicherung lassen sich
nur beseitigen, wenn wir jetzt endlich die längst überfäl-
ligen Reformen angehen, das heißt eine klare Trennung
zwischen Versicherung und Umverteilung in allen Berei-
chen des Sozialsystems. Es gibt eine Versicherungs-
pflicht, wo es nötig ist, aber es bleibt der freien Entschei-
dung des Einzelnen überlassen, wie er oder sie dieser
Pflicht nachkommt. Wer Umverteilung wünscht, muss sie
auch finanzieren. Bei sämtlichen öffentlichen Hilfen
muss die Rückkehr zum Subsidiaritätsprinzip gelten:
Hilfe bekommt nur, wer sich nicht selber helfen kann.
Gleichermaßen muss der Grundsatz gelten: Leistung ge-
gen Bereitschaft zur Gegenleistung. Die Sozialsysteme
müssen bezahlbar bleiben. Nur wenn die Beiträge nicht
ins Unermessliche steigen, werden sie von den Menschen
akzeptiert.
Pia Maier (PDS): Der Antrag der PDS-Fraktion „Eine
Grundsicherung in die Arbeitslosenversicherung ein-
führen“ ist unsere Antwort auf Ihre Debatte zur Zusam-
menlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe.
CDU/CSU und FDP entwerfen in ihren Anträgen hier
im Bundestag scharf umrissene Bilder. Sie wollen die Ar-
beitslosenhilfe abschaffen. Damit fiele jede und jeder, der
oder die Arbeitslosengeld bezog, keine neue Stelle fand,
nach der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes in die So-
zialhilfe. Für die Betroffenen hieße das der direkte Weg in
die Armut. Und das machen wir nicht mit.
Das Arbeitslosengeld und auch die Arbeitslosenhilfe
gehen vom ehemaligen Lohn aus. Die Arbeitslosenhilfe
reduziert sich nicht sofort, wenn der Partner oder die Part-
nerin auch arbeitet und das Haushaltseinkommen auf-
stockt, wie das bei der Sozialhilfe der Fall ist. Deswegen
wirkt sich die Abschaffung der Sozialhilfe auch besonders
dann aus, wenn man das Haushaltseinkommen betrachtet.
Am deutlichsten spüren die den Einkommensverlust, der
in der Abschaffung der Arbeitslosenhilfe steckt, die vor-
her ein ordentliches Einkommen hatten. Dann sind die
53 oder 57 Prozent des ehemaligen Lohns deutlich mehr
als die Sozialhilfe.
Der Sozialhilfe liegt ein anderes Prinzip zugrunde:
Hier wird nicht nach dem Lohn gefragt, sondern nur er-
rechnet, was der Haushalt braucht. Danach bemessen sich
die Regelsätze und die einmaligen Zahlungen, zum Bei-
spiel für Wintermäntel. Bei hohem ehemaligen Verdienst
liegt die Sozialhilfe darunter, wenn auch viele, die Ar-
beitslosenhilfe beziehen, auf ergänzende Leistungen des
Sozialamtes mindestens Anrecht haben.
Nur ein Beispiel, wie sich das auf eine ganz normale Fa-
milie auswirkt: Ein Ehepaar – er erhält ein Durchschnitts-
entgelt, sie zwei Drittel; das ist die übliche Verteilung der
Einkommen zwischen Männern und Frauen in der Ehe,
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leider. Beide haben ein Kind. Während der Erwerbstätig-
keit hat die Familie ein Einkommen von rund 2 670 Euro.
Wurde er arbeitslos und erhält dann Arbeitslosenhilfe, liegt
das Haushaltseinkommen bei rund 1 920 Euro aus ihrem
Verdienst, der Arbeitslosenhilfe und dem Kindergeld. Bei
abgeschaffter Arbeitslosenhilfe liegt das Haushaltsein-
kommen dann bei 1 480 Euro. Das sind rund 440 Euro we-
niger. Was Sie hier immer herunterspielen, indem sie sa-
gen, es sind doch beides steuerfinanzierte Leistungen, die
nach Bedarf gezahlt werden, ist in Wahrheit ein großes
Verarmungsprogramm.
Abgesehen von der Berechnungsart hat die Sozialhilfe
auch schärfere Regeln, wie viel Vermögen aufgebraucht
sein muss, bevor man als bedürftig im Sinne der Sozial-
hilfe gilt. Da die Sozialhilfe einst gedacht war, um in letz-
ten Notfällen zu helfen, hatten diese Regeln damals auch
einen Grund. Inzwischen ist die Sozialhilfe aber zu einer
dauerhaften Versorgung für viele geworden, denen diese
Gesellschaft nichts anderes mehr anbietet. Arbeitslosigkeit
ist die häufigste Ursache für den Bezug von Sozialhilfe
und Langzeitarbeitslosigkeit ist ein wachsendes Phäno-
men, das mit steigender Arbeitslosigkeit, mit andauernd
hohen Arbeitslosenzahlen auch weiter zunehmen wird.
Die Abschaffung der Arbeitslosenhilfe heißt zudem
auch, die Sozialversicherungen weiter in die Finanznot zu
treiben. Im Gegensatz zu Sozialhilfeberechtigten sind die
Arbeitslosenhilfeempfangenden noch in die Kranken-
und Rentenversicherung integriert. Der Bund bezahlt die
entsprechenden Beiträge in die Kassen ein. Für die So-
zialhilfeempfänger und -empfängerinnen tut er das nicht.
Für die werden nur tatsächlich anfallende, unabwendbare
Behandlungskosten erstattet. Und im Alter wird die So-
zialhilfe einfach weiter gezahlt. Sie schaden nicht nur den
Familien, den Arbeitslosen, Sie ruinieren auch die Sozial-
kassen weiter.
Die SPD spricht derzeit nur von Verzahnung – es ist ja
Wahlkampf. So lange wird noch besonderer Wert darauf
gelegt, dass es nicht um eine Zusammenlegung gehe. Wie
auch immer sie es nennen, es läuft systematisch auf die
Abschaffung der Arbeitslosenhilfe zu. Es wurde schon ge-
probt, wie groß der Aufschrei sein würde – leider noch
nicht laut genug, als Florian Gerster und Minister der
SPD-geführten Länder schon von der Zusammenlegung
von Arbeitslosen- und Sozialhilfe redeten.
Der Wahlkampf bietet nur Aufschub. Wer die Arbeits-
losen- und Sozialhilfe verzahnen will, muss die Arbeits-
losenhilfe nach unten angleichen. Das verlangt die Syste-
matik, denn die Sozialhilfe ist Hilfe in Notlagen, keine
dauerhafte. Jedenfalls eigentlich.
Ob Aushöhlung durch Verzahnung oder Abschaffung
durch Zusammenlegung, die Folge ist jedenfalls: Die Ar-
beitslosenversicherung wird noch weniger akzeptiert wer-
den. Wenn es nach Gerster geht, kann man für jahrelange
Beiträge nur Leistungen für maximal ein Jahr erwarten,
wenn man arbeitslos wird. Nach dem Arbeitslosengeld
wird man dann auf die Sozialhilfe verwiesen. Damit för-
dern Sie die Erosion der sozialen Sicherungssysteme. Klar,
dass die Bereitschaft, Beiträge zu zahlen, sinkt. Klar, dass
man dann lieber privat für sich sorgt, wenn keine dauer-
hafte Sicherung mehr zu erwarten ist. Die Arbeitslosen-
versicherung hat eben nicht nur Versorgungsaspekte, wenn
es auch die sind, die Betroffene zuerst interessieren. Und
das ist auch gut so, denn darum müssen sie kämpfen.
Mit der solidarischen Arbeitslosenversicherung – je-
denfalls zwischen den Arbeitnehmer- und Arbeitnehme-
rinnen – können auch Aufgaben der Umschulung, der
Weiterbildung, der Qualifizierung für den Arbeitsmarkt
im Interesse der Versicherten finanziert werden. Das sind
Leistungen, die Versicherte nur in besonderen Fällen be-
kommen. Trotzdem sind sie ein wichtiger Beitrag zur Ver-
ringerung der Arbeitslosigkeit. Und das ist ja das eigent-
lich wesentliche Ziel: der Abbau der Arbeitslosigkeit.
Solange aber zehn Bewerber auf eine gemeldete offene
Stelle kommen, ist der Verweis auf den ersten Arbeits-
markt für viele nur zynisch. Solange die Massenarbeits-
losigkeit Langzeitarbeitslosigkeit hervorbringt, müssen
wir uns um die Betroffenen kümmern, ihnen würdige Le-
bensbedingungen ermöglichen, denn sie sind nicht allein
an ihrem Schicksal schuld, wie viele ihnen immer einre-
den wollen. Sie sind diejenigen, die es getroffen hat in ei-
ner Gesellschaft, die Arbeitslosigkeit hervorbringt.
Für viele Arbeitslose reicht das Arbeitslosengeld, meist
aber dann die Arbeitslosenhilfe nicht für ein Leben an der
Grenze des Existenzminimums. Sie haben Anrecht auf er-
gänzende Leistungen der Sozialhilfe. Dafür müssen sie
sich aber mit zwei Ämtern ärgern, müssen zwei Bedürf-
tigkeitsprüfungen über sich ergehen lassen, müssen zwei
Sachbearbeitern ihr Leben ausbreiten und ihre Not geste-
hen. Muss das wirklich sein, wenn der einzige Grund für
die Bedürftigkeit die fehlenden Arbeitsplätze sind?
Für Altersarmut hatte die Regierungskoalition ein Ein-
sehen. Mit der Grundsicherung im Alter ging sie einen
Schritt in die richtige Richtung: Wer zu wenig Rente be-
zieht, soll mindestens die Höhe der Sozialhilfe erhalten
und sich nicht von Scham und Unwissen abhalten lassen.
Dabei soll auch nicht mehr auf die Kinder zurückgegrif-
fen werden, von denen sich das Sozialamt sonst die be-
zahlten Leistungen wiederholen kann.
Eine so einfache Regelung stellt sich die PDS mit dem
Antrag, eine Grundsicherung in die Arbeitslosenversiche-
rung einzuführen, auch vor. Zuallererst halten wir an der
Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes fest, wollen es lieber
ausgebaut sehen. Dann halten wir an der Arbeitslosenhilfe
fest; sie soll beibehalten werden und grundsätzlich nicht
mehr abgeschmolzen werden. Mit einem gesetzlichen
Mindestlohn wären hoffentlich künftig dann die jenseits
der Armutsgrenze abgesichert, die eine Vollzeitstelle hat-
ten und arbeitslos wurden.
Wir wollen uns mit diesem Antrag aber auch jener an-
nehmen, die aufgrund niedriger Löhne mit der Arbeitslo-
senhilfe, seltener auch schon mit dem Arbeitslosengeld so
arm dran sind, dass sie Anrecht auf ergänzende Sozialhilfe
haben. Dafür müssen sie sich derzeit aber mit zwei Äm-
tern herumärgern. Das wollen wir ändern. Ein Bürgeramt
für Arbeit soll die Leistungen bündeln.
Außerdem wollen wir die arbeitslosen Sozialhilfeemp-
fänger und -empfängerinnen in die Arbeitslosenversiche-
rung hereinholen – und nicht wie so viele andere Arbeitslo-
senhilfeempfänger und -empfängerinnen in die Sozialhilfe
abschieben.
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Das sind wirkliche Alternativen zu der unterschieds-
losen Politik, die alle anderen Fraktionen hier bieten.
Das sind Alternativen, die sich an der Grundidee sozia-
ler Gerechtigkeit orientieren und nicht an Vorurteilen
gegenüber Leistungsempfängern und -empfängerinnen.
Ich hoffe, Sie geben sich einen Ruck, denken über
unsere Vorschläge noch mal nach und stimmen dann
doch zu.
Anlage 16
Amtliche Mitteilungen
Der Abgeordnete Dr. Hermann Kues und Jochen
Borchert haben darum gebeten, bei dem Antrag Vermei-
dung von Spätabtreibungen – Hilfen für Eltern und
Kinder auf Drucksache 14/6635 in die Liste der Antrag-
steller aufgenommen zu werden.
Der Vorsitzende des folgenden Ausschusses hat mitge-
teilt, dass der Ausschuss gemäß § 80 Abs. 3 Satz 2 der Ge-
schäftsordnung von einer Berichterstattung zu der nach-
stehenden Vorlage absieht:
Rechtsausschuss
– Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht der Rgierungskommission „Corporate Gover-
nance“ Unternehmensführung – Unternehmenskontrolle –
Modernisierung des Aktienrechts
– Drucksachen 14/7515, 14/8086 Nr. 1.1 –
Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mit-
geteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden EU-Vorla-
gen bzw. Unterrichtungen durch das Europäische Parla-
ment zur Kenntnis genommen oder von einer Beratung
abgesehen hat.
Auswärtiger Ausschuss
Drucksache 14/8339 Nr. 2.51
Drucksache 14/8562 Nr. 2.51
Finanzausschuss
Drucksache 14/7708 Nr. 2.2
Drucksache 14/8339 Nr. 2.48
Drucksache 14/8339 Nr. 2.49
Drucksache 14/8339 Nr. 2.50
Drucksache 14/8428 Nr. 2.11
Drucksache 14/8428 Nr. 2.54
Drucksache 14/8428 Nr. 2.59
Ausschuss für Verbraucherschutz,
Ernährung und Landwirtschaft
Drucksache 14/8562 Nr. 1.5
Drucksache 14/8562 Nr. 2.3
Drucksache 14/8562 Nr. 2.27
Ausschuss für Umwelt,
Naturschutz und Reaktorsicherheit
Drucksache 14/8179 Nr. 2.13
Drucksache 14/8179 Nr. 2.32
Drucksache 14/8339 Nr. 2.21
Ausschuss für Bildung, Forschung
und Technikfolgenabschätzung
Drucksache 14/8428 Nr. 2.8
Drucksache 14/8428 Nr. 2.30
Drucksache 14/8428 Nr. 2.41
Ausschuss für wirtschaftliche
Zusammenarbeit und Entwicklung
Drucksache 14/6395 Nr. 2.1
Drucksache 14/7000 Nr. 2.10
Drucksache 14/7000 Nr. 2.34
Drucksache 14/7129 Nr. 2.43
Drucksache 14/7129 Nr. 2.67
Drucksache 14/7708 Nr. 1.10
Drucksache 14/7833 Nr. 2.5
Drucksache 14/7833 Nr. 2.6
Drucksache 14/8081 Nr. 2.16
Drucksache 14/8691 Nr. 2.1
Ausschuss für Kultur und Medien
Drucksache 14/7000 Nr. 1.17
Drucksache 14/7000 Nr. 2.6
Drucksache 14/8179 Nr. 1.1
Drucksache 14/8339 Nr. 1.8
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. April 200223408
(C)
(D)
(A)
(B)
Berichtigung
Der Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen hat
anstelle der in der AmoV 228 mitgeteilten Vorlage Drucksache
14/7708 Nr. 2.15 die Vorlage Drucksache 14/7708 Nr. 2.37 zur
Kenntnis genommen.
Druck: MuK. Medien- und Kommunikations GmbH, Berlin