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    Glückwünsche zum Geburtstag des Abgeord- neten Wolfgang Börnsen (Bönstrup) . . . . . . . 23289 A Erweiterung der Tagesordnung . . . . . . . . . . . . 23289 A Zusatztagesordnungspunkt 9 Weitere abschließende Beratungen ohne Aussprache am Freitag a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Durchführung der Rechtsakte der Europäischen Ge- meinschaft auf dem Gebiet des ökologi- schen Landbaus (Öko-Landbaugesetz) (Drucksachen 14/8768, 14/8906) . . . . . 23289 B b) – e) Beschlussempfehlungen des Petitions- ausschusses: Sammelübersichten 383, 384, 385, 386 zu Petitionen (Drucksachen 14/8871, 14/8872, 14/8873, 14/8874) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23289 D Tagesordnungspunkt 16: a) – Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Klaus Wiesehügel, Dr. Axel Berg, weitereren Abgeord- neten und der Fraktion der SPD sowie den Abgeordneten Kerstin Müller (Köln), Rezzo Schlauch und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur tariflichen Ent- lohnung bei öffentlichen Aufträgen und zur Einrichtung eines Regis- ters über unzuverlässige Unter- nehmen (Drucksachen 14/7796, 14/8896) 23290 A – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur tarif- lichen Entlohnung bei öffent- lichen Aufträgen und zur Einrich- tung eines Registers über unzuverlässige Unternehmen (Drucksachen 14/8285, 14/8896) 23290 B b) Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes für Tariftreueerklärungen (Drucksachen 14/5263, 14/8897) . . . . . 23290 B c) Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur tariflichen Entlohnung bei öffentlichen Aufträgen (Drucksachen 14/6752, 14/8898) . . . . . 23290 B d) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Tech- nologie zu dem Antrag der Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN: Tariftreue im Verga- berecht – Bundeseinheitliche Rege- lung schafft fairen Wettbewerb (Drucksachen 14/6982, 14/8899) . . . . . 23290 C e) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Tech- nologie zu dem Antrag der Abgeordne- ten Hartmut Schauerte, Dr. Hansjürgen Doss, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Offensive für die Bauwirtschaft – Ursachen wirk- sam bekämpfen (Drucksachen 14/7506, 14/8901) . . . . . 23290 C in Verbindung mit Plenarprotokoll 14/234 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 234. Sitzung Berlin, Freitag, den 26. April 2002 I n h a l t : Zusatztagesordnungspunkt 10: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Wirtschaft und Technologie zu dem Antrag der Abgeordneten Rainer Brüderle, Dr. Heinrich L. Kolb, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Tarifzwang im öffentlichen Ver- gaberecht verhindern (Drucksachen 14/8510, 14/8902) . . . . . . . 23290 D Klaus Wiesehügel SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . 23290 D Hartmut Schauerte CDU/CSU . . . . . . . . . . . . 23292 C Werner Schulz (Leipzig) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23295 B Hartmut Schauerte CDU/CSU . . . . . . . . . 23295 C Rolf Kutzmutz PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . 23296 C Rainer Brüderle FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23297 C Peter Dreßen SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23298 A Ursula Lötzer PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23299 C Dr. Rainer Wend SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23300 C Hartmut Schauerte CDU/CSU . . . . . . . . . 23301 B Werner Kuhn CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . 23302 C Wolfgang Weiermann SPD . . . . . . . . . . . . . . . 23304 C Tagesordnungspunkt 17: a) Antrag der Abgeordneten Volker Rühe, Dr. Karl-Heinz Hornhues, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion der CDU/ CSU sowie der Abgeordneten Dr. Helmut Haussmann, Dr. Klaus Kinkel und der Fraktion der FDP: Die zweite Runde der NATO-Erweiterung auch als Beitrag zur Stabilisierung Südosteuropas kon- zipieren (Drucksache 14/8835) . . . . . . . . . . . . . 23306 C b) Antrag der Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Die NATO vor der Erweiterung (Drucksache 14/8861) . . . . . . . . . . . . . 23306 D Tagesordnungspunkt 4: Antrag der Abgeordneten Karl-Josef Laumann, Brigitte Baumeister, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Arbeitnehmer entlasten – Vorfahrt für Beschäftigung (Drucksache 14/8366) . . . . . . . . . . . . . . . . 23306 D Karl-Josef Laumann CDU/CSU . . . . . . . . . . . 23307 A Dr. Werner Müller, Bundesminister BMWi 23310 A Peter Rauen CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 23311 A Dirk Niebel FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23311 D Ernst Hinsken CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . 23313 D Walter Hirche FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23314 B Dr. Irmgard Schwaetzer FDP . . . . . . . . . . . . . 23315 C Dr. Thea Dückert BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23317 C Klaus Brandner SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . 23318 B Wolfgang Meckelburg CDU/CSU . . . . . . 23318 D Dr. Klaus Grehn PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23319 C Gerd Andres SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23320 D Wolfgang Meckelburg CDU/CSU . . . . . . . . . 23322 D Gerd Andres SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23323 D Karl-Josef Laumann CDU/CSU . . . . . . . . 23324 A Werner Schulz (Leipzig) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23326 B Dr. Irmgard Schwaetzer FDP . . . . . . . . . . 23327 B Ute Kumpf SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23327 D Peter Dreßen SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23329 B Tagesordnungspunkt 18: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines ... Strafrechtsänderungsgesetzes – § 129 b StGB (... StrÄndG) (Drucksachen 14/7025, 14/8893) . . . . . . . 23330 D Dr. Eckhart Pick, Parl. Staatssekretär BMJ . . . 23331 A Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten CDU/CSU 23331 D Volker Beck (Köln) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23333 A Jörg van Essen FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23334 C Dr. Eckhart Pick, Parl. Staatssekretär BMJ . . . 23335 C Jörg van Essen FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23335 D Ulla Jelpke PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23336 A Joachim Stünker SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23336 D Thomas Strobl (Heilbronn) CDU/CSU . . . . . 23338 B Hans-Christian Ströbele BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23339 A Tagesordnungspunkt 29: – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Neuregelung des Waffenrechts (WaffRNeuRegG) (Drucksachen 14/7758, 14/8886) . . . . . 23340 A – Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs ei- nes Dritten Gesetzes zur Änderung des Waffengesetzes (Drucksachen 14/763, 14/8886) . . . . . . 23340 B Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. April 2002II Fritz Rudolf Körper, Parl. Staatssekretär BMI 23340 B Hartmut Koschyk CDU/CSU . . . . . . . . . . . . 23341 B Cem Özdemir BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 23342 D Rainer Funke FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23344 B Ulla Jelpke PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23345 A Ernst Bahr SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23345 C Erwin Marschewski (Recklinghausen) CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23347 A Tagesordnungspunkt 21: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Gesundheit zu dem Antrag der Abgeordneten Horst Seehofer, Wolfgang Lohmann (Lüdenscheid), weiterer Abge- ordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Informationsmöglichkeiten der Kran- kenversicherten umgehend verbessern (Drucksachen 14/5678, 14/8885) . . . . . . . 23348 B Tagesordnungspunkt 22: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bewa- chungsgewerberechts (Drucksachen 14/8386, 14/8903) . . . . . . . 23348 C Tagesordnungspunkt 23: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Mutterschutzrechts (Drucksachen 14/8525, 14/8880) . . . . . . . 23348 D Tagesordnungspunkt 24: Antrag der Abgeordneten Ulrike Flach, Walter Hirche, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Die Brennstoff- zelle – Technik des 3. Jahrtausends (Drucksache 14/8282) . . . . . . . . . . . . . . . . 23349 A Tagesordnungspunkt 25: Zweite und dritte Beratung des vom Bun- desrat eingebrachten Entwurfs eines Ge- setzes zur Änderung des Apotheken- gesetzes (Drucksachen 14/756, 14/8875, 14/8930) . 23349 B Tagesordnungspunkt 27: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes über die Entsor- gung von Altfahrzeugen (Altfahrzeug- Gesetz) (Drucksache 14/8343, 14/8670, 14/8884, 14/8929, 14/8890) . . . . . . . . . . . . . . . . 23349 C b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu dem Antrag der Abgeordneten Birgit Homburger, Marita Sehn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Umsetzung der EU-Altfahrzeugrichtlinie ökolo- gisch sinnvoll und ökonomisch verantwortlich gestalten (Drucksachen 14/5466, 14/7020) . . . . 23350 A Tagesordnungspunkt 28: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Fünften Gesetzes zur Änderung des Steuerbeamten-Ausbildungsgesetzes (Drucksachen 14/8286, 14/8887) . . . . . . . 23350 B Tagesordnungspunkt 30: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Um- weltauditgesetzes (Drucksachen 14/8231, 14/8521, 14/8891) 23350 D Tagesordnungspunkt 31: – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Zweiten Gesetzes zur Ände- rung und Ergänzung vermögensrechtli- cher und anderer Vorschriften (Zweites Vermögensrechtsergänzungsgesetz) (Drucksachen 14/7228, 14/8889) . . . . 23351 A – Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. Edzard Schmidt- Jortzig, Rainer Funke, weiteren Abge- ordneten und der Fraktion der FDP ein- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ergänzung des Vermögensgesetzes (Zweites Vermögensrechtsergän- zungsgesetz) (Drucksachen 14/5091, 14/8889) . . . . 23351 A Tagesordnungspunkt 32: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Errichtung einer Stif- tung Deutsche Geisteswissenschaftliche Institute im Ausland, Bonn (Drucksachen 14/8465, 14/8847) . . . . . . . 23351 C Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. April 2002 III Tagesordnungspunkt 33: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Arbeit und Sozialordnung zu dem Antrag der Abgeordneten Pia Maier, Dr. Klaus Grehn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der PDS: Eine Grund- sicherung in die Arbeitslosenversiche- rung einführen (Drucksachen 14/7294, 14/8662) . . . . . . . 23352 A Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23352 C Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . . 23353 A Anlage 2 Nachträglich zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung – des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Untersuchung von Seeunfällen (Seeunfalluntersuchungsände- rungsgesetz – SeeUÄndG) – der Beschlussempfehlung und des Berichts zu dem Antrag: Bildung einer Leitstelle für Seesicherheit – des Antrags: Maritime Sicherheit auf der Ostsee (Tagesordnungspunkt 12 a bis c) (siehe 233. Sitzung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23354 B Dr. Winfried Wolf PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23354 B Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten (CDU/CSU) zur Abstimmung über den Entwurf eines Ge- setzes zur Neuregelung des Waffenrechts (WaffRNeuRegG) (Tagesordnungspunkt 29) . . . . . . . . . . . . . . . . 23355 A Anlage 4 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten (CDU/CSU) zur Abstimmung über den Entwurf eines Ge- setzes zur Ergänzung des Vermögensgesetzes (Zweites Vermögensrechtsergänzungsgesetz – 2. VermRErG) (Tagesordnungspunkt 31) . . . . 23355 C Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Informationsmöglichkeiten der Kran- kenversicherten umgehend verbessern (Tages- ordnungspunkt 21) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23356 A Eike Maria Hovermann SPD . . . . . . . . . . . . . 23356 A Aribert Wolf CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . 23357 C Monika Knoche BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23359 A Detlef Parr FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23359 C Dr. Ruth Fuchs PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23360 B Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Be- wachungsgewerberechts (Tagesordnungs- punkt 22) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23360 D Christian Lange (Backnang) SPD . . . . . . . . . 23360 D Günter Graf (Friesoythe) SPD . . . . . . . . . . . . 23361 C Klaus Francke CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . 23362 D Hans-Christian Ströbele BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23363 C Rainer Funke FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23364 C Petra Pau PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23364 D Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Ände- rung des Mutterschutzrechts (Tagesordnungs- punkt 23) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23365 B Marlene Rupprecht SPD . . . . . . . . . . . . . . . . 23365 B Maria Eichhorn CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 23365 B Irmingard Schewe-Gerigk BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23366 C Ina Lenke FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23367 B Christina Schenk PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23367 C Dr. Edith Niehuis, Parl. Staatssekretärin BMFSFJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23367 D Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Die Brennstoffzelle – Technik des 3. Jahrtausends (Tagesordnungspunkt 24) . . . 23369 A Hubertus Heil SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23369 A Ulrich Kasparick SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23369 C Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land) CDU/CSU 23370 B Hans-Josef Fell BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 23371 B Ulrike Flach FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23372 B Wolfgang Bierstedt PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . 23372 D Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. April 2002IV Anlage 9 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Apothekengesetzes (Tagesordnungspunkt 25) 23373 B Dr. Margrit Spielmann SPD . . . . . . . . . . . . . . 23373 B Dr. Wolf Bauer CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . 23374 C Katrin Göring-Eckardt BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23376 A Detlef Parr FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23376 C Dr. Ruth Fuchs PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23377 A Anlage 10 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung – des Entwurfs eines Gesetzes über die Ent- sorgung von Altfahrzeugen (Altfahrzeug- Gesetz – AltfahrzeugG) – des Antrags: Umsetzung der EU-Altfahr- zeugrichtlinie ökologisch sinnvoll und ökonomisch verantwortlich gestalten (Tagesordnungspunkt 27 a und b) . . . . . . . . . . 23377 D Ulrich Kelber SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23377 D Dr. Paul Laufs CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . 23379 C Birgit Homburger FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . 23380 D Eva Bulling-Schröter PDS . . . . . . . . . . . . . . . 23381 B Jürgen Trittin, Bundesminister BMU . . . . . . . 23381 D Anlage 11 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Steuerbeamten-Ausbildungsgesetzes (Tages- ordnungspunkt 28) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23382 C Lydia Westrich SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23382 C Hansgeorg Hauser (Rednitzhembach) CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23383 C Christine Scheel BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 23385 B Carl-Ludwig Thiele FDP . . . . . . . . . . . . . . . . 23385 D Heidemarie Ehlert PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . 23386 C Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin BMF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23387 B Anlage 12 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Umweltauditgesetzes (Tagesordnungspunkt 30) 23388 A Petra Bierwirth SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23388 A Bernward Müller (Jena) CDU/CSU . . . . . . . 23388 B Birgit Homburger FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . 23390 D Eva Bulling-Schröter PDS . . . . . . . . . . . . . . . 23391 B Jürgen Trittin, Bundesminister BMU . . . . . . . 23391 D Anlage 13 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Än- derung und Ergänzung vermögensrechtlicher und anderer Vorschriften (Zweites Vermögens- rechtsergänzungsgesetz – 2. VermRErG) (Tagesordnungspunkt 31) . . . . . . . . . . . . . . . . 23392 B Hans-Joachim Hacker SPD . . . . . . . . . . . . . . 23392 B Andrea Voßhoff CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 23393 C Hans-Christian Ströbele BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23395 B Rainer Funke FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23396 B Dr. Evelyn Kenzler PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . 23396 D Dr. Eckhart Pick, Parl. Staatssekretär BMJ 23397 B Anlage 14 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Errichtung ei- ner Stiftung Deutsche Geisteswissenschaftli- che Institute im Ausland, Bonn (Tagesord- nungspunkt 32) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23398 C Hans-Werner Bertl SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . 23398 D Werner Lensing CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 23399 B Dr. Reinhard Loske BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23400 D Ernst Burgbacher FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . 23401 A Dr. Heinrich Fink PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . 23401 D Wolf-Michael Catenhusen, Parl. Staatssekre- tär BMBF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23402 C Anlage 15 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Eine Grundsicherung in die Ar- beitslosenversicherung einführen (Tagesord- nungspunkt 33) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23403 C Ute Kumpf SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23403 C Wolfgang Meckelburg CDU/CSU . . . . . . . . . 23404 D Dr. Thea Dückert BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23405 B Dirk Niebel FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23406 A Pia Maier PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23406 C Anlage 16 Amtliche Mitteilungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23408 A Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. April 2002 V Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. April 2002
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    Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. April 2002 Vizepräsidentin Petra Bläss 23352 (C) (D) (A) (B) 1) Anlage 15 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. April 2002 23353 (C) (D) (A) (B) Balt, Monika PDS 26.04.2002 Dr. Bartsch, Dietmar PDS 26.04.2002 Behrendt, Wolfgang SPD 26.04.2002* Bindig, Rudolf SPD 26.04.2002* Dr. Blank, CDU/CSU 26.04.2002 Joseph-Theodor Dr. Blüm, Norbert CDU/CSU 26.04.2002 Bohl, Friedrich CDU/CSU 26.04.2002 Breuer, Paul CDU/CSU 26.04.2002 Bühler (Bruchsal), CDU/CSU 26.04.2002* Klaus Dautzenberg, Leo CDU/CSU 26.04.2002 Eichstädt-Bohlig, BÜNDNIS 90/ 26.04.2002 Franziska DIE GRÜNEN Dr. Eid, Uschi BÜNDNIS 90/ 26.04.2002 DIE GRÜNEN Erler, Gernot SPD 26.04.2002 Ernstberger, Petra SPD 26.04.2002 Friedrich (Altenburg), SPD 26.04.2002 Peter Glos, Michael CDU/CSU 26.04.2002 Günther (Duisburg), CDU/CSU 26.04.2002 Horst Haack (Extertal), SPD 26.04.2002* Karl-Hermann Freiherr von CDU/CSU 26.04.2002 Hammerstein, Carl-Detlev Hartnagel, Anke SPD 26.04.2002 Helling, Detlef CDU/CSU 26.04.2002 Hiksch, Uwe PDS 26.04.2002 Hofbauer, Klaus CDU/CSU 26.04.2002 Hoffmann (Chemnitz), SPD 26.04.2002 Jelena Dr. Hornhues, CDU/CSU 26.04.2002* Karl-Heinz Hornung, Siegfried CDU/CSU 26.04.2002* Irber, Brunhilde SPD 26.04.2002 Irmer, Ulrich FDP 26.04.2002 Jäger, Renate SPD 26.04.2002* Jünger, Sabine PDS 26.04.2002 Dr.-Ing. Kansy, CDU/CSU 26.04.2002 Dietmar Karwatzki, Irmgard CDU/CSU 26.04.2002 Kossendey, Thomas CDU/CSU 26.04.2002* Leidinger, Robert SPD 26.04.2002 Dr. Lippold CDU/CSU 26.04.2002 (Offenbach), Klaus W. Lörcher, Christa fraktionslos 26.02.0202* Dr. Lucyga, Christine SPD 26.04.2002* Marquardt, Angela PDS 26.04.2002 Michelbach, Hans CDU/CSU 26.04.2002 Michels, Meinolf CDU/CSU 26.04.2002* Müller (Berlin), PDS 26.04.2002* Manfred Müller (Köln), Kerstin BÜNDNIS 90/ 26.04.2002 DIE GRÜNEN 02 Neumann (Gotha), SPD 26.04.2002* Gerhard Nietan, Dietmar SPD 26.04.2002 Onur, Leyla SPD 26.04.2002* Ost, Friedhelm CDU/CSU 26.04.2002 Ostrowski, Christine PDS 26.04.2002 Palis, Kurt SPD 26.04.2002* Philipp, Beatrix CDU/CSU 26.04.2002 Pieper, Cornelia FDP 26.04.2002 Reiche, Katherina CDU/CSU 26.04.2002 Reuter, Bernd SPD 26.04.2002 Röspel, René SPD 26.04.2002 Ronsöhr, CDU/CSU 26.04.2002 Heinrich-Wilhelm Roos, Gudrun SPD 26.04.2002 entschuldigt bisAbgeordnete(r) einschließlich entschuldigt bisAbgeordnete(r) einschließlich Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Anlagen zum Stenographischen Bericht Rühe, Volker CDU/CSU 26.04.2002 Schemken, Heinz CDU/CSU 26.04.2002 Schlee, Dietmar CDU/CSU 26.04.2002 Schmidbauer, Bernd CDU/CSU 26.04.2002 Schmitz (Baesweiler), CDU/CSU 26.04.2002 Hans Peter von Schmude, Michael CDU/CSU 26.04.2002* Dr. Schockenhoff, CDU/CSU 26.04.2002 Andreas Schuhmann (Delitzsch), SPD 26.04.2002 Richard Schulhoff, Wolfgang CDU/CSU 26.04.2002 Schultz (Köln), SPD 26.04.2002 Volkmar Seehofer, Horst CDU/CSU 26.04.2002 Siemann, Werner CDU/CSU 26.04.2002 Dr. Solms, Hermann FDP 26.04.2002 Otto Spranger, Carl-Dieter CDU/CSU 26.04.2002 Dr. Stadler, Max FDP 26.04.2002 Thiele, Carl-Ludwig FDP 26.04.2002 Thönnes, Franz SPD 26.04.2002 Wimmer (Neuss), CDU/CSU 26.04.2002 Willy Wissmann, Matthias CDU/CSU 26.04.2002 Zierer, Benno CDU/CSU 26.04.2002* * für die Teilnahme an den Sitzungen der Parlamentarischen Ver- sammlung des Europarates Anlage 2 Nachträglich zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung – des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Untersuchung von Seeunfällen (Seeunfalluntersuchungsändungsgesetz – See- UÄndG) – der Beschlussempfehlung und des Berichtes zu dem Antrag: Bildung einer Leitstelle für Seesi- cherheit – des Antrags: Maritme Sicherheit auf der Ostsee (Tagesordnungspunkt 12 a bis c) (siehe 233. Sit- zung) Dr. Winfried Wolf (PDS):Wir erleben hier den letzten Akt eines parlamentarischen und verkehrspolitischen Trauerspiels. CSU/CSU haben den Gesetzentwurf für ein Seeunfalluntersuchungsänderungsgesetz eingebracht. Mit diesem wollten sie den entsprechenden Gesetzentwurf der Bundesregierung verhindern. Der CDU/CSU-Gesetzent- wurf verdeutlicht, dass es anders gegangen wäre, dass die Argumente der Bundesregierung, ihr neues Gesetz auf die- sem Gebiet sei erforderlich aufgrund der EG-Richtline 1999/35/EG und aufgrund der Verpflichtung, den IMO- Code A.894(20) zu übernehmen, ohne jede Substanz sind. Doch leider wurde der entsprechende Gesetzentwurf der Bundesregierung in der zweiten und dritten Lesung bereits verabschiedet – gegen die Stimmen von CDU/CSU, FDP und gegen diejenigen der PDS-Fraktion. Und leider gelang es im Bundesrat nicht, den zunächst massiven Widerstand der Länder aufrechtzuerhalten. Drei Aspekte nochmals zur Verdeutlichung: Erstens. Der Inhalt des alten Rechts hat sich mehr als 130 Jahre lang bewährt. Es gab und gibt rein sachlich ge- sehen keinen Grund für eine Änderung, schon gar nicht für eine Neufassung im Sinne des Gesetzes, das die Bun- desregierung einbrachte. Der Entwurf von CDU/CSU verdeutlicht dies nochmals. Wir würden ihm inzwischen zustimmen, wenn es nicht bereits eine neue Sachlage, ein neues Gesetz geben würde. Vor dem Hintergrund dieser neuen Sachlage ist die zweite und dritte Lesung dieses Entwurfs nunmehr zwar in der Sache vergeblich, als poli- tische Demonstration jedoch gerechtfertigt. Das im Bun- destag mehrheitlich beschlossene Gesetz ist Ausdruck ei- ner falschen Zentralisierung, mir der unter anderem die Seeämter faktisch teilweise abgeschafft bzw. zu Briefkas- ten-Behörden degradiert werden. Zweitens. Das bisher zur Anwendung gebrachte Ver- fahren bei Seeunfällen wies das Charakteristikum der Transparenz auf. SPD und Bündnis 90/Die Grünen sind 1998 angetreten, um für mehr Transparenz einzutreten – unter anderem aufgrund der Kohl-Spenden-Affäre. Nun plötzlich gilt dieses Gebot nicht mehr. Und es gilt ausge- rechnet dort nicht mehr, wo es sich erstens bewährt hat und wo es zweitens grundsätzlich in einer Demokratie eine besondere Bedeutung hat: bei der Gerichtsbarkeit oder bei Verhandlungen, die im vorgerichtlichen Umfeld stattfinden. Indem hier die Öffentlichkeit faktisch abge- schafft wird, können hinter verschlossenen Türen sach- fremde Einflüsse ausgeübt und Zwänge praktiziert wer- den. Der Zusammenhang zwischen dem Gesetz der Bundesregierung und dem Pallas-Unglück wurde hier in den Medien zu Recht hergestellt. Drittens. Im Bundesrat gab es zunächst die einstim- mige Ablehnung des Gesetzentwurfs der Bundesregie- rung. Insbesondere die Küstenländer – gleichgültig, ob in ihnen die CDU oder die SPD die führende Regierungs- partei stellt – hatten sich für eine Ablehnung und für die weit gehende Beibehaltung der bisherigen gesetzlichen Regelung stark gemacht. Hier handelte es sich um einen ziemlich ungewöhnlichen Vorgang, der verdeutlicht, wie gut begründet die Ablehnung des Regierungs-Gesetzes- entwurfs war. Dass sich im Bundesrat dann nach der zwei- ten und dritten Lesung im Bundestag keine Mehrheit mehr fand, um den Vermittlungsausschuss anzurufen, dass wichtige Bundesländer einknickten, ist mehr als be- dauerlich. Dieser Vorgang wirft auch ein bezeichnendes Licht auf unsere parlamentarische Demokratie und die Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. April 200223354 (C) (D) (A) (B) Möglichkeiten, den Bundesrat zu instrumentalisieren. Das Bundesland Hamburg hat in einer Anmerkung zum Protokoll des Verkehrsausschusses des Bundesrates deut- lich gemacht, dass hier gelinde gesagt seitens der Bun- desregierung auch Druck ausgeübt wurde. Ich zitiere aus dem Blatt „Waterkant“: „Der Arm von Kurt Bodewig ist eben lang und dringende teure Verkehrsprojekte gibt es in allen Bundesländern.“ Zu dem bei diesem Tagespunkt ebenfalls anstehenden Antrag „Maritime Sicherheit auf der Ostsee“ ist anzumer- ken, dass wir erstens dem Antrag und dem damit angefor- derten Bericht selbstverständlich zustimmen und dabei zweitens erneut auf die Peinlichkeit verweisen müssen, dass die PDS ursprünglich eine der den Antrag einbrin- genden Fraktionen war und dann jedoch auf Forderung der CDU-CSU-Fraktion wieder aus dieser Funktion „ge- kippt“ wurde. Die Kolleginnen und Kollegen der CDU/ CSU sollten ihren Unvereinbarkeitsbeschluss bei nächs- ter Gelegenheit überprüfen. Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten (CDU/CSU) zur Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Waffenrechts (WaffRNeuRegG) (Tagesordnungspunkt 29) Der von der Bundesregierung am 7. Dezember 2001 vorgelegte Gesetzentwurf hat zu einem Aufschrei der Empörung unter Sportschützen, Jägern, Strafrechtlern und Polizeiverbänden geführt. Die Unionsfraktion hat schon frühzeitig auf die Mängel hingewiesen und viele Änderungsanträge eingebracht, de- ren Grundlage die enge Zusammenarbeit mit den Deut- schen Jagdverbänden und Sportschützenverbänden und der seinerzeit 1998 mit diesen abgestimmten Gesetzent- wurf für ein neues Waffenrecht gewesen sind. Die Koali- tion hat aufgrund der massiven Proteste, durch die sie so- zusagen „weichgekocht“ wurde, viele Änderungswünsche erfüllt. Dennoch bleiben zahlreiche Mängel erhalten. Ich habe Verständnis dafür, dass die Verbände trotzdem ent- nervt die Parole ausgeben „man solle diesen Kompromis- sen zustimmen, weil damit ein Jahrzehnt an Diskussionen zu Ende gehe und Jäger- und Sportschützenverbände mit diesem Gesetz leben könnten“. „Leben können“ – sicher ja, aber doch nach wie vor eingeschränkt durch hohe bürokratische Hürden, die kei- neswegs mehr Sicherheit bringen, da Gangster, Gauner und Ganoven nicht aus den Reihen der Jäger und Sport- schützen kommen. Sie besorgen sich ihre Waffen nicht le- gal, sondern illegal. Und daran ändert das Gesetz nichts. Der Streit um das Eigentum von Waffen in Erbenhand ist zwar zunächst entschärft. Aber nur der oberflächliche Betrachter lässt sich hier „Sand in die Augen streuen“, weil die Bestimmungen nach fünf Jahren, außer Kraft tre- ten. Daher liegt eventuell doch ein verkappter enteig- nungsgleicher Tatbestand vor, mindestens ist es aber eine Mogelpackung. Was bleibt ist letztlich ein in Eile und unter Druck zu- sammengeschustertes Gesetz, das sehr bald in der Praxis seine Mängel aufweisen wird und daher Änderungen be- reits jetzt abzusehen sind. Aus diesem Grunde stimme ich daher gegen das Gesetz. Anlage 4 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten (CDU/CSU) zur Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Ergänzung des Vermögensgesetzes (Zweites Vermögensrechts- ergänzungsgesetz – 2. VermRErG) (Tagesord- nungspunkt 31) Dem Gesetzentwurf der FDP-Fraktion stimme ich voll inhaltlich zu, weil er den Versuch macht, wenigstens einer ganz kleinen Gruppe von Entrechteten Genugtuung zuteil werden zu lassen. Entgegen der Auffassung der Regierungsparteien wird das von ihr vorgelegte Gesetz zur Ergänzung des Vermö- gensgesetzes keinen Abschluss der Aufarbeitung von kommunistischen und SED-Unrecht bringen. Während nationalsozialistisches Unrecht im Wesentlichen wieder gut gemacht wurde, steht eine umfassende Wiedergutma- chung des Kommunistischen Unrechts sowjetischer Prä- gung aus. Gerade das Beispiel der kleinen Gruppe der nicht ent- deckten Widerstandskämpfer zeigt, wie widersprüchlich – und letztlich unhaltbar – unser Wiedergutmachungsrecht ist. Diejenigen Erben von Widerstandskämpfern, die von den Nationalsozialisten hingerichtet wurden, erhalten Haus und Hof wieder, diejenigen Erben, deren Vorfahren durch die Kommunisten nach 1945 erschlagen und enteig- net wurden, erhalten nichts. Es ist ein Widersinn des Ver- mögensgesetzes – und ich habe dies schon oft angepran- gert –, dass ein Unterschied gemacht wird zwischen NS-Unrechtssystem und dem kommunistischen Unrechts- system. Ob jemand erschlagen wurde durch das „Haken- kreuz“ oder durch „Hammer und Sichel“ kann für die Rechtsfolgen auf Dauer keinen Unterschied machen. Bei- des waren Menschen verachtende Unrechtssysteme, deren Unrechtshandlungen gleich behandelt werden sollten. Der Gesetzentwurf der FDP ist ein Schritt in die rich- tige Richtung auf dem Wege zur gerechteren Beurteilung von Einzelfällen, und hätte dem Rechtsstaat Bundesrepu- blik Deutschland gut zu Gesicht gestanden. Ich wage die Prognose, dass die rechtlichen, moralischen und politi- schen Fehlbehandlungen der Enteignungen 1945 bis 1949 – und das waren nicht nur Opfer der Bodenreform, son- dern zehntausende von Hauseigentümern, Eigentümern von kleinen Betrieben, Mühlen und Gaststätten – später durch eine gerechtere Beurteilung ersetzt werden, wenn das so genannte „Junkersyndrom“ einer sachlichen und gerechten Behandlung durch Ost und West aus den Köpfen gewichen ist. Bei den Ureinwohnern Amerikas, Australiens und Neuseelands hat dies 100 bis 150 Jahre gedauert, wir sind erst im Jahre 12 nach der Wiederver- einigung und im Jahre 53 bis 57 nach der willkürlichen, gesetzlosen Enteignung. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. April 2002 23355 (C) (D) (A) (B) Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Informationsmög- lichkeiten der Krankenversicherten umgehend verbessern (Tagesordnungspunkt 21) Eike Maria Hovermann (SPD):Wenn man die Über- schrift zum Antrag der CDU liest, ist der erste Eindruck, dass die besondere Fürsorge der CDU dem Patienten gilt. Er soll nach dem Willen der CDU umgehend darüber in- formiert werden, welche Leistungen er im Krankheitsfall von den Ärzten erhalten hat und welche Gelder die Ärzte dafür abgerechnet haben. Das Ganze soll zeitnah und schriftlich und vor allem flächendeckend geschehen. Das ist ein durchaus löbliches Ziel, zumal damit nach dem Willen der CDU auch die Mün- digkeit und aktive Mitgestaltung des Patienten gemäß Sach- verständigenratgutachten gestärkt werden kann und soll. Einmal abgesehen davon, dass die Unterrichtungen der Patienten nicht nur schriftlich und zeitnah sein sollten, sondern vor allem auch aussagefähig und gerichtsfest, wenn der Patient wirklich etwas verstehen soll und gege- benenfalls Einspruch erheben will, fällt beim weiteren Le- sen des Antrags Folgendes auf: Es fällt auf, dass unter dem Deckmantel „mehr Infor- mationen für die Patienten“ zuallererst die Einkommens- situation der niedergelassenen Ärzte gestärkt werden soll durch „feste Punktwerte“; ein interessanter Vorschlag im Übrigen schon deshalb, weil ja von CDU und FDP land- auf, landab die Aufhebung der Budgetierung gefordert wird, ein fester Punktwert aber durchaus eine Form von Budgetierung darstellt. Hier ist und wird die Diskussionsline äußerst unehrlich, zumal wenn der Kollege Ulf Funk von der CDU zum Bei- spiel die Einsicht anmahnt, dass es mit endlichem Geld nicht unendliche Leistungen geben könne. Wenn eine Aufhebung des Budgets wirklich ehrlich diskutiert werden soll, dann müssten Sie von der CDU und FDP klären, wie Sie dies vereinbaren wollen etwa mit wachsenden Ausgabenerwartungen wegen der demogra- phischen Veränderungen, durch den medizinischen Fort- schritt und anderes mehr. Hierdurch und auch durch die wachsende Qualität bei den DMPs werden sich Honorarmaßstäbe verändern, wird die Diskussion über Beiträge ein Thema bleiben und ist das Ziel fester Punktwerte eine Fiktion, die vermeint- liche Sicherheit geben will. Hierzu äußerte sich der Kollege Zöller in interessanter Weise in der Zeitschrift „Die BKK“ vom August 2001: „Ich bin fest davon überzeugt, dass wir mittelfristig mehr Geld im System brauchen.“ Dies bringt Sie von der CDU ja in eine gewisse Spannung zum §70 SGB V, wo es heißt, die Versorgung „so zu gestalten, dass Beitragser- höhungen ausgeschlossen werden, es sei denn, die medizi- nisch notwendige Versorgung ist auch nach Ausschöpfung von Wirtschaftlichkeitsreserven nicht zu gewährleisten.“ Genau für diese Aufgaben brauchen wir schnellstens sichere und aussagefähige Dateninformationen. Insofern geht die CDU/CSU-Forderung in ihrem heu- tigen Antrag, bessere und umgehende Informationen für die Patienten mit einem festen Punktwert zu koppeln, strukturell betrachtet an dem Ziel, mehr Informationen für die Patienten, völlig vorbei. In diesem Zusammenhang sei zunächst auch an die An- hörung vom 13. März 2002 erinnert zu Ihrem Thema: „Informationsmöglichkeiten der Krankenversicherten umgehend verbessern“. Die Stellungnahme der DKG führt im Zusammenhang mit dem § 305 SGB V – Auskünfte der Versicherten – aus: Insbesondere der Krankenhausbereich hat in den letzten Jahren erhebliche Anstrengungen unternom- men, dass Qualität und Ergebnis ... transparent ge- macht werden ... Wie sicherlich bekannt ist, besteht ein Zertifizierungsprojekt mit dem Titel „Koopera- tion für Transparenz und Qualität im Krankenhaus.“ Zudem sieht das nunmehr beschlossene Gesetz zur Einführung der DRGs vor, dass ab dem Jahre 2005 Krankenhäuser alle zwei Jahre einen Qualitätsbe- richt abgeben müssen . ... Im Zusammenhang mit den DRGs die wir auf den Weg gebracht haben, werden nun Zug um Zug die Informati- onsflüsse in Richtung Patienten verbreitert. Das sind erste wirkliche Schritte hin zu mehr Information über Kosten- transparenz und mehr Qualität. Die AOK hat in der selbigen Anhörung zum Thema un- serer jetzigen Debatte darauf verwiesen, dass die KBV eine Verbesserung der Patienteninformationen gemäß § 305 SGB V mit dem Argument verhindert habe, dass erst einmal ein „fester Punktwert“ für die niedergelasse- nen Ärzte vereinbart werden müsse. Das sind unnötige Blockaden, die natürlich dazu veranlassen, über die Ent- scheidungsfähigkeit der Selbstverwaltung in bestehender Form nachzudenken und neue Wege zu überlegen. Auch die KBV will bei ihrem Einsatz für feste Punkt- werte verschleiern, dass solide Informationen auch ohne „festen Punktwert“ technisch kein Problem darstellen durch Bezug zum Beispiel auf den letzten bekannten Ab- rechnungswert. Außerdem sei wieder daran erinnert, dass es nicht nur um Abrechnungsdaten gehen soll, sondern be- sonders um aussagefähige Informationen an den Patienten über Diagnosen, Therapien und Medikamentierungen, also über die Qualität der Leistungserbringung, und die Nutz- barkeit dieser Daten bei allen weiteren Behandlungen. Hier wird der weiteren Umsetzung der „Vernetzten Versorgung“ – § 140 SGB V – besondere Bedeutung zu- kommen, durch die mit effizienterem Mitteleinsatz und mit mehr Qualität behandelt werden kann, als es bisher in den oft unverbundenen Behandlungsebenen ambulant, stationär plus Rehabilitation geschieht. Hier sind noch mannigfache Blockaden in der Selbstverwaltung und im Geflecht föderaler Strukturen beiseite zu schieben. Eine Implantation von DRG-ähnlichen Strukturen in den am- bulanten Bereich und in die Rehabilitation ist dazu auf Dauer wünschenswert zur Vermeidung kostenträchtiger Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. April 200223356 (C) (D) (A) (B) Verlagerungen von Leistungen und damit zur Vermeidung von Wettbewerbsverzerrungen, die zum Beispiel dadurch entstehen, dass im Krankenhaus Arzneien mehr oder min- der kostenlos zur Verfügung gestellt werden und damit im Krankenhaus Wirtschaftlichkeitszwänge in diesem Seg- ment nicht entstehen, denen niedergelassene Ärzte durch- aus ausgesetzt sind. Um all dies und die damit notwendigen Informations- flüsse an den Patienten zu verbessern, brauchen wir auf der Informationsebene weitere Schritte in Richtung einer elek- tronischen intelligenten Chipkarte/Gesundheitskarte, die am Ende diagnose- und patientenbezogen den Behand- lungsweg des Patienten – unter Einhaltung des Daten- schutzes – dokumentieren und diese Informationen zur sinnvollen Nutzung bei weiteren Arzt- und Krankenhaus- besuchen qualitätsvoll speichern kann, und zwar so, dass „Medienbrüche“ vermieden werden können beim Wechsel von einer Versorgungsebene in eine andere. Der Patient kann dabei ohne jede technische Problematik die Datenho- heit behalten und Öffnungen von Daten nur mit seiner Zu- stimmung ermöglichen. Hier hat das BMG einen Modellversuch vereinbart. Das ist gut so. Das ist wichtig für alle zukünftigen Patien- tengenerationen. All diese genannten exzellenten Mög- lichkeiten der neuen Medien mit der Forderung nach festen Punktwerten zu verknüpfen – siehe CDU-Antrag –, geht an den wirklichen Notwendigkeiten für eine Verbes- serung von Informationen sträflich vorbei und bedient sehr einseitig partikulare Interessen. Wichtig – und das ist noch eine weitere ganz entschei- dende Hauptaufgabe – wichtig dabei ist, dass die jetzt vor- handenen Dateninformationssysteme auf den verschie- densten Ebenen bei den Akteuren im Gesundheitswesen wie in einzelnen Bundesländern technisch kompatibel ge- macht werden durch eine einheitlich unterlegte „Daten- Grundsprache“, um Insellösungen abzubauen. Nur so wer- den wir auf Dauer wirklich aussagefähige, zeitnahe und gerichtsfeste Dateninformationen erstellen und umgehend an den Patienten weitergeben können. Hier gibt es mit GAmSI – GKV-Arzneimittelschnellinformationssystem – erste richtige Schritte seitens der Kasse, wobei diese Da- ten allerdings abrechnungstechnisch noch nicht geprüft und auch nicht diagnose- und patientenbezogen sind. Ich gehe im Übrigen davon aus, dass die Erstellung von Leistungs- und Abrechnungsinformationen integraler Be- standteil der Gesamtleistung sind und nicht mit zusätzli- chen Honorarforderungen verknüpft werden. Das ist eigentlich in allen Dienstleistungsbereichen selbstverständlich im Verhältnis von Auftraggeber und Auftragnehmer – alias Leistungserbringer und Beitrags- zahler. Wir sind informationell auf dem richtigen Weg, das können Sie mühelos auch aus dem Bericht der Bundesre- gierung entnehmen zum Thema „Innovation und Arbeits- plätze in der Informationsgesellschaft des 21. Jahrhun- derts“, Drucksache 14/8456 vom 7. März 2002. Da steht unter dem Punkt 4.8, Gesundheitswesen, ein ganz wichtiger Satz: Die Ergebnisse [verschiedenster Studien] zeigen die zunehmende Bedeutung elektronischer Informations- und Kommunikationstechnologien für eine bessere Patientenversorgung, für ein effizienteres, qualitäts- gesichertes und wirtschaftlich betriebenes Gesund- heitswesen, für die Abdeckung der Informations- bedürfnisse von Bürgerinnen und Bürgern sowie Patientinnen und Patienten und damit einhergehende Stärkung ihrer Rechte und für eine integrierte Ge- sundheitsforschung. Davon, dass all dies nur dann machbar ist, wenn es feste Punktwerte à la CDU/CSU und KBV gibt, steht in allen Studien kein Wort. Das wäre auf Fachtagungen al- lenfalls einer Fußnote wert mit dem Tenor: „Worauf man nicht Rücksicht nehmen darf.“ Aus den genannten Gründen lehnen wir Ihren Antrag ab, weil mit ihm das, was erreicht werden soll, eher blockiert als gefördert wird. Aribert Wolf (CDU/CSU): In der heutigen Zeit ist viel davon die Rede, dass wir in einer Informationsgesell- schaft leben. Jeder Bundesbürger hat heute Zugriff auf eine Fülle von Informationen, über das Fernsehen, über Bücher, über Zeitschriften, Zeitungen und immer mehr auch über das Internet. Information und Transparenz sind in einer Demokratie quasi das Blut in den Adern, das den Organismus am Leben erhält. Sogar der Architekt unseres Reichstagsgebäudes hat die Idee der Transparenz demokratischer Entscheidungen in seine Gestaltungselemente aufgenommen und wir kön- nen eindrucksvoll erleben, wie dieses massive Gebäude durch transparente Baukörper sinnbildlich für die Trans- parenz der Demokratie eindrucksvoll aufgelockert wird. Es gibt aber ein Feld, in dem den Bürgern Transparenz und Information bis heute systematisch vorenthalten wer- den. Das sind Informationen über medizinische Behand- lungsqualitäten und Behandlungskosten von gesetzlich Krankenversicherten. So dürfen die Bürger unter der rot-grünen Bundesregierung zwar Rekordbeitragssätze von 14 Prozent und mehr bezahlen, aber die von der Union im Sozialgesetzbuch V im Ansatz niedergelegten Informationsrechte sind in keiner Weise weiterentwickelt worden. Im Gegenteil: Rot-Grün hat die Umsetzung der Informationsrechte unmöglich gemacht. Noch immer erfahren gesetzlich Krankenversicherte nicht, was ihre Behandlung beim niedergelassenen Arzt oder im Krankenhaus gekostet hat. Dabei gibt es hier viel- fältige Wünsche von Patienten und gesetzlich Kranken- versicherten, mehr Informationen zu erhalten. Sowohl Krankenkassen als auch ärztliche Standesorganisationen wehren sich nicht grundsätzlich gegen dieses berechtigte Anliegen ihrer Kunden. Allerdings gibt es auch immer wieder Reichsbedenkenträger, die, kurz bevor es ernst wird, mit unrealistischen und astronomisch hohen Kos- tenargumenten hier eine Information der Verbraucher zu torpedieren versuchen. Dies konnten wir ja auch in der Anhörung zu diesem Antrag der CDU/CSU-Fraktion wie- der erleben. Umso mehr ist es eine Aufgabe verantwortungsvoller Gesundheitspolitik, hier den Verbrauchern und Patienten endlich mehr Informationen an die Hand zu geben. Nur ein informierter Bürger kann ein mündiger Patient sein! Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. April 2002 23357 (C) (D) (A) (B) Deswegen kann ich nicht nachvollziehen, warum SPD und Grüne dieses berechtigte Bürgeranliegen nicht ebenso aufgreifen, wie es die Unionsfraktion tut. Vermutlich wer- den Sie unseren Antrag im Plenum des Deutschen Bun- destags genauso ablehnen wie im Gesundheitsausschuss. Ich finde es traurig, dass Sie Bürgern, die Informationen nachfragen, so eiskalt die Tür vor der Nase zuschlagen. Natürlich lässt sich das von der Union eingeführte In- formationsrecht der Versicherten in § 305 Abs. 2 Sozial- gesetzbuch V nur dann vernünftig umsetzen, wenn Rot- Grün endlich die Bereitschaft zeigt, das wieder einzuführen, was von der Union längst im Sozialgesetz- buch V verankert war, nämlich die Einführung von festen Preisen für Ärzte, Zahnärzte und Krankenhäuser. Nur dann ist sicherzustellen, dass die Selbstverwaltungspart- ner Vereinbarungen treffen können, um die Versicherten über Umfang und Kosten der von ihnen in Anspruch ge- nommenen Leistungen direkt und zeitnah zu unterrichten. Ich halte es in der Tat für einen auf Dauer nicht hin- nehmbaren Zustand, dass wir Ärztinnen und Ärzten in Deutschland tagtäglich zumuten, dass sie Leistungen er- bringen, von denen sie nicht wissen, in welcher Höhe sie von den Krankenkassen bezahlt werden. Ich kann an die- ser Stelle das komplizierte Abrechnungsverfahren nicht erläutern, aber durch das Vergütungssystem mit floaten- den Punktwerten kommt es dazu, dass so mancher Arzt in Deutschland je nach Abrechungsquartal für ein und die- selbe Leistung zwischen 20 und 30 Prozent unterschiedli- ches Honorar bekommt. Welche Berufsgruppe würde es akzeptieren, dass eine Dienstleistung, zum Beispiel eine Spritze, die einem Patienten verabreicht wird, in einem Quartal mit 10 Euro vergütet wird, in einem anderen Quarta mit 5 Euro und in wiederum einem anderen Quar- tal mit 15 Euro? Wir reden immer davon, dass niederge- lassene Ärzte Freiberufler sind, Selbstständige, also quasi Kleinunternehmer, die für die eigene Wirtschaftlichkeit verantwortlich sind. Wie aber soll ein Unternehmer ver- nünftig seine Wirtschaftlichkeit organisieren, wenn er überhaupt nicht abschätzen kann, was er für eine identi- sche Dienstleistung an Vergütung zu erwarten hat? Das ist schon ein Ärgernis an sich. Aber wie soll ein Arzt, der nicht weiß, was er für eine Leistung vergütet be- kommt, den Patienten über den Preis der Behandlung in- formieren? Deswegen müssen diese Dinge auch im Zusammenhang mit den Informationsrechten der Versi- cherten diskutiert werden. Wir müssen in Deutschland endlich wieder dazu kommen, ein Vergütungssystem im Sozialgesetzbuch einzuführen, das es den Selbstverwal- tungspartnern erlaubt, für medizinisch notwendige Leis- tungen feste Preise einzuführen. All das stand unter dem Stichwort Regelleistungsvolumina längst im SGB V und wurde von Rot-Grün leider wieder rückgängig gemacht. Auch hier wird es Zeit, dass es zu einem Politikwech- sel im Interesse von Patienten und Leistungserbringern kommt! Wir brauchen aber nicht nur die Einführung von festen Preisen für medizinisch notwendige Leistungen und die damit verbundene Informationsmöglichkeit für die Versi- cherten. CDU und CSU wollen auch Informationen über Qualität und Ergebnisse der einzelnen Leistungserbrin- ger, über Häufigkeit und Qualität von medizinischen Leis- tungen offen legen und den Versicherten zugänglich machen. Auch hier gibt es ein riesiges Informationsbe- dürfnis. Dass Rot-Grün hier dem Anliegen von CDU und CSU, das in diesem Entschließungsantrag vorgebracht ist, eine Abfuhr erteilen wird, stimmt mich besonders ärger- lich. Was macht es denn für einen Sinn, wenn sich heute bereits viele Krankenhäuser an externen Qualitätssiche- rungsmaßnahmen beteiligen, die Politik aber nicht bereit ist, den Versicherten diese Informationen auch zugänglich zu machen? Viele Operationen sind heute planbar, was den Zeit- punkt des Eingriffs anbelangt. Hier ist es für die Patienten doch von großem Interesse, zu erfahren, in welchem Krankenhaus denn zum Beispiel die Implantation eines künstlichen Hüftgelenks qualitativ hochwertig erbracht wird oder in welchem Haus ein solcher operativer Eingriff vielleicht nur vier- bis fünfmal im Jahr stattfindet, mit der berechtigten Befürchtung, dass dann die Leistungserbrin- gung vermutlich nicht das gleiche qualitative Niveau ha- ben wird wie in einem Krankenhaus, das einen solchen Eingriff über fünfhundertmal pro Jahr erbringt. Es ist doch kein Wunder, dass die „Focus“-Ärztelisten immer zu besonders starken Auflagen geführt haben. Das zeigt, was für ein Informationsbedürfnis in unserer Be- völkerung besteht. Wer ist noch nicht gefragt worden, ob er nicht einen guten Internisten, einen guten Gynäkologen oder einen guten Augenarzt kennt. Hier wird die Selbstverwaltung alleine nicht zu zufrieden stellenden Lösungen kommen, sondern hier wird der Gesetzgeber den Versicherten und Patienten Hilfestellung bieten müssen. SPD und Grüne sprechen doch auch in ihren Wahlpro- grammen von einer Stärkung der Verbraucherrechte. Aber warum stimmen Sie dann hier im Bundestag, wenn es Ernst wird und wenn Sie Ihren Ankündigungen Taten fol- gen lassen können, gegen unseren Antrag? Von der Bun- desregierung wird doch nichts anderes gefordert, als die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass Qualität von Leistungerbringern und von Leistungen endlich besser of- fen gelegt und den Verbrauchern zugänglich gemacht werden muss. Ich finde es ausgesprochen schwach, dass sich SPD und Grüne aus rein parteipolitischen Erwägun- gen heraus der Stärkung der Verbraucher- und Patienten- rechte verschließen. Auch der Sachverständigenrat im Gesundheitswesen fordert in seinem Gutachten eine Stärkung der Rolle von Versicherten und Patienten im Sinne einer aktiven Mitge- staltung. Patienten und Versicherte können jedoch nur dann eigenverantwortlich Entscheidungen treffen und Wahlmöglichkeiten nutzen, wenn sie ausreichend infor- miert sind. Das System der gesetzlichen Krankenversicherung muss deshalb insgesamt transparenter gestaltet werden. Genau dies verfolgt der heute vorgelegte Antrag von CDU und CSU. Und daher fordere ich jeden von Ihnen, der ein Interesse daran hat, Versicherte und Verbraucherrechte zu stärken, mit Nachdruck dazu auf, unserem Antrag zuzu- stimmen. Haben Sie die Kraft, wie wir von CDU und CSU, nicht den Reichsbedenkenträgern Ihre politische Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. April 200223358 (C) (D) (A) (B) und parlamentarische Unterstützung zukommen zu las- sen, sondern den berechtigten Interessen der Bürgerinnen und Bürgern in diesem Land! Monika Knoche (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Im Verlauf der Beratung Ihres Antrages, aber gerade erst jüngst, aufgrund der politischen Forderungen der CDU, die Kostenerstattung einzuführen, die sich nahtlos mit Ihren Ideen des Selbstbehaltes verknüpfen lassen, sind alle wohlmeinenden Unterstellungen zum Antrag hinfäl- lig geworden. Zum Inhalt: Von der datenschutzrechtlich zweifelhaf- ten Zulässigkeit einmal abgesehen, die in der Zusam- menführung aller patientenbezogenen Leistungsdaten liegen, stellt sich die praktische Frage: Wer macht denn bei Ihrem Modell die Quartalsabrechnung? Gelten die Ergebnisse der kassenärztlichen Abrechnungsstellen noch oder sind die Patientenquittungen der Beleg für die tatsächlichen Kosten? Wie können überhaupt alle er- brachten und veranlassten Leistungen im ambulanten und stationären Sektor auf den betreffenden Patienten oder die betreffende Patientin stimmig zusammengeführt werden? Und welchen Beitrag zur Systemsteuerung leis- tet Ihr Vorschlag? Fragen über Fragen. Kann das alles überhaupt funktio- nieren? Nein. Feste Preise in der Arztpraxis gibt es nicht. Und überhaupt, was sagen Preise eigentlich über die me- dizinische Indiziertheit der ärztlichen Diagnostik und Therapie aus? Zu viele offene Fragen, um diese Vorlage für einen guten Antrag zu halten. Übrigens ein wichtiger Hinweis: Zwischen Arzt/Ärztin und Patient/Patientin besteht kein Dienstleistungsvertrag, sondern ein Behandlungsauftrag. Das ist ein so grundle- gender Unterschied wie die Abnahme von Malerarbeiten zum Erwerb eines Gemäldes. Im Ernst. Wollen Sie eine Gesundheitsversorgung, bei der Patienten einkaufen gehen, wie im Supermarkt, mit Preisvergleich und Sonderangeboten? Die Trivialisierung des Geschehens Gesundheitsversorgung ist schon erstaun- lich, Die Durchökonomisierung der Medizin ist keine kul- turvolle Vision. Übrigens, auch in dem von Ihnen oft als Modell belie- henen PKV-System sind Fehlanreize bei Barzahlung und Erstattung nicht ausgeschlossen. Im Gegenteil: Die Ge- bührenordnung für Ärzte - GOÄ - ist oftmals ein Rätsel für die Privatversicherten und das Behandlungsverhältnis nicht von unbedingt besserer und effizienterer Leistung gezeitigt. Das kann kein Vorbild sein, weil es keine wirk- liche Patienten- und Patientinnenkompetenz schafft. Im GKV-System hat sich der Punktwert für die ärztli- che Leistung herausgebildet. Der ist floatend. Da lassen sich keine Festpreise bilden. Zudem läuft Ihr Modell aller Reform des Honorierungswesens entgegen. Hier will man bekanntlich zu behandlungsleitlinienorientierter Honorie- rung kommen. Die BÄK und die KBV arbeiten an be- handlungsstandardisierungsähnlichen Qualitätsmarkern im ambulanten Sektor. Diesen Weg sind Sie von der CDU/CSU bislang immer mitgegangen. Warum verlassen Sie diesen Weg? Zum stationären Bereich: In allen deutschen Kranken- häusern soll das DRG-Abrechnungswesen Einzug halten. Über integrierte Versorgungsverläufe, die unter Umstän- den auch die Reha umfassen, wird derzeit nachgedacht. Es ist also viel Bewegung im System. Ich bin nicht davon zu überzeugen, dass man Patienten zu Kostenkontrolleuren machen kann oder soll. Das Be- dürfnis der Patienten und Patientinnen nach Information richtet sich meiner Erfahrung nach viel mehr auf Unter- stützung, eine gute Beratung über ihre Krankheit und Hil- fen; sie wollen auch fachlich fundierte Informationen über Behandlungsalternativen bekommen, um die Qua- lität ärztlicher Leistungen zu heben und bei Behandlungs- fehlern, bei iatrogenen Schäden etc. die Patienten und Pa- tientinnen zu unterstützen. Das ist eine Sache, für die Krankenkassen, Patientenverbände, Patientenschutzbe- auftragte usw. viel geeigneter sind als Ihre Vorschläge. Nicht zu vergessen ist die Politik. Sie hat Qualitätsi- cherungsmaßnahmen, mit dem Koordinierungsausschuss und anderem die Verantwortung dafür, dass das Geld der Versicherten nur für die Interessen der Patienten ausgege- ben wird. Dazu vermag Ihr Antrag leider wenig Weiter- führendes beizutragen. Detlef Parr (FDP): Wenn wir eine durchgreifende Gesundheitsreform wollen, müssen wir sie auf zwei Pfeiler setzen: Freiberuflichkeit bei den Heilberufen wiederher- stellen und Patientensouveränität aufbauen. Dabei spielt die Verbesserung der Informationsmöglichkeiten der Ver- sicherten eine zentrale Rolle. Mehr Kostenbewusstsein bei der Inanspruchnahme des Gesundheitssystems ist dringend erforderlich. Das kann nur – wie der Unionsantrag zu Recht fordert – durch mehr Transparenz des Leistungsgeschehens erreicht werden. Dazu gehören zum einen feste Preise in den Praxen und Krankenhäusern, zum anderen aber eine über den Antrag hinaus gehende Kostentransparenz. Wir müssen das Sachleistungsprinzip weitgehend durch die Kostenerstattung ablösen. Der Arzt stellt eine für jeden lesbare und verständliche Rechnung, der Versi- cherte rechnet mit der Krankenkasse ab und begleicht sie. Das lässt Spielräume für Wahlfreiheiten der Versicherten wie Selbstbehalte, Beitragrückerstattungen oder Selbst- beteiligungen. Das eröffnet Gestaltungsmöglichkeiten ei- nes zum Beispiel Festzuschusssystems bei dem die medi- zinisch notwendige Versorgung zu 100 Prozent von der Kasse erstattet wird und bei dem darüber hinaus gehende Wünsche vom Versicherten selbst zu tragen sind, über er- gänzende Privatversicherungen oder eben Cash. Ein solches System setzt die notwendigen Anreize, die beim Versicherten wie beim Arzt eine wirtschaftliche Er- bringung und Inanspruchnahme von Gesundheitsleistun- gen bewirken. Die Verbesserung der Informationsmög- lichkeiten der Versicherten ist die eine Seite der Medaille. Andererseits müssen wir feststellen, dass ein anderes Wis- sensdefizit besteht: Wir haben über Jahre versäumt, hin- reichende Informationen über Präferenzen und Erwartun- gen der Patienten gegenüber dem Gesundheitswesen zu sammeln: Expertendominanz statt Kundenorientierung, Für eine verbesserte Patientenbeteiligung benötigen wir dringend valide Hinweise darüber, aufgeschlüsselt nach Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. April 2002 23359 (C) (D) (A) (B) sozialer Herkunft, Geschlecht, Alter, Lebenssituation, und international vergleichbare Studien dazu. Dem Pati- enten wiederum müssen Begriffe, Methoden, Behand- lungsformen verständlich vorgestellt werden. Erinnern wir uns an das Lipobay-Drama: Die Beipackzettel für Arzneimittel bedürfen dringend einer Überarbeitung, da- mit das Ausmaß möglicher schädlicher Nebenwirkungen deutlicher wird. Wir haben nach den Ausschussberatungen noch einmal nachgedacht: Vor dem Hintergrund der gegenwärtig be- stehenden Bedingungen im Gesundheitswesen wollen wir dem Antrag der CDU/ CSU nun doch zustimmen, obwohl er uns nicht weit genug geht! Letzten Anstoß dazu haben uns die Beschlussempfehlung und der Bericht gegeben. Dort heißt es wortwörtlich als Begründung für die Ableh- nung durch Rot-Grün: „Sie vermuteten, dass letztlich Ziel des Begehrens sei, die Kostenerstattung einzuführen“. Richtig so, und deshalb unser Ja. Was bleibt über diese Ansätze hinaus zu tun? Wir müs- sen aus dem Zwinger der Patienteninformation als abs- traktes Regelwerk heraus. Die Information darf nicht Selbstzweck bleiben; sie muss vielmehr zur Verbesserung des Wissensstandes des Patienten beitragen. Unabhängige Qualitätsmanagementstrukturen müssen geschaffen wer- den. Darauf aufbauend kann dann die Einführung von Pa- tientenrechten und Patientenweiterbildung aufgrund überprüfter Qualitätsstandards erfolgen. Letzte Bemerkung: Alle Information nutzt dem Patien- ten wenig, wenn er sie nicht einordnen kann. Wir sollten über das Angebot einer Beratung nachdenken, eines Ge- sundheitscoachs als Partner des Patienten, der sich die notwenige Zeit nehmen kann, Fragen zu erläutern und Hinweise auf das richtige Verhalten, zum Beispiel beim Therapieablauf, zu geben. Die Kommunikation zwischen den am Behandlungs- und Pflegeprozess Beteiligten muss sich verändern, wollen wir das Ziel des Antrags der Union wirklich erreichen. Dr. Ruth Fuchs (PDS): Der Beginn ihres Antrages ist nicht unklug gewählt, meine Damen und Herren von der Unionsfraktion. Sie berufen sich auf eine Forderung des Sachverständigenrates für die konzertierte Aktion. Das hört sich gut an und weckt auch eine Art Vertrauen. Auch wir finden es richtig und notwendig, die Rolle der Versi- cherten und Patienten zu stärken und das System der ge- setzlichen Krankenversicherung transparenter zu machen. Realität ist aber, dass wir unterschiedliche Auffassun- gen haben, was unter stärkerer Versichertenpartizipation und Transparenz im Gesundheitswesen zu verstehen ist und wie man das gestalten kann. Wenn damit gemeint ist, wie es in Ihrer dritten Forderung an die Bundesregierung heißt, dass Qualität und Ergebnisse der einzelnen Leis- tungserbringer für Versicherte transparent sein sollen, dann findet das unsere Unterstützung. Das steht auch klar und deutlich in unserem Wahlprogrogramm. Um aber Rechte in Anspruch nehmen zu können, be- darf es mehr. Patienten brauchen dafür vor allem mehr In- formationen über Struktur und Profil der Gesundheitsan- gebote. Diesbezüglich finden wir es richtig, dass Krankenhäuser verpflichtet sind, regelmäßige Qualitäts- berichte zu veröffentlichen und dass die konkrete Ausge- staltung von Behandlungsprogrammen für chronisch Kranke erfolgen muss. Genau das sind Felder, auf denen Patientenkompetenz unerlässlich ist. – Je mehr Patienten darüber wissen, desto besser werden sie befähigt, ihren in- dividuellen Behandlungsprozess kompetent zu bewerten und selbst aktiv mitzugestalten. Davon steht aber nichts im Antrag der Unionsfraktion. Sie begrenzen das Mitwirkungsrecht der Patienten vor- rangig auf eine Kontrolle ärztlicher Rechnungen. Genau da hört unsere Zustimmung auf, und zwar aus folgenden Gründen: Dieser Ansatz steht dem Sachleistungsprinzip sowie anderen Ordnungsprinzipien der GKV diametral entge- gen. Es ist das Aufstoßen einer Tür hin zu Selbstbehalten, zur Zu- und Abwahl von Leistungen und zur Kostener- stattung. Ist die Tür dann weit genug offen, war es das mit dem Solidarsystem. Die FDP stimmt Ihrem Antrag nicht zu, aber nicht etwa, weil sie Ihr Anliegen nicht unterstützen würden. Die FDP fordert sofort die Einführung der Kostenerstattung. Das ist wenigstens konsequent; denn genau das ist die Lo- gik, die sich aus Ihrem Antrag ergibt, meine Damen und Herren von der CDU/CSU. Wir lehnen die Kostenerstattung ab. Unserer Meinung nach sind finanzielle Kontrollen der Ärzte durch ihre Pa- tienten kein adäquater Weg. Nötig sind angemessene ärzt- liche Vergütungen, die überwiegend pauschal erfolgen und Abrechnungsmanipulation ebenso wie bürokrati- schen Aufwand zurückdrängen. Im Übrigen ist ja kürzlich im SPD/FDP-regierten Rheinland Pfalz – noch unter dem damaligen Gesundheitsminister Gerster – ein Modellpro- jekt in Sachen Patientenquittung gestartet worden. Für eine Tagesquittung, die unmittelbar beim Verlassen der Praxis ausgestellt wird, erhalten die Ärzte 1,5 Euro, für eine Quittung am Quartalsende 2,25 Euro. Insgesamt stellt die GKV für die einjährige Laufzeit des Projektes, an dem nur 96 Ärzte beteiligt sind, 750 000 Euro zur Ver- fügung. Eine grobe Überschlagsrechnung bestätigt, dass eine generelle Einführung bei den weit über 100 000 Ver- tragsärzten eine Summe ergeben würde, die in der Größenordnung von 1 Milliarde Euro und mehr liegen dürfte. Erneut werden Geld und weitere ärztliche Arbeits- zeit der unmittelbaren medzinischen Versorgung entzo- gen. Auch das halten wir für falsch. Wir lehnen den An- trag ab. Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bewachungsgewerberechts (Tagesordungspunkt 22) Christian Lange (Backnang) (SPD): Wir haben in Deutschland das europaweit am weitesten entwickelte private Bewachungsgewerbe, das darüber hinaus in stän- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. April 200223360 (C) (D) (A) (B) digem Wachstum begriffen ist. Derzeit beschäftigen in Deutschland 2 500 Unternehmen rund 140 000 Arbeit- nehmerinnen und Arbeitnehmer. Der zunehmenden Be- deutung dieses Wirtschaftsbereiches und den gestiegenen Anforderungen an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in diesem Gewerbe wollen wir durch die Novellierung des Bewachungsgewerberechts entsprechen. Wir wollen mit der Novellierung des Bewachungs- rechts die Voraussetzungen vor allem für die im öffentli- chen Bereich auszuführenden Tätigkeiten des privaten Bewachungsgewerbes an die steigenden qualitativen An- forderungen anpassen. Es bleibt dabei sicherzustellen, dass das staatliche Gewaltmonopol auch in Zukunft un- angetastet bleibt. Um dies zu gewährleisten, wird bei- spielsweise klargestellt, dass dem Sicherheitsgewerbe außer in Fällen der Beleihung nur die vom Auftraggeber vertraglich übertragenen privatrechtlichen Befugnisse und die so genannten Jedermannrechte zustehen. Weiterhin wird für Wachleute, die beim Schutz vor La- dendieben, beispielsweise Kaufhausdetektive, tätig sein sollen, eine Sachkundeprüfung eingeführt. Dasselbe gilt auch für Wachpersonal, das mit Kontrollgängen im öf- fentlichen Verkehrsraum betraut ist, also beispielsweise in S-Bahnen oder Ladenpassagen, oder das als bewachende Kontrolleure vor Diskotheken eingesetzt wird. Für das übrige Personal im Bewachungsgewerbe wird die Zahl der vorgeschriebenen Unterrichtungsstunden von 24 auf 40 und für die Gewerbetreibenden von 40 auf 80 Stunden erhöht. Dabei sollen gleichzeitig effektivere Schulungsverfahren zum Einsatz kommen, wie Rollen- spiele, Multipe-Choice-Tests und ähnliche. Die Kosten für eine Personalunterrichtung werden sich circa um 511,29 Euro und für die Unterrichtung des Gewerbetreibenden um 1124,84 Euro erhöhen. Die Kosten für eine Sachkunde- prüfung werden auf bis zu 153,39 Euro geschätzt. Für be- sonders wichtig erachte ich außerdem die Intensivierung der Zuverlässigkeitsprüfungen, die vorgesehen sind, denn dieses Gewerbe ist in hohem Maße auch von der Persön- lichkeitsstruktur des jeweiligen Wachmanns abhängig. Dazu entsprechend erhalten die Gewerbeämter die Mög- lichkeit, unmittelbar eine Untersagung auszusprechen, so- fern gegenüber einzelnen Wachleuten eine entsprechende Arbeitsauffassung und Persönlichkeitsstruktur nicht garan- tiert werden kann. Die datenschutz- und waffenrechtlichen Vorgaben in der Bewachungsverordnung werden ebenfalls verschärft. Schließlich sollen bestimmte, in öffentlich zugänglichen Räumen tätige Wachleute dazu verpflichtet werden, ein Na- mensschild zu tragen. Dies erhöht das Sicherheitsgefühl der Bürgerinnen und Bürger und schützt gleichzeitig vor Überschreitung der Befugnisse des Bewachungspersonals. Im Übrigen ist die vom Bundesrat geforderte Auswei- tung des Sachkundenachweises für Personenschützer und Wachleute abzulehnen, die im Zugangskontrollbereich bei öffentlichen Großveranstaltungen eingesetzt werden. Eine weitere kostenträchtige Verschärfung, wie sie eine solche Ausweitung darstellen würde, würde letztlich nur dazu führen, dass die Veranstalter aufgrund des Kosten- drucks weniger Ordnungspersonal bei Großveranstaltun- gen, wie Fußballspielen, Rockkonzerten oder ähnlichen, einsetzen würden. Letztlich würde dies zu weniger Si- cherheit bei solchen Massenveranstaltungen führen, ob- wohl gerade dort besondere Sicherheitsmaßnahmen er- forderlich sind. Damit hätten wir unser eigentliches Ziel unterlaufen, die Qualität im Bewachungsgewerbe und da- mit auch die Sicherheit zu erhöhen. Die positive Entwicklung des Bewachungsgewerbes hat auch beschäftigungspolitisches Gewicht, wenn man bedenkt, dass Arbeitsplätze in diesem Dienstleistungsbe- reich gerade für Arbeitssuchende mit eher praktischen Neigungen interessant sein können. Hier eröffnet sich ein zukunftsfähiger Arbeitsmarkt ganz besonders auch für Menschen, die nur über eine geringe Qualifizierung ver- fügen und deshalb oftmals keine adäquaten Beschäfti- gungsmöglichkeiten auf dem Arbeitsmarkt finden. Daher begrüße ich sehr den freien Zugang zu diesem Gewerbe. Das Wachstum in diesem Dienstleistungsbereich ist längst nicht erschöpft. Neue Arbeitsplätze werden ge- schaffen. Gleichzeitig schaffen wir durch die Novellie- rung mehr Qualität und Sicherheit für die Bevölkerung, wie es den gestiegenen Anforderungen dieses Gewerbes entspricht. Günter Graf (Friesoythe): Vor dem Hintergrund einer zunehmenden Anzahl leerer öffentlicher Kassen ist immer häufiger die Rede vom schlanken Staat. Dieses ist Fakt und nicht zu leugnen. Dahinter versteckt sich letztlich auch die Frage nach dem künftigen Bestand von Staats- aufgaben im Allgemeinen. Es stellt sich aber auch die Frage, ob im Bereich der inneren Sicherheit als Kernbe- reich der staatlichen Tätigkeit verstärkt private Sicher- heitsdienste ergänzend zur Polizei oder teilweise sogar an deren Stelle treten und hoheitliche Aufgaben wahrnehmen dürfen und sollten. Ich bin mir sehr sicher – das haben die bisherigen Dis- kussionen in den Ausschüssen gezeigt –, dass Einigkeit darüber herrscht, dass das private Sicherheitsgewerbe ei- nen wichtigen Beitrag zur Aufrechterhaltung der Inneren Sicherheit in Deutschland leistet und nicht mehr wegzu- denken ist, ohne dass dadurch das staatliche Gewaltmo- nopol infrage gestellt wird. Dabei ist festzustellen, dass private Sicherheitsdienst- leister ihre Aktivitäten immer mehr im öffentlich zugäng- lichen Raum entfalten. Dieses sage ich deshalb, weil es dadurch bedingt zunehmend zu Konfliktsituationen zwi- schen dem Sicherheitsdienstleister und dem Bürger kommt bzw. kommen kann, weil die bis heute geltenden gesetzlichen Regelungen unvollkommen und weil die Qualifikationsvoraussetzungen unzureichend sind. Im- mer häufiger wird in diesem Zusammenhang von so ge- nannten schwarzen Sheriffs und von rechtlichen Grauzo- nen gesprochen. Viele von Ihnen können sich noch sehr gut daran erin- nern, dass wir uns bereits in der 12. und 13. Wahlperiode mit der Thematik der privaten Sicherheitsdienste beschäf- tigt haben, weil ganz allgemein ein Novellierungsbedarf des Bewacherrechtes erkannt worden war. Leider sind noch zu Zeiten der damaligen Regierungskoalition alle Bemühungen aufgrund der internen Zerstrittenheit ge- scheitert. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. April 2002 23361 (C) (D) (A) (B) Vor diesem Hintergrund haben sich die Koalitionäre im Jahre 1998, nachdem Rot-Grün einen klaren Wählerauf- trag erhalten hatte, unter dem Aspekt weiterer Vorhaben zur Rechtspolitik dahin gehend verständigt, Aufgaben und Befugnisse des Sicherheitsgewerbes in dieser Wahl- periode zu regeln. Auch in diesem Punkt hat die rot-grüne Bundesregierung und die sie tragende rot-grüne Koalition Wort gehalten und einen Gesetzentwurf auf den Weg ge- bracht, den wir heute abschließend, also in zweiter und dritter Lesung, beraten. Zu den Kernpunkten dieses Gesetzes gehört unter an- derem die Erhöhung der Stundenzahl der Unterrichtung der Beschäftigten von bislang 24 Stunden auf 40 Stunden, für die Gewerbetreibenden selbst von 40 auf 80 Stunden durch die jeweils zuständigen Industrie- und Handels- kammern. Was nach meiner ganz persönlichen Einschätzung und fast aller Fachleute in dem Gesetz fehlt – das hat auch eine entsprechende Anhörung ergeben –, dass für die Gewer- betreibenden selbst nicht die bloße Unterrichtung ausrei- chend ist, sondern dass von ihnen aufgrund ihrer beson- deren Verantwortung eine Sachkundeprüfung zu fordern wäre. Dies war aber aufgrund unterschiedlicher Interes- sen zwischen Wirtschafts- und Innenpolitik nicht erreich- bar; insofern ist die Erhöhung der Stundenzahl von 40 auf 80 Stunden als Kompromiss zu sehen. Auch möchte ich in aller Kürze darauf hinweisen, dass mit diesem Gesetzentwurf die Zuverlässigkeitsprüfung der Beschäftigten deutlich verschärft wird. Nunmehr ist zwingende Voraussetzung, dass vor Einstellung die Zu- verlässigkeit unter anderem durch die unbeschränkte Aus- kunft nach § 41 Abs. 1 Nr. 9 des Bundeszentralregisters gefordert wird. Ebenso sind für ganz bestimmte Aufga- benbereiche auch Auskünfte bei den zuständigen Landes- behörden für Verfassungsschutz zu tätigen. Ich gehe davon aus, dass es künftig nicht mehr möglich sein wird, dass eine Person, die wegen eines kriminellen Tuns eine öffentliche Anlage beschädigt hat und dadurch eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung heraufbeschworen hat, nach Strafverbüßung als Wachper- son gerade für dieses Objekt eingestellt werden würde. Dies wird durch die neuen Regelungen künftig nicht mehr möglich sein, wobei ich darauf hinweise, dass die Ver- schärfung hinsichtlich der Sicherheitsüberprüfung für Personen in bestimmten lebensnotwendigen Bereichen – Flughäfen, Elektrizitätswerke, Kläranlagen usw. – von dieser Regelung unberührt bleibt. Auch sind mit diesem Gesetz die zwingend notwen- dige Regelung hinsichtlich der datenschutz- und waffen- rechtlichen Bestimmungen getroffen worden. Dies will ich an dieser Stelle nicht vertiefen. Ein Letztes möchte ich allerdings hier noch anmerken: Durch die Änderung der Gewerbeordnung § 34 fordern wir – das ist etwas Neues – für einen bestimmten Personenkreis eine erfolg- reich abgelegte Sachkundeprüfung. Diese Sachkundeprü- fung, so das Gesetz, ist für die Beschäftigten zwingende Voraussetzung bei der Ausübung folgender Tätigkeiten: Erstens. Kontrollgänge im öffentlichen Verkehrsraum oder in Hausrechtsbereichen mit tatsächlich öffentlichem Verkehr. Zweitens. Schutz vor Ladendieben. Drittens. Bewachung im Einlassbereich von gastge- werblichen Diskotheken. Dies ist gut und notwendig. Allerdings – das will ich hier in aller Deutlichkeit sa- gen – bedauere ich sehr, dass der federführende Aus- schuss für Wirtschaft und Technologie die parteiübergrei- fende, einstimmige Empfehlung des Innenausschusses und die mehrheitlich beschlossene Empfehlung des mit- beratenden Rechtsausschusses, diese Sachkundeprüfung auch dann zu fordern, wenn Personen in Aufsichtsfunk- tionen bei der Zugangskontrolle von Großveranstaltungen eingesetzt werden, angenommen habt. Diesem Argument hat sich der federführende Aus- schuss leider verschlossen und ich sage persönlich in aller Deutlichkeit: Dies ist nicht nachvollziehbar. Sachlich ist die Nichtaufnahme dieser Forderung in das Gesetz nicht zu begründen. Die Frage, die sich stellt, lau- tet doch schlicht und ergreifend, warum Zugangskontrol- leure vor Diskotheken eine Prüfung ablegen müssen, die mit gleichem Arbeitsauftrag versehenen Zugangskontrol- leure im Einlassbereich von Großveranstaltungen hinge- gen nicht. Letzteres sage ich deshalb auch in dieser Deutlichkeit, weil ich als ehemaliger Polizeibeamter die dargestellte Pro- blematik hautnah im Diskothekenbereich, aber auch im Zu- gangsbereich von Großveranstaltungen kennen gelernt habe. Die von mir angesprochenen Unterrichtungen, die bislang ausnahmslos von IHKs durchgeführt werden durf- ten, können nunmehr auch auf Antrag von den Sicherheits- dienstleistern, sofern sie entsprechende Einrichtungen un- terhalten, durchgeführt werden. Diese Änderung ist eine notwendige Reaktion auf die Lebenswirklichkeit. Jeder, der sich mit diesen Dingen beschäftigt hat, dem wird nicht verborgen geblieben sein, dass sich die Industrie- und Han- delskammern des Fachpersonals der privaten Sicherheits- dienstleister ganz überwiegend bedient haben. Vor diesem Hintergrund ist es sicherlich folgerichtig, dass die Sicherheitsdienstleister, die über entsprechende Einrichtungen verfügen, diese Unterrichtung unter dem Dach der IHKs eigenständig durchführen können. Klaus Francke (CDU/CSU): Das Thema Sicherheit hat in den politischen Diskussionen im Lande einen stän- dig steigenden Aufmerksamkeitswert, und dies nicht erst als Folge der Ereignisse des 11. September. Wahlergeb- nisse, wie bei uns in Hamburg, sind von diesem Thema maßgeblich beeinflusst worden. Der objektive und sub- jektive Erkenntnisstand der Bevölkerung, dass ihre Si- cherheit in vielfältiger Weise zunehmend bedroht ist, nimmt zu. Eine Folge dieser Sachlage sind die allseits ver- stärkten Sicherheitsvorkehrungen in unserem Land; denn es gehört nach wie vor zu den vornehmlichsten Aufgagen des Staates, den Schutz seiner Bürger zu gewährleisten. Vor zahlreichen öffentlichen Gebäuden steht Sicherheits- personal, das den Schutz der Objekte und der Menschen darin gewährleisten soll. Es zeigt sich aber, dass diese Aufgabe von den Poli- zeien der Länder und vom Bundesgrenzschutz nur noch Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. April 200223362 (C) (D) (A) (B) unter großen personellen Schwierigkeiten bewerkstelligt werden kann. Immer häufiger sind deshalb auch private Sicherheitsdienste mit dem Schutz und der Absicherung von gefährdeten Einrichtungen beauftragt. Diese Entwicklung hat zu einer erheblichen Auswei- tung der Zahl privater Sicherheitsdienste im letzten Jahr- zehnt geführt. Gab es 1990 noch circa 900 private Wach- und Sicherheitsunternehmen, so steigerte sich die Zahl bis zum Jahre 2000 auf rund 2 500 Firmen. Mit der Frage der Qualität dieser Firmen und ihres Per- sonals beschäftigt sich der vorliegende Gesetzentwurf. Um es vorweg zu sagen: Der grundsätzlichen Zielsetzung des Gesetzes stimmt die CDU/CSU-Fraktion ausdrücklich zu. Das staatliche Gewaltmonopol bleibt auch in Zukunft unangetastet. Es soll und muss jedoch bei steigender Inanspruchnahme pri- vater Sicherheitsdienste und einer damit verbundenen Aufgabenausweitung sichergestellt sein, dass die Voraus- setzungen, in diesem Gewerbe tätig zu sein, den gestiege- nen Anforderungen gerecht werden und dass die Aus- und Weiterbildung des Personals eine permanente Aufgabe sein müssen. Es muss die Zuverlässigkeit der Wachleute vor ihrer Einstellung gründlicher geprüft werden und der Hinweis der Gewerkschaft der Polizei, die privaten Si- cherheitsdienste sollten einer verschärften Kontrolle un- terzogen werden, sollte nicht unbeachtet bleiben. Dies ist auch deshalb notwendig, weil auf Seite der privaten Si- cherheitsdienste eine entsprechende Sachkenntnis des eingesetzten Personals nicht in allen Fällen gewährleistet ist. Nach unserer Auffassung sollten einige zusätzliche Re- gelungen in das vorgelegte Gesetz aufgenommen werden. Dazu haben wir den ihnen vorliegenden Änderungsantrag eingebracht. Es geht uns im Wesentlichen um drei Aspekte: Erstens. Wir wollen, dass die Sachkundeprüfungen auch auf die Aufsichtsfunktionen bei der Zugangskon- trolle von Großveranstaltungen ausgeweitet werden. Nicht nur die bei Massenveranstaltungen möglichen Angst- und Panikreaktionen rechtfertigen eine solche Er- gänzung. Die Terroranschläge in vielen Ländern, zum Beispiel in Lokalen und Diskotheken, liefern eine weitere Begründung für die gewollte Ergänzung. Der Bundesrat hat sich in seiner Stellungsnahme ausdrücklich dieser Auffassung angeschlossen. Das in diesem Zusammenhang von der Bundesregie- rung vorgebrachte Kostenargument, nach dem die Kosten für entsprechend qualifiziertes Personal zu hoch seien, ist nicht überzeugend. Sicherheit kostet Geld und dieses Geld ist im Interesse der Sicherheit der Bevölkerung und unseres Gemeinwesens gut angelegt. Zweitens. Wir möchten erreichen, dass außer den In- dustrie- und Handelskammern auch die Verbände ASW, VSW und BDWS die Unterweisung des Personals vor- nehmen können. Drittens. Unser Vorschlag zu § 5 a, Abs. 1 der Bewa- chungsverordnung betrifft eine notwendige rechtssyste- matische Klarstellung. Eine abschließende Bemerkung: Im Gesetzentwurf heißt es: Die mit der Ausführung des Gesetzes betrauten Ge- meinden werden durch die intensivere Zuverlässig- keitsüberprüfung in geringem Maße mehr belastet. Wie groß oder gering die Mehrbelastung ist, will ich hier nicht untersuchen, aber so viel sei doch gesagt: Ein weiteres Mal legt der Bund den Gemeinden Lasten auf, ohne auch nur ansatzweise in einem größeren Gesamt- zusammenhang den Gemeinden einen finanziellen Aus- gleich zu gewähren. Ich bitte das Haus um Zustimmung zu unseren Änderungsanträgen. Bei Ablehnung unserer Änderungsanträge werden wir uns in der Schlussabstim- mung der Stimme enthalten. Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Das Anliegen dieses Gesetzes teilen wir Bündnis- grünen und auch ich persönlich mit der Polizeigewerk- schaft. Diese Allianz ist sicher bemerkenswert, aber von der Sache her verständlich und richtig. Das private Si- cherheitsgewerbe ist ein florierender Wirtschaftszweig geworden. Hunderttausende finden dort inzwischen einen Arbeitsplatz. Private Firmen übernehmen immer mehr Si- cherheitsaufgaben auch im öffentlichen Bereich. Sogar Bundestag und Ministerien nutzen diese Dienste, ja, man glaubt es kaum, Sicherheitsdienste des Bundes lassen sich von Privatdiensten bewachen und sichern. Die Konkur- renz zu Polizei, Bundesgrenzschutz und anderen staat- lichen Sicherheitsdiensten ist offensichtlich. Warum kön- nen Private soviel günstiger anscheinend diesselben Leistungen anbieten, dass sie in der Konkurrenz zur Poli- zei vorgezogen werden? Sie sind billiger, weil sie an ihr Personal weniger bezahlen, häufig lange Arbeits- und Einsatzzeiten praktizieren und häufig keine lange Ausbil- dung für ihre Mitarbeiter finanzieren müssen. Aber kön- nen sie dann Gleichwertiges leisten oder ist solcher Ein- satz nicht mit großen Risiken und Gefahren für die Bevölkerung verbunden? In der Zeitung war vor einem Jahr zu lesen, ein Privat- angestellter habe einen Fahrgast in der U-Bahn derart schwer misshandelt, dass Blutspuren im Wagen zurückblie- ben. Am nächsten Tag gab es einen ähnlichen Vorfall mit ei- nem Obdachlosen. Die beteiligten Privatangestellten ver- dienten 6,70 DM pro Stunde. Der eine war 15 Stunden ohne Pause im Dienst, der andere hatte 12 Stunden pro Tag drei- einhalb Wochen durchgearbeitet. Einem LKW- oder Bus- fahrer verbieten wir völlig zu Recht, länger als eine be- stimmte Stundenzahl am Steuer Dienst zu tun und wir verlangen eine gute Ausbildung und das Bestehen einer Prü- fung, weil von ihm sonst Gefahren für andere Verkehrsteil- nehmer ausgehen. Ein Angestellter eines privaten Sicher- heitsdienstes kann übermüdet im öffentlichen Raum Dienst tun, oft ohne besondere Ausbildung und manchmal sogar bewaffnet, obwohl von ihm sicher eine nicht geringere Ge- fahr ausgeht. Da gibt es Regelungsbedarf. Mit dem Gesetz zur Änderung des Bewachungsgewerberechts unternehmen wir erste notwendige Regelungsschritte. Es sind nur erste Schritte, weitere müssen möglichst bald folgen. Wir verlangen eine erfolgreich abgelegte Sachkundeprü- fung als Voraussetzung für die Durchführung bestimmter Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. April 2002 23363 (C) (D) (A) (B) Aufgaben, wie Kontrollgänge im öffentlichen Raum, Ein- satz gegen Ladendiebe, Bewachung von Diskotheken, also immer, wenn das Sicherheitspersonal im öffentlichen Raum tätig ist oder Publikumsverkehr abzuwickeln hat. Wir regeln die Unterrichts- und Ausbildungszeiten, die erreicht werde müssen, bevor Personen in bestimmten Be- reichen des Sicherheitsdienstes eingesetzt werden dürfen. Und wir legen fest, wie die Sachkundeprüfung abgenom- men wird und von wem. Wir halten ausdrücklich fest, dass das Gewaltmonopol des Staates beim Staat bleibt und dass die Privaten also keine Sonderrechte zur Gewaltausübung haben. Sie dür- fen nur das, was nach dem Gesetz jedermann und jede Frau auch darf, also insbesondere in Notwehr persönliche Angriffe abwehren und notfalls anderen in Nothilfe bei- stehen, wenn sie angegriffen sind. Wir halten ausdrück- lich fest, dass selbstverständlich jede Gewaltanwendung verhältnismäßig bleiben muss, das heißt, nur das Maß an Gewalt angewandt werden darf, was zur Abwehr eines Angriffes unbedingt erforderlich ist. Ein wichtiger Bereich der Neuregelungen ist der der Überprüfung von Personen, die Personen mit Bewa- chungsaufgaben beschäftigen dürfen. Hier wird eine ganze Reihe von Zuverlässigkeitsvoraussetzungen festgelegt. Auch die Zuverlässigkeit ist in einer Prüfung nachzuwei- sen. In Berlin spricht man davon, Sicherheitsunternehmen würden ihre Mitarbeiter an den Gefängnistoren aus dem Kreis der Haftentlassenen anwerben. Natürlich haben wir nichts dagegen, dass Personen, die im Gefängnis saßen, nach ihrer Entlassung einen vernünftigen, ehrlichen Job finden. Aber wir legen Wert darauf und wollen sicherstel- len, dass sowohl die, die Leute für Bewachungsaufgaben beschäftigen, als auch die, die mit Bewachungsaufgaben betraut werden, zuverlässig sind und dass von diesen keine Gefahren ausgehen. Deshalb regeln wir, wie unter Berück- sichtigung des Datenschutzes die notwendigen Auskünfte für die Überprüfung der Zuverlässigkeit zur Verfügung ge- stellt werden können. Wichtig ist auch die Regelung, dass Gewerbetreibende die Daten und Geheimnisse Dritter, die im Rahmen der Tätigkeit des Bewachungsunternehmens anfallen, ähnlich gut sichern und bewahren, wie dies im öffentlichen Be- reich vorgeschrieben ist. Wir regeln den Datenaustausch mit Behörden und ins- besondere mit der Polizei. Und nicht zu vergessen, verbes- sern wir die Bestimmungen über den Waffengebrauch im privaten Sicherheitsbereich Beschäftigter. Die Bestimmun- gen zum Tragen oder schon zum Aufbewahren der Waffen müssen mindestens so streng und restriktiv sein wie bei der Polizei. Das ist das Ziel der gesetzlichen Regelung. Ich habe darauf hingewiesen, dies können nur erste Schritte sein. Es bleibt noch viel zu tun. So brauchen wir die Regelung von Mindeststandards für Arbeitszeit- und Arbeitsschutzbestimmungen und für eine tarifliche Entloh- nung. Die Polizeigewerkschaft hat uns auch mit solchen Forderungen auf ihrer Seite, im Interesse der Bevölkerung, die keine Risiken und Gefahren will, die von Firmen aus- gehen, die im Sicherheitsbereich tätig sind. Um nicht miss- verstanden zu werden: Selbstverständlich gibt es auch nach unserer Auffassung viele Personen und Unternehmen, die ordentliche Arbeit verrichten und Mindeststandards auch heute schon praktizieren. Die werden solche gesetzlichen Regelungen weder fürchten noch scheuen. Rainer Funke (FDP): Das vorliegende Gesetz zur Änderung des Bewachungsgewerberechts steht gerade für uns Liberale in einem ganz besonderen Spannungsver- hältnis. Auf der einen Seite sehen wir das Gewaltmonopol des Staates als unerlässlichen Bestandteil der inneren Si- cherheit unseres Staatswesens an. Auf der anderen Seite gehen wir vom Prinzip der Gewerbefreiheit aus und müs- sen gerade bei diesem Gesetz fragen, ob Einschränkungen der Gewerbefreiheit berechtigt sein könnten. Dabei hat man sich zunächst zu fragen, ob im rechts- staatlichen Bereich in letzter Zeit Missstände bekannt ge- worden wären, die durch Gesetzesänderungen behoben werden müssten. Gravierende Missstände gibt es sicher- lich nicht. Aber eines ist sicher: dass das Bewachungsge- werbe vielfältige zusätzliche Aufgabenbereiche, vor al- lem bei Zugängen zu sensiblen Bereichen in Betrieben, haben wird. Dies könnte dafür sprechen, dass auch im In- teresse des Bewachungsgewerbes selbst Ausbildung und Zuverlässigkeitsprüfung einen noch höheren Stellenwert bekommen. Das erhöht die Akzeptanz in der Öffentlich- keit, aber auch in den Betrieben. Wir werden dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zustimmen, auch wenn uns – wie im Übrigen den Deut- schen Industrie- und Handelskammertag und zahlreiche Sachverständige auch – die übermäßige Regulierungswut und der zusätzliche Bürokratismus eigentlich ab- schrecken. Wir sind durchaus mit der Zielrichtung dieses Gesetzes einverstanden und werden mit Argusaugen da- rüber wachen, dass das Bewachungsgewerbe nicht durch Bürokratie und Regulierungswut erdrosselt wird. Wir hal- ten sehr viel von Deregulierung und vom Prinzip der Selbstverwaltung und der Subsidiarität. Wir werden bei der Umsetzung dieses Gesetzes darüber wachen, dass die Prinzipien des Gesetzes umgesetzt werden. Wenn es da- bei zu Anständen und Schwierigkeiten kommt, werden wir nicht zögern, in der nächsten Legislaturperiode wie- derum Änderungen an diesem Gesetz vorzunehmen. Petra Pau (PDS): Das Anliegen der heutigen Bera- tung wird auch von der PDS-Fraktion unterstützt. Die Bundesregierung will mit dem Gesetzentwurf die Voraus- setzung vor allem für die im öffentlichen Bereich ausge- führten Tätigkeiten des privaten Bewachungsgewerbes an gestiegene, notwendige, qualitative Anforderungen an- passen. Außerdem will sie sicherstellen, dass das staatli- che Gewaltmonopol auch in Zukunft unangetastet bleibt. Zumindest die zweite Zielstellung des Gesetzes wird meines Erachtens weder in diesem Gesetzeswerk noch in der praktischen Politik erfüllt, da sich die staatlichen In- stitutionen immer öfter aus ihrer Verantwortung im öf- fentlichen Raum zurückziehen und Aufgaben zur Siche- rung der öffentlichen Sicherheit an Private übertragen. Dies ist nun keinesfalls den Unternehmen und ihren Be- schäftigten anzulasten, sondern wäre Gegenstand von weiter gehenden Debatten. Nun zum Gesetzentwurf. Insgesamt begrüßen wir, dass versucht wird, die Tätigkeit der privaten Sicherheitsdiens- te neu und besser zu regeln und insbesondere einheitliche Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. April 200223364 (C) (D) (A) (B) Voraussetzungen für die Ausbildung und natürlich auch die Befugnisse dieser Sicherheitsdienste zu schaffen. Wir begrüßen auch, dass es nachträglich gelungen ist, auch die- jenigen, welche zur Begleitung bzw. Sicherung von Großveranstaltungen eingesetzt werden, in diesen Forde- rungskatalog aufzunehmen. Allerdings bleiben aus unserer Sicht einige Regelungen weit hinter dem Bedarf zurück. Darf schon angezweifelt werden, dass die erhöhte Stundenzahl für die Unterweisung und Ausbildung nicht ausreichend ist, so fehlen insgesamt Regelungen zur regelmäßigen Weiterbildung und Überprü- fung des Wissens- und Fähigkeitsstandes der Beschäftigten in einzelnen Sicherheitsunternehmen. Wir begrüßen, dass die Ausbildung nach einheitlichen Normen der IHK auch durch die Betriebe selbst durchgeführt werden kann, aber auch hier fehlen einheitliche Maßstäbe für eine entspre- chende Weiterbildung. Im Datenschutzbereich bleibt dieses Gesetz weiter hin- ter den Erfordernissen zurück. Wir schließen uns hier der Kritik der Bundesarbeitsgemeinschaft Kritischer Polizis- tinnen und Polizisten an, welche insbesondere kritisieren, dass die Vermischung zwischen Polizeikräften und priva- ten Sicherheitsdiensten durch Kooperationsverträge zu ei- ner unkontrollierten Weitergabe von Daten führt, sodass das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ausge- hebelt werden könnte. Kritisch sehen wir auch die Neu- regelung zum Umgang mit Waffen, da wir aufgrund des schon kritisierten Umfanges der Ausbildungsstunden an- zweifeln, dass die Unterweisung im Umgang mit Waffen ausreichend ist und auch den entsprechenden Anforde- rungen an Sachkunde und körperliche Eignung entspricht. Die Kritik der FDP, dass die Standards diese Dienstleis- tungen zu sehr verteuern würden, teile ich nicht, weil öf- fentliche Sicherheit nicht vom Umfang des Geldbeutels unterschiedlicher Quartiere abhängen darf. Dies würde auch dem Gleichheitsgrundsatz widersprechen. Insofern gilt es auch in diesem Bereich, gegen prekäre Beschäfti- gungsverhältnisse vorzugehen. Dies gilt übrigens auch für die Ausschreibungs- und Entscheidungskriterien der öf- fentlichen Hand als Auftraggeber. Daher wäre auch der Bereich des privaten Sicherheitsgewerbes heute Morgen in der Debatte um das Vergabegesetz zu berücksichtigen ge- wesen. Aus all diesen Gründen lehnen wir den heute vor- liegenden geänderten Gesetzentwurf ab. Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Zweiten Geset- zes zur Änderung des Mutterschutzrechts (Ta- gesordnungspunkt 23) Marlene Rupprecht (SPD): Wir beraten heute einen Gesetzentwurf, der zwar „nur“ nationales, das heißt deut- sches Recht betrifft, der aber nicht losgelöst von europä- ischem Recht gesehen werden darf. Wir leben in einem Europa, in dem wir die Freizügigkeit der Arbeitnehmerin- nen und Arbeitnehmer sicherstellen, aber wir haben noch häufig unterschiedliche Gesetzgebungen im Arbeits- und Sozialrecht. Im Wissen um diese Unterschiede hat der Rat die „Richt- linie 92/85/EWG über die Durchführung von Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheits- schutzes von schwangeren Arbeitnehmerinnen, Wöchnerin- nen und stillenden Arbeitnehmerinnen am Arbeitsplatz ... „ im Oktober 1992 verabschiedet. Darin wird ausgeführt: ... Diese Richtlinie ermöglicht keine Einschränkung des bereits in den einzelnen Mit- gliedstaaten erzielten Schutzes; die Mitgliedstaaten haben sich gemäß dem Vertrag verpflichtet, die bestehenden Be- dingungen in diesem Bereich zu verbessern, und sich eine Harmonisierung bei gleichzeitigem Fortschritt zum Ziel gesetzt. Da allein schon bei der Definition, wer als schwangere Arbeitnehmerin, wer als Wöchnerin und wer als stillende Arbeitnehmerin gilt, in den Mitgliedstaaten unterschied- liche Auffassungen bestanden, hat die Richtlinie auch hier erst eine klare Definition festlegen müssen. Auch die Bundesrepublik Deutschland musste ihr Mut- terschutzrecht an die Vorgaben der europäischen Richtli- nie anpassen. Die einzelnen Punkte wurden von Frau Staatssekretärin Dr. Niehuis bereits vorgestellt. Diese Anpassungen bedeuten aber für die betroffenen Frauen erhebliche Verbesserungen. Ich will es Ihnen nochmals an einem Beispiel deutlich machen. Eine Lehrerin im Vorbereitungsdienst hatte bisher keinerlei Schutz, wenn ihr Vorbereitungsdienst in der Mutterschutzfrist endete. Sie wurde vom Dienstherren – in der Regel das jeweilige Bundesland – erst nach Ab- lauf der Fristen in ein Arbeitsverhältnis übernommen. Die Richtlinie schreibt hier klar vor, dass die nationalen Re- gelungen dem Schutz im Sinne der Sozialcharta entspre- chen müssen. Der Bundesrat hatte nun noch einige Ergänzungen vorgeschlagen, die auf den ersten Blick ganz vernünftig klingen. Hätten wir sie aber jetzt in einem Schnellverfah- ren aufgenommen, trüge das nicht zur Harmonisierung auf europäischer Ebene bei. Diese Vorschläge werden in die Beratungen für eine Re- form, die in der nächsten Legislaturperiode kommen wird, Eingang finden. Die Vorbereitungen hierfür setzen aber viele Gespräche mit allen Beteiligten, Arbeitnehmerinnen- vertreterinnen, Arbeitgebern und Verbänden voraus. Gleichzeitig muss der europäische Abgleich erfolgen. Dieser Gesetzentwurf ist ein Baustein einer guten, zu- kunftsweisenden Frauen- und Familienpolitik unserer Re- gierung. Maria Eichhorn (CDU/CSU): Das Mutterschutz- gesetz ist am 24. Januar dieses Jahres 50 Jahre alt gewor- den. Es gehört zu den wichtigsten Eckpfeilern der Arbeits- und Sozialgesetzgebung in Deutschland. Es schützt Ar- beitnehmerinnen und ihre Kinder vor gesundheitlichen Gefährdungen am Arbeitsplatz, vor Kündigung und Ver- lust des Einkommens. Das Gesetz hat sich zweifellos bewährt. Frauen und Mütter können sich auf dieses Gesetz verlassen. Die Durch- setzung des Mutterschutzes ist ein wichtiger Meilenstein Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. April 2002 23365 (C) (D) (A) (B) auf dem Weg zur Gleichstellung von Mann und Frau in der Arbeitswelt. Die Union hat einen entscheidenden Anteil an der Fort- entwicklung und Modernisierung des Mutterschutzes. 1985 hat die CDU/CSU-geführte Bundesregierung den damali- gen Mutterschaftsurlaub und das Mutterschaftsurlaubsgeld zum Erziehungsurlaub und Erziehungsgeld ausgebaut. 1989 haben wir die Dauer des Erwerbs des Erziehungsgeldes und des -urlaubs von zwölf Monaten bis auf den achtzehnten Le- bensmonat des Kindes verlängert. 1992 haben wir das Verbot der Nachtarbeit für Künst- lerinnen flexibilisiert und 1997 erreicht, dass das Mutter- schutzgesetz für Hausangestellte genauso gilt wie für Arbeitnehmerinnen. Das längst überfällige und von der Bundesregierung kurz vor Toresschluss vorgelegte zweite Gesetz zur Än- derung des Mutterschutzgesetzes dient der Umsetzung von Art. 8 der EG-Mutterschutz-Richtlinie, der die Dauer des Mutterschaftsurlaubes vor und nach der Entbindung regelt. Viel zu lange bestand die Rechtsunsicherheit bei der Bewertung von mutterschutzrechtlichen Ausfallzeiten bei der Berechnung des Erholungsurlaubs. Die Verlängerung der Mutterschutzfrist nach der Ge- burt für alle vorzeitigen Entbindungen und nicht nur für Frühgeburten im medizinischen Sinne entspricht einer langjährigen Forderung. Auf Antrag Bayerns wurde die Bundesregierung bereits nach Beschluss der 8. BFMK 1998 gebeten, einen dahin gehenden Gesetzentwurf einzubringen, da für jeglichen Fall einer vorzeitigen Ent- bindung eine erhöhte Schutzbedürftigkeit von Mutter und Kind besteht. Die vorgesehene Anpassung der Mutterschutzfristen für alle vorzeitigen Entbindungen ist unbedingt zu be- grüßen. Sie ist auch im Hinblick darauf sinnvoll, dass die Abgrenzung zwischen einer medizinischen Frühgeburt und einer sonstigen vorzeitigen Entbindung aufgrund der nicht eindeutigen Abgrenzungskriterien schwierig sein kann. Wirklicher Mutterschutz besteht auch in der hinrei- chenden finanziellen Unterstützung der jungen Mütter, in der Förderung der Erziehungskompetenz und der Ermög- lichung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Viele von uns wissen, dass gerade diese Sorgen eine werdende und junge Mutter in erheblichem Maße belas- ten. Mit der Geburt eines Kindes beginnt ein neuer Le- bensabschnitt. Die Eltern haben doppelte Verantwortung zu tragen. Eine Kindergelderhöhung von 15 Euro, die Mütter dreier und mehrerer Kindern schlicht vergisst, passt nicht zu einer Politik, die vorgibt, Familien fördern und Mütter schützen zu wollen. Allein erziehende Mütter werden durch das Zweite Familienfördergesetz im Regen stehen gelassen. Diese Bundesregierung hat den Alleinerziehenden die Unter- stützung durch den Haushaltsfreibetrag gestrichen. Das ist in höchstem Maße unglaubwürdig und ungerecht. Seit dreieinhalb Jahren sind Sie in der Verantwortung. Sie ha- ben die Mütter nicht ent-, sondern belastet. Die gerade in den letzten Wochen geäußerten Vor- schläge und Ankündigungen zur Familienpolitik sind nur Stückwerk und lassen jedes Gesamtkonzept vermissen. Die Union setzt eine Familienoffensive aus einem Guss dagegen, die Mütter, Väter und Kinder unmittelbar ent- lastet und unterstützt: Erstens, mit der Einführung eines Familiengeldes eine echte Wahlfreiheit zwischen verschiedenen Lebensent- würfen ermöglicht, zweitens, die Vereinbarkeit von Fami- lie und Erwerbstätigkeit durch den bedarfsgerechten Aus- bau der Kinderbetreuung für alle Altersgruppen verbessert und drittens, die Erziehungskompetenz von Müttern und Vätern durch zahlreiche Maßnahmen stärkt. Mit unserer Politik schaffen wir Rahmenbedingungen, die Müttern und Vätern die Möglichkeit geben, selbst zu entscheiden, wie sie gemeinsam in den unterschiedlichen Familienphasen für das Familieneinkommen, für die Er- ziehung der Kinder und füreinander Sorge tragen. Seit der Regierungsübernahme in 1998 hören die Müt- ter Ihre Ankündigungen und Versprechen. Die Enttäu- schung über ihre Umsetzung ist jedoch groß. Wir brau- chen eine neue Familienpolitik. Diese werden wir mit unserer Familienoffensive ver- wirklichen. Irmingard Schewe-Geigk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Das Mutterschutzrecht ist eine Errungenschaft der Frauen- und Arbeiterbewegung. Mit dem Mutterschutz genießen alle Frauen während der Schwangerschaft und nach der Geburt einen besonderen Schutz. Das Gesetz schützt vor Kündigung, vor Minderung des Einkommens und vor Gefahren für die Gesundheit von Mutter und Kind am Arbeitsplatz. Die Schutzfrist für die Mutter beinhaltet 6 Wochen vor der Geburt und 8 Wochen nach der Geburt. In dieser Zeit ist die Arbeitnehmerin von der Arbeit frei- gestellt. Das Mutterschutzrecht wurde zum letzten Mal 1996 geändert. Auch damals war die Änderung durch die EG- Mutterschutzrichtlinie veranlasst worden. Unter anderem wurde damals die Mutterschutzfrist nach Frühgeburten auf 12 Wochen nach der Entbindung verlängert. Die Schutz- frist nach der Geburt verlängert sich außerdem, wenn die Freistellung vor der Geburt nicht wahrgenommen werden konnte. Um eine Frühgeburt zu bescheinigen, muss die Schwangere dem Betrieb ein ärztliches Zeugnis vorlegen. Kommt es jedoch zu einer Frühgeburt, die nicht medizi- nisch vorausgesagt werden konnte, so gilt diese verlän- gerte Mutterschutzfrist nicht. Eine erhöhte Schutzbedürf- tigkeit besteht jedoch auch in diesen Fällen. Diese Ungleichbehandlung wird mit dem vorliegenden Gesetz- entwurf ergänzt. Künftig erhalten alle Mütter einen Mut- terschaftsurlaub von mindestens 14 Wochen. So will es die Mutterschutz-Richtlinie der EU. Diese Änderung des Mut- terschutzrechtes notwendig, wir halten die geltenden Be- stimmungen jedoch weiter für reformbedürftig. Schwangerschaft darf kein Hindernis beim beruflichen Fortkommen und bei Einstellungen von Frauen sein. Der Mutterschutz darf für Frauen nicht zu einem Nachteil für Frauen auf dem Arbeitsmarkt werden. Kurz gesagt: Mut- terschutz – ja, Berufsverbot – nein. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. April 200223366 (C) (D) (A) (B) Mich erreichen immer wieder Proteste von Frauen be- sonders aus dem Gesundheitswesen. Ärztinnen, Schwestern oder Hebammen empfinden die streng ausgelegte Mutter- schutzverordnung als Berufsverbot. Teilweise werden sogar Schwangerschaften vor dem Arbeitgeber verheimlicht. Die Bestimmungen des Landes Baden-Württemberg sehen bei- spielsweise vor, dass Schwangere keinen Umgang mit kon- taminierten, spitzen, scharfen und zerbrechlichen Gegen- ständen haben dürften. Kontaminiert bedeutet hier alles, was blutig ist. Folge: Eine Chirurgin oder Zahnärztin kann ihren Beruf vom ersten Tag der Schwangerschaft an nicht mehr ausüben. Auch Krankenhausärztinnen, Kranken- schwestern, Hebammen oder eine Arzthelferin können heute nach Mitteilung ihrer Schwangerschaft ihren Beruf nur noch sehr eingeschränkt ausüben. Pauschale, undifferenzierte Beschäftigungsverbote ver- schlechtern also die Arbeitsbedingungen, Einstellungschan- cen und die beruflichen Entwicklungsmöglichkeiten von Frauen. Gefragt sind vor allem sinnvolle individuelle Schutzmaßnahmen und nicht pauschale Verbote. Deshalb wollen wir die Mutterschutzverordnung flexibilisieren, so- dass beispielsweise das Arbeitsverbot für Schwangere ab 20 Uhr so geregelt wird, dass es nicht zu beruflichen Nach- teilen kommt. Auch der Bundesrat dringt in seiner Stellungnahme zum Gesetzentwurf auf eine weiter gehende Ausnahme- regelung des Nachtarbeitverbots, insbesondere wenn dies die Arbeitnehmerinnen ausdrücklich wünschen. Wir sollten also in der kommenden Legislaturperiode das Mutterschutzrecht gemeinsam in diese Richtung überarbeiten. Ina Lenke (FDP): Mit dem Gesetzesentwurf zur Än- derung des Mutterschutzrechtes soll zum einen eine un- gerechtfertige Ungleichbehandlung von Frauen beseitigt werden, die zwar vorzeitig entbinden, aber bei denen es nicht zu einer medizinischen Frühgeburt kommt. Diese Fälle vorzeitiger Entbindung werden durch die Anglei- chung der Schutzfristen also nicht etwa privilegiert, son- dern es wird sichergestellt, dass die Schutzfristen in Summe genauso lang sind wie bei Frauen, die zum er- rechneten Termin entbinden. Diese Regelung ist lange fäl- lig und sehr zu begrüßen. Auch die mit der Gesetzesände- rung beabsichtigten Regelungen zum Erholungsurlaub und für besondere Fallgruppen schwangerer Arbeitneh- merinnen finden unsere Zustimmung. Nicht nachvollziehen kann ich allerdings die Ableh- nung des Änderungsvorschlags des Bundesrates durch die Bundesregierung. Hier wird eine Ausnahmeregelung von dem grundsätzlichen Nachtarbeitsverbot für werdende und stillende Mütter auch für den Bereich der Kranken- pflegeanstalten gefordert, weil sich in der Arbeitspraxis gezeigt hat, dass das Beschäftigungsverbot sich aus Sicht mancher betroffenen Frauen zu ihrem Nachteil auswirkt. Dies wird von der Bundesregierung in ihrer Ablehnung auch gar nicht bestritten. Vielmehr verweist sie darauf, dass eine umfassende Reform des Mutterschutzgesetzes notwendig sei und noch viel Zeit erfordere. Dass die grundsätzliche Überprüfung mutterschutzrechtlicher Vor- schriften nötig ist, kann ich bestätigen. Aber muss man deshalb einen schon vorliegenden, konkreten, sinnvollen Änderungsvorschlag auf die nächste Legislaturperiode verschieben? Die betroffenen Ärztinnen, Pflegerinnen und Krankenschwestern werden sich von Ihrem Argu- ment kaum trösten lassen. Christina Schenk (PDS): Die Bundestagsfraktion der PDS begrüßt die hier vorgeschlagenen Änderungen im Mutterschutzgesetz und stimmt ihnen zu. Es handelt sich überwiegend um Veränderungen, die die Rechtslage von schwangeren Arbeitnehmerinnen verbessern und ih- nen mehr Rechtssicherheit gewähren. Im hier zur Diskussion stehenden Gesetzentwurf wird lediglich der Art. 8 der EG-Mutterschutz-Richtlinie um- gesetzt. Wir möchten aber bei dieser Gelegenheit nach- drücklich darauf hinweisen, dass das gesamte Mutter- schutzrecht dringend einer Reform bedarf. Die Arbeitsbedingungen von Frauen – und von Männern – ha- ben sich in den letzten Jahren so sehr verändert, dass das jetzt geltende Mutterschutzrecht die dadurch entstande- nen neuen Problemlagen nur teilweise regelt. Erinnert sei an die vielfältigen Formen „moderner“ Heimarbeit, die durch die neuen Kommunikationsmittel entstanden sind, aber auch an zunehmende Scheinselbstständigkeit und ungesicherte Beschäftigungsverhältnisse. In der Begründung für diesen Gesetzentwurf wird zu Recht festgestellt, dass eine Aktualisierung des Mutter- schaftsrechtes „einer umfangreichen fachlichen Vorar- beit“ bedarf, „die mit einem erheblichen Zeitaufwand ver- bunden ist“. Damit es nicht zu Verzögerungen kommt, sollte eine Reform des Mutterschutzrechtes gleich zu Be- ginn der nächsten Legislaturperiode in Angriff genommen werden. Edith Niehuis, Parl. Staatssekretärin bei der Bundes- ministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend:Der vorliegende Gesetzentwurf zum Mutterschutzrecht ist eine wichtige Weiterentwicklung in der Familien- und Frauen- politik. Die Geschichte des Mutterschutzes reicht – was heute kaum noch jemand weiß – bis in die Bismarck-Zeit, nämlich bis in das Jahr 1878, zurück. Das Mutterschutz- gesetz von 1952 hatte im Januar 2002 seinen 50. Geburts- tag. Mit seiner Konzeption und Zielsetzung gehört es zu den fundamentalen Gesetzen des Arbeits- und Sozial- rechts. Es schützt die Arbeitnehmerin und ihr Kind vor ge- sundheitlichen Gefahren am Arbeitsplatz, vor Kündigung und grundsätzlich auch vor dem Verlust des Einkommens. Art. 6 des Grundgesetzes verpflichtet die Gemein- schaft – den Staat, die Arbeitgeber und die Sozialversi- cherungsträger –, den Anspruch der Mutter auf Schutz und Fürsorge zu erfüllen. Dieser Aufgabe stellt sich die Bundesregierung auch mit ihrem Gesetzentwurf zur Än- derung des Mutterschutzrechts, den wir heute ab- schließend beraten. Erstens. Die Mutterschutzfrist nach einer vorzeitigen Entbindung wird verlängert: Bisher verkürzte sich für Mütter bei Geburten vor dem errechneten Termin die sechswöchige Schutzfrist vor der Geburt. Nur bei Früh- geburten im medizinischen Sinne, vor allem bei einem Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. April 2002 23367 (C) (D) (A) (B) Geburtsgewicht von unter 2 500 Gramm, verlängert sich nach geltendem Recht die Mutterschutzfrist nach der Ge- burt um die Tage, die bei der Mutterschutzfrist vor der Entbindung nicht in Anspruch genommen werden konn- ten. Diese Verlängerungsregelung, die den Müttern eine mindestens 14-wöchige Schutzfrist garantiert, erweitern wir jetzt – entsprechend der EG-Richtlinie – auch zuguns- ten der Mütter mit einer sonstigen vorzeitigen Entbin- dung. Circa 45 Prozent der Mütter bringen ihre Kinder vor dem ursprünglich festgesetzten Geburtstermin zur Welt, ohne dass es sich dabei um medizinische Frühgeburten handelt – das sind in etwa 180 000 Arbeitnehmerinnen. Wir schließen damit eine noch verbliebene Lücke gegen- über der EG-Mutterschutz-Richtlinie und vermeiden das Risiko eines Vertragsverletzungsverfahrens. Zweitens. Die Urlaubsregelung normiert höchstrich- terliche Rechtsprechung. Der Gesetzentwurf stellt klar, dass die mutterschutzrechtlichen Beschäftigungsverbote für die Berechnung des Erholungsurlaubs als Beschäfti- gungszeiten zählen. Bisherige Rechtsunsicherheiten wer- den damit gegenstandslos. Drittens. Der Gesetzentwurf enthält auch eine verbes- serte Regelung für Berufsanfängerinnen. Die Berufs- anfängerin, deren Arbeitsverhältnis während der Mutterschutzfrist beginnt, erhielt bisher weder Mutter- schaftsgeld noch den Arbeitgeberzuschuss. Das ändert sich künftig. Davon sind zum Beispiel Lehrerinnen be- troffen, die aus dem staatlichen Vorbereitungsdienst in ein Angestelltenverhältnis wechseln. Der Bundesrat hat in seiner Stellungnahme einen wei- teren Vorschlag unterbreitet, nämlich im Gesetzentwurf das Verbot der Nachtarbeit in Krankenhäusern und Pfle- geheimen einzuschränken. Er hat beantragt, die Regelung des § 8 Mutterschutzge- setz zum Nachtarbeitsverbot zu ändern und die Beschäfti- gung von schwangeren Ärztinnen, Krankenschwestern und Pflegerinnen in den ersten vier Monaten der Schwanger- schaft in Krankenhäusern bis 22 Uhr statt nur bis 20 Uhr zu erlauben. Voraussetzung ist, dass die betroffenen Arbeit- nehmerinnen dies ausdrücklich wünschen und ihre Ent- scheidung nicht widerrufen. Der Bundesrat hat den Vorschlag damit begründet, dass die Beschäftigten durch den Beginn des Nachtarbeitver- bots um 20 Uhr nicht in der Abendschicht bis 22 Uhr ar- beiten könnten, sondern gezwungen seien, in der anstren- genderen Tagesschicht zu arbeiten. Diese Problematik, dass Krankenschwestern beziehungsweise Ärztinnen, de- ren Schicht zum Beispiel bis 20 Uhr andauert, wegen des Nachtarbeitsverbotes nicht mehr an der Schichtübergabe teilnehmen können und deshalb gegen ihren Willen in eine andere Schicht versetzt werden, kann nach gel- tendem Recht in der Regel mit einer Ausnahmebewilli- gung gemäß § 8 Abs. 6 des Mutterschutzgesetzes gelöst werden. Darüber hinaus wird es so sein, dass der heute vorlie- gende Gesetzentwurf nur ein erster Schritt sein kann. Wir werden in der nächsten Legislaturperiode das Mutter- schutzgesetz in größerem Umfang novellieren müssen; denn der Mutterschutz kann seiner hohen Verantwortung nur gerecht werden, wenn er mit den Veränderungen im Arbeitsleben Schritt hält. Bei der Novellierung des Mutterschutzrechts in der nächsten Legislaturperiode werden auch die mutter- schutzrechtlichen Beschäftigungsverbote eine Rolle spie- len. Dazu bedarf es aber umfangreicher Vorarbeiten zu- sammen mit arbeitsmedizinischen Sachverständigen und den Verbänden wie Gewerkschaften, Arbeitgeberverbän- den, Frauenverbänden usw. Es wird zu prüfen sein, inwieweit und wo Beschäfti- gungsverbote, und Nachtarbeitsverbote unter den heuti- gen Arbeitsbedingungen notwendig sind, um den Schutz von Mutter und Kind sicherzustellen. Neben dem Arbeitsschutz muss auch der Bereich der wirtschaftlichen Sicherung überdacht werden. Im Lebens- alltag gibt es noch immer Fallkonstellationen, in denen die schwangere Frau als Arbeitnehmerin oder nach einer eingetretenen Arbeitslosigkeit weder durch das Mutter- schutzgesetz noch durch die Sozialversicherung in ihrer wirtschaftlichen Existenz ausreichend geschützt wird. Be- troffen sind Frauen zum Beispiel mit einer geringfügigen Beschäftigung, die nicht Mitglieder einer gesetzlichen Krankenkasse sind, und Frauen mit einer beginnenden Ar- beitslosigkeit während der Mutterschutzfristen. Nicht zuletzt wird sich der Bundestag mit einer Ent- scheidung des Bundesverfassungsgerichts auseinander setzen müssen, die wir noch in diesem Jahr erwarten. In diesem Urteil wird es um die Kostenbeteiligung der Ar- beitgeber an der Einkommenssicherung der Frauen während der Mutterschutzfristen gehen, also um das gel- tende System der Lastenverteilung. Und nur darum kann es gehen. Der Anspruch jeder Mutter auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft, der im Art. 6 Abs. 4 GG verankert ist, wird bestehen bleiben und manifestiert sich auch in einem guten Mutterschutzrecht. In diesem Zusammenhang begrüßt die Bundesregie- rung ausdrücklich, dass die Internationale Arbeitsorgani- sation im Sommer 2000 die weltweite Bedeutung des Mutterschutzes noch einmal unterstrichen hat, indem eine Neufassung des Mutterschutzübereinkommens beschlos- sen wurde. Die Bundesregierung hat die Neufassung des Übereinkommens über den Mutterschutz mit Nachdruck unterstützt und wird es ratifizieren. Das Mutterschutz- recht bleibt ein wichtiges Recht. Es schützt Mutter und Kind vor gesundheitlichen Gefahren. Es verbietet sich, dieses Schutzrecht, direkt oder indirekt, als Beschäfti- gungshindernis für Frauen zu sehen, wie man hin und wieder hören kann. Wer solch eine Argumentation gesell- schaftsfähig macht, bekommt in unserer modernen Ar- beitswelt die Quittung: die Weigerung der Frauen, Mutter zu werden. Der vorliegende Gesetzentwurf beschränkt sich auf vorrangige und dringend erforderliche Änderungen, unter anderem auf die abschließende Umsetzung der EG-Mut- terschutz-Richtlinie. Doch das Mutterschutzgesetz muss weiterhin eine hohe Priorität behalten. Der Bundeskanz- ler hat in der vorigen Woche in seiner Regierungser- klärung die gegenwärtige und künftige Familienpolitik Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. April 200223368 (C) (D) (A) (B) der Bundesregierung erläutert. Die Weiterentwicklung des Mutterschutzes wird zu diesem Aufgabenkatalog gehören. Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Die Brennstoffzelle – Technik des 3. Jahrtausends (Tagesordnungs- punkt 24) Hubertus Heil (SPD): Ich komme aus Norddeutsch- land, genauer aus Niedersachsen! In diesem Teil unseres Landes erzählt man sich gern die Geschichte vom Hasen und vom Igel, die Sie sicherlich kennen. In der Technolo- giepolitik scheint sich dasselbe abzuspielen. Hier der Hase FDP und dort die Bundesregierung und die Koali- tion als Igel. Und so will ich am Anfang dieser Debatte in Richtung der Hasen-FDP – dieses Mal auf Hochdeutsch rufen –: Wir sind schon da! Es freut mich ja, dass die Damen und Herren der FDP inzwischen auch gemerkt haben, dass die Brennstoffzel- len-Technologie eine zukunftsweisende Technik für die Erzeugung von Strom und Wärme ist. Wir wissen das nicht nur schon lange. Wir tun auch schon seit langem et- was dafür. Vielleicht muss man Sie mit ein paar Zahlen aufklären. Der Bund hat die Entwicklung der Brennstoff- zellen-Technologie in Deutschland seit Ende der 80er- Jahre im Energieforschungsprogramm mit insgesamt über 150 Millionen DM gefördert. Während anfangs noch die Hochtemperatur-Brennstoffzellen für den stationären Einsatz im Zentrum der Förderungen standen, wird seit ei- nigen Jahren die Entwicklung des mobilen Einsatzes ver- stärkt unterstützt. Allein in den Jahren 2000 und 2001 wurde durch die Bundesregierung die Jahres-Fördermittel für Forschung in diesen Programmen auf 17 bis 20 Mil- lionen DM gesteigert. Durch das Zukunfts-Investitions-Programm (ZIP) der Bundesregierung für die Jahre 2001 bis 2003 stellen wir in der Forschungsförderung rund 60 Millionen Euro für Entwicklungen und Erprobungen im Bereich der Brenn- stoffzellentechnologie sowohl bei stationären als auch mobilen Anwendungen zur Verfügung. Insgesamt werden im Zukunftsinvestitionsprogramm 28 Projekte aus dem Bereich Brennstoffzellen gefördert. Die Zusammenarbeit läuft mit vielen deutschen Unternehmen, zum Beispiel der DeTe Immobilien der Deutschen Telekom oder der Firma MTU. Auch durch das neue Kraft-Wärme-Kopplungsge- setz erfährt die Brennstoffzellen-Technologie eine Förde- rung: Durch die Vergütung von 5 Cent pro ins Netz ein- gespeister Kilowattstunde wird der Anreiz zur Nutzung weiter erhöht. Damit hat die SPD-geführte Bundesregie- rung wichtige Weichen für die Markteinführung und die Praxis-Erprobung der Brennstoffzellen gestellt. Das müs- sen Sie zur Kenntnis nehmen und wissen, bevor Sie Dinge fordern, die wir bereits umsetzen. Natürlich stehen wir bei der Brennstoffzellen-Techno- logie erst am Anfang der technologischen Entwicklung. Es bleibt für uns alle das Ziel, die derzeitigen Prototypen und Demonstrationsanlagen weiterzuentwickeln. Erst wenn die Kosten der Anlagen reduziert und die Wir- kungsgrade erhöht werden, ist die Konkurrenzfähigkeit der Brennstoffzelle eingeführt. Wir brauchen jetzt auch keine isolierten Schnellschüsse, sondern werden in den kommenden Monaten ein Energieforschungskonzept er- arbeiten, in dem die Brennstoffzelle ihren angemessen wichtigen Stellenwert erhalten wird. Doch darüber klärt Sie der Kollege Kasparik gerne auf. Sie sehen, die Bundesregierung arbeitet bereits. Vieles von dem, was sie aufgeschrieben haben, wird schon um- gesetzt. Wenn Sie den Energiebericht der Bundesregie- rung gelesen hätten, wüssten Sie das auch. Mal wieder waren wir schneller als Sie. Deutschland wird in dieser wichtigen Zukunftstechnologie eine führende Rolle be- halten. Deshalb nochmals der Gruß des Igels: Wir sind schon da! Ulrich Kasparick (SPD): Dass die Brennstoffzellen- Technologie eine wichtige Rolle bei der künftigen Ener- gieversorgung spielen wird, steht außer Frage. Jedoch eine einseitige Förderung der Brennstoffzelle, wie es die FDP in ihrem Antrag fordert, ist wenig zielführend und zu kurzfristig gedacht. Wir müssen und wollen unsere Volkswirtschaft auf ei- nen neuen Energiepfad lenken, weil wir sehen, dass die traditionell geförderten fossilen Brennstoffe endlich sind, und weil wir wollen, dass wir den Klimawandel ver- langsamen – verhindern können wir ihn ohnehin schon nicht mehr. Daher ist es erforderlich, dass wir die Ener- gieforschung im Zusammenhang aller Alternativ-Techno- logien erkennen und planen. Wenn wir mittelfristig die Energiepolitik nachhaltig gestalten wollen, ist es falsch, nur eine einzelne Technologie zu fördern, wie es die FDP hier verlangt. Ausschließlich eine einzelne Technologie zu fördern ist eine unseriöse Herangehensweise an diese große Herausforderung. Was die FDPhier verlangt, ist ein unüberlegter Schnell- schuss, der nur auf eine kurzfristige Wirkung aus ist, ohne an die Folgen und an parallele energiewirtschaftliche Zu- sammenhänge zu denken. Das zeigt auch, dass die FDPan- scheinend die Zeichen der Zeit nicht erkannt hat und for- dert, dass deutsche Kernkraftwerke eine zentrale Rolle bei der Herstellung industriellen Wasserstoffs für die Brenn- stoffzelle spielen sollen. Der Ausstieg aus der Kernenergie ist in Deutschland beschlossen, falls die Opposition das nicht mitbekommen haben sollte. Und es scheint mir, dass außer Ihnen und Herrn Stoiber niemand das Gegenteil er- reichen möchte. Ihre an der Oberfläche kratzenden Aus- führungen in diesem Antrag beweisen also keinerlei Sub- stanz. Aber solche Worthülsen, die sich auf ein Minimum an nachhaltig wirkenden Informationen reduzieren, ken- nen wir von Ihnen. – Die 18 wird Ihnen, den Kollegen von der FDP, aber in diesem Falle zum Verhängnis werden. In 18 Jahren würden Sie nämlich merken, was Sie durch diese einseitige Bevorzugung einer einzelnen Technologie versäumt hätten. Sie wollen die Brennstoffzelle zur Marktreife bringen. Was Sie vorhaben, tun wir bereits. Ich empfehle Ihnen, sich das Zukunftsinvestitionsprogramm der Bundesregierung Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. April 2002 23369 (C) (D) (A) (B) einmal anzusehen. Mit über 60 Millionen Euro fördern wir neue Vorhaben zur Entwicklung und Demonstration von Brennstoffzellen-Anlagen. Das bringt den erforderlichen Entwicklungsschub für die Fertigung und die Markteinfüh- rung von Brennstoffzellen. Eine weitere Förderung be- kommt die Brennstoffzelle durch das neue Gesetz zur Kraft- Wärme-Kopplung, das eine Vergütung von etwa 5 Cent pro Kilowattstunde für zehn Jahre vorsieht. Dieser Antrag zeigt wieder einmal, wie konzeptlos die FDP in Energiefragen ist. Wir brauchen keine Ideen für Einzelentwicklungen, sondern ein Gesamtenergiekonzept, das eine nachhaltige Energieversorgung in den kommen- den 50 Jahren und danach sicherstellt. Dieses Konzept muss neben dem Einsatz alternativer Energieerzeugungs- formen auch emissionsmindernde und energiesparende Technologien berücksichtigen. Und genau das werden wir tun: Die Bundesregierung wird in der nächsten Legislatur- periode ein solches Energieforschungskonzept vorlegen. Was die Brennstoffzelle betrifft, wird dieses Konzept die Ergebnisse des Berichts vom Büro für Technikfolgen- abschätzung berücksichtigen. Dazu gehört die Optimie- rung der Leistungsdichte und der Langzeitstabilität ebenso wie die Verstärkung der Materialforschung etwa im Be- reich der Minimierung der Edelmetallbelegung von Mem- branen bei Niedrigtemperatur-Brennstoffzellen. Großen Forschungsbedarf sehen wir derzeit im Mobi- litätssektor bei einem möglich einzuschlagenden Wasser- stoffpfad. Die derzeit verfügbaren Optionen zur Wasser- stoffspeicherung stellen momentan keine praktikable Alternative dar. Deshalb muss zur Umsetzung des For- schungsbedarfs die Brennstoffzelle auch weiterhin ein ausreichend dotierter Schwerpunkt über das ZIP-Pro- gramm hinaus werden, und dafür wollen wir sorgen, aber im Gegensatz zu Ihnen so, dass die Ergebnisse dieser For- schung auch noch für unsere Kinder und Enkel Substanz haben. Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land) (CDU/CSU): Wenn zu Beginn des letzten Jahrhunderts über die Zu- kunft der Entwicklungsmöglichkeiten und des Einsatzes von Verbrennungsmotoren debattiert worden wäre, dann hätte es hierzu sicherlich viele unterschiedliche Beiträge mit den unterschiedlichsten Vorstellungen und Visionen gegeben. Die reale Entwicklung, der Siegeszug des Ver- brennungsmotors als Antriebsquelle im Straßen- und Luftverkehr, sein Einsatz in Kraftwerken, der mit dem Einsatz verbundene Ausbau der Infrastruktur in den ein- zelnen Ländern wie weltweit und die mit dem Einsatz ver- bundenen gesellschaftlichen Veränderungen haben sicher- lich nur wenige – wenn überhaupt – vorausgesehen. Heute, zu Beginn des 21. Jahrhunderts oder auch des dritten Jahrtausends – je nach individueller Perspektive –, haben sich auf Basis der Ergebnisse aus der Grundlagen- forschung die Energieerzeuger, Anlagenbauer, Automobil- und Mineralölindustrie daran gemacht, die Brennstoffzel- lentechnik in Deutschland und weltweit zur Marktreife zu bringen. Heute geht es um die zukünftigen Einsatzmög- lichkeiten von Brennstoffzellen, deren absehbare Poten- ziale in den verschiedenen Anwendungsbereichen und um damit verbundene mögliche Vor- und Nachteile. Verbun- den damit sind Visionen, Visionen zum Beispiel von einer interkontinentalen solaren Wasserstoffwirtschaft, Visio- nen der klimaneutralen Produktion von Wasserstoff in be- stehenden oder in neuen Generationen von Kernkraftwer- ken als Treibstoff der Zukunft, der Benzin bzw. Öl ersetzen wird, Visionen einer Dezentralisierung und Atomisierung der Stromerzeugung durch den flächendeckenden Ersatz konventioneller Heizanlagen in Häusern durch Brenn- stoffzellen, die in jedem Haus neben der Hauswärme auch noch den benötigten Strom erzeugen. Es gibt handfeste Argumente, die für den Einsatz von Brennstoffzellen sprechen. Da ist zum Ersten ein hoher Wirkungsgrad von Anlagen zum Beispiel als PKW-An- trieb. Gerade im Straßenverkehr erscheint zudem die Aus- sicht auf lokal emissionsfreie Fahrzeuge, die zumindest halbwegs die in herkömmlichen Fahrzeugen üblichen Komfort- und Mobilitätsstandards erreichen, verlockend. Praktisch alle bedeutenden Automobilproduzenten arbei- ten daher weltweit an der Entwicklung entsprechender Fahrzeuge für den Großserieneinsatz. Diese Unterneh- men verstehen die Brennstoffzellentechnik offenbar als wirtschaftliche Chance zur langfristigen Sicherung von High-Tech-Arbeitsplätzen und für unternehmerischen Er- folg. Pluspunkte beim Wirkungsgrad gegenüber heute handelsüblichen Anlagen und damit Potenziale zur Scho- nung von Ressourcen bestehen zum Zweiten auch beim Einsatz von Brennstoffzellenanlagen zur gekoppelten Strom- und Wärmeversorgung in Gebäuden. Zum Dritten bestehen Möglichkeiten zum Einsatz in tragbaren Klein- geräten als Ersatz für Batterien, wodurch eine längere netzunabhängige Betriebszeit zu erreichen wäre und der Einsatz bzw. Abfall an Batterien bzw. Akkumulatoren ge- senkt würde. Die Einsatzmöglichkeiten von Brennstoffzellen er- scheinen aus heutiger Sicht in der Perspektive vielfältig. Der exemplarische Einsatz methanol- und wasserstoffge- triebener Fahrzeuge und der im vergangenen Dezember gefallene Startschuss für den Einsatz der Brennstoffzel- lentechnik in der Hausenergieversorgung weisen als Pi- lotprojekte mögliche Wege für die zukünftige technische Entwicklung in verschiedenen Bereichen auf. Es gilt, diese Entwicklungs- und Einsatzpotenziale konsequent zu erforschen und gegebenenfalls zu nutzen. Ständiger wei- terer Forschungsbedarf besteht im Hinblick auf die Opti- mierung der Brennstoffzellen, was zum Beispiel ihre Leistungsdichte, Langzeitstabilität oder Praxistauglich- keit bis hin zur Serienreife angeht. Die Aussicht auf große ökologische Vorteile durch die Brennstoffzellentechnik dürfen jedoch den Blick auf die heute noch selbst in der Perspektive vergleichsweise ho- hen Kosten der Brennstoffzellen und der zu ihrer Verbrei- tung notwendigen Infrastruktur-Strukturmaßnahmen nicht verstellen. Erst mit dem Einsatz von Wasserstoff könnten ökologische Vorteile von Brennstoffzellen voll zur Geltung kommen. Hier stehen den Vorteilen von Brennstoffzellen beim Wirkungsgrad höhere Aufwendun- gen bei der Bereitstellung des Energieträgers gegenüber. Zwar wurden in der Vergangenheit zumeist im Zusam- menhang mit firmeneigenen oder öffentlich geförderten Pilotprojekten vereinzelt die notwendigen Voraussetzun- gen zum Betrieb der Anlagen geschaffen. Eine flächen- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. April 200223370 (C) (D) (A) (B) deckende Versorgung ist derzeit jedoch noch Zukunfts- musik. Hier müssten Wege gefunden werden, falls die Brennstoffzelle die in sie gesetzten Erwartungen erfüllt, den Übergang in eine Wasserstoffwirtschaft – insoweit das technisch mit erträglichen Risiken und Kosten mach- bar ist – zu bewältigen. Wasserstoff ist ein Energiespeicher, dessen sinnvoller Einsatz unter Umweltgesichtspunkten direkt abhängig ist von der Gewinnung mittels einer kostengünstigen und kohlendioxidfreien Energiequelle. Die ökologische Ver- träglichkeit von Wasserstoff ist nur dann gegeben, wenn er nicht wie heute aus Erdgas oder anderen fossilen Ener- gieträgern unter Freisetzung von Kohlendioxid gewonnen wird, wie die Bundesregierung bereits 1998 festgestellt hat. Ob und inwieweit Brennstoffzellen eine Brücken- funktion hin zu einer Energieerzeugung ohne den Einsatz fossiler Brennstoffe wahrnehmen können, hängt daher wesentlich auch von der Entwicklung der Energieerzeu- gungsstruktur im liberalisierten europäischen Energie- markt ab. Die Brennstoffzellentechnik weist weitere Optionen für eine zukunftsfähige Energieversorgung in Deutsch- land und weltweit auf. Es gilt, die mit ihrem Einsatz ver- bundenen gesellschaftlichen Chancen und Risiken, die Kosten und Nutzen im ökologischen, ökonomischen und sozialen Bereich abzuwägen und geeignete Entwicklun- gen auch von staatlicher Seite zu unterstützen. Mit viel Glück erfüllen sich dann vielleicht auch die vielfältigen Visionen, Hoffnungen und Wünsche, die heute mit dieser Technik verbunden sind. Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die FDP hat Recht! Die Brennstoffzelle ist eine innovative Zukunftstechnologie und der vorliegende Antrag wäre sicher ein guter Antrag geworden, wenn die FDP ihre Ideologie einen Augenblick vergessen hätte. Aber: Der Aktionismus der FDPkommt viel zu spät, da Rot-Grün längst gehandelt hat, und zwar viel weit rei- chender als die FDP dies in ihrem Antrag fordert. Zudem überdeckt die FDP nur ihre Technikfeindlichkeit gegen- über dezentralen Zukunftsenergien – insbesondere gegen- über den erneuerbaren Energien. Ja, die Brennstoffzelle wird aller Wahrscheinlichkeit nach in den nächsten Jahren eine der wichtigsten Ener- gietechnologien werden. Dabei kann die Brennstoffzelle neben der Strom- und Wärmeversorgung auch beim Ver- kehr eine wichtige Rolle spielen. Das Büro für Technikfolgenabschätzung hat in seiner Brennstoffzellenstudie festgestellt, dass Brennstoffzellen den gesamten Strom der Haushalte erzeugen können. Und sie können das wesentlich energieeffizienter und damit umweltfreundlicher als Großkraftwerke. In einigen Jah- ren werden viele Haushalte ihren Strom ebenso selbstver- ständlich selbst erzeugen wie ihre Wärme. In der Industrie kann die Brennstoffzelle sogar Pro- zesswärme erzeugen, Das Ende der Großkraftwerke wird daher früher kommen, als es den großen Stromkonzernen und ihrem politischen Arm, der FDP, recht sein dürfte. Der Atomausstieg und der Abschied von der klimaschäd- lichen Kohle wird durch diese Technologie erheblich be- schleunigt werden. Der Antrag steht in Widerspruch sowohl zu den Er- kenntnissen des Büros für Technikfolgenabschätzung als auch zu der technologischen Entwicklung, wenn sie der Brennstoffzelle im Verkehrsbereich eine höhere Bedeu- tung zumisst als dem stationären Bereich. Die Studie des Büros für Technikfolgenabschätzung – wie alle anderen Studien zur Brennstoffzelle im Übrigen auch – weisen da- rauf hin, dass die Wirkungsgradvorteile der Brennstoff- zelle im Verkehr vergleichsweise niedrig ausfallen. Hier gibt es nur dann ökologische Vorteile, wenn Treibstoffe eingesetzt werden, die aus erneuerbaren Energien gewon- nen wurden. Die FDP ignoriert nicht nur die Erkenntnisse der Wis- senschaft. Sie hat auch noch den Kontakt zur wirtschaft- lichen Realität verloren. Derzeit erwartet niemand Seri- enfahrzeuge mit Brennstoffzellen noch in diesem Jahrzehnt. Die Automobilindustrie hat bei ihren Ankündi- gungen bereits auf das nächste Jahrzehnt verwiesen. Mit der Einführung von Brennstoffzellen zur Strom- und Wärmeerzeugung ist hingegen schon in der nächsten Legislaturperiode zu rechnen. Somit müssen jetzt auch hier die Akzente gesetzt werden. Der Antrag entwirft ein Energieszenario, das ich als Physiker nur als Energievernichtungsstrategie bezeichnen kann. So wird ernsthaft vorgeschlagen, mit Atomkraft- werken Strom zu erzeugen; mit diesen wird Wasserstoff erzeugt und dieser soll dann in Brennstoffzellen wieder in Strom umgewandelt werden. Das Ganze hätte dann einen Gesamtwirkungsgrad von etwa 10 bis 15 Prozent. Bei so viel Energievernichtung kann ich nur den Kopf schütteln. Brennstoffzellen werden den Atomausstieg beschleuni- gen, weil Sie Atomstrom ersetzen, meine Damen und Her- ren von der FDP. Statt Wasserstoff oder Erdgas kann im Übrigen Biogas als Brennstoff für Brennstoffzellen eingesetzt werden. Das scheinen die Antragsteller nicht zu wissen. Die Effi- zienz von Biogasanlagen wird sich im Übrigen mit der Brennstoffzelle deutlich verbessern. Die FDPübersieht: Wer die Brennstoffzelle erfolgreich in den Energiemarkt einführen will, muss zwei Hebel an- setzen: Er muss die Kraft-Wärme-Kopplung besser stel- len als die verschwenderischen Großkraftwerke und er muss zusätzlich die Brennstoffzelle unterstützen. Ja, es ist richtig, der Brennstoffzelle Markteinführungs- hilfen zu geben, um in die Massenproduktion zu gehen. Die FDP beraubt die Brennstoffzellen aber jeder Chance, wenn sie sich gegen Maßnahmen für die Kraft-Wärme- Kopplung einsetzt. Es gibt hier kein Entweder-oder, son- dern nur ein Sowohl-als-auch! Der Antrag ist völlig überflüssig. Rot-Grün hat bereits weit reichende Maßnahmen für die Brennstoffzelle er- griffen: Wir haben in dieser Legislaturperiode alles getan, um der Brennstoffzelle den Weg zu bereiten: Wir geben der Brennstoffzelle über die Ökosteuer steuerliche Vor- teile bei der Strom- und der Mineralölsteuer. Wir fördern die Brennstoffzelle über das KWK-Gesetz direkt mit ei- nem Bonus von 5,11 Cent pro Kilowattstunde. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. April 2002 23371 (C) (D) (A) (B) Wir haben ein Technologieprogramm für die Brenn- stoffzelle in Höhe von 61 Millionen Euro vorgelegt. Das Programm läuft bis Ende 2003. Die Regierungsfraktionen haben bereits beschlossen, das Zukunftsinvestitionspro- gramm um vier Jahre bis 2007 zu verlängern. Damit wer- den weitere 82 Millionen Euro zur Verfügung gestellt werden. Meine sehr geehrten Damen und Herren von der Opposition, von einem ähnlichen Beschluss aus Ihren Reihen ist mir nichts bekannt! Mit unseren Maßnahmen für Brennstoffzellen beka- men die Hersteller genau die Rahmenbedingungen, mit denen Deutschland weltweit an die Spitze bei der Brenn- stoffzelle kommen kann. Etwa 2005 wird die Brennstoff- zelle im stationären Bereich serienreif sein. Daher werden wir in der nächsten Legislaturperiode ein Marktein- führungsprogramm für die Brennstoffzelle auflegen, das die vorhandenen gesetzlichen Maßnahmen ergänzt. Nach dem 100 000-Dächer-Programm wird es dann Zeit für ein 100 000-Keller-Programm sein. Meine sehr geehrten Damen und Herren von der FDP, ich möchte Ihnen zu Ihrem Mut gratulieren! Ich halte es für sehr mutig, einen Antrag für die Brennstoffzelle in die- sem Hohen Hause einzureichen und parallel fast alle Maßnahmen zu attackieren, die die Brennstoffzellent- wicklung fördern. Aber wir kennen das ja auch aus ande- ren Bereichen. So behaupten Sie ja auch, für erneuerbare Energien zu sein. Und gleichzeitig bekämpfen Sie jede Maßnahme, die sich als tauglich für die Stärkung erneu- erbarer Energien erwiesen hat. Ulrike Flach (FDP): Die Brennstoffzelle ist eine der viel versprechendsten, innovativsten und umweltfreund- lichsten Energietechnologien für die stationäre und die mobile Anwendung. Diese Technologie steht an der Schwelle zur industriellen Anwendung. Diese Phase wird die entscheidende Stufe der Entwicklung sein; denn sie kann mittel- bis langfristig zu einer deutlichen Senkung der Umwelt- und Klimabelastungen beitragen. Deshalb sind verstärkte forschungspolitische Anstrengungen not- wendig, um die Voraussetzungen für eine breite Ein- führung zu schaffen. Hier geht es aber nicht mehr allein um Forschung, sondern auch um Markteinführung und die Setzung geeigneter Rahmenbedingungen. Bei der Betrachtung der unzähligen Anwendungsmög- lichkeiten – von der Stromversorgung kleiner Elektrogeräte wie Notebooks über Kleinanlagen für die häusliche Strom- versorgung bis zu mobilen Anwendungen bei PKWs und Nutzfahrzeugen und große Anlagen für Kraftwerke – ergibt sich ein enormes Marktpotenzial. Damit eröffnet sich ein vielfältiges Beschäftigungspotenzial für die großen Ener- gieversorger, Automobilhersteller und Kraftwerksbauer, aber auch für kleine und mittelständische Betriebe. Bis Wasserstoff in ausreichender Menge zur Verfügung steht, wird Erdgas als Brennstoff eingesetzt werden kön- nen. Erdgas ist die wasserstoffreichste fossile Energie, seine Reserven sind ausreichend groß, die Preise wettbe- werbsfähig und die Infrastruktur gut ausgebaut. Im Bereich der Hausenergietechnik kann sich die Brennstoffzellentechnologie als dezentrales „Kleinkraft- werk“ zur Alternative zur konventionellen Strom- und Wärmegewinnung entwickeln. Für die Hausenergiever- sorgung ist für 2004 mit den ersten marktfähigen Anlagen zu rechnen. Die FDP will den flächendeckenden Einstieg in die Brennstoffzellenwirtschaft. Dazu ist eine Unterstützung der öffentlichen Hand notwendig, aber nicht als Dauer- subvention, sondern im wettbewerblichen Vergabeverfah- ren, degressiv ausgestaltet und zeitlich begrenzt. Dirigis- tische Maßnahmen, wie zum Beispiel Sie sie vornehmen, bei der Förderung herkömmlicher Anlagen zur Kraft- Wärme-Kopplung, behindern die Entwicklung der Brenn- stoffzellentechnologie. Sie müssen die Förderung am Wirkungsgrad ansetzen und nicht an der Technologie! Ich begrüße es, dass die Ministerien für Verkehr, Um- welt und Wirtschaft als auch das DLR und die Helmholtz- Gemeinschaft Projekte zur Förderung der Brennstoffzel- lentechnik unterhalten. Wir werden auch sehr sorgfältig verfolgen, ob Staatssekretär Hilsberg seine Aussage, das Verkehrsministerium wolle als Moderator zwischen Au- tomobilherstellern und Mineralölkonzernen auftreten, um Einführungshemmnisse abzubauen, erfüllt. Bisher kann ich von dieser Moderation nichts erkennen. Wir sind auch der Ansicht, dass die alleinige Erzeu- gung von Wasserstoff aus regenerativen Energieträgern nicht für den großmaßstäblichen Einstieg reichen wird. Deshalb schlagen wir vor, auch in Kernkraftwerken Was- serstoff zu erzeugen. Die Liberalen sind immer die Vorreiter bei neuen Tech- nologien gewesen. Das gilt auch für die Brennstoffzelle, die für die Generation unserer Kinder ebenso zum Be- standteil von Haus und Auto gehören wird wie Kohleofen und Otto-Motor für die Generation unserer Eltern zum Alltag gehört haben. Wolfgang Bierstedt (PDS): Verehrte Kollegen von der FDP, das prinzipielle Anliegen Ihres Antrags kann ich ja unterstützen. Allerdings verfolge ich verständlicher- weise eine deutlich andere Schwerpunktsetzung. Darüber hinaus befremdet mich die Überschrift Ihres Antrags, die da lautet: „Die Brennstoffzelle – Technik des 3. Jahrtausends“. Falls es Ihnen entgangen sein sollte: Dieses Jahrtausend hat doch gerade erst begonnen. Wol- len Sie allen Ernstes die wissenschaftliche Entwicklung des Jahrtausends bereits jetzt, zumindest auf diesem Ge- biet für beendet erklären? Ich kann ja verstehen, dass Sie sich gegenwärtig für den Nabel der Welt halten, ginge es nicht aber wenigstens bei wissenschaftlichen Sachthemen etwas bescheidener? Aber ernsthaft: Ihre Präferenz für den Einsatz von Erd- gas bei der Brennstoffzellentechnologie mag ja ob der derzeit noch scheinbar ausreichend zur Verfügung stehen- den Rohstoffmengen sinnvoll erscheinen und auch eine rein ökonomische Betrachtungsweise scheint Ihnen Recht zu geben. Aus meiner Sicht steht dem aber zweierlei ent- gegen: Erstens die bis heute erheblichen CO2-Emissioneninfolge der Methanolkomponente und zweitens die Tat- sache, dass es sich beim Energieträger Erdgas um einen nicht regenerierbaren, also endlichen Rohstoff handelt. Unbestritten ist, dass Brennstoffzellen auf Wasserstoff- basis nach dem derzeitigen Wissensstand den höchsten Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. April 200223372 (C) (D) (A) (B) Wirkungsgrad besitzen. Aber deshalb wieder die Kern- kraftwerkstechnologien ins Spiel zu bringen, um eine den Bedarf deckende Wasserstoffproduktion zu erreichen und dieses noch mit ökologischen Argumenten begründen zu wollen, das erscheint mir schon abenteuerlich. Insgesamt gesehen unterstützt die PDS die Förderung von Forschung und Entwicklung verschiedener Brenn- stoffzellentechnologien. Wir sollten diese Förderung je- doch mit einer Fokussierung auf regenerative Energieträger verbinden. Da stimmen wir mit dem Text unter Punkt 2 Ih- rer Beschlussempfehlung, der da lautet: „Im Rahmen der Forschungsprogramme für eine umweltgerechte nachhal- tige Entwicklung und der Programme der Forschungs- und Wissenschaftseinrichtungen ist gezielt auf die Besei- tigung bestehender Forschungsdefizite zur Einführung der Brennstoffzellentechnologie einzuwirken“, überein. In Anbetracht des Gesamtkontextes Ihres Antrages glaube ich allerdings, dass dieser Punkt nur eine Alibi- funktion zu erfüllen hat. Natürlich wird die Brennstoff- zelle in absehbarer Zeit den Verbrauch nicht regenerativer Energieträger nicht allein senken können, aber sie kann bei Ausrichtung auf den Einsatz regenerativer Energieträ- ger tendenziell dazu beitragen. Im Übrigen halten wir auch den in Ihrem Antrag for- mulierten Standpunkt zur Ablehnung der Förderung von herkömmlichen Anlagen zur Kraft-Wärme-Kopplung in der gegenwärtigen Situation für nicht angemessen. Unsere inhaltlich begründete Zustimmung zum For- schungs- und Entwicklungsschwerpunkt Brennstoffzelle beruht aber auch darauf, dass wir eine deutlich größere An- wendungsbreite dieser Zukunftstechnologie sehen, als die im Antrag hintergründig zu erkennende Ausrichtung auf den Bereich der Automobilindustrie. Da greift der FDP- Antrag zu kurz, als dass wir diesen unterstützen können. Anlage 9 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Apothekengesetzes (Tagesord- nungspunkt 25) Dr. Margrit Spielmann (SPD): Mit der Initiative für den Gesetzentwurf zur Änderung des Apothekengesetzes hat der Bundesrat dem Bundestag eine gute Grundlage für eine umfassende Aktualisierung des Apothekengesetzes erarbeitet. Wir sind dem Bundesrat dankbar, dass damit ein Erfolg versprechender Prozess angeschoben werden konnte. Auf dieser guten Grundlage hat der Deutsche Bundestag nun gut aufsatteln können. Insgesamt haben wir dem Bundesrats-Paket noch sechs Bausteine und zwei Packtaschen hinzugefügt. Dabei haben wir sorgfältig darauf geachtet, dass die Überforderungs- klausel nicht in Anspruch genommen werden musste. Nun die sechs wichtigsten Bausteine, die hinzugefügt wurden: Baustein l: Dieser Baustein wird den Patienten bei der Arzneimittelversorgung im Krankenhaus zugute kommen. Die Patienteninteressen und die Schutzbestim- mungen für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die mit Zytostatikazubereitung beschäftigt sind, haben es erfor- derlich gemacht, die Kenntnisse, Erfahrungen und Spe- zialisierungen in den Krankenhausapotheken auch den öf- fentlichen Apotheken und den ambulant tätigen Ärzten zugänglich zu machen. Für die Patienten wird damit sichergestellt, dass sie ihre Medikation aus dem Kranken- haus beim Übergang in die ambulante Versorgung, unver- ändert beibehalten können. Auf diesem Weg wird auch dem Arbeitsschutzbedürfnis ausreichend Rechnung ge- tragen. Baustein 2: Mit diesem Baustein wird die Arzneimit- telversorgung im Krankenhaus aus einer Hand gewährleis- tet. Mit der Neuregelung in § 14 werden Krankenhaus- apotheken sicherstellen können, dass auch bei ambulanter Behandlung an Ambulanzen, an Polikliniken, an psychia- trischen Institutsambulanzen und an sozialpädriatrischen Zentren die Arzneimittelversorgung aus einer Hand er- folgt. Durch diese Neuregelung wird sich die Versor- gungsqualität insbesondere für chronisch kranke Patien- ten, wie Krebspatienten, die entlang der ambulanten und stationären Versorgung pendeln, sicherstellen lassen. Baustein 3: Mit diesem Baustein erfolgt eine unbüro- kratische Hilfe für Patienten mit Arzneimitteln. Bei der Entlassung darf nach stationärer oder ambulanter Behand- lung im Krankenhaus, die zur Überbrückung benötigte Menge an Arzneimitteln aus Beständen des Krankenhau- ses mitgegeben werden, sofern im unmittelbaren An- schluss an die Behandlung ein Wochenende oder ein Fei- ertag folgt. Baustein 4: Mit diesem Baustein wird das Wirtschaft- lichkeitsgebot des Fünften Sozialgesetzbuches auch für die Krankenhausapotheke und für die Ärzte im Kranken- haus eindeutig verbindlich gemacht. Es kann nicht ange- hen, dass hochpreisige Produkte über die Krankenhaus- apotheke eingesetzt werden, die dann bei der Anschlussbehandlung dem niedergelassenen Arzt Pro- bleme beim Wirtschaftlichkeitsgebot bereiten. Diese Phar- mastrategie über Billigpreise bei den Krankenhäusern, hochpreisige Produkte in den Markt einzuführen, wird da- durch unterbunden. Baustein 5: Mit diesem Baustein kommt Qualität und Sicherheit in die Heime. Ohne die Freiheit der Bewohner oder der Apotheker einzuschränken, sind jetzt vertragli- che Vereinbarungen möglich, Menschen in Heimen bes- ser und sicherer mit Arzneimitteln zu versorgen. Wer die Berge von Arzneimittelpackungen in Nachttischschubla- den von Heimbewohnern kennt, weiß, was dieser Weg an Sicherheit bringt. Nun ist über Serviceangebote eine Aus- einzelung der Medikamente und eine Verblisterung im Heim durch den Apotheker möglich. Das heißt, die Ta- gesrationen der Bewohner werden zusammengestellt und an die Pflege weitergegeben. Baustein 6: Mit diesem Baustein schaffen wir kurze und damit sichere Wege für Impfstoffe. Mit der Herausnahme der Impfstoffe aus der Apothekenpflicht, kann direkt an den Arzt geliefert werden. Auch die Patienten brauchen nicht mehr den Umweg über die Apotheke zu machen. Damit sind zahlreiche Vorteile, wie Sicherheit, Qualität und Preis- nachlässe für Impfstoffe verbunden. Je kürzer der Ver- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. April 2002 23373 (C) (D) (A) (B) triebsweg, desto höher die Arzneimittelsicherheit. Auch durch gezielte Rückrufmöglichkeiten direkt beim Arzt, auf der Basis lückenloser Chargendokumentation, wird zusätz- lich Sicherheit geschaffen. Marktadäquate Preise werden nun durch den Wettbewerb erfolgen. Von den Impfstofflie- feranten und den Krankenkassen bestätigt, gehen 50 Milli- onen Euro indirekt an die Beitragszahler zurück. Damit bleibt der Apothekerverband mit seiner Ansicht, die Apo- thekenpflicht für Impfstoffe nicht aufzuheben, alleine. An- gefangen von den Ärzten über die Impfstofflieferanten bis hin zur Pharmaindustrie bis zu den Krankenkassen treten alle für einen direkten Vertrieb zum Arzt ein. Aber auch zwei Packtaschen wurden dem Apotheken- gesetz mit auf den Weg gegeben. Mit der ersten Packtasche haben wir die Chancen- gleichheit, speziell für die in Ostdeutschland angesiedel- ten Polikliniken beziehungsweise Gesundheitszentren auf den Weg gebracht. Diese Einrichtungen schreiben nun seit über zehn Jahren eine Erfolgsgeschichte! In Sachen inte- grierter Versorgung sind sie ein Vorbild für ganz Deutsch- land. Sie sind ein gelungenes Beispiel dafür, wie effizient verschiedene ärztliche Fachgruppen und andere Gesund- heitsberufe in der ganzheitlichen Versorgung der Patien- ten zusammenwirken können. So werden unnötige Dop- peluntersuchungen und damit Kosten vermieden. Die Qualität der Versorgung zugunsten der Patienten wird er- höht: Mit der Neuregelung im § 311 des Fünften Sozial- gesetzbuches erhalten sie nun endlich Chancengleichheit. Die erforderliche und wünschenswerte Weiterentwick- lung dieser Einrichtungen wurde bisher durch eine Stich- tagsregelung verhindert. Längst überfällig, sollen sie nun das Recht bekommen, bei Bedarf ihr Angebot künftig um zusätzliche Facharztbereiche erweitern zu können. Damit werden die Gesundheitseinrichtungen rechtlich den nie- dergelassenen Vertragsärzten gleichgestellt. Sie sind nicht länger der konservativen Blockadepolitik ausgeliefert, die ihre Expansion bisher verhindert hat. Mit der zweiten Packtasche haben wir den Weg frei gemacht für eine Pa- tientenkarte in Deutschland. Mit den Neuregelungen zum § 63 SGB V können Modellvorhaben nun angepackt wer- den. Für innovative Kräfte wird die Blockade beseitigt. Mit dem Gesundheitspass können alle wichtigen Ge- sundheits- und Notfalldaten von Patienten, verordnete Arzneimittel, sowie Hinweise auf Untersuchungen für be- treuende Ärzte dokumentiert werden. Damit wird gewähr- leistet: die Qualität in der medizinischen Behandlung, die Arzneimittelsicherheit, gerade angesichts der vielen Inno- vationen und Wechselwirkungen, die Vermeidung von Doppelbehandlungen und damit auch Kostenersparnis, die Stärkung des mündigen Patienten, die Optimierung von Behandlungsprozessen und vor allem die Transparenz für Patienten, aber auch für die Leistungserbringer. Über alle dem steht das uneingeschränkte Patienten- recht gepaart mit einem sicheren Datenschutz. Nur wir als Versicherte haben die Verfügung über die Daten. Nur wir Versicherte entscheiden, für wen – zum Beispiel für wel- chen Arzt oder welcher Ärztin – der Zugang zu unseren Daten eröffnet werden soll. Die Teilnahme von Patienten am Modellvorhaben bleibt freiwillig. Unabhängig davon wissen wir, dass die Zustimmung groß ist. Aus Erfahrungen, wie zum Beispiel zur wissenschaft- lichen Begleitung des Praxisnetzes Nürnberg Nord, wis- sen wir, dass es eine breite Zustimmung der Patienten gab, ihre Daten auf der Basis einer Datenschutzvereinbarung zur Verfügung zu stellen. Wir sind ganz sicher, dass der souveräne Patient seine Chancen nutzt, und damit Trans- parenz und Sicherheit für sich gewinnt. Diese Neurege- lung für Modellvorhaben im § 63 sind mit dem Daten- schutzbeauftragten der Bundesregierung abgestimmt. Gemeinsam wurde auch klargelegt, dass nach dem Mo- dellvorhaben die Einführung einer Patientenkarte ein ei- genes Gesetz erforderlich macht. Unabhängig davon ist für uns wichtig, dass bei Modellvorhaben, die auch von den Vorschriften des zehnten Kapitels abweichen, in be- sonderem Maße darauf zu achten ist, dass sie stringent auf die Verbesserung der Qualität und der Wirtschaftlichkeit ausgerichtet sind. Dr. Wolf Bauer (CDU/CSU): So wie nahezu alle ge- sundheitspolitischen Gesetzesvorhaben der rot-grünen Koalition zeigt auch der Entwurf eines Apothekengeset- zes – bzw. der Entwurf eines Gesetzes über das Apothe- kenwesen – die Konzeptlosigkeit dieser Bundesregierung und der sie tragenden Fraktionen. Arzneimittelgesetz, Apothekengesetz, Apothekenbetriebsordnung werden in einen Topf oder besser gesagt in einen Mörser geworfen, kräftig durchgeknetet und das Durcheinander anschlie- ßend als Teil einer Gesundheitsreform verkauft. Hierzu passt die Überschrift in der„Rheinischen Post“ vom 24. April 2002: „Runder Tisch für das Gesundheits- wesen konnte sich auf fast nichts einigen/Ulla Schmidt gescheitert“. Unsere Fraktion hat immer wieder von der Bundesgesundheitsministerin gefordert, ein in sich schlüssiges und alle Bereiche des Gesundheitswesens umfassendes Konzept auf den Tisch zu legen. Auf dem Tisch liegt aber bisher nur ein nicht sehr aussagekräftiges Wahlprogramm der SPD. Darin steht, dass „ärztliches und pflegerisches Können sowie Leistungskraft und Vielzahl medizinischer Einrichtungen und Unternehmen ..., bisher eine gute Versorgung“ sichern. Wenn dem so ist, warum bläst dann die rot-grüne Ko- alition zum Angriff auf dieses, selbst nach ihren eigenen Erkenntnissen gut funktionierende System? Es liegt doch nicht etwa daran, dass der Bundeskanzler nicht allzu viel für den Mittelstand, dafür aber um so mehr für die Groß- industrie übrig hat? Auch hilft es dem Mittelstand nicht allzu viel, wenn sich seine Standesvertreter gelegentlich einmal zum Kaffeetrinken bei der Gesundheitsministerin einfinden dürfen. Wir hingegen wollen gerade die mittelständischen Struk- turen in unserem Gesundheitswesen stärken und erhalten. Aus diesem Grund fragen wir bei jeder Gesetzesinitiative nicht zuerst nach dem Geld, sondern ob angestrebte Verän- derungen systemkonform sind. Da bei uns der Mensch bzw. der Patient im Mittelpunkt aller unserer Überlegungen steht, fragen wir schwerpunktmäßig natürlich auch immer, ob zum Beispiel die jahrhundertealte und bewährte Trennung zwischen Arzt und Apotheker oder die Trennung zwischen stationärer und ambulanter Versorgung im Sinne einer best- möglichen medizinischen Versorgung der Patienten ist. Un- ter diesen Gesichtspunkten betrachten wir selbstverständ- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. April 200223374 (C) (D) (A) (B) lich auch den Änderungsentwurf des uns vorliegenden Apothekengesetzes. Das Ergebnis ist, dass einige Punkte durchaus auch unseren politischen Vorstellungen entspre- chen. Ich denke hier zum Beispiel an den § 11, der Abgabe von anwendungsfertigen Zytostatika-Zubereitungen, oder an den § 12 a, die Versorgungsverträge zwischen Apotheken einerseits und Trägern von Alten- und Pflegeheimen ande- rerseits. Ablehnen hingegen werden wir die Änderungen in § 14 Abs. 4 Satz 3 (neu). Übrigens wird hier die bereits angesprochene Konzeptlosigkeit einmal mehr als deut- lich! Warum? Im Gesetzentwurf zur Änderung des Apo- thekengesetzes vom 14. April 1999 findet sich die For- mulierung von den „Ambulanzen in den Räumen des Krankenhauses.“ In einem ersten Änderungsantrag der Koalition vom 26. Februar 2002 erfolgt eine Korrektur in „Ambulanzen des Krankenhauses.“ Nach heftigen Pro- testen der Verbände dämmerte auch den Koalitionspart- nern, dass diese Änderung zu einer Gefährdung der pati- entenorientierten Versorgung führt. Zwei Monate später folgt dann ein Änderungsantrag zum Änderungsantrag. Jetzt ist von „ermächtigten Ambulanzen des Kranken- hauses“ die Rede. Ein Glück, dass es nur drei relevante Formen der ambulanten Behandlung von Patienten im Krankenhaus gibt! Soweit die Konzeptlosigkeit. Viel gravierender ist aber die Systemänderung, die dahinter steckt: Krankenhausärzte, die die Ermächtigung der KV besitzen, in den Räumen ei- nes Krankenhauses auch ambulant tätig zu sein, dürfen Arz- neimittel aus einer Krankenhausapotheke beziehen. Nieder- gelassene Ärzte, die in den Räumen des Krankenhauses praktizieren, sind hiervon ausgeschlossen. Gegen diese Regelung wäre nichts einzuwenden, wenn es nicht zu einer Wettbewerbsverzerrung zuungunsten der niedergelassenen Ärzte käme. Die Befürworter dieser Änderungen werden antworten, dass diese Bedenken unberechtigt sind, da eine Ermächtigung nur dort erteilt wird, wo eine fachärztliche Unterversorgung vorhanden ist. Ich kann hier nur warnen: Wehret den Anfängen! Ist der Einbruch in ein System erst einmal gelungen, werden weitere Veränderungen nicht lange auf sich warten lassen. Eine Wettbewerbsverzerrung ergibt sich aber auch im Bereich der Apotheken, denn weder mit subventionierten Arzneimitteln noch mit einer subventionierten Apotheken- infrastruktur – einschließlich einer subventionierten Per- sonalstruktur – kann eine öffentliche Apotheke konkurrie- ren. Sie ist vielmehr an die Preisspannenverordnung gebunden und muss für die gesamten Investitionen und Betriebskosten selbst aufkommen. Interessant ist, dass mittlerweile auch die Koalitionsfraktionen erkannt haben, dass die daraus resultierenden Systemfragen, zum Beispiel Anwendbarkeit der Arzneimittelpreisverordnung, gleiche Wettbewerbsbedingungen für öffentliche Apotheken und Krankenhausapotheken nicht isoliert, sondern im Kontext mit der GKV-Gesundheitsreform 2003 im Rahmen einer ganzheitlichen Konzeption zur Neustrukturierung der Arz- neimitteldistribution angegangen werden soll. Ein interessanter Hinweis, bei dem sich allerdings die Frage stellt, warum sich SPD und Grüne bereits jetzt schon für den Versandhandel aussprechen und nicht war- ten, bis dieses „ganzheitliche Konzept“ konzipiert ist. Unsere Fraktion hingegen wird an einer Ablehnung des Versandhandels festhalten, denn Arzneimittelsicherheit und eine flächendeckende, wohnortnahe Versorgung mit Arzneimitteln sind nur durch öffentliche Apotheken ge- währleistet. Dass SPD und Grüne verstärkt auf den Ver- sandhandel setzen, ist auch daran zu erkennen, dass sie die Impfstoffe aus der Apothekenpflicht herausnehmen wol- len (Artikel 2 neu). Während sie allerdings beim norma- len Versandhandel immerhin noch Probleme mit der Arz- neimittelsicherheit zugeben, sprechen sie bei einer Impfstoffbelieferung der Arztpraxen durch irgendeinen Paketdienst sogar von einer Verbesserung der Arzneimit- telsicherheit: Das verstehe, wer will! Und die Kostenersparnis? Vor sieben Jahren wurde bei der Fünften AMG-Novelle von einem Einsparpotenzial von 50 Millionen DM gesprochen; heute sind es dann eben 50 Millionen Euro. So einfach ist das! Und die Be- ratung? Hier ist in der Begründung des Änderungsantrags von SPD und Grünen zu lesen: „Sollte eine Beratung ei- nes Arztes in Verbindung mit dem zugesandten Impfstoff notwendig sein, könnte diese auf verschiedenen Wegen erfolgen“. Welche „verschiedenen Wege“ das sind, über- lassen SPD und Grüne der Fantasie des Lesers. Sie wer- den doch nicht etwa an die Apotheker gedacht haben? Ebenfalls lehnen wir eine Gleichstellung von Pflege- heimen mit Kur- und Spezialeinrichtungen, wie sie ur- sprünglich von den Koalitionsparteien angedacht war, ab § 14 Abs. 6 Sätze 2 und 3 bzw. Änderungsantrag vom 26. Februar 2002. Hier sollen Bewohner bzw. Patienten von Pflegeheimen generell der Zuständigkeit von Kran- kenhausapotheken unterstellt werden. Als Begründung seitens der Krankenkassen wird ein erhebliches Einspar- potenzial angeführt. Damit soll offenkundig eine beson- dere Situation, die sich insbesondere im Land Berlin, und zwar im ehemaligen Ostteil der Stadt, ergeben hat, als Be- gründung für eine grundsätzliche und systemverändernde Maßnahme herhalten. Die Koalitionsfraktionen unterlie- gen hier dem Trugschluss, dass eine auf die Kranken- hausapotheken verlagerte Versorgung zu den gleichen Konditionen wie die gegenwärtige Krankenhausversor- gung erfolgt, die geprägt ist durch ein von Arzneimittel- listen beschränktes Sortiment und eine von der Industrie in hohem Maße subventionierte Belieferung. Mit ihren Änderungsanträgen wollen die Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen ganz offensichtlich erreichen, Kosten für die GKV zu sparen. Hiergegen ist im Prinzip nichts einzuwenden. Allerdings wird hier der Einspareffekt sehr schnell verpuffen, denn es ist davon auszugehen, dass die Arzneimittelhersteller nicht lange auf eine Änderung ihrer Preisbildung im Klinikbereich warten lassen, sodass für sie das Ergebnis unterm Strich wieder stimmt. Auch entsteht ein rechtlicher Konflikt dadurch, dass der Träger eines Krankenhauses, der eine Krankenhausapo- theke nach § 14 ApoG als unselbstständige Betriebseinheit unterhält, berechtigt und verpflichtet ist, vertragsärztliche Verschreibungen mit den Krankenkassen abzurechnen. Während Krankenhäuser aus wirtschaftlichen Gründen bestrebt sind, die Arzneimittelversorgung von stationären Krankenhauspatienten möglichst preiswert zu gestalten, Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. April 2002 23375 (C) (D) (A) (B) entsteht für Krankenhausträger bei der Abrechnung nach Individualrezepten ein wirtschaftliches Interesse, das mit dem der öffentlichen Apotheken vergleichbar ist. Eine Wettbewerbsverzerrung zulasten der öffentlichen Apo- theke ist eklatant. Hinzu kommt, dass hier die Gefahr be- steht, da die Apothekenlandschaft durch Mehr- und Fremdbesitz total verändert wird. Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): „Der Patient im Mittelpunkt“. Unter diesem Motto hat die rot-grüne Koalition in den vergangenen Jahren die gesetzliche Krankenversicherung neu ausgerichtet. Eines steht fest: Wir haben für eine Verbesserung der Qualität der Versorgung der Patientinnen und Patienten gesorgt. Eine Vielzahl von Maßnahmen wirkt bereits heute. An- dere, wie die Disease Management Programme, werden in Zukunft die medizinische Versorgung besser an den Be- dürfnissen der Patientinnen und Patienten ausrichten. Die Koalition hat den Gesetzentwurf des Bundesrates zum Anlass genommen, die Qualität und Wirtschaftlich- keit der Versorgung mit Arzneimitteln über die Vorlage des Antrages hinaus zu verbessern. Außerdem stellen wir die Weichen für eine Durchführung von Modellversuchen zur verbesserten Verwendung medizinischer und pharma- zeutischer Informationen, ohne die Rechte der Patientin- nen und Patienten bezüglich ihres Anspruches auf infor- melle Selbstbestimmung einzuschränken. Sie sehen: Rot-grün verbessert die Qualität der medi- zinischen Versorgung. Doch nun zu den Einzelheiten: Meine sehr verehrten Damen und Herren von der FDP, die Koalition eröffnet den im Krankenhaus ambulant ver- sorgten Patientinnen und Patienten eine Versorgung mit Medikamenten durch die Krankenhausapotheke. Es ist unserer Ansicht nach nicht zumutbar, wenn ein Patient, der im Krankenhaus ambulant operiert wurde, nicht die vorhandenen Versorgungsmöglichkeiten nutzen kann, sondern erst eine Offizinapotheke aufsuchen muss. Wir sagen nicht, dass die öffentlichen Apotheken diese Pati- enten nicht versorgen dürfen. Wir eröffnen aber die Mög- lichkeit, unter genau definierten Umständen die benötig- ten Medikamente über die Krankenhausapotheke zu beziehen. Und das will die FDP verhindern. Da muss ich Sie fragen: Sind Sie nun die Partei des Wettbewerbs oder doch die des Bestandschutzes für bestimmte Berufsgrup- pen? Eines ist sicher: Den Patientenschutz haben Sie nicht im Auge. Weil ich gerade beim Wettbewerb bin: Die Entlassung der Impfstoffe aus der Apothekenpflicht gefährdet den Wettbewerb zwischen den Apotheken und den anderen Vertriebswegen in keiner Weise. Die existierenden Impf- stoffapotheken verdeutlichen dies. Die Behauptung, die Qualität und Sicherheit der Versorgung wäre in einem ver- kürzten Vertriebsweg nicht mehr gesichert, ist einfach falsch. Als die Impfstoffe 1994 in die Apothekenpflicht aufgenommen wurden, haben Sie das mit einer möglichen Unterbrechung der Kühlkette begründet, und das, obwohl dem Paul-Ehrlich-Institut keine Fälle bekannt geworden sind, bei denen ein mangelnder Impferfolg auf eine unter- brochene Kühlkette zurückzuführen war. Ihre tatsächli- chen Beweggründe seien dahingestellt. Mit der Änderung der Betriebsverordnung für Großhandelsbetriebe sowie der Einführung des § 54 (2 a) AMG ist gesetzlich ein Si- cherheitsstandard geschaffen worden, der die Arzneimit- telsicherheit im Direktvertrieb sichert. Zum Schluss komme ich noch zur Erweiterung der Mo- dellvorhaben. Die Entwicklungen in der Informa- tionstechnologie erlauben es zunehmend, die vorhandenen Daten zusammenzuführen und sinnvoll auszuwerten. Die entstehenden Synergieeffekte müssen im Interesse der Versicherten und Beitragzahler genutzt werden, um die Versorgung mit Gesundheitsleistungen an ihre Bedürf- nisse anpassen zu können. Ob elektronisches Rezept, intelligente Patienten-Chipkarte oder elektronische Pati- entenakte, es gibt bisher keine Erfahrungen in der Praxis, ob solche Systeme angenommen werden und welche Vor- teile sie tatsächlich bringen können. Die Rahmenbedin- gungen für derartige Pilotprojekte sind mit dem Bundes- beauftragten für Datenschutz abgestimmt. Die an einem Modellprojekt teilnehmenden Versicherten können dies freiwillig tun und müssen ihre Einwilligung zur Erfassung und Verarbeitung ihrer persönlichen Daten geben. Sie kön- nen diese jederzeit zurückziehen. Nach Beendigung der Modellvorhaben sind alle Daten sofort zu löschen. Das Recht auf informelle Selbstbestimmung bleibt gewahrt. Dass die Fraktion des Bündnises 90/Die Grünen in diesem Punkt genau hinsehen, darf wohl kaum verwundern. Detlef Parr (FDP):Wesentliche Elemente der Freibe- ruflichkeit sind in dreieinhalb Jahren rot-grüner Gesund- heitspolitik auf der Strecke geblieben. Heute tun wir einen weiteren Schritt hin in Richtung Schwächung der Freibe- ruflichkeit – ohne die FDP. Der Gesetzentwurf öffnet die Tür für eine ambulante Arzneimittelversorgung durch Krankenhausapotheken ei- nen Spaltbreit. Er schafft damit eine bessere Angriffs- fläche für weiter gehende Bestrebungen, die Bedeutung der Krankenhausapotheken zu stärken und gleichermaßen die öffentlichen Apotheken – und damit die Freiberuf- lichkeit – zu schwächen. Auch wenn eine Belieferung von Pflegeheimen durch Krankenhausapotheken, wie im ur- sprünglichen Entwurf vorgesehen, nun nicht mehr weiter- verfolgt wird, werden die Weichen für eine Änderung des Systems gestellt. Wir wollen mehr Wettbewerb im Ge- sundheitssystem, aber fairen Wettbewerb. Die Abgabe von Arzneimitteln durch Krankenhaus- apotheken an Ambulanzen des Krankenhauses bringt da- gegen wettbewerbsverzerrende Effekte, weil die Preise für Arzneimittel in den Krankenhäusern niedriger liegen als im Bereich der Offizinapotheken. Eine solche Öffnung sollte deshalb nicht erfolgen mit Ausnahme von Spezial- rezepturen, wo Sicherheitsaspekte eine besondere Rolle spielen, also den Zytostatika. Ambulanzen können nach dem Gesetzentwurf zum Beispiel auch dann durch eine Krankenhausapotheke beliefert werden, wenn diese gar nicht im Gebäude der Ambulanz, sondern weiter entfernt angesiedelt ist. Deshalb müssen wir die Trennschärfe zwi- schen ambulanter und stationärer Versorgung aufrechter- halten. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. April 200223376 (C) (D) (A) (B) Es bestand bisher Einigkeit darin, dass die Polikliniken lediglich Bestandsschutz haben sollten. Die im Gesetz- entwurf vorgesehene Möglichkeit für Polikliniken, zu- sätzliche Ärzte anzustellen und ihren Sitz zu verlegen, hebt diesen Konsens auf. Diese Regelung wird, wenn sie Realität wird, als Türöffner benutzt werden, solche Poli- kliniken auch in den westlichen Bundesländern zukünftig zuzulassen. Die Arbeit der niedergelassenen Ärzte wird hier erheblich tangiert – integrierte Versorgung stellen wir uns anders vor. Der Vertriebsweg für Impfstoffe über die Apotheke hat sich aus Sicherheitsgründen bewährt. Diese Regelung ist 1994 so eingeführt worden, weil es bei der Direktbeliefe- rung Sicherheitsprobleme gegeben hat. Wir möchten die Direktbelieferung gern beibehalten, auch deswegen, weil die Befürchtungen aus der Ärzteschaft – Hämatologen, internistische Onkologen –, Krankenhausapotheken wür- den durch den Gesetzentwurf übervorteilt, nicht von der Hand zu weisen sind. Übervorteilung droht auch bei der Absicht, den Kran- kenhausapotheken zu gestatten, Patienten bei Entlassung an einem Wochenende oder an einem Feiertag die zur Überbrückung notwendigen Medikamente mitzugeben. Diese Überbrückung kann wie bisher auch von den öf- fentlichen Apotheken wahrgenommen werden. Bei den vielen Ungereimtheiten wird es Sie nicht wun- dern: Die FDP lehnt diesen Gesetzentwurf ab! Dr. Ruth Fuchs (PDS): Die vorliegenden Änderun- gen des Apothekengesetzes geben sinnvollen Regelungen und Zuständigkeiten die rechtliche Grundlage. Es geht um unkomplizierte Verfügbarkeit von Arzneimitteln, um kür- zere Beschaffungswege und um Erleichterungen für die Patienten. Information und Beratung durch Apotheke- rinnen und Apotheker bleiben gewahrt. Der Gesetzent- wurf wurde im Frühjahr 1999 in den Bundestag einge- bracht. Es bleibt unverständlich, warum pragmatische Lö- sungen, die Verbesserungen bringen und auf die die Praxis wartet, so viel Zeit beanspruchen. Die jetzt ermöglichte Arzneimittelversorgung der Pati- enten von Krankenhausambulanzen durch Krankenhaus- apotheken ist zweifellos zweckmäßig. Wir begrüßen da- bei, dass von Krankenhausapotheken Arzneimittel auch an die nach § 116 SGB V ermächtigten Krankenhausärzte zur unmittelbaren Anwendung abgegeben werden dürfen. Die Regelung, dass aus dem Krankenhaus entlassene Pa- tienten in dringenden Fällen zunächst durch die Kranken- hausapotheke mit Medikamenten versorgt werden kön- nen, ist eine Erleichterung für die oft noch bettlägerigen Patienten. Wir sollten uns jedoch darüber im Klaren sein, dass diese erwünschten Funktionserweiterungen für die Krankenhaus- apotheken auch einen größeren personellen Aufwand erfor- dern. Bekanntlich gibt es hier einen Trend in die andere Richtung. Gerade bei neuen Krankenhauszusammenschlüs- sen werden die bisherigen Krankenhausapotheken oft zu- gunsten von Versorgungszentren geschlossen, was mit ent- sprechenden Personalreduzierungen einhergeht. Aber auch in solchen Fällen muss die pharmazeutische Betreuung der Patienten gewährleistet bleiben, soll es nicht zu reinen Be- lieferungen kommen. Die neu geschaffenen vertraglichen Regelungen zwischen Heimträgern und öffentlichen Apo- theken zielen auf eine bessere Versorgung der Heimbewoh- ner. Wir stimmen ihnen grundsätzlich zu. Wichtig wäre al- lerdings, dass neben die Aufgabe der zuständigen Behörden, die Verträge zu genehmigen, auch eine Kontrollfunktion verbunden mit zeitlicher Begrenzung der Verträge treten würde. Auch weitere Teile des Gesetzes wie die vertraglichen Regelungen mit den Rettungsdiensten, die Festlegungen zu den Zytostatikazubereitungen oder die Herausnahme von Impfstoffen aus dem Apothekenvertriebsweg halten wir für sinnvoll. Verständlicherweise begrüßen wir besonders die Än- derungen des § 311 SGB V, die die Gesundheitszentren in den neuen Ländern betreffen. Sie ermöglichen diesen Ein- richtungen endlich auch die Etablierung von ärztlichen Fachdisziplinen, die zum Zeitpunkt der Gründung noch nicht vorhanden waren. Zugelassen wird jetzt auch die Verlegung ihres Standortes. Das sind wichtige Schritte, um diese Einrichtungen mit den niedergelassenen Ver- tragsärzten gleichzustellen. Auf der Grundlage ihrer 10-jährigen Existenz darf man mit Fug und Recht sagen, dass sie sich auch im neuem Umfeld bewährt haben. Be- trachtet man sie ohne Vorbehalte und ideologische Scheu- klappen, dann sind sie ein anschauliches Beispiel für in- tegrierte Versorgung – noch dazu unter einem Dach. Was im Interesse von Qualität und Wirtschaftlichkeit so oft ge- fordert wird – koordinierte medizinische Behandlung, kurze Wege für die Patienten, Vermeidung von Doppel- untersuchungen, gemeinsame Investitionen und Ressour- cennutzung –, ist in diesen Einrichtungen lebendiger All- tag. Im Übrigen haben sie den Vorteil, dass die Ärzte ungleich weniger mit Bürokratie und Verwaltungsaufga- ben belastet sind und sich wesentlich mehr der Behand- lung ihrer Patienten widmen können. Nicht zuletzt deshalb werden wir dem Gesetzentwurf unsere Zustimmung geben. Anlage 10 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – Entwurf eines Gesetzes über die Entsorgung von Altfahrzeugen (AltfahrzeugGesetz – Altfahr- zeugG) – Antrag: Umsetzung der EU-Altfahrzeugrichtli- nie ökologisch sinnvoll und ökonomisch verant- wortlich gestalten (Tagesordnungspunkt 27 a und b) Ulrich Kelber (SPD): Mit dem Gesetz über die Ent- sorgung von Altfahrzeugen schlagen wir fünf Fliegen mit einer Klappe: Erstens. Wir entlasten die Umwelt in Deutschland, weil die Autos in Zukunft recyclinggerechter hergestellt wer- den, weil besonders umweltschädliche Stoffe nicht mehr Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. April 2002 23377 (C) (D) (A) (B) verwendet werden dürfen, und weil in Zukunft keine Fahrzeuge mehr durch Abstellen am Straßenrand entsorgt werden. Zweitens. Wir entlasten die Umwelt in Europa, weil wir durch die entsprechende europäische Richtlinie eine Harmonisierung der Entsorgung von jährlich 9 Millionen Altfahrzeugen in der EU auf einem hohen Niveau errei- chen. Drittens. Wir entlasten die Umwelt weltweit, weil auch Hersteller außerhalb der EU ihre Produktion umstellen werden, um ihren Pflichten auf dem europäischen Markt nachzukommen. Damit wird auch in Märkten außerhalb der EU ein Fortschritt erzielt. Viertens. Wir verankern Produktverantwortung vor- bildlich in die Kreislaufwirtschaft. Das ist als ökologi- sches Prinzip gar nicht hoch genug einzuschätzen. Fünftens. Wir machen die Entsorgung für Besitzer, Her- steller und Gesellschaft bezahlbar bei gleichzeitiger Si- cherung von Arbeitsplätzen in der Verwertungsindustrie. Deswegen muss man diesem Gesetz einfach zustim- men: Deswegen ist ein Nein zu diesem Gesetz verant- wortungslos. Das Gesetz ist eine faire Umsetzung der europäischen Richtlinie. Und das Gesetz ist eine faire Abwägung ver- schiedener Interessen. Die Bundesregierung und auch die SPD-Fraktion ha- ben mit allen Beteiligten, mit den Herstellern, den Zulie- ferern, den Entsorgern, den Umweltverbänden und ande- ren mehr intensive Gespräche geführt. Und auch das ist eine wichtige Botschaft: Alle Betei- ligten haben deutlich gemacht, dass sie mit diesem Gesetz gut leben können. Das sollte auch die CDU/CSU und die FDP aufhorchen lassen, die im Umweltausschuss das Ge- setz abgelehnt haben, obwohl wir alle Anregungen der von CDU/CSU und FDP regierten Bundesländer aufge- nommen haben. Es ist schade, dass die Opposition nicht um der Sache willen bereit ist, über ihren dunklen Schat- ten zu springen. Diese allgemeine Zufriedenheit mit dem Gesetz bei allen beteiligten Unternehmen und Verbänden ist übrigens auch ein deutlicher Unterschied zur den Regelungen, die CDU/CSU und FDPin ihrer Regierungszeit versucht haben. Nur ein Zitat dazu. Die Verbraucherzentrale Hessen hat die Regelungen von CDU/CSU und FDPdamals als „öko- logische Mogelpackung“ und – was mir als Bonner Ab- geordneten natürlich ein bisschen wehtut – als „Schrott aus Bonn“ bezeichnet. Das waren die Urteile der Ver- braucherschützer zur Politik von CDU/CSU und FDP, meine Damen und Herren. Schade, dass Sie daraus scheinbar nichts gelernt haben. Nach Umsetzung der europäischen Richtlinie in natio- nales Recht wird das ärgerlichste Problem im Bereich der Altfahrzeuge bald weitgehend der Vergangenheit an- gehören. Allein in Deutschland werden jährlich zehntau- sende Altautos durch Abstellen am Straßenrand oder in der Landschaft auf Kosten der Gesellschaft entsorgt. Die Kommunen zahlen dann den Preis, den viele Halter eines Fahrzeugs auf diese Weise sparen wollten. Das Gesetz gibt jetzt die Möglichkeit zur kostenlosen Rückgabe. Das „wilde Entsorgen“ wird damit aufhören. Das ist nicht nur eine Entlastung für die Umwelt, sondern auch für die stra- pazierten Haushalte der deutschen Kommunen. Erlauben Sie mir dazu einen kleinen Einschub als in Bayern geborener Mensch: insbesondere die bayerischen Kommunen werden sich über dieses Gesetz freuen. Deren Verschuldung ist wegen der Kürzungen der bayerischen Landesregierung im letzten Jahr nämlich schneller gestie- gen als in jedem anderen Bundesland. Zurück zum Altfahrzeug-Gesetz: Im nächsten Jahr wer- den wir das Monitoring der Entsorgung noch regeln müs- sen. Das ist klar. Da die Verordnung aber erst stückweise die Altfahrzeuge erfasst, ist für diese Regelung noch aus- reichend Zeit. Die kostenlose Rückgabe der Altfahrzeuge verankert in dieser Branche die Produktverantwortung fest in der Kreislaufwirtschaft. Damit setzen wir ein wichtiges Zeichen, dass wir beim Elektroschrott fortsetzen und mit- telfristig auch in anderen Bereichen der Abfallwirtschaft wirkungsvoll umsetzen sollten. Eine Debatte hatte es im Vorfeld über den Sinn und die Berechtigung von Stoffverboten gegebenen. Es ist gut, dass die europäische Richtlinie und unser nationales Ge- setz die Idee der Stoffverbote ab dem 1. Januar 2003 aufgenommen haben. Es ist eben eine Binsenwahrheit, dass bestimmte Stoffe umweltschädlicher sind als andere. Das Stoffverbot wird helfen, dass die Umweltbelastung durch die Schwermetalle Cadmium, Quecksilber, Blei und sechswertiges Chrom wirksam gesenkt wird. Stoffverbote umfassen den gesam- ten Lebenszyklus solcher gefährlichen Stoffe in der Um- welt. Die Gewinnung wird reduziert, die Verarbeitung ver- mieden und letztlich der Eintrag in die Umwelt verhindert. Alle Vorschläge anderer Regelungen übersehen völlig, dass auf allen diesen Stufen sonst Probleme für die Umwelt auf- träten. Mit einer Rücknahme gefährlicher Stoffe alleine ist es also nicht getan; wir brauchen Stoffverbote. Wenn diese Schadstoffe dann in anderen Abfällen nicht mehr vor- kommen, werden neue Verwertungsmöglichkeiten ge- schaffen und damit die Idee der Kreislaufwirtschaft wei- ter gestärkt. Stoffverbote kosten auch keine Arbeitsplätze, weil ja auch die aus anderen Stoffen hergestellten Teile produziert werden müssen. Meist geschieht dies übrigens mit einem höheren Beschäftigungseffekt, also mit mehr Arbeitsplätzen als zuvor. Ökonomisch wichtig war, heute bereits produzierte Er- satzteile und zugelassene Fahrzeugtypen vom Stoffverbot auszunehmen. Der sonst notwendige finanzielle Aufwand wäre nicht gerechtfertigt gewesen. Wir haben am Mittwoch im Umweltausschuss von CDU/CSU und FDP nur äußerst an den Haaren herbeige- zogene Punkte gegen das neue Gesetz gehört. Vor allem konnte die Opposition nicht erklären, wie sie denn die eu- ropäische Richtlinie in nationales Recht umsetzen will. Aber diese Umsetzung ist doch verbindlich vorgegeben. Die FDP behauptet, das Gesetz verhindere den Leichtbau bei Fahrzeugen und damit eine Möglichkeit zum Sprit- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. April 200223378 (C) (D) (A) (B) sparen. Liebe FDP, mit dieser Meinung stehen Sie aller- dings alleine da. Noch nicht einmal die Hersteller dieser Fahrzeuge verstehen oder teilen etwa sogar Ihren Ein- wand. Das wurde uns in Gesprächen sehr deutlich ge- macht. Warum ist das so? Nehmen wir einmal das viel be- staunte 1-Liter-Auto von VW. Das wesentliche Gewicht machen da der Magnesiumrahmen, das Fahrgestell, das Getriebe und der Motor aus. Dies alles ist vergleichsweise leicht zu recyceln, da es aus Metall ist. Die Kohlefaser- hülle ist beim Gewicht fast zu vernachlässigen. Die Quo- tenvorgaben des Altfahrzeuggesetzes orientieren sich aber am Gewicht, liebe FDP, sodass ihr Einwurf ins Leere geht, weil selbst das VW-Auto vermutlich bereits mit heu- tiger Technik die Quotenvorgaben einhielte. Die CDU/CSU nennt die Kosten für die Verbraucher als Grund für die angekündigte Ablehnung. Der CDU-Kollege Laufs zitierte dazu im Umweltausschuss einen Verwerterverband, der von bis zu 300 Euro Kosten pro Fahrzeug sprach. In den Niederlanden, die schon heute die Entsorgung von Altfahrzeugen nach einem Prin- zip regeln, wie wir es mit dem Gesetz einführen wollen, zahlt man nur noch gut 50 Euro. Woher kommt dieser Unterschied zwischen den Be- hauptungen der CDU/CSU und den Fakten aus unserem Nachbarland? Die übliche Übertreibung eines Verbands kann das alleine doch nicht sein, oder? Nein, CDU-Kol- lege Laufs verschweigt der Öffentlichkeit, dass die von ihm genannte Zahl nicht den Erlös aus Schrott und wieder zu verwendenden Bauteilen enthält. Er verschweigt also den wichtigen zweiten Teil der Rechnung, die Einnah- men. Wer so unseriös handelt, muss schon sehr schwache Argumente haben, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU. Die Finanzierung ist klar geregelt. Die Hersteller zah- len die kostenlose Rücknahme. Dafür werden sie steuer- freie Rückstellungen bilden, übrigens auch für die Fahr- zeuge, die zur weiteren Verwendung ins Ausland gebracht werden und niemals im Geltungsbereich der EU entsorgt werden. Davon profitieren besonders die Hersteller hoch- wertiger Fahrzeuge in Deutschland und deswegen trägt das Gesetz auch zur Harmonisierung von Wettbewerbs- chancen zugunsten Deutschlands bei. Apropos Harmonisierung: Der Fortschritt durch die Umsetzung der europäischen Richtlinie wird außerhalb Deutschlands noch größer sein. Hier waren bisher meis- tens die ökologischen Standards geringer als in Deutsch- land und werden jetzt deutlich angehoben. Ich nenne als Beispiele die hohen Verwertungsquoten und die Qualifi- zierungsanforderungen an die Entsorgungsbetriebe. 2006 sind 85 Prozent des Gesamtgewichts eines Fahrzeugs zu verwerten, 2015 sogar 95 Prozent. Dabei ist insbesondere die stoffliche Verwertung auf einem hohen Niveau vorge- schrieben. Dies wird einen Innovationsschub in Industrie und Verwerterbranche auslösen und damit zu neuen Ar- beitsplätzen führen. Auch das ist ein wichtiger Grund, dem Gesetz zuzu- stimmen. Im Bundesrat erwarte ich auch unter den neuen Mehrheitsverhältnissen eine Zustimmung, weil alle – ich wiederhole: alle – Anregungen des Bundesrates aufge- nommen wurden. Eine einzige Anregung fiel der Tatsache zum Opfer, dass sie der europäischen Richtlinie wider- sprochen hätte. Mein Fazit: Das Gesetz ist ökonomisch vernünftig. Das Gesetz ist ökologisch überfällig. Ich bitte Sie um Ihre Zustimmung. Dr. Paul Laufs (CDU/CSU): In Deutschland besteht ein erfolgreich funktionierendes, ökologisch effizientes, flächendeckend verfügbares Altautoentsorgungs- und -verwertungssystem, das auf der Grundlage einer freiwil- ligen Selbstverpflichtung aller betroffenen Wirtschafts- branchen und der bisherigen Altautoverordnung aufge- baut worden ist. Im vergangenen Jahr sind bereits 800 000 Altautos geordnet entsorgt und zu 75 Gewichtsprozent verwertet worden. Dieses System soll mit der Umsetzung der Altbau- richtlinie der Europäischen Union vom Oktober 2000 durch ein anderes, neues Regime ersetzt werden. Der be- währte runde Tisch der ARGE Altauto wird sich nun er- übrigen. Das neue Regime schließt freiwillige Vereinba- rungen aus, obwohl sie nach der Richtlinie möglich wären. Es wird die Kosten durch eine exzessive Umset- zung der EU-Richtlinie erheblich erhöhen und die Betei- ligten mit Vorschriften großer Regelungstiefe überziehen. Kernstück der Neuordnung ist die Durchsetzung äußerst hoher stofflicher Verwertungsquoten, die gerade von Um- weltpolitikern kritisch hinterfragt werden müssen, denn Materialkreisläufe lassen sich vollständig nicht immer ökologisch und wirtschaftlich sinnvoll schließen. Die Entsorgungskosten werden den Herstellern und Importeuren voll angelastet. Der Letzthalter kann sein Alt- auto kostenlos abgeben. Die entstehenden zusätzlichen Kosten von 100 bis 200 Euro und künftig auch deutlich mehr pro Kraftfahrzeug hat aber letztlich doch der Kunde zu tragen. Die Neuwagenpreise werden entsprechend stei- gen. Anders als in allen anderen EU-Mitgliedstaaten müs- sen die deutschen, exportorientierten Hersteller die hohen deutschen Entsorgungskosten insgesamt in den Neuwa- genpreis einrechnen, wodurch ihre Wettbewerbsfähigkeit verschlechtert wird. Dem Wunsch der Industrie, die Ent- sorgungskosten wenigstens zum Teil getrennt ausweisen zu dürfen, wurde nicht entsprochen. Die EU-Altautorichtlinie, für die diese Bundesregie- rung Mitverantwortung trägt, und damit auch das vorlie- gende Altautogesetz haben aus umweltpolitischer Sicht erhebliche Mängel. So beziehen sich die Verwertungs- quoten fast ausschließlich auf das stoffliche Recycling. Die thermische Verwertung wird nur marginal zugelassen. Dadurch wird die Einführung von Leichtbautechniken enorm erschwert. Das in diesen Tagen in der Presse vorgestellte Einliter- auto von Volkswagen ist in Ultraleichtbauweise gefertigt und wiegt gerade 290 Kilogramm. Seine Karosserie besteht aus Kohlenstofffaser-Verbundwerkstoff. Der erfolgver- sprechendste Weg, um im Verkehrsbereich die Treibstoff- verbräuche zu senken, ist in der Tat die Einführung der Leichtbauweise. Dafür bieten sich neben Leichtmetallen Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. April 2002 23379 (C) (D) (A) (B) insbesondere naturfaserverstärkte Kunststoffe, chemisch vernetzte Duroplaste und thermoplastische Faserverbund- werkstoffe an, wobei die Kohlenstofffaser besonders vielversprechend ist. Diese Materialien werden aus Erdöl gewonnen und lassen sich ausgezeichnet thermisch ver- werten. Die Menge der Leichtbauwerkstoffe in einem die- ser modernen Kraftfahrzeuge ist im Vergleich zum einge- sparten Treibstoff geradezu lächerlich gering. Es macht im Übrigen keinen Sinn, auf der stofflichen Verwertung von Kunststoffen in einer Volkswirtschaft zu bestehen, in der riesige Mengen von Erdöl direkt zur Wärmeerzeugung ver- brannt werden. Ein stoffliches Recycling dieser Leichtbau- werkstoffe ist dagegen sinnvoll nicht möglich. Natürlich können sie geschreddert, fein gemahlen und als einfache Füllstoffe irgendeiner Anwendung zugeführt werden. Dafür gibt es aber praktisch keine Märkte mehr, seit das Duale System Deutschland die nur sehr begrenzt vorhan- denen Absatzmöglichkeiten verstopft. Das Fazit dieser Feststellungen ist, dass Leichtbau- fahrzeuge mit einem hohen Anteil an Verbundwerkstoffen bei ihrer Entsorgung als Altauto nicht den Vorschriften des Altautogesetzes entsprechen und damit schon Pro- bleme mit der Typgenehmigung haben. Die Leichtbau- weise ist eine entscheidende Voraussetzung für ver- brauchsarme Fahrzeuge. Welchen Sinn macht es, wenn die Bundesregierung hohe Millionenbeträge für die For- schungsförderung von modernen Verbundwerkstoffen ausgibt und mit den Regelungen des Altautogesetzes de- ren Anwendung behindert? Ein Umsteuern hin zum Leichtbau erfordert langfristig angelegte Investitionsentscheidungen zu Forschung, Ent- wicklung und Markteinführung. Deshalb müssen die öko- logisch und ökonomisch unsinnigen stofflichen Verwer- tungsquoten in der EU-Richtlinie und im Altautogesetz so bald wie möglich korrigiert werden. Es ist nicht zu be- greifen, warum gerade auch in dieser Hinsicht die Revi- sionsklausel aus der EU-Richtlinie nicht übernommen worden ist, um uns in die Pflicht zu nehmen, schon vor Ende 2005 eine Überprüfung der Quoten voranzubringen. Die Umsetzung der EU-Richtlinie erfolgt nicht im Ver- hältnis 1:1. Allein der Bundesrat hat 55 Änderungsvor- schläge zum Kabinettsentwurf eingebracht, die zum großen Teil vernünftig sind und auch ganz überwiegend von der Bundesregierung und den Koalitionsfraktionen angenommen wurden. Trotzdem wird noch zulasten der deutschen Marktbeteiligten draufgesattelt. So müssen nur in Deutschland die Automobilzulieferer für alle in Repa- raturwerkstätten anfallenden Altteile ein Rücknahmenetz installieren, für das es noch keine alle Zulieferer umfas- sende Plattform gibt. Sie können also mit zusätzlichen Rücknahme- und Recyclingkosten belastet werden. Die Demontagebetriebe müssen mit beispiellos großer De- montagetiefe die Altautos zerlegen und Teile ausbauen – bis zu den Stoßdämpfern. Die Rücknahmestellen müssen auch Altautos annehmen, die nicht rollfähig oder nachträglich verändert oder Unfalltotalschäden sind, die sich nicht mehr demontieren lassen. Die EU-Richtlinie und damit auch das Altautogesetz enthalten Materialver- bote, die isoliert für die Automobilbranche wenig Sinn machen und in den laufenden Serienproduktionen bis 1. Juli 2003 schwer umsetzbar sind. Weitere Zusatzlasten werden den deutschen Herstel- lern und Importeuren durch neue steuer- und handels- rechtliche Vorschriften aufgebürdet. So werden den Unternehmen für die erforderlichen Rückstellungen für die Entsorgung so genannter Altfahrzeuge und Alt-Neu- fahrzeuge in Höhe vieler Milliarden Euro – die Bundes- regierung rechnet mit rund 10 Milliarden Euro bis 2030 – steuerliche Gestaltungsspielräume weggenommen und vorgeschrieben, Rückstellungen zeitanteilig in Raten an- zusammeln. Einige Automobilhersteller haben bereits Rückstellungen gebildet. Die Rückstellungen sollen aber nicht rückwirkend seit dem Jahr 2000, als die Verpflich- tungen dazu europarechtlich verbindlich wurden, sondern erst von diesem Jahr, 2002, an vorgenommen werden dür- fen. Wir lehnen diese systemwidrigen Manipulationen ab. Der Grundsatz der Produktverantwortung wird unein- geschränkt auf die Hersteller und Importeure angewandt. Dadurch geraten die mittelständischen Entsorgungsun- ternehmen in eine direkte Abhängigkeit als Zulieferer und müssen schwierige Kooperationsprobleme lösen. Auch hier ist der Mittelstand mehrfach unter Druck. Neben den Folgen einer äußerst belastenden Umsetzung der EU-Richtlinie in deutsches Recht unterliegt er auch noch starkem grenzüberschreitendem Wettbewerb, zum Bei- spiel mit der niederländischen subventionierten Entsor- gungswirtschaft. Ich möchte zusammenfassen: Das vorliegende Altau- togesetz ist aus umweltpolitischer Sicht in Deutschland nicht erforderlich und aus volkswirtschaftlicher Sicht von Nachteil. Es reguliert übermäßig, ist kostentreibend und enthält schwere Mängel. Wie die EU-Richtlinie in natio- nales Recht umgesetzt wurde, entspricht nicht den Inter- essen unseres Landes. Birgit Homburger (FDP): Die FDP begrüßt die Ziel- setzung der europäischen Altfahrzeugrichtlinie, wonach die Umweltbelastung durch Altfahrzeuge gemäß den Er- fordernissen des Binnenmarktes und ohne Wettbewerbs- verzerrungen verringert werden soll. Dazu müssen in den Mitgliedstaaten der EU einheitliche Anforderungen gel- ten. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung wird diesen Vorstellungen nicht gerecht. Die FDP lehnt den Gesetz- entwurf deshalb ab. Das vorgelegte Altfahrzeuggesetz ist ökologisch frag- würdig, ökonomisch unausgewogen und bedeutet eine einseitige Belastung Deutschlands als Standort der Auto- mobilwirtschaft im europäischen Wettbewerb. Dies wiegt umso schwerer, als Deutschland von den wirtschaftlichen Folgen der europäischen Altfahrzeugrichtlinie und ihrer Umsetzung in deutsches Recht besonders betroffen ist. Schon im vergangenen Jahr hat die FDP die Bundesregie- rung deshalb dazu aufgefordert, die Altfahrzeugrichtlinie ökologisch sinnvoll und ökonomisch verantwortlich in deutsches Recht umzusetzen. Die Appelle der FDP trafen bei Umweltminister Trittin wieder einmal auf taube Ohren. Die FDP hat die in der Richtlinie vorgesehene Quo- tenregelung als ökologisch kontraproduktiv entlarvt, weil eine Quotenregelung die Leichtbauweise behindert. Eine Recyclingpflicht, die auf das Gewicht von Fahrzeugteilen bezogen ist, setzt für Automobilkonstrukteure den wider- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. April 200223380 (C) (D) (A) (B) sinnigen Anreiz, herkömmliche und im Vergleich zu nach- wachsenden oder Verbundwerkstoffen relativ schwere Bauteile zu verwenden. Stahlbleche haben ein hohes Ge- wicht und erleichtern so die Erfüllung gewichtsbezogener Recyclingquoten. Relativ schwere Fahrzeuge haben aber einen höheren Kraftstoffverbrauch, was die Abgase im Straßenverkehr unnötig erhöht. Dieser ökologisch kon- traproduktive Effekt muss aus Klimaschutzgründen unbe- dingt vermieden werden. Aufgrund einer Anfrage der FDP-Fraktion hatte die Bundesregierung diesen Zusam- menhang schon im vergangenen Jahr zur Kenntnis nehmen müssen. Ausdrücklich hatte die Bundesregierung seinerzeit die ökologische Kritik der FDPan den Quotenvorgaben be- stätigt und erklärt, sich für eine Überprüfung der Quo- tenregelung einsetzen zu wollen. Die Ergebnisse sind mehr als enttäuschend: Nicht nur, dass die ökologisch unsinnigen Quoten erhalten geblieben sind. Weit schlimmer ist, dass die europäische Richtlinie eine Überprüfung der Quoten- ziele spätestens bis zum Jahresende 2005 vorsieht, der Ge- setzentwurf der Bundesregierung auf eine solche Revisi- onsklausel aber verzichtet. Auch die Mahnung der FDP, der betroffenen Automo- bilwirtschaft unverzüglich die Bildung von Rückstellun- gen für die ihr auferlegten Pflichten zu ermöglichen, wurde von der Bundesregierung ignoriert. Dies wird zu unnötigen und kostentreibenden Auseinandersetzungen führen. Im Übrigen ist die von der Bundesregierung vor- gesehene Änderung des Einkommensteuergesetzes nicht erforderlich und steuersystematisch hoch problematisch. Der sorgenvolle Blick auf die Kasse des Finanzministers verhindert einmal mehr sachgerechte Lösungen für die Umweltpolitik. Von diesen schwerwiegenden Mängeln abgesehen, ist der Gesetzentwurf im Vergleich zur Richtlinie unnötig dirigistisch. Spielräume für freiwillige Vereinbarungen mit den Betroffenen, die die Richtlinie ausdrücklich vor- sieht, werden zum Nachteil der deutschen Automobil- wirtschaft nicht genutzt. Dies gilt beispielsweise für die im Gesetzentwurf vorgesehenen Informationspflichten: Die EU-Richtlinie gestattet für die Umsetzung der Kenn- zeichnungsnormen und der Demontageinformationen die Nutzung freiwilliger Selbstverpflichtungen. Der Gesetz- entwurf der Bundesregierung lässt dazu keinen Raum, sondern setzt an dieser Stelle statt dessen allein auf ho- heitlichen Zwang. Die Umsetzung der europäischen Alt- fahrzeugrichtlinie in deutsches Recht folgt damit einem traurigen, mittlerweile aber leider vertrauten Prinzip rot- grüner Umweltpolitik: Mit bürokratischen, dirigistischen und kostentreibenden Vorschriften werden europäische Vorgaben übererfüllt, ohne dass ein erkennbarer Vorteil für die Umwelt erzielt würde. Das Nachsehen hat die deutsche Wirtschaft. Das ist das Gegenteil einer nachhal- tigen und ökologisch glaubwürdigen Umweltpolitik. Eva Bulling-Schröter (PDS): Es ist bezeichnend für die Stärke der Automobilindustrie in Europa, dass die Europäische Kommission an der Altfahrzeugrichtlinie über 10 Jahre arbeiten musste. Über die peinliche Rolle Deutschlands und speziell die des Bundes- und Auto- kanzlers Gerhard Schröder dabei, haben wir hier schon mehrfach gesprochen. Wir begrüßen, dass die Fahrzeuge mit diesem Umset- zungsgesetz kostenlos zurückgenommen werden müssen. Somit wird zwar nicht ganz dem Verursacherprinzip ent- sprochen – nicht nur der Hersteller, sondern auch der Nut- zer ist ja Verursacher –, aber es wird dem wilden und ille- galen Entsorgen ein Riegel vorgeschoben. Wir begrüßen auch die hohen Wiederverwendungs- und Verwertungsquoten. Allerdings sind die Zeiträume, 2006 bzw. 2015, sehr lang. Unverständlich ist für uns, dass nur Fahrzeuge, die nach dem 1. Juli 2002 erstmals zugelassen wurden, ab die- sem Zeitpunkt kostenlos zurückgenommen werden. Für die übrigen Altfahrzeuge wird die kostenlose Rücknahme erst ab 2007 gesichert. Hier wäre auch EU-konform ein früherer Zeitpunkt denkbar gewesen. Beispielsweise die kostenlose Rücknahme aller Altfahrzeuge ab 1. Januar 2003. Somit wäre die illegale Entsorgung auch für die 5 Jahre vom Tisch. Steuerlich kann die Autoindustrie zufrieden sein. In kaum einem anderen Land werden die Rückstellungen steuerlich so großzügig behandelt wie in Deutschland. Hierzulande können die Entsorgungsrückstellungen für Autos steuerlich geltend gemacht werden. Somit bezahlt die Allgemeinheit über das Rückstellungsmodell, das Zinsvorteile zumindestens ermöglicht, einen Teil der Autoschrottbeseitigung. Selbst in der ultrakonservativen USA ist so etwas nicht möglich. Wie im Ausschuss zu erfahren war, ist Deutschland da- bei haarscharf an einer Klage der anderen europäischen Automobilhersteller vorbeigeschrammt. Kein Wunder, denn es könnten Subventionen sein, jedenfalls dann, wenn Rückstellungen nicht fürs Recyceln verbraucht, sondern irgendwann aufgelöst werden, also wenn diese Rückstel- lungen der Höhe oder dem zeitlichen Horizont nach unan- gemessen hoch sind. Den öffentlichen Haushalten in Deutschland gehen durch die Rückstellungen in diesem Jahr 248 Millionen Euro verloren. Angesichts dieser Summe und dem innigen Verhältnis der Bundesregierung zu „ihren“ Automobil- konzernen ist wenigstens ein gesundes Grundmisstrauen angebracht, und zwar dagegen, ob diese Viertelmilliarde wirklich die entsprechenden zeitnahen Aufwendungen re- präsentiert und ob die Abzinsungsregelungen im Gesetz tatsächlich mögliche Zinseffekte ausgleicht. Summa sumarum halten wir das Gesetz umweltpoli- tisch für einen Fortschritt; denn es löst die weitaus schlechtere deutsche Verordnung von 1997 ab. Aber auf- grund der geschilderten Mängel enthalten wir uns. Jürgen Trittin, Bundesminister für Umwelt, Natur- schutz und Reaktorsicherheit:Wir bringen heute ein lang- wieriges und leidiges Kapitel der Wirtschafts- und Um- weltpolitik zu einem guten Ende: Wir haben eine zukunftsfähige Lösung, die den hohen Materialaufwand der Autoproduktion künftig verringern wird. Ich danke den Ländern, die aufgrund ihrer Vollzugskompetenz etli- che sinnvolle Details ergänzt haben, und ich danke den beratenden Ausschüssen für die kooperative Beratung. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. April 2002 23381 (C) (D) (A) (B) Deutschland als einer der europa- und sogar weltweit führenden Automobilhersteller setzt damit als eines der ersten Länder die europäische Altfahrzeug-Richtlinie und damit das Prinzip der Produktverantwortung in der Kfz-Industrie um. Die rot-grüne Koalition hat sich vor dreieinhalb Jahren zum Ziel gesetzt, die Ökologisierung der Wirtschaft in allen Bereichen einzuleiten. In der Ener- gie- und Klimapolitik haben wir unsere größten Erfolge, da ist unsere Vorreiterrolle international anerkannt. Aber auch im Verkehr haben wir mit der gleichberechtigten Förderung der Schiene, mit der Ökosteuer, schadstoffar- mem Treibstoff, der Maut und der verkehrsmittelunab- hängigen Kilometerpauschale eine Trendwende erreicht. Das Altfahrzeug-Gesetz ist ein weiterer wichtiger Bau- stein, um den Gesamtkomplex Verkehr ressourcenscho- nender und damit zukunftsfähiger zu gestalten. Dazu verhelfen: die kostenlose Rückgabemöglichkeit des Letzthalters – sie ist ökologisch sinnvoll und sozial gerecht; die unentgeltliche Rücknahmepflicht der Her- steller, eine Gesamtverwertungsquote ab dem Jahr 2006 85 Prozent – ab 2015 95 Prozent – und eine Recycling- quote von 80 Prozent – ab 2015 85 Prozent und das Ver- bot von Stoffen wie Blei, Quecksilber, Cadmium und Chrom-IV-Verbindungen. Wenn die Automobilhersteller die Altautos zurückneh- men und die Kosten der Entsorgung tragen müssen, haben sie ein Interesse, die Kosten dafür gering zu halten. Das Gesetz lässt die Wahl zwischen verschiedenen Möglich- keiten: Sie können die Quote der wiederverwertbaren Einzelteile sogar übererfüllen. Sie können Materialien verwenden, die ohne große Probleme entsorgt werden können; also zum Beispiel giftige Schwermetalle meiden. Sie können Autos bauen, die sehr lange laufen, weil man sie in ihren Einzelteilen jederzeit modernisieren und opti- mal reparieren kann. Wir haben mit der Altfahrzeug-Richtlinie einen Pro- zess eingeleitet, der die Automobilindustrie fit für das 21. Jahrhundert macht. Denn klar ist: Im 21. Jahrhundert werden Rohmaterialien sehr viel teurer werden. Auto- mobilkonzerne werden den Ressourcenverbrauch redu- zieren und Stoffkreisläufe entwickeln wollen. Die Bundesregierung hat darauf insistiert, dass die Er- zeuger – und nicht, wie von der Industrie gewünscht: die Halter – die Kosten für die Entsorgung tragen; nicht weil wir halsstarrig wären oder die Industrie triezen wollten, sondern weil nur das einen Lenkungseffekt bietet. Die Automobilhersteller bekommen so ein Interesse an langlebigen, modernisierbaren, gut reparierbaren und vor allem verwertungsoptimierten Kraftfahrzeugen. Genau für diese Entwicklung stellen wir heute die Weichen, in- dem wir Produktverantwortung zum Prinzip machen und den Herstellern die Entsorgungskosten übertragen. Denn nur das schafft den Anreiz, sich in Richtung Zukunft zu orientieren. Klar werden die Hersteller Kosten an die Käufer von Neuwagen weitergeben. Durchschnittlich werden das rund 0,5 Prozent sein, also etwa 100 Euro. Wer diese Kos- ten geringer hält, hat bei den Kunden einen Marktvorteil. Genau das wollen wir erreichen. Wir haben auch den Autokonzernen, die erst Rück- lagen für die Entsorgung bilden müssen, dafür die nötige Zeit gegeben. Trotzdem haben wir es geschafft, die Richt- linie als eines der ersten Länder in Europa umzusetzen. Die Vorgeschichte hätte das nicht vermuten lassen. Heute aber, wo auch die Automobilindustrie dem Bundes- umweltminister zustimmt, dass sich die Rückstellungs- frage so lösen lässt, wie er das schon vor drei Jahren vorgeschlagen hat, sollten wir diese Meinungsverschie- denheiten beiseite legen. Heute gilt: Alle haben mit dem neuen Altautogesetz gewonnen: die Umwelt durch ein Stück mehr Kreislauf- wirtschaft und Produktverantwortung, die Automobilin- dustrie, weil sie so fit wird für eine Zeit, in der hoher Res- sourcenverbrauch ein Produkt unverkäuflich macht und smarte Produkte Marktvorteile bringen. Anlage 11 Zu Protokoll gegebene Reden zurBeratung des Entwurfs eines Gesetzes zurÄn- derung des Steuerbeamten-Ausbildungsgesetzes Lydia Westrich (SPD):Als ehemalige Finanzbeamtin ist für mich in erster Linie die Änderung des Steuerbeam- ten-Ausbildungsgesetzes von Interesse, obwohl es darin noch eine Fülle von Änderungen weiterer Steuergesetze gibt. Solch ein Gesetzespaket, wie es uns heute vorliegt, nennen die Parlamentarier „Omnibusgesetz“. Es ist nicht sehr beliebt, aber häufig. Die Diskussion um die so genannten „Omnibusge- setze“ kenne ich schon seit ich im Finanzausschuss bin. Sie sind einerseits notwendig, um aufgetauchte redaktio- nelle Fehler bei der ersten Möglichkeit zu bereinigen, da- mit schnell Rechtssicherheit vorhanden ist. Sie wissen aus der langen Gesetzgebungspraxis genau, dass ein verges- senes Wort, falsches Komma oder fehlender Verweis oft ungewollte finanzielle Folgen nach sich ziehen. Die übliche Praxis, das im nächstfolgenden Gesetz schnell richtig zu stellen, ist für uns alle sinnvoll und ge- wünscht. Und natürlich war schon immer auch die eine oder andere materielle Änderung dabei. Wie Sie alle diese Praxis schon verinnerlicht haben, zeigen ja die gestellten zusätzlichen Änderungswünsche. Auch die Sachverstän- digen haben in der Anhörung trotz Kritik zusätzlich neue Forderungen erhoben. Ich behaupte ja nicht, dass diese langjährige Praxis zu mehr Transparenz beiträgt. Aber sie ist zügig und effizient. Effizient ist auch die Ausbildung der Steuerbeamten. Sie genießt innerhalb und außerhalb der Verwaltung, auch in der Wirtschaft, ein hohes Ansehen. Es gibt dement- sprechend auch viele Abwerbungsversuche. Wenn ich bei mir zu Hause das Telefonbuch aufschlage, finde ich bei den Steuerberatern und Wirtschaftsprüfungsgesellschaf- ten die Namen vieler ehemaliger Kollegen. Das weist auf das anspruchsvolle Niveau der Ausbildung hin. Nicht sel- ten erreichen die Beamten beim Weiterstudium über- durchschnittliche Studienabschlüsse. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. April 200223382 (C) (D) (A) (B) Aber Ziel der guten Ausbildung ist es, die motivierten Beamten bei der Verwaltung zu halten und ihre Ausbil- dung den Erfordernissen einer modernen Dienstleistungs- behörde anzupassen. Deshalb wird die Ausbildungszeit verlängert, um andere Lerninhalte wie Methodik und so- ziale Kompetenz dem komplexen Fachwissen hinzufügen zu können. Dass die Berufsbezeichnung „Finanzwirt oder Finanzwirtin“ für den mittleren Dienst noch mal aus- drücklich bestätigt wird, war längst überfällig. Das duale Ausbildungssystem mit dem hohen Praxisbezug bleibt uneingeschränkt erhalten. Insgesamt sind die Änderungen des Steuerbeamten- Ausbildungsgesetzes Garantie dafür, dass die hohe Qua- lität der Ausbildung weiterentwickelt wird. Die Steuerbe- amten sollen optimal gerüstet sein, den Zielen Sicherung der Einnahmen des Staates und einheitliche Anwendung der Steuergesetze sowie den Anforderungen einer moder- nen Dienstleistungsbehörde zu entsprechen. Ich hoffe, dass die Ausbildungsverordnungen bald diesem Anspruch gerecht werden, um das Steuerbeamten-Ausbildungsge- setz mit Leben zu erfüllen. Über die redaktionellen Änderungen oder weiteren Steuergesetze habe ich schon etwas gesagt. Bei den materiellen Änderungen sticht vor allem die Beibehaltung der Steuerklasse II für Alleinerziehende hervor. Sie wissen, dass das Bundesverfassungsgericht im Haushaltsfreibetrag einen ungerechtfertigten Vorteil der Alleinerziehenden im Vergleich zu verheirateten Eltern gesehen hat. Wir haben ihn nicht gleich abgeschafft, son- dern schmelzen ihn mit Wirkung vom 1. Januar 2002 stu- fenweise bis 2005 ab bei gleichzeitiger Einführung des neuen Freibetrages für Betreuung, Erziehung oder Aus- bildung der Kinder. Diese „sanfte Abschmelzung“ bei gleichzeitiger Anhebung der pauschalen Freibeträge und des Kindergeldes war verfassungsmäßig nicht geboten, wie es auch jetzt in der Anhörung noch mal deutlich wurde. Deshalb hat sie ursprünglich auch nur für die so genannten „Altfälle“ vor dem 1. Januar 2002 gegolten. Aber es ist eigentlich nur Zufall, ob ein Kind Ende De- zember 2001 oder Januar 2002 geboren wird. Deshalb hat die sozialdemokratische und grüne Regie- rungskoalition nach sorgfältiger juristischer Prüfung be- schlossen, die Abschmelzungsregelung rückwirkend für alle Alleinerziehenden wirken zu lassen. Die Idee ist nir- gendwo abgeguckt. Sie ist in der Diskussion und Über- prüfung seit Verabschiedung des Steuersenkungsgesetzes und bei der ersten Möglichkeit wird es umgesetzt. Ich hoffe nur, dass der Bundesrat dann auch noch zustimmt, damit wir die Schieflage bei den Alleinerziehenden berei- nigen können. Damit führen wir die gute Bilanz unserer Familienleis- tungen fort. Ich erinnere Sie: 1998: 220 DM Kindergeld und 6 912 DM Kinderfreibetrag. 2002: 301 DM oder 154 Euro Kindergeld monatlich und 11 360 DM oder 5 808 Euro Kinderfreibetrag, zusätzlich erstmalig im deutschen Steuerrecht der Abzug erwerbsbedingter Be- treuungskosten bis zu 1 500 Euro. Man muss es immer wiederholen. Den von der Opposition eingebrachten Änderungswün- schen können wir nicht entsprechen. Bei der Senkung der Gewerbesteuerumlage sagte selbst der Vertreter des Bun- des der Steuerzahler: Man müsse die prekäre Finanzlage von Bund und Ländern bedenken. Außerdem ist Ihnen vom Kollegen Bernd Scheelen wiederholt erklärt worden, dass von einer Senkung der Gewerbesteuerumlage gerade die Kommunen kaum profitieren, die hohe Einbrüche in den Gewerbesteuereinnahmen haben. Nicht Aktionismus, sondern eine solide Sicherung der Gemeindefinanzen ist geboten. Und wir sollten gemeinsam drängen, dass die Kommission endlich ihre Arbeit aufnimmt, damit wir ei- nen fairen Gemeindefinanzausgleich erhalten und die Kommunen eine sichere finanzielle Basis erhalten. Dasselbe gilt für den § 370 a AO. Er hat die Zielrich- tung, gewerbemäßige und bandenmäßige Steuerkriminelle wirksam bekämpfen zu können. Diese Ziele teilen wir alle. Kleine Sünder sind nicht gemeint. Ich bin überzeugt da- von, dass die Steuerverwaltung die Verhältnismäßigkeit der Vorgänge durchaus bewusst beurteilen kann und die Selbstanzeige als Instrument weiter wirkt. Wir brauchen endlich wirksamen Schutz der ehrlichen Steuerzahler vor kriminellen Elementen. Da helfen keine „weichen“ Paragraphen. Allerdings müssen wir die Ent- wicklung im Auge behalten, dasselbe gilt für die Steuer- nummer auf der Rechnung. Insgesamt hoffe ich, dass mit Ihrer Zustimmung die Verbesserungen für die auszubildenden Steuerbeamten und die Alleinerziehenden schnell in Kraft treten können. Hansgeorg Hauser (Rednitzhembach) (CDU/CSU): Mit der Vorlage eines Entwurfs eines 5. Gesetzes zur Än- derung des Steuerbeamten-Ausbildungsgesetzes im Fe- bruar 2002 schien ein routinemäßiger Ablauf einer Geset- zesänderung seinen Anfang genommen zu haben. Die Beratungen im Bundesrat ergaben nur geringfügige Ver- änderungen, sodass einer Verabschiedung dieses Gesetzes auch mit den Stimmen der CDU/CSU nichts im Wege zu stehen schien. Regierung und Koalitionsfraktion nahmen jedoch dieses Gesetz zum Anlass, für eine groß angelegte Korrekturaktion in neun Steuergesetzen und zwei Durch- führungsverordnungen. Die zum Teil erheblichen Auswir- kungen bringen Verschlechterungen für die Wirtschaft, während andererseits weitere dringend erforderliche Än- derungen, die die CDU/CSU-Fraktion eingebracht hatte, im Finanzausschuss abgelehnt wurden. Die vorgenommenen Korrekturen zeigen, dass bei den früheren Gesetzen in einem großen Ausmaß schludrig ge- arbeitet wurde. Die Fantasie bei der Umschreibung des Begriffs „Fehler“ ist allerdings beispiellos. Da ist von Klar- stellung, Berichtigung, Sicherstellen, Anpassung, Verdeut- lichungen und notwendigen Ergänzungen die Rede. Allein fünfmal wird von einem redaktionellen Versehen gespro- chen. Ein „unbeabsichtigt gestrichener Satz“ muss in ein zu korrigierendes Gesetz wieder eingefügt werden. Besonders blumig ist die Formulierung, die Regelung sei notwendig, um „eine Versteinerung“ des durch dieses Gesetzes geän- derten Teils der Gewerbesteuerdurchführungsverordnung usw. zu vermeiden. Wenn die Koalitionsfraktionen und die für die Abfassung der Gesetze verantwortlichen Re- gierungsmitarbeiter die gleiche Sorgfalt und Phantasie auf wirklich notwendige zusätzliche Gesetzesänderungen Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. April 2002 23383 (C) (D) (A) (B) verwendet hätten, wäre aus diesem Moloch von Gesetzes- änderungen vielleicht doch noch etwas Brauchbares he- rausgekommen. Dazu war die Regierungskoalition aber nicht bereit. Bei der Änderung des § 3 c Abs. 2 des Einkommen- steuergesetzes spricht die Gesetzesbegründung von einer redaktionellen Änderung. Allerdings hat sich bei der Dis- kussion im Ausschuss herausgestellt, dass die vorgenom- mene Änderung eine erneute Verschlechterung für Perso- nengesellschaften bedeutet. Im Falle der Veräußerung von einbringungsgeborenen Anteilen ist der Veräußerungs- vorgang voll steuerpflichtig, wenn die Veräußerung in- nerhalb von sieben Jahren nach dem Zeitpunkt der Ein- bringung erfolgt. Nach der derzeitigen Fassung des § 3 c sind die damit zusammenhängenden Betriebsvermögens- minderungen, Betriebsausgaben und Veräußerungskosten deshalb auch voll abzugsfähig. Nach der jetzt im Steuerbe- amten-Ausbildungsgesetz vorgenommen Änderung sind die damit genannten Kosten nur noch zu 50 Prozent ab- zugsfähig. Dieses Ergebnis ist in hohem Maße system- widrig und ungerecht. Es steht außerdem im Widerspruch zu einer vergleichbaren Regelung im Körperschaftsteuer- gesetz, wo Gewinne aus der Veräußerung von einbrin- gungsgeborenen Kapitalanteilen zu 100 Prozent steuer- pflichtig sind und die damit zusammenhängenden Kosten voll abziehbar sind. Auch bei einer weiteren materiellen Änderung im Ge- setz wird nur eine halbherzige Lösung erreicht. Künftig wird im Umsatzsteuergesetz auch eine Rechnung mit ei- ner qualifiziert elektronischen Signatur zugelassen. Die Behauptung, es handele sich hier um eine punktgenaue Umsetzung einer europäischen Richtlinie trifft nur einge- schränkt zu. Ab 1. Januar 2004 werden aufgrund der Än- derung der 6. EG-Richtlinie elektronisch übermittelte Rechnungen akzeptiert, die entweder durch eine „fortge- schrittene elektronische Signatur“ oder durch „elektroni- schen Datenaustausch“, EDI, übermittelt werden. In der Finanzausschusssitzung hat sich darüber hinaus heraus- gestellt, dass offenbar juristische Personen elektronische Rechnungen nicht verwenden können. Deshalb musste das Bundesfinanzministerium auch zugeben, dass aus diesem Grund ein BMF-Schreiben zu erstellen ist. Ohne die massiven Nachfragen der Union wäre diese Proble- matik nicht bewusst geworden. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat drei substanzi- elle Änderungsanträge gestellt, die leider keine Mehrheit fanden. Im Steuerverkürzungsbekämpfungsgesetz ist eine Re- gelung aufgenommen worden, die in Fachkreisen einhel- lig kritisiert und abgelehnt worden ist. Der neu eingefügte § 370 a Abgabenordnung über die gewerbsmäßige oder bandenmäßige Steuerhinterziehung schießt eindeutig über das Ziel hinaus. Unser Antrag sah vor, dass die Wör- ter „gewerbsmäßig oder“ gestrichen werden sollten, so- dass nur die bandenmäßige Steuerhinterziehung erwähnt wird. Wir sind der Auffassung, dass der Tatbestand unge- nau gefasst ist, soweit die gewerbsmäßige Steuerhinter- ziehung mit qualifizierter Strafe bedroht ist. Nach der her- kömmlichen Definition dieses Begriffs könnten darunter auch Steuerpflichtige verstanden werden, die lediglich wiederholt den Grundtatbestand der Steuerhinterziehung verwirklicht hätten. Nicht gewollt war außerdem, dass in den Fällen des § 370 a keine strafbefreiende Selbstanzeige möglich ist. Da darüber hinaus völlig ungeklärt ist, wie sich die Vorschrift des § 370 a im Hinblick auf den Tatbe- stand der Geldwäsche bei Entgegennahme von Honoraren durch Steuerberater oder Rechtsanwälte auswirkt, sollte die gewerbsmäßige Begehungsform im § 370 a Abgaben- ordnung wieder aus dem Gesetz gestrichen werden. Mit dieser Forderung wird die CDU/CSU von der gesamten Fachwelt unterstützt. Offenbar ist den Regierungskoalitionsfraktionen selbst unwohl bei der jetzigen Regelung; denn zumindest das Bündnis 90/Die Grünen hat sich bei unserem Änderungs- antrag der Stimme enthalten. Der Hinweis der SPD-Frak- tion, dass sich die Problematik hinsichtlich des weiten Begriffs „Gewerbsmäßigkeit“ durch eine gemeinsame Vereinbarung mit den Ländern lösen lassen könne, ent- larvt die Taktik der SPD in der Steuerpolitik: Zunächst neuartige Vorschriften ausprobieren, man wird dann schon sehen, wie die Praxis damit zurechtkommt. Von Rechtssicherheit wollen die Genossen offenbar nicht wis- sen! Ein weiterer Antrag der Union betrifft die ersatzlose Streichung der in § 14 Abs. 1 a Umsatzsteuergesetz vor- gesehenen Nennung der Steuernummer. Wir halten die gesetzliche Verpflichtung ab 1. Juli 2002 auf jeder Rech- nung die persönliche Steuernummer anzugeben, für einen überflüssigen nationalen Alleingang. Denn ab dem 1. Ja- nuar 2004 ist durch die Änderung der 6. EG-Richtlinie zwingend auf jeder Rechnung die Umsatzsteueridentifi- kationsnummer anzugeben. Es ist den Unternehmen nicht zuzumuten, in doppelter Weise Umstellungskosten bei Rechnungsformularen zu bezahlen. Durch die Bekannt- gabe der persönlichen Steuernummer auf jeder Rechnung könnte auch die bisher übliche Praxis, dass telefonische Auskünfte bei der Finanzbehörde unter Angabe der Steu- ernummer eingeholt werden können, in Gefahr geraten. Es ist zu befürchten, dass künftig telefonische Auskünfte wegen der Einhaltung des Steuergeheimnisses nicht mehr oder nur noch in einem geringen Umfang möglich sind. Damit wäre eine vertrauensvolle Zusammenarbeit zwi- schen Finanzämtern und Steuerpflichtigen beziehungs- weise deren Steuerberatern nicht mehr gewährleistet. Schließlich hat die CDU/CSU-Bundestagsfraktion die Absenkung der Gewerbesteuerumlage gefordert. Der Re- gierung ist seit geraumer Zeit bekannt, dass die finanzielle Lage der Kommunen äußerst angespannt ist. Die stark rückläufigen Einnahmen bei der Gewerbesteuer resultie- ren zum einen aus der schwachen Konjunktur, aber auch durch die Belastungen aus zahlreichen rot-grünen Steuer- gesetzen. Die Gewerbesteuereinnahmen brachen in 2001 durchschnittlich um 12 Prozent ein. Die gravierenden Fol- gen schlechter rot-grüner Wirtschafts- und Steuerpolitik werden immer deutlicher. Deshalb wäre es dringend ge- boten, in dem vermutlich letzten Steuergesetz dieser Le- gislaturperiode, die Gewerbesteuerumlage, die die Ge- meinden an Bund und Länder zu entrichten haben, zu ändern und wieder auf das Niveau vor der Unternehmen- steuerreform zurückzufahren. Durch die Unternehmen- steuerreform wurde seinerzeit die Gewerbesteuerumlage stufenweise erhöht, um die Gemeinden angemessen an Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. April 200223384 (C) (D) (A) (B) der Finanzierung der Unternehmensteuerreform zu betei- ligen. Mittlerweile hat sich herausgestellt, dass die für die Gemeinden noch im damaligen Gesetzgebungsverfahren prognostizierten Mehreinnahmen nicht eingetreten sind. Außerdem ist mit dem Verzicht auf die Anpassung der Branchenabschreibungstabellen eine der versprochenen Gegenfinanzierungsmaßnahmen der Unternehmensteuer- reform weggefallen. Damit ist die Geschäftsgrundlage für die Anhebung der Gewerbesteuerumlage entfallen. Im Übrigen war auch das vorgesehene Finanzierungsinstru- ment völlig falsch gewählt. Die für das Steuerbeamten- Ausbildungsgesetz durchgeführte öffentliche Anhörung hat deutlich gemacht, dass die Absenkung der Gewerbe- steuerumlage den Kommunen wieder Luft verschaffen würde. Die Kommunen hätten dadurch jährliche Mehr- einnahmen in Höhe von circa 2,3 Milliarden Euro. Leider wurde dieser Antrag abgelehnt. Dies zeigt, dass die Ko- alitionsfraktionen SPD und Bündnis 90/Die Grünen, ent- gegen den lautstarken Äußerungen in der Öffentlichkeit, offensichtlich an einer finanziellen Stärkung der Kommu- nen nicht interessiert sind. Im Finanzausschuss haben sie es nicht einmal für nötig gefunden, darüber eine tiefer ge- hende Diskussion zu führen. Wie eingangs ausgeführt, hätten wir dem Steuerbeam- ten-Ausbildungsgesetz in seiner ursprünglichen Form zu- gestimmt. Durch die Anhäufung von Änderungen, die mit ihren gravierenden materiellen Auswirkungen weitere Verschlechterungen für die Wirtschaft bringen, ist eine Zustimmung jedoch unmöglich gemacht, sodass wir die- ses Gesetz ablehnen. Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):Mit dem Fünften Gesetz zur Änderung des Steuerbeamten- Ausbildungsgesetzes werden die Inhalte und Abläufe der Aus- und Fortbildung der Steuerbeamten der Länder den modernen Erfordernissen einer effizienten, dienstleis- tungs- und bürgerorganisierten Verwaltung angepasst. Die Vorschriften des Bundes werden mit den dienstrecht- lichen Regelungen der Länder harmonisiert. Daneben werden eine Reihe von anderen Gesetzesän- derungen zu anderen Themen vorgenommen. Im Mittel- punkt des öffentlichen Interesses steht die Gesetzesände- rung in der Familienförderung, die alle Alleinerziehenden in die Abschmelzungsregelung beim Haushaltsfreibetrag einbezieht. Bislang kommen die so genannten echten und unechten Neufälle nach dem Zweiten Familienförde- rungsgesetz gar nicht mehr in den Genuss der Steuerent- lastung durch den Haushaltsfreibetrag. Damit wird die stufenweise Abschmelzung des Haushaltsfreibetrags auf 2 340 Euro zum 1. Januar 2002 und die weitere Absen- kung auf 1 188 Euro ab 1. Januar 2003 und auf null Euro ab 2005 im Sinne der Gleichbehandlung auf alle Allein- erziehenden angewandt. Die Steuerklasse II existiert da- mit bis einschließlich 2004 weiter. Das Bundesverfassungsgerichtsurteil aus dem Jahre 1998 erzwingt den Abbau des Haushaltsfreibetrages. In- folgedessen kommt es insbesondere in den Jahren 2003 und 2005 für Alleinerziehende zu finanziellen Belastun- gen. Bündnis 90/Die Grünen fordert deshalb seit langem eine gezielte Kompensation für diese finanziellen Nach- teile. Wir wollen grundsätzlich, dass die erwerbsbeding- ten Kinderbetreuungskosten vom ersten Euro an steuer- lich abzugsfähig werden. Mit dieser Förderung soll ein Beitrag dafür geleistet werden, die Vereinbarkeit von Be- rufstätigkeit und Familienaufgaben besser vereinbaren zu können. Die Förderung würde alle berufstätigen Eltern begünstigen – nicht nur die Alleinerziehenden – und ist deshalb verfassungsgemäß. Aus finanzpolitischen Gründen haben wir bereits im letzten Jahr eine Stufenlösung erarbeitet, die im Ergebnis zur vollen Absetzbarkeit der erwerbsbedingten Betreu- ungskosten führt und nicht wie bislang erst oberhalb des allgemeinen Betreuungsfreibetrages von 1 548 Euro. Diese Regelung ist sozial unausgewogen im Hinblick auf das politische Ziel, die Vereinbarkeit von Beruf und Fa- milie zu erleichtern. In vielen Bundesländern fehlen Kinderbetreuungsein- richtungen und Ganztagsschulplätze für Kinder zwischen 0 und 14 Jahren. Deshalb wollen wir ein bedarfsorientier- tes sowie flächendeckendes Betreuungsangebot in der nächsten Wahlperiode auf den Weg bringen. Unseres Er- achtens muss im Rahmen der Gemeindefinanzreform die Finanzierungsfrage für diesen Infrastrukturaufbau zwi- schen Bund, Ländern und Gemeinden mit geklärt werden. Eine Größenordnung von 5 Milliarden Euro lässt sich nicht aus dem Ärmel schütteln, sondern bedarf eines se- riösen Finanzierungskonzepts. Für besonders dringlich halten wir die Realisierung un- seres Kindergrundsicherungskonzepts. Kinderarmut in ei- ner reichen Gesellschaft ist ein Skandal. Wir wollen zielge- nau Kinder aus einkommensschwachen Familien fördern. Für diese Familien soll es einen Kindergeldzuschlag von bis zu 100 Euro pro Monat geben. Über 4 Millionen Kinder würden von dieser Kindergrundsicherung erreicht und aus dem Sozialhilfestatus herausgeholt. Die Finanzierung dieser Kindergrundsicherung soll mithilfe einer Modernisierung des Ehegattensplittings er- folgen. So soll bei unterschiedlich hohen Einkommen beider Ehegatten ein Teil des Einkommens des einen Ehe- gatten, nämlich bis zu rund 20 000 Euro, auf den anderen Ehegatten übertragbar sein. Gleichzeitig soll die Geltend- machung von Sonderausgaben weiterhin gemeinsam er- folgen; das betrifft vor allem die Vorsorgeaufwendungen. Mit dieser Regelung werden Schlechterstellungen bei Al- leinverdienerehen mit einem Einkommen von bis zu rund 45 000 Euro pro Jahr vermieden. Die hierdurch erzielten Steuermehreinnahmen wollen wir für die Förderung von Familien mit Kindern in prekären Einkommensverhält- nissen verwenden. Außer dieser zielgenauen Armutsbekämpfung verfol- gen wir weiter unser Ziel eines einheitlichen Kindergeldes. Das Kindergeld soll stufenweise von derzeit 154 Euro auf 200 Euro pro Monat und Kind steigen. Es soll in der mittelfristigen Perspektive genau so hoch werden, wie die finanzielle Entlastung eines Spitzenverdieners durch den Kinderfreibetrag im Jahre 2005 infolge der dritten Stufe der Steuerreform sein wird. Wir meinen, dass jedes Kind dem Staat gleich viel wert sein muss. Carl-Ludwig Thiele (FDP):Mit diesem Gesetzesent- wurf wird anders als der Titel erwarten lässt, nicht mehr das Steuerbeamten-Ausbildungsgesetz geändert, sondern Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. April 2002 23385 (C) (D) (A) (B) die rot-grüne Flickschusterei und Chaotisierung des Steu- errechtes erreicht einen neuen Höhepunkt. Mit diesem Gesetz sollen elf Steuergesetze geändert werden. Es ist schon makaber, wenn die Regierung diese notwendigen Änderungen damit begründet, dass es sich lediglich um „redaktionelle Änderungen und Korrekturen, sowie Klar- stellungen im letzten Jahr beschlossener Regelungen“ handeln würde. Rot-Grün war einmal angetreten, das Steuerrecht zu vereinfachen. Das Gegenteil ist zwischenzeitlich einge- treten. Noch nie sind in einer Legislaturperiode so viele Steuergesetze vom Bundestag verabschiedet worden. Die Abstände der Gesetze und der Korrekturbedarf werden zudem immer kürzer. Dieses ist eine ungeheure Verant- wortungslosigkeit, auch gegenüber den Menschen, die sich mit der Materie der Steuern zu beschäftigen haben. Jedes Steuergesetz, was Rot-Grün einbringt, wird regel- mäßig im Zuge des Verfahrens vom Finanzministerium dazu genutzt, neue verschärfende Regelungen zulasten der Steuerpflichtigen einzuführen. Die rot-grünen Abge- ordneten sind hierbei unter dem Vorsitz von Frau Scheel im Finanzausschuss willfährige Diener der Finanzverwal- tung. Von Eigenständigkeit oder auch dem Anspruch, als Abgeordnete Politik gestalten zu wollen, hat Rot-Grün sich längst entfernt. Die Steuerpolitik der Koalition war und ist handwerk- lich miserabel, woran diese Korrekturen nichts ändern. Sie hätten aber wenigstens einen gravierenden Fehler än- dern müssen: In Ihrem Aktionismus unter dem Deckman- tel der Terrorismusbekämpfung haben Sie eine Unzahl kleiner Steuersünder zu Verbrechern gemacht. Wer zum Beispiel wiederholt seinen Weg zur Arbeit für das Fi- nanzamt falsch und länger angibt oder auch Zinsen nicht angibt, wird nunmehr als Verbrecher behandelt und muss mit einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr rech- nen. Auch die Möglichkeit einer strafbefreienden Selbst- anzeige, einer Einstellung des Verfahrens und Ähnlichem ist nicht gegeben. Für die FDP ist es unstreitig, dass Steuerhinterziehung strafbar ist, strafbar bleiben muss und verfolgt werden muss. Daran gibt es nichts zu deuteln. Rot-Grün hat hier je- doch maßlos und in absurder Weise überzogen. Die FDP wird diese Regelung nach der Bundestagswahl korrigieren. Ferner ist es absurd, dass mit Wirkung ab dem 1. Juli 2002 jeder Unternehmer auf jeder Rechnung seine Steuer- nummer anzugeben hat. Aufgrund einer europäischen Richtlinie hat jeder Unternehmer ab dem 1. Januar 2004 auf jeder Rechnung die Umsatzsteuer-Identifikationsnum- mer anzugeben. Deshalb ist die Verpflichtung zur Angabe der Steuernummer auf der Rechnung überflüssig. Zudem ist in der Anhörung gerade seitens der Finanzverwaltung vorgetragen worden, dass die Angabe der Steuernummer die vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Finanzamt und Steuerpflichtigen, beziehungsweise deren Steuerbera- ter, gefährdet, weil es bisher teilweise übliche Praxis sei, dass der Steuerpflichtige unter Angabe seiner Steuernum- mer telefonische Auskünfte vom Finanzamt erhalte. Hier- von müsste zukünftig abgesehen werden, da die Steuer- nummer des Steuerpflichtigen durch diese Regelung jedem Kunden und damit nahezu jedermann bekannt sei. Die FDP reicht Rot-Grün bei dieser weiter gehenden Chaotisierung und Flickschusterei der Steuergesetzgebung nicht die Hand. Deshalb lehnt die FDP dieses Gesetz ab. Heidemarie Ehlert (PDS): Das Anliegen des vorlie- genden Gesetzentwurfs ist, soweit es um die Ausbildung von Steuerbeamten geht, zu begrüßen. Allerdings liegen die Tücken im Detail. Gut ist, dass künftig Absolventen der Ausbildung zum mittleren Dienst den Titel Finanzwirt erhalten. Mit dieser Berufsbezeichnung ist bei Nichtübernahme in den öffent- lichen Dienst – was ja gerade angesichts der Sparmaß- nahmen nicht mehr ungewöhnlich ist – auch die Arbeit- suche erleichtert. Für außerordentlich problematisch halte ich die Festle- gung, dass der Aufstieg von Beamten des einfachen und des mittleren Dienstes in die nächsthöhere Laufbahn künftig auf Länderebene geregelt werden soll. Ein Auf- stieg ist dann nur möglich, wenn die Länderkassen gefüllt sind. Angesichts der gegenwärtigen Finanzsituation in ei- ner ganzen Reihe von Ländern, die durchaus nicht nur hausgemacht ist, wird es in reichen Ländern leichter sein, aufzusteigen, als in armen Ländern. Und das, obwohl die Arbeitsaufgaben die gleichen sind. Als kontraproduktiv empfinde ich die Regelung, dass im gehobenen Dienst in der Finanzverwaltung der Quer- einstieg ermöglicht werden soll. Die Anforderungen an die Finanzverwaltungen sind in den vergangenen Jahren aufgrund der fortlaufenden Veränderungen in der Steuer- gesetzgebung gewachsen. Anliegen des Gesetzes ist die Verbesserung der Ausbildung künftiger Steuerbeamter, damit sie erfolgreich in den Dienst einsteigen können. Aber nun auf einmal soll Beamten ohne eine entspre- chende Ausbildung der Einstieg ermöglicht werden. Der Hintergrund ist mir schon bewusst. Durch die Änderung des Versorgungsgesetzes soll ein Beamter, der vorzeitig aus welchen Gründen auch immer in den Ruhestand ver- setzt wurde, wieder zurück in den öffentlichen Dienst. Wenn es für andere Aufgaben nicht reichen sollte, kann er dann immer noch in die Finanzverwaltung. Ich frage Sie: Wozu sollen die jungen Leute eigentlich dann drei Monate länger oder überhaupt studieren? Soweit zur Ausbildung der künftiger Steuerbeamten. Aber diesem Gesetzentwurf erging es ähnlich wie ei- ner ganzen Reihe von Gesetzen, die in den letzten Mona- ten eine erstaunliche Metamorphose erlebten. An ein Ge- setz, in dem es um die Ausbildung von Steuerbeamten gehen sollte, wurde die Änderung von zehn weiteren Ge- setzen sowie der Gewerbesteuer-Durchführungsverord- nung und der Abgabenordnung angehängt. Diese 35 Än- derungen – ich betone: 35 – haben mit dem eigentlichen Gesetzentwurf nichts, aber auch gar nichts zu tun. Sie sind das Zeichen für eine unseriöse Arbeit der Regierung. Die jüngsten Steueränderungsgesetze wurden mit der heißen Nadel gestrickt. Das gilt für die Berichtigung feh- lerhafter Verweise oder redaktioneller Versehen, vor al- lem aber für inhaltliche Korrekturen. Die Steuergesetzge- bung unter Rot-Grün ist chaotisch und entspricht nicht mehr dem verfassungsrechtlichen Gebot, dass Gesetze Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. April 200223386 (C) (D) (A) (B) einfach und für den Einzelnen überschaubar ausgestaltet sein müssen. Aber auch die nun vorgesehenen Änderungen sind nicht unbedingt ein Lichtblick. Lassen sie mich ein Bei- spiel nennen: die Problematik der elektronischen Signa- tur. Die Angleichung an die EU-Richtlinie ist notwendig, auch um den Umsatzsteuerbetrug wirksam zu bekämpfen. Unredlich aber ist es, dass kein Wort zu den daraus ent- stehenden Kosten gesagt wird. Und diese werden nicht unerheblich sein. Ich nehme an, diese werden wie üblich bei den Verbrauchern landen. Eine Änderung des Einkommensteuergesetzes, die im Gesetzentwurf formuliert ist, begrüßen wir ausdrücklich: die Gewährung des Haushaltsfreibetrages für alle Allein- erziehenden bis zum Jahr 2005. Hier hat unser Druck im Parlament eine Änderung zugunsten zahlreicher Allein- erziehender herbeigeführt. Leider spät, denn das Problem ist schon lange bekannt. Aber besser als gar nicht. Die Formulierung in § 32 Abs. 7 Satz 6 des Einkom- mensteuergesetzes, wonach bereits ab Januar Alleinerzie- hende, die den Haushaltsfreibetrag noch nicht im vergan- genen Jahr geltend machen konnten, diesen nicht mehr erhielten, ist nun gestrichen. Vier Monate benötigten Sie dazu. Klar ist aber noch nicht, wie schnell die betroffenen Alleinerziehenden zu ihren zu viel gezahlten Steuern kommen: ob im nächsten Monat eine entsprechende Än- derung der Steuerklasse und eine Rückerstattung erfolgt oder ob sie auf die Einkommensteuererklärung am Ende des Jahres warten müssen. Spannend ist die Frage, wie das Problem nun bis 2005 gelöst wird. Wir würden gern den Bundeskanzler mit sei- nen jüngsten Äußerungen beim Wort nehmen: Trauen sie sich, schaffen sie das Ehegattensplitting ab! Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen:Der vorgelegte Entwurf ei- nes Fünften Gesetzes zur Änderung des Steuerbeam- ten-Ausbildungsgesetzes und zur Änderung von Steuerge- setzen soll die bewährte Aus- und Fortbildung der Steuerbeamten der Länder an gewandelte Anforderungen anpassen, denen sie angesichts stetiger Veränderungen in Staat und Gesellschaft Rechnung tragen müssen. Beispiel- haft seien die Reformbestrebungen zur Realisierung einer effizienten und bürgerorientierten Verwaltung genannt. Zu berücksichtigen sind aber auch die Globalisierung der Wirtschaft und die Entwicklung neuer Informations- und Kommunikationstechnologien. Die Ausbildung legt hier- bei die entscheidende Grundlage: Sie ermöglicht dem Steuerbeamten, sich dieses vom Wandel und einer lebens- langen Weiterbildung geprägten beruflichen Alltags stel- len zu können. Durch den Gesetzentwurf wird in allen Laufbahnen neben der Fachkompetenz vermehrt Raum für die Ver- mittlung methodischer und sozialer Kompetenzen ge- schaffen. Die Änderungen betreffen im Wesentlichen die Laufbahn des gehobenen Dienstes. Hier wird den geän- derten Ausbildungsinhalten durch eine Verlängerung der Fachstudien von bisher 18 auf 21 Monate Rechnung ge- tragen. Dies erfolgt ohne Verlängerung der Gesamtdauer des dreijährigen Fachhochschulstudiums. Die dadurch geschaffenen Freiräume werden für die neuen theoreti- schen Anforderungen an das Studium benötigt. Im Übri- gen erfolgt eine Harmonisierung mit landesrechtlichen Vorschriften für die Teilzeitbeschäftigung und den Auf- stieg von Beamtinnen und Beamten. Der Bundesrat hat in seiner Stellungnahme zwei Ände- rungsvorschläge gemacht. Der erste Vorschlag betrifft den Laufbahnwechsel aus anderen Laufbahnen in die Lauf- bahn der Steuerbeamten. Dem Anliegen, einen solchen Laufbahnwechsel zu ermöglichen, wird grundsätzlich zu- gestimmt. Vor einer endgültigen Gesetzesänderung und der damit untrennbar verbundenen Änderung der Ausbil- dungs- und Prüfungsordnung für die Steuerbeamten bedarf es aber noch einer Abstimmung mit den obersten Finanzbehörden der Länder. Daher wurde dieser Antrag zurückgestellt. Er wird, sobald eine zwischen Bund und Ländern abgestimmte Fassung vorliegt, weiter verfolgt. Der zweite Vorschlag empfiehlt, § 6 – die Vorschrift über den Aufstieg in höhere Laufbahnen – zu ergänzen. Durch diesen Vorschlag, bei dem es sich im Prinzip le- diglich um eine Neuformulierung handelt, wird klarge- stellt, dass die Steuerbeamten mit den Beamten anderer Laufbahnen gleich behandelt werden sollen. Darüber hinaus wurde die Vorschrift über das In-Kraft-Treten dieses Gesetzes modifiziert. Hierdurch soll sichergestellt werden, dass auch bei möglichen Ver- zögerungen im Gesetzgebungsverfahren die Bundeslän- der, die schon zum 1. Juli 2002 neue Anwärter einstellen, dies nach neuem Recht tun können. Insgesamt wird durch die Anpassung des Gesetzes die Steuerbeamtenausbildung modernisiert und zukunftswei- send ausgestaltet. Bund und Länder sind sich einig, das bewährte verwaltungsinterne duale System dieser Ausbil- dung in Form von enger Verzahnung von Fachtheorie und Fachpraxis beizubehalten. Nur so wird das allseits anerkannte hohe Leistungsniveau der Steuerverwaltung zu halten sein. Daneben enthält der Gesetzentwurf steuerliche Verbes- serungen für Alleinerziehende. Er sieht vor, alle Alleiner- ziehenden in die Abschmelzregelung für den Haushaltsfrei- betrag ab 2002 einzubeziehen. Nach dem Zweiten Gesetz zur Familienförderung wird damit ein weiterer großer Schritt zugunsten von Familien getan. Die Neuregelung trägt den Besorgnissen der Alleinerziehenden vor einer steuerlichen Schlechterstellung Rechnung. Die Regierung setzt damit einen weiteren Meilenstein bei der besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Daneben werdenAl- leinerziehende durch die steuerliche Absetzbarkeit von er- werbsbedingten Betreuungskosten sowie die Anhebung des Kindergeldes massiv entlastet. Das sind die Elemente einer Politik für Familien; die wir auch nach der Wahl fortsetzen werden. Darüber hinaus enthält der Gesetzentwurf mit den Län- dern abgestimmte Klarstellungen im Investitionszulagen- gesetz 1999 und Erleichterungen bei der Anerkennung elektronischer Rechnungen im Vorgriff auf die Umsetzung einer EU-Richtlinie vom 20. Dezember 2001. Dadurch wird eine elektronische Rechnung bei der Umsatzsteuer Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. April 2002 23387 (C) (D) (A) (B) bereits dann anerkannt, wenn sie mit einer qualifizierten elektronischen Signatur nach dem Signaturgesetz ver- sehen ist. Eine Anbieterakkreditierung ist dann nicht mehr zwingend erforderlich. Die Anforderungen an die elektro- nische Abrechnung werden damit wirtschaftsfreundlich an europäisches Recht angepasst. Anlage 12 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Umweltauditgesetzes (Tagesord- nungspunkt 30) Petra Bierwirth (SPD):Mitte der 90er-Jahre wurde im Bereich des Umweltmanagements in Unternehmen ein neuer Weg beschritten. Die europäische Ökoaudit-Ver- ordnung trat in Kraft. Statt staatlichem Zwang stehen Ko- operation, Eigenverantwortung, freiwillige Initiative der Betriebe in Zukunft im Vordergrund. Für die Unternehmen hat sich hier eine neue Tür geöff- net, bewusst und verantwortungsvoll mit der Umwelt um- zugehen und dieses auch vor der breiten Öffentlichkeit be- kannt zu machen. Vor allem angesichts des zunehmenden Umweltbewusstseins der Bevölkerung ist dies ein nicht zu unterschätzender Wettbewerbsvorteil. Eine Vielzahl von Unternehmen betrachtet zudem diese Investition in den Umweltschutz als normale Investition mit folgenden Rationalisierungs- und Qualitätssteigerungseffekten. So hat sich in vielen gewerblichen Unternehmen das Ökoaudit etabliert. Im europäischen Vergleich liegt die Zahl der in Deutschland registrierten Standorte mit fast 2 700 Unternehmen sehr hoch. In der gesamten Europä- ischen Union sind es im Oktober 2001 etwas mehr als 3 000 Unternehmen gewesen, die sich nach EMAS zerti- fiziert haben. Gleichwohl muss man zur Kenntnis nehmen, dass die Zahl der Unternehmen, die sich am System des Umwelt- audit beteiligen, stagniert, wohingegen die Beteiligung an dem internationalen Zertifizierungssystem ISO 14001 zu- nimmt. Aus meiner Sicht bietet zum einen die im Rahmen der/des IVU/UVP geschaffene Möglichkeit einer Privile- gierungsverordnung, die bereits auf einem guten Weg ist, und zum anderen die Umsetzung der EMAS-II-Verord- nung Chancen, den Kreis der Teilnehmer zu erweitern. Ich begrüße es sehr, dass nunmehr durch die Ein- führung eines Logos für zertifizierte Unternehmen die Möglichkeit besteht, sichtbar mit ihrem Engagement für die Umwelt zu werben. Nach Einschätzungen der Spit- zenverbände der deutschen Wirtschaft liegt hier auch ein großes Interesse bei den Unternehmen vor. Das Logo wurde im Übrigen auf wesentliche Initiative des EU-Mit- gliedslandes Deutschland geschaffen. Zukünftig können sich nun endlich auch alle Organisa- tionen an diesem freiwilligen System beteiligen. Bisher war es nach EMAS I nur für Gewerbe und Industrie mög- lich. Nun können beispielsweise auch Schulen, landwirt- schaftliche Betriebe oder Behörden am Umweltauditsys- tem teilnehmen. Ich halte dies für einen großen Fortschritt und begrüße es sehr, dass das Umweltbundesamt im vergangenen De- zember als erste Bundesbehörde seine Umwelterklärung vorgelegt hat. Ich habe die Hoffnung, dass weitere Bun- desbehörden zügig folgen werden. Eine wichtige Neuregelung gerade vor dem Hinter- grund der neusten Zahlen über die Beteiligung am euro- päischen Umweltauditsystem ist die Angleichung der Systemanforderungen von EMAS II und der ISO 14001. Unternehmen können so auf einfache Art und Weise über ISO 14001 in EMAS II einsteigen. Aus Umweltsicht besonders wichtig ist, dass die An- forderungen an die Einhaltung der Rechtsvorschriften als Voraussetzung der Eintragung in das EMAS-Register ge- stärkt wird. Dieses gilt selbstverständlich auch für die Aufrechterhaltung der Eintragung. Die externe Kommu- nikation und die Motivation und Einbeziehung der Mitar- beiter werden mit der neuen EMAS-Verordnung gestärkt. Gerade die verstärkte Einbeziehung von Mitarbeitern ei- nes Unternehmens in die Planung von betrieblichen Um- weltschutzmaßnahmen erhöht deren Indentifizierung mit dem Unternehmen selbst. Ein Ergebnis sind Produkti- vitätssteigerungen und Kosteneinsparungen. Umweltmanagement und Umweltaudit sind hervorra- gende Instrumente, um mehr Umweltschutz mit mehr Ei- geninitiative und mit mehr Wirtschaftlichkeit zu verbin- den. Ordnungsrecht und deregulierende Maßnahmen durch vorgesehene Erleichterungen im Genehmigungs- verfahren stehen hier nicht im Widerspruch zueinander. Sie ergänzen sich. Eine Voraussetzung, dass dies so bleibt, ist, dass alle Unternehmen bzw. Organisationen, Umwelt- gutachter, Behörden und Politik sich gemeinsam dafür einsetzen. Das EG-Umweltaudit bietet große Chancen. Wir müssen sie nutzen. Bernward Müller (Jena) (CDU/CSU): 1995 betraten wir mit der Einführung des Ökoaudits in Deutschland Neuland. Neu war der Ansatz, Unternehmen zum freiwil- ligen Mitmachen zu bewegen, statt ihnen Vorschriften zu machen. Neu war die Einbeziehung der wirtschaftlichen Selbstverwaltung in die Registrierung. Neu war auch der Umweltguterachterausschuss, ein weisungsunabhängiges Beratungsgremium, das alle am Umweltaudit interessier- ten gesellschaftlichen Kräfte einbindet. Damit waren und sind wir im europäischen Vergleich einzigartig. Heute geht es um die Anpassung unseres deutschen Umweltauditgesetzes an neue Vorgaben der EU. Und diese Anpassung ist dringend notwendig. Entsprechend der neuen EU-Richtlinie – EMAS II – sieht der heute zur Debatte stehende Gesetzentwurf einige wichtige Ände- rungen vor. Gestatten Sie mir, dass ich diese noch einmal kurz zusammenfasse, zum einen, damit wir wissen, wo- rüber wir reden, und zum anderen, damit Sie wissen, warum wir von der CDU/CSU-Fraktion diesem Entwurf zustimmen, obwohl es auch in diesem Bereich der rot- grünen Umweltpolitik viel zu kritisieren gibt. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. April 200223388 (C) (D) (A) (B) Kernpunkte des vorliegenden Gesetzentwurfs sind die Ausweitung des Teilnehmerkreises, der Übergang von der standortbezogenen zur organisationsbezogenen Regis- trierung, die Integration von Regelungen der ISO-Norm 14001 und die Schaffung von Rechtsgrundlagen für die Zulassung von Umweltgutachtern und Umweltgutachter- Organisationen. Ich nenne nur die Stichworte: Regelun- gen zum Prüfungsstoff, Regelaufsicht der Gutachter alle zwei statt drei Jahre, Witnessaudit alle sechs Jahre statt wie bisher alle drei Jahre. Zunächst sind dies eine ganze Reihe sinnvoller Änderungen. Ich möchte noch einmal ausdrücklich beto- nen, dass die CDU/CSU-Bundestagsfraktion den vorlie- genden Gesetzentwurf begrüßt. Das Gesetz weist grundsätzlich in die richtige Richtung. Besonders wichtig erscheint uns die Öffnung des Umweltaudits für die nicht gewerbliche Wirtschaft und die Zusammenführung der er- folgreichen ISO-Norm 14001 und EMAS. Doch reicht das aus? Geht das weit genug? Halten wir uns noch einmal das Ziel – unser gemein- sames Ziel – vor Augen: Möglichst viele Unternehmen sollen sich am Ökoaudit beteiligen, die Attraktivität dieses freiwilligen Umwelt- managements soll gestärkt, seine Effizienz erhöht werden. Das alles sind Ziele, die wir fraktionsübergreifend ge- meinsam verfolgen. Dazu reichen die im Gesetzentwurf vorgeschlagenen Regelungen allein aber nicht aus. Es bedarf noch weitaus mehr als das, was jetzt als Minimal- paket in diesem Gesetzentwurf steckt. Lassen Sie mich zur Verdeutlichung einen Blick auf die derzeitige Situation des Management-Systems werfen: Zum 31. März dieses Jahres gab es nach Auskunft des zentralen EMAS-Registers – DIHK – insgesamt 2 560 am Ökoaudit beteiligte Unternehmen in Deutschland. – Wenn Sie mir diese Nebenbemerkung gestatten wollen. – Dies ist ein Ergebnis, das zu einem großen Teil bis 1998 unter der CDU/CSU geführten Bundesregierung erreicht wurde. Damit sind wir derzeit noch führend in Europa; das ist – wenn Sie mir eine weitere Anmerkung erlauben – we- nigstens ein Bereich, in dem wir seit Antritt der rot-grü- nen Regierung noch nicht die rote Laterne tragen. Doch haben wir in Deutschland nun wahrlich keinen Grund, uns selbst auf die Schulter zu klopfen. Von den beiden Unter- nehmen, die 1995 als erste zertifiziert wurden, nimmt heute nur noch eines am Umweltaudit teil. Hätten wir alle Unternehmen bei der Stange gehalten, wären es heute weit mehr als 3 000 Teilnehmer. Inzwischen reichen die monatlichen Neuregistrierungen jedoch nicht mehr aus, um die Streichungen zu kompensieren. Und die Aussichten sind noch schlechter: Denn wenn die zurzeit noch aktiven Förderprogramme in den neuen Bundesländern auslaufen, wird auch der dort erfreulich hohe Zulauf zum Umweltmanagementsystem geringer ausfallen: Gleichzeitig müssen wir mit weiteren Strei- chungen von Unternehmen aus unserer Teilnehmerliste rechnen. So zeichnet sich heute ein dramatisches Absin- ken der Zahl auditierter Unternehmen ab: einerseits durch Verluste bei den bislang teilnehmenden Betrieben, ande- rerseits durch mangelnden Neuzufluss. Schon bald wird, wenn wir jetzt nicht handeln, das Ökoaudit in Deutsch- land nur noch eine Episode der Umweltgeschichte sein. Der Auftrag an uns als Politiker ist klar: Die Attrak- tivität der Teilnahme muss gesteigert werden. EMAS muss einen angemessenen Platz im großen Instrumenten- kasten des Umweltrechts erhalten. Schon 1995 erkannte der Deutsche Bundestag in einer Entschließung dem Öko- audit ein erhebliches Deregulierungspotenzial zu. Die Frage ist: Wo kann der Staat seine Kontrolldichte zu- rückfahren? Ich verspreche gerade den Genossen von PDS und SPD, die immer betont kritisch auf die Eigenver- antwortlichkeit der Unternehmen blicken, ich verspreche Ihnen, es ist möglich. Es hat sich doch deutlich gezeigt: EMAS ist nur im Bündnis von Wirtschaft und Staat erfolgreich. Der Beitrag der Wirtschaft ist dabei die freiwillige Teilnahme am Um- weltaudit. Der Beitrag des Staates ist die Gewährung von Vollzugserleichterungen. Vergleicht man die Zahl der EMAS-Teilnehmer in den Bundesländern, lässt sich nach- weisen: Wo Staat und Wirtschaft kooperieren, erhöht sich die Stabilität der EMAS-Teilnahmen. Auf Länderebene sprechen die Zahlen für sich: Es gibt eine auffällige Korrelation zwischen der Bereitschaft der Länder, sich auf ein solches Bündnis mit entsprechenden Privilegierungen einzulassen, und dem Engagement der Unternehmerschaft in Sachen EMAS. Der Freistaat Bayern hat beispielsweise im letzten Jahr eine besonders interessante Regelung für EMAS-Unter- nehmen erlassen. Diese erhalten in emissionsschutzrecht- lichen Genehmigungsverfahren eine Gebührenermäßi- gung von 30 Prozent. Begründet wird diese Ermäßigung mit der Annahme, dass auditierte Unternehmen bessere und deshalb einfacher und schneller zu überprüfende An- tragsunterlagen einreichen. Bayern besaß im letzten Mo- nat mit 21,7 Prozent bundesweit die höchste Beteiligung von Organisationen. Auf Platz zwei finden wir das Land Baden-Württemberg mit 14,5 Prozent. Auch in den neuen Bundesländern findet sich eine erfreuliche Bereitschaft, sich an dem Ökoaudit zu beteili- gen. Wir in Thüringen konnten zum Beispiel die Zahl der teilnehmenden Unternehmen von 1999 bis heute verdop- peln, und zwar von 76 auf 151. Fraglich ist allerdings, was wird, wenn die in den neuen Bundesländern laufenden Förderprogramme enden. Fraglich ist auch, ob für die kleinen mittelständischen Unternehmen in den neuen Bundesländern die Beteiligung an EMAS aus finanziellen Gründen überhaupt noch möglich ist. Steigende Ausga- ben, vor allem durch Steuererhöhungen und steigende Ab- gaben haben in den letzten Jahren die Finanzlage der Un- ternehmen erheblich verschlechtert. Nordrhein-Westfalen hat dagegen seit 1999 einen sagenhaften Einbruch bei den auditierten Unternehmen erlitten. Von guten 19,2 Prozent im Dezember 1999 sank die Beteiligungsquote im Land auf 13,1 Prozent im März dieses Jahres – Tendenz fallend. Ich möchte diese bedauerliche Entwicklung vor allem in den SPD-geführten Bundesländern nicht weiter aus- breiten. Eines wird aber deutlich: Die Regierungsverant- wortlichen dieser Bundesländer müssen noch begreifen, dass ein Bündnis aus zwei Seiten besteht: aus Nehmen und Geben! Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. April 2002 23389 (C) (D) (A) (B) Meine Frage ist also nicht: Reicht der vorliegende Gesetzentwurf aus, um dieser fatalen Entwicklung Herr zu werden? Das ist eine Frage, die man sich nach einem genauen Blick auf die Situation des Ökoaudits in Deutschland seit dem Regierungsantritt von Rot-Grün nicht mehr zu stellen braucht. Die Frage lautet vielmehr – und sie ist wesentlich konstruktiver –: Was können wir für die Zukunft tun? Die Attraktivität steigern, das ist die kurze Antwort. Und das ist die einzig vernünftige Ant- wort, wollen wir EMAS in Deutschland nicht aufgeben. Zu diesem Lösungsansatz gab es in dieser Legis- laturperiode einen dankenswerten Antrag der FDP- Fraktion, den wir von der CDU/CSU unterstützt haben. Diesen Antrag haben Sie, liebe Umweltfreunde der rot-grünen Regierungskoalition, vor zwei Jahren verwor- fen. Doch was haben Sie geleistet? Von Ihnen kam nichts. Und das haben die Unternehmen auch gemerkt. Vonseiten der Wirtschaft wurde der Vorwurf geäußert, dass Rot-Grün vier Jahre lang nichts getan hat, um die At- traktivität des Umweltaudits zu erhöhen. Dabei hätten Sie mit der Privilegierungsverordnung ein deutliches Zeichen setzten können. Aber da Sie nicht auf die Betroffenen hören, wissen Sie auch nicht, was getan werden muss. Sie beschränken sich auf Ankündigungen, Absichtserklä- rungen und Versprechungen. Ich erinnere an die Ankün- digungen der Parlamentarischen Staatssekretärin Probst in der letzten Ausschusssitzung: Logo, Werbekampagne, eigene Aktivitäten verstärken. Das alles hätte schon ge- schehen können. Aber am Ende – genau wie jetzt am Ende des 14. Deutschen Bundestages – kommt dabei im besten Falle eine Menge heißer Luft heraus. Was haben Sie ihren hoffnungsvollen Wählerinnen und Wählern nicht alles versprochen! Was haben Sie hier im Plenum nicht alles angekündigt! Reformstau wollten Sie verhindern, den Wirtschaftsstandort Deutschland stärken. Und was haben Sie dann tatsächlich getan? Meine Damen und Herren von Rot-Grün, man hatte mehr von Ihnen er- wartet. Was Sie heute vorlegen, ist allenfalls ein guter, un- terstützenswerter Ansatz. Aber als Ergebnis von vier Jah- ren Regierungsarbeit ist das, was Sie mit diesem Gesetzentwurf zur Änderung des Umweltauditgesetzes abliefern, ein Armutszeugnis. Nein, Sie haben viele wichtige Aspekte einer wirksa- men Umweltpolitik verschlafen. Ihre Ökosteuer und der vermeintliche Atomausstieg sind der falsche Weg. Sie ha- ben verzögert und vernachlässigt, wo es sich anbot. Kurz gesagt: An Ihrer Politik ist Hopfen und Malz ver- loren. Wir von der CDU/CSU-Fraktion sind überzeugt: Die erfolgreiche Weiterführung von EMAS ist nicht nur zu unterstützen, sondern zu beschleunigen. Deregulierung ist ein entscheidender Schlüssel zur Steigerung der Attrakti- vität des Umweltaudits. Ein weiteres wichtiges Mittel zur Erhöhung der Attraktivität für teilnahmewillige Unter- nehmen ist die Gewährung von Erleichterungen beim Vollzug des Umweltrechts. Es hat sich gezeigt, dass es sich aus umweltpolitischen Gründen empfiehlt, Öko- audit-Betrieben Vollzugserleichterungen zu gewähren. Die Teilnehmer am Ökoaudit wollen ein verändertes Ver- hältnis zu den Behörden und administrative Entlastung durch Reduzierung von gesetzlichen Mess- und Berichts- pflichten. Das sollte uns ein Zeichen sein, hier endlich tätig zu werden. Gerade der Mittelstand, der es in diesen Zeiten beson- ders schwer hat, sollte durch Erleichterungen gefördert werden. Für ein mittelständisches Unternehmen sind bei- spielsweise die Kosten für die Auditierung, meist in Höhe einer fünfstelligen Summe, äußerst abschreckend. Hier kann wie im erfolgreichen bayerischen Modell Abhilfe zum Nutzen aller geschaffen werden. Denken Sie, meine Damen und Herren von Rot-Grün, doch einmal über eine Begünstigung von auditierten Be- trieben im Rahmen Ihres Lieblingsthemas, der Ökosteuer, nach. Und noch besser: Denken Sie nicht nur, sondern han- deln Sie bei Gelegenheit auch einmal – am besten zügig und verantwortungsvoll für die Umwelt, wie Sie es Ihren Wählern versprochen haben. Mit EMAS haben wir ein System installiert, das eine großartige Chance bietet: die Chance, Umweltschutz an- ders zu organisieren, als dies gewöhnlich geschieht. Diese Chance besteht. Rot-Grün hat sie verschlafen. Ich bin überzeugt, dass wir nach dem 22. September dieses Jah- res den unter einer unionsgeführten Bundesregierung so erfolgreich begonnenen Weg des Ökoaudits wieder mit einer unionsgeführten Bundesregierung erfolgreich fort- setzen werden. Birgit Homburger (FDP): Mit diesem Gesetz wird das Umweltauditgesetz (UAG) von 1995 einerseits an die seit dem 27. April 2001 unmittelbar in jedem Mitgliedstaat der EG geltende so genannte EMAS-II-Verordnung ange- passt und zugleich wird mit kleinen Änderungen auf die praktischen Erfahrungen mit dem geltenden UAG reagiert. Der UAG-Entwurf enthält Ausführungsvorschriften und ergänzt als nationale Regelung die EMAS-II-VO. Auch die aufgrund der praktischen Erfahrungen mit dem UAG vorgenommenen Änderungen erscheinen mir sachgerecht, sodass wir diesem Gesetz zustimmen werden. Das freiwillige Ökoaudit ist ein erfolgreiches umwelt- politisches Instrument. Ziel ist es, über integrierte be- triebliche Umweltmanagementsysteme zusätzliche Ef- fekte für den Umweltschutz zu erreichen, bei gleichzeitig hoher Effizienz für die Betriebe. Leider litt die Akzeptanz daran, dass mit der ISO 14001 ein praktikableres, ökologisch weniger anspruchsvolles Umweltmanagementsystem existiert, das sich internatio- nal durchgesetzt hat. Deshalb haben wir gleich zu Beginn der Legislaturperiode einen Antrag zur Steigerung der At- traktivität des Umweltaudits in den Deutschen Bundestag eingebracht. Die FDP begrüßt, dass nunmehr das Umweltmanage- mentsystem nach DIN ISO 14001 in das EG-Ökoaudit- System integriert worden ist. Dies war eine wesentliche Forderung aus dem FDP-Antrag. So wird Doppelarbeit vermieden und es wird die Entscheidung erleichtert, noch einen Schritt weiter zu gehen und sich auch nach der Öko- audit-Verordnung bzw. UAG registrieren zu lassen. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. April 200223390 (C) (D) (A) (B) Ebenso zu begrüßen ist, dass der Teilnehmerkreis ausge- weitet wird und das EMAS-Zeichen für Werbezwecke ver- wendet werden kann. Das reicht jedoch bei weitem nicht aus, um die Attrakti- vität des Ökoaudits zu steigern. Es muss für registrierte Or- ganisationen deutliche Vollzugserleichterungen geben. Hier kommen Erleichterungen bei Genehmigungsverfah- ren, Entlastung bei Berichtspflichten, Nachweisverfahren und der Überwachung für registrierte Organisationen in Betracht. Auch dies hatten wir schon zu Beginn der Legis- laturperiode gefordert. Die FDP fordert daher weitere Maß- nahmen auf Bundesebene, um endlich neue Impulse für das Umweltaudit zu geben. Hier hat Rot-Grün erneut versagt. Viel zu spät wurde die Bundesregierung aktiv. Es soll jetzt noch eine Privilegierungsverordnung verabschiedet werden. Wir sind genauso gespannt wie die zertifizierten Organisationen, was da kommen soll. Bisher wurde nur geredet, nicht gehandelt. Sie haben auch in diesem Be- reich vier Jahre verschlafen. Darüber hinaus sind auch die Länder in der Pflicht. In manchen Bundesländern gelten immerhin reduzierte Ge- bühren im immissionsschutzrechtlichen Genehmigungs- verfahren. Das ist ausbaufähig. Umweltmanagementsysteme kommen nicht nur den Unternehmen, sondern besonders auch der Umwelt zu- gute. Organisationen, die von sich aus ein Umweltmana- gementsystem installieren und dies von unabhängigen Gutachtern überprüfen lassen, haben einen Vertrauens- vorschuss und entsprechende organisatorische Erleichte- rungen verdient. Die FDP wird sich auch und gerade aus ökologischen Gründen weiter für erforderliche Deregu- lierungen für registrierte Organisationen einsetzen. Eva Bulling-Schröter (PDS): Der Gesetzentwurf übernimmt die neue EMAS-II-Verordnung der EU und damit auch alle ihre Verschlechterungen beim Umwelt- audit. Rot-Grün ignoriert dies und bastelt unbeirrt weiter an einer Verordnung zur ordnungsrechtlichen Privilegie- rung von auditierten Unternehmen. Eine gefährliche Mi- schung. So ist die umfassende Umweltbetriebsprüfung bei EMAS II auf eine stichprobenhafte Umweltbetriebs- prüfung reduziert worden. „Eine schwer verständliche Abschwächung“, wie der Sachverständigenrat für Um- weltfragen feststellt. Es ist jetzt auch möglich, Teilstand- orte nach Ökoaudit-Verordnung überprüfen zu lassen zum Beispiel einen Unternehmensstandort ohne die „marode“ Abfallanlage. Die umfassende Einhaltung der Umweltvorschriften ist mit EMAS II also noch weniger als bisher Gegenstand der Umwelterklärung. Lediglich bekannt gewordene Ver- stöße führen zur Verweigerung dieser Erklärung. Eine Attestierung der Einhaltung der Umweltvorschriften wird auch nicht im vorliegenden Gesetzentwurf als Registrie- rungsvoraussetzung verankern, und dies, obwohl der Bundestag das im letzten Jahr mit dem Artikelgesetz als Voraussetzung für die sogenannten Ökoaudit-Privilegie- rung beschlossen hat. Wir sind der Meinung – und stimmen da nicht nur mit dem DGB, sondern auch mit dem Umweltrat überein, dass logischerweise nur das, was auch tatsächlich im Um- weltaudit geprüft wird, durch ordnungsrechtliche Erleich- terungen zu rechtfertigen ist. Die Privilegierung sieht aber vor, dass die Unternehmen nur noch auf Anforderung die bislang gesetzlich vorgeschriebenen Berichte an die Behörden vorlegen sollen. Der Umweltgutachter be- kommt so aber kaum Informationen bei der Einsicht in die Unterlagen, da es keinen Schriftverkehr mit der Behörde mehr gibt, aus denen er bisher Hinweise auf Rechtsver- stöße entnehmen konnte. Die Behörde ihrerseits hat bei der Regelanfrage der IHK vor der Ökoaudit-Registrie- rung ebenfalls keine Unterlagen mehr vorliegen, aus de- nen Umweltrechtsverstöße erkennbar wären. Es steht also zu befürchten, dass das Ökoaudit sich von einem Instru- ment zur kontinuierlichen Verbesserung des betrieblichen Umweltschutzes hin zu einem Instrument zur Deregulie- rung bewährten Umweltrechtes entwickelt: Die Unter- nehmen nehmen am Ökoaudit teil, und die Behörden se- hen infolge der deutschen Privilegierung bei diesen immer seltener hin. Wir vermissen zudem die Änderung der Besetzung des Umweltgutachterausschusses. Wenn das Ökoaudit von ursprünglich nur „gewerblichen Unternehmen“ auf Land- wirtschaft, Behörden oder Kommunen erweitert wird, muss dies auch für den Ausschuss gelten. Dies hat man wohl im § 22 UAG vergessen. Noch ein Wort zur Zertifizierung der Umweltgutachter. Die Unternehmen könne ihn sich selbst aussuchen. Dass ein solches System nicht gerade dazu neigt, den korrek- testen Gutachter zu bestellen, stellt auch der Umweltrat lakonisch fest. Dass die Wirtschaft mit dem deutschen Akkreditierungsgremium – der DAU – die Aufsicht über sich selbst ausübt, haben wir schon bemängelt, seit es in Deutschland ein Umweltaudit gibt. So ist es auch kein Wunder, dass nach Berichten des WDR in Hanau die Degussa das Ökoaudit bekam, obwohl sie gesetzlich vorgeschriebene Grenzwerte, beispiels- weise beim Abwasser, bei weitem überschritt. Jürgen Trittin, Bundesminister für Umwelt, Natur- schutz und Reaktorsicherheit:Das heute zu beschließende Umweltauditgesetz stärkt das System von EMAS, dem Ökoaudit, das schon jetzt, sieben Jahre nach der Ein- führung, ein Markenzeichen für betrieblichen Umwelt- schutz ist. Wir haben inzwischen überall in Deutschland die Erfahrung gemacht: Sobald eine Organisation an EMAS teilnimmt, fegt frischer Wind durch den Laden: Umwelt wird, statt billige Ressource zu sein, Gegenstand von ausgefeiltem Management. Staatlich zugelassene Umweltgutachter prüfen den Betrieb und gehen den Um- weltproblemen systematisch auf den Grund. Jeder EMAS- Teilnehmer verpflichtet sich, seine Umweltleistung fort- laufend zu verbessern – und meist sogar über das gesetz- lich notwendige Maß hinaus. Wer an EMAS teilnimmt, wird Vorreiter für betrieblichen Umweltschutz. Das soll- ten sich auch Behörden bewusst machen. Nicht nur ich als Umweltminister, sondern die Bun- desregierung insgesamt fordert Unternehmen zur Teil- nahme auf. EMAS leistet einen wertvollen Beitrag inner- halb der nationalen Nachhaltigkeitsstrategie, die wir vor wenigen Tagen hier im Bundestag beschlossen haben. Für Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. April 2002 23391 (C) (D) (A) (B) Unternehmen rechnet sich die freiwillige Teilnahme auch betriebswirtschaftlich: Sie können Umweltkosten einspa- ren und Haftungsrisiken minimieren. EMAS verbindet das ökologisch Notwendige mit dem ökonomisch Erfolg- reichen. Bei der zunehmenden Zahl ökologisch bewusster Käufer bietet EMAS einen Marktvorteil. Mit der vorliegenden Gesetzesnovelle passen wir das Umweltauditgesetz von 1995 an die neue EG-Verordnung an und wahren zugleich die hohe Qualität, die EMAS in Deutschland seit Jahren auszeichnet. Es hat sich bewährt, dass wir uns in Deutschland ein vergleichsweise anspruchs- volles Zulassungs- und Aufsichtssystem über Umweltgut- achter leisten. Der Sachverständigenrat für Umweltfragen hat das in seinem jüngsten Gutachten ausdrücklich bestätigt. Die Industrie-, Handels- und Handwerkskammern, bei de- nen die EMAS-Teilnehmer registriert werden, tragen zur Qualität des deutschen Umweltaudits erheblich bei. Auch dem Umweltgutachterausschuss, der das BMU bei Fragen des Umweltaudits berät, möchte ich für seine konstruktive Arbeit danken. Bei der Zahl der EMAS-Teilnehmer ist Deutschland Spitzenreiter in Europa. Derzeit sind es etwa 2 600 Stand- orte; leider mit fallender Tendenz. Das beruht zum Teil auf einer Konkurrenz durch ISO 14001. Ich bedaure diesen Trend. Denn EMAS ist besser als ISO. EMAS enthält die materiellen Anforderungen von ISO, ergänzt sie aber durch weitere Elemente: EMAS ist glaubwürdiger, weil es trans- parenter ist und Kommunikation mit der Öffentlichkeit einbezieht. EMAS verpflichtet zur stetigen Verbesserung der Umweltleistungen. EMAS stellt sicher, dass Umwelt- rechtsvorschriften auch eingehalten werden. Bei EMAS prüfen nur staatlich zugelassene Umweltgutachter. Wenn ein Betrieb von EMAS zu ISO wechselt, ver- zichtet er also darauf, weiter in der ersten Liga des be- trieblichen Umweltschutzes mitzuspielen. Die Bundesre- gierung fördert die Teilnahme an EMAS. Wir haben gerade eine Privilegierungsverordnung entworfen. Das BMU hat außerdem am 9. April 2002 eine Pilotgruppe von Bundesbehörden konstituiert, die EMAS einführen wird und als Multiplikator bei anderen Bundesbehörden wirken soll. Ich möchte den Bundestag auffordern, sich stärker für EMAS zu engagieren: Lassen Sie die Bundestagsverwal- tung mit gutem Beispiel vorangehen und an EMAS teil- nehmen! Sie haben die nationale Nachhaltigkeitsstrategie verabschiedet. Machen Sie also Nägel mit Köpfen und tragen Sie aktiv bei zu konsequentem betrieblichen Um- weltschutz! Anlage 13 Zu Protokoll gegebene Reden zurBeratung des Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung und Ergänzung vermögensrecht- licher und anderer Vorschriften (Zweites Ver- mögensrechtsergänzungsgesetz – 2. VermRErG) (Tagesordnungspunkt 31) Hans-Joachim Hacker (SPD): In der heutigen De- batte behandeln wir zwei titelgleiche Gesetzentwürfe der Bundesregierung und der FDP-Fraktion. Der beabsich- tigte Regelungsgegenstand ist jedoch völlig unterschied- lich. Ich beginne in meiner Bewertung mit dem Gesetz- entwurf der FDP, den die SPD-Bundestagsfraktion nicht unterstützen kann. Vorweg: Wir Sozialdemokraten haben hohen Respekt vor all jenen Deutschen, die sich dem NS-Unrechtsregime in vielfältiger Weise entgegengestellt oder entzogen ha- ben. Sie haben dabei in vielen Fällen das eigene Leben und die Sicherheit der Familien riskiert. Deswegen hat sich die SPD-Volkskammerfraktion 1990 für eine Rege- lung im Vermögensgesetz eingesetzt, die die Restitution von durch die Nazis enteignetem Vermögen möglich macht. Damit können auch diejenigen Familien, die von den Nationalsozialisten wegen ihres Widerstandes enteig- net worden sind und deren Vermögen später im Rahmen der Bodenreform verteilt wurde, ihr früheres Hab und Gut zurückbekommen. Die Regelung im Vermögensgesetz ist eindeutig und hat sich unabhängig von diesem betreffen- den Gerichtsverfahren in der Praxis bewährt. Der FDP-Antrag zielt auf eine Erweiterung dieser Regelung auf die Personengruppe der „aktiven Wider- ständler“ ab. Die Diskussion über den FDP-Gesetzent- wurf – insbesondere aber die Anhörung zu den beiden Ge- setzentwürfen am 17. April 2002 – hat ergeben, dass der FDP-Vorschlag nicht justiziabel ist. Er stellt nicht – wie das Vermögensgesetz – auf einen NS-Enteignungsakt ab. Er definiert vielmehr, dass aktive Widerständler, die bis zum 8. Mai 1945 nicht mehr ermit- telt oder verurteilt wurden, rückgabeberechtigt sein sol- len. In Übereinstimmung mit fast allen Sachverständigen bin auch ich der Auffassung, dass der personelle Gel- tungsbereich einer solchen Regelung nicht exakt zu be- stimmen ist. Wenn in der Anhörung ein Sachverständiger von einer Betroffenengruppe von möglicherweise vier Fällen gesprochen hat, dann zeigt dies, dass die Dimen- sion des Regelungsinhaltes des FDP-Vorschlages nicht er- kannt wurde. Für mich ist auch ein Gutsbesitzer, der einen KZ-Häftling versteckt hat, ein aktiver Widerständler. Er würde aber nicht von der FDP-Regelung erfasst werden. Und ein letztes Wort zum FDP-Antrag: Man sollte we- gen der Unklarheit konkret Position beziehen. Die Ent- haltung der anderen Oppositionsparteien ist mir vollkom- men unverständlich. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung hingegen greift Regelungserfordernisse auf, die sich auf das Vermö- gensgesetz, das Entschädigungsgesetz und das NS-Ver- folgtenentschädigungsgesetz beziehen. Ich glaube, wir be- handeln heute in dieser Legislaturperiode zum letzten Mal in einer ausführlichen Form den Bereich der so genannten offenen Vermögensfragen, die sich bei der Wiedervereini- gung dargestellt haben. Die Zustimmung zu dem Gesetzentwurf der Bundes- regierung ist dringend erforderlich, weil damit notwen- dige Klarstellungen vorgenommen werden. Regelungs- lücken werden im Interesse von Betroffenen geschlossen. Für mich ist unverständlich, dass CDU/CSU und FDP – sie waren bei der Vorlaufgesetzgebung in Regierungs- verantwortung – sich nicht der Verantwortung stellen, sondern Frontalopposition betreiben und jetzt, weil nicht Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. April 200223392 (C) (D) (A) (B) ihre eigene Gesetzgebung noch weiter gehend korrigiert wird, Einzelregelungen blockieren. So kann politische Verantwortung der Opposition nicht verstanden werden. Ich beziehe diese Aussage insbesondere auf die im Ge- setzentwurf vorgesehene Änderung des § 2 Abs. 1 Ver- mögensgesetz. Es sind die Fälle der so genannten kalten Enteignung. Bei diesen Fällen können wegen einer Erb- ausschlagung im Hinblick auf Vermögensschäden, die der Erblasser erlitten hat, vermögensrechtliche Ansprüche bislang nicht geltend gemacht werden. Begründet wird dies dadurch, dass die betreffenden Berechtigten keine Rechtsnachfolger geworden sind. Die vorgeschlagene Neuregelung beseitigt einen unbilligen Tatbestand und ist daher zu befürworten. Erneut wird in dem Gesetzentwurf der Bundes- regierung eine Problematik aufgegriffen, die aus Gründen der Gerechtigkeit und Wiedergutmachung von NS-Un- recht einer Klarstellung bedarf: Es geht um die Anrech- nung von Anteilen von Mutterunternehmen, die heute in einer Hand liegen. Das betrifft nicht nur die von NS-Ent- eignungen betroffenen früheren Weimarer Gewerkschaf- ten, deren Rechtsnachfolger Ansprüche auf Rückgabe ge- stellt hat. Nach unserer Auffassung ist die vorgesehene Regelung im § 3 Abs. 1 nur eine Klarstellung. Entgegen den Argumenten von Opposition und einigen Ländern führt sie nicht zu einer Verbürokratisierung der Entschei- dungsvorgänge. Das Gegenteil ist der Fall: Der Prozess der gütlichen Einigung wird befördert. Die Regelung gilt im Übrigen nur dann, wenn der Antragsteller bereits An- sprüche auf Einräumung von Bruchteilseigentum an dem konkreten Vermögenswert hatte. Das heißt, bislang nicht restitutionsbelastetes Vermögen bleibt unbelastet. Diese Regelung ist eine Konsequenz aus der Oberleitung der Grundsätze des alliierten Entschädigungsrechts, die sich aus den Vereinbarungen im Einigungsvertrag und im Rah- men seiner Vorbereitung ergeben hat. Insbesondere die FDP – ich verweise auf den bereits angesprochenen Ge- setzentwurf –, aber auch die CDU/CSU müssten diesem Vorschlag zustimmen. Es ist eine Klarstellung, keine Neu- regelung. Und die Klarstellung bezieht sich auf Regelun- gen aus der Zeit ihrer Regierungsverantwortung. Ich kann verstehen, dass die Wohnungsunternehmen, die von dieser Regelung nicht betroffen sind, gerne eine an- dere Lösung hätten. Aber das würde bedeuten, dass wir bei der Wiedergutmachung von NS-Unrecht unterschiedliche Maßstäbe ansetzten. Betriebswirtschaftliche Interessen von Wohnungsunternehmen würden über die Grundsätze des Rückerstattungsrechts und der Wiedergutmachung gestellt. Das kann nicht richtig sein. Im Übrigen: Die Kritiker die- ser Regelung sollten sich mit dem bereits 1997 im Rahmen des Wohnraummodernisierungssicherungsgesetzes präzi- sierten § 3 Abs. 1 Satz 9 des Vermögensgesetzes befassen. Danach können die Verfügungsberechtigten, die Woh- nungsunternehmen, bei Restitution eines Objektes die Er- stattung sämtlicher Investitionen verlangen, die sie im Ver- trauen auf eine fehlende objektbezogene Präzisierung durch den Berechtigten vorgenommen haben. Auch das ist geltende Rechtslage und wird durch die vorgesehene Klar- stellung nicht tangiert. Zum Schluss will ich nur stichwortartig weitere Rege- lungen ansprechen, die der Gesetzentwurf enthält: Erstens. § 4 Abs. 1 Vermögensgesetz schafft die Voraus- setzungen für eine Teilrestitution, wenn der Zugang zum öffentlichen Verkehrswegenetz nicht gegeben ist. Dieses erfolgt in Anlehnung an eine bewährte Regelung im Sa- chenrechtsbereinigungsgesetz. Zweitens. Für die von DDR-Verwaltungsunrecht be- troffenen Zwangsausgesiedelten erfolgt eine Klarstellung in ihrem Sinne. Es wird gesichert, dass bei der Umsetzung des Entschädigungsgesetzes erhaltene Gegenleistungen nicht doppelt erfasst werden. All das sind gute Gründe, dem Gesetzentwurf zuzu- stimmen. Diesen Appell richte ich erneut an die Opposi- tion in diesem Hause, aber auch an den Bundesrat. Die Behauptung, das Gesetz würde die Verwaltungsverfahren flächendeckend erschweren, ist in der Anhörung nicht bestätigt worden. Auf Beschleunigungseffekte, insbe- sondere bei der Abwicklung der Fälle des doppelten Durchgriffs, habe ich bereits verwiesen. Und zuletzt er- innere ich auch daran, dass die Länder richtigerweise bei der Beratung zur Änderung der beiden SED-Un- rechtsbereinigungsgesetze im Vermittlungsausschuss am 6. Dezember 2001 dokumentiert haben, dass ihnen Ge- rechtigkeit wichtiger ist als der Abbau von Verwal- tungskapazitäten. An diesen Grundsatz erinnere ich Sie auch bei der Umsetzung des Vermögensgesetzes und des Entschädigungs- und Ausgleichsleistungsgesetzes. Andrea Voßhoff (CDU/CSU): Zwei Gesetzentwürfe aus dem Bereich des Vermögensgesetzes und der ergän- zenden Entschädigungsregelungen stehen heute zur ab- schließenden Beratung in diesem Hohen Hause an. Obwohl im rechtstatsächlichen Bereich die Abarbei- tung der Verfahren nach dem Vermögensgesetz nach heu- tigem Stand doch eine hohe Erledigungsquote aufweist, legt Rot-Grün ein umfangreiches Änderungspaket zu die- sen Themenkomplexen vor. Wir wissen aus der An- hörung, dass im Grundstücksbereich bereits 95 Prozent und im Unternehmensbereich circa 85 Prozent der Ver- fahren erledigt sind. Der wünschenswerte zügige Fortgang dieser Verfahren wird durch die immer wieder von Rot-Grün beabsichtig- ten Änderungen hinausgezögert und steht deshalb dem Abschluss dieser Verfahren insgesamt entgegen. Zudem hätte über eine Vielzahl der in diesem Gesetzentwurf ent- haltenen Änderungen bereits mit dem Vermögensrechts- ergänzungsgesetz oder mit dem Grundstücksrechtsände- rungsgesetz aus dem Jahr 2000 der parlamentarischen Beratung diskutiert werden können. Folge dieser Änderungen im parlamentarischen Minu- tentakt ist, dass für die Arbeit der Ämter zur Regelung of- fener Vermögensfragen erneut das Risiko der Verzöge- rung in der Abwicklung noch offener Verfahren, aber auch durch Wiederaufnahme bereits abgeschlossener Verfah- ren besteht. Dadurch entstehen neue Rechtsunsicherhei- ten für den Anspruch der Betroffenen auf einen endgülti- gen Abschluss der offenen Vermögensfragen. Wir wissen auch, dass mit diesem Ziel ganz unmittelbar Fragen nach Planungssicherheit und Investitionstätigkeiten im Grundstücksverkehr und damit der infrastrukturellen Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. April 2002 23393 (C) (D) (A) (B) Entwicklung der Kommunen einhergehen. Aus der An- hörung sind die Bedenken dazu von den Vertretern der Wohnungsbaugesellschaften mehr als deutlich geworden. Warum – so ist zu fragen – haben Sie, meine Herren, meine Damen von den Regierungsfraktionen, Ihren Antrag daher heute zur Abstimmung gestellt? In den Beratungen ist die zwingende Notwendigkeit der von Ihnen jetzt wieder ein- geforderten Änderungen nicht deutlich geworden, stattdes- sen vielmehr deren nachteilige Auswirkungen. Und ich for- dere den Handlungsauftrag für diese Änderungen schon ein. Wie sonst wären diese Maßnahmen, die zu neuen Rechtsunsicherheiten, zu finanziellen Belastungen, zu Änderungen und Wiederaufnahmen bereits abgeschlosse- ner Verfahren führen würden, überhaupt zu rechtfertigen? Wie sonst ließe sich rechtfertigen, dass sich die Abwick- lung noch laufender Restitutionsverfahren verzögert und gewachsenes Vertrauen in die bestehenden Regelungen beeinträchtigt würde? Wenn Sie in der Gesetzesbegründung erläutern, dass es um die Verbesserung der materiellen Gerechtigkeit zu- gunsten NS-Geschädigter und Alteigentümer gehe, klingt dies vordergründig nachdenkenswert. Ich konzediere, dass an der ein oder anderen Stelle Ihrer geplanten Ände- rungen Wertungswidersprüche vielleicht auch beseitigt werden könnten. Gleichwohl überwiegen in diesem Ent- wurf eindeutig die negativen Folgen, die zwangsläufig mit einer so späten Ausweitung von Restitutionsan- sprüchen verbunden sind. Unter anderem enthält der Antrag Änderungen zuguns- ten der Alteigentümer. Ich verhehle nicht, dass die Aus- weitung der Restitution bei den so genannten kalten Ent- eignungen ein diskussionswürdiger Ansatz ist. Ihr Regelungsvorschlag aber, nur die Betroffenen zu begüns- tigen, die seinerzeit fristgerecht einen entsprechenden An- trag gestellt haben, ist jedoch auch verfassungsrechtlich nicht unbedenklich. Sie riskieren das unbillige Ergebnis, dass derjenige, der nach bisheriger Rechtslage keinen An- trag gestellt hat, weil der Anspruch ja auch gar nicht bestand, auch weiterhin wegen des Fristablaufes zur An- meldung ausgeschlossen bleibt. Meine Damen und Her- ren von der SPD, Sie bestrafen den gewissenhaften Anmelder und belohnen denjenigen, der unrichtig ange- meldet hat. Der materiellen Gerechtigkeit wird damit kein Dienst erwiesen. Verfassungsrechtliche Bedenken mit Blick auf den Gleichbehandlungsgrundsatz können nicht ausgeräumt werden. Dem bislang mit seinem unbegründeten Antrag abge- wiesenen Anmelder eröffnen Sie mit dem Wiederaufgrei- fen des Verfahrens die Möglichkeit, seinen Anspruch durchzusetzen. Neue Rechtsunsicherheiten und zusätzli- che Verzögerungen wären Folge dieser späten Änderung. Sie, meine Damen und Herren von der SPD, opfern aber ohne große Not eine durchaus mit Schwierigkeiten ge- wonnene Rechtssicherheit. Und dass Sie dabei die Kon- sequenzen entweder nicht bedacht haben oder in Kauf nehmen wollten, zeigt sich in der Tatsache, dass eine er- forderliche Anpassung der Anmeldefrist des § 30 a des Vermögensgesetzes von Ihnen nicht in Erwägung gezogen wurde. Es wäre konsequent gewesen, die Anmeldefrist aufgrund der augenscheinlichen Widersprüchlichkeiten dann auch anzupassen. Wegen der damit einhergehenden unübersehbaren Folgen können Sie dies aber verständli- cherweise nicht tun. Aber es geht Ihnen ja im Grunde auch gar nicht um die Probleme der Restitution in den Fällen der kalten Ent- eignungen. Obwohl bereits im Jahre 2000 mit dem Grund- stücksrechtsänderungsgesetz in dieser Frage gescheitert, versuchen Sie doch heute erneut und nur wenig modifi- ziert, Änderungen in der Unternehmensrestitution herbei- zuführen, deren Hauptbegünstigte nun einmal recht- statsächlich die Gewerkschaften als NS-Geschädigte wären. Ob es eine Ausweitung der Restitution oder eine – wie Sie es formulieren – Klarstellung des Gesetzes ist, die fi- nanziellen Auswirkungen zulasten der Verfügungsberech- tigten – zumeist die Wohnungsbaugesellschaften – sind gravierend. Dies ist in der Anhörung auch deutlich geworden. Auch von Vertretern der Ämter zur Regelung offener Vermögensfragen wurden diese Bedenken geteilt. Sie ge- fährden den Stadtumbau Ost, wie uns einige Sachverstän- digen in der Anhörung eindrucksvoll darlegten, da Liquiditätsprobleme bei den Wohnungsunternehmen ver- schärft werden. Längst hat Ihr Gesetzesentwurf auch neue Begehrlich- keiten geweckt und damit beabsichtigte Vergleichsver- handlungen zwischen den Verfügungs- und den Restituti- onsberechtigten beeinträchtigt. Sie schaffen dadurch neue Unsicherheiten und riskieren weitere bürokratische Hemmnisse bei der Abwicklung der Ansprüche nach dem Vermögensgesetz. Dem Rechtsfrieden ist all dies nicht förderlich. Diese negativen Folgen verschärfen sich auch noch mit der von Ihnen vorgeschlagenen Mietenauskehr bei den vereinfachten Rückübertragungen nach dem Investitions- vorranggesetz. Bei den hohen Leerständen sind Insolven- zen der Wohnungsunternehmen abzusehen. Ihnen, meine Damen und Herren von der SPD, wird es obliegen, den Mietern solcher von Insolvenz bedrohten Wohnungsunternehmen den tieferen Sinn Ihres Gesetzes- vorhabens zu erläutern. Der BGH ist jedenfalls nicht der Auffassung, dass Restitutionsberechtigten bei investiven Vorhaben ein Anspruch auf Auskehr von Mieten oder Pachten zustehen müsse. Für dieses „Insolvenzbeschleunigungsgesetz“, wie es ein Sachverständiger in der Anhörung ebenso trefflich wie deutlich formulierte, dürfen Sie unsere Zustimmung nicht erwarten. Wegen dieser gravierenden Folgen einzelner Maßnahmen im vorliegenden Gesetzentwurf, können an- dere – im Grundansatz zu befürwortende Regelungen – in der Gesamtbewertung dieses Gesetzentwurfes zu keiner Zustimmung führen. Wir lehnen ihn daher ab. Bei dem heute mit zu beratenden Antrag der FDP wer- den wir uns enthalten. Mit dem Antrag der FDPwurde das Schicksal der aktiven NS-Widerständler auf die Tages- ordnung dieses Hohen Hauses gerufen. Vielleicht spreche ich auch für die anwesenden Kollegen, wenn Respekt und Achtung vor dem Mut und dem Schicksal der NS-Wider- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. April 200223394 (C) (D) (A) (B) ständler und ihrer Familien mit diesem Antrag in Erinne- rung gerufen werden. Gleichwohl darf das den Blick für die Umsetzbarkeit des Anliegens nicht verstellen. Wir halten die bestehenden Regelungen des Vermögens- gesetzes in seiner Zielstellung und damit in dem Rege- lungsanspruch dem Grunde nach für tragbar und akzeptabel. Es ist sicher einzuräumen, dass wir in der Anwendung des Gesetzes einer Vielzahl von Schicksalen nicht mit der emo- tional wünschenswerten Einzelfallgerechtigkeit begegnen können. Mit diesem Antrag wird aber der sachliche Gel- tungsbereich des Vermögensgesetzes nachträglich geändert. Jede Änderung des sachlichen Geltungsbereichs wirkt streng genommen in jedes vermögensrechtliche Verfahren hinein und würde zwangsläufig zu neuen Rechtsunsicher- heiten und zu weiteren Belastungen des Grundstücksver- kehrs führen. Daran dürfte auch die angegebene geringe Zahl der mutmaßlichen Betroffenen letztlich nichts ändern. Darüber hinaus würde dieser Antrag zu einem System- bruch des Vermögensgesetzes führen. Wenn nunmehr die Kausalität zwischen Schädigungsgrund und schädigen- dem Ereignis im Bereich des Vermögensgesetzes teil- weise aufgegeben werden soll, ist nicht absehbar, in wie vielen anderen Fällen individuell erlittenen Unrechts Re- gelungen notwendig würden. Die FDP will mit ihrem Antrag den Restitutionsgrund im Rahmen des § 1 Abs. 6 VermG für einen eingrenzba- ren Personenkreis auf die Lebensweise – dem aktiven Wi- derstand – erweitern, deren Vermögenswerte später durch die Bodenreform konfisziert wurde. Bisher ist Restitu- tionsgrund im Rahmen des § 1 Abs. 6 aber gerade der Ver- mögensentzug durch NS-Unrecht. Dies würde im Ergeb- nis aber den Restitutionsausschluss nach § 1 Abs. 8 a für bestimmte Gruppierungen durchbrechen, der Bodenre- formopfer auf Leistungen nach dem Ausgleichleistungs- gesetz verweist. Bei Würdigung aller Umstände können wir diesem An- trag nicht zu stimmen. Wir werden uns enthalten, weil dem Grundanliegen ein moralischer Anspruch nicht ab- zusprechen ist und eine Entschädigungsregelung außer- halb des Vermögensgesetzes, zum Beispiel durch eine Fondslösung, auch mit Blick auf die eingrenzbare Zahl der Betroffenen wünschenswert wäre. Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GÜ- NEN): Wir debattieren und entscheiden heute über meh- rere Anträge, die Vorschriften des Vermögens- und Ent- schädigungsrechts für das Gebiet der ehemaligen DDR zu ändern, weil tatsächliche oder angebliche Ungerechtig- keiten des nach der Vereinigung geschaffenen Vermö- gensgesetzes deutlich geworden sind. Es geht zum Beispiel um so genannte „kalte Enteig- nungen“, das heißt, dass zur DDR-Zeit Menschen ge- zwungen wurden, etwa Erbschaften auszuschlagen, und es geht auch um einen Antrag der FDP, „aktive Wider- ständler“ in der Nazizeit Erben von Widerstandskämpfern der NS-Zeit gleichzustellen, wenn es um die Rückgabe von von den Nazis enteigneten Grundvermögen geht. Der Entwurf ändert nichts Grundsätzliches an den im Einigungsvertrag getroffenen Entscheidungen zur Rück- übertragung von Eigentum, das im Gebiet der DDR ent- eignet wurde. Es ändert sich auch nichts Grundsätzliches an der Entschädigung in den Fällen, in denen eine Rück- übertragung ausgeschlossen ist. Ich habe schon häufig auch hier im Bundestag zum Ausdruck gebracht: Ich be- dauere, dass solche grundsätzlichen Korrekturen insbe- sondere des Grundsatzes „Rückgabe vor Entschädigung“ nicht mehr möglich sind. Aber ich sehe, dass dies zu neuen schwerer wiegenden Ungerechtigkeiten führen würde und vor den Augen des Bundesverfassungsgerichts wohl keine Gnade finden könnte. In dem Artikelgesetz werden nun einige Klarstellungen vorgenommen in bestimmten – nicht unwichtigen – De- tails, die schief formuliert sind und in der Praxis Probleme bereitet haben. Schon aus rechtlichen Gründen müssen Ungereimtheiten beseitigt werden, auch dann, wenn diese Ungereimtheiten zulasten früherer Eigentümer gehen. So kann die abgenötigte Erbausschlagung in der DDR, eben die „kalte Enteignung“, nicht anders behandelt werden als eine „normale“ Enteignung. Auch die, die in einer Nöti- gungssituation in der DDR eine Erbschaft ausgeschlagen haben, sollen Wiedergutmachungsansprüche erhalten. Die Regelung der so genannten Fiskuserbschaften war nötig geworden. Die Regelung zu den übergangenen Er- ben, die zu DDR-Zeiten weder enteignet worden waren noch auf ihr Erbe verzichtet hatten, ist nötig. Das hat das höchste deutsche Gericht auch so festgestellt. Die Frag- würdigkeit der Generalentscheidung des damaligen Ge- setzgebers ist keine Rechtfertigung für eine willkürliche Differenzierung. Gleiches darf nicht ungleich behandelt werden. Es ist es beispielsweise auch sachgerecht, die Rück- gabe von Grundstücken dann zu erleichtern, wenn sie nach der geltenden Rechtslage nur deshalb nicht zurück- gegeben werden können, weil die Verbindung zum öf- fentlichen Wegenetz fehlt. Die Restitutionsproblematik sollte nicht an der Frage des Notwegerechts entschieden werden. Richtig ist aus grundsätzlichen Überlegungen auch, die Rechtsstellung der NS-Opfer zu verbessern, die rechts- staatswidrig ihre Anteile an Unternehmen verloren haben. Änderungen sind auch an anderer Stelle geboten. Die Situation für Opfer der Zwangsaussiedlung aus den Grenzgebieten ist gegenwärtig misslich. Nach geltender Rechtslage kann es zur doppelten Anrechnung der ge- währten Gegenleistungen an den Betroffenen kommen. Das ist aus Gerechtigkeitsgründen unhaltbar. Ich habe be- reits anlässlich der Einbringung dieses Gesetzes auf diese Schwierigkeiten hingewiesen. Wir kennen doch alle die Fälle, wo die Betroffenen ihr Eigentum in einem fürch- terlichen Zustand zurückbekommen haben. Wenn sie die Entschädigungsleistungen zurückzahlen müssen, dann muss klar sein, dass sie nur an den Entschädigungsfonds zahlen und an niemand anderen. Dem Antrag der FDP konnten wir nicht entsprechen. Natürlich ist an der Überlegung etwas dran, dass auch die, die in der NS-Zeit verfolgt wurden, denen ihr Vermögen wegen ihres Widerstandes genommen wurde, die aber nicht zu Tode gekommen sind, grundsätzlich restituiert werden sollten. Aber es ist kaum vernünftig und gerecht zu definieren, wer denn unter „aktive Widerständler“ Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. April 2002 23395 (C) (D) (A) (B) fallen soll. Jeder Versuch der Definierung schafft neue Ungleichheit und Ungerechtigkeit. Für Wohnungsunternehmen kann es zu Problemen führen, auch zu erheblichen Problemen – das sehen wir auch, wenn sie jetzt Grundeigentum herausgeben müssen; aber solche wirtschaftlichen Überlegungen reichen nicht als Grund, eine Restituierung zu verweigern und damit mehr Gerechtigkeit und Gleichbehandlung zu erreichen. Recht muss tatsächlich Recht bleiben. Für die Verwaltungen wird es nicht einfach sein, die notwendigen Neuregelungen in der Praxis umzusetzen. Das gilt vor allem für laufende oder bereits abgeschlos- sene Verfahren. Die Bundesregierung hat bei ihrer Ge- genäußerung im Grundsatz Recht, wenn sie feststellt, dass die Belange der materiellen Gerechtigkeit und der Ar- beitsbelastung für die Verwaltung gegeneinander abge- wogen werden müssen. Die allzu sehr am Wohl der Ver- waltung orientierten Bedenken des Bundesrates müssten an dieser Stelle konkretisiert und belegt werden. Ich denke auch, dass die Auswertung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Entschädigung bei kalten Enteignungen hier die weitere Diskussion beeinflussen wird. Wir sehen diese Reparaturen des Vermögensgesetzes als notwendig an. Wir hoffen, dass damit das Kapitel deut- scher Geschichte, jedenfalls was die vermögensrechtliche Aufarbeitung anbelangt, bald abgeschlossen werden kann. Schließlich wurde im Rechtsausschuss zu Recht darauf hingewiesen, dass inzwischen mehr als 95 Restitutions- verfahren abgeschlossen sind. Rainer Funke (FDP): Zur heutigen Beratung liegen zwei Gesetzentwürfe vor, die sich beide zur Aufgabe ge- stellt haben, mögliche Lücken des Vermögensgesetzes zu füllen. Der FDP-Entwurf eines 2. Vermögensrechtsergänzungs- gesetzes soll dafür sorgen, dass neben Widerstandskämp- fern, die vor dem nationalsozialistischem Volksgerichtshof verurteilt worden sind und deren Vermögen eingezogen wurde, auch diejenigen ihr Vermögen zurückerhalten, die Widerstandskämpfer gegen den NS-Staat gewesen sind, aber im NS-Staat tatsächlich nicht verurteilt wurden, zum Beispiel weil sie auch nicht gefasst oder ermittelt worden waren. Wir wollen, dass ihnen ihre Vermögenswerte, die in der späteren sowjetischen Besatzungszone gelegen waren und dann konfisziert wurden, zurückgegeben werden. In den Beratungen des Rechtsausschusses haben fast alle Kolleginnen und Kollegen, die sich mit dieser Frage befasst haben, geäußert, dass sie vor dieser Personen- gruppe großen Respekt haben und dass sie einen morali- schen Anspruch hat, ihre Ansprüche geltend zu machen. Einen rechtlichen Anspruch wollte die Mehrheit, insbe- sondere aus den Koalitionsfraktionen, nicht gewähren. Vielleicht ist dies einer der Gründe, warum viele Bür- ger unseren Rechtsstaat nicht verstehen, weil nämlich das, was als moralisch und ethisch richtig angesehen wird, allzu häufig nicht den Weg ins Bundesgesetzblatt findet. Hierüber sollten wir uns mal außerhalb des Wahlkampfes unter den Rechtspolitikern Gedanken machen. Mit mei- nen Gerechtigkeitsmaßstäben ist es jedenfalls nicht zu vereinbaren, dass diese Widerstandskämpfer ihr Vermö- gen nicht zurückerhalten. Der bittere Satz: „Nur die getö- teten Widerstandskämpfer sind gute“, darf so nicht stehen bleiben. Auch der zweite Gesetzentwurf zum Vermögensrechts- ergänzungsgesetz, nämlich der der Bundesregierung, ver- sucht anhand von Einzelfällen Neuregelungen und Ergän- zungen vorzunehmen. Wir fürchten jedoch, dass es keine echten Lösungen sind, sondern neue Ungerechtigkeiten entstehen. Nach § 2 Abs. 1 Vermögensgesetz haben Berechtigte we- gen der Erbausschlagung im Hinblick auf Vermögensschä- digungen, die der Erblasser erlitten hat, keine vermögens- rechtlichen Ansprüche, weil sie infolge der Erbausschlagung keine Rechtsnachfolger geworden sind. Dies soll nun geän- dert werden, aber nur insoweit, als noch keine rechtskräfti- gen Entscheide vorliegen. Bei rechtskräftigen Entscheiden will man zwar mit einer Wiederaufnahme des Verfahrens helfen. Aber bei all den Fällen, bei denen die Berechtigten nach rechtlicher Beratung ihre Ansprüche nicht angemeldet haben – und das dürfte der überwiegende Teil sein –, wird die Antragsfrist nicht wieder eröffnet. Hier werden innerhalb derselben Betroffenengruppe Ansprüche gewährt bzw. nach Ablauf der Antragsfrist nicht gewährt. Diese unterschiedli- che Verfahrensweise kann nicht gerecht sein. Auch in § 3 Abs. 1 Vermögensgesetz wird für eine be- stimmte Gruppe, nämlich die der Gewerkschaft, ein Son- dergesetz geschaffen, und zwar durch die Möglichkeit der Addition von Kleinstbeteiligungen beim so genannten doppelten Durchgriff. In der Anhörung ist insbesondere von den Verbänden der Wohnungswirtschaft von erhebli- chem Nachteilen für die Wohnungswirtschaft und für den Wohnungsmarkt berichtet worden. Wir teilen diese Auf- fassung und hätten uns eine gründlichere Bearbeitung im Bundesjustizministerium gewünscht. Denn auch in Be- richterstattergesprächen konnten die nicht finanziellen Auswirkungen dargelegt werden. Wir werden den Gesetzentwurf der Bundesregierung daher nicht zustimmen. Gesetze müssen nicht nur rechts- staatlich sein; sie sollten auch gerecht sein. Gerechtigkeit wird jedoch weder die Ablehnung unseres Gesetzentwur- fes bringen noch der Beschluss des Koalitionsentwurfes. Dr. Evelyn Kenzler (PDS): Der Regierungsentwurf will Ungereimtheiten und Ungerechtigkeiten bei der bis- herigen Regelung offener Vermögensfragen bereinigen. Dagegen wäre an sich nichts einzuwenden. (So ist es durchaus überlegenswert, einen Restitutions- oder Ent- schädigungsanspruch für Grundstücke einzuführen, die zu DDR-Zeiten durch Erbausschlagung Volkseigentum wurden. Es handelte sich dabei meist um überschuldete und instandsetzungsbedürftige Wohnhäuser, die zu erben eine nicht tragbare finanzielle Last war. An sich ist auch eine Verbesserung der Regelungen beim „doppelten Durchgriff“ zugunsten der bereits in der Zeit des Natio- nalsozialismus Enteigneten nicht von vornherein abzu- lehnen. Diese Regelungen führen jedoch fast zwölf Jahre nach der Vereinigung zu neuer Rechtsunsicherheit und zu er- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. April 200223396 (C) (D) (A) (B) heblichen finanziellen Belastungen für die ostdeutschen Wohnungsunternehmen, die ohnehin überschuldet sind oder sogar am Rande des Ruins stehen. In der Anhörung des Rechtsausschusses am 17. April wurde berichtet, dass für die Leipziger Wohnungs- und Baugesellschaft finan- zielle Verpflichtungen in dreistelliger Millionenhöhe ent- stehen. Der Entwurf wurde als „Insolvenzbeschleuni- gungsgesetz“ bezeichnet. Der Bundesverband deutscher Wohnungsunternehmen kommt zu der Einschätzung, dass durch die neuen Belastungen der Stadtumbau Ost äußerst gefährdet würde. Die Bundesregierung schlägt ein Gesetz vor, ohne den Kreis der Betroffenen, die Anzahl der zu erwartenden Fälle und die finanziellen Folgen der Regelungen auch nur einigermaßen genau bestimmen zu können. Sie trifft aber nicht zugleich Maßnahmen zur finanziellen Entlas- tung der Wohnungsunternehmen. Ich halte das für verant- wortungslos. Meine Fraktion muss einem Gesetz die Zustimmung verweigern, das zur finanziellen Strangu- lierung der ostdeutschen Wohnungsunternehmen führen kann. Zum Entwurf der FDP, der einen ganz anderen Sach- verhalt betrifft, ist Folgendes zu sagen: Meine antifaschis- tische Gesinnung gebietet mir allergrößten Respekt vor den mutigen Frauen und Männern des 20. Juli 1944 wie auch vor allen anderen aktiven Kämpfern gegen den Hit- ler-Faschismus. Es ergeben sich aber gewichtige völker- rechtliche und verfassungsrechtliche Einwände gegen den Vorschlag der FDP. Die Betroffenen wurden zweifelsfrei „auf besatzungs- rechtlicher bzw. besatzungshoheitlicher Grundlage“ im Rahmen der Bodenreform in der sowjetischen Besat- zungszone enteignet. Solche Enteignungen „sind nicht mehr rückgängig zu machen“. So heißt es in der Gemein- samen Erklärung der beiden deutschen Regierungen vom 15. Juni 1990. Möglich ist eine Ausgleichsleistung, aber nicht die Rückgabe von Grund und Boden. Die Bodenre- form soll nicht angetastet werden. Die Erklärung ist nach Art. 41 Abs. 1 Bestandteil des Einigungsvertrags. Sie ist in dem Gemeinsamen Brief der beiden deutschen Außenminister anlässlich der Unter- zeichnung des Zwei-plus-Vier-Vertrags an die Außenmi- nister der vier Mächte verankert. Und schließlich ist die Erklärung in Art. 143 Abs. 3 des Grundgesetzes bestätigt. Das Bundesverfassungsgericht hat den Restitutionsaus- schluss wiederholt für rechtsgültig erklärt. Von diesen rechtlichen Vorgaben geht auch das Vermögensgesetz aus. Aus diesen prinzipiellen Gründen müssen wir dem Entwurf unsere Zustimmung versagen. Dr. Eckhart Pick, Parl. Staatssekretär bei der Bun- desministerin der Justiz: Mit dem Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung und Ergänzung vermögensrecht- licher und anderer Vorschriften stehen heute abermals Re- gelungen auf dem Gebiet der „Offenen Vermögensfra- gen“ in den neuen Bundesländern auf der Tagesordnung. Ich kann Ihnen versichern, dass auch die Bundesregierung daran interessiert ist, in diesem inzwischen recht kompli- zierten Rechtsbereich Kontinuität zu wahren und die be- troffenen Verwaltungsbehörden und Gerichte nicht immer wieder vor neue Anforderungen zu stellen. Wenn sich aber in der Praxis erweist, dass das geltende Recht – seien es auch Einzelfragen – nicht mehr zu Rechtsfrieden und ge- rechten Ergebnissen führt, ist nach meiner Auffassung der Gesetzgeber gefordert. Der Entwurf – das haben wir immer betont – ändert weder etwas an den bereits mit dem Einigungsvertrag ge- troffenen grundlegenden Entscheidungen zur Rücküber- tragung von Eigentum, das im Gebiet der DDR enteignet wurde, noch bei der Entschädigung in den Fällen, in de- nen die Rückübertragung ausgeschlossen ist. Vielmehr verfolgt er vor allem zwei Anliegen, nämlich: Erstens wollen wir dort Klarstellungen vornehmen, wo sich gezeigt hat, dass missverständliche Formulierungen vermögensrechtliche Verfahren behindern oder zu unzu- treffenden Ergebnissen führen können. In diesem Sinne – das sage ich vor allem mit Blick auf diejenigen, die al- lein wegen der Gefahr zusätzlicher Belastungen der Behörden die Vorschläge kritisieren – können die Neu- regelungen sogar zur Beschleunigung und Vereinfachung der Verfahren beitragen. Und zweitens sollen die Vorschläge gerechtere Lösun- gen ermöglichen, wo die geltenden Regelungen in Aus- nahmekonstellationen für Alteigentümer zu unbilligen Entscheidungen führen. Das sind wir den Betroffenen schuldig. Die Ausschüsse des Deutschen Bundestages haben sich die parlamentarischen Beratungen zu diesem Gesetzent- wurf nicht leicht gemacht. Die vom Rechtsausschuss durchgeführte Experten- anhörung hat uns in die Lage versetzt, uns sachkundig zu machen und die Berechtigung der Änderungsvorschläge einzuschätzen. Sie hat uns in unserer Auffassung bestä- tigt, dass wir die Verfahren zur Regelung der offenen Ver- mögensfragen nur dann zügig abschließen können, wenn über die Entscheidungen der Vermögensämter möglichst wenig Streitigkeiten entstehen. Denn Rechtsstreitigkeiten ziehen sich mitunter über Jahre hin; sie belasten die Recht Suchenden, die Behörden und Gerichte gleichermaßen. Wenn wir zugunsten von NS-Verfolgten im Bereich des so genannten doppelten Durchgriffs auf entzogene Vermögensgegenstände in Zukunft in verstärktem Maße verfolgungsbedingt entzogene Anteile an Mutterunter- nehmen addieren wollen, dann gebietet dies zum einen die Gerechtigkeit und es soll zum anderen der bestehenden Rechtsunsicherheit entgegengewirkt werden. Auf die ge- genwärtige Rechtsunsicherheit und die daraus folgende uneinheitliche Verwaltungspraxis in den neuen Ländern ist in der Anhörung wiederholt von den Sachverständigen hingewiesen worden. Die vorgeschlagene klarstellende Regelung ist ein Kompromiss zwischen den berechtigten Anliegen der NS-Verfolgten und dem Vertrauen der Verfügungs- berechtigten – vor allem der Wohnungswirtschaft – da- rauf, dass überhaupt keine Addition kleinerer Anteile er- folgen werde: Die Anteile an verschiedenen Unternehmen werden – nur – dann addiert, wenn der NS-Verfolgte auch ohne diese zusätzlichen Anteile ohnehin schon einen An- spruch auf Einräumung von Bruchteilseigentum hatte, sie Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. April 2002 23397 (C) (D) (A) (B) werden diesem ohnehin bestehenden Anspruch also nur hinzugezählt. Damit wird gewährleistet, dass Vermögens- werte, die bislang von Restitutionsansprüchen frei waren, auch restitutionsfrei bleiben. Ein Wiederaufgreifen dieser abgeschlossenen Verfahren wird es aufgrund der vorge- schlagenen Regelung daher nicht geben. Die Sachverständigen haben uns auch bestätigt, dass sich aus der Regelung kein Mehraufwand für die Ämter ergibt: Denn schon bisher müssen – nicht zuletzt für die spätere Entscheidung über eventuelle Entschädigungs- ansprüche – Kleinstbeteiligungen ermittelt werden. In den vorliegenden Entwurf haben wir Vorschläge aufgenommen, die erforderlich sind, um für die Alt- eigentümer unbillige oder nicht mehr nachvollziehbare Ergebnisse zu vermeiden. Lassen Sie mich das an einem Beispiel darstellen: Seit 1994 gibt es die Vorschrift, nach der Alteigen- tümer, die ein Mietshaus nach dem Vermögensgesetz zurückerhalten, die seit Juli 1994 eingenommenen und nicht in die Verwaltung oder das Mietobjekt investierten Mietzinsen beanspruchen können (§ 7 Abs. 7 VermG). Es ist nicht recht nachzuvollziehen, weshalb dies dann nicht gelten soll, wenn die Rückgabe an den Alteigentümer nicht über einen vermögensrechtlichen Bescheid erfolgt, sondern nach den §§ 21, 21 b des Investitionsvor- ranggesetzes erfolgt. Wirtschaftlich wird das gleiche Er- gebnis erzielt, nur das vorgelagerte Verfahren ist ein anderes. Auch bei diesen Verfahren nach dem Investi- tionsvorranggesetz besteht die Gefahr, dass sich die Ver- fahren länger hinziehen. In der Zwischenzeit verfallen die Häuser, wenn die Mieten nicht in sie investiert werden. Dem Alteigentümer werden dann nicht nur die Miet- erträge vorenthalten, sondern er erhält sein Haus auch noch wertgemindert zurück. – Wir verkennen nicht die enormen Anstrengungen der Wohnungswirtschaft und die großen finanziellen Belastungen, vor denen die Unter- nehmen infolge der jahrzehntelangen Misswirtschaft ste- hen. Hier aber geht es um die Beseitigung einer „Schief- lage“, deren Beibehaltung den Alteigentümern nicht zu vermitteln ist. Die Verfügungsberechtigten, so auch die Wohnungs- wirtschaft, mussten in diesen Fällen schon bisher kalku- lieren, die Nutzungen herausgeben zu müssen, weil stets die Möglichkeit bestand, dass der Vermögenswert statt im Verfahren nach dem Investitionsvorranggesetz nach dem Vermögensgesetz zurückübertragen wird. Die Belastung der Wohnungsbauunternehmen durch diese Neuregelung ist dadurch begrenzt, dass der Anspruch binnen eines Jah- res nach bestandskräftiger Feststellung der Berechtigung geltend zu machen ist. In vielen Verfahren aus der Ver- gangenheit ist diese Frist bereits verstrichen. Auch die beabsichtigte Änderung des Vermögens- gesetzes, die dazu führen wird, dass Teilgrundstücke künftig auch dann an die Alteigentümer zurückgegeben werden können, wenn sie nicht mit dem öffentlichen We- genetz verbunden sind, erscheint mir dringend. Es ist nicht nachzuvollziehen, dass die Wiedergutmachung von Unrecht daran scheitern soll, dass zunächst ein bauord- nungsrechtswidriger Zustand entsteht, zu dessen Beseiti- gung der Gesetzgeber längst allerdings das rechtliche Instrumentarium bereitgestellt hat. Und gegen den Vorschlag, den Erbschein künftig kos- tenfrei zu erteilen, wenn dieser zum Nachweis der Be- rechtigung erforderlich wird, sind bisher ebenso keine überzeugenden Argumente vorgetragen worden. Es ist bisher nicht gelungen, die vermögensrechtlichen Anträge vollständig abzuarbeiten. Sehr oft sind die Berechtigten aber im höheren Lebensalter; mitunter versterben sie vor der Entscheidung über ihren Anspruch. Dann ist es nach meiner Ansicht auch gerechtfertigt, ihre Rechtsnachfolger von den Kosten eines erforderlichen Erbscheins, der sie in die Lage versetzt, den Anspruch weiter zu verfolgen, zu befreien. Der Gesetzentwurf enthält ferner Regelungen für das Entschädigungsgesetz. Hier werden vor allem Klarstel- lungen zu den Berechnungs- oder Anrechnungsgrund- lagen bei der Bemessung von Entschädigungsleistungen getroffen. Diese greifen zum Teil eine bereits zwischen Bund und Ländern abgestimmte Verwaltungspraxis auf. Ich habe anhand von Beispielen versucht, Ihnen das Erfordernis der Neuregelungen zu verdeutlichen und da- mit zugleich im Gesetzgebungsverfahren geäußerte Vor- behalte abzubauen. Ich bitte Sie, dem Gesetz zuzustim- men. Anlage 14 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Errichtung einer Stiftung Deutsche Geisteswis- senschaftliche Institute im Ausland, Bonn (Tagesordnungspunkt 32) Hans-Werner Bertl (SPD): Im Geschäftsbereich des BMBF befinden sich zurzeit sieben geisteswissenschaft- liche Auslandsinstitute mit Standorten in Rom, Paris, London, Washington, Warschau, Beirut/Istanbul und To- kio. Die Institute erfüllen wichtige Aufgaben in den Be- reichen Forschung, Service und Nachwuchsförderung und sind aufgrund ihrer historischen Entwicklung recht- lich unterschiedlich organisiert. Auf Bitten des BMBF hat der Wissenschaftsrat in den Jahren 1996 bis 1999 diese In- stitute sowie das damals noch im Geschäftsbereich des BMBF befindliche Kunsthistorische Institut Florenz eva- luiert. In seiner abschließenden Stellungnahme regt der Wissenschaftsrat an, zu prüfen, ob ein gemeinsames insti- tutionelles Dach für alle aus öffentlichen Mitteln finan- zierten geisteswissenschaftlichen Forschungseinrichtun- gen im Ausland geschaffen werden sollte – das Kunsthistorische Institut Florenz wurde wegen der be- sonderen fachlichen Nähe zur Bibliotheca Hertziana, die von der Max-Planck-Gesellschaft getragen wird, an diese mit Wirkung ab Anfang dieses Jahres übertragen. Der uns heute vorliegende Gesetzesentwurf folgt der Anregung des Wissenschaftsrates. Das Ziel des Gesetzes ist die Schaffung eines neuen Rechtsträgers, unter dessen Dach die Institute zusammengefasst werden sollen. Die Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. April 200223398 (C) (D) (A) (B) Zusammenfassung in einem Träger schafft die dringend notwendige Voraussetzung für mehr interne Kooperation, ein verbessertes Auftreten in der Öffentlichkeit, die bes- sere Wahrnehmung gemeinsamer Anliegen und die Er- leichterung von Neuaufnahmen unter einem gemeinsa- men Dach – es gibt zum Beispiel bereits jetzt konkrete Überlegungen für ein neues Institut in Russland. Für die Zukunftsfähigkeit der Institute ist die Zusam- menfassung unter einem gemeinsamen Dach Vorausset- zung. Die über teilweise mehr als 100 Jahre gewachsenen Strukturen der einzelnen Institute tragen den heutigen An- forderungen in einer global orientierten und modernen in- ternationalen Forschungslandschaft hinsichtlich der Sichtbarkeit der Institute wie auch ihrer Kooperation un- tereinander nicht mehr hinreichend Rechnung. Teilweise waren die Institute bisher in der Form unselbstständiger Bundesanstalten organisiert – diese Rechtsform ist für Forschungseinrichtungen denkbar ungeeignet. Die Aus- gestaltung von zum Beispiel administrativen Eingriffs- rechten, wissenschaftlicher Selbstkontrolle, Beiratswesen oder Befristung von Funktionen entsprach in Details nicht mehr den heutigen vom Wissenschaftsrat geforderten Standards. Den ab und zu laut werdenden Vorwurf des Zentralis- mus oder gar Dirigismus muss man sich wegen dieses Ge- setzentwurfes nicht machen lassen – er ist unfair und ent- spricht nicht den Tatsachen. Die Zusammenfassung als solche unter einem Dach mit einem Stiftungsrat, der über- wiegend mit Wissenschaftlern besetzt ist, kann nicht als Dirigismus bezeichnet werden. Das vorgelegte Gesetz fällt hinsichtlich der wissenschaftlichen Freiheit der ein- zelnen Institute hinter keine der bisher existierenden Re- gelungen zurück. Über die Abgrenzung der Aufgaben zwischen den örtlichen Verwaltungen und der gemeinsa- men Geschäftsstelle besteht Konsens. Auch die wissenschaftliche Freiheit der Institute ist nicht in Gefahr. Die Institute bleiben wissenschaftlich selbstständig – § 2 Abs. 2 des Gesetzentwurfes –, es gibt eine klare Abgrenzung zwischen den Befugnissen der Di- rektoren und den Befugnissen des Stiftungsrates, der als Aufsichts- und Lenkungsgremium konstruiert ist. Ich möchte an dieser Stelle zum Abschluss hervorhe- ben – ich habe dies auch im Bildungs- und Forschungs- ausschuss betont –, dass bei der Besetzung der Leitungs- gremien die Vorschläge des Wissenschaftsrates in aller Konsequenz umgesetzt werden müssen. Der Wissen- schaftsrat fordert ausdrücklich im aktiven Berufsleben stehende Persönlichkeiten zu berücksichtigen und betont – und das ist heute eine Selbstverständlichkeit – dass auch Frauen in den Leitungsgremien dieser Institute deutlich berücksichtigt werden sollen. Werner Lensing (CDU/CSU): Den deutschen Geis- teswissenschaftlichen Auslandsinstituten gebührt aus Sicht der Unionsfraktion schon immer eine besondere Pri- orität. Garantieren doch deren wissenschaftliche Leistun- gen eine würdige Repräsentanz Deutschlands im Ausland. Diese sind auf diese Weise willkommene Botschafter un- serer geisteswissenschaftlichen Kultur. Nicht von unge- fähr bescheinigt der Wissenschaftsrat den Auslandsinsti- tuten in seinem jüngsten Gutachten ausdrücklich eine überaus erfolgreiche Arbeit und wissenschaftliche Qua- lität. Zu dieser exponierten Stellung erbrachten nicht Zu- letzt die jeweiligen Institutsdirektorinnen und -direktoren einen entscheidenden Beitrag. Mit deren persönlichem und fachlichem Engagement stehen und fallen die Qua- lität und damit die Außenwirkung der Auslandsinstitute. Daher erscheint es der Union besonders wichtig, die Freiheit und die Unabhängigkeit dieser Institute zu ge- währleisten. Vor diesem Hintergrund sucht man überra- schenderweise im Gutachten des Wissenschaftsrates ver- geblich einen triftigen Grund, nach dem die Autonomie der Institute in einer derartig tief greifenden Art einzu- schränken sei, wie es der vorliegende Gesetzesentwurf vorsieht. Einer Optimierung der Synergieeffekte, wie vom Wis- senschaftsrat vorgeschlagen, wird niemand widerspre- chen wollen. Dann sollte allerdings auch in voller Konse- quenz des Vorhabens das Deutsche Archäologische Institut mit einbezogen werden. So regt Herr Professor Dr. Einhäuptl vom Wissenschaftsrat zu Recht an – siehe Ausschussdrucksa- che 14/585 –: „Die Zusammenfassung aller deutschen Geisteswissenschaftlichen Auslandsinstitute – neben den von BMBF finanzierten auch das vom Auswärtigen Amt finanzierte Deutsche Archäologische Institut und die zur Max-Planck-Gesellschaft gehörenden Bibliotheca Hert- ziana – in einem gemeinsamen institutionellen Verbund im Sinne einer Nutzung synergetischer Effekte und damit einer Stärkung der wissenschaftlichen Präsenz Deutsch- lands im Ausland zu erwägen“. Doch derzeit kann davon leider keine Rede sein. Of- fensichtlich ist in der rot-grünen Regierung eine effektive Verständigung über die Grenzen einzelner Ministerien hinweg kaum noch möglich. In Anbetracht dieser nicht zu leugnenden Verständigungsprobleme überrascht es nicht, wenn in letzter Zeit das Bundesministerium für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung erhebliche Schwierigkeiten hatte, freie Direktorenstellen mit kompe- tenten Persönlichkeiten zu besetzen. Offensichtlich waren die angelegten Auswahlkriterien nicht nur rein fachlicher Natur! Ansonsten hätte es keine Probleme bereiten dür- fen, unter der Vielzahl hervorragender deutscher Histori- ker einen geeigneten Vorschlag für den vakanten Posten in Washington zu finden. 0ffensichtlich spielten bisher bei der Auswahl der Di- rektoren die Vorstellungen des entsprechenden SPD-Ar- beitskreises eine entscheidendere Rolle als die jeweilige fachliche Kompetenz der Bewerber. Die betroffenen Beiräte leisteten daher aus verständlichem Grund erbit- terten Widerstand. Wie dünn in der rot-grünen Gefolg- schaft die Personaldecke ist, brauche ich sicherlich vor diesen Hause nicht erneut zu erläutern. Ich sage es mit gebotener Offenheit: Der gegenwärtige Stillstand ist für die Auslandsinstitute unerträglich. Daher darf auf keinen Fall die Neubesetzung der Direktorenstel- len durch ideologisches Gezerre auf die lange Bank ge- schoben werden, da darunter auch die wissenschaftliche Arbeit zu stark leiden würde. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. April 2002 23399 (C) (D) (A) (B) Gleiches gilt für die Besetzung der Beiräte. Das Vorschlagsrecht der Beiräte auf Ergänzung sollte stär- ker Berücksichtigung finden, als bisher beabsichtigt. Schließlich sollte der Stiftungsrat sinnvollerweise im Regelfall den Vorschlägen des Beirates folgen. Abwei- chungen müssten gegebenenfalls – natürlich überzeu- gend – begründet werden. Dabei könnte sich der Stif- tungsrat auf die Voten der gewählten Fachgutachter der Deutschen Forschungsgemeinschaft und des Historiker- verbandes beziehen, zumal diese ohnehin gemäß einer Empfehlung des Wissenschaftsrates anzuhören sind. Auf diese Weise könnte wirksam verhindert werden, dass sich Beiräte allzu autonom nur aus einem bestimmten Kreis rekrutieren. Wenn die Damen und Herren von der Regierungsko- alition die wiederholt von ihnen beschworene Freiheit der Institute wirklich ernst nehmen, müssten sie dem Vor- schlag der Union zustimmen und ein Selbstergänzungs- recht der Beiräte im Antrag zulassen. Doch sie reden im- mer nur von Freiheiten und meinen damit tatsächlich das Einsetzen von Kontrollgremien. Die Direktoren der Institute fühlen sich verständlicher- weise durch den Gesetzentwurf der Regierung mediati- siert. Sie befürchten zudem eine Minderung ihres Anse- hens im Gastland. Bekanntlich haben sich bisher vor Ort die Wissenschafts- und/oder Kulturreferate der Botschaf- ten sehr erfolgreich um die Institute gekümmert. Jetzt soll jedoch auf Betreiben der rot-grünen Koalition eine zentrale Geschäftsstelle in Bonn angesiedelt werden, die von der wirklichen Situation im jeweiligen Gastland kaum hinreichend Kenntnis haben dürfte. Angesichts der Tatsache, dass die Institute um jede einzelne und befris- tete Stelle zu kämpfen haben, stellt sich die Frage, welche Anzahl von Personen in der Geschäftsstelle tatsächlich angesiedelt werden soll. Auf keinen Fall akzeptieren wir eine unnötige und kaum verantwortbare Verwaltungs- bürokratie. Ich frage deshalb: Welche konkreten Aufga- ben soll denn diese Zentralstelle übernehmen? Werden demnächst etwa die hierfür im Haushalt bereitgestellten Mittel aus dem Etat der Institute abgezogen? Nach Auffassung der Regierung wird mit einer solchen Geschäftsstelle das Ministerium entlastet. Ich gebe jedoch dies zu bedenken: Wirklich komplizierte Dinge, wie Haushaltsplanverhandlungen mit dem BMF und Beru- fungsverhandlungen mit den Direktoren – auch hier muss der BMF gewissen Sonderabsprachen zustimmen – kann eine solche Geschäftsstelle kaum wirksam übernehmen. Schließlich waren in der Vergangenheit hierbei im Regel- fall zu Recht Staatssekretäre involviert. Ich sehe überdies auch diese Probleme: Noch immer sind die dienst- und arbeitsrechtlichen Fragen im Hinblick auf die geplante Statusänderung der „Kapitelinstitute“ für die betroffenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in kei- ner befriedigenden Weise geklärt: So gibt es bis heute noch keine klare Aussage des zuständigen Ministeriums, in welcher verbindlichen Rechtsform die bisherigen Be- amtinnen und Beamten im Rahmen der Stiftungen tätig werden sollen. Der § 12 Abs. 2 des Gesetzentwurfes bietet zwar eine Sicherheitsklausel für die erworbenen Rechte aus Arbeits- und Ausbildungsverhältnissen. Rechte aus beamtenrecht- lichen Dienstverhältnissen werden hingegen mit keinem Wort erwähnt. Bisher liegen mir keinerlei Informationen vor, in wel- cher Abgrenzung bei beamtenrechtlichen Fragen die Kompetenzverteilung zwischen der Geschäftsstelle der Stiftung und dem zuständigen Ministerium erfolgen soll. Weiterhin ungeklärt ist die Frage des Verbleibs aller Beschäftigten mit deutschen Dienst- und Arbeitsverhält- nissen im deutschen Sozialsystem. In Italien zum Beispiel herrscht Sozialversicherungspflicht. Eine Befreiung ist bekanntlich nur in Ausnahmefällen und auf Antrag mög- lich. Ich will nicht hoffen, dass die betroffenen Mitarbeite- rinnen und Mitarbeiter bewusst im Unklaren gelassen werden, bis sie schließlich vor vollendeten Tatsachen ste- hen. Ich fordere daher das Ministerium auf, oben ge- nannte dienstrechtliche Konsequenzen, die sich aus dem Gesetzentwurf ergeben, umgehend und auch zufrieden stellend mit den beteiligten Mitarbeiterinnen und Mit- arbeitern zu klären. Fazit: Ich halte es für erfreulich, dass es der Union ge- lungen ist, die Zahl der im Stiftungsrat vertretenen wis- senschaftlichen Beiräte aus den Auslandsinstituten auf vier zu erhöhen. Das nenne ich bei den noch vorherr- schenden Mehrheitsverhältnissen einen achtbaren Erfolg. Was allerdings von den fortwährenden Beteuerungen der Regierung zu halten ist, die Freiheit und Autonomie der Institute zu achten und die geplante Geschäftsstelle über- schaubar klein zu halten, wird die Zukunft weisen. Ich hoffe, dass die Besetzung von Direktorenposten und wei- tere bedeutsame Personalentscheidungen in Zukunft ohne einen ideologischen Filter erfolgen können. Dies schul- den wir dem Ruf der deutschen Geisteswissenschaftli- chen Institute. Dr. Reinhard Loske (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Bundesregierung verfolgt mit diesem Gesetz das Ziel, einen neuen Rechtsträger zu schaffen, unter dessen Dach die sieben geisteswissenschaftlichen Institute im Ge- schäftsbereich des BMBF zusammengefasst werden sol- len. Ihnen kommt eine wichtige Rolle in der auswärtigen Kulturpolitik zu. Die Zusammenfassung bildet die Vo- raussetzung für eine verstärkte Kooperation der Institute untereinander und erleichtert Neuaufnahmen unter einem gemeinsamen Dach. Darüber hinaus stärken wir die Posi- tion der Institute, die in Zukunft ihre Interessen gebündelt vertreten können. In anderen Worten kann man auch sagen: Wir nutzen die synergetischen Effekte und stärken die wissenschaft- liche Position Deutschlands im Ausland. Bisher waren die Institute faktisch absolut unabhängig, die Direktoren konnten eigenständig im jeweiligen Gastland auftreten. Die finanzielle Ausstattung der Institute war hervorra- gend. Diese wird in Zukunft auch nicht beschnitten. Vereinzelte Vorwürfe, die Regierung würde mit diesem Gesetz den spezifischen Ausgestaltungen der einzelnen Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. April 200223400 (C) (D) (A) (B) Institute widersprechen und damit dem Zentralismus Tür und Tor öffnen, halte ich für nicht gerechtfertigt. Die Ein- richtung eines gemeinsamen Stiftungsrats kann nicht als Dirigismus bezeichnet werden. Die Institute können statt- dessen von verwaltungstechnischen Synergieeffekten profitieren, ihre wissenschaftliche Eigenständigkeit aber beibehalten. Wir schaffen mit diesem Gesetz also die Voraussetzun- gen für eine kontinuierliche Weiterentwicklung der Ein- richtungen in einer stärker global orientierten Zeit. Dane- ben werden unauffällig einige Unebenheiten ausgebügelt, die nicht mehr zeitgemäß sind. Ich stimme deshalb dem Gesetzentwurf der Bundes- regierung zu. Ernst Burgbacher (FDP): Der Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Errichtung einer Stiftung Deutsche Geisteswissenschaftliche Institute im Ausland mit Sitz in Bonn weist in der vorliegenden Form einige Mängel und Schwachstellen auf, denen wir als FDP nicht zustimmen können. Daher enthalten wir uns in der heutigen Abstim- mung. Der Gesetzentwurf sieht vor, die sieben im Geschäfts- bereich des BMBF befindlichen geisteswissenschaftli- chen Auslandsinstitute mit unterschiedlichen Organisati- onsformen – die Deutschen Historischen Institute in Paris, London, Rom, Warschau und Washington sowie das Kunsthistorische Institut in Florenz, das Orientinstitut in Beirut und Istanbul sowie das Deutsche Institut für Japan- studien in Tokio – als öffentlich-rechtliche Stiftung zu- sammenzufassen. Vorausgegangen ist in den Jahren 1996 bis 1999 eine Evaluation der Institute durch den Wissen- schaftsrat, der den Instituten viel Anerkennung aussprach. Dennoch empfahl der Wissenschaftsrat einen gemeinsa- men institutionellen Verband. Zu kritisieren ist, dass der nun vorliegende Gesetzent- wurf der Regierung über die Köpfe der unmittelbar Be- troffenen hinweg erarbeitet wurde. Die Expertenanhörung des Bildungsausschusses hat gezeigt, dass die Skepsis groß ist. Zahlreiche Fragen wurden aufgeworfen, die die Bundesregierung nicht schlüssig beantworten konnte. Zum Beispiel: Wo können die viel beschworenen „Synergieeffekte“ zwischen dem Deutschen Historischen Institut in Rom und dem Deutschen Institut für Japan- studien liegen? Hier sind große Zweifel erlaubt. Syner- gieeffekte ergeben sich hingegen seit langem aus der fruchtbaren Zusammenarbeit das DHI in Rom mit der Bi- bliotheca Hertziana. Der historische Kontext der Institute in ihren Gastländern wird ignoriert. Wäre es nicht konsequent, bei einer „Entlassung in die Unabhängigkeit“ die Entscheidungsautonomie bei Perso- nalentscheidungen der Stiftung weitgehend zu übertragen? Stattdessen behält sich das BMBF ein entscheidendes Mit- spracherecht und Vetorecht bei der Personalauswahl vor. Zugleich wird in Kauf genommen, dass die Unabhängig- keit der Direktoren in ihren Gastländern durch die Media- tisierung merklich geschwächt wird. Verwunderlich ist, dass im Stiftungsrat zwar Wissen- schaftsorganisationen, die überwiegend naturwissenschaft- lich geprägt sind, wie die Max-Planck-Gesellschaft (MPG) oder die Alexander-von-Humboldt-Stiftung (AvH), vertre- ten sein sollen, nicht aber der Verband der Historiker Deutschlands (VHD). Erlaubt sei auch die Frage: Was ist mit den geistes- wissenschaftlichen Instituten im Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes? Wie soll der konkrete Aufgabenbereich der Stiftung aussehen? Eindringlich wurde von allen Experten – so- wohl den dezidierten Gegnern wie den vorsichtigen Be- fürwortern einer Stiftung – davor gewarnt, dass die Ge- schäftsstelle Aufgabenbereiche an sich ziehen werde und die Arbeit der Institute durch ein Mehr an Bürokratie und Zentralismus erschweren statt erleichtern könne. Deshalb muss die Geschäftsstelle wirklich klein angelegt sein und klein bleiben. Es darf sich kein bürokratischer Wasserkopf entwickeln. Prinzipiell ist es richtig, sich Gedanken zu machen, wie die Effizienz der Institute erhöht werden kann und welche Synergieeffekte möglich sind. Dem stimmen wir Libera- len zu, jedoch nicht dem Gesetzentwurf der Regierung in dieser Form. Deshalb haben wir einen Änderungsantrag eingebracht, der auch die berechtigten Einwände der be- troffenen Historiker angemessen berücksichtigt. Dies gilt insbesondere für die Bestellung der Direktoren. Ein abso- lutes Vetorecht des Bundes lehnen wir ab. Wir fordern ein suspensives Vetorecht in der ersten Abstimmung; bei ei- ner zweiten Abstimmung entscheidet die Mehrheit der Stiftungsratmitglieder. Auf diese Weise wird verhindert, dass über Jahre hinweg ein Direktorenposten unbesetzt bleibt, wie dies in Washington der Fall ist. Aus Sicht der FDPmuss die Position der wissenschaft- lichen Beiräte gestärkt werden. Die Zahl der Vertreter der wissenschaftlichen Beiräte ist deshalb zu erhöhen. Damit die Gesamtzahl von elf Mitgliedern im Stiftungsrat nicht überschritten wird, soll nur ein Vertreter der DFG dem Stif- tungsrat angehören. Auch müssen die wissenschaftlichen Beiräte der einzelnen Institute ihr Vorschlagsrecht zur Selbstergänzung erhalten. Die ursprüngliche Formulie- rung im Gesetzenwurf der Regierung kommt einer Ent- machtung der Beiräte durch den Stiftungsrat gleich und schwächt deren Stellung in nicht akzeptabler Weise. Wir bitten die Vertreter der Regierungskoalition, unse- rem Änderungsantrag im Interesse der Freiheit der Wis- senschaft und der effizienten Arbeit der Deutschen Aus- landsinstitute zuzustimmen. Dr. Heinrich Fink (PDS): Die PDS unterstützt alle Ini- tiativen, die zur Optimierung der Arbeit der geisteswis- senschaftlichen Auslandsinstitute beitragen. Wir begrüßen daher auch das Grundanliegen des vorliegenden Gesetz- entwurfs der Bundesregierung. Die insgesamt sieben im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Bildung und Forschung angesiedelten Institute sollen demnach un- ter dem Dach einer neuen öffentlich-rechtlichen Stiftung des Bundes zusammengefasst werden. Übergreifende ge- meinsame Aufgaben der einzelnen Institute sollen in Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. April 2002 23401 (C) (D) (A) (B) Zukunft vom Stiftungsrat und der Geschäftsstelle der neuen Stiftung wahrgenommen werden. Ich bin der Auffassung, dass die Arbeit der Auslands- institute von dieser Organisationsreform profitieren kann. Eine institutionelle Integration der geisteswissenschaftli- chen Auslandsinstitute kann zur Erhöhung der Leistungs- fähigkeit und Effizienz der Arbeit der Stiftungen beitragen, wenn sie die Selbstverwaltungsrechte der Einrichtungen grundsätzlich respektiert. Darüber hinaus sehe ich die Per- spektive, eine stärkere Öffnung der Arbeit der Institute für gesellschaftliche Belange in Deutschland und in den Sitz- ländern der Institute herzustellen. Gleichwohl weist der von der Bundesregierung vorge- legte Gesetzentwurf im Einzelnen eine Reihe von Schwachstellen auf, die auch bei Sachverständigenan- hörung im Ausschuss für Bildung, Forschung und Tech- nikfolgenabschätzung am 20. März diesen Jahres zur Sprache gekommen sind. So bedauere ich insbesondere, dass die Stiftung lediglich die dem Geschäftsbereich des BMBF zugeordneten Institute umfassen soll, aber die Auslandsinstitute im Bereich des Auswärtigen Amtes, na- mentlich das Deutsche Archäologische Institut und die Bibliotheca Hertziana, außen vor bleiben sollen. Darüber hinaus halte ich die Zusammensetzung des wichtigsten Organs der neuen Stiftung, des Stiftungsrats, für unausgewogen. Dieses Gremium ist immerhin für so entscheidende Fragen wie die Satzungsgebung, die Fest- stellung des Wirtschaftsplans oder bedeutsame Personal- entscheidungen der Stiftungen zuständig. Erfreulicher- weise ist die Zahl der Vertreterinnen und Vertreter der Institute von drei auf vier angehoben worden – so sieht es die vorliegende Beschlussempfehlung des federführen- den Ausschusses vor. Die PDS begrüßt diese Korrektur, weil sie dem Gedanken der wissenschaftlichen Selbstver- waltung besser gerecht wird. Für problematisch halte ich jedoch weiterhin, dass dem Stiftungsrat keine Vertreterinnen und Vertreter der wis- senschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und des sonstigen Personals der Stiftungen angehören. Diese dür- fen lediglich mit beratender Stimme an den Sitzungen teilnehmen. Ich frage mich ferner, warum unter den im Stiftungsrat vertretenen Wissenschaftlerinnen und Wis- senschaftlern keine Vertreterinnen und Vertreter der Hochschulen sind. Schließlich soll die Organisationsre- form auch die Zusammenarbeit der Auslandsinstitute mit den Hochschulen im In- und Ausland fördern. Gesell- schaftliche Interessen halte ich für unterrepräsentiert: Dem Stiftungsrat gehört lediglich eine vom Stifterver- band für die Deutsche Wissenschaft benannte Vertretung der Wirtschaft an; weder Gewerkschaften noch andere re- levanten gesellschaftlichen Kräfte sind repräsentiert. Schließlich ist entgegen der Empfehlung des Wissen- schaftsrats auch keine Vertretung ausländischer Wissen- schaftlerinnen und Wissenschaftler im Stiftungsrat ge- währleistet. Zum Abschluss möchte ich kritisch einwenden, dass mit dem Regierungsentwurf auch das Gleichgewicht zwi- schen der staatlicher Kontrolle und Rahmensetzung durch den Staat auf der einen Seite und der wissenschaftlichen Selbstverwaltung auf der anderen Seite nicht gesichert wird. Ich denke dabei insbesondere an das Vetorecht der Vertreterinnen und Vertreter des BMBF im Stiftungsrat in Angelegenheiten des Wirtschaftsplans, der Bestellung von Institutsdirektorinnen und -direktoren und bei Sat- zungsänderungen sowie an die Berufung der wissen- schaftlichen Beiräte der Einzelinstitute durch den Stif- tungsrat. In diesen Fragen sind Nachjustierungen angemessen, sodass die PDS dem vorliegenden Ände- rungsantrag der FDP-Fraktion zustimmt. Die von mir benannten Schwachstellen des Gesetzent- wurfs sind jedoch nicht so gravierend, dass sich meine Fraktion den zu erwartenden Verbesserungen der Rah- menbedingungen der Arbeit der geisteswissenschaftli- chen Auslandsinstitute in den Weg stellen wird. Trotz der Unzulänglichkeiten im Detail ist der Gesetzentwurf ins- gesamt zustimmungsfähig, da auf diese Weise die not- wendige Organisationsreform der Auslandsinstitute über- haupt in Gang gesetzt wird. Ich erwarte, dass die Auswirkungen der Reform und die Arbeit der Stiftung in absehbarer Zeit evaluiert werden und wir über weitere Verbesserungen des Gesetzes sowie die Einbeziehung weiterer Institute diskutieren können. Wolf-Michael Catenhusen, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Bildung und Forschung: Mit dem heute zur Entscheidung anstehenden Gesetzentwurf beabsichtigt die Bundesregierung die Schaffung eines neuen Rechtsträgers, unter dessen Dach die sieben geis- teswissenschaftlichen Institute im Geschäftsbereich des BMBF mit Standorten in Rom, Paris, London, Washington, Warschau, Beirut/Istanbul und Tokio zusammengefasst werden sollen. Die Zusammenfassung dieser Institute un- ter dem Dach eines Trägers schafft die Voraussetzung für mehr interne Kooperation, ein verbessertes Auftreten in der Öffentlichkeit, die Erleichterung von Neuaufnahmen unter einem gemeinsamen Dach – hier gibt es schon ein konkretes Projekt in Russland – und die bessere Wahr- nehmung gemeinsamer Anliegen. Dieses Vorhaben der Bundesregierung ist ein Element der Anstrengungen der Bundesregierung zur Neuordnung der Forschungsland- schaft. Die Initiative der Bundesregierung geht zurück auf ei- nen Prüfauftrag des Wissenschaftsrates, der in den Jahren 1996 bis 1999 die oben genannten Institute und das Kunsthistorische Institut Florenz evaluiert hat. In seiner abschließenden Stellungnahme regte der Wissenschafts- rat an, zu prüfen, ob ein gemeinsames institutionelles Dach für alle aus öffentlichen Mitteln finanzierten geis- teswissenschaftlichen Forschungseinrichtungen im Aus- land geschaffen werden sollte. Ausgehend hiervon hat das BMBF das Kunsthistori- sche Institut Florenz wegen der besonderen fachlichen Nähe zur Bibliotheca Hertziana, die von der Max-Planck- Gesellschaft getragen wird, an diese mit Wirkung von An- fang dieses Jahres übertragen. Für die übrigen Institute hat das BMBF, ausgehend von einem Konzept zur Neuord- nung der geisteswissenschaftlichen Einrichtungen im Ausland, eine gemeinsame öffentlich-rechtliche Träger- schaft konzipiert, die alle oben genannten Einrichtungen umfassen soll. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. April 200223402 (C) (D) (A) (B) Damit wird den Einrichtungen eine Organisationsform gegeben, die mehr wissenschaftliche Selbstverwaltung ermöglicht. Ich betone das insbesondere, weil in der Dis- kussion um den Gesetzentwurf und die Neuordnung der Auslandsinstitute immer wieder der Vorwurf erhoben wurde, es würden die Voraussetzungen für mehr Zentra- lismus und mehr Dirigismus geschaffen. Der Vorwurf ist unfair und entspricht nicht den Tatsachen. Gerade die so genannten Kapitelinstitute sind bisher als nachgeordnete Behörde verfasst, was bestimmt nicht ihrer Aufgabe und ihrem Anspruch auf wissenschaftliche Unabhängigkeit entspricht. Die Zusammenfassung unter einem Dach er- folgt mit einem Stiftungsrat, der überwiegend mit Wis- senschaftlern besetzt ist. Die Institute behalten ihre Selbstständigkeit. Es gibt eine klare Abgrenzung zwi- schen den Befugnissen der Direktoren und den Befugnis- sen des Stiftungsrates, der als Aufsichts- und Lenkungs- gremium konstruiert ist. Um es ganz deutlich zu sagen: Das vorgelegte Gesetz fällt hinsichtlich der wissenschaft- lichen Freiheit der einzelnen Institute hinter keine der bis- her existierenden Regelungen zurück. Es schafft gleich- zeitig die Voraussetzungen für eine kontinuierliche Weiterentwicklung der Einrichtungen in einer stärker glo- bal orientierten Weit. Die bisher geäußerte Kritik erklärt sich für mich vor al- lem aus der Angst vor dem unbekannten Neuen. Das zeigt sich auch daran, dass vonseiten des Kunsthistorischen Instituts Florenz keine vergleichbaren Vorwürfe oder Be- denken gegen eine Integration in die Max-Planck-Gesell- schaft erhoben wurden. Auch die Max-Planck-Gesell- schaft verfügt über eine zentrale Verwaltung und ein gemeinsames Leitungs- und Aufsichtsgremium. In der Diskussion ist darüber hinaus oft der Sinn der Zusammenfassung hinterfragt worden und insbesondere auf die positive Evaluation der einzelnen Institute durch den Wissenschaftsrat verwiesen worden. Die Zusammen- fassung der Institute unter einem gemeinsamen Dach ist aus Sicht der Bundesregierung Voraussetzung für die wei- tere Entwicklung der Institute. Die gewachsenen Struktu- ren der einzelnen Institute – beim DHI Rom sind es mehr als 100 Jahre – tragen den heutigen Anforderungen in einer global orientierten und modernen internationalen Forschungslandschaft hinsichtlich der Sichtbarkeit der Institute wie auch ihrer Kooperation untereinander nicht mehr hinreichend Rechnung. Der Gesetzentwurf schafft die Voraussetzung für eine kontinuierliche und zukunfts- fähige Weiterentwicklung der Einrichtungen. Für die In- stitute ist damit keine Revolution beabsichtigt. Die Insti- tute bedürfen auch keiner Revolution, sondern vielmehr einer Weiterentwicklung, für deren Voraussetzung die Bundesregierung sorgt. Es ist erfreulich, dass im Verlauf der Diskussion sich überwiegende Teile der Opposition dem Gesetzentwurf der Bundesregierung angeschlossen haben. Ursache hier- für mag vielleicht auch gewesen sein, dass die Erkenntnis in die Notwendigkeit für eine Reform der Struktur der Auslandsinstitute bereits unter der letzten Bundesregie- rung existierte – jedoch dann der Mut zur Umsetzung nicht mehr vorhanden war. Insofern danke ich für die Un- terstützung. Anlage 15 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Eine Grundsicherung in die Arbeitslosenversicherung einführen (Tagesordnungspunkt 33) Ute Kumpf (SPD):Der Antrag der PDS-Fraktion ist nicht nur populistisch, er ist auch nicht durchdacht. Denn die geforderte Einführung einer bedarfsorientierten Grund- sicherung in die Arbeitslosenversicherung ist schlichtweg eine unzulässige Vermischung des Versicherungsprinzips in der Arbeitslosenversicherung mit dem Fürsorgeprinzip. Völlig klar ist – die Einführung einer Grundsicherung würde jeden Anreiz für einen Arbeitslosenhilfeempfänger beseitigen, selbst aktiv zu werden und sich um eine neue Beschäftigung zu bemühen. In diesem Punkt herrscht par- teiübergreifend – bis auf eine Ausnahme – Übereinstim- mung. Einmal wieder lässt die alte passive Denkweise der PDS grüßen. Manchmal kommt man mit dieser Denkweise auch zu spät und rennt gegen Mauern an, wo gar keine sind. So ge- schehen bei der Forderung der PDS nach Zusammenfas- sung der Aufgaben von Arbeits- und Sozialämtern. Hier ist die Bundesregierung bereits aktiv. Die Zusammen- führung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe wird im Rahmen der geförderten Modellvorhaben zur Verbesse- rung der Zusammenarbeit von Arbeitsämtern und Trägern der Sozialhilfe (MoZArT) bereits erprobt. MoZArT steht für die Erprobung neuer Wege der Ko- operation beider Leistungsträger, für die Verbesserung der Arbeitsvermittlung von Hilfebedürftigen, für die Steige- rung der Hilfen zur Eingliederung und schließlich für eine bürgernahe und vereinfachte Gestaltung des Verwaltungs- verfahrens. An diesem Modellvorhaben beteiligen sich Arbeits- und Sozialämter in 30 Orten im gesamten Bun- desgebiet. Zur Zeit wird MoZArt mit einem Volumen von jährlich bis zu 15 Millionen Euro gefördert. Gefördert werden re- gionale und innovative Modellvorhaben, die eine sub- stanzielle Verbesserung der Zusammenarbeit von Arbeits- und Sozialverwaltung zum Ziel haben. Mit dem „Gesetz zur Verbesserung der Zusammenarbeit von Arbeitsämtern und Trägern der Sozialhilfe“, das die Koalitionsfraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen am 20. Novem- ber 2000 beschlossen haben, wurden die gesetzlichen Grundlagen für eine verbesserte Zusammenarbeit von Ar- beitsämtern und Sozialämtern gelegt. Konkrete Inhalte sind die Errichtung von gemeinsamen Anlaufstellen von Arbeitsamt- bzw. Sozialhilfeträgern, die Straffung der Verwaltungsabläufe, die Verbesserung des Informations- bzw. Datenaustausches zwischen den Äm- tern, die Durchführung gemeinsamer Qualifizierungs- bzw. Beschäftigungsmaßnahmen sowie die gemeinsame Bewilligung und Auszahlung durch eine Stelle. Diese Maßnahmen werden wissenschaftlich begleitet und unter anderem mit dem Ziel ausgewertet, aus der Pra- xis Erkenntnisse über Gestaltungsmöglichkeiten zu ent- wickeln. Deshalb ist es zum gegenwärtigen Zeitpunkt auch zu früh, über die einzelnen im Antrag geforderten Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. April 2002 23403 (C) (D) (A) (B) Schritte einer Reform der Verwaltungswege zwischen Ar- beits- und Sozialämtern zu entscheiden. Der Reformbedarf der Sozialhilfe ist unbestritten. Mit MoZArT sind wir auf dem richtigen Weg. Nun gilt es zunächst die wissenschaftlichen Auswertungen der Erpro- bungen abzuwarten, damit dieser Weg auch zum Ziel führt. Erste Ergebnisse sollen Ende des Jahres 2002 vorliegen. Wir fordern nicht nur – wir handeln auch. Auf dem Ge- biet der aktiven Arbeitsmarktpolitik können wir bereits Ergebnisse vorweisen, wo die PDS noch fordert. Denn die im Antrag niedergeschriebenen Reformen der Maßnah- men der aktiven Arbeitsmarktpolitik haben wir bereits im Job-AQTIV-Gesetz umgesetzt. Lassen Sie mich nur einige Beispiele nennen. Mit Job- AQTIV werden unter anderem die derzeit bestehenden unterschiedlichen Lohnkostenzuschüsse an Arbeitgeber vereinheitlicht. Eine ABM-Förderung ist jetzt auch ohne Wartezeit möglich. Bei ABM, die an Wirtschaftsunter- nehmen vergeben werden, wurde im Gesetz die Voraus- setzung der Zusätzlichkeit der Arbeiten durch die Voraus- setzung des zusätzlichen Fördermitteleinsatzes ersetzt. Neu hinzugekommen ist das Instrument der beschäf- tigungsfördernden Auftragsvergabe. Eine schlimme Erblast der Regierung Kohl ist der bis- lang einmalige und traurige Rekord von Sozialhilfeemp- fängern in Deutschland. Von 1992 bis 1998 ist die Zahl der Sozialhilfeempfänger von 2,3 Millionen auf 2,9 Mil- lionen Menschen gestiegen. Der Anteil der Sozialhilfe- empfänger an der gesamten Bevölkerung lag damit bei 3,3 Prozent. 1965 lag dieser Anteil bei noch 1 Prozent. Dies ist eine der gesellschaftspolitischen Bankrott- erklärungen der Regierung Kohl. Seit dem Regierungsantritt im Herbst 1998 ist es uns ge- lungen, diesen verhängnisvollen Trend umzukehren. Zum Jahresende 2000 ist die Zahl der Sozialhilfeempfänger auf knapp 2,7 Mio. gesunken. Damit waren 8 Prozent weniger Menschen auf Sozialhilfe angewiesen als noch 1998. Damit können wir uns aber nicht zufrieden geben. Wir suchen weiter nach Möglichkeiten, die Menschen aus der Sozialhilfe zu führen. Dabei spielt die stärkere Verzahnung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe eine wichtige Rolle. Unter dem Motto „Fördern und Fordern“ setzen wir mit unserem Reform- konzept die Linie konsequent fort, die wir auf dem Gebiet der Arbeitsmarktpolitik mit dem Job-AQTIV-Gesetz ver- folgen. Wir setzen auf das aktive Zusammenwirken der verschiedenen Akteure vor Ort, auf eine intensive Bera- tung, passgenaue und frühzeitig greifende Eingliede- rungshilfe wie Hilfeplanung. Wir streben eine Reform der Sozialhilfe an, die mehr Bürgernähe und weniger Bürokratie bringt und zu einer möglichst schnellen Eingliederung der Betroffenen in den Arbeitsmarkt beiträgt. Im Mittelpunkt steht für uns der Mensch. Gefragt ist die helfende Hand und nicht die dro- hende Faust. Ziel einer vom Lebenslagenansatz ausgehenden Re- form soll ein einfaches, transparentes und in sich konsis- tentes System der Gewährung der materiellen Hilfeleis- tungen sein. Zum anderen geht es darum, durch mehr individuelle Unterstützung Sozialhilfebedürftigkeit zu vermeiden bzw. zu überwinden. Für eine seriöse und an den Erfordernissen der Praxis orientierte Reform der Sozialhilfe liegen in der nächsten Legislaturperiode die notwendigen Ergebnisse aus den noch laufenden Modellvorhaben wie zum Beispiel MoZArT oder denen zur Pauschalierung von Leistungen der Sozialhilfe vor. Unsere Eckpunkte für eine solche Reform sind unter anderem: Die Verbesserung der aktivierenden Instru- mente und Leistungen der Sozialhilfe: Die zentralen Ele- mente sind eine „Förderkette“ (Beratung, Assessment, Hilfeplanung, Case-Management), der Zugang zu Be- schäftigung und zu Qualifikation und die Ko-Produktion der Beteiligten. Die Verbesserung der Integration in den Arbeitsmarkt: Für eine schnellere Integration in den Arbeitsmarkt gilt es die laufenden Modellvorhaben aus dem Projekt MoZArT zur Verbesserung der Zusammenarbeit von Arbeitsämtern und Trägern der Sozialhilfe auszuwerten, die notwen- digen Schlussfolgerungen zu ziehen und entsprechende gesetzliche Regelungen zu treffen. Die transparente und bedarfsgerechte Weiterentwick- lung der finanziellen Leistungen. Ein weiterer Eckpunkt ist schließlich die Stärkung der Selbstverantwortung des Hilfeempfängers und die Ver- einfachung der Verwaltung. Wir bekennen uns zu unserer Verantwortung gegen- über den Schwächeren in unserer Gesellschaft. Deswegen wollen wir im Rahmen der Reform der Arbeitslosen- und Sozialhilfe keine Absenkung der zukünftigen Leistungen auf Sozialhilfeniveau. Die finanziellen Auswirkungen für die Kostenträger werden in der Gemeindefinanzreform zu berücksichtigen sein. Denn wir fahren eine Politik der helfenden Hand und nicht der drohenden Faust! Wolfgang Meckelburg (CDU/CSU): Die PDS beab- sichtigt mit ihrem Antrag, eine Grundsicherung in die Ar- beitslosenversicherung einzuführen. Aus Sicht der Union geht dieser Antrag in die völlig falsche Richtung. Die Ein- führung einer Grundsicherung verhindert geradezu jeden Anreiz für Arbeitslosenhilfeempfänger, sich selbst um eine Beschäftigung zu bemühen. Dies aber ist das erklärte Ziel der Reformvorschläge der Union. Denn im Gegensatz zur rot-grünen Bundesre- gierung verfügt die Union über ein gegengerechnetes Re- formkonzept. Wir wollen durch eine Zusammenlegung der beiden Systeme Beschäftigungsanreize für Langzeit- arbeitslose schaffen und gleichzeitig die individuelle Be- treuung der Arbeitssuchenden verbessern. Die Kommunen sollen Träger der reformierten Hilfe- leistung werden. Sie werden dafür bei der Sozialhilfe ent- lastet – Kinder und Behinderte aus der Sozialhilfe – und erhalten eigene Gestaltungsoptionen für den Arbeits- markt. Hintergrund unserer Überlegungen ist, dass heute rund 2,7 Millionen Sozialhilfeempfänger – darunter fast 1 Million Kinder! – auf die „Hilfe in besonderen Lebens- lagen“ angewiesen sind. Das kostet die Kommunen rund Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. April 200223404 (C) (D) (A) (B) 10 Milliarden Euro pro Jahr. Die Gesamtausgaben der So- zialhilfeträger belaufen sich auf fast 25 Milliarden Euro und fließen zum größten Teil in die „Hilfe in besonderen Lebenslagen“ wie zum Beispiel die Eingliederungshilfe für Behinderte. Von den 2,7 Millionen Sozialhilfeempfängern sind rund 1 Million Menschen grundsätzlich arbeitsfähig, weil sie weder Familienpflichten haben noch krank, behindert oder über 65 Jahre alt sind. Daneben gibt es rund 1,3 Mil- lionen Menschen, die ebenfalls arbeitslos und bedürftig sind und die von der Bundesanstalt für Arbeit insgesamt rund 13 Milliarden Euro in 2000 an Arbeitslosenhilfe be- zogen haben. Unser Ziel ist es, diesem Personenkreis, der das gleiche Problem teilt – keine Arbeit –, gleiche Leis- tungen durch dasselbe Instrument bei durchgehender Be- treuung anzubieten. Die Vermittlung in den ersten Arbeitsmarkt hat für uns oberste Priorität. Die derzeitige Ausgestaltung der Sozial- hilfe verhindert aber genau das, da sie praktisch wie eine Lohnuntergrenze wirkt. Der Anreiz für einen sozialhil- febedürftigen Familienvater einer fünfköpfigen Familie – ein Kind unter drei, zwei Kinder unter 18 Jahre – zu ar- beiten, hält sich sehr in Grenzen, da er sich mit der der- zeitigen Sozialhilfe, circa 1 700 Euro, insgesamt besser stellt, als ein vergleichbarer Familienvater, der in einem regulären Arbeitsverhältnis steht. So erhält beispielsweise ein im Einzelhandel Beschäftigter im ersten Berufsjahr ein Monatseinkommen von nur 1 200 Euro. Die Union beabsichtigt die Wirkung der Sozialhilfe als Lohnuntergrenze aufzubrechen. Wie? Erstens. Die CDU plant ein Familiengeld einzuführen. Dadurch wird erreicht, dass Kinder nicht mehr sozialhil- febedürftig sind und keine Familie mehr wegen eines Kin- des in die Sozialhilfe abrutscht. Gleichzeitig bewirkt das Familiengeld, dass das Lohnabstandsgebot auch bei kin- derreichen Familien wieder eingehalten wird. Der vom Sozialamt auszuzahlende Betrag für die Familie und da- mit der Schwellenwert, ab dem sich Arbeiten wieder lohnt, sinkt deutlich. Zweitens. Die Union fordert ein Leistungsgesetz für Behinderte. Dieses löst die derzeitige Eingliederungshilfe im Sozialhilferecht ab und holt diese Menschen ebenfalls aus der Sozialhilfe heraus. Drittens. Für Diejenigen, die jung genug und gesund sind, deren familiäre Situation es zulässt und für die eine Arbeit oder ein Ausbildungsplatz vorhanden ist, gilt künf- tig: Das Regel-Ausnahme-Verhältnis der derzeitigen So- zialhilfe wird umgekehrt. Das Sozialamt muss nicht mehr die Zahlungen kürzen, wenn eine zumutbare Arbeit ver- weigert wird, sondern der Hilfeempfänger hat von vorn- herein nur einen Anspruch auf die volle Leistung, wenn er eine angebotene Arbeit annimmt, einer gemeinnützigen Tätigkeit nachgeht oder eine Ausbildung absolviert. Ar- beitet er allerdings trotz eines Arbeitsangebotes nicht, hat er nur Anspruch auf das absolute Existenzminimum. Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die PDS hat einen Antrag vorgelegt, der populistisch und nicht durchdacht ist. Sie will eine Grundsicherung in die Arbeitslosenversicherung einführen. Wir halten die Ein- führung einer bedarfsorientierten Grundsicherung in die Arbeitslosenversicherung für eine unzulässige Ver- mischung des Versicherungsprinzips mit dem Fürsorge- prinzip. Darüber hinaus widerspricht ein solcher Vor- schlag dem Grundprinzip der Arbeitslosenversicherung, nur das Arbeitsentgelt für einen befristeten Zeitraum zu ersetzen und – durch die Befristung – dem Arbeitslosen einen Anreiz zu geben, schnellstmöglich eine neue Be- schäftigung aufzunehmen. Die Einführung einer bedarfsorientierten Grundsiche- rung als eigenständiges steuerfinanziertes Leistungssys- tem ist ein wichtiger Baustein des grünen Ansatzes von mehr sozialer Sicherheit und Flexibilität. Deshalb planen wir eine Zusammenlegung der Arbeitslosen- und Sozial- hilfe in der Grundsicherung, die allen Arbeitslosen den Zugang zu den Instrumenten der Arbeitsförderung nach dem Prinzip des Förderns und Forderns öffnet. Wer sich aus eigener Kraft nicht helfen kann, der wird unterstützt. Wer in der Lage ist, sich selbst zu unterhalten, der soll dazu auch verpflichtet sein. Er muss aber auch darin un- terstützt werden. Erwerbslose müssen in die Lage versetzt werden, erwerbstätig zu werden, zum Beispiel durch die Ausarbeitung individuell auf sie zugeschnittener Einglie- derungspläne. So erschöpfen sich die Hilfen, die eine Grundsicherung bieten, nicht in einer Verbesserung der materiellen Situation, sondern werden ergänzt von akti- vierenden Angeboten, welche der gesellschaftlichen Aus- grenzung von Berechtigten entgegenwirken. Auf diesem Weg haben wir erste Schritte bereits in die- ser Wahlperiode unternommen. So können die Bundeslän- der die Kommunen berechtigen, Leistungen der Sozialhilfe pauschaliert zu erbringen. Mit diesen Modellversuchen sol- len Verfahren der Leistungsgewährung erprobt werden, die letztendlich die Bürger weniger entmündigen und zugleich die Verwaltung vereinfachen. Bei den zahlreichen „MoZArT“-Modellprojekten sind Arbeitsämter und die Träger der Sozialhilfe nun in der Lage, Hilfe aus einer Hand zu bieten. Sozialämter können Arbeitslosenhilfe auszahlen und Arbeitsämter Sozialhilfe. Beide Ämter können auch eine dritte Stelle mit der Aus- zahlung beauftragen. Das vereinfacht die Verwaltung deut- lich, vor allem für jene Bürgerinnen und Bürger, die sowohl Sozial- als auch Arbeitslosenhilfe bekommen. Sozialhilfe- empfänger können auch an Maßnahmen des Arbeitsamtes teilnehmen. Viele Bundesländer haben die Anreize ver- stärkt, eine Erwerbsarbeit aufzunehmen. Diese Erfahrun- gen sollen bei der in der nächsten Legislaturperiode anste- henden umfangreichen Reform zur Geltung kommen. Als ersten Schritt einer umfassenden sozialen Grundsi- cherung haben wir in dieser Legislaturperiode die Alters- grundsicherung in der Rente eingeführt. Als zweiten Schritt wollen wir in der kommenden Legislaturperiode eine Kindergrundsicherung einführen. Wir wollen Kin- dern, die von Armut am stärksten betroffen sind und am wenigsten aus eigener Kraft dagegen tun können, ein Le- ben oberhalb des Existenzminimums ermöglichen. Was haben Kinder mit der Arbeitslosenversicherung zu tun? Wir fordern ein Recht für Kinder, menschenwürdig zu le- ben. Unser Konzept der Kindergrundsicherung setzt un- mittelbar da an, wo Not herrscht, und nicht, wie in Ihrem Antrag, am Kriterium der Arbeitslosigkeit. Die Vorschläge der PDS überfordern die Arbeitslosen- versicherung und die Versichertengemeinschaft – Armuts- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. April 2002 23405 (C) (D) (A) (B) bekämpfung muss steuerfinanziert und nicht beitragsfi- nanziert sein. Dirk Niebel (FDP): Die Einführung einer steuerfinan- zierten Grundsicherung war bei der Rentenversicherung falsch und sie ist es auch bei der Arbeitslosenversiche- rung. Das von der PDS vorgeschlagene Konzept will die Probleme, die wir bei der Sozialhilfe dringend bekämpfen müssen, auf die Arbeitslosenversicherung ausweiten. Außerdem läuft es allen Erkenntnissen zum Thema „Re- form der sozialen Sicherungssysteme“ zuwider. Daher lehnen wir diesen Vorschlag ab. Es ist in diesem Hohen Haus schon x-mal gesagt wor- den. Aber da es einige offensichtlich immer noch nicht verstanden haben, sage ich es noch einmal: Grundprinzip jeder Versicherung ist das Äquivalenzprinzip: Die Höhe der garantierten Leistung ergibt sich aus dem vorher ein- gezahlten Beitrag. Und Grundprinzip unseres Sozialsys- tems ist das Subsidiaritätsprinzip: Vor der Unterstützung durch den Staat steht die Selbsthilfe des Betroffenen. Hinsichtlich der Reform der Arbeitslosenversicherung sind sich alle Experten in einem einig: Das System muss dringend transparenter werden. Und der wichtigste Schritt zu mehr Transparenz ist, Versicherungsleistungen und Umverteilungselemente voneinander zu trennen. Der PDS-Vorschlag bewirkt aber genau das Gegenteil: Sie wollen Sozialpolitik über eine Versicherung machen. Wo- hin das führt, haben wir gesehen: Zu einer aufgeblähten Verwaltung, in der niemand mehr einen Überblick hat, welche Gelder wohin fließen. Aber das von der PDS vorgeschlagene System hätte nicht nur höhere Kosten zur Folge; es ist auch in hohem Maße ungerecht. Wenn jeder arbeitslos Gemeldete eine Grundsicherung aus der Arbeitslosenversicherung garan- tiert bekäme, dann erhielte jemand, der zuvor keine oder nur sehr geringe Beiträge gezahlt hat, dieselbe Leistung wie jemand mit deutlich höheren Beiträgen. Das ließe sich keinem Beitragszahler mehr vermitteln. Darüber hinaus vermindert eine garantierte Grundsicherung gerade bei Geringverdienern den Anreiz, eine normale Beschäfti- gung aufzunehmen. Dieses Problem sehen wir insbeson- dere in der Sozialhilfe deutlich. Und die Diskussion um eine Reform dort zeigt, wie schwierig es ist, aus diesem Dilemma herauszukommen, Es wäre ja geradezu töricht, diese Schwierigkeiten jetzt auch auf die Arbeitslosenver- sicherung auszuweiten. Genau das würde aber passieren, wenn der Antrag der PDS beschlossen würde. In der Begründung eben jenes Antrags argumentiert die PDS, dass der Bund die Kosten der sozialen Sicherung nicht immer mehr auf die Kommunen abwälzen dürfe. Es ist in der Tat nicht mehr zu ertragen, wie die rot-grüne Bundesregierung versucht, immer mehr Wohltaten unter das Volk zu bringen, und – da im Bundeshaushalt kein Geld dafür da ist – die Länder und Kommunen die Zeche zahlen lässt. Jüngstes Beispiel ist die beitragsfreie Grund- sicherung im Alter. Die Mehrbelastung der Städte und Ge- meinden soll hier zwar über einen versprochenen Bun- deszuschuss ausgeglichen werden, aber die Vergangenheit lehrt, dass die Höhe solcher Zuschüsse mit den tatsächlichen Kosten nur wenig zu tun hat. Die PDS will Lasten von den Kommunen auf den Bund verschieben. Zusätzlich 6 bis 7 Milliarden DM soll der Bund in die Arbeitslosenversicherung zuschießen, um die Grundsicherung zu finanzieren. Das ist schon ein höchst seltsames Verständnis von Problemlösung. Sie kritisieren die ungerechte Verteilung von Lasten, und um das auszu- gleichen, schaffen sie erst einmal zusätzliche Kosten. Die Probleme der Arbeitslosenversicherung lassen sich nur beseitigen, wenn wir jetzt endlich die längst überfäl- ligen Reformen angehen, das heißt eine klare Trennung zwischen Versicherung und Umverteilung in allen Berei- chen des Sozialsystems. Es gibt eine Versicherungs- pflicht, wo es nötig ist, aber es bleibt der freien Entschei- dung des Einzelnen überlassen, wie er oder sie dieser Pflicht nachkommt. Wer Umverteilung wünscht, muss sie auch finanzieren. Bei sämtlichen öffentlichen Hilfen muss die Rückkehr zum Subsidiaritätsprinzip gelten: Hilfe bekommt nur, wer sich nicht selber helfen kann. Gleichermaßen muss der Grundsatz gelten: Leistung ge- gen Bereitschaft zur Gegenleistung. Die Sozialsysteme müssen bezahlbar bleiben. Nur wenn die Beiträge nicht ins Unermessliche steigen, werden sie von den Menschen akzeptiert. Pia Maier (PDS): Der Antrag der PDS-Fraktion „Eine Grundsicherung in die Arbeitslosenversicherung ein- führen“ ist unsere Antwort auf Ihre Debatte zur Zusam- menlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe. CDU/CSU und FDP entwerfen in ihren Anträgen hier im Bundestag scharf umrissene Bilder. Sie wollen die Ar- beitslosenhilfe abschaffen. Damit fiele jede und jeder, der oder die Arbeitslosengeld bezog, keine neue Stelle fand, nach der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes in die So- zialhilfe. Für die Betroffenen hieße das der direkte Weg in die Armut. Und das machen wir nicht mit. Das Arbeitslosengeld und auch die Arbeitslosenhilfe gehen vom ehemaligen Lohn aus. Die Arbeitslosenhilfe reduziert sich nicht sofort, wenn der Partner oder die Part- nerin auch arbeitet und das Haushaltseinkommen auf- stockt, wie das bei der Sozialhilfe der Fall ist. Deswegen wirkt sich die Abschaffung der Sozialhilfe auch besonders dann aus, wenn man das Haushaltseinkommen betrachtet. Am deutlichsten spüren die den Einkommensverlust, der in der Abschaffung der Arbeitslosenhilfe steckt, die vor- her ein ordentliches Einkommen hatten. Dann sind die 53 oder 57 Prozent des ehemaligen Lohns deutlich mehr als die Sozialhilfe. Der Sozialhilfe liegt ein anderes Prinzip zugrunde: Hier wird nicht nach dem Lohn gefragt, sondern nur er- rechnet, was der Haushalt braucht. Danach bemessen sich die Regelsätze und die einmaligen Zahlungen, zum Bei- spiel für Wintermäntel. Bei hohem ehemaligen Verdienst liegt die Sozialhilfe darunter, wenn auch viele, die Ar- beitslosenhilfe beziehen, auf ergänzende Leistungen des Sozialamtes mindestens Anrecht haben. Nur ein Beispiel, wie sich das auf eine ganz normale Fa- milie auswirkt: Ein Ehepaar – er erhält ein Durchschnitts- entgelt, sie zwei Drittel; das ist die übliche Verteilung der Einkommen zwischen Männern und Frauen in der Ehe, Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. April 200223406 (C) (D) (A) (B) leider. Beide haben ein Kind. Während der Erwerbstätig- keit hat die Familie ein Einkommen von rund 2 670 Euro. Wurde er arbeitslos und erhält dann Arbeitslosenhilfe, liegt das Haushaltseinkommen bei rund 1 920 Euro aus ihrem Verdienst, der Arbeitslosenhilfe und dem Kindergeld. Bei abgeschaffter Arbeitslosenhilfe liegt das Haushaltsein- kommen dann bei 1 480 Euro. Das sind rund 440 Euro we- niger. Was Sie hier immer herunterspielen, indem sie sa- gen, es sind doch beides steuerfinanzierte Leistungen, die nach Bedarf gezahlt werden, ist in Wahrheit ein großes Verarmungsprogramm. Abgesehen von der Berechnungsart hat die Sozialhilfe auch schärfere Regeln, wie viel Vermögen aufgebraucht sein muss, bevor man als bedürftig im Sinne der Sozial- hilfe gilt. Da die Sozialhilfe einst gedacht war, um in letz- ten Notfällen zu helfen, hatten diese Regeln damals auch einen Grund. Inzwischen ist die Sozialhilfe aber zu einer dauerhaften Versorgung für viele geworden, denen diese Gesellschaft nichts anderes mehr anbietet. Arbeitslosigkeit ist die häufigste Ursache für den Bezug von Sozialhilfe und Langzeitarbeitslosigkeit ist ein wachsendes Phäno- men, das mit steigender Arbeitslosigkeit, mit andauernd hohen Arbeitslosenzahlen auch weiter zunehmen wird. Die Abschaffung der Arbeitslosenhilfe heißt zudem auch, die Sozialversicherungen weiter in die Finanznot zu treiben. Im Gegensatz zu Sozialhilfeberechtigten sind die Arbeitslosenhilfeempfangenden noch in die Kranken- und Rentenversicherung integriert. Der Bund bezahlt die entsprechenden Beiträge in die Kassen ein. Für die So- zialhilfeempfänger und -empfängerinnen tut er das nicht. Für die werden nur tatsächlich anfallende, unabwendbare Behandlungskosten erstattet. Und im Alter wird die So- zialhilfe einfach weiter gezahlt. Sie schaden nicht nur den Familien, den Arbeitslosen, Sie ruinieren auch die Sozial- kassen weiter. Die SPD spricht derzeit nur von Verzahnung – es ist ja Wahlkampf. So lange wird noch besonderer Wert darauf gelegt, dass es nicht um eine Zusammenlegung gehe. Wie auch immer sie es nennen, es läuft systematisch auf die Abschaffung der Arbeitslosenhilfe zu. Es wurde schon ge- probt, wie groß der Aufschrei sein würde – leider noch nicht laut genug, als Florian Gerster und Minister der SPD-geführten Länder schon von der Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe redeten. Der Wahlkampf bietet nur Aufschub. Wer die Arbeits- losen- und Sozialhilfe verzahnen will, muss die Arbeits- losenhilfe nach unten angleichen. Das verlangt die Syste- matik, denn die Sozialhilfe ist Hilfe in Notlagen, keine dauerhafte. Jedenfalls eigentlich. Ob Aushöhlung durch Verzahnung oder Abschaffung durch Zusammenlegung, die Folge ist jedenfalls: Die Ar- beitslosenversicherung wird noch weniger akzeptiert wer- den. Wenn es nach Gerster geht, kann man für jahrelange Beiträge nur Leistungen für maximal ein Jahr erwarten, wenn man arbeitslos wird. Nach dem Arbeitslosengeld wird man dann auf die Sozialhilfe verwiesen. Damit för- dern Sie die Erosion der sozialen Sicherungssysteme. Klar, dass die Bereitschaft, Beiträge zu zahlen, sinkt. Klar, dass man dann lieber privat für sich sorgt, wenn keine dauer- hafte Sicherung mehr zu erwarten ist. Die Arbeitslosen- versicherung hat eben nicht nur Versorgungsaspekte, wenn es auch die sind, die Betroffene zuerst interessieren. Und das ist auch gut so, denn darum müssen sie kämpfen. Mit der solidarischen Arbeitslosenversicherung – je- denfalls zwischen den Arbeitnehmer- und Arbeitnehme- rinnen – können auch Aufgaben der Umschulung, der Weiterbildung, der Qualifizierung für den Arbeitsmarkt im Interesse der Versicherten finanziert werden. Das sind Leistungen, die Versicherte nur in besonderen Fällen be- kommen. Trotzdem sind sie ein wichtiger Beitrag zur Ver- ringerung der Arbeitslosigkeit. Und das ist ja das eigent- lich wesentliche Ziel: der Abbau der Arbeitslosigkeit. Solange aber zehn Bewerber auf eine gemeldete offene Stelle kommen, ist der Verweis auf den ersten Arbeits- markt für viele nur zynisch. Solange die Massenarbeits- losigkeit Langzeitarbeitslosigkeit hervorbringt, müssen wir uns um die Betroffenen kümmern, ihnen würdige Le- bensbedingungen ermöglichen, denn sie sind nicht allein an ihrem Schicksal schuld, wie viele ihnen immer einre- den wollen. Sie sind diejenigen, die es getroffen hat in ei- ner Gesellschaft, die Arbeitslosigkeit hervorbringt. Für viele Arbeitslose reicht das Arbeitslosengeld, meist aber dann die Arbeitslosenhilfe nicht für ein Leben an der Grenze des Existenzminimums. Sie haben Anrecht auf er- gänzende Leistungen der Sozialhilfe. Dafür müssen sie sich aber mit zwei Ämtern ärgern, müssen zwei Bedürf- tigkeitsprüfungen über sich ergehen lassen, müssen zwei Sachbearbeitern ihr Leben ausbreiten und ihre Not geste- hen. Muss das wirklich sein, wenn der einzige Grund für die Bedürftigkeit die fehlenden Arbeitsplätze sind? Für Altersarmut hatte die Regierungskoalition ein Ein- sehen. Mit der Grundsicherung im Alter ging sie einen Schritt in die richtige Richtung: Wer zu wenig Rente be- zieht, soll mindestens die Höhe der Sozialhilfe erhalten und sich nicht von Scham und Unwissen abhalten lassen. Dabei soll auch nicht mehr auf die Kinder zurückgegrif- fen werden, von denen sich das Sozialamt sonst die be- zahlten Leistungen wiederholen kann. Eine so einfache Regelung stellt sich die PDS mit dem Antrag, eine Grundsicherung in die Arbeitslosenversiche- rung einzuführen, auch vor. Zuallererst halten wir an der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes fest, wollen es lieber ausgebaut sehen. Dann halten wir an der Arbeitslosenhilfe fest; sie soll beibehalten werden und grundsätzlich nicht mehr abgeschmolzen werden. Mit einem gesetzlichen Mindestlohn wären hoffentlich künftig dann die jenseits der Armutsgrenze abgesichert, die eine Vollzeitstelle hat- ten und arbeitslos wurden. Wir wollen uns mit diesem Antrag aber auch jener an- nehmen, die aufgrund niedriger Löhne mit der Arbeitslo- senhilfe, seltener auch schon mit dem Arbeitslosengeld so arm dran sind, dass sie Anrecht auf ergänzende Sozialhilfe haben. Dafür müssen sie sich derzeit aber mit zwei Äm- tern herumärgern. Das wollen wir ändern. Ein Bürgeramt für Arbeit soll die Leistungen bündeln. Außerdem wollen wir die arbeitslosen Sozialhilfeemp- fänger und -empfängerinnen in die Arbeitslosenversiche- rung hereinholen – und nicht wie so viele andere Arbeitslo- senhilfeempfänger und -empfängerinnen in die Sozialhilfe abschieben. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. April 2002 23407 (C) (D) (A) (B) Das sind wirkliche Alternativen zu der unterschieds- losen Politik, die alle anderen Fraktionen hier bieten. Das sind Alternativen, die sich an der Grundidee sozia- ler Gerechtigkeit orientieren und nicht an Vorurteilen gegenüber Leistungsempfängern und -empfängerinnen. Ich hoffe, Sie geben sich einen Ruck, denken über unsere Vorschläge noch mal nach und stimmen dann doch zu. Anlage 16 Amtliche Mitteilungen Der Abgeordnete Dr. Hermann Kues und Jochen Borchert haben darum gebeten, bei dem Antrag Vermei- dung von Spätabtreibungen – Hilfen für Eltern und Kinder auf Drucksache 14/6635 in die Liste der Antrag- steller aufgenommen zu werden. Der Vorsitzende des folgenden Ausschusses hat mitge- teilt, dass der Ausschuss gemäß § 80 Abs. 3 Satz 2 der Ge- schäftsordnung von einer Berichterstattung zu der nach- stehenden Vorlage absieht: Rechtsausschuss – Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Rgierungskommission „Corporate Gover- nance“ Unternehmensführung – Unternehmenskontrolle – Modernisierung des Aktienrechts – Drucksachen 14/7515, 14/8086 Nr. 1.1 – Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mit- geteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden EU-Vorla- gen bzw. Unterrichtungen durch das Europäische Parla- ment zur Kenntnis genommen oder von einer Beratung abgesehen hat. Auswärtiger Ausschuss Drucksache 14/8339 Nr. 2.51 Drucksache 14/8562 Nr. 2.51 Finanzausschuss Drucksache 14/7708 Nr. 2.2 Drucksache 14/8339 Nr. 2.48 Drucksache 14/8339 Nr. 2.49 Drucksache 14/8339 Nr. 2.50 Drucksache 14/8428 Nr. 2.11 Drucksache 14/8428 Nr. 2.54 Drucksache 14/8428 Nr. 2.59 Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft Drucksache 14/8562 Nr. 1.5 Drucksache 14/8562 Nr. 2.3 Drucksache 14/8562 Nr. 2.27 Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Drucksache 14/8179 Nr. 2.13 Drucksache 14/8179 Nr. 2.32 Drucksache 14/8339 Nr. 2.21 Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Drucksache 14/8428 Nr. 2.8 Drucksache 14/8428 Nr. 2.30 Drucksache 14/8428 Nr. 2.41 Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Drucksache 14/6395 Nr. 2.1 Drucksache 14/7000 Nr. 2.10 Drucksache 14/7000 Nr. 2.34 Drucksache 14/7129 Nr. 2.43 Drucksache 14/7129 Nr. 2.67 Drucksache 14/7708 Nr. 1.10 Drucksache 14/7833 Nr. 2.5 Drucksache 14/7833 Nr. 2.6 Drucksache 14/8081 Nr. 2.16 Drucksache 14/8691 Nr. 2.1 Ausschuss für Kultur und Medien Drucksache 14/7000 Nr. 1.17 Drucksache 14/7000 Nr. 2.6 Drucksache 14/8179 Nr. 1.1 Drucksache 14/8339 Nr. 1.8 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 234. Sitzung. Berlin, Freitag, den 26. April 200223408 (C) (D) (A) (B) Berichtigung Der Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen hat anstelle der in der AmoV 228 mitgeteilten Vorlage Drucksache 14/7708 Nr. 2.15 die Vorlage Drucksache 14/7708 Nr. 2.37 zur Kenntnis genommen. Druck: MuK. Medien- und Kommunikations GmbH, Berlin
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Wolfgang Weiermann


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine
    Damen! Meine Herren! Was uns bedrückt, ist in der Tat
    Ihre Aussage, Herr Brüderle, zu Tarif- und Rechtstreue.
    Wir sagen für uns ganz eindeutig – damit wenden wir uns
    an Sie –: Tariftreue ist gleichsam Rechtstreue und damit
    Verfassungsauftrag.


    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)


    Wer mit der Verfassung so liederlich umgeht, dem muss
    man sagen, dass seine Politik nicht die Politik für unser
    Volk sein kann. Vernünftiges kommt dabei jedenfalls
    nicht heraus.


    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    Der Streit, um den es hier geht, ist im Grunde ein alter

    und grundsätzlicher Streit. Es ist der Streit über die Frage
    – wir unterscheiden uns in diesem Punkt –: Wie frei darf
    ein Wettbewerb sein, ohne dass er einerseits zu einer Ver-
    zerrung der Wettbewerbsverhältnisse führt und anderer-
    seits zulasten der Lohn- und Arbeitsbedingungen geht?
    Darüber lassen wir gerne mit uns streiten. Dabei geht es
    um Inhalte, aber nicht um den Abbau vieler Schutzrechte
    in der Bundesrepublik Deutschland.


    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    Wir Sozialdemokraten sagen: Unlauterer Wettbewerb

    darf nicht zulasten der Beschäftigten und der Qualität der
    Leistungen gehen, was unausweichlich geschieht, wenn
    der Staat keine vernünftigen Rahmenbedingungen
    schafft. Es ist unser Auftrag, auch und gerade im Hinblick
    auf die soziale Marktwirtschaft, dort Korsettstangen ein-
    zuziehen, wo wir sie im Interesse unserer Gesellschaft
    und der Wirtschaft für notwendig halten.


    (Beifall bei der SPD)

    Im Bereich des ÖPNV ist angesichts der bevorstehen-

    den Liberalisierung auf EU-Ebene mit einer etwas anders
    gelagerten, aber ähnlichen Entwicklung wie in der Bau-
    wirtschaft zu rechnen. Das, was die Sachverständigen der
    Stadtwerke geschrieben haben, war, dass sich die Preise
    für den Nahverkehr nicht verändern, also nicht in die
    Höhe getrieben werden. Vielmehr betonen sie in ihrer
    Stellungnahme eindeutig, dass eine solche Entwicklung,




    Werner Kuhn
    23304


    (C)



    (D)



    (A)



    (B)


    eine Liberalisierung, zu erheblichen Mehrkosten führen
    wird, die weit über denen liegen, die mit einer vernünfti-
    gen Regelung in Sachen Tariftreue und Vergaberecht ver-
    bunden sind. Das war die korrekte und konkrete Aussage
    der Stadtwerke. Das hört sich anders an, wenn man sagt,
    ein Teil der Mehrkosten könnte auf die Kommune über-
    tragen werden. Das ist etwas ganz anderes.

    Unlautere Wettbewerber, die sich durch Lohndumping
    und Billiglohnarbeitskräfte Wettbewerbsvorteile ver-
    schaffen wollen, werden durch unser Gesetz ausgebremst.
    Das ist der Sache wegen in der Tat vernünftig und richtig.
    Was wäre das für eine Wirtschaftsordnung, was wäre das
    für ein Staat, in dem der selbstbewusste Arbeitnehmer das
    Gefühl haben muss, nicht mehr als ein Tagelöhner längst
    vergangener Zeiten wert zu sein? Das wollen wir nicht.


    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)


    Deswegen ist das Tariftreuegesetz in einer Reihe mit
    anderen gesetzlichen Regelungen zur Bekämpfung illega-
    ler Beschäftigung wie dem Arbeitnehmerentsendegesetz,
    dem Steuerabzugsgesetz, dem Gesetz zur Erleichterung
    zur Bekämpfung illegaler Beschäftigung und Schwarzar-
    beit zu sehen.

    Nun hören Sie doch mit der Schwarzarbeit auf: Es sind
    doch nicht die Arbeitnehmer, die in den Unternehmen il-
    legale Aufträge vergeben. Es sind doch die Unternehmen
    – Gott sei Dank sind es nicht allzu viele; das hoffe ich je-
    denfalls –, die illegal Aufträge vergeben. An diese und
    nicht an die Sozialdemokraten und die Grünen, die diese
    Entwicklung verändern wollen, müssen Sie Ihre Klagen
    richten.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Ziele des Gesetzes sind also der Abbau von
    Wettbewerbsverzerrungen, die durch den Einsatz von
    Niedriglohnkräften entstehen, die Sicherung sozialer
    Mindeststandards und die Unterstützung derjenigen
    Unternehmen, die sich im Wettbewerb gesetzes- und
    tariftreu verhalten. Es ist doch eine unserer verfassungs-
    gemäßen Aufgaben, Schaden nicht nur von der Wirtschaft,
    sondern vom gesamten deutschen Volk abzuwenden.
    Dafür ist eine bundeseinheitliche Regelung notwendig, die
    Rechtssicherheit bei der Vergabe öffentlicher Aufträge
    schafft.

    Bedenken der Opposition, diese Regelung sei nicht
    verfassungskonform oder verstoße gegen Vorschriften der
    EU, wurden schon in der Anhörung zerstreut. Das wurde
    sowohl bei den schriftlichen Stellungnahmen als auch bei
    der mündlichen Anhörung der Experten recht deutlich.
    Die FDP hat in ihrem Antrag, der der Verhinderung des
    Tarifzwangs im öffentlichen Vergaberecht dient, deutlich
    gemacht, was sie unter Flexibilisierung des Arbeitsmark-
    tes versteht. Ich möchte übrigens nicht an der Stelle von
    Klaus Wiesehügel sein; denn ihm, den man mit Recht ei-
    nen guten Gewerkschaftsführer nennen kann und der Mit-
    glied des Bundestages ist – er wurde genauso wie Sie frei
    gewählt –, wollen Sie immer das Etikett anheften, alle
    Dinge ausschließlich durch die Brille des Gewerkschaf-
    ters zu sehen.

    Sie wollen die Schutzrechte abräumen, und zwar – das
    haben wir ja heute wieder gehört – nicht nur, wenn es um
    steuerliche Fragen geht, sondern auch, wenn es um be-
    triebsverfassungsrechtliche Inhalte geht. Letzteres stört
    Sie so sehr wie das Weihwasser den Teufel. Das, was sich
    eigentlich hinter Ihren Äußerungen verbirgt, ist Folgen-
    des: Weg mit dem, was wir als Errungenschaften des
    21. Jahrhunderts bezeichnen, zurück zu einer Zeit, in der
    der Standpunkt des Staates war: Der Herr im Hause re-
    giert! – Ich sage dazu: Mit uns nicht!


    (Beifall bei der SPD und der PDS)

    Das, was Sie heute gefordert haben – ich bin mir sicher,

    dass das auch für alles gilt, was Sie noch vorschlagen wer-
    den –, ist ein Angriff auf den Flächentarifvertrag und die
    Tarifautonomie. Das machen wir nicht mit, schon aus
    dem Grunde nicht, weil wir wissen, was die deutsche
    Wirtschaft zusammen mit den Arbeitnehmerinnen und
    Arbeitnehmern sowie mit Unterstützung der gesamten
    Gesellschaft beim Wiederaufbau, der nach dem schreckli-
    chen Zweiten Weltkrieg begann, zu leisten imstande war,
    und zwar in einem Land, in dem die Tarifautonomie funk-
    tionierte und das soziale Gefüge in Ordnung war. Dieses
    soziale Gefüge lassen wir uns nicht kaputtmachen.


    (Beifall bei der SPD)

    Das wollen auch nicht die Unternehmer in unserem Land,
    jedenfalls nicht die klugen Unternehmer, die begriffen ha-
    ben, wie demokratische und wirtschaftliche Abläufe funk-
    tionieren.



Rede von Dr. h.c. Wolfgang Thierse
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Kollege Weiermann,
Sie müssen zum Ende kommen.


  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Wolfgang Weiermann


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    In Ordnung, Herr Prä-
    sident.

    Herzlichen Dank, dass Sie mir zugehört haben. Ich
    sage nicht, dass Sie aus dem, was ich gesagt habe, lernen
    sollen. Sie sind frei in Ihrer Entscheidung, ob Sie das tun
    wollen. Aber ich rate Ihnen, sich das eine oder andere
    durch den Kopf gehen zu lassen.

    Der heutige Tag ist gut, wenn wir gleich das Tariftreue-
    gesetz verabschieden werden.

    Herzlichen Dank.

    (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)